Der Parlamentarische Rat 1948-1949: BAND 9 Plenum 9783486702385, 9783486562286

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde vom Herbst 1948 bis zum Frühjahr 1949 durch den Parlamentarischen R

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Der Parlamentarische Rat 1948-1949: BAND 9 Plenum
 9783486702385, 9783486562286

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Der Parlamentarische Rat 1948-1949

Band 9

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle

herausgegeben vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv

unter

Leitung

von

Rupert Schick und Friedrich

P.

Kahlenberg

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle

Band 9

Plenum

bearbeitet von

Wolfram Werner

© HARALD BOLDT VERLAG IM R. OLDENBOURG VERLAG

MÜNCHEN

1996

CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Bibliothek -

Deutschland {Gebiet unter Alliierter Besatzung) I Parlamentarischer Rat: Der Parlamentarische Rat : 1948-1949 ; Akten und Protokolle / hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv unter Leitung von Rupert Schick und Friedrich P. Kahlenberg. München : Oldenbourg. Bis Bd. 4 hrsg. unter Leitung Früher im Boldt-Verl., Boppard am Rhein. von Kurt G. Wernicke und Hans Booms -

-

NE:

Schick, Rupert [Hrsg.]; Wernicke, Kurt Georg [Hrsg.]; HST von Wolfram Werner. ISBN 3-486-56228-2 NE: Werner, Wolfram [Bearb.]

Bd. 9. Plenum / bearb.

© 1996 Harald Boldt

Verlag

im R.

1996 -

Oldenbourg Verlag,

München

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und die Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Gedruckt auf säurefreiem,

alterungsbeständigem Papier

ISBN 3-486-56228-2

INHALTSVERZEICHNIS

Seite

Einleitung.

VII

Zusammensetzung des Plenums und Modalitäten seiner Arbeit 2. Zum Ablauf der Beratungen über das Grundgesetz.

VII XIII

im Plenum.

XXVII

Sonstige Aktivitäten des Plenums. 5. Zur Auseinandersetzung mit der KPD und dem Volksrat

XXX

1.

3. Die

.

Behandlung

des

Wahlgesetzes

4.

.

6. Auswahl der Dokumente und ihre

Verzeichnis der Dokumente

.

.

Einrichtung.

.

Dokumente (Nr. 1-12).

Mitglieder

des Parlamentarischen Rates.

Alphabetisches

Verzeichnis

XXXI XXXVIII XLIII 1 703

Verzeichnis der

Abkürzungen.

709

Verzeichnis der

ungedruckten Quellen.

711

gedruckten Quellen und der Literatur 1. Dokumentationen, Dokumentensammlungen.

713

2. Amts- und

714

Verzeichnis der

.

Gesetzblätter.

3. Memoiren und

Personenindex

Darstellungen.

713

715

.

721

Sachindex.

729

V

EINLEITUNG

1. ZUSAMMENSETZUNG DES PLENUMS UND

MODALITÄTEN

SEINER ARBEIT

Der Parlamentarische Rat umfaßte 65 stimmberechtigte Abgeordnete, die nach Grundsätzen, die bereits im Frankfurter Dokument Nr. I festgelegt worden waren,

zwischen dem 6.-31.

August

1948

von

den

Landtagen gewählt wurden1).

Ferner nahmen fünf Delegierte Berlins als „Gäste mit beratender Stimme" an seiner Arbeit teil, deren Begrüßung und Einführung in der ersten Plenarsitzung

bei den alliierten Verbindungsstäben erheblichen Ärger verursachte, weil dies nicht in der abgesprochenen diskreten Form geschah2). Die Wahlen ergaben entsprechend den Machtverhältnissen in den Landtagen unter sechs Parteien eine Sitzverteilung, bei der die CDU 19 Sitze und die CSU 8 Sitze erhielten; beide Parteien schlössen sich zu einer Fraktion zusammen, die somit über 27 Sitze verfügte3). In gleicher Stärke (27 Sitze) war die SPD vertreten, so daß die beiden großen Parteien sich in einer Pattsituation befanden. Die Liberalen, FDP/LDP/DVP, die sich unter der Bezeichnung FDP zusammenschlössen, kamen auf fünf Sitze. KPD, Zentrum und Deutsche Partei verfügten über je zwei Sitze. Zwischen den großen Parteien war es offensichtlich zu Absprachen über einige Kandidaten gekommen, durch die u.a. so prominente Mitglieder wie Carlo Schmid (SPD) und Chapeaurouge (CDU) in den Pari. Rat gelangten4). Eine Aufstellung der Abgeordneten mit ihren biographischen Daten wurde in diesen Band noch einmal aufgenommen, weil die am Ende von Bd. 1 dieser Edition abgedruckten Lebensdaten nach Ablauf von zehn Jahren vielfach zu

ergänzen waren. weniger als elf Abgeordnete5) hatten bereits

Nicht

im Reichstag gesessen; BergHöpker Aschoff, Kaiser, Loebe, Löwenthal, Paul, Rönneburg, Wagner, Frau Weber; drei Abgeordnete: Heile, Loebe, Frau Weber, hatten sogar schon in der Weimarer Nationalversammlung an der Reichsverfassung mitgearbeitet. Ein Großteil der Abgeordneten hatte parlamentarische Erfahrung in den Parlamenten der Länder nach 1945 gewonnen, darunter nicht wenige

strässer, Heile, Heuss,

Bergsträsser, fer

-,

die

Brentano, Süsterhenn, Lehr, Menzel, Carlo Schmid und Pfeifden Verfassungsdiskussionen in ihren Heimatländern oder an

-

von

an

Abdr. des Modellgesetzes in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 288 ff. 2) Siehe Dok. Nr. 1, Anm. 17 und 39. 3) Obwohl sich beide Parteien zu einer Fraktion zusammenschlössen, wurde in den Protokollen des Plenums bei den Angaben der Parteizugehörigkeit der Redner zwischen CDU und CSU unterschieden. 4) Siehe Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. XL 5) Die folgenden Angaben im wesentlichen nach Richard Ley: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates.

VII

Einleitung Verfassungsentwürfen ihrer Parteien wesentlich beteiligt waren. Fünf Abgeordnete hatten beim Verfassungskonvent vom Herrenchiemsee mitgewirkt, darunter

anderem die Fraktionsvorsitzenden Carlo Schmid (SPD) und Pfeiffer Ferner waren dies Schwalber, Süsterhenn und Suhr gewesen. Für nicht wenige Abgeordnete war die Tätigkeit im Pari. Rat somit die Fortsetzung eines verfassungspolitischen Diskurses, der seit 1947/1948 stattgefunden hatte. Außer Hamburg hatten die Länder jeweils u.a. Regierungsmitglieder, zumeist die für Verfassungshagen zuständigen Minister oder Staatssekretäre entsandt, die bei ihrer Arbeit auf bürokratische Hilfe aus ihren Ministerien rechnen konnten: Fecht (Justizminister in Baden); Schwalber (Staatssekretär im Innenministerium in Bayern); Ehlers (u.a. Senator für Inneres in Bremen); Zinn (Justizminister in Hessen); Hofmeister (Justizminister in Niedersachsen); Menzel (Innenminister in Nordrhein-Westfalen); Süsterhenn (Minister für Justiz, Erziehung und Kultus in Rheinland-Pfalz); Katz (Justizminister in Schleswig-Holstein); Schmid (Justizminister in Württemberg-Hohenzollern). Nicht weniger als 60 Prozent der Abgeordneten gehörten dem öffentlichen Dienst an. Zweidrittel der Abgeordneten waren Akademiker, darunter sechs Professoren. Der Anteil von Frauen war mit vier Abgeordneten gering. Bei einem Durchschnittsalter der Abgeordneten von Mitte 50 Jahren, wobei jedes dritte Mitglied älter als 60 Jahre alt war und somit seine Jugend in der Kaiserzeit erlebt hatte, kann man von einem „Rat von Senioren" sprechen. Die Generation, die bei normaler politischer Entwicklung von 1933-1945 in die politische Verantwortung hätte hineinwachsen können, fehlte. Jünger als vierzig Jahre waren nur ganz wenige unter

(CDU/CSU).

Abgeordnete.

Fast 50 der 65 Abgeordneten waren in ihrer beruflichen oder politischen Karriere durch das Dritte Reich beeinträchtigt worden oder waren aktive Gegner des Nationalsozialismus gewesen6). Dies gilt insbesondere für die Abgeordneten aus den Reihen der SPD und der KPD, aber auch für die CDU/CSU-Abgeordneten, unter denen einige Kontakte zum konservativen Widerstand gehabt hatten. Der NSDAP zeitweise durch eine Mitgliedschaft in einem SA-Reitersturm formal nahestehend und als solcher von Renner bei Gelegenheit auch indirekt angeprangert -, war nur ein Abgeordneter7). Bemerkenswert ist, daß die Interessenverbände im Frühherbst 1948 noch nicht zu solcher Ausprägung und Macht gelangt waren, daß sie unmittelbare Vertreter zu entsenden vermochten6). Selbst die Flüchtlinge und Vertriebenen, die in den Westzonen immerhin etwa sieben Millionen Personen ausmachten, hatten mit Willibald Mücke (SPD) nur einen einzigen spezifischen Vertreter. Die Beamten -

überrepräsentiert. die herausragenden logisch, daß dort zunächst

waren

Wer war

6) 7) 8) VIII

waren

Persönlichkeiten und Sprecher im Plenum? Es die Vorsitzenden der einzelnen Ausschüsse zu

Siehe dazu die biographischen Angaben in Z 5 Anhang/1, die von Pfeiffer im Jahre 1956 im Zuge seiner Geschichte des Pari. Rates in einer Umfrage erhoben worden waren. Die Zahl beruht auf einer Auswertung dieser Angaben. Dok. Nr. 11, Anm. 51. Sörgel: Konsensus und Interessen, S. 201 ff.

Einleitung Worte kamen und Carlo Schmid als Vorsitzender des Hauptausschusses schon dieser Position her eine ftihrende Rolle spielen würde. Dennoch fällt auf, daß bei der CDU/CSU eine dominante Persönlichkeit nicht zu erkennen ist. Adenauer, der in der Funktion des Präsidenten als Gesprächspartner gegenüber den Alliierten im Verlaufe der Tätigkeit des Pari. Rates an politischem Gewicht und Statur gewann9), leitete zwar acht der zwölf Plenarsitzungen; er fiel damit für inhaltliche Beiträge im Plenum aber so gut wie ganz aus und kam lediglich in der Sitzung vom 8. Mai 1949 mit einem Schlußwort und in der feierlichen Schlußsitzung erwähnenswert zu Wort10). In den anderen Sitzungen blieben seine Beiträge im wesentlichen auf Geschäftstechnisches und Formales beschränkt. Die Art und Weise, wie er die Sitzungen leitete, läßt allerdings sein großes Geschick und seine politische Erfahrung sehr deutlich erkennen. Nicht selten entschärfte er spannungsgeladene Situationen durch humorvolle Bemervon

versuchte er das Überhandnehmen von Zwischenrufen wärend einer Rede von Paul (KPD) zu unterbinden, indem er empfahl: „Meine Herren, ich bitte doch, die 10 Minuten Redezeit des Herrn Paul nicht mit Zwischenrufen zu verkürzen, oder machen Sie gute Zwischenrufe"11). In den ersten Sitzungen trat als Redner für die CDU der Abg. Süsterhenn hervor, der jedoch nach einem Autounfall für die Schlußphase ausfiel12). Dafür redeten dann vermehrt die Abgeordneten Lehr, von Brentano und Kaufmann. Es fällt auf, daß Pfeiffer, obwohl Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, im Plenum nur in sehr geringem Maße in Erscheinung trat. Als CSU-Abgeordneter, der schließlich zu denen gehörte, die nicht für das Grundgesetz stimmten, war er innerhalb der CDU/CSU-Fraktion in einer schwierigen Lage, weil er Minderheitsposi-

kungen. Beispielsweise

tionen vertrat. Ganz anders das

Erscheinungsbild bei der SPD. Der Parteivorsitzende Dr. Kurt im Pari. Rat nicht vertreten und war im Herbst 1948-Frühjahr 1949 längere Zeit an das Krankenbett gefesselt, was erhebliche Koordinierungsprobleme zwischen Bonner Fraktion und Parteivorstand in Hannover hervorrief. In Bonn trat von der ersten Sitzung an ihr Fraktionsvorsitzender Carlo Schmid dominant in den Vordergrund und bestritt mit der ihm eigenen rhetorischen Brillanz die wesentlichen Beiträge für die SPD-Fraktion. In Prozenten gerechnet dürfte er den höchsten Anteil aller Abgeordneten an den Ansprachen im PleSchumacher

war

9) Morsey:

10) 11)

Die Rolle Konrad Adenauers, passim. Ferner Schwarz: Adenauer, S. 589 ff. Heuss charakterisierte dies in einem Schreiben an den Adenauer-Biographen Paul Weymar vom 18. Febr. 1955 wie folgt: Adenauer sei um seiner Stellung willen, rein technisch, die Figur für die Hohen Kommissare geworden. Schon von daher sei er auf ganz natürliche Weise der Sprecher der werdenden Bundesrepublik gegenüber den westlichen Mächten geworden. „Und das wurde für ihn, von der eigenen Konzeption ganz abgesehen, die Lehrzeit, mit den Denkgewöhnungen der .anderen', so wenig fixiert sie im einzelnen sein mochten, vertraut zu werden" (B 122/2072). Dok. Nr. 12, TOP 4. Siehe S. 160. Bei anderer Gelegenheit meinte er im Bestreben, die Verhandlung straff zu führen als ein Redner von seinem Platz aus sprechen wollte: „Ich bin der Auffassung, daß man den Rednern das Sprechen möglichst schwer machen soll." Dok. Nr. 10, S. 592. Dok. Nr. 9, Anm. 5. -

-

12)

IX

Einleitung haben, da er in den Anfängen der Arbeit grundlegende und umfassende „Berichte" lieferte. Insgesamt erhielt er zwölfmal das Wort. Der Abg. Menzel, der eigentliche Verfassungsexperte der SPD, hatte seinen ersten Auhritt dem Umstand zu verdanken, daß der Berliner Abg. Suhr zu vertreten war13). Im num

trat er insbesondere im Rahmen der ersten Beratung des Wahlgesetzes und bei der dritten Lesung des Grundgesetzes auf14). In den Sitzungen des Plenums stand er im Schatten von Carlo Schmid.

übrigen

Bei der FDP trat Theodor Heuss hervor mit feinsinnig formulierten Beiträgen, die insbesondere auch die historische Dimension der Arbeit des Pari. Rates

reflektierten. Gelegentlich nahm er dabei die Attitude des professoralen und intellektuellen Kritikers ein, der Zensuren verteilt und anderen den Spiegel vorhält15). Mit insgesamt neun Redebeiträgen gehörte Heuss zu den häufiger sprechenden Abgeordneten. Bei Wahlrechtshagen stand der Abg. Becker im Vordergrund, der der Vorsitzende des entsprechenden Ausschusses gewesen war.

Die einzelnen Abgeordneten der kleineren Parteien kamen prozentual gesehen verständlicherweise häufiger zu Wort als die der großen. Brockmann (Zentrum) sprach 12mal, Renner (KPD) 14mal und Seebohm (DP) sogar 15mal. Von den 77 Abgeordneten, die es im Pari. Rat insgesamt gegeben hat, sprachen 26 überhaupt nicht im Plenum.

(Adenauer) und den beiden Vizepräsidenten (Schönfelder und vier Schriftführer zur Seite, die in der zweiten Sitzung des standen Schäfer) Plenums16) gewählt wurden: Frau Weber, Stock, Frau Wessel, Becker. Jeweils zwei Schriftführer amtierten bei den Plenarverhandlungen; sie hatten nach § 9 der Geschäftsordnung17) die Verhandlungen zu beurkunden, Rednerlisten zu führen, Namen aufzurufen und Stimmen zu sammeln und zu zählen. Die oben Genannten bildeten nach § 5 der Geschähsordnung das Präsidium des Parlamentarischen Rates, das als Gremium in den Beratungen nicht in Erscheinung trat. Seine Funktionen lagen eher im administrativen Bereich; so hatte das Präsidium dem Hauptausschuß den Haushaltsplan vorzulegen, über die Verwendung der Räumlichkeiten zu befinden und die Hausordnung zu erlassen. Für die Sitzungen des Plenums gab es in der Geschähsordnung, bei deren Erarbeitung man u.a. auf die des Wirtschahsrates zurückgriff, eine Reihe einschlägiger Vorschriften. Der § 24 bestimmte, daß der Präsident die Sitzungen der Vollversammlung einberuft, sie eröffnet, leitet und schließt. Falls zehn Mitglieder unter Angabe der Tagesordnung eine Vollversammlung verlangen, Dem Präsidenten

13) Siehe S. 71. 14) Die erste Lesung des Wahlgesetzes siehe Dok.

Nr. 8, TOP 2.1; die dritte

Lesung des

Grundgesetzes siehe Dok. Nr. 10, TOP 3.1. 15) Finck sprach von mit meisterhaftem Geschick nach allen Seiten hin ausgeteilten „theologischen Zensuren". Siehe S. 572. 16) 17) X

Dok. Nr. 2, TOP 2. Zur Geschäftsordnung siehe Dok. Nr. 1, Anm. 15, Dok. Nr. 5, Anm. 7.

Einleitung mußte sie einberufen werden. In § 27 war die Öffentlichkeit der Vollversammlungen festgeschrieben, § 28 behandelte die „Redeordnung". Demnach durfte ein Mitglied nur sprechen, wenn ihm der Präsident das Wort erteilt hatte. Die Redezeit war auf V2 Stunde festgelegt, sofern nicht im Ältestenrat eine andere Redezeit vereinbart worden war. Dies geschah gelegentlich18). Der Präsident konnte Redner wegen Abschweifung auf Gegenstände, die nicht zur Sache gehörten, oder wegen Verletzung der Ordnung im Laufe einer Sitzung dreimal zur Sache verweisen oder zur Ordnung rufen; danach war dem Redner vom Präsidenten das Wort zu entziehen19). Man beschloß nach Beratungen im Geschäftsordnungsausschuß, Beifall solle nicht durch Klatschen bekundet werden, wie sich das im Dritten Reich eingebürgert hatte, sondern man wolle zur früheren „guten parlamentarischen Übung" zurückkehren: d.h. Beifall wurde durch Klopfen, Scharren mit den Füßen oder durch Zurufe geäußert20). Adenauer war gegen das Beifallklatschen bereits im Landtag von Nordrhein-Westfalen angegangen21). Parlamentarischem Gebrauch entsprechend, sprach man auch vom „Hohen Haus"22). Abstimmungen sollten per Handaufheben erfolgen, da es kein festes Gestühl gab und somit eine beträchtliche Geräuschkulisse beim Aufstehen zu erwarten gewesen

wäre23).

Selbstverständlich war es üblich, die Ansprachen von Parteifreunden durch zustimmende Zwischenrufe zu unterstützen; dies fällt insbesondere auf bei den Redebeiträgen der kleinen Parteien, zum Beispiel bei den Abgeordneten des Zentrums, Brockmann und Frau Wessel, oder denen der KPD, Reimann und Renner.

Wichtiger als das Präsidium für der Ältestenrat, in dem neben

die Steuerung der Arbeit des Pari. Rates war dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten auch Vertreter der Fraktionen saßen. Seine Aufgabe war nach § 13 der Geschäftsordnung, den Präsidenten bei der Führung der Geschäfte zu unterstützen.

Entgegen Gerüchten in der Öffentlichkeit war die Bezahlung der Abgeordneten sehr bescheiden24). Sie erhielten 350 DM monatlich und für jeden Sitzungstag,

dem sie anwesend waren, weitere 30 DM. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Abgeordneten, die Landtagen angehörten, während ihrer Zugehörigkeit zum Pari. Rat keine Landtagsgebühren erhielten. Von diesen Bezügen war der Lebensunterhalt in Bonn, der berufliche Verdienstausfall und der Unterhalt der Fraktionssekretariate zu bestreiten. Adenauer erhielt als Präsident das dreifache, an

die

18) 19) 20)

21) 22) 23) 24)

Bei den Diskussionen um die Präambel (Dok. Nr. 6, TOP 3) hatte man beispielsweise die Redezeit auf jeweils 15 Minuten festgesetzt. Siehe Schönfelders Bemerkung auf S. 191. Dies geschah einmal gegenüber Reimann (siehe S. 432) und einmal gegenüber Renner (siehe S. 685). Siehe Dok. Nr. 2, TOP 1; ferner das Protokoll der ersten Sitzung des GeschäftsordnungsAusschusses in: Z 5/227, hier Bl. 92. Ebenda, Bl. 93. Siehe S. 8. Siehe S. 19. Das Folgende nach einem Schreiben von Blankenborn an Emil Marx, Wuppertal-Barmen, vom 1. Juni 1949, NL Blankenhorn/239.

XI

Einleitung

allerdings die Unkosten für seinen persönlichen Referenten (Blanbestreiten. kenborn) Das Plenum tagte in der Aula der Pädagogischen Akademie, die in Tag- und Nachtarbeit für die Unterbringung des Pari. Rates hergerichtet und renoviert worden war. Es handelte sich um ein unmittelbar am Rhein befindliches modernes Bauwerk zwischen „Schrebergärten und Blumenbeeten", das nach dem Urteil eines Journalisten den Eindruck eines amerikanischen College machte25). Die Sitzordnung sah drei Blöcke zu je acht Tischen mit je drei Sitzplätzen vor. Vom Rednerpult und Präsidium aus gesehen, hatten in der ersten Reihe die jeweiligen Fraktions- bzw. Parteiführer ihren Platz. Hinter ihnen saßen die weiteren Vertreter der jeweiligen Partei. Für die erste Reihe ergab sich von links nach rechts folgende Reihenfolge: Adenauer (CDU), Pfeiffer (CSU), Brockmann (Zentrum), Seebohm (Deutsche Partei), Heuss (FDP), Loebe (SPD-Berlin), Carlo Schmid (SPD), Menzel (SPD), Reimann (KPD)26). Auf der Tribüne waren einige Plätze für die Presse und Gäste wie auch rechts und links auf ebener Erde Plätze für die Verbindungsstäbe und die Presse reserviert worden. Zuhörer der Plenarsitzungen waren im wesentlichen wohl Bonner Studenten der Staatswissenschaftlichen Fakultät27). Mehrfach mischte sich das Publikum durch Zurufe oder Beifalls- und Mißfallensbekundungen ein, so daß der Sitzungsleiter mahnte, dies zu unterlassen28). Bei der Abstraktheit der Beratungsgegenstände, dem Bildungsgrad und den Berufen der Hauptbeteiligten verwundert es nicht, daß die Redebeiträge teilweise sehr akademisch wirkten. Renner griff dies bei der Aussprache über die Präambel auf und spottete: „Wenn das Volk den bisherigen Ablauf, den bisherigen Duktus der Reden, die hier gehalten worden sind, mitverfolgen und anhören müßte, dann bin ich der Auffassung, daß das Volk verzweifelt und voller Langeweile diesen Saal verläßt und sich eventuell sogar in den kühlen Rhein stürzt"29). Auch vom amerikanischen Verbindungsoffizier, Simons, ist eine drastische Unmutsäußerung über die langweilige und geistlose Atmosphäre einer Plenumssitzung überliefert30). Bei dieser Kritik darf man die Funktion des Plenums nicht vergessen: Hier stellten sich die im Pari. Rat vertretenen politischen Kräfte der breiten Öffentlichkeit; und so ist es naheliegend, daß sie das Forum nutzten, um ihre Positionen zu den Tagesordnungspunkten möglichst abgerundet und überzeugend zu präsentieren; dabei versuchte man gelegentlich, durch Zwischenrufe die Aussagen des politischen Gegners zu relativieren oder ad absurdum zu führen und für seine Positionen Pluspunkte zu gewinnen. Dabei wurde auch das Mittel des Witzes und der Ironie angewendet. Die Protokollanten verzeichneten mehr als hundert Mal „Heiterkeit", „Große Heiterkeit", „Schallende Heiterkeit" oder auch hatte daraus zu

25) „Der Tag" vom 16. Sept. 1948; Ausschnitt in: Z 5/178 F. 26) Aufstellung einer Sitzordnung in: PA 5/28. 27) Artikel von Ludwig Eberlein im Tagesspiegel vom 9. Nov. 1948, Ausschnitt in: Z 5/181 F.

28) Siehe S. 204 f., 553, 683. 29) Siehe S. 200. 30) Dok. Nr. 3, Anm. 145. XII

Einleitung „Zurufe und Lachen". Sobald die Zwischenrufe überhandnahmen, griff der Präsident ein31). Die von den Rednern geäußerten inhaltlichen Positionen waren in der Regel vorher in den Fraktionen abgestimmt worden und sind somit nur bedingt als freie und spontane Beiträge in einer politischen Diskussion zu werten32). Im übrigen hatte das Plenum im wesentlichen die Funktion, Entscheidungen formal nachzuvollziehen, die in anderen Gremien, insbesondere im Hauptausschuß sich bereits einmal abgespielt hatten. Beide Gremien des Pari. Rates sind in einem engen Zusammenhang zu sehen. Gelegentlich waren besonders bei großer zeitlicher Nähe von Hauptausschußsitzung und Plenardie Geschehensabläufe so ähnlich, daß es auf die Parlamentarier sitzung -

peinlich wirkte33). -

vom 1. September 1948, dem Tag, an dem sich der Pari. Rat feierlich konstituierte, bis zum 23. Mai 1949, als die Annahme des Grundgesetzes in feierlicher Sitzung festgestellt, es ausgefertigt und verkündet wurde, tagte das Plenum insgesamt zwölfmal. Die Dauer aller Sitzungen belief sich auf nicht weniger als fast 45 Stunden, wobei die kürzeste Sitzung, die fünfte, in der die Geschäftsordnung angenommen wurde, gerade 16 Minuten, die längste, in der das Grundgesetz in dritter Lesung angenommen wurde, mehr als acht Stunden bis in den Morgen des nächsten Tages hinein dauerte34). Obwohl die Militärgouverneure vor der Eröffnung des Pari. Rates in Aussicht stellten, unter Umständen auch einmal eine Sitzung zu besuchen, fand dies nicht statt35).

Im Zeitraum

2. ZUM ABLAUF DER BERATUNGEN

ÜBER DAS GRUNDGESETZ

Beratungen des Plenums am Grundgesetz lassen sich in etwa wie folgt periodisieren: Nach der Konstituierung am 1. September 1948 erfolgte eine erste Aussprache über die zu leistende Aufgabe in der zweiten und dritten Sitzung am 8./9. September 1948. Eine Zwischenbilanz der Beratungen wurde nach den ersten Ergebnissen der Fachausschüsse in der sechsten und siebenten Sitzung am 20.121. Oktober 1948 gezogen. Diese Aussprache wurde nachträglich zur ersten Lesung des Grundgesetzes erklärt, obwohl dabei lediglich über die Präambel, den Bundesrat und Finanzfragen gesprochen wurde. Danach trat für das Plenum eine sehr lange Pause ein. Erst am 6. Mai 1949 wurde die Arbeit am Grundgesetz mit der zweiten Lesung vom Plenum wieder aufgenommen; zwei Tage später, am 8. Mai 1949, folgte bereits die dritte Lesung des Grundgesetzes kurz vor Mitternacht. Mit der feierlichen Feststellung der Annahme des Grundgesetzes nach erfolgter Zustimmung durch die Länder beendete das Plenum am 23. Mai 1949 mit der Verkündung und Inkraftsetzung des Grundgesetzes seine Tätigkeit. Aus diesem Ablauf ergibt sich, daß die Die

31) Siehe S. 227. 32) Als Binder (CDU) in der

7. Sitzung massive Kritik an den Besatzungskosten äußerte, wurde er von der CDU/CSU-Fraktion gerügt. Siehe Dok. Nr. 7, Anm. 72. 33) Siehe die Bemerkung von Heuss auf S. 335. 34) Siehe Dok. Nr. 10. 35) Siehe Dok. Nr. 1, Anm. 4.

XIII

Einleitung Protokolle des Plenums den Verlauf der Beratungen des Grundgesetzes nur bruchstückhaft und in bestimmten Ausschnitten wiedergeben können und sich in ihnen keinesfalls auch nur in Ansätzen die gesamte Entstehungsgeschichte abbildet, selbst wenn in den Ansprachen einzelner Abgeordneter gelegentlich auf allgemeine Entwicklungen rückblickend Bezug genommen wurde36). Wenn auch die unterschiedlichen Positionen der Parteien zu Beginn insgesamt recht deutlich erkennbar wurden, so geben die Protokolle über den mühsamen Weg zum Kompromiß, der schließlich gefunden wurde, kaum Auskünfte. Im einzelnen läßt sich der Ablauf der Arbeit des Plenums am Grundgesetz in stark verkürzter Form und reduziert auf die wichtigsten Stationen wie folgt zusammenfassen: Die Ausgangslage für die Beratungen wurde in der ersten Generalaussprache vom 8. und 9. September 194 8 37) deutlich; diese Plenarsitzungen waren von Adenauer ursprünglich nicht gewollt worden, um die Fronten unter den Parteiund auch innerhalb der CDU/CSU nicht zu verhärten; und er blieb en diesen zwei Sitzungen auch fern38). Im Vorfeld war man übereingekommen, bei dieser Aussprache keine polemische Debatte zu führen, sondern im wesentlichen referierend einen Generalbericht zu erstatten, um die Abgeordneten in die Materie einzuführen39). An sich hätte man bei einem Tagesordnungspunkt „Berichte über die dem Pari. Rat gestellte Aufgabe an Hand der Vorarbeiten" erwarten können, daß die zahlreichen vorhandenen verfassungspolitischen Vorarbeiten, etwa die Denkschrift des Zonenbeirats der britischen Zone40), die Entwürfe von Walter Menzel41), des „Ellwanger Kreises"42), Vorentwürfe der CDU/CSU43), des Zentrums44), der Deutschen Partei45), die Richtlinien des Deutschen Volksrates46) usw. analysiert werden würden. Andererseits beschloß der Altestenrat, nur Abgeordnete mit der „Berichterstattung" zu betrauen, die in Herrenchiemsee dabei waren47). Eröffnet wurde die Sitzung mit einer Art Tour d'horizon von Carlo Schmid, der ein geschlossenes verfassungstheoretisches und deutschlandpolitisches Gedankengebäude darbot, geprägt durch sein Verständnis für völkerrechtliche Fragen48). Der Pari. Rat habe nur die Legitimation, ein zeitlich und räumlich -

36) Siehe insbes. den Beitrag von S. 531 ff.

37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44)

45) 40) 47) 48) XIV

-

Heuss im Rahmen der dritten

Lesung des Grundgesetzes,

Siehe Dok. Nr. 2 und 3. Dok. Nr. 2, Anm. 10. Ebenda. Siehe Dok. Nr. 2, Anm. 77. Abdr. in: Benz: Zur Geschichte des Grundgesetzes, S. 367, 391. Ebenda, S. 333. Ebenda, passim. Siehe auch Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. XXVI ff. Richtlinien des Zentrums für eine künftige deutsche Verfassung, o. D., ohne Verfasser, in: Z 12/118, Bl. 111-114. Siehe auch Benz: Zur Geschichte des Grundgesetzes, S. 424 ff. Verfassungsvorschläge der Deutschen Partei. Druck. 1947. Siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. Dok. Nr. 2, Anm. 10. Dok. Nr. 2, TOP 2.

Einleitung begrenztes Provisorium zu schaffen49). Seine Vorstellungen über das zu schaffende Grundgesetz waren geprägt vom bürgerlich-liberalen Konstitutionalismus und hinsichtlich der Föderalismusfrage eher pragmatisch bestimmt. In ebenso souveräner wie akademischer

Diktion, die die darin enthaltene Aggressivität und das nationale Pathos milderte50), zeichnete er Besatzungsmächte ein schonungsloses Bild der angesichts der alliierten Vorbehalte begrenzten Möglichkeiten für den Pari. Rat. Wo nur eine fragmentarische Ausübung der deutschen Volkssouveränität möglich sei, könne auch nur ein Staatsfragment organisiert werden. Deutschland sei in seiner Existenz nicht vernichtet worden, sondern nur desorganisiert. Es gebe kein westdeutsches Staatsvolk, und dies werde es auch künftig nicht geben. Die Quelle der Hoheitsgewalt liege nicht bei den Ländern, sondern beim deutschen Volk. Die eigentliche Verfassung sei das „geschriebene oder ungeschriebene Besatzungsstatut"; es war zum Zeitpunkt dieser Sitzung erst angekündigt worden51). Für die CDU/CSU sprach zunächst der Abg. Süsterhenn. Er bemühte sich, zumeist im Ich-Stil sprechend und von daher seine Aussagen auch relativierend, den Handlungs- und Entscheidungsspielraum der deutschen Seite anders als sein Vorredner Schmid als durchaus gegeben darzustellen52). Man müsse die deutsche demokratische Legitimation deutlich herausstellen. Im Zentrum seiner Ausführungen standen verfassungspolitische Vorstellungen wie sie etwa der „Ellwanger Kreis" vertreten hatte, ohne daß er sie ausdrücklich zitierte. Dort hatten sich vor allem die besonders föderalistisch gesinnten Kreise der süddeutschen Länder zusammengefunden. Das „reine Bundesratsprinzip" sei vorzuziehen, weil dort die Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern verteilt sei. „Echte Gliedstaaten", die aus eigenem Recht existieren, sollte es geben. Mehrfach, aber insbesondere bei der Forderung nach der Wiederherstellung der mit der damit verbundenen Möglichkeit der vollen deutschen Kulturhoheit freien Gestaltung der Schulpolitik berief er sich dabei auf das Naturrecht. Als zweiter Redner für die SPD befaßte sich Walter Menzel, Verfassungsexperte seiner Partei und dem Parteivorsitzenden Dr. Schumacher nahestehend, mit konkreteren Einzelfragen des zu schaffenden Grundgesetzes anhand der Vorgaben des Herrenchiemseer Enwurfs: Er behandelte die Kapitel über die Staatsorgane, die Bundesregierung, den Bundesrat, den Bundespräsidenten, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege und die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern53). Dabei betonte er, daß aus seiner Sicht die Steuerhoheit in erster Linie unter dem Aspekt der Wirtschaftseinheit zu sehen gegen die

-

-

-

-

49)

50) 51)

Dies hatte bei der Diskussion um die Beschlüsse der Londoner Konferenz dazu geführt, daß man statt von einer Verfassung von einem Grundgesetz sprach. Murphy hatte bereits im Juli 1948 in einem Bericht bemerkt, die Deutschen könnten das neu zu schaffende Dokument nennen wie sie wollten, in das Englische würde es übersetzt als „Constitution". Murphy an den Secretary of State vom 9. Juli 1948, Foreign Relations 1948, Vol. II, S. 384. Siehe ausführlich auch Benz: Zur Geschichte des Grundgesetzes, S. 46 ff. Siehe Dok. Nr. 2, Anm. 49. Zum Besatzungsstatut und zum Warten auf seine Bekanntgabe siehe Der Pari. Rat Bd. 4,

passim. 52) Siehe S. 53) Siehe S.

46. 70.

XV

Einleitung würde; in diesem Kontext sprach er bereits deutlich aus, daß für die SPD die Frage der Zuständigkeiten bei der Finanzverwaltung beim Bund ein wesentlicher Punkt sein würde; ein Konfliktfeld der Auseinandersetzung mit den Alliierten, das bis zum Schluß der Beratungen des Pari. Rates akut bleiben sollte. Als zweiter Redner für die CDU/CSU sprach der Abg. Schwalber, Staatssekretär im Bayer. Staatsministerium des Innern54). Er behandelte die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bund und Ländern. Auch er plädierte für einen „echten Bundesstaat", bei dem die Gliedstaaten in der Lage sein sollten, ein staatliches Eigenleben zu führen. Die Zuständigkeitsvermutung sollte bei den Ländern liegen; hinsichtlich der Finanzverwaltung sollte beim Bund allenfalls ein Kontroll- und Überwachungsrecht liegen, damit eine einheitliche Handhabung in allen Ländern gewährleistet sein würde. In der sich anschließenden „allgemeinen Aussprache" kamen dann Vertreter der kleinen Parteien zu Wort. Zunächst sprach Theodor Heuss für die FDP55). Er reflektierte insbesondere die geistesgeschichtlichen Dimensionen der Aufgabenstellung des Pari. Rates. Mit konkreten Aussagen zu Positionen seiner Fraktion hielt er sich zurück, sie waren angesichts des breiten Meinungsspektrums in der FDP wohl auch noch nicht gefunden. Bereits in dieser Phase befürwortete er die später allgemein akzeptierte Bezeichnung Bundesrepublik Deutschland für den zu organisierenden Staat56). Für die Deutsche Partei referierte der Abg. Hans-Christoph Seebohm sehr ausführlich aus dem Verfassungsentwurf seiner Partei vom Jahre 194757). Dabei mußte er zahlreiche spöttische Zwischenrufe Carlo Schmids hinnehmen, die sich auf die weifische bzw. hannoversche Tradition bezogen, in deren Kontinuität die DP stand. Für die KPD sprach der Abg. Paul58), der zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied des Pari. Rates war. Statt eines Besatzungsstatuts forderte er einen Friedensvertrag. Seine klassenkämpferischen Parolen von „Junkertum", „Monopolkapitalismus" und „imperialistisch-kapitalistischen Krähen" wirkten wie ein Beitrag aus einer anderen Welt. Der Abg. Brockmann (Zentrum) beendete die Aussprache59). Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand bereits das spätere zentrale Anliegen des Zentrums, das Elternrecht. Einerseits bekannte auch er sich zu einem echten Föderalismus, andererseits sollte Deutschland mit dem Grundgesetz bewußt in die Europäische Gemeinschah gestellt werden. sein

Beratungsrunde des Plenums zum Grundgesetz fand am 20./21. Okstatt60). Entgegen ursprünglichen Absprachen hatte die SPD diese Plenarsitzungen beantragt und durchgesetzt. Die Berliner SPD wollte Publizität Die zweite

tober 1948

54) 55) 5R) 57) 58) 59) 60) XVI

Siehe S. 89 ff. Siehe S. 103 ff. Zur Entstehung des Siehe S. 120 ff. Siehe S. 131 ff. Siehe S. 143 ff. Dok. Nr. 6 und 7.

Begriffes „Bundesrepublik Deutschland"

siehe Dok. Nr. 2, Anm. 31.

Einleitung für ihren

Wahlkampf in Berlin erreichen; darüber hinaus sollte die CDU/CSU Formulierung von Positionen in zentralen Fragen wie Bundesrat, Finanzen und Steuern bewegt werden61). Auch bei diesen beiden Sitzungen war Adenauer nicht anwesend, und sie wurden daher vom Vizepräsidenten Schönfelder geleitet. Von vielen Abgeordneten wurde diese Sitzungsrunde offenbar als unnötig empfunden62). Behandelt wurde auf der 6. Sitzung lediglich die Präambel, zu der der Ausschuß für Grundsatzhagen bereits Vorschläge erarbeitet hatte63). Die Reihenfolge der Redner entsprach im übrigen weitgehend derjenigen der ersten Aussprache: Carlo Schmid, der wiederum die Aussprache eröffnete, explizierte ähnlich wie bei seinem grundsätzlichen Beitrag in der ersten Aussprache den Auftrag an den Pari. Rat, Deutschland neu zu organisieren64). Dabei werde „gesamtdeutsche Hoheitsgewalt" ausgeübt, um ein Grundgesetz zu zur

-

-

schaffen, das

„an

dem Tage automatisch außer Krah tritt,

an

dem eine frei

gewählte, hei handelnde, von dem ganzen deutschen Volk entsandte Nationalversammlung nicht in Abänderung dieses Grundgesetzes, sondern originär die endgültige Verfassung Deutschlands geschaffen haben wird." Deutschland wolle seine Souveränität gebrauchen, um dann in Europa aufzugehen. Für die CDU/CSU sprach wiederum der Abg. Süsterhenn65). Er forderte auf, die Aussagen über die Grundrechte metaphysisch durch eine Bezugnahme auf Gott zu verankern und bekannte sich zu der Bezeichnung „Bundesrepublik Deutsch-

-

land". Theodor Heuss, der im Ausschuß für Grundsatzhagen ganz wesentlich an den Diskussionen um die Präambel mitgewirkt hatte, knüphe an die dort geäußerten Gedanken an und forderte, die Präambel müsse „eine gewisse Magie des Wortes besitzen"66). Er stellte eine von ihm gestaltete neue Version vor67). Auch Seebohm, der ihm als Redner für die DP folgte, trat mit einer eigenen Version einer Präambel hervor, die programmatisch die Überschrift trug „Grundgesetz zur Erneuerung des Deutschen Reiches"68). Renner (KPD) nutzte die Gelegenheit, „von der Präambel ausgehend", über allgemeine politische Fragen, wie Bodenreform durch Enteignung der Großagrarier, Entmilitarisierung und Sozialisierung zu reden69). Davon ließ er sich auch durch mehrere Ermahnungen, zum Thema zu sprechen, nicht abbringen. Ihm trat am Schluß der Sitzung der Berliner Abg. Reuter (SPD) unter lebhaftem Beifall mit Emphase entgegen70). Er verwies auf die Rechtlosigkeit in der SBZ und äußerte die Hoffnung, daß die Idee des Rechtsstaates eines Tages in ganz Deutschland siegen werde. 61

Nr. 6, Anm. 1. Ebenda. Der Pari. Rat Bd. 5, S. 333. Siehe S. 178 ff. Siehe S. 183 ff. Siehe S. 192 ff. Siehe S. 194. Siehe S. 196 ff. Siehe S. 200 ff. Siehe S. 212 ff.

) Dok.

62) 63) 64) 65) 68) 67) 6S) 69) 70)

XVII

Einleitung

vorhergehenden Beitrag von Frau Wessel (Zentrum)71) hatte wiederum das Vordergrund gestanden; dabei hatte sie angekündigt, hierüber Volksabstimmung herbeiführen zu wollen. Auf der siebenten Sitzung vom folgenden Tag (21. Oktober 1948) wurde über die Länderkammer72), Finanzfragen73) und allgemein über das Wahlrecht74) gesprochen. Die einzelnen Redner beschränkten sich dabei im wesentlichen auf die Wiedergabe der in den jeweiligen Ausschüssen von den Abgeordneten der jeweiligen ParteiIm

Elternrecht im ggf. auch eine

en

vertretenen Positionen.

Zwischen der siebenten Sitzung am 21. Oktober 1948 und der achten Sitzung am 24. Februar 1949 gab es eine mehrmonatige Pause; auch diese achte Sitzung befaßte sich noch nicht wieder mit dem Grundgesetz, sondern ausschließlich mit dem Wahlgesetz. Dabei gab es zwischenzeitlich mehrfach Überlegungen, das Plenum einzuberufen, beispielsweise nach der Übergabe des Aide-mémoire der Alliierten vom 22. November 1948. Der Gedanke, der insbesondere in Teilen der SPD Unterstützung fand, wurde jedoch fallengelassen, um dem Dokument nicht zu großes Gewicht zu verleihen75). Mitte Februar 1949, nachdem das Grundgesetz in dritter Lesung vom Hauptausschuß verabschiedet und den Alliierten übergeben worden war, wurde bereits konkret eine weitere Plenarsitzung vorbereitet. Die Frage war, sollte man mit der weiteren Arbeit am Grundgesetz auf die Antwort der Alliierten und das Besatzungsstatut warten oder nicht? Hier standen sich wiederum die SPD, die für ein Vorangehen ohne Rücksichtnahme auf die Alliierten plädierte, und die CDU/CSU kontrovers ge-

genüber76).

Erst im Mai 1949 fanden dann im Plenum die Sitzungen statt, die man als Höhepunkte seiner Tätigkeit ansehen kann. Nachdem durch die Außenministerkonferenz in Washington auf höchster diplomatischer Ebene entschieden worden war, die künftige Bundesrepublik in die Europäische Union als gleichberechtigtes Mitglied aufzunehmen, sahen sich die Deutschen gefordert, nunmehr möglichst schnell ihrerseits zu Entscheidungen zu kommen77). Für Adenauer als

kritischem Beobachter der internationalen Entwicklung stand die Arbeit des Pari. Rates im Grunde permanent unter einer Bedrohung: Falls sich die vier Siegermächte doch noch über Deutschland einigen würden, würde der Ansatz zur Gründung einer Bundesrepublik ins Leere fallen. So unwahrscheinlich diese Einigung der Siegermächte auch sein mochte, im Zuge der bevorstehenden Aufhebung der Berlinblockade und unter der Perspektive der kommenden Pariser Außenministerkonferenz war sie doch vorstellbar. Die Besorgnis bei Adenauer wurde durch Äußerungen der Militärgouverneure verstärkt. Robertson

71) 72) 73) 74) 75)

Siehe S. 208 ff. Siehe S. 217 ff. Siehe S. 249 ff. Siehe S. 278 ff. Vgl. das sehr interessante Prot, der Fraktionssitzung Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 174 ff. 76) Siehe Dok. Nr. 8, Anm. 2. Siehe Dok. Nr. 9, Anm. 3.

77j

XVIII

vom

25. Nov. 1948, 10.30 Uhr bei

Einleitung hatte am 5. Mai 1949 auf einer Pressekonferenz erklärt, daß die westlichen Alliierten möglicherweise bereit seien, die Bildung des westdeutschen Staates aufzuschieben, wenn ein Abkommen über die Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung mit der Sowjetunion zustande käme78). General Clay hatte in einem Interview mit „Stars and Stripes", das der Informationsdienst des Pari. Rates am 4. Mai 1949 wiedergab, erklärt, er hoffe, daß die Bereitschah der Westmächte, mit der Sowjetunion über die deutsche Frage zu diskutieren, wenn die Berlinblockade falle, die Pläne für den westdeutschen Staat nicht verzögere und an diese Entwicklung düstere Prognosen geknüpft79). In der CDU/CSU-Fraktion begründete Adenauer die Eile mit zwei Gründen: „Clay ist dafür, daß wir nicht zum Gespött in Deutschland werden und so General Clay das Grundgesetz noch acht Tage vor seiner Abberufung hat und sich während seiner Amtstätigkeit noch für die Genehmigung einsetzen kann. Zweitens: Die Alliierten gehen anscheinend mit dem Gedanken um, den So-

wjets nachzugeben80)." Das dabei vorgelegte Tempo fand nicht

nur Zustimmung. Der Abg. Brockmann monierte öffentlich gegenüber Adenauer, er wolle die Verfassung nunmehr in zwei oder drei Tagen durchpeitschen, nachdem man sich neun Monate bemüht habe, ein Grundgesetz zustande zu bringen81).

beispielsweise

Im Plenum des Pari. Rates selbst

spielten sich im Rahmen der zweiten und mehr oder weniger formale EntscheidungsproLesung Grundgesetzes zesse ab, die seit Anfang April in großer Intensität und auch Hektik in interfraktionellen Besprechungen, Beratungen mit den Alliierten und in Hauptausschußsitzungen abgesegnet worden waren und von denen in den Protokollen des Plenums so gut wie nichts zu erkennen ist82). Im Vorfeld wurde in interfraktionellen Beratungen abgesprochen, wie die einzelnen Parteien nochmals die Möglichkeit erhielten, ihre Positionen darzustellen, ohne das Gesicht zu verlieren und ohne daß es zu neuen, letztlich huchtlosen und zeitaufwendigen Diskussionen käme83). Die zweite Lesung in der 9. Sitzung am 6. Mai 1949 ging daher relativ zügig und ohne Höhepunkte vonstatten84). Carlo Schmid dritten

des

78) 79) 80) 81)

Ebenda. Ebenda. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat S. 551. Siehe S. 592; vgl. auch ein Memorandum von Simons an Litchfield vom 6. Mai 1949, in dem es hieß: „FDP, Center and CSU oppose the pushing through of Basic Law. They regard the proposed procedure as both unnecessary and undignified" (Z 45 F 15/1472/1). Heuss schrieb an seinen Parteifreund Franz Blücher unter dem 7. Mai 1949: „Die hiesige Arbeit ist durch eine Bemerkung von Robertson [siehe Dok. Nr. 9, Anm. 3] stark beschleunigt worden. Ich selber habe mich gegen die Überstürzung gewehrt, da ich fürchte, daß die schnelle Erledigung einen abrupten Eindruck macht, aber unsere Auffassung ist nicht durchgedrungen" (NL Heuss/54). ö2) Die dramatische Entwicklung des Geschehens im April 1949 braucht hier nicht nochmals nachgezeichnet zu werden. Siehe dazu Morsey: Die letzte Krise. Zusammenfassend auch Lange: Der Pari. Rat, S. 84 ff. 83) Am 5. Mai 1949 fanden zwei interfraktionelle Besprechungen statt, in der auch das formale weitere Procedere besprochen wurde. Protokolle in: StBKAH 09.09. 84) Dok. Nr. 9, TOP 3.

XIX

Einleitung lieferte eine abstrakte Zusammenfassung, die derjenigen vom 8. September 1948 in mancher Hinsicht ähnlich war85). Im Rahmen der Beratungen der einzelnen Bestimmungen nutzte Renner (KPD) die Chance, nochmals auf die von der KPD beantragten sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte hinzuweisen86). Sie sollten aufgrund einer sehr frühen internen Vereinbarung unter den Parteien in das Grundgesetz nicht aufgenommen werden87). Auch Seebohm (DP) nutzte die zweite Lesung, um in einer regelrechten Flut von Anträgen, die abgelehnt wurden, noch einmal die Positionen der DP vor der Öffentlichkeit zu markieren88). Inhaltlich debattiert wurde im Rahmen des Art. 103 nochmals eingehender u.a. über die Abschaffung der Todesstrafe. Hier plädierte der Abg. Wagner (SPD)89) engagiert für ihre Abschaffung, während der Abg. de Chapeaurouge dazu riet, die Entscheidung nicht durch das Grundgesetz zu regeln90). Seine Argumente, die er im Rahmen der publizistischen Auseinandersetzung um das Thema mit Ausführungen auf dem Deutschen Juristentag von 1912 zu belegen wußte, fanden allerdings keine Mehrheit. Auch eine Initiative des Abg. von Brentano (CDU), die Annahme des Grundgesetzes durch eine Volksabstimmung herbeizuführen, die von der KPD in modifizierter Form unterstützt wurde, fand keine Mehrheit91). Vor der Schlußabstimmung, durch die das Grundgesetz in zweiter Lesung mit 47 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen und 15 Enthaltungen angenommen wurde, gaben Pfeiffer (CSU)92), Seebohm (DP)93) und Brockmann (Z)94) Erklärungen ab, in denen sie begründeten, warum ihre Parteien bei der Abstimmung sich der Stimme enthalten würden. Während Pfeiffer klar sagte, das Grundgesetz sei nicht föderativ genug, äußerte Seebohm darüber hinaus Kritik an fehlenden Grundrechten; Brockmann monierte die Regelung der „personellen Grundrechte", womit er das

„Elternrecht" meinte.

Die dritte Lesung des Grundgesetzes durch das Plenum am geschichtsträchtigen Datum des 8. Mai 1949, dem vierten Jahrestag der Kapitulation des Deutschen Reiches, war mit über acht Stunden Dauer die zeitlich längste Sitzung, obwohl die Redezeit nach Übereinkunft im Ältestenrat beschränkt worden war95). Den kleineren Parteien wurde insgesamt eine Stunde Redezeit zugestanden96). Hier fand die Arbeit des Plenums ihren Kulminationspunkt. Die KPD-Fraktion hatte zunächst den Antrag auf sofortige Aufnahme der Verbindung mit dem Präsidium des Deutschen Volksrates gestellt und damit nochmals scheinbar eine

85) 86) 87) 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96) XX

Siehe S. 434 ff. Siehe S. 459 ff. Siehe Dok. Nr. 9, Anm. 66. Siehe S. 446 ff. Siehe S. 479 ff. Siehe S. 478 ff. Siehe S. 496. Siehe S. 500. Siehe S. 501. Siehe S. 501. Dok. Nr. 10. Siehe S. 582 f.

Einleitung grundsätzliche Alternative zur Schaffung der Bundesrepublik aufgezeigt97). Nach Ablehnung dieses Antrags fand zunächst eine allgemeine Aussprache über das zu beschließende Grundgesetz statt, die bis gegen 19.30 Uhr dauerte98). Eröffnet wurde sie vom Abg. Lehr (CDU), der einige der wesentlichen Grundprinzipien darlegte, die im Grundgesetz verwirklicht werden sollten99). Schon zu Beginn seiner Ausführungen findet sich bezeichnenderweise ein außen- und sicherheitspolitischer Appell: „Wir müssen vertrauen, daß die für uns in Frage kommenden Siegermächte zugleich unsere Schutzmächte sind und daß die Aufnahme in die europäische Völkerfamilie den gegebenen Sicherheitsrahmen für uns darstellt"100).

Für die SPD sprach der Abg. Menzel101). Er hatte zu den Parlamentariern gehört, die im Grunde nur ein Provisorium schaffen und somit eigentlich nur eine Art Organisationsstatut wollten, wie es der letzte Kurzentwurf der SPD vom 20. April 1949 noch einmal gewesen war102). Er beklagte den „Drang zum Perfektionismus" und zu einer Vollverfassung, wodurch manches „mehr Schein als Sein" sei. Wegen der fehlenden Souveränität und wegen nicht möglicher Beteiligung von Millionen Deutscher in der SBZ habe man eine wirkliche Verfassung nicht schaffen können. Im übrigen konzentrierte er sich auf die Problematik des gefundenen Kompromisses in der Finanzverwaltung und der

der Steuern; zur Sozialisierung kündigte er Gesetzentwürfe für die Die Alliierten kritisierte er, daß sie nicht ihre Vorstellungen zu der die Bundesrepublik sein müsse, gleich am Anfang präzisiert wie föderal Frage, hätten. Die Zustimmung der SPD zum Kompromiß knüpfte auch er an die Perspektive eines Gesamtdeutschlands als Baustein für das kommende Europa. Theodor Heuss (FDP) begann seinen Beitrag mit einer Rückschau auf die Arbeit des Parlamentarischen Rates103); dabei resümierte er ebenso souverän wie ironisch die verschiedenen Einflüsse und Bedingungen, die die Arbeit maßgeblich bestimmt hatten: Die Optik auf die Besatzungsmächte; die Optik auf München bzw. die dort erstarkende Bayernpartei; die Optik auf „Hannover", das heißt den Parteivorstand der SPD und ihren Vorsitzenden Dr. Schumacher; die Optik auf Köln bzw. die katholische Kirche, wobei er insbesondere den Rheinischen Merkur und den von ihm geprägten Begriff „christliche Parteien" aufgriff und dabei seine Haltung zum Elternrecht darlegte. Ausgehend vom möglichen Symbolgehalt des Jahrestages der Kapitulation, prägim Rahmen des 50. Jubiläums dieses Ereignisses im Jahre te er den Satz, der zum Kristallisationspunkt publizistischer und politischer 1995 verkürzt zitiert die Bedeutung dieses Tages wurde: „Ich weiß nicht, um Auseinandersetzungen ob man das Symbol greifen soll, das in solchem Tag liegen kann. Im Grund

Verteilung Zukunft

an.



-

97) 98) 99) M0) 101) 102) 103)

Dok. Nr. 10, TOP 2. Dok. Nr. 10, TOP 3.1. Siehe S. 517 ff. Siehe S. 517. Siehe S. 521 ff. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 7, S. 462 ff. Siehe S. 531 ff.

XXI

Einleitung genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und hagwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind104)." Die vom Pari. Rat geleistete Arbeit habe nach dem Zusammenbruch die Aussicht geschaffen zum „bloßen politisch einheitlich Lebenkönnen". In der Auseinandersetzung mit den Völkern und Nationen müsse das „Zu-sich-selber-gefünden-haben" der Deutschen erst noch Wirklichkeit werden, das Grundgesetz sei in diesem Sinne „ein ganz kleines Stück

festen Bodens für das deutsche Schicksal".

Für die KPD sprach der Abg. Reimann105). Nur der Alliierte Kontrollrat als Ganzes könne von deutschen Hoheitsrechten Gebrauch machen; die Schafhing eines Teilstaates bedeute die Spaltung Deutschlands. Daß man das Grundgesetz nicht einem Volksentscheid unterwerfe, zeige, daß man vor dem Ergebnis Angst habe. Man wolle einen „reaktionären, monopolkapitalistischen Staat" schaffen, dessen wirtschaftliches Potential und dessen Jugend man im Rahmen des Atlantikpaktes zu kriegerischen Zwecken in einer Auseinandersetzung zwischen dem kapitalistischen Westen und dem Lande des Sozialismus und den Volksrepubliken einsetzen wolle. Man müsse zurück zum Potsdamer Abkommen finden, das Demokratisierung, Entmilitarisierung, Auflösung der Monopole und Konzerne in ganz Deutschland vorsehe. In einer persönlichen Attacke bezeichnete er Adenauer als „politischen Repräsentanten der reaktionären Mächte", der sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg separatistisch betätigt habe106). Unter Hinweis auf das Gesprächsangebot des Volksrates lehne die KPD das Grundgesetz ab, weil es die Spaltung Deutsch-

lands bedeute.

Frau Wessel (Zentrum) konzentrierte ihre Ausführungen auf Fragen der Grundrechte107). Sie bedauerte, daß die Möglichkeit, Volksabstimmungen abzuhalten, im Grundgesetz nicht verankert worden sei und betonte, daß für die Zentrumsabgeordneten Gewissensfragen nicht zum Gegenstand von Kompromissen ge-

macht werden könnten. Ihr folgte eine offensichtlich abgelesene Rede des Abg. Seebohm (DP), die zeitweise in allgemeiner Unruhe unterzugehen drohte108). Sie enthielt lange Passagen aus den Forderungen der DP zur Verfassung des deutschen Gesamtstaates vom 27. November 1947109). Weil das Grundgesetz nicht föderalistisch genug sei, kündigte er nach einem Bekenntnis zu Deutschland und Europa die Ablehnung durch die DP an. -

-

folgenden, letztlich sehr kurzen „Einzelberatung"110) kam es noch zu Diskussionen über einzelne Fragen, die in besonderem Maße das Interesse der In der

104) 105) 106) 107) 108) 1M) 110) XXII

Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe

S. 542. S. 543 ff.

hierzu Kap. 4 dieser S. 553 ff. S. 559 ff. Anm. 45. S. 571 ff.

Einleitung.

Einleitung hatten und somit publizitätsträchtig waren. Im Rahmen der des Grundrechtsteils wurde insbesondere nochmals über das ElternBeratung recht111), die Gleichstellung der Frau112) und das Recht des unehelichen Kindes113) gesprochen, ohne daß hierzu neue Anträge gestellt worden waren. Im Rahmen der Beratung über den „Abschnitt II Der Bund und die Länder" wurde über die Fassung von Art. 22, die Flaggenhage, formal endgültig entschieden114). Dabei wurde über einen Antrag Schmid (SPD) „Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold" und einen Antrag Lehr (CDU) abgestimmt, der zwar auch die Farben schwarz-rot-gold vorsah, jedoch wollte, daß über die Gestaltung der Flagge später durch ein Bundesgesetz entschieden werden sollte. Damit wären die Chancen, die Vorstellungen der CDU/CSU, das Symbol des Kreuzes mit in die Gestaltung der Flagge einzubringen, zumindest offengehalten worden. Nachdem der Antrag Lehr mit 34 gegen 23 Stimmen abgelehnt worden war, fand der Antrag Schmid mit 49 gegen 1 Stimme eine überwältigende Mehrheit115). Auch die Frage, ob man das Grundgesetz nicht einem Volksentscheid unterwerfen müsse, wurde in der Diskussion über einen entsprechenden Antrag des Abg. von Brentano (CDU) noch einmal aufgeworfen116). Carlo Schmid lehnte für die SPD mit der die Problematik doch sehr verkürzenden Begründung ab, es handele sich beim Grundgesetz um ein Provisorium. Man errichte einen Notbau, dem nicht die Weihe eines festen Hauses gebühre.

Bevölkerung erregt

Vor der Schlußabstimmung gab es noch eine Reihe von Erklärungen zur bevorstehenden Abstimmung; in ihnen wurden nochmals Stellungnahmen zur geleisteten Arbeit, zu einzelnen Problembereichen und zur politischen Gesamtlage

abgegeben: Abg. von Brentano117) betonte im Bewußtsein, daß die CDU/CSU-Fraktion nicht geschlossen für das Grundgesetz stimmen würde, daß es sich um eine reine Gewissensentscheidung handele. Perspektivisch zeichnete er die von den Alliierten in Aussicht gestellte Mitarbeit Deutschlands in Europa und erinnerte daran, daß die Besatzungsmächte auch Pflichten gegenüber Deutschland hätten, Der

da sie Rechte über Deutschland übernommen hätten. Die sich anschließende Erklärung des Abg. Dehler (FDP) mußte wie ein unvorhersehbares Unwetter aus heiterem Himmel wirken118). In äußerst massiven Angriffen kritisierte er die Abgeordneten, die gegen das Grundgesetz stimmen würden, stritt ab, daß sie aus einem echten Gewissenskonflikt handelten, bezeichnete deren Erklärungen als „Unwahrheiten" und warf ihnen vor, die Ar-

m) 112) 113) 114) 115) 116)

Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe von

S. S. S. S. S. S.

580. 577. 584. 587. 589 f. 596. Zum

Hintergrund

dieser

Entscheidung

siehe die weiterführende Arbeit

Jung: Grundgesetz und Volksentscheid.

117) Siehe 118) Siehe

S. 600 ff. S. 604 ff.

XXIII

Einleitung beit

von

ruf19);

gen120).

Anfang an sabotiert zu haben. Adenauer erteilte ihm einen Ordnungsfolgenden Sitzung entschuldigte sich Dehler für seine Ausführun-

in der

Für die SPD sprach erneut Carlo Schmid, der noch einmal auf das Provisorische des Grundgesetzes hinwies und an die Besatzungsmächte und ihre Auflagen erinnerte121). Anspielend auf die Auseinandersetzung um die Finanzverfassung, betonte er, die SPD sei nicht bereit gewesen, ihren Namen unter ein Grundgesetz zu setzen, das ein funktionsunfähiges Gemeinwesen ergeben hätte. Im Blick auf die bevorstehende Pariser Konferenz der vier Außenminister appellierte er an die Besatzungsmächte, von ihrer Macht künftig weise Gebrauch zu machen. Ihm folgte für die CDU der Abg. Kaufmann122) und für die CSU der Abg. Schwalber123). Letzterer bezeichnete als Gründe, derentwegen die Mitglieder der CSU dem Grundgesetz nicht zustimmen könnten: 1. Die Befugnisse des Bundesrates seien nicht ausreichend; 2. Die Regelung des Finanzwesens des Bundes; 3. Es gäbe einen Einbruch in die Hoheitsrechte der Länder, namentlich auf kulturellem Gebiet; 4. Es gäbe keinen Schutz gegen eine unheilvolle Entwicklung des Parteiwesens; 5. Es fehle ein entschiedenes Bekenntnis zum Gedanken einer christlichen Staatsauffassung. Nach einer weiteren Äußerung von Stock (SPD) wurden die Abgabe von Erklärungen unterbrochen, damit das Datum des 8. Mai 1949 für die Beschlußfassung noch gehalten werden konnte. Die Schlußabstimmung, an der die Berliner Vertreter übrigens nicht teilnahmen, ergab ein Verhältnis von 53 : 12 für das Grundgesetz und war um 23.55 Uhr beendet124). Die Nein-Stimmen kamen zur Hälfte von der CSU, zur anderen Hälfte von DP, Zentrum und KPD. Es folgten weitere Erklärungen: Zunächst verlas der Abg. Heile (DP) eine Grundsatzrede, die Adenauer vergeblich zu unterbinden versuchte123). Schließlich gab er Teile seines Manuskriptes zu Protokoll. Frau Wessel (Zentrum) begründet unter Hinweis auf das „naturbegründete Elternrecht", warum sie dem Grundgesetz nicht zustimmen konnte126). Anschließend sprach der Berliner Abg. Lobe (SPD)127) für die Deutschen, die „an dem Ergebnis der soeben vollzogenen Abstimmung" nicht teilhaben konnten und erinnerte an die Vertriebenen aus den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie und aus dem Sudetenland. Der Abg. Kaiser (CDU) bat in seiner Erklärung, die Stimmen der fünf Berliner den 53

Ja-Stimmen zuzurechnen128).

119) 120) 121) 122) 123) 124) 125) 126) 127) 1281

Siehe S. Siehe S. Siehe S. Siehe S. Siehe S. Dok. Nr. Siehe S. Siehe S. Siehe S. Siehe S.

XXIV

608. 690. 608 ff. 612 ff. 615 ff. 10, Anm. 222. 618 f. 623 ff. 624. 625.

Einleitung Adenauer beendete die Sitzung dieses Tages, der nach seiner Einschätzung „für uns Deutsche der erste hohe Tag seit dem Jahre 1933 war", mit einem Schlußwort129). Er forderte die Landtage auf, sie sollten das Grundgesetz angesichts der bevorstehenden Pariser Konferenz schnellstens ratifizieren und mahnte: „Geben wir uns keiner Täuschung hin, daß diese Pariser Konferenz vielleicht sehr ernste Folgen für uns haben kann." Die Westzonen seien auf dem Weg zur politischen Freiheit. Das, was dort geschehe, und das, was in der Zone geschehe, sei ebensowenig zu vergleichen wie Feuer und Wasser. „Feuer und Wasser kann man nicht miteinander mischen." Er appellierte an die Alliierten: „Wir wollen nicht, daß durch die Verhandlungen in Paris etwa eine Annäherung der Zustände in den Westzonen an die in der Ostzone erreicht wird. Wir wollen keine solche Vermischung, sondern wir möchten, daß die Ostzone zu den gleichen Zuständen gelangt, in denen wir leben, damit wir dann die Einheit und die Freiheit Deutschlands als gesichert ansehen können." Zugleich dankte er den Außenministern der Westmächte, den Militärgouverneuren und den Verbindungsstäben. Mit einem Gedenken an die Kriegsgefangenen, die Verschleppten und Vertriebenen sowie die Grenzen im Osten schloß er eine halbe Stunde nach Mitternacht diese Sitzung. In der 11. Sitzung des Plenums, die zwei Tage später, am 10. Mai 1949 stattfand, wurde das Wahlgesetz zum ersten Bundestag in drei Lesungen verabschiedet130). Zugleich fiel eine Entscheidung über den „vorläufigen Sitz der Bundesorgane". Um hierüber in geheimer Wahl abstimmen zu können, wurde in der gleichen Sitzung die Geschäftsordnung ergänzt131). Die vielfältigen und heftigen Auseinandersetzungen, die der knappen Entscheidung mit 33 zu 29 hir Bonn und gegen Frankfurt vorausgegangen waren und die noch folgen sollten, fanden im Protokoll so gut wie keinen Widerhall132). Mehrfach wurde das Publikum ermahnt, während der Stimmenauszählung und nach Bekanntgabe des Ergebnisses Beifalls- oder Mißfallensbekundungen zu unterlassen133). Die KPD hatte noch einmal versucht, die Debatte in eine bestimmte Richtung zu politisieren. Renner stellte zwei Anträge, die wie eine Provokation wirken mußten134). Der erste lautete: „Der Parlamentarische Rat lehnt es ab, die Hauptstadt für den gemäß den Londoner Empfehlungen zu bildenden separaten westdeutschen Staat festzulegen". Als Eventualantrag fügte er hinzu: „Der Parlamentarische Rat beschließt, die Festlegung des Sitzes der Bundesregierung auszusetzen und die Entscheidungen des Außenministerrates abzuwarten." Wer für Frankfurt oder Bonn stimme, verrate Berlin, „das die Hauptstadt Deutschlands war, Berlin, das für jeden, der Deutschland, das ganze große Deutschland liebt, die Hauptstadt bleiben wird." Es wurde beschlossen, die Anträge nicht zu behandeln und zur

Tagesordnung überzugehen. 129) 13°) 131) 132) 133) 134)

Siehe S. 626. Dok. Nr. 11. Siehe hierzu Dok. Nr. 11, TOP 2. Siehe Dok. Nr. 11, Anm. 86. Siehe S. 683. Siehe S. 679 ff.

XXV

Einleitung später, am 23. Mai 1949 fand die letzte Sitzung des Plestatt135), deren einziger Tagesordnungspunkt lautete: „Feststellung der

Etwa zwei Wochen nums

Annahme des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Ausfertigung und Verkündigung". Es handelte sich dabei weniger um eine parlamentarische Sitzung als vielmehr um einen Festakt mit zahlreichen Gästen, umrahmt von Chorälen auf einer Orgel gespielt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland „in die Geschichte eintreten" würde136). Trotz des insgesamt feierlichen Tones seiner Ansprache brachte Adenauer die schwere Besorgnis über die DemontagePolitik der Alliierten zum Ausdruck, durch die die politische Aufbauarbeit und die deutsche Demokratie wesentlich gefährdet würde137). Dann wurde die Urschrift des Grundgesetzes ausgefertigt, indem nach Aufruf des Schriftführers die Unterschriften geleistet wurden: Von den Abgeordneten des Pari. Rates in alphabetischer Reihenfolge, nachdem der Präsident und die Vizepräsidenten unterzeichnet hatten; dann die Berliner Vertreter, schließlich die Ministerpräsidenten der Länder und die Landtagspräsidenten, jeweils nach Alphabet der Länder, wiederum gefolgt vom Regierenden Bürgermeister von Berlin und vom Stadtverordnetenvorsteher. Es folgte eine Danksagung an alle Beteiligten durch den Berliner Abg. Lobe, den man als langjährigen Präsidenten des Reichstages sicher bewußt für diese Aufgabe ausgewählt hatte138). Adenauer sprach seinerseits einige versöhnliche Worte139) im Hinblick auf den kommenden Wahlkampf und verkündete im Namen und im Auftrag des Pari. Rates das Grundgesetz gemäß Art. 145 mit Ablauf des Tages als inkraftgesetzt140). Es wurde im Bundesgesetzblatt Nr. 1 vom 23. Mai 1949 veröffentlicht. Er beendet seine Ausführungen mit den Worten, er sei überzeugt, der Pari. Rat habe „einen wesentlichen Beitrag zur Wiedervereinigung des ganzen deutschen Volkes und auch zur Rückkehr unserer Kriegsgefangenen und Verschleppten" geleistet. Der Geist der Präambel, aus der er ausführlich zitierte, möge allzeit im deutschen Volke lebendig sein. Das Schlußzeremoniell, das gemeinsame Absingen des Liedes „Ich hab mich ergeben"141), mißlang ein wenig, weil es im Programm nicht aufgeführt worden war und einige der Anwesenden bereits während des Schlußgesanges zum Ausgang drängten142). Überlegungen, vom Organisten außer Chorälen auch das Deutschlandlied aus dem Kaiser-Quartett von Haydn als Begleitmusik bei der Unterzeichnungszeremonie spielen zu lassen, waren aus Furcht vor unerwünschten Zwischenfällen verworfen worden143).

135) 136) 137) 138) 139) 14°) 141) 142) 143)

Dok. Nr. Dok. Nr. Siehe S. Siehe S. Siehe S. Siehe S.

12.

12, Anm. 6. 694. 698. 699. 700.

Text von Hans Ferdinand Maßmann (1797-1874) Dok. Nr. 12, Anm. 24. Ebenda.

XXVI

zu

einer Volksweise.

Einleitung 3. DIE BEHANDLUNG DES WAHLGESETZES IM PLENUM

Fast ein Drittel der

Beratungszeit befaßte sich das Plenum mit dem Wahlgesetz. Dabei war es zunächst unklar, ob der Pari. Rat überhaupt die Zuständigkeit für ein solches Gesetz haben würde, oder ob sie nicht bei den Ministerpräsidenten liegen müsse144). Nicht nur zwischen dem Pari. Rat und den Ministerpräsidenten gab es hierzu lange Zeit unterschiedliche Auffassungen, auch die Alliierten äußerten sich nicht definitiv. Der Pari. Rat errichtete einen Ausschuß für Wahlrechtsfragen, der sich wegen dieser Unklarheiten in der Zuständigkeit zwei Wochen später als die anderen Ausschüsse konstituierte und sich als Aufgabe stellte, ein Gesetz zur Wahl zum ersten Bundestag zu schaffen145). Weil die Auffassungen der im Ausschuß vertretenen Parteien und ihrer Vertreter sehr konträr waren, wurde die Arbeit des Ausschusses zu einem „Leidensweg". Für die großen Parteien, die CDU/CSU und die SPD, war das zu schaffende Wahlrecht eine Frage der politischen Macht. Welches System würde für sie bei der ersten, für die Zukunft besonders wichtigen Wahl, das beste Ergebnis bewirken? Für die kleinen Parteien war das Wahlrecht eine Frage des Uberlebens. Während die CDU/CSU zum Mehrheitswahlrecht tendierte, erstrebte die SPD ein Verhältniswahlsystem. In der 7. Sitzung vom 21. Oktober 1948 befaßte sich das Plenum in einer allgemeinen Aussprache erstmals mit dem Wahlrecht146). Im Rahmen einer Art Zwischenbilanz der im Ausschuß geleisteten Arbeit berichtete der Abg. Diederichs (SPD)147) insbesondere über die am 14. Oktober getroffenen Entscheidungen auf drei Fragen: 1. Wird von dem Ausschuß ein reines relatives Mehrheitswahlrecht englischen Musters, also mit Einmannwahlkreisen mit relativer Mehrheit mit der Wahl des Kandidaten in einem einzigen Wahlkreis empfohlen? Dies war vom Ausschuß mit 5 : 3 Stimmen abgelehnt worden. 2. Wird ein Mehrheitswahlrecht mit absoluter Mehrheit, d.h. also falls der erste Wahlgang keine absolute Mehrheit bringt, mit einer Stichwahl gewünscht? Dies war einstimmig verneint worden. 3. Ob ein reines Mehrheitswahlrecht ohne jeden proportionalen Zusatz mit zwei Wahlgängen stattfinden soll? Diese Frage war ebenfalls einstimmig verneint worden. Damit war klar geworden, was man nicht wollte; als Konsequenz ergab sich, daß nur ein „modifiziertes Wahlrecht" in Frage kommen würde. Als das Plenum nach fast vier Monaten Pause zu seiner achten Sitzung am 24. Februar 1949 wieder zusammentrat, war der einzige Tagesordnungspunkt die erste bis dritte Lesung des Entwurfs eines Wahlgesetzes der Bundesrepublik Deutschland148). In der Zwischenzeit hatte der Wahlrechtsausschuß insgesamt nicht weniger als 23 Sitzungen abgehalten und in quälenden, sich häufig wiederholenden Verhand144) 145) 146) 147) 148)

Der Pari. Rat Bd. 6, S. VII ff.

Abdr. der Protokolle dieses Ausschusses in Bd. 6 dieser Edition. Siehe S. 278 ff. Ebenda. Siehe Dok. Nr. 8.

XXVII

Einleitung einen Kompromiß erzielt. Bereits im November 1948 hatte es Gespräche zwischen CDU und FDP gegeben, um sich auf ein „verbessertes Mehrheitswahlrecht" zu einigen, bei dem die FDP fortbestehen konnte149). Zu Beginn der sehr intensiven Aussprache in der 8. Sitzung gab der Abg. Becker als Vorsitzender des Ausschusses für Wahlrechtshagen zunächst einen Generalbericht150). Den zu beschließenden Entwurf charakterisierte er als Kombination zwischen den „Vorzügen des sogenannten Mehrheitswahhechts und denen des Verhältniswahlrechts". Zweihundert Abgeordnete von etwa vierhundert sollten in Einzelwahlkreisen nach dem Prinzip der relativen Mehrheit gewählt werden. Die restlichen zweihundert nach einem Wahlquotienten, bei dem die gesamten anfallenden Stimmen durch 400 geteilt würden. Für die CDU/CSU kündigte der Abg. von Brentano allerdings die Ablehnung des Entwurfs an, obwohl er im Hauptausschuß mit ihrer Stimmenthaltung kurz vorher angenommen worden war151). Er plädierte nochmals für ein Mehrheitswahlsystem. Carlo Schmid stellte den Umstand heraus, daß es sich nur um die Wahl zum ersten Bundestag handele152). Bemerkenswert ein weiteres Argument: Ein Wahlrecht, das ein Zweiparteiensystem schaffe, gerate in die Gefahr, daß eine Partei zur „Partei der Besatzung" werde. Deutschland sei für ein solches System nicht reif. Man benötige ein System, das die Risiken auf mehr und auf breitere Schultern verlagere. Heuss (FDP) wies in seinem Beitrag153) u. a. darauf hin, daß nur ein Proporzsystem Frauen eine Chance geben würde, in das Parlament zu gelangen. Bei einem Zweiparteiensystem sei die Gefahr gegeben, daß Millionen von Menschen politisch heimatlos würden, weil ihnen die Art der Firmierung des Christentums in der CDU oder auf der anderen Seite die Situation innerhalb der Sozialdemokratie nicht gefalle. Auch die Strukturierung des deutschen Be-

lungen

amtentums spreche dagegen. Renner (KPD)154) nutzte u.a. seine

über den Charakter der Verbindung zum Klerus zu spotWeltanschauungspartei ten. Er kündigte der SPD an, daß weitere Anträge der CDU/CSU zur Konfessionsschule trotz eines Gentlemen's Agreement diesen Komplex wie auch die

Redezeit,

um

und ihre

CDU/CSU als

zu erwarten seien. Die Interesim Grundgesetz auszusparen der Arbeiterklasse würden ein Proporzsystem verlangen. In einem zweiten Redebeitrag sprach er mehrfach vom Präsidenten ermahnt, zur Sache zu kommen über die Möglichkeit, über eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien im Westen und im Osten zu einer Einheit Deutschlands zu kommen155). Bei der Einzelberatung156), während der noch über eine Reihe von Abänderungsanträgen zu entscheiden war, wurde die inhaltliche Auseinandersetzung -

Lebensordnungen

-

sen

-



149) 150) 151) 152) 153) 154) 155) 156)

Der Pari. Rat Bd. 6, S. XXXIV. Siehe S. 320 ff. Siehe S. 327. Siehe S. 333 ff. Siehe S. 335 ff. Siehe S. 345 ff. Siehe S. 369 ff. Siehe S. 395 ff.

XXVIII

Einleitung Nach kurzer Pause folgte die zweite und dritte Lesung des Wahlgesetzes, für die dann nicht einmal eine Viertelstunde benötigt wurde157). Das verabschiedete Gesetz158) akzeptierten die Alliierten jedoch nicht. Sie verlangten, daß der Pari. Rat nur die Anzahl der Volkstags-Abgeordneten und die Verteilung dieser Abgeordneten auf das Land bestimmen sollte. Die Ministerpräsidenten sollten dann in ihren Landtagen eine Gesetzgebung vorbereiten, wofür sie als Grundlage das Gesetz des Pari. Rates nehmen könnten159). In der Kritik an diesem alliierten Eingriff hielt sich die CDU/CSU zurück, weil sie sich bei dieser Lösung Vorteile versprach. Die Ministerpräsidentenkonferenz vom 24. März 1949 in Königstein sprach sich jedoch gegen diese Lösung aus; ihre Resolution empfahl: 1. Ein einheitliches Wahlrecht für den Volkstag zu schaffen; 2. Den Parlamentarischen Rat zu bitten, aufgrund erneuter Beratungen ein Wahlgesetz zu verabschieden, das, mit mindestens Zweidrittelmehrheit beschlossen, der Zustimmung der großen Mehrheit des Volkes gewiß ist; 3. Die Militärgouvemeure zu bitten, ein so vom Pari. Rat beschlossenes Wahlgesetz zu genehmigen169). Nachdem die Militärgouverneure in ihrer Erklärung vom 14. April 1949 diesbezüglich Zugeständnisse gemacht hatten, wurde im Pari. Rat von Diederichs unter Mitwirkung von Becker und Schröter ein neuer Wahlgesetzentwurf erarbeitet, der am 10. Mai, also zwei Tage, nachdem das Grundgesetz verabschiedet worden war, in das Plenum gelangte161). Der neue Entwurf verzichtete auf die Festlegung der Wahlmodalitäten und beschränkte sich auf Empfehlungen für die Wahldurchführung an die Länder. Während die frühen Entwürfe noch bis zu 150 Paragraphen und der Entwurf vom 24. Februar 1949 noch 50 Paragraphen aufwies, hatte der am 10. Mai beratene und beschlossene Entwurf nur noch 26 Paragraphen162). Dabei wurden die bisherigen Beratungen als erste Lesung deklariert, so daß man gleich in die zweite Lesung einstieg. Diskutiert wurde insbesondere über die publizitätsträchtige Frage, ob spezielle Wahlkreise für Flüchtlinge vorgesehen werden sollten. Dafür hatte es eine Eingabenkampagne von Flüchtlingsorganisationen und -verbänden gegeben163). In einem Schlußwort vor der Abstimmung beklagte Heuss, daß durch die isolierte Diskussion über das Wahlrecht eine „vollkommene Verschiebung der Urteilskraft gegenüber dem, was politische Dinge sind," entstanden sei164). Die Idealisierung des Zweiparteiensystems zurückweisend und auf die schwierige Entscheidungsbildung in der CDU/CSU anspielend, meinte er, die kleinen Parteien hätten im Pari. Rat besser funktioniert als die großen. Das mit 36 gegen 29 Stimmen angenommene Gesetz165) wurde von den Militärgouverneuren in

fortgeführt.

157) 158) 159) 16°)

1S1)

Siehe S. 422 ff. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 6, S. 752. Memorandum vom 2. März 1949, siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. XXXV.

Ebenda,

S. XLI.

Dok. Nr. 11, TOP 2. 162) Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 6, S. 804 ff. 163) Dok. Nr. 11, Anm. 20. 164) Siehe S. 688. 165) Zum Abstimmungsergebnis siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. XLII, Anm. 206.

XXIX

Einleitung Erklärung vom 28. Mai 1949 in einigen Punkten kritisiert166), u.a. hatte nicht die verlangte Zweidrittelmehrheit erhalten. Die Ministerpräsidentenkonferenz befaßte sich am 31. Mai und 1. Juni mit der Kritik der Militärregierung und gab eine Stellungnahme ab, durch die der Inhalt des Gesetzes in einigen Punkten noch einmal geändert wurde. Erst in dieser Phase wurde z. B. die 5%-Klausel eingeführt. Dieses Vorgehen löste bei einigen Parlamentariern erhebliche Kritik aus; Forderungen, den Pari. Rat nochmals einzuberufen, wurden von Adenauer aber mit dem Hinweis beantwortet, der Pari. Rat sei aufgeeiner es

löst167).

4. SONSTIGE

AKTIVITÄTEN

DES PLENUMS

Obwohl der Pari. Rat

aufgrund der Frankfurter Dokumente für ein Arbeitsprogramm, die Schaffung eines Grundgesetzes, errichtet

ganz konkreworden war, verhielt er sich zumindest zeitweise -, als sei er die für ganz Deutschland sprechende parlamentarische Vertretung. Man sah sich als das einzige Organ, „das Recht und Beruf hat, in Freiheit für das gesamte deutsche Volk zu sprechen"168). Dies zeigte sich nicht zuletzt auch in Aktionen seines Präsidenten Dr. Adenauer, der in den ersten Wochen der Arbeit so häufig auf Reisen und damit von der eigentlichen Arbeit abwesend war, daß ihm von britischer Seite zu diesem Zeitpunkt unterstellt wurde, er sei an der Arbeit am Grundgesetz gar nicht primär interessiert, sondern verfolge eine eigene Politik und wolle mit dieser Verzögerungstaktik die Wahlen auf das nächste Frühjahr verschieben169). Auch bei sehr weitherziger Auslegung des Auftrages ist nicht zu verkennen, daß der Pari. Rat seine Befugnisse überschritt und die Tendenz zeigte, Funktionen eines nationalen Parlaments wahrzunehmen. Besonders deutlich wurde dies in der Sitzung des Plenums vom 15. September 1948170), in der der Pari. Rat zum Ärger der Alliierten zur Lage in Berlin Stellung nahm, nachdem dort gegen Teilnehmer einer Massendemonstration abschreckende Urteile von einem sowjetischen Militärgericht verhängt worden waren. Die mit großem Pathos verfaßte Resolution endete mit den Worten: „Dem deutschen Volke in Berlin und in der Ostzone rufen wir zu: Kämpft diesen Menschheitskampf für Freiheit und Recht so unerschrocken weiter, wie ihr ihn bisher geführt habt! Die Welt wird es euch danken171)." Überlegungen der SPD und einer Gruppe jüngerer Abgeordneter, demonstrativ eine Sitzung in Berlin abzuhalten, wurden nicht weiter verfolgt. Die Alliierten hätten dies als Provokation angesehen172). tes

-

166) 167) 168) 169) 17°) 171) 172)

Ebenda. Der Pari. Rat Bd. 6, S. L. Siehe S. 152. Chaput de Saintonge an den Political Advisor Dok. Nr. 4. Siehe S. 153. Dok. Nr. 1, Anm. 39.

XXX

vom

6. Nov. 1948 in: FO

1030/85.

Einleitung Am 21. September 1948 richtete Adenauer an das Schwedische Rote Kreuz als Präsident des Pari. Rates ein Beileids-Telegramm aus Anlaß der Ermordung des Grafen Bernadotte durch jüdische Terroristen173). Am 4. Oktober 1948 sandte er an Erhard, den Direktor der Verwaltung für Wirtschah des VWG, ein Telegramm mit der Bitte, mit allem Nachdruck dafür zu sorgen, unbegründete Preissteigerungen mit Hilfe der Wirtschaftsminister der Länder zu vermeiden174). Am gleichen Tag telegrafierte er an den Direktor der Verwaltung für Arbeit des VWG, nach Aufhebung des Lohnstopps die Angleichung zurückgebliebener Löhne und Bezüge an das Preisniveau zu beschleunigen und gleichzeitig die Neuregelung des Schlichtungswesens vorzunehmen, um Machtkämpfe mit den Gewerkschaften zu verhüten175). Am 8. Dez. 1948 wandte er sich für einen Dr. Kühl in der Strafsache „Lager XXI Trial" an ein britisches Gericht, um die Vollstreckung eines Todesurteils aufzuschieben176). Am 7. Januar 1949 wurde über das Ruhrstatut debattiert, allerdings „nur" im Hauptausschuß, um eine erneute Verärgerung bei den Alliierten zu vermeiden177). Eine nochmalige Befassung des Plenums mit Verhältnissen in der SBZ aus Anlaß der Verhaftung des langjährigen Vorsitzenden des Studentenrates der Universität Leipzig, cand. phil. Wolfgang Natonek, und sechs weiteren Leipziger Studenten durch die NKWD war vom Ältestenrat zwar beschlossen worden, wurde dann aber nicht ausgeführt178). Am 6. Mai 1949 kondolierte Adenauer schließlich zum Tod einer Turiner Fußballmannschaft als Folge eines Flugzeugabsturzes179). Diese Aktivitäten sind letztlich Ausdruck des Bemühens, den Pari. Rat als nationale Repräsentation darzustellen. Ein weiteres Motiv trat hinzu: In der Situation der Jahre 1948/1949 ist zu berücksichtigen, daß die Politiker und Parteien jede Gelegenheit wahrnahmen, um sich für die zu erwartende erste Bundestagswahl zu profilieren; denn von ihrem Ausgang würde die Gestaltung der Bundesregierung und Bundesverwaltung abhängen. Gelegentlich schien dies zum Ärger der alliierten Beobachter wichtiger zu sein als die Arbeit an der

Verfassung180).

5. ZUR AUSEINANDERSETZUNG MIT DER KPD UND DEM VOLKSRAT

Die

vielfältigen Auseinandersetzungen um einzelne Fragen in der Gestaltung Grundgesetzes spielten sich unter den Parteien letztlich vor einem grundsätzlichen Konsens ab, der besagte, die Westzonen bedürfen einer politischen Zusammenfassung und Ordnung. Die KPD hingegen stand hierzu in einer fundes

173) Dok. Nr. 5, TOP 2. 174) Z 5/9, Bl. 77. 175) Z 5/9, Bl. 76. 176) NL Blankenhorn/239. 177) Dok. Nr. 2, Anm. 69. 178) Köster an den Studentischen

Zonenrat der brit. Zone vom 27. Jan. 1949; NL Blankenhorn/241. Es blieb offensichtlich bei einer Resolution des interfraktionellen Ausschus-

179) 180)

ses,

ebenda.

Z 5/9.

Siehe Dok. Nr. 4, Anm. 16.

XXXI

Einleitung damentalen Opposition. Unter ihrer Leitung war im November 1948 eine Arbeitsgemeinschaft für eine gesamtdeutsche Verfassung unter Vorsitz von Max Reimann gegründet worden, die alle Kräfte, die das Grundgesetz ablehnten,

sammeln sollte181). Vertreter der KPD waren zunächst die aus Nordrhein-Westfalen stammenden Abg. Reimann und Paul. Letzterer wurde bereits im Oktober 1948 durch Renner ersetzt, nachdem er anläßlich eines mißglückten Auftritts, der „schallende Heiterkeit" erregt hatte182), und innerparteilicher Querelen zurückgetreten war. Beiden KPD-Vertretern wird bewußt gewesen sein, daß sie im Pari. Rat in einer hoffnungslosen Minorität blieben und ihnen somit ein unmittelbarer inhaltlicher Einfluß nicht möglich sein würde. Dennoch versuchten sie mit allen Mitteln der parlamentarischen Auseinandersetzung, das Plenum als Forum zu nutzen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu richten. Nicht selten entfernten sich Reimann und Renner in ihren Redebeiträgen dabei sehr weit vom jeweiligen Thema183). Ermahnungen des Präsidenten, zur Sache zu sprechen, waren bei ihren Redebeiträgen daher nicht selten184). Bereits in der ersten Sitzung stellte Reimann den Antrag, der wie eine grobe Provokation wirken mußte, die „Beratungen über eine separate westdeutsche Verfassung" einzustellen mit der Begründung, die Londoner Empfehlungen würden gegen die völkerrechtlich bindenden Verträge von Jalta und Potsdam verstoßen und der Pari. Rat habe kein Mandat vom deutschen Volk. Man schade zudem den Bemühungen der Alliierten, zu einer Einigung über Deutschland zu kommen185). Im Verlauf dieses Tagesordnungspunktes kam es fast zu einem Tumult, weil Reimann das Wort zu ergreifen versuchte, ohne es erhalten zu

haben186).

Noch in der 10. Sitzung, auf der das Grundgesetz in dritter Lesung angenommen werden sollte, versuchte die KPD, provozierende Akzente zu setzen. Sie beantragte als Tagesordnungspunkt 1, über die Aufnahme der Verbindung mit dem Präsidium des Deutschen Volksrates zu sprechen187). Eine entsprechende Einladung, die bereits im April 1949 erfolgt war, war über die Medien wiederholt worden188). Renner begründete den Antrag mit einem Appell, die Interessen des deutschen Volks höher zu stellen als die der Parteien. Ihm antwortete Jakob Kaiser189), der sich bis Ende 1947 um eine nationale Repräsentation bemüht hatte, aber dann nach seiner Ablehnung, am ersten Deutschen Volkskongreß teilzunehmen, seine Ausschaltung und die Verfolgung seiner Parteifreunde erleben mußte. Er bezeichnete die Vorschläge des Volksrates als pseudodemokratische Phrasen mit nationaler Begleitmusik; eine Legitimation sei für den Deutschen Volksrat nicht gegeben, denn dieser sei weder deutsch noch

1B1) „Unser Tag", Ausgabe vom 19. 182) Siehe S. 162. 183) Siehe S. 205 f. 184) Siehe S. 205, 206, 346, 376. 185) Dok. Nr. 1, TOP 5. 186) Dok. Nr. 1, Anm. 28. 187) Dok. Nr. 10, TOP 1. 188) Dok. Nr. 10, Anm. 7 und 8. 189) Siehe S. 507 ff. XXXII

Nov. 1948, Nr. 99, S. 3.

Einleitung demokratisch. Voraussetzung solcher Gespräche seien heie Wahlen in Berlin und in der Ostzone. Nicht weniger deutlich nahmen Carlo Schmid für die SPD190) und Reif für die Berliner Abgeordneten191) gegen Gespräche mit dem Volksrat Stellung. Sie prangerten noch einmal die inzwischen in der SBZ eingetretenen politischen Veränderungen zu einem Unrechtsregime an. Reif sagte u.a.: „Seit vier Jahren werden über 20 Millionen Menschen in Mitteldeutschland in der Verwaltungsmaschine eines raffinierten Polizeistaates im Sinne einer Politik ausgerichtet, die keine deutsche Politik und keine europäische Politik ist"192). Als sich die Abgeordneten nach der Annahme des Grundgesetzes Beifall klatschend erhoben, blieben Reimann und Renner demonstrativ sit-

zen193). Noch bei der feierlichen Schlußsitzung des Plenums am 23. Mai 1949 wußte die KPD zu provozieren. Renner beantwortete den Aufruf des Schriftführers zur Leistung der Unterschrift mit der Bemerkung: „Ich unterschreibe nicht die Teilung Deutschlands"194); Reimann antwortete: „Ich unterschreibe nicht"195). Immer wieder wurde den Parlamentariern von Reimann und Renner entgegengehalten: sie verkörperten nicht den Willen des deutschen Volkes, sie seien letztlich Handlanger der Alliierten bzw. deren gehorsame Befehlsempfänger196), sie verstießen gegen die nationalen Interessen, indem sie einen separaten Weststaat gründen wollten. Die Besatzungsmächte seien ein „Schutzwall der Reaktion", die die Sozialisierung verhindern würden197). Auf der anderen Seite wurde auch den Vertretern der KPD entgegengehalten, sie handelten nach ausländischem Befehl bzw. Auftrag198). Von den KPD-Vertretern wurde in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der SED immer wieder gefordert: „Zurück zum Potsdamer Abkommen". Dieses Motto war nach den Erfahrungen der Jahre 1945-1948 keine attraktive Alternative für die westdeutschen politischen Parteien. In Potsdam war Deutschland schließlich wie Carlo Schmid entgegenhielt nur „Objekt" der Alliierten gewesen, um es zu domestizieren und zu organisieren199). Die politische Entwicklung in der SBZ; die Entwicklung zu einem Polizeistaat, in dem Menschen verschleppt wurden; die im Zuge der Bodenreform erfolgten entschädigungslosen Enteignungen; populistische, mit enormem propagandistischen Aufwand betriebene „Volksbefragungen"; die Verfolgung politischer Gegner der Vereinigung von KPD und SPD zur SED und schließlich auch die Bedrohung WestBerlins durch die Blockade der Sowjets hatten insgesamt Gräben zwischen -

19°) 191) 192) 193) 194) 195) 196) 197) 198) 199)

Siehe S. 509 ff. Siehe S. 516. Ebenda. Siehe das bei Lange: Der Pari. Rat, S. 101 Siehe S. 695. Ebenda. Siehe S. 202. Siehe S. 275. Siehe S. 684. Siehe S. 510.

-

abgedruckte Foto.

XXXIII

Einleitung West und Ost geschaffen, die die Vorschläge der KPD alles andere als akzeptabel erscheinen ließen200). Die vor allem auch durch Zwischenrufe geführten Auseinandersetzungen zwischen KPD und sonstigen Parteien waren ein durchaus belebendes Element; Reimann brachte es auf 25 Zwischenrufe in fünf Sitzungen, Renner immerhin auf 133 in sechs Sitzungen, womit er mit Abstand der häufigste Zwischenrufer war, gefolgt von Carlo Schmid mit 109 Zwischenrufen201). Die KPD mußte sich insbesondere von Carlo Schmid Zwischenrufe gefallen lassen, die sich unter anderem auf die KZ für politische Gegner in der SBZ, die Verhältnisse im dortigen Uranbergbau, die „Markgraf-Polizei" und die Wiederaufrüstung („Seydlitz") bezogen. Die Abgeordneten der CDU/CSU hatten in einer ihrer Fraktionssitzungen vereinbart, die Abgeordneten der KPD nicht durch Zwischenrufe zu noch längeren Ausführungen zu veranlassen202); von sehen der CDU/CSU sind tatsächlich wesentlich weniger Zwischenrufe gegen Reimann und Renner zu vermerken als von seifen der SPD. Auch Adenauer empfahl dies als Präsident gelegentlich mit ironischem Unterton: „Meine Herren, Sie reizen durch Ihre Zwischenrufe geradezu Herrn Renner, länger zu sprechen, als er ursprünglich beabsichtigt hatte"203). Gründlich mißlang Reimann ein Manöver während der 10. Sitzung am 8. Mai 1949, das ein entsprechendes Vorspiel in der 56. Sitzung des Hauptausschusses vom 13. April 1949 hatte204), mit dem er Adenauer als Separatisten der Weimarer Zeit diskreditieren wollte, der damals eine Rheinische Republik und heute einen separaten Weststaat zu schaffen wünschte205). Adenauer hatte von dem geplanten Manöver vorher durch einen Parteifreund erfahren208) und stellte diesbezügliche Gespräche Reimanns mit ihm im Gegenzug als Erpressungsversuche dar207). Das Publikum, das an sich Beifallsäußerungen nicht tätigen durfte, beklatschte diese Reaktion Adenauers mit dem größten Beifall, den es im Pari. Rat gab208). Mit Renner ging Adenauer in seiner Funktion als Präsident des Pari. Rates, der die Sitzungen des Plenums leitete, mit gleichbleibender, ja fast stoischer Freundlichkeit und Gelassenheit um. Gelegentlich gab es durchaus humorvolle und witzige Zwiesprachen, die Carlo Schmid in seinen Memoiren im milden Licht der Erinnerung als „die Freude des ganzen Hauses" charakterisierte209). Adenauer und Renner kannten sich bereits aus dem rheinischen Provinziallandtag und aus der nordrhein-westfälischen Landespolitik, und wohl zu Recht bemerkte Renner bei Gelegenheit zu seinem Verhältnis zu

200) Siehe S. 212 ff. 201) Im Plenum gab es,

wenn man das stenogr. Prot, zugrunde legt, insgesamt 573 Zwischenrufe. Sie wurden von den Stenografen allerdings nicht alle inhaltlich erfaßt und wurden auch nicht alle namentlich zugeordnet. Im Prot, hieß es gelegentlich „Zwischenruf des

202) 203) 204) 205) 206) 207) 20a) 209)

Abg....".

Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 85. Siehe S. 373. Verhandlungen, S. 740 f. Siehe S. 543 ff. Siehe Dok. Nr. 10, Anm. 116. Siehe S. 553. Dok. Nr. 10, Anm. 131. Carlo Schmid: Erinnerungen, S. 411.

XXXIV

Einleitung Adenauer „Wir kennen uns zu gut"210). Nicht selten sprach er den Präsidenten spitz mit vollem Namen an: „Der Herr Doktor Konrad Adenauer"211); auch Carlo Schmid titulierte er gelegentlich entsprechend: „Lieber Herr Professor Carlo Schmid"212). Heuss verwies Renner im Rahmen einer kulturpolitischen Rede zur Abwehr seines Beifalles, den er als unangemessen empfand, einmal in grober schwäbischer Diktion zur Ruhe: Er solle doch mal eine Zeit sein Maul halten und ruhig sein, worauf Adenauer Heuss nicht einen Ordnungsruf erteilte, sondern lediglich mit den Worten unterbrach: „Herr Heuss, ich nehme an, Herr Renner hat Ihnen das nicht übel genommen." Heuss antwortete: Er hat sich darüber geheut, und Renner machte den Zwischenruf: „Das wollte ich sogar hören"213). Dieser Vorfall wurde eine der tradierten Anekdoten zur Geschichte des Pari.

Rates214). In der 11.

Sitzung wurde Renner von Adenauer zweimal zur Ordnung gerufen; ihm das Wort, als er den Rahmen einer persönlichen Erklärung, für entzog die er das Wort erhalten hatte, mehrfach überschritt215). Auch Reimann wurde einmal nach drei Ordnungsrufen das Wort entzogen216). Renner verstand es er

gelegentlich durchaus, „Heiterkeitserfolge"

zu

erzielen,

wenn er

beispielsweise

im Rahmen der Wahlrechtsdiskussion daran erinnerte, daß der Küster des Doms in Hildesheim zu Zeiten des preußischen Dreiklassenwahlrechts wegen der Höhe der Trinkgelder in der ersten Klasse wählen konnte, der Bischof und das Domkapitel aber nur in der zweiten217); oder wenn er den Einfluß der katholischen Kirche auf Kreise der CDU/CSU karikierend darstellte und Kardi-

als „Pazifikator" der innerparteilichen Querelen der CDU/CSU bezeichnete218). Während seiner Redebeiträge wurde öher als sonst „Heiterkeit" vom Stenografen im Protokoll festgehalten. Die auf Renner folgenden Redner beklagten mehrfach, daß es schwerfalle, nun wieder zum Thema zurückzukom-

nal

Frings

men219).

In einer Glosse der

Allgemeinen Kölnischen Rundschau vom 1. Mai 1949 unter der Uberschrift „Von Separatisten, Kommunisten und Mottenkisten" wurde Renner als Moselaner bzw. Rheinländer charakterisiert und ihm bescheinigt, er 21°) Siehe S. 570. 211) Siehe S. 415. 212) Siehe S. 370. 213) Siehe S. 537. 214) Dok. Nr. 10,

Anm. 75. Franz Blücher schrieb Heuss unter dem 21. Mai 1949 nach dessen Rede: „Zu Ihrer Zwischenbemerkung gegenüber Renner: ,Quod licet Jovi, non licet Bovi'. Sie konnten ihm sagen, er solle das Maul halten, bei mir wäre es als Entgleisung empfunden worden und bei Ernst Mayer [FDP-Politiker] als Unverschämtheit. Sie wissen, was ich mit dieser kurzen Bemerkung ausdrücken möchte" (NL

Lektüre

von

Heuss/54).

215) Siehe 2la) Siehe 217) Siehe 218) Siehe 219) Siehe

S. S. S. S. S.

685. 432. 304. 350. 208.

XXXV

Einleitung sei intelligent genug, seinen Marx und Lenin zu studieren und zwischen den Zeilen seine eigenen Reden zu Wort kommen zu lassen. Man höre ihm noch gerne zu, weil man bei seinen ostzonalen Münchhausiaden nie die witzlose Zumutung verspüre, diese Kabinettstückchen auch glauben zu sollen. Da wirke der Ostpreuße Max Reimann viel peinlicher, wenn er sein politisches Seemannsgarn für bare Münze verkaufen wolle. Ahnlich auch rückschauend die Charakterisierung in den Memoiren von Carlo Schmid: Reimann erschien ihm „recht hölzern und ungelenk", ein kranker, von der KZ-Haft geschundener Mann; Renner hingegen urwüchsig, intelligent und von sicher treffendem

Witz220).

war zwischenzeitlich von einem britischen Militärgericht verurteilt und inhaftiert worden, weil er Deutsche, die mit der Militärregierung zusammenarbeiteten, als Quislinge bezeichnet hatte221). Nach Interventionen des Pari. Rates wurde er, um sein Mandat wahrnehmen zu können, aus der Haft entlassen. Dennoch erschien er dort nur, wenn Dinge von öffentlichem Interesse behandelt wurden222).

Reiman

Die inhaltliche

Auseinandersetzung mit den Verfassungsvorschlägen des Deutschen Volksrates fand verhältnismäßig beiläufig statt. Carlo Schmid lehnte in der zweiten Sitzung im Rahmen seines Plädoyers für die Teilung der Gewalten die „Allmacht des Parlaments" in den Richtlinien des Volksrates ab. Man würde damit die Voraussetzungen für die Installierung einer Diktatur verwirklichen223). Ahnlich auch die Kritik von Schwalber (CSU) in der dritten Sitzung: Dieser Entwurf verleihe dem gesetzgebenden Organ, der Volkskammer, ein derartiges Übergewicht, daß die übrigen Gewalten im günstigsten Falle nur noch als Funktionen dieser primären Gewalt erschienen224). Paul (KPD) plädierte hingegen ganz offen für die Aufhebung der Gewaltenteilung. Weil Bürokratie und Justiz reaktionär seien, müßten „Recht und Macht dem vom Volke in freier Wahl gewählten Parlament gegeben werden"225). In der 6. Sitzung empfahl Renner die Präambel aus dem Verfassungsentwurf des Volksrates226), weil sie nichts „Numinöses" (!) enthalte und ohne „feierlichen Duktus der Worte" auskomme. Er las sie bei dieser Gelegenheit vor. Im weiteren Verlauf wurde diese Verfassungskonzeption nicht weiter thematisiert. In ihren Schlußworten bekannten sich fast alle Sprecher zur Mitarbeit an einem vereinigten Europa. Damit lehnten sie, ohne daß es ausgesprochen wurde, indirekt auch einen „Semjonow-Plan"227) ab, der vorsah, die Mitte Deutschlands von Besatzungstruppen freizumachen, eine Gesamtregierung in Berlin zu bilden, 22°) Carlo Schmid: Erinnerungen, S. 411. 221) Siehe Dok. Nr. 8, Anm. 69. 222) Pommerin: Die Mitglieder des Pari. Rates, 223) Siehe S. 37. 224) Siehe S. 93 f. S. 138. Siehe S. 205. Siehe S. 374 f.

225) Siehe

226) 227)

XXXVI

S. 579.

Einleitung zu schaffen und einen Friedensvertrag mit den Plan war gegen Ende Februar 1949 einigen Dieser abzuschließen. Siegermächten und Renner sprach inhaltlich entsprechend worden, Abgeordneten zugespielt ohne ihn konkret zu benennen während der Beratung des Plenums über das Wahlgesetz228). Für die westdeutschen Parteien war dies kein Weg in die Zukunft. Adenauer fürchtete, ein solcher Weg würde nach dem Vorbild der CSSR und dem Balkan zu einem kommunistischen Gesamtdeutschland führen229). Carlo Schmid hatte bereits in seiner ersten Grundsatzrede davor gewarnt „leichtfertig" nach Neutralisierung zu rufen, weil dies Eingriffsmöglichkeiten für die Garantiemächte voraussetze230). Gespräche mit Persönlichkeiten aus der Sowjetischen Besatzungszone wie Otto Nuschke, Vorsitzender der Ostzonen-CDU und Präsident des Volkrates, und dem ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau, Nadolny, die im Frühjahr 1949 zur Sondierung des Terrains für gesamtdeutsche Gespräche nach Bonn gekommen waren, wurden von den westdeutschen politischen Kräften, wenn überhaupt, nur mit größter Zurückhaltung geführt231). Schmid spottete in der 10. Plenarsitzung, man brauche keine Werbung für den Einheitsgedanken, auch keine Konventikel, um den Weg für die deutsche Einheit freizumachen. Nadolny und seine Gäste hätten nur Mitleid erregt, sonst

eine

neue

gemeinsame Währung

-

-

nichts232).

Adenauers Schlußworte nach Verabschiedung des Grundgesetzes waren die deutlichste Absage an alle Vorstellungen über einen dritten Weg: Feuer und Wasser könne man nicht miteinander verbinden; die Hoffnung richte sich auf eine Einbeziehung der Bundesrepublik in den Rahmen einer europäischen Vereinigung und auf amerikanische Hilfe und Schutz233). Obwohl die KPD-Abgeordneten letztlich die Arbeit am Grundgesetz inhaltlich so gut wie nicht beeinflussen konnten, bewirkten sie für den Ablauf der Plenardebatten doch sehr viel. Ohne ihre fundamentale Opposition gegen das Vorhaben des Pari. Rates, für einen deutschen Teilstaat, der vom Anspruch her der Gesamtstaat sein oder doch werden sollte, ein Grundgesetz zu schaffen, das durch westliche, rechtsstaatlich geprägte demokratische Grundsätze und Traditionen bestimmt sein würde, hätten im Plenum Fragen der Legitimität sicher nicht einen so breiten Raum eingenommen. Durch Renners provozierende und polemische Bemerkungen und Zwischenrufe wurden manche Probleme, für die im Vorfeld von den Parteien mühsam Kompromisse gefunden worden waren, überhaupt im Plenum erst

angesprochen.

Dennoch kann Parteien waren

228) 229) 23°) 231) 232) 233)

man

kaum

von

einem echten

Dialog zwischen

KPD und anderen

sprechen. Versuche, die Wirkungsmöglichkeiten der KPD

zu

begrenzen,

nicht selten. Die in den Konflikten mit der KPD entstehenden Emotionen

Ebenda. Dok. Nr. 9, Anm. 3. Siehe S. 41. Dok. Nr. 10, Anm. 7 sowie Anm. 23. Siehe S. 513. Siehe S. 628. Zur Entwicklung der außenpolitischen siehe Schwarz: Adenauer, S. 578 ff.

Konzeption Adenauers

1948/1949

XXXVII

Einleitung führten bei

Gelegenheit Abgeordneter234).

fast

zu

körperlichen Auseinandersetzungen

6. AUSWAHL DER DOKUMENTE UND IHRE

einzelner

EINRICHTUNG

stenografischen Mitschriften der Verhandlungen des Plenums liegen in zweifacher Form vor. Zunächst in einer Transkription, die von den Abgeordneten korrigiert wurde. Zum anderen in einem zeitgenössischen Druck, der nach diesem korrigierten Wortprotokoll hergestellt wurde. Über die Drucklegung von Materialien wurde im Pari. Rat bereits sehr früh gesprochen, zunächst unter dem Aspekt der Finanzierung. In der ersten Sitzung des Hauptausschusses235) ging man davon aus, daß bei einer Auflage von 1000 Stück der Druck der Plenarberichte etwa 60 000 DM kosten würde, der Druck der Protokolle der Ausschüsse insgesamt etwa 440 000 DM, obwohl man zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Anhaltspunkte für den Umfang der Materialien haben konnte. Noch war nicht absehbar, wie lange der Pari. Rat für die Erfüllung seiner Aufgabe benötigen und wie intensiv er beraten würde. Bei dieser ersten Diskussion empfahl der Abg. Grève, eher die Protokolle der Ausschüsse zu drucken als die des Plenums, weil sie für die Auslegung wichtiger sein würden. Während Pfeiffer es für unmöglich hielt, die Drucklegung aller Protokolle zu finanzieren, warnte Heuss aus psychologischen Gründen vor einer Drucklegung. Ein Teil der Abgeordneten werde angesichts einer Drucklegung „sehr tapfer werden und nur noch Reden zum Fenster hinaus halten, der andere Teil werde befürchten, etwaige Dummheiten für die Ewigkeit bewahrt zu sehen236)." Beschlossen wurde vom Ausschuß, das Stenogramm des Plenums und die Berichte der Ausschüsse an das Plenum zu drucken; die Kurzprotokolle der Ausschuß-Sitzungen sollten nur hektografiert werden. Der Hauptausschuß sollte bei Bedarf wörtlich protokolliert werden. Doch dies war nicht das letzte Wort. In der Geschäftsordnung des Pari. Rates vom 22. September 1948237) wurde unter § 33 festgelegt, daß über die Vollversammlung ein wörtlicher Bericht angefertigt wird, der an sämtliche Mitglieder des Pari. Rates verteilt werden sollte. Dies implizierte praktisch den Druck. Ferner sollten alle Ausschußsitzungen wörtlich protokolliert werden. In der Debatte hierzu im Geschäftsordnungsausschuß238) hatte der Abg. Kaufmann diese vollständige Protokollierung noch für zu aufwendig gehalten. Insbesondere Die

234) Siehe Dok.

Nr. 8, Anm. 70. Weitere

den Alliierten

235)

Bemühungen, die KPD aus Delegationen, die mit sprechen würden, herauszuhalten, bzw. Auftritts- und Redemöglichkei-

ten zu beschränken, siehe bei Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 284, 414, 466, 485. Zwischen Strauß (CDU) und Reimann (KPD) kam es am 13. April 1949 auf den Fluren des Pari. Rates fast zu einer Schlägerei. Siehe Der Pari. Rat Bd. 4, S. 111. von dieser Sitzung vom 16. Sept. 1948 liegt nur ein Kurzprot. vor, das nicht in die

zeitgenössische Druckausgabe

(Z 12/34).

der Protokolle des

236) Ebenda. 237) Dok. Nr. 5, Anm. 8. 238) Wortprotokoll in: Z 5/277. Ihr Abdr. erfolgt in Bd. XXXVIII

HptA

mit

10 der Edition.

aufgenommen

wurde

Einleitung Bergsträsser und Löbe plädierten aber eindringlich dafür. Bergsträsser bekannte,

als Vorsitzender des hessischen Verfassungsausschusses eine „Riesendummheit" begangen zu haben, weil er nicht für eine angemessene Protokollierung gesorgt habe. Löbe verwies eindringlich auf Erfahrungen in der Weimarer Zeit, wo man das Fehlen bestimmter Aufzeichnungen bedauert habe, weil sie für die Interpretation wichtig gewesen seien. Die Drucklegung der Wortprotokolle des Plenums erfolgte fortlaufend nach Anfall seitens der Bonner Universitäts-Buchdruckerei Gebr. Scheur GmbH Bonn. Die Summe der einzeln gedruckten Sitzungsprotokolle wurde dann, indem man eine einzige durchlaufende Seitenzählung verwendete, zum Gesamtband der Plenarprotokolle. Für die Drucklegung fügte man ein Titelblatt mit Inhaltsverzeichnis bei. Im Rahmen der Drucklegung wurde ferner das stenografische Wortprotokoll mit einem Stempel als Manuskript seitenweise neu durchgezählt. Ferner wurden einzelne Seiten, die schwer lesbare Korrekturen enthielten, neu geschrieben. Die alte Fassung wurde in der Regel an der ursprünglichen Stelle belassen. Als Muster für Parlaments-Drucksachen hatte man sich Beispiele aus dem Wirtschahsrat besorgt239). Ferner wurden vermutlich von Mitarbeitern des Sekretariates des Pari. Rates Absätze eingefügt, die Drucktypen für die Sprecher festgelegt und zur Verbesserung der Lesbarkeit und des Verständnisses gelegentlich Schlüsselbegriffe in den Ausführungen der Abgeordneten als fett oder gesperrt zu drucken gekennzeichnet. Diese fett oder gesperrt gedruckten Begriffe und Textpassagen wurden hier durch Kursive herausgehoben. Angaben über die Auflagenhöhe der ersten Druckfassung ließen sich nicht ermitteln. Aus einer Aufstellung über die Verteilung des Protokolls der zweiten Sitzung240) ließ sich folgender Verteilerschlüssel ermitteln: Abgeordnete: 70, Pressestelle: 50, Verwaltung: 30, Fraktionen: 22. Das wäre lediglich eine Auflage von 172 Stück und würde erklären, warum spätere Nachdrucke erforderlich -

-

wurden241).

vorliegende Edition habe ich den zeitgenössischen Druck zugrunde denn dies war die autorisierte Fassung der Protokolle. Die Druckvorlage gelegt, mit den von den Abgeordneten vorgenommenen Rednerkorrekturen wurde mit berücksichtigt, sofern es sich nicht nur um die üblichen Glättungen vom Sprech- zum Schreibstil handelte242). Im Rahmen der Dokumentenbeschreibung wurde angegeben, wo sich in den Akten des Sekretariates 1) die Fassung des Manuskriptes (= Druckvorlage) befindet, 2) wo sich die erste Druckfassung findet, 3) welche Seitenangaben in der Druckfassung das jeweilige Dokument im Rahmen des Gesamtbandes umfaßt. Von fast allen Plenarsitzungen liegen auch Tonaufzeichnungen vor243). Verwendet wurde insbesondere der Mitschnitt der Schlußsitzung des Pari. Rates, weil Für die

239) Unterlagen in: Z 5/210. 240) Z 5/12 b, Bl. 1. 241) Zum Beispiel zum 20. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes, Bonn 1969. 24Z) Zu den Editionsprinzipien siehe Der Pari. Rat Bd. 1, S. LXXII ff. sowie der Pari. 243)

Rat

Bd. 3, S. XXXVII. Dok. Nr. 12, Anm. 6.

XXXIX

Einleitung sich hierdurch nicht uninteressante Einzelfragen des Zeremoniells klären ließen. Ein systematischer Vergleich zwischen Ton- und schriftlicher Fassung wurde nicht vorgenommen. Die von den Abgeordneten korrigierte Fassung kann als die authentische angesehen werden; es dürfte das zeitgeschichtliche Wissen nicht wesentlich erweitern, wenn vereinzelte Hörfehler der Stenografen nachgewiesen werden könnten244). Anders als bei den Fachausschüssen kommt den Kurzprotokollen des Plenums keinerlei Bedeutung zu. Während sie für die Fachausschüsse von großem Interesse sind, weil hier die manchmal auf Abwege geratenen Diskussionen mit Hilfe des Ausschußsekretärs und des Schriftführers strukturiert wiedergegeben wurden, sind sie beim Plenum sowohl vom Umfang her als auch inhaltlich völlig unbedeutend, sofern sie überhaupt noch erstellt wurden245). Es handelte sich praktisch nur um eine Aufstellung der abgehandelten Tagesordnungspunkte.

Überschriftenbildung

der einzelnen Protokolle wurden die Tagesordnungspunkte durchnumeriert, um besser auf sie verweisen zu können. Anders als bei der Edition der Protokolle der Fachausschüsse des Pari. Rates wurde darauf verzichtet, jeweils eine Anwesenheitsliste zu erstellen. Die fehlenden Abgeordneten wurden vom Präsidenten, zumeist zu Beginn der Sitzung, benannt. Wer von den Abgeordneten dann wie lange auch wirklich anwesend war, ließ sich nicht ermitteln. Daß sich hin und wieder die Reihen lichteten, ist offensichtlich246). Die gelegentlich vielstündigen Sitzungen erforderten vom Stenografischen Dienst einen beträchtlichen personellen Einsatz. Die jeweils eingesetzten Stenografen wurden im Dokumentenkopf in der Reihenfolge ihres ersten Erscheinens aufgeführt, soweit sich das aus den Diktatzeichen erkennen ließ247). Die Bezeichnung der jeweiligen Redner als „Abgeordnete" wurde in diesem Kontext um der Einheitlichkeit mit den früheren Editionsbänden willen fortgelassen. Die Bezeichnung Präsident, Vizepräsident, Alterspräsident wurde, wenn sie als Redner aufgeführt und

Gliederung weitgehend beibehalten; allerdings wurden Die

wurden, in „Präs.", „Vizepräs.", „Alterspräs." gekürzt.

aufgenommen wurde der „schriftliche Bericht zum Grundgesetzes", der nachträglich von den „Berichterstattern des Hauptausschusses für das Plenum" verfaßt und zu einer Anlage der 9. Sitzung Nicht mit in die Edition

Entwurf des

des Pari. Rates deklariert wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Berichte gar nicht vorlagen. Man wird dafür weiterhin auf die im Jahre 1950/1951 erschienene

Druckfassung zurückgreifen müssen248).

es in der Ansprache von Adenauer in der ersten Sitzung (s. S. 12): lassen Sie mich einige Worte über Wesen und Aufgabe des Parlamentarischen Rates sagen. Daraus wurde: Und nun lassen Sie mich einige Worte über Mricen und Aufgabe des Parlamentarischen Rates sagen. 245) Ab der 8. Sitzung wurden Kurzprotokolle nicht mehr erstellt. 246) Siehe z. B. Dok. Nr. 3, Anm. 145. 247) Zum Stenografischen Dienst siehe K. Peschel: Der stenografische Dienst im Parlamentarischen Rat. Neue Stenographische Praxis 1 (1953), S. 24-26. 248) Dok. Nr. 9, Anm. 14.

244) Beispielsweise hieß Und

XL

nun

Einleitung grundlegendes Dilemma der Quellenlage zum Pari. Rat, daß für die CDU/CSU von 169 Fraktionssitzungen insgesamt recht aussagekräftige Protokolle vorliegen, für die SPD jedoch lediglich die Tatsache nachweisbar ist, daß sie mindestens 103mal tagte249). Dies erschwerte auch die Kommentierung dieses Bandes. Allerdings spiegeln sich die Geschehnisse in den anderen Parteien zum Teil auch in den Protokollen der CDU/CSU. Dies kann aber nicht das Ungleichgewicht in der Quellenlage beheben250). Grundlage der Kommentierung waren wiederum die Akten des Pari. Rates selbst, die sich unsystematisch aufgeteilt im Bundesarchiv und im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages befinden. Der Bestandsteil im Bundesarchiv wurde im Frühjahr 1994 noch durch Akten, die sich im Bundesministerium des Innern fanden, nennenswert erweitert251). Hervorzuheben sind außerdem die aus der Beobachtung des Pari. Rates entstandenen Berichte des Büros der Ministerpräsidentenkonferenz in Bad Godesberg; ferner von den alliierten Uberlieferungen insbesondere die britische, die aus registraturtechnischen Gründen konzentrierter und besser greifbar ist als die amerikanische und französische. Im Nachlaß Reimann in der Stiftung Archive der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv fanden sich einige seiner Redebeiträge in Urschrih. Wichtiger als für die anderen Bände war die Presseberichterstattung über den Pari. Rat, da die Abgeordneten in ihren Ansprachen häufiger auf einzelne Artikel in der Presse verwiesen oder sich mit ihnen auseinandersetzten; darin spiegelt sich auch die Funktion der Plenarsitzungen als Forum für die Öffentlichkeit. Quellenangaben beginnen mit der Angabe des Archivs; fehlt diese, so handelt es sich um einen Bestand aus dem Bundesarchiv, Hauptdienststelle Koblenz. Die Drucksachen des Pari. Rates sowie die Sekretariatsumdrucke, auch Sonderdrucksachen genannt, wurden lediglich mit ihrer Nummer zitiert. Sie liegen im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages und im Bundesarchiv in geschlossenen Serien vor und sind somit eindeutig nachgeEs ist ein

-

-

wiesen.

Vielen

Kollegen, Bekannten und Institutionen ist für ihre Unterstützung bei der Klärung von Einzelhagen zu danken, die für sich genommen „Petitessen" zu sein scheinen, die in ihrer Gesamtheit jedoch den Wert eines Kommentars zu einer Edition ausmachen; nicht zuletzt gedankt sei auch der kleinen Schar von engagierten Kollegen im Bundesarchiv und Herrn Dr. Michael F. Feldkamp vom Deutschen Bundestag, die sich als Bearbeiter der einzelnen Bände bemühen, diese Reihe erfolgreich zum Abschluß zu bringen! Koblenz,

') ') )

im Sommer 1995

Wolfram Werner

In FESt NL Schumacher/236 liegen Anwesenheitslisten für die Fraktionssitzungen vor; danach wurde die Zahl ermittelt. Sie ist also als Minimum zu betrachten. Werner: Quellen zur Geschichte des Grundgesetzes; siehe Literaturverzeichnis. Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs Bd. 35: Der Parlamentarische Rat (Bestand Z 5). Bearb. von Wolfram Werner. 2.A., Koblenz 1994.

XLI

VERZEICHNIS DER DOKUMENTE

Nr.

1

Titel des Dokuments und Inhalt

Erste

Sitzung des Plenums.

1.

Seite

September

1948

.

Begrüßungsworte des Alterspräsidenten Schönfelder. 2. Konstituierung des Parlamentarischen Rates, Aufruf der Mit1.

glieder

3. 4. 5.

....

5 6 7

.

7 8 11 13 15 15

Zweite Sitzung des Plenums. 8. September 1948 1. Geschäftliches.

18 18

2. Wahl der Schriftführer. 3. Berichte über die dem Parlamentarischen Rat gestellte Aufgabe

19

.

an Hand der Vorarbeiten und Entwürfe. Dr. Schmid (SPD). Dr. Süsterhenn (CDU).

3

3

Reimann (KPD). Dr. Pfeiffer (CSU). Dr. Adenauer übernimmt das Präsidium. Geschäftliches. Dankesworte des Abg. Löbe (SPD). Erklärung des Abg. Paul (KPD)

6. 7. 8. 9.

2

.

Wahl des Präsidiums. Antrag Dr. Schmid auf Teilnahme der Vertreter Berlins Antrag Reimann auf Einstellung der Beratung über eine separate westdeutsche Verfassung.

1 1

Sitzung des Plenums. 9. September 1948 Berichte über die dem Parlamentarischen Rat gestellte Aufgabe 1. an Hand der Vorarbeiten und Entwürfe, Forts, von TOP 3 der

Dritte

.

zweiten Sitzung. Dr. Menzel (SPD). Dr. Schwalber (CSU). 2.

Allgemeine Aussprache. Dr. Heuss

(FDP).

Brockmann (Z) (zur Geschäftsordnung). Dr. Seebohm (DP). Paul (KPD). Brockmann (Z). 3. Bildung der Ausschüsse.

20 20 46

70

70

70 89 103 103 119 120 131 143 148

XLIII

Verzeichnis der Dokumente Nr. 4

Titel des Dokuments und Inhalt

Vierte 1. 2. 3.

Sitzung des Plenums.

5

15.

September

1948

.

Geschäftliches.

Feststellung der Tagesordnung. Entschließung zu den Urteilen des russischen Militärgerichts in

150 150 151

Berlin und zur Lage in der Ostzone. Dr. Pfeiffer (CSU). Dr. Schmid (SPD). Dr. Heuss (FDP).

152 153 154 157

Paul (KPD). Brockmann (Z).

159

Kaiser 4.

Seite

(CDU).

Zusammensetzung

der Ausschüsse.

Fünfte

Sitzung des Plenums. 22. September 1948 1. Geschäftliches. 2. Nachruf auf Graf Bernadotte. 3. Antrag der Fraktion der FDP auf Einsetzung eines Elfer-Ausschusses zur der Frage der Neuregelung der Län.

163 164 168 169 169 169

Überprüfung

dergrenzen

4.

6

der

Beratung Geschäftsordnung des Parlamentarischen Rates Dr. de Chapeaurouge, Berichterstatter.

Sechste 1.

2. 3.

.

.

Plenums. 20. Oktober 1948 des Vertreters des englischen Außenministers

Sitzung des

Begrüßung

.

.

Mr. Bevin, Mr. Mayhew. Geschäftliches. Aussprache über die Präambel. Dr. Schmid (SPD).

(SPD).

Sitzung des Plenums.

217

Wessel (Z).

7

Siebente 1.

Aussprache

21. Oktober 1948 über die Länderkammer. .

Dr. Lehr (CDU). Dr. Dehler (FDP). Dr. Katz (SPD). Dr. Seebohm (DP). Renner (KPD).

Brockmann (Z). 2.

XLIV

176 176 177 178 178 183 192 196 200 208 212

Dr. Süsterhenn (CDU). Dr. Heuss (FDP). Dr. Seebohm (DP). Renner (KPD). Reuter

170 170 170

Geschäftliches.

217 217 224 229 233 239 243 248

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Seite

Titel des Dokuments und Inhalt 3.

Aussprache über die Finanzfragen. Dr. Höpker Aschoff (FDP).

249 249 257 263 267 273 276 278 278 284 292 298 303 310 313

Dr. Grève (SPD). Dr. Binder (CDU). Dr. Seebohm (DP). Renner (KPD). 4.

Wessel (Z). Aussprache über das Wahlrecht. Dr. Diederichs (SPD). Dr. Kroll (CSU). Dr. Becker (FDP). Heile (DP). Renner

(KPD).

Wessel (Z). Dr. Löwenthal (SPD). 8

Achte Sitzung des Plenums. 24. Februar 1949 1. Gedenken an den Abg. Walter (CDU), Geschäftliches. 2. Entwurf eines Wahlgesetzes der Bundesrepublik Deutschland,

318 318

.

erste

2.1.

Lesung.

Allgemeine Aussprache.

Dr. Becker (FDP), Berichterstatter. 320, Dr. von Brentano (CDU). Dr. Schmid (SPD). 333, Dr. Heuss (FDP). Dr. Seebohm (DP). Brockmann (Z). 343, Renner (KPD). 345,

Kaufmann (CDU). Dr. Diederichs (SPD). Frau Wessel (Z). Frau Dr. Weber (CDU). Stock (SPD). Dr. Mücke (SPD). Dr. Kroll (CSU).

Einzelberatung. Wahlgesetz, zweite und dritte Lesung 2.2.

3.

9

.

Sitzung des Plenums. 6. Mai 1949 Geschäftliches.

Neunte 1. 2.

.

Einsetzung

Dr. Schäfer

Reimann

eines

Überleitungsausschusses.

(FDP), Berichterstatter. (KPD).

319 319 391 327 389 335 339 379 369 354 362 366 369 376 380 382 395 422

429

429 431 431 432

XLV

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Drucks. Nr. 850, 854.) Zweite Lesung. 3.1. Dr. Schmid (SPD), Berichterstatter.

3. Entwurf eines

433

-

3.2.

Überschrift.

Dr. Seebohm (DP). Dr. Schwalber (CSU) (zur geschäftlichen Behandlung) .

3.3. 3.4.

.

Präambel. I. Grundrechte. Dr. Seebohm (DP). Brockmann (Z). Dr. Höpker Aschoff (FDP). Dr. Schmid (SPD). Dr. Heuss (FDP). Dr. von Brentano (CDU). Zinn (SPD). Dr. v. Mangoldt (CDU). Dr. Dehler (FDP). Renner (KPD).

3.5.

II. Bund und Länder. Dr. Dehler (FDP). Dr. Seebohm (DP).

Brockmann (Z). Dr. Laforet (CSU). 3.6.

III. Der Bundestag. Dr. Strauß (CDU) (zur geschäftlichen Behandlung) .

.

Wagner (SPD).

IV. Der Bundesrat. Die Sitzung wird unterbrochen V. Der Bundespräsident. 3.8. Dr. Seebohm (DP). 3.9. VI. Die Bundesregierung. 3.10. VII. Gesetzgebung des Bundes. Zinn (SPD). Dr. Seebohm (DP). 3.7.

Brockmann (Z). 3.11. VIII. Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundes-

verwaltung

3.12.

XL VI

.

Dr. Seebohm (DP). Dr. Laforet (CSU). Dr. Lehr (CDU) (zur Geschäftsordnung). Die Sitzung wird unterbrochen IX. Die Rechtsprechung. Dr. Dehler (FDP). Dr. Strauß (CDU).

434 445 445 445 446 446 446 447 448 448 449 450 451 451 455 459 461 461 462 462 463 465 465 465 466 467 467 467 468 468 469 471 472 473 473 474 474 474 476

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Seite

Titel des Dokuments und Inhalt

Dr. de

Chapeaurouge (CDU)

478 479 482 Renner (KPD). 485 X. Finanzwesen. 485 Dr. Seebohm (DP). Schlör (CSU). 485 Dr. Höpker Aschoff (FDP). 486 Dr. Binder (CDU). 486 und Schlußbestimmungen. XI. 486 Dr. v. Brentano (CDU). 487, 496 488 Dr. Seebohm (DP). .

Wagner (SPD).

3.13.

3.14.

Übergangs-

Dr. Lehr (CDU). Dr. Grève (SPD). Dr. Becker (FDP).

489 491 492

Brockmann (Z). 494,499 Renner 3.15.

(KPD).

Schlußabstimmung.

Dr. Pfeiffer (CSU). Dr. Seebohm (DP) .

..

Brockmann (Z). 4. Wahl der Mitglieder des Überleitungsausschusses. Dr. Schäfer (FDP), Berichterstatter. 5. Termin der nächsten Sitzung; Einladung des Deutschen Volksrates 10

.

497 500 500 501 501 502 502 502

Zehnte Sitzung des Plenums. 8. Mai 1949 1. Geschäftliches. 2. Antrag der KPD-Fraktion auf sofortige Aufnahme der Verbindung mit dem Präsidium des Deutschen Volksrats (Drucks.

504 504

882).

504 504 507 509 516

.

Nr.

Renner (KPD). Kaiser (CDU). Dr. Schmid (SPD). Dr. Reif (FDP). 3. Entwurf eines Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Fassung der zweiten Lesung (Drucks. Nr. 883). Dritte -

Lesung. 3.1. Allgemeine Aussprache.

Dr. Lehr (CDU). Dr. Menzel (SPD) Dr. Heuss (FDP). Reimann (KPD). Dr. Adenauer (CDU) (persönliche Bemerkung). .

Wessel (Z)

.

517 517 517 521

531 543 552 553

XLVII

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

Dr. Seebohm (DP). Dr. Lehr (CDU) (zur Geschäftsordnung). Reimann (KPD) (persönliche Bemerkung). Dr. Adenauer (CDU) (persönliche Bemerkung). 3.2.

Einzelberatung. 3.2.1. 3.2.2.

Präambel. I. Die Grundrechte. Dr. Finck (CDU). Dr. Weber (CDU) .

Brockmann (Z). Renner

(KPD).

Nadig (SPD).

3.2.3.

Wessel (Z). II. Der Bund und die Länder.

3.2.4.

III.

3.2.5.

3.2.6.

IV. V.

3.2.7. 3.2.8.

VI. VII.

Dr. Lehr (CDU). Dr. Bergsträsser (SPD). Der Bundestag. Dr. Grève (SPD). Der Bundesrat. Der Bundespräsident. Dr. Becker (FDP). Dr. Lehr (CDU) (zur Geschäftsordnung) Die Bundesregierung. Die Gesetzgebung des Bundes. ....

Brockmann (Z). VIII. Die Ausführung der Bundesgesetze und die 3.2.9.

Bundesverwaltung.

3.2.10. 3.2.11. 3.2.12.

IX. Die Rechtsprechung. X. Das Finanzwesen. XI. Übergangs- und Schlußbestimmungen Dr. Lehr (CDU). Zinn (SPD). Kaufmann (CDU) Dr. Schmid (SPD). Dr. von Brentano (CDU). Dr. Dehler (FDP). Reimann (KPD). ....

.

Renner (KPD). Dr. Heuss (FDP). 3.2.13.

Erklärungen

zum

Abschluß der

Beratung

....

Dr. Brentano (CDU). Dr. Dehler (FDP). Dr. Schmid (SPD). von

Kaufmann (CDU). XLVIII

559 569 569 570 571 572 572 572 577 580 583 584 585 587 587 587 590 590 590 590 591 591 592 592 592

593 593 593 593 594 594 595 595 596 596 597 598 599 600 600 604 608 612

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Dr. Schwalber

Seite

(CSU).

615 616 617 617 618 623 624 625 626

Stock (SPD). 3.2.14. 3.2.15.

Schlußabstimmung Erklärungen zur Abstimmung.

.

Heile (DP). Wessel (Z). Löbe (SPD). Kaiser 3.2.16. 11

(CDU).

Schlußworte des Präsidenten.

Elfte Sitzung des Plenums. 10. Mai 1949 1. Geschäftliches. 2. Antrag Dr. Grève auf Ergänzung der Geschäftsordnung (Drucks.

631 631

Nr. 921). Dr. Grève (SPD). Reimann (KPD). 3. Entwurf eines Wahlgesetzes zum ersten Bundestag (Drucks. Zweite Lesung. Nr. 906). Dr. Diederichs (SPD), Berichterstatter. 632, 667,

631 631 632

.

632 671 Schröter (CDU). 633, 665, 672 Dr. Becker (FDP). 641 Dr. Pfeiffer (CSU). 645 Kaufmann (CDU) 647 Renner (KPD). 647 Dr. Schmid (SPD). 651 Dr. Katz (SPD). 651 Dr. von Brentano (CDU). 652, 674 Hermans (CDU). 653 Löbe (SPD). 656 Dr. Mücke (SPD). 658 Dr. Seebohm (DP). 660, 670, 672 Dr. Löwenthal. 668 Dr. Hofmeister (CDU). 674 677 4. Wahl des vorläufigen Sitzes der Bundesorgane. Dr. Schäfer (FDP), Berichterstatter. 677 Renner (KPD). 679 Dr. von Brentano (CDU). 681 Geheime Abstimmung. 683 Renner (KPD) (persönliche Erklärung) 684 5. Entwurf eines Wahlgesetzes zum ersten Bundestag. Dritte 685 Lesung. Dr. Becker (FDP). 686 Zinn (SPD). 686 Dr. von Brentano (CDU). 686 -

.

.

-

XLIX

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

6.

12

L

Seite

Stock (SPD).

687

Dr. Heuss (FDP). Dr. Dehler (FDP) (persönliche Erklärung).

688 690

.

691

Erklärung des Präsidenten leitungsausschusses

über die

Befugnisse

des Über-

Zwölfte Sitzung des Plenums. 23. Mai 1949 1. Geschäftliches. 2. Feststellung der Annahme des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Ausfertigung und Verkündung. 3. Dankesworte des Abg. Löbe. 4. Schlußworte des Präsidenten. .

692 692 693 698 699

Erste

Sitzung des Plenums

September 1948

1.

Nr. 1

Nr. 1 Erste 1.

Sitzung des Plenums September 19481)

5/12a, Bl. 130-157, ungez. und undat. stenogr. Wortprot.2) Z 5/12a, Bl. 164-167, als Drucks. Nr. 7 vervielf. Druck: Z 5/12a, Bl. 126-128. Stenogr. Berichte, S. 1-6. Stenogr. Dienst: Dr. Peschel, Herrgesell. Z

Kurzprot.:

Dauer: 15.24-16.10 Uhr

[1. BEGRÜSSUNGSWORTE DES ALTERSPRÄSIDENTEN

Sitzung wird felder eröffnet3).

Die

um

15 Uhr 24 Minuten durch den

SCHÖNFELDER]

Alterspräsidenten

Schön-

Alterspräs. Schönfelder: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir mitgeteilt worden, daß ich der älteste der erwählten Ratsmitglieder bin. Außerdem liegt es auch noch schrihlich hier auf dem Tische, ich muß es also wohl glauben. Wenn ich darüber auch nicht froh bin, schon so alt zu sein, so bin ich doch glücklich über die Ehre, die mir dadurch zuteil wird, daß ich als erster für den Parlamentarischen Rat das Wort ergreifen darf. !) Als Einberufungstermin des Pari. Rates war zunächst auch an Freitag, den 3. Sept. 1948, gedacht worden, da man nicht wußte, ob bis zum 1. Sept. die Arbeitsergebnisse des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee zur Verfügung stünden. Gegen einen Freitag als Termin der Konstituierung sprach der ungute Eindruck auf die Öffentlichkeit, gegen den 3. Sept. hatten sich auch die Alliierten ausgesprochen, da dies der Tag der Kriegserklärung von 1939 war. Vermerk des BdMinPräs. vom 30. Aug. 1948 in: Z 12/15, Bl. 97. Zur Wahl von Bonn als Tagungsort siehe Klaus Dreher: Ein Kampf um Bonn. München 1979, S. 23 ff.; ferner unter Verwendung fundierter Quellen Pommerin: Von Berlin nach Bonn, S. 78-85. Ort der Beratung war die Aula der Pädagogischen Akademie. Die Uhrzeit der Eröffnungssitzung wurde u. a. auch dadurch bestimmt, daß am Abend des gleichen Tages die Eröffnung des Deutschen Katholikentages in Mainz stattfinden wür2)

de. Siehe Der Pari. Rat Bd. 1, S. 340. Die Vorlage, für die auch einzelne Seiten einer maschinenschr.

Durchschlagfassung

verwendet wurden, diente zugleich als Manuskript für die Drucklegung. Dafür wurde sie von unbekannter Hand mit Anweisungen für den Setzer versehen; oben jeweils unter anderem ein Hinweis auf die Seitenzahl des Druckmanuskriptes und das Datum des Satzes (14. September) durch die Bonner Universitätsdruckerei Gebr. Scheur GmbH, Bonn.

3) Ein Entwurf für eine Tagesordnung in den Akten des BdMinPräs. (undat. und ungez. 12/44, Bl. 427) sah noch als Verhandlungspunkte

in:

Eröffnungsansprache durch den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, 2. Ansprache des Alterspräsidenten, 3. Wahl des Präsidiums, 4. Übergabe des Verfassungsentwurfs des Verfassungsausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz an den Präsidenten des Pari. Rates, 5. Termin für eine Vollsitzung. Die als Drucks. Nr. 2 vervielf. Aufstellung „Eröffnung des Parlamentarischen Rates am 1. Sept. 1948" sah folgende Zeitfolge vor: 13.00 Uhr Festakt Museum Koenig in Bonn; 15.00 Uhr Eröffnungssitzung des Pari. Rates in der Pädagogischen Akademie; 19.00 Uhr: Empfang, gegeben von MinPräs. Arnold in der Redoute in Godesberg. Z

vor:

1.

1

Nr. 1

Erste

Sitzung des Plenums

1.

September 1948

Meine Damen und Herren! Ich erfülle zunächst eine Pflicht, die mir auch eine große Ehre und Freude ist, indem ich allen Erschienenen für ihr Erscheinen hier herzlich zu danken habe. Ich begrüße in erster Linie die Vertreter der Militärregierungen4), deren Vollmachten uns in den Stand gesetzt haben, hier als Parlamentarischer Rat zu tagen. Ich begrüße weiter5) hohe Würdenträger der Kirche. Ich begrüße die Vertreter der Regierungen und Verwaltungen. Ich begrüße insbesondere die Herren Ministerpräsidenten, die in monatelangen Verhandlungen die Mittler zwischen dem deutschen Volke und den Militärregierungen gewesen sind und die auch diese Tagung vorbereitet haben. Ich begrüße dann die Vertreter der Presse und hoffe, daß sie unseren Verhandlungen mit liebevollem Verständnis folgen werden. Und so sei auch allen anderen Gästen, die das Interesse hierher geführt hat, um an diesem für Deutschland bedeutungsvollen Ereignis teilzunehmen, für ihr Erscheinen herz-

lichst

gedankt.

nun meinen Blick auf den Parlamentarischen Rat selbst richte, dann darf ich wohl feststellen, daß diese Körperschaft in ihrer Eigenart kein Beispiel und kein Vorbild in der Geschichte hat. Wir sind weder nach der Art unserer Wahl noch nach der uns gestellten Aufgabe ein Parlament im üblichen Sinne. Wir sind von den Landtagen der Länder gewählt6), aber, wie ich meine, nicht als Vertreter der Länder und ihrer Interessen, sondern als Vertreter des ganzen deutschen Volkes, wenigstens des Teiles, der in der Trizone lebt, und wir werden uns bei unserer Arbeit dem ganzen deutschen Volke verantwortlich fühlen.

Wenn ich

(Bravo!)

Meine Damen und Herren! Es ist in den Festreden vorhin7) schon darauf hingewiesen worden, aber ich glaube doch etwas zu versäumen, wenn ich Genauere Aufstellungen über die Anwesenheit von Vertretern der Militärregierungen ließen sich nicht ermitteln. Eine Aufstellung der „einzuladenden ausländischen Gäste zur Tagung des Parlamentarischen Rates am 1. Sept. 1948 in Bonn", die jedoch nur Mitarbeiter der US-Militärregierung aufführte, in: Z 12/35, Bl. 188. Daß die Gouverneure Clay, Robertson und König „wegen sehr wichtiger Besprechungen" aller Wahrscheinlichkeit nach nicht anwesend sein würden, hatten sie MinPräs. Stock am 30. Aug. 1948 bei einer Unterredung in Frankfurt/Main angedeutet. Dabei hatten sie hinzugefügt, daß sie ggf. später gerne einmal an einer Sitzung teilnehmen würden, falls sie eingeladen würden. Stock teilte dies unter dem 7. Sept. 1948 dem Präs. des Pari. Rates, Adenauer, mit (Z 12/33, Bl. 65). Zum politischen Hintergrund der Nicht-Teilnahme die Sowjets sollten nicht provoziert werden siehe Der Pari. Rat Bd. 1, S. 410, Anm. 2. Aus dem Bericht des Political Advisors, Murphy, über die Sitzung ließ sich ersehen, daß die Angehörigen der US-MilReg., anders als Belgier, Franzosen und Briten, bewußt nicht in Uniform erschienen (Smith: Clay Papers Bd. 2, S. 810). 5) Unterlagen über die ergangenen Einladungen ließen sich nur für den vorhergegangenen Festakt feststellen (vgl. Anm. 7). 6) Zur Wahl der Mitglieder des Pari. Rates durch die Landtage siehe Ley: Die Mitglieder des Pari. Rates, passim. 7) Um 13.00 Uhr hatte im Museum Koenig ein Festakt stattgefunden, bei dem MinPräs. Arnold für das gastgebende Land und MinPräs. Stock als derzeitiger Vorsitzender der Ministerpräsidenten die Ansprachen hielten (Wortlaut in: Z 5/12a, Bl. 158-161; Abdr. Der Pari. Rat Bd. 1, S. 414 ff.; Programm ebenda, Bl. 162). Es spielte das „verstärkte

4)

-

-

2

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1.

September 1948

Nr. 1

nicht auch im Namen des Parlamentarischen Rates in diesem Augenblick dem Bedauern Ausdruck gebe, daß es uns nicht vergönnt ist, hier in unserem Kreise frei gewählte Vertreter des ganzen deutschen Volkes versammelt zu sehen.

(Zustimmung.)

Aber ich möchte doch die Hoffnung nicht verlieren, daß auch ich trotz meines Alters den Tag noch erlebe, da dieses Ereignis eintritt.

(Bravo!) Bekenntnis zur Einheit Deutschlands sind wir in den Westzonen unerschüttert. Wir lassen uns in dem heißen8) Willen, diese Einheit zu errichten, von niemand übertreffen, und von diesem Willen werden wir uns auch bei unserer Arbeit leiten lassen. Meine Damen und Herren! Unsere Aufgabe soll es sein, ein Gesetz zu schaffen, in den uns durch Besatzungsstatut gezogenen Grenzen in den Gebieten eine Ordnung für eine Hoheitsverwaltung zu schaffen, die es ermöglicht, deutsches Eigenleben zu entfalten. Ich hoffe ja, daß unsere Arbeit so ausfallen wird diese Hoffnung möchte ich gleich am Anfang ausdrücken -, daß sie dem ganzen deutschen Volke einmal zum Segen gereichen wird. Damit möchte ich meine allgemeinen Bemerkungen schließen. In

unserem

-

[2. KONSTITUIERUNG DES PARLAMENTARISCHEN RATES, AUFRUF DER MITGLIEDER] Wenn ich auch vorhin sagte, daß wir kein Parlament im üblichen Sinne sind, so glaube ich doch, daß der Parlamentarische Rat die Absicht hat, seine Arbeit

nach alten parlamentarischen Gebräuchen durchzuführen. Daher schlage ich dem Parlamentarischen Rat vor, sich nunmehr zu konstituieren. Um das zu können, bitte ich zunächst zu meiner Unterstützung zwei Herren sich hier nach oben zu bemühen, die mir als Schriftführer zur Seite stehen, und zwar bitte ich Herrn Dr. Kaspar Seibold9) und Herrn Dr. Friedrich Wolff, hier als Schriftführer Platz nehmen zu wollen. Meine Damen und Herren, haben Sie den Wunsch, daß die Anwesenheitsliste verlesen wird? -

(Zurufe: Ja!)

8) 9)

Städtische Orchester Bonn" zu Beginn die Ouvertüre in D-Dur von Johann Sebastian Bach und zum Schluß die Leonoren-Ouvertüre Opus 27 Nr. III von Ludwig van Beethoven. Teilnehmerliste für den Festakt in: Z 5/1, Bl. 53-66; Zeitfolge der Eröffnung vervielf. als Drucks. Nr. 2. Zur Erinnerung war für die Teilnehmer eine Mappe erstellt worden, zu denen die Länder jeweils einen Kunstdruck beisteuerten (Z 12/8, dort eine Anforderung einer Mappe; ein Exemplar im StA Augsburg, NL Kleindinst/206). Eine kurze Beschreibung der Feier bei Carlo Schmid: Erinnerungen, S. 357 f. Ein Tonbandmitschnitt im Deutschen Rundfunkarchiv Nr. 48-8457. In der Vorlage „heißen" gestrichen. Nach Notizen von Pfeiffer über eine Sitzung des Ältestenrates vom 8. Sept. 1948 war die Hinzuziehung von Schriftführern in dieser Sitzung beschlossen worden. BayHStA, NL Pfeiffer/175. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 10, Dok. Nr. A 2. 3

Nr. 1

Ich

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Sitzung des Plenums

1.

September 1948

daß

es üblich und notwendig ist. Ich bitte dann den Schriftführer Liste verlesen zu wollen. Schriftführer Dr. Wolff (SPD): Die Drucksache 3710) enthält die Liste nach Län-

Dr.

glaube,

Wolff, die

dern

geordnet.

(Bei dem

nun folgenden Namensaufruf antworten die anwesenden Abgeordneten mit: „Hier".) Für das Land Württemberg-Baden: Herr Dr. Fritz Eberhard, Herr Gustav Zimmermann, Herr Dr. Theodor Heuss, Herr Bürgermeister Theophil Kaufmann, Herr Felix Walter. Für das Land Rheinland-Pfalz: Herr Dr. Adolf Süsterhenn, Herr Dr. Albert Finck, Herr Friedrich Wilhelm Wagner, Herr Karl Kuhn. Für das Land Nordrhein-Westfalen: Herr Dr. Konrad Adenauer, Frau Dr. Helene Weber, Herr Lambert Lensing, Herr Dr. Robert Lehr, Herr Adolf Blomeyer, Herr Josef Schräge, Herr Dr. Walter Menzel, Herr Dr. Löwenthal, Herr Rudolf Heiland, Frau Friederike Nadig, der Abg. Wolff bin ich selber, Herr Hermann

Runge, Herr Max Reimann, Herr Hugo Paul, Herr Johannes Brockmann, Frau Helene Wessel, Herr Dr. Höpker Aschoff. (Zuruf: Verhindert!) Für das Land Niedersachsen: Frau Dr. Elisabeth Seibert, Herr Hans Wunderlich, Herr Heinrich Rönneburg, Herr Ernst Wirmer, Herr Dr. Christoph Seebohm, Herr Wilhelm Heile, Herr Dr. Hermann Schäfer"). Für das Land

Schlweswig-Holstein:

(Zuruf: Nicht da!)

Herr Andreas

Gayk,

Herr Dr. Rudolf Katz, Herr Carl Schröter, Herr Dr. Hermann von Mangoldt. Für das Land Hessen: Herr Dr. Bergsträsser, Herr August Zinn, Herr Dr. Hoch, Herr Dr. von Brentano, Herr Dr. Walter Strauß, Herr Dr. Max Becker. Für das Land Südbaden: Herr Dr. Hermann Fecht, Herr Friedrich Maier. Für das Land Südwürttemberg-Hohenzollern: Herr Dr. Paul Binder, Herr Dr.

Carlo Schmid. Für Bremen: Herr Adolf Ehlers. Für Hamburg: Herr Adolf Schönfelder und Herr Dr. de Chapeaurouge. Für das Land Bayern: Herr Dr. Anton Pfeiffer, Herr Dr. Josef Schwalber, Herr Dr. Gerhard Kro7/, Herr Dr. Wilhelm Laforet, Herr Dr. Ferdinand Kleindinst, Herr Dr. Sigmund Mayr, Herr Dr. Gottfried Schlör, Herr Dr. Kaspar Seibold, Herr Josef Seifried, Herr Jean Stock, Herr Hans Heinz Bauer, Herr Dr. Willibald Muecke, Herr Dr. Thomas Dehler.

')

) 4

In der offiziellen Drucksachen-Folge betraf die Drucks. Nr. 37 einen ganz anderen Gegenstand. Die in den Drucks. Nr. 20 und 21 befindlichen Aufstellungen von Mitgliedern des Pari. Rates waren alphabetisch und nicht nach Ländern gegliedert. Obwohl im nachhinein die Abgeordneten nach ihrer Länderzugehörigkeit und nicht nach ihrer Parteizugehörigkeit aufgerufen wurden, bemängelte General Koenig in einem Schreiben an Clay vom 10. Sept. 1948, die Parlamentarier hätten sich in ihrer ersten Sitzung nicht als Abgeordnete ihrer Länder, sondern als Angehörige ihrer Parteien aufgeführt (Z 45, AG 1948 44/1). Im Druck als Berichtigung am Schluß des Prot.: „Für das Land Niedersachsen noch einzufügen: Herr Dr. Georg Diederichs, Herr Dr. Otto Grève."

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1.

September 1948

Nr. 1

Alterspräs. Schönfelder: Es fehlen also Herr Höpker Aschoff und Herr Gayk. Von Herrn Gayk ist mir bekannt, daß er als Oberbürgermeister der Stadt Kiel jetzt die Kieler Woche

zu inszenieren hat12). Damit wäre die Anwesenheit festgestellt.

[3. WAHL DES PRÄSIDIUMS] Wir kommen jetzt zur Wahl eines Präsidenten. Ich bitte um Vorschläge. Herr Dr. Pfeiffer! Dr. Pfeiffer (CSU): Im Namen der Fraktion CDU/CSU schlage ich dem Hohen Haus zur Wahl als Präsidenten des Parlamentarischen Rates den Abg. Dr. Konrad Adenauer vor13) Herr Abg. Alterspräs. Schönfelder: Werden weitere Vorschläge gemacht? Schmid! Dr. Schmid (SPD): Als 1, stellvertretenden Vorsitzenden schlage ich namens der Sozialdemokratischen Fraktion den Herrn Abg. Schönfelder vor. Herr Abg. Alterspräs. Schönfelder: Werden weitere Vorschläge gemacht? Heuss! Dr. Heuss14) (FDP): Als 2. Stellvertreter schlage ich den Herrn Abg. Dr. Schäfer -

-

-

vor.

Ich habe den Eindruck, daß der Parlamentarische Rat diese Wahl vereinfachen und nicht, wie es in dem überreichten provisorischen Schriftsatz, der eine Geschäftsordnung darstellen soll, vorgeschrieben ist, mit verdeckten Stimmzetteln wählen will. Wenn das Verfahren nach den Vorschlägen vereinfacht werden soll, dann könnten wir, so meine ich, geschlossen durch Akklamation abstimmen15). Ist das die Meinung des Rates?

Alterspräs. Schönfelder:

(Zustimmung.)

Wenn das der Fall ist, lasse ich durch Akklamation abstimmen. Wer für den

der eben laut wurde ich brauche die Anträge kaum zu wiederholen -, den bitte ich, eine Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. Ich stelle die einstimmige Annahme fest.

Vorschlag ist,

-

-

-

(Reimann: Zwei Stimmen Enthaltung!) 12) 13)

14)

Die Kieler Woche fand erstmals nach dem Kriege wieder vom 1.-5. Sept. 1948 statt. Zur Vorgeschichte der Wahl von Adenauer zum Präsidenten und den weiteren Nominierungen siehe Rudolf Morsey: Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat, insbes. S. 64-67. Siehe auch Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 4. Die Wahl war zuvor im Rahmen der Verteilung der Ausschußvorsitz-Posten offenbar unter den Fraktionen abgesprochen worden. Siehe auch die Aufzeichnung „Vorsitz in den Ausschüssen", ungez. und undat. in: BayHStA NL Pfeiffer/175. Von Heuss in der Vorlage handschr. korrigiert aus DVP in „F.D.P.". Offiziell erfolgte der Zusammenschluß der liberaldemokratischen Parteien (FDP, LDP, Demokratische Partei, Demokratische Volkspartei) zur FDP erst am 11. Dez. 1948 in Heppenheim. Dieter Hein:

Zwischen Milieupartei und nationaler Sammlungsbewegung. Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945-1949. Düsseldorf 1985, S. 316 ff. 15) Dabei handelte es sich wohl um die Drucks. Nr. 4: Entwurf einer Geschäftsordnung des Pari. Rates. Berichtigung durch Drucks. Nr. 9. Bestimmungen über den Wahlmodus waren darin allerdings nicht enthalten. 5

Nr. 1

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Zwei Stimmen Enthaltung! Dann frage ich, ob die Vorbereitungen getroffen sind, auch che Schriftführer zu wählen16)? Das scheint nicht der Fall -

(Dr. Schmid: Ich bitte

jetzt schon zu

sämtli-

sein.

-

ums

[4. ANTRAG DR. SCHMID

Wort!)

AUF TEILNAHME DER VERTRETER

BERLINS]

Herr Abg. Schmid! Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren! Ein Parlament, das den Auftrag hat, in dem Teil Deutschlands, in dem das deutsche Volk in wenigstens relativer Freiheit und Selbstbestimmung von dem Rechte Gebrauch machen kann, die Ausübung seiner Hoheitsbefugnisse selbst zu organisieren, wäre unvollständig, wenn darin nicht Berlin vertreten wäre17). Wir haben hier miteinander ein gesamtdeutsches Anliegen zu erfüllen, wenngleich vorläufig auf beschränktem Raum und mit beschränkter sachlicher Reichweite. Darum sollte hier das gesamte deutsche Volk vertreten sein, soweit es die Möglichkeit hat, Vertreter aufzustellen und hierher zu senden. Umstände, die zu ändern außerhalb unseres Vermögens steht, machen es heute noch unmöglich, andere als die hier vertretenen deutschen Länder und Berlin mit vollberechtigten Vertretern an unseren Arbeiten zu beteiligen. Uns aber von den Berlinern wenigstens beraten zu lassen, von diesem Teil des deutschen Volkes, der mehr als irgendein anderer gezeigt hat, daß man für die Freiheit Opfer bringen muß, wenn man sie verdienen will, wird uns niemand verwehren können. Ich bitte Sie daher namens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, folgendem Antrag Ihre Zustimmung zu geben: Der Parlamentarische Rat wolle beschließen, die Delegierten Berlins, nämlich die Herren Jakob Kaiser, Paul Löbe, Ernst Reuter, Hans Reif, Otto Suhr einzuladen, an den Arbeiten des Parlamentarischen Rates als Gäste mit beratender Stimme teilzunehmen. (Bravo! Reimann: Ich bitte ums Wort!) -

16) 17)

6

Dieser Wahlmodus war unter den Parteien verabredet worden. Siehe Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 7. Die Form der Teilnahme von Berliner Vertretern war noch am Vortage, am 31. Aug. 1948, zwischen einer Delegation der Ministerpräsidenten und alliierten Verbindungsoffizieren besprochen worden. Dabei war seitens der Alliierten unter anderem gesagt worden, die Berliner könnten nur als Beobachter teilnehmen, sie sollten sich aber nicht an den Debatten beteiligen. Man solle zur Zeit nicht zuviel Aufsehen erregen. (Abdr. des Prot, in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 410 ff.). Die Art und Weise, wie die Berliner Abgeordneten dann eingeführt wurden, wurde von den Alliierten heftig kritisiert; siehe Anm. 39.

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September 1948

[5. ANTRAG REIMANN AUF EINSTELLUNG DER BERATUNG ÜBER EINE SEPARATE WESTDEUTSCHE VERFASSUNG] Herr Abg. Reimann! Meine Damen und Herren! Der Antrag der sozialdemokrati(KPD): schen Fraktion und meine Rede stießen tief in die Problematik dieses Parlamentarischen Rates hinein. Der Parlamentarische Rat ist auf Grund der Londoner Empfehlungen18) zusammengesetzt worden, um einen westdeutschen Staat zu schaffen und diesem westdeutschen Staat eine Verfassung zu geben. Somit wird Deutschland gespalten. Wir sind der Auffassung, daß gerade was die Stadt Berlin anbelangt, wir in der jetzigen Situation äußerste Vorsicht beobachten müssen. Es hat keinen Zweck, wenn wir als Deutsche die sich anbahnenden Verhandlungen der alliierten Großmächte19) durch einen solchen Akt stören. Die Uneinigkeit der alliierten Großmächte wird letzten Endes auf dem Rücken des deutschen Volkes ausgetragen, und wir haben als Deutsche allen Grund, jedes Moment der Störung zu beseitigen. (Zuruf: Das haben Sie schon drei Jahre versäumt!) Ich stelle daher folgenden Antrag: Der Parlamentarische Rat stellt seine Beratungen über eine separate westdeutsche Verfassung ein.

Alterspräs. Schönfelder:

Reimann

(Heiterkeit.)

Begründung: 1. Die Bildung des Parlamentarischen Rates erfolgte Londoner Empfehlungen20). Diese aber verstoßen gegen denden Verträge von Jalta21) und Potsdam22).

auf der Grundlage der die völkerrechtlich bin-

18) Abdr. der Londoner Empfehlungen in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. 19) Reimann hatte in einer Unterredung mit Adenauer am Tage zuvor bereits mitgeteilt, in Moskau und Berlin werde es eine Einigung geben und daher solle man den Beginn des Pari. Rates um 14 Tage verschieben. Siehe Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 4. Zu den Bemühungen, die Berlin-Krise beizulegen, siehe Foreign Relations of the United States 1948, Vol. II, Washington 1973, S. 867 ff. Als neue Gesamtdarstellung zur Geschich1945, wo auch die mittlerweile umfangreiche Spezialliteratur angegeben ist, jetzt Arthur Schlegelmilch: Hauptstadt im Zonen-Deutschland. Die Entstehung der Berliner Nachkriegsdemokratie 1945-1949. Berlin 1993, sowie Jörg Rengel: Berlin nach 1945. Politisch-rechtliche Untersuchungen zur Lage der Stadt im geteilten Deutschland. Frankfurt [. .] 1993. Ausführlich auch Krieger: General Lucius D. Clay, S. 345 ff. Londoner Empfehlungen abgedr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. Auf der Konferenz von Jalta (4.-11. Febr. 1945) wurde von Roosevelt, Churchill und Stalin über die europäische Nachkriegsordnung und die Schaffung der UNO verhandelt. Foreign Relations of the United States, Diplomatie Papers, The Conferences at Malta and Yalta 1945, Washington 1955. Zusammenfassend siehe auch Ernst Deuerlein: Die Einheit Deutschlands Bd. I. Die Erörterungen und Entscheidungen der Kriegs- und Nachkriegskonferenzen 1941-1949. Darstellung und Dokumente. Frankfurt/Main, Berlin 1961. Zum Potsdamer Abkommen vgl. Michael Antoni: Das Potsdamer Abkommen Trauma oder Chance? Geltung, Inhalt und staatsrechtliche Bedeutung. Berlin 1985. Fritz Faust: Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung. 4. A., Frankfurt 1969. Alexander Fischer (Hrsg.): Teheran, Jalta, Potsdam. Die sowjetischen Protokolle von den Kriegskonferenzen der „Großen Drei". Köln 1968. Gisela Biewer (Bearb.): Die Konferenz von Potsdam. Dokumente zur Deutschlandpolitik. II. Reihe/Band 1 (in drei Teilbänden) Hrsg. vom Bundesministerium des Innern. Neuwied-Frankfurt/Main 1992. te Berlins nach

20) 21)

22)

.

-

7

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1.

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(Zurufe23) und Heiterkeit.) In diesen Verträgen haben die vier Großmächte die Ausübung der staatsrechtlichen Souveränität in Deutschland mit der Verpflichtung übernommen, für die Errichtung eines einheitlichen demokratischen Deutschlands zu sorgen und dann die Souveränität an das deutsche Volk zurückzugeben. Bis zu diesem Zeitpunkt könnten staatsrechtliche Veränderungen nur durch alle vier Großmächte gemeinsam vorgenommen werden. 2. Der Parlamentarische Rat hat kein Mandat vom deutschen Volk. Er ist sogar gegen den Willen der Mehrheit aller Deutschen errichtet worden. (Heiterkeit.) Das deutsche Volk will eine einheitliche demokratische Verfassung, die von einer durch das ganze deutsche Volk

versammlung ausgearbeitet

und dann dem Volke

zur

Republik

mit einer

gewählten NationalAbstimmung vorgelegt

wird. In Moskau bemühen sich die Vertreter der vier Großmächte, eine gemeinsame Lösung für ganz Deutschland zu finden. Die Einigung der Alliierten liegt im Interesse des deutschen Volkes. Uneinigkeit wird auf dem Rücken des deutschen Volkes, besonders der Werktätigen, ausgetragen. Daher sollten die deutschen Politiker es vermeiden, Handlungen zu begehen, die diese Einigung stören. Die gemeinsamen Verhandlungen der Alliierten über Deutschland werden durch die Schaffung einer separaten Verfassung, die das sogenannte Grundgesetz darstellt, torpediert. Es sollen dadurch fertige Tatsachen geschaffen werden. Aus diesen Gründen beantragt die Kommunistische Partei Deutschlands, die Beratungen des Parlamentarischen Rates über eine westdeutsche Verfassung wie ebenso über eine westdeutsche Regierung sofort einzustellen. Diesem Parlamentarischen Rat gegenüber schlagen wir vor, daß Verhandlungen aufgenommen werden, daß die Vertreter aller demokratischen deutschen Parteien in Verbindung mit dem deutschen Volksrat24) den Alliierten einen einheitlichen deutschen Vorschlag über die Bildung einer einheitlichen deutschen demokratischen Republik vorlegen. Alterspräs. Schönfelder: Das Wort hat Herr Dr. Pfeiffer. Dr. Pfeiffer (CSU): Hohes Haus! Als heute um die Mittagsstunde der Herr Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion den von ihm vor einigen Minuten vorgelegten und begründeten Antrag in einer interfraktionellen Besprechung25) vortrug, da stellte sich heraus, daß zur gleichen Stunde, in der seine Fraktion hierüber beraten hatte, diese Frage auch in anderen Fraktionen erörtert worden war. Es wurde dabei mitgeteilt, daß die Fraktion der CDU/CSU zum gleichen Ergebnis gekommen war, einen Antrag in gleicher Richtung formuliert hatte. So hat es sich ergeben, daß nicht nur eine Fraktion dem vorliegenden Antrag zustimmt, sondern daß er eigentlich das gemeinsame Geistesgut sämtli-

23) In der Vorlage korrigiert aus „Große Unruhe". 24) Zum Deutschen Volksrat siehe Anm. 40. 25) Über die interfraktionelle Besprechung vom 1. Sept. ermitteln.

8

1948 ließen sich

Unterlagen nicht

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1.

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Nr. 1

eher Fraktionen dieses Hohen Hauses ist, mit Ausnahme der Fraktion meines unmittelbaren Herrn Vorredners. Ich habe den Auftrag, im Namen der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP, des Zentrums und der Deutschen Partei die Zustimmung zu diesem Antrag auszusprechen. Gestatten Sie mir nun aber darüber hinaus noch eine geschäftsordnungsmäßige Bemerkung, die dahin geht: Der Antrag, den der Herr Vorsitzende der Fraktion der SPD vorhin eingebracht hat und der mit unserer Zustimmung rechnen kann, sollte die Konstituierung des Parlamentarischen Rates abschließen. Wir haben zunächst durch den Namensaufruf festgestellt, wer dem Hohen Haus auf Grund des in den Ländern der Westzonen angenommenen Modellgesetzes26) und des Auftrags, der im Dokument I27) vom 1. Juli ds. Js. enthalten ist, angehört. Dann sind wir zur Wahl des Präsidiums geschritten. Wir haben festgestellt, daß die Ergänzung des Präsidiums durch die Wahl der Schriftführer in der nächsten Sitzung stattfinden soll. Und nun war der Augenblick gekommen, wo den anwesenden Gästen, die als Vertreter der Stadt Berlin von den Ministerpräsidenten hierher eingeladen wurden, um einer Eröffnungsfeier beizuwohnen, der Wille des Hauses bekundet werden sollte, daß wir sie sehr gern, als die, fast möchte ich sagen, symbolischen Vertreter aller Deutschen, die nicht ihre Vertreter auf Grund der Wahlgesetze zu uns senden können, bei uns sehen, daß sie bei uns weilen und mit uns tagen und beraten sollen. Damit ist die Konstituierung des Parlamentarischen Rates abgeschlossen. Und nun wäre es an der Zeit, daß die Geschäftsführung an den gewählten Präsidenten dieses Hauses übergeht. Infolgedessen beantrage ich, daß der Antrag, der uns von der kommunistischen Fraktion unterbreitet wurde, dem ordnungsgemäß gewählten Präsidenten zur Behandlung überwiesen wird. Grundsätzlich habe ich dazu ein paar Worte in der Richtung zu bemerken: Wir sind zum ersten Mal eine Volksvertretung, die immerhin 46 Millionen Menschen vertritt. Wir haben die Aufgabe, ein Grundgesetz zu schaffen, auf dem in dem Teil Deutschlands, der durch den Parlamentarischen Rat vertreten wird, die ganze staatliche, die moralische Ordnung, die ganze Wirtschahspolitik und Sozialpolitik aufbauen muß, einen Boden zu legen, der uns gestattet, aus eigener Kraft alles zu tun, was wir für den Wiederaufbau Deutschlands leisten können, und der auch für Deutschland wieder den Weg in die große europäische Völkerfamilie hinein öffnet. In dieser Stunde uns zuzumuten, gewissenlos genug zu sein, diese Möglichkeit, die in unsere Hand, die uns aufs Gewissen gelegt ist, beiseite zu schieben, finde ich geradezu unerhört. Es liegt auf uns die Pflicht, zu tun, was uns möglich ist, um unser Volk im Bereich der drei Westzonen, da wir leider die vierte Zone nicht einschließen können, voranzubringen, zu stärken und ihm die Anfänge eines wirklich rechtlichen, demokratischen staatlichen Lebens zu bauen.

Zur Schaffung eines Modellgesetzes für die Wahlen zum Pari. Rat durch die Länder siehe Der Pari. Rat Bd. 1, S. 283 ff. ) Das Frankfurter Dokument Nr. I betraf den Auftrag der Alliierten, eine Verfassung zu schaffen, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30-32.

J

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1.

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Und noch ein weiteres Wort dazu! Ich glaube, wir sind verpflichtet, hier im Namen des deutschen Volkes zu sprechen und seine Stimme durch die ganze Welt erklingen zu lassen. Wir sind berufen, ein deutsches Staatsgrundgesetz zu schaffen, und wir sind die Wortführer gesamtdeutscher Interessen. Nun von der Erfüllung unserer Pflicht deswegen abzusehen, weil vielleicht im Gefüge der internationalen Politik da und dort ein Stirnrunzeln entstehen könnte, dazu halte ich uns nicht für berechtigt. Ich bin der Meinung: Als Deutsche müssen wir erst recht zeigen, daß wir eine deutsche Arbeit für unser Volk leisten wollen und daß wir nicht schauen nach einem fremden Gängelband oder nach dem Reflex fremder Interessen und fremder internationaler Politik auf unser Volk.

(Reimann: Zur Geschäftsordnung!) Alterspräs. Schönfelder: Meine Damen

und Herren, gestatten Sie mir dazu ein Wort! Ich bin mit dem Herrn Vorredner der Meinung, daß nach der Entscheidung über den Antrag des Herrn Abg. Dr. Schmid über die Zulassung der Berliner Vertreter die Konstituierung vollzogen ist. (Reimann: Zur Geschäftsordnung!) Bitte schön! Ich frage den Parlamentarischen Rat, (Reimann: Ich bitte ums Wort zur Geschäftsordnung!) -

ob

die Debatte fortsetzen will. Ich bitte, über die Anträge(Reimann: Zur Geschäftsordnung! Ich habe mich vor der Abstimmung Geschäftsordnung gemeldet! Unruhe.)

er

Ich

gebe

Ihnen das Wort

-

zur

Geschäftsordnung jetzt nicht. Geschäftsordnung,

Reimann (KPD) [tritt ans Rednerpult heran]28): Zur sident! Wir stehen noch nicht in der Abstimmung.

-

zur

Herr Prä-

(Laute Zurufe: Unerhört!) Ich habe mich zum Wort gemeldet, bevor der Herr Präsident in die Abstimmung eintrat.

(Steigende Erregung und Zurufe: Unverschämt!) Ich werde gegen diese Vergewaltigung ankämpfen. Ich habe mich zum Wort gemeldet, bevor der Präsident in der Abstimmung stand, und ich werde hier sprechen! (Erregte

Zurufe: Schluß damit! Raus!) Ich stelle zunächst fest, daß der Vorredner sich selbst widersprochen, daß er durch den letzten Teil seiner Ausführungen den ersten Teil und damit sich selbst ad absurdum geführt hat.

;) Die Rheinisch-Westfälische Rundschau vom 2. Sept. 1948 (Artikel „Deutsches Parlament am Rhein", in: Z 5/178 F) schilderte den Vorfall wie folgt: „Noch ehe der gewählte Ratsvorsitzende Dr. Adenauer von seinem Präsidentenstuhl Besitz ergreifen konnte, kam durch den Kommunisten Max Reimann zu einer Tumultszene. Reimann hatte unter dem Gelächter des Hauses beantragt, der Parlamentarische Rat möge sich sofort auflösen, weil seine Arbeit die Moskauer Viererverhandlungen störe und die Einheit Deutschlands spalte [. .] Obwohl ihm das Wort nicht erteilt war, stürmte er zum Rednerpult und suchte den weitersprechenden Alterspräsidenten zu übertönen. Die Abgeordneten sprangen von ihren Sitzen auf und wandten sich teilweise zur Türe. Die Vertreter der Militärgouverneure verließen den Saal." es

.

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1,

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Nr. 1

(Fortdauernde Unruhe. Viele Abgeordnete erheben sich von den Plätzen.) liegen zwei Anträge vor; über sie muß nach der Geschähsordnung und parlamentarischem Brauch abgestimmt werden, und zwar über beide Anträge, nicht nur über einen, und in diesem Gang. In diesem Abstimmungsgang wird darüber abgestimmt; und nicht anders. (Wachsende Erregung im ganzen Hause.) Alterpräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die Ruhe zu behalten. Dem Redner kann Genüge geschehen. Reimann (KPD): Verfassungshagen sind Kampfhagen! Alterspräs. Schönfelder: Ich schlage Ihnen vor, daß wir nunmehr ohne weitere Es

Debatte über beide Anträge abstimmen. Der Antrag der Kommunisten ist zweifellos der weitergehende. Herr Abg. Reimann, Sie werden sich über das Schicksal Ihres Antrags wohl im klaren sein. (Reimann: Wir wollen nur Ihre Stellungnahme wissen.) Gut. Ich bitte Sie aber, die einfachsten parlamentarischen Regeln zu beachten. Wir haben noch keine Geschähsordnung, und der Parlamentarische Rat ist in jedem Augenblick Herr seiner Entscheidungen. Ich schlage also vor, nunmehr über beide Anträge abzustimmen und damit die Konstituierung des Parlamentarischen Rates als vollendet anzusehen. Ist jemand anderer Meinung? (Reimann: Zuerst wird also über die Anträge abgestimmt?) Herr Reimann, Sie haben nicht zugehört. Ich lasse zunächst über den kommunistischen Antrag abstimmen, der der weitergehende ist. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. Der Antrag der KPD ist mit allen gegen zwei Stimmen abgelehnt. Ich lasse nunmehr über den Antrag des Herrn Abg. Dr. Schmid abstimmen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich, seine Hand Ich danke. Die Gegenprobe! zu heben. Gegen zwei Stimmen angenom-

-

-

-

-

-

men.

Damit ist der Parlamentarische Rat konstituiert. Ich bitte nunmehr das

Präsidium, die Geschähe (Lebhafter Beifall.)

zu

übernehmen.

gewählte

[6. DR. ADENAUER ÜBERNIMMT DAS PRÄSIDIUM] Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Ich denke, daß wir nach diesem Intermezzo jetzt schnell zu Ende kommen, damit wir an die praktische Arbeit

herangehen

können. Ich danke Ihnen zunächst auch namens meiner beiden Stellvertreter für das Vertrauen, das Sie uns durch Ihre Wahl bekundet haben. Seien Sie überzeugt, daß wir unser Amt völlig unparteiisch und objektiv wahrnehmen werden! Ich danke dann dem Alterspräsidenten Herrn Schönfelder, der in jugendlicher Frische und Stärke soeben hier seines Amtes gewaltet hat. 11

Nr. 1

Erste

Sitzung des Plenums

1.

September 1948

Ich danke auch dem Gremium der Ministerpräsidenten für die Vorarbeiten, die es geleistet hat29) und die uns sicher bei der Erfüllung unserer Aufgabe sehr wertvoll sein werden. Lassen Sie mich weiter danken dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, da das Land Nordrhein-Westfalen die technischen Vorbereitungen dieser unserer Tagung übernommen und in ausgezeichneter Weise durchgeführt hat30). Ein besonderes herzliches Willkommen an die Herren aus Berlin! Ich nehme an, daß die Herren jetzt schon hier Platz genommen haben. Noch nicht31)? Dann bitte ich, rücken Sie in die Reihen herein. Es sind noch einige Sessel frei32). (Die Vertreter Berlins nehmen unter lebhaften Beifallskundgebungen ihre -

Sitze ein.) Meine Damen und Herren! Sie selbst haben ein herzliches Willkommen ausgesprochen. Wir würden uns alle freuen, wenn wir aus den Ländern der Ostzone ebenfalls freigewählte Vertreter hier begrüßen könnten. Und nun lassen Sie mich einige Worte über Wirken und Aufgabe des Parlamentarischen Rates sagen. Er ist ins Leben gerufen durch einen Akt der Militär-Gouverneure der drei Westzonen, durch einen Akt, wie er in dem Dokument niedergelegt ist, das den Ministerpräsidenten der drei Westzonen am

Juli dieses Jahres übergeben wurde33). Nachdem

er aber nunmehr sich konstiim Rahmen der ihm gestellten Aufgaben völlig frei und völlig selbständig. Es wird meines Erachtens die vornehmste Pflicht des Rates, aber auch des Präsidenten und seiner Stellvertreter sein, diese völlige Freiheit und Unabhängigkeit ständig zu wahren und sicherzustellen. Der Parlamentarische Rat beginnt seine Tätigkeit wir haben es heute morgen bei der Feier im Museum Koenig gehört34) und wir wissen es ja alle in einer Zeit der völligen Ungewißheit über Deutschlands Zukunft. Ja, auch die Zukunft Europas und der Welt ist dunkel und unsicher, und Deutschland selbst ist

1.

tuiert

hat, ist

er

-

-

29)

Zu den Vorarbeiten gehörten u. a. der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee (siehe Der Pari. Rat Bd. 2) und organisatorische Vorbereitungen, die teilweise durch das Büro

der

30)

31)

Ministerpräsidentenkonferenz

in Wiesbaden

durchgeführt

wurden. Noch

am

31. Aug. 1948 hatten die Ministerpräsidenten in Niederwald beraten. Der Pari. Rat Bd. 1, S. 337 ff. Zu den technischen Vorarbeiten, die insbesondere vom Land Nordrhein-Westfalen und von der Stadt Bonn geleistet wurden, siehe Dietrich Höroldt: 25 Jahre Bundeshauptstadt Bonn. Eine Dokumentation. Bonn 1974. Adenauer dankte MinPräs. Arnold unter dem 1. Sept. 1948 für die geleistete Arbeit. Mensing: Adenauer, Briefe, S. 307 f. Ein Sitzplan für das Plenum, Stand 21. Okt. 1948, in: PA 5/28. Demnach saßen die Abgeordneten an Tischen mit je drei Sitzplätzen in drei Reihen. In der ersten Reihe

saßen

von

links nach rechts: Reimann (KPD), Dr. Menzel (SPD), Dr. Schmid (SPD), Loebe Dr. Seebohm (DP), Brockmann (Z), Dr. Pfeiffer (CSU), Dr.

(SPD-Berlin), Dr. Heuss (FDP), Adenauer (CDU).

32) Folgt

in der Vorlage gestrichen: „Das Arrangement getroffen werden."

33) Abdr. der Frankfurter Dokumente

34) 12

wird bis

zur

nächsten

Sitzung

in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff. Zur Auseinandersetzung der Länder mit den Frankfurter Dokumenten siehe Bettina Blank: Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik. Zur Auseinandersetzung um die Frankfurter Dokumente. München 1995. Siehe Anm. 7.

Erste

Sitzung des Plenums

1.

September 1948

Nr. 1

politisch ohnmächtig. Es ist in zwei Teile geteilt. Wir Vertreter des Parlamentaich möchte das auch gegenüber den rischen Rates hier in diesem Saale Ausführungen des Herrn Kollegen Reimann nachdrücklich unterstreichen vertreten 46 Millionen Deutsche. Meine Damen und Herren! Das Dasein des Parlamentarischen Rates selbst ist, wie ich eingangs sagte, zurückzuführen auf einen Entschluß eines Teiles der Siegermächte. Für jeden von uns war es eine schwere Entscheidung, ob er sich bei dem heutigen Zustand Deutschlands, bei der mangelnden Souveränität auch dieses Teiles Deutschlands zur Mitarbeit zur Verfügung stellen dürfe und solle. Ich glaube, verehrte Anwesende, eine richtige Entscheidung auf diese Frage kann man nur dann finden, wenn man sich klarmacht, was denn sein würde, welche Folgen für Deutschland und für das deutsche Volk eintreten würden, wenn dieser Rat nicht ins Leben träte. Die drei Mächte, die sich entschlossen haben, diesen Rat ins Leben zu rufen, ließen sich dabei von der Absicht leiten, daß dem politisch völlig auseinandergebrochenen deutschen Volke eine neue politische Struktur gegeben werde, in seinem Interesse, aber auch im Interesse Europas und der gesamten Welt. Das muß auch unser Ziel sein, und darum müssen wir die uns gebotene Möglichkeit nutzen, um den jetzigen unmöglichen politischen Zuständen in Deutschland ein Ende zu bereiten. Wir müssen das tun, auch wenn unsere Arbeit vorerst nur einem Teil Deutschlands zugute kommt. Denn, meine Damen und Herren, einmal muß ein Anfang gemacht werden, und einmal muß Schluß sein mit dem ewigen Weiterwursteln und Auseinanderfallen. Wir gehen an unsere Arbeit in der festen und unerschütterlichen Absicht, auf diesem Wege wieder zur Einheit von ganz Deutschland, der Einheit, die unser Ziel ist und unser Ziel bleibt, zu gelangen. Welche Ergebnisse unsere Arbeit für ganz Deutschland haben wird, das hängt von Faktoren ab, auf die wir nicht einwirken können. Trotzdem wollen wir die historische Aufgabe, die uns geund es ist in Wahrheit nach diesem Zusammenbruch des Jahstellt ist res 1945 eine historische Stunde und eine historische Aufgabe -, unter Gottes Schutz mit dem ganzen Ernst und mit dem ganzen Pflichtgefühl zu lösen versuchen, die die Größe dieser Aufgabe von uns verlangt. -

-

-

(Bravorufe.)

[7. GESCHÄFTLICHES] Meine Damen und Herren! Wir fahren in der Tagesordnung fort. (Paul: Ich bitte ums Wort zu einer Erklärung!) Ich bedaure. Wollen Sie zur Geschähsordnung des Wort? (Paul: Ich möchte eine Erklärung im Namen der Kommunistischen Partei

-

abgeben.)

Wir35) -

am

müssen

Schluß der

jetzt die Tagesordnung erledigen. Ich stelle Ihnen anheim,

Tagesordnung

eine

Erklärung abzugeben.

in der Vorlage gestrichen: „Dann Tagesordnung abgeben."

) Folgt

können Sie diese

Erklärung

am

Schluß der

13

Nr. 1

Erste

Sitzung des Plenums

1.

September 1948

(Paul: Einverstanden!) Meine Damen und Herren! Wir müssen zunächst nach einer interfraktionellen Vereinbarung36) einen Ältestenrat wählen, damit wir uns über den Fortgang der Arbeiten, über die Einsetzung der nötigen Kommissionen schlüssig werden können. Es ist weiter nötig, daß wir sobald wie möglich einen Geschäftsordnungsausschuß wählen. In diesem Geschäftsordnungsausschuß sollen nach der Meinung, die innerhalb der interfraktionellen Besprechungen laut geworden ist, alle politischen Parteien wenigstens mit einem Mitglied vertreten sein, die größten Fraktionen natürlich entsprechend stärker. Ich glaube, wir sollten es bei unserer ersten Sitzung, damit das Schiff in Fahrt kommt, mit den Formalitäten nicht so genau nehmen. (Reimann: Es hat aber einen verflucht schlechten Steuermann!) Warten Sie mal ab, Herr Reimann!

(Heiterkeit.)

-

Wir sollten es, sage ich, nicht so genau nehmen, sondern es den Fraktionen überlassen, die Namen der Mitglieder, die sie in den Geschäftsordnungsausschuß37) entsenden wollen, dem Präsidum mitzuteilen.

(Sehr richtig!)

Damit sind Sie also einverstanden. Nun kämen wir noch zur Einsetzung des Ältestenrats. Ich schlage Ihnen da vor, daß zunächst bis auf weiteres dasselbe Gremium, das die interfraktionelle Besprechung heute morgen abhielt38), zusammentritt. Wir werden uns darüber

noch

verständigen und werden Geschäftsordnungsausschusses.

uns

verständigen

auch über den

Umfang

des

Ehe ich mehreren Herren, die sich zum Wort gemeldet haben, das Wort gebe, schlage ich in Ubereinstimmung mit der interfraktionellen Vereinbarung weiter vor, die nächste Sitzung unseres Parlamentarischen Rates in der nächsten Woche abzuhalten. Der genaue Termin wird noch mitgeteilt werden. Wir müssen uns über ihn noch verständigen. Ich schlage Ihnen weiter vor, daß die Fraktionen in ihren Fraktionszimmern zusammenbleiben, damit das Ergebnis der Besprechungen im interfraktionellen Ausschuß ohne weiteres mit den Fraktionen verhandelt und ihre Zustimmung eingeholt werden kann. Ich stelle fest, daß Sie auch damit einverstanden sind. Dann erteile ich zunächst Herrn Löbe das Wort.

36) Vgl. Aufzeichnung über die

Besprechung vom 1. Sept. 1948, bei der Ausschüssen Einvernehmen erzielt wurde. Demnach wurde dort vereinbart, daß in den Ältestenrat die großen Parteien je drei Vertreter, die DP, FDP, KPD, Zentrum je einen Vertreter entsenden sollten. Paul Löbe sollte als Gast zugelassen werden. BayHStA, NL Pfeiffer/72. Siehe Bd. 10 dieser Edition. 37) Mitglieder im Geschäftsordnungsausschuß wurden nach Drucks. 22 b: Kaufmann (stellv. Vorsitzender), Dr. de Chapeaurouge, Dr. Seibold (CDU/CSU); Schönfelder (Vorsitzender), Dr. Bergsträsser, Zimmermann (SPD); Dr. Schäfer (FDP); Dr. Seebohm (DP); Paul (KPD); Wessel (Z). 38) Ein Protokoll dieser Sitzung ließ sich nicht ermitteln. Handschr. Notizen von Pfeiffer in: BayHStA, NL Pfeiffer/72. unter Punkt 6 über die

14

2. interfraktionelle

Bildung

von

Erste

[8.

Sitzung des Plenums

DANKESWORTE DES ABG.

1,

September 1948

Nr. 1

LÖBE (SPD)]

Löhe (SPD) [mit Beifall begrüßt]: Sehr geehrte Abgeordnete! In diesem Augenblick will ich die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates nicht aufhalten. Aber es drängt mich doch, Ihnen Dank zu sagen für den Entschluß, den Sie mit Annahme des Antrags Schmid bekundet haben, und dem Herrn Präsidenten Dank zu sagen, daß er uns aufforderte, in Ihren Reihen Platz zu nehmen. Ich darf diesen Dank aussprechen im Namen der hier anwesenden Delegation, die die drei demokratischen Parteien der Berliner Stadtverordnetenversammlung umfaßt, eine Delegation, die nicht ohne Mühe zustande gekommen ist, wovon Sie vielleicht Kenntnis erlangt haben. Ich darf ihn aber auch aussprechen im Namen einer ganz erdrückenden Mehrheit der Berliner Bevölkerung. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.) Seien Sie versichert: Wenn dieser Ihr Beschluß heute abend in Tausenden von Radios in Berlin gehört wird, so werden es wenige sein, die daraus ein Recht auf die Beschuldigung der Spaltung herleiten werden. Im Gegenteil, sie werden es als eine Bekundung der Solidarität des westlichen Deutschlands mit dem Osten ansehen. Wenn wir nunmehr Gelegenheit haben, Ihre Ansichten zu erfahren, unsere Wünsche und unsere Kenntnis Ihnen zu übermitteln, dann werden Sie bald die Überzeugung gewinnen, wir Berliner Delegierten werden nichts anderes tun, als die Stimmen derjenigen ihrer Landsleute zu erheben, die heute nicht die Freiheit haben, es selber zu tun. Das sehen wir als unsere Aufgabe an. Wir danken Ihnen, daß Sie es uns ermöglichen wollen39).

(Lebhafter Beifall.)

[9. ERKLÄRUNG DES ABG. PAUL (KPD)] Präs. Dr. Adenauer: Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abg. Paul. Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Sie haben beschlossen, daß hier Vertreter Berlins, und zwar der drei demokratischen Parteien Berlins, CDU, SPD und LDP, aufgenommen werden sollen. Sie haben damit einen Akt vollzogen, der

')

Die Form der Teilnahme der Berliner Abgeordneten erregte den Unwillen der Alliierten. Von englischer Seite wurde eine „starke Verstimmung darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Teilnahme der Berliner Vertreter nicht in der unauffälligen Form vor sich gegangen sei, welche die alliierten Befehlshaber vorgesehen hatten. Man fühle sich englischerseits ,black-mailed' (erpreßt)." (Vermerk von Werz vom 4. Sept. 1948, Z 12/11, Bl. 285). Dennoch spielte die SPD-Fraktion zumindest zeitweise mit dem Gedanken, in Berlin auch einmal eine Plenarsitzung oder auch nur eine Sitzung des HptA abzuhalten (Bericht von Leisewitz, ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 22. Okt. 1948, in: Z 12/118). Auch eine Gruppe jüngerer Abgeordneter hatte Anfang Okt. 1948 wohl erwogen, eine Sitzung in Berlin vorzuschlagen, was die britischen und französischen Verbindungsoffiziere bewog, vorsorglich auf den provozierenden Charakter eines solchen Vorhabens hinzuweisen (ebenda, Bericht vom 6. Okt. 1948). 15

Nr. 1

Erste

Sitzung des Plenums

1.

September 1948

sich nicht günstig für die Regelung der Berliner und auch der Deutschlandfrage auswirken wird. (Zuruf: Woher wissen Sie das, Herr Paul?) Die Entwicklung wird das beweisen. Sie haben sich damit eindeutig und klar für die Bildung eines westdeutschen Staates und nicht für die Einigung über ein einheitliches Deutschland ausgesprochen. (Lebhafter Widerspruch und Zuruf: Welche Logik!) Im Namen der Kommunistischen Partei möchte ich in Anbetracht dieser Lage folgende Erklärung abgeben: Nachdem Sie, meine Damen und Herren, gegen unsere Stimmen unseren Antrag auf Einstellung der Beratungen über eine westdeutsche Verfassung abgelehnt haben und damit dokumentieren, daß Sie die Verhandlungen der vier Besatzungsmächte über eine einheitliche deutsche demokratische Republik stören, für die Bildung eines westdeutschen Staates eintreten und somit unsere deutsche Heimat zerreißen, erklären wir Vertreter der Kommunistischen Partei: Die Kommunistische Partei Deutschlands wird in diesem Gremium in Verbindung mit der gesamten deutschen werktätigen Bevölkerung für die Einheit unseres Vaterlandes und für eine einheitliche demokratische deutsche Republik weiterkämpfen. (Unruhe und Lachen.) Unsere Grundlage in diesem Kampf bilden die Richtlinien einer gesamtdeutschen Verfassung, wie sie der Verfassungsausschuß des Deutschen Volksrates -

ausgearbeitet hat40). (Zuruf: Oho!)

In dieser für unsere Nation so schicksalsschweren Stunde rufen wir der gesamten werktätigen Bevölkerung in Stadt und Land zu, sich zu einer einheitlichen nationalen Front für eine einheitliche41) deutsche demokratische Republik und

gegen die

Spalter

Deutschlands zusammenzuschließen.

(Zurufe und Lachen.)

Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik waren im Deutschen Volksrat hrsg. Informationsdienst, 1, Jhrg. Aug. 1947, Nr. 3, S. 3-76 erschienen. Vgl. auch den zeitgenössischen Druck von A. Lehmann: Der Verfassungsentwurf des Deutschen Volkrates, o. O., (1948). Im Sekretariat des Pari. Rates wurden die weiteren Entwürfe vom Okt. 1948 und vom März 1949, allerdings nur für Art. 1-49 näher analysiert; eine undat. Ausarbeitung von unbekannter Hand in: Z 5/253. Zum Volksrat, einem vom Deutschen Volkskongreß eingesetzten Organ, siehe Der Pari. Rat Bd. 5, S. 5, Anm. 12. Der „Zweite Deutsche Volkskongreß" hatte bereits in der Zeit vom 23. Mai-13. Juni 1948 mit einem gewaltigen propagandistischen Aufwand einen Volksentscheid für die Einheit Deutschlands durchgeführt, der aufgrund der eingesetzten Druckmittel und Massenmobilisierung ein Ergebnis von 96,94% ergab. Aufgrund von nunmehr zugänglichen Akten weiterführend Jung: Grundgesetz und Volksentscheid, S. 171 ff. Eine Monographie von Klaus Bender: Deutschland, einig Vaterland? Die Volkskongreßbewegung für deutsche Einheit und einen gerechten Frieden in der Deutschlandpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Frankfurt/Main 1992 (Europäische Hochschulschriften Reihe III Bd. 509), die Arbeiten zum Verfassungsentwurf siehe S. 225 ff. Vgl. auch Dok. Nr. 10, Anm. 7. ) „Nationale Front für eine einheitliche" in der Vorlage handschr. eingefügt.

')

Die Richtlinien für die vom

16

Erste

Sitzung des Plenums

1.

September 1948

Nr, 1

Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren, das Wort wird weiter nicht gewünscht. Ich schließe die Sitzung42). (Schluß der Sitzung um 16 Uhr 10 Minuten.)

42)

Sitzung gefaßten Beschlüsse wurden, unabhängig vom Kurzprot., noch einmal als Drucks. Nr. 12 vervielfältigt. Nach Drucks. Nr. 2 fand am Abend des Tages um 19.00 Uhr noch ein Empfang für die Parlamentarier durch MinPräs. Arnold statt. Die Abgeordneten des Pari. Rates wurden durch den vom Sekretariat herausgegebenen „Informationsdienst für die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates" von dem sehr unterschiedlichen Echo in der Öffentlichkeit auf die Eröffnungssitzung informiert. Unter dem 3. Sept. 1948 wurde dort einerseits von einem durchaus positiven Echo in der britischen Presse berichtet, auf der anderen Seite aber ein sehr kritischer Artikel im Weserkurier aus der Feder von Felix von Eckhardt zitiert: „Trotz niedrig gestiegener Erwartungen habe der Festakt in Bonn ein erschütterndes Bild politischer Müdigkeit und Phantasielosigkeit gezeigt. Nicht in einem einzigen Moment sei der zündende Funke echten politischen Temperaments vom Redner zum Zuhörer übergegangen. Es dürfe jedoch nun kein Zurückweichen mehr geben. Die Eröffnungssitzung des Parlamentarischen Rates habe die Gefahren, die auf diesem Gebiet für Gesamtdeutschland beständen, bei den Worten von Max Reimann hell beleuchtet. Der Weg zur deutschen Einheit könne jetzt nur noch durch die Stärke des Westens gefunden werden" (Z 12/93, Bl. 117). Die auf der

17

Nr. 2

Zweite

Sitzung des Plenums 8. September 1948 Nr. 2 Zweite 8.

Sitzung des Plenums September 1948

5/12a, Bl. 21-76, ungez. und undat. stenogr. Wortprot.1) Z 5/12a, Bl. 15-16, 172); als Drucks. Nr. 23 und 24 vervielf. Druck: Z 5/12a, Bl. 4-13. Stenogr. Berichte, S. 7-26. Stenogr. Dienst: Dr. Peschel, Herrgesell, Dr. Koppert, Dr. Reynitz. Z

Kurzprot.:

Dauer: 10.18-12.22; 15.06-16.16

Uhr3) [1.

Die

Sitzung

wird

um

GESCHÄFTLICHES]

10 Uhr 18 Minuten durch den

der eröffnet.

Vizepräsidenten

Schönfel-

Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung. Ich habe mir erlaubt, heute eine Viertelstunde über die angesetzte Zeit zuzugeben. Es ist aber der Wunsch, daß in Zukunh nicht mit dem parlamentarischen Viertel angefangen wird, sondern pünktlich. Pünktlich heißt nicht mehr als drei, vier Minuten über Voll. Wenn kein Widerspruch erfolgt, werden wir in Zukunh so verfahren. Ich glaube aber, die Rücksicht darauf, daß wir die erste Sitzung nach der Konstituierung haben, rechtfertigt die kleine Verzögerung. Ich habe weiter mitzuteilen, daß folgende Abgeordnete sich für die 2. Sitzung des Rates entschuldigt haben: der Präsident des Rates, Abg. Dr. Adenauer4), Frau Dr. Seibert, und Frau Helene Wessel. Meine Damen und Herren, die Tagesordnung liegt Ihnen vor5). Ich hage, ob dazu das Wort gewünscht wird. Das ist nicht der Fall6). Ich habe Ihnen weiter einige Vorschläge zu machen, die im Geschähsordnungsausschuß7) und im Ältestenrat8) ihre Bestätigung gefunden haben und einige Formalitäten betreffen. Wir wollen uns als Abgeordnete bezeichnen, wie das sonst im Parlament auch üblich ist. Es könnte sonst die Meinung auftreten, -

1) 2) 3)

4) 5) 6)

7) 8) 18

Die Vorlage wurde für den Druck eingerichtet. Vgl. Einleitung S. XXXIX. Aus nicht erkennbaren Gründen wurden zwei unterschiedliche Versionen des Kurzprot. erstellt und als Drucks, vervielfältigt. In der Vorlage irrtümlich 10.06 Uhr, handschr. korrigiert in der gedruckten Fassung in: Z 5/12a, Bl. 9. Der amerikanische Verbindungsoffizier Hans Simons berichtete, Adenauer sei nicht anwesend gewesen, weil er gegen diese Sitzung gewesen sei (Z 45 F 15/148-2, folder 3). Die Tagesordnung war als Drucks. Nr. 13 vervielf. worden. Folgt gestrichen: „Der Ältestenrat schlägt vor, daß von den vier Berichterstattern heute nur zwei zu Wort kommen, und zwar am Vormittag Herr Dr. Schmid und am Nachmittag um 3 Uhr, wo wir die zweite Sitzung haben werden, Herr Dr. Süsterhenn. Sollte am Vormittag die Sitzung so zeitig aus sein, daß noch für eine Sitzung des Ältestenrates Zeit bleibt, dann wird diese stattfinden. Das Mittagessen ist für 1 Uhr in Aussicht genommen. Die zwei anderen Berichterstatter werden morgen referieren. Das Nähere wird dann noch im Ältestenrat heute Nachmittag entschieden werden." Zur weiteren Behandlung der Geschäftsordnung siehe Dok. Nr. 5, Anm. 7. Aufzeichnungen von Pfeiffer hierzu in: Der Pari. Rat Bd. 10, Dok. Nr. AI und 2.

Zweite

Sitzung des Plenums 8. September 1948

Nr. 2

dieser Rat brauche den Ausdruck Abgeordnete für seine Mitglieder nicht zu wählen. Wir haben uns weiter schlüssig gemacht, Ihnen zu empfehlen, bei der Nennung von Abgeordnetennamen außer dem Doktortitel keine Titel und keine Dienstbezeichnungen zu gebrauchen. Das ist auch sonst im Parlament üblich gewesen. Wenn kein Widerspruch erfolgt, dann werden wir uns so verhalten. Es ist dann die Frage erwogen worden, in welcher Weise die Abstimmungen erfolgen sollen. In den alten Parlamenten ist es meist durch Erheben von den Sitzen geschehen, aber durchweg dort, wo festes Gestühl mit Klappsitzen vorhanden war. Hier haben wir loses Gestühl, und ich glaube, jedes Erheben von den Sitzen würde ein erhebliches Geräusch mit den Stühlen verursachen. Wir waren deshalb der Meinung: es genügt, wenn wir in diesem Hause durch Handaufheben die Abstimmung erfolgen lassen. Wenn kein Widerspruch erfolgt, wird auch das so geschehen. Dann haben wir uns schlüssig gemacht, Ihnen zu empfehlen, bei Beifall ein Händeklatschen zu unterlassen. Auch da wollen wir zur früheren guten parlamentarischen Übung zurückkehren. Diese gute Sitte ist durch die Nazis verdorben worden. Wenn auch da Einverständnis erfolgt, werden wir nicht mit den Händen klatschen, sondern auf die übliche Art unsere Zustimmung zum Ausdruck bringen. Das braucht ja nicht immer in lauter Weise zu geschehen. Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß bei diesen Zustimmungs- oder Mißfallens-Äußerungen weder die Presse noch das Publikum sich beteiligen dürfen. Bei Lachen oder Heiterkeit können sie leise mitschmunzeln.

(Heiterkeit.) Sonst ist eine

Beteiligung

des Publikums

an

den

Verhandlungen

nicht gestat-

tet.

[2. WAHL DER

SCHRIFTFÜHRER]

Meine Damen und Herren! Das wären die Mitteilungen, die ich Ihnen zunächst für unsere formalen Angelegenheiten zu machen hatte. Wenn weiter das Wort nicht gewünscht wird, dann würde ich jetzt zur Wahl der Schriftführer schreiten. Es sind mir Vorschläge gemacht worden, und zwar sind vorgeschlagen: Frau Dr. Weber, Herr Jean Stock, Frau Wessel und Herr Dr. Becker. Werden weitere Vorschläge gemacht? Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann darf

ich wohl durch Akklamation abstimmen lassen. Wer mit diesen vier Vorschlägen für die Schriftführer einverstanden ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. Die Gegenprobe! Das ist einstimmig -

beschlossen9).

-

-

Es ist wohl zweckmäßig, wenn immer zwei Schriftführer während der Verhandlungen amtieren. Es ist Angelegenheit der Schriftführer, ihre Reihenfolge selber zu bestimmen. Ich möchte für die heutige Sitzung die Herren Stock und Dr. Becker bitten ich glaube, die zwei Damen sind nicht anwesend -, hier an -

9)

Der offiziell

ausgefertigte Beschluß

in: Z 5/210.

19

Nr. 2

Zweite

den beiden tuiert.

Sitzung des Plenums 8. September 1948

Flügeln

Platz

zu

nehmen.

Dann wäre das Präsidium konsti-

Ich möchte dann in die gewünscht wird.

Tagesordnung eintreten,

sonst

wenn

das Wort nicht

[3. BERICHTE ÜBER DIE DEM PARLAMENTARISCHEN RAT GESTELLTE AUFGABE AN HAND DER

VORARBEITEN10)]

Berichterstatter sind die Abgeordneten Dr. Carlo Schmid, Dr. Adolf Süsterhenn, Dr. Walter Menzel und Dr. Josef Schwalber. Ich bitte zunächst Herrn Dr. Schmid, das Wort zu nehmen. Dr. Schmid (SPD)11): Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir vor dem Eintreten in die eigentlichen Ausführungen, die ich Ihnen zu unterbreiten habe,

10) Über die Tagesordnung der Generalaussprache hatte

es

in der zweiten interfraktionellen

Besprechung am 1. Sept. 1948 eine ausgiebige Diskussion gegeben (Aufzeichnung in: BayHStA, NL Pfeiffer/72): „Präsident Dr. Adenauer warnt vor einer Generaldebatte, in welcher sich wahrscheinlich die Parteien zu sehr festlegen würden. Damit würde eine Verhärtung der politischen Situation erfolgen und weiterhin eine Schwierigkeit für die Erreichung des Zieles, eine möglichst große Mehrheit des Parlamentarischen Rates dem Entwurf eines Grundgesetzes zuzustimmen. Sein Standpunkt wird unterstützt durch Dr. Pfeiffer, Dr. Seebohm und Brockmann. Die Herren Dr. Karl Schmid. Dr. Heuss und Paul sprechen zugunsten einer Generaldebatte. Abgeordneter Heuss weist darauf hin, daß

eine Generaldebatte das Volk viel mehr interessiert als die Beratung einzelner Abschnitdes Grundgesetzes. Das Volksinteresse müsse unsere Arbeit tragen. Schließlich schlägt Präsident Dr. Adenauer vor, daß man eine Generaldebatte ersetze durch eine Art Generalbericht. Abgeordneter Dr. Karl Schmid meint, daß eine General-Debatte angemessen sei für eine Gesamt-Orientierung [. .] Man müsse die Kreuzungspunkte der Gedankengänge feststellen und die Konsequenzen, die sich aus der Stellung zu den einzelnen Punkten ergeben. Umrissen werden müsse auch die Stellung unserer Körperschaft zu der Militärregierung. Das eigentliche Grundgesetz sei ja das Besatzungsstatut. Wir haben hier die Möglichkeit, von einer hohen Tribüne aus den Besatzungsmächten zu sagen, wie wir das Besatzungsrecht sehen. Wir müssen umreißen, was heißt es für uns, wir machen ein Grundgesetz und nicht eine Verfassung [. .] Präsident Dr. Adenauer meint, Grundgesetz und Besatzungsstatut wären grundsätzlich auseinanderzuhalten. Man solle in dieser Debatte nicht voreilig auf das Besatzungsstatut abheben. Es wird vereinbart: Anstelle einer Generaldebatte soll ein Generalbericht treten, der von Abgeordneten erstattet wird, die an den Beratungen auf Herrenchiemsee teilgenommen haben [. .] Es wird aus der Sitzung heraus die Anregung gegeben, besonders vom Abgeordneten Heuss vertreten, daß nicht ein Bericht über Herrenchiemsee erfolgen solle, sondern eine Darbietung des Gedankengutes über die Hauptkapitel einer Verfassung, so wie es sich ergab aus Weimar, aus der Arbeit des Zonenbeirats, aus dem Entwurf des Volkskongresses und aus dem Entwurf von Herrenchiemsee. Es solle das Plenum vertraut gemacht werden mit dem ganzen Stoff, aber es sollte nicht über Einzelheiten berichtet werden, denn sonst würden nur wenige Mitglieder die Chiemseer Arbeit oder gar die anderen Entwürfe ernsthaft studieren [. .] Grundsätzlich kommt dahin zustande, daß keine polemische Debatte geführt werden solle, sondern im wesentlichen der Charakter der Generalberichte referierend sein müsse." Die Ausführungen von Schmid in der Form des stenogr. Prot, mit starker stilistischer Überarbeitung durch seine Hand in: Z 5/12a, Bl. 77-122. Als Vorlage für den zeitgenössischen Druck diente bereits eine Abschrift, als Drucks. Nr. 27 gesondert vervielf. (ebente

.

.

.

.

Übereinstimmung n)

da, Bl. 26-27).

20

Zweite

Sitzung des Plenums

8.

September 1948

Nr. 2

einige wenige Worte zur Methode meiner Darlegungen. Sie sind nötig, weil vielleicht ein Teil der Zuhörer finden möchte, daß meine Ausführungen zu Beginn wenigstens, lediglich die Ausführung von Theorien darstellen. Es handelt sich hier nicht darum zu theoretisieren; aber es handelt sich darum, so wie der Ingenieur, der mit Rechenschieber und Logarithmentafel umzugehen hat, gelegentlich einmal sein Physikbuch hervorholt, um den Ort seines Wirkens im System der Mechanik genau festzustellen, einmal zu sehen, in welchen Bereichen wir uns denn eigentlich zu bewegen haben. Theorie ist ja kein müßiger Zeitvertreib, sondern manchmal der einzige Weg, komplexe Verhältnisse zu klären, und manchmal die einzige Möglichkeit, sicher des Weges zu gehen, die einzige Möglichkeit, die Lage des archimedischen Punktes zu definieren, an dem wir den Hebel unserer politischen Aktivität anzusetzen haben. Nur durch eine klare Erkenntnis dessen, was ist, können wir uns die Rechnungsgrundlagen verschaffen, deren wir bedürfen werden, um richtig zu handeln. Der Versuch, einen Tatbestand in allen seinen Bezügen denkend zu erfassen, ist die einzige Methode, die es einem ermöglicht, sich so zu entscheiden, daß die Entscheidung auch verantwortet werden kann. Meine Damen und Herren! Worum handelt es sich denn eigentlich bei dem Geschäft, das wir hier zu bewältigen haben? Was heißt denn: „Parlamentarischer Rat"? Was heißt denn „Grundgesetz"? Wenn in einem souveränen Staatswesen das Volk eine verfassunggebende Nationalversammlung einberuft, ist deren Aufgabe klar und braucht nicht weiter diskutiert zu werden: sie hat eine Verfassung zu schaffen. Was heißt aber „Verfassung"? Eine Verfassung ist die Gesamtentscheidung eines freien Volkes über die Formen und die Inhalte seiner politischen Existenz. Eine solche Verfassung ist dann die Grundnorm des Staates. Sie bestimmt in letzter Instanz, ohne auf einen Dritten zurückgeführt zu werden brauchen, die Abgrenzung der Hoheitsverhältnisse auf dem Gebiet und dazu bestimmt sie die Rechte der Individuen und die Grenzen der Staatsgewalt. Nichts steht über ihr, niemand kann sie außer Kraft setzen, niemand kann sie ignorieren. Eine Verfassung ist nichts anderes als die in Rechtsform gebrachte Selbstverwirklichung der Freiheit eines Volkes. Darin liegt ihr Pathos, und dafür sind die Völker auf die Barrikaden gegangen. Wenn wir in solchen Verhältnissen zu wirken hätten, dann brauchten wir die Frage: worum handelt es sich denn eigentlich? nicht zu stellen. Dieser Begriff einer Verfassung gilt in einer Welt, die demokratisch sein will, die also das Pathos der Demokratie als ihr Lebensgesetz anerkennen will, unabdingbar. Freilich weiß jeder von uns, daß man Ordnungsgesetze anderer Art auch schon Verfassungen genannt hat, zum Beispiel die oktroyierten „Verfassungen" der Restaurationszeit, etwa die „Charte" von 181412). Diese oktroyierten Verfassungen waren zweifellos gelegentlich technisch nicht schlecht, und die Fürsten, die sie gegeben haben, mochten dann und wann durchaus gute Absichten gehabt haben; aber das Volk hat diese Dinge nie als Verfassungen betrachtet, und die Revolutionen von 1830 sind nichts anderes gewesen als der Aufstand )

Die

„Charte"

war

die

1814. Siehe Maurice

von Ludwig XVIII. oktroyierte französische Verfassung vom 4. Juni Duverger: Les Constitutions de la France. Paris 1964, S. 68 f.

21

Nr. 2

Zweite

Sitzung des Plenums 8. September

1948

gegen die oktroyierten Verfassungen, die nicht im Wege der der Völker entstanden, sondern auferlegt worden sind. Es Selbstbestimmung kam in diesen Revolutionen die Erkenntnis zum Ausdruck, daß eine Verfassung in einer demokratischen Welt etwas mehr sein muß als ein bloßes Reglement, als ein bloßes Organisationsstatut. Die Ordnung des Behördenaufbaus, die Ordnung der Staatsfunktionen, die Abgrenzung der Rechte der Individuen und der Obrigkeit sind durchaus vorstellbar und das hat es gegeben im Bereich der „organischen Artikel" des absolutistischen Obrigkeitsstaates, ja auch im Bereich der Fremdherrschaft. Man wird aber da nicht von Verfassungen sprechen, wenn Worte ihren Sinn behalten sollen; denn es fehlt diesen Gebilden der Charakter des keinem fremden Willen unterworfenen Selbstbestimmtseins. Es handelt sich dabei um „Organisation" und nicht um „Konstitution". Ob eine Organisation von den zu Organisierenden selber vorgenommen wird oder ob sie der Ausfluß eines fremden Willens ist, macht keinen prinzipiellen Unterschied; denn bei Organisationen kommt es wesentlich und ausschließlich darauf an, ob sie gut oder schlecht funktionieren. Bei einer Konstitution aber ist das anders. Dort macht es einen Wesensunterschied, ob sie eigenständig geschehen ist oder ob sie der Ausfluß fremden Willens ist; denn „Konstitution" ist nichts anderes als das Ins-Leben-treten eines Volkes als politischer Schicksalsträger aus eigenem Willen. Dies alles gilt auch von der Schaffung eines Staates. Sicher, Staaten können auf die verschiedenste Weise entstehen. Sie können sogar durch äußeren Zwang geschaffen werden. Staat ist aber dann nichts anderes als ein Ausdruck für „Herrschaftsapparat", so wie etwa die Staatstheoretiker der Frührenaissance von il stato sprachen. II stato, das ist einfach der Herrschaftsapparat gewesen, der in organisierter Weise Gewalt über ein Gebiet ausgeübt hat. Aber es ist ja gerade der große Fortschritt auf den Menschen hin gewesen, den die Demokratie getan hat, daß sie im Staat etwas mehr zu sehen begann als einen bloßen Herrschaftsapparat. Staat ist für sie immer gewesen das In-die-eigene-Hand-nehmen des Schicksals eines Volkes, Ausdruck der Entscheidung eines Volkes zu sich selbst. Man muß wissen, was man will, wenn man von Staat spricht, ob den bloßen Herrschaftsapparat, der auch einem fremden Gebieter zur Verfügung stehen kann, oder eine lebendige Volkswirklichkeit, eine aus eigenem Willen in sich selber gefügte Demokratie. Ich glaube, daß man in einem demokratischen Zeitalter von einem Staat im legitimen Sinne des Wortes nur sprechen sollte, wo es sich um das Produkt eines frei erfolgten konstitutiven Gesamtaktes eines souveränen Volkes handelt. Wo das nicht der Fall ist, wo ein Volk sich unter Fremdherrschaft und unter deren Anerkennung zu organisieren hat, konstituiert sondern es es sich nicht es sei denn gegen die Fremdherrschaft selbst aber nicht als sich vielleicht sehr Staat im staatsähnlich, organisiert lediglich, Bild dem römischen aus Sie mir ein wenn Sinn. Es Recht demokratischen ist, und den dort den und Sklaven wie Freien so: man den gestatten wollen, dieser Weise Gemeinwesen ein in wäre kannte, organisiertes Freigelassenen nicht ein Staat, sondern stünde dem Staat im selben Verhältnis gegenüber wie der Freigelassene dem Freien.

der Völker

Europas

-

-

22

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-

Zweite

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Nr. 2

Diese Organisation als staatsähnliches Wesen kann freilich sehr weit gehen. Was aber das Gebilde von echter demokratisch legitimierter Staatlichkeit unterscheidet, ist, daß es im Grunde nichts anderes ist als die Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschah; denn die trotz mangelnder voller Freiheit erfolgende Selbstorganisation setzt die Anerkennung der hemden Gewalt als übergeordneter und legitimierter Gewalt voraus. Nur wo der Wille des Volkes aus sich selber fließt, nur wo dieser Wille nicht durch Auflagen eingeengt ist, durch einen fremden Willen, der Gehorsam fordert und dem Gehorsam geleistet wird, wird Staat im echten demokratischen Sinne des Wortes geboren. Wo das nicht der Fall ist, wo das Volk sich lediglich in Funktion des Willens einer fremden übergeordneten Gewalt organisiert, sogar unter dem Zwang, gewisse Direktiven dabei befolgen zu müssen, und mit der Auflage, sich sein Werk genehmigen zu lassen, entsteht lediglich ein Organismus mehr oder weniger administrativen Gepräges. Dieser Organismus mag alle normalen, ich möchte sagen, „inneren" Staatsfunktionen haben; wenn ihm die Möglichkeit genommen ist, sich die Formen seiner Wirksamkeit und die Grenzen seiner Entscheidungsgewalt selber zu bestimmen, fehlt ihm, was den Staat ausmacht, nämlich die Kompetenz der Kompetenzen im tieferen Sinne des Wortes, das heißt die letzte Hoheit über sich selbst und damit die Möglichkeit zu letzter Verantwortung. Das alles hindert nicht, daß dieser Organismus nach innen in höchst wirksamer Weise obrigkeitliche Gewalt auszuüben vermag. Was ist nun die Lage Deutschlands heute? Am 8. Mai 1945 hat die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert. An diesen Akt werden von den verschiedensten Seiten die verschiedensten Wirkungen geknüph. Wie steht es damit? Die bedingungslose Kapitulation hatte Rechtswirkungen ausschließlich auf militärischem Gebiet. Die Kapitulationsurkunde, die damals unterzeichnet wurde13), hat nicht etwa bedeutet, daß damit das deutsche Volk durch legitimierte Vertreter zum Ausdruck bringen wollte, daß es als Staat nicht mehr existiert, sondern hatte lediglich die Bedeutung, daß den Alliierten das Recht nicht bestritten werden sollte, mit der deutschen Wehrmacht nach Gutdünken zu verfahren. Das ist der Sinn der bedingungslosen Kapitulation und kein anderer.

(Sehr richtig!)

Manche haben daran andere Rechtsfolgen geknüph14). Sie haben gesagt, auf Grund dieser bedingungslosen Kapitulation sei Deutschland als staatliches Gebilde untergegangen. Sie argumentieren dabei mit dem völkerrechtlichen Begriff der debellatio, der kriegerischen Niederwerfung eines Gegners. Diese Ansicht ist schlechterdings falsch.

(Sehr richtig!)

Seite bestimmte Ausfertigung der Kapitulationsurkunde befindet sich in den Beständen der Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs: RW 4/700. Ein Faksimileabdruck der amerikanischen Überlieferung in der Publikation der National Archives, Washington D.C. (Hrsg.): World War II Surrender Documents. Germany Surrenders 1945. Washington D.C. 1976. ) Schmid berührte die Frage des Rechtsstatus des Deutschen Reiches nach 1945 im Verlaufe seiner Ausführungen noch eingehender. Siehe auch Anm. 17.

) Die für die deutsche

23

Nr. 2

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Nach Völkerrecht wird ein Staat nicht vernichtet, wenn seine Streitkrähe und er selbst militärisch niedergeworfen sind. Die debellatio vernichtet für sich allein die Staatlichkeit nicht, sie gibt lediglich dem Sieger einen Rechtstitel auf Vernichtung der Staatlichkeit des Niedergeworfenen durch nachträgliche Akte. Der Sieger muß also von dem Zustand der debellatio Gebrauch machen, wenn die Staatlichkeit des Besiegten vernichtet werden soll. Hier gibt es nach Völkerrecht nur zwei praktische Möglichkeiten. Die eine ist die Annexion. Der Sieger muß das Gebiet des Besiegten annektieren, seinem Gebiet einstücken. Geschieht dies, dann allerdings ist die Staatlichkeit vernichtet. Oder er muß zur sogenannten Subjugation schreiten, der Verknechtung des besiegten Volkes. Aber die Sieger haben nichts von dem getan. Sie haben in Potsdam15) ausdrücklich erklärt, erstens, daß kein deutsches Gebiet im Wege der Annexion weggenommen werden soll, und zweitens, daß das deutsche Volk nicht versklavt werden soll. Daraus ergibt sich, daß zum mindesten aus den Ereignissen von 1945 nicht der Schluß gezogen werden kann, daß Deutschland als staatliches Gebilde zu existieren aufgehört hat.

(Sehr richtig!)

Aber es ist ja 1945 etwas geschehen, was ganz wesentlich in unsere staatlichen und politischen Verhältnisse eingegriffen hat. Es ist etwas geschehen, aber eben nicht die Vernichtung der deutschen Staatlichkeit. Aber was ist denn nun geschehen? Erstens: Der Machtapparat der Diktatur wurde zerschlagen. Da dieser Machtapparat der Diktatur durch die Identität von Partei und Staat mit dem Staatsapparat identisch gewesen ist, ist der deutsche Staat durch die Zerschlagung dieses Herrschahsapparats desorganisiert worden. Desorganisation des Staatsapparats ist aber nicht die Vernichtung des Staates der Substanz nach. Wir dürfen nicht vergessen, daß in den ersten Monaten nach der Kapitulation im Sommer 1945, als keinerlei Zentralgewalt zu sehen war, sondern als die Bürgermeister der Gemeinden als kleine Könige regierten die Landräte auch und die ersten gebildeten Landesverwaltungen erst recht -, alle diese Leute und alle diese Stellen ihre Befugnisse nicht für sich ausübten, nicht für die Gemeinden und für das Land, sondern fast überall für das Deutsche Reich. -

(Sehr richtig!)

eine Art von Treuhänderschah von unten, die sich dort geltend machte. Ich erinnere mich noch genau, wie es in diesen Monaten war, wie die Landräte die Steuern einzogen, nicht etwa, weil sie geglaubt hätten, sie stünden ihnen zu, sondern sie zogen sie ein, weil jemand dieses Geschäft stellvertretend für das Ganze besorgen mußte. Ähnlich machten es die Bürgermeister und machten es auch die Landesverwaltungen. Als man z.B. in der französischen Zone die Länder veranlassen wollte, einen Vertrag zu schließen, in dem ihnen zugestanden war, das deutsche Eisenbahnvermögen auf sich selber zu übertragen, da haben diese Länder sich geweigert, dies zu tun, und haben gesagt: Aus technischen Gründen mag der Vertrag nötig sein, wir übernehmen aber das Reichsbahnvermögen nur treuhänderisch für Deutschland16)! Es

war

5) 6) 24

Zum Potsdamer Abkommen siehe Dok. Nr. 1, Anm. 22. Zu den Eisenbahnen in der franz. Zone nach 1945 siehe Hansjürgen Wenzel: Die Südwestdeutschen Eisenbahnen in der französischen Zone (SWDE). Krefeld 1971.

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(Sehr gut!)

Auffassung, daß die Existenz Deutschlands als Staat nicht vernichtet und daß es als Rechtssubjekt erhalten worden ist, ist heute weitgehend Gemeingut der Rechtswissenschah, auch im Ausland17). Deutschland existiert als staatliches Gebilde weiter. Es ist rechtsfähig, es ist aber nicht mehr geschähsfähig, noch nicht geschähsfähig. Die Gesamtstaatsgewalt wird zum mindesten auf bestimmten Sachgebieten durch die Besatzungsmächte, durch den Kontrollrat im ganzen und durch die Militärbefehlshaber in den einzelnen Zonen ausgeübt. Durch diese Treuhänderschaft von oben wird der Zusammenhang aufrechterhalten. Die Hoheitsgewalt in Deutschland ist also nicht untergegangen; sie hat lediglich den Träger gewechselt, indem sie in Treuhänderschah übergegangen ist. Das Gebiet Deutschlands ist zwar weitgehend versehrt, aber der Substanz nach ist es erhalten geblieben, und auch das deutsche Volk ist und zwar als Staatsvolk erhalten geblieben. Gestatten Sie mir hier ein Wort zum „Staatsvolk". Es hat sich in dieser Hälfte Deutschlands ungemein vermehrt durch die Flüchtlinge, durch Millionen Menschen, die ausgetrieben wurden aus Heimaten, in denen ihre Vorfahren schon seit Jahrhunderten ansässig gewesen sind. Man sollte in der Welt nicht so rasch vergessen, was damit geschehen ist! Diese

-

-

(Sehr richtig!)

es zu schnell vergessen sollten, wenn wir dieses Wissen Bewußtsein verdrängen sollten, könnte es geschehen, daß einige Generationen später das Verdrängte in böser Gestalt wieder aus dem Dunkel des Vergessens emporsteigen könnte!

Denn

wir hier

wenn

aus unserem

(Sehr gut!)

Man sollte

sprechen!

gerade

im Zeitalter der

Nürnberger Prozesse18)

(Sehr richtig!)

Freilich wissen wir genau, daß die den Siegern dieses Krieges, sondern den ist

von

diesen

Dingen

von Bevölkerungen nicht von den Nationalsozialisten erfunden wor-

Austreibung von

(sehr richtig!)

und das, was bei uns geschah, lediglich das Zurückkommen des Bumerangs ist, der einst von hier ausgeworfen wurde. Trotzdem aber bleibt bestehen, daß, was nach dem Kriege geschehen ist, auch Unrecht ist!

(Sehr gut!)

gibt ein französisches Sprichwort: „On n'excuse pas „Man rechtfertigt das Böse nicht durch den Hinweis auf

Es

17) Behandelt wurde diese Frage mehrfach eingehend

le mal par le pire" ein noch Böseres."

im Ausschuß für

-

Grundsatzfragen

(Der Pari. Rat Bd. 5, passim). Zusammenfassend Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschich-

als Zeitgeschichte. Historische Betrachtungen zur Entstehung und Durchsetzung der Theorie vom Fortbestand des Deutschen Reiches als Staat nach 1945, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 7 (1985), S. 181-207. 18) Die Nürnberger Prozesse zur Verurteilung der Hauptkriegsverbrecher fanden vor dem Internationalen Militärtribunal (IMT) in den Jahren 1946-1947 statt; es folgten vor amerikanischen Gerichten noch weitere zwölf Nachfolgeprozesse in Nürnberg. te

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(Sehr richtig!)

geblieben sind, ist Deutschland als staatliche Wirklichkeit erhalten geblieben. Deutschland braucht nicht neu geschaffen zu werden. Es muß aber neu organisiert werden. Diese Feststellung ist von einer rechtlichen Betrachtung aus unausweichlich. Es ist aber an dieser Stelle noch kurz darauf einzugehen, ob nicht vielleicht durch politische Akte, die nach dem Mai 1945 in Deutschland selbst sich ereignet haben könnten, doch eine Auflösung Deutschlands als eines staatlichen Gebildes erfolgt ist. Ich glaube aber, daß nichts von dem, was seit drei Jahren geschehen ist, uns berechtigt, anzunehmen, daß das deutsche Volk oder erhebliche Teile des deutschen Volkes sich entschlossen hätten, Deutschland aufzulösen. Wenn wir uns ein Ereignis als Beispiel vorhalten, wo so etwas in der Tat geschehen ist, dann sehen wir am besten, daß es falsch ist, in bezug auf Deutschland von so etwas zu sprechen: Österreich-Ungarn! Dieses ist nach 1918 nicht „juristisch" zerfallen, sondern durch den Entschluß der Völkerschahen, die es einmal ausmachten, als staatliches Gebilde aufgelöst worden. An seine Stelle sind neue Staaten getreten, die sich nicht als Rechtsnachfolger der alten Doppelmonarchie zu betrachten brauchten. So etwas ist in Deutschland nicht geschehen. Nun ist die Frage, ob vielleicht da und dort in Deutschland einzelne Teile Deutschlands vom Ganzen abgefallen sind und sich separieren wollten. Kann man ein solches Vorhaben aus gewissen Ereignissen schließen, die sich seit dem Sommer 45 bei uns begeben haben? Manche mögen dabei auf diese oder jene Bestimmung dieser oder jener Länderverfassung hinweisen, in denen es etwa heißt, daß das Land bereit ist, „einem neuen deutschen Bundesstaat" oder „einem neuen Deutschland" beizutreten19). Ich glaube, man sollte aus solchen Sätzen keine allzu weitgehenden Folgerungen ziehen. Ich jedenfalls glaube nicht, daß die Landtage und die Bevölkerungen der Länder, in deren Verfassung dieser Satz steht, doch ihre Zustimmung dazu erklären wollten, daß sich das Land von Deutschland separieren wollte. Damit, daß die drei Staatselemente erhalten

(Sehr richtig!)

Es handelt sich bei diesen

Verfassungsartikeln

um

die Kodifikation eines

Rechtsirrtums, der damals, als die Verfassung beraten wurde, entschuldbar und

verständlich gewesen sein mag, aber nicht um mehr. Nun könnte man weiter die Frage aufwerfen, ob hier vielleicht nicht noch eine andere Betrachtung angehigt werden müßte. Erik Reger20), dessen gallige Artikel zu lesen sich auch dann lohnt, wenn man sie nicht für der jeweiligen Situation voll angepaßt hält, hat jüngst geschrieben, daß es sich hier nicht um eine Rechtshage handle, sondern um die Bekundung des politischen Willens, die Zäsur in der politischen Kontinuität deutlich zu markieren. Nun, ich bin völlig damit einverstanden, daß man eine Zäsur zwischen gestern und heute und

Bayerischen Verfassung vom 2. Dez. 1946: „Bayern wird einem künftigen deutschen demokratischen Bundesstaat beitreten ."; Art. 52 der Badischen Verfassung vom 22. Mai 1947: „Das Verhältnis des Landes Baden zu den übrigen deutschen Ländern wird durch Gesetz geregelt. Die Zustimmung zu einer Bundesverfassung der deutschen Länder bedarf eines verfassungsändernden Gesetzes." 20) Erik Reger (1893-1954), Herausgeber und Chefredakteur des „Tagesspiegels", Berlin. 19)

Art. 178 der

.

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.

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noch mehr zwischen gestern und morgen markiert. Aber bedingt denn der Wechsel in einem politischen System notwendig die Vernichtung des Staatswesens? Haben denn zum Beispiel die' Franzosen, als sie 1870 vom zweiten Kaiserreich zur Dritten Republik übergingen, vorher den französischen Staat als staatliches Gebilde aufgelöst21)? Der Rechtszustand, in dem Deutschland sich befindet, wird aber noch durch folgendes charakterisiert: Die Alliierten halten Deutschland nicht nur auf Grund der Haager Landkriegsordnung22) besetzt. Darüber hinaus trägt die Besetzung Deutschlands interventionistischen Charakter. Was heißt denn Intervention? Es bedeutet, daß fremde Mächte innerdeutsche Verhältnisse, um die sich zu kümmern ihnen das Völkerrecht eigentlich verwehrt, auf deutschem Boden nach ihrem Willen gestalten wollen. Es hat keinen Sinn, darüber zu jammern, daß es so ist. Daß es dazu kommen konnte, hat seine guten Gründe: man kann verstehen, daß unsere Nachbarn sich nach dem, was im deutschen Namen in der Welt angerichtet worden ist, ihre Sicherheit selber verschaffen wollen! Ob sie sich dabei immer klug angestellt haben oder nicht, soll hier nicht diskutiert werden; das ist eine andere Geschichte. Aber Intervention vermag lediglich Tatsächlichkeiten zu schaffen; sie vermag nicht, Rechtswirkungen herbeizuführen. Völkerrechtlich muß eine interventionistische Maßnahme entweder durch einen vorher geschlossenen Vertrag oder durch eine nachträgliche Vereinbarung legitimiert sein, um dauernde Rechtswirkungen herbeizuführen. Ein vorher geschlossener Vertrag liegt nun nicht vor: die Haager Landkriegsordnung verbietet ja geradezu interventionistische Maßnahmen als Dauererscheinungen. So wird man für die Frage, ob interventionistische Maßnahmen von uns als „Recht" anerkannt werden müssen, spätere Vereinbarungen abzuwarten haben. Aber kein Zweifel kann darüber bestehen, daß diese interventionistischen Maßnahmen der Besatzungsmächte vorläufig legal sind aus dem einen Grunde, daß das deutsche Volk diesen Maßnahmen allgemein Gehordrücken wir es doch sam leistet. Es liegt hier ein Akt der Unterwerfung vor aus, wie es ist —, eine Art von negativem Plebiszit, durch das das deutsche Volk zum Ausdruck bringt, daß es für Zeit auf die Geltendmachung seiner Volkssouveränität zu verzichten bereit ist. Man sollte sich doch darüber klar sein, was Volkssouveränität heißt: nicht jede Möglichkeit, sich nach seinem Willen in mehr oder weniger Beschränkung einzurichten, sondern zur Volkssouveränität gehört, wenn das Wort einen Sinn haben soll, auch die Entschlossenheit, sie zu verteidigen und sich zu widersetzen, wenn sie angegriffen wird! -

(Sehr richtig!)

das nicht geschieht und es hat sehr gute Gründe, daß es nicht geschieht -, werden wir die Legalität der interventionistischen Maßnahmen zum mindesten für Zeit anerkennen müssen. Das ist ja gerade die juristische Bedeutung der Résistance in Frankreich gewesen, daß infolge des Sich-nicht-Unterwerfens die Maßnahmen der „Zwischenregierung" nicht als legal zu gelten brauchten.

Solange

-

ist doch gerade dadurch charakteristisch, daß das staatliche Gebilde, in dem der Systemwechsel erfolgt, erhalten bleibt." Haager Landkriegsordnung, Abdr. in: RGBl. 1910, S. 107-151.

21) Folgt gestrichen: „Ein Systemwechsel

22)

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Zu den interventionistischen Maßnahmen, die die Besatzungsmächte in Deutschland vorgenommen haben, gehört unter anderem, daß sie die Ausübung der deutschen Volkssouveränität blockiert haben. An und für sich ist die Volkssouveränität, in einem demokratischen Zeitalter zum mindesten, der Substanz nach unvernichtbar und unverzichtbar. Ich glaube, sagen zu können, daß dies auch heute der Standpunkt der offiziellen amerikanischen Stellen ist. Aber man kann die Ausübung der Volkssouveränität ganz oder teilweise sperren. Das ist bei uns 1945 geschehen. Sie wurde ursprünglich völlig gesperrt. Dann wurde diese Sperrung stückweise von den Besatzungsmächten zurückgezogen. Immer weitere Schichten der deutschen Volkssouveränität wurden zur Betätigung heigegeben. Zuerst die Schicht, aus der heraus die Selbstkonstituierung und Selbstverwaltung der Gemeinden erfolgte, dann die Schicht, aus der heraus die politische und administrative Organisation von Gebietsteilen etwa in der Gestalt unserer Länder erfolgte. Die „regionale" Schicht der deutschen Volkssouveränität wurde hier unter Vorbehalt des Ganzen freigelegt. Aber geben wir uns keinem Irrtum hin: auch bei diesen konstitutiven Akten handelte es sich nicht um freie Ausübungen der Volkssouveränität. Denn auch da war immer die Entscheidung weithin vorgegeben, am weitestgehenden dadurch, daß ja die Besatzungsmächte selber es gewesen sind, die den größten Teil dieser Länder abgezirkelt und damit bestimmt haben. In der britischen Zone hatten die Länder bis heute noch keine Möglichkeit, sich auch nur formell selbst zu konstituieren23). Dort wird am besten deutlich, in welchem Umfang Existenz und Konfiguration unserer Länder im wesentlichen Ausfluß des Willens der Besatzungsmächte sind. Nunmehr hat man uns eine weitere Schicht der Volkssouveränität freigegeben. Wir müssen uns hagen: Ist das, was uns nunmehr heigegeben worden ist, der ganze verbliebene Rest der bisher gesperrten Volkssouveränität? Manche wollen die Frage bejahen; ich möchte sie energisch verneinen. Es ist nicht der ganze Rest freigegeben worden, sondern ein Teil dieses Restes. Zuerst räumlich betrachtet: Die Volkssouveränität ist, wo man von ihrer Fülle spricht, unteilbar. Sie ist auch räumlich nicht teilbar. Sollte man sie bei uns für räumlich teilbar halten, dann würde das bedeuten, daß man hier im Westen den Zwang zur Schaffung eines separaten Staatsvolks setzt. Das will das deutsche Volk in den drei Westzonen aber nicht sein! Es

(Lebhafte Zustimmung.)

gibt

kein westdeutsches Staatsvolk und wird keines

(Erneute Zustimmung.)

geben!

Das französische Verfassungswort: La Naüon une et indivisible: die eine und unteilbare Nation bedeutet nichts anderes, als daß die Volkssouveränität auch räumlich nicht teilbar ist. Nur das gesamte deutsche Volk kann „volkssouverän" handeln, und nicht eine Partikel davon. Ein Teil von ihm könnte es nur dann, wenn er legitimiert

)

Die Länder der brit.

Besatzungszone erhielten wesentlich später als die US-Zone ihre endgültigen Verfassungen: Hamburg: 6. Juni 1952, („vorläufige Verfassung" vom 15. Mai 1946); Niedersachsen: 13. April 1951 (GVB1. S. 103); Schleswig-Holstein: Landessatzung vom 12. Jan. 1950 (GVB1. S. 3); Nordrhein-Westfalen: 10. Juli 1950 (GVB1. S. 127). Anna Christine Storbeck: Die Regierungen des Bundes und der Länder seit 1945. München-Wien 1970.

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wäre, als Repräsentant der Gesamtnation zu handeln, oder wenn ein Teil des deutschen Volkes durch äußeren Zwang endgültig verhindert worden wäre, seine Freiheitsrechte auszuüben. Dann wäre ja nur noch der Rest, der bleibt, ein freies deutsches Volk, das deutsche Volkssouveränität ausüben könnte. Ist dieser Zustand heute schon eingetreten? Manche behaupten: Ja! Aber man sollte nicht vergessen: Noch wird verhandelt; noch ist man sich, zumindest offiziell, darüber einig, in der Verschiedenheit der Zonenherrschaft ein Provisorium zu sehen, etwas, das nach dem Willen aller, auch der Besatzungsmächte, vorübergehen soll. Es scheint mir nicht unser Interesse zu sein, einer Besatzungsmacht durch ein Tun unsererseits einen Vorwand für die Verwandlung des heutigen Provisoriums der Separation der einzelnen Zonen in das Definitivum der Separation Ost-Deutschlands zu liefern. (Sehr richtig! in der Mitte.) Aber das ist eine politische Entscheidung. Können wir sie treffen? Können wir sie treffen in einem Zustand, in dem uns die Möglichkeit genommen ist, den Umfang des Risikos zu bestimmen, das Deutschland dabei treffen müßte? Eine gesamtdeutsche konstitutionelle Lösung wird erst möglich sein, wenn eines Tages eine deutsche Nationalversammlung in voller Freiheit wird gewählt werden können. Das setzt aber voraus entweder die Einigung der vier Besatzungsmächte über eine gemeinsame Deutschland-Politik oder einen Akt der Gewalt nach der einen oder anderen Seite. Mag sein, daß mancher Mann mit diesem Gedanken spielt; es lohnt sich aber vielleicht, diesen Gedanken einmal zu meditieren. Was bedeutet denn „Gewalt" in diesem Zusammenhang? Entweder die Vertreibung einer Besatzungsmacht, die einer gesamtdeutschen demokratischen Einigung widerstrebt. Könnte daraus etwas anderes werden als eine Katastrophe für die ganze Welt? (Sehr wahr! links.) Oder aber es bedeutet endgültige Abtrennung einer Zone durch Gewaltanwendung einer Besatzungsmacht mit gleichzeitiger politischer Entmannung des deutschen Volkes in dieser Zone und damit die endgültige Verminderung Deutschlands auf den Teil, der über sich noch in Freiheit bestimmen könnte. Auch das wäre eine Katastrophe; auch eine Weltkatastrophe, nicht nur eine deutsche.

(Erneute Zustimmung.)

Man sollte daher nichts tun,

was dazu beitragen könnte, eine solche Katastrowahrscheinlicher als sie aus sich selber heraus vielleicht heute zu machen, phe schon ist. Zu dieser räumlichen Einschränkung der Möglichkeit, Volkssouveränität auszuüben, kommt noch eine substanzielle Einschränkung. Wenn man die Dokumente Nr. I und III24) liest, die die Militärbefehlshaber den Ministerpräsidenten übergeben haben, dann erkennt man, daß die Besatzungsmächte sich eine ganze Reihe von Sachgebieten und Befugnissen in eigener oder in konkurrierender Zuständigkeit vorbehalten haben. Es gibt fast mehr Einschränkungen der deutschen Befugnisse in diesem Dokument Nr. I als Freigaben deutscher Befugnisse!

241 Frankfurter Dokumente

Nr. I und III, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff.

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Einschränkung ist, daß uns für das Grundgesetz bestimmte Inhalte worden sind; weiter, daß wir das Grundgesetz, nachdem wir es hier auferlegt beraten und beschlossen haben, den Besatzungsmächten zur Genehmigung werden vorlegen müssen. Dazu möchte ich sagen: Eine Verfassung, die ein anderer zu genehmigen hat, ist ein Stück Politik des Genehmigungsberechtigten, aber kein reiner Ausfluß der Volkssouveränität des Genehmigungspflichtigen! Die erste

(Sehr wahr!)

Die zweite Einschränkung ist, daß uns entscheidende Staatsfunktionen versagt sind: Auswärtige Beziehungen, freie Ausübung der Wirtschaftspolitik; eine Reihe anderer Sachgebiete sind vorbehalten. Legislative, Exekutive und sogar die Gerichtsbarkeit sind gewissen Einschränkungen unterworfen. Die dritte Einschränkung: Die Besatzungsmächte haben sich das Recht vorbehalten, im Falle von Notständen die Fülle der Gewalt wieder an sich zu nehmen. Die Autonomie, die uns gewährt ist, soll also eine Autonomie auf Widerruf sein, wobei nach den bisherigen Texten die Besatzungsmächte es sind, die zu bestimmen haben, ob der Notstand eingetreten ist oder nicht. Vierte Einschränkung: Verfassungsänderungen müssen genehmigt werden. Also: Auch die jetzt freigegebene Schicht der ursprünglich voll gesperrten deutschen Volkssouveränität ist nicht das Ganze, sondern nur ein Fragment. Daraus ergibt sich folgende praktische Konsequenz: Um einen Staat im Vollsinne zu organisieren, muß die Volkssouveränität sich in ihrer ganzen Fülle auswirken können. Wo nur eine fragmentarische Ausübung möglich ist, kann auch nur ein Staatsfragment organisiert werden. Mehr können wir nicht zuwege bringen, es sei denn, daß wir den Besatzungsmächten gegenüber was aber Rechte geltend maeine ernste politische Entscheidung voraussetzen würde chen, die sie uns heute noch nicht einräumen wollen. Das müßte dann ihnen gegenüber eben durchgekämpft werden. Solange das nicht geschehen ist, können wir, wenn Worte überhaupt einen Sinn haben sollen, keine Verfassung machen, auch keine vorläufige Verfassung, wenn „vorläufig" lediglich eine zeitliche Bestimmung sein soll. Sondern was wir machen können, ist ausschließlich das Grundgesetz für ein Staatsfragment. Die eigentliche Verfassung, die wir haben, ist auch heute noch das geschriebene oder ungeschriebene Besatzungsstatut25). Die Art und Weise, wie die Besatzungsmächte die Besatzungshoheit ausüben, bestimmt darüber, wie die Hoheitsbefugnisse auf deutschem Boden verteilt sein sollen. Sie bestimmt auch darüber, was an den Grundrechten unserer Länderverfassungen effektiv und was nur Literatur ist. Diesem Besatzungsstatut gegenüber ist alles andere sekundär, solange man in Anerkennung seiner Wirklichkeit handelt. Nichts ist für diesen Zustand kennzeichnender als der Schlußsatz in Dokument Nr. III26), worin ausdrücklich gesagt ist, daß nach dem Beschluß des Parlamentarischen Rates und vor der Ratifikation dieses Beschlusses in den Ländern die Besatzungsmächte das Besatzungsstatut verkünden werden, damit das deutsche Volk weiß, in welchem Rahmen seine „Verfassung" gilt. Wenn man einen solchen Zustand nicht will, dann muß man dage-

-

25) Zur Diskussion um das angekündigte Besatzungsstatut siehe Der Pari. 26) Siehe Anm. 24. 30

Rat Bd. 4,

passim.

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gen handeln wollen. Aber das wäre dann Sache des deutschen Volkes selbst und nicht Sache staatlicher Organe, die ihre Akte jeweils vorher genehmigen lassen müssen. Damit glaube ich die Frage beantwortet zu haben, worum es sich bei unserem Tun denn eigentlich handelt. Wir haben unter Bestätigung der alliierten Vorbehalte das Grundgesetz zur Organisation der heute freigegebenen Hoheitsbefugnisse des deutschen Volkes in einem Teile Deutschlands zu beraten und zu beschließen. Wir haben nicht die Verfassung Deutschlands oder Westdeutschlands zu machen. Wir haben keinen Staat zu errichten. Wir haben etwas zu schaffen, das uns die Möglichkeit gibt, gewisser Verhältnisse Herr zu werden, besser Herr zu werden, als wir das bisher konnten. Auch ein Staatshagment muß eine Organisation haben, die geeignet ist, den praktischen Bedürfnissen der inneren Ordnung eines Gebietes gerecht zu werden. Auch ein Staatshagment braucht eine Legislative, braucht eine Exekutive und braucht eine Gerichtsbarkeit. Wenn man nun fragt, wo dann die Grenze gegenüber dem Voll-Staat, gegenüber der Vollverfassung liege: Nun, das ist eine Frage der praktischen Beurteilung im Einzelfall. Über folgende Gesichtspunkte aber sollte Einigkeit erzielt werden können: Erstens: Das Grundgesetz für das Staatsfragment muß gerade aus diesem seinen inneren Wesen heraus seine zeitliche Begrenzung in sich tragen. Die künftige Vollverfassung Deutschlands darf nicht durch Abänderung des Grundgesetzes dieses Staatsfragments entstehen müssen, sondern muß originär entstehen können. Aber das setzt voraus, daß das Grundgesetz eine Bestimmung enthält, wonach es automatisch außer Kraft tritt, wenn ein bestimmtes Ereignis eintreten wird. Nun, ich glaube, über diesen Zeitpunkt kann kein Zweifel bestehen: „an dem Tage, an dem eine vom deutschen Volke in heier Selbstbestimmung beschlossene Verfassung in Kraft tritt27)."

(Sehr richtig!)

Zweitens: Für das Gebiet eines echten, vollen Staates ist charakteristisch, daß es geschlossen ist, daß also nichts hineinragen und nichts über seine Grenzen hinausragen kann. Bei einem Staatshagment kann dies anders sein. Hier ist räumliches Offensein möglich. Das wird sich in unserer Arbeit in einem doppelten Sinne niederschlagen können und, wie ich glaube, auch müssen. Dieses Grundgesetz muß eine Bestimmung enthalten, auf Grund derer jeder Teil deutschen Staatsgebietes, der die Aufnahme wünscht, auch aufgenommen werden muß; wobei die Frage noch zu klären sein wird, wie dies geschehen soll und ob Bedingungen aufgestellt werden sollen. Ich glaube, man sollte die Aufnahme so wenig als möglich erschweren. Schließlich bleibt die Frage, ob nicht die Teile Deutschlands, die außerhalb des Anwendungsgebiets des Grundgesetzes verbleiben müssen, die Möglichkeit sollen erhalten können, an den gesetzgebenden Organen sich zu beteiligen, die das Grundgesetz schaffen wird. Über das Wie und die Frage, ob sie es allge-

27)

Das Zitat

aus

Wortlaut im

Art. 149 ChE

späteren Art.

(Der Pari.

Rat Bd. 2, S.

614), siehe auch den sehr ähnlichen

146 GG.

31

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mein sollen tun können, wird hier noch zu sprechen sein. Aber eine Voraussetzung scheint mir dafür vorliegen zu müssen: Es müssen heie Wahlen möglich sein; es muß die Möglichkeit bestehen, Vertreter hierher zu entsenden. Dies trifft heute schon auf Berlin zu, und deshalb sollte das Grundgesetz die Bestimmung vorsehen, daß Vertreter Berlins in die gesetzgebenden Körperschaften zu berufen sind.

(Lebhafte Zustimmung.)

Ich weiß,

kann sagen, das sei nicht logisch, denn es sei nicht logisch, Gebieten an der Gesetzgebung zu beteiligen, auf die von ihnen mitbeschlossene Gesetze keine Anwendung fänden. Ich gebe zu, daß es in der Tat nicht sehr logisch ist. Aber hier handelt es sich nicht so sehr darum, Logik zu treiben, als politsch zu sein. Vertreter

man

von

(Sehr richtig!)

Ich meine, man könnte das nicht auf wirksamere Weise tun, als durch das Sichtbarmachen der Tatsache, daß nur äußere Gewalt verhindert, daß hier alle Deutschen vertreten sind! (Erneute lebhafte Zustimmung!) Das Dritte, in dem das Fragmentarische zum Ausdruck kommen muß, ist die innere Begrenzung der Organe auf die durch äußeren Zwang heute noch eingeschränkten Möglichkeiten. Da stellt sich, um nur ein Beispiel zu nennen, das Problem des Aufbaus der Organe, z.B. die Frage: Soll ein „Oberhaupt", ein Bundespräsident vorgesehen werden? Braucht man in einem Staatsfragment diese Funkin Anbetracht der erforderlichen Dignität einer solchen Funktion tion heute schon ins Leben zu rufen? Ist es nicht besser, statt des Präsidenten ein bescheideneres Organ mit den Aufgaben zu betrauen, die vernünftigerweise sonst ein Präsident zu erledigen hat? Soll das Amt nur ruhen? All das sind Fragen, die sich von einer grundsätzlichen Betrachtung aus stellen müssen. Aber wenn auch die Ordnung, die wir gestalten sollen, nur die Ordnung eines Staatsfragmentes ist, so kann und sollte sie unserer Meinung nach doch so ausgestaltet werden, daß bei Ausweitung der heute gewährten Freiheitssphäre die geschaffene Organisation fähig ist, sie voll auszufüllen. Und darüber hinaus möchte ich noch sagen: Man sollte diese Organisation so stark und vollständig machen, daß sie fähig werden kann, durch ihr Wirken eine solche Ausweitung in Fluß zu bringen und durchzusetzen.

-

-

(Sehr gut!)

dem Wesen des Provisoriums eine Reihe praktischer Fragen Grundgesetz. Da ist zunächst das Problem, ob darin der Weimarer Verfassung28) Erwähnung getan werden soll oder nicht. Sicher besteht die das ist meine persönliche Meinung als Ganzes nicht Weimarer Verfassung mehr. Die Desorganisation Deutschlands durch die Nazi-Herrschah und durch Nun

ergeben

sich

aus

für das

-

-

!)

Weimarer Verfassung siehe Zur Gesamtproblematik des Verhältnisses Grundgesetz Friedrich Karl Fromme: Von der Weimarer Verfassung zum Grundgesetz. Tübingen 1960. Dgl.: Das Werk des Parlamentarischen Rates vor dem Hintergrund von Weimar, Verwandtes und Verändertes, in: 1919-1969, Parlamentarische Demokratie in Deutschland, Bonn 1970, S. 89-100. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische -

Bildung H. 32

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die Besetzung hat ihr zum mindesten auf weiten Strecken den Garaus gemacht. Auf der anderen Seite ist durch die bisherige Rechtsprechung herausgestellt worden, daß sie, wenigstens zum Teil, noch weiter gilt. Es besteht also auf diesem Gebiet zum mindesten eine Rechtsunsicherheit. Es ist die Frage, ob man dieser Rechtsunsicherheit nicht dadurch abhelfen sollte, daß das Grundgesetz der Weimarer Verfassung Erwähnung tut, etwa so, daß es ausspricht, daß sie, soweit ihre Bestimmungen in Widerspruch zu diesem Grundgesetz stehen, ruht. Weiter werden Bestimmungen in das Grundgesetz aufgenommen werden müssen, die die Frage der Weitergeltung von Gesetzen und Verordnungen betreffen, welche vor dem Inkrahtreten des Grundgesetzes erlassen wurden, sei es von den Ländern aus Sachgebieten, die künftig nicht mehr den Ländern zustehen sollen, sei es von Zonenorganen, sei es vom Wirtschahsrat. Schließlich werden wir noch Bestimmungen für die Überleitung gewisser Kompetenzen auf etwa neu zu schaffende Organe vorsehen müssen. Und nun, meine Damen und Herren, komme ich zu einem weiteren grundsätzlichen Kapitel: Wo liegen die Hoheitsbefugnisse, auf Grund derer wir dieses Grundgesetz beraten und beschließen? Wer wird dabei durch uns tätig? Wird durch uns tätig das deutsche Volk? Oder werden durch uns tätig die Länder als in sich geschlossene Gebietskörperschaften? Diese Frage zu beantworten ist nicht müßig. Ich glaube vielmehr, daß der Umstand, wie wir sie beantworten, entscheidend für das ganze Werk ist.

(Sehr richtig!)

Deutschland ist, das glaube ich bewiesen zu haben, als staatliches Gebilde nicht untergegangen. Damit, daß Deutschland weiterbesteht, gibt es auch heute noch ein deutsches Staatsvolk. Es ist also auf dem Gebiet, das heute durch die drei Westzonen umschrieben wird, ein Gesamtakt dieses deutschen Staatsvolkes noch möglich. Ein solcher Gesamtakt kann auch durch Länderverfassungen nicht verboten werden. (Sehr richtig! bei der SPD.) Das deutsche Volk ist aber keine amorphe Masse; es ist in Länder gegliedert, und es ist in seiner Geschichte bisher noch immer in dieser Gliederung in Länder politisch aufgetreten. Das deutsche Volk handelt auch, wenn es als das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Hessen usw. auftritt, als deutsches Gesamtvolk. Darum ist es sicher, daß das Grundgesetz unseres Staatsfragments nicht auf Grund einer Vereinbarung der deutschen Länder zu entstehen braucht, weil die Quelle der Hoheitsgewalt nicht bei den Ländern liegt, sondern beim deutschen Volk.

(Lebhafte Zustimmung.)

Auffassung scheinen auch die Besatzungsmächte auszugehen. Die Dokumente Nr. I und II sind in diesem Punkt ganz deutlich. Nach Dokument Nr. II29) sollen die deutschen Ministerpräsidenten Vorschläge über die Änderung von Ländergrenzen machen; wohlgemerkt: alle Ministerpräsidenten für jeden beliebigen Teil des deutschen Staatsgebiets. Das ist nur möglich, wenn Von dieser

29) Frankfurter Dokument Nr. II, Abdr.

in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 32. 33

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als Auffassung der Besatzungsmächte annimmt, daß die Ministerpräsidentreuhänderisch in Wahrung gesamtdeutscher Interessen handeln sollen.

man

ten

(Sehr richtig!)

Denn wie käme sonst etwa der Ministerpräsident von Württemberg-Baden dazu, zu erklären, er sei nicht damit einverstanden, daß die Grenzen zum Beispiel Schleswig-Holsteins so und nicht anders verlaufen. Dazu ermächtigt ihn doch seine Landesverfassung nicht; dazu ist er doch nur ermächtigt, wenn man davon ausgeht, daß eine Möglichkeit besteht, gesamtdeutsche Interessen heute

schon unmittelbar

zu

repräsentieren.

Weiter; Der Parlamentarische Rat ist fraglos ein gesamtdeutsches Organ. Wir hier, meine Damen und Herren, vertreten nicht bestimmte Länder, sondern wir vertreten die Gesamtheit des deutschen Volkes, soweit es sich vertreten lassen

kann.

Umstand, daß das deutsche Volk in der Gliederung in Länder auftritt, kommt dadurch zum Ausdruck, daß die Wahl der Abgeordneten für dieses Hohe Haus durch die Landtage erfolgte30), und darin, daß der Beschluß, zu dem wir kommen werden, in den Ländern zu ratifizieren ist. Notabene: Nur zu ratifizieren, und nicht etwa als Gesetz zu verkünden. Schließlich und das scheint mir jeden Zweifel auszuschließen weise ich auf die Bestimmung hin, daß das Grundgesetz für das ganze Gebiet der elf Länder auch dann gelten wird, wenn nur zwei Drittel der Länder zustimmen. Wie sollte es die Möglichkeit geben, daß zwei Drittel ein Drittel majorisieren, wenn man nicht von vornherein davon ausgeht, daß ein deutsches Staatsvolk, eine deutsche Staatswirklichkeit schon besteht und nicht erst entsteht, eine Staats Wirklichkeit, die imstande ist, eine volonté générale herzustellen auch dort, wo eine volonté de tous nicht gegeben ist? Das alles ist nicht müßige Theorie, sondern eine Feststellung, die mir notwendig scheint. Denn wir müssen wissen, bei wem der Anspruch ruht; ob Deutschland unter Ländern ausgehandelt werden muß oder ob das deutsche Volk sich selbst sein Haus zu bauen hat. Noch eine weitere Frage: Soll das Gebilde, dessen Organisation wir hier zu schaffen haben, einen Namen erhalten oder nicht? Die Frage ist von höchster Bedeutung. Nomina sunt omina. Namen bringen zum Ausdruck, was denn eigentlich entsteht oder entstehen soll. Nun ist die Frage die, ob sich ein Name überhaupt mit einem Provisorium verträgt, ob hier nicht statt eines Namens eine bloße „Bezeichnung" das Bessere wäre31). Es wird hier von diesem Hohen Hause eine sehr politische Entscheidung getroffen werden müssen. Ich glaube nicht, daß es möglich ist, von irgendeiner Seite her den Beweis zu führen, daß diese oder daß jene Antwort Der

-

-

30) Siehe Dok. Nr. 1, Anm. 6. 31) Zur Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" siehe Der Pari. Rat Bd. 5 passim, insbes. S. 171, Anm. 22. Zu Beginn der Diskussion schien sie Teilen der SPD noch unannehmbar. Menzel berichtete unter dem 17. Sept. 1948 an den Parteivorstand über den Vorschlag von Heuss und fügte hinzu: „Einige Mitglieder der Fraktion möchten diesem Vorschlag nähertreten. Schmid und ich halten ihn für völlig falsch, weil sehr einen staatlichen Charakter verrät" (FESt NL Carlo Schmid/1162).

34

er zu

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auf die gestellte Frage die richtige ist. Man muß sich da eben entscheiden. Aber welcher Name auch immer gegeben werden mag und ob ein Name gegeben wird oder nicht: in dem Gebiet, für das das Grundgesetz gilt, wird nicht eine separate „westdeutsche" Gebietshoheit ausgeübt, sondern gesamtdeutsche Hoheitsgewalt in Westdeutschland. Das sollte bei der Bezeichnung der Organe zum Ausdruck kommen. Denn was hier geschieht, ist zwar räumlich auf einen Teil Deutschlands beschränkt, aber wir sollten nie vergessen, daß es sich ableitet aus dem Rechte des gesamten deutschen Volkes! Wir werden uns überlegen müssen, ob wir dieses Grundgesetz mit einer Präambel einleiten sollen32). Ich für meinen Teil halte es für notwendig; denn die Präambel charakterisiert das Wesen des Grundgesetzes. Sie sagt aus, was sein soll, und sie wird insbesondere aussagen müssen, was das Grundgesetz nicht sein soll. Die Präambel wird gewissermaßen die Tonart des Stückes angeben und sie wird darum alle konstitutiven Merkmale kennzeichnen und in sich enthalten müssen. Weitere Frage: Soll dieses Staatsfragment Symbole erhalten, Farben und Flaggen; sollen es allgemeine Symbole sein, die dem ganzen Volke eigen sind, oder soll man sich mit Zwecksymbolen begnügen, etwa für die Schiffahrt, für Auslandsvertretungen usw.; oder soll man in das Grundgesetz überhaupt nichts über Symbole schreiben? Soll man sich auf ein künftiges Flaggengesetz verlassen, oder wie soll man sich sonst verhalten? Auch das wird eine politische Entscheidung erfordern. Aber eines scheint mir sicher zu sein: wenn sich dieses Hohe Haus für ein Symbol entscheiden sollte, dann kann es nur ein gemeindeutsches Symbol sein, und ich glaube, daß hierfür nichts anderes in Betracht kommen kann als die schönen Farben der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung, die Farben Schwarz-Rot-Gold33)!

(Bravo!)

Meine Damen und Herren! Es ist uns aufgegeben worden, ein Grundgesetz zu machen, das demokratisch ist und ein Gemeinwesen des föderalistischen Typs errichtet. Was bedeutet das? Welche allgemeinen Inhalte muß danach das Grundgesetz haben, wenn diesen Auflagen Gerechtigkeit erwiesen werden soll? Was heißt denn eigentlich bei Verfassungen „demokratisch"? Gerade heute gefällt man sich darin, die Demokratie „weiterzuentwickeln", indem man „pro-

gressistische" (Zurufe

Demokratien erfindet. der SPD: „Volks"demokratie!)

von

persönlich liegt es, wenn von Demokratie die klassische Demokratie zu denken, für die bisher die Völker Europas gekämpft haben. Wenn wir das so Erkämpfte betrachten, dann finden wir, daß offenbar einige Merkmale erfüllt sein müssen, wenn von einer demokratischen Verfassung soll gesprochen werden können. Lucus

a non

lucendo34).

gesprochen wird, eher dabei



Mir

-

an

32) Über die Präambel wurde zunächst im Ausschuß für Grundsatzfragen beraten. Der Pari. Rat Bd. 5 passim. 33) Die Bundesfarben wurden ebenfalls vor allem im Ausschuß für Grundsatzfragen beraten. Ebenda, passim. 34) Lateinische Sentenz nach Vergil, Aeneis I, 22: „Wald wird, lucus' genannt, weil es darin nicht licht (lucere hell sein) ist". =

35

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Das Erste ist, daß das Gemeinwesen auf die allgemeine Gleichheit und Freiheit der Bürger gestellt und gegründet sein muß, was in zwei Dingen zum Ausdruck kommt. Einmal im rechtsstaatlichen Postulat, daß jedes Gebot und jedes Verbot eines Gesetzes bedarf und daß dieses Gesetz für alle gleich sein muß; und zweitens durch das volksstaatliche Postulat, das verlangt, daß jeder Bürger in gleicher Weise an dem Zustandekommen des Gesetzes teilhaben muß. Ob das in der Form der plebiszitären unmittelbaren Demokratie erfolgt oder in der Form der repräsentativen Demokratie, wird im allgemeinen eine Zweckmäßigkeitshage sein, bei der das quantitative Element den Ausschlag wird geben müssen. Das Entscheidende ist, daß jeder Hoheitsträger mittelbar oder unmittelbar auf einen Wahlakt muß zurückgeführt werden können. Der Beamte zum Beispiel muß durch einen Minister ernannt sein, der selber durch ein allgemein gewähltes Parlament bestätigt und eingesetzt worden ist. Nun erhebt sich die Frage: Soll diese Gleichheit und Freiheit völlig uneingeschränkt und absolut sein, soll sie auch denen eingeräumt werden, deren Streben ausschließlich darauf ausgeht, nach der Ergreifung der Macht die Freiheit selbst auszurotten? Also: Soll man sich auch künftig so verhalten, wie man sich zur Zeit der Weimarer Republik zum Beispiel den Nationalsozialisten gegenüber verhalten hat? Auch diese Frage wird in diesem Hohen Hause beraten und entschieden werden müssen. Ich für meinen Teil bin der Meinung, daß es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, daß sie selber die Voraussetzungen

Beseitigung schafft. (Zurufe: Sehr richtig! von der SPD.)

für ihre

weiter gehen. Ich möchte sagen: Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muß man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie

Ja, ich möchte

umzubringen.

(Lebhahe Zurufe: Sehr richtig!)

Das Zweite, was verwirklicht sein muß, wenn man von demokratischer Verfassung im klassischen Sinne des Wortes sprechen will, ist das Prinzip der Teilung der Gewalten. Sie wissen, daß die Verfassung von 179 2 35) den Satz enthielt, daß ein Staat, der nicht auf dem Prinzip der Teilung der Gewalten

aufgebaut sei, überhaupt keine Verfassung habe. Was bedeutet dieses Prinzip? Es bedeutet, daß die drei Staatsfunktionen, Gesetzgebung, ausführende Gewalt und Rechtsprechung, in den Händen gleichgeordneter, in sich verschiedener Organe liegen, und zwar deswegen in den Händen verschiedener Organe liegen müßten, damit sie sich gegenseitig kontrollieren und die

Erfahrung, daß, eines

Organes

halten können. Diese Lehre hat ihren Ursprung in der auch immer die gesamte Staatsgewalt sich in den Händen vereinigt, dieses Organ die Macht mißbrauchen wird. Frei-

Waage wo

nur

war wohl die französische Verfassung vom 3. Les Constitutions de la France. Paris 1964, S. 43.

35) Gemeint 36

Sept.

1791. Maurice

Duverger:

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lieh besteht auch die Möglichkeit, daß die einzelnen Gewalten oder daß eine ihnen die Macht, die in ihrer Unabhängigkeit liegt, mißbrauchen. Sie wissen um die harte Kritik, die man während der Zeit der Weimarer Republik an der richterlichen Gewalt geübt hat, und, wie ich glaube, nicht immer mit Unrecht36). Vielleicht wird es mit zu unseren Aufgaben gehören müssen, in dem Grundgesetz Vorsorge dafür zu treffen, daß die notwendige richterliche Unabhängigkeit nicht gegen die Demokratie mißbraucht werden kann. (Zuruf von der SPD: Bestimmt) Heute ist es wieder nötig, von diesen alten Dingen zu sprechen, denn gerade die „Demokratie", die sich als „progressistisch" bezeichnet, will die Teilung der Gewalten aufgeben. In den Richtlinien für eine deutsche Verfassung, die der Deutsche Volksrat37) ausgearbeitet hat, finden sich zum Beispiel eine Reihe von Bestimmungen, die nichts anderes sind als der Ausdruck dafür, daß das Prinzip der Teilung der Gewalten zugunsten der Allmacht des Parlaments nicht mehr gelten soll. Wenn man so vorgeht, dann hat man alle Voraussetzungen für die Installierung einer Diktatur verwirklicht, und darum sollte man in dem Grundgesetz, das wir zu beschließen haben, klar zum Ausdruck bringen, daß das Prinzip der Teilung der Gewalten realisiert werden muß. Als drittes Erfordernis für das Bestehen einer demokratischen Verfassung gilt im allgemeinen die Garantie der Grundrechte. In den modernen Verfassungen finden wir überall Kataloge von Grundrechten, in denen das Recht der Personen, der Individuen, gegen die Ansprüche der Staatsraison geschützt wird. Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist, wenn er nur einen willfährigen Gesetzgeber findet, sondern der Mensch soll Rechte haben, über die auch der Staat nicht soll verfügen können. Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren; sie dürfen nicht nur ein Anhängsel des Grundgesetzes sein, wie der Grundrechtskatalog von Weimar ein Anhängsel der Verfassung gewesen ist. Diese Grundrechte sollen nicht bloße Deklamationen, Deklarationen oder Direktiven sein, nicht nur Anforderungen an die Länderverfassungen, nicht nur eine Garantie der Länder-Grundrechte, sondern unmittelbar geltendes Bundesrecht, auf Grund dessen jeder einzelne Deutsche, jeder einzelne Bewohner unseres Landes vor den Gerichten soll Klage erheben können. Nun wird die Frage sein, wieweit man den Umfang dieses Grundrechtskatalogs ziehen will. Sollen lediglich die sogenannten Grundrechte aufgenommen werden, also die Rechte der Individualperson, oder auch die Rechtsbestimmungen über die sogenannten Lebensordnungen, die so zahlreich über unsere neuen Länderverfassungen hin verstreut sind: Wirtschaft, Kultur, Familie usw.? Vielleicht wird es sich bei einem Provisorium empfehlen, keine endgültige Gestaltung der Lebensordnungen38) zu versuchen und sich statt dessen zu begnügen, einen recht klaren und wirksamen Katalog von Individual-Grundrechten aufzuvon

36) 37) 38)

Ralf Angermann: Deutsche Richterschaft 1919-1945. Frankfurt 1990. G. Jasper: Justiz und Politik in der Weimarer Republik, VZG 1982, S. 167-192. Richtlinien des Deutschen Volksrates siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. Zum Verzicht auf die Hereinnahme der „Lebensordnungen" siehe Der Pari. Rat Bd. 5, S. XXXIV ff. 37

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stellen, so wie in den klassischen Bills of Rights39) der angelsächsischen Länder verfahren worden ist. Aber auf der anderen Seite sollte das Grundgesetz die Länder nicht daran hindern, von ihren weitergehenden Grundrechten und Ordnungsbestimmungen Gebrauch zu machen. Die Frage wird auch sein, ob diese Grundrechte betrachtet werden als Rechte, die der Staat verliehen hat, oder als verstaatlichte Rechte, als Rechte, die der Staat schon antrifh, wenn er entsteht, und die er lediglich zu gewährleisten und zu beachten hat. Auch das ist nicht nur von theoretischer, sondern von eminent praktischer Bedeutung, insbesondere für die Entscheidung der Frage, ob diese Grundrechte auch sollen auf Schranken stoßen können: Sollen sie schlechthin absolut unberührbar sein? Ich glaube, daß man bei den Grundrechten eine immanente Schranke wird anerkennen müssen: es soll sich jener nicht auf die Grundrechte berufen dürfen, der von ihnen Gebrauch machen will zum Kampf gegen die Demokratie und die heiheitliche Grundordnung. (Lebhafte Zurufe: Sehr richtig!) Wir wollen nicht mehr, daß man sich auf das Grundrecht der Presseheiheit berufen kann nur zu dem einen Zweck, die Republik zu beseitigen, um an ihre Stelle eine Diktatur zu setzen, die keine Presseheiheit mehr kennen wird!

(Lebhafte Zustimmung.)

Wir wollen auch nicht haben, daß man diese Grundrechte mit einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt versieht, wie das etwa in den Verfassungsrichtlinien des Volksrats40) und in einigen Verfassungen der Länder der Ostzone der Fall ist41). Wenn ich jedes Grundrecht durch Gesetz einschränken kann, dann ist es sinnlos, es durch die Verfassung zu garantieren,

(erneute lebhafte Zustimmung) dann ist es eine bloße Deklamation und keine effektive Wirklichkeit. Der allgemeine Gesetzesvorbehalt entwertet das Grundrecht, reduziert es auf Null. Man wird aber bei einigen Grundrechten ohne einen beschränkten Gesetzesvorbehalt nicht auskommen können. Ich erinnere nur an alles, was sich aus der Notwendigkeit zum Beispiel der Wohnungsbewirtschaftung ergibt, der Einquartierungen und anderem mehr. Aber man sollte von diesen beschränkten Vorbehalten nur einen äußerst sparsamen Gebrauch machen, und keinesfalls sollen die Möglichkeiten des Gesetzgebers so weit gehen, daß er das Grundrecht in seiner Substanz kränken kann. Und nun das Entscheidende: soll der Staat den Grundrechten gegenüber vom Staatsnotstandsrecht Gebrauch machen können, so daß er, wenn er mit den ordentlichen Mitteln nicht fertig werden kann, die Grundrechte aufhebt, um Ruhe und Ordnung und Sicherheit wieder herzustellen? Man wird sich diese Frage sehr genau überlegen müssen. Man wird sich fragen müssen, ob die 39) Bill of Rights des

Staates Virginia vom 12. Juni 1776. Abdr. bei Wolfgang Heidelmeyer Die Menschenrechte. Erklärungen, Verfassungsartikel, Internationale Abkommen. Paderborn 1972, S. 47-49. Richtlinien des Deutschen Volksrates siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. Gerhard Braas: Die Entstehung der Länderverfassungen in der Sowjetischen Besatzungs-

(Hrsg.):

40) 41

)

zone 1946/1947. Mannheimer Bd. 4. Köln 1987.

38

Untersuchungen

zur

Politik und Geschichte der DDR,

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Tatsache der Unberührbarkeit der Grundrechte in sich selber nicht ein so hohes Gut ist, daß der Staat auch in Zeiten des Notstands vor ihnen soll zurücktreten müssen. Vielleicht kann eine Untersuchung der möglichen Tatbestände zeigen, daß bei Notständen, wie sie bei uns denkbar sind, der Staat im allgemeinen mit den gewöhnlichen polizeilichen Mitteln wird fertigwerden können. Vielleicht aber wird man auch zur Erkenntnis kommen, daß diese Mittel nicht genügen könnten und daß dann das Individuum vor dem Notstand des Staates zurückstehen muß. Sollte man zu dieser Überzeugung kommen, wird man aber darauf bedacht sein müssen, daß auch im Fall des Notstands nur bestimmte Grundrechte sollen suspendiert werden dürfen, und auch dann nur für Zeit und nur unter der Kontrolle demokratischer Institutionen. Meine Damen und Herren! Jede Verfassungswirklichkeit hängt letzten Endes von dem Wahlrecht ab, das in einem bestimmten Räume gilt. Ich glaube, daß man sich auch in diesem Hause mit dieser Frage des Wahlrechts wird beschäftigen müssen, und sei es nur, um sich darüber schlüssig zu werden, ob Bestimmungen über die Modalitäten eines Wahlgesetzes in dieses Grundgesetz aufgenommen werden sollen oder nicht. Notabene: bis heute scheint mir noch keine Klarheit darüber zu bestehen, wer das Wahlgesetz zur Wahl der ersten parlamentarischen Vertretung des deutschen Volkes erlassen soll, ob es von den Militärbefehlshabern erlassen werden soll oder von den Ministerpräsidenten. Bisher scheint mir nur das eine festzustehen, daß es nicht der Parlamentarische Rat erlassen soll42). Die Frage ist nun, ob nicht durch uns allgemeine Bestimmungen für ein solches Wahlgesetz in das Grundgesetz aufgenommen werden sollten. Ich für meinen Teil würde darin einen Nachteil sehen. Man soll Wahlgesetze nicht allzusehr unter Verfassungsschutz stellen. (Dr. Heuss: Sehr richtig!) Man sollte Wahlgesetze beweglich lassen, damit sich bestimmte Erfahrungen auswirken können und damit sich auch ein Stilwandel im politischen Leben konkret auswirken kann. (Zuruf von der SPD: Das haben wir nötig!) Aber ich glaube, daß etwas anderes in den Kreis unserer Erwägungen mit einbezogen werden sollte, nämlich das Phänomen der politischen Partei. Ich habe es immer seltsam gefunden, daß auch die modernsten Verfassungen bis auf wenige unter ihnen von der Existenz der politischen Parteien keine Notiz nehmen. Freilich ist es sicher: die politischen Parteien sind keine Staatsorgane; sie sind aber entscheidende Faktoren unseres staatlichen Lebens, und je nachdem, ob sie so oder anders organisiert sind, haben unsere Staatsorgane diesen oder einen anderen politischen Wert. Nun scheint es mir richtig zu sein, daß man sehr bald ein Parteiengesetz erläßt, und mir scheint weiter richtig zu sein, daß man in dieses Grundgesetz Mindestbestimmungen für ein solches Parteiengesetz aufnimmt, Bestimmungen, die für die politischen Parteien einen gewis-

')

Zu den Auseinandersetzungen Rat Bd. 6, S. VII ff.

um

die

Zuständigkeit für

das

Wahlgesetz siehe Der Pari. 39

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demokratischen Mindeststandard vorsehen. Ich denke dabei nicht an Lizenzzwang. Ich halte es für eine schlechte Sache, politische Parteien unter Lizenzzwang43) zu stellen. (Zurufe: Sehr richtig!) Aber ich denke, man könnte vielleicht vorsehen, daß die politischen Parteien über die Mittel, die ihnen zufließen, periodisch Rechnung legen müssen oder daß sie ihre Kandidaten in Urwahlen aufstellen müssen oder daß sie einmal im Jahr in Mitgliederversammlungen über ihr Tun Rechnung legen müssen, und Ähnliches. Ich könnte mir vorstellen, daß sich auf diese Weise bei uns einiges zum Nutzen einer echten Demokratie ändern könnte! Vielleicht könnte man sogar daran denken, ob nicht in diesem Grundgesetz eine Bestimmung vorgesehen werden soll, die, wie ich glaube, voreilig in die Länderverfassungen aufgenommene Bestimmungen über das jeweilige Wahlsystem gegenstandslos macht. Aber das ist nur ein Gedanke, den ich zur Erwägung geben möchte. Meine Damen und Herren! Zur Demokratie gehört weiter die Anerkennung des Satzes, daß Recht vor Macht geht, und ich glaube und möchte behaupten, daß ein Staat sich heute nur dann als volldemokratisch bezeichnen kann, wenn er diesem Prinzip im Verhältnis zu den anderen Staaten Ausdruck gibt. Ich brauche hier nicht an die großartigen Gedanken Immanuel Kants zu erinnern, dort in seiner Schrih „Vom Ewigen Frieden"44), wo er sagt, daß der Staat selber den Menschen nur dann ins Recht einzubetten vermöge, wenn er selber im Verhältnis zu den anderen Staaten in das Recht eingebettet sei. Ich glaube darum, daß das Grundgesetz eine Bestimmung enthalten sollte, die besagt, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes unmittelbar geltendes Recht in diesem Lande sind, daß also das Völkerrecht von uns nicht ausschließlich als eine Rechtsordnung, die sich an die Staaten wendet, betrachtet wird, sondern auch als eine Rechtsordnung, die unmittelbar für das Individuum Rechte und Pflichten besen

gründet.

(Löbe: Sehr gut!) Weiter sollte man eine

Bestimmung vorsehen, die es erlaubt, im Wege der Gesetzgebung Hoheitsbefugnisse auf internationale Organisationen zu übertragen. Ich glaube, daß dieses Grundgesetz durch eine solche Bestimmung lebendig zum Ausdruck bringen würde, daß das deutsche Volk zum mindesten

entschlossen ist, aus der nationalstaatlichen Phase seiner Geschichte in die übernationalstaatliche Phase einzutreten. (Sehr richtig! bei der SPD.) Wenn wir eine solche Bestimmung nicht aufnehmen, dann wird in jedem einzelnen Falle ein verfassungänderndes Gesetz erforderlich sein, und was das bedeutet, brauche ich hier wohl nicht zu sagen. Wir sollten uns statt dessen selber die Tore in eine neugegliederte überstaatliche politische Welt weit öff-

43) Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches von 1945 wurden politische Parteien von den Besatzungsmächten nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen (= lizenziert). 44) Immanuel Kant (1724-1804). Die Schrift „Vom ewigen Frieden" erschien im Jahre 1795. 40

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Wir wollen uns doch nichts vormachen: in dieser Zeit gibt es kein Problem mehr, das ausschließlich mit nationalen Mitteln gelöst werden könnte. (Lebhafte Zurufe: Sehr gut!) So wie die Ursache aller unserer Nöte eine übernationale Grundlage hat, so können wir auch die Mittel, dieser Nöte Herr zu werden, nur auf übernationaler Grundlage finden. Freilich sollen die Internationalisierungen, die geschehen, echte Internationalisierungen werden und nicht einseitige Hypotheken zu Lasten des deutschen Volkes. nen.

(Sehr richtig!)

Und dann stellt sich ein weiteres Problem, das Problem der Sicherheit dieses Gebietes. Wir werden keine Wehrmacht mehr haben. Ich für meinen Teil begrüße es, daß das Zeitalter der nationalen Wehrmachten zu Ende zu gehen scheint und daß die Wehrhoheit mehr und mehr auf übernationale Instanzen überzugehen scheint. Das setzt aber voraus, daß sich die Staaten in einem System kollektiver Sicherheit zusammenschließen, wo die Sicherheit nicht mehr ausschließlich durch das nationale militärische und industrielle Machtpotential garantiert wird. Ich glaube darum, daß das Grundgesetz eine Bestimmung enthalten sollte, die es möglich macht, auf einfache Weise einem solchen System kollektiver Sicherheit auf der Grundlage der Gegenseitigkeit beizutreten.

Manche meinen, es genüge, daß sich ein Staat durch seine Verfassung neutralisiert. Dieser Wunsch ist verständlich. Jeder blickt gern nach der Schweiz hinüber. Aber so einfach geht es nicht. Es gibt keine Institution „Neutralisierung", die man einseitig schaffen könnte, es gibt nur Gebiete, die durch internationale Verträge neutralisiert sind. Und wenn ich eine Reihe von Nachbarstaaten sich verpflichten lasse, die Neutralität dieses Gebietes zu garantieren, dann muß ich ihnen auch das Recht geben, sich um die Politik dieses Gebietes zu kümmern; denn wenn hier falsche Politik gemacht wird, engagiert das ja ihre Verpflich-

tungen. (Sehr gut!)

Man kann niemandem zumuten,

Rechte

spondierende (Sehr richtig!)

zu

Verpflichtungen übertragen.

zu

übernehmen, ohne korre-

Aus diesem Grunde sollte

man nicht so leichtfertig nach Neutralisierung rufen! Ich glaube, daß das Grundgesetz weiter eine Bestimmung enthalten sollte, die jeden unter Strafe stellt, der das friedliche Zusammenleben der Völker stört und Handlungen in der Absicht vornimmt, die Führung eines Krieges vorzubereiten45). Ich denke dabei nicht nur an die Fabrikation und den Handel mit Waffen, sondern auch an den Turnverein, in dem Wehrsport getrieben wird. Wohin diese Dinge uns geführt haben, wissen wir jetzt, und wir bezahlen heute die Rechnung für einen Unfug, den wir einmal leichtfertig duldeten.

) Die Frage der Kriegsächtung wurde mehrfach delt. Der Pari. Rat Bd. 5, Stichwort

im Ausschuß für

„Kriegsächtung".

Grundsatzfragen behan41

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Ich glaube, daß das Grundgesetz weiter eine Bestimmung enthalten sollte, daß wir die Abtretung deutschen Gebietes ohne die Zustimmung der auf diesem Gebiet wohnenden Bevölkerung nicht anerkennen.

(Zustimmung.)

Vielleicht können wir gezwungen werden, zu erleiden und zu ertragen, was uns bisher hier angetan worden ist. Aber man wird uns niemals zwingen können, es als Recht anzuerkennen!

(Sehr gut!)

Weder im Westen noch im Osten! Das gehört zur Ehre eines Volkes und damit auch zur Demokratie. Eine Tyrannis kann es sich leisten, Menschen preiszugeben, eine Demokratie aber nicht!

(Beifall.)

gegenwärtig wieder in den Zeitungen viel von Gebietsforderungen, die man auch im Westen an uns stellt46). Wir müssen anerkennen, daß es überall an den Grenzen Probleme gibt, die gelöst werden müssen. Wir glauben aber nicht, daß man heute in der Mitte des 20. Jahrhunderts solche Probleme unbedingt mit Methoden lösen muß, die 1814 vielleicht modern gewesen sind. Wir lesen

(Sehr gut!)

Diese Probleme können nur auf internationaler Grundlage richtig gelöst werden. Man kann sich von Staat zu Staat über die Lösung der Schwierigkeiten einigen, die da und dort durch den Lauf der Grenzen begründet sein mögen, und braucht da nicht gleich Gebietsforderungen zu erheben. Wenn man entschlossen ist, sich in seinem eigenen Lande nationalistischen Regungen entgegenzustellen, dann ist man auch verpflichtet, ein nationalistisches Verhalten auch dann Na-

heißen, (Sehr wahr!)

tionalismus

zu

wenn es

anderswo

geschieht.

Wir müssen dieses Grundgesetz so gestalten, daß ein Gebilde föderalistischen Typs entsteht. Man hat uns das offensichtlich im Rahmen der „Sicherheitspolitik" auferlegt. Während überall sonst in der Welt Föderalismus Vereinigung von Getrenntem bedeutet, will man ihn bei uns offenbar einführen, um schon Geeintes wieder zu dissoziieren! Ich glaube, es lohnt sich, darüber einige Worte zu verlieren. Glaubt man denn wirklich im Ernst, daß die Sicherheit unserer

Nachbarn durch

(Sehr gut!)

verfassungstechnische

Kunststücke

garantiert

werden kann?

glaube nicht, daß die Föderalisierung Deutschlands als solche eine Sicherheitsgarantie für unsere Nachbarn ist. Ich glaube aber, daß Demokratisierung Deutschlands eine Sicherheit hir unsere Nachbarn abgeben könnte. Ich

(Sehr wahr!) 4e) Gebietsforderungen im Westen wurden insbes. von Holland und Frankreich gestellt. Auf deutscher Seite wurde diese Frage durch das Deutsche Büro für Friedensfragen beobachtet. Einschlägige Akten im BArch Koblenz, Bestand Z 35/185-190. Im Febr. 1949 wurde das Thema auch auf der Ministerpräsidentenkonferenz vom 11./12. Febr. 1949 als TOP 4 behandelt und eine entsprechende Resolution gefaßt. Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, S. 203.

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Hätten wir 1914 eine unter parlamentarischer Kontrolle stehende Regierung gehabt, dann wäre der Friede gesicherter gewesen, als er es in dem sehr föderalistisch aufgebauten Deutschland von damals gewesen ist.

(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)

Der föderalistische Bundesrat hat den

Krieg nicht verhindert, ein mächtiges aber hätte ihn wahrscheinlich verhindert. Was zur Frage des Föderalismus zu sagen ist, darüber nur einige Worte. Was heißt denn „föderalistische Ordnung?" Ich glaube, daß sich darauf so viele Antworten geben lassen wie auf die Frage: Was heißt Demokratie? Es gibt eine Reihe von historischen Verfassungsmodellen, die man übereingekommen ist, föderalistisch zu nennen. Sie differieren außerordentlich untereinander. Ich glaube aber doch, daß einige Charakteristika festzuhalten sind, die realisiert sein müssen, wenn einer Verfassung das Prädikat „föderalistisch" gegeben werden soll. Das erste scheint mir zu sein, daß das Staatsgebiet in einer Reihe differenzierter Gebietskörperschaften eigener Ordnung gegliedert sein muß; zweitens, daß eine Bundesgewalt bestehen muß, die innerhalb ihrer Zuständigkeit der Gewalt der Glieder vorgeht; drittens, daß auf bestimmten Sachgebieten eine eigenständige ausschließliche oder konkurrierende Zuständigkeit der Glieder bestehen muß; viertens, daß die Glieder an den Organen zu beteiligen sind, die den gesetzgeberischen Willen des Bundes bilden; und schließlich fünftens, daß ein qualifizierter Schutz gegen Änderungen der föderalistischen Struktur der Verfassung vorhanden ist. Es ist für uns kein Zweifel, daß die deutschen Länder die Grundlage des Gebietes sein müssen, das wir jetzt organisieren, und daß sie eigene Verfassungshoheit und Organisationshoheit haben müssen, eigene Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung und eine vom Bunde getrennte Finanzwirtschaft alles dies im Rahmen der Bestimmungen des Grundgesetzes. Weiter ist es für uns kein Zweifel, daß eine Bundesgewalt geschaffen werden muß, die nicht die Summe der Ländergewalten ist, sondern eine eigenständige Gewalt, die im Rahmen des Grundgesetzes den Vorrang vor den Ländergewalten haben muß. Bundesrecht soll Landesrecht brechen. Schwieriger wird es sein, das Verhältnis zu bestimmen, in dem auf beiden Stufen die ausführenden Gewalten zueinander stehen sollen. Ich will hier aber nichts vorwegnehmen, was morgen aus berufenerem Munde dazu ausgeführt werden soll. Lassen Sie mich hier nur noch einiges Grundsätzliche andeuten. Es wird nötig sein, daß wir die Gesetzgebungskompetenz nach Sachgebieten abgrenzen. Die Frage ist, wie wir dabei verfahren sollen. Ich würde es bedauern, wenn man dabei auf Grund irgendwelcher formalistischer Standpunkte auf Grund eines formalistischen Föderalismus oder eines formalistischen Unitarismus verfahren würde. Wir sollten überhaupt bei diesen Dingen nicht deduktiv, sondern induktiv verfahren, d. h. nach dem Prinzip der sachlichen Zweckmäßigkeit. Ich glaube, daß es dafür zwei Grundsätze gibt, über die wir uns sollten einigen können. Der erste ist; Die Lebensinteressen des Ganzen dürfen nicht durch partikulare Egoismen gefährdet werden. Der zweite Satz lautet: Was das Land ohne Schädigung des Ganzen tun kann, das soll es auch allein tun; denn es hat

Zentralparlament

-

-

-

43

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den Vorteil der Sachnähe. Aufbau von unten, aber Planung von oben! Nur wenn dieser zweite Satz auch mit ausgesprochen wird, ist der erste richtig. Zu der Frage, wie die Länder an der Bildung des Bundes zu beteiligen sind, wird wohl morgen referiert werden, wenn über den Aufbau der Organe gesprochen werden wird. Ich will hier nur noch über einen Sonderfall sprechen: die Frage der territorialen Gliederung des Bundesgebietes. Soll die Gliederung des Bundesgebietes unverrückbar so bleiben, wie sie heute ist? Soll das geschichtlich Gewordene als letztes Kriterium gelten, oder sollen rationelle Gesichtspunkte bei der Entscheidung dieser Frage walten? Ich bin der Meinung und mit mir meine Freunde -, daß ein gesunder Föderalismus nur möglich ist, wenn gegeneinander vernünftig ausgewogene Länder vorhanden sind -

(sehr richtig!)

Zufallsgebilde, die großenteils nicht älter sind als (sehr richtig!) und ihre Entstehung dem Zufall der Demarkationslinie zwischen

und nicht pure riedivisionen

drei Jahre zwei Infante-

verdanken47).

(Sehr richtig! und Zuruf: Die jetzt ihre Tradition verteidigen!)

Jetzt sollen die Herren Ministerpräsidenten dieses Problem regeln48). (Zuruf: Hoffnungslos!) Sie wollen, bevor unsere Arbeiten abgeschlossen sind, die Neugliederung Deutschlands im Wege einer Änderung der Werden sie Erfolg haben oder nicht?

Ländergrenzen

vorgenommen haben.

(Zuruf: Nein!)

Wir können

es nur

ahnen,

(Heiterkeit)

aber nicht wissen. Nehmen wir an, es würde ihnen nicht gelingen, sollen wir uns dann endgültig mit dem Zustand begnügen, mit dem die Ministerpräsidenten nicht fertig werden konnten? (Heuss: Nein, das sollen wir nicht!) Wir werden uns schlüssig werden müssen: Soll das Grundgesetz die Möglichkeit vorsehen, eine Neugliederung des Bundesgebietes vom Bunde her zu schaffen? Soll diese Neugliederung durch die Länder selbst vorgenommen werden, etwa im Wege gegenseitiger Verträge und Vereinbarungen? Bei den bisher mit diesem System gemachten Erfahrungen werden, glaube ich, alle am bisherigen Zustand Interessierten ihren Schlaf weiter in Ruhe genießen können. Soll, wenn die Neugliederung durch Bundesgesetz vorgenommen werden soll, der Wille der beteiligten Bevölkerungen mit in Betracht gezogen werden? So oder anders? Alles das werden Fragen sein, um die man sich hier wird bemühen müssen. Ich glaube jedenfalls nicht, daß wir um diese Fragen herumkommen

) Die Bemerkung bezog sich insbesondere auf die Grenzen zwischen US- und französischer Zone. Earl F. Ziemke: The U.S. Army in the Occupation of Germany 1940-1946.

J

Washington D.C. 1975, S. 307. Die Ministerpräsidenten hatten von den Alliierten im Frankfurter Dok. Nr. II den Auftrag erhalten, Vorschläge zur Ländcrneugliederung zu erarbeiten; Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 9.

44

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Nr. 2

werden. Aber eines möchte ich sagen: Sollte es je einmal gelingen, die Gliederung Deutschlands nach vernünftigen Gesichtspunkten durchzuführen, dann sollte man es bei dem geschaffenen Zustand sein Bewenden haben lassen. Dann sollte man ruhig konservativ verfahren. Meine Damen und Herren! Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen angelangt. Sie sind Ihnen vielleicht gelegentlich ein wenig theoretisch vorgekommen. Aber glauben Sie mir, es ist mir nicht um Spekulationen gegangen! Ich habe versucht, eine klare Definition der Wirklichkeit zu geben und sonst nichts. Denn nur auf einer klar definierten Wirklichkeit kann man eine Politik aufbauen, die ihren Namen verdient. Mit Illusionen und mit Fiktionen kann man sich etwas vormachen, eine Zeitlang vielleicht auch anderen. Man kann sich ihrer vielleicht eine Zeitlang sogar als Instrumente einer Politik bedienen, aber man kann Fiktionen nicht zu Fundamenten einer Politik machen, nicht einmal zu Ansatzpunkten für den Hebel einzelner politischer Aktionen. Mein Anliegen ist gewesen, klare Einsicht zu vermitteln und dabei nüchtern zu verfahren. Klare Einsicht, und Nüchternheit und leidenschaftliche Liebe zum deutschen Volke und brennende Sorge um den Frieden Europas werden die Sozialdemokratische Partei bei ihrer Arbeit im Parlamentarischen Rate leiten. Einsicht und Nüchternheit gebieten, die Begrenzungen zu erkennen, denen unsere Möglichkeiten unterworfen sind. Je mehr wir bei voller Ausschöpfung dieser Möglichkeit dieser Realität Rechnung tragen, desto wirksamer wird das Instrument sein, das wir zu schmieden haben. Wofür schmieden wir dieses Instrument? Schmieden wir es, um Deutschland zu spalten? Wir schmieden es, weil wir es brauchen, um die erste Etappe auf dem Wege zur staatlichen Einigung aller Deutschen zurückzulegen! Noch liegen die weiteren Etappen außerhalb unseres Vermögens. Möchten die Besatzungsmächte sich der Verantwortung bewußt sein, die sie übernommen haben, als sie sich zu Herren unseres Schicksals aufwarfen. Diese Verantwortung schließt die Pflicht ein, um des Friedens Europas willen Deutschland endlich den Frieden zurückzugeben und damit dem deutschen Volk die Möglichkeit, von seinem unvernichtbaren Recht auf eigene Gestaltung der Formen und Inhalte seiner politischen Existenz Gebrauch zu machen. Ein geeintes demokratisches Deutschland, das seinen Sitz im Rate der Völker hat, wird ein besserer Garant des Friedens und der Wohlfahrt Europas sein als ein Deutschland, das man angeschmiedet hält wie einen bissigen Kettenhund!

(Beifall49).)

')

Der amerikanische Verbindungsoffizier Hans Simons charakterisierte Schmids Ausführungen und ihre Wirkung auf das Plenum in einem Memorandum vom 9. Sept. 1948 wie folgt: „The first morning session was taken entirely by a long elaborate and highly academic presentation by Dr. Karl Schmid who lectured for more than two hours on practically all the aspects of the Chiemsee report without adding very much to what it contained particularly in the commentaries of this report. He again stressed the political, geographical and executive limitations under which an organization for western Germany had to be formed, and repeated the view points of the SPD as to both the character of the basic document and the terminology to be used in it. At the end, however, he called for the restoration of a state of peace and for a considerable restriction on the powers of occupation. There was practical no response from the audience" (Z 45 F/15/148-2, folder 3). In einem Bericht vom 14. Sept. 1948 (ebenda) schrieb er, im Gespräch mit ihm 45

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Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren! Nach der Vereinbarung im Altestenrat soll vormittags ein zweiter Redner nicht mehr sprechen; wir unterbrechen also die Beratung. Ich habe noch auf folgendes hinzuweisen. Sie werden beobachtet haben, daß außer Herrn Löbe die Berliner Vertreter nicht anwesend sind. Es ist wohl unschwer zu erraten, daß die schwierigen Berliner Verhältnisse50) die Herren hindern, hier zu sein. Wir wollen nur die Hoffnung aussprechen, die Entwicklung möge sich so gestalten, daß sie wieder unter uns sein können. Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß die Beschlüsse der Eröffnungssitzung auf Ihren Plätzen liegen51). Einwendungen dagegen sind im Laufe des Tages zu machen, sonst gelten sie als genehmigt. Ebenso liegt auf Ihren Plätzen das

Kurzprotokoll

der 1.

Sitzung52).

um 3 Uhr pünktlich mit der Rede des zweiten Berichtfort. Ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um 12 Uhr 22 Minuten unterbrochen. Die Sitzung wird um 15 Uhr 6 Minuten wieder aufgenommen. Vizepräs. Schönfelder: Die Sitzung ist wieder aufgenommen. Ich bitte Herrn Dr. Süsterhenn, das Wort zu nehmen. Dr. Süsterhenn (CDU)53): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den ersten äußeren Anstoß zur Bildung dieses Parlamentarischen Rates haben in Ausführung der Beschlüsse der Londener Konferenz54) die Militärgouverneure der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone gegeben, indem sie durch das Dokument Nr. I55) vom 1. Juli 1948 die Ministerpräsidenten ihrer Zone nicht beauftragten, sondern ermächtigten, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die spätestens am 1. September 1948 zusammentreten

Wir setzen die

Beratung

erstatters

habe Schmid zugegeben, daß vieles in seiner Ansprache durch die Lage in der französischen Besatzungszone bedingt sei. Schmids Rede „made full use of the patriotic appeal [. .] A strong nationalist note is part of the SPD line, and Schmid took full advantage of the fact that his own dogmatic position coincides fully with the official position of the SPD. In judging Schmid's speech one has to remember that it was, on the whole, a highly academic performance, and that the underlying agressiveness of its argument was less noticeable while he spoke, then it becomes when the speech is read. One has also to take into consideration the arrogance of the speaker which is intellectual and therefore personal at least as much as political". 50) Nachdem am 6. Sept. 1948 kommunistische Demonstranten eine Stadtverordnetenversammlung im Neuen Stadthaus (sowjetischer Sektor) unmöglich gemacht hatten, tagte sie im britischen Sektor als außerordentliche Versammlung. Eine Fülle von Vorfällen, Verhaftungen, bei denen auch die Sowjets und die westlichen Alliierten beteiligt und betroffen waren, wiesen auf eine dramatische Zuspitzung der Berlinkrise hin. Am 8. Sept., als der Pari. Rat tagte, fand wiederum eine außerordentliche Sitzung der Stadtverordnetenversammlung statt. Berlin. Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung 1946-1948, S. 626 ff. 51 ) Die Beschlüsse der Eröffnungssitzung wurden vervielf. als Drucks. Nr. 12. 52) Kurzprot. der Eröffnungssitzung vervielf. als Drucks. Nr. 7. 53) Süsterhenns Redebeitrag wurde wie der von Schmid gesondert vervielf.; siehe Drucks. .

Nr. 37.

54) Beschlüsse der Londoner Konferenz abgedr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, 55) Frankfurter Dokument Nr. I, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff. 46

S. 1 ff.

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sollte. Die Ministerpräsidenten haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und gemäß den in Dokument Nr. I niedergelegten Richtlinien die Mitglieder des Parlamentarischen Rates durch die Landtage der elf Länder wählen

lassen56).

Wenn also der äußere Anstoß zur Bildung dieses Parlamentarischen Rates, dem die Aufgabe gestellt ist, eine vorläufige Verfassung bzw. ein Grundgesetz für die politische Zusammenfassung der Länder der Westzonen auszuarbeiten, von den Vertretern der Besatzungsmächte ausgeht, so bedeutet das nicht, daß wir hier unser Mandat letztlich von der Besatzungsmacht herzuleiten und uns als ausführendes Organ eines fremden Willens zu betrachten haben. Schon die Ministerpräsidenten waren nicht Befehlsempfänger, sondern vor die freie Wahl gestellt, ob sie von der seitens der Besatzungsmacht gewährten Autorisation Ge-

brauch machen wollten oder nicht. Als die von ihren Landtagen gewählten demokratischen Repräsentanten ihrer Länder, die auch der dauernden Kontrolle ihrer Landtage unterworfen sind, haben sie sich im allgemeinen gesamtdeutschen Interesse gegenüber den Militärgouverneuren bereit erklärt, von der ihnen gebotenen Ermächtigung Gebrauch zu machen und die Vorbereitungen für die Bildung der politischen Organisation der Trizone in die Wege zu leiten. Die Entscheidung der Ministerpräsidenten beruht also auf einem freien deutschen Willensentschluß. Damit ist eine neue selbständige Kausalkette in die politische Entwicklung eingefügt worden, die zu unserem Zusammentritt hier geführt hat. Im Rahmen dieses deutsch bestimmten Kausalzusammenhangs haben die Landtage der elf Länder uns gewählt und uns den Auftrag erteilt, ein Staatsgrundgesetz für die politische und wirtschaftliche Zusammenfassung der Länder der drei Westzonen auszuarbeiten. Wir stehen also nicht hier in einem fremden Auftrag, sondern handeln auf Grund eines deutschen Auftrags, der uns von den elf Landtagen gemeinsam erteilt worden ist, also den bis zu unserem Zusammentritt einzigen Repräsentanten deutschen demokratischen Wollens. Diese deutsche demokratische Legitimation unserer politischen Arbeit müssen wir deutlich herausstellen einerseits gegenüber den Kräften unseres Volkes, die, ohne selbst eine solche deutsche demokratische Legitimation zu besitzen, uns als Söldlinge des amerikanischen Kapitals verdächtigen, andererseits gegenüber den Besatzungsmächten, auch den westlichen Besatzungsmächten, denen gegenüber wir die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten haben. Der vom Abgeordneten Schmid vertretenen Auffassung, daß auch die Tätigkeit dieser Versammlung in Funktion der obersten Gewalt geschehe, die die Besatzungsmacht in Anspruch nimmt, und nicht etwa Ausdruck deutscher Volkssouveränität sei, vermögen wir uns nicht anzuschließen. Wir bekennen uns vielmehr zu dem schon von der christlichen Staatslehre des Mittelalters ausgesprochenen Grundsatz, daß jedes Volk einen von Gott gegebenen Anspruch auf politische Selbstorganisation und eigene politische Repräsentation besitzt. Schon der große europäische Staatsphilosoph Thomas von Aquin57), der wirk-

5e)

Siehe Dok. Nr. 1, Anm. 6.

57) Thomas

von

Aquin (ca. 1225-1274), Theologe und Philosoph. 47

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lieh ein

Europäer

gelehrt Träger liegt.

1948

war, der in Italien geboren, in Köln58) studiert, in Paris59) bekennt sich zu dem Grundsatz, daß das Volk der naturrechtliche hat, der Staatsgewalt ist, daß diese Staatsgewalt also wesenhaft beim Volke

Auch das deutsche Volk hat nach unserer Auffassung seinen naturrechtlichen Anspruch auf politische Selbstbestimmung und Selbstdarstellung durch eine eigene Staatsgewalt nicht eingebüßt, auch nicht durch die sogenannte bedingungslose Kapitulation, die im übrigen der Herr Abgeordnete Schmid ihrem juristischen Wesen nach heute morgen durchaus zutreffend gekennzeichnet hat. Die deutsche Staatsgewalt ist potentiell beim deutschen Volk verblieben, und unsere Aufgabe ist es nunmehr, diese Staatsgewalt wieder zu aktualisieren. Durch unsere gesetzgeberische Arbeit, die eine der wichtigsten demokratischen Befugnisse eines Volkes überhaupt darstellt, tritt zum erstenmal wieder der Ansatz einer über die Länder- und Zonenebene hinausreichenden deutschen politischen Gewalt in die Erscheinung. Als Repräsentanten dieser in Wiedererstehung begriffenen deutschen Staatsgewalt fühlen wir uns in der Erfüllung unserer Aufgabe völlig hei und nur verantwortlich dem deutschen Volk und unserem Herrgott. Man könnte zwar einwenden, diese unsere Freiheit sei nur eine Fiktion, weil in Dokument Nr. I60) seitens der Militärbefehlshaber gewisse Mindestanforderungen an die von uns zu erarbeitende Verfassung gestellt sind, nämlich eine demokratische Verfassung auszuarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und schließlich Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält. Die Militärgouverneure können, wie aus dem Dokument Nr. I hervorgeht, ihre Zustimmung zu der kommenden Verfassung davon abhängig machen, daß sie mit diesen allgemeinen Grundsätzen nicht im Widerspruch steht. Die Fraktion der CDU/CSU erblickt in diesen von den Militärgouverneuren aufgestellten Grundsätzen und Mindestforderungen keinerlei Beschränkung ihrer politischen Willensfreiheit; denn diese Grundsätze entsprechen vielmehr dem, was meine Fraktion von sich aus auch ohne Existenz einer Militärregierung und ohne eine Forderung der Besatzungsmacht von der künftigen deutschen Verfassung verlangt. Diese Verfassung muß zunächst demokratisch sein, d.h. das Volk muß als Träger der Staatsgewalt im Rahmen der durch Ethik und Naturrecht gezogenen Grenzen die politische Kompetenzenfülle in sich vereinen. Die deutsche Verfassung muß ferner föderalistisch sein. Wir sind nicht der Auffassung, daß der Föderalismus aus dem Grund zu rechtfertigen ist, weil er etwa von auswärtigen Mächten als ein größerer Sicherheitsfaktor angesehen wird. Wir wollen unseren Föderalismus nicht auf außenpolitische Erwägungen gründen; aber wir sind auch nicht der Meinung, daß man etwa dem Föderalismus als Negativposten ankreiden könnte, daß etwa im Jahre 1914 der Bundes-

58) In der Vorlage korrigiert aus Paris. 59) In der Vorlage korrigiert aus Köln. 60) Frankfurter Dokument Nr. I, Abdr. 48

in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff.

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Deutschland versagt hätte. Denn neben dem Bundesrat hatten wir auch den Reichstag, der zweifellos ein demokratisches Element darstellte, der aber hinsichtlich der Kriegsverhütung ebenso versagte, wie auch die Parlamente in England und Frankreich versagt haben. (Sehr richtig! bei der CDU.) Das Dokument Nr. I umschreibt den föderalistischen Verfassungstyp dahin, daß er die Rechte der beteiligten Länder schützt und eine angemessene Zentralinstanz schafft. Mit diesen beiden Forderungen allein: Schutz der Länderrechte und Schaffung einer angemessenen Zentralinstanz, ist allerdings unserer Meinung nach das Wesen eines echten Förderativstaates keineswegs erschöpfend umschrieben. Ich werde darauf noch in einem anderen Zusammenhang zu sprechen kommen. Aber jedenfalls werden auch diese beiden Forderungen von uns durchaus bejaht. Wenn schließlich in dem Dokument Nr. I von der Verfassung verlangt wird, daß sie Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthalte, so findet auch das unsere volle Zustimmung. Insoweit decken sich also die Anforderungen, die wir an eine zukünftige deutsche Verfassung stellen, durchaus mit den Grundsätzen, die die Alliierten in Dokument Nr. I aufgestellt haben. In diesem Zusammenhang darf ich auf eine immerhin recht interessante Erklärung hinweisen, die Professor Friedrich61) von der OMGUS bei einer Besprechung anläßlich der Tagung des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee abgegeben hat. Er erklärte dort, die Verfassungsrichtlinien, die in Dokument Nr. I enthalten seien, seien keine Zwangsauflage der Alliierten für das deutsche Volk, sondern nur deshalb in die Proklamation Nr. I62) mit aufgenommen, weil die beiden größten Parteien des deutschen Volkes, die CDU und die SPD, sich wiederholt von sich aus zu diesen Grundsätzen bekannt hätten. Andererseits würden wir uns allerdings einer verhängnisvollen Selbsttäuschung hingeben, wenn wir die in der Natur der Sache liegenden Beschränkungen unserer Arbeitsmöglichkeit nicht erkennen würden. Unser aller Wille ist darauf gerichtet, die staatliche Einheit wiederherzustellen und Deutschland als voll souveränen Staat in die europäische Völkergemeinschaft und in die Gemeinschaft der freien demokratischen Organisationen der Welt wieder einzuordnen. Die Verwirklichung dieses Vorhabens ist zur Zeit noch nicht möglich, und zwar, wie wir ausdrücklich feststellen möchten, nicht durch unsere Schuld. Wir haben von jeher die Aufspaltung Deutschlands in Zonen abgelehnt. Soweit es in unserer Kraft lag, haben wir uns bemüht, die Zonengrenzen zu überwinden und wenigstens im Wege der Koordination dem Gedanken der deutschen Einheit zu dienen. Wir freuen uns, daß es durch unsere Arbeit hier im Parlamentarischen Rat nunmehr ermöglicht werden soll, die politische und wirtschaftliche Einheit wenigstens der drei Westzonen wiederherzustellen. Wir würrat in

) Prof. Carl Joachim Friedrich, Politik-Wissenschaftler an der Harvard-Universität, )

war

für

OMGUS Beobachter beim Verfassungskonvent von Herrenchiemsee gewesen. Der Pari. Rat Bd. 2, S. CXXVII. Zu den Verfassungsvorstellungen der Parteien im Zusammenhang mit der Arbeit des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee siehe Der Pari. Rat Bd. 2, S. XXXV ff. 49

Nr. 2

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ganzem Herzen begrüßen, wenn auch die gesamte Ostzone durch Vertreter hier vollberechtigt vertreten wäre, um Gesamtdeutschland mit uns gemeinsam aufzubauen. Die Konfliktsituation zwischen den Alliierten, der verhängnisvolle Riß zwischen Ost und West, der quer durch Deutschland und Europa geht, hindert uns an der Durchführung unseres Vorhabens. Als Realpolitiker wollen wir im Interesse des deutschen Volkes das Bestmögliche zu erreichen versuchen. Wir betrachten die politische und wirtschahliche Zusammenfassung der drei westlichen Zonen als einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustand, wo die beiden angelsächsischen Zonen nur wirtschahsorganisatorisch vereinigt sind und die hanzösische Zone noch politisch und wirtschahlich völlig unverbunden neben den anderen Zonen steht. Unser Ziel ist, die deutsche Einheit auf der jeweils erreichbaren höchsten Ebene zu verwirklichen. (Sehr gut! bei der CDU.) Wenn wir diese Einheit nunmehr für die drei Westzonen herstellen, sind wir uns bewußt, daß unser Werk gebietsmäßig solange ein Torso bleibt, bis die Gebiete des deutschen Ostens den Zusammenschluß mit den deutschen Westgebieten vollzogen haben werden. Wir nehmen aber den fragmentarischen Charakter unseres Reiches in gebietsmäßiger Hinsicht bewußt in Kauf. Denn es erscheint uns im Interesse Gesamtdeutschlands einschließlich des deutschen Ostens, aber auch im Interesse Europas unabweislich notwendig, die politische Konsolidierung der drei Westzonen zu bewirken, weil sie die Voraussetzung auch für die wirtschaftliche Gesundung der Lebensverhältnisse unseres gesamten Volkes darstellt. Eine Fortdauer des gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Chaos würde nicht nur eine Gefährdung der Existenz unseres deutschen Volkes bedeuten, sondern ganz Europa, das sich bereits am Rande des Abgrundes befindet, mit in unser Verderben hineinziehen. Nur die sofortige und effektive Konsolidierung Westeuropas und die Schaffung einer politischen Ordnungs- und einer wirtschaftlichen Wohlstandssphäre in Westdeutschland wird in der Lage sein, auf die auch dem abendländischen Kulturbereich angehörenden Völker Ostmittel-63) und Südeuropas soviel Anziehungskrah auszuüben, daß ihre demnächstige Wiedereingliederung in die europäische Konföderation ermöglicht wird. (Sehr gut! bei der CDU.) Wir gehen unseren politschen Weg bei der Zusammenfassung der drei Westzonen ohne Rücksicht auf einen etwaigen Vorwurf des Separatismus, von welcher Seite er auch erhoben werden mag. Die Schuldhage, wen die Verantwortung für die bisher weithin bereits vollzogene Aufspaltung Deutschlands trifft, ist durch die über Berlin verhängte Hungerblockade6,1) gegen Frauen und Kinder auch dem primitivsten Beurteiler klar geworden, und zwar so plastisch und eindringlich, daß keine Vernebelungspropaganda daran mehr etwas verwischen kann.

den

es von

heigewählte

;) In der Vorlage korrigiert aus Ost-, Mittel- und Südeuropa. ) Die Blockade Berlins halle am 19. Juni 1948 begonnen. Die inzwischen umfangreiche Literatur

50

aufgeführt bei Schlegelmilch: Hauptstadt,

S. 542, Anm. 24.

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übrigen werden wir unsere Arbeit so gestalten, daß bei einer Veränderung der politischen Verhältnisse die Länder der Ostzone mit gleichen Rechten und Pflichten die Mitgliedschah in dem von uns zu schaffenden Bundesstaat erwerben können, wobei wir allerdings zur Bedingung machen, daß nicht nur die Verfassung, sondern auch die realen politischen Verhältnisse der Länder der Ostzone freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen entIm

sprechen.

(Sehr gut! bei der CDU.) Aber unsere Arbeit wird nicht nur gebietsmäßig fragmentarisch sein, sondern auch in hoheitsrechtlicher Beziehung noch nicht den Endpunkt dessen darstellen, was wir wünschen. Das Dokument Nr. I65), das den Anstoß zu unserer gegenwärtigen Arbeit gegeben hat, steht in einem wesentlichen Zusammenhang mit dem Dokument Nr. III66), das die Frage des Besatzungsstatuts behandelt. Das neue politische Gebilde, das wir schaffen wollen, muß wenigstens in einem gewissen Rahmen eine echte politische Handlungsfreiheit besitzen. Wir haben realpolitisches Verständnis dafür, daß dem im Werden begriffenen deutschen Staatswesen seitens der Alliierten noch nicht die volle Souveränität eingeräumt wird. Das ist eine unvermeidliche Folge des totalen Krieges, der mit einer totalen Niederlage Deutschlands geendet hat. Aber den Organen des im Werden begriffenen deutschen Staatswesens müssen wenigstens bestimmte, klar abgegrenzte Befugnisse garantiert werden, die sie auf Grund eigenen Rechtes und in eigener Verantwortung ausüben können. Sofern dies nicht der Fall wäre, würde durch eine Verfassung oder ein Staatsgrundgesetz lediglich ein Zustand von Scheindemokratie und fiktiver Souveränität geschaffen werden. Ein verantwortungsbewußter deutscher Politiker muß aber seine Mitwirkung zur Herbeiführung eines derartigen zwielichtigen Zustandes ablehnen. Den bisher in den Ländern vielfach bestehenden Zustand, wo zwar Verfassungen formal in Kraft getreten sind, in Wirklichkeit aber infolge von Eingriffen der Militärregierung weithin in der Praxis nicht existieren und keine Geltung besitzen, diesen Zustand auch auf die Bundesstaatsebene zu übertragen, liegt weder im Interesse des deutschen Volkes noch auch im wohlverstandenen Interesse der Besat-

zungsmächte.

(Sehr wahr!)

Die Bereitschaft des deutschen Volkes in den drei Westzonen, an der Bildung eines deutschen Bundesstaates mitzuwirken, muß daher davon abhängig ge-

macht werden, daß keine bloße

(lebhafte Zustimmung)

Verfassungskulisse

errichtet wird,

sondern daß den

künftigen deutschen Bundesorganen echte Hoheitsbefugnisse eingeräumt werden, die diese Bezeichnung auch politisch und juristisch verdienen.

Die

haben auf der Koblenzer Konferenz Leitsätze für ein entworfen, die in einem gewissen Rahmen eine eigenständi-

Ministerpräsidenten

Besatzungsstatut67)

65) Frankfurter Dokument

66j 67j

Nr. I, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff. Frankfurter Dokument Nr. III, Abdr. ebenda, S. 33 f. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 148-150. 51

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ge deutsche Staatshoheit trotz des Besatzungsregimes sicherzustellen geeignet sind. Diese Leitsätze sind den Militärgouverneuren überreicht worden, die eine im Prinzip positive und wohlwollende Hältung zu ihnen eingenommen haben. Wir erwarten von den Ministerpräsidenten, daß sie sich nicht mit dieser freundlichen Bescheidung ihrer Vorschläge durch die Militärgouverneure begnügen, sondern daß sie in ihren Verhandlungen, die noch sehr allgemein gefaßten Leitsätze konkretisieren und möglichst kasuistisch ausbauen, damit es auch den untergeordneten Organen der Besatzungsmächte nicht mehr möglich sein wird, in Gebiete einzugreifen, die in Zukunft der deutschen Zuständigkeit vorbehalten bleiben sollen.

(Sehr gut!)

Wir erwarten, daß auch der Parlamentarische Rat in diese Verhandlungen eingeschaltet wird und Gelegenheit zur Darstellung seines Standpunktes und zur eigenen Stellungnahme erhält. In diesem Zusammenhang möchte ich namens meiner Fraktion zwei Forderungen zum Besatzungsstatut anmelden, die uns auch eine wesentliche Voraussetzung für ein Funktionieren des politischen Gebildes zu sein scheinen, das wir hier schaffen wollen. Die eine Forderung richtet sich auf die Wiederherstellung eines freien deutschen Außenhandels und auf die Beseitigung der bisherigen bürokratischen Hemmnisse auf diesem Gebiet, die geradezu zu einer Strangulierung der deutschen Wirtschah führen. (Sehr richtig! bei der CDU.) Unsere zweite Forderung erstreckt sich auf die Wiederherstellung der vollen deutschen Kulturhoheit. Die Gestaltung der Kultur- und Schulpolitik ist nach Natur- und Völkerrecht die ureigenste Angelegenheit eines jeden Volkes selbst. Auch das Fehlen eines gewaltsamen Widerstandes gegen interventionistische Maßnahmen der Alliierten auf dem Gebiet der Kultur vermag diese Interventionen in keiner Weise zu legalisieren. Vor der höchsten Norm des Naturrechts bleiben solche Interventionen Unrecht.

(Lebhafte Zustimmung.)

Besatzungsmacht, darüber zu wachen, daß in unserem Kulturleben und Schulwesen keine nazistischen, nationalistischen, militaristischen oder sozialreaktionären Ideen vertreten werden. Das wollen wir Deutsche selbst nicht, und wir haben deshalb gegen eine Überwachung in dieser Hinsicht nicht das Geringste einzuwenden. Aber z.B. die Bestimmung der Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die Frage der religiös-weltanschaulichen, der pädagogischen und organisatorischen Gestaltung des Schulwesens sind nach unserer Auffassung ausschließlich deutsche AngeleWir bestreiten nicht das Recht der

genheiten,

(sehr richtig! bei der CDU.)

politischen Krähe in Deutschland trotz aller etwa bestehenden Meinungsverschiedenheiten ohne Eingriffe der Besatzungsmacht unter sich zu regeln haben. (Zuruf: Das Umgekehrte ist auch schon dagewesen.) Das Umgekehrte ist niemals der Fall gewesen! Es handelt sich dabei höchstens um die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, und diese die die

-

52

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Sitzung des Plenums

Wiedergutmachung wollen wir allerdings Schulpolitik ausgedehnt wissen. (Zuruf:

8.

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auch auf das Gebiet der Kultur- und

Sie hätten auch nichts gegen Konfessionsschulen

von

Gnaden der

Besatzungsmacht einzuwenden!)

Wir sind liberal und freiheitlich genug, daß wir jeden nach seiner Fasson selig werden lassen. Wir halten aber grundsätzlich fest an dem natürlichen Recht der

und sonstige Erziehung ihrer Kinder zu für ein uns bestimmen. Das ist Naturrecht, das wir uns durch keine Parladurch keine und mentsmehrheit Besatzungsmacht nehmen lassen werden! bei der CDU.) (Laute Zustimmung Wenn wir auf anderen Gebieten, insbesondere auf dem Gebiet der Außenpolitik, zunächst noch eine gewisse Beschränkung deutscher Souveränitätsrechte zwangsläufig in Kauf nehmen, so kann es sich hier, wie wir ausdrücklich betonen möchten, nur um einen vorübergehenden Zustand handeln. Auf die Dauer kann ein friedliches Zusammenarbeiten der Völker nur auf der Basis der Gleichberechtigung erfolgen. Wir sind gern bereit, die Souveränitätsrechte auf den verschiedensten Gebieten an eine höhere, übernationale politische Einheit abzutreten. Wir halten das sogar für notwendig, insbesondere auf dem Gebiet der internationalen Friedenssicherung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Aber die Abtretung solcher Souveränitätsrechte darf nicht nur einseitig vom deutschen Volk verlangt werden, wie es z.B. hinsichtlich der zukünftigen Organisation des Ruhrgebiets geplant ist69). Wenn wir schon bereit sind, die Wirtschaftskraft des Ruhrgebiets in eine planwirtschaftliche Wiederaufbauarbeit Europas einzubringen, muß das gleiche auch für die Wirtschaftszentren anderer Länder gelten.

Eltern, über die

religiös-sittliche68)

(Sehr gut!) Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit sind die Grundvoraussetzungen für die Begründung einer europäischen Friedensordnung und Wirtschaftsgemeinschaft.

Wenn wir

68) 69)

uns

also entschließen, für die Länder der drei Westzonen eine

neue

In der Vorlage korrigiert aus „religiös sprich sittliche". Zur Ruhrkontrolle siehe Oswald Post: Zwischen Sicherheit und Wiederaufbau. Die Ruhrfrage in der alliierten Diskussion 1945-1949. Gießen 1986. Carsten Lüders: Das Ruhrkontrollsystem. Entstehung und Weiterentwicklung im Rahmen der Westintegration Westdeutschlands 1947-1953. Frankfurt/Main 1988. Rolf Steininger (Hrsg.): Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1988. Nachdem das Ruhrstatut am 28. Dez. 1948 von den Westmächten und den Benelux-Staaten unterzeichnet worden war, wurde es im HptA eingehend behandelt, indem man es im Zusammenhang mit den Kompetenzen des Bundes in Wirtschaftsfragen diskutierte (31. Sitzung am 7. Jan. 1949, Verhandlungen, S. 373 ff). Anstatt des sonst üblichen Round-Table-Gesprächs fanden im HptA Ansprachen statt, die offensichtlich an ein größeres Publikum gerichtet waren, als es die 21 Mitglieder des HptA sein konnten (History of the Parliamentary Council als Anlage zum Bericht des British Liaison Staff an Steel vom 10. Mai 1949, Kl. Erw. 792, Bd. 3). Die Stellungnahmen der Parteien wurden auch vervielf. als Drucksachen: CDU/CSU Drucks. Nr. 461, SPD Drucks. Nr. 462, DP Drucks. Nr. 468, KPD Drucks. Nr. 469, Zentrum Drucks. Nr. 476, FDP Drucks. Nr. 480. Mit dieser Vorgehensweise wollte man vermutlich vermeiden, daß die Alliierten den Pari. Rat wegen Aktivitäten ohne gegebene Zuständigkeit erneut kritisieren würden. 53

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Form und staatliche Ordnung zu schaffen, so wollen wir diese, um die Worte des Herrn Abgeordneten Schmid mir zu eigen zu machen, so gestalten, „daß bei einer Ausweitung der heute gewährten Freiheitssphäre die geschaffene Organisation fähig ist, sie voll auszufüllen und gegebenenfalls diese Ausweitung in Fluß zu bringen und durchzusetzen". Ich betrachte also die von uns zu schaffende vorläufige Verfassung lediglich als eine Etappe in der staatsrechtlichen Entwicklung des deutschen Volkes zu einem vollwertigen deutschen Bundesstaat. Wenn wir nunmehr an die Gestaltung und Schaffung eines Grundgesetzes, einer vorläufigen Verfassung herangehen, so möchte ich betonen, daß diese Aufgabe für uns mehr ist als ein bloßes Problem der politischen Organisationstechnik. Ein Staatsgrundgesetz bestimmt letztlich die politische Lebensform eines Volkes und soll zugleich sein Wesen, seine geistige Struktur und sein ganzes Gefüge widerspiegeln. Es geht hier also um mehr als um bloße formale Vorschriften, um mehr als um eine Art Geschäftsordnung oder Dienstreglement. Die uns aufgetragene Arbeit erfordert von uns auch eine letzte geistige Entscheidung. Der politische Alpdruck, der seit der Machtergreifung Mussolinis 1922 über Italien und seit der Machtergreifung Hitlers 1933 über Deutschland, seit der deutschen Aggression 1939 über ganz Europa lag, ist auch im gegenwärtigen Augenblick noch nicht geschwunden. Nicht nur die Staaten Ostmittelund Südosteuropas70), nicht nur die deutsche Ostzone und Berlin, sondern ganz Europa steht im gegenwärtigen Augenblick noch unter der Bedrohung eines totalitären zentralistischen Zwangssystems, für das persönliche Freiheit und Menschenwürde keinen ethischen oder zumindest keinen politischen Wert besitzen. Wir müssen aber nicht nur diese politisch-ideologische Bedrohung aus dem Osten ins Auge fassen, sondern dürfen auch die totalitär-zentralistischen Tendenzen nicht übersehen, die, sei es bewußt oder unbewußt, sich auch in den drei Westzonen noch breitmachen. Zwölf Jahre staatsabsolutistischer Verwaltungspraxis in der Kriegswirtschah und in der Nachkriegswirtschaft und die weitere Anwendung totalitärer Methoden insbesondere auf den Gebieten der Wirtschah und der Ernährung haben in weitesten Kreisen unserer Staatsexekutive dazu geführt, eine zentralistische Reglementierung geradezu als Normalzustand zu betrachten. Der Sinn für die Freiheit als Höchstwert im menschlichen Leben droht auch in den Kreisen verloren zu gehen, die sich ehrlich bemühen, gute Demokraten zu sein71). (Reimann: Sie haben ja in Frankfurt das Heh in der Hand.) Wir haben auch schon für eine entsprechende Auflockerung und Bekämpfung dieses Wirfscha/rszentralismus Sorge getragen. Es erscheint uns daher unbedingt notwendig, aus Anlaß der nunmehr beginnenden Arbeit an der Verfassung den Gedanken der Staatsallmacht und des Staatszwangs unseren entschiedenen Kampf anzusagen. Das Werk, das wir jetzt zu schaffen haben, muß von dem Geist echter Freiheit getragen sein. Das ist aber nur möglich, wenn wir uns in

politische

70) 71

54

)

In der Vorlage korrigiert aus „Ost-, Mittel- und Südeuropa". Der folgende Zwischenruf in der Vorlage handschr. eingefügt. Gemeint furter Wirtschaftsrat sowie der dortige bizonale Verwaltungsapparat.

war

der Frank-

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dem kommenden Grundgesetz ausdrücklich zu dem Prinzip bekennen, daß der Staat nicht den höchsten Wert des Menschen darstellt. (Sehr richtig! bei der CDU.) Wir müssen wieder zurück zu der Erkenntnis, daß der Mensch nicht für den Staat, sondern der Staat für den Menschen da ist.

(Lebhafte Zustimmung.)

Höchstwert ist für uns die Freiheit und die Würde der menschlichen Persönlichkeit. Ihnen hat der Staat zu dienen, indem er die äußeren Voraussetzungen und Einrichtungen schafft, die es dem Menschen ermöglichen, seine körperlichen und geistigen Anlagen zu entwickeln, seine Persönlichkeit innerhalb der durch die natürlichen Sittengesetze gegebenen Schranken frei zu entfalten. Der Staat hat die Aufgabe, die persönliche Freiheit und Selbständigkeit des einzelnen Menschen zu schützen sowie das Wohlergehen des einzelnen und der innerstaatlichen Gemeinschaften durch die Verwirklichung des Gemeinwohls zu fördern. Der Staat darf nicht Selbstzweck sein, sondern muß sich seiner subsidiären Funktion gegenüber dem Einzelmenschen und den verschiedenen innerstaatlichen Gemeinschaften stets bewußt bleiben. Das ist aber nur möglich, wenn wir uns endgültig von dem Geiste des Rechtspositivismus abwenden, wonach der in ordnungsmäßiger Form zustandegekommene staatliche Gesetzesbefehl immer Recht schafft ohne Rücksicht auf seinen sittlichen Inhalt. Der Staat ist für uns nicht die Quelle allen Rechts, sondern selbst dem Recht unterworfen. Es gibt, wie auch der Herr Kollege Schmid heute vormittag hervorhob, vor- und überstaatliche Rechte, die sich aus der Natur und dem Wesen des Menschen und der verschiedenen menschlichen Lebensgemeinschaften ergeben, die der Staat zu respektieren hat. Jede Staatsgewalt findet ihre Begrenzung an diesen natürlichen, gottgewollten Rechten des einzelnen, der Familien, der Gemeinden, der Heimatlandschaften und der beruflichen Leistungsgemeinschaften. Es ist die Aufgabe des Staates, diese Rechte zu schützen und zu wahren. Nur wenn der Staat und wenn auch sein Grundgesetz und seine Verfassungswirklichkeit sich zu diesen Grundsätzen bekennen und sie befolgen, erscheint uns die Freiheit des Menschen im Staate gesichert. Die Demokratie als Herrschaft der Mehrheit, zu der wir uns unbedingt bekennen, ist allein noch nicht geeignet, die menschliche Freiheit zu sichern. Hat doch die geschichtliche Erfahrung bewiesen, daß auch parlamentarische Diktaturen, insbesondere auf religiösem, kirchlichem und schulpolitischem Gebiet die Gewissensfreiheit nicht weniger vergewaltigt haben als Einmanndiktaturen. Wir fordern daher eine Verfassung, in der die natürlichen Lebensrechte des Einzelmenschen und der innerstaatlichen menschlichen Lebensgemeinschaften ausdrücklich als vorstaatliche und unabdingbare Rechte anerkannt werden, wie dies etwa in den bekannten Deklarationen von 177672) und 178973) erfolgt ist. ) Gemeint war die „Bill of rights", siehe Dok. Nr. 2, Anm. 39. ) Die Deklaration vom 26. Aug. 1789 über die Menschen- und Bürgerrechte wurde in die französische Verfassung vom 3. Sept. 1791 übernommen. Fritz Härtung: Die Entwick-

lung

der Menschen- und 1954, S. 12-33.

Bürgerrechte

von

1776 bis

zur

Gegenwart. Göttingen,

2. A.

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Auch diese

Errungenschaften der hanzösischen Revolution und der amerikaniStaatsgründung, von denen her unsere ganze moderne74) demokratische Auffassung resultiert, gehen aus von natürlichen, unveräußerlichen, geheiligten Menschenrechten, deren Erhaltung ausdrücklich als der Endzweck aller staatlichen Organisation bezeichnet wird. Die Existenz vorstaatlicher natürlicher Menschenrechte ist keine Erfindung des 18. Jahrhunderts, sondern dieser Gedanke durchzieht die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit seit der Antike, und schen

weil im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus diese Menschenrechte in der politischen Praxis mit Füßen getreten wurden, hielt man es beim revolutionären Umbruch in Amerika und in Frankreich für notwendig, diese Menschenrechte in Form von ausdrücklichen Deklarationen zum Staatsgrundgesetz zu erheben, in die Verfassungen aufzunehmen oder sie den Verfassungen voranzustellen. Weil wir uns in einer ähnlichen Situation der Gefährdung der menschlichen Freiheit befinden, deshalb erheben wir auch heute die Forderung, daß die Grundrechte in ihrer natürlichen Verankerung und vorstaatlichen Geltung ausdrücklich in dem kommenden Grundgesetz ihre Anerkennung finden. Auch die Weimarer Verfassung kennt einen Grundrechtskatalog, der aber weitgehend durch den sogenannten Gesetzesvorbehalt seines prinzipiellen Wertes entkleidet war, weil er im Wege der einfachen Gesetzgebung verändert werden konnte. Wir fordern daher für die neue Verfassung stabile im Naturrecht und nicht bloß im wechselnden Mehrheitswillen verankerte Grundrechte. Die von den Vereinten Nationen eingesetzte Kommission für die Menschenrechte hat ihre Erklärung für die Menschenrechte fertiggestellt75) und dem Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen überwiesen. In der Präambel zu dieser Erklärung ist ausdrücklich gesagt worden, daß diese Menschenrechte für alle Völker und Nationen verbindlich sein sollen, daß sie nicht nur in den Gebieten der Mitgliedstaaten zu gelten haben, sondern auch in den Gebieten, die unter der Verwaltung der Mitgliedstaaten stehen. Ich glaube, daß, wenn man auch bei dieser Formulierung wohl zunächst nur an Kolonien und Mandate, die in der Verwaltung der Mitgliedstaaten der UNO stehen, gedacht hat, wir auch als deutsches Volk in dem neuzugründenden Staatsgebilde dieselben Ansprüche erheben werden, wie sie in dieser Erklärung der Menschenrechte für Kolonien und Mandate festgelegt sind, daß also diese Menschenrechte für unsere Gebiete, die unter der Verwaltung von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen stehen, gelten müssen. Es scheint mir eine der wesentlichsten Aufgaben bei der Verhandlung über das Besatzungsstatut zu sein, gerade darauf zu dringen, daß die Garantierung der Individualrechte und Freiheiten, die nach dem Wunsch der Militärgouverneure ja einen Bestandteil unseres Grundgesetzes bilden sollen, nicht nur im deutschen Sektor ihre Verwirklichung finden, sondern auch von den Militärgouverneuren, die sich für diese Grundsätze einsetzen, in vollem Umfang respektiert werden muß. (Sehr gut! bei der CDU.)

74) In der Vorlage korrigiert aus „ganz klare". 75) Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 5, S. 220. 56

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Über die Statuierung der Menschen- und Grundrechte hinaus fordern

wir der menschlichen Freiheit bewußt eine pluralistische Gestaltung von Staat und Gesellschaft, die jede Machtzusammenballung an einer Stelle verhindert. Nach unserer Auffassung war es das historische Verdienst Montesquieus, erkannt und verkündet zu haben, daß jede Macht der Gefahr des Mißbrauchs ausgesetzt ist, weil jeder Mensch geneigt ist, wie Montesquieu76) sagt, „die Gewalt, die er hat, zu mißbrauchen, bis er Schranken findet". Aus dieser Erkenntnis heraus fordert Montesquieu die Teilung der Staatsgewalt in Gesetzgebung, ausführende Gewalt und Rechtsprechung und ihre Übertragung auf verschiedene, einander gleichgeordnete Träger. Diese Auffassung, die auch heute morgen hier vertreten worden ist, wird von uns in vollem Umfang als richtig anerkannt, wobei wir den besonderen Nachdruck auf die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Justiz legen und den Vorschlag der Verfassungsrichtlinien des sogenannten Volksrates schärfstens ablehnen, die höchste Gerichtsbarkeit in Verfassungsfragen einem Parlamentsausschuß zu übertra-

zwecks

Sicherung

gen. Wir fordern aber über die traditionelle

Gewaltenteilung

im Sinne

Montesquieus

hinaus auch die Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern, nicht nur durch eine Kompetenzabgrenzung auf den Gebieten von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung, sondern auch durch die gleichberechtigte Mitwirkung der Länder bei der Bildung des politischen Gesamtwillens im Bunde. (Lebhafte Zustimmung bei der CDU.) Wir lehnen daher die Form des zentralistischen Einheitsstaates ebenso ab, wie dies etwa in der Verfassungsdenkschrift des Zonenbeirats für die Britische Zone erfolgt ist77), weil, wie es dort richtig heißt, „der Unitarismus und Zentralismus weder der Geschichte wie den Anlagen und Neigungen des deutschen Volkes, noch der politischen Situation der Gegenwart entspricht, dafür aber die Gefahr des Absolutismus im Sinne einer Staatsallmacht und totalitärer Bestrebungen in sich birgt, mindestens aber der Neigung der Deutschen zur Verabsolutierung politischer Ideologien und zur Schaffung eines parlamentarischen Absolutismus entgegenkommt." Diesen Ausführungen der verfassungspolitischen Richtlinien der britischen Zone schließen wir uns in vollem Umfange an. Mit der Parole „zentrale Lenkung und Dezentralisation der Verwaltung" allein kann das System eines echten Föderativstaates unseres Erachtens nicht verwirklicht werden. (Sehr richtig! bei der CDU.) Wir wollen im zukünftigen deutschen Bundesstaat keine bloßen Verwaltungsbezirke, die von oben aus gebildet sind, die dezentralisiert sind, die ihre ganzen Befugnisse lediglich von der Zentrale herleiten und deren Befugnisse daher auch jederzeit von der Zentrale wieder zurückgenommen werden können, son-

76) Charles de Montesquieu (1689-1755), franz. Schriftstellerund Philosoph. 77) Der Zonenbeirat zur Verfassungspolitik. Als Manuskript gedruckt. Hamburg 1948. Die Schrift beruhte insbes. auf Beratungen des Rechts- und Verfassungsausschusses des

im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages vorIm Plenum des Zonenbeirats wurden die Verfassungsfragen auf der 17. Sitzung beraten; Abdruck des Prot, in: Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, S. 852 ff.

Zonenbeirates, dessen Protokolle

liegen.

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dem wir wollen echte Gliedstaaten, die aus eigenem Recht existieren und sich in die Staatsgewalt mit dem Gesamtstaat teilen. Dabei sind wir uns vollkommen darüber im klaren, daß die heute bestehenden deutschen Länder zum

großen Teil solchen Anforderungen, wirklich für die Erfüllung ihrer Funktionen geeignete und fähige Gliedstaaten zu sein, noch nicht entsprechen. Wir bejahen durchaus die Notwendigkeit einer territorialen Neugliederung, aber einer territorialen Neugliederung, die lediglich von gesamtdeutschen Interessen

diktiert sein darf und die hei und unbeeinflußt vom Willen der Besatzungsmächte als gesamtdeutsche Angelegenheit unter Berücksichtigung des Willens der betroffenen Bevölkerung durchzuführen ist. (Lebhafte Zustimmung bei der CDU.) Deshalb halten wir eine Regelung dieses Problems durch eine entsprechende Bestimmung in der Verfassung für unbedingt notwendig, gerade weil wir ein Interesse daran haben, echte und leistungsfähige Länder zu schaffen, die als die wirksamen Tragpfeiler eines Gesamtdeutschlands in Funktion zu treten haben. Für uns ist der Staat überhaupt nicht ein mechanisches Gebilde, nicht bloß additive Summe von losgelöst nebeneinanderlebenden Einzelnen, über die sich dann unvermittelt die Staatsgewalt erhebt. Zwischen dem Einzelmenschen und dem Staat, insbesondere dem Zentralstaat, dem Oberstaat, besteht ein vielfältig gegliederter Organismus, eine Fülle von menschlichen Lebensgemeinschaften eigenen Rechts, die in den Staat als den Hüter des Rechts und den Wahrer des Gesamtwohls eingeordnet sind. Daher sind wir der Meinung, daß politische Willensbildung im Staate grundsätzlich zweigleisig erfolgen müßte. Der eine Weg ist der, daß der einzelne Staatsbürger in der Isolierung der Wahlzelle seinen Willen kundtut; der andere Weg ist der, daß die Länder als politische Gebietskörperschaften, in denen die vielfältigen Krähe78) der verschiedenen Heimatlandschaften ihre politische Repräsentation finden, als in sich geschlossene Einheiten an der Bildung des Gesamtwillens im Bundesstaate mitwirken. Dieser Gedanke findet nach meinem Dafürhalten auch einen glücklichen Ausdruck in der von der Mehrheit angenommenen Präambel von Herrenchiemsee79), in der das deutsche Volk, wie auch der Herr Kollege Schmid heute morgen mit Recht sagte, nicht als „amorphe Masse", sondern gegliedert in Länder handelnd in Erscheinung tritt. Da ich an dieser Stelle zum ersten Mal auf den Entwurf von Herrenchiemsee Bezug nehme, möchte ich hier die Einstellung meiner Fraktion zu diesem Entwurf und den ihm beigegebenen Erläuterungen folgen lassen80). Es ist kein Zweifel, daß der Parlamentarische Rat in seinen Entscheidungen völlig hei ist. Wir sind aber andererseits der Auffassung, daß in Herrenchiemsee im Auftrag der Ministerpräsidenten wertvolle Vorarbeiten geleistet worden sind, die die Arbeit des Parlamentarischen Rates allein schon dadurch wesentlich erleichtern können, daß die Problemstellungen klar aufgerissen wurden und im übrigen

7S) In der Vorlage korrigiert aus „Sonderinteressen". 70) Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 2, S. 579. 80) Zusammenfassend hierzu die Einleitung zu Der Pari. 58

Rat Bd. 2, S. CXXII f.

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auch zum Teil bereits gesetzestechnisch einwandfreie Formulierungen gefunden worden sind. Wir sind deshalb der Auffassung, daß wir diese Arbeitsergebnisse, selbstverständlich ohne jede Bindung, zur Grundlage unserer Arbeit machen sollten, wobei wir selbstverständlich auch andere Vorarbeiten, darunter die Verfassungsrichtlinien des Volksrates81), gern heranziehen und im übrigen nach dem alten biblischen Grundsatz handeln wollen: Prüfet alles und behaltet das Beste.

Hinsichtlich der Organisation des künftigen Bundesstaates möchte ich folgendes bemerken. Da wir uns zu dem Grundsatz bekennen, daß das Volk der naturrechtliche Träger des Staatsgedankens ist, entscheiden wir uns für das parlamentarische Regierungssystem, d.h. für die Selbstregierung des Volkes durch seine gewählten Vertreter. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß das parlamentarische Regierungssystem in der Weimarer Republik infolge mangelnder Verantwortungsfreudigkeit der Parteien weithin versagt hat, und wenn wir unseren Blick in die parlamentarische Geschichte Frankreichs und insbesondere in die jüngste Paiiamentsgeschichte Frankreichs gerade der letzten Tage richten, so wirken diese Beobachtungen keinesfalls besonders ermutigend für die Anhänger des parlamentarischen Systems. Auf der anderen Seite sehen wir aber in Großbritannien ein parlamentarisches System, das sich bewährt und ein stabiles Regierungssystem sichert. Die Fraktion der CDU/CSU ist der Überzeugung, daß sich die Wiedereinführung des parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland nur dann verantworten läßt, wenn nach angelsächsischem Beispiel ohne sklavische Nachahmung irgendein Wahlsystem geschaffen wird, das unter Zurückdrängung des Parteiapparates die politische Persönlichkeit wieder stärker in den Vordergrund rückt und klare Mehrheitsbildungen ermöglicht. (Sehr richtig! bei der CDU.) Dieser Erfolg kann aber nur durch das Mehrheitswahlrecht in dieser oder jener Modifikation erreicht werden. (Erneute Zustimmung bei der CDU.) Es wird daher nach unserem Dafürhalten eine der Hauptaufgaben des Parlamentarischen Rates sein, ein Wahlrecht zu erarbeiten und eventuell sogar, wenn seine Kompetenz sich als gegeben herausstellen sollte, zu beschließen, das uns einen funktionsfähigen Parlamentarismus sichert82). Dabei möchte ich allerdings nicht verhehlen, daß ein Mehrheitswahlrecht und ein darauf gegründetes, durch das Wechselspiel zwischen der Regierung und Opposition gekennzeichnetes Regierungssystem nur dann tragbar ist, wenn der Wille zu einer fairen Gestaltung des parlamentarischen Lebens auf allen Seiten vorhanden ist und die Regierung sich nicht nur als Exponent ihrer Partei, sondern zugleich als Treuhänder der Oppositon fühlt, wie auch die Opposition zwar nicht staatsrechtlich, aber doch moralisch als Mitträger der politischen Verantwortung auftreten muß. Abgesehen von der Gestaltung des Wahlrechts scheint uns aber auch sonst notwendig zu sein, Sicherungen für ein Funktionieren des parlamentarischen

) Richtlinien des Deutschen Volksrates siehe Dok. ) Zur Wahlrechtsfrage siehe Anm. 42.

Nr. 1, Anm. 40.

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in die Verfassung einzubauen. Wir halten in dieser Hinsicht die beiden Vorschläge des Herrenchiemseer Entwurfs für durchaus glücklich, daß nämlich beim Versagen des Parlaments bei der Regierungsbildung innerhalb einer bestimmten Frist das Recht zur Regierungsbildung auf die zweite Kammer im Zusammenwirken mit dem Bundespräsidenten übergeht. So ist, wie mit Recht in dem Bericht von Herrenchiemsee hervorgehoben wird, eine echte Legalitätsreserve geschaffen. Im übrigen wird durch die Gefahr, das höchste Recht, die Regierungsbildung, unter Umständen zu verlieren, das Parlament unter allen Umständen gezwungen, alle Kräfte für eine Mehrheitsbildung aufzubringen, wenn es sich nicht durch den Verlust dieses Rechtes vor der Öffentlichkeit seine politische Unfähigkeit bescheinigen lassen will. Ebenso sind wir der Auffassung, daß der im Herrenchiemseer Entwurf enthaltene Gedanke richtig ist, daß unter allen Umständen die Bildung von negativen und destruktiven Mehrheiten für ein Mißtrauensvotum nicht ausreicht, sondern daß eine Opposition, welche die Regierung stürzt, auch bereit und in der Lage sein muß, selbst die Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Systems

(Lebhahe Zustimmung.)

Als zweites

muß neben das

Volke in direkter Wahl

gewählte ParlaGesetzgebung gleichberechtigte, auch bei der Bundesaufsicht, Bundesexekution und beim Erlaß von Ausführungsvorschrihen und allgemeinen organisatorischen Anordnungen mitwirkende zweite Kammer Organ

vom

ment eine auf dem Gebiete der

treten.

Bildung dieser zweiten Kammer kann nach verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen. In dem Herrenchiemseer Entwurf sind zwei Möglichkeiten als Modelle entwickelt, einmal ein aus Mitgliedern der Länderregierungen gebildeter Bundesrat, zum andern ein von den Landtagen zu wählender Senat. Diese beiden Modelle stellen jedoch nicht die einzige Möglichkeit für die Bildung einer zweiten Kammer dar. Ein zum Beispiel von einem Verfassungsausschuß der Die

CDU/CSU erarbeiteter Entwurf83), der keinerlei offiziellen Charakter hat, sieht eine Kombination dieser beiden Systeme vor in der Weise, daß die Mitglieder des Bundesrats zum einen Teil von den Länderregierungen gestellt, zum anderen Teil von den Landtagen gewählt werden. Eine weitere Möglichkeit zur Bildung einer zweiten Kammer bestände darin, daß etwa entsprechend dem Bayerischen Senat das ständische Element zur Geltung gebracht, oder aber daß schließlich das ständische mit dem regionalen Gebilde bei der Bildung einer zweiten Kammer kombiniert wird. Nach meiner persönlichen Auffassung verdient das reine Bundesratsprinzip aus folgenden Gründen den Vorzug. Eine bundesstaatliche Ordnung beruht auf der Verbindung von Ländern zu einem Gesamtstaat, wobei die Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern verteilt ist. Dazu gehört auch, daß die Länder, wie ich bereits ausführte, bei der Bildung des politischen Gesamtwillens im Bunde gleichberechtigt mitwirken. Die Länder sind aber selbständige Organismen, in sich geschlossene politische Einheiten mit eigener körperschahlicher Organisa-

)

Zu den

Verfassungsentwürfen

Rat, S. XXVI ff. 60

der CDU/CSU siehe Salzmann: Die CDU/CSU im Pari.

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tion und bilden als solche wesentliche Bestandteile des Gesamtstaates. Deshalb müssen sie meines Erachtens auch als solche, als Länder, als Organismen, als Einheiten an der Bildung des politischen Gesamtwillens im Bunde beteiligt

sein84). Jede Körperschaft des privaten oder öffentlichen Rechts handelt durch ihre vertretungsberechtigten satzungsmäßigen Organe. Vertretungsberechtigtes Organ

der Länder auf den Gebieten der Regierung und Verwaltung ist gemäß den die jeweilige Landesregierung. Es entspricht daher nach meiner Überzeugung der immanenten Logik einer bundesstaatlichen Ordnung, daß die Länder im Bundesrat durch Mitglieder ihrer Regierungen vertreten werden. Die Vertretung der Länder durch Mitglieder der Landesregierungen ist auch in keiner Weise undemokratisch, da die Regierung aus der vom Volke gewählten Volksvertretung hervorgegangen ist und ständiger Kontrolle der Volksvertreter unterliegt. Ein solcher aus Mitgliedern der Länderregierungen zusammengesetzter Bundesrat entspricht auch der deutschen verfassungsrechtlichen Tradition. Anschütz85) hat in seinem Kommentar zur Weimarer Verfassung ausgeführt: Eine gerade Entwicklungslinie, eine „Generationenfolge" (Hugo Preuß)86), geht vom Reichstage des ersten deutschen Reiches in der Gestalt, welche dieser seit dem 17. Jahrhundert eingenommen hatte, über den Frankfurter Bundestag 1866 zum Bundesrat des Norddeutschen Bundes, der Reichsverfassung von 1871, dem Staatenausschuß der Übergangszeit von 1919 und schließlich zum Reichsrat der

Landesverfassungen

Weimarer Verfassung. Der Gedanke der Frankfurter Nationalversammlung, der Ländervertretung den Charakter eines Staatenhauses, das heißt eines Senats zu geben, der aus frei abstimmungsberechtigten, von den Landtagen oder vom Volke in den Ländern gewählten Mitgliedern besteht, dieser Gedanke wurde in der Weimarer Verfassung ausdrücklich abgelehnt, und zwar, wie Anschütz87) sagt, deshalb, „weil das von den Landtagen, das heißt vom Volke, wenngleich nur indirekt gewählte Staatenhaus eine Vertretung weniger der Länder als der Parteien geworden wäre". Dieser für die Weimarer Nationalversammlung gegen die Bildung eines Senats maßgebend gewesene Gesichtspunkt hat nach meinem Dafürhalten auch heute

14) 15)

Die folgenden Ausführungen zum Bundesrat hatte Süsterhenn fast wörtlich bereits in einem Artikel des Rheinischen Merkurs unter dem Titel „Der Bundesrat als Angelpunkt" vom 28. Aug. 1948 publiziert. Abdr. bei Bucher: Adolf Süsterhenn, S. 203 ff. Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. 14. A.

Berlin 1933.

16) Hugo Preuß, Staatsrechtslehrer und Politiker (1860-1925), ab

;7)

1906 Professor an der Handelshochschule Berlin. Von Nov. 1918 an war Preuß Staatssekretär des Innern, von Febr.-Juni 1919 Reichsinnenminister. Sein Verfassungsentwurf ging von einer Aufteilung Preußens in verschiedene Länder aus und sah eine Vergrößerung der Reichskompetenzen vor. Jasper Mauersberg: Ideen und Konzeption Hugo Preuß' für die Verfassung der deutschen Republik 1919 und ihre Durchsetzung im Verfassungswerk von Weimar. Frankfurt u.a. 1991. Europäische Hochschulschriften Reihe 2, Rechtswissenschaft Bd. 1145. Siehe Anm. 85.

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noch seine Gültigkeit. Die hei abstimmungsberechtigten Mitglieder des Senats, die nach parteipolitischen Gesichtspunkten gewählt werden, schließen sich zweifellos auch in einem Senat wieder zu parteipolitischen Fraktionen zusammen. Infolgedessen würde ein solcher aus Parteifraktionen bestehender Senat praktisch nichts anderes darstellen als ein verkleinertes, mehr oder minder naturgetreues Abbild des Bundesparlaments. (Dr. Seebohm: Sehr richtig!) Angesichts der Tatsache, daß fast sämtliche deutschen Parteien in der gesamtdeutschen Ebene zentral organisiert sind, würde der Einfluß der zentralen Parteiinstanzen auf die Fraktionen beider Häuser in gleicher Richtung wirken. Damit wäre aber der eigentliche Zweck des Zweikammersystems, daß die beiden Häuser verschieden zusammengesetzt sind, daß sie von verschiedenen Gesichtspunkten aus an ihre gesetzgeberischen Aufgaben herantreten, daß sie sich gegenseitig kontrollieren und ergänzen, verfehlt. Der Einwand, daß eine solche unerwünschte parteipolitische Gleichschaltung beider Häuser dadurch vermieden werden könnte, daß in den Senat nur besonders verdiente ältere Staatsmänner, die einen echten senatorischen Typ verkörpern und über die erforderliche geistige Selbständigkeit und Unabhängigkeit gegenüber den Parteiinstanzen verfügen, entsandt werden dürften, würde für die Gegenwart und nächste Zukunft noch keine unbedingte Durchschlagskraft besitzen. Die Entwicklung eines solchen senatorischen Typs setzt wie in Amerika und in der Schweiz eine langjährige und im Volke verwurzelte demokratische Tradition voraus und überdies bei uns nicht nur eine Änderung des Wahlrechts, sondern vor allen

Dingen

eine

völlige geistige Erneuerung

und organisatorische Umbildung unseParteiwesens. Für das gegenwärtige Grundgesetz, das ja nur einen vorläufigen Charakter auch in zeitlicher Hinsicht haben soll, das nur eine Etappe auf dem Wege der deutschen Staatsgestaltung darstellt, müssen daher meines Erachtens die jetzt bestehenden Verhältnisse und nicht Zukunftswünsche, an deren Verwirklichung wir alle gemeinsam miteinander arbeiten res

gesamten deutschen

wollen, zugrunde gelegt werden.

Bei einem aus Mitgliedern der Landesregierungen gebildeten Bundesrat scheint mir die notwendige und erwünschte Polarität zwischen den beiden gesetzgebenden Körperschaften gesichert zu sein. Die Länderregierungen pflegen auch an alle Aufgaben viel weniger prinzipiell, viel weniger problematisch, sondern vielmehr von dem Gesichtspunkt der sachlichen Notwendigkeiten und der Bedürfnisse des täglichen Lebens aus heranzugehen als vielleicht die Parlamentshaktionen, bei denen natürlicherweise ich nehme da keine Fraktion aus parteiideologische, parteitaktische und parteidisziplinäre Bindungen einen starken Einfluß ausüben können. (Reimann: Und bei den Ministern nicht?) Bei den Ministern ist das längst nicht in diesem Umfange der Fall, weil jeweils die praktische Aufgabe, die zu lösen ist, von vornherein jeden Kabinettsbeschluß zu einem Kompromiß der Parteien zwingt und formt, weil eben die parteipolitischen Tendenzen und Ideologien geradezu durch den Filter der sachlichen Notwendigkeiten hindurchgehen müssen. (Lebhafte Zustimmung bei der CDU.) -

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Sie werden es vielleicht erlebt oder auch nicht erlebt haben, daß vielfach ein großer Unterschied festzustellen ist zwischen der Rede eines Parteiführers, dem Antrag eines Fraktionsführers im Parlament, und dem, was dann ein derselben Fraktion angehöriger Minister im Kabinett angesichts der ganzen Konsequenzen eines eventuell gestellten Antrages praktisch nur tun kann und praktisch entscheiden muß. (Lebhafte Zustimmung bei der CDU.) Ich will hier gar nicht den Eindruck erwecken, als ob ich der Auffassung wäre, daß die persönliche Qualität eines Ministers eine höhere wäre als die eines sonstigen Parlamentariers. Sind doch die meisten Minister selbst Parlamentarier! Aber es ist der härtere Zwang, der denjenigen, der in der unmittelbaren Verantwortung sitzt, dazu bringt, realpolitischer zu denken und zu handeln als derjenige, der das Gesetz nicht in der Praxis durchzuführen braucht und nicht unmittelbar an der Front der praktischen Verwaltung die Konsequenz einer falschen Gesetzgebung fühlt. Ein aus Mitgliedern von Landesregierungen gebildeter Bundesrat scheint mir auch noch folgenden Vorzug zu haben: In diesem Bundesrat haben die Mitglieder die volle Unterstützung ihres bürokratischen Apparats zur Verfügung. Wir sehen es doch und erleben es schon in unseren Landtagen, wie unendlich schwer es auch für den einzelnen Abgeordneten ist, die Gesamtheit der zu behandelnden Materien intensiv durchzuarbeiten und sich persönlich bis zum letzten Rechenschaft über jede einzelne Entscheidung zu geben. In einem Landtag, wo große Fraktionen sind, kann im Wege der Arbeitsteilung, durch Bestellung von Sachverständigen immerhin noch erreicht werden, daß sich wenigstens die Fachkräfte der einzelnen Fraktionen über die einzelnen Fachgebiete orientieren. In einem relativ kleinen Senat, der zwangsläufig klein sein muß, ist diese Schwierigkeit aber viel, viel mehr gegeben. Wenn dort Mitglieder der Landesregierungen sitzen, die auf die Unterlagen zurückgreifen können, die ihnen aus ihren Ministerien und aus ihren Landesverwaltungsstellen zugetragen werden, werden sie viel eher die Möglichkeit haben, die Arbeit zu bewältigen, als der lediglich auf sich selbst gestellte Senator. Wir haben es bereits beim Weimarer Reichsrat erlebt. Dort waren bekanntlich die Hälfte der Vertreter des Landes Preußen Provinzialvertreter, die vollständig frei auf sich selbst gestellt, nicht weisungsgebunden waren und auch keinerlei Bindung an die jeweilige preußische Provinzialregierung besaßen. Sie waren also echte Senatoren. Aber in der Praxis waren sie, weil sie des Arbeitspensums im Reichsrat weitgehend gar nicht Herr werden konnten, gezwungen, sich auf Grund persönlicher oder parteipolitischer Beziehungen an Vertreter der Länder zu wenden, um von ihnen die entsprechenden Unterlagen und das für die Fällung ihrer Entscheidungen notwendige sachliche Material zu erhalten. Wenn wir einen echten Senatorentyp, der auch die Fülle der von ihm zu erledigenden Aufgaben beherrscht, heranbilden wollen, dann müssen wir diesem Senatorentyp auch eine derartige Aufwandsentschädigung zahlen, daß er in der Lage ist, sich einen Stab von Mitarbeitern oder Gehilfen heranzuziehen, die die Arbeit mit ihm teilen. Wir haben nicht die wirtschaftlich unabhängigen und selbständigen Personen, die sich einen derartigen Stab auf Grund ihrer eigenen 63

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leisten können, wie dies etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika der Fall ist, und ich weiß auch nicht, ob solche Typen für uns, für die Entwicklung einer wahren Demokratie besonders erwünscht wären.

Vermögenssituation (Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren! Ich gebe zu, daß sich manche Gesichtspunkte für, aber auch manche Gesichtspunkte gegen einen so strukturierten Bundesrat herausstellen lassen. Aber es scheint mir notwendig zu sein, noch auf folgendes hinzuweisen. In einem Bundesstaat sind die Länder nun einmal reale Machtfaktoren. Sie sind Machtfaktoren als weitgehende Träger der Gesetzgebung, und sie sind Machtfaktoren als die vorwiegenden Träger der Verwaltung. Und wenn man, was ja in einem Bundesstaat notwendig ist, eine Koordination, ein Ineinanderspielen, ein freudiges Miteinanderarbeiten von Bund und Ländern auf allen Gebieten erreichen will, erscheint es mir richtig und notwendig zu sein, diese Länder bereits von vornherein an der Mitverantwortung zu beteiligen, damit das, was von der Bundeszentralinstanz kommt und von den Ländern weitgehend auszuführen ist, nicht als ein Fremdkörper, als ein Befehl vom grünen Tisch irgendeiner Zentrale aus empfunden wird, sondern als etwas, an dem man selbst im Wege der Gesetzgebung und im Wege der Zustimmung zu den allgemeinen Verwaltungsanweisungen mitgearbeitet hat. Und wenn einmal der Ernstfall einer Bundesexekution kommen sollte, so glaube ich bestimmt, daß derartige Bundesexekutionsmaßnahmen ein viel stärkeres moralisches Gewicht haben werden, wenn sie von einer Ländervertretung mitbeschlossen worden sind, als wenn sie von Gremien beschlossen worden sind, auf die die Länder überhaupt keinerlei Einfluß gehabt haben.

(Sehr richtig!)

Erfahrungen in dieser Hinsicht nicht ganz aus Bundesrat Daß der lassen. eine qualitativ anständige Arbeit geleistet Auge hat, daran besteht kein Zweifel. Und auch der Reichsrat der Weimarer Republik hat eine ebensolche qualitativ hochwertige Arbeit geleistet, wenn er auch nicht von der politischen Dynamik erfüllt gewesen ist wie etwa der Reichstag. Aber dafür hatte er den Vorzug, daß er zu einer Zeit, als der Reichstag bereits völlig funktionsunfähig geworden war, als er weder imstande war, eine parlamentarische Regierung zu bilden, noch imstande war, seine legislativen Funktionen zu erfüllen -, noch vollkommen funktionsfähig gewesen und es auch geblieben ist, bis er im Jahre 1933 aufgelöst worden ist. Und ich glaube, auch die jüngsten Erfahrungen sowohl im Stuttgarter88) wie im Frankfurter Länderrat89) sprechen zum mindesten nicht gegen dieses Länderratsprinzip. Ich bin ein Angehöriger der französischen Zone und kann deshalb aus eigener unmittelbarster Erfahrung über die Frankfurter Institutionen nicht allzuviel sagen. Aber eins scheint mir doch immerhin überzeugend zu sein. Es ist mir mitgeteilt worden, daß im

Wir dürfen auch die historischen

dem

Zum Stuttgarter Länderrat, der die Arbeit der Länder des amerikanischen Besatzungsgebietes koordinierte, siehe die Edition „Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland" Bd. 1 ff., in der die Protokolle seiner Spitzengremien abgedruckt wurden. 89) Der Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes koordinierte in Frankfurt die Interessen der Länder der Bizone. Abdr. seiner Sitzungsprotokolle im Rahmen der Edition Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4 f.

88)

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Ministerpräsidenten sich meist zu sehr großen Mehrheiten zusammengefunden haben, daß die Mehrheits- und Minderheitsbildungen quer durch die verschiedenen Parteien gingen, daß in sehr vielen Fällen sogar einstimmige Voten zustande gekommen sind, während wir demgegenüber im Wirtschaftsrat, der ja nach dem Senatsprinzip auf dem Wege der indirekten Wahl gebildet ist, den scharfen politischen Trennungsstrich zwischen CDU und SPD sehen, obwohl die parteipolitischen Kräfteverhältnisse im Wirtschaftsrat und Länderrat im großen und ganzen dieselben sind. Vielleicht ist das Zurücktreten des parteipolitischen und partei-ideologischen Moments im Länderrat gerade ein Beweis dafür, daß die Ministerpräsidenten, denen die Verantwortung unmittelbar auf den Fingernägeln brennt, weniger ideologisch denken als vielleicht manche Mitglieder des Wirtschaftsrats, die der Überzeugung sind, sie müßten hier als Repräsentanten dieses oder jenes prinzipiellen Wirtschaftssystems auftreten und sich entsprechend exponieren. (Sehr richtig!) Länderrat die

Ich verkenne, wie gesagt, in keiner Weise, daß man auch Gründe für eine andere Gestaltung des Bundesrats anführen kann. Man kann mit Recht auf das Beispiel der Vereinigten Staaten von Nordamerika und der Schweiz hinweisen, wo föderative Staatswesen ohne Bundesrat lediglich mit einem auf der Länderebene gewählten Senat bestehen. Ich bin aber der Meinung, daß es richtiger wäre, wenn wir Deutschen an unsere eigene nationale Tradition anknüpfen und uns für das System entscheiden würden, das in der deutschen Verfassungsgeschichte nun einmal Wurzel geschlagen und sich unstreitig bewährt hat. Jedenfalls bildet die Frage: Bundesrat, Senat oder vielleicht auch Ständekammer eines der entscheidendsten Probleme für die föderative Struktur des zukünftigen deutschen Staatswesens. Darum hielt ich es für angezeigt, dieses Problem in dieser Breite hier zu entwickeln und in dieser Entwicklung auch meine persönliche Auffassung auseinanderzusetzen. Neben Bundesparlament und Bundesrat tritt als weiteres Organ die Bundesregierung, deren Stellung durch unser grundsätzliches Bekenntnis zum parlamentarischen System genügend umrissen ist, so daß ich hierauf im einzelnen nicht weiter einzugehen brauche. Nach unserer Auffassung bedarf ein gut funktionierender Bundesstaat grundsätzlich auch eines Bundespräsidenten, wobei ich, ebenso wie der Herr Kollege Schmid, die Frage offenlasse, ob es unter den gegenwärtigen Verhältnissen des Besatzungsregimes mit der Dignität der deutschen Staatshoheit zu vereinbaren ist, jetzt schon einen Bundespräsidenten zu wählen und ihn mit der Repräsentanz des deutschen Staatslebens zu betrauen.

Man könnte

allerdings auch den entgegengesetzten Standpunkt vertreten und wenn wir uns einmal ein deutsches Staatsoberhaupt geben, so Gerade sagen: schafft das gewisse Tatsachen und zwingt auch die anderen Mächte der Erde, dieses Staatsoberhaupt in dieser Funktion und auch in seiner Dignität anzuerkennen. Man kann diese Frage also durchaus von zwei Seiten sehen. Aber grundsätzlich halten wir das Institut eines Bundespräsidenten für eine Definitivlösung, insbesondere wenn die Fragen der Besatzungsverhältnisse eine größere Klarheit gewonnen haben, für durchaus erwünscht. Es gibt manche Leute, 65

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die in einem Bundespräsidenten entweder eine rein dekorative und deshalb im Grunde überflüssige und unter dem Gesichtspunkt der Kosten vielleicht sogar unerwünschte Figur erblicken, während andere in ihm bereits wieder das Präludium einer neuen Diktatur ahnen. Wir sind der Meinung, daß neben den politischen auch die sogenannten dekorativen Funktionen eines Bundespräsidenten eine wichtige volkspsychologische Bedeutung haben. Es ist durchaus gut und notwendig, daß der Staat nicht nur in der Gestalt des Polizisten, des Gerichtsvollziehers oder des Steuereinnehmers gegenüber seinen Bürgern in die Erscheinung tritt, sondern bei feierlichen Anlässen auch einmal in würdiger und sympathischer Form repräsentiert wird. Gerade in den alten Demokratien wie England, Frankreich und den Vereinigten Staaten erachtet man eine solche Repräsentation des Staates als unerläßlich. Darüber hinaus erscheint uns aber ein Bundespräsident auch als Exponent der pouvoir neutre, der die verschiedenen Organe im Staate koordiniert, der überhaupt der moralische Repräsentant der Volkseinheit ist, politisch durchaus erwünscht. Hinsichtlich der Wahl des Bundespräsidenten ist das System der direkten Volkswahl, das in der Weimarer Republik herrscht, abzulehnen. Die Präsidentenwahlen von 1925 und 1932 haben bewiesen, daß diese Form der Wahl für das deutsche Volk jedenfalls nicht die geeignete Form ist. Im Jahre 1925 wurde der Kandidat der Reaktion gewählt90), und im Jahre 1932 haben auch die demokratischen Kräfte durch ihren damaligen Wahlakt geradezu [aus] Angst vor dem Tode Selbstmord begangen91). Infolgedessen dürhe es sich für die Zukunft empfehlen, nach dem Beispiel Frankreichs den Bundespräsidenten von den beiden gesetzgebenden Körperschaften wählen zu lassen. Durch diesen Wahlmodus würde die Gefahr vermindert, daß ein Agitator unter Ausnutzung der Not und Mißbrauch der emotionalen Kräfte des Volkes auf dem Wege des Plebiszits noch einmal nach der Macht zu greifen versucht. Eines der wichtigsten Organe in einem auf föderativer Basis aufgebauten Rechtsstaat scheint uns der Staats- oder Verfassungsgerichtshof zu sein. Die föderative Struktur eines Staatswesens birgt in sich immer die Möglichkeit von Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundeszentralgewalt und den Ländergewalten. Unser Fraktionsmitglied Dr. Adenauer hat bei den verfassungspolitischen Vorarbeiten des Zonenbeirates mit Recht einen Staatsgerichtshof gefordert92), dem er die Aufgabe beimessen will, einmal die Zentralgewalt vor Ungehorsam oder Ubergriffen der Länder, umgekehrt aber auch die Länder gegen Ubergriffe seitens der Zentralgewalt zu schützen. Und weiter will er diesem ') Bei den Reichspräsidentenwahlen (1. Wahlgang: 29. März 1925) nach dem Tod von Ebert (28. Febr. 1925) gewann Hindenburg im zweiten Wahlgang am 26. April 1925 gegen Marx (Zentrum) und Thälmann (KPD). Die NSDAP hatte als Kandidaten im ersten

Wahlgang General Ludendorff unterstützt.

) Nachdem im ersten Wahlgang Hindenburg (49,6%), Hitler (30,1%), Thälmann (13,2%), Duesterberg (6,8%) Stimmen erhalten hatten, verzichtete Duesterberg auf den zweiten Wahlgang, bei dem Hindenburg mit 83,5% der Stimmen am 10. April 1932

siegte.

J Siehe die

17.

Sitzung

Bd. 3, S. 869 f. 66

des Zonenbeirates

vom

24. Nov. 1947. Akten

zur

Vorgeschichte

Zweite

Sitzung des Plenums 8. September 1948

Nr. 2

die

Aufgabe zuerkennen, einem jeden Einwohner Deutschgegen Beeinträchtigungen der ihm verfassungsmäßig zugesicherten Grundrechte zu gewähren. Denn er fügt zur Begründung hinzu: „Es gibt nicht nur eine Diktatur des einzelnen, es kann auch eine Diktatur einer parlamentarischen Mehrheit geben. Und davor wollen wir einen Schutz haben in der Form des Staatsgerichtshofes". Wir wollen einen Staatsgerichtshof, dem nicht nur ein Prüfungsrecht darüber zusteht, ob ein Gesetz in der vorgeStaatsgerichtshof lands den

nötigen Schutz

schriebenen Form erlassen ist oder ob es mit dem Buchstaben und dem Wortlaut der Verfassung in Einklang steht. Der von uns geforderte Verfassungsgerichtshof soll auch das Recht haben zu prüfen, ob ein Gesetz seinem Inhalt nach dem Geist und den naturrechtlichen, menschenrechtlichen Grundlagen der Verfassung entspricht, wie dies z.B. beim Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten der Fall ist, welcher über den Willen des Gesetzgebers hinaus zum Hüter der Verfassung, zum Wahrer des Naturrechts und zum verkörperten Gewissen der Volksgesamtheit geworden ist. Wir haben keine Angst vor der von dem mit zwei „t" geschriebenen Namensvetter des Herrn Kollegen Carlo Schmid93) an die Wand gemalten Gefahr einer sogenannten justizförmigen Politik. Es geht uns hier in dieser Frage um die Fundamente des Staates. Entweder wird das Recht tatsächlich als die Grundlage der menschlichen Gesellschaft anerkannt und dann auch mit den notwendigen Garantien zu seiner Verwirklichung ausgestattet. Oder aber die politische Zweckmäßigkeit wird zum höchsten Prinzip erhoben, was dann wieder zu den gefährlichen Grunddogmen einer vergangenen Epoche hinführen würde, wonach eben Recht ist, was dem Volke oder der Regierung oder dem Staate nutzt. Wenn wir hier im Parlamentarischen Rat mit unserer Arbeit den Versuch machen, im Geiste der sozialen Gerechtigkeit eine neue Lebensordnung für das deutsche Volk aufzubauen oder wenigstens den Kern dazu zu schaffen, so müssen wir uns darüber im klaren sein, daß wir letztlich nur eine Form setzen können. Ob und wie es uns gelingt, diese Form mit Geist und Leben auszufüllen, wird nach der Beendigung unserer Arbeit die entscheidende politische Frage sein. Wir dürfen uns nicht etwa mit der Vorstellung schmeicheln, als wenn unsere Arbeiten, die wir hier vollziehen, in der breitesten Öffentlichkeit des deutschen Volkes auf ein übermäßiges politisches Interesse stoßen würden. Wenn man einmal in das Volk hineinhört und wenn man auch einmal hier in Bonn umhört, was man über den Parlamentarischen Rat sagt, dann kann man so den sogenannten Mann auf der Straße sogar schon sagen hören, diese oder jene Zufuhr von Lebensmitteln oder diese oder jene Verringerung der Rationen,

93) Carl

in Straßburg für StaatsVölkerrecht und Staatstheorie folgten Rufe nach Greifswald (1921), Bonn (1922) und an die Handelshochschule Berlin (1926). 1933 wechselte Schmitt nach Köln und wieder zurück nach Berlin, wurde Preußischer Staatsrat, Mitglied der NSDAP und der Akademie für Deutsches Recht sowie Fachgruppenleiter im NS-Juristenbund. Eine Auseinandersetzung mit der jüngsten Literatur über Schmitt durch Reinhard Mehring: Vom Umgang mit Carl Schmitt. Zur neueren Literatur; in: Geschichte und Gesellschaft 19 (1993), S. 388-407.

und

Schmitt

(1888-1985), Jurist. Nach seiner Habilitation (1914)

Verwaltungsrecht,

67

Zweite

Nr. 2

Sitzung des Plenums 8. September 1948

die in Bonn durch

irgendeinen unglücklichen

Umstand vielleicht

eingetreten

ist, sei auf den hier tagenden Parlamentarischen Rat zurückzuführen94).

Sie sehen also die Grundhaltung, aus der heraus unsere Arbeit vom Volke kritisch beleuchtet wird. Es ist daher notwendig, daß wir in voller Würdigung dieser Verhältnisse, selbst auf die Gefahr hin, durch ewige Wiederholungen banal zu wirken, trotzdem auch an dieser Stelle bei der Eröffnung unserer Arbeit gegenüber der Weltöffentlichkeit mit aller Deutlichkeit klarstellen, daß eine demokratische Erneuerung unseres Volks- und Staatslebens nur dann möglich sein wird, wenn man uns die Grundlagen unserer wirtschaftlichen Existenz beläßt. Ein hungerndes und wirtschahlich verelendetes Volk kann unmöglich der Träger einer demokratischen Entwicklung sein und kann sich unmöglich für neue politische, demokratische Ideen innerlich öffnen.

(Sehr richtig!)

Die

Zeit in den verschiedensten Zonen in der

zur

Durchführung begriffenen

Demontagen wichtigster industrieller Betriebe stellen unseres Erachtens eine wenig ermutigende Begleitmusik zu der von uns in Angriff zu nehmenden Arbeit der politischen Neuorganisation Deutschlands dar. Wir richten daher auch

dieser Stelle aus den Ruf an die Welt, die natürlichen Lebensrechte Volkes zu achten und nicht durch eine überlebte Morgenthau95)-Politik den Glauben an die demokratische Gerechtigkeit in unserem Volke zu zerstövon

unseres

ren.

(Sehr gut!)

Jede Verfassung, auch die beste, wird sinnlos,

wenn die wirtschaftliche Not ein treibt. Volk will auch eine Verfassung, Unser politischen Verzweiflung will vor allem ein Leben in Freiheit, ohne Not.

Volk

zur

aber

es

(Beifall.) Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren! Nach der Abrede soll die Sitzung für heute geschlossen werden96). Es ist die Meinung ich weiß nicht,

ob in allen Fraktionen -, daß die Aussprache nach Möglichkeit morgen beendet werden soll. Wenn es nicht am Tage geht, dann wäre eine Abendsitzung -

94) Folgt

in der Vorlage gestrichen: ", die offensichtlich die der Bonner Bevölkerung zustehenden Rationen allzusehr in Anspruch nehmen würden." Adenauer sandte am 4. Okt. 1948 als Präs. des Pari. Rates an Erhard als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft in Frankfurt/Main ein Fernschreiben mit der Bitte, „mit allem Nachdruck dafür zu sorgen, daß die Wirtschaftsminister der Länder alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gegen unbegründete Preissteigerungen anwenden" (Z 5/9, Bl. 77). 9r>) Henry Morgenthau, US-Finanzminister, legte im Aug. 1944 Roosevelt das Konzept eines „harten Friedens" für ein besiegtes Deutschland vor, das allen bisherigen Deutschlandplanungen des US-Außenministeriums widersprach. Es sah letztlich die Umwandlung Deutschlands in ein Agrarland vor und eine Wirtschaftskontrolle für mindestens 20 Jahre. H. Morgenthau: Germany ist our Problem. New York 1945. Harry G. Gelber: Der Morgenthau-Plan, in: VfZ 13 (1965), S. 372-402. M.L. Adams: The Morgenthau Plan. Austin 1971.

uns vorgenommen, dann im Ältestenrat zusammenzutreAußerdem bleibt es den Fraktionen frei, in den Fraktionen zu tagen. Wir haben weiter in Aussicht genommen, daß morgen früh um 9 Uhr die Tagung beginnen soll, daß die zwei Berichterstatter reden sollen und daß dann anschließend eine Aussprache

96) Folgt gestrichen: „Wir haben ten.

erfolgt."

68

Zweite

Sitzung des Plenums 8. September 1948

Nr. 2

einzulegen. Es ist sicherlich für alle Abgeordneten wichtig, zu wissen, wie lange sie mit dieser Tagung zu rechnen haben. Es würde dann unter Umständen der Freitag noch Zeit zu Kommissions- oder sonstigen Sitzungen geben, wobei allerdings, das darf ich hier wohl bemerken, eine Anzahl der Mitglieder

der SPD-Fraktion ihres Parteitags07) wegen gezwungen sind, Bonn schon früher zu verlassen. Aber darüber wird morgen noch zu reden sein98). (Schluß der Sitzung um 16 Uhr 16 Minuten.)

) Der Parteitag der SPD des Jahres

1948 fand am 11.-14. Sept. in Düsseldorf statt. Siehe das publizierte Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 11. bis 14. September 1948 in Düsseldorf. Hamburg 1948. ;) Folgt gestrichen: „Dann darf ich vielleicht nach der Abrede den Altestenrat bitten, daß wir vielleicht um 5 Uhr zusammentreten. Ich darf dann die Fraktionen bitten, daran teilzunehmen."

69

Nr. 3

Dritte

Sitzung des Plenums 9. September 1948 Nr. 3 Sitzung des Plenums

Dritte 9. Z

5/12b, Bl. 20-179;

September

ungez. und undat.

stenogr.

1948

Wortprot.1)

Kurzprot.: Z 12/44, Bl. 323-324; als Drucks. Nr. 24 vervielf. Stenogr. Dienst: Dr. Koppert, Dr. Peschel, Herrgesell, Dr. Reynitz. Dauer: 9.18-12.41; 15.08-17.02 Uhr

[1. BERICHTE ÜBER DIE DEM PARLAMENTARISCHEN RAT GESTELLTE AUFGABE AN HAND DER VORARBEITEN UND ENTWÜRFE, FORTSETZUNG VON TOP 3 DER ZWEITEN SITZUNG] Die

Sitzung

wird

um

9 Uhr 18 Minuten

durch den

eröffnet.

Vizepräsidenten

Schönfelder

Vizepräs. Schönfelder:

Meine Damen und Herren! Leider mußten wir heute guten Vorsatz, pünktlich anzufangen, abweichen. Es war dem ersten Herrn Redner nicht möglich, pünktlich hier zu sein. Da er jetzt erschienen ist, können wir in die Tagesordnung eintreten. Ich darf Herrn Dr. Menzel bitten, das Wort zu nehmen. Dr. Menzel (SPD): Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst die Pflicht, mich bei Ihnen zu entschuldigen. Ich bitte, mir zu glauben, daß es in der Tat rein technische Gründe waren, die mich davon abhielten, rechtzeitig hier zu sein und die gestrige Abmachung des Parlamentarischen Rates einzuhalten. Das sehr reichhaltige staatspolitische und staatsrechtliche Panorama, das meine Vorredner, die Herren Kollegen Schmid und Süsterhenn, gestern vor unseren Augen entfaltet haben2), macht es mir nicht leicht, nunmehr zu der sehr viel spröderen Materie überzugehen, die ich Ihnen heute darstellen soll. Was meine beiden Vorredner über die Grundsätze unserer heutigen verfassungspolitischen Situation gesagt haben, wird teilweise seinen Niederschlag finden müssen in jenen Vorschriften, die sich mit den allgemeinen Grundlagen des Bundes, mit seiner Einordnung in eine größere europäische Gemeinschaft befassen, und in jenen Bestimmungen, die die Grundrechte des einzelnen enthalten morgen

von unserem

werden. Darüber hinaus aber bedarf

es

für

unsere

Arbeit der

Überlegungen

über den

organisatorischen Aufbau, darüber, wie sich verwaltungs- und geschäftsordnungsmäßig das Leben des Volkes auf Grund derjenigen Thesen abspielen soll, die wir gehört haben. Da wären zunächst die Überlegungen über die Organe, durch die wir im westdeutschen Raum handeln und unseren politischen Willen nach außen hin manifestieren wollen; dazu gehört ferner ein Schema: das 1)

2) 70

Bl. 6, 18-24, 28, 29, 33, 34, 37 in der ursprünglichen Zählung wurden vor der Drucklegung wegen undeutlicher Rednerkorrekturen nochmals abgeschrieben, so daß diese Seiten doppelt vorhanden sind. Das Prot, diente als Vorlage für den Druck und ist entsprechend mit Anweisungen für den Setzer versehen. Vgl. Einleitung, S. XXXIX. Siehe Dok. Nr. 2.

Dritte

Sitzung des Plenums 9. September 1948

Nr. 3

Schema einer Apparatur, die all diese Ideen in die Realität umsetzen muß. Hiermit befassen sich meine Aushihrungen. Es wäre nun für mich leichter und ich könnte die spröde Materie lebendiger gestalten, wenn ich die Aufgabe hätte, jetzt schon Lösungen, vielleicht auch schon namens meiner Fraktion, vorzuschlagen; denn in solchen Vorschlägen wäre bereits ein Stück des machtpolitischen Willens enthalten, den wir mitgebracht haben. Aber meine Aufgabe besteht heute nicht darin, eine Parteirede zu halten; nicht etwa, weil meine Partei für die wesentlichen Fragen keine Lösung hätte, sondern weil ich mich auf Grund der interfraktionellen Vereinbarungen3) darauf beschränken muß, dem Parlamentarischen Rat auf jenem Gebiet, das ich zu behandeln habe, die Problemstellung aufzuzeigen und die Lösungen anzudeuten, die an sich möglich sind. Es wird eingehender Beratungen in den Ausschüssen bedürfen, bis es gelingen wird, dem Plenum die richtigen Lösungen

vorzuschlagen.

und ich Ich bin gegenüber meinen Herren Vorrednern insofern im Nachteil darf da um Ihre gütige Nachsicht bitten -, als ich unter den vier Herren, die Ihnen berichten sollen, der einzige bin, der an den Herrenchiemseer Verhandlungen nicht teilgenommen hat. Dazu kommt noch: ich erfuhr erst beim Beginn unserer Vollversammlung, daß ich für den verhinderten Kollegen Dr. Suhr-Berlin einspringen solle. Daher werden sich zahlreiche Probleme denjenigen, die auf Herrenchiemsee mitgearbeitet haben, anders darstellen als mir. Schließlich haben sie vierzehn Tage lang über die Probleme debattiert, und nicht weniger als 22 Fachmänner waren daran beteiligt4). Der Rahmen, der mir gesteckt worden ist, umfaßt die Behandlung der Kapitel über die Staatsorgane, d.h. über die gesetzgebende Versammlung, über die Regierung oder wie immer man dieses Exekutivorgan nennen will, über die Vertretung der Länder, über den Bundespräsidenten, ferner über die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege, und schließlich die entscheidendste Frage der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern auf den Gebieten der Gesetzgebung und Verwaltung5), und hier wiederum vor allem auf dem Gebiete der Steuer- und Finanzhoheit und -Verwaltung. Beginnen wir mit dem Organ, das die Souveränität, soweit wir von einer Souveränität in Deutschland sprechen können, und zwar die alleinige Souveränität im westdeutschen Raum, verkörpern wird: die gesetzgebende Versammlung. Hier sind wahrscheinlich eine Reihe von Fragen unter den einzelnen Fraktionen kaum mehr streitig. Nachdem man 1946 in einigen Teilen Deutschlands glaubte, daß sich eine künftige deutsche gesetzgebende Versammlung nur aus indirekten Wahlen der Landtage zusammensetzen sollte5), sind wir heute wohl alle der Meinung, daß die Wahl zu einer solchen gesetzgebenden Versammlung nur auf dem unmittelbaren Mandat des Wählers gegenüber dem -

3) Siehe Dok. Nr. 2, Anm. 10. 4) Der Pari. Rat Bd. 2, passim. 5) Der Rest des Satzes in der Vorlage handschr. hinzugefügt. e) Zu den VerfassungsVorstellungen des Jahres 1946 siehe Jung: Grundgesetz und Volksentscheid, S. 157 ff. Texte insbes. bei Benz: Zur Geschichte des Grundgesetzes, passim. 71

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Sitzung des Plenums 9. September 1948

und nicht durch eine Zwischenschaltung der Länderhabe. Auch über das formale Funktionieren des Parlaments, die Fragen des Präsidiums, der Haupt- und Untersuchungsausschüsse, der Immunität und Verschwiegenheitsverpflichtung der Abgeordneten dürften wohl keinerlei ernste Differenzen bestehen. Die Meinungsverschiedenheiten werden aber schon bei der Frage nach dem Alter für das aktive und passive Wahlrecht beginnen. Ich will diese Frage nicht vertiefen, sondern nur sagen, daß hier wieder der alte Streit darüber beginnen wird, wie hoch das Lebensalter für das aktive und passive Wahlrecht sein solle. Man wird bei diesem Kapitel noch einmal prüfen müssen, ob ein Wahlsystem im Grundgesetz festgelegt werden solle und welches. Ich möchte mich aber in diesem Punkte einer Erwägung von gestern anschließen: Diese Fragen sind noch nicht so ausgereift, um schon jetzt einen Wahlmodus festzulegen und ihn gar unter den verfassungsmäßigen Schutz, d.h. unter die Voraussetzungen eines erschwerenden Abänderungsbeschlusses, zu stellen. Die Gutachter von Herrenchiemsee haben darüber hinaus beim Kapitel der gesetzgebenden Versammlung geglaubt, die Zahl der Abgeordnetensitze festlegen zu sollen7). Sie haben 400 Sitze vorgeschlagen, mit der Maßgabe, daß Berlin in der Lage ist, 30 Abgeordnete hinzuzuwählen. Ich aber bin der Meiund gerade, wenn wir daran denken, daß ein Parlament der deutschen nung Gesamtrepublik bei Zugrundelegung dieser Zahl dann 600 bis 700 Abgeordnete aufweisen würde -, daß eine solche Zahl viel zu hoch ist. Wir sollten daher davon absehen, die Abgeordnetenzahl im Grundgesetz festzulegen, weil auch in dieser Hinsicht die Dinge noch keineswegs ausgereift sind. In dieses Kapitel gehören zwei wichtige Vorschriften. Der Abgeordnete Schmid hat gestern sehr klar und plastisch dargelegt, daß wir es nicht noch einmal dulden dürften, die Demokratie durch die Mittel der Demokratie zerstören zu lassen. Dies bedeutet, daß wir eine Bestimmung schaffen müssen, wonach Personen, die es unternehmen, die staatsbürgerlichen Freiheiten zu unterdrükken oder gegen die bestehenden Gesetze Gewalt anzuwenden oder anzudrohen, nicht gewählt werden dürfen. Ein zweiter Gesichtspunkt ist hier zu berücksichtigen: Die politische Willensbildung wird vor allem in Deutschland das gilt nicht nur für die Zeit von 1933 bis 1945 vielfach dadurch einzuengen versucht8), daß man die Parteien häufig unter Tarnung eines demokratischen Aufbaus zu einer „Einheitspartei"9) zusammenschließt, so daß sich dann praktisch nur noch eine Partei um die Mandate

Abgeordneten beruhen landtage zu geschehen

-

-

-

7) s)

9)

72

Art. 45 Abs. 2 ChE; siehe Der Pari. Rat Bd. 2, S. 588. Das folgende in der Vorlage handschr. korrigiert aus „und zwar selbst unter der Tarnung des demokratischen Aufbaus, daß man die Parteien zusammenschließt bei Wahlen, mit

der Wirkung, daß". Zur nicht ohne Zwang erfolgten Vereinigung von KPD und SPD zur SED in der SBZ im April 1946 siehe Andreas Malycha (Hrsg.): Auf dem Weg zur SED. Die Sozialdemokratie und die Bildung einer Einheitspartei in den Ländern der SBZ. Eine Quellenedition. Bonn 1995. Zusammenfassend auch Hermann Weber: Geschichte der DDR, 2. A., München 1986, S. 115 ff. mit Hinweisen auf die einschlägige Literatur.

Dritte

Sitzung des Plenums

9.

September 1948

Nr. 3

bewirbt. Daher werden wir uns überlegen müssen, ob es nicht richtig und notwendig ist, eine Vorschrift aufzunehmen, wonach sich bei jeder Wahl zum mindesten zwei organisatorisch und politisch völlig voneinander unabhängige Parteien mit eigenem Programm und eigenen Kandidaten bewerben müssen; eine Vorschrift übrigens, die nicht nur für die Bundesversammlung, sondern auch als Zwangsauflage für die Länderlandtage gelten sollte. Das Prinzip der Gewaltenteilung, das gestern eingehend erörtert wurde, erfordert, daß neben der Körperschaft, die Gesetze erläßt, Beschlüsse faßt und Anweisungen gibt, noch ein anderes Organ steht, das jene Gesetze, und zwar zusammen mit einer Verwaltungsapparatur, in die Wirklichkeit umsetzt. Dabei ist nicht entscheidend, ob man dieses Organ Regierung oder Direktorium nennt; es ist auch nicht entscheidend, ob man den Vorsitzenden dieses Gremiums mit dem Herrenchiemseer Vorschlag Bundeskanzler oder Ministerpräsident oder leitenden Direktor nennt. Entscheidend ist vielmehr, ob wir uns zu dem PremierSystem entschließen, also dem System, in dem der Vorsitzende des Regierungsdas spielt zum Beispiel bei der Frage der gremiums auch der Chef ist Ernennung und Entlassung der Direktoren und Minister eine Rolle -, oder ob wir uns zu dem in vielen Ländern, zum Beispiel teilweise auch in NordrheinWestfalen üblichen Kollegialsystem bekennen, bei dem der Vorsitzende nur der erste unter gleichen Mitarbeitern ist. Im Zusammenhang damit taucht ein weiteres wichtiges Problem auf, und, soweit ich im Augenblick zu übersehen vermag, hat die bayerische Verfassung eine neue Lösung versucht1"). Es handelt sich um die Frage, ob die Regierung immer von dem Vertrauen des Parlaments abhängig sein oder ob man Bestimmungen in die Verfassung einbauen solle, um der nach einer Wahl vom Parlament gebildeten Regierung die Garantie einer gewissen Stabilität zu geben, sie unter allen Umständen unabhängig zu machen von den Schwankungen in der Mehrheitsbildung innerhalb der Volksvertretung. Auch wird zu überlegen sein, ob man in Deutschland schon jetzt davon ausgehen soll, der reinen Demokratie eine Art Filter vorzulegen, oder ob man das englische System übernehmen soll, das wir im wesentlichen auch in dem Deutschland vor 1933 hatten: daß die Regierung jeweils vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist. Aber zu einem sollten wir uns bekennen auch der Herr Kollege Dr. Süsterhenn hat gestern diese Auffassung vertreten; und das würde eine wesentliche Stabilität für die Regierung bedeuten -, daß nämlich ein Mißtrauensvotum erst dann zur Abstimmung gebracht werden und wirksam werden kann, wenn jene Parteien, die das Mißtrauensvotum eingebracht haben, in der Lage sind, selbst eine Regierung zu bilden. Wer sich der Situation in dem deutschen Reichstag vor 1933 entsinnt, weiß, daß sich die extremen Parteien zwar in der Ablehnung solch einen Mißtrauensantrag konnten sie leicht einer Regierung einig waren weil nicht die sie Verantwortung dafür trugen, eine neue Regierung einbringen, zu bilden -, aber selbst außerstande waren, von sich aus eine neue Regierung zu stellen. Wir müssen daher das Mißtrauensvotum wieder aus dem hüheren -

-

-

') Siehe den

4.

Abschnitt „Die

Staatsregierung"

der

Bayerischen Verfassung

vom

2. Dez.

1946.

73

Nr. 3

Dritte

Sitzung des Plenums 9. September 1948

Mißbrauch eines politisch-destruktiven Mittels verwandeln zu dem Kampfmittel eines auf das Positive eingestellten demokratischen Parlamentarismus. Dies geschieht am besten in der Weise, daß über ein Mißtrauensvotum erst dann abgestimmt werden kann, wenn die Parteien, die es beantragen, selbst eine neue

Regierung präsentieren.

des Problems des Exekutivorgans noch eine Bemerkung zu der Frage Vereidigung, die von den Herrenchiemseer Beschlüssen ebenfalls angeregt wird11). Die Notwendigkeit einer Vereidigung der Minister oder der Exekutivdirektoren dürfte kaum streitig sein. Aber es darf nicht bei der üblichen Vereidigungsformel belassen werden, wonach der Inhaber des Amtes sich verpflichtet, sein Amt unparteiisch auszuüben und die Gesetze und die Verfassung zu das dürfte eigentlich für jeden, der in diesem Dienst steht, eine beachten Selbstverständlichkeit sein -, wir sollten in einer solchen Eidesformel vielmehr noch ausdrücklich verlangen, daß der Inhaber des Amtes nicht nur Gesetz und Verfassung zu achten hat, sondern auch verpflichtet ist, sie in Fällen akuter Not aktiv zu verteidigen. (Sehr gut! bei der SPD.) Er soll nicht nur eine loyale Erfüllung versprechen, er muß auch einstehen für die Ideen, die er nach außen hin verwirklichen soll. Bei der Gesetzgebung und Verwaltung müssen selbstverständlich die Länder eingeschaltet werden. Darüber besteht heute kein Streit. Hier erscheint also zum erstenmal das Element des Föderativen. Die Länder brauchen zur Wahrung ihrer Rechte gegenüber dem Bunde ein Organ. Ein verfassungsrechtlicher Schutz allein würde da nicht ausreichen. Dabei sollte man, um das föderative Element in der Ländervertretung zu stärken, überlegen, ob es nicht richtig und zweckmäßig wäre, die Amtsdauer des Präsidenten dieses Ländervertretungsorgans zeitlich zu begrenzen, um so möglichst vielen Ländern die Möglichkeit zu geben, in diesem Organ den Vorsitz zu führen. Welche Bezeichnung wir dem Ländervertretungsorgan geben, ob wir es Länderrat, Bundesrat oder Senat nendas hat gestern Herr nen, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr der die Dr. Süsterhenn eingehend erörtert Zusammensetzung und seiner Frage die Zunächst Funktionen. Zusammensetzung: Soll die Wahl der Vertreter des durch die Länderregierungen erfolgen, oder soll die LändervertreLänderorgans sich aus Männern zusammensetzen, die von den Landtagen gewählt wertung den? Ich glaube, für die Entscheidung dieser Frage, für die ich noch keine Lösung vorschlagen möchte, sollte man zwei Überlegungen anstellen. Soll die Vertretung der Länderinteressen12) unter dem Gesichtspunkt eines Verwaltungsegoismus der Länderregierungen erfolgen? Dann müssen die Mitglieder durch die Länderregierungen ernannt werden. Wir wollen aber nicht die Gefahr verkennen, daß auf diesem Wege die ländermäßig abgestempelte Bürokratie einen sehr starken Einfluß auf Entscheidungen gewinnt, die grundsätzlich nicht aus dem Bürokratischen, sondern aus dem Politischen heraus zu fällen sind. Die andere Überlegung ist: Wird das Föderative nicht besser durch das von allen

Bezüglich der

-

-

-

n) Art. 147 ChE, Der Pari. Rat Bd. 2, S. 614. 12) Folgt gestrichen in der Vorlage „nach dem Vorschlag des 74

Herrn Dr. Süsterhenn".

Dritte

Sitzung des Plenums 9. September 1948

Nr. 3

föderative Element gewährleistet, auf dem das Grundgesetz aus dem Gesichtspunkt des speziellen Interesses eines einzelnen Landes? Daher sollte man die Mitglieder durch die Landtage der Länder wählen lassen. Ihre Aufgabe ist es, das föderative Element ganz allgemein wahrzunehmen, unter Ausschaltung jedes bürokratischen Einflusses. Wie soll nun dieses Organ zusammengesetzt sein? Auch hier stehen sich zwei Meinungen gegenüber. Die eine geht dahin, ähnlich wie beim Reichsrat vor 1933 die Zahl der Ländervertreter nach der Stärke der jeweiligen Bevölkerungszahl zu bemessen, wobei man, um die Hegemonie eines einzelnen Landes zu vermeiden, durchaus eine Höchstziffer vorschreiben könnte. Die andere Meinung geht dahin, jedem Land die gleiche Anzahl von Vertretern zuzubilligen. Wir sollten bei den Überlegungen zu dieser Frage nicht vergessen, daß, gerade wenn wir die Länderkammer oder den Senat als das Föderativorgan ansehen, auch das verschiedene Schwergewicht der Länder13) bei der Willensbildung zum Ausdruck kommen müßte. Wir dürfen nicht verkennen, daß einige Länder in den Westzonen durch ihr industrielles Potential und durch die sozialen Spannungen, die dort notwendigerweise in viel stärkerem Maße als in anderen Ländern auftreten, ein Recht auf stärkere Beteiligung an der Willensbildung der Ländervertretung haben müssen als andere. Nun zur Frage der Funktion. Hier sollte man zwei Gesichtspunkte unterscheiden. Ist es richtig, daß wir die politische Willensbildung der gesetzgebenden Versammlung rein zum Ausdruck und zur Auswirkung bringen lassen, daß wir also die Unmittelbarkeit wahren? Oder ist es richtiger, den Willen der gesetzgebenden Versammlung zu filtrieren, d.h. durch die Einschaltung eines zweiten, gleich mächtigen Organs einzudämmen, dessen Mitglieder jedoch nicht auf der gleichen demokratischen Legitimation arbeiten wie die unmittelbar gewählten Abgeordneten? Soll das Ländervertretungsorgan eine echte zweite Kammer werden, mit der Maßgabe, daß ein Gesetz nur dann gültig ist, wenn neben der gesetzgebenden Versammlung auch die Ländervertretung zugestimmt hat? Gerade in unseren unruhigen und verworrenen Zeiten sprechen zahlreiche Überlegungen dafür, die manchmal etwas sehr schnell zu fassenden Beschlüsse der gesetzgebenden Versammlung nicht immer ohne eine solche Filtrierung zu lassen. Ein gangbarer Mittelweg bestünde in dem Recht des Ländervertretungsorgans auf ein aufschiebendes Veto gegenüber den Beschlüssen der gesetzgebenden Versammlung, ein Veto, das befristet eingelegt und in bestimmter Zeit begründet, dann aber durch eine besondere Mehrheit der gesetzgebenden Versammlung wieder außer Krah gesetzt werden könnte. So würden die Abgeordneten der Bundesversammlung gezwungen werden, sich noch einmal mit dem Gesetz zu beschähigen, und zwar unter Berücksichtigung der Gründe, die zu dem Veto geführt haben. Die Arbeiten in Herrenchiemsee haben nicht dazu geführt, auch nicht einmal in Eventualvorschlägen, soweit ich in der Eile übersehen konnte, daß Berufsvertreter, also ständische Mitglieder, in ein solches zweites Organ aufgenommen

bejahte allgemeine

aufgebaut

sein

wird, als

) Folgt gestrichen in der Vorlage „das

Tages

nun

einmal da ist, bis wir die

Ländergrenzen eines

ändern werden."

75

Nr. 3

Dritte

Sitzung des Plenums

9.

September 1948

werden sollen. Die Erfahrungen, die wir früher mit dem Reichswirtschaftsrat14) gemacht haben, verlocken nicht dazu, dieses Experiment zu wiederholen, und es scheint mir, daß es, wenn man ständische Vertretungen in Erwägung zieht, einen Rückfall in die romantischen Vorstellungen des früheren Zunftstaates bedeuten würde. Aber das wäre vielleicht noch nicht das Entscheidende. Das Entscheidende dürfte sein, daß die Vertreter der Berufe auch bei ehrlichstem Willen gezwungen werden, Standesinteressen zu folgen, und versuchen werden, diese wahrzunehmen, (Lobe: sehr richtig!) daß sie also offen oder versteckt an Aufträge gebunden sind, während wir in unserem parlamentarischen und demokratischen Leben mit Recht davon ausgehen, daß der Abgeordnete nach der Wahl Vertreter der Gesamtinteressen sein muß. Das gilt nicht nur für den Abgeordneten der gesetzgebenden Versammlung, das muß auch gelten für den Mann, der den politischen Willen des Landes in dem Länderorgan vertreten soll. Ich bin daher der Meinung, wir sollten von der Idee einer ständischen Vertretung absehen. Einige Worte nun zu der Frage des Bundespräsidenten, weil auch diese Dinge gestern hier angedeutet worden sind. Ich glaube, die Frage sollte zunächst nicht lauten: Soll diese Funktion von einem Bundespräsidenten oder durch ein Dreimännerkollegium wahrgenommen werden? Die primäre Frage ist meines Erachtens vielmehr: Gibt es bereits Funktionen, die von einem oder von drei Männern auf diesem Gebiet wahrgenommen werden können? Die Einsetzung eines Bundespräsidenten oder eines Triumvirats bedeutet die Einsetzung eines Staatsoberhauptes in Ländern mit voller Souveränität. Diese volle Souveränität haben wir nicht, und darum können wir keine Verfassung machen. Unter diesem Gesichtspunkt sollte man die Frage der Einsetzung eines Bundespräsidenten sehen. Es würde auch kaum der Würde eines solchen Amtes entsprechen, wenn wir einen Bundespräsidenten nur mit diesen beschränkten Vollmachten, die uns heute von den Besatzungsmächten gegeben sind, in eine solche Funktion einweisen würden. Allerdings gebe ich zu, daß für ein solches Organ die stärkere Repräsentation des westdeutschen Raumes spricht, nach außen gegenüber den Besatzungsmächten und nach innen als ein Symbol für jeden Bürger, ein Symbol, das auf eine werdende deutsche Einheit vom Westen aus entwikkelt hinweisen würde. Mit welchen Aufgaben sollen sich nun diese Organe beschäftigen? Da ist zunächst die Frage der Gesetzgebung, einmal die Frage des formalen Ganges der Gesetzgebung und dann die materielle Frage der Aufteilung der Zuständigkeiten. Daß die alleinige Souveränität der Gesetzgebung bei der Bundesversamm-

-

)

Der Reichswirtschaftsrat wurde aufgrund von Art. 165 WRV durch VO vom 4. Mai 1920 und besaß das Recht der Begutachtung und Ausarbeitung grundlegender sozial- und wirtschaftspolitischer Gesetzesvorlagen. Wegen der politischen Interessenunterschiede unter den 326 Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer kam es nicht zu einer gemeinsamen Haltung in den Wirtschaftsgruppen. Das Plenum tagte ab Juni 1923 nicht mehr. Versuche, durch personelle Verkleinerung die Arbeitsfähigkeit zu verbessern, scheiterten. H. Hauschild: Der vorläufige Reichswirtschaftsrat 1920-1926.

geschaffen

2.

76

A., Berlin

1926.

Dritte

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Nr. 3

soll und muß, dürfte kaum streitig sein. Aber schon hei der Frage des Initiativrechtes können Zweifel entstehen. Wenn man bisher grundsätzlich davon ausging, daß nur die gesetzgebende Versammlung und das Exekutivorgan, also die Regierung, ein solches Initiativrecht haben, wird zu entscheiden sein, ob auch das Ländervertretungsorgan ein gleiches Recht bekommen solle. Man könnte die Möglichkeit einschalten, daß die Regierung bei der Einreichung einer Gesetzesvorlage diese gleichzeitig oder bereits vorher dem Ländervertretungsorgan zur Begutachtung zuleitet. Neben diesen gewöhnlichen Gesetzen gibt es noch zwei andere Rechtsquellen: das Recht der Notverordnungen und das Recht des Volksbegehrens. Um das letzte vorwegzunehmen: wir werden uns sicherlich dazu entschließen müssen, Volksbegehren und Volksentscheide unter bestimmten technischen Voraussetzungen zuzulassen, und wir werden zu erwägen haben, ob es richtig wäre, einen Volksentscheid nicht nur dann zuzulassen, wenn es sich um die Annahme eines Gesetzes handelt, sondern wenn damit bezweckt wird, ein bereits gewähltes Parlament wieder aufzulösen, mit der Begründung, die Masse der Wähler sei der Auffassung, daß dieses Parlament nicht mehr dem derzeitigen Willen des Volkes entspreche15). Bei der Frage des Notverordnungsrechts wird man zwei Tatbestände unterscheiden müssen. Zunächst den Fall, daß das Parlament aus technischen Gründen nicht zusammentreten kann, oder den Fall, daß es sich aus politischer Abstinenz, aus politischer Unverantwortlichkeit der Abgeordneten einfach nicht zu einer politischen Willensbildung aufraffen kann. Auch hier darf ich an die Zeiten vor 1933 erinnern, als es für die Parteien sehr leicht war, die politische Verantwortung abzuwälzen und zu den von ihnen selbst vielfach für erforderlich gehaltenen gesetzlichen Maßnahmen zu greifen, weil hinter der politischen Kulisse der Reichspräsident mit dem Notverordnungsrecht stand. Diese Flucht aus der politischen Verantwortung sollten wir nicht wieder zulassen.

lung liegen

(Lebhafte Zustimmung.)

Wir brauchen die Entscheidung des vom Volke gewählten Abgeordneten gerade in den Zeiten, in denen es schwierig ist, solche Entschlüsse zu fassen. Wir sollten daher das Notverordnungsrecht auf solche Fälle beschränken, in denen sei es auf Grund von es der Versammlung aus rein technischen Gründen durch es sei etwaige Verkehrsschwierigkeiten, durch Streiks Naturereignissen, nicht möglich ist, in Funktion zu oder durch Eingriff der Besatzungsmacht -

treten.

-

gewohnt, Fragen der Verwaltung etwas achtlos zu behandeln und sie als etwas Nebensächliches anzusehen oder sie, selbst wenn man sich mit diesen Fragen beschäftigt, unter dem Stichwort „Bürokratie" etwas geringschätzig abzutun. Man verkennt aber, daß der politische Wille einer Volksvertretung, ihre Gesetze und Beschlüsse noch so gut sein können, sie jedoch ihren einzigen Zweck nicht erreichen, wenn die Verwaltung, vor allem ihre Träger, entweder nach ihrem Aufbau oder ihrer Potenz oder, was noch schlimmer Man ist

-

15)

Zur Position der SPD in dieser

passim.

Frage siehe Jung: Grundgesetz und Volksentscheid, 77

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die Beschlüsse der gesetzgewäre, auf Grund politischen Nichtwohlwollens benden Versammlung nicht durchführen. (Lebhafte Zurufe: Sehr richtig!) Wir haben vielleicht schon zu schnell vergessen, daß die Verwaltung im Dritten Reich faktisch der allmächtige Träger auch der Gesetzgebung war, und wenn wir uns nicht um den inneren Geist der Verwaltung kümmern, werden wieder die Gefahren einer bürokratischen Diktatur entstehen. Wir sollten uns daher entschließen, und zwar nicht nur für die unmittelbare Verwaltung des Bundes, sondern auch der Länder, zu fordern, daß sie unabdingbar auf der Gesetzmäßigkeit zu beruhen hat, daß diese Gesetzmäßigkeit zu garantieren ist durch einen allgemeinen, für jeden Staatsverwaltungsakt zulässigen Verwaltungsgerichtsweg. Das heißt, daß wir uns entschließen müssen, trotz aller vielleicht entstehenden Rechtsnot und technischen Schwierigkeiten für den Verwaltungsrechtsweg die Generalklausel einzuführen; denn Freiheit und Recht sind die wesentlichen Grundlagen eines jeden Staates. Das Recht muß auch auf dem Gebiet der Verwaltung mehr denn je zur Geltung kommen und der einzelne Staatsbürger vor willkürlichen Akten geschützt werden. Dieser Satz: „Freiheit und Recht sind die Grundlagen des Staates" gilt natürlich vor allem für die Rechtspflege selbst. Hier tauchen zunächst die Probleme der Gleichheit des einzelnen vor dem Gesetz auf. Man wird überlegen müssen, ob dieser Satz, der bisher lediglich ein Bestandteil des Strafprozessualen, des Rechtspflegeaufbaues war, nicht zu den eigentlichen Grundrechten genommen werden sollte. Hier liegt auch das seit Jahrzehnten umkämpfte Gebiet der Unabhängigkeit der Richter. Es ist meine Auffassung, daß wir bereits aus dem Prinzip der Gewaltenteilung heraus an der Unabhängigkeit der Richter festhalten sollten. Aber gerade wenn wir das wollen, dann müssen wir Garantien errichten, daß diese richterliche Gewalt, über der keine andere Macht steht als das Gewissen des einzelnen Richters, nicht mißbraucht wird, wie wir es in der Zeit zwischen erleben von der Zeit nachher will ich gar nicht reden 1918 und 193316) mißbraucht wird des demokratischen zur Staates. mußten, Unterhöhlung Hier sind zwei Erscheinungsformen, die mir ernstliche Sorgen machen. Wenn man heute sieht, in welchem Umfange Menschen freigesprochen werden, die in Verteidigung des Nationalsozialismus absichtlich zu Mördern wurden und vielfach die primitivsten Menschenrechte verletzten, oder Menschen mit einer Strafe belegt werden, die wegen ihrer Geringfügigkeit oftmals noch aufreizender wirkt als ein Freispruch, dann muß man mit großer Sorge feststellen, daß heute wie in der Weimarer Republik die Grundlagen unseres neuen Staates bedroht sind. -

-

-

(Lebhafte Zustimmung.)

Statt aller Theorien möchte ich Ihnen ein Beispiel geben, in welcher Richtung die Rechtsprechung heute wieder zu laufen droht, ein Beispiel, das nur eines von Millionen Schicksalen abrollen läßt, ein Beispiel, das in seinem Tatbestand

') 78

Zu den Richtern in der Weimarer Literatur.

Republik

siehe die in Dok. Nr. 2, Anm. 36 benannte

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keine Besonderheit enthält, wohl aber eine Besonderheit, wie die Gerichte diesen Fall behandelt haben. Im Jahre 1943 fährt nachts durch das verdunkelte Ruhrgebiet ein schwerer Lastwagen. Der Fahrer ist übermüdet, überhungert, gereizt. In seinem Arger fängt er an, zu schimpfen über die Zeiten und über Hitler. Neben ihm sitzt ein Beifahrer, ein Mann, der sich schon lange auf diesen Posten des Hauptfahrers gespitzt hat und der auch gewisse Verbindungen zur Gestapo hat. Aber das weiß der Hauptfahrer nicht, und der Beifahrer provoziert ihn durch weitere Bemerkungen17). Zwei Stunden, nachdem er in seinem Standort angekommen ist, wird er von der Gestapo verhaftet. Der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof erhebt Anklage; der Volksgerichtshof verurteilt diesen Mann zum Tode, und er muß den schweren Gang zum Schafott antreten. war 1943. Wir schreiben das Jahr 1946. Die Frau des Ermordeten spürt dem Mörder nach und findet ihn. Der Staatsanwalt beantragt einen Haftbefehl beim Amtsgericht auf Grund der Kontrollratsverordnung Nr. 1018), die solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe stellt. Das Amtsgericht lehnt ab; die Staatsanwaltschah geht in die Beschwerde zum Landgericht, und auch das Landgericht lehnt ab. Und aus welchen Gründen lehnen beide Instanzen die Inhaftierung dieses Mörders ab? Nicht etwa mit irgendwelchen spitzfindigen Auslegungen der Kontrollratsverordnung Nr. 10, zu der die Justiz heute in zunehmendem Maße greift, sondern mit der knappen Begründung: Dieser Mann kann nicht bestrah werden; er hat den Schutz der Weimarer Verfassung hinter

Das

sich;

(Lebhahe Rufe: Hört, hört!) denn in der Weimarer Verfassung stehe, daß keiner bestrah werden könne für eine Tat, die zur Zeit der Begehung nicht strafbar gewesen sei. Daß man auch einen andern, auch eine Behörde, nämlich die Gestapo, zum Werkzeug benutzen kann, um einen Mord zu begehen, war anscheinend, und das ist die tragische Seite, in die strafrechtlichen Grundsätze dieser Richter nicht eingegangen. (Dr. Süsterhenn: Rechtspositivismus. Zurufe links: Vielleicht ist er inzwischen befördert!) Zur Ehre der Justiz möchte ich sagen, daß das Oberlandesgericht auf die weitere Beschwerde mit wenigen Worten die Unhaltbarkeit des landgerichtlichen Beschlusses klarstellte und die Inhaftierung verfügte. (Paul: Denken Sie doch bloß an den Freispruch der Polizeioffiziere in -

-

Duisburg!)19)

in der Vorlage gestrichen „Der Hauptfahrer läßt sich also zu weiteren Äußerungen hinreißen." J Nach der Kontrollrats-Direktive Nr. 10 gab es nur Proklamationen, Gesetze, Befehle, Direktiven und Instruktionen, aber keine Verordnungen. Gemeint war das Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dez. 1945: Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben. Amtsblatt des Kontrollrates Nr. 3, S. 22 ff. ') Paul spielte auf einen Prozeß vor dem Hohen Militärgericht in Düsseldorf an, bei dem vier ehemalige Duisburger Polizeioffiziere unter der Anklage standen, an der Erschie-

) Folgt

79

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Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen den Fall vorgetragen wegen der Begründung, die die Justiz sucht, die gleiche Justiz das trifft natürlich nicht alle Richter, aber solche Elemente, die heute ein solches Recht sprechen -, die sich in der Zeit zwischen 1918 und 1933 nicht genugtun konnte, die Weimarer Verfassung durch ihre Rechtsprechung zu untergraben! (Lebhafte Zurufe: Sehr richtig!) Wir müssen einen Weg suchen, solche Abwege der Justiz zu vermeiden, auch wegen unseres Ansehens im Auslande. Die britische Militärregierung, die von einem anderen Justizbewußtsein in England herkommt und den Richterstand auch anders sieht, versteht noch immer nicht, warum wir den Richter nicht so aus der Masse der übrigen öffentlichen Funktionen herausheben, wie es in England geschieht. Aber inzwischen hat auch die Militärregierung gemerkt, daß in Deutschland eine andere Rechtsprechung üblich ist als in England. Wir werden dafür sorgen müssen, daß Richter, die gegen den Geist der Verfassung verstoßen ich gebe zu, daß dies zunächst ein etwas vager Begriff ist -, vor dem Verfassungsgerichtshof zur Verantwortung zu ziehen sind. Die Entscheidung des Falles, den ich anführte, ist keine Einzelerscheinung. Ich erinnere an den Fall Garbe20) in Kiel, ich erinnere an den Freispruch jener Marineoffiziere in Hamburg, die noch nach der Kapitulation deutsche Matrosen wegen Fahnenflucht haben erschießen lassen21). Diese Vorgänge sollten für uns eine Mahnung sein und sollten das Hohe Haus zu der Überlegung anregen, ob wir nicht, gerade wenn wir an der Unabhängigkeit der Richter festhalten, eine einmalige Nachprüfung der jetzigen Richterstellenbesetzung in dem Grundgesetz fordern sollten. -

-

(Sehr richtig!)

Ich brauche nur eine Zahl aus der britischen Zone wiederzugeben. Nicht weniger als 76 Prozent der Staatsanwälte und Richter waren Mitglieder der NSDAP. (Zuruf von der CDU: In der USA-Zone nicht!) Dann seid ihr glücklicher, und wir können einen Austausch vornehmen.

-

(Heiterkeit.)

ßung von Gefangenen

insbesondere Russen aus dem Polizeigefängnis, „um dort Platz beteiligt gewesen zu sein. Die Offiziere wurden freigesprochen, der verantwortliche Polizeipräsident wurde erst am 18. April 1957 zu sechs Jahren Gefängnis und drei Jahren Ehrverlust verurteilt. Siehe Der aktuelle Gerichtsberater, vorm. Recht und Wirtschaft Nr. 29 vom 11. Sept. 1948, S. 5. Den Nachweis verdanke ich dem Stadtarchiv Duisburg. ') Der Journalist Karl Ernst Garbe wurde am 9. Sep. 1947 in Kiel ohne Haftbefehl unter Berufung auf die britische Militärregierung von der deutschen Polizei festgenommen, weil er seine zeitweilige Zugehörigkeit zur SS verschwiegen hatte. Siehe Der Spiegel, Heft 37 vom 13. Sept. 1947, S. 15. ) Zur Marinejustiz im und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Lothar Gruchmann: Ausgewählte Dokumente zur Deutschen Marinejustiz, in: VZG 1978, S. 433-498. Demnach wurden noch nach der Kapitulation Todesurteile wegen Fahnenflucht ausgesprochen, die allerdings nicht vollzogen wurden. Als zeitgenössische Quelle siehe den Artikel von Otto Stolz in der Neuen Zeitung vom 7. April 1949, S. 7: „Die Kunst, Ermordete schuldig zu sprechen". zu

80

schaffen",

am

21. März 1945 -

-

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Nun aber eine zweite Gefahr. Wir haben bei der Rechtsprechung der Weimarer Zeit immer wieder erlebt, daß sich jedes Amtsgericht anmaßte, die Verfassungsmäßigkeit eines vom Reichstag erlassenen Gesetzes in eigener Kompetenz nachzuprüfen. So konnte es vorkommen, daß irgendein Amtsgericht plötzlich ein Reichsgesetz für ungültig erklärte und sich dadurch eine Kontrolle über den Reichsgesetzgeber anmaßte. Das geschah vielfach aus einem echten Glauben an die juristische Richtigkeit, aber es geschah vielfach auch, und zwar vor allem auf dem Gebiete des Strahechts, aus politischer Negation des Weimarer Systems. Das müssen wir künftig vermeiden, wollen wir vermeiden, die Souveränität der gesetzgebenden Versammlung zum Schindluder machen zu lassen. Das dürfte nicht schwierig sein. Es könnte dies durch die Bestimmung geschehen, daß ein Richter, falls er glaubt, ein Gesetz widerspreche der Landes- oder der Bundesverfassung und er brauche die Entscheidung hierüber für sein Urteil,

das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung dem höchsten Bundesgericht habe. Daß hier bereits wieder eine Gefahr droht, dafür ein Beispiel. Sie wissen, daß wir in der britischen Zone noch um die Bodenreform22) kämpfen, so daß die Gefahr besteht, daß derjenige, der da glaubt, unter die Bodenreform zu fallen, einer etwaigen Bodenabgabe dadurch auszuweichen versucht, daß er einen Teil seines Besitzes auf andere, vor allem Familienmitglieder, überträgt, um sich der Bodenreform zu entziehen. Daher hatte man in den Ländern der britischen Zone vorläufige Verordnungen zur Sicherung des Besitzstandes erlassen, damit eine solche Verschiebung nicht stattfinden konnte. Schon kommen die Gerichte her und erklären diese Verordnungen für ungesetzlich. Daß diese Rechtsprechung auch juristisch nicht einwandfrei war, ergaben vor allem die Sachverständigengutachten der Justizministerien23). Hier erleben wir bereits wieder, daß notwendige gesetzliche Maßnahmen von irgendeinem untergeordneten Gericht zu Fall gebracht werden. Bei der Frage der Rechtspflege werden wir und sollten wir im allgemeinen an der Einheit der Rechtspflege festhalten. Aber unser wirtschaftliches, unser soziales Leben ist heute so mannigfaltig, daß es wahrscheinlich gar nicht möglich sein wird, derart universelle Geister zu finden, die in dem höchsten Gericht, das die Grundsätze der Rechtsentwicklung durch seine Rechtsprechung praktisch festlegen wird, sowohl das Strafrecht als auch das Steuerrecht, das Zivilrecht als auch das Arbeitsrecht vollkommen beherrschen können. Bei aller Richtigkeit der Idee von der Einheit der Rechtspflege werden die Tatsachen etwas anderes erzwingen. Ich möchte dem Hohen Hause zu überlegen geben, ob man nicht auch daran denken sollte, auf dem Gebiet des Arbeitsrechts ein eigenes Bundesgericht zu schaffen. Aus welchen Gründen? Daß die sozialen Spannungen nach der Kapitulation erheblich zugenommen haben, ist uns allen klar; und daß sie auf Grund der neuen Wirtschahspolitik und der Währungsre-

vorzulegen

22) Siehe

Günter

J. Trittel:

Die Bodenreform in der britischen Zone 1945-1949.

Stuttgart

1975.

23) Folgt

in der Vorlage gestrichen: „sondern auch der juristischen Standpunkt gestellt haben, daß diese Rechtsprechung falsch ist."

Fakultäten auf dem

81

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form drohen, einer Katastrophe zuzutreiben, ist kaum zu bestreiten. Hinzu kommt die Depossedierung weiter Schichten des östlichen Bürgertums, die als Flüchtlinge in den Westen eingeströmt sind. Alle diese Vorgänge werden eine weitgehende soziale Umschichtung und eine erhebliche Beeinflussung des sozialen Inhalts unseres Wirtschahs- und Arbeitsrechts zur Folge haben. Diese Erscheinungen, vor allem die zunehmende soziale Spannung, werden sich auf die Fragen des Tarifrechts, auf die Fragen des Streikrechts außerordentlich stark auswirken. Und gerade weil wir sonst in das Grundgesetz nichts über den sozialen Inhalt unserer Zeit hineinnehmen können und aus vielerlei Gründen nicht hineinnehmen wollen, sollten wir an dieser Stelle erkennen, daß wir die Verpflichtung gegenüber den arbeitenden Massen haben, die Fragen des Arbeits-, des Tarif- und des Streikrechts besonders zu sehen, sie herauszuheben und dafür wahrscheinlich auch einen besonderen Gerichtshof einzurichten. Ganz gleich aber, um welche Gerichte es sich auch immer handeln möge, ob um solche des Landes oder des Bundes, sie sollten Recht sprechen nicht im Namen irgendeines Landes Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen oder Württemberg, sie sollten Recht sprechen „Im Namen des deutschen Volkes".

(Sehr richtig!) nicht, daß die Landesjustizverwaltung nicht bei den Ländern

Das bedeutet

liegen

kann.

In den Bereich der

Rechtspflege gehören auch die Probleme des Verfassungsgeauf die ich hier im einzelnen nicht weiter einzugehen brauche, nachdem sie gestern schon Herr Kollege Süsterhenn berührt hat. Wer dem Prinzip der Dreiteilung der Gewalten zustimmt, muß die Institution eines Verfassungsgerichtshofs bejahen, und wer dafür ist, daß die Verwaltung gesetzmäßig verläuft und kontrolliert wird und daß die Gesetzgebung des Landes sich unterordnen und in Einklang stehen muß mit der Gesetzgebung des höherrangigen Bundes, der muß eine solche richterliche Kontrolle zulassen. Der Hinweis, diese Kontrolle durch die Souveränität der allgemeinen Volksversammlung ausüben zu lassen, übersieht, daß dann die gesetzgebende Versammlung selbst entscheiden müßte, ob ein von ihr erlassenes Gesetz mit der Bundesverfassung in Übereinstimmung ist, die Bundesversammlung mithin zum Richter in eigener Person werden würde. Nun zu dem wenigstens nach meiner persönlichen Auffassung wichtigsten Teil unserer gesamten Arbeit in diesem Rate. Das ist die Frage der Zuständigkeitsverteilung auf dem Gebiete der Gesetzgebung und der Verwaltung, und hier wieder vor allem die Probleme der Zuständigkeitsverteilung der Steuerhoheit, des Lastenausgleichs und der Finanzverwaltung. In der Lösung liegt eines der entscheidenden Kriterien, ob das sich aus den Ländern zusammenzusetzende Gebilde zum Unitaren strebt oder die wesentlichen Elemente des Föderalismus enthält. Denn es kommt auch hier nicht darauf an, wie man ein Gebilde bezeichnet, sondern darauf, wie die Machtverteilung innerhalb dieses Gebildes erfolgt. Denis de Rougemont24) hat kürzlich auf einem schweizer Kongreß ein richtshofs,

-

)

Denis de

Rougemont (1906-1985), schweizer Schriftsteller und führender Europas.

Gedankens eines vereinten 82

-

Vertreter des

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paar sehr kluge Sätze über den Sinn des Föderalismus gesagt. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich davon zwei vorlesen. Er sagt: „Das Ziel einer Föderation ist es nicht, die Verschiedenheiten der Nationen zu verwischen und sie alle in einem Block zusammenzuschmelzen, sondern, ihre Eigentümlichkeiten zu bewahren. Der Föderalismus beruht auf der Liebe zu einem Vielfältigen im Gegensatz zu der brutalen Vereinfachung, die den totalitären Geist kennzeichnet." Ich glaube, wenn wir diese Prinzipien bei unseren Arbeiten und bei der Zuständigkeitsverteilung zugrunde legen, werden wir uns wahrscheinlich sehr schnell einigen können. Überdies habe ich erlebt, daß, wenn man erst einmal an die Aussprache über die einzelnen Punkte herangeht und von allem Theoretisch-Politischen, von allen Ismen absieht und sich nüchtern hagt und untersucht, wo jede Materie künftig gesetzgeberisch geregelt werden soll, man wahrscheinlich viel schneller zu einer praktischen Einigung gelangt. Ich habe das bereits bei den Beratungen im Zonenbeirat der britischen Zone erlebt25). Als wir seinerzeit bei vorbereitenden Arbeiten für eine etwaige Reichsverfassung klären wollten, was dem Reich und was den Ländern zustehen sollte, waren wir bei der Beendigung der Debatte erstaunt, mit welcher Einmütigkeit wir eine Fülle von Sachgebieten dem höheren Gebiet, dem Reich zugestanden und damit den Ländern entzogen hatten. Die Beschlüsse von Herrenchiemsee bestätigen die Richtigkeit dieser Erfahrung, denn dort werden, wenn ich die ausschließliche und die Vorranggesetzgebung zusammenzähle, nicht weniger als 44 zum Teil recht umfangreiche Gebiete zur Zuständigkeit der Gesetzgebung des Bundes genommen26). Sobald wir uns, von allem Theoretischen absehend, mit den Einzelhagen beschäftigen, wird sich alsbald eine klare Linie ergeben. Hier ist zunächst die alte Frage der Kompetenz-Kompetenz zu entscheiden, d.h. die Frage, ob dem Bund oder den Ländern die Zuständigkeitsverteilung zustehen solle. Die Beschlüsse von Herrenchiemsee haben dieses Problem nicht gelöst, sie sind daran vorübergegangen. Sie haben, glaube ich, damit letzten Endes einen richtigen Weg eingeschlagen. Sie haben einen eingehenden Katalog über die Zuständigkeiten des Bundes aufgestellt. Entschließen wir uns dahin, die Frage der KompetenzKompetenz nicht zu lösen, dann müssen wir einen sehr eingehenden Katalog haben, und zwar nicht nur eingehend nach der einzelnen Materie, sondern wir müssen auch bei den Formulierungen mit Genauigkeit verfahren, damit später keine unnötigen Streitigkeiten entstehen, damit wir vor allem nicht jede Frage vor den künftigen Verfassungsgerichtshof bringen müssen. Im übrigen hat die Frage der Kompetenz-Kompetenz nichts mit der Frage der Vermutung der Zuständigkeit für den einen oder anderen, d.h. der Vermutung der Zuständigkeit für den Bund oder für die Länder zu tun. Die Vermutung ist kein Problem der Zuständigkeitsverteilung. Sie setzt eine solche bereits voraus. Sie ist lediglich ein Beweismittel in einem staatsgerichtlichen Prozeß, und sie

25) Zonenbeirat zur Verfassungspolitik siehe Dok. 26) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 585.

Nr. 2, Anm. 77.

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ist widerlegbar. Aber sie ist eine Beweisnorm, ohne die wir wahrscheinlich nicht auskommen werden. Wählt man nun den bisher überall begangenen Weg der Aufzählung, des Kataloges, dann erhebt sich das Problem der Klassifizierung der Gesetzgebung, Die Weimarer Verfassung kannte die ausschließliche, die konkurrierende, die Grundsatz- und die Bedarfsgesetzgebung27). Die Beschlüsse von Herrenchiemsee sehen eine Zweiteilung vor: die ausschließliche und die Vorranggesetzgebung eine Vorranggesetzgebung, die im wesentlichen der konkurrierenden Gesetzgebung der Weimarer Verfassung entspricht. Das Hohe Haus wird zu überlegen haben, ob die Zeit schon reif ist, sich in endgültigen Klassifizierungen festzulegen, oder ob nicht auch hier die Probleme noch zu sehr im Fluß sind28), so daß man es einer späteren Zeit überlassen sollte, eine Unterteilung vorzunehmen. Ich würde mich freuen, wenn hier im Hause bei den Fragen der Verteilung der Zuständigkeiten die gleiche Einmütigkeit bestehen würde, wie dies in Herrenchiemsee gewesen ist. Diese Einmütigkeit beruhte vor allem auf der Erkenntnis, daß die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Wirtschaft Wirtschaft muß insoweit weit gefaßt werden, denn hierzu gehören nicht nur das allgemeine Wirtschaftsrecht, sondern auch das Börsen- und Bankwesen, die Zoll- und Handelsverträge, die Fragen der Devisenbewirtschaftung, des Münzwesens, des Geldweauch hier im weitesten sens —, aber auch die Fragen des bürgerlichen Rechts Sinne genommen, einschließlich des Urheberrechtsgesetzes, des Patentrechts nur Bundesangelegenheit sein kann und daß alle diese Fragen nur dann richtig und organisch gelöst werden können, wenn sie auf einer möglichst großräumigen, hohen Ebene entschieden werden. Der Katalog von Herrenchiemsee29) liegt Ihnen vor, und ich möchte Ihre Zeit nicht mit Einzelaufzählungen in Anspruch nehmen. Zwei Ergänzungen halte ich für erforderlich. Das ist einmal die Polizei, und das ist weiter das Beamtenrecht. Warum halte ich das für so wichtig? Die Staatssicherheit macht es meines Erachtens erforderlich, daß der Träger der Staatssicherheit nach den Grundsätzen des Bundes aufgebaut sein muß. Die Entwicklung des Polizeiwesens ist in den verschiedenen Zonen verschieden gelaufen, und in der amerikanischen Zone weicht der Aufbau der Polizei wieder ländermäßig voneinander ab. Es soll grundsätzlich dabei bleiben, daß die Länder die Träger der Polizei bleiben. Ich meine also nicht, daß die Polizei „Reichssache" werden soll. Sie soll grundsätzlich den Ländern verbleiben. Aber die Richtlinien für diesen Eckpfeiler einer jeden Staatsgewalt wären vom Bunde zu erlassen, vor allem dahin, welche Vollmachten die Polizei erhält und welche demokratischen Mindestgarantien sie aufweisen muß. Hier den Ländern völlig freie Hand zu lassen, könnte zu leicht die Gefahr der Untergrabung der Bundesgewalt durch eine Länderpolizei bringen. Die Herrenchiemseer Beschlüsse haben mit Recht Mindestanforderungen aufgestellt, die an das Verfassungsleben der einzelnen Län-

-

-

-

27) Siehe Art. 6 ff. WRV. 28) Folgt in der Vorlage gestrichen:

Bundeszuständigkeiten

29) Siehe Anm. 84

26.

„um

aufzuführen.

"

zunächst einmal einen einheitlichen

Katalog

der

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gewählte Landtage, Abhängigkeit der Regierung Dann aber sollte man den wichtigsten Pfeiler der staatlichen Sicherheit, die Polizeigewalt, der gleichen Bundeskontrolle unterwerfen, das heißt von den Grundsätzen des Bundes geleitet sein lassen. Aus den gleichen Erwägungen sollte man sich zusätzlich zu den Herrenchiemder

vom

zu

stellen sind: unmittelbar

Vertrauen des

Landtags

usw.

Beschlüssen entschließen, die Grundsätze für das Beamtenrecht und die Beamtenbesoldung dem Bunde zu übertragen. Denn der Beamte ist darauf der eigentliche habe ich bei dem Kapitel Verwaltung bereits hingewiesen Volkswillens. und Vollstrecker Seien wir uns klar, daß des Träger politischen die Verwaltungsapparatur und ihre Träger in der Praxis zumeist viel mehr Macht haben, das Schicksal eines demokratischen Staates zu lenken oder zu mißlenken, als manche parlamentarischen Beschlüsse es können. Daher sollte man Mindestgarantien für den Aufbau des Beamtenrechts einbauen. Alle diese Fragen und Probleme werden überragt durch die Fragen der Finanzhoheit, auf die ich aber erst zum Schluß eingehen möchte. Lassen Sie mich einen Satz über die Gesetzgebungskompetenz der Länder sagen. Es ist unstreitig, daß, soweit der Bund nicht zuständig ist oder der Bund seine Gesetzgebung nicht wahrnimmt, die Länder weiter zuständig bleiben. Kollege Süsterhenn hat gestern den Satz, den ich einmal an einer anderen Stelle geprägt habe, bekämph: Zentrale Lenkung und Gesetzgebung und dezentralisierte Verwaltung30). Er meinte, damit würden die Länder zu reinen Verwaltungsgemeinschaften herabgewürdigt werden. Er verkennt den Sinn dieses Grundsatzes. Dieser Grundsatz hat nichts damit zu tun, inwieweit gesetzliche und sonstige staatliche Befugnisse entweder auf den Bund oder die Länder aufgeteilt werden. Er soll vielmehr eine Beschränkung der Zentralgewalt dort darstellen, wo der Bund die Gesetzgebung hat, und zwar eine Beschränkung dahin, daß auch auf diesem Gebiet die Durchführung, das heißt die Verwaltung, bei den Ländern liegen muß. Bei dieser Gelegenheit sollte man in das Grundgesetz ein starkes Bekenntnis zu einer echten Selbstverwaltung aufnehmen. Ohne das Funktionieren der Selbstverwaltung in den kleinsten politischen Einheiten wäre alle unsere Arbeit sinnlos. seer

-

-

(Sehr richtig!)

tragenden Säulen unserer Bundesgewalt sind die GesetzgebungsbeBundes und die möglichst umfangreiche, universelle Selbstverwaldes fugnisse der Gemeinden. Daß dies eigene Bundesverwaltungen nicht ausschließt, tung dürhe unstreitig sein, so für die Zölle, Post, Eisenbahn, den Verkehr und die Die beiden

auswärtigen Angelegenheiten.

Nun die Fragen der Finanz- und Steuerhoheit. Hier besteht die Gefahr, daß die meisten dahinter lediglich steuertechnische Erwägungen sehen und nicht merken, daß da, wo die Steuermacht liegt, fast immer auch die politische Macht liegt. Es ist wie im Privatleben: Der Geldbeutel ist der wichtigste Körperteil. Das Problem zerfällt in die Zuständigkeit bei der Steuergesetzgebung, die Zuständigkeit bei der Verteilung der Steuergelder, das heißt der Steuerquellen, und schließlich die Hoheit hinsichtlich der Finanzverwaltung. Hier ist nach der

30) Siehe Dok.

Nr. 2, S. 57. 85

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die Entwicklung in den Ländern der britischen und der amerikanischen Zone verschieden gegangen. Die britische Militärregierung hatte in weiser Erkenntnis, daß eine Wirtschahseinheit auch eine Finanzeinheit voraussetze, für die britische Zone ein Zentralamt für Finanzen31) eingesetzt, während in der amerikanischen Zone unter dem Einfluß der amerikanischen Militärregierung diese Aufgaben ländermäßig aufgeteilt wurden. Dabei verkannte die amerikanische Militärregierung, wenn sie die Verhältnisse ihres Mutterlandes zum Vergleich heranzog, daß es von San Franzisko bis New York ebenso weit ist wie von Moskau bis Lissabon und daß man in einem solchen riesigen Lande natürlich viel eher ein Steuergefälle vertragen kann, vor allem bei einer gesunden Wirtschah, als in einem so kleinen Raum, der von Helmstedt bis Aachen und von Flensburg bis Konstanz reicht. Die Herrenchiemsee!- Beschlüsse sehen bei der Steuerhoheit und der Verteilung der Steuerquellen zwei Möglichkeiten vor. Beide geben den Ländern ein Zuschlagsrecht zur Einkommensteuer. Hiergegen habe ich erhebliche Bedenken. Wir müssen die Fragen der Steuerhoheit in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftseinheit sehen. Wenn wir die Forderung nach der Wirtschahseinheit ehrlich meinen, müssen wir auch die Kalkulationsgrundlagen der Wirtschah einheitlich gestalten, und das wichtigste Element der wirtschaftlichen Preiskalkulation sind heutzutage die Steuern, vor allem der Lohnabzug. Gehen wir ferner von dem Bedarf aus, der vorliegt, dann sind wir, glaube ich, fast alle einig, daß der Lastenausgleich nicht den Ländern, sondern dem Bunde zu übertragen ist. Denken Sie an das geplagte Land Schleswig-Holstein, das gar nicht in der Lage sein kann, die Hälfte seiner Einwohner, die Flüchtlinge sind, ebenso zu entschädigen wie vielleicht die französische Zone mit ihren kaum 60 000 Flüchtlingen. Wir sind uns ferner klar, daß die Kriegsfolgen personeller und sachlicher Art dem Bunde übertragen sein müssen. Schließlich der dritte Kostenfaktor: die Kosten der Bundesorgane, der Bundesverwaltungen. Die Schätzungen hierfür ergeben, daß ungefähr zwei Drittel bis drei Viertel des gesamten Steueraufkommens für diese Zwecke verbraucht werden müssen. Dann aber hat es keinen Sinn, diese Steuern den Ländern zu übertragen und sie gleichzeitig zu verpflichten, dem Bunde diese Steuern wieder sofort zuzuführen. Zur Vermeidung eines Steuergefälles habe ich entscheidende Bedenken gegen ein Recht der Länder, einen Länderzuschlag zur Einkommensteuer zu

Kapitulation

gestatten.

Nach den Protokollen von Herrenchiemsee ist bei der Erörterung der Verteilung der Steuerquellen von dem Land Bayern wieder das alte Problem der Biersteuer aufgeworfen worden32). Wahrscheinlich werden wir mit den Ansprüchen des Landes Bayern zu rechnen haben, die Biersteuer, die im Lande Bayern aufkommt, nicht dem allgemeinen Ausgleich zuzuleiten, sondern dem Lande Bayern zu belassen. Bayern könnte darauf hinweisen, daß die Biersteuer für ) Gemeint war die Leitstelle für Finanzverwaltung. Siehe Walter Vogel: Westdeutschland 1945-1950, Teil III, S. 59 ff. ) Der Pari. Rat Bd. 2, passim. Die folgenden Zahlen vermutlich aus dem „Gutachten zur

Biersteuerfrage",

86

ebenda S. 578.

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für das Jahr 1947 liegen noch keine Zahlen vor für die Bizone 380 1946 Millionen Mark betrug und Bayern davon allein 200 Millionen Mark aufbrachte, das heißt je Person 22 Mark. Aber wenn wir dies für wesentlich halten, wird es wahrscheinlich gar nicht zu vermeiden sein, daß auch andere Länder kommen, um für sich einen Vorzug aus einer Verbrauchssteuer oder aus einer anderen Steuer, die auf dem Handelsumsatz beruht, zu fordern, nämlich der Umsatzsteuer. Das Gesamtaufkommen der Umsatzsteuer im Jahre 1946 betrug in der Bizone 1,5 Milliarden. Nordrhein-Westfalen brachte davon allein 540 Millionen, das heißt je Einwohner 45 Mark, auf. Ich glaube also, daß es einige Schwierigkeiten bereiten könnte, einem Lande eine Sondersteuer zur alleinigen Verwaltung und Nutznießung zu überlassen, wenn man nicht anderen Ländern das gleiche Recht zugesteht. Das könnte zum Nachteil Bayerns ausschlagen. Die Einkommen- und Umsatzsteuern, die Steuern vom Verkehr und vom Verbrauch müßten in der Gesetzgebungskompetenz dem Bunde zustehen, was nicht ausschließt, daß die Länder an den Erträgnissen dieser Steuern erheblich beteiligt werden. Die Frage der Finanzverwaltung ist nicht nur eine Frage der Verwaltung als solcher. Sie wird wahrscheinlich auch eine entscheidende Rolle bei der Frage nach der Bundesgewalt und bei der Frage des Bundeszwanges gegenüber Ländern spielen, die nicht gewillt sein sollten, den Bundesgesetzen Genüge zu tun. Ich weiß, daß wir hier einen sehr schwierigen und strittigen Punkt berühren, und es ist nicht uninteressant, festzustellen, daß die Herrenchiemseer Beschlüsvielleicht wegen der Schwierigkeiten se darüber nichts enthalten. Aber es hat keinen Sinn, um die Dinge herum zu reden. Es hat keinen Zweck, daß wir ein Ländergebilde aufbauen, bei dem nicht von vornherein klar ist, wie notfalls ein Bundeszwang exekutiert werden kann. In jeder Föderation der Welt gibt es eine Klammer, eine Exekutivmöglichkeit, und ein Bund kann nicht nur dadurch zusammengehalten werden, daß die Länder allein durch die Urteile des Verfassungsgerichts zur „Bundestreue" gezwungen werden. Hinter jedem Urteil muß, ebenso wie im Privatleben ein Gerichtsvollzieher, eine Möglichkeit zur Erzwingung des Urteilsspruches stehen können. Der Bund muß ein Mittel für einen Bundeszwang haben. Ich meine, darüber sollte es kaum einen Zweifel geben können. Die Weimarer Verfassung hatte den Bundeszwang des Artikels 48 durch die Wehrmacht oder durch eine ausgeliehene Polizei. Wir kannten aber auch damals bereits den Reichszwang durch die völlige oder teilweise Einbehaltung der Finanzüberweisungen. Ich glaube, daß dies das einzige, aber auch solideste Mittel sein wird, auf das wir zurückgreifen können. Gibt man überdies dem Bund genügende Möglichkeiten, um seinen Willen notfalls zu erzwingen, dann könnte man bei der Übertragung weiterer Rechte auf die Länder viel großzügiger sein. Wer die Hungerwinter in den industriellen Gebieten Westdeutschlands erlebt hat33), die vielfach darauf zurückzuführen waren, daß einige Länder nicht den Planungen und Beschlüssen des bizonalen -

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:) Justus Rohrbach (Hrsg.): Im Schatten des Hungers. Dokumentarisches zur Ernährungspo-

Ernährungswirtschaft in den Jahren Schöningen. Hamburg und Berlin 1955.

litik und

1945-1949.

Hrsg.

von

Hans

Schlange87

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Wirtschaftsrates in Frankhirt am Main Folge leisteten, weil eben keine Exekutivmittel da waren, dem ist es, glaube ich, klar geworden, daß wir ein solches Bundeszwangsmittel unbedingt brauchen. Im übrigen hängt gerade bei den Finanzen die Frage der Verwaltungshoheit viel enger mit der Zuständigkeit der Gesetzgebung zusammen als auf anderen Gebieten. Denn bei der Finanzgesetzgebung ist der Bund als Gläubiger direkter und ganz anders an der Ausführung der Gesetze interessiert als auf anderen Sachgebieten. Die Herrenchiemseer Beschlüsse bringen drei Vorschläge. Der erste geht dahin, den Ländern Verwaltung und Einziehung auch derjenigen Steuern, die dem Bund zufließen, zu überlassen, und zwar als landeseigene Aufgabe und nicht als Auhragsangelegenheit. Zur Erläuterung heißt es auf Seite 55 der Herrenchiemseer Beschlüsse34), diese Verwaltung als eigene Angelegenheiten der Länder bedeute, daß der Bund keine Weisungen geben dürfe, wie seine eigenen Steuern von den Ländern eingezogen werden müssen. Ich halte das schon begrifflich für einen Widerspruch; denn man kann eine fremde Angelegenheit nicht als Selbstverwaltungsaufgabe erledigen. Ich bin der Meinung und schließe mich damit dem zweiten Vorschlag von Herrenchiemsee an, daß wir uns hier für eine eigene Bundesverwaltung auf dem Gebiet der Finanzen entschließen müssen. Worin kann eigentlich das Interesse der Länder zur Übernahme der Finanzverwaltung liegen? Allein die Personalpolitik kann es nicht sein. Ich glaube aber und das werden die Debatten in den Ausschüssen wohl ergeben -, daß die Länder auf diesem Wege in die materielle Steuerpolitik des Bundes hineinkommen wollen, indem sie einen sachlichen Einfluß auf die Art und Weise der Steuerveranlagung, der Stundungspolitik und der Bewertung nehmen wollen. Das würde aber die Gefahr begründen, daß wir auf diesem Umwege die nach dem Gesetz dem Bunde zustehende Steuergesetzgebung praktisch doch durch die Länder nicht nur durchführen, sondern auch materiell gestalten lassen. Das heißt, wir kommen in die Gefahr, daß ein Land unter Umständen aus politischen Gründen das politische Funktionieren des Bundes lahmlegen kann. Es wäre für die Länderfinanzminister ein leichtes, wenn sie zum Beispiel für die Stundungen, die Veranlagung und die Bewertung zuständig werden, vor Wahlen in ihrem Lande aus politischer Effekthascherei auf Kosten des Bundes möglichst großzügig gegenüber den Steuerpflichtigen zu verfahren. Davor müssen wir den Bund und die Länder bewahren. Wir sollten auch die weitere Möglichkeit ablehnen, zwei Steuerverwaltungen aufzubauen, eine für die Bundes- und eine für die Ländersteuern. Die Armut, in die Deutschland geraten ist, verbietet eine solche doppelte Belastung. Meine Damen und Herren! Ich habe diese Frage des Bundeszwanges, aber noch mehr die Frage der Steuer- und Finanzhoheit, zu der auch die Höhe des Lasten- und des Finanzausgleichs gehört, an den Schluß gestellt, damit sie am nachdrücklichsten in Ihrem Gedächtnis hahen bleiben. Denn man sollte sich klar sein, daß all den Grundsätzen, die wir hier in die Wirklichkeit umsetzen wollen, der Boden entzogen wird, wenn wir diese Fragen nicht klären und ihnen aus dem Wege gehen. Wir müssen diese Fragen des Bundeszwangs und -

34) 88

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 607 f.

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der Kompetenzen entscheiden. Sie haben nichts mit einer zentralistischen, unitaristischen oder föderalistischen Auffassung zu tun, sondern einfach mit der Notwendigkeit, dem Gebilde, das wir hier schaffen, auch eine feste Klammer zu geben. Ohne diese Klammer wäre unsere Arbeit nutzlos, und vor einer solchen nutzlosen Arbeit muß uns das politische Gewissen und die Verantwortung vor den Deutschen bewahren.

(Lebhafter Beifall.)

Vizepräs. Schönfelder:

Das Wort hat nunmehr Herr Dr. Schwalber.

(CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als viertem in der Reihe der Berichterstatter ist mir der ehrenvolle, aber undankbare Auftrag

Dr. Schwalber

Ihnen über das Kapitel der Zuständigkeitsabgrenzung Bericht zu Redner des gestrigen Tages haben bereits in grundlegenden politischen Ausführungen ihren Standpunkt klargelegt. Ich glaube, es steht mir zu, daß ich mich am Schluß dieser Reihe der Redner auf die sachliche, wenn auch spröde Materie nach Möglichkeit beschränke. Ich darf mir aber erlauben, um die Entwicklung unserer Gedankengänge klarzumachen, doch in etwa auch auf die allgemeinen politischen Gesichtspunkte zu sprechen zu kommen. Es wurde insbesondere gestern von den Rednern bereits darauf hingewiesen, daß unser Auftrag vor allem in zwei Punkten gipfelt, in der Schaffung einer demokratischen Verfassung und in der Schaffung einer Regierungsform föderalistischen Typs. Demokratie und Föderalismus sind also die beiden Grundelemente des Verfassungswerkes, das wir nun in Angriff zu nehmen haben. Diese können aber nicht nur für den Inhalt bestimmend sein, sie müssen auch bereits bei der Entstehung des Verfassungswerkes zur Wirkung gebracht werden. Die Verfassung kommt demokratisch zustande, hierüber hat gestern Herr Dr. Süsterhenn bereits eingehende Ausführungen gemacht. Die Verfassung wird von demokratisch gewählten Volksvertretern beraten. Sie wird ratifiziert von den einzelnen Landtagen oder, je nach der Entscheidung der Militärgouverneure, auch vom Volk der Länder selbst. Es gibt keine oktroyierte Demokratie. Die neue Verfassung ist auch keine Proklamation mehr, wie es bisher die Übung der Militärregierung war, zum Beispiel bei Einsetzung des Frankfurter Wirtschaftsrats35). Hier haben wir Deutsche zum ersten Mal eine Gestaltungsmöglichkeit, von der wir auch Gebrauch machen wollen. Die Verfassung muß bundesstaatlich sein und darum auch bundesstaatlich zustande kommen. Es müssen infolgedessen die Länder selbst mitwirken; denn diese sind die Bausteine des Bundesstaates. Sowenig es eine diktierte Demokratie gibt, sowenig gibt es einen zentral und von oben her diktierten Föderalismus. Nach Dokument I36) werden die Länder ausdrücklich als Beteiligte aufgeführt, und der Schutz ihrer Rechte ist dort zwingend vorgeschrieben. Die gegenwärtigen deutschen Länder sind Staaten im vollen Sinne des Wortes mit einer originären Staatlichkeit. (Widerspruch und Zurufe: Na, na! Das ist nicht wahr!)

geworden,

erstatten. Die

-

35) Zur Proklamation Nr. 5 siehe Akten zur Vorgeschichte 36) Frankfurter Dok. Nr. I, Ahdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S.

Bd. 3, 30 ff.

Einleitung,

S. 50 ff.

89

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Darüber werden wir uns im Laufe der nächsten Wochen noch öfter auszusprechen haben, und ich bin überzeugt, daß wir in diesem Punkte zu keiner Einigung kommen werden.

-

(Zurufe.) Es wird letzten Endes eben jeder seinen Standpunkt aufrechterhalten. Wir müssen versuchen, einen Weg zu finden, und darin scheint überhaupt die Schwierigkeit des Problems zu bestehen, einen Weg zu finden, der beiden Teilen nach Möglichkeit gerecht zu werden versucht. Wenn wir die Gegensätze weiter auseinanderklaffen lassen, dann werden wir in unserem Verfassungsleben niemals zu einer Ruhe kommen. Vielleicht darf ich Ihnen im Laufe der Beratungen einen Vorschlag machen der von dem üblichen Weg abgeht -,

den zu

Anzug für

deutsches Volk nicht von der Stange zu kaufen, sondern versuchen, eine Maßarbeit zu machen. (Zuruf links: Maßarbeit ist manchmal schlechter als Arbeit von der Stange!) Als ich jung war, habe ich von der Stange gekauh, jetzt lasse ich mir den

Anzug

-

unser

-

anmessen.

(Zuruf: Das liegt aber an der Figur! Unser Staat ist nicht mehr jung genug,

Heiterkeit.) -

um

auf die Maßarbeit verzichten

zu

können.

(Dr. Pfeiffer: Sehr gut! stüm!)

Zuruf

von

Die Länder existieren als Staaten nicht

sche Realität und als solche bei der

Umfang

den Sozialdemokraten: Aber kein Ko-

-

nur

rechtlich,

Schaffung

des

sie sind auch eine politiGebildes in vollem

neuen

berücksichtigen. (Dr. Pfeiffer: Sehr richtig!) zu

I37) auch die letzte Entscheidung über die Annahme des Grundgesetzes und damit über die in Dokument I als Ziel gesetzte schließliche Wiederherstellung der zerrissenen deutschen Einheit zu. Ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang schon bemerken: Es ist nach meinem Dafürhalten ein logischer Trugschluß, wenn gestern davon gesprochen wurde, daß sich das deutsche Volk in Länder gliedert. Das Volk gliedert sich nicht in Länder, es kann sich nur der deutsche Staat in Länder gliedern. Das Volk gliedert sich günstigenfalls, soweit man davon noch sprechen kann, vielleicht in Stämme; aber auf den Ländern wird das deutsche Volk nicht aufgebaut sein. Es gibt für uns keinen Zweifel, daß Deutschland niemals zu bestehen aufgehört hat. Die im Chiemseer Entwurf aufgeführte Verschiedenheit der Auffassung zur Frage der Identität der früheren und neuen Staatsgestaltung hat damit nicht das In ihnen fällt nach Dokument

geringste

zu

tun.

(Dr. Schmid: Aber

Tische las man's anders!) davon, daß wir noch nicht genügend Gelegenheit hatten, uns auszusprechen. Es werden die Begriffe unter verschiedenen Gesichtspunkten geprägt. Es wird einmal von Deutschland im geographischen vor

Das kommt eben auch

-

Sinne

gesprochen;

37) Ebenda. 90

Dritte

(Zuruf:

na,

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na!)

Deutschland im ethnographischen Sinne. Dann spricht man Deutschland im staatsrechtlichen Sinne, und man spricht von Deutschland im politischen Sinne. Wir müßten uns zuerst darüber klarwerden, was wir überhaupt mit dem einzelnen Ausdruck erfassen wollen. Dann werden wir bestimmt zu einer gemeinsamen Auffassung vordringen können. Ich habe schon in Herrenchiemsee erklärt: es mag vielleicht ein Streit sein, der später unter den Professoren ausgetragen werden wird, ob es sich hier um eine restlose Neuschöpfung, um eine Wiederherstellung des Staates, oder ob es sich lediglich um eine Neuorganisierung eines desorganisierten Staatsgebildes handelt. (Dr. Schmid: Sie erinnern sich doch: Ihr Kronjurist38) hat festgestellt, daß nicht nur Deutschland, sondern selbst Bayern aufgehört hat, ein staatliches Gebilde zu sein! Heiterkeit.) Ich habe dazu erklärt(Dr. Schmid: Sie saßen daneben!) Ich habe erklärt, ich kenne keinen Staat in abstrakter Form, die Idee des Staates tritt uns immer in einer ganz konkreten Form gegenüber. (Zuruf: Als Behörde! Heiterkeit.) Jetzt haben wir wieder den Staat im Sinne der Apparatur vorgetragen bekommen, ausgerechnet in diesem Hause, und ich darf darauf hinweisen, daß es eine Reihe von nationalsozialistischen Staatsrechtlern waren, die uns von der Apparat-Theorie gepredigt haben. (Sehr richtig! Zuruf von den Sozialdemokraten: Hängen Sie Ihren Staat wieder auf die Stange! Heiterkeit.) Der Staat wird immer in einer ganz konkreten Form in Erscheinung treten, und es kann wohl kein Zweifel bestehen, daß die letzte Form, in der uns der deutsche Staat gegenübergetreten ist, eben der totale, zentralistische Machtstaat des Dritten Reiches war. Es kann weiterhin keinem Zweifel unterliegen, daß diese Staatsform zugrunde gegangen ist nicht bloß durch die Kapitulation, sondern die Staatsform ist durch den Ausgang des Krieges vernichtet worden. (Dr. Schmid: Identifizieren Sie Hitler mit Deutschland?) Es war jedenfalls, staatsrechtlich betrachtet, die Auffassung des Dritten Reiches. (Dr. Schmid: Dann muß man Bayern mit Herrn von Epp39) identifizieren!) man

spricht

von

von

-

-

-

-

-

-

-

J Damit dürfte Prof. Dr. Hans Nawiasky gemeint sein. Hierzu Kock: Bayerns Weg, S. 103 ff.; Nawiasky versandte ein Schreiben an sämtliche Mitglieder des Pari. Rates, in

!)

dem er darlegte, es bestehe keine Notwendigkeit, auf die Frage einzugehen, ob das Deutsche Reich infolge debellatio untergegangen sei oder trotz derselben als handlungsfähiges Rechtssubjekt weiterbestehe, da die Verfassung nur für einen Teil Deutschlands auszuarbeiten sei. Zu dem Zwischenruf von Schmid bemerkte er, Bayern und die übrigen deutschen Länder hätten „aufgrund der Verfügungen der Siegermächte staatliche Existenz wiedererlangt" (ebenda, S. 106). Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1946), nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 zunächst Reichskommissar, ab 10. April 1933 Reichsstatthalter in Bayern. NDB, Bd. 4, S. 547 f. 91

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Epp hatte bei uns nicht die Machtvollkommenheit, die ausgeprägte staatsrechtliche Stellung, die der „Führer" im Dritten Reich innegehabt hat, da wäre er viel zu unbedeutend gewesen. (Dr. Schmid: Wir werden uns schon einigen!) Wir werden uns sehr wohl dahin einig werden, daß es darum geht, diesem deutschen Staatswesen eine neue Form zu geben. Und wir stehen auf dem Standpunkt, daß wir ihm eine grundlegend und möglichst vollkommen neue Form geben wollen. Es kann nicht unsere ernste Absicht sein, nur einen Torso zu schaffen. Wenn wir schon nicht aus Gründen, die nicht in unserer Macht stehen, das ganze Deutschland einbeziehen können, so soll wenigstens das, was wir schaffen, so gut wie möglich organisiert werden, es soll, wenn auch keimhaft, alle Lebenskräfte enthalten, um zu gegebener Zeit sich zu einem vollen Staatswesen entfalten zu können. Es soll das Kernstück werden, das wie ein Magnet diejenigen Teile Deutschlands an sich zieht, denen der Beitritt heute noch verwehrt ist. Es wäre ein Armutszeugnis und ein Beweis für das Fehlen jeder neuen tragenden Staatsidee, wollte man nun einfach das wieder zum Leben zu erwecken versuchen, was 1933 untergegangen ist, das heißt, die Verfassung von Weimar mit kleinen Abänderungen wieder in Kraft zu setzen versuchen, so wie es offenbar von einzelnen Vertretern in den Verfassungsausschüssen versucht wurde. (Dr. Schmid: Eine methodische Frage: Ist es eine neue tragende Staatsidee, wenn man hinter Weimar zurückgeht?) Es wird sich hagen: Wer geht hinter Weimar zurück, oder wer geht nur auf Weimar zurück? Sie wollen offenbar damit die Idee des Bundesrats heraus-

-

-

-

greifen.

(Dr. Schmid: Zum Beispiel!) Vielleicht wird sich Gelegenheit geben, zu zeigen, daß wir damit absolut nicht hinter Weimar zurückgehen, sondern daß wir hier eine alte Idee völlig neu gestalten, und zwar den Verhältnissen der Gegenwart angepaßt. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Also doch ein Kostüm!) Ich werde dann insbesondere auf die Auffassung meines Herrn Vorredners zu sprechen kommen, der den Bundesrat, wie er von uns vorgeschlagen wird, in einem völlig falschen Lichte gesehen hat. (Zuruf links: Also ein gewendeter Maßanzug! Heiterkeit.) Ein guter gewendeter alter Anzug ist mir lieber als mancher moderne. Heiterkeit. (Dr. Schmid: Bloß sitzt dann die Brusttasche rechts! -

-

-

-

Glocke.) Vizepräs. Schönfelder: Darf ich bitten, die Zurufe etwas einzuschränken. Ich bin ja nicht gegen Zwischenrufe; im Gegenteil, sie beleben die Verhandlung. Sie sind gewissermaßen das Salz in der Verhandlungssuppe40), aber eine Suppe auch versalzen. Ich möchte bitten, da haltzumachen. (Dr. Schmid: Sie sind nicht bösartig gemeint!)

Darf ich den Redner bitten, fortzufahren!

') 92

In der

Vorlage handschr. korrigiert aus „Verfassungssuppe".

man

kann

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Dr. Schwalber (CSU): Die Weimarer Verfassung war schon lange vor 1933 weithin als unzulänglich empfunden worden. Ich verweise nur auf die bereits im Jahre 1924 einsetzenden Reichsreformbestrebungen und auf die Länderkonferenzen mit dem Ziel einer grundlegenden Verfassungsänderung41). Die unentwegten Anhänger der Weimarer Verfassung schmeichelten sich zwar mit der Behauptung, die beste und demokratischste Verfassung der Welt zu besitzen. Sie war so demokratisch, daß sie sogar den Feinden des Staates die gleichen, wenn nicht mehr Rechte einräumte als den Freunden der Verfassung. Sie war so freiheitlich, daß sie den Gegnern der Freiheit und der Demokratie die Plattform bot, um auf legalem Wege beide zu vernichten. (Dr. Schmid: Zum Beispiel dem „Miesbacher Anzeiger"!) Ich darf mich auf Grund der Warnung des Herrn Präsidenten leider nicht weiter auf Zwiegespräche einlassen. —

(Heiterkeit.)

Ich kann nicht das ganze bayerische Problem der letzten 25 und mehr Jahre hier aufrollen. (Dr. Schmid: Ein interessantes Problem! Dr. Pfeiffer: Wird bezweifelt!

Heiterkeit.)

-

-

Es wäre nach Möglichkeit an Ort und Stelle zu studieren. Aus einer überspitzten Formaldemokratie, aus einem Scheinföderalismus mit starken unitarischen Grundtendenzen konnte sich der zentralistische totale Machtstaat des Dritten Reiches nahezu organisch entwickeln. Diese Gefahren erkennt heute jedermann. Aber mit der Erkenntnis allein ist es nicht getan. Wir müssen von Anfang an versuchen, diesen Gefahren wirksam zu begegnen, und die Vorkehrungen müssen in unserem Entwurf geschaffen werden. Der Weg scheint uns über einen echten bundesstaatlichen Aufbau zu führen und auf einer Dekonzentration der politischen Krähe zu beruhen. Nur dann kann ein Rückfall in einen kriegslüsternen zentralen Machtstaat hintangehalten werden. Die recht verstandene Demokratie ist auf einem Balancesystem aufgebaut. Sie beruht, wie schon wiederholt ausgeführt wurde, auf dem System der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus42). Diese erkennen wir prinzipiell an, ohne aber einer rigorosen oder doktrinären Durchführung das Wort reden zu wollen. Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung haben bei grundsätzlich gleichgeordneten, voneinander unabhängigen Organen zu liegen. Das Ubergewicht eines Organs setzt die ganze Demokratie aufs Spiel, bringt sie in die Gefahr eines Abgleitens in die Diktatur. Nur durch weise Selbstbeschränkung der Gewalten kann auf die Dauer das demokratische System wirklich funktionieren. Im Entwurf des Volksrates43) sahen wir darum eine akute Gefahr für den Bestand einer wirklichen Demokratie. Er verleiht dem gesetzgebenden Organ, 41

) Gerhard Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsre-

42) 43)

form in der Weimarer Republik. Bd. I: Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919-1930. Berlin 1963. Ludwig Biewer: Reichsreformbestrebungen in der Weimarer Republik. Frankfurt [. .] 1980. Zu Montesquieu siehe Dok. Nr. 2, Anm. 76. Zum Entwurf des Deutschen Volksrates siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. .

93

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der Volkskammer, ein

derartiges Übergewicht,

daß die

übrigen

Gewalten im

günstigsten Falle nur noch als Funktionen dieser primären Gewalt erscheinen. Es klingt ja so verführerisch und einschmeichelnd: „Alle Gewalt dem vom Volk gewählten Parlament!" Nur schade, daß wir schon einmal diesen Ruf und die Folgen zu verspüren bekommen haben. Herr Kollege Schmid, besonders wir in Bayern damals, als es hieß: „Alle Macht den Räten!"

ist das Volk nicht eine ungegliederte Masse, sondern ein wohlgeordneOrganismus, der sich auf den natürlichen Gemeinschaften aufbaut, auf Familie, Gemeinde und Staat, der sich also natürlich von unten nach oben aufbaut, bei dem die nächsthöhere Gemeinschaft jeweils organisch aus der unteren herauswächst, der aber nicht künstlich von oben nach unten herunter entwikkelt, aufgespalten werden kann. (Dr. Schmid: Föderalismus beginnt zu Hause, Herr Kollege Schwalber!) In diesem Gesamtorganismus muß daher den Gliedern ein entsprechender Einfluß auf die Willensbildung der Gesamtheit eingeräumt und gesichert werden. Achtung und Wahrung der Rechte des einzelnen wie der natürlichen Gemeinschaften, die wir zu Hause in unserer Verfassung festgelegt haben, also auch vor allem der bereits existenten Einzelstaaten, ist darum für uns unerläßliches Gebot für den Neuaufbau des Staates. Die Einzelstaaten sind die tragenden Pfeiler des zu errichtenden Neubaus. Staaten können nach allen geschichtlichen Erfahrungen nur durch die Kräfte erhalten werden, die sie schaffen. Unser neuer deutscher Staat muß daher auf den Ländern als wirklichen Staaten aufgebaut werden, nicht auf bloßen Selbstverwaltungskörpern, er darf kein dezentralisierter Einheitsstaat werden, wie es offenbar mein Herr Vorredner im Sinne hatte und wie sich aus verschiedenen Auffassungen, die im Zonenbeirat vertreten wurden44), ergeben würde. Es muß ein echter Bundesstaat sein, dessen Gliedern wirkliche Staatspersönlichkeit zukommt, wie dies zum Beispiel auch in USA der Fall ist. Der Gliedstaat muß in der Lage bleiben, ein staatliches Eigenleben in einem Maße zu führen, das ihn in den Stand setzt, die eigenen lebendigen Volkskräfte zu freier Entwicklung zu bringen. Aus der Eigenstaatlichkeit der Länder hat das alte Reich seine besten Kräfte gewonnen. Die Länder in ihrer Verbundenheit haben Deutschland groß gemacht und ihm den Reichtum und die Vielfalt seiner kulturellen Blüte ermöglicht. Der demokratische Bundesstaat beruht daher auf einem doppelten Balancesystem, auf dem System der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus, aber auch auf einer föderativen Balance, einem fein abgewogenen Gleichgewichtssystem zwischen Bund und Ländern. Dieses föderale Gleichgewichtssystem begreift wieder ein Zweifaches in sich: erstens eine genaue Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern und zweitens eine präzise Ausbalancierung der Organe des Bundes, vor allem zwischen dem vom Volk her bestimmten Organ, dem Bundestag, der Volkskammer, und dem Bundesorgan, in welchem die Länder ihre Vertretung finden. Aufgabe dieser Versammlung muß es sein, diese Organe richtig zu bilden und im Gleichgewicht zu erhalten. Für

uns

ter

) 94

Zur

Verfassungsdebatte im Zonenbeirat siehe Dok.

Nr. 2, Anm. 77.

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Gleichgewicht sehe ich aber nicht dadurch gewahrt, daß man dem einen Organ eine gegenüber dem anderen verkümmerte Stellung gibt. Es müssen gleichgeordnete Organe sein, die gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Wenn von Bundesrat und Senat gesprochen wurde, so kann nach meinem Dafürhalten Dieses

ein echter Bundesrat in Frage kommen, dem nicht bloß die Rolle eines Meckerers, eines Neinsagers zugewiesen wird, sondern der als zweite Kammer gleichberechtigt neben dem Parlament geschaffen wird. Dieser Bundesrat, wie er in Chiemsee vor allem vertreten wurde, ist nicht die üble, verstaubte büronur

kratische Erscheinung, wie sie so gern von den Gegnern geschildert werden möchte. Es handelt sich hier nicht um bürokratische Vertreter, sondern gerade um die politischen Vertreter erster Garnitur, die die Vertreter des Senats für ihre Körperschah sonst immer fordern. Es sind keine weisungsgebundenen Regierungsvertreter, die wir in den Bundesrat schicken wollen, sondern Angehörige der Länderkabinette, also politische Persönlichkeiten-

(Zuruf:

an

Weisungen gebunden!)

die nicht an Weisungen gebunden sind. Bitte, Sie haben ja die Möglichkeit, die verschiedenen Entwürfe gegeneinander abzuwägen. Es ist Ihnen insbesondere von amerikanischer Seite liebenswürdigerweise die Synoptik gegeben worden, die es Ihnen leicht ermöglicht, Vergleiche anzustellen45). Es handelt sich nicht um weisungsgebundene Vertreter, sondern um ausgesprochen politische Persönlichkeiten, die vollkommen hei im Rahmen der allgemeinen Richtlinien ihres Kabinetts die Vertretung ihres Landes übernehmen können. -

(Zurufe.) Sie sind nicht nur ihren Heimatkabinetten verantwortlich, sondern ebenso als Minister ihren Länderparlamenten verantwortlich und damit in jedem Sinne des Wortes demokratisch verankert. (Sehr richtig! bei der CDU.) Ich glaube, man kann hier nicht mehr von alten, verstaubten Ideen sprechen, die lediglich neu aufgewärmt würden. Es sind wesentliche Unterschiede, denen lediglich der Name gemeinsam ist. Genau so wichtig ist aber eine klare Ordnung in der Verteilung der Zuständigkeiten und Aufgaben zwischen Bund und Ländern auf allen drei Gebieten, in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Die Mängel in der Kompetenzabgrenzung haben im Staate von Weimar dauernd Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern verursacht und dadurch beste politische Krähe absorbiert, die viel zweckmäßiger zu Nutz und Frommen aufbauender Arbeit eingesetzt worden wären. Anlaß dazu bot vor allem die kautschukartige Bestimmung einer Grundsatz- und Bedarfsgesetzgebung. Diese Mängel sind weitgehend erkannt, und sowohl der Chiemseer Entwurf46) wie der Entwurf des Zonenbeirats47) verzichten auf die Festlegung einer Bedarfs- und Grundsatzgesetzgebung. Wohl finden sich

45) 46) 47)

Die Civil Administration Division

von

OMGUS hatte einen Band mit Texten bundesan die Parlamentarier verteilt. Siehe Litera-

staatlicher Verfassungen herausgegeben und turverzeichnis unter 1. Dokumentationen. Siehe Der Pari. Rat Bd. 2. Siehe Dok. Nr. 2, Anm. 77.

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auch im Chiemseer Entwurf Ansätze zu einer Grundsatzgesetzgebung. Allein und das scheint mir das Entscheidende zu sein diese Grundsätze sollen sich nur an den Landesgesetzgeber wenden, aber nicht an den einzelnen. Ausgangspunkt auf allen drei Gebieten muß grundsätzlich die Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder sein. Dies war theoretisch jedenfalls bereits im Staat von Weimar so. Diesen Standpunkt vertritt der Chiemseer Entwurf, und das ist auch die überwiegende Ansicht des Zonenbeirates. Nur was dem Bunde ausdrücklich durch das Grundgesetz überwiesen ist, soll diesem zustehen. Wir wollen weder Kompetenz-Kompetenz für den Bund noch für die Länder.

-

-

(Zuruf: Das glaube ich!) Wir verkennen aber andererseits nicht die eventuelle Notwendigkeit einer Erweiterung der Kompetenz nach der einen oder anderen Seite und wollen diese nicht durch eine starre Festlegung verhindern. Aber eine solche Erweiterung der Zuständigkeiten darf nur im Wege einer Änderung des Grundgesetzes möglich sein, die als solche ausdrücklich kenntlich gemacht und beschlossen wird und in den Text der Verfassung Aufnahme findet. Darüber hinaus muß aber noch verlangt werden, daß für Kompetenzerweiterungen, die das bundesstaatliche Gefüge verschieben, besondere Bestimmungen getroffen werden, zum Beispiel qualifizierte Mehrheiten in dem die Länder repräsentierenden Bundesorgan. Veränderungen, die auf die Beseitigung des bundesstaatlichen Charakters abzielen, müssen aber von uns schlechthin als unzulässig betrachtet werden. Beherrschender materieller Grundsatz im Gebiet der Zuständigkeitsabgrenzung muß sein: Alles, was nicht unbedingt als gemeinsame Angelegenheit betrachtet werden muß, ist Aufgabe der Länder. Aus diesen Gründen kann es nur einen Zuständigkeitskatalog für den Bund, aber nicht für die Länder geben. Dies gilt vor allem für die Gesetzgebung. Der Katalog der ausschließlichen Zuständigkeiten des Chiemseer Entwurfs entspricht mit zeitbedingten Abänderungen dem Art. 6 der Weimarer Verfassung. Auf diesen Gebieten steht dem Bund das ausschließliche Gesetzgebungsrecht zu. Für eine Landesgesetzgebung ist auch subsidiär nur insoweit Raum, als der Bund den Ländern hierzu die Ermächtigung gibt. Bereits bestehende Landesgesetze bleiben aber durch den Katalog als solche in ihrem Bestände unberührt und werden erst aufgehoben, wenn der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch macht. Die im Chiemseer Entwurf erwähnte Vorranggesetzgebung deckt sich im wesentlichen mit dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung der Weimarer Verfassung. Einige Ziffern des Katalogs der Weimarer Verfassung konnten gestrichen werden, weil sie überholt oder in anderen Bereichen aufgegangen sind. An anderen Stellen erwies sich eine Vermehrung des Katalogs wegen der fortgeschrittenen oder fortschreitenden wirtschaftlichen und technischen Entwicklung als möglich und notwendig. Auf Einzelheiten kann ich im Rahmen dieser grundsätzlichen Ausführungen nicht eingehen. Weiter bestand Übereinstimmung darüber, daß gewisse Gebiete der Bundesgesetzgebung restlos vorenthalten bleiben müssen, ohne daß diese namentlich aufgeführt zu werden brauchen, angesichts des beherrschenden Grundsatzes der Zuständigkeitsvermutung für die Länder. Dazu wären vielleicht zu rechnen -

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das und dazu wurde in Herrenchiemsee ein eigener Antrag eingebracht sich trennen der hier unsere wieinneren Gebiet Verwaltung Wege gesamte der, Herr Kollege Menzel einschließlich der Polizei und der Kommunalverwaltung, das Erziehungs- und Unterrichtswesen, die Pflege von Kunst und Wissenschaft, die Rechtsverhältnisse der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und einige andere. Soweit auf diesen Gebieten ein Bedürfnis nach einheitlicher Regelung besteht wir wollen uns dieser Erkenntnis durchaus nicht verschließen -, sind wir der Ansicht, daß dies im Wege freier Vereinbarung zwischen den Ländern möglich ist, wie dies bereits mit Erfolg im Länderrat der amerikanischen Zone durchgeführt wurde. Wir sind nicht so böse, wie man uns so gern hinstellt. Wir machen vieles lieber im Wege der freien Vereinbarung, als wenn wir im Wege der Anordnung von oben herab gezwungen werden. Man kann uns im Bereich der amerikanischen Zone bestimmt nicht nachsagen, daß wir kein Verständnis für einheitliche Regelungen gehabt hätten. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß wir zu dieser Einheit nicht gezwungen wurden, sondern daß wir uns freiwillig dazu bekannten. -

-

-

-

(Sehr richtig!)

Zu diesem freudigen und freiwilligen Bekenntnis der deutschen Einheit möchten wir uns auch in Zukunft nicht zwingen lassen. Wir wollen die Reichseinheit wie jeder andere Deutsche auch, aber wir wollen kein Einheitsreich. (Sehr richtig! Paul: Dieses Bekenntnis zur Einheit fehlt in Ihrer Verfas-

vollständig!) spreche hier nicht -

sung

als ausgesprochener Vertreter Bayerns; ich bin ja Ich ein Volksvertreter, der zufällig aus Bayern kommt. (Zuruf: So zufällig ist das nicht!) Aber das Bewußtsein, Glied des gesamten deutschen Volkes zu sein, Herr Kollege, werden Sie auch der bayerischen Verfassung nicht vorenthalten können. Auch in unserer bayerischen Verfassung findet sich die ausdrückliche Bestimmung, daß die bayerische Regierung berechtigt ist, Rechte der Eigenstaatlichkeit an eine übergeordnete deutsche Regierung abzutreten, und daß auch Bayern dem demokratischen deutschen Bundesstaat beitreten wird, sobald die Möglichkeit dazu gegeben ist48). (Zuruf: Das ist fast ein Akt der Großmut! Deswegen habt Ihr kein deutsches, sondern ein bayerisches Rotes Kreuz!) Ich glaube, über diese Probleme müssen wir uns bei einer anderen Gelegenheit unterhalten; hier darauf einzugehen würde zu weit führen. Ich möchte nur sagen, Sie kennen den Grundsatz: Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Bitte, konzedieren Sie uns, daß jeder nach seiner Fasson deutsch sein kann.

-

nur

-

-

-

(Sehr richtig!)

Der Grundsatz: Bundesrecht geht vor Landesrecht, ist auch von unserer Seite unbestritten. Es wäre lediglich darauf hinzuweisen: Dieser Grundsatz setzt

')

Bayerischen Verfassung: „Bayern wird einem künftigen deutschen demokratischen Bundesstaat beitreten. Er soll auf einem freiwilligen Zusammenschluß der deutschen Einzelstaaten beruhen, deren staatsrechtliches Eigenleben zu sichern ist." Zum Kontext siehe Kock: Bayerns Weg, S. 234. Art. 178 der

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selbstverständlich voraus, daß das Bundesrecht formell wie materiell gemäß dem Grundgesetz zustande gekommen ist. Für die Verwaltung wird heute nahezu unbestritten der Grundsatz anerkannt, der schon in Artikel 14 der Weimarer Verfassung niedergelegt war: daß die Ausführung der Bundesgesetze Sache der Länder ist, und zwar durch ländereigene Behörden. Ein Überwachungs- und Aufsichtsrecht wird insoweit dem Bunde ohne weiteres zuerkannt; doch beschränkt sich dieses Recht auf die Überwachung der Gesetzmäßigkeit der Ausführung. Während nach Artikel 14 der Weimarer Verfassung der vorhin erwähnte Grundsatz durch einfaches Reichsgesetz durchbrochen werden konnte, verlangt Artikel 30 des Herrenchiemseer Entwurfs, daß das Grundgesetz selbst die Zuweisung an den Bund anordnet oder zuläßt. Daran muß festgehalten werden, um eine Aushöhlung der Zuständigkeiten der Länder und ein Abgleiten vom bundesstaatlichen Prinzip und damit eine Verschiebung des föderalen Gleichgewichts zu verhindern. Eine Umgehung dieses Grundsatzes auf dem Wege über das sogenannte Dotationssystem ist nach Artikel 42 Abs. 3 des Herrenchiemseer Entwurfs zu unterbinden49). Höchste Vorsicht ist auch geboten gegenüber der sogenannten Auftragsverwaltung oder, wie man sie vielleicht besser nennen sollte, der Verwaltung im Namen und nach Weisung des Bundes. Diese bringt eine gewisse Verwischung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern mit sich und bedeutet eine zunehmende Herabminderung der staatlichen Selbständigkeit der Länder auf die Ebene bloßer Selbstverwaltungskörper. Der Begriff der Auftragsverwaltung entstammt dem Kommunalrecht und ist von uns nicht gern gesehen, weil wir nicht wollen, daß die Begriffe durcheinandergeraten. Im Herrenchiemseer Entwurf ist diese Verwaltung daher nur für besondere Fälle vorgesehen, insbesondere für die Verwaltung der vormaligen Reichswasserstraßen und unter Umständen für die Verwaltung der dem Bunde zufließenden Abgaben. Die Verwaltungsform, die die Selbständigkeit der Länder auf dem Gebiet der Verwaltung ganz verdrängt, ist die bundeseigene Verwaltung. Sie darf daher nur aus ganz zwingenden Gründen zur Anwendung kommen. Der Chiemseer Entwurf sieht deshalb eine bundeseigene Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau nur für die auswärtigen Angelegenheiten, für die Eisenbahn und für die Post vor. Die Errichtung eigener Bundesoberbehörden kann, abgesehen von den Bundesministerien, nur im Bedarfsfall und nur für Angelegenheiten vorgenommen werden, in denen der Bund das Recht der Gesetzgebung hat. Zweckmäßig erscheint es, ein Verzeichnis dieser Behörden dem Grundgesetz als Anlage beizugeben. Die Errichtung neuer bundeseigener Verwaltungsbehörden bedarf auf jeden Fall einer qualifizierten Mehrheit in dem die Länder repräsentierenden Bundesorgan. Ich sage absichtlich: in dem die Länder repräsentierenden Bundesorgan. Denn wir stehen auf dem Standpunkt, daß es sich bei der sogenannten Länderkammer um ein Bundesorgan handelt, genauso wie beim Parlament, das für den Bund geschaffen ist und nicht für eine egoistische Interessenvertretung der einzelnen Länder.

49) 98

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 588.

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Was für die bundeseigene Verwaltung ausgeführt wurde, muß auch für die bundesunmittelbare Selbstverwaltung gelten. Als solche werden lediglich diejenigen Sozialversicherungsträger in Betracht kommen, in deren Bereich der Gefahrenausgleich nur bei einheitlicher Zusammenfassung für das ganze Bundesgebiet gewährleistet ist. Die bundeseigene Verwaltung und die bundesunmittelbare Selbstverwaltung spielen sich aber keineswegs im luhleeren Raum, sondern im Gebiet der Länder ab und berühren deren Interessen aufs tiefste. Ich darf besonders auf den weitgehenden Einfluß der Tarif- und Preispolitik bei Eisenbahn und Verkehr hinweisen, zum Beispiel auf die allgemeinen Verkehrsinteressen. Den Ländern kann es keineswegs gleichgültig sein, ob zum Beispiel eine Bahnlinie da oder dort errichtet oder da oder dort aufgelassen wird. Die Länder haben ein wirtschaftliches Interesse an der Erschließung ihres Gebietes. Sie haben ein Interesse daran, um ein weiteres Beispiel anzuführen, ob eine Krahpostlinie da oder dort errichtet oder da oder dort aufgelassen wird. Es bestehen hier auch regionale und wirtschahliche Zusammenhänge mit den Nachbarstaaten. Nicht jedes Land liegt im Herzen Deutschlands, und wir müssen Verständnis dafür haben, daß die Grenzgebiete mehr als andere von der wirtschahlichen Lage der angrenzenden auswärtigen Staaten beeinflußt werden. Daher unsere Forderung nach einem Rückspracherecht der Länder in vier Richtungen: 1. auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen Beteiligung der interessierten Länder an Vertragsverhandlungen mit auswärtigen Staaten; 2. bei den Verkehrsanstalten Ernennung von ständigen Vertretern der Bundesbahn und Bundespost bei den Länderregierungen, damit auch hier der Zusammenhang gewährleistet wird, der das Verständnis für die Bedürfnisse auf beiden Seiten wahrt; ich bediene mich nun einmal dieses Aus3. Zustimmung des Bundesrats drucks zur Ernennung und Entlassung der leitenden Bundesbeamten und -

Bundesrichter; -

Zustimmung des Bundesrats zu Durchführungsverordnungen und allgemeinen Anweisungen auch dann, wenn die Ausführung der Bundesgesetze Sache der bundeseigenen oder bundesunmittelbaren Selbstverwaltung ist. Wir glauben eben, daß die Reibungsflächen, die naturnotwendig auhreten müs4.

viel besser in camera caritatis beseitigt werden können, als wenn sie unmittelbar zwischen Bundesregierung und Landesregierung ausgetragen werden und dort die Gegensätze hart im Räume aufeinanderplatzen. Nun komme ich zu dem wichtigen Kapitel der Finanzwirtschaft und der Abgrenzung der Zuständigkeiten auf diesem Gebiet. Grundsatz muß für uns auch hier eine gesonderte Finanzwirtschah für den Bund und für die Länder sein. Das hat gestern auch Herr Dr. Schmid schon betont50). Artikel 37 des Chiemseer Entwurfs51) und teilweise auch der Bericht des Zonenbeirats52) erkennen diesen sen,

50) Siehe Dok. Nr. 2, S. 43. 51) Art. 37 ChE lautete: „Bund 52)

und Länder führen eine gesonderte Finanzwirtschaft." Der Pari. Rat Bd. 2, S. 586. Der Zonenbeirat zur Verfassungspolitik; siehe Dok. Nr. 2, Anm. 77. 99

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Grundsatz rückhaltlos an. Keine ausschließliche Steuersouveränität des Bundes, aber auch nicht der Länder! Wir Bayern sind auch in diesem Punkte nicht so böse, wie man uns immer hinstellt. Ein Land, das kein Budgetrecht mehr hat, ist kein Staat, und einer Volksvertretung, der das Budgetrecht genommen wird, wird damit das Kernstück der Volksvertretung überhaupt genommen.

(Sehr richtig!)

Der Bund soll nicht

Kostgänger der Länder sein; aber ebensowenig sollen die Länder Kostgänger des Bundes sein. Eine gesonderte Finanzwirtschah fördert die Selbstverantwortlichkeit in der Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft bei Ländern und Bund und hält sie zu strengster Sparsamkeit in ihrer Finanzgebarung an, verhütet Darlehns- und Vorschußwirtschaft, die wir aus hüheren Zeiten zur Genüge kennen, und sorgt dafür, daß die Ausgaben durch ordentliche Einnahmen gedeckt werden. Man verläßt sich dann auch nicht auf Dotierungen, Darlehen und Zuschüsse im Wege eines Finanzausgleichs. Die Kompetenzabgrenzung auf dem Gebiet der Finanzwirtschaft hat in dreifacher Richtung zu erfolgen: in der Steuergesetzgebung, in der Steuerverwaltung und in der Verteilung der Steuereinnahmen. In der Frage der Rechtsetzung auf dem Gebiet des Finanzwesens gehen die Meinungen auseinander. Einigkeit besteht lediglich darin, daß der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle haben soll. Für alle übrigen bundesrechtlich zu regelnden Steuern ist nur Vorranggesetzgebung vorzusehen. Wie weit diese gehen soll, wird Gegenstand eingehender Erörterungen im Finanzausschuß sein. Dabei wird man auch von dem Grundsatz ausgehen müssen, daß der Bund nur das regeln soll, was einheitlich geregelt werden muß. Ebenso uneinheitlich sind die Meinungen hinsichtlich der Finanzverwaltung. Hier treten bisher hauptsächlich vier Meinungen auf: 1. Erhebung und Verwaltung der Zölle und der dem Bund zufließenden Steuern durch die Länder als eigene Angelegenheit der Länder; 2. Erhebung und Verwaltung durch die Länder für den Bund und nach Weisungen des Bundes; 3. getrennte Verwaltungsführung von Bund und Ländern je für ihre Aufga-

ben;

einheitliche Bundesfinanzverwaltung für Bundes- und Länderabgaben. Nach unserer Auffassung kann nur die erste Möglichkeit entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für die Verwaltung überhaupt in Betracht kommen. Wir sind aber bereit, dem Bunde ein über das allgemeine Aufsichtsrecht hinausgehendes Kontroll- und Überwachungsrecht einzuräumen, so daß eine einheitliche Handhabung in allen Ländern gewährleistet und auch der Bund in 4.

jeder Beziehung sichergestellt ist. Meinungsverschiedenheiten bestehen schließlich auch hinsichtlich der Verteilung der Einnahmequellen zwischen Bund und Ländern. Hierbei wird auszugehen sein von den tatsächlichen Ausgaben des Bundes einerseits und den Ausgaben der Länder und ihrer Gemeinden andererseits. Die Höhe dieser Ausgaben wird durch den Umfang der Aufgaben bestimmt. Der Aufgabenbereich des Bundes wird durch das Grundgesetz festgelegt. Wegen der wechselnden Höhe der notwendigen Ausgaben ist eine starre Festlegung der Auheilung der Dek100

Dritte

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zwischen Bund und Ländern nicht möglich. Im gegenwärtigen Zeitlassen sich weder der Bedarf noch die Ergiebigkeit der einzelnen Steuerpunkt klar Auf jeden Fall muß aber vermieden werden, daß durch übersehen. quellen vorübergehende Aufgaben eine Verlagerung des Schwergewichts auf die Dauer festgelegt wird. Man kann nicht vorübergehende Aufgaben durch eine Dauerdotierung zu lösen versuchen. Das würde den primitivsten Grundsätzen der Finanzwirtschah und Finanzwissenschah widersprechen. Auch hier wird nur durch ein Speziaheferat und eine eingehende Untersuchung durch einen Sonderausschuß, gegebenenfalls unter Heranziehung besonderer Sachverständiger, Klarheit geschaffen und ein Überblick gewonnen werden können. Daher möchte ich zu diesem Kapitel keine weiteren Ausführungen machen, obwohl ich mir darüber im klaren bin, daß hier letzten Endes der Angelpunkt für einen praktischen bundesstaatlichen Aufbau gefunden werden muß. Denn es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz: Wer das Geld hat, der hat die Macht, und wer bezahlt, schafh an. So geringe Einigkeit bisher in den Entwürfen über die Zuständigkeitsabgrenzung auf dem schwierigen und entscheidenden Gebiet des Finanzwesens zutage trat, so klar sind die Auffassungen auf dem Gebiet der Rechtspflege. Mit einer einzigen Ausnahme wird der Standpunkt vertreten, daß die Rechtspflege als dritte Staatsfunktion unabhängig und gleichberechtigt neben der Gesetzgebung und Verwaltung zu stehen hat. Wir alle bejahen nach den Zeiten der Rechtsunsicherheit und der Willkür den Gedanken des Rechtsstaates. Es gibt aber keinen Rechtsstaat ohne unabhängige, unpolitisch und rein sachlich eingestellte Rechtspflege. Der Rechtsstaat muß diese Rechtspflege verbürgen und erhält durch diese von ihm zu leistende Bürgschaft letzten Endes wieder die Bürgschah für seinen eigenen Bestand. Eine nahezu völlige Einmütigkeit dürhe auch darüber bestehen, daß die Justizhoheit grundsätzlich bei den Gliedstaaten liegen muß, während die Gesetzgebungskompetenz im weitesten Umfang aus Gründen der Rechtseinheit dem Bund überlassen werden kann. Aus dem gleichen Grunde der [Rechtseinheit], die wir alle wollen und deren Fehlen wir alle vermissen, wird aber die Schaffung eines oder mehrerer oberster Gerichte für Fragen des Bundesrechts erforderlich sein, vornehmlich auf den Gebieten des Verfassungsrechts, des Zivil- und Strafrechts. Insoweit soll der Bund Träger auch der Justizhoheit sein. Die Notwendigkeit eines obersten Bundesverwaltungsgerichtshofs kann nicht ohne weiteres bejaht werden; hier müssen im Gegenteil sehr starke Bedenken angemeldet werden. Wir kennen den großen Einfluß der Judikatur. Die innere Verwaltung aber soll Landessache sein und bleiben. Wenn aber die Verwaltungsrechtspflege Bundessache wird, besteht die große Gefahr, daß auf dem Umweg über die Rechtspflege tiefe Eingriffe in die aktive Verwaltung der Länder erfolgen. Diese Gefahr muß ausgeschaltet werden. Trotzdem wird das Ziel der Erreichung einer Rechtseinheit auch auf diesem Gebiet nicht außer acht gelassen werden können. Um diese sich scheinbar widerstreitenden Zwecke zu vereinen, wird von verschiedenen Seiten die Ausgestaltung des obersten Verwaltungsgerichts als Spruchstelle vorgeschlagen. Das Wesentliche dieser Spruchstelle soll darin bestehen,

kungsmittel

101

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daß sie

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dem obersten Verwaltungsgericht eines Landes angegangen werden dieses von der Entscheidung eines obersten Gerichts eines anderen Landes oder von einer früher ergangenen Entscheidung eines obersten Bundesgerichts abweichen will. Hierdurch wird die Rechtseinheit noch in vollem Umfang gewahrt, aber die Überlastung und die damit verbundene Aufblähung des obersten Bundesgerichts vermieden, ein Gedanke, der auch für andere Zweige der Rechtspflege durchaus erwägenswert erscheint. Untere Bundesgerichte sollen nach der überwiegenden Meinung des Herrenchiemseer Verfassungsausschusses nur für die wahrscheinlich sehr seltenen Verwaltungsstreitsachen gegen Bundesverwaltungsbehörden und für Dienststrafverfahren gegen Bundesbeamte zulässig sein. Man hat auch die recht beachtliche Meinung vertreten, daß auf diese unteren Bundesgerichte überhaupt verzichtet werden könnte und daß die Gerichte der Länder mit diesen Aufgaben betraut werden könnten. Diese Frage wird im zuständigen Ausschuß noch

muß,

von

wenn

eingehend

zu

erörtern sein.

Schließlich ist noch ein Wort über das Verhältnis der Bundesverfassung zu den Länderverfassungen zu sagen. Unbestritten ist, daß die Länder volle Verfassungsautonomie haben und behalten sollen. Grundsätzlich müßte den Gliedstaaten in der Gestaltung ihrer Verfassung volle Freiheit gelassen werden. Wenn nun Artikel 29 des Herrenchiemseer Entwurfs53) gewisse Richtlinien für die Länderverfassungen vorschreibt, so kann dies nach unserer Auffassung nur damit gerechtfertigt werden, daß diese Richtlinien von uns allgemein anerkannt und in den Verfassungen der Länder der Westzonen bereits ihren Ausdruck gefunden haben, andererseits aber auch damit, daß eine Reihe deutscher Länder heute noch keine einheitliche Verfassung in unserem Sinne hat. Die Gewährleistung des Verfassungsrechtslebens der Länder durch den Bund darf aber keinesfalls so aufgefaßt werden, als ob der Bund ein Genehmigungsrecht für die Länderverfassungen oder dort beschlossene Verfassungsänderungen hätte. Es muß vielmehr den Ländern überlassen bleiben, wie sie ihr staatliches Leben einrichten wollen. Streitigkeiten über die Vereinbarkeit von Bundesrecht und Länderverfassungen sind der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtshofs anheimzugeben. Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein paar kurze Worte! Unser Volk sehnt sich nach Ruhe und Frieden. Nicht nur der Weltfrieden, sondern auch der innerstaatliche Frieden muß organisiert werden, und Sie haben es in der Hand, durch eine gute Verfassung unserem Volke diesen Frieden zu geben. Unerläßlich hierfür ist eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Nur so werden wir Verfassungskämpfe vermeiden, die sonst erfahrungsgemäß sehr bald einsetzen werden. Eine weise Abwägung der Zuständigkeiten und Aufgaben wird Vorsorge treffen, daß nicht etwa das zum Sprengpulver wird, was als Klammer der Einheit gedacht ist. Das neue deutsche Haus, mag es noch so bescheiden sein, muß auf sicherem Fundament ruhen. Nicht ein labiler Föderalismus, nicht die Labilität, sondern die Stabilität

53) 102

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 584.

Dritte

des Verfassungslebens muß Ziel sein.

uns

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unseren

Nr. 3

Arbeiten Richtschnur und oberstes

(Beifall.) [2. ALLGEMEINE AUSSPRACHE]

Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren! Nach unserer Abrede treten wir nunmehr in die Aussprache ein. Als erster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Heuss. Dr. Heuss (FDP): Meine Damen und Herren! Als vorige Woche der Kollege Reimann eine, wie ich glaube, noch bescheidene Vorprobe seines Temperaments und seiner Begabung für das Emotionelle gegeben hat, warf er in die Versammlung die Sentenz: Verfassungshagen sind Machthagen54). Ich bin nicht ganz sicher, ob es als Sentenz oder als Parole gedacht war. Das Wort stammt, wie Sie wissen, von Ferdinand Lassalle55). Er sprach es aus, als er im Jahre 1862 in den preußischen Verfassungskampf eingriff. Es könnte für uns die Lockung vorliegen, nun, da wir hier zusammen sind, um eine Verfassung zu machen, die wir doch nicht ganz eine Verfassung nennen wollen, das Problem Macht und Verfassung zu untersuchen und zu prüfen: Haben wir eigentlich den Auhrag, einen Machtkampf aufzuführen, oder den Auhrag, das Problem der Verfassung als Rechtshage zu sehen und zu formen? Damit Recht nicht bloß Recht sei, sondern damit Recht Recht werde, muß das Recht in Macht eingebettet sein. Es war ganz schön, gestern an Thomas von Aquino56) erinnert zu werden. Ein sehr weiser Mann! Und vom Naturrecht her uns irgendwie anregen zu lassen für die Überprüfung rechtlicher Normen, ist gewiß eh und je notwendig. Aber auch Thomas von Aquin wußte davon, daß Recht in Macht eingebettet sein muß. Wir dürfen nicht vergessen: Er ist der Exponent einer Zeit des Lehensrechts, wo die Abstufung der Lebensordnung von oben nach unten ging57) und noch keine Demokratie der Masse vorhanden war. fch werde darauf noch zurückkommen. Wir wollen also, so interessant es ist, mit solchen geistesgeschichtlichen Parallelen etwas vorsichtig sein. Wir sind vor die Situation gestellt, das Problem Recht und Macht in Paragraphen sauber auseinanderzugliedern. Dies ist auch in den Ausführungen des Kollegen Schmid durchgeklungen. Aber geht denn das? Das geht nicht, weil das Verhältnis von Recht und Macht ein ewiges geschichtliches Spannungsverhältnis ist. Wir müssen trachten, die Rechtsformen so zu schaffen, daß sie in sich die moralisch-sachliche Qualität gegenüber der Macht besitzen und, wenn diese dem Mißbrauch ausgesetzt ist, ihre eigene innere Kraft wahren. Es ist das Problem, das auch in der Diskussion des Weimarer Ergebnisses vorliegt. Die Rechtsordnung von Weimar war nicht schlecht. Heute ist modern

54) Siehe Dok. Nr. 1, S. 11. 55) Ferdinand Lassalle (1825-1864), Theoretiker und Organisator der deutschen Arbeiterbe-

56) 57)

wegung. NDB, Bd. 13, S. 661-669. Thomas von Aquin siehe Dok. Nr. 2, Anm. 57. Der Rest des Satzes in der Vorlage handschr. hinzugefügt.

103

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geworden, und das ist auch hier ein bißchen durchgeklungen, von der Weimarer Verfassung gering zu reden. Das ist so ein bißchen noch die Suggestion der Hitlerpropaganda, (Lebhafte Zurufe: sehr richtig!) in der auch sehr viele von uns noch befangen sind. Die deutschnationale Opposition vom Jahre 19 1 958) ab und dann die Nazipropaganda haben von vornherein jene Atmosphäre geschaffen, in der die junge Verfassung moralisch fast nicht leben konnte. Heute hat man die Angewohnheit zu sagen: Weil der Hitler an die Reihe gekommen ist und von den Paragraphen der Weimarer Verfassung nicht daran gehindert werden konnte, ist die Verfassung schlecht gewesen. So primitiv ist die Motivenreihe des Geschichtsprozesses nicht! Für uns ist es lehrreich genug, einen Augenblick auch wenn das als eine den Rückblick zu vollziehen, weil uns dann politische Debatte erscheint bestimmte Parallelen der heutigen Situation gegenwärtig werden. Die Demokratie der Weimarer Verfassung ist dadurch so schwer in Gang gekommen und konnte nicht recht in Gang kommen, weil die Demokratie in Deutschland nicht -

-

erobert worden ist. (Lebhafte Zurufe: Sehr richtig!) und das ist ja nun eine Sie ist nach Deutschland gekommen im Augenblick Banalität der Niederlage. Aber indem sie nicht erobert wurde, hatte sie sich keine eigene Legende, keine Geschäftserfahrung geschaffen. Man soll sich doch den Reichstag von 1914 ansehen: der hatte Angst vor der möglichen eigenen Macht, der fühlte sich ganz gut dabei, im Vorhof der Macht seinen Daueraufenthalt zu nehmen, und nur ein paar Leute haben etwas davon gespürt, daß die Mitverantwortung des Parlaments die Voraussetzung zur Schulung eines politischen Typs in Deutschland sei, der neben der Bürokratie eine Leistungskraft in sich selber entwickele. Nun ist unstreitig die Weimarer Verfassung das Opfer eines grandiosen Irrtums geworden. Sie glaubte nämlich, wie junge Demokratien ihrer Natur nach optimistisch sein müssen, an die Fairneß der Deutschen. Es kennzeichnet die sehr tragische Lage für unser Volk, daß wir für diesen Begriff Fairneß in Deutschland selber kein eigenes Wort besitzen; so geschah, daß der Entwicklungsweg der Demokratie von der Atmosphäre der nationalistischen59) Romantik, der monarchischen Restauration und dem elenden Verbrechen der Dolchstoßlegende begleitet wurde. Diese Dinge sind für das Funktionieren der Weimarer Verfassung viel, viel entscheidender gewesen als diese oder jene von uns heute nicht als ganz richtig empfundene technische Paragraphenformulierung. Wenn wir an diese vergiftete politische Atmosphäre denken, in der Weimar gestartet wurde, wie ist dann unsere Lage heute? Wir sollen einem gemeinsamen Recht für das deutsche Volk die Stütze der Macht geben. Aber wo ist die Macht? Wir wandern im Tal der Ohnmacht. Wieder ist die Demokratie in Deutschland nicht erobert worden; sie ist von den Besatzungsmächten angeordnet, anempfohlen, zugelassen, zugemessen, lizenziert, limitiert, kontingentiert. -

-

) ') 104

In der In der

Vorlage handschr. korrigiert aus 1918. Vorlage das Adjektiv handschr. hinzugefügt.

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Ist denn das die Situation, in der etwas Rechtes, Kräftiges und Gesundes überhaupt entstehen kann? Das ist die Frage, vor der wir als Gruppen und als einzelne stehen. Die Antwort lautet ganz verschieden. Sie ist bei den einen die müde Resignation: Da kann ja nichts werden! Oder bei den andern eine ziellose Proteststimmung gegen die Besatzungsmächte. Oder bei den ganz Gescheiten ein sehr wirkungsloses Buchstabieren der Landkriegsordnung0") und solcher Geschichten. Das ist nicht die Stimmung und die Gesinnung, in der wir hier beginnen können. In welcher können wir denn beginnen? Verzeihung, ich komme aus Württemberg; infolgedessen darf ich aus unserem großen Vorrat an Dichtern einen kurz zitieren und sagen: Wir wollen beginnen in der Gesinnung, die Hölderlin61) mit dem Wort „heilige Nüchternheit" bezeichnet. Ein sehr merkwürdiges und tiefes Wort, die Nüchternheit „heilig" zu nennen, als sei diese etwas Sakrales. Wenn ich das auf uns beziehe: wir sind gegenüber der Wirklichkeit illusionslos geworden, wir alle, diese Generationen, sind durch die Schule der Skepsis hindurchgegangen. Aber wenn wir nur illusionslos sind und wenn wir nicht ein Stück Glauben auch für diesen unseren Beruf mitbringen, dann verliert unser Handwerk von seinem Beginn an die innere Würde. Wer hat uns denn die Legitimation gegeben, hier etwas zu beginnen? Das Dokument I62) ist ein technischer Vorgang, der seine Rechtfertigung aus der Gesamtentwicklung der politischen Situation bezieht. Wir sind dann von den Landtagen gewählt, Landtagen, von denen wir eben gehört haben, daß sie der Ausdruck originärer Staaten seien. Ich will niemand zu nahe treten, aber manche dieser Staaten sind weniger originär als originell

(Heiterkeit.) in der Art, wie sie geworden sind. Nun den Status einer richtigen Staatlichkeit in diesen, bald hätte ich gesagt, Sauzustand der deutschen Länderwerdung63) hineinzulegen, bitte, das wollen wir uns eigentlich schenken. Wenn wir hier von den Landtagen gewählt worden sind, so sind die Landtage im Augenblick Behelfsheime der deutschen Existenz überhaupt. (Lebhafte Zurufe: Sehr gut! und Heiterkeit.) Gut, sie haben im ganzen anständig gearbeitet. Aber wir sind doch nicht als Vertreter von Württemberg oder Bayern oder sonst einem Land hier, auch wenn deren Parlamente uns gewählt haben, weil man in diesem August, wo die Menschen unter den größten Sorgen lebten, Währungsfolgen usw., keine Volksmeinung über staatspolitische Dinge herausholen konnte. Darüber sind wir uns ganz klar: es ist eine Behelfskonstruktion, die uns hierher entsandt hat. Mir scheint, wir könnten das vorwegnehmen, was zu beschließen wir offenbar gemeinsam entschlossen sind, nämlich den Satz: Der Abgeordnete ist Vertreter -

6") Haager Landkriegsordnung siehe Dok. 61

Nr. 2, Anm. 22.

) Friedrich Hölderlin (1790-1843).

62) 63)

Frankfurter Dok. Nr. I, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff. Im Druck „Länderverordnung"; in der Vorlage von unbekannter Hand

korrigiert aus „Länderwährung".

Länderwerdung 105

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des ganzen Volkes. Wenn wir das für uns selber jetzt schon maßgebend sein unsere Legitimation sachlich geklärt. Aber beschließen denn wir hier oder beschlossen die Ministerpräsidenten, wenn sie im Auftrag zusammen waren, einen Bund? Nein, das Deutsche Reich, auch wenn es desorganisiert ist, ist rechtlich und politisch eine Geschichtstatsache geblieben.

lassen, dann ist

(Lebhafte Zustimmung.) Novemberverträge des Jahres

18 7 064), auf die Herr Dr. Hoegner65) in München sich einmal berufen hat und von denen er gemeint hat, sie seien jetzt außer Krah, sind, verzeihen Sie, durch 80 Jahre gemeinsamer politischer Volksgeschichte als Rechtsvorgang konsumiert, die interessieren uns nicht mehr, (lebhafte Zurufe: sehr richtig!) sondern was uns interessiert, ist das Problem: Kann man sich überhaupt seelisch66) vorstellen, daß man einen „Bund" auf Anweisung fremder Mächte schließt oder erneuert? Der Bund setzt als neuer Rechts- und politischer Vorgang ja doch die Freiheit voraus. Wir sind also dabei, uns Gedanken zu machen, eine Neuordnung, eine Rückordnung des deutschen Gemeinschaftslebens mit den Tatbeständen der Länder vorzunehmen. Wir weichen dabei dem Wort „Verfassung" aus, und wir sagen sehr oft zu dem, was wir machen wollen, „provisorisch", weil wir spüren, zum einen, daß uns das Pathos der freien Entscheidung mangelt, und weil wir zum andern nur ein Teil-Deutschland personell in unseren Reihen, an unseren Verantwortungen beteiligt fühlen. Aber ein bißchen habe ich die Sorge, daß wir uns aus Gründen, die ich politisch durchaus verstehe, die aber auf unsere eigene Arbeit zurückwirken können und auf das immerhin von uns noch zu erstrebende Gefühl des Mitdenkens des deutschen Volkes angewöhnen, das Wort „provisorisch" etwas zu oft auszusprechen. Wir begreifen dieses Wort „provisorisch" natürlich vor allem im geographischen Sinne, da wir uns unserer Teilsituation völlig bewußt sind, geographisch und volkspolitisch. Aber strukturell wollen wir etwas machen, was nicht provisorisch ist und gleich wieder in die Situation gerät: heute machen wir etwas, und morgen kann man es wieder ändern, und übermorgen wird eine neue Auseinandersetzung kommen. Wir müssen vielmehr strukturell schon etwas Stabileres hier fertigzubringen versuchen,

Die



-

(Zustimmung)

auch etwas,

was

Abschattierung,

66) 106

gewisse Symbolwirkung hat, und

daß wir den

Besatzungsmächten,

wenn auch bloß in der daß wir auch den Leuten

E. Deuerlein (Hrsg.): Reichsgründimg 1870/71. Stuttgart 1970. Darin insbes. Karl Bosl: Die Verhandlungen über den Eintritt der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund und die Entstehung der Reichsverfassung, S. 148 ff. Wilhelm Hoegner (1887-1980), SPD, von der US-Militärregierung ernannter MinPräs. von Bayern. Nach dem CSU-Wahlsieg vom Dez. 1946 bayerischer Justizmin. und stellv. MinPräs.; Peter Kritzer: Wilhelm Hoegner. Politische Biographie eines bayerischen Sozialdemokraten. München 1979. „Seelisch" in der Vorlage handschr. hinzugefügt.

64) Th. Schieder,

65)

eine

so

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Nr. 3

im deutschen Osten sagen: Wir sind nun eben auf einem Wege begriffen, dessen Ende noch nicht erreicht ist. Ich bin in Sorge, ob nicht das, was in Herrenchiemsee vorgeschlagen wurde, dieses Gebilde aus diesen politisch-psychologischen Gründen „Bund deutscher Länder" zu nennen, etwas sehr Zufälliges hat. Wir sollen keine Angst haben vor der Magie des Wortes. Ich würde bitten, in die Diskussion hereinzunehmen, daß wir uns heute einfach „Bundesrepublik Deutschland" nennen67), weil damit schon eine starke moralische Attraktion für die jungen Menschen mit drinsteckt, die in diesem „Bund Deutscher Länder" ja nur ein Ausweichen vor sich sehen. Das wird auch im deutschen Osten verstanden werden. Es ist uns der Auhrag gegeben, eine, wie es heißt, Verfassung des „föderativen Typs" zu machen. Nun ist ja von dem Problem des Föderalismus und Zentralismus allerhand gesagt worden. Ich will auch etwas dazu bemerken. Zunächst rein als Geschichtsvorgang: Katastrophen der Welt, die ein Volk erschüttern, haben zunächst die seltsame Wirkung der Dezentralisation der seelischen Empfindung. Nach 19 1 868), nach 1945 wurde auf einmal die Nähe das Wesentliche, was die Menschen suchten, und zwar nicht bloß deshalb, weil Telefonleitungen zerstört waren und keine Bahnen gingen, sondern es entsteht die Flucht dorthin, wo die große weltpolitische Erschütterung in ihrer Gewalt nicht so unmittelbar gespürt wird.

(Sehr gut!)

Aber die zweite Wirkung ist dann die, daß hinter solchen Ereignissen die große zentralistische Bewegung hereindrängt. 1789, überhaupt große Revolutionen wirken absolut zentralisierend, um eine Machtsituation zu sichern und auszudehnen. Wir hatten im Jahre 1918/19 keine Revolution in diesem Sinne. Wir hatten sie 1933 und mit ihr die Zentralisierungstendenz. Wir hatten aber auch schon im Jahre 1920 eine der Konsequenzen dieser Entwicklung in der großen Erzberger'schen Gesetzgebung69), die in vielen Dingen eine Rettungsaktion gegenüber den dezentralisierenden Kräften bedeutet hat, die sich damals geschichtlich gemeldet haben.

(Zustimmung.)

Und heute? Wir wollen, wenn wir nach einem „föderativen Typ" zu suchen haben, keinen Wortfetischismus treiben, sondern wir sollen uns sogar selber aus einer gewissen Reinlichkeit heraus davon heimachen. Die Deutschen sind ein merkwürdiges Volk. Ich habe im vorigen Jahr eine sehr große Diskussion mitgemacht, wo einer sich kolossal gescheit vorkam, als er darstellte: föderali-

67) 68) 69)

Zur Namensdiskussion siehe Dok. Nr. 2, Anm. 31. Im Druck fehlte das folgende Komma, das in der Vorlage vorhanden war. Matthias Erzberger (1875-1921), Zentrumspolitiker; seit 21. Mai 1919 Reichsfinanzminister. Die nach ihm benannten Reformen umfaßten den Aufbau einer Reichsfinanzverwaltung, die Neuregelung und Vereinheitlichung der Steuergesetzgebung durch Zusammen-

fassung

der

Steuergesetzgebung

der Länder

(Reichsabgabenordnung,

Einkommensteuer-

Gesetz) und die Reform des Finanzausgleiches der Länder. Theodor Eschenburg: Matthias

1973.

Erzberger. Der große Mann des Parlamentarismus und der Finanzreform. München 107

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stisch, das ist der Ruin, föderativ, das ist das Gesunde. So argumentiert diese simpelhafte Wortgläubigkeit der Deutschen, die sich um derlei herumstreiten.

nun einen Augenblick sehen es ist schon erwähnt worden -, in welches Mißverständnis man kommt, wenn man sich über den Begriff des Föderalismus, ich will einmal sagen, mit einem Amerikaner austauscht. Im Beginn der amerikanischen politischen Geschichte steht Alexander Hamilton70), der Führer der ..Federalists", und der war für die Stärkung der Zentrale, während es bei uns Denkgewohnheit geworden ist, daß Föderalismus Stärkung der Glieder auf Kosten der Zentrale bedeutet. Das ist bei uns nach Weimar vorbelastet worden nicht mit der ungenügenden Lösung der Zuständigkeiten, sondern damit, daß auf einmal Herr Zeigner71) in Dresden und das andere Mal Herr Kahr72) in München ihre Interpretation von Zusammengehörigkeit eines deutschen Gliedstaates mit dem Gesamtschicksal eines Volkes in furchtbarer Zeit so gegeben haben, wie es weder ein gesunder noch ein ungesunder Föderalismus, um diesen Begriff aufzunehmen, je hätte erlauben dürfen. Ich glaube, die Situation bei den Deutschen ist vielfach so gewesen: von 1924/25 ab darüber ist schon geredet worden hat man bei uns Überlegungen angestellt, ob die Weimarer Verfassung durch eine „Reichsreform" anders gemodelt werden könnte73). Im Jahre 1919 hat Naumann74) den sehr klugen Vorschlag gemacht, man solle nach fünf Jahren die Verfassung einmal sachlich überprüfen, ohne daß dabei eine verfassungändernde Mehrheit nötig wäre. Nun ist dies nicht eingetreten; man hat sich mit der Entwicklung des Kompetenzkatalogs begnügt. Ein solcher wurde in Weimar durchgeführt. Er ist dann von den Nazis sehr eindeutig interpretiert worden. Daß die Nationalsozialisten nach dem Gesetz der Revolution Zentralisten wurden und zugleich Nivellierungsfanatiker, das hat eine unitarische Richtung bei sehr vielen Leuten innerlich erschüttert, sie seelisch umgestimmt. Ich bin weit davon entfernt, hier eine zentralistische

Wir wollen

-

-

-

') Alexander Hamilton (1755[1757?]-1804), amerikanischer Politiker. ) Erich Zeigner (1886-1949), SPD, Ministerpräsident von Sachsen seit März 1923, gewählt mit Hilfe von SPD und KPD. Seine Regierung geriet in schwere Konflikte mit der Reichsregierung, die, nachdem er drei kommunistische Minister in seine Regierung

aufgenommen hatte, eine Reichsexekution gegen Sachsen durchführte. Während der NS-Zeit mehrere Male verhaftet und für längere Zeit inhaftiert, wurde er im Juli 1945 Oberbürgermeister von Leipzig. Erich Zeigner: Eine biographische Skizze, hrsg. von der Kommission zur Erforschung der örtlichen Arbeiterbewegung bei der SED-Stadtleitung.

)

) )

Leipzig

1986.

Gustav Ritter von Kahr (1862-1934), bayerischer Politiker, nach dem Kapp-Putsch im März 1920 Ministerpräsident einer bürgerlichen Rechtsregierung in Bayern. Im Okt. 1923 führte von Kahr bewußt einen Konflikt mit der Reichsregierung herbei, als er den bayerischen Teil der Reichswehr unter General Lossow „in Pflicht" nahm. NDB, Bd. 11, S. 29 f. Zur Reichsreform siehe die in Anm. 41 benannte Literatur. Handschr. in der Vorlage aus „man" korrigiert. Friedrich Naumann (1860-1919), im Nov. 1918 Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei, ab Juli 1919 ihr Vorsitzender und Mitglied des Reichstages. Theodor Heuss hatte im Jahre 1937 bereits eine Biographie über ihn publiziert (Stuttgart, Berlin), die im Jahre 1949 in zweiter Auflage (Stuttgart, Tübingen) erschien. Alfred Milatz: Friedrich-Naumann-Bibliographie. Düssel-

dorf 1957.

108

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Propagandarede zu halten, aber ich sage: Der Ausschuß, der die Fragen der Kompetenzen durchzugehen hat, wird auf einmal merken, daß das eigentlich nur eine philologische Spielerei ist, wenn man nicht dahinter spürt: der große Zentralisator des deutschen Schicksals ist die deutsche Not und die deutsche Armut.

(Lebhafte Zustimmung.)

Dann werden auf einmal die Leute, die heute

so selig über ihr staatliches dankbar sein, wenn ihnen aus der Gemeinschah, aus der Gemeinverantwortung jene Hilfe und Kräftigung zufließt, die sie für sich gar nicht schaffen könnten. Wir wollen dabei auch keine zusätzliche heimatliche Geschichtsromantik haben, wie sie im Nordwesten oder im Südosten Gesamtdeutschlands heute noch gepflegt wird. Denn bei aller Anerkennung dessen, was Geschichte im Bewußtsein heimatgebundener Menschen ausmacht, sind doch alle diese Dinge, etwa die Beamtentradition, die ich nicht gering ansehe, heute hagwürdig geworden durch den einfachen Vorgang, von dem ich nachher an anderer Stelle etwas zu sagen habe, daß nämlich die Flüchtlingstatsache als Massenproblem eine soziologisch-psychologische Umwandlung all der Heimaten herbeiführen wird, ob sich einer dagegen sträubt oder nicht, und wenn er sich dagegen sträubt, begeht er ein Unrecht an der deutschen Entwicklung, die diese größte Geschichtsaufgabe, vor der wir stehen, bewußt mit anfassen muß. Wir wollen die Frage der Entscheidung im Organaufbau nun in den Ausschüssen pfleglich überlegt wissen. Wir halten dafür, daß die Person, die Amtsfunktion des Bundespräsidenten nicht in die ungewisse Geschichte abgeschoben werden soll, weil die Zeit noch nichts Rechtes für ihn zu tun gibt. Verkennen Sie nicht die Symbolkrah, die davon ausgeht, und vermeiden Sie das Provisorium eines Direktoriums, was dann in der Bevölkerung gleich wieder so ausgedeutet wird: man will also die verschiedenen Leute und Parteien mit daran beteiligt haben. Man muß schon den Mut haben, in das Strukturelle das Feste einzubauen. Parlamentarisches oder Schweizer System? Ich brauche es nicht durchzugehen. Das parlamentarische System ist durch die Entwicklung in Weimar, durch die Ereignisse der französischen Regierungskrisen75) disqualifiziert. Gibt es denn eine Regierungsform, wie naive Menschen oder Staatshandbücher das glauben, die dem Gemäßen entsprechen? Nein, das gibt es nicht, sondern es gibt immer nur Annäherungswerte, um Schwierigeres zu verhindern, zu lindern. Ich für meine Person bin der Meinung, daß wir am parlamentarischen System festhalten sollen, obwohl ich die Einwendungen dagegen kenne, rein aus dem Grunde, weil in dem parlamentarischen System für Regierungen und Parteien gerade in Deutschland die Erziehungsschule der politischen Verantwortung liegt, die hinweggegeben wird in dem Schweizer System, wenn ich es einmal so nennen soll76); die eidgenössische Entwicklung hat ihren eigenen festen Rhythmus begründen können.

Eigenleben scheinen,

') ')

In Frankreich gab Regierungskrisen.

es

während der Vierten

Der Rest des Satzes in der

Republik (1946-1958)

nicht

weniger

als 20

Vorlage handschr. hinzugefügt. 109

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Es ist nun gesagt worden, daß das parlamentarische System ein anderes Wahlrecht voraussetzt, daß diese Wahlrechtsfrage vorher entschieden werden muß. Nun halte ich dafür, daß wir die Probleme sehr gut und sehr genau untersuchen müssen. Aber man soll nicht das Opfer von Schlagworten werden, die jetzt so laufen, daß das Wahlrechtsproblem isoliert eine politisch-funktionelle Entscheidung herbeiführen könne. Es wird dann so dargestellt, daß die politische Erbweisheit der Engländer sie zum relativen Wahlrecht und dadurch zum Zweiparteiensystem gebracht habe und daß die Amerikaner das von den Engländern gelernt und ihnen dann nachgemacht hätten. So ist das nicht. Das klassische englische Zweiparteiensystem ist vor über zweieinhalb Jahrhunderten ganz ohne Wahlrechtsprobleme entstanden aus dem Zwiespalt der aristokratischen gentry, als die einen für das Haus Stuart und die andern dagegen waren. Und das Zweiparteiensystem in Amerika ist geworden, weil die einen für die Stärkung des Bundes und die andern für die Stärkung oder für die Selbständigkeit der Glieder gewesen sind. Beide sind konservative Völker in diesem Sinne. Ich erinnere an diesen Vorgang nur deshalb, weil es eine etwas zu primitive Vorstellung ist, daß Wahlrechttechnik als solche die politischen Entscheidungen bestimme. Man soll dann auch mit dem Hinweis auf Frankreich brav zu Hause bleiben. Bei den Franzosen spielt sich das ab, ganz wurst, ob sie einmal das Proportionalwahlrecht oder das andere Mal das Mehrheitswahlrecht gehabt haben. Wenn Sie sich die Geschichte der französischen Republik in den letzten vierzig Jahren vorstellen, so ist zwei- oder dreimal die Technik des Wahlrechts geändert worden, aber die parlamentarische Gesamtsituation als solche ist geblieben. Wir sind uns alle jedenfalls darüber klar, daß wir die unechten Mehrheiten, wenn ich sie einmal so nennen darf, oder die destruktiven, wie sie hier genannt worden sind, als Möglichkeiten durch das Grundgesetz in ihrer Wirkungskraft

begrenzen.

Ob die föderative Gestaltung der zweiten Kammer dem Senatstyp, um mich hier auf Formungen des Herrenchiemseer Entwurfs einzulassen, oder dem Bundesratstyp entsprechen wird, auch das ist der Einzeldiskussion, die ich mir bei der Kürze der Zeit ja doch nicht gestatten kann, bedürftig. Es ist gegenüber der Senatsformung nun das berechtigte Gefühl vorhanden: wird sie nicht nur eine verkleinerte Spiegelung dessen sein, was der Bundestag schon darstellt, und wird nicht infolgedessen die Gefahr der Repetition sich ergeben? Ich will jetzt nicht auf die fürsorglichen Meinungen eingehen, daß man diesen armen Senatoren doch nicht den ganzen Apparat beischaffen könnte, den sie vielleicht brauchen, wenn sie für „Verordnungen" mit zuständig werden sollen und so fort. Von uns aus gesehen, wünschen wir auf der einen Seite, daß nicht eine bürokratische Behörde als solche entsteht, weil ihr das Dynamische fehlt, weil sie das Mitschwingen der demokratischen Verantwortungen entbehrt. Aber auf der anderen Seite glaubt man wohl nicht ohne Grund, das, was an Sachverstand und Erfahrung in den alten Vertretungskörpern vorhanden war, in der Gänze jetzt nicht einfach auf die Seite schieben zu können. Wir haben in der deutschen Geschichte einen Vorgang als Möglichkeit, der nicht exerziert wurde, nämlich im Jahre 1848/49, wo man sich über diese Dinge auch 110

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Gedanken machte77). Das hat im Winter 1848/49 in der Spielart gewechselt. Da hat man eine Zeitlang das Staatenhaus entworfen gehabt und in diesem Staatenhaus Vertreter der Landtage, Vertreter der Regierungen. Man hat in der zweiten Lesung sogar einen Reichsrat gemacht, in dem die einzelnen Länder bei der Bundeszentrale mit einem Gesandten vertreten sein sollten. In der dritten Lesung ist dieser sogenannte Reichsrat wieder gefallen. Aber daß die Kombination von Länderregierungsvertretern und Landtagsvertretern an sich gangbar ist und versucht werden könnte, legt sich mir sehr nahe. Das ist nicht rational brav ausgedacht. Aber es kommt ja auch nicht so darauf an, daß die Dinge rational ganz genau ausgemessen sind, wenn in sie eine Chance gelegt wird, daß eine Tradition sich daraus entwickelt, und gerade diese Kombination von Regierungsvertretern und Freigewählten kann vielleicht eine neue Tradition mit schaffen. Aber falls der Bundesrat, um das Wort zu übernehmen, genommen werden sollte, dann müßte er dies als Selbstverständlichkeit haben, daß echte politische Verantwortungen sichtbar mit von denen getragen werden, die dort als Ländervertreter die Entscheidung haben. Dann kommt der zuständige Ausschuß heilich vor eine sehr schwierige Aufgabe, und ich rate den Herren, die da hineingehen, jetzt schon ein sehr schwer auszusprechendes Wort zu üben, damit sie nicht darüber stolpern. Es heißt Inkompatibilität. Das ist sehr schwer auszusprechen.

(Heiterkeit.)

Aber nicht bloß dies. Dahinter steht die Frage, ob und inwieweit Kabinettsmitglieder der einzelnen Länder in die Situation kommen können, die ihnen nicht verwehrt werden kann, auch Mitglieder des Bundestages zu sein. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß hier ein offenes Problem steckt es ist in der Frage des Aufbaus der Gesetzgebung angedeutet -, das wir vielleicht auch wieder hereinnehmen könnten, wo Herrenchiemsee mit staatsmännischer Weisheit geschwiegen hat. Nur bin ich nicht so unhöflich zu sagen, daß Herr Kollege Menzel nicht auch staatsmännische Weisheit besäße. Aber er hat das Problem Volksinitiative und Volksbegehren angeschnitten. Ich meine: Cave canem, ich warne davor, mit dieser Geschichte die künhige Demokratie zu belasten. Warum denn? In die Weimarer Verfassung ist das Volksbegehren aus einer gewissen Verliebtheit meines Freundes Konrad Hausmann78) in die Schweiz hineingekommen, weil Württemberg in der Nähe der Schweiz liegt und weil die Schweiz es hat. Das ist von ihm als eine konservative Angelegenheit begriffen worden, wie es ja vielfach in der Schweiz gewirkt hat. Das Volksbegehren, die Volksinitiative, in den übersehbaren Dingen mit einer staatsbürgerlichen Tradition wohltätig, ist in der Zeit der Vermassung und Entwurzelung, in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen -

)

Zu den Verfassungsplänen von 1848 siehe zusammenfassend Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1798, Bd. II, 2. A. Stuttgart 1988. F. Eyck: Deutschlands große Hoffnung. Die Frankfurter Nationalversammlung. München 1973. Heuss hatte im Jahre 1947 eine Publikation über die Revolution von 1848 erarbeitet: Ein Vermächtnis. Werk und Erbe von 1848. Stuttgart 1948. Neudruck 1954. ) Conrad Hausmann (1857-1922), ab 1890 MdR, Süddeutsche Volkspartei, 1919 Vorsitzender des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung. NDB, Bd. 8, S. 130 f.

111

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(sehr richtig!)

und die dauernde

Erschütterung des mühsamen Ansehens, worum sich die Gesetzgebungskörper, die vom Volk gewählt sind, noch werden bemühen müs-

sen, um es zu gewinnen. Ich möchte also bitten, daß die Leute, die in den Ausschüssen damit zu tun haben werden, diesen Gedanken abstreichen, der in der ersten Weimarer Anlage als Volksentscheid sinnvoll gewesen ist, daß der Reichspräsident eine Entscheidung herbeiführen konnte. Denn damit sollte sich nicht aus den Paragraphen, sondern aus der Geschichtswirklichkeit erst ergeben, wer denn eigentlich in diesem Kampf um Verantwortung vor der deutschen Geschichte stärker würde, der Reichspräsident oder das Reichsparlament. An dieser Stelle wirkt die Weimarer Verfassung fast grotesk, und ich glaube, die Staatsrechtler haben in ihren Vorlesungen zwei bis drei Stunden dazu gebraucht, um klarzumachen, wer und unter welchen Voraussetzungen Reichsrat, Reichstag, Reichspräsident in diese Problematik der unmittelbaren Volksgesetzgebung hineinsteigen konnte. Wir stehen bei dieser Frage deutscher Föderalismus nun auch vor dem Problem, ihn mit einem europäischen Föderalismus im Zusammenhang zu sehen. Manche tun das publizistisch bei uns, auch draußen in der Welt, und fragen, ob dieser Föderalismus in Deutschland Teilproblem eines europäischen Föderalismus sei. Ich spreche deshalb davon, weil hier leicht sentimentale Mißverständnisse entstehen. Wir sind stark davon beeindruckt, daß in der französischen Kammer die Regierung jetzt den Vorschlag gemacht hat, einmal das Problem einer europäischen Konföderation aus der rein theoretischen Deklamation herauszunehmen79). Wir würden sehr wünschen, daß ein solches Gespräch in Gang kommt, weil damit vielleicht auch das heute vollkommen verwirrte und undurchsichtige staatsrechtliche Problem des Saargebietes80) eine Entlastung erfahren könnte. -

-

-

-

(Sehr richtig!)

Wir sind durchaus

bereit, den Gedanken mitzugehen, auf Gegenseitigkeit Teile der deutschen Hoheit in einen größeren Verband der Gesamtverantwortung hineinzugeben. Aber ich warne vor jenen Stimmen, die sagen, daß die „deutsche Konföderation" das Kernstück einer „europäischen Konföderation" sein werde. Warum denn? Weil dahinter die Vorstellung steht nach dem, was wir vorhin davon gehört haben, als davon gesprochen wurde, ist sie ganz gewiß nicht beabsichtigt gewesen -, daß die Einzelstaaten auch bei der Außenpolitik mitzuwirken hätten. Wenn die Deutschen heute schon jubiläumsfröhlich sind, dann könnten sie auch an 1648 denken, als den Deutschen die „teutsche Libertät" geschenkt worden ist81). (Sehr richtig! Dr. Schmid: Nichtsnutzig eine deutsche Libertät, die prahlerisch im Feindeslager steht!) -

-

9) 10) ;1) 112

Damit dürfte der Vorschlag der französischen Regierung vom 14. April 1948 gemeint sein, eine europäische beratende Versammlung zu schaffen, die zunächst aus Delegierten der fünf Brüsseler Pakt-Staaten bestehen sollte. Keesing's Archiv 1948-49, S. 1606. Zum Saargebiet siehe Dok. Nr. 10, Anm. 231. Siehe Kurt von Raumer: Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit. Historische Zeitschrift Bd. 183, 1957, S. 55-96.

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Die wollen wir nicht wieder haben. Es ist uns ganz klar, daß die Vorausunserer europäischen Existenz im größeren Verbände die Gesichertheit unserer deutschen staatlichen Existenz ist, daß nicht ein Teil in Europa operieren kann, sondern nur das Gesamt.

-

setzung

(Sehr richtig!)

an die hegemoniale Und dann die Sorge: Soll ein 1866, gebunden. geschichtliche Lösung kommen? Preußen ist nicht darf wieder er wiederkommen, Hegemonialstaat haben davon innerlich noch nicht recht Kenntund sehr viele Deutsche mehr, nis genommen, obwohl der Kontrollrat es merkwürdigerweise für notwendig gehalten hat, darüber sogar noch ein Gesetzlein herauszugeben, in dem er diesen Geschichtsvorgang feststellte82). Wir stehen in einer totalen Verschiebung der Voraussetzungen. Nun gibt es ein paar Länder, die gern ein bißchen das Erbe von Preußen antreten möchten.

Die deutsche föderale

Vorstellung

von

unserer

Generation ist

1870

(Heiterkeit.) Sie sollen

es

bringen es nicht fertig, da sie keine irgendwelchem Rang hätten, die ihnen sachlich und gegroßen, diesen zweifelhaften, diesen gefährlichen Geschichts-

lieber nicht tun, denn sie

Staatsgeschichte

von

schichtlich diesen auftrag zuwenden würde. Nun haben wir aber in der letzten Woche etwas sehr Merkwürdiges erlebt. Die Militärgouverneure hatten in dem Dokument II83) den Deutschen eine Chance gegeben mit dem Anerbieten, das Problem der deutschen regionalen Gestaltung einmal neu anzusehen. Das war eigentlich ein sehr wichtiger Vorgang. Denn dahinter steckte die Einsicht, daß die relativen Zufälligkeiten der Zonenbegrenzungen für „originäre" Staaten, von denen wir vorhin gehört haben, nicht eigentlich die gegebene Voraussetzung darstellen. Ich muß schon sagen, ich war sehr betrübt, vor ein paar Tagen zu lesen, daß von diesen Ministerpräsidenten der Auhrag nachdem man vorher noch um Verlängerung des Termins gebeten hat, welche Blamage! durch die Ranküne des Freiburger Herrn Wohleb84) mit 6:5 Stimmen in den Abgrund geworfen wurde85). Verzeihen Sie, wir sollten ja zu den Herren Ministerpräsidenten, die nicht gerade Auhraggeber für uns, aber -

-

Nr. 46 vom 25. Febr. 1946 als Staat für aufgelöst erklärt. Amtsblatt des Kontrollrates, S. 262. Frankfurter Dok. Nr. II, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 32 f. Leo Wohleb (1888-1955), CDU, MinPräs. von Süd-Baden. Diese Kritik an Wohleb äußerte Heuss auch bei anderer Gelegenheit. Siehe die Notiz in der Zeitung „Der Württemberger" vom 9. Nov. 1948 über eine Wahlversammlung der DVP in Freiburg, bei der Heuss Wohleb beschuldigte, die Arbeit des Ländergrenzausschusses sabotiert zu haben. Es sei einer der blamabelsten Vorgänge der deutschen Geschichte, daß die Ministerpräsidenten ihen Auftrag in den Papierkorb geworfen hätten." Zu Wohleb siehe das Portrait von Paul-Ludwig Weinacht: „Die Einheit Deutschlands auf feinerem Wege .". Leo Wohleb (1888-1959) und das historische Bundesstaats-Konverwirklichen zept, in: Geschichte im Westen, Jhrg. 8, 1993, S. 90-101. Die Frist war bei einer Besprechung am 12. Aug. 1948 zwischen MinPräs. Stock, Arnold und Altmeier in Frankfurt mit Verbindungsoffizieren der Militärregierungen verlängert worden (Abdr. des Prot, in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 319 ff). Ungez. Bericht vom 1. Dez. 1948 über die Tätigkeit der von der Ministerpräsidentenkonferenz eingesetzten Ausschüsse zur Überprüfung der Ländergrenzen (Z 12/65, Bl. 115-141).

82) Preußen wurde durch Kontrollratsgesetz 83) 84)

.

.

85)

113

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doch Briefträger unserer Aufgaben gewesen sind86), sehr höflich sein, aber das ein blamables Versagen gegenüber einer geschichtlichen Aufgabe.

war

(Lebhafte Zustimmung.)

Wir kommen nicht darum herum, dieses Gefühl auszudrücken. Nun sagt irgendein Pressereferent von Nordrhein-Westfalen: Man kann nicht daran gehen, die Besatzungsmächte haben das so und nicht so haben wollen; kein Staat darf so oder so groß werden. Derlei kennen wir ausgezeichnet. Wenn man in irgendeiner Geschichte bei uns, in allen Zonen, nicht weiterkommt, sagt man: Die Besatzungsmächte wollen das nicht. Verzeihen Sie, es ist unsere

diese Dinge aus der deutschen Rationalität und Verantwortung durchzudenken und vorzuschlagen, und dann kommt es eben auf die Antwort an, während wir jetzt eine deutsche Aufgabe verschoben sehen doch nur wegen

Aufgabe,

Hausmächtlein, (sehr gut!)

gesichert werden sollen, die einmal parteipolitisch so und das andere Mal aussehen. Das ist das einzig Versöhnende an dem Vorgang, daß Sünder allzumal auf allen Seiten sitzen. Uns enthebt das, glaube ich, nicht der Verantwortung, deutlich zu sprechen. Wir können den Auftrag, weil er auf die Seite geschmissen ist, jetzt nicht aus dem Papierkorb herausfischen. Aber wir müssen uns selber doch ein Bild davon machen, ob wir hier nicht einen Geschichtsauftrag haben. Und wenn wir ihn jetzt nicht lösen können, dann müssen wir in die Verfassung, oder was wir so nennen, die Bestimmung hereinbekommen, daß im Laufe, wir wollen einmal sagen, von zwei Jahren diese Dinge noch aus dem Zustand der „originären" Staaten in den Zustand von lebendigen Staaten geführt werden können. die

so

(Sehr richtig!)

Und nun noch einige Bemerkungen zu den Grundrechtsfragen. Da ist das Problem erörtert worden, ob die Grundrechte deklaratorischen Charakter besitzen oder den Charakter der Rechtsverbindlichkeit, der Rechtsvorschrift, des Rechtsanspruches. Auch hier eine kleine geschichtliche Erinnerung. 1918/19 wollte Hugo Preuß87) keine Grundrechte. Ebert88) hat ihm gesagt, sie müssen herein. Preuß stammte, wenn Sie so wollen, aus der Bismarckschen Tradition. Und dann kam Friedrich Naumann89) mit seinem Entwurf sogenannter volksverständlicher Grundrechte, der aus der Empfindung entstand: der Katalog der klassischen Grundrechte reicht nicht für die neue sozialwirtschaftliche, seelische Gesamtstruktur. Seine Grundrechte hatten wesentlich die moralische Auf-

Godesberg des BdMinPräs., zitierte diese Ausführungen in 11. Sept. 1948 als Beleg dafür, daß man die Arbeit der Ministerpräsidentenkonferenz im Pari. Rat nicht nur sehr kritisch beurteile, sondern sie

e6) Landrat Bergner, einem Schreiben

ASt Bad

an

Ehard

vom

auch in ihrem Ansehen herabzusetzen bestrebt sei (Z 12/71, Bl. 187).

87) Zu Hugo Preuß siehe Dok. Nr. 2, Anm. 86. 88) Friedrich Ebert (1871-1925), sozialdemokratischer 89) 114

Reichskanzler (1918), dann ReichsEbert Parteiführer, Reichs-

präsident (ab Febr. 1919). Peter-Christian Witt: Friedrich kanzler, Volksbeauftragter, Reichspräsident. Bonn 1987. Zu Friedrich Naumann siehe Anm. 74.

-

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Integration dieses neuen Staates im Volksbewußtsein. Dann Juristen darüber gekommen, und da passiert meist .ein Unglück.

gäbe die

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der

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sind aber

(Heiterkeit.)

Natürlich passiert auch etwas Gutes dabei. Aber auf jeden Fall ist eine Deformation dieser Grundidee entstanden, und die Systematik der Weimarer Grundrechte ist auf diese Weise zerbrochen. Was haben wir jetzt dazu zu sagen? Wir müssen uns einen Augenblick über das Problem des Staates in diesen Dingen noch unterhalten. Haben Sie keine Sorge, ich will jetzt keine große Staatstheorie vortragen. Aber soviel will ich sagen: Jeder Staat, auch der demokratische Staat, ruht auf Befehlsgewalt und Gehorsamsanspruch, und der demokratische Staat hat darin sein Wesenhaftes, daß er einen Herrschahsauftrag auf Frist, also auch kündbar, enthält. Wenn wir nun die Grundrechte ansehen und das Problem, das auch Kollege Schmid miterwähnt hat, untersuchen wollen, nämlich Recht Macht, so hat Jacob Burckhardt90) gern das Wort des katholischen Sozialdenkers von Lasaulx91) zitiert, daß „die Macht an sich böse" sei. Ich will das einmal offenlassen. Was die Grundrechte betrifh, so sind sie ein Stück des Staates; aber sie sind gleichzeitig Mißtrauensaktionen gegen den Mißbrauch der staatlichen Macht. Da muß ich nun ein Wort sagen, mit dem ich vielleicht dem einen oder anderen weh tue. Als ich diese Grundrechte von Herrenchiemsee92) in dem Entwurf las, da fangen diese mit einem Satz an, der so heißt: Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen. Ich nehme an, daß der Verfasser sehr stolz darauf ist, diesen Satz geformt zu haben, und war betrübt, in den Zeitungen zu lesen, daß die Versammlung in Herrenchiemsee begeistert war, eine solche Präambel zu bekommen. Meine Herren, was für ein Deutsch! da Der Staat ist .! Was ist denn das nun? Eine deklamatorische Sentenz oder ein einklagbares Recht, ist das ein Rechtssatz oder was eigentlich? Verzeihen Sie, wenn ich etwas grob bin. In diesem Satz steckt eine heimliche Polemik gegen den schief verstandenen, vor 117 Jahren verstorbenen Hegel93) drin. Und weil man gegen diesen Hegel, der wehrlos ist, irgendeine Polemik unterbringen muß, wird sie zu den banalsten Dingen, die wir der Welt nachreden, daß der Hegel unser Staatsdenken versaut hätte. Bitte, wie sind denn die Dinge? Wir dürfen, wenn wir ein Staatsgrundgesetz machen, nicht damit beginnen, die innere Würde des Staates zu kränken, indem wir ihn nur als eine subsidiäre Angelegenheit für den Menschen wer ist denn der Mensch? unterbringen wollen. Weil wir erlebt haben, daß -

.

.

.

.

.

-

-

90) Jacob Burckhardt (1818-1897), schweizer Kultur-, Kunsthistoriker und seiner einflußreichsten Bücher waren die 1905 erschienenen Betrachtungen." NDB, Bd. 3, S 36 ff.

nes

91) Ernst

von

Lasaulx (1805-1861), Professor für

S. 644 f. In der Vorlage Lassaulx Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580.

geschrieben.

Philologie und Philosophie.

92) 93) Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), Philosoph, der

„Philosophie des Rechts"

NDB, Bd. 13,

in seiner 1821 erschiene-

den Staat als höchste sittliche Einheit, als der Vernunft und Freiheit verstand. NDB, Bd. 8, S. 207-222.

nen

Zeitkritiker. Ei-

„Weltgeschichtlichen

Verwirklichung 115

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Staatssinn und Menschentum in der Zeit, wo der Hitler die Geschichten bestimmt hat, als Gegensätze behandelt und empfunden wurden, wo der Staat ein Ruinierer des Menschentums wurde, deshalb dürfen wir meiner Meinung nach nun nicht mit einer so negativen Deklaration beginnen. Der Staat ist nicht nur eine Apparatur, sondern er ist auch ein Träger eingeborener Würde, und als Träger der ordnenden Gemeinschah ist er für den Menschen und ist der Mensch für ihn keine Abstraktion. Streichen Sie diese banale Staatsphilosophie weg, und gehen Sie dorthin, wo man praktisch auch Rechtsverbindlichkeiten

machen kann. Und dann noch

Katalog: Verzicht auf den Gedanken der sozialwirtbin ich sehr einverstanden. Die Landtage haben Damit schaftlichen Ordnung. zum Teil die Vermessenheit oder den Mut besessen, in ihre Verfassungen hineinzuschreiben, wie die sozialwirtschahliche Struktur der kommenden Zeit sein wird. Sie wird nicht so sein, wie sie in den Paragraphen drinsteht. Es ist leichtfertig, es ist hoffärtig, es ist, ich weiß nicht was, zu glauben, daß aus der gegenwärtigen undurchsichtigen Situation überhaupt ein Mensch sagen könne: so wird die sozialwirtschahliche Struktur der kommenden Zeit sein. Das schaffen wir nicht94). Wir begnügen uns, in diesen Dingen die Bundeskompetenz zu

dem

auszusprechen.

einer anderen sehr ernsten Überlegung, wenn wir an den kommen. Das Problem ist schon angedeutet -, nämlich, ob wir ganz darum herumkommen, von den Kulturfragen etwas zu sagen. Haben Sie keine Sorge, ich werde keine Schulartikel für die Grundrechte jetzt vorschlagen wollen, weil ich etwas zu sehr erlebt habe, was dabei nach Weimar herausgekommen ist. Denn dort hatte man 1919 das berühmte „Schulkompromiß"95) fertiggebracht. Nachher hatte sich die Mehrheit geändert. Als man später dieses Schulkompromiß in ein Gesetz übertragen wollte, haben sich fast alle Partner in der Erinnerung 1918/19 etwas anderes unter den Formeln gedacht gehabt. Und aus dieser verschiedenen Interpretation eines Geschichtsvorganges ist die Sache in die Lähmung geraten. Aber, meine Damen und Herren, das Problem hat heute einen viel, viel ernsteren Akzent bekommen, als es im Jahre 1918/19 hatte, wo man den Versuch meinethalben als eine Liebhaberei von zentralistischen Schulmeistern ansehen konnte. Heute ist die Sache aus zwei Gründen in eine ganz andere Ebene gehoben. Wir haben nämlich praktisch im Laufe der letzten drei Jahre schon etwas erlebt wie das Auseinandergleiten, Auseinanderleben des deutschen geistigen Seins. Ohne daß der einzelne es weiß oder wahrhaben will, wirkt die

Aber wir stehen

vor

Grundrechtekatalog

) Der folgende Satz in der Vorlage handschr. hinzugefügt. ) Zum Weimarer Schulkompromiß (Art. 146 WRV) siehe G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 677-682. Ludwig Richter: Genese und Gestalt der Kirchen- und

Schulbestimmungen

der Weimarer Reichsverfassung. Die Verfassungsschöpfung von 1918/19 zwischen Parteien, Verbänden und veröffentlichter Meinung. Diss. Köln 1992. Christian Führ: Zur Schulpolitik der Weimarer Republik. Die Zusammenarbeit von Reich und Ländern im Reichsschulausschuß 1919-1933. Darstellung und Quellen. Weinheim [. .] 1970. Günther Grünthal: Reichsschulgesetz und Zentrumspartei in der Weimarer Republik. Düsseldorf 1968. .

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Auffassung der Besatzungsmacht in diese Dinge mit herein. Sie haben ihre Auffassungen, sie haben die Meinung, ihre Auffassung sei die bessere. Wir müßten uns ja selber immer überprüfen: Fangen wir an, geistig amerikanisch oder hanzösisch zu reden? Als ich vor zwei Jahren einmal in Berlin gewesen

bin ich war damals in Württemberg-Baden Kultusminister -, da habe ich mit einem der leitenden Herren der Zentralverwaltung in Berlin über die Schulprogrammatik in der Ostzone gesprochen, mit einem Herrn, den ich von vielen Jahren her aus gemeinsamem Antinazitum kannte. Bei dieser Unterhaltung merkte ich auf einmal, wir sprechen ja verschiedene Sprachen; denn den interessierte nur der Schulaufbau unter dem Gesichtspunkt der zweckhaften Verwendungsfähigkeit der Kinder, die dort sind. Die wurden als Rohstoff für diesen Beruf, für dieses Fach, für diese Ausbildung begriffen. Da ich selber ein altmodischer Mensch bin, habe ich die Meinung gehabt, die Schulerziehung sei dazu vorhanden, die jungen Menschen zu Menschen zu erziehen und ein gemeinverbindliches deutsches Bildungsideal in ihnen lebendig zu halten. Das ist heute bereits auf dem Weg, für uns kaputtzugehen. Wir haben hier Englisch, hier Französisch, dort Russisch als Grundsprache. Wir verlieren vielleicht im Augenblick die Voraussetzungen, Latein als grundständig zu nehmen. Geht diesen Saal die Frage der humanistischen Bildung etwas an96)? Meine Herren, das geht uns sehr viel an. Denn wir stehen vor der Frage, eine deutsche Zusammenarbeit zu formen, die uns noch oder wieder in die Lage setzt, das geistige Gespräch mit der Welt gemeinsam von Deutschland aus zu führen. Die Welt wartet mit darauf, und in der Welt selber sind in diesen Dingen Krähe der humanistischen Besinnung unterwegs, die bei uns schier verlorengingen. Und ein zweites! Wir haben die Schulhagen in den Länderverfassungen geregelt. In unserer Verfassung steht wohl als einziger das Elternrecht nicht. Verzeihen Sie, ich bin fast stolz darauf, daß es nicht darin steht. Nicht, als ob ich von den Eltern und ihrem Recht gering denke. Aber die Situation der Schulpolitik hat sich vollkommen einfach durch folgenden Vorgang verschoben, daß mit der großen Flüchtlingsinfiltration das alte „cujus regio, ejus religio" in den letzten zwei, drei Jahren überschwemmt ist. Sie haben überall konfessionelle Minderheiten. Es soll niemand die Meinung haben, daß ich von der Krah und der Notwendigkeit der religiösen, auch der konfessionellen Unterweisung irgendwie gering denke. Ich denke sehr hoch davon. Aber ich sehe die Gefahr, daß wir nun überall konfessionelle Minderheits-Zwergschulen bekommen. Das wäre erträglich, wenn nicht dahinter folgendes stünde. Da sind die Kinder dann nicht katholische oder evangelische Minderheit, sondern sie gehen in ihre Zwergschule als Sudetenleute, als Schlesier, als Ungarländer. Was heißt das? Das heißt, daß diese Generation nicht um ihres Glaubens willen, sondern um ihrer Herkunft willen in diesem und jenem Dorf die Kinder isoliert, wo es das größte nationalpolitische Anliegen ist, das Zusammenwachsen dieser Altersklassen nicht zu erschweren. Ich bitte Sie, diesen Gedanken, der mir sehr am Herzen liegt, nicht als eine Schwierigkeitenmacherei ansehen zu wollen. Wir dürfen diesem Problem nicht ausweichen. -

')

In der

Vorlage handschr. korrigiert aus „Geht

das diesen Saal etwas an?" 117

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Ich sehe, ich habe mein Versprechen von der Dreiviertelstundenrede schon überschritten. Es wäre natürlich manches zu dem Problem des Besatzungsstatuts, der auswärtigen Politik zu sagen. Manchmal habe ich das Gefühl, daß hier Leute in Illusionen leben. Wissen Sie, so sehr viele von den früheren Angehörigen des Auswärtigen Amtes, die glücklich als Mitläufer herausgekommen sind, stehen jetzt schon wieder an, um diese oder jene Position draußen auf Grund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen zu erhalten. Schön, gut und brav! Man soll sich doch über die Enge der Möglichkeiten nicht täuschen. Was wir in der Auseinandersetzung mit den Mächten in dem Besatzungsstatut brauchen, ist, daß diese Geschichte in dem ersten Entwurf die die Einklammerung des deutschen Atems in die Bürokratie der hemden Mächte bedeutete wegfällt, und zwar nicht bloß um unseretwillen, sondern um des Begreifens der anderen willen, daß die Wirtschaftsbürokratisierung der Welt auch von den anderen her für sie selber eine gefährliche Geschichte wird. Was wir brauchen, ist, daß wir Deutsche wieder draußen Konsuln haben können, daß eine Gesamtvertretung auf diesen nüchternen, aber sehr notwendigen Gebieten wieder möglich ist, aber freilich dann auch nicht bloß im Wirtschaftlichen, sondern vielleicht auch im Geistigen. Einstweilen ist es den fremden Mächten nach meiner Meinung noch nicht recht gelungen, uns zu zeigen, daß sie ihrerseits uns einen neuen Stil des politischen überstaatlichen, übernationalen Lebens vorleben konnten, der für uns etwas Vorbildhaftes werden konnte. Aber immerhin verfolgen wir mit Interesse, ja, nicht bloß mit Interesse, sondern mit dem Wissen, daß unser Schicksal daran gebunden ist, daß diese Formen eines überstaatlichen, eines Gemeinschaftslebens möglich werden. Die Deutschen müssen hier auch wieder geistig mit ins Spiel kommen. Wir sind als Nation und als einzelne ärmer geworden in der Zeit, da der Hitler uns von der Welt abschloß und buchstabierte: deutsch, deutscher, am deutschesten, und nur die Deutschen die Spitze hielten. Wir sind ärmer geworden, wir sind arm geworden. Aber auch die Welt würde ohne den deutschen Beitrag ärmer sein. Das ist nicht so zu verstehen, als ob wir aus der Mottenkiste des neunzehnten Jahrhunderts den unglücklichen Spruch des biederen Geibel97) herausholen wollten, daß an dem deutschen Wesen die Welt genesen solle. Mit derartigem Arznei-Angebot haben wir wenig Glück gehabt. Das hat nie gestimmt. Wir wollen uns nicht in solche Hybris hineinsteigern. Aber wir wollen auch genügend Selbstgefühl und geschichtliches Wissen besitzen, daß die Welt auch von uns noch manches zu erwarten hat. Vor zwei Jahren waren bei mir in Stuttgart Amerikaner, eine amtliche Kommission von bedeutenden, wesentlichen Menschen, die ausgesucht waren, um das deutsche Bildungswesen zu studieren, um einen Eindruck zu gewinnen. Die haben dann einen Bericht ein Jahr nach Kriegsende darüber gemacht. In diesem amtlichen Bericht stand zu Anfang drin, daß neben den Griechen und den Römern die Deutschen -

-

-

-

97) Emanuel Geibel (1815-1884); das Zitat nach Geibels Gedicht „Deutschlands Beruf" (1861), erschienen in den Heroldsrufen, Stuttgart 1871. Es wurde u. a. von Wilhelm II. am 31. Aug. 1907 in einer Rede in Münster verwendet. Georg Büchmann: Geflügelte Worte. 27. A., Berlin 1925.

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ihren Gaben an die Welt am meisten behuchtend verschwendet hätten. Ich muß sagen, es hat mich damals stark beeindruckt, daß in einem amtlichen Dokument ein solches Wort gesprochen war. Das hieß aber doch gleichzeitig für uns soviel, daß in dieser möglichen Beurteilung der Deutschen auch eine Verpflichtung liegt. Sie liegt für uns auch in der Aufgabenstellung, vor der wir hier stehen. Wir wollen etwas schaffen, damit das deutsche Volk in Ordnung und in Freiheit leben kann. Unsere Arbeit bekommt ihre Legitimation nicht aus dem Dokument II98) und nicht aus dem Auhrag der Ministerpräsidenten, sondern bekommt ihre geschichtliche Legitimation aus der Leistung, die wir fertigbringen. Ich glaube, daß, wenn wir etwas fertigbringen, wir auch einen Beitrag das klingt pathetisch für das Weltenschicksal geben. Denn die deutsche Situation ist heute und sie wird immer ein Kernproblem der Welt, vorab der europäischen Dinge bleiben. von

-

-

(Beifall.)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein Wort Der Ältestenrat hatte sich bei seiner Beratung der HoffGeschäftsordnung. nung hingegeben, daß wir am Vormittag alle Reden zu Ende bringen könnten.

Vizepräs. Schönfelder:

zur

Ich beginne jetzt Zweifel zu haben, ob unser Optimismus Berechtigung hatte. Aber ich würde doch jetzt den Rat entscheiden lassen, ob wir noch einen Redner hören wollen, ob wir im Sinne unserer Absicht durchtagen oder ob wir abbrechen wollen. (Zuruf: Wieviel Wortmeldungen?) Es sind jetzt noch drei Redner verzeichnet. Von allen drei Rednern haben wir die Versicherung, daß sie kurze Reden halten werden.

-

(Heiterkeit.)

Ich bitte, jetzt darüber entscheiden zu wollen, ehe wir in der Diskussion fortfahren. Brockmann (Z): Zur Geschähsordnung! Meine Damen und Herren, ich würde mir den Vorschlag erlauben, jetzt abzubrechen, weil es ja auf 1 Uhr zugeht. Es sprechen noch drei Fraktionen. Ich habe nicht die Hoffnung, daß das Angebot, das ich auch selber gemacht habe, erfüllt werden kann, daß nämlich die Reden so kurz sein werden, wenn wir uns auch darum bemühen wollen. Ich würde es sehr bedauern, wenn dann in dem allgemeinen Aufbruch zum Mittagstisch die Ausführungen der weiteren Redner untergehen würden. Wir müssen uns mindestens noch bis 3 Uhr einrichten, wenn wir die Debatte jetzt fortsetzen wollen. Ich würde daher doch der Meinung sein, daß wir jetzt abbrechen und das Haus vielleicht um V23 Uhr wieder zusammentritt. Vizepräs. Schönfelder: Das ist ein Geschähsordnungsantrag. Wird das Wort noch dazu verlangt? Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann kämen wir zur Der Antrag geht dahin, jetzt die Mittagspause eintreten zu lassen. Abstimmung. Wer mit diesem Antrag einverstanden ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Danke sehr! Es ist so beschlossen. Es ist dann Vertagung eingetreten. Ich schlage vor, sich um V23 Uhr wieder zu versammeln. -

-

') Frankfurter Dok. Nr. II (Auftrag zur Länderneugliederung), Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 32.

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(Zurufe:

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Uhr!)

Weitestgehende. Wenn wir den Nachmittag anbrechen müssen, schon besser, wir verlegen die Mittagszeit weiter. Es ist also bis pünktlich 3 Uhr vertagt. Die Sitzung wird um 12 Uhr 41 Minuten unterbrochen. Die Sitzung wird um 15 Uhr 8 Minuten wieder eröffnet. Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren! Es scheint mir, daß ich mit meiner Absicht zur Pünktlichkeit Pech habe. Aber ich glaube, wir fangen doch an. Herr Dr. Seebohm ist dazu bereit. Ich bitte ihn also, das Wort zu nehDas ist das

-

ist

es

men.

Aufgabe der die daß allen Generaldebatte ist es nicht, in den sehr man zu Problemen, ausführlichen Referaten hier vorgetragen wurden, Stellung nimmt, sondern die Aufgabe der Generaldebatte scheint mir zu sein, daß die Vertreter der einzelnen Parteien versuchen, in möglichst kurzer Form ihren Standpunkt zu dem uns

Dr. Seebohm

(DP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die

gegebenen Aufgabenkreis niederzulegen. Nach unserer Auffassung ist es die wichtigste Aufgabe,

die wir als Deutsche

haben, der Welt zu beweisen, daß die deutschen Krähe, die Europa bejahen, bereit sind, die äußersten Anstrengungen zu machen, um für Deutschland das

größte Maß an Souveränität zurückzugewinnen, das unter den augenblicklich gegebenen weltpolitischen Voraussetzungen überhaupt nur erreichbar ist. Die Lösung dieser Aufgabe bedingt die Zusammenfassung aller Krähe, der Willenskrähe, die sich am stärksten im sozialistischen Drängen manifestieren, der intellektuellen Kräfte, die sich in der Dynamik liberalen Denkens intensiv be-

stätigen, und der Herzenskrähe, die im konservativen Streben nach organischer Evolution pulsen. Die grundsätzliche Aufgabe, die es zu lösen gilt, ist die Abwehr der Bedrohung der persönlichen Freiheit und Würde des Menschen. Diese Bedrohung ergibt sich zunächst aus der Verelendung der Massen, aus der Herrschah der Technik über die Menschen, die durch die Verödung der geistigen und seelischen Krähe eingetreten ist, aus der Umwandlung des Rechtes auf Arbeit in Arbeitszwang und Zwangsarbeit, aus der Ubersteigerung des Staates zur Totalität der Lebensregelung und damit zum polizeistaatlichen Terror, zur Diktatur einer frechgewordenen Bürokratie, zum Untergang des Rechtsstaates und zum Triumph der Macht-vor-Recht-Einstellung gegenüber den Menschen, damit letzten Endes zur Vermassung der arbeitenden und schaffenden Menschen. Wenn wir uns mit der Bedrohung der Freiheit und Würde des Menschen beschäftigen, dann müssen wir zunächst den Begriff der wahren Freiheit klar und deutlich herausstellen. Wir verstehen unter dieser wahren Freiheit nicht nur die Freiheit von der Not oder vom Zwang der äußeren Umstände. Für uns ist der Mensch erst dann frei, wenn er nicht mehr den Menschen, sondern nur dem Gesetz in sich selbst Untertan ist, das ein Gott in ihn hineingelegt hat. Aus dieser Freiheit heraus entwickelt der Mensch das Verantwortungsbewußtsein, das ihn zum sozialen Handeln befähigt. Auf der anderen Seite wissen wir, daß die Menschen stets nach Sicherheit streben, und dieses Streben nach Sicherheit ist eine große Gefahr. Wir haben 120

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die soziale Arbeit der letzten Generationen immer unter das Motto gestellt, daß sie dem Kampf gegen Lebensangst und Lebensnot dienen soll"). Nicht Sicherheit durch Rentenzahlungen, sondern immer erneutes Erwecken des Leistungswillens, auch bei schwerster physischer und psychischer Belastung, ist die vorherrschende soziale Aufgabe. Die zukünftige Sozialpolitik des verarmten deutschen Volkes wird in erster Linie der Wiederherstellung und Erhaltung der Arbeitskraft unserer Menschen zu dienen haben. Das Sicherheitsstreben nicht nur der Völker, sondern gerade der einzelnen Menschen hat zu sehr schwerwiegenden Konsequenzen geführt. Benjamin Franklin100) hat einmal gesagt: „Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren." Wir haben diese Wahrheit in der Entwicklung der letzten sechzehn Jahre erlebt. Das deutsche Volk hat sich unter dem Zwang der Arbeitslosigkeit teils genötigt gesehen, teils bemüßigt gefühlt, den Versprechungen auf Sicherheit, auf Brot und Arbeit zu folgen. Es ist damals, wie Lilje101) gesagt hat, eine Liebe zur Sklaverei in den Menschen entstanden, die dann dazu führte, daß die Menschen in ihrem Streben nach Sicherheit bereit waren, ihre persönlichen Freiheiten aufzugeben, und zwar so weit, daß sie wirklich zu Sklaven wurden und die letzte äußere Freiheit dann auch noch verloren, als die Sicherheit in den naturgemäß aus dieser Entwicklung entstandenen kriegerischen Ereignissen zugrunde ging. Wenn wir aber zu der wahren Freiheit zurückkehren wollen, wenn wir aus dieser wahren Freiheit heraus versuchen wollen, neu zu gestalten, was zerbrochen ist, dann kommen wir zu der grundsätzlichen Erkenntnis, daß der Mensch erst durch freiwillige Abgabe von Rechten an die Gemeinschaft aus seinem Verantwortungsbewußtsein heraus diese Gemeinschaft überhaupt erstellt. Daß es aber die vornehmste Pflicht der so entstandenen Gemeinschah ist, die dem einzelnen Menschen verbleibenden Rechte zu schützen und genau festzulegen, das ist die eigentliche Grundlage, auf der die föderalistische Staatsauffassung, auf der der föderalistische Staat, auf der jede echte Einheit sich gestaltet. Dieser föderalistische Staat ist die aus der Vielheit der verantwortungsbewußt aus ihrer Freiheit und Würde heraus handelnden Menschen entstehende Einheit. Dieser föderalistische Staat manifestiert dadurch, daß der einzelne aus seinem Verantwortungsbewußtsein Rechte abgibt, die Gemeinschah aber die vornehmste Pflicht hat, die ihm verbleibenden Rechte zu schützen, den Grundsatz des: „Einer für alle und alle für einen." Es ergibt sich für uns deshalb die besondere Pflicht, die verbleibenden Grundrechte besonders zu schützen. Sie dürfen daher gesetzlich nicht beschränkt werden. Sie bedürfen durch eine unabhängige Rechtsprechung des besonderen Schutzes gegen Übergriffe, insbesondere gegenüber der Legislative durch einen unabhängigen Verfassungsgerichtshof, gegenüber der Exekutive durch die Ein-

")

10°)

Die folgenden zwei Sätze wurden von Seebohm Zettel eingefügt. Benjamin Franklin (1706-1790), amerikanischer

nachträglich

auf einem besonderen

Politiker, Naturwissenschaftler und

Schriftsteller.

101)

Lilje (1899-1977), seil 1947 Landesbischof der Landeskirche Hannover; 1952-1957 Präsident des Lutherischen Weltbundes. NDB, Bd. 14, S. 562.

Hanns

von

121

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richtung

der

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Verwaltungsgerichte und die gesetzliche Festlegung der Generalklausel. Die entscheidenden Grundsätze hat die Deutsche Partei in ihrem Verfassungsentwurf niedergelegt102). Ich darf Ihnen die entsprechenden Artikel bekanntgeben. Es heißt in diesem Entwurf (Artikel 2 bis 4): Die persönliche Freiheit und die Förderung des Wohlstandes jedes einzelnen sollen im Sinne der sozialen Gerechtigkeit verwirklicht werden in der Erkenntnis, daß die selbstverantwortliche Persönlichkeit und die Familie die Grundlage bilden für einen gesunden Gemeinsinn, auf dem Selbstverwaltung und Staat beruhen. Der Staat hat dem Menschen zu dienen und mit der ihm anvertrauten Macht Recht und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Er hat die Aufgabe, zu helfen und zu schützen. Was der einzelne in erlaubter Weise aus eigenem Antrieb und aus eigener Kraft leistet, darf der Staat nicht zerschlagen, aufsaugen oder zu ersetzen versuchen. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Heimat. Die vornehmste Pflicht des Staates ist, seinen Bewohnern Heimat, Geborgenheit und Frieden zu gewährleisten.

Und Sie finden in dem Verfassungsentwurf weiter folgende Forderung (Artikel 16): Der Mensch ist frei. Niemand darf zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung gezwungen werden, zu der ihn nicht das Gesetz verpflichtet. Private Handlungen und Unterlassungen, die weder Ordnung noch Sittlichkeit verletzen, noch einen Dritten schädigen, sind der Zuständigkeit der öffentlichen Gewalt entzogen. Es ist selbstverständlich, daß, wenn auf der einen Seite für den einzelnen dieser Schutz gegenüber Ubergriffen des Staates gefordert wird, auf der anderen Seite die Gemeinschaft ein Recht hat auf den Schutz gegen solche verantwortungslosen Elemente, die die Freiheit und Würde des Menschen mißbrauchen. In dem Verfassungsentwurf der Deutschen Partei sind diese Probleme in einem besonderen Abschnitt behandelt worden. Es heißt hier (Artikel 83 bis 86): Jedermann hat im Rahmen der Erfordernisse des Gemeinwohls Anspruch auf Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und Verhältnisse. Die Vielfalt der persönlichen, beruflichen und sozialen Unterschiede im Aufbau der Gesellschaft wird als naturgegebene Notwendigkeit und Voraussetzung jeden Fortschritts anerkannt. Niemanden darf eine Handlung oder Unterlassung angerechnet werden, für die er nicht persönlich verantwortlich ist. Die Behauptung einer Kollektivschuld ist

verfassungswidrig. Obrigkeitliche Anordnungen und Befehle eines Vorgesetzten entbinden nicht von der Verantwortung für Handlungen, die den Rechtsgedanken dieses Grundgesetzes oder den Strafgesetzen klar erkennbar widerstreiten. Wer darauf ausgeht, die christlichen, sittlichen oder politischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens, insbesondere die verfassungsmäßigen Freiheiten und ) Verfassungsvorschläge der Deutschen 122

Partei. Stade 1947.

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Rechte durch Gewaltanwendung oder Mißbrauch formaler Rechtsbefugnisse zu untergraben oder aufzuheben, ist nach Maßgabe der Gesetze zu verfolgen. Als Angriffe auf die verfassungsmäßigen Grundlagen des Staates und der Gesellschah gilt insbesondere 1. der Mißbrauch staatlicher Befugnisse oder gesellschaftlicher Möglichkeiten zur Einschüchterung der öffentlichen Meinung oder der staatsbürgerlichen Entschließungsheiheit, 2. das Unternehmen, Einzelne oder bestimmte Menschengruppen durch Erregung oder Ausnutzung von Massenleidenschaften oder auf sonstige Weise der Mißachtung oder Rechtlosigkeit preiszugeben oder in ihren Rechten oder Vermögen zu bedrohen, zu schmälern oder sonstwie zu kränken. Die Tätigkeit der öffentlichen Gewalt unterliegt in besonderem Maße den Erfordernissen der Zurückhaltung, Redlichkeit, Sauberkeit und Wahrhaftigkeit. Sie ist soweit als möglich unter Sichtbarmachung der Verantwortlichen der Beurteilung des Volkes offenzulegen. Das sind die grundlegenden Gesetzesvorschriften, die zum Schutze der Gemeinschah in dieser oder jener Form erlassen werden müssen und die das Gegenstück bilden zu dem zu fordernden Schutz des einzelnen zur Wahrung der ihm bei der Bildung des Staates verbliebenen Grundrechte. Die gesetzlich zu begründende Notwendigkeit, die Menschen für ihre politische Arbeit zu Parteien zusammenzufassen, ist für unser neues Verfassungsgesetz von Herrn Dr. Schmid schon angesprochen worden. In dem Verfassungsentwurf der Deutschen Partei findet sich darüber auch schon ein Vorschlag, wie diese Frage gelöst werden könnte. Ich darf ihn Ihnen vortragen (Artikel 87): Die politischen Parteien haben als Sachwalter der Wähler das Wohl der Gesamtheit über ihre parteipolitischen Belange zu stellen, ohne Rücksicht darauf, ob sie an der Regierung beteiligt sind oder zu ihr in Opposition stehen. Sie müssen nach demokratischen Prinzipien aufgebaut sein. Insbesondere hat die Wahl der Parteivorstände und die Auswahl der Kandidaten für die öffentlichen Körperschaften nach demokratischen Grundsätzen zu erfolgen. Jedem Staatsbürger steht es frei, sich zu einer Partei zu bekennen und ihr Mitglied zu werden. Für Beamte können durch Gesetz Ausnahmen bestimmt werden. Der Beitritt zu einer Partei oder einer sonstigen politische, sozialpolitische oder religiöse Zwecke verfolgenden Vereinigung darf nicht durch Gewalt, Drohung, wirtschaftliche Nachteile oder sonstige Einschüchterungen erzwungen oder verhindert werden. Es ist verboten, einer Partei oder ihren Leitern unbedingten Gehorsam zu versprechen oder dieses Versprechen abzuverlangen. Der Austritt aus einer Partei muß jederzeit möglich sein und darf nicht durch Androhung von Nachteil verhindert werden. Parteien, Wählergruppen oder sonstige Vereinigungen, die gegen vorstehende Grundsätze verstoßen oder deren Programm oder Betätigung auf eine gewaltsame Vernichtung der in diesem Grundgesetz gewährleisteten staatsbürgerlichen Freiheiten und Rechte gerichtet sind, oder deren Mitglieder oder Anhänger sich in beträchtlicher Zahl einer Verletzung der Bestimmungen des Artikels 85 dieses Grundgesetzes schuldig machen, können auf Antrag der Staatsregierung durch Urteil des Staatsgerichtshofes verboten werden. Es sind also auch hier für den Zusammenschluß zu politischen Gremien, zu Parteien klare und eindeutige Schutzmaßnahmen notwendig, die verhindern, 123

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die Grundrechte und die demokratischen Einrichtunoder aufgehoben werden können. Es ist klar, daß man, wenn man diesen Gedanken grundsätzlich weiterverfolgt, zu der Forderung der Ausschaltung destruktiver Mehrheiten kommt, wie sie hier wiederholt vorgebracht worden ist. Die Tätigkeit der Parteien sollte sich vor allem nicht so auswirken dürfen, daß durch Parteidisziplin oder durch zu scharfe Zusammenfassung der in einer Partei sich betätigenden Menschen ein lebendiges Leben in den Parteien verhindert wird. ich glaube, das ist hier schon wiederholt Wir müssen uns darüber klar sein worden daß das Wahlrecht und die Regelung der Wahlreform -, ausgesprochen nicht in eine Verfassung oder in ein Grundgesetz hineingehören, weil sie einer lebendigen Entwicklung vorbehalten bleiben müssen. Aber eines darf ich in diesem Zusammenhang doch vielleicht dazu sagen. Es erscheint notwendig, um das gesamte politische Leben dem Volk näherzubringen, daß wir versuchen, einen Weg zu finden, um die Persönlichkeitswahl möglichst fest zu verankern und um zu erreichen, daß diese Persönlichkeitswahl in so kleinen Wahlkreisen mit absoluter Mehrheit oder durch Stichwahl erfolgen kann, daß wirklich eine enge Verbindung des gewählten Vertreters mit seiner Wählerschah nicht nur bei der Wahl, sondern auch während der Dauer seines Mandates erhalten bleibt. Das scheint mir eine wesentliche Voraussetzung dafür zu sein, die Grundlagen unserer demokratischen Staatsauffassung mit dem Bewußtsein des Volkes zu verbinden. Wir stehen weiter ausdrücklich auf dem Standpunkt, daß wir ein Primat der Politik ebensowenig anerkennen können wie ein Primat der Wirtschaft oder ein Primat des Geisteslebens. Das Primat des Geisteslebens steht heute nicht mehr zur Diskussion wie in hüheren Jahrhunderten. Aber wir haben erlebt, daß das Primat der Politik, das wir insbesondere im nationalsozialistischen Staat fanden, zu einer völligen Vernichtung der wirtschaftlichen und der kulturellen und geistigen Freiheit führte. Wir erleben auf der anderen Seite, daß dort, wo das Primat der Wirtschah herrscht wie bei den östlichen Staaten, die politischen und die kulturellen Lebenserscheinungen in einer für unsere freiheitlichen Auffassungen unerträglichen Weise niedergeknüppelt werden. Wir sind der Ansicht, daß diese drei Gebiete der Politik, also des Staatslebens, der Wirtschah und des Geisteslebens, sich frei und unabhängig voneinander entfalten und entwickeln müssen und nicht eines unter der Hypertrophie des anderen leiden darf. Deswegen haben wir in unserem Verfassungsvorschlag gerade für das Kulturleben, das ja in der heutigen Zeit eine besondere Rolle spielt, weil es nicht mehr den Anspruch erhebt, ein Primat über die anderen Gebiete zu erwirken, eine klare und eindeutige Autonomie vorgeschlagen. Wir haben in diesem Verfassungsentwurf (Artikel 52 bis 53)103) vorgeschlagen, daß das künstlerische und kulturelle Schaffen als wichtiger Ausgleich gegen die Verarmung der Gemütsden Parteien

daß

von

gen

irgendwie gestört

aus

-

103) Ebenda. 124

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kräfte zu fördern ist. Es soll sich hei von staatlicher Bevormundung halten. Die Teilnahme an den Kulturgütern ist dem gesamten Volk zu erschließen. Überlieferung, Brauchtum, Sprache und Kultur der Heimat sind zu pflegen. Die Abwanderung deutschen Kunstbesitzes ist zu verhüten. Wir haben weiter vorgeschlagen, daß als Organ der kulturellen Selbstverwaltung ein besonderer Kulturrat eingerichtet wird, dem die verschiedensten Vertreter dieses Lebensgebietes angehören, und daß Gesetze und Verordnungen, die das kulturelle Leben und namentlich die Volksbildung berühren, dem Kulturrat zur Beratung und Gutachtung vorzulegen sind, daß ihm darüber hinaus auch ein Vorschlagsrecht für derartige Gesetze und Verordnungen zusteht. Wir halten es gerade mit Rücksicht auf die Entwicklung unseres geistigen Lebens für notwendig, daß hier alle Freiheit gewährt wird. Aus unserer Ablehnung des Primats der Politik kommen wir zu einer klaren Ablehnung des nationalstaatlichen Prinzips. Wir sind der Auffassung, daß, geistig gesehen, die Grundlage eines Staates nicht allein in der Existenz eines Staatsvolkes begründet ist, sondern in der geistigen Aufgabe einer bestimmten Gemeinschah im Rahmen der Evolution der Menschheit. Wenn wir uns über die Voraussetzungen für diese Erkenntnis Gedanken machen, dann schweih unser Blick weit in die Geschichte zurück, und wir erkennen als die Aufgabe, die Hellas und Rom gestellt wurde, die Aufgabe, eine abendländische Kultur im Mittelmeerraum zu schaffen und damit die notwendige Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung des Christentums. Wir erkennen die grundsätzliche Aufgabe der Deutschen, insbesondere im Mittelalter, darin, dieses Christentum mit der griechisch-römischen Kulturwelt zu verbinden und daraus die christlich-abendländische Kultur entstehen zu lassen und sie unter den Völkern Europas, insbesondere unter denen auszubreiten, die mittelmeerfern ihren Wohnsitz hatten. Die Erfüllung dieser Aufgabe war im nationalstaatlichen Sinne kein Imperialismus. (Dr. Heuss: Wir sind von England her christianisiert worden!) Verzeihen Sie, von Irland aus, nicht von England, Herr Dr. Heuss. England hätte die Kraft dazu nicht aufgebracht, wohl aber Irland, wo der Kult der Jungfrau mit dem Kinde schon lange vor dem Christentum bestand. Aus Irland sind dann die Kräfte nach Mitteleuropa gekommen, die uns das Christentum gebracht haben. Sie waren letztlich auch aus dem Mittelmeerraum hervorgegan—

gen.

(Dr. Schmid: Summarisch zusammengefaßt!) Selbstverständlich kann man solche Entwicklungen nur summarisch zusammenfassen, wenn man sie kurz vorzutragen versucht. Diese Aufgabe, die das deutsche Volk und damit das mittelalterliche Kaiserreich zu erfüllen hatte, hat es selbstlos erfüllt. Es ist nicht Imperialismus im nationalstaatlichen Sinn gewesen, der das deutsche Volk damals bewegte, sondern es war die Erfüllung einer zwar imperialen, aber im wesentlichen einer geistigen Aufgabe. Aus der Hingabe unseres Volkes an diese höhere Aufgabe ist eine Konsequenz für uns zurückgeblieben, nämlich der Verzicht auf die Bildung eines Staatsvolkes und eines Nationalstaates zu einer Zeit, wo andere Völker sich dieser Aufgabe schon gewidmet haben. -

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Wir sehen, wenn wir die Entwicklung weiter betrachten, die Aufgabe Großbritanniens und der anderen seefahrenden Staaten, die die Ausbreitung der so entstandenen christlich-abendländischen Kultur über die Welt zu erfüllen hatten. Mit der Übernahme dieser Aufgabe ist das Entstehen des Empire verbunden, eines Gebildes, das, über die Bereiche der Nationalstaaten hinaus gewachsen, trotzdem staatlichen Charakter hat und die staatliche Grundlage für eine Verfassung gab, ohne daß dieser Staat ein einheitliches Staatsvolk enthält. Wenn wir nun unsere augenblickliche Lage auf Grund dieser ganzen Entwicklung überblicken, dann wissen wir, daß wir heute in Europa einer schweren Bedrohung unterliegen, weil die Gefahr besteht, daß diese christlich-abendländische Kultur in ihrem Entstehungsraum vernichtet wird und damit auch die Freiheit und Würde der europäischen Menschen. Diese Bedrohung tritt aber nicht jetzt erst von außen ein, sondern sie ist schon seit langer Zeit durch die nationalstaatliche Entwicklung in Mitteleuropa gegeben, durch die Entwicklung der Macht-vor-Recht-Politik, die mit jedem Nationalstaat verbunden ist. Sie hat zum Beispiel dazu geführt, daß das alte deutsche Reich durch den französischen Nationalstaat unter Napoleon zerschlagen wurde und daß man auch im Verfolg des Krieges 1914/18 das übernationalstaatliche ÖsterreichUngarn zerschlug, es in Nationalstaaten auflöste und damit zu einer Balkanisierung Europas kam. Die höchste Übersteigerung und Entartung des nationalstaatlichen Prinzips haben wir dann in der Diktatur Adolf Hitlers erlebt. Wir sind der Auffassung, daß die Abkehr des deutschen Volkes von seinen eigentlichen Aufgaben der wesentliche geistige Grund ist, der zu den zwei großen Katastrophen dieses Jahrhunderts geführt hat. Wir müssen also die Neugestaltung unter eindeutiger Ablehnung nationalstaatlicher Prinzipien vornehmen und lehnen auch aus diesem Grunde die Wiedererrichtung oder Wiederherstellung eines zentralistischen Befehls- oder Einheitsstaates ab. Wir sind der Auffassung, daß die Notwendigkeit zu einem föderalistischen Aufbau Deutschlands sich nicht aus außenpolitischen Gründen, sondern aus diesen geistigen Voraussetzungen der gesamtdeutschen Entwicklung ergibt, und wir sehen die Gefahr des Einheitsstaates vor allem darin, daß dieser Einheitsstaat, selbst wenn er demokratisch gestaltet ist, doch immer leicht die Möglichkeiten bietet, sich erneut zu einem Befehlsstaat und damit zu einer Diktatur umzugestalten. (Zuruf rechts: Sehr wahr! Dr. Schmid: Das war doch Hannover gewesen. Der hannoversche Kleinstaat war doch ein Befehlsstaat katexochen. So einfach kann man es doch nicht machen!) Herr Schmid, das ist noch die Frage. Ich exemplifiziere doch gar nicht auf Hannover. Sie können es aber genauso bei anderen Staaten machen. (Dr. Schmid: Ich wollte nur sagen, das Kleinsein eines Staates ist keine Gewähr gegen Mißbrauch der Staatsgewalt, genauso wie die Größe eines Staates nicht notwendig zur Tyrannei zu führen braucht!) Nein, das ist doch nicht das, was ich gesagt habe, (Dr. Schmid: Das haben Sie gesagt!) -



-

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nein, sondern ich habe den einheitlichen Befehlsstaat abgelehnt und den Nationalstaat, den auf rein nationalstaatlichen und damit nationalistischen Prinzipien

aufgebauten Staat. Die Deutsche Partei, die

vor über 80 Jahren gegründet worden ist104), ist ja aus der absoluten Ablehnung dieser nationalistischen Macht-vor-Recht-Politik entstanden, und sie ist mit dem Ziel entstanden, alle Deutschen in Freiheit und Würde in einem föderalistischen deutschen Staat zusammenzufassen und damit zugleich die Voraussetzung für die Bildung größerer Einheiten zu geben. Das ist der Grund, weshalb sich die Deutsche Partei in der Stunde der europäischen Gefahr klar und eindeutig zu Europa bekennt. Europa können wir ja nur als einen übernationalstaatlichen Staatenbund auf föderalistischer Grundlage aufbauen. Es ist selbstverständlich nicht notwendig, daß alle Gliedstaaten eines bundesstaatlichen oder staatenbundlichen Systems nun auch föderalistisch aufgebaut werden müssen. Das ist auch nicht die Voraussetzung, von der ich hier ausgegangen bin, sondern ich bin für die Forderung nach föderalistischer Gestaltung Deutschlands von den Grundprinzipien der deutschen Entwicklung ausgegangen, von dem, was ich als deutsche Aufgabe und als von uns Deutschen zu lösende Aufgabe ansehe. Denn es ist selbstverständlich, daß Europa ohne ein wiederhergestelltes Deutschland wirtschaftlich und politisch unmöglich ist, daß es sonst immer krank bleiben wird und der Vernichtung preisgegeben ist. Selbstverständlich ist aber auch, daß andererseits die Wiederherstellung Deutschlands nicht von außen erwartet werden kann, sondern im wesentlichen von uns selbst in die Hand zu nehmen ist. Deshalb ist es die Aufgabe für diejenigen Menschen, die heute deutsch sein wollen, den Willen zu Europa zu haben, Europäer werden zu wollen. Die Voraussetzung dazu ist die Ordnung in unserem eigenen Hause und die Notwendigkeit, alle Anstrengungen zu machen, um unsere Souveränität zurückzugewinnen. Der Staatsaufbau im Sinne der europäischen Aufgabe ist nach unserer Auffassung in Deutschland nur dann gelöst, wenn er unter Überwindung des nationalstaatlichen Ressentiments erfolgt. Wir sind der Ansicht, daß ein föderalistisch ausgewogener deutscher Gesamtstaat den besten Beitrag des deutschen Volkes zur Behiedung Europas darstellt. Wir sind auch der Auffassung, daß wir, wenn wir diese These vertreten, mit durchschlagendem Grunde die Gebietsforderungen ablehnen können, die heute immer wieder an uns herangetragen werden. In einem Zeitalter, in dem wir nicht eine Verschiebung der Grenzen, sondern eine Aufhebung der Grenzen anstreben, sollte man ganz klar und deutlich derartige Gebietsforderungen als nationalistische Übertreibungen kennzeichnen. Aus unserer Auffassung, daß eine neue Staatsbildung nicht abhängig ist von der Existenz des unteilbaren Gesamtvolkes, sondern von der Erkenntnis der

)

Gemeint war die am 31. Dez. 1869 gegründete Deutschhannoversche Partei, gemeinhin Weifenpartei genannt, die nach der Annexion Hannovers durch Preußen die Wiederherstellung des Königreichs Hannover anstrebte. Hermann Meyn: Die Deutsche Partei, Entstehung und Problematik einer nationalkonservativen Rechtspartei nach 1945. Düs-

seldorf 1965.

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die einem Volk gestellt sind und die ihm bewußt werden den lehnen wir sollen, Begriff des Staatsfragments ab. Wir sind der Auffassung, nicht darum geht, die Grundlage für ein Staatsfragment zu in Bonn es hier daß schaffen, sondern daß es darum geht, die geistige Konzeption des neu zu gestaltenden Staates der Deutschen zu entwickeln, eine föderalistische Konzeption, die grundsätzlich aus ihrer Entstehung heraus keine räumlich beschränkte sein kann, an deren Aufbau aber nur die Deutschen teilnehmen können, die trotz Besatzungsmächten wenigstens noch die innere Freiheit der Erkenntnis und der Entscheidung besitzen. Das Heranführen der heute unter Zwang und Not von uns ferngehaltenen Deutschen an diesen neuen Staat ist ebenso eine gesamteuropäische wie eine deutsche Aufgabe. Und ebenso ist es eine gesamteuropäische wie eine deutsche Aufgabe, das Problem zu lösen, das aus der widerrechtlichen Austreibung von Millionen deutscher Menschen entstanden ist, die ohne Rückkehr in ihre Heimat und ohne wahre Freiheit niemals Europäer werden können. Wir möchten also nicht die Grundlage für ein Staatsfragment hier erarbeiten, sondern die lebendig gestalteten und entwicklungsfähigen Grundlagen des aus den Wurzeln seiner wahren geistigen Voraussetzungen zu erneuernden Deutschland. Wir sind aus unserer föderalistischen Einstellung der Auffassung, daß die Verfassungsgrundlagen dieses neuen, föderalistisch aufgebauten Deutschland jetzt geschaffen werden müssen, daß es von den Ländern getragen werden muß und deshalb durch ihren heiwilligen Zusammenschluß zu schaffen ist, daß wir aber dabei selbstverständlich an lebendige Länder denken und nicht an irgendwelche Konstruktionen, wie sie in der letzten Zeit zum Teil entstanden sind. Ich unterstütze durchaus, was Herr Dr. Heuss heute hier ausgeführt hat, daß die Entwicklung der Bildung der Länder nicht am Ende ist und daß wir es außerordentlich bedauern, daß man den Auftrag, der einem bestimmten deutschen Gremium, nämlich den Ministerpräsidenten, gegeben wurde, nicht weiter durchführen will. Es ist notwendig, daß die Länder aus der Freiheit der Menschen und mit dem Willen ihrer Bevölkerungen so gestaltet werden, daß sie auch wirklich von ihren Bewohnern bejaht werden. Auf der anderen Seite müssen wir anerkennen, daß es auch unter unseren Ländern schon jetzt solche gibt, bei denen diese Voraussetzungen bereits erfüllt sind. Wir bejahen die Bedeutung der Länder. Wir bejahen damit auch die Notwendigkeit eines echten Bundesrates in Form einer echten zweiten Kammer, die gesetzgebendes Organ sein muß. Und wir bejahen die Notwendigkeit eines Bundespräsidenten. Wir sind der Auffassung, daß dieser Bundespräsident schon jetzt herausgestellt werden muß, um eine höchste Repräsentation Gesamtdeutschlands gegenüber dem Ausland, insbesondere gegenüber den Besatzungsmächten, zu haben. Abgesehen von dem Anreiz, den die Schaffung und Besetzung eines solchen hohen Amtes auf die Menschen haben muß, die heute noch von uns getrennt sind, bin ich der Ansicht, daß es dieser Mann sein wird, der das Recht hat, für alle Deutschen zu sprechen, und daß er damit eine Bedeutung gewinnen kann, die für die weitere Entwicklung entscheidend sein wird. Wir sollten uns diese Möglichkeit nicht nehmen. Wir sollten vielleicht auch daran denken, welches große Glück in der Entwicklung der letzten drei Jahre

geistigen Aufgaben,

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für

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Japan darin bestanden hat, daß

es eine derartige Persönlichkeit als Staatsbesitzt. spitze105) (Dr. Schmid: Ernst August!)106) Nein, damit haben wir hier nichts zu tun, verehrter Herr Dr. Schmid. Ich würde ja auch nicht sagen, daß Sie nun unbedingt Herrn Schumacher107) an diese Stelle setzen sollen. Also ich meine, das wollen wir heute mal ruhig beiseite lassen. Ich komme dann noch zu der Frage der Stellung zu den Besatzungsmächten. Die Aufgaben der Besatzungsmächte in Deutschland waren in der Entmilitarisierung, der Entnazifizierung und der Demokratisierung Deutschlands festgelegt worden. Es ist heute hüh mit Recht gesagt worden, daß die Demokratie in Deutschland darunter leidet, daß sie nicht durch einen Willensakt des Volkes gekommen ist, sondern daß jedesmal, wenn Demokratie in Deutschland sich entwickelte, eine Niederlage des Staates vorausging. Trotzdem haben wir in Deutschland an vielen Stellen ein echtes demokratisches Bewußtsein und eine echte demokratische Tradition. Und es ist bedauerlich, daß durch die Interventionen der Besatzungsmächte, die gerade auf dem Gebiete der Entnazifizierung und der Demokratisierung eingetreten sind, diese Krähe nicht gefördert, sondern vielfach zurückgestoßen worden sind. Wir müssen deswegen die Aufgaben, die hier vor uns liegen, zu lösen und die Schwierigkeiten, die durch diese Interventionen entstanden sind, zu überwinden suchen, wenn wir eine wirklich echte Demokratisierung durchführen wollen, eine Demokratisierung, die natürlich, wie ich schon vorhin ausführte, mit einer besonderen Betonung der unabhängigen Rechtsprechung als Schutz des einzelnen gegenüber Staat, Bürokratie und Parteidiktatur manifestiert werden muß. Zur Frage des Besatzungsstatuts hat die Deutsche Partei Grundlagen entwickelt, die ich hier vortragen möchte. Die Grundlage des Besatzungsstatuts, von dem ja Herr Dr. Schmid leider feststellte, daß es die eigentliche Verfassung Westdeutschlands sei108), muß nach Auffassung der deutschen Partei eine Erklärung der Besatzungsmächte sein, die die de facto bestehende Waffenruhe mindestens in einen De-jure-Friedenszustand verwandelt. Und die sich hieraus ergebenden völkerrechtlichen Folgerungen müssen für das Besatzungsstatut Berücksichtigung finden. -

105)

In Japan war die Staatsspitze in der Person des Kaisers über die Kapitulation von 1945 hinaus in Funktion geblieben. 10°) Ernst August, König von Hannover (1771-1851). Als fünfter Sohn des englischen Königs Georg III wurde er mit 66 Jahren im Jahre 1837 König von Hannover und beendete damit die 123 Jahre dauernde Personalunion zwischen England und Hannover. Bereits wenige Monate nach seiner Regierungsübernahme hob Ernst August das 1833 ohne seine Zustimmung geschaffene Staatsgrundgesetz auf, das Hannover zu einem konstitutionellen Staat gemacht hatte. Der Zuruf von Schmid bezog sich auf die Tradition der Deutschen Partei, die in Niedersachsen das Erbe der Weifenpartei übernommen hatte. 107) Dr. Kurt Schumacher (1895-1952), seit Mai 1946 Vorsitzender der SPD. Zu seiner Biographie siehe M. Schumacher (Hrsg.): M.d.R., S. 1441 f.; Lewis J. Edingen Kurt Schumacher. Köln und Opladen 1967. 108) Siehe Dok. Nr. 2, S. 30.

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Regierung sind gegenüber den Vollmachten Besatzungsmächte möglichst genau abzugrenzen. Zur Deutlichkeit dieser Abgrenzung muß auf die Formulierung von Generalklauseln zugunsten der Besatzungsmächte unbedingt verzichtet werden. Deutschland muß durch das Besatzungsstatut aus einem alliiert regierten Staat zu einem alliiert kontrollierten Staat umgewandelt werden. Aber die Souveränitätsminderung, die in der Tatsache der Kontrolle liegt, muß ausdrücklich als vorübergehend und abbauwürdig anerkannt werden, mit dem Ziel, daß Deutschland sobald als möglich wieder gleichberechtigt in die Gemeinschaft der Völker aufgenommen wird. Die Vollmachten einer deutschen

der

Die Deutsche Partei kann einen Verzicht auf Souveränitätsrechte auf die Dauer nur dann anerkennen, wenn er auch von anderen Staaten vollzogen wird als integrierender Bestandteil einer künftigen europäischen Föderation. Insbesondere muß der deutschen Bundesregierung eine Einflußnahme auf die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen Deutschlands eingeräumt werden; dies gilt in ganz besonderem Maße für die Wahrnehmung der Interessen des deutschen Außenhandels. Wir werden ohne Erfüllung dieser Forderung uns von den Fesseln der JEIA109) nicht befreien können, und wir werden nicht dazu kommen,

Export und Import

nach den wirklich deutschen

können.

Notwendigkeiten gestalten

zu

den Londoner Empfehlungen110) wirtschaftlich zu vollziehende Ausdes Ruhrgebiets muß ausdrücklich einen ganz vorübergehenden Charakter haben. Besonderen Wert legen wir darauf, daß die individuellen Rechte der deutschen Bevölkerung, insbesondere auch der Schutz des Privateigentums, durch das Besatzungsstatut gewährleistet werden. Dieser Gesichtspunkt sollte bei der Art und Weise der Durchführung des militärischen Sicherungszweckes sowie auch bei der Befriedigung der Bedürfnisse der Besatzungsmächte besondere Berücksichtigung finden. Sie hat sich in den Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit zu halten. Die Durchführung der Besatzungsansprüche sollte nicht direkt erfolgen, sondern ohne Ausnahme deutschen Behörden in die Hand gegeben werden. Die Deutsche Partei sieht in den Notstandsvorbehalten der Militärgouverneure eine gefährliche Generalklausel, die dazu führen kann, daß das System der deutschen Selbstregierung durch direkte Intervention wieder außer Krah gesetzt wird. Sie ist deshalb der Auffassung, daß zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen der deutschen Regierung und den Besatzungsmächten in dem Besatzungsstatut unbedingt ein internationales Schiedsgericht eingerichtet werden muß. Das von den Besatzungsmächten in Anspruch genommene Weisungsrecht gemäß Ziffer 2 b des Dokuments III111) stellt ferner gleichfalls eine Gefährdung

gemäß gliederung Die

') JEIA, Abkürzung für Joint Export-Import Agency, die für die Bizone den Außenhandel

regelte.

Walter

Vogel: Westdeutschland 1945-1950. Teil II, Boppard

1964, S. 157.

') Abdr. der Londoner Empfehlungen in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. ) Frankfurter Dok. Nr. III, Ziff. 2 b betraf Kontrollen über den Außenhandel und über innenpolitische Richtlinien und Maßnahmen, die den Außenhandel nachteilig beeinflussen könnten. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 34.

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der deutschen Selbstregierung dar. Es muß daher mindestens der Grundsatz anerkannt werden, daß dieses Weisungsrecht nicht gegenüber nachgeordneten deutschen Behörden, sondern nur gegenüber den höchsten verantwortlichen Regierungsstellen, also der Bundesregierung, ausgeübt werden kann. Das Recht der Militärgouverneure auf Beobachtung, Beratung und Unterstützung der Bundesregierung und der Länderregierungen bezüglich der Demokratisierung des politischen Lebens, der sozialen Beziehungen und der Erziehung darf keine Beschränkung der diesen Regierungen zugestandenen Vollmachten auf dem Gebiete der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung bedeuten. Dieses Beobachtungsrecht sollte im Geist einer freundwilligen und zurückhaltenden Weise ausgeübt werden, ohne daß es zu einer ständigen Einflußnahme führt, die die eigene Initiative vernichtet. Wir legen großen Wert darauf, festzustellen, daß dem Besatzungsstatut nicht der Charakter eines vorläufigen Friedensvertrages zukommt, dessen Ausarbeitung unter deutscher Beteiligung sobald wie möglich in Angriff genommen werden sollte. Wir können uns daher nicht damit einverstanden erklären, wenn die am Schluß des Dokuments III gemachte Bemerkung, daß sich die Bevölkerung darüber im klaren sein soll, die Verfassung im Rahmen des Besatzungsstatuts anzunehmen, im Sinne einer internationalen Verpflichtung des deutschen Volkes aufgefaßt wird. Das Besatzungsstatut ist vielmehr eine Anordnung militärischer Befehlshaber, die ihre Gewalt, welche auch bisher schon durch das Völkerrecht als begrenzt hätte aufgefaßt werden müssen, nunmehr in seinen Grenzen ausdrücklich präzisiert. Sie verpflichtet damit zwar das deutsche Volk zu Gehorsam. Es darf aber daraus nicht gefolgert werden, daß durch Plebiszit vom deutschen Volk ein internationaler Vertrag ratifiziert wird, der dem zu-

künftigen Friedensvertrag vorgreih.

Meine Damen und Herren! Ich möchte, da ja noch andere Redner hier das Wort ergreifen wollen, mich sehr kurz fassen. Es sind schon viele und eingehende Ausführungen zu den einzelnen Problemen, insbesondere von Herrn Dr. Süsterhenn, gemacht worden112), auf die ich mich beziehen kann. Was wir durch unsere Arbeit erreichen sollen und wollen, ist die Wiedererringung der völligen Freiheit in der Gesetzgebung ohne vormundschahliche Überwachung, die Freiheit für eine eigene selbständige Verwaltung, die Freiheit in der Rechtsprechung, die Freiheit in der Gestaltung des kulturellen Lebens, die Freiheit in der Gestaltung unserer wirtschahlichen und sozialen Angelegenheiten und letzund das wiederum zuerst die Freiheit für jeden deutschen ten Endes Menschen in einem befriedeten Europa. -

-

(Beifall.) Das Wort hat nunmehr der Abg. Paul. Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Wir haben bereits in der ersten Sitzung dieses Rates darauf hingewiesen, daß die Tätigkeit dieses Rates auf den Londoner Empfehlungen113) basiert. Die Londoner Empfehlungen sind einseitige Fest-

Vizepräs. Schönfelder:

112) Dok. Nr. 2. 113) Londoner Empfehlungen, Abdr.

in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. 131

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legungen von drei Besatzungsmächten. Aber durch die Niederlage Deutschlands und durch den Zusammenbruch des Hitler-Regimes wurde Deutschland durch den Kontrollrat regiert, der sich aus allen vier Besatzungsmächten zusammensetzt114). Diese vier Besatzungsmächte waren übereingekommen, Deutschland einheitlich zu verwalten. Und nirgends in den Deklarationen von Jalta noch in den Beschlüssen von Potsdam115) ist gesagt worden, daß einseitige Akte verschiedener Besatzungsmächte für das deutsche Volk staatsrechtlich und völkerrechtlich Gültigkeit haben könnten. Die Londoner Empfehlungen sind ein einseitiger Akt der drei westlichen Besatzungsmächte und entbehren jener völkerrechtlichen Grundlage, nämlich des Potsdamer Abkommens. Die Londoner Empfehlungen sind ein Diktat der Westmächte, welches uns auferlegt wurde. Als die Londoner Empfehlungen in den verschiedensten Ländern der drei Besatzungszonen zur Debatte standen, da haben die verschiedensten Parteien zu diesen Empfehlungen Stellung bezogen. Ich entsinne mich noch, daß es vor allen Dingen Herr Dr. Adenauer, der Führer der CDU hier im Westen Deutschlands, war, der sich ganz scharf gegen die Londoner Empfehlungen wandte116). Und ich weiß, daß auch der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei, Herr Ollenhauer, sowie der Gesamtparteivorstand eine sehr starke Kritik an den Londoner Empfehlungen übten117). Im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde direkt von wirtschaftlicher Annexion und von einem großen Unrecht gesprochen118). Um so unverständlicher ist es, daß gerade diese zwei großen Parteien des Westens dennoch bereit waren und sind, auf dem Boden der Londoner Empfehlungen, die sie selbst abgelehnt haben und kritisieren, einen westdeutschen Staat zu schaffen. Sie haben sich damit dem Diktat der Westmächte untergeordnet. Man kann nicht davon reden, daß für die Bildung des westdeutschen Staates ein Mandat des deutschen Volkes gegeben worden sei. Es wurde deutlich durch Herrn Schmid hier zum Ausdruck gebracht, daß uns die Bildung dieses Rates und die Schafhing einer westdeutschen Verfassung auferlegt worden ist, daß eine ganze Reihe von Auflagen gemacht wurden. Nun wird man sagen: Gab es denn eine andere Möglichkeit zur Ordnung der deutschen Dinge? Da sagen wir: Jawohl, es gab und es gibt eine Möglichkeit. Ich wehre mich mit aller Leidenschahlichkeit dagegen, daß man sagt, das deutsche Volk sei nur ein Objekt in den Händen der Siegermächte. Nein, das deutsche Volk hat das Recht und auch die Pflicht, einen eigenen Standpunkt zu den verschiedensten Fragen des deutschen Volkes herauszuarbeiten. Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil. Alle Angebote, die gemacht wurden ich denke -

114) Gunther Mai: Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945-1948. München 1995. 115) Zu Jalta siehe Dok. Nr. 1, Anm. 21. Zur Potsdamer Konferenz siehe Dok. Nr. 1, Anm. 22. 116) Adenauer: Erinnerungen I, S. 140 ff.; Gimbel: Besatzungspolitik, S. 273 f.; Morsey: Der Aufstieg Adenauers, S. 30. 117) Artikel in „Die Welt" vom 12. Juni 1948. Siehe auch Der Pari. Rat Bd. 1, S. XXI. lls) Die Kritik an den Londoner Empfehlungen im Landtag von NRW bezog sich vor allem auf die angekündigte Kontrolle der Ruhrindustrie. Siehe hierzu Peter Hüttenberger: Nordrhein-Westfalen und die Entstehung seiner Parlamentarischen Demokratie. Siegburg 1973, S. 352 ff.

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die

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des Herrn Kaiser119) und des Herrn Dr. Friedensburg120) in alle demokratischen Parteien Deutschlands sich zusammensetzen sollten, um einmal zu überlegen, welche Vorschläge wir als Deutsche den Besatzungsmächten zur Regelung der deutschen Angelegenheiten machen können -, diese Vorschläge wurden abgelehnt, und zwar im wesentlichen von der Sozialdemokratie und von der CDU-Führung des Westens. an

der

Vorschläge

Richtung, daß

(Seihied: Ministerpräsidentenkonferenz in Wenn Sie hier den Einwurf machen: die

München!)121)

Ministerpräsidentenkonferenz

in

München! dann sage ich Ihnen, daß die Ministerpräsidentenkonferenz in München eine bestellte Arbeit im Sinne der amerikanischen Interessenten in Deutschland war, (Dr. Pfeiffer: Vollkommen falsch!) daß demgegenüber die Vorschläge, die zum Beispiel von Herrn Kaiser und Herrn Friedensburg gemacht wurden, eigenen deutschen Verantwortlichkeiten entsprangen. Aber ich sage Ihnen, das wurde abgelehnt. Es sind Lippenbekenntnisse zur Einheit Deutschlands im Anblick einer solchen Haltung gegenüber der Herausarbeitung eines einheitlichen deutschen Standpunktes. Die Besatzungsmächte hätten sehr wohl die Möglichkeit gehabt, das deutsche Volk zu behagen. Und zwar wäre es in einer allgemeinen Volksbefragung möglich gewesen, die Bevölkerung aller westlichen und der östlichen Besatzungszone zu fragen, ob sie ein einheitliches Deutschland wollen. (Zuruf: Brauchen wir nicht zu fragen!) Aber auch in dieser Frage, meine Herrschahen, haben Sie sich dagegen gewandt! (Unruhe und Zuruf: Selbstverständlich!) Sie haben gesagt, das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber im selben Augenblick, wo Sie gesagt haben, unser Bekenntnis zu einem einheitlichen Deutschland sei eine Selbstverständlichkeit, beugen Sie sich dem Diktat der Westmächte und schaffen hier einen westdeutschen Staat. Wir sind nicht der Auffassung, daß man vom Westen Deutschlands aus eine Verfassung schaffen kann, die für ganz Deutschland Gültigkeit haben könnte. Nein, das deutsche Volk muß seine Souveränität zurückerhalten, um in ganz Deutschland über diese Frage zu diskutieren und dann für ganz Deutschland in heier Entscheidung eine Verfassung zu entwickeln. Dazu brauchen wir einen gerechten Frie-

-

densvertrag.

') Vermutlich wurde auf Vorschläge

von Jakob Kaiser aus dem Jahre 1947 angespielt, eine nationale Repräsentation durch die Parteien zu schaffen. Conze: Jakob Kaiser, S. 134 ff. ') Ferdinand Friedensburg, CDU-Politiker, hatte im Herbst 1947 sich darum bemüht, einen Kreis von Politikern zu organisieren, die eine Stellungnahme zur bevorstehenden Londoner Konferenz in Hinsicht auf die Erhaltung der nationalen Einheit abgeben sollte. Conze: Jakob Kaiser, S. 179 f. Ferdinand Friedensburg: Es ging um Deutschlands Einheit. Rückschau eines Berliners auf die Jahre nach 1945. Berlin 1971. ) Zur Münchener Ministerpräsidentenkonferenz siehe Akten zur Vorgeschichte Bd. 2 passim. Zu sowjetzonalen Dokumenten nunmehr auch Jochen Laufer: Auf dem Wege zur staatlichen Verselbständigung der SBZ. Neue Quellen zur Münchener Konferenz der Ministerpräsidenten. In: Jürgen Kocka: Historische DDR-Forschung. Aufsätze und Studien. Berlin 1993, S. 27-55.

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Sie haben hier durch den Mund Ihres Sprechers, des Herrn Schmid von der Sozialdemokratie und auch aus den Erklärungen der anderen Parteivertreter das hervor -, ein Besatzungsstatut gefordert. Ein Besatzungsstatut ist ein geht Diktat der Siegermächte und ist kein Friedensvertrag. Wir sind aber einseitiges der Auffassung, daß nicht ein Besatzungsstatut notwendig ist, sondern der baldige Abschluß eines Friedensvertrages, in dem die Rechte des deutschen Volkes und auch die Verpflichtungen ganz klargelegt werden und in dem auch festgelegt wird, wann die Besatzungsmächte aus Deutschland abziehen werden. (Dr. Schmid: Und bis dahin?) Wir wären schon längst einen Schritt auf dem Wege zur Erlangung eines Friedensvertrages weiter, wenn man nicht dauernd nach dem Besatzungsstatut geschrien hätte, sondern wenn wir einheitlich in ganz Deutschland den baldigen Abschluß eines Friedensvertrages gefordert hätten. Sie werden nämlich genauso wenig das Besatzungsstatut wie den Friedensvertrag erhalten, weil das im Moment ja nur in der Hand der Siegermächte liegt. Vor allen Dingen dann wird man mit uns machen, was man will, wenn das deutsche Volk sich nicht zu einer einheitlichen Auffassung zusammenfindet und diese Auffassung auch gegenüber den Besatzungsmächten zum Ausdruck bringt. Sie haben nicht das Recht, im Namen des deutschen Volkes zu sprechen. Sie haben nicht einmal die Vollmacht, im Namen aller Menschen der westlichen Besatzungszonen zu sprechen. Die Landtage, die ja schließlich diese Delegierten zum Parlamentarischen Rat gewählt haben, entsprechen nämlich keineswegs mehr dem Volkswillen. Wenn nämlich in Bayern heute Landtagswahlen gewesen wären, wären die Dinge wesentlich anders, als es jetzt im bayerischen Landtag aussieht. Diese Landtage sind nicht unter dem Signal gewählt worden, einen westdeutschen Staat und eine westdeutsche Verfassung zu schaffen. Wenn diese Frage damals bei den Landtagswahlen gestanden hätte, hätte die Bevölkerung vielleicht anders entschieden, auch bei der Wahl der einzelnen Vertreter und der einzelnen Parteien. Sie sagen hier: Wir wollen keine Verfassung, wir wollen ein Grundgesetz schaffen. Aber dieses Grundgesetz, welches Sie vorschlagen, beinhaltet alle Elemente einer Verfassung. Es ist in der Tat nur eine Irrehihrung der Öffentlichkeit, wenn man nicht den Mut hat, zu sagen: Jawohl, es handelt sich um eine Verfassung für einen westdeutschen Staat. Sie wollen das aber nicht, sondern sagen einfach: ein Grundgesetz, und zwar nur ein vorläufiges Grundgesetz, um dadurch die Öffentlichkeit für ihre Pläne zu gewinnen. Sie sprechen hier von einem Staatsfragment. Damit sagen Sie selbst, daß Sie gar nicht das Recht haben, im Namen des deutschen Volkes zu sprechen. Wir sind der Auffassung, daß eine Verfassung uns nicht von außen aufgezwungen werden kann und soll. Man hat uns hier vorgeschrieben, eine föderative Verfassung zu schaffen. Also selbst in den einzelnen Organisationsfragen hat man uns weitgehende Auflagen gemacht. Außerdem hat man sich vorbehalten, seine Zustimmung zu dieser Verfassung zu geben und zum anderen unter Umständen in Notzeiten selbst diese Verfassung außer Krah zu setzen. Damit ist schon bewiesen, daß diese Verfassung nicht eine Verfassung ist, die von der deutschen Bevölkerung freudig begrüßt werden könnte. -

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man sich hier mit den demokratischen Grundlagen der und des Staates beschähigt. Man sprach von der klassischen Demokratie und verwies vor allen Dingen auf jene demokratischen Bedingungen in Amerika und in England. Man lehnte die Möglichkeit der Weiterentwicklung der demokratischen Rechte und der demokratischen Grunderkenntnisse ab. Ich sage: die demokratischen Grunderkenntnisse sind nichts Feststehendes, sondern mit der Entwicklung werden sie sich zwangsläufig weiterentwickeln müssen. Andernfalls verfällt auch eine solche demokratische Erkenntnis der Vergangenheit. Es wurde gestern hier sehr viel von der formal-bürgerlichen Demokratie gesprochen. Es wurde auf die Rechte des Menschen in der Demokratie und im

Am

gestrigen Tage hat

Verfassung

Staate

hingewiesen.

Aber was ist denn der Staat überhaupt? Ist der Staat ein Ding an sich? Ich habe mich vor allem darüber gewundert, daß ein Vertreter der Sozialdemokratischen Partei den Staat so charakterisierte, als wenn er etwas über der Gesellschah Schwebendes wäre. Der Staat basiert aber doch ohne Zweifel auf den herrschenden Kräften in der Gesellschah, und vor allem basiert er auf einer ganz bestimmten ökonomischen Grundlage. Man kann doch nicht einfach die wirtschahlichen Verhältnisse von den staatsrechtlichen Erkenntnissen oder Zielen loslösen. Die Weimarer Verfassung ist nicht daran zugrunde gegangen, daß sie nicht in allen Punkten dem Willen des deutschen Volkes entsprach, sondern im wesentlichen deshalb, weil die tatsächlichen Machtverhältnisse in der Weimarer Republik nicht im Einklang standen mit den Grundsätzen, die in der Weimarer Verfassung verankert waren. Im Jahre 1918 hat man keinerlei Konsequenzen aus dem ersten imperialistischen Krieg gezogen. Im Jahre 1918 wurden auch keine wesentlichen Schritte in der Richtung der Demokratisierung der Wirtschaft und der Verwirklichung des Mitbestimmungsrechtes der Werktätigen getan. Zwar wurde auch damals sehr viel von der sogenannten Sozialisierung gesprochen. Aber der Herr Minister Severing hat im Landtag von Nordrhein-Westfalen vor einigen Monaten erklärt, man habe in der damaligen Zeit auf die Sozialisierung der Schlüsselindustrien deshalb verzichten müssen, weil die Amerikaner dem deutschen Volke sonst keine Lebensmittel gesandt hätten122). Man hat im Jahre 1918 nicht mit jenen Krähen abgerechnet, die den Krieg organisiert haben und in deren Auftrag der erste Weltkrieg gehihrt worden war. Man hat nicht den Verwaltungsapparat und die Justiz bereinigt, sondern alles blieb beim alten. Im Gegenteil, man bediente sich dieser Leute. Man zog keinerlei Konsequenzen aus der Vergangenheit, sondern man phophe einfach eine sogenannte demokratische Volksregierung auf die Staatsbürokratie, auf die Monopole, die Junkerkaste und auf den reaktionären

Justizapparat.

März 1920-Okt. 1926, Okt. 1930-Juli 1932 im Kabinett H. Müller leitete er von Juni 1928-März 1930 das Reichsministerium des Innern. Unter ihm wurde die preußische Schutzpolizei zu einem Hort republikanischer Gesinnung. Nach 1945 bekleidete er in der SPD verschiedene Positionen, seit 1947 Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Siehe seine Memoiren: Mein Lebensweg, 2 Bde., Köln 1950. Schumacher: M. d. R., S. 463.

122) Carl Severing (1875-1952), SPD-Politiker.

preußischer Innenminister;

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Es ist ganz logisch, daß in einer Verfassung Ziel und Richtung gewiesen werden müssen. Denn eine geschriebene Verfassung, mag sie noch so schön sein, ist einen Dreck wert, wenn die realen Machtverhältnisse in der Wirtschah und Gesellschah nicht im Sinne dieser Zielsetzung verändert werden. Wenn das nicht geschieht, ist auch die schönste Verfassung eine Irreführung der breiten

Volksmassen und dient nur zur Dekoration, zur Verschleierung der tatsächlichen Herrschah der reaktionären Krähe. Wie kann man von Gleichheit der Bürger sprechen, wenn man nicht bereit ist, auch in der Verfassung die politischen Rechte des arbeitenden Volkes zu verankern, wenn man nicht bereit ist, das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte und der Gewerkschaften bei der Führung der Wirtschaft sicherzustellen? Wie kann man von der Entwicklung einer wirklichen Demokratie reden, wenn man nicht angesichts der bitteren Erfahrungen des zweiten Weltkriegs Ernst macht mit der Überführung der Grundstoffindustrien in die Hände des Volkes? Denn das ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung einer neuen demokratischen Ordnung. In der Weimarer Zeit haben die reaktionären Krähe, die man 1918 nicht zur Verantwortung gezogen und nicht entmachtet hat, sich Zug um Zug durchgesetzt. Gerade der Herr Kollege Menzel hat heute morgen hier gesagt, daß der Justizapparat in der Weimarer Zeit der Demokratie feindlich gegenüberstand. Aber wenn man das erkennt, dann gilt es, daraus auch die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Man ist bei der Entwicklung der Weimarer Verfassung nicht ausgegangen von den damaligen Entwicklungsbedingungen der Gesellschaft, sondern man nahm als Vorbild die Auffassungen der fortschrittlichen Demokraten des Jahrs 1848. Jetzt soll eine Verfassung für Westdeutschland geschmiedet werden. Aber schon bei der Debatte zu dieser Verfassung erkennen Sie Merkmale, die beweisen, daß, mag diese Verfassung auch noch so schön zu Papier gebracht werden, die realen Machtverhältnisse wiederum zugunsten der reaktionären Krähe ausschlagen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß das von der Mehrheit des Landtags von Nordrhein-Westfalen angenommene Sozialisierungsgesetz des Kohlenbergbaues von der Militärregierung nicht anerkannt wurde123); vielmehr erklärte man, es sei die Aufgabe der westdeutschen Versammlung, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Damit hat man ein wichtiges Problem auf den Verschiebebahnhof geschoben. Aber wenn diese Frage nicht im Sinne der neuen demokratischen Ordnung geregelt wird, dann bleibt die beste Verfassung auf dem Papier stehen. Ich darf hier auf die hessische Verfassung hinweisen. am 5./6. Aug. 1948 hatte es des Landtages gegeben siehe Walter Forst: Geschichte NordrheinWestfalens, Bd. 1: 1945-1949, Köln-Berlin 1970, S. 430-438. Wolfgang Rudzio: Die ausgebliebene Sozialisierung an Rhein und Ruhr. Zur Sozialisierungspolitik der LabourRegierung und SPD 1945-1948, in: Archiv für Sozialgeschichte Bd. XVIII (1978), S. 139. Zusammenfassend Helmut Altrichter: Die verhinderte Neuordnung? Sozialisierungsforderungen und Parteienpolitik in den Westzonen 1945-1948, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 35 (1984), S. 351-364. Volker Schockenhoff: Wirtschaftsverfassung und Grundgesetz. Die Auseinandersetzungen in den Verfassungsberatungen 19451949. Frankfurt/Main 1986.

) Zur Debatte um die Sozialisierung in Nordrhein-Westfalen eine

Sondersitzung

-

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Sie enthält Bestimmungen über die Sozialisierung124). Es gibt einige fortschrittliche Festlegungen und Paragraphen. Aber trotz der entscheidenden Volksabstimmung in Hessen ist die Grundstoffindustrie bis heute noch nicht in die Hände des Landes bzw. des Volkes übergeführt. Selbst das Betriebsrätegesetz125) wurde von der Militärregierung noch nicht sanktioniert. Der wichtigste Paragraph ist nicht in Krah gesetzt worden, wonach das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte und Gewerkschahen in der Wirtschah verankert werden sollte. Wenn die Debatte um eine neue westdeutsche Verfassung schon unter diesem Stigma anläuh, dann sehe ich wirklich schwarz für diese sogenannte demokratische Verfassung. (Dr. Dehler: Wie ist es denn in Sachsen mit den Betriebsräten?) Wenn Sie die Lage in Sachsen aufrollen, so kann ich Ihnen eine deutliche Antwort geben. In Sachsen sind die Kriegsverbrecher zugunsten des Volkes entschädigungslos enteignet126). Die Betriebe sind in die Hände des Volkes übergeführt. Über 50 Prozent der Menschen, die heute an leitender Stelle in volkseigenen Betrieben stehen, sind ehemalige Arbeiter oder fortschrittliche Angestellte und Techniker. Sagen Sie mir, wo im Westen ähnliche fortschrittliche Maßnahmen durchgeführt worden sind! Nein, da regiert Herr Krupp127), für den die CDU sich so wirksam eingesetzt hat. Hier wird Herr Thyssen128) so umworben, um in der deutschen Kohlenindustrie wieder ein Wort zu reden. Hier wird Herr Schacht129) heigesprochen, von derselben Jutiz, die jetzt beauf-

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124) Hans-Christoffer Beyer: Die verfassungspolitischen Auseinandersetzungen um die Sozialisierung in Hessen 1946, phil. Diss. Marburg 1977. Zu Clays Position zum Art. 41 der hessischen Verfassung siehe Krieger: General Lucius D. Clay, S. 295. 125) Das hessische Betriebsrätegesetz war den Abgeordneten des Pari. Rates wohl auch bekannt, weil das

Büro der Ministerpräsidenten eine Anzahl der Publikation „Das hessische Betriebsräte-Gesetz" mit einer Einführung von Ministerialrat Dr. Herbert Engler dem Pari. Rat übersandt hatte. Das Sekretariat teilte dies unter dem 20. Nov. 1948 den Abgeordneten mit und wies darauf hin, daß Exemplare über die Bibliothek angefordert werden könnten (Z 5/210). 126) In Sachsen wurde am 30. Juni 1946 im Wege der „Volksgesetzgebung" der Entwurf eines Gesetzes „über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes" durch eine Volksbefragung mit einer Mehrheit von 77,6% angenommen. Siehe hierzu die differenzierte Analyse, auch der Fortwirkung auf die Diskussion um plebiszitäre Elemente in der Verfassungsgesetzgebung der Länder und beim Grundgesetz, bei Jung: Grundgesetz und Volksentscheid, S. 143 ff. 127) Dr. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (1870-1950), Industrieller, wurde 1948 beim Nürnberger Krupp-Prozeß wegen Haftunfähigkeit entlassen. An seiner Stelle wurde sein Sohn Alfried (1907-1967) im Jahre 1948 zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt; femer wurde das Vermögen eingezogen. Im Jahre 1951 wurde er freigelassen. Peter Batty: The House of Krupp. London 1966, S. 222 ff. 128) Fritz Thyssen (1873-1951), Industrieller, der in der Frühzeit der NSDAP (ab 1923) die NSDAP förderte. Nach Protest gegen Hitlers Kriegspolitik flüchtete er Anfang Sept. 1939 in die Schweiz. Nach seiner Ausbürgerung und Verhaftung in Frankreich war er 19401945 in Konzentrationslagern. Von den Amerikanern wurde Thyssen interniert, nach einem Gerichtsverfahren 1948 galt er als minderbelastet. H. A. Turner: Fritz Thyssen und „I paid Hitler", VZG 1971, S. 225-244. 129) Hjalmar Schacht (1877-1970), Bankier und Politiker, 1918 Mitbegründer der DDP, im Nov. 1923 als Reichsernährungskommissar an der Einführung der Rentenmark beteiligt, von Dez. 1923-April 1930 Reichsbankpräsident. Seine Kooperation mit den Nationalso-

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tragt ist, die Demokratie

zu schützen. Sie handelt dabei gegen den Willen des Volkes. Ich sage Ihnen ganz offen: Die Arbeiterschaft in Westdeutschland würde es aufs lebhafteste begrüßen, wenn die Betriebe der Kriegsverbrecher in ihre Hände gegeben würden. Ich sage Ihnen, Sie haben allen Grund, sich vor einer solchen Einmischung der Besatzungsmacht in diesen entscheidenden demokratischen Fragen zu verbeugen. Mögen sie ruhig die Rechte des Besitzbürgertums verteidigen; die Arbeiterschaft wird sich in ihrem Kampf um die Neugestaltung Deutschlands nicht abhalten lassen. Man hat gestern auch den Entwurf des Volksrats130) behandelt. Man hat sich auf den Standpunkt gestellt, eine Gewaltenteilung sei nach wie vor notwendig; denn diese sei die einzige Gewähr gegen einen Mißbrauch in der Anwendung der Staatsgewalt durch das Parlament. Die Forderung auf Teilung der Gewalten war zu der Zeit, als sie erhoben wurde, ohne Zweifel eine sehr fortschrittliche Forderung. Sie stammt aus einer Zeit, in der die Könige und Fürsten absolut und ohne jeden Einfluß des Volkes regierten. Da sollte die Gewaltenteilung die Rechte der Fürsten einschränken. Mittlerweile ist aber mehr als ein Jahrhundert in Europa vergangen. Die kapitalistische Klasse, die damals im Aufstieg begriffen war, war es, die jene Forderung auf Teilung der Gewalten vertrat. Aber aus dieser Klasse ist der Monopolkapitalismus entstanden, und die Politik des Monopolkapitalismus hat sich immer mehr gegen die Interessen unseres Volkes gerichtet. Sehen Sie, meine Damen und Herren, die Trümmer in den Straßen der Städte. Da kann man nicht mehr mit jener alten Forderung antreten, die vor 150 Jahren einmal sehr fortschrittlich war. Es gilt, die notwendigen Konsequenzen aus der heutigen Entwicklung zu ziehen. Sie sagen, man könnte dem Parlament des Volkes nicht allein das Recht geben, über das Geschick des Volkes zu entscheiden, und daher sei es notwendig, die Dreiteilung der Gewalten vorzusehen, also Legislative, Exekutive und Rechtsprechung zu trennen. Die Justiz soll unabhängig von den anderen Gewalten das richtige Zustandekommen und die Anwendung der vom Volk beschlossenen Gesetze überprüfen. Sehen Sie sich doch einmal in den Ländern um! Wir haben zum Beispiel im Lande Nordrhein-Westfalen einen sozialdemokratischen Wirtschahsminister131).

zialisten bewirkte seine erneute Ernennung zum Reichsbankpräsidenten im März 1933. Von Aug. 1934-Nov. 1937 war er Reichswirtschaftsminister und finanzierte über die Mefowechsel die Aufrüstung und das Arbeitsbeschaffungsprogramm. Im Nov. 1937 trat er zurück und nahm Kontakte zu Widerstandskreisen auf, blieb jedoch noch Reichsbankpräsident bis Jan. 1939. Im Internationalen Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß wurde er 1946 freigesprochen, 1947 von der Stuttgarter Spruchkammer aber zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, 1950 vorzeitig entlassen. Bei dem „Fall Schacht" ging es um die Frage, ob er während des Revisionsverfahrens nach Ablauf bestimmter Fristen aufgrund von Befehlen der Militärregierung in Haft blieb oder nicht. Schacht hatte offensichtlich prominente deutsche Förderer und gab entsprechende Presseinterviews. Die publizistische Reaktion auf seine Freilassung in einem Artikel der Neuen Zeitung vom 11. Sept. 1948, S. 2 „Schacht-Urteil heftig umstritten." Siehe in den OMGUS-Akten den Vorgang Z 45 F 15/118-2, folder 70. Ferner seine Memoiren: 76 Jahre meines Lebens. Bad Wörishofen 1953. Vgl. auch Der Spiegel Nr. 36 (1948), S. 7 sowie Nr. 38 (1948), S. 17. ') Zum Entwurf des Volksrates siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. ) Erik Nölting (1872-1952) war Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Claudia Nölting: Porträt Erik Nölting (1872-1953) in: Geschichte im Westen, Jhrg. 4, 1989, S. 65-88. 138

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Aber die Bürokratie ist alles andere als fortschrittlich. Mit dieser Bürokratie, die gegen die Demokratie feindlich eingestellt ist, wollen Sie jetzt eine neue demokratische Ordnung entwickeln, mit der Bürokratie, die zu 70 und 80 Prozent aus Anhängern der vergangenen Nazipartei besteht! Sie wollen der Justiz das Recht einräumen, die Gesetze eines demokratischen, vom Volke gewählten Parlaments zu überprüfen und zu kritisieren, nach ihrer Auffassung auszulegen und unter Umständen sogar aufzuheben, jener Justiz, in der so viele Richter sitzen, die mit dem Volke gar nichts gemein haben, ja, die dem Volke feindlich gegenüberstehen.

(Zurufe: Oho!)

Ich wiederhole ausdrücklich: die dem Volke feindlich gegenüberstehen. Das beweisen die verschiedensten Urteile. Da hat man Betriebsräte zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie Kompensationsgeschähe im Interesse der Belegschah gemacht haben. Auf der anderen Seite weigert die Justiz sich aber, gegen die Warenhorter vorzugehen. Das ist ein Beweis dafür, daß die Richter dem Volke feindlich gegenüberstehen. Dutzende von Beispielen dieser Art ließen sich noch anführen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Gewaltenteilung aufgehoben wird. Wir fordern, daß das Recht und die Macht dem vom Volk in heier Wahl gewählten Parlament gegeben werden. (Zuruf: In heier Wahl?) Das ist unsere Meinung. Ich wiederhole Ihnen: in heier Wahl. —



(Zuruf: Knüppelwahl!)

Sehen Sie, das ist ein sehr umstrittenes —

(Heiterkeit.)

Kapitel.

Sie wollen mir weismachen, daß Ihr Mehrheitswahlsystem, das Sie so gern anbieten, eine echte demokratische Volksentscheidung verbürgt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben gerade in den letzten Tagen über die Besetzung der Ausschüsse des Parlamentarischen Rats verhandelt. Da haben wir gesehen, daß gerade die Parteien, die so stark gegen die totale Macht demonstrieren, am entschiedensten nach der totalen Macht greifen. (Zuruf: Daß die Minorität die Majorität beherrscht!) Sie haben recht. Die Minorität des Monopolkapitals beherrscht tatsächlich die Volksmajorität, leider noch.

-

-

(Lachen rechts.) In der Ostzone!) meine Ich habe Meinung über die Ostzone bereits gesagt. Wir stehen auf daß bei dem vom Volk gewählten Parlament alle Rechte und dem Standpunkt, alle Macht liegen sollen. Wir halten es auch nicht für richtig, daß man die Richter nun über Entscheidungen des Volkes richten läßt. Nein, die Richter sollen in der Rechtsprechung nur dem Gesetz unterworfen sein, aber sie unterliegen der Kontrolle des vom Volke gewählten Parlaments. Die obersten Richter sollten ebenfalls von dem vom Volk gewählten Parlament berufen und beauftragt werden, und wenn sie nicht im Interesse des Volkes Recht sprechen, soll das vom Volk gewählte Parlament das Recht haben, sie abzuberufen. Die Bürokratie soll nicht herrschen, sondern hat dem Willen des Volkes zu dienen,

(Rönneburg:

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nicht aber dem Volke feindlich gegenüberzustehen. Wer Augen hat, zu sehen, Ohren hat, zu hören, der weiß längst, daß die Bürokratie, die heute auf den Rathäusern und sonst überall sitzt, das Volk meist terrorisiert, dem Volke aber nicht dient.

wer

(Zuruf:

In

Rußland!)

Nicht in Rußland, hier im Westen! Gehen Sie mal auf die Wohnungsämter und sehen Sie sich die Leute an! Gehen Sie auf die Wirtschahsämter! Ich will gar nicht davon reden, wie die Herren vom Wirtschahsrat aussehen, die die Verwaltung machen. Davon könnte ich ja nun auch einige praktische Erfahrungen zum besten geben. Auch wir wünschen, daß eine zweite Kammer geschaffen wird, eine Länderkammer neben dem vom Volk in unmittelbarer Wahl gewählten Parlament. Aber diese Länderkammer soll nicht von den Beauftragten der Länderregierungen beschickt werden. Ihre Mitglieder sollen vielmehr entweder direkt vom Volk oder zum mindesten von den Landtagen gewählt werden132). Wir wollen dieser Länderkammer nicht Rechte einräumen, wie es Herr Dr. Schwalber uns heute morgen vordemonstrierte. Denn dann würde das Parlament und die vom Parlament gestellte Regierung in der Tat der Ostflüchtling der Länderregierungen sein. Man würde sie dann genauso behandeln, wie man die Ostflüchtlinge in manchen Amtern behandelt. (Zuruf: Die Ostflüchtlinge sind erst durch die KPD Ostflüchtlinge gewor-

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den!)

Sie irren! Sehen Sie, wenn die Herren aus Ihrer Fraktion, vom rechten Flügel des Zentrums und von der Deutschnationalen Volkspartei nicht zu Hitler gegangen wären, wäre manches vielleicht anders gekommen. Ja, das sind alles waschechte Demokraten in Ihren Reihen. Wir beneiden Sie nicht um diese Leute. haben Sie einen falschen Namen. Sie sind gar keine ChristlichDemokratische Union; Sie sind, wenigstens in Ihrer Führung, die Vertreter des

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Übrigens

deutschen

Junkertums und des Monopolkapitals.

(Lachen bei der CDU.) mögen darüber lachen. Ihr Lachen beweist nur, daß ich Ihre Führung richtig gekennzeichnet habe, und Ihre Politik beweist das auch. Sie werden Sie

-

mich durch Ihre Zwischenrufe nicht aus der Ruhe bringen. Wie gesagt, wir wollen nicht, daß die Länderkammer so weitgehende Rechte hat. Die Länderkammer soll das Recht haben, gegen Beschlüsse des Parlaments ein Veto einzulegen. Aber wenn das Parlament nach erneuter Beratung ein von ihm beschlossenes Gesetz für richtig befindet, dann soll dieses Gesetz in allen Ländern Rechtsgültigkeit haben. Das ist unsere Meinung.

;) Folgt in der Vorlage gestrichen: „Zuruf: Also doch ein Senat Nein kein Senat. Ein Senat besteht, darüber sind Sie sich doch im klaren, meine Herrschaften, aus Beauftragten der Länderregierungen. (Heiterkeit). So dumm sind Sie ja gar nicht, daß Sie das nicht begreifen. Sie sind doch Justizminister, Herr Süsterhenn; gerade Sie müßten das doch -

genau wissen."

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Wir sind auch nicht damit

einverstanden, daß die Finanzhoheit, wie es heute morgen hier vordemonstriert wurde, im wesentlichen bei den Ländern bleibt. Die kleinen Länder würden sich für dieses Geschenk sehr rasch bedanken; sie würden sehr schnell angelaufen kommen und sagen: Nehmt uns doch um Gottes Willen diese schwierige Aufgabe ab! Sie könnten ihre Schulden gar nicht selbst decken. Auch wenn wir ein Deutschland ohne Schulden und ohne Reparationsverpflichtungen hätten, wären wir dafür, daß die Finanzhoheit im wesentlichen bei der obersten Behörde, also bei der Zentralinstanz, liegen muß. Nur so ist eine zentrale Wirtschahsplanung möglich; nur so kann der Wiederaufbau in Angriff genommen werden, und nur so kann die Zentralregierung auch den Bedürfnissen der Länder entgegenkommen. Man darf übrigens an dieses Problem nicht vom Standpunkt einiger gutsituierter Länder herangehen, sondern muß auch an das Land Schleswig-Holstein denken, auch an andere Länder, die ungeheure Schäden aufzuweisen haben, die mit Flüchtlingen überfüllt sind, die auf die starke Unterstützung durch das gesamte deutsche Volk angewiesen sind. Auch wir sind der Auffassung, daß in die neue Verfassung die wichtigsten Grundsätze des Völkerrechts eingebaut werden sollen. So sollte die Kriegs- und Rassenhetze verboten sein. Verboten sein sollte auch die militaristische Erziehung unserer Jugend im Sinne des Angriffkrieges. (Zuruf: Aber überall!) In ganz Deutschland! Über Europa habe ich noch nicht zu bestimmen. Ich bilde mir solche Befugnisse noch nicht ein. Sie wollen auch schon deutsche Hoheitsrechte an andere abtreten; aber Sie haben nicht einmal das Hoheitsrecht, in unserem eigenen Lande eine neue demokratische Ordnung zu schaffen. Daher halte ich diese Worte nur für platonische Liebeserklärungen. Wir sollten uns auf die Wahrnehmung unserer eigenen Aufgaben beschränken und versuchen, unserem Volke zu helfen, ohne dabei die internationale Verständigung und die Zusammenarbeit mit allen anderen Völkern zu vergessen, nicht bloß mit dem englischen und amerikanischen, sondern auch mit dem sowjetrussischen Volke. Oder wollen Sie die Hetze Hitlers fortsetzen, wie man es leider sehr oh erleben kann? Das würde dem deutschen Volke nicht dienlich sein. Damit würden Sie den nationalistischen und kapitalistischen Krähen nur neuen Auhrieb und neue Operationsmöglichkeiten geben. Die militaristischen Abenteurer, die in unserem Deutschland heute herumlaufen, würden neue Möglichkeiten wittern. Man hat in diesem Hause in den letzten beiden Tagen oft von der Einheit Deutschlands gesprochen. Man sagte, wir wollen eine Verfassung oder ein Grundgesetz schaffen. Dieses Grundgesetz soll auch den Ländern der sowjetischen Besatzungszone die Möglichkeit bieten, sich eines Tages anzuschließen. Ich stehe solchen Erklärungen skeptisch gegenüber, namentlich, wenn ich höre, welche Auflagen man für den Anschluß der Länder der sowjetischen Besatzungszone vorsieht. Ich weiß nicht, ob Sie Herrn Dr. Süsterhenn deutlich genug zugehört haben. Herr Süsterhenn forderte, es müßten nicht nur die formal-demokratischen Rechte hergestellt, sondern auch einige andere Realitäten sichergestellt werden. Was heißt „andere Realitäten? -

141

Nr. 3

Dritte

Sitzung des Plenums 9. September 1948

(Zuruf: Freie Wahl! Kein Verbot der SPD!)133) Ich will Ihnen sagen, was diese Realitäten sind, was Herr Süsterhenn damit meint: Aufhebung der Bodenreform, Zurücknahme der Enteignung der Betriebe der Kriegsverbrecher! (Dr. Süsterhenn: Woher wissen Sie das heute schon so genau?) Jawohl! Ich kenne die Stellungnahme Ihrer Partei zu diesen Fragen sehr genau. (Dr. Süsterhenn: Seit wann können Sie Gedanken lesen?) Sie sind sich wohl selbst darüber im klaren, daß auf dem Boden solcher Bedingungen, die vom Monopolkapitalismus Deutschlands diktiert sind, kaum eine Verständigung erreicht werden kann. Mir scheint es überhaupt unrichtig zu sein, irgendwelche Bedingungen zu stellen. Wenn man aber schon Bedingungen stellt, dann müßten im Westen Deutschlands folgende erfüllt werden es sind Bedingungen, die mein Vorredner bereits nannte -: nämlich die Entmilitarisierung, die Entnazifizierung und die Demokratisierung. -

-

-

(Lachen rechts.)

Das sind die wesentlichen Voraussetzungen, um in der deutschen Frage überhaupt zu einer Einigung kommen zu können. Ich sage Ihnen ganz offen: Diese Redensarten über den Beitritt der Länder der Ostzone gleichen einem Diktat; sie sind nicht getragen vom Willen zu einer echten Verständigung zwischen Ost und West. Sie, meine Herren, wollen, gestützt auf das Diktat der Westmächte, einen westdeutschen Staat schaffen, um auf diese Weise Ihre Ziele durchsetzen zu können. Wir Kommunisten wollen ein einheitliches demokratisches Deutschland mit einer dezentralisierten Verwaltung. Dieses einheitliche Deutschland, diese Demokratie, die wir wollen, unterscheidet sich allerdings von der Demokratie, wie sie die Herren Dr. Adenauer, Dr. Schacht134) und Krupp135) meinen136). Wir wollen eine Demokratie (Zurufe: Ohne freie Wahlen!) und ein einheitliches Deutschland, in dem das werktätige Volk einen entschei-

denden Einfluß ausübt, (Zuruf von den Sozialdemokraten: Wie die 2000, die das

Stadthaus137)

gestürmt haben!)

einen Einfluß, welcher dem werktätigen Volke gemäß seiner Tätigkeit und seiner Zahl zusteht. Wir wollen dadurch die Sicherheit schaffen, daß Deutsch-

land nicht noch einmal von imperialistisch-kapitalistischen Krähen benutzt werden kann zu einem neuen imperialistischen Abenteuer, das dann einer Vernichtung des deutschen Volkes gleichkommen würde. Nur ein solches

133) 134) 135) 136) 137)

142

Nach dem nicht ohne Zwang erfolgten Zusammenschluß von SPD und KPD zur SED war einer Tätigkeit der SPD in der SBZ der Boden entzogen worden. Siehe Anm. 9. Siehe Anm. 129. Siehe Anm. 127. Folgt in der Vorlage gestrichen: „Sie unterscheiden sich." Die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung im Stadthaus, gelegen im sowjetisch besetzten Sektor, waren von kommunistischen Demonstranten mehrfach (23. Juni, 26./27. August und 6. Sept. 1948) gestört worden; der Tagungsort wurde danach in den britischen Sektor verlegt. Rengel: Berlin nach 1945, S. 336.

Dritte

Sitzung des Plenums 9. September 1948

Nr. 3

Deutschland bietet auch die Garantie für einen dauerhaften Frieden und sichert dem schaffenden Menschen einen neuen Wiederaufstieg und einen neuen Wohlstand. Für dieses Ziel werden wir trotz aller Gegensätze unverrückbar kämpfen, und wir werden nicht davon ablassen, an die Menschen zu appellieren, sich für dieses Ziel einzusetzen, weil ein solches Deutschland dann ein Deutschland des arbeitenden Volkes sein wird, ein Deutschland, in dem der Arbeiter sich nicht mehr als Ausgebeuteter, nicht mehr als Entrechteter, sondern in dem er sich in der Tat wie zu Hause fühlen kann! Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Brockmann. Brockmann (Z): Meine Damen und Herren! Es ist uns wohl allen klar, daß diese Debatten unter der Tatsache leiden, daß wir keine echte parlamentarische Vorlage haben, über die wir uns wirklich einmal gründlich und sachlich auseinandersetzen und aussprechen können. Das ist für jeden, der im parlamentarischen Leben steht, ein Umstand, der sehr bedauerlich ist, den wir aber mit Rücksicht auf das Novum, in dem wir uns ja alle hier befinden, in Kauf nehmen müssen. So kommt es, und das bedaure ich auch für meine Person, daß wir hier unsere, sagen wir einmal mehr oder weniger parteigebundenen Auffassungen zu dem Problem darlegen, das insgesamt vor uns steht, ich möchte fast sagen, zu deklamieren gezwungen sind. Das ist natürlich, wie ich schon sagen durhe, sehr bedauerlich, aber wir können es nicht ändern. Meine Damen und Herren! Ich bin deshalb auch in die unangenehme Lage versetzt, hier, in kurzen Zügen allerdings, einige grundsätzliche Auffassungen meiner Partei, der von mir vertretenen politischen Richtung, zu dem Aufgabenkreis Ihnen vorzustellen, der uns als Parlamentarischem Rat gestellt oder übertragen worden ist. Ich will mich dabei bemühen, mich so kurz wie nur möglich zu fassen, und zwar schon aus dem Grunde, weil ich der Auffassung bin, daß ja dieses Parlament, wenn ich es als solches ansprechen darf, versuchen muß, sein Werk auf möglichst breiter Grundlage zustande zu bringen, und daß ich mich daher auch zu meinem bescheidenen Teil in diesem Rahmen und in diesem Raum nicht allzu stark von vornherein festlegen möchte. Aber in einigen grundsätzlichen Dingen ist es doch nötig, ganz klar und offen zu sprechen. Wenn hier nun zum Ausdruck gebracht worden ist, daß Deutschland als staatsrechtliches Gebilde trotz des katastrophalen Zusammenbruchs nicht aufgehört hat zu existieren, dann, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung, daß man diese Auffassung durchaus unterstreichen kann. Auch ich halte es für unnötig, über die Rechtsgrundlagen dieses parlamentarischen Gremiums überhaupt zu diskutieren. Es ist einfach ein Faktum, und dieses Gremium besitzt die meiner Auffassung nach soviel Rechte, wie es sich selber gibt, natürlich Konzession müssen wir ja leider machen im Rahmen des Möglichen. Wir hätten gewünscht, es wäre möglich gewesen, daß jetzt dem deutschen Volke aller Zonen Herr Kollege Paul, das möchte ich auch Ihnen sagen von einer aus freien Wahlen hervorgegangenen Nationalversammlung eine Verfassung gegeben werden könnte. Nach Lage der Dinge ist aber die Erfüllung dieser Sehnsucht des deutschen Volkes in allen Zonen zur Zeit eine Unmöglichkeit. -

-

-

-

143

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Dritte

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Nun muß durch diesen Parlamentarischen Rat

wenigstens ein erster Schritt zur deutschen Einheit getan werden. Wir haben noch keine Verfassung, sondern erst ein Grundgesetz zu erarbeiten. Wir wollen aber trotzdem, meine Damen und Herren, unsere Aufgabe nicht unterschätzen. Sie wird geleistet in einem Augenblick, in dem wir uns alle klar darüber sind, daß die Katastrophe, die wir durchlebt haben, nicht etwa nur der Zusammenbruch eines verbrecherischen Regimes gewesen sein kann. Es ist uns einigermaßen geläufig, die alte Zeit als die bürgerliche Epoche zu charakterisieren, und wir haben bedauerlicherweise noch keinen Begriff für die Zukunft. Wir sind aber gewiß, daß in unserem Volke schöpferische Krähe lebendig sind, um diese Zukunft zu gestalten. Wir als Parlamentarischer Rat, der die erste Grundlage für diese Zukunft zu schaffen hat, werden unserer Verantwortung gegenüber der Zukunft gerecht, wenn wir die Freiheit als das oberste Prinzip über alle unsere Arbeit stellen. Epochen sind immer im Zwang und durch Zwang untergegangen. So gingen die griechischen Stadtrepubliken in der Tyrannei und letzten Endes das Königtum im Absolutismus unter, und immer ist und war es die Freiheit, die die Auferstehung eines Volkes bewirkte. Meine Damen und Herren, wir sollten diese eminent wichtige Tatsache selbst dann nicht außer acht lassen, wenn die Arbeit am Bundesgesetz als eine ausgesprochen, ich möchte sagen, wissenschahliche und juristische Arbeit manchmal etwas trocken und nüchtern sein wird. Verfassungen müssen nicht nur folgerichtig durchdacht sein, sondern vor allem auch von einer großen Konzeption getragen werden. Nur dann gehen sie in das Volk ein, sind ihm gemäß und werden vom Volke getragen und behütet, und darauf kommt es letzten Endes an. Ich bedaure in diesem Zusammenhang, daß es nicht in allen Ländern des Westens möglich gewesen ist, sämtliche in den dortigen Parlamenten vertretenen Gruppen an der Arbeit des Parlamentarischen Rates mitwirken zu lassen. Ich spreche ganz offen: es sollte keine Partei, die heute irgendwo eine führende Position innehat, diese Position überschätzen. Unser Werk wird den Wählern vorgelegt werden, und diese werden entscheiden. Wenn aber nun nicht alle in den Landtagen vertretenen Parteien auch in diesem Hohen Hause vertreten sind, so wird es nötig sein, das unterstreiche ich noch einmal, daß alle Parteien, die hier versammelt sind, einträchtig zusammenarbeiten, damit ein auf breitester Basis beruhendes Werk entstehe. Ich begrüße es sehr, daß meine Vorredner hier offen und hei gesprochen haben. Diese Offenheit, verbunden mit dem Respekt vor der Meinung anderer, wird uns am schnellsten zu unserem gemeinsamen Ziel hinführen. Das große und nächstliegende Ziel jeder deutschen Politik auch in dieser Stunde, auch in diesem Hause, ist die Wiederherstellung der deutschen Einheit. Wir wollen die Einheit aber nicht mit einem zentralistischen Regime identifizieren. Die föderative Idee, wie sie meine Partei, seit Ludwig Windthorsts Zeiten138) ;) Ludwig Windthorst (1812-1889), Zentrumspolitiker, 1851-1853 und 1862-1865 hannoverscher Justizminister, seit 1867 Führer des Zentrums. M. L. Anderson: Windthorst. A Political

144

Biography.

Oxford 1981.

Dritte

Nr. 3

Sitzung des Plenums 9. September 1948

hat, hat mit Partikularismus, hat mit überlebter Kleinstaaterei, die von rein dynastischen Interessen getragen war, nicht das geringste zu tun. Wir vertreten

jeden Separatismus und jeden Partikularismus aufs schärfste Notwendigen Einheit, in allem Übrigen Freiheit, das ist meine, das ist lehnen

Mitarbeit im Parlamentarischen Rat und

ab. Im unsere

der Neu-

Richtschnur bei unserer ordnung Deutschlands überhaupt. Ich sagte eingangs bereits, daß nur die Freiheit uns befähigen kann, den Weg zu einer evolutionären Erneuerung zu beschreiten. Wir sehen diese Freiheit am sichersten und am besten gewährleistet, wenn zunächst beim Grundgesetz und später bei der Verfassung nach dem Subsidiaritätsprinzip vorgegangen wird. Was die Familie leisten kann, soll Aufgabe der Familie sein und bleiben. Daher ist beispielsweise auch die Erziehung der Kinder nach unserer Auffassung nicht Aufgabe des Staates, nicht Aufgabe der Gemeinschah, sondern einzig und allein Aufgabe der Eltern, die nach naturhah begründetem Recht für die Erfüllung dieser Aufgabe die Verantwortung zu tragen haben. Das Erziehungsrecht der Eltern ist dem Rechte aller anderen Erziehungsberechtigten voranzustellen. an

(Sehr richtig! rechts.)

Es kann nur bei Versagen oder bei Mißbrauch eingeschränkt werden. Ich akzeptiere deshalb recht gern, was in dieser Beziehung von Herrn Kollegen Dr.

ausgeführt worden ist139), aber ich bedaure sehr, mich zu dem Herrn Kollegen Heuss in einen gewissen Gegensatz bringen zu müssen. Er hat nämlich offenbar die Frage des naturhah begründeten Elternrechts zum Gegenstand einer Beurteilung in der Rangordnung der Werte der großen Erziehungsziele gemacht. Ich vermag ihm nicht zu folgen in der Auffassung, daß die Erziehung zum Menschheitsideal schlechthin der Erziehung zum sittlich-religiösen Menschen überzuordnen sei. Ich betrachte dieses Erziehungsziel dem Ziel der Bildung zum echten Menschentum als nicht unter- oder nachgeordnet. Ich sehe es als das bessere Gut an, und ich glaube, mit mir Millionen Erziehungsberechtigte in unserem Volke. Aber ich glaube, darauf kommt es hier nicht Süsterhenn

entscheidend an. Entscheidend kommt es meiner Auffassung nach darauf an, sich zu dem Grundsatz des naturhah begründeten Elternrechts zu bekennen, und dieses naturhaft begründete Elternrecht in der Erziehung und Bildung der Jugend hat, wie gesagt, nur eine Grenze, dort nämlich, wo die Eltern unfähig sind oder wo sie aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, ihre Kinder ordentlich zu und damit zerstreuen sich die Befürchtunerziehen. Rein technisch gesehen gen aller derer, die in dieser Beziehung Bedenken haben -, wird sich ja die Durchführung immer mit der These des geordneten Schulbetriebes auseinanderzusetzen haben. Wenn ich noch etwas weitergehen darf, meine Damen und Herren, so möchte ich davor warnen, diese Frage mit dem Problem der Vertriebenen in Verbindung zu bringen; denn ich hoffe mit allen in diesem Hohen Hause, daß wir in diesem Problem einig sind in der Auffassung, daß das naturhaft begründete Recht der Vertriebenen, das ein Recht aller Menschen ist, das Recht auf Hei-

139)

Dok. Nr. 2, S. 52 ff. 145

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mat, ihnen die Möglichkeit geben wird, in absehbarer oder fernerer Zeit doch wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Sehr bequem!) Nein, da bitte ich Sie, mich doch zu verstehen. Ich finde, es ist sehr bequem, diese bedauerliche Tatsache der zwangsläufigen Anwesenheit der Vertriebenen hier im Westen zum Ausgangspunkt der Aufstellung einer These gegen das naturhaft begründete Recht der Eltern auf Bestimmung über Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu gestalten. Das wollte ich hier zum Ausdruck bringen. Daß wir, Sie und ich und wir alle, uns mit allen Mitteln bemühen, in der Zeit des Zwangsaufenthalts der Vertriebenen hier ihnen das Leben in der neuen Heimat so erträglich wie nur möglich vom Boden der Gleichberechtigung aller aus zu gestalten, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber ich glaube nicht, daß man in diesem Bestreben so weit gehen kann, nun den naturhaft begründeten Anspruch der Vertriebenen auf ihre Heimat, auf die Rückkehr in ihre Heimat zu ignorieren. Ich glaube, wenn wir unser gemeinsames Anliegen so auch vor der ganzen Welt begründen, werden wir vielleicht eher zum Ziele kommen, als wenn wir aus irgendwelchen nationalen oder nationalistischen Tendenzen oder Erwägungen heraus glauben, uns für dieses Anliegen der Vertriebenen einsetzen zu müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter den Freiheiten, die das Grundgesetz und die Verfassung zu gewährleisten hat, möchte ich von meinem Standpunkt aus vor allem die Freiheit der Religionsausübung hervorheben. Die Religionsgesellschahen müssen frei sein und sich uneingeschränkt betätigen können. Die Wirkkraft ihrer Lehre darf in keiner Weise behindert oder eingeengt werden. Vom Boden des Prinzips der Subsidiarität aus sollten die Gemeinden ihr Geschick im Rahmen des Möglichen selber gestalten und lenken, und die Länder sollten für alle Aufgaben zuständig sein, die sie im Rahmen des Bundes selber lösen können. Dabei möchte ich doch davor warnen, allzuviel in die Vergangenheit und besonders in die jüngste Vergangenheit zu blicken und aus den in allerjüngster und völlig anormaler Zeit gemachten Erfahrungen entscheidende Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen von der Tatsache ausgehen, daß der Deutsche Bund, den wir schaffen wollen, ein Bedürfnis aller Deutschen ist. Solange dieser Bund nicht sichtbar vor jedem Deutschen steht, ist es möglich, daß sich die konkurrierenden Länderinteressen gegenseitig überfahren. Aber in dem Augenblick, wenn der Bund eine neue Tatsache sein wird, werden die Zentrifugalkräfte ein weit geringeres Echo im Volke finden. Sie werden es vor allem dann nicht finden, wenn dieser Bund keinen Zwang und keine Beschränkung der erlaubten Freiheit bedeutet. Wir bekennen uns zur föderativen Idee des Deutschen Bundes, in der sich die Mannigfaltigkeit zu einer sinnvollen Einheit fügt. Diese Verbindung betrachten wir als Unterpfand einer gesunden Zukunft unseres gesamten Volkes. Der Bund als Zusammenfassung der deutschen Länder soll nach demokratischen140) Gesichtspunkten aufgebaut werden. Der Bundestag soll nach unserer Auffassung -

') 146

In der

Vorlage korrigiert aus „praktischen".

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als gesamtdeutsches Parlament nach allgemeinem, gleichem, unmittelbarem Wahlrecht gewählt werden. Diese Prinzipien sollen auch für die Länder Gültigkeit haben. Dabei wünschen wir ein Wahlrecht, das die Wahlgerechtigkeit zum Zuge kommen läßt. Meiner Auffassung nach ist es ein großer Irrtum, zu glauben, daß man durch Schaffung eines bestimmten Wahlrechts die Demokratie sichern kann. Ich möchte alle, die sich hier für ein bestimmtes Wahlrecht einsetzen, gegen den Verdacht in Schutz nehmen, daß es sich dabei um die Sicherung bestimmter parteipolitischer Positionen handeln könnte. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das hier zitierte Wort Dr. Adenauers, das ich durchaus unterstreiche. Er sagte: „Es kann auch eine Diktatur einer parlamentarischen Mehrheit geben." Ein beachtliches Wort, meine Damen und Herren, für alle Befürworter und Gegner des Zweiparteiensystems141). Die deutsche Demokratie ist nur zu sichern, wenn sie Besitz ergriffen hat von Herzen und Hirnen der Menschen, die sie tragen und gestalten sollen. Die Demokratie hat ihr Schicksal selber in der Hand, und es würde ein verhängnisvoller Fehler von ihr sein, wenn sie jungen, neuaufkommenden parteipolitischen Strömungen von vornherein den Weg verlegen würde. Hier allerdings entsteht das Problem der Verankerung der politischen Parteien in der Verfassung oder in einem besonderen Gesetz, um sie auf die unveränderlichen und unveräußerlichen Grundrechte der Verfassung zu verpflichten. Sie sind staatspolitische Gebilde und der Allgemeinheit verpflichtet. Daher müssen sie auch unter die Kontrolle der Allgemeinheit gestellt werden. Der Bundestag soll nach unserer Auffassung nur dem deutschen Volke verantwortlich sein. Der Bundesrat soll nach meiner Meinung wirklicher Repräsentant der Länderregierungen und Ausdruck des föderativen Charakters Deutschlands sein. Er muß an der Gesetzgebung beteiligt werden. Diese mit dem Zentralproblem der Aufgaben dieses Parlamentarischen Rats zusammenhängenden Fragen sollten in der ersten Auseinandersetzung der Parteien nicht allzu doktrinär behandelt und festgelegt werden, sondern man muß sich bewußt sein, daß eine Einigung auf breitester Grundlage durch alle Parteien hindurch erzielt werden muß. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei allen Problemen, die die uns gestellte Aufgabe aufwirft, darf meines Erachtens an einem entscheidenden Problem, an einer ganz wichtigen Frage nicht vorbeigegangen werden: daß dieses Werk im letzten doch den Menschen zu dienen hat, den Menschen da draußen in den verschiedensten Lebensstufen und Lebensräumen, dem Menschen, der mit seiner Arbeit und seinen Steuergroschen, die er im Schweiße seines Angesichts aufbringt, das hier zu schaffende Werk sicherstellen muß. Ich möchte hier nicht auf Einzelheiten der Organisation eingehen, aber ich möchte doch darauf aufmerksam machen, daß sie nicht nur rechtlich einwandfrei, sondern auch sparsam und der ungeheuren Not unseres Volkes und seiner ungeheuren Verarmung angepaßt sein muß.

)

Das Adenauer-Wort wurde

von

Süsterhenn zitiert (Dok. Nr. 2, S. 67). 147

Nr. 3

Dritte

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Meine Damen und Herren! Wenn nicht alle Zeichen trügen, dann dürfen wir darauf rechnen, daß unser Werk nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite wachsen wird. Es ist unbedingt richtig, und ich unterstreiche hier, was von dem Herrn Abgeordneten Schmid sowohl als auch von Herrn Abgeordneten Menzel ausgeführt worden ist, daß die Demokratie davor gesichert werden muß, daß sie selbst mit Hilfe der Freiheit, die sie gewährt, unter Umständen angegriffen und vernichtet wird. Diese Sicherung scheint mir gerade deshalb notwendig, weil alles Neue sich mühsam durchringen muß und im Entstehen starken und unter Umständen stärksten Angriffen ausgesetzt ist. Gelingt es uns, diesem Neuen eine Form zu schaffen, in der es wachsen und in der es reifen kann, dann wird es nicht nur hir Deutschland, sondern für Europa und für die Welt ein Gewinn sein. Wir wollen uns schon mit dem Grundgesetz bewußt in die europäische Gemeinschaft hineinstellen, an deren Verwirklichung heute auch jenseits der Grenzen viele schöpferische Krähe täglich und stündlich unermüdlich arbeiten. Das deutsche Volk, meine Damen und Herren, kann dadurch nur gewinnen. das möchte ich hier in Gegenwart des Wenn über dem Deutschen Reichstag früheren Präsidenten des Deutschen Reichstages, des Herrn Kollegen Paul Lobe, die Worte gestanden haben „Dem Deutschen Volke"142), so wird auch sagen unser Werk die Widmung tragen: „Dem Deutschen Volke". Aus seinem Geist, aus dem Geist des deutschen Volkes möge es wachsen, und seinem Herzen soll es zugeeignet sein! -

-

(Lebhafter Beifall.) Vizepräs. Schönfelder: Meine

die

Aussprache

ist damit

Damen und Herren, die Rednerliste ist

geschlossen.

erschöph,

[3. BILDUNG DER AUSSCHÜSSE] Wir kämen nunmehr zur Bildung der Ausschüsse. Es ist Ihnen eine Liste vorgelegt worden, die im Altestenrat vereinbart worden ist143). Ich hage, ob dazu noch das Wort gewünscht wird. Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich nehme an, daß es Ihnen recht ist, wenn wir über diese Liste insgesamt abstimmen und nicht etwa über jeden einzelnen Ausschuß. Das Haus ist -

damit einverstanden. Ich lasse also darüber abstimmen. Wer mit der Zusammenstellung dieser Ausschüsse, ihrer Zahl und ihrer Gruppierung in bezug auf die Verteilung der Mandate einverstanden ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. Das ist einstimmig beschlossen. -



-

1884-1894 gebauten Reichstagsgebäude in Berlin. P. Wallot: Das Reichstagsgebäude in Berlin. Berlin 1897. Drucks. Nr. 19. Materialien zur Vorbereitung der Entscheidung durch den Altestenrat in: BayHSTA, NL Pfeiffer/175, undat. und ungez. Aufzeichnung „Vorsitz der Ausschüsse".

:) Inschrift auf dem von P. Wallot in den Jahren ) 148

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Meine Damen und Herren, es kommt nun darauf an, daß dem Sekretariat die Namen der Herren mitgeteilt werden, die in diese Ausschüsse delegiert werden, damit die Vorsitzenden der Ausschüsse, die, glaube ich, unter den Fraktionen bereits vereinbart worden sind, die Möglichkeit haben, diese Ausschüsse einzuberufen. Wird dazu noch das Wort gewünscht? Herr Abgeordneter Dr. Schmid. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte namens der Fraktion der SPD beantragen, den Besatzungsstatut-Ausschuß stärker zu besetzen als vorgesehen, und zwar nicht vier zu vier usw., sondern fünf zu fünf usw., also mit 12 statt 10 Mitgliedern -

zu

besetzen144).

Einverstanden? Dann würde die Zusammensetzung wie dem Fachausschuß für Grundsatzhagen und Grundrechte sein. Ich nehme an, daß das die Meinung ist, also 12 mit derselben Zusammensetzung, wie sie Das unter dem Ausschuß d aufgeführt ist. Wird das Wort weiter verlangt? scheint nicht der Fall zu sein. Ich lasse über diesen besonderen Antrag abstimmen. Wer damit einverstanden ist, daß eine Änderung dieser Vorlage erfolgt, den bitte ich, die Hand zu erheben. Auch das ist beschlossen. Es bleibt also dann dabei, daß die Namen jetzt der Kanzlei mitgeteilt werden und die Vorsitzenden dann von sich aus die Ausschüsse einberufen. Es ist jetzt nur noch festzustellen, wann der Parlamentarische Rat wieder zusammenzutreten beabsichtigt. Ich glaube, es ist nicht nötig, eine Plenarsitzung festzustellen. Es ist allgemein der Wunsch, daß am Mittwoch, dem 15. September, mittags die Arbeit der parlamentarischen Ausschüsse wieder aufgenommen wird. Es ist Sache der Fraktionen, ob wir diese Arbeit mit Fraktionssitzungen beginnen wollen oder ob Vorsitzende von Ausschüssen sich bereits schlüssig gemacht haben, Ausschußsitzungen einzuberufen. Es wird also wohl so sein, daß im allgemeinen die Mitglieder des Parlamentarischen Rates sich am Mittwoch mittag hier wieder einfinden. Oder wird eine andere Meinung vertreten? Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann darf ich die Sitzung schließen145). (Schluß der Sitzung 17 Uhr 2 Minuten.)

Vizepräs. Schönfelder:

-

unter

-

-

-

) ')

Zur Besetzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut siehe Der Pari. Rat Bd. 4, S. XI f. Der amerik. Verbindungsoffizier Simons empfand diese Sitzung als „decidedly boring"; man habe das auch daran ablesen können, daß sowohl die Zahl der anwesenden

Abgeordneten als auch die der sonstigen Zuhörer geringer wurde. Uber die Nachmittagssitzung berichtete er: „The afternoon of the second day was left to the other faction

Dr. Seebohm for the DP, Mr. Paul for the KPD and Mr. Brockmann for the Zentrum. Mr. Seebohm presented the wellknown position of the DP, particularly in regard to Germany's role in a European Union. Mr. Brockmann tried in vain to lift the spirits by presenting a sermon rather than a speech. Mr. Paul, KPD, was the only one who took a definite political line. He had some very pertinent criticism to offer regarding German administrative and judicial policies in the western zone. In addition he, of course, opposed the whole work of the Parliamentary Council and by indirection criticized the policy of the western powers. Had it not been for some heckling from the floor which was hardly related to the points he made, his speech would have fitted completely into the subdued and spiritless atmosphere of the meeting" (Memorandum vom 9. Sept. 1948, Z 45 F 15/148-2, folder 3).

leaders,

149

Nr. 4

Vierte

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5/13, Bl. 110-147; ungez. undat. stenogr. Wortprot.1) Z 5/120, als Drucks. Nr. 43 vervielf. Druck: Z 5/13, Bl. 106-109. Stenogr. Berichte, S. 59-65. Stenogr. Dienst: Dr. Peschel, Dr. Reynitz, Herrgesell, Dr. Koppert Z

Kurzprot.:

Dauer: 16.52-18.03 Uhr

11. GESCHÄFTLICHES]

Sitzung wird eröffnet2).

Die

um

16 Uhr 52 Minuten

durch den Präsidenten Dr. Adenauer

') Die Vorlage wurde als Druckvorlage eingerichtet und weist daher Anweisungen für den Setzer auf, vgl. Einleitung, S. XXXIX. Vereinzelt wurden Seiten aus einer maschi-

nenschr. Durchschlagfassung verwendet. Auf Bl. 111 paraphierte Adenauer seine Ausführungen. 2) Die Einberufung dieser Plenarsitzung war auf Verlangen der SPD erfolgt; ihr Ablauf wurde von der CDU/CSU in einer Fraktionssitzung am 15. Sept. 1948 vorbesprochen (Salzmann:

Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 9-11), bei der Adenauer einen Überblick über die internationale Lage gab und seine Eindrücke von Gesprächen wiedergab, die er während der Tagung der Europäischen Parlamentarischen Union in Interlaken am 1.-4. Sept. 1948 gewonnen hatte: „Die Russen wollen schon losschlagen, die Amerikaner wollen es noch hinziehen. Spätestens 1950 muß eine Entscheidung fallen." Die SPD wolle sich als „aktiv und führend in Deutschland" zeigen. „Wenn es der SPD gelingt, den Anschein zu erwecken, daß sie die führende Partei ist, so wird sie auch nach 1950 die führende Partei werden." Bei den Militärgouverneuren löste die geplante Tagesordnung Unwillen aus. Dr. Leisewitz (BdMinPräs. Bad Godesberg) berichtete unter dem 16. Sept. 1948 hierzu: „Sofort, nachdem den drei Militärgouverneuren am späteren Vormittag zum Teil aus Presse und Rundfunk bekannt geworden war, daß der Parlamentarische Rat eine Vollsitzung zusammenberufen habe, mit der Absicht, sich mit den Ereignissen in Berlin zu befassen, veranlaßten die drei Militärgouverneure ihre Delegierten beim Parlamentarischen Rat, dessen Präsidenten, Herrn Dr. Adenauer, in einer Demarche darauf hinzuweisen, daß es nach Ansicht der Militärgouverneure über den Rahmen der Befugnisse des Rates hinausginge, wenn dieser sich mit Fragen der Außenpolitik befaßt. Der Auftrag des Rates beschränke sich auf Verfassungsfragen, an denen der Rat im Laufe der Zeit wachsen könne. Es sei aber nicht seine Aufgabe, sich in den innenpolitischen Streit in Deutschland zu mischen und darüber hinaus noch Fragen aufzugreifen, über deren internationale Tragweite er sich kein Urteil bilden könne. Selbstverständlich, so erklärte der französische Verbindungsoffizier Joos, haben sich die drei Militärgouverneure gehütet, dem Rat die angesagte Sitzung zu verbieten, denn er sei ja im Rahmen seiner Befugnisse selbständig. Durch schlechte Verbindung zwischen Frankfurt und Bonn sei es den Verbindungsoffizieren außerdem erst eine halbe Stunde vor Beginn der Sitzung möglich gewesen, den Präsidenten, Dr. Adenauer, zu sehen. Sie seien unter anderem auch an der Rheinfähre mehr als dreiviertel Stunden lang aufgehalten worden. Der Empfang bei Dr. Adenauer sei ausgesprochen kühl gewesen, und er habe es abgelehnt, die Verantwortung für eine Absage der Sitzung in letzter Minute zu tragen. Auch der von Herrn Dr. Adenauer einberufene Ältestenrat habe dieselbe Ansicht vertreten, so daß in letzter Minute die Fraktionen aus dem Sitzungssaal hinaus und zur Entscheidung gerufen wurden" (Z 12/36, Bl. 145 f.); siehe auch Anm. 16.

150

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Präs. Dr. Adenauer: Ich eröffne die Entschuldigt haben sich die Herren

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Sitzung.

Heile, Seifried und Dr. Seebohm3).

[2. FESTSTELLUNG DER TAGESORDNUNG] Meine Damen und Herren! Es stehen zwei Punkte auf der Tagesordnung, zunächst eine Erklärung, die ich im Auftrage der Fraktionen dieses Hauses mit Ausnahme der KPD abzugeben habe. Nach einem Beschluß des Ältestenrates wird im Anschluß daran eine Diskussion gestattet sein, bei der jede Fraktion bis zu 10 Minuten Redezeit hat.

(Paul: Zur Geschähsordnung!) Wir werden danach eine kurze Pause machen und dann dazu Ausschüsse

zu

wählen.

übergehen,

die

Zur Geschähsordnung Herr Paul! Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Der Präsident hat bereits mitgeteilt, daß hier eine Erklärung sämtlicher Fraktionen mit Ausnahme der kommunistischen Fraktion abgegeben werden soll. Diese Erklärung befaßt sich im wesentlichen mit den Berliner Angelegenheiten. Es dürfte aber den Interessen der Berliner Bevölkerung und auch den Belangen der deutschen Gesamtbevölkerung nicht dienlich sein, wenn man durch einen Demonstrationsakt die Lage der Berliner Bevölkerung erschweren und die Verhandlungen der Besatzungsmächte über die Einigung in der Berliner Angelegenheit4) stören würde. Präs. Dr. Adenauer: Herr Paul, ich bitte Sie, zur Geschäftsordnung zu sprechen. Ich stelle deshalb folgenden Antrag: Paul (KPD): Jawohl! Der Parlamentarische Rat beschließt, die vorgesehene Erklärung von der Tagesordnung abzusetzen. Ich bitte um Abstimmung darüber, Herr Präsident. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen5) und Herren! Wir haben zunächst darüber abzustimmen, ob Sie mit der Tagesordnung, wie ich Sie fhnen auf Grund des Beschlusses des Ältestenrates6) mitgeteilt habe, einverstanden sind. Ich bitte -

3) Adenauer hatte das Sekretariat des Pari. Rates darum gebeten, ihm jeweils eine Liste der Abgeordneten vorzulegen, die entschuldigt den Sitzungen fernblieben (Z 5/10, Bl. 3). 4) Zu den Verhandlungen der Alliierten um Berlin und zur Lösung der Berlinkrise siehe Dok. Nr. 1, Anm. 19.

5) „Damen und" in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 6) Siehe der Pari. Rat Bd. 10, Dok. Nr. A5. Die CDU/CSU hatte auf ihrer Sitzung vom gleichen Tag beschlossen (siehe Anm. 2), der Ältestenrat solle die Bekanntgabe einer

Resolution zu den Berliner Verhältnissen beschließen. Überlegungen, daß bei diesem Anlaß Adenauer selbst einige Worte spreche, wurden von diesem mit dem Hinweis beantwortet, er habe als Präsident ganz neutral zu sein und dürfe nicht Sprecher einer Partei sein. Der Ältestenrat könne auch nicht beschließen „keine Diskussion", er könne es nur vorschlagen. „Wenn die Kommunisten reden, dann vereinbaren, daß keiner etwas sagt. Im übrigen müssen die Kommunisten sachlich behandelt werden wie alle anderen Parteien" (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 11). Die Resolution wurde, vermutlich versehentlich, gleich zweifach als Drucks, vervielfältigt, einmal als Drucks. Nr. 28 und ein weiteres Mal als Drucks. Nr. 30. Die Urschrift mit handschr. Korrekturen in: Z 5/210. 151

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diejenigen

von

Sitzung des Plenums

September 1948

Tagesordnung einverstanden sind, eine diejenigen, dagegen sind. Das ist die MinderAntrag Paul erledigt.

Ihnen, die

Hand zu erheben. heit. Damit ist der

15.

Nun

-

mit dieser

die

-

[3. ENTSCHLIESSUNG ZU DEN URTEILEN DES RUSSISCHEN MILITÄRGERICHTS BERLIN UND ZUR LAGE IN DER OSTZONE]

IN

Ich komme zur Verlesung der Entschließung der Fraktionen dieses Hauses, mit Ausnahme der kommunistischen Fraktion: Der Parlamentarische Rat hat den Auftrag, dem deutschen Volke ein Grundgesetz zu schaffen, in dem die Gedanken der Freiheit und der Gerechtigkeit wieder ihren gemäßen Ausdruck finden sollen. Der Parlamentarische Rat fühlt sich innerlich berechtigt und dazu berufen, auch schon bevor er sein eigentliches Werk hat vollziehen können, in den Lebensfragen des deutschen Volkes seine Stimme zu erheben, da er das einzige Organ ist, das Recht und Beruf hat, in Freiheit für das gesamte deutsche Volk zu sprechen. Zu einer Zeit, da wir im Westen die Grundlagen einer neuen demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung schaffen, werden in Berlin und in der Ostzone dem Volke die elementarsten Lebensrechte verweigert. Die Diktatur, die mit dem Siege der alliierten Mächte endgültig gestürzt schien, erschien unter neuen Zeichen. Mit Bestürzung hat das deutsche Volk vernommen, daß ein russisches Militärgericht fünf Teilnehmer an der Freiheitsdemonstration der Berliner Bevölkerung je zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt hat7). Weiteren droht dasselbe Schicksal. Ganz offensichtlich haben diese Urteile den einzigen Zweck, durch in Rechtsform gekleideten Terror das Berliner Volk in Furcht und Schrecken zu setzen, um seinen Widerstand zu lähmen. Diese Maßnahme ist nur ein Glied in der langen Kette planvoll erdachter und unbarmherzig durchgeführter Unter-

drückungshandlungen. 7) Als Protest gegen Willkürmaßnahmen von Ostberliner Behörden am 6. Sept. 1948 war eine Sitzung der Berliner Stadtverordnetenversammlung verhindert worden war es am 9. Sept. 1948 zu einer von SPD, CDU und LDP einberufenen Großkundgebung mit ca. -

-

gekommen, bei der es zu Zusammenstößen mit der Polizei des Sektors kam, die das Feuer eröffnete. Der 15jährige Wolfgang Scheuenmann erlag dabei seinen Verletzungen. Unter anderem wurde die Sowjetflagge vom Brandenburger Tor gerissen. Britische Militärpolizei verhinderte weitere Zusammenstöße mit sowjetischen Soldaten am Sowjetischen Ehrenmal. Am 13. Sept. 1948 wurden fünf Verhaftete, darunter vier Jugendliche im Alter zwischen 16 und 20 Jahren, von einem sowjetischen Militärtribunal zu jeweils 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Keesings Archiv der Gegenwart. 18./19. Jhrg. (1948/49), S. 1631 f. und S. 1649. Eine detaillierte Darstellung der Ereignisse auch in der Neuen Zeitung vom 11. Sept. 1948, S. 1: „Hunderttausende demonstrieren für Freiheit". Der Informationsdienst des Pari. Rates vom 15. Sept. 1949 (Z 12/93, Bl. 89 ff.) informierte in der Titelgeschichte „Das aktuelle Thema" über das Urteil, das später gemildert wurde (Neue Zeitung vom 25. Sept. 1948, S. 1). Clay berichtete, die riesige Zahl der Teilnehmer sei für die Deutschen eine große Überraschung gewesen und hätte die deutschen Politiker zu entflammenden Reden verleitet. Die Briten hätten die Veranstaltung angesichts der geplanten kommunistischen Massenaktionen nicht verbieten können, doch man spiele dabei mit Dynamit (Smith: Clay Papers Bd. 2, S. 857). 300 000 Teilnehmern

sowj.

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Wir wissen, daß alle diese Maßnahmen gegenüber dem Freiheitswillen des deutschen Volkes im Osten und in Berlin zuschanden werden müssen. Wir würden aber unsere Menschenpflicht versäumen, wenn wir nicht im Angesicht der ganzen Welt darauf hinwiesen, daß in einem Teile Deutschlands keine der vier Freiheiten, um derentwillen der Krieg geführt wurde, ihre Stätte hat. Besonders die Freiheit von Furcht, ohne die eine Demokratie undenkbar ist, wird dort der Gesamtheit und dem einzelnen vorenthalten. Die Menschheit möge erkennen, daß der Kampf, der heute im Osten Deutschlands geführt wird, ein Kampf für alle Menschen ist und daß in ihm das Volk von Berlin und Ostdeutschland für die ganze Menschheit stellvertretend steht, für die ein Leben ohne Freiheit kein Leben ist. Der Parlamentarische Rat bringt seine unlösbare und unerschütterliche Verbundenheit mit der Bevölkerung Berlins und dem gesamten deutschen Osten und mit ihrer beispielhaften tapferen Haltung zum Ausdruck. Dem deutschen Volke in Berlin und in der Ostzone rufen wir zu: Kämpft diesen Menschheitskampf8) für Freiheit und Recht so unerschrocken weiter, wie ihr ihn bisher geführt habt! Die Welt wird es euch danken.

(Lebhafter Beifall.) Das Wort hat Herr Dr. Pfeiffer. Dr. Pfeiffer (CSU): Hohes Haus! Wir alle haben in den letzten Monaten, manchmal in atemloser Spannung, die Entwicklung der Dinge in der Ostzone und insbesondere in Berlin verfolgt. In den letzten Tagen hat nun die Entwicklung eine geradezu dramatische Steigerung erfahren9), und wohl selten ist der Rundfunkapparat so viel aufgedreht worden wie in den allerletzten Tagen. Wohin man kam, hörte man die Menschen von dem sprechen, was in Berlin in diesen Tagen vor sich geht. Überall waren Stimmen lebendigsten Mitgefühls zu hören, aber auch die Stimme des Stolzes darauf, wie tapfer unsere Brüder im Osten ihr Schicksal tragen und wie sie Vorposten sind für den Gedanken des Rechts und der politischen Freiheit.

(Bravo!)

Wir alle, die wir hier versammelt sind, um ein Grundgesetz für einen staatlichen Aufbau zu schaffen, haben uns geistig auf diese Aufgabe vorbereitet. Das ist auch in der Aussprache der letzten Woche zum Ausdruck gekommen. Wir haben uns innerlich darauf vorbereitet, indem wir uns aufs tiefste in das hineinversenkt haben, was der Begriff eines Rechtsstaates, was insbesondere Grundrechte und Menschenrechte in unserer Zeit bedeuten. Wir haben in den letzten 15 Jahren eine schwere Schule durchschritten und wissen alle das Gut eines Rechtsstaates aufs höchste zu schätzen. Noch mehr aber haben wir aus unseren eigenen Schicksalen es ist eine ganze Reihe von Mitgliedern in diesem Hohen Haus, die selbst im Gefängnis oder im KZ gesessen sind und in Verteidigung der —

8) 9)

In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Kampf". In Berlin war es in der ersten Septemberhälfte zu zahlreichen, teils auch gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen. Die Stadtverordnetenversammlung und der Magistrat von Großberlin hatten sich praktisch geteilt. Berlin. Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung 1946-1948, S. 622 ff.

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Freiheit des Gewissens Opfer gebracht haben in diesen 15 Jahren gelernt, daß die Menschenrechte, die Grundrechte, daß die politische Freiheit, die Freiheit der Überzeugung die höchsten unserer menschlichen Güter sind. Wie könnten wir, die wir mitleben und mitempfinden, was unsere Freunde in Berlin und in der Ostzone durchzustehen haben, schweigen und nicht Bekenntnis und Zeugnis für die Zusammengehörigkeit des ganzen deutschen Volkes ablegen? Wir wollen ein Grundgesetz schaffen, das der Vorläufer einer künhigen Verfassung sein soll. Wir wollen einer Verfassung des Weg bereiten, welche in unserem deutschen Volke in höchsten Ehren stehen soll. Die Treue und das Bekenntnis zu ihr soll die höchste unserer Bürgertugenden sein. Wenn wir eine Verfassung schaffen wollen, die Bekennermut zu ihr als dem großen Gesetz unseres staatlichen Lebens fordert, dann müssen auch wir selber, mag die Aufgabe des Parlamentarischen Rates auch enger umrissen sein, Bekenntnismut haben zu unseren Brüdern im Osten, in Berlin. Denn was heute im Osten, was in Berlin geschieht, macht unsere Berliner Freunde und unsere Freunde im Osten zu Bekennern der Gedanken, die wir in unserem Grundgesetz und in der künhigen Verfassung niederlegen wollen. Darum neigen wir uns in Achtung und Ehrfurcht vor diesen unseren Freunden, die auf Vorposten für die großen Güter der Menschheit, den Rechtsstaat und die Grundrechte, kämpfen. Wenn gerade ich, der ich aus dem Südosten komme, aus einem Lande, wo man sich manchmal scherzhaft mit den Berlinern auseinandersetzt und wo manches Histörchen umläuft, das ausspreche, dann wollen Sie daraus ersehen, welch völlige Einmütigkeit uns alle erfüllt. Diese Einmütigkeit geht über alle Unterschiede der Zonen und Parteien hinweg und läßt uns stolz sein auf die Brüder im Osten, die einen so heldenhahen Kampf um Recht und Freiheit führen. So entspricht die Entschließung, die der Herr Präsident soeben vorgetragen hat, nicht nur einer Vereinbarung der Fraktionen, sondern sie ist das geformte Bekenntnis von Empfindungen des Stolzes, von Empfindungen der Treue, die uns alle miteinander erfüllen. -

(Lebhafter Beifall.)

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Schmid. Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren! Gestern erreichte uns die Schrekkensnachricht, daß ein russisches Militärgericht in Berlin fünf junge Deutsche im Alter von 16 bis 25 Jahren zu je 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt hat10). 25

Jahre Zwangsarbeit bedeutet Deportation nach Sibirien, und Deportation nach Sibirien, meine Damen und Herren, bedeutet Mord. Und wenige Tage vorher die Polizei jenes Ritterhat die Polizei des sowjetischen Sektors in Berlin

kreuzträgers Markgraf11)

-

auf das Volk

von

Berlin

geschossen12). —

Diese Urteile

') Siehe Anm. 7. ) Unmittelbar nach der Besetzung Berlins hatte die SMAD das Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland, Ritterkreuzträger Paul Markgraf (*1910), mit dem Amt des Berliner Polizeipräsidenten betraut und ihn formal zwar dem Magistrat, in der Praxis aber dem Stadtkommandanten unterstellt (Schlegelmilch: Hauptstadt, S. 125). Im Nov. 1947 brachte die SPD in der Berliner Stadtverordnetenversammlung einen von der CDU und der LDP unterstützten Mißtrauensantrag gegen ihn ein, weil in Berlin bisher 5 413 Personen verschwunden seien. (Munzinger-Archiv vom 18. Dez. 1965). ) Zu den Schüssen in Berlin siehe Anm. 7.

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und diese Schüsse haben Vorläufer: nicht nur in den Urteilen der Sondergerichte und des Volksgerichtshofs der nazistischen Terrorherrschah, sondern auch in den Urteilen der Kriegsgerichte, deren Gerichtsherr vor 100 Jahren der preußische Kartätschenprinz13) war, in den Galeerenedikten der Bourbonen in Neapel gegen die Gefährten Garibaldis14) und Mazzinis15), in den administrativen Verbannungsdekreten der Polizei des Zaren und in den Schüssen auf die Demonstranten des Januar 1905 auf dem Platz vor dem Winterpalais in St. Petersburg. Der Zweck war immer der gleiche. Diese Maßnahmen sollten den Freiheitswillen der unterdrückten Völker lähmen und die Mutigen schrecken, diesem Freiheitswillen Ausdruck zu verleihen. Dies hat zu allen Zeiten zur Technik der Gewaltherrschah gehört. Wir würden, meine Damen und Herren, unsere Pflicht versäumen, wenn wir zu diesen Dingen schwiegen. Hier ist es nicht genug, mit zu leiden; hier gilt es, sich am Kampfe zu beteiligen und das Seinige zu tun, daß er siegreich zu Ende gehihrt wird. (Sehr gut! bei der SPD.) Niemand kann hei sein, wenn nicht alle hei sind! Darum haben an den Freiheitskämpfen eines Volkes immer auch die heiheitsliebenden Menschen aller Völker teilgenommen ohne zu fragen, ob sie dazu durch irgendwelche Texte ermächtigt sind. Auf der Herzseite der Menschheit gibt es keine Kompetenzprobleme! Wir sind kein allgemeines Parlament, das ist wahr. Wir sind aber die einzige Stelle in Deutschland, deren Abgeordnete für eine gesamtdeutsche Aufgabe gewählt worden sind, zwar nur mit den Stimmen der Deutschen, die ihre Stimme in Freiheit abgeben konnten, aber dazuhin legitimiert durch die Zustimmung der überwältigenden Mehrheit der Deutschen in Berlin und der Ostzone. (Löbe: Sehr richtig!) Wenn ein solches Gremium angesichts der Ungeheuerlichkeiten dieser Tage schwiege und sich auf sein technisches Aufgabengebiet beschränkte, würde es mit Recht von den Deutschen mitsamt seinem Werke verworfen werden! (Sehr gut! bei der SPD.) Denn woher bekommt ein Gesetz, das die Lebensordnung eines Volkes aufstellt, seine innere Legitimität, wenn nicht davon, daß jene, die es schaffen, je und je beweisen, daß sie bereit sind, den Werten, auf denen diese Lebensordnung ruhen soll, überall Geltung zu verschaffen? -

(Bravo!)

Wenn Gewalt sie gefährdet und zerbricht sei es, wo es wolle -, gilt es, aufzustehen und die Menschen aufzurufen seien sie, wo auch immer sie wollen -, Front zu machen und dem Übel zu widerstehen. -

-

13) Bezeichnung

für Wilhelm I. (1797-1888) als Prinz von Preußen und Symbolfigur der Reaktion in Preußen im Kampf gegen die Revolution von 1848. 14) Guiseppe Garibaldi (1807-1882), italienischer Freiheilskämpfer und Politiker. 15) Guiseppe Mazzini (1805-1872), italienischer Freiheitskämpfer. 155

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Man hat uns die Kompetenz dafür bestritten1"). Man hat uns gesagt, wir hätten keine andere Aufgabe als die, das Grundgesetz zu beraten und zu beschließen. Aus diesem Zirkel herauszutreten sei uns verwehrt. Nun, wenn wir ein Grundgesetz machen sollen, das nicht nur ein Stück Literatur sein soll, dann müssen wir die Möglichkeit haben, über die Wirklichkeit zu reden, in die hinein wir

das

bauen sollen. bei der SPD.) (Sehr gut! Ein solches Verhalten in dieser Zeit und innerhalb der Umstände, unter denen Europa heute zu leben hat mag gewiß zu den Schwierigkeiten, unter denen gewisse Verhandlungen leiden, noch eine weitere hinzufügen. Wir verstehen, daß jene, die für das Gelingen dieser Verhandlungen verantwortlich sind, über unseren Schritt vielleicht ungehalten sein werden. Wir meinen aber, daß wir dem Frieden einen besseren Dienst erweisen, wenn wir Verbrechen gegen die Freiheit der Menschen, die bei uns verübt werden, anklagen, als wenn wir es dem Vogel Strauß gleichtun. 1938 und 1939 hat man es dem Strauß Die Vogel gleichgetan. Folgen waren: immer ruchlosere Unterdrückung freier Völker und ein Weltkrieg. Das hätte vermieden werden können, wenn man damals, statt opportunistisch zu schweigen, die Gefahr laut in die Welt hinausgerufen hätte. Man muß es manchmal laut sagen, daß die Drei Gewaltigen vor der Türe stehen. Das Ereignis, das uns hier zusammengerufen hat, ist nur ein Glied in einer langen Kette von Schändungen der Freiheit und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Seit drei Jahren sind Tausende von Menschen in Berlin und in der Ostzone verschwunden. Niemand weiß, was ihnen vorgeworfen wird, es sei denn, daß sie sich nicht entschließen konnten, auf ein Leben in der Freiheit zu verzichten. Tausende sind in die alten Konzentrationslager geworfen worden, die nun statt des Hakenkreuzes ein anderes Zeichen tragen. Tausende sind mit unbekanntem Ziele deportiert worden. Von Hunderten weiß man, daß sie verdorben und gestorben sind, darunter Kinder.

Grundgesetz

-

-

) Siehe Anm.

2. Nach einem Bericht des Political Advisor bei

OMGUS, Robert Murphy, Pari. Rates sehr ungehalten: „Last evening Clay, incensed over the Berlin resolution, was all for some public denunciation on his part of their action. I believe I have dissuaded him, but I am not sure. While I share his feeling, my advice is that he and Robertson call old man Adenauer down here and possibly some of us would also have talks with Reuter and Kaisen, and Schmid, for the purpose of driving home to these gentlemen that they are doing their own cause damage by distorting the use of the Parliamentary Council to purposes for which it is not intended. As you know, there isn't a great deal that we can teach these people about small-time party politics, and that particular form of indoor sport is developing too rapidly to suit my taste. There is an obvious tendency to play around with the Parliamentary Council for party political purposes, and there is, of course, a great deal of jockeying by individuals for place. A number of them see in the present circumstances a good opportunity to make capital over such issues as reparations and the Berlin situation, and there is a tendency to drag heels on the constitutional work for which the Council is designed" (Foreign Relations 1948, Vol. II, S. 421 f.). Am 30. Sept. 1948 wurde Adenauer ein Schreiben der Militärgouverneure ausgehändigt, das auf die beschränkte Zuständigkeit des Pari. Rates hinwies (Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 8, Dok. Nr. 7).

reagierte Clay auf die Resolution des

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In der Ostzone hindert ein

allgemeiner Terror und das dichte Netz einer Partei, die sich zum billigen Werkzeug einer politischen Polizei hat machen lassen, die Bevölkerung an wirksamer Verteidigung. Jenen, die sich nicht unterwerfen wollen, bleibt nur die Flucht. In Berlin aber, wo, bisher wenigstens, eine Viermächteverwaltung es der Masse der Bürger erlaubt, ihren Willen zu äußern, hat das Volk gezeigt, daß die Deutschen bereit und fähig sind, für die Freiheit zu kämpfen, zu kämpfen unter schwersten Opfern, waffenlos, ganz auf sich selbst gestellt und ohne das anfeuernde Pathos eines Bastillesturms. Es gehört schon etwas dazu, wenn die Leute aus dem Ostsektor vor den Reichstag ziehen und dort mit ihren Brüdern aus den anderen Sektoren zu Hunderttausenden demonstrieren, um der Gewaltherrschah Kampf anzusagen und an das Gewissen der heien Welt zu appellieren. Und es ist schon ein blutiger Hohn, daß ehe sie an der Macht waren eine Polizei, die Leuten untersteht, die früher nicht genug über das Blutregiment der Polizei der Republik von Weimar donnern konnten, heute nicht nur mit Knüppeln auf wehrlose Menschen losdrischt, sondern auch mit Karabinern in die heimwärts hutende Menge schießt, dabei Menschen verletzt und einen 151/2jährigen Knaben ermordet, der sich schützend vor eine angegriffene Krankenschwester gestellt hatte17). Aber die Urheber dieser Greuel haben die Rechnung ohne das deutsche Volk gemacht. Dieses Volk weiß jetzt nach zwölf Jahren Unterdrückung durch den Hitler-Terror, was es heißt, die Freiheit zu verlieren. Es weiß, daß ein Leben ohne Freiheit sich zu leben nicht verlohnt und daß es besser ist, für die Freiheit kämpfend unterzugehen, als den Nacken unter die Schande und die Schmach politischer Polizeien und des Machtapparats totalitärer Parteien zu -



beugen.

In Berlin

geben die Deutschen heute der Welt Gelegenheit, sich von ihrer demokratischen Entschlossenheit zu überzeugen. Wer so kämph wie die Berliner, beweist, daß Demokratie ihm nicht Lippenbekenntnis, sondern Lebenselement ist. Wir im Westen aber sollten den Berlinern nicht nachstehen; wir müssen so demokratisch sein wie sie, das heißt, so bereit wie sie, jedes Opfer für die Freiheit und das Recht der Selbstbestimmung zu bringen, das sie gebracht haben. Wir müssen darüber hinaus ihnen jede Hilfe bringen, deren sie bedürfen, materielle Hilfe im allerweitesten Sinne des Wortes, und möge sie auch noch so große Opfer kosten; vor allem aber die moralische Hilfe, die das Bewußtsein verleiht, daß man im Kampf um ein hohes Gut nicht allein steht und daß die Freunde der Freiheit in der ganzen Welt den Ruf jener hören, die für sie auf die Barrikaden gestiegen sind. Wir müssen endlich überall in der Welt begreifen, worum es geht. Noch ist es Zeit! (Lebhafter Beifall.)

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Heuss. Dr. Heuss (FDP): Meine Damen und Herren! Es wird einmal in der Distanz der Zeit irgendein Balladendichter das, was wir in diesen Monaten erlebt haben und erleben, zu formen verstehen, jene sehr merkwürdige Begegnung der Dämonie der Technik, die vernichtet, mit der Hilfskraft der Technik, die retten

17) Siehe Anm.

7.

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kann. Aber eine solche ästhetisch-historische Betrachtung dessen, was wir erleuns nicht an, die wir selber in diese Gegenwart gestellt sind und nun überfallen werden, eh und je, von dem Schmerz, von der Angst für das Schicksal derjenigen unter den vielen, die wir kennen. Und so ist es ganz natürlich das andere wäre unnatürlich -, daß gerade die Alarmnachrichten dieser letzten Tage an unsere Seele rührten, und zwar so, daß uns die politische Frage dabei ganz gleichgültig ist, nämlich jene politische Frage der abtastenden Klugheit, die etwa in den Worten des Herrn Paul einen vorsichtigen Ausdruck suchte, daß unser Wort hier eine Störung werden könne, die wir doch nicht verantworten könnten, eine Störung zwischen den Bemühungen der Besatzungsmächte, über Berlin zu einem Verträgnis zu kommen. Wenn wir den Mund zu dem aufmachen, was dort geschehen ist, so versündigten wir uns an den Berlinern. Herr Paul wird es uns nachher gleich erzäh-

ben, steht

-

len18).

So ist es nicht. In der Erklärung, die der Herr Präsident soeben vorgetragen hat, steht ein kleines, scheinbar nebensächliches Wort, aber vielleicht das entscheidende in einem doppelten Sinne. Es ist darin davon die Rede, daß das, was in Berlin geschieht, was dort gelitten und gekämpft wird, „stellvertretend" sei. Das stellvertretende Opfer einer Massenbevölkerung ist ein unerhörter geschichtlicher Vorgang, dessen Zeugen wir in Bewunderung sind. Sehr merkwürdig ist die Nebenwirkung, die auch schon durch die Worte des Kollegen Dr. Pfeiffer durchgeklungen ist, und es war sehr schön, daß diese Worte von Bayern kamen: Dieses Berlin hat sich in den letzten Wochen in die Seelen der Deutschen hineingekämph und hat sie gewonnen. Das wollen wir bei all dem Leid, das die Bevölkerung dort erlebt, doch auch als ein geschichtliches Plus im Hinblick auf unsere Aufgabe hier ansehen. Denn im deutschen Westen und Südwesten war es eine Zeitlang Mode, von dieser Stadt gering zu reden. Sie ist an die Grenze gerückt. Sie ist ein neues Babel, und was man sonst noch gesprochen haben mag. Heute spüren im Respekt auch jene, die sich nicht gern daran erinnern, was sie ehedem von Berlin gesprochen haben, was diese Stadt im deutschen Schicksal bedeutet hat und immer bedeuten wird. Um was es sich bei der Auseinandersetzung handelt, ist ja nicht bloß Berlin. Vielleicht könnten die Berliner manchmal der Meinung sein, man sollte nicht zuviel von ihnen reden. Man vergißt dabei vielleicht zu sehr, was in anderen Städten, Orten, Gemeinden, Dörfern, Weilern im Osten sonst geschieht. Aber es ist nicht nur ein geographisch umschriebenes Stück deutschen Schicksals, was wir vor uns sehen, sondern hier steht Deutschland stellvertretend19). Deshalb ist unsere Reaktion nicht nur eine deutsche Reaktion. Hier wächst das primitive Problem auf vom Menschenrecht. Ich sage: primitiv; denn wir müssen29) die Sache zunächst rein gefühlsmäßig sehen. Es wird unerträglich, daß Menschen,

) Siehe unten S. 159. ') „Stellvertretend" in der Vorlage handschr. hinzugefügt. ') In der Vorlage handschr. korrigiert aus „wollen". 158

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deutsche Menschen, zum Rohstoff der Gewaltmethoden und des Machtkampfes der anderen geworden sind und weiter bleiben sollen. Man hat davon gesprochen, unsere Unterhaltung an diesem Nachmittag, unsere Stellungnahme, unser Ruf an den Osten möchten als taktisch nicht ganz klug erscheinen; wir seien hierher gekommen, wir setzten uns in Ausschüssen zusammen, um Paragraphen zu machen. Aber was hat das ganze Paragraphengespinst für einen Sinn, wenn es nicht mit dem verbunden bleibt, was wir erleben? Deshalb auch in der Erklärung das Wort: Es ist nicht bloß eine deutsche, nicht bloß eine Berliner, sondern es ist eine Menschheitsfrage. Das Wort klingt pathetisch; aber denen, die den Weg, den wir heute gehen, mit Mißbehagen ansehen, die raten: „Bleiben wir doch in dem Paragraphengehege; wir haben keine Politik zu betreiben!", erklären wir: allein die Tatsache, daß wir hier sind, ist ein Stück Politik. Wir sind hier das Stück Deutschland, das sprechen kann. Und wir sagen den andern: tua res agitur! Es handelt sich nicht nur um uns, sondern darum, ob hinter all den Bekundungen und Bekenntnissen, mit denen wir überschüttet worden sind, auch die Bereitschah steht, das ernst zu nehmen, was wir ernst nehmen und was, wenn die Welt es nicht ernst nimmt, den Zusammenbruch der humanen, der abendländischen, der uns gemeinsamen Gesinnung überhaupt bedeutet.

(Sehr wahr!)

Wir haben den seelischen Zusammenhang noch nicht; wir kämpfen um ihn. Wir geben selber unseren Beitrag. Mag die Welt an dem mäkeln, was wir reden, wir werden uns dadurch nicht stören lassen. Aber die Welt soll dann selber spüren, die Welt der Sieger, daß sie an ihrem eigenen Auhrag schuldhaft geworden ist.

(Lebhaher Beifall.)

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Paul. Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Wie schon in den letzten Sitzungen, so maßen sich auch heute Vertreter der verschiedensten Parteien das Recht an, im Namen des gesamten deutschen Volkes zu sprechen. In Wirklichkeit reichen ihre Befugnisse aber nicht weiter, als die Grenzen dieser Parteien reichen. Deutschland kommt hier nur in einem sehr beschränkten Umfang zu Worte. Nicht in eigener deutscher Zuständigkeit wurde dieses Gremium berufen, sondern durch das Diktat der westlichen Besatzungsmächte. (Schmid: Warum sind Sie dann da? Heiterkeit.) Die Zuspitzung der Verhältnisse in Berlin, die man hier offen oder versteckt zum Anlaß nimmt, eine kriegstreiberische Propaganda vom Stapel zu lassen, ist gerade von jenen Parteien organisiert und gefördert worden, die hier das Wort Freiheit so oft in den Mund nehmen. (Lauter Widerspruch. Zurufe: Was machen Sie?) Ich sage Ihnen: Sie haben die Menschen in Berlin aufgeputscht und zu der Kundgebung vor dem Reichstag zusammengerufen. Vorher schon hatte man wochenlang jene schwarze Industriepolizei, bestehend aus SA- und SS-Leuten, -

-

-

organisiert21). )

In der

Vorlage „organisiert" handschr. hinzugefügt. 159

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(Zuruf: Markgraf!22)

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Heiterkeit.)

Sie wurden in diese Demonstration getrieben. (Zuruf: SA und SS sind doch bei Ihnen, Herr Paul! Sehr richtig!) Präs. Dr. Adenauer: Einen Augenblick, Herr Paul! Meine Herren, ich bitte doch, die 10 Minuten Redezeit des Herrn Paul nicht mit Zwischenrufen zu verkürzen, oder machen Sie gute Zwischenrufe! -

-

(Heiterkeit.) Paul (KPD): Ihre Vertreter23) haben durch hetzerische Redensarten versucht, in Berlin Zusammenstöße mit den Vertretern des demokratischen Berlin zu provozieren.

(Dr. Schmid: Das war Herr Markgraf!) Selbst die britische Militärzeitung „Die Welt"24) muß zugeben, daß die Polizei der sowjetischen Besatzungszone Berlins von aufgehetzten Jugendlichen mit Steinen beworfen wurde, daß aus der Menge heraus Schüsse auf die sowjetische Besatzungsarmee abgegeben wurden. (Dr. Schmid: Haben Sie so auch 1932 gesprochen?)25) Sie haben von Schüssen in Berlin gesprochen. Nun, wir sind dessen eingedenk, daß am 1. Mai 1929 unter der Führung Ihres Parteigenossen Zörgiebel Dutzende Berliner Arbeiter zusammengeschossen wurden26). (Dr. Schmid: Was haben Sie damals gesagt?) Ich sage Ihnen: Weil wir die Lehre aus der Vergangenheit gezogen haben, wollen wir nicht wieder, daß jene faschistischen Mordbuben gegen demokratische Arbeiter aufmarschieren. Die Parteien des Bürgertums und auch die Sozialdemokratische Partei Berlins bedienten sich dieser Provokateure, um Zusammenstöße zu organisieren, weil diese Parteiführer kein Interesse haben an einer Verständigung über Berlin und an einer Verständigung unter den Alliierten über das gesamtdeutsche Problem. (Dr. Schmid: Arme Unschuld!) Ich sage Ihnen: Ich möchte gern einmal sehen, wenn hier im Westen Deutschlands Demonstranten Schüsse gegen die Militärpolizei der Besatzungsmächte abgäben, wie diese Militärpolizei dann antworten würde! Aber alles hat in der Geschichte schon eine Parallele. Das sind dieselben Provokationsstückchen reaktionärer, chauvinistischer Elemente, wie wir sie im Jahre 1923 bei der Firma Krupp gesehen haben, wo man ebenfalls die Massen aufwiegelte gegen die Besatzungsmacht, wo die Drahtzieher sich dann zurückzogen und die Arbeiter von den französischen Besatzungstruppen aufs Pflaster

-

-

22) 23)

24j

Zu Markgraf siehe Anm. 11. In der Vorlage handschr. korrigiert

aus

„Sie".

Siehe den Artikel „Berlin rief die Welt" in: „Die Welt", 3. 11.

Sept.

Jahrgang,

Nr. 1097, S. 1

vom

1948.

25) Schmid spielte dabei vermutlich auf den Berliner Verkehrsarbeiterstreik vom 1932 an, bei dem NSDAP und KPD

3.-7. Nov. Christian Striefler: Kampf um die Ende der Weimarer Republik. Berlin

kooperierten.

Macht. Kommunisten und Nationalsozialisten

am

1993.

26) Karl Zörgiebel (1878-1961), SPD,

1920-1924

Berlin. Schumacher: M. d. R., S. 575.

160

MdR, seit

1926

Polizeipräsident der Stadt

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geworfen wurden. Genau so sind es diese intellektuellen Drahtzieher aus den bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratischen Partei, die jetzt wiederum versuchen, dieses Feuerchen anzustecken. Man redet hier soviel

von Menschenrechten und von Freiheit und sagt: hier hei und offen seine Meinung sagen. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Sie tun es doch, Sie sind doch das beste

kann

man

Beispiel, Herr Paul!) Hier im Westen Deutschlands ist die Reaktion wieder erstarkt, und Sie wollen jetzt eine westdeutsche Verfassung für diesen Teil Deutschlands schaffen und damit die wiedererstarkte Kapitalsdiktatur sanktionieren. Es ist ganz klar, daß die demokratischen Krähe in der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin diesen Kurs, den Sie hier vorschlagen, nicht mitmachen dürfen und nicht mitmachen können;

(Zuruf: „dürfen", das mag stimmen!) sonst würden sie gegen die Interessen der deutschen

Arbeiterbewegung handeln. Sie aber wollen hier durch diese Demonstration ablenken von jener Tatsache, daß Sie sich zur Aufspaltung Deutschlands mißbrauchen lassen. (Schmid: Sie machen ja mit!) Sie tragen zu einem Teil selbst dazu bei, die Verhältnisse für die deutsche Bevölkerung schwer und schwerer zu gestalten, und es ist besonders bedauerlich, daß ausgerechnet Vertreter der Sozialdemokratischen Partei jetzt bürgerlichen Kriegshetzern den Rang ablaufen, (lebhahe Zurufe: Unerhört!) wer wohl am lautesten schreien kann, wer wohl am lautesten ins Horn stoßen kann zu einem neuen Kriege gegen die demokratischen Krähe des Ostens. (Heiterkeit.) Eine solche Hetze, weiter

Volkes,

fortgeführt,

dient nicht den Interessen des deutschen

(Zuruf von den Sozialdemokraten: Aber Unterwerfung?!) sondern führt das deutsche Volk in ein neues kriegerisches Abenteuer und damit endgültig in die Katastrophe. Ich sage Ihnen ganz offen: die Interessen des deutschen Volkes erfordern einen andern Weg, fordern den Weg des Kampfes gegen die Kriegshetzer in Deutschland selbst, fordern den entschlossenen Kampf gegen die Überreste des Nationalsozialismus, die in solchen Kundgebungen erkennbar werden, erfordern den Kampf zur Entmachtung der Monopolkapitalisten und der Junker, um dann auf dem Boden einer neuen27) demokratischen Ordnung auch die Freiheit der

Werktätigen

zu

garantieren.

(Lebhahe Zurufe.)

Ich sage Ihnen: die Arbeiterschah in Deutschland hat aus der Vergangengelernt und ist nicht bereit, sich erneut im Interesse der deutschen Monopolkapitalisten, der Junker und einiger spekulierender Politiker der Besatzungsmächte in einen neuen Krieg treiben zu lassen. Wir werden das deutsche Volk mobilisieren zum Kampfe gegen die Spaltungsabsichten in Deutschland. -

heit

)

In der

Vorlage handschr. korrigiert

aus

„solchen". 161

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(Zurufe: Für die Russen!) Wir werden das deutsche Volk mobilisieren (Zuruf: Für die Zwangsarbeit!) für die Einheit Deutschlands, für die Ausrottung des Militarismus und des Faschismus. Wir werden das Volk aufrufen, sich zusammenzuschließen und seine Interessen gegen jegliche neuen imperialistischen und reaktionären Kräfte zu

verteidigen.

(Schmid: Heil Seydlitz!)28) Ich sage Ihnen, Herr Schmid: Auch wenn Sie heute hier noch Stapel ziehen, in die Posaune des vergangenen Nazismus stoßen,

so

sehr

vom

-

(schallende Heiterkeit)

werden Tausende sozialdemokratischer Arbeiter diese Kriegshetze nicht mitmachen, sondern diese Zehntausende sozialdemokratischer Arbeiter werden erkennen, daß es nur einen Weg gibt, der aus dieser Misere herausführt, das ist der gemeinsame Weg zur Niederwerfung der Reaktion und zur Aufrichtung eines wirklich fortschrittlichen Deutschland. Ich möchte im Namen der Kommunistischen Partei hier folgende Erklärung so

abgeben29):

„Die von dem Herrn Präsidenten verlesene Erklärung der bürgerlichen Parteien und der SPD dient nicht den Interessen des deutschen Volkes. Sie ist die Fortführung der Politik durch eine provokatorische Hetze gegen die sowjetische Besatzungsmacht und durch unverhüllte Aufforderung zu illegalen Handlungen und Sabotage in der Ostzone, die Gegensätze unter den Großmächten zu verschärfen und einen Konflikt heraufzubeschwören, dessen Folgen für das deutsche Volk unabsehbar wären. Im Namen aller friedliebenden Menschen protestiert die Kommunistische Partei gegen die Verhetzung der Berliner Bevölkerung und vor allem der deutschen Jugend durch die Parteiführer der SPD, der CDU und der LDP. Die gewissenlose Hetze dieser Führer fand ihren Höhepunkt anläßlich der Kundgebung in Berlin auf dem Platz der Republik am 9. September 1948, auf der die Redner der SPD, CDU und LDP offene Kriegsreden gegen die sowjetische Besatzungsmacht führten mit dem Ergebnis, daß irregeleitete Jugendliche die Staatsflagge der Sowjetunion schändeten, Soldaten und Offizie28) Walther von Seydlitz-Kurzbach (1888-1976), Führer

eines Armeekorps der 6. Armee im sowjetischer Kriegsgefangenschaft forderte er als Präsident des Bundes deutscher Offiziere in der Sowjetunion und Vizepräsident des Nationalkomitees Freies Deutschland zum Sturz Hitlers und zur Beendigung des Krieges auf. Im Sommer/Herbst 1948 gab es zahlreiche Gerüchte, daß von Seydlitz in der SBZ eine kasernier-

Rußlandfeldzug.

In

te Polizei aufbauen würde. Siehe Der Pari. Rat Bd. 3, S. 178, Anm. 21 sowie S. 598, Anm. 14. Im Jahre 1950 wurde er als „schwerster Kriegsverbrecher" zum Tode verurteilt, dann zu 25 Jahren Gefängnis begnadigt. 1955 konnte er in die Bundesrepublik zurück-

kehren. Bodo Scheurig: Freies Deutschland, Das Nationalkomitee und der Bund Deutscher Offiziere in der Sowjetunion 1943-1945. München 1960, S. 170. In seinen Memoiren: Stalingrad. Konflikt und Konsequenz. Erinnerungen. Oldenburg 1977, wurde auf diese Gerüchte um ihn nicht eingegangen. Zur inhaltlichen Frage der Aufrüstungsvorbereitungen siehe nunmehr Bruno Thoß (Hrsg.): Volksarmee schaffen ohne Geschrei! Studien zu den Anfängen einer „verdeckten Aufrüstung" in der SBZ/DDR. München -

1994.

29) 162

Die

behändigte Ausf.

dieser

Erklärung in: Z

5/210.

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der

sowjetischen Besatzungsmacht sowie diensttuende deutsche Polizeibeammit Steinen bewarfen und Schüsse auf sie abgaben. Allein der Ruhe und te Besonnenheit der Soldaten und Offiziere der sowjetischen Besatzungsarmee ist re

es zu

danken, daß diese offenen Provokationen nicht

zu

größerem Blutvergieß-

geführt haben. Was würde geschehen, wenn chauvinistisch verhetzte30) Deutsche in den Westzonen die Staatsflagge der Besatzungsmächte schänden, Angriffe auf die Angehörigen der Besatzungstruppen unternehmen und die Ehrenmale der Besatzungsmächte beschmutzen wollten? Die Alliierten haben den ihnen vom Hitler-Imperialismus aufgezwungenen Krieg durchgeführt, um Nazismus und Militarismus in Deutschland auszurotten. Jeder verantwortungsbewußte Deutsche wird ihnen das Recht zuerkennen, sich gegen chauvinistische Provokationen zu schützen. Die Verantwortung aber für die Verurteilung der verhetzten31) Jugendlichen, die sich zu diesen herausfordernden Handlungen gegen die sowjetische Besatzungsmacht hinreißen ließen, tragen allein die Berliner Westpolitiker aus der CDU, der SPD und der LDP. Sie setzen alles daran, um die alliierten Verhandlungen zu durchkreuzen, und zu diesem Zweck sind ihnen auch die provokatorischen Mittel recht. Die Kommunistische Partei macht sie vor aller Welt und vor dem ganzen deutschen Volk für das Blutvergießen und für die Urteile in Berlin verantwortlich. Noch sind die Tränen von Millionen Witwen und Waisen nicht getrocknet, noch sind die Wunden der Opfer des zweiten Weltkrieges nicht geheilt, und schon beginnen gewissenlose Hetzer erneut, mit dem Leben unseres Volkes zu spielen. Wir warnen das deutsche Volk und insbesondere die deutsche Jugend vor diesen Kriegshetzern, die es in eine neue Katastrophe führen wollen, eine Katastrophe, die nur mit dem Untergang des deutschen Volkes und der deutschen Nation enden könnte. Wir fordern alle friedliebenden Deutschen auf, sich zu einer einheitlichen Abwehrhont gegen jede neue Kriegshetze und gegen die Spaltung Deutschlands zusammenzufinden. Der Aufbau eines hiedlichen, einigen, demokratischen Deutschlands erfordert die Verständigung der Großmächte über den baldigen Abschluß eines Friedensvertrages und den Abzug aller Besatzungstrupen

pen."

Für die in dieser Erklärung niedergelegten Grundsätze werden wir das deutsche Volk mobilisieren und werden in diesem Sinne auch den Kampf aufnehmen gegen alle diejenigen, die Deutschland in einen neuen Krieg verwickeln wollen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Brockmann. Brockmann (Z): Meine Damen und Herren! Seit geraumer Zeit steht Berlin im

und menschlichen Empfindens, und ich muß Paul darauf hinweisen: Es ist einfach ein Faktum, doch Kollegen eine Tatsache, daß nirgendwo in Deutschland, insbesondere nicht im deutschen Westen, sich das ereignen konnte, was in Berlin möglich ist. Dieses Faktum haben wir hier in den Mittelpunkt unserer Aufgabe der einmütigen Willenskundgebung aller Parteien zu stellen, die darin gipfelt, unsere

Mittelpunkt den Herrn

') )

In der In der

unseres

politischen

Vorlage handschr. korrigiert aus „junge". Vorlage handschr. korrigiert aus „verhaftete". 163

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Berliner Bevölkerung, unsere Berliner Brüder und Schwestern nicht nur unseres tiefsten Mitgefühls, sondern auch unserer weitestgehenden Hilfsbereitschah in ihrem Kampf um Recht und Freiheit zu versichern. Meine Damen und Herren, ich habe mir gestattet, in der letzten Plenarsitzung dieses Hohen Hauses darauf hinzuweisen32), daß meiner Auffassung nach die Freiheit als oberstes Prinzip über unserer Arbeit hier stehen sollte, und da wir berufen sind, wir, der Parlamentarische Rat, diese Freiheit in unserem Volke zu gestalten, und zwar für das ganze Volk, haben wir das Recht, im Namen der Freiheit gegen das Unrecht und die Vergewaltigung zu sprechen und zu protestieren, die unserem Volke in der Berliner Bevölkerung angetan wird.

(Lebhafte Zustimmung.)

Die Freiheit ist das höchste Gut eines Volkes. Wir haben nicht in den Konzentrationslagern, in den Gefängnissen und in den Zuchthäusern der Nazizeit gesessen, in aktiver Resistenz gegen dieses Terrorsystem, um ein neues Terrorsystem in einem anderen Gewände dagegen einzutauschen.

(Erneute Zustimmung.)

Das ist das Entscheidende für uns, und aus dieser Auffassung und dieser Gesinnung heraus stehen wir zu unseren Berliner Schwestern und Brüdern. Aus dieser Gesinnung heraus bedauern wir nicht nur, sondern verurteilen wir das Racheurteil33), wie es in der Presse genannt wurde, das über einige Berliner gefällt worden ist. Wir wünschen und hoffen alle, daß hüben wie drüben die Menschen auf allen Seiten sich zusammenfinden möchten, die das Ideal der

Freiheit hochhalten und es als oberstes Prinzip der Aufgabe ansehen wollen, die wir hier gestellt sind. Wir wollen nicht nur die Herzen miteinander schlagen lassen, sondern auch die Hände ineinanderlegen in dem Ausdruck einer tatkräftigen Hilfs- und Schicksalsgemeinschaft für unsere Berliner Bevölke-

vor

rung. Aus dieser

und dieser Gesinnung stimme ich namens der Wähler und Wählerinnen, die hinter mir stehen, der Entschließung zu, die diesem Hohen Hause unterbreitet worden ist. Wenn der Herr Kollege Paul eben darauf hinwies, daß einige bürgerliche Parteien und die SPD hinter einer solchen Auffassung stünden, dann kann er allerdings, soweit er die Verhältnisse in der Ostzone beurteilt, das Zentrum in diesem Zusammenhang nicht nennen. Wir haben es nämlich von vornherein als einen Versuch am untauglichen Objekt angesehen, unsere Partei in der Ostzone wieder aufzurichten,

(Zuruf:

Auffassung

Das

glaube ich!)

weil wir nicht wollen und das ist das Entscheidende -, daß wir dort auch geknebelt werden wie die auhechten freiheitliebenden deutschen Parteien.

so

-

(Beifall.)

Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß dieser Punkt der Tagesordnung damit erledigt ist. Verzeihung, Herr Kaiser! Kaiser (CDU): Meine Damen und Herren! Ich spreche für die Berliner Vertreter dieses Hauses. Die Männer von Berlin sind dankbar dafür, daß der Parlamenta-

32) Siehe Dok. Nr. 33) Siehe Anm. 7. 164

3, S. 144.

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Tische Rat den Vorgängen in ihrer Stadt die Aufmerksamkeit dieser Stunde entgegengebracht hat. Wir sind Ihnen um so dankbarer dafür, weil der Parlamentarische Rat schließlich zur Zeit die einzige wirklich demokratische Repräsentation des deutschen Gesamtvolkes ist. Der Parlamentarische Rat hat nach unserer festen Überzeugung daher die Autorisation und er hat die Pflicht, zu den Vorgängen Stellung zu nehmen, die unser ganzes Volk aufs tiefste bewegen. Ich brauche keine Einzelheiten zu dem zu sagen, was sich in Berlin begeben und das in letzter Überlegung auch Herrn Paul gegenüber -: hat. Nur dieses Das drakonische Urteil gegen diese fünf jungen Menschen in Berlin ist im Grunde nur eine Fortsetzung der Politik des Terrors, mit der man die unvergleichliche Tapferkeit der Bevölkerung von Berlin zu brechen sucht. Die Methode in der unter Ausschluß der Öffentlichkeit (Zuruf: Hört! Hört!) -

des sowjetischen Militärgerichts, das beispiellose das angebliche Schuldbekenntnis der Verhaheten lassen Sinn und Zweck dieser Handlung klar erkennen: es geht um die Einschüchterung des Freiheitswillens der Berliner Bevölkerung durch Terror. Lassen Sie mich dieses sagen: In Berlin spielt sich ein Weltdrama ab. Diese fünf jungen Menschen sind nur die jüngsten Opfer dieses Dramas. Es geht in Berlin nicht um Rußland. Es geht in Berlin nicht um Amerika. Es geht einzig und allein und das ist die geschichtliche Aufgabe dieser Stadt Berlin und ihrer Bevölkerung um die Aufhaltung, um die Zurückdämmung eines Systems, das Deutschland und ganz Europa gefährdet. Für die Zurückdämmung dieses Systems ist Berlin der Angelpunkt geworden. Die kommunistische Frivolität in Berlin hat einen kalten Krieg entfacht, der die Nerven der Bevölkerung unentwegt peitscht. Der Zustand, den wir in Berlin haben, ist Werk und Schuld dieses Systems. Als die diplomatischen Gespräche neulich in Moskau begannen34), waren wir der Auffassung, daß die Aktivität des Kampfes des kommunistischen Systems gegen die Berliner Bevölkerung eine Abschwächung erfahren würde. Diese Abschwächung ist nicht eingetreten. Sie ist auch nicht in den Tagen eingetreten, in denen die Militärgouverneure in Berlin im Hause des Kontrollrats über die Lösung der Berliner Krise wieder Gespräche führen. Das Gegenteil ist zu verzeichnen. Die Aktivität des Kommunismus in Berlin gegen die heiheitliebende Bevölkerung der Stadt hat nach Möglichkeit an Stärke, an Rücksichtslosigkeit, an Brutalität noch zugenommen. (Paul: Sie haben viel Öl ins Wasser gegossen! Zuruf35): Ins Wasser?

durchgeführten Verhandlung Strafmaß und vorausgehend

-

-

Heiterkeit.)

-



Herr Paul, Sie haben nur von der Kundgebung vor dem Reichstag gesprochen. Sie haben es versäumt, davon zu sprechen, daß die Aufgebote36) Ihrer

-

34) Siehe Dok. Nr. 1, Anm. 19. 35) Der folgende Zuruf in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 36) In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Horden". 165

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Freunde dreimal hintereinander das Stadthaus gestürmt und die heigewählten Parlaments der Stadt verhindert haben37).

Tagung des

(Sehr wahr!)

Es bleibt Deutschland

aufgegeben, Berlin und die Ostzone in dem ihm aufgegeschichtlichen Kampf mit aller Krah zu unterstützen. Es ist nach unserer Meinung einfach Gewissenspflicht aller Deutschen, zu den Zuständen in Berlin und in der Ostzone Stellung zu nehmen. Denn wenn je ein System zwungenen

die vier Freiheiten mißachtet, von denen vorhin in so schöner Weise gesprochen worden ist, wenn je ein System die Verachtung der menschlichen Würde offenbart, dann tut es das kommunistische System auf Berliner Boden.

(Sehr richtig!)

Wir brauchten uns allerdings über die Absichten und Handlungen der Kommunisten keine Sorgen zu machen, wenn hinter ihnen nicht hemde Bajonette

schützend stehen würden.

(Zustimmung.)

Wir selbst und ich persönlich bin ein Ausdruck für das, was ich sage. Wir haben lange genug versucht, den kommunistischen Expansionswillen im Osten unseres Vaterlandes und in Berlin durch Verständigungsbereitschaft hemmen zu können. Die Vertreter der Sowjetmacht haben zu unserem größten Bedauern Verständigungsbereitschah mit Unterwerfungsbereitschaft verwechselt, mit Unterwerhmgsbereitschaft unter ihr System. Längst aber sind wir hart geworden, härter vielleicht, als es diesem oder jenem hier im Westen taktisch richtig erscheinen mag. Aber auch diese würden anders urteilen, wenn sie das trostlose, das grausame Schauspiel miterleben müßten, das der Kommunismus in Berlin und in der Ostzone aufzuhihren beliebt.

(Sehr richtig!) Blockade, die

man über die Stadt Berlin verhängt hat und die nun schon mehr als zehn Wochen andauert38), die Abschnürung aller ihrer Verbindungen zu Lande und zu Wasser ist eine der brutalsten Grausamkeiten gegen den Freiheitswillen einer hiedlichen, arbeitsamen Bevölkerung.

Die

(Lebhafte Zustimmung.) Blockade, die sich in der Hauptsache sogar gegen Wehrlose und Hilflose richtet, gegen Menschen, die dieser Blockade nichts anderes entgegenzusetzen haben als einen aufrechten, tapferen Charakter und die Entschlossenheit, für Eine

die Demokratie und für die Freiheit unter allen Umständen einzustehen.

Meine Damen und Herren! Die Stunde, die wir Berliner eben hier erlebt haben, ist und bedeutet für uns eine große Ermutigung. Denn die positive Wirkung unseres weiteren Einstehens für die Freiheit Berlins und für die Deutschheit der Ostzone, für den gesamten deutschen Osten hängt nicht zuletzt von der moralischen und materiellen Unterstützung ab, die uns aus der Geschlossenheit und Entschlossenheit der politischen Gesamtkräfte des deutschen Volkes zufließen, von dem Impuls, von dem Geist und auch von dem Willen, mit dem

) Siehe Anm. 9. :) Die Blockade Berlins hatte nach ersten Vorzeichen im Frühjahr 1948 mit voller Konsequenz am 19. Juni 1948 begonnen. Vgl. die in Dok. Nr. 1, Anm. 19 genannte Literatur. 166

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Körperschaft hier, der Parlamentarische Rat, die Aufgabe, die ihm für Volk gestellt ist, lösen wird39). Es geht bei dem Drama um Berlin letztlich um die Frage, ob die Gegensätze unter den Völkern mit den Mitteln der Politik zum Austrag gebracht werden können oder ob das Verhängnis eines dann gewiß noch unvorstellbar schrecklicheren Krieges über Europa hereinbricht. Die Preisgabe Berlins wäre das Zeichen dafür, daß die Mittel der Politik im Kampf um den Frieden versagen. Die Kundgebung dieser Stunde, meine Damen und Herren, ist für uns Beweis, daß das ganze deutsche Volk dies in gleicher Weise wie wir empfindet. Verständigung der Weltmächte über Berlin aber würde die Hoffnung geben, daß das Tor zum Frieden offenbleibt. Und dies ersehnen wir alle. Ist der Friede gesichert, dann ist auch der Zeitpunkt da, über die zur Stunde gegebenen Möglichkeiten hinaus die staatliche Neuordnung für ganz Deutschland zu schaffen. Und nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch für all die freundliche Gesinnung danken, die von den Rednern der Parteien, von den Herren Pfeiffer, Schmid, Heuss und Brockmann für Berlin und für die Berliner ausgesprochen worden ist. Lassen Sie mich sagen, daß wir diese freundliche Gesinnung für bare Münze nehmen. Daß man nicht immer so freundlich an die Berliner gedacht und von ihnen gesprochen hat, hat in sehr netter Weise Herr Heuss vorhin zu bemerken gewußt. Daß es heute anders ist, habe ich neulich in bewegender Weise gemeinsam mit Ernst Reuter auf dem Königsplatz in München40) erleben können. Ich sage dazu: Dieser Kampf um Berlin hat für die Menschen der Stadt eine zweifache Seite, eine negative und eine positive. Die negative Seite sind die Leiden, die Qualen, die Drangsale, die die Bevölkerung von Berlin jetzt zu durchstehen hat. Diese Schwierigkeiten, die Not, der Hunger, das Leid, das Elend, werden eines Tages vorübergehen. Was aber bleiben wird, ist die positive Seite dieses Kampfes: es ist die Tatsache, daß sich Berlin mehr denn je in das Bewußtsein unseres ganzen deutschen Volkes eingegraben hat. Seien Sie versichert, meine Damen und Herren, daß wir ermutigt von dieser Stunde hier nach Hause gehen und weiter unsere Pflicht für die Freiheit und für den Frieden tun. diese

unser

(Lebhafter Beifall.) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Pfeiffer Dr. Pfeiffer (CSU): Im Namen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Zentrums stelle ich den Antrag, der Herr Präsident möge in aller Form darüber abstimmen lassen, daß die von ihm abgegebene Erklärung die einmütige Willensmeinung und das uneingeschränkte Bekenntnis all jener Parteien dieses Hohen Hauses darstellt, die sich vom Kommunismus getrennt sehen. Ich bin der Überzeugung, daß auch die heute durch besondere Umstände an der in der Vorlage gestrichen: „Es ist von Kriegshetze gesprochen worden. Ich nehme das Wort auf, Herr Paul." Ernst Reuter, Jakob Kaiser und Carl Hubert Schwennicke hatten am 11. Aug. 1948 vor 12 000 Münchenern auf dem Königsplatz gesprochen. Siehe „Der Tag" vom 12. Aug. 1948. Reuter und Kaiser waren anschließend mit einem amerikanischen Kohlentransporter zurückgeflogen. Conze: Jakob Kaiser, S. 239.

39) Folgt 40)

167

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Teilnahme an dieser Sitzung verhinderten Abgeordneten der Deutschen Partei diese Auffassung teilen. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Dr. Pfeiffer gehört. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag stattgeben wollen, die Hand zu erheben. Ich danke Ihnen. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, die Hand zu erheben. Ich stelle fest, daß gegen eine Stimme die Resolution die Zustimmung des ganzen Hauses gefunden hat. Ich hoffe, daß unsere Berliner Freunde und unsere Freunde in der Ostzone die Ermutigung daraus entnehmen werden, die wir ihnen zukommen lassen wollen. -

-

[4. ZUSAMMENSETZUNG DER Meine Damen und Herren, wir kommen

Zusammensetzung der Ausschüsse.

zum

AUSSCHÜSSE]

zweiten Punkt der

Tagesordnung:

Es ist Ihnen ein Verzeichnis der Ausschüsse zugegangen41). Ich darf annehmen, daß Sie der Besetzung der Ausschüsse, so wie sie Ihnen vorliegt, zustimmen. Ich stelle fest, daß das der Fall ist42). Ich schlage Ihnen weiter im Einvernehmen mit den Fraktionsvorsitzenden vor, als Tag der nächsten Plenarsitzung Mittwoch, den 22. September, zu nehmen. Es wird dann in erster Linie die Geschäftsordnung zu verabschieden sein. Widerspruch erhebt sich nicht. Ich schließe die Sitzung. (Schluß der Sitzung 18 Uhr 3 Minuten.)

-

-

) Dabei handelte es sich um die Drucks. Nr. 22. ) Folgt in der Vorlage gestrichen: „Dann bin ich gebeten worden, die Mitglieder folgender

Ausschüsse von dem Zusammentreten der Ausschüsse zu benachrichtigen, und zwar morgen vormittag um 8 Uhr 30 Minuten Hauptausschuß im Raum 81, Ausschuß für Finanzfragen um 10 Uhr in Raum 148, Geschäftsordnungsausschuß um 10 Uhr 30 in Raum 81, Ausschuß für Grundsatzfragen um 11 Uhr in Raum 171, in der Bibliothek".

168

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Z

5/13, Bl. 95-105; ungez. undat. stenogr.

Kurzprot.:

Druck: Z 5/13, Bl. 94. -

Stenogr.

Dienst: Dr.

Wortprot.1).

Stenogr. Berichte, S. Koppert, Dr. Reynitz.

67-68.

Dauer: 17.08-17.24 Uhr

[1.

Sitzung wird eröffnet2).

Die

um

17

GESCHÄFTLICHES]

Uhr 8 Minuten durch den Präsidenten Dr. Adenauer

Präs. Dr. Adenauer: Ich eröffne die Entschuldigt haben sich die Herren Herr Gayk3).

Sitzung.

Löbe, Dr. Süsterhenn und Reimann. Es fehlt

[2. NACHRUF AUF GRAF BERNADOTTE] Meine Damen und Herren!

Graf Bernadotte4) (die Abgeordneten erheben sich)

hat sein Leben zum Opfer für eines der höchsten Güter der Menschheit hingegeben, für den Frieden. Sein Name wird in der Geschichte dieser dunklen Zeit mit goldenen Lettern verzeichnet bleiben. Graf Bernadotte hat als Präsident des Schwedischen Roten Kreuzes dem deutschen Elend und seiner Linderung sich besonders gewidmet, so daß wir gerade als Deutsche besondere Ursache haben, seiner in größter Dankbarkeit zu gedenken. Der Name des Grafen Bernadotte wird bei uns unvergessen bleiben. Ich habe als Präsident des Parlamentarischen Rates dem Schwedischen Roten Kreuz das Beileid des Rates ausgesprochen. Sie haben sich, meine Damen und Herren, von den Sitzen erhoben; ich danke Ihnen für die Ehrung, die Sie dem Verstorbenen erwiesen haben.

1) 2) 3) 4)

Die Vorlage wurde für den Druck eingerichtet und weist daher Anweisungen für den Setzer auf. Vgl. Einleitung, S. XXXIX. Eine „vorläufige Tagesordnung", in der lediglich der Nachruf auf Graf Bernadotte und die Beratung der Geschäftsordnung aufgeführt waren, in: Z 5/210. Die vom Sekretariat erstellte Mitteilung in: PA 5/Nr. 28. Die Tagesordnung zu dieser Sitzung vervielf. als Drucks. Nr. 67. Folke Graf Bernadotte af Wisborg (1895-1948) wurde als Vermittler der Vereinten Nationen zwischen Arabern und Juden in Palästina von einem jüdischen Terroristen ermordet. Adenauer sandte als Präsident des Pari. Rates unter dem 21. Sept. 1948 dem Schwedischen Roten Kreuz ein Beileidstelegramm (Z 5/9, Bl. 70). Im Wochenbericht des US-Liaison Officers Hans Simons vom 24. Sept. 1948 hieß es sarkastisch: „The Parliamentary Council is continuing its efforts to make its voice heard on current affairs not within its competence" (Z 45 F 17/254-1, folder 25). 169

Fünfte

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Sitzung des Plenums

22.

September 1948

[3. ANTRAG DER FRAKTION DER FDP AUF EINSETZUNG EINES ELFER-AUSSCHUSSES ZUR ÜBERPRÜFUNG DER FRAGE DER NEUREGELUNG DER

LÄNDERGRENZEN]

Meine Damen und Herren! Es ist ein

gen5):

Antrag der

Fraktion der FDP

eingegan-

Der Parlamentarische Rat wolle beschließen: Es wird ein Elfer-Ausschuß gebildet, um die grenzen

zu

überprüfen

ten.

Frage der Neuregelung der Länderund dem Parlamentarischen Rat Vorschläge zu unterbrei-

Ich schlage Ihnen nach Rücksprache im Ältestenrat vor, diesen Antrag dem Hauptausschuß zu überweisen, der gleichzeitig auch die Zuständigkeit zu prüfen

hatß).

[4. BERATUNG DER GESCHÄFTSORDNUNG DES PARLAMENTARISCHEN RATES] Das Wort hat der Herr Berichterstatter. Berichterstatter Dr. de Chapeaurouge: Meine Damen und Herren! Der Geschäftsordnungsausschuß hat mir den Auhrag erteilt, über seine Verhandlungen in der Vollversammlung des Parlamentarischen Rates zu berichten7). Das Ergebnis seiner Arbeit liegt Ihnen in einem neuen Entwurf der Geschäftsordnung vor8). Der Geschähsordnungsausschuß hat den ihm vorgelegten Entwurf gekürzt, vereinfacht und an einigen Stellen gemildert. Er hat ferner bewußt auf manche Einzelbestimmungen verzichtet, die sich in den Geschäftsordnungen deutscher Landtage regelmäßig befinden. Er glaubt, diesen Verzicht verantworten zu kön-

5) 6)

Antrag vervielf. als Drucks. Nr. 75. HptA nahm ihn am 11. Nov. 1948 auf seiner zweiten Sitzung zur Kenntnis und beschloß, ihn wie andere Anträge im Rahmen der entsprechenden Artikel des GG zu behandeln. Dies geschah mit diesem Antrag jedoch nicht. Vgl. Kurzprot. der 2. Sitzung des HptA vom 11. Nov. 1948, Drucks. Nr. 288. Verhandlungen, S. 2. 7) Der Geschäftsordnungsausschuß, dessen Protokolle in Bd. 10 dieser Edition publiziert werden, hatte offiziell erstmals am 2. Sept. 1948 getagt (Kurzprot. vervielf. als Drucks. Nr. 11) und dabei einen Entwurf für eine Geschäftsordnung beraten, den das BdMinPräs. ausgearbeitet hatte (Z 5/164, Bl. 13 ff.). Das Ergebnis vervielf. als Drucks. Nr. 4 (Z 5/164, Bl. 8 ff.). Dieser Entwurf wurde am 16. Sept. im Ausschuß nochmals beraten (Kurzprot. Der Der

-

8)

170

-

als Drucks. Nr. 60, ebenda, Bl. 23 ff.). In einer dritten Sitzung des Ausschusses am 21. Sept. 1948 (Drucks. Nr. 65) wurde der Entwurf nochmals überarbeitet und insbes. über den umstrittenen § 20 (Beteiligung der Länder) diskutiert. Die dabei gewonnene Fassung wurde von der SPD abgelehnt, ein Kompromißvorschlag von Adenauer in einer weiteren Sitzung vom 22. Sept. 1948 (Kurzprot. als Drucks. Nr. 80) wurde nicht angenommen. Der umstrittene Paragraph wurde dann mit der Begründung, es handele sich um eine materielle Frage, aus der Geschäftsordnung gestrichen. Siehe auch Anm. 17. Chapeaurouge hatte die Strategie in der Fraktion am 21. Sept. abgesprochen (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 21). Dabei war von Adenauer u. a. auch angeregt worden, eine Bestimmung aufzunehmen, nach der Reden nicht verlesen werden sollten. Der Entwurf der Geschäftsordnung für diese Plenarsitzung vervielf. als Drucks. Nr. 47 (Z 5/164, Bl. 30-35); er unterschied sich kaum noch von der auf dieser Sitzung angenommenen Fassung, die als Drucks. Nr. 157 vervielf. wurde (ebenda, Bl. 40-44). Vgl. auch R. Ley: Organisation und Geschäftsordnung des Parlamentarischen Rates, passim.

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des Plenums 22.

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mit Rücksicht auf die Zusammensetzung dieses Hauses und auf die beschränkten Aufgaben, die ihm zugewiesen sind. Es kann nicht meine Aufgabe als Berichterstatter sein, Ihnen alle einzelnen unerheblichen redaktionellen Änderungen aufzuführen, die der Geschäftsordnungsausschuß am Entwurf vorgenommen hat. Das würde ermüden und ist auch nicht notwendig. Ich beschränke mich daher darauf, einige wenige Punkte aus den Beratungen und Beschlüssen des Geschähsordnungsausschusses anzuführen. Der Geschäftsordnungsausschuß hat zunächst die Bestimmung des Entwurfs über die Zahl der Mitglieder, die zur Bildung einer Fraktion notwendig ist, gestrichen. Er hat diese Streichung für notwendig und möglich gehalten, nachdem im Hauptausschuß9) eine Verständigung darüber erzielt worden war, daß die kleinen Gruppen des Parlamentarischen Rates auch in den Ausschüssen, in denen sie kein Mitglied haben, teilnahmeberechtigt sind und Anträge stellen können. Der Geschähsordnungsausschuß legt Wert darauf, festzustellen, daß es seine Auffassung und die Auffassung des ganzen Hauses ist, daß die kleinen Gruppen in der Wahrnehmung ihrer Standpunkte und in der Vertretung ihrer Gedanken in keiner Weise beschränkt sein sollen. Dieses Ergebnis wird durch die Neufassung des § 19, wie sie Ihnen nunmehr vorliegt10), erreicht. Der Ausschuß hat ferner nach verschiedenen Richtungen hin die Stellung des Herrn Präsidenten des Parlamentarischen Rates weiter geklärt, als dies im ursprünglichen Entwurf der Fall war. Es ist festgestellt, daß der Herr Präsident gewisse Entscheidungen möglichst im Einvernehmen mit den Vizepräsidenten treffen soll. Es ist ihm ausdrücklich das Hausrecht zugesprochen worden11). Der Geschähsordnungsausschuß hat es aber nicht für notwendig gehalten, die mit der Ausübung des Hausrechts zusammenhängenden Rechte und Angelegenheiten zu klären. Es wird Aufgabe des Präsidiums sein, noch in Verhandlungen wer zuständig mit dem Lande Nordrhein-Westfalen und mit der Stadt Bonn ist, konnten wir noch nicht genau feststellen diese Klärung endgültig herbeizuführen. nen



-

9) Bis 16.

Nr.

°)

1)

diesem Zeitpunkt hatte es lediglich eine konstituierende Sitzung des HptA am Sept. 1948, von der ein Wortprot. nicht vorliegt, gegeben. Im Kurzprot. (Drucks. zu

49) war das Thema nicht behandelt worden. Vermutlich wurde auf eine Beschlußfassung des Ältestenrates angespielt, die in der 3. Plenarsitzung am 9. Sept. 1948 als Drucks. Nr. 19 angenommen wurde, in der es hieß, daß diejenigen von den drei kleineren Parteien, die in einem Fachausschuß nicht stimmberechtigt vertreten sind, je einen Vertreter in den Ausschuß entsenden können, der Rede- und Antragsrecht, aber kein Stimmrecht hat. Siehe auch Der Pari. Rat Bd. 10, Dok. Nr. Bl. Die Fassung von § 19 lautete demnach: „1. Berät der Ausschuß über Anträge von Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, so kann ein Antragsteller, sofern er dem Ausschuß nicht angehört, mit beratender Stimme teilnehmen. 2. Gruppen, die in einem Fachausschuß nicht stimmberechtigt vertreten sind, können je einen Vertreter in den Ausschuß entsenden. Dieser hat Rede- und Antragsrecht, aber kein Stimmrecht. 3. Der Ausschuß kann im Benehmen mit dem Präsidenten Sachverständige zu seinen Verhandlungen hinzuziehen" (Z 5/164, Bl. 33). Der § 6 Abs. 4 der Geschäftsordnung lautete: „Der Präsident übt das Hausrecht in den Räumlichkeiten des Parlamentarischen Rates und seiner Ausschüsse aus." 171

Nr. 5

Fünfte

Sitzung

des Plenums 22.

September 1948

Der Geschäftsordnungsausschuß hat ferner festgelegt12), daß der Präsident im Einvernehmen mit den Vizepräsidenten die Vertretung und Führung des Geschäftsverkehrs mit deutschen und anderen Dienststellen seinerseits selbständig zu regeln hat. Ihm ist ein Ältestenrat zur Seite gestellt. Es ist aber ausdrücklich festgestellt, daß er kein beschließendes Organ in irgendeiner Art und Weise ist, sondern nur13) ein beratendes und unterstützendes Organ14). In dem ursprünglichen Entwurf war ferner vorgesehen, daß in der Geschäftsordnung die ständigen Ausschüsse aufgezählt werden sollten, welche der Rat einzusetzen für nötig hält. Der Geschäftsordnungsausschuß hat dahin entschieden, diese Liste zu streichen und es der Entwicklung zu überlassen, welche Ausschüsse gebildet werden. Ihre Aufführung in der Geschähsordnung selbst erschien nicht notwendig. Ferner haben wir die Bestimmungen des Entwurfs über die Sachverständigen erheblich vereinfacht. Nach dem Entwurf der Geschäftsordnung, der der Geschäftsordnung des Frankfurter Wirtschahsrates15) nachgebildet ist, war den einzelnen Ausschüssen ein unbeschränktes Recht auf Hinzuziehung von Sachverständigen eingeräumt worden, ein Recht, das sich in Frankhirt nicht sehr bewährt haben soll und vor allem zuviel Kosten verursacht hat. Wir haben es für richtig gehalten, zu bestimmen, daß Sachverständige, die Kosten verursachen, nur im Einvernehmen mit dem Herrn Präsidenten zu den Arbeiten des Parlamentarischen Rates hinzugezogen werden können16). Die Frage des Verhältnisses des Parlamentarischen Rates zu den Ländern wurde im Geschäftsordnungsausschuß eingehend erörtert; sie war im Entwurf an zwei Stellen, nicht ganz zusammenhängend und nicht systematisch, behandelt worden. Nach eingehender Beratung kam der Geschäftsordnungsausschuß zu der Auffassung, daß die Regelung des Verhältnisses zwischen dem Parlamentarischen Rat und den Ländern überhaupt nicht in die Geschäftsordnung gehört, da es sich dabei um eine Frage materieller Art handelt17). Die Geschähsordnung

12) Dabei handelte es sich um § 6 der Geschäftsordnung (siehe Anm. 8). 13) „Nur" in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 14) § 13 der Geschäftsordnung (Anm. 8) lautete: „Der Ältestenrat unterstützt den Präsidenten bei der

Führung

der Geschäfte."

15) Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschafts-

gebietes

1947-1949,

hrsg.

vom

Institut für

Zeitgeschichte

und dem Deutschen Bundes-

tag, Wissenschaftliche Dienste, bearb. von Christoph Weisz und Hans Woller, München etc. 1977, Bd. 4, S. 13 ff., S. 732. 16) § 19 Abs. 3 der Geschäftsordnung lautete: „Der Ausschuß kann im Benehmen mit dem

17)

172

Präsidenten Sachverständige zu seinen Verhandlungen hinzuziehen." Bei den diesbezüglichen Diskussionen (Kurzprot. vom 2. Sept. 1948, Z 5/164, Bl. 4) meinte Bergsträsser, die Sachverständigen würden meist dazu benutzt, die Wünsche bestimmter Interessengruppen mit scheinbar sachlichen Argumenten vorzutragen. Hierzu berichtete die ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. unter dem 18. Sept. 1948, die Mitglieder des Geschäftsordnungsausschusses befürchteten, daß durch eine allgemein gehaltene Genehmigung der Beteiligung von Ländervertretern eine Majorisierung der Ausschüsse entstehen könnte und sie wollten deshalb in Besprechungen mit den Ministerpräsidenten eine in vernünftigem Rahmen gehaltene Vertretung der Länder durch das Büro der Ministerpräsidenten erörtern (Z 12/118, Bl. 132). Am 22. Sept. 1948 wurde berichtet: Um eine Debatte im Plenum zu vermeiden, habe der Ausschuß für Geschäfts-

Fünfte

Sitzung des Plenums

22.

September 1948

Nr. 5

soll den technischen Gang der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates und seiner Ausschüsse sichern und ordnen; damit erschöph sich ihre Aufgabe. In § 24 des Entwurfs werden die Eingaben behandelt. Im Ausschuß wurde der Wunsch geäußert, es müsse unter allen Umständen sichergestellt werden, daß keine Eingabe einem Mitglied des Parlamentarischen Rates entgehe. Grundsätzlich ist die Verteilung der Eingaben auf die zuständigen Ausschüsse Sache des Präsidenten. Es ist aber die Vereinbarung getroffen, daß alle eingehenden Eingaben in einer Liste aufgezeichnet und ausgelegt werden, so daß jedes Mitglied des Parlamentarischen Rates Gelegenheit erhält, Einsicht zu nehmen und sich über alle Eingänge zu orientieren18). Es war im Ausschuß angeregt worden, durch eine besondere Bestimmung festzusetzen, daß das Ablesen von Reden im Parlamentarischen Rate nicht gestattet sein solle, eine Bestimmung, die sich in den Geschähsordnungen zahlreicher deutscher Landtage befindet. Der Ausschuß hat geglaubt, eine besondere positive Bestimmung in dieser Richtung in die Geschäftsordnung nicht aufnehmen zu sollen. Es ist weiter im § 30 hinsichtlich der Disziplinargewalt festgestellt worden, daß der Präsident unter den angegebenen Voraussetzungen das Recht der Wortentziehung hat, daß dieses Recht der Wortentziehung aber nicht für einen ganzen Punkt der Tagesordnung gilt, der an einem Tage nicht erledigt wird, sondern daß die Wortentziehung nur wirkt für die Sitzung, in der die Wortentziehung ausgesprochen wird. Wenn der Punkt der Tagesordnung in einer Sitzung nicht erledigt ist, ist der betreffende Redner nach unserem Vorschlag in der Lage, in der nächsten Sitzung zum selben Punkt wieder das Wort zu nehmen, obwohl ihm zuvor das Wort einmal wegen ordnungswidrigen Verhaltens entzogen worden ist. Hinsichtlich der Protokolle und Berichte über die Arbeiten des Parlamentarischen Rates ist festgelegt, daß, wie in allen Länderparlamenten, die Verhandlungen in den Vollversammlungen vollständig stenographisch festgehalten werden. Es war auch für die Ausschußsitzungen der gleiche Antrag gestellt worden mit der Begründung, daß sich gerade bei den Ausschußsitzungen die Meinungen klärten und es bei späteren Zweifeln über die Auslegung des zu schaffenden Grundgesetzes wichtig sein könnte, aus den Ausschußberichten genau zu erkennen, welche Gedanken die einzelnen Herren bei ihren Darlegungen in den Ausschüssen geäußert haben. Schon aus technischen Gründen ist es abgelehnt worden, die Ausschußsitzungen in dieser Weise für die Nachwelt zu erhalten. Es wird befürchtet, daß durch eine zu weitgehende Festhaltung und Veröffentlichung der in den Ausschüssen selbstverständlich hin- und herschwankenden Meinungen die Unbefangenheit der Meinungsäußerung10) behindert werden könnte; denn es ist doch

Ordnungsfragen kurz vor Beginn der Plenarsitzung beschlossen, den § 20 ganz aus der Geschäftsordnung zu streichen und die Frage der Beteiligung der Länder dem Hauptaus-

schuß zu überweisen (Z 12/35, Bl. 96). ) Diese Liste der Eingaben wurde wohl geführt, da die Eingaben mit einer Nummer versehen wurden; sie ließ jedoch nicht ermitteln. ') Folgt gestrichen in der Vorlage „in den Ausschüssen". 173

Nr. 5

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Sitzung des Plenums

22.

September 1948

die Aufgabe der Ausschüsse, den Mitgliedern Gelegenheit zu geben, im freien, nicht vorbereiteten Meinungsaustausch einmal ihre Meinung zu äußern

gerade

und sich auch

überzeugen zu lassen. Aus diesen Gründen glaubt der Geschäftsordnungsausschuß, allgemein Vervielfältigungen der Ausschußberichte, die technisch kaum möglich sind, nicht empfehlen zu können20). Über die Ausschußsitzungen werden Kurzprotokolle gegeben, die das Wesentliche festhalten. Außerdem ist festgelegt worden, daß bei besonders grundsätzlichen, wichtigen Ausführungen, die in einem Ausschuß gemacht werden, diese für die Dauer auch wörtlich festgehalten werden können. Es ist weiter entschieden worden, daß bei Einsprüchen gegen Protokolle zunächst der Schriftführer versuchen soll, die Einsprüche zu beseitigen, daß, wenn dies nicht gelingt, dem Präsidenten die Entscheidung darüber zustehen

soll. Zweifel über die Auslegung der Geschäftsordnung entscheidet nach dem Vorschlag des Geschähsordnungsausschusses in erster Linie der Herr Präsident. Wenn gegen seine Entscheidung eine Beschwerde eingelegt wird, ist die Sache dem Geschäftsordnungsausschuß vorzulegen und von ihm zu entscheiden. Nur bei grundsätzlichen Zweifeln über die Bedeutung einer Geschäftsordnungsbestimmung ist vorgesehen, daß die Vollversammlung sich mit einer solchen Frage beschäftigen soll. Die Hoffnung im Geschähsordnungsausschuß ist natürlich, daß eine solche Inanspruchnahme der Vollversammlung für eine Geschäftsordnungsfrage in den Beratungen dieses Hauses überhaupt nicht in Frage kommt. Das ist im wesentlichen das, was ich Ihnen heute meinerseits hier berichten möchte. Der Ausschuß hofh, daß die hier vorgelegte vereinfachte Geschäftsordnung als Rahmen für die Aufgabe des Parlamentarischen Rates in jeder Weise ausreichen wird und weitere Bestimmungen entbehrlich bleiben werden. Abschließend darf ich nur noch bemerken das ist für den Parlamentarischen Rat von grundsätzlicher Bedeutung -, daß der Geschähsordnungsausschuß, während die Meinungen bei einer Reihe von Punkten zeitweise wesentlich auseinandergingen, seine Beschlüsse schließlich einmütig gefaßt hat und der vorliegende Entwurf der neuen Geschäftsordnung von allen Mitgliedern des Geschähsordnungsausschusses gebilligt worden ist21). Präs. Dr. Adenauer: Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für die Annahme dieser Geschäftsordnung sind, Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu eine Hand zu erheben. erheben. (Paul: Ich habe mich der Stimme enthalten.) -

-

') Nach §

32 der

Geschäftsordnung (Drucks. Nr. 157) war 1. von den Plenarsitzungen ein Mitglieder des Pari. Rates zu verteilen, 2. Ausschußsitzungen sollten „wörtlich protokolliert" werden, 3. von Ausschußsitzungen sollten Kurzprotokolle erstellt werden, die den Mitgliedern des Pari. Rates zugestellt werden sollten, 4. bei Bedarf sollten bestimmte Teile der Wortprotokolle der Ausschußsitzungen für die Ausschußmitglieder vervielfältigt werden. ) In der Vorlage korrigiert aus „vertreten wird." Eine formelle Abstimmung war im Kurzprot. der Sitzung vom 22. Sept. 1948 (Drucks. Nr. 65) nicht festgehalten worden. Wortprot.

174

an

alle

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Nr. 5

Dann stelle ich fest, daß die Geschähsordnung bei einer Stimmenthaltung angenommen worden ist22). Damit ist unsere Tagesordnung erledigt. Obgleich die Ausschüsse außerordentlich intensiv arbeiten, sind wir heute nicht in der Lage, schon einen Termin für die nächste Plenarsitzung zu bestimmen. Ich bitte daher, heute davon Ich stelle fest, daß Sie damit einverstanden sind, und absehen zu wollen. schließe die Sitzung. -

-

(Schluß der Sitzung

)

17

Uhr 24

Minuten.)

Dieser Beschluß über die Annahme der ausgefertigt; Beschluß in: Z 5/210.

Geschäftsordnung

wurde auch noch formell

175

Nr. 6

Sechste

Sitzung des Plenums 20. Oktober 1948 Nr. 6

Sitzung des Plenums 20. Oktober 19481)

Sechste

Z

5/13, Bl. 9-93; ungez. und undat. stenogr.

Wortprot.2)

Z 5/210. Druck: Z 5/13, Bl. 1-8. Stenogr. Berichte, S. 69-84. Stenogr. Dienst: Dr. Haagen, Herrgesell, Dr. Koppert, Dr. Dauer: 16.10-18.30 Uhr

Kurzprot.:

Reynitz.

[1. BEGRÜSSUNG DES VERTRETERS DES ENGLISCHEN AUSSENMINISTERS MR. BEVIN, MR. MAYHEW] Die Sitzung wird der eröffnet.

um

16 Uhr 10 Minuten durch den

Vizepräsidenten

Schönfel-

Sitzung war von der SPD auf einer Fraktionssitzung vom 12. Okt. 1948 beschlossen worden (Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 13. Okt. 1948, Z 12/118, Bl. 60; vgl. auch Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 75). Insbesondere Dr. Suhr (Berlin) hatte im Hinblick auf den Wahlkampf in Berlin die fehlende Publizität der Arbeit des Pari. Rates beklagt und auf mehr „dramatic action" gedrängt (Adenauer in einer Unterredung mit Litchfield. Vermerk vom 13. Okt. 1948 in: Z 45 F 15/148-2, folder 13). Carlo Schmid hatte dann in einem offiziellen Schreiben an den Präsidenten des Pari. Rates die Sitzung gefordert unter Bezugnahme auf § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung (Schmid an Adenauer vom 12. Okt. 1948 in: NL Blankenhorn/241). Sie wurde von der SPD auch erzwungen, um die Meinungsbildung in der CDU/CSU zu den zentralen Fragen wie Bundesrat, Finanzen und Steuern zu fördern und die Öffentlichkeit für die Arbeit des Pari. Rates zu interessieren (History of the Parliamentary Council, Anlage zum Bericht des British Liaison Staff an Steel vom 10. Mai 1949, Kl. Erw. 792, Bd. 3; ähnlich auch Bericht Leisewitz vom 23. Okt. 1948, Z 12/118, Bl. 26). Die 6. und 7. Plenarsitzung wurde von der CDU/CSU in einer Fraktionssitzung am 19. Okt. 1948 vorbereitet (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 82 f.). Sie reagierte „mit Erstaunen" auf den Antrag der SPD, weil damit gegen Abmachungen zwischen Carlo Schmid und Pfeiffer verstoßen wurde, nach denen zunächst die Ausschüsse ihre Arbeit beenden müßten und dann, nachdem der vorgesehene Redaktionsausschuß das Material überarbeitet sowie interfraktionelle Besprechungen stattgefunden hätten, eine Plenarsitzung sich mit den Dingen hätte beschäftigen sollen (Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 13. Okt. 1948, Z 12/118, Bl. 60 f.). Vergeblich versuchte die CDU/CSU mehrfach, die SPD zur Rücknahme des Antrages zu bewegen (Menzel an den Parteivorstand vom 15. Okt. 1948, in: FEST NL Carlo Schmid/1162). Im nachhinein berichtete Dr. Leisewitz (Bericht vom 21. Okt. 1948, Z 12/44, Bl. 195 f.): „Es wurde im allgemeinen in dieser Sitzung wiederholt, was bereits in den Ausschüssen zu dem Thema .Präambel' gesagt worden war. Deshalb ist verständlich, wenn der Abgeordnete Theophil Kaufmann (CDU/CSU) zu Beginn der Sitzung mit den Worten gehört wurde: ,Wenn's nach mir ginge, wär's überhaupt nicht passiert.' Ahnliche Bemerkungen wurden in mehr oder minder pointierter Form von fast sämtlichen Abgeordneten, auch den Rednern, mit Ausnahme der Vertreter der SPD, gemacht, für die Prof. Schmid in seinen einleitenden Bemerkungen die Forderung nach Öffentlichkeit der demokratischen Arbeit stellte." 2) Die Vorlage wurde für den Druck eingerichtet und weist daher Anweisungen für den Setzer auf. Vgl. Einleitung, S. XXXIX.

J)

176

Die

Sechste

Sitzung

des Plenums 20. Oktober 1948

Nr. 6

Vizepräs. Schönfelder: Ich eröffne die Sitzung. Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie zu der 6. Plenarsitzung. Insbesondere ist es mir eine Freude, Mr. Mayhew3), den Vertreter des Außenministers der englischen Regierung, Mr. Bevin4), zu begrüßen. Mr. Mayhew hat uns die Grüße und guten Wünsche des englischen Außenministers übermittelt. Ich darf ihn bitten, unsere Grüße und guten Wünsche ihm zu erwidern. (Bravo!) [2. GESCHÄFTLICHES] Dann darf ich zunächst die Eingänge bekanntgeben5). Herr Hugo Paul hat mit Schreiben vom 6. 10. 19486) sein Mandat wegen Überlastung niedergelegt. Der Präsident des Landtags von Nordrhein-Westfalen teilt am 16. 10. 1948 mit, daß der Landtag von Nordrhein-Westfalen in seiner vom 7. Oktober ordneten Heinz Renner wählt habe. Ich begrüße Parlamentarischen Rates

Sitzung

1948

Abgeordneten Hugo Paul den AbgeMitglied des Parlamentarischen Rates geRenner und glaube, daß er an den Arbeiten des

an

(KPD)

Stelle des

zum

Herrn wie wir alle Freude haben wird.

(Heiterkeit.)

Ich darf weiter mitteilen, daß Herr Abgeordneter Josef Seihied sein Mandat wegen Erkrankung niedergelegt hat. Der Bayerische Landtag teilt mit Schreiben vom 15. 10. 1948 mit, daß der Bayerische Landtag in seiner Vollsitzung vom 14. 10. 1948 an Stelle des Abgeordneten Seihied Staatsminister a.D. Albert Rosshaupter zum Mitglied des Parlamentarischen Rates gewählt hat7). Herr Rosshaupter ist, glaube ich, noch nicht anwesend. Wenn er hier anwesend wäre, würde ich ihn ebenso freundlich begrüßen.

3) Christopher Mayhew (*1915),

seit 1946 Undersecretary of State im Foreign Office. Nach CAD/OMGUS sagte Mayhew den Delegierten in einer sich der Sitzung anschließenden Pressekonferenz, daß der Fortschritt an Demokratie in den westlichen Zonen wie ein Magnet auf die Bevölkerung der Ostzone wirken würde. Die westdeutsche Verfassung müsse so geschaffen werden, daß es später für die Länder der Ostzone möglich sei, dem neuen Staat sich anzuschließen. (Daily Political Report, 21. Okt. 1948 in: Z 45 F 17/154-2, folder 17; vgl. auch Westfalen-Zeitung vom 23. Okt. 1948, Artikel „Ständiger Fortschritt in den Westzonen", Ausschnitt in: Z 5/180 F). Ferner waren nach einem Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. bei dieser Sitzung anwesend der bayer. Staatsmin. Hundhammer, der franz. Gesandte Seydoux und sein Stab sowie die amerikanischen Verbindungsoffiziere Simons und Pabsch (Z 12/44, Bl. 195). Ernest Bevin (1881-1951), britischer Staatsmann, der Labour Party angehörend. Die vom Sekretariat zusammengestellten Mitteilungen in: PA 5/Nr. 28. Den Mitgliedern des Pari. Rates wurde der Rücktritt von Paul durch die Drucks. Nr. 232 mitgeteilt. In der Neuen Zeitung erschien am 12. Okt. 1948, S. 2 ein Artikel unter dem Titel „Warum Paul sein Mandat abgab". Darin wurde Pauls Beitrag in der 4. Sitzung mit den zahlreichen Zwischenrufen abgedruckt und vermutet, sein Rücktritt hänge mit diesem Auftritt zusammen. Der Rücktritt von Seifried und die Wahl von Rosshaupter wurde den Mitgliedern des Pari. Rates mit der Drucks. Nr. 190 mitgeteilt.

einem

4) 5) 6)

7)

Tagesbericht

von

177

Nr. 6

Für

Sechste

Sitzung des Plenums

20. Oktober 1948

des Parlamentarischen Rates

folgende Mitglieder

liegen Entschuldigungen

vor:

Herr Dr. Adenauer hat verreisen müssen. Inzwischen hat er Autounfall erlitten, und ich glaube, wir alle wünschen, daß er

allerdings von

den

einen

Folgen

dieses Autounfalls bald genesen möge8). Ferner haben sich entschuldigt die Abgeordneten Dr. Finck, Gayk, Heile, Kaiser, Dr. von Mangoldt, Schröter, Dr. Seibold, Dr. Suhr und zuletzt entschuldigt Frau Dr. Seibert. Das sind die Eingänge. Ich darf nun zunächst darauf hinweisen, daß Sie die Tagesordnung zu genehmigen haben; sie liegt Ihnen schriftlich vor9). Wird das Wort dazu gewünscht? Das scheint nicht der Fall zu sein; dann ist die damit als Tagesordnung genehmigt anzusehen. Der Altestenrat hat sich über die Erledigung der heutigen Tagesordnung dahin schlüssig gemacht10), daß heute nachmittag folgende Punkte zur Debatte stehen sollen: 1. Präambel, 2. Länderkammer. Er hat sich weiter dahin schlüssig gemacht, daß in der Reihenfolge zunächst die SPD, dann die CDU, dann die FDP, und bei der Länderkammer zunächst CDU, dann FDP, dann SPD und dann die kleineren Parteien, wenn ich mich so ausdrücken darf, in der Ihnen bekannten Reihenfolge das Wort nehmen. Ich brauche das nicht weiter auseinanderzuset—

zen.

[3. AUSSPRACHE ÜBER DIE

PRÄAMBEL]11)

Wenn sonst das Wort zur Geschäftsordnung nicht in die Tagesordnung ein und kommen zum ersten

Präambel. Ich eröffne die neten Dr.

8)

9)

es

treten wir

und erteile zunächst das Wort dem Herrn für die SPD erbeten hat.

Aussprache

Schmid, der

gewünscht wird, Gegenstand:

Abgeord-

Seinen Unfall, bei dem er einen Riß in der Kopfhaut und eine leichte Gehirnerschütterung erlitt, beschrieb Adenauer in einem Brief vom 19. Okt. 1949 an Paul Silverberg in Lugano, in dem er sein Kommen ankündigte (Mensing: Adenauer, Briefe, S. 327). Mit Schreiben vom 19. Okt. 1948 wünschte Carlo Schmid namens seiner Fraktion baldige Wiederherstellung seiner Gesundheit. „Ich hoffe, daß es Ihnen, sehr verehrter Herr Präsident, sehr bald wieder möglich sein wird, Ihre Arbeit im Parlamentarischen Rat wiederaufzunehmen. Sie werden wie kein anderer Entscheidendes dazu beitragen, um alle Gruppen dieses Hauses zu gemeinsamem Werke zu vereinen" (NL Blanken-

horn/241).

Tagesordnung zur Sitzung vervielf. als Drucks. Nr. 207. In der CDU/CSU-Fraktionssitzung vom 19. Okt. 1948 (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 82) war beschlossen worden, nach Möglichkeit auch das Wahlrecht auf die Tagesordnung zu setzen, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt nur Themen aufweise, die der SPD genehm seien. Das Wahlrecht wurde dann auf der Sitzung des 21. Okt. 1948 auf gesonderten Antrag hin Die

behandelt. Siehe Dok. Nr. 7, TOP 4.

10) Siehe Der Pari. Rat Bd. 10, Dok. Nr. A7. 11 ) Grundlage der Diskussion war die Version aus der Drucks. Nr. 200: Überschrift, Präambel, Art. 1-32 in erster Lesung vom Ausschuß für Grundsatzfragen angenommen. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 5, S. 333 ff.

178

Sechste Sitzung des Plenums 20. Oktober 1948

Nr. 6

(SPD): Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat gebeten, Vollsitzung einzuberufen12), weil wir davon überzeugt sind, daß ohne sehr weite Beteiligung der deutschen Öffentlichkeit an unseren Beratungen

Dr. Schmid

diese eine

Volk an unserem Werk nicht das Interesse nehmen wird, das ihm gebührt. Parlamentarische Demokratie bedeutet ja nicht nur Abstimmung zur Feststellung von Majoritäten, sondern bedeutet Diskussion und Öffentlichkeit, und zwar auch heute noch trotz der gelegentlich laut werdenden Skeptiker, die glauben, daß in einem Jahrhundert der Massendemokratie diese alten Kennzeichnungen für die parlamentarische Demokratie nicht mehr gälten. Diesem Erfordernis wird man nicht gerecht, wenn die Parteien ihre Diskussionen hinter den verschlossenen Türen der Ausschüsse führen. Ohne Öffentlichkeit fehlt der besten sachlichen Arbeit die Weihe und die Legitimität demokratischer Geburt. Auch Kabinettspolitik kann zu guten sachlichen Ergebnissen führen, nur ist sie eben keine Demokratie. Wir wollen aber Demokratie, nicht nur für später, wenn und zwar im vollen Sinne das Grundgesetz in Kraft sein wird, sondern schon heute, da wir dieses Grundgesetz schaffen. Wohlmeinende Kritiker unseres Antrages haben geglaubt, warnen zu müssen13). Ich bin überzeugt, daß es aus lauteren Beweggründen geschah, denn auch diese Kritiker dachten bei ihrer Warnung an einen wesentlichen Faktor der Demokratie, nämlich an die Notwendigkeit, verschiedene und oh gegensätzliche Standpunkte auf einer mittleren Linie zu versöhnen oder ihre Verschiedenheit auf einer höheren Ebene gegenstandslos zu machen. Sie fürchten, daß durch öffentliche Diskussion zur Unzeit notwendige Kompromisse unmöglich gemacht werden könnten. Gewiß, zur Technik der Demokratie gehört überall dort, wo nicht eine allgemeine Übereinstimmung besteht, notwendig der Kompromiß, es sei denn, daß eine Gruppe sichtbar Träger des Vertrauens der überwältigenden Mehrheit des Volkes ist. Dann hat diese Gruppe das Mandat, ihren Standpunkt rein durchzusetzen. Aber sie wird dies nur tun dürfen unter Achtung der Minorität und unter Wahrung ihrer Chance, ihrerseits morgen Majorität zu werden. Der Kompromiß darf aber nicht am Anfang der Diskussion stehen, sondern er muß ihr Ergebnis sein. In die Diskussion hat man mit einem klaren Standpunkt zu gehen, um mit einem sauberen und ehrenhahen Kompromiß herauskommen zu können. Das Volk muß diese Standpunkte und ihre Gründe kennen, und das Volk muß auch Zeuge sein, wie sich aus zwei ursprünglich verschiedenen oder gar entgegengesetzten Standpunkten aus der Logik der Situation heraus ein dritter, beiden Teilen gemeinsamer Standpunkt bildet. Sonst wird das Volk von Kuhhandel sprechen. Freilich, es ist nicht jeder Kompromiß möglich. Das Gebot der Selbstachtung und das Lebensinteresse des deutschen Volkes ziehen klare Grenzen. Diese auf Biegen oder Brechen -, und diese Verteidigung muß man verteidigen wird den politischen Gegner auf die Dauer immer überzeugen oder bezwingen. unser

-

-

-

12) Siehe Anm. 13) Ebenda.

1.

179

Nr. 6

Sechste

Sitzung des Plenums

20.

Oktober 1948

Ich glaube nicht, daß die öffentliche Darlegung der Standpunkte gerade in ihrer Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit die endgültige Einigung auf einer mittleren Linie oder einer höheren Ebene unmöglich machen oder erschweren könnte. Ich glaube das Gegenteil. Trauen wir uns doch etwas zu! Zur Demokratie gehört Mut verschiedenerlei Art, einmal der Mut, zu seiner Überzeugung zu stehen, dann aber auch der Mut, sich zu den Gesetzmäßigkeiten des demokratischen Prozesses zu bekennen, also auch zu alledem, ohne das Einheit im Verschiedenartigen nicht möglich ist damit also auch der Mut, gegebenenfalls zu bekennen, daß man einen Kompromiß eingegangen ist oder daß man der überlegenen Argumentation des Gegners wich. Ich für meinen Teil glaube nicht, mir etwas zu vergeben wenn ich einmal dazu Veranlassung haben sollte -, in aller Öffentlichkeit zu sagen: Ich war nicht vermögend, meine Gegner für meinen Standpunkt zu gewinnen oder sie zu zwingen, sich mit ihm abzufinden. Sie vermochten nicht, es mit mir zu tun. Die Not der Stunde gebietet eine praktische Lösung. Wir haben sie gefunden, zusammen gefunden, indem wir beide unseren Ausgangspunkt verließen und aufeinander zugingen. Wenn wir mit dieser Gesinnung heute in aller Öffentlichkeit sagen, wo wir stehen und warum wir, die einzelnen Parteien, dort stehen, dann wird der Umstand, daß wir dies öffentlich tun, nicht nur der künhigen, zu erhoffenden Einigung nichts schaden, sondern, wie ich glaube, unser Vorhaben fördern. Ich habe den Auhrag meiner Fraktion, deren Standpunkt zum Problem der Präambel vorzutragen. Wir sehen in der Präambel nicht einen rhetorischen Vorspruch, den man aus Gründen der Dekoration und der Feierlichkeit dem „eigentlichen" Text voranstellt. Wir sehen darin ein wesentliches Element des Grundgesetzes. Von ihr aus erhält es seine eigentliche politische und juristische Qualifikation. Darum muß unserer Meinung nach die Präambel alles enthalten, was zu einer ausreichenden Kennzeichnung unseres Werkes erforderlich ist. Sie muß das „Warum" unserer Tätigkeit enthalten. Der Leser des Grundgesetzes muß wissen, warum es zu diesem Grundgesetz kommen mußte und warum nicht etwas anderes, vielleicht „Normaleres" als dieses Grundgesetz geschaffen werden konnte. Die Präambel muß weiter die Quelle der Gewalt und des Rechtes nennen, die bei der Schaffung des Grundgesetzes wirksam werden. Sie muß sagen, wer der Schöpfer des Grundgesetzes ist und was ihn legitimiert hat. Sie muß weiter dartun, was dieses Grundgesetz sein soll und was es nicht sein soll, insbesondere was die räumlichen und zeitlichen Grenzen seiner Wirksamkeit sind. Schließlich muß in Anbetracht der Ungewöhnlichkeit der Situtation zum Ausdruck gebracht werden, was dem deutschen Volk zu tun noch aufgegeben bleibt. Die Präambel sollte darum die Umstände, die unsere Tätigkeit erforderlich machen und unseren Willen begrenzen, darlegen. Viel zuviel Deutsche sehen diese Umstände ausschließlich in der Tatsache, daß wir ein besetztes Land sind, und sie vergessen völlig, daß diese Besetzung nicht von ungefähr gekommen ist und daß ihr einiges, was wir zu verantworten haben, vorausging. Das —

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der deutschen Republik, die Demokratie also, ist vor jeder Besetzung schon durch die nationalsozialistische Zwingherrschah zerstört worden, deren erstes Opfer vor vielen anderen Opfern, die noch kamen die Freiheit der Deutschen war. Dann kam der Krieg, den diese Zwingherrschah im Schutze eines RückVersicherungsvertrages, der eine Teilung der Beute vorsah, über die Welt gebracht hat. Und im Gefolge der Niederlage wurde das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik zerstört. Deutschland wurde, staatlich gesehen, desorganisiert. Der Substanz nach blieb seine Staatlichkeit erhalten. Das ist ein so hohes Gut, daß es in der Präambel ausgesprochen werden muß. Deutschland ist von uns also nicht neu zu konstituieren, sondern neu zu organisieren. Hierauf hat in einer demokratischen Welt jedes Volk ein eigenständiges und unverzichtbares Recht. Man nennt dieses Recht Volkssouveränität, was nichts anderes bedeutet als das Recht auf freie Gestaltung des nationalen Lebens. Dieses Recht steht auch dem deutschen Volke zu und ist weder durch die Kapitulation noch durch die Besetzung untergegangen. Die Besetzung Deutschlands hat aber die Ausübung dieses Rechtes erheblichen Beschränkungen unterworfen. Diese Beschränkungen waren ursprünglich absolut. Sie wurden in der Folgezeit immer mehr gelockert, bis schließlich die westlichen Besatzungsmächte die Riegel so weit zurückgezogen haben, daß wir heute imstande sind, im Westen Deutschlands eine Organisation zu schaffen, die uns erlauben wird, zum mindesten unsere inneren Angelegenheiten in hoffentlich voller Autonomie selbst und einheitlich zu besorgen und zu verantworten. Wir können mit der Schaffung höherer Organisationsformen, als die Länder sind, nicht warten, bis die vier Besatzungsmächte sich auf eine gemeinsame Deutschlandpolitik geeinigt haben. Das kann noch lange dauern. Bis dahin könnte das Chaos in Deutschland endgültig geworden sein. Wir müssen auf der jeweils höchsten möglichen territorialen Stufe die deutschen Hoheitsbefügnisse in geordneter Weise in einer Spitze zusammenfassen, die so ausgestaltet ist, daß es möglich wird, gesamtdeutschen Anliegen unter gesamtdeutschen Gesichtspunkten gerecht zu werden. Das muß in der Präambel gesagt werden. Damit sind aber gleichzeitig andere Zielsetzungen zum Ausdruck zu bringen. Durch das Grundgesetz soll ja eine Ordnung geschaffen werden, die jedem einzelnen Deutschen die Freiheitsrechte schützt, ohne die ein Leben in Würde und Selbstachtung nicht möglich ist. Weiter soll das Grundgesetz ein wesentliches Mittel für die Erhaltung der Einheit der deutschen Nation sein: es wird Mut und Entschlossenheit und Hoffnung und Zuversicht auch dort wecken, wo eine schwere Hand die Deutschen vielleicht schon verzagen und ihnen die deutsche Zukunh ausweglos erscheinen ließ. Schließlich muß die Präambel deutlich machen, daß dieses Grundgesetz nicht Selbstzweck ist, sondern daß es nichts anderes ist als die heute mögliche Etappe auf dem Wege, der zur Schaffung einer neuen staatlichen Ordnung für die Bundesrepublik Deutschland führt. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir uns alle in folgendem einig sind: wir wollen durch dieses Grundgesetz keinen separaten westdeutschen

Gefüge

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Staat schaffen, sondern wir wollen

lediglich die Grundnorm für das Gefüge des organisatorischen Aufbaus schaffen, in dem das gesamtdeutsche Staatswesen, das durch Auhagen, die von außen kommen, an der vollen Selbstverwirklichung verhindert ist, heute in Erscheinung zu treten vermag. Es kann dies heute nur als Fragment; denn wesentliche Elemente der Staatlichkeit bleiben ihm auch weiterhin noch versagt. Und dieser organisatorische Aufbau kann nur auf einem Teil des deutschen Staatsgebietes verwirklicht werden. Denn nur

auf einem Teil dieses Gebietes wurde dem deutschen Volk erlaubt, in heier Wahl Abgeordnete zu entsenden, um die Formen und Inhalte dieses Notbaues zu bestimmen. Aber wenn auch nur auf ein Teilgebiet Deutschlands beschränkt was der Parlamentarische Rat schafh, ist eine gesamtdeutsche Ange-

legenheit

-

(Bravo!) und

dats,

geschieht

seiner

Legitimität nach auf Grund

eines

gesamtdeutschen

Man-

(Beifall) eines Mandats des deutschen Volkes, das sich in Ländern gliedert, aber nicht auf Grund eines Mandats der deutschen Länder selbst! Gewiß, die Legalität unseres Mandats beschränkt sich auf die Vollmacht, die uns in gesamtdeutscher treuhänderischer Funktion handelnd die Landtage der 11 Länder zu geben vermochten. Wir wissen aber, daß alle Deutschen, auch jene, denen man nicht erlaubt hat, Abgeordnete zu wählen, in uns die Treu-

-

händer auch ihrer Rechte und die

Träger

auch ihres Willens sehen.

(Zustimmung.)

Darum sind wir legitimiert, auch für sie zu handeln. Weil dem so ist, sitzen die Abgeordneten Berlins in unserer Mitte14), wennum nur eines zu nennen Berlin wie wir nicht Gegenstand der Londoner Empfehlungen15) wissen, gleich,

-

-

war.

Die

Folgerung

aus

all dem ist, daß im Westen Deutschlands durch das Grund-

gesetz keine partikuläre Hoheitsgewalt, sondern gesamtdeutsche Hoheitsgewalt

die heute mögliche Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt werden wird. Es haben manche gefragt, warum wir nicht bei dem alten Namen „Deutsches Reich" geblieben seien16). Wir haben es deswegen nicht getan, weil um diesen Namen Reich gewisse Untertöne schwingen, die seit einer geraumen Zahl von Jahren entgegen der Tradition des alten Deutschen Reiches sich verhängnisvoll ausgewirkt haben. Wir sollten einmal in Deutschland versuchen, auch einem nüchternen Namen, wie der Name Republik es ist, durch unser gegenwärtiges Tun eine Weihe zu geben, die imstande ist, die Deutschen in seinem Zeichen zu großen Taten des Friedens zu beflügeln. -

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-

-

14) Zur Teilnahme der Berliner siehe Dok. Nr. 1, Anm. 39. 151 Londoner Empfehlungen abgedr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. 161 Vgl. hierzu auch die Diskussion im Ausschuß für Grundsatzfragen. S. XXVII.

182

Der Pari. Rat Bd. 5,

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Freilich wird sich der Legalität nach der Geltungsbereich des Grundgesetzes auf das Gebiet Deutschlands erstrecken können, das durch die 11 Länder, die Abgeordnete entsenden konnten, ausgefüllt wird. Und die Präambel wird klar zum Ausdruck bringen müssen, daß das Grundgesetz an dem Tage automatisch außer Krah tritt, an dem eine hei gewählte, hei handelnde, von dem ganzen deutschen Volk entsandte Nationalversammlung nicht in Abänderung dieses Grundgesetzes, sondern originär die endgültige Verfassung, die wirkliche Verfassung Deutschlands geschaffen haben wird. Dieses Werk zu vollbringen, bleibt das deutsche Volk, auch nachdem wir unser Werk getan haben werden, aufgefordert. Und die Präambel soll dies sagen. Wenn wir auch in Stellvertretung für alle ein Notdach entwerfen und zimmern können die Formen und Inhalte des nationalen Lebens der Deutschen können in der Fülle und mit dem Anspruch auf Dauer nur von einer Versammlung gestaltet werden, die aus Abgeordneten aller Deutschen besteht, in der also die Ostgebiete nicht nur wie heute symbolisch, sondern leibhaftig vertreten sein werden. Das wird erst geschehen können, wenn alle Beschränkungen gefallen sind, die die Souveränität des deutschen Volkes heute noch hemmen. Diese Beschränkungen, meine Damen und Herren, werden einmal fallen, und sie müssen einmal fallen. Das deutsche Volk wird dann einen anderen Gebrauch von dieser Souveränität machen, als es die Übung der vergangenen Jahrzehnte gewesen ist. Während man sonst Souveränität wollte, um sie mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und sie zum Selbstzweck zu machen, wollen wir heute diese Souveränität haben, um Deutschland in Europa aufgehen lassen zu könnur

-

-



nen!

(Bravo!) So kann aber nur ein Volk handeln, das hei ist; denn um auf Souveränität verzichten zu können, muß man vorher souverän handeln können. Mag man uns wegen dieses Aufrufes schelten. Aber nur der ist ein wahrer Patriot, der durch die Freiheit seines engeren Vaterlandes hindurch das große Vaterland will, das das Vaterland von unser aller Vaterländern ist, der Vaterländer der Sieger und der Besiegten dieses Krieges, und das da heißt: Europa!

(Beifall.)

Vizepräs. Schönfelder:

Das Wort hat der Vertreter der Fraktion der CDU, Herr Dr. Süsterhenn17). Dr. Süsterhenn (CDU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Idealbild des Parlamentarismus, wie es die Künder und Theoretiker des parlamentarischen Systems in seiner Frühzeit gezeichnet haben, soll die wesentliche Aufgabe des Parlaments bzw. der Parlamentarier darin bestehen, parlando, das heißt durch Rede und Gegenrede die Wahrheit zu ermitteln und sich gegenseitig von der Wahrheit zu überzeugen. Wenn wir aber im Vergleich zu diesem

17) Süsterhenn

war in der Fraktionssitzung der CDU/CSU-Sitzung vom 19. Okt. 1948 als Plenarredner bestimmt worden, „da er als Nachredner für Herrn Carlo Schmid der geeignetste" sei (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 83).

183

Nr. 6

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die reale

des Parlamentarismus betrachten, Praxis in fast allen Parlamenten bei allen Völkern von diesem Idealbild weitgehend entfernt hat. Anstatt daß im Plenum des Parlaments in Rede und Gegenrede um die Wahrheit gerungen wird, anstatt daß in jedem Plenum des Parlaments der eine gewählte Volksvertreter den anderen von der Richtigkeit seiner Argumente zu überzeugen vermag, haben wir es erlebt, daß in fast allen Parlamenten und insbesondere in der parlamentarischen Geschichte Deutschlands festgefügte Parteihonten in festen Schlachtreihen aufmarschiert sind, die ohne Rücksicht auf das, was in der Diskussion vorgebracht wurde, nach ihrer gebundenen Marschroute, nach ihrer

Idealtyp so

müssen wir

geschichtliche Entwicklung

feststellen, daß sich die

sich bei der Abstimmung ihrer Überzeugung, ihrem oder ihren Interessen Programm entsprechend betätigten. Dadurch ist eine gewisse Starrheit, eine gewisse schemenhafte Unwirklichkeit in unseren parlamentarischen Betrieb hineingekommen, und das Schwergewicht der parlamentarischen Arbeit hat sich in die Ausschüsse oder gar in die interfraktionellen Besprechungen verlegt, wo dann die nun einmal notwendigen Kompromisse, die sowohl im Leben des einzelnen wie auch im Leben eines Volkes unvermeidlich sind, hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurden. Es sollte uns ungeheuer freuen, wenn hier von Bonn aus der Versuch unternommen würde, einen neuen Geist und eine neue Beweglichkeit in unser parlamentarisches System hineinzubringen und unsere parlamentarischen Gebräuche wieder dem Idealtyp anzunähern, wie er den großen Theoretikern des Parlamentarismus vorgeschwebt hat.

vorgefaßten Entscheidung

(Sehr richtig!)

Wir müssen natürlich dann auch die Konsequenz daraus ziehen, daß wir Volksvertreter als Einzelpersönlichkeiten gegebenenfalls auch wirklich den Mut haben, uns über die Schranken einer Partei und auch über einen Fraktionszwang

hinwegzusetzen. (Sehr gut!)

Denn nur dann ist eine echte Diskussion möglich, nur von Persönlichkeit zu Persönlichkeit kann der geistige Funke zünden. Wenn von Bonn aus ein neuer Stil in unser parlamentarisches Leben hineingebracht werden soll, so begrüßen wir das aus ganzem Herzen, weil wir darin einen Weg erblicken, um die weitgehende Lethargie, die die breiten Schichten unseres Volkes in politischer Hinsicht erfaßt hat, zu überwinden. Wir halten es für ein notwendiges Attribut jeder demokratischen Politik, daß diese Politik irgendwie öffentlich ist, daß sie im besten Sinne des Wortes publizistisch wirkt. Nur durch eine solche Publizität werden wir in der Lage sein, diesem Verfassungswerk, diesem Staatsgrundgesetz, um das wir uns hier bemühen, die feste Verankerung im Volk zu verschaffen, deren es bedarf, wenn es überhaupt eine politische Realität sein und nicht nur ein Fetzen Papier bleiben soll. Wir sind der Meinung, daß in einem solchen Staatsgrundgesetz mehr zum Ausdruck kommen muß als bloß einige Regeln über das technische Funktionieren der Behörden, über eine Abgrenzung der Zuständigkeiten und ähnliches mehr. Wir sind der Meinung, daß auch dieses Staatsgrundgesetz, das wir zu schaffen im Begriff sind, unser Volk zu großen geistigen Entscheidungen aufru184

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fen muß. Dieses Grundgesetz muß daher von einem bestimmten Geiste, von einem bestimmten Programm getragen sein, und dieses Programm muß dem Volke vorgestellt werden, damit jeder einzelne Bürger sich für oder gegen dieses Programm entscheide, damit er sich aus seiner Lethargie einmal auhaffe und seine politische Verpflichtung erkenne, die er nicht nur im Interesse der Volksgesamtheit zu erfüllen hat, sondern auch in seinem eigenen Interesse, weil ja auch die Einzelschicksale heute weitgehend von den Entscheidungen abhängen, die im politischen Raum gefällt werden. Auch die innere Freiheit, der innere Wert der Persönlichkeit bleibt nur ein leeres Schemen, wenn die Persönlichkeit und die Menschenwürde sich nicht auch in den politischen Raum hinein auswirken kann. Wir haben es in den zwölf Jahren totalitären Regimes in Deutschland erlebt, und wir erleben es in der Gegenwart noch bei den totalitären Regimen in den östlichen Bereichen, wo zwar die Freiheit auf dem Papier steht, in Wirklichkeit aber überhaupt nicht mehr existiert, weil die Menschenwürde nicht die Möglichkeit hat, sich real in das Leben hinein, auch in das politische Leben hinein auszuwirken und zu entfalten. Deshalb glauben wir, daß es richtig ist, dem kommenden Grundgesetz eine ganz bestimmte geistige Ausrichtung zu geben. Diese geistige Ausrichtung erblicken wir in dem Gedanken der Freiheit und der Menschenwürde. Wenn der Herr Kollege Schmid soeben mit Recht das Wesen der Präambel dahin umschrieben hat, daß sie dem Grundgesetz die politische und juristische Qualifikation geben soll, so möchte ich noch einen Schritt weitergehen. Die Präambel müßte meines Erachtens dem Grundgesetz auch diese geistige Ausrichtung, diese letzten Endes sittliche, ethische Qualifikation geben, um damit gerade dem Geist der Verfassung, den ich nicht als ein Schlagwort ansehe, sondern durchaus als eine politische Realität betrachte, Ausdruck zu verleihen. Die alten Naturrechtslehrer der Scholastik haben einmal von der sogenannten vis directiva, der Direktionskrah, der sozialpsychologischen und sozialpädagogischen Wirkung eines guten Gesetzes gesprochen. Ich bin der Meinung, wir müssen auch das Verlangen haben, daß eine solche volkspädagogische, sozialpsychologische dirigierende Krah von dem Gesetz auszugehen hat, das wir hier schaffen wollen. Diese dirigierende Krah muß auch schon in der Präambel zum Ausdruck gebracht werden, und zwar in der Weise, daß wir auch in der Präambel dieses Grundgesetz bereits so sichern, den zentralen Gedanken dieses Grundgesetzes so unterbauen, daß er nicht einfach durch einen Mehrheitsentscheid wieder weggefegt werden kann, sondern daß er seine fundamentalen Wurzeln letzten Endes auch im Metaphysischen findet. Deshalb sind wir der Meinung, daß sowohl in der Präambel wie auch in dem wesentlich >mit der Präambel zusammengehörigen Artikel 1 eine solche metaphysische Verankerung der ewigen menschlichen Freiheitsrechte erfolgen müßte, eine Verankerung, die etwa in der Weise geschehen könnte, daß zu dem Artikel 1 der Grundrechte, die Würde des Menschen ist begründet in ewigen Rechwo es heißt: „Sie ten" etwa der Zusatz hinzugefügt wird: Die Würde des Menschen ist begründet in ewigen, von Gott gegebenen Rechten. -

-

(Sehr richtig!) 185

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Wir sind der Meinung, daß wir eigentlich nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt wieder so weit gekommen sind, daß es möglich ist, überhaupt wieder von Gott zu sprechen18).

(Sehr richtig!)

uns bisher mit einer gewissen Zaghahigkeit geschehen. Es war für doch geradezu erstaunlich, als wir während des Krieges bei der Verkündung der Atlantik-Charta19) hörten, wie die beiden großen angelsächsischen Staatsmänner auch dieses Weltgesetz unter den Segen Gottes gestellt haben. Ich glaube, was große Staatsmänner wie Roosevelt20) und Churchill21) zu tun sich nicht scheuten, brauchen auch wir heute nicht abzulehnen. Meine Damen und Herren! Was nun die Präambel im einzelnen angeht, so stimme ich in großen Zügen dem zu, was der Kollege Schmid über Sinn und Zweck der Präambel und auch über den notwendigen Inhalt der Präambel hier ausgeführt hat. Man kann natürlich in Detailfragen und auch auf solche wenigstens skizzenhaft einzugehen, ist das Wesen und der Zweck einer Diskusverschiedener Meinung sein. Man kann zum Beispiel die Frage aufwersion fen, ob es gut und notwendig ist, ausgerechnet in dieser Präambel zum deutschen Staatsgrundgesetz dem Nationalsozialismus noch ein ewiges Denkmal zu

Das ist bei uns

-

-

setzen.

(Sehr richtig!)

Überzeugung sein, daß es vielleicht zweckmäßiger ist, diese Periode nicht noch ausdrücklich zur Grundlage, wenn auch nur zur historischen Grundlage dieses Staatsgrundgesetzes zu machen. Man könnte der

(Sehr gut!)

Man könnte auch über manche sonstige Formulierungen noch streiten. Ich stimme dem Herrn Kollegen Schmid durchaus zu, daß es wünschenswert ist, die politische Kontinuität und auch die juristische Kontinuität zwischen dem deutschen Staat aus der Zeit vor 1933 und dem jetzt wieder teilweise zu reorganisierenden deutschen Staatswesen irgendwie zum Ausdruck zu bringen.

Aber

man

könnte bei der

jetzt vorliegenden Formulierung durchaus die Frage

aufwerfen, ob der Satz: „Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen 18) Vgl. auch Süsterhenns grundlegenden Artikel „Weltanschauungsfragen im Staatsgrundgesetz", vervielf. als Drucks. Nr. 88 des BdMinPräs., undat. als Anhang zum Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 26. Nov. 1948 (Z 12/11, Bl. 132 ff.). Teile seiner publizistischen Beiträge zur Verfassungsdiskussion ediert von Peter Bucher

(Hrsg.):

Adolf Süsterhenn. Schriften

zum

Natur-, Staats- und

Verfassungsrecht.

Mainz

Okt. 1948 an den Parteivorstand hervor, daß Süsterhenn in dieser Plenarsitzung die Forderung erhoben habe, den Namen Gottes in der Präambel zu erwähnen (FESt NL Carlo Schmid/1162). 1B) Die Atlantik-Charta vom 14. August 1941 war eine gemeinsame Grundsatzerklärung dos brit. Premierministers Churchill und des Präsidenten der USA Roosevelt zu Fragen der Kriegs- und Nachkriegspolitik während einer Zusammenkunft auf dem US-Schlachtschiff „Augusta" vor Neufundland. Wichtige Prinzipien der Charta gingen in die Charta der UNO ein. J. W. Brügel: Die Atlantik-Charta, in: Europa-Archiv 6, 1951; G. Zieger: Die Atlantik-Charta. Hildesheim 1963. 20) Franklin Delano Roosevelt (1882-1945), 32. Präsident der Vereinigten Staaten. 21) Winston Churchill (1874-1965), von 1940-1945 britischer Premierminister. 1991. Menzel hob in seinem Bericht

186

vom

22.

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Republik wurde zerstört" nicht genau das Gegenteil von dem dartut, was eigentlich offensichtlich gewollt ist. Denn der Begriff „Gefüge" geht doch zweifellos weit über den Begriff eines nur äußeren organisatorischen Rahmens hinaus. Wenn ich von Gefüge spreche, ist doch irgendwie schon das Wesen der Dinge,

die Existenz, die Substanz mit angetastet und hier in diesen Zusammenbruch hineingerissen. Ich glaube, es könnte schon klarere Formulierungen geben, bei denen jedenfalls auch die Gefahr einer solchen genau umgekehrten Deutung ausgeräumt werden könnte. Wir sind uns weiter darüber einig und im klaren, daß wir hier als Sachwalter des deutschen Volkes und nicht nur als Länderbeauhragte stehen. Wir sind uns aber auch darüber im klaren, daß das deutsche Volk nun keine amorphe, formlose Masse ist, sondern daß das deutsche Volk nun einmal in Länder gegliedert ist. Diese Länder sind zweifellos man mag sie im einzelnen begrüßen oder bedauern oder in dieser oder jener Abgrenzung für richtig oder zur Zeit irgendwie politische Realitäten. Sie sind bis jetzt, bis falsch halten zu der Arbeit, die wir hier zu vollenden und ins Werk zu setzen haben, eigentlich sogar die einzigen politischen Realitäten höheren Grades, wenigstens auf den Gebieten der politischen Ebene22), auf denen überhaupt eine deutsche Wirkmöglichkeit besteht. Es scheint mir daher notwendig und zweckmäßig zu sein, den Gedanken, daß das deutsche Volk gegliedert in seine Länder zur Geltung kommt und hier handelnd auhritt, vielleicht noch um eine Idee deutlicher in der Präambel zum Ausdruck zu bringen, als es in dem bisher vorliegenden vorläufigen Entwurf der Fall ist. Ich bin der Meinung, daß wir uns als Sachwalter des deutchen Volkes, als Treuhänder des gesamten deutschen Volkes auch über den Rahmen der elf Länder hinaus fühlen sollten. Aber wenn hier in der Präambel gesagt ist: „bewegt von der Hoffnung aller Deutschen", so möchte ich von Herzen gern wünschen, daß das wirklich wahr wäre und daß das deutsche Volk wirklich so hinter uns stände. Was wir selbst wünschen, sollten wir uns doch nicht selbst in einer derartigen Weise bescheinigen, daß es eventuell nach einer gewissen Anmaßung oder gar Überheblichkeit aussieht. Es scheint mir richtiger, daß wir unsere subjektive Auffassung zum Ausdruck bringen, indem wir sagen: Wir betrachten uns als Treuhänder des deutschen Volkes, wir tragen Verantwortung gegenüber dem ganzen deutschen Volke und handeln aus diesem Verantwortungsgefühl und aus dieser von uns selbst und heiwillig übernommenen Verpflichtung heraus. Ich glaube, in dieser subjektiven Formulierung wäre dieser Satz eher erträglich als in dieser mehr objektiven Form, die angesichts des weitgehenden Désintéressements, das unserer Arbeit in den weitesten Kreisen des Volkes entgegengebracht wird, vielleicht ein klein wenig anspruchsvoll erscheinen könnte. Außerdem scheint es mir notwendig zu sein, daß wir auch bei der Abfassung der Präambel nicht über die juristischen Realitäten, die eigentlich die Basis für unsere Arbeit hier bilden, hinausgehen. Zu diesen juristischen Realitäten gehört mit

-

-

;) Der Rest des Satzes in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 187

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zweifellos das Dokument Nr. I23), auf das sich die ganze Arbeit dieses Parlamentarischen Rates aufbaut, auf Grund dessen er durch die Initiative der Ministerpräsidenten gebildet worden ist. In dem Dokument Nr. 1 ist klargemacht, daß die Verfassung einer Ratifikation durch die Länder bedarf, sei es, daß diese Länder durch ihre Landtage handelnd auftreten, sei es durch die Landesbevölkerung. Auch wenn die Landesbevölkerung im Wege der Volksabstimmung tätig wird, handelt es sich um die Tätigkeit eines Landesorgans, nämlich des gesamten Staatsvolkes dieses Landes. Wenn wir in dem Präambel-Entwurf bereits sagen, die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates haben dieses Grundgesetz beschlossen, so geht das nach meinem Dafürhalten über die uns eingeräumten Befugnisse hinaus. Wir können eine Vorlage beschließen, wir können Empfehlungen geben, etwas anzunehmen, aber die letztliche Ratifikation, das rechtliche Pünktchen auf das i wird doch im Wege der Landtags- oder24) Volksabstimmung in den Ländern gesetzt. Ich bestreite nicht, daß das, was wir beschließen werden, eine große moralische Wirkung und Bedeutung haben wird, auf Grund des Mandats, das wir juristisch haben, und auch auf Grund des politischen Mandats, das uns zuteil geworden ist. Aber die abschließende juristische Inkraftsetzung, soweit es sich um den deutschen Sektor handelt ich will von den Prärogativen, die die Militärbefehlshaber sich gegenüber unserem Werk vorbehalten haben, nicht reden -, hat nach dem Dokument Nr. 1 ganz klar und deutlich in der Länderebene und durch die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit der Länder zu erfolgen. (Dr. Schmid: Aber ratifiziert wird der Beschluß!) Aber dieser Beschluß ist doch eigentlich nur das Beschließen einer Vorlage und nicht das Beschließen eines Gesetzes. Herr Kollege Schmid, wenn ein Landtag, wenn ein vollberechtigtes Parlament ein Gesetz beschließt, ist damit dieses Gesetz materiell zustande gekommen. Es bedarf dann nur noch formell seiner Verkündung. Dagegen ist dieses Staatsgrundgesetz nicht bereits materiell zustande gekommen, wenn es vom Parlamentarischen Rat beschlossen wird, sondern es wird materiell erst zustande kommen, wenn es gemäß dem Dokument Nr. 1 auch von zwei Dritteln der Länder seine Ratifikation erfahren hat. Es scheint mir insofern eine ganz grundlegende Verschiedenheit zwischen den normalen Funktionen und Befugnissen eines landläufigen Parlaments und denjenigen dieses Sonderfalles des Parlamentarischen Rates vorzuliegen. Ich glaube aber, daß es durchaus möglich sein wird, diesen möglichen juristischen Bedenken in einer entsprechenden Formulierung Rechnung zu tragen. Ich darf noch ein Wort zu der Frage des Namens sagen. Jedes Kind muß einen Namen haben. Ich glaube, der Herr Kollege Schmid hat in der zweiten Sitzung dieses Hohen Hauses hier gesagt oder er hat das Bonmot in Herrenchiemsee geprägt: Nomen est omen25). Daran ist sehr viel wahr. Wir müssen uns meines -

-

;) Frankfurter Dok. Nr. I, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30. ) „Landtags- oder" in der Vorlage handschr. hinzugefügt. ') Schmid hatte in Flerrenchiemsee im Rahmen der Diskussion über den Namen die Pluralform verwendet: „Nomina sunt omina" (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 70). Desgleichen in der zweiten

188

Sitzung,

siehe S. 34.

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Erachtens darüber klar werden, ob wir diesen Namen nun nach den Gesetzen der inneren politischen Logik, der rationalen Überlegung oder nach den Gesetzen des nationalen Gefühls wählen wollen. Man kann sich für das eine wie für das andere entscheiden. Man kann sich vielleicht sogar zu der Behauptung versteigen, daß nationales Gehihl, selbst wenn es unlogisch ist, vielleicht mitunter die bessere politische Entscheidung ist als eine aus der politischen Logik gefällte Entscheidung, obwohl ich persönlich große Bedenken habe, mich diesem Satz, den ich irgendwo einmal gehört oder gelesen habe, so ohne weiteres und restlos anzuschließen. Mit Recht ist von allen Parteien dieses Hauses der hagmentarische, der provisorische Charakter dieses von uns zu schaffenden Gebildes mit unerhörter Schärfe und Deutlichkeit herausgestellt und betont worden. (Widerspruch in der Mitte.) Fragmentarisch ist dieses Gebilde zweifellos, gebietsmäßig sicher das wird keiner bestreiten können und hinsichtlich der Hoheitsbefugnisse auch. Denn daß wir kein vollsouveräner Staat werden, das ist bereits im Dokument Nr. I26) und im Dokument Nr. 327) gesagt. (Zuruf: Aber daß wir es werden wollen!) Das gehört mehr in das Gebiet der Zukunhsmusik. -

-

-

(Zuruf:

Das ist eine zweite

Kapitulation!)

die Tatsachen, so wie sie sind, als Realitäten nimmt und und mit ihnen rechnet, ist das keine Kapitulation, sondern das ist eine würdigt sehr verständnisvolle politische Einstellung. (Dr. Dehler: Wir bauen die Verfassung in die Zukunh. Darauf kommt es

Nein,

wenn man

-

an.)

Aber diese Verfassung soll ja nicht an irgendeinem Zukunhstage in Krah treten, sondern diese Verfassung soll vom Tage des Inkrafttretens an, vom 1. Januar oder 1. Februar an oder welcher Termin es sein wird geltendes Grundgesetz für uns sein. Sie soll uns für die Gegenwart dienen, aber auch in die Zukunft hineinweisen. In dem letzteren Punkt stimme ich absolut mit Ihnen überein. Da bin ich der Meinung, daß wir doch die Frage aufwerfen müssen, ob es mit den Gesetzen der politischen Logik zu vereinbaren ist, etwas, was wir alle nur in diesem eingeschränkten Sinn als Provisorium betrachten, bereits mit dem Namen des Definitivums auszustatten. Logischer wäre es zweifellos, den provisorischen Charakter des jetzt geschaffenen Gebildes auch in einer provisorischen Bezeichnung zum Ausdruck zu bringen, um das große Endziel, das große Endideal Deutschland und auch die Bezeichnung dafür dem Gebilde vorzubehalten, das tatsächlich alle deutschen Länder umfaßt, auch diejenigen deutschen Länder, die nicht zu den elf Ländern der westlichen Besatzungsgebiete gehören. Ich wollte diese Frage nur aufgeworfen haben. Wenn wir uns schon einmal dazu entscheiden, diesem neuen Gebilde die Definitivbezeichnung zu geben, müssen wir von der CDU allerdings den Standpunkt vertreten, daß der Name „Deutsches Reich" sachlich nicht das deckt, was -

-

26) Frankfurter Dok. 27) Frankfurter Dok.

Nr. I, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30. Nr. III, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 33. 189

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das Licht der Welt erblicken könnte28). Der Begriff des Reiches, wie er 1000 Jahre in der deutschen Geschichte gelebt hat, war der Begriff eines übernationalen, eines europäischen Gebildes. Es war die Bezeichnung für das christliche Abendland. Und wenn ich den Begriff „Reich" einmal in die moderne Sprache der gegenwärtigen Politik übersetzen wollte, müßte ich das, was man damals „Reich" genannt hat, heute europäische Union oder europäische Konförderation nennen. Wir müssen daher Gebilde, die diesen Charakter der übernationalen europäischen Völkergemeinschah tatsächlich nicht28) tragen, entsprechend bezeichnen. Für den Historiker ist es eine feststehende Erkenntnis, daß seit dem Jahre 1870 der Reichsbegriff innerlich verengt und auf ein Gebilde angewandt wurde, das eigentlich nur ein deutscher Nationalstaat gewesen ist, und zwar ein recht hagmentarischer deutscher Nationalstaat, der im Gegensatz zu anderen Nationalstaaten der Welt nur einen Teil der deutschen Bevölkerung umfaßt hat. Der historische Begriff „Reich", der vom Bismarck-Reich, ich will vom Dritten Reich überhaupt nicht von der Weimarer Republik worden reden zu Unrecht geführt ist, vermag nicht das zu decken, was wir hier sein werden, nämlich die nationalstaatliche Zusammenfassung nur eines begrenzten Teils der in Mitteleuropa gesiedelten Deutschen. Wir müssen daher zu einem anderen Ausdruck kommen. Jedoch bekennen wir uns nicht zu dem Ausdruck „Republik Deutschland", sondern ausdrücklich zu dem Ausdruck „Bundesrepublik Deutschland". Wir wollen einen föderalen Staat schaffen. Wir wollen deshalb, wie das auch bei den übrigen föderalistischen Staaten in der Welt üblich ist, diese Struktur, diese föderalistische Organisation unseres Staates auch bereits in seiner Namensbezeichnung zum Ausdruck bringen. Wir kennen die Vereinigten Staaten von Amerika; wir kennen die Schweizerische Eidgenossenschah, wir kennen die Bundesrepublik Österreich, wir kennen die Südafrikanische Union. Da alle bundesstaatlichen Gebilde diesen ihren Charakter in ihre Bezeichnung aufgenommen haben, sollten wir die föderalistische Organisation unseres Staatswesens auch in der Bezeichnung zum Ausdruck bringen, die wir dem neuen deutschen Staatsgebilde oder staatsähnlichen Gebilde geben, indem wir uns grundsätzlich zur „Bundesrepublik Deutschland" bekennen. Wir sind uns darüber im klaren, daß wir uns hinsichtlich des deutschen Freiheitsstatus in einer Entwicklung befinden. Der tiefste Punkt dieser Entwicklungslinie ist mit der Erklärung der Alliierten vom 15. Juni 1945:'°) umschrieben, worin sie festgestellt haben, daß eine deutsche Regierungsgewalt nicht mehr besteht und daß alle Regierungsbefugnisse in Reich, Ländern und Ge-

jetzt hier

-

-

28)

2!)) 30)

190

In der CDU/CSU-Fraktion war über den Namen am 12. Okt. 1948 mit folgendem Ergebnis abgestimmt worden; „Deutsches Reich"", 4 Stimmen; „Bundesstaat Deutschland", 12 Stimmen; Eventual Vorschlag statt „Bundesstaat"; „Bundesrepublik Deutschland", 18 Stimmen (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 75). „Nicht" in der Vorlage handschr. hinzugefügt. Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945, Abdr. in: Amtsblatt des Kontrollrates, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 11. Hiermit wurde die oberste Regiemngsgewalt durch die vier Besatzungsmächte in Deutschland übernommen.

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meinden auf den Alliierten Kontrollrat und die Besatzungsmächte übergegangen sind. Als Endpunkt der politischen Entwicklungslinie steht das Ziel, das in der Potsdamer Erklärung31) verkündet worden ist, worin die alliierten Mächte gesagt haben, es sei nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu einem Volk von Sklaven zu machen; es sei vielmehr ihre Absicht, dem deutschen Volke Gelegenheit zu bieten, sich auf eine spätere Erneuerung seines Lebens auf einer hiedlichen, demokratischen Grundlage vorzubereiten; falls seine eigenen Bemühungen ständig auf dieses Ziel gerichtet bleiben, werde es dem deutschen Volke nach angemessener Zeit möglich sein, einen Platz unter den freien, friedliebenden Nationen der Erde einzunehmen. Daß wir dieses Endziel, das die Besatzungsgewalt in der Potsdamer Erklärung sich selbst und uns gesteckt hat, noch nicht erreicht haben, darüber sind wir uns im klaren. Aber daß wir hier in Bonn auf dem Wege zu diesem Ziele begriffen sind, daß wir hier eine weitere Etappe schaffen, um auf dieses Ziel hinzukommen, darüber sind wir uns alle einig. Deshalb haben wir ja auch die Absicht, so schnell wie möglich zu arbeiten, dem deutschen Volk baldigst eine nationale Repräsentanz, ein Sprachrohr seiner Interessen und Ideen zu verleihen. Aber die Schnelligkeit darf nicht erzielt werden auf Kosten der Gründlichkeit. Es ist das Schicksal jedes Provisoriums, daß es die Neigung hat, sich zu einem Definitivum auszuwachsen. Fehler, die auf Grund eines unzulänglichen Provisoriums in ein Definitivum hineinkämen, wären tief bedauerlich und könnten unter Umständen unsere ganze zukünhige politische Entwicklung verhängnisvoll beeinflussen. Es ist schon gut so, daß hier saubere Arbeit geleistet, daß hier ernsthaft um die Probleme gerungen, daß mit voller Sachlichkeit gearbeitet wird und daß man sich auch die notwendige Zeit nimmt, um dem deutschen Volk etwas Positives zu geben, um dem deutschen Volk ein Haus zu bauen, das zwar noch den Charakter des Provisorischen oder des Erweiterungsfähigen an sich trägt, dessen Fundamente aber nach unserer Überzeugung auf dem ewigen Felsgrund des göttlichen Sittengesetzes errichtet werden müssen. (Beifall bei der CDU.) Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren! Der Ältestenrat hatte sich darüber schlüssig gemacht, daß die Redezeit 15 Minuten betragen soll. Der Herr Abgeordnete Dr. Schmid hat sie etwas überschritten. Der Abgeordnete Dr. Süsterhenn hat sie noch etwas mehr überschritten. Wenn wir in dieser Progression fortfahren, dann kommen wir sehr weit ab von unserem ursprünglichen Vorhaben. Ich möchte deshalb leise mahnend sagen: Halten Sie sich bitte an die 15 Minuten! Es ist für den Präsidenten peinlich, mit einem Klingelzeichen in den Fluß der Rede eingreifen zu müssen, besonders dann, wenn die Spre-

) Anspielung auf Abschnitt III der amtlichen Verlautbarung über die Konferenz von Potsdam vom 17. Juli-2. August 1945, Potsdam, 2. Aug. 1945, wo es hieß: „Es ist nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven." Siehe Ernst Deuerlein: Die Einheit Deutschlands. Bd. 1: Die Erörterungen und Entscheidungen der Kriegs- und Nachkriegskonferenzen 1941-1949. 2. A. Frankfurt, Berlin 1961, S. 347 f.

191

Sitzung des Plenums 20.

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eher, wie es bei den Herren Vorrednern der Fall war, die Aufmerksamkeit des Hauses haben. Als dritter Redner hat nunmehr das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Heuss. Dr. Heuss (FDP): Meine Damen und Herren! Mit einer gewissen Befangenheit spreche ich um deswillen zu dem Thema, weil ich selbst mit in dieser Camera caritatis saß, wo wir um Komma, Imperfektum und ich weiß nicht was noch bei der Formulierung dieser Präambel gestritten haben32). Es wäre mir eigentlich lieber gewesen, wenn jemand, der daran vollkommen unbeteiligt war, dazu gesprochen hätte. Es war ganz gut, daß Herr Dr. Süsterhenn gesprochen hat. Denn wenn Herr Schmid vorher sprach und wenn Herr von Mangoldt dagewesen wäre, so wäre das ein bißchen wie eine Augurenbegegnung gewesen.

(Heiterkeit.)

Dabei ist

es doch ganz natürlich: Wenn wir uns hier, wo wir nicht um die Kommata und das Imperfektum zu streiten haben, über die Präambel unterhalten, so wollen wir doch einmal den Versuch machen, zu sagen, was wir uns dabei gedacht haben, als wir sie formulierten. Und so werde ich mir doch in Unbefangenheit gestatten, zu sagen, daß ich mir etwas anderes gedacht hatte, als hier herausgekommen ist. Ich will also meine andere Auffassung über Sinn, Aufgabe und Aufbau der Präambel vortragen, zumal ich von meinen Freunden darum gebeten worden bin, obwohl ich einer der Mitautoren dieser Präambel gewesen bin. Bei meinen Fraktionsfreunden ist unsere Präambel furchtbar durchgefallen; ich fürchte, sie ist auch bei anderen Leuten durchgefallen. Ich habe sie über den Sonntag einigen Leuten gezeigt, und auch bei denen habe ich fast nur Vorwürfe und gar keine Zustimmmung gefunden. Vor allem, daß wir gleich am Anfang den Nationalsozialismus33) genannt haben, so daß der Hitler hereingekommen ist wie Pilatus ins Credo, das schien nicht ganz dem

Ausgang Ort

zu

unserer

finden,

hat. Man hat auch unserem

Arbeit angemessen, obwohl die Überlegung, den historischen in sich etwas Berechtigtes und vielleicht auch Notwendiges

gefragt:

Ist eine Präambel

überhaupt notwendig?

Kreise34) darüber gesprochen und festgestellt:

Im

Wir haben in

Jahre 1848, als

man

allerhand Talent zu Pathos hatte, ist keine Präambel gemacht worden, sondern man hat offenbar geglaubt, das Pathos der Zeit trage den Vorgang als solchen. Und die Geschichte von 1870 kann erst recht nicht als Präambel angesprochen werden; es ist nur eine Floskel, die etwas über den Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Fürsten aussagt35). Im Jahre 1919 ist dann eine Präambel geschaffen worden, und ich glaube, sie ist ganz gut

geworden36). ) ) ) )

Die Protokolle des Ausschusses für Grundsatzfragen in: Der Pari. Rat Bd. 5, passim. In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Hitler mit hineingebracht". Im Ausschuß für Grundsatzfragen war man sich über die Notwendigkeit einer Präambel ohne größere Diskussion einig. Der Pari. Rat Bd. 5, S. 14. Die Präambel der Verfassung von 1871 zählte die Fürsten auf, die einen „ewigen Bund"

schlössen

Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes. Dieser Bund wird den Namen Deutsches Reich führen und wird nachstehende Verfassung haben". „zum

Rechtes, sowie 192

zur

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(Zustimmung.)

Ich stehe auf dem

Standpunkt: Wir müssen in dieses Grundgesetz oder in diese verfassungsmäßige Rechtsordnung eine Präambel hineinbringen, schon um den exzeptionellen Charakter, der diesem Grundgesetz anhahet, irgendwie sichtbar und deutlich werden zu lassen, im Ablauf der Auseinandersetzung zu zeigen, wie ein Staat zu seiner Ordnung komme.

Aber ich habe etwas das Gefühl und habe es auch im Ausschuß zum Ausdruck gebracht -, daß wir, wie wir Deutschen nun einmal sind, die Geschichte etwas zu pedantisch und systematisch angefaßt haben. Nachdem wir nämlich eine schöne Generaldebatte gehabt haben37), hat man sich im Ausschuß gefragt: Was muß alles in die Präambel hinein? Dann haben wir aufgeschrieben: Das und das und das. Schließlich waren neun Punkte beisammen, die in die Präambel aufgenommen werden sollten. Und nun begann die höchst komplizierte Arbeit, diesen Gesichtspunkt und jenen Gesichtspunkt hineinzubringen. An sich war diese Überlegung ganz wohltätig, weil sie eine gewisse gedankliche Disziplinierung voraussetzte. Aber es ist nun jene Überlastung mit Geschichte entstanden, auch wenn eine gewisse Kadenz von der Vergangenheit über die Gegenwart hinein in die Zukunh herausgekommen ist. Und die literarische Formulierung ist dadurch ich will nicht sagen verunklart, aber doch in eine verschiedene Kraft gebracht worden. Das liegt mit daran, daß wir uns unbewußt es ist nicht ausgesprochen worden, aber jeder spürte es auch schon bei der Aufzählung dieser neun Punkte nicht immer an den gleichen Adressaten gewandt haben. Wir haben uns mit der einen Pointe an das gesamte deutsche Volk, mit der anderen an das westdeutsche, mit der dritten an das ostdeutsche Volk gewandt. Wir haben uns dann irgendwie an die Besatzungsmächte gewandt und denen gegenüber eine bestimmte Haltung markiert. Wir haben ein bißchen auch an die kommenden Rechts- und Verfassungshistoriker gedacht, um denen die Arbeit leichter zu machen, wie sie eigentlich unsere Arbeit nun einzuschätzen hätten. Dadurch ist für mein Gefühl manches nicht richtig geworden; wir kamen in die Gefahr, die ich selber früh genug ausgesprochen habe, daß wir in die historisch-leitartikelmäßige Darstellung einer gegenwärtigen Situation hineingeraten. Durch die Überdeutlichkeit, die wir jetzt hineinlegten, haben wir der Präambel etwas von der Würde des Bleibenden geraubt, die in ihr sein muß. Man kann das romantisch oder anders nennen. In der Theologie gibt es das Wort von dem „Numinosen", von dem, was das Geheimnisvolle, das Zeichenhahe ist. Und etwas Numinoses muß in einer Präambel drin sein; um Gottes willen nicht in der ganzen Verfassung, denn dann verunklart es die Rechtsdinge, aber gehobene Sprache, feierlicher Duktus der Worte, Kadenz der Sätze. Die Präambel muß eine gewisse Magie des Wortes besitzen. Man könnte auch von einer profanen -

-

-

s)

7)

Die Präambel der Weimarer Verfassung lautete: „Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben." Der Pari. Rat Bd. 5, insbes. Dok. Nr. 8 und 9. 193

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Liturgie38) sprechen, die in einem solchen Staatsgrundgesetz ihren Platz hnden will. Das Numinose flieht aber vor einer Ortsbezeichnung wie Bonn, vor einer Datumsbezeichnung wie dem 1. September 1948 und vor der Bezeichnung „Parlamentarischer Rat". „Parlamentarischer Rat" ist eine ganz nette Bezeichnung; aber sie ist doch eigentlich eine historische Notiz und markiert nur die geschichtliche Situation. Das alles ist ohne das Sakrale, (Dr. Schmid: So heilig sind wir auch nicht!) es ist einfach39) ein technischer Vorgang. Wir fixieren hier einen historischen Augenblick, und mit dieser harten Fixierung verderben wir das Schwebende und Dauernde, das in diesen Dingen mit sein muß. aber das geht schon ins Politische hinein Man kann also dieser schauderhaften „Übergangszeit" nicht die Ehre antun, sie im was für ein Wort! Grundgesetz zu erwähnen. Mir ist ganz klar, was damit politisch zum Audruck gebracht werden will. Daß wir hier und jetzt nicht das Dauernde schaffen wollen, dessen sind wir uns ganz bewußt. Ich habe das Problem schon in der ersten unserer Sitzungen aufgeworfen und gewünscht, daß wir nicht zuviel von diesem „Provisorischen", von dem wir wissen, daß es vorhanden ist, sprechen sollten. Ich glaube, es ist kein Gewinn für die Integrationskraft dieses Grundgesetzes im Bewußtsein des deutschen Volkes, wenn wir zu stark davon reden. Der Schwebezustand muß in den Zwischentönen zum Ausdruck kommen. Ich bin von meinen Freunden gebeten worden, eine andere Formulierung der Präambel zu versuchen. Ich hoffe nicht zu sehr in den Verdacht der Autoreneitelkeit zu geraten ein bißchen werde ich von dem Vorwurf ja verfolgt werden -, wenn ich Ihnen kurz die Formulierung vorlese, die ich seinerzeit dem Ausschuß vorgeschlagen habe49). In ihr wird der Versuch gemacht, unter Ausscheidung der Aktualität der Zeit- und Ortsbezeichnung die Gesichtspunkte lebendig zu halten, die uns allen gemeinsam waren und um deren Formulieaber „gerungen" ist vielrung wir im Ausschuß miteinander gerungen haben leicht etwas zu pathetisch ausgedrückt; ich möchte sagen: über die wir uns hin und her verständigten, ob wir nun sachlich einverstanden waren oder nicht. Mein Entwurf einer Präambel lautet so: „Das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern41) und so fort hat in diesem Grundgesetz die verfassungsmäßige Rechtsordnung seines staatlichen Lebens für die Bundesrepublik Deutschland neu geformt. Seine berufenen Vertreter, denen beratend die Abgeordneten von Berlin zur Seite standen, sind sich bei dem Werke der von der Machtlage erzwungenen Beschränkung ihrer heien Entscheidung bewußt gewesen. Sie haben bei der Durchführung ihres Auhrags sich als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Mit ihnen gemeinsam halten sie an dem unverzichtbaren Recht fest, dieser Regelung die -

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-

;) In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Historie". ') In der Vorlage korrigiert aus „sehr seltsamer, ja skurriler". ') Eine frühere Fassung der Präambel von Heuss abgedr. in: Der Pari. Rat Bd. 5, S. neue, abgeänderte Fassung wurde im nachhinein von ihm verlesen. ) In der Vorlage waren zunächst alle Länder aufgeführt worden. 194

158. Die

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freie Gestaltung des nationalen Gesamtlebens folgen zu lassen. Das Volk in den anderen deutschen Ländern bleibt aufgefordert, den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland zu vollziehen und in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die nationale Einheit und Freiheit neu zu gründen. Ich habe die Worte „neu zu gründen" gerne zurückgezogen zugunsten des Ausdrucks „zu vollenden". Ich will diesen Entwurf nicht breit kommentieren. Ich habe die Besatzungsmächte mit Bewußtsein draußen gelassen und nur von der „Machtlage" gesprochen. Ich habe mit Absicht neben den Begriff „Grundgesetz" den der „verfassungsmäßigen Rechtsordnung" gestellt, um ein größeres Pathos hereinzubringen. Ich habe mit Absicht den Begriff der Stellvertretung, gegen den man auch den Ausdruck des Treuhänderischen vertauschen kann, mit in diesen Vorschlag

hereingenommen.

Heute früh nun hat ein Freund, der früher stark im politischen Leben stand, in einem Brief eine Frage an mich herangetragen, die mich seitdem bewegt. Er meinte: Ihr müßt eigentlich etwas hereinbringen von dem Zustand, in dem dieser Versuch gemacht wird, der so unvergleichbar mit jedem anderen historischen Zustand ist: daß wir das Verfassungswerk schaffen in einem Zustand der Friedlosigkeit, daß wir den Frieden noch nicht haben. Das muß man überdenken. Wir sind heute und da schließe ich mich der Auffassung des Herrn Dr.

Süsterhenn durchaus an von der Rezeption des historischen Begriffs „Reich" so weit entfernt, daß wir auf ihn verzichten. Das Reich hat sachlich in seiner seelischen Greifkrah aufgehört im Jahre 1648, nicht 1806 und nicht 18 7 042), wie vorhin gesagt war. In diesen Tagen wird der Versuch gemacht, uns das Jahr 1648 zu vergegenwärtigen. Die Erinnerung daran ist von einer wahnsinnig schmerzhahen Aktualität, Frieden, Frieden, Frieden, danach hat das Volk damals gerufen, wie es heute danach ruh. Das Jahr 1648 ist in der Kriegsgeschichte wichtig genug; viel wichtiger ist es in der deutschen Verfassungsgeschichte. Denn recht eigentlich von diesem Jahre ab beginnt das Ende des Reiches; von diesem Jahre ab beginnt auch das ich will mich da auf keine politische Auseinandersetzung einlassen —, was man heute in Deutschland „Föderalismus" nennt, mit der Berufung darauf, daß eine besondere deutsche Eigentümlichkeit sei, was im Grunde ein von der Fremde diktiertes Gesetz der Not und der Schwäche gewesen ist. Wir wollen uns den Gedanken durch die Seele und das Hirn gehen lassen, ob wir von dieser Situation der Friedlosigkeit etwas zu sagen haben. Im ganzen glaube ich, daß unsere gemeinsame Besinnung noch einmal dorthin gehen muß, daß wir den Versuch der Straffung machen und den Versuch, den Akzent des Feierlichen zu sichern. Das muß gelingen, ohne daß wir in die Sprüche und in die Illusionen geraten. Wir dürfen das Werk nicht aufstellen für die Hämischen oder aus Angst vor den Hämischen. Sie sind vorhanden, gleichviel was wir machen. Die werden über das, was wir hier zustande zu bringen versuchen, ja doch ihre bösen, wüsten, absprechenden Bemerkungen machen. Wir müssen an diejenigen denken, die guten Willens sind und die wir -

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')

Der Rest des Satzes in der

Vorlage handschr. hinzugefügt. 195

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seelisch ergreifen wollen, ergreifen müssen und ergreifen können. Auf diese kommt es an. Darüber, ob man eine theologische Formel mit hereinnimmt oder nicht, können wir miteinander reden. Aber von dorther kommt auch die Sorge, dabei Gott zu bemühen für die Unzulänglichkeiten43), die Torheiten und die Mißverständnisse, die auf Grund eines sehr menschlichen Werkes entstehen44). Man muß sehr vorsichtig sein um der theologischen Position willen, diese sehr diesseitigen Werke zu stark im Metaphysischen verankern zu wollen, weil man sich selber dann in eine quasi NichtVerantwortung begibt. Aber darüber wird zu sprechen sein. Mir kommt es darauf an, daß wir die knappe, feierliche und doch sachlich bindende Form in der Präambel schaffen können, die, so mühsam und anständig unser gemeinsames Bemühen gewesen ist, im Ergebnis bis jetzt leider noch nicht vorliegt. (Lebhaher Beifall bei der FDP.) Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die heutige Aussprache hir verfrüht gehalten, obwohl wir den Wunsch verständlich finden und ihn unterstützen, daß das Interesse des deutschen Volkes an unserer Arbeit geweckt und gestärkt werden soll. Wir sind der Auffassung, daß es in diesem Augenblick, wo die Fachausschüsse ihre Arbeiten noch nicht ganz abgeschlossen haben, wo uns die vorläufige Fassung des erarbeiteten Gesamtentwurfes noch nicht vorliegt, wo die Erörterung der miteinander eng verflochtenen Einzelprobleme daher unvollkommen bleiben muß und wo die Sorge um die Erschwerung der interfraktionellen Aussprache und um das Erreichen des Zieles besteht, möglichst breite Mehrheiten in den grundlegenden Problemen zu finden, richtig gewesen wäre, noch eine kurze Vertagung dieser Aussprache vorzunehmen, eine Vertagung bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Hauptausschuß mit seinen Beratungen beginnen kann. Diese Aussprache mußte im Plenum als Ouvertüre zu der Arbeit des Hauptausschusses erfolgen, dieses Hauptausschusses, der ja presseöffentlich tagen soll und daher dem Verlangen nach Demokratie, also nach Aussprache und Öffentlichkeit, besser entsprechen wird als die notwendigen Arbeiten der Sachverständigen in den Fachausschüssen und der zudem klare und voraussichtlich endgültige Entscheidungen bringen dürfte. Wenn wir uns heute mit der gewünschten Erörterung von Teilproblemen zu einer nochmaligen Klärung der Standpunkte und ihrer Begründung abfinden, ohne daß Entscheidungen herbeigeführt werden können, so sind wir der Auffassung, daß man diese Debatte unter ein bestimmtes Motto stellen sollte. Sie werden mir verzeihen, wenn ich als Bergmann45) dabei an ein Wort Goethes denke, das er zu den oberschlesischen Bergleuten in Tarnowitz gesprochen hat, wenn auch die erste Zeile dieses Ausspruches den augenblicklichen Verhältnis-

irgendwie

) In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Mühseligkeiten". ) Folgt in der Vorlage gestrichen: „Aber ich wehre mich nicht dagegen". ) Seebohm war von seiner Ausbildung her Bergbauingenieur und Bergassessor im Preußischen Handelsministerium gewesen.

196

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nicht ganz entspricht. Dieses Wort, das Goethe damals in Tarnowitz für die deutschen Bergleute46) gesprochen hat, heißt: Fern von gebildeten Menschen, am Ende des Reiches, wer hilft Euch Schätze finden und sie glücklich bringen ans Licht? Nur Verstand und Redlichkeit helfen, es führen die beiden Schlüssel zu jeglichem Schatz, welchen die Erde verwahrt. „Verstand und Redlichkeit" sollten als Motto über dieser Debatte stehen, und dabei sollte bei allem Ernst auch der Humor nicht vergessen werden, der gerade hier am Rhein der genius loci ist. Meine Damen und Herren! Ich bin an der Fassung der Präambel vollkommen unbeteiligt, ich habe auch an den Verhandlungen in dem sie beratenden Ausschuß nicht teilgenommen. Als ich gestern diesen Präambel-Vorschlag zum ersten Mal las, da erkannte ich, daß er wohl alle Mängel, die ein Kompromiß aufweisen kann, besitzt, daß sie aber vor allen Dingen sprachlich derart unschön ist, daß sie mich so wenig befriedigt, wie mich die Präambel der Weimarer Verfassung47) durch ihre schöne Sprache immer behiedigt hat. Man hat in dem Ausschuß vielleicht vergessen, dem „Volk aufs Maul zu schauen" und eine Fassung zu suchen, die sprachlich wirklich schön und vor allem auch sen

eindeutig

ist.

Aber abgesehen von diesen Mängeln habe ich auch zum Inhalt der Präambel eine Reihe von Anliegen. Der Hauptteil des Präambel-Entwurfs beschähigt sich mit der Festlegung der politischen Situation zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes und versucht ferner, darzustellen, wie die Verfassung rechtlich zustande kam. Man hat einen solchen Versuch auch in Weimar gemacht. Wenn Sie die Protokolle des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung durchsehen, finden Sie in der 40. Sitzung vom 16. Juni 19 1 948) einen Antrag von Geheimrat Kahl49), der das gleiche Ziel verfolgt. Kahl hat damals zur Begründung auf die Reichsverfassung von 1849, auf die Preußische Verfassung von 1850, auf die Norddeutsche Bundesverfassung von 1867 und auf die Deutsche Verfassung von 1871 hingewiesen. Aber der Gedanke, das rechtliche Zustandekommen der Verfassung festzustellen, wurde damals auf Vorschlag von Herrn Preuß grundsätzlich abgelehnt50). Er wies dazu insbesondere auf die Verfassungen der Schweizer Eidgenossenschah und der Vereinigten Staaten hin und wünschte, daß aus der Präambel keine rechtlichen Konsequenzen gezogen werden sollten, daß sie vielmehr nur eine „solenne Einleitungsklausel" sein solle.

46) In der Vorlage „für die deutschen Bergleute" handschr. hinzugefügt. 47) Siehe Anm. 36. 48) Sitzungsprotokolle des Verfassungsausschusses (8. Ausschuß). Verfassunggebende Deutsche

Nationalversammlung 1919/20. Niederschriften.

49) Wilhelm Kahl (1849-1932), MdR, seit 1895 Professor für Kirchenrecht, Staats- und Strafrecht in Berlin. Seit 1911 Mitglied, später Vorsitzender der beim Reichsjustizamt gebildeten Strafrechtskommission, die den Entwurf eines Strafgesetzbuches zu erarbeiten hatte. In der Weimarer Nationalversammlung war er im Verfassungsausschuß und beeinflußte dort wesentlich die staatskirchlichen Bestimmungen der WRV. Klaus Achenbach: Recht, Staat und Kirche bei Wilhelm Kahl. Diss. Regensburg 1972. 50) Zu Hugo Preuß siehe Dok. Nr. 2, Anm. 86. 197

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Damit können wir heute hir dieses Grundgesetz nicht einverstanden sein. Aber wir müssen doch gewisse Einschränkungen wünschen, denn es bestehen erhebliche Bedenken gegen eine zu eingehende Darlegung der augenblicklichen Situation in der Präambel. Wir wissen nicht, wie die Nachwelt unsere Lage beurteilen wird, wenn sie einmal historisch geworden sein wird, und ein Vorwegnehmen des Urteils über eine historische, aus der Schau zeitlicher Entfernung gesehene Situation erscheint mir zu anspruchsvoll, als daß man das jetzt festlegen sollte. Darüber hinaus habe ich die Sorge, daß eine solche Festlegung in späteren Zeiten bei der Beurteilung dieses Werkes zu einer Fülle von Auseinandersetzungen führen könnte, die wir lieber vermeiden sollten. Ich habe auch gewisse Bedenken gegen eine zu exakte staatsrechtliche Festlegung, deren Folgen wir nicht überblicken können. Ich habe schon am 9. September in diesem Hause ausgeführt51), daß ich den Gedanken eines Staatshagmentes deswegen ablehnen muß, weil für uns die Grundlage eines Staates nicht allein in der Existenz eines Staatsvolkes gegeben ist, sondern in der geistigen Aufgabe einer bestimmten Gemeinschah im Rah-

der Evolution der Menschheit. Grundlage der jetzt zu schaffenden Verfassung ist die Kontinuität des deutschen Staatswesens, das trotz des Untergangs der Staatsorganisation durch seinen unverlierbaren Souveränitätsanspruch fortlebt. Das Deutsche Reich besteht, seitdem im Jahre 911 nach dem Tode des letzten Karolingers Ludwig deutsche Fürsten Konrad von Franken zum deutschen König wählten. Es ist dies staatsrechtlich ein anderer Vorgang als die Erneuerung des Römischen Reiches durch die deutsche Nation im Jahre 962 durch Otto den Großen. Seine Kaiserkrönung war der äußere Ausdruck dafür, daß das deutsche Volk die ihm zugewiesene imperiale Aufgabe im wesentlichen eine geistige und keine machtpolitische Aufgabe auf sich nahm. Deutschland als Staat ist durch die Königswahl von 911, die die Exponenten der deutschen Länder vornahmen, geboren worden, und seitdem besteht das Deutsche Reich, auch wenn seine Organisationsform in dieser langen Zeit verschiedentlich zerbrach. Immer jedoch wurde seine Kontinuität weitergetragen durch den unverlierbaren Anspruch des deutschen Volkes auf Souveränität. Deswegen haben wir Bedenken gegen eine Verankerung des Grundsatzes eines Staatshagments in der Verfassung und gegen eine zu starke Betonung der Unvollkommenheit und des vorläufigen Charakters unserer Arbeit. Wir sind der Auffassung, daß es notwendig ist, diesen Gedanken der Kontinuität zu betonen gerade wegen der unerträglichen Lage, in der wir uns während dieser Arbeit befinden, wenn wir an Berlin und an die Ostzone denken. Wir müssen jeden Versuch, die Kontinuität des deutschen Staates einseitig von der Ostzone her zu beanspruchen, abwehren und durch unsere Arbeit diesen Anspruch eindeutig für das deutsche Gebiet sichern, in dem den Menschen die Freiheit zur eigenen Meinungsbildung und zur politischen Entscheidung gegeben ist. Nur so wird jedem Versuch ostzonaler Staatsgründung die Legitimität entzogen, einer Staatsgründung, die in ihrer Gestaltung dem Willen des deutschen Volkes nicht men

Die

-

-

51) Siehe Dok. 198

Nr. 3, S. 121.

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und ihm aufgezwungen werden soll. Darauf müssen wir bei der der Präambel Rücksicht nehmen. Fassung Wir müssen auch in diesem Zusammenhang noch einmal an die Lage in Weimar denken, wo nach einer wesentlich stärkeren eigenen revolutionären Umformung des deutschen Staates ihm eine neue Verfassung gegeben wurde. Damals hat im Verfassungsausschuß am 5. März 1919 Hugo Preuß52) erklärt: Die Frage, ob der neue Staat Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches ist, kann in Wirklichkeit gar nicht gestellt werden. Es ist ganz selbstverständlich dasselbe Rechtssubjekt mit veränderter Verfassung. Das Reich als solches besteht fort. Das muß auch die Grundlage für unsere Arbeit sein. Die Rechtsvoraussetzung unserer Arbeit, die als historische Tatsache nach meiner Auffassung in der Präambel nicht besonders festgelegt zu werden braucht, ist die Tatsache der Konstituierung des Parlamentarischen Rates als eines souveränen Organes, als des Treuhänders des Souveränitätsanspruches des deutschen Volkes. Als solcher hat der Rat gehandelt, als er zu dem Fall Berlin53) und zum Tode des Grafen Bernadotte54) Stellung nahm. Wenn ich zum Inhalt der Präambel noch weitere Ausführungen machen darf, so muß ich darauf hinweisen, daß wir bei dieser Fassung einiges vermissen, was mit der von Herrn Dr. Süsterhenn gewünschten Verankerung des Werkes im Metaphysischen zusammenhängt. Ich bin der Auffassung, daß die ethische Qualifikation der Präambel klar und deutlich hervortreten muß. Ich bin der Auffassung, daß die Bezugnahme auf unsere Verantwortung vor Gott in diese Präambel hineingehört; denn wir sind nicht nur dem deutschen Volk, sondern durch unser Gewissen auch den geistigen Mächten verantwortlich, die sich in Gott personifizieren. Auch im Weimarer Verfassungsausschuß ist diese Frage erörtert worden. Damals bestand die Sorge, ein Antrag hierüber könnte abgelehnt werden, und man hat wegen der Gefahr dieser Ablehnung verhindert, daß er überhaupt gestellt wurde. Das soll uns aber heute nicht beeinflussen, die Notwendigkeit dieser Bezugnahme klar und eindeutig zu vertreten. Ferner scheint es mir notwendig, in der Präambel Bezug zu nehmen auf die guten und lebendigen Kräfte in der Tradition unseres Volkes und auf die Auswirkungen für die Zukunh. In der Präambel muß auch gesagt werden, daß das von uns zu schaffende Grundgesetz die Fundamente eines Rechtsstaates legen soll. Ferner muß sie die Verpflichtung enthalten, für den Fortschritt der menschlichen Gesellschah, besonders im sozialen Sinne, zu sorgen. Und endlich muß in der Präambel der Wille des deutschen Volkes klar und eindeutig zum Ausdruck kommen, in Frieden und Freiheit als Glied in der Gemeinschah der Völker seine Kraft restlos einzusetzen für die Einheit Europas, für die Wohlfahrt aller Menschen, für ihre Freiheit und für den Frieden auf Erden. Wenn ich diese Gedanken zusammenfasse, so komme ich zu einer Ablehnung der vorgeschlagenen Präambel. Das zwingt mich jedoch, wenn ich nicht nur

entspricht

52) Zu Hugo Preuß siehe 53) Siehe Dok. Nr. 4. 54 ) Siehe Dok. Nr. 5.

Anm. 50.

199

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Kritik üben will, im Namen der Deutschen Partei neue Vorschläge zu unterbreidiesen Vorschlägen gehört auch eine Uberschrift. Wir haben aus den vorgetragenen Gründen erhebliche Bedenken gegen die Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland". Gerade aus dem vorgetragenen Grundsatz der Aufrechterhaltung der Kontinuität glauben wir, daß wir ebenso wie in Weimar gezwungen sind, an dem alten Namen Deutsches Reich55) für den deutschen Staat festzuhalten unter klarer Betonung seines föderalen Charakters, seines Charakters als Bundesstaat. Infolgedessen haben wir folgenden Präambel-Entwurf der Deutschen Partei vorbereitet, den ich Ihnen hiermit vorlese56): Grundgesetz zur Erneuerung des Deutschen Reiches. Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott, in Treue zu seinen Vätern und zum Nutzen der kommenden Geschlechter, erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu wahren, erneuert das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, ten. Zu

Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern

Mitwirkung der Vertreter Groß-Berlins das Deutsche Reich als Bund deutscher Länder, der alle deutschen Staaten als gleichberechtigte Glieder umfassen soll. Es will einen Bundesstaat schaffen, der in der Gemeinschah der Völker sein Leben im Dienste des Rechtes und des Fortschrittes der menschlichen Gesellschah in Freiheit und Frieden gestaltet. Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat der Vertreter der KPD; ich nehme an, Herr unter

Renner! Renner

(KPD): Meine Damen und Herren! Als Anlaß für die Abhaltung dieser öffentlichen Tagung des Parlamentarischen Rates wurde zu Beginn der Aussprache herausgestellt, daß es notwendig sei, das Volk, das an „unserem Werke" so wenig Anteil nimmt, auf die Bedeutung desselben gebührend hinzuweisen, das Interesse des Volkes an diesem Werke zu wecken. Nun, nehmen Sie mir das nicht übel: Wenn das Volk den bisherigen Ablauf, den bisherigen Duktus der Reden, die hier gehalten worden sind, mit verfolgen und anhören müßte, dann bin ich der Auffassung, daß das Volk verzweifelt und voller Langeweile diesen Saal verläßt und sich eventuell sogar in den kühlen Rhein stürzt. (Heiterkeit und Zurufe: Sehr witzig!) Ich lasse aber die Frage durchaus offen, ob der genius loci, der hier in Bonn aus Wein oder aus Wasser bestehen kann, schuld an dieser Art der Reden ist. Ich erlaube mir nur den einzigen Hinweis, daß wir uns hier in einem Universitätsraum befinden und daß diese Tatsache die Art der Reden gewisser Sprecher des heutigen Tages erheblich beeinflußt zu haben scheint. Jedenfalls, der homme Wunsch, den mein sehr geschätzter Vorredner hier ausgesprochen hat, daß man dem Volke aufs Maul schauen müsse, ist in der Formulierung dieser Präambel bestimmt nicht erfüllt.

551 „Deutsches Reich" in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 5ß) Der Präambel-Entwurf von Seebohm wurde in der 19. Sitzung des Ausschusses für

Grundsatzfragen am

200

9. Nov. 1948

besprochen.

Der Pari. Rat Bd. 5, S. 501 ff.

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dieser PräambeP7\ der in erster Lesung verabschiedet worden ist, heute hier nach schweren Geburtswehen vorgelegt. Die Schwieder bei Geburt dieser Präambel sind begreiflich. Sind doch eine Reihe rigkeiten entscheidender Fragen zu klären, wie etwa 1. die Frage der Aktivlegitimation zur Schaffung einer derartigen Verfassung, 2. die Frage der Veranlassung zur einer die neuen mit dieser Verfassung verdie 3. Ziele, Schaffung Verfassung, werden 4. die in Form welcher diese sollen, Frage, folgt Verfassung Rechtskrah erhalten soll, ob etwa das Volk Gelegenheit haben soll, durch Volksentscheid über Annahme oder Ablehnung dieses Entwurfes zu entscheiden, wobei die Feststellung sehr interessant ist, daß darüber zwischen den Parteien dieses Hohen Hauses auch heute noch keine Klarheit besteht58). Aber der entscheidende Inhalt dieser Präambel zu einer Verfassung scheint mir der zu sein, daß die Frage des politischen, des wirtschahlichen und des gesellschaftlichen Charakters des zu schaffenden neuen Staates in dieser Präambel genau und klar umrissen ausgesprochen wird. (Zuruf links: Sowjetrepublik Deutschland!) Das liegt auch an dem vielen Wasser, das hier fließt! Der

Entwurf

wird

-

uns nun

(Heiterkeit.)

vorliegende Präambel geht wohl auch, allerdings folge als der von mir als richtig angesprochenen, an

Die

in einer anderen Reiheneine Reihe dieser Fragen

heran; aber auf die andere und auf die letzte entscheidende

vor

allen

Dingen

gibt sie nicht die Antwort, auf die unser Volk heute ein Anrecht hat und die es auch erwartet. Diese Präambel, ich kann mir nicht helfen, ist nicht mehr und nicht weniger als ein rhetorisches Vorwort, wiewohl das ausdrücklich vorhin bestritten worden ist. Sie sprechen hier schamhaft nur von einem „Grundgesetz", und wenn auch die Herren Ministerpräsidenten peinlich das Wort „Verfassung" vermieden haben, es ist doch eine Verfassung, was hier geschaffen werden soll, und alles Gerede an diesen Dingen vorbei ändert nichts an dieser Tatsache. Man könnte hier

höchstens so formulieren, daß keiner von Ihnen die Vaterschah für das Kind, das geboren werden soll, öffentlich übernehmen will. Im geheimen stehen die Dinge hier wesentlich anders. Es ist auch sehr bezeichnend, hier und in den Ausschüssen die Auseinandersetzungen darüber mitzuerleben, welchen Namen man dem Kinde geben soll, ob man dem Kinde eventuell noch einen Beinamen oder Nachnamen geben sollte wie etwa „Westdeutschland" oder „Restdeutschland". All das ist sehr zu beachten, und es ist sehr interessant, das zu verfolgen. Aber eins steht fest: Diese Verfassung, die Sie sich hier geben, ist die Verfassung für einen separaten föderalistischen Weststaat. Sie wollen nicht sagen „Weststaat". Alles Gerede ändert aber nichts an der Tatsache, daß Sie ihn praktisch schaffen. (Dr. Schmid: Und der Oststaat?) Sie sagen, das deutsche Volk der westdeutschen Länder habe Ihnen den Auftrag gegeben, eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der —

57) 58)

Zum Wortlaut siehe Der Pari. Rat Bd. 5, S. 333. Zur Diskussion dieser Frage siehe Jung: Grundgesetz und

Volksentscheid, passim. 201

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Sitzung des Plenums 20. Oktober 1948

und so eine staatliche Ordnung für die Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Das ist Ihre „Aktivlegitimation", von der Sie Gebrauch machen. Und nun die Wirklichkeit, die historische Wahrheit: Sie haben keine Aktivlegitimation vom deutschen Volk erhalten! Sie sitzen hier in Ausübung eines Befehles der Militärregierungen, enthalten in den Londoner Empfehlungen59), die an Sie weitergeleitet wurden durch die Herren Ministerpräsidenten. (Dr. Schmid: Sie sitzen ja mit dabei!) Das ist die historische Wahrheit. Es kommt aber darauf an, Herr Dr. Schmid, zu welchem Zwecke man hier sitzt. Wenn man zu dem Zwecke hier sitzt, den Sie verfolgen, am Ende langer Diskussionen zu einem Kompromiß zu kom-

Hoheitsgewalt

men,

(Zuruf: sehr richtig!) dann ist das etwas anderes, als

eingetreten ist(Zuruf: die Diktatur

zu

wenn man zu

dem Zweck in dieses Hohe Haus

erreichen!)

versuchen Sie doch, ein bißchen sachlich zu bleiben ich sage also: dann ist es etwas anderes, als wenn man in dieses Hohe Haus allein deswegen hineingeht, um zu verhüten, daß die Spaltung, die Sie betreiben, sich so unter Ausschluß der Öffentlichkeit vollzieht. (Dr. Schmid: Das könnten Sie besser im Osten sagen!) Leider haben wir im Augenblick nicht die Kraft, die Spaltung aufzuhalten. (Dr. Schmid: Im Osten könnten Sie es?!) Für den Osten gebe ich Ihnen gleich die gebührende Antwort, Herr Dr. Schmid. Ich habe Sie auch ruhig angehört, vielleicht sind Sie so nett und unterbrechen mich nicht. Vor allen Dingen erwarte ich das von Ihnen, nachdem Sie gestern im Ausschuß so einige Auslegungen des Begriffes „Demokratie" gegeben haben60). Also gewähren Sie mir eine Spur der Demokratie, die für —



-

angeblich maßgebend

Sie

ist.

(Dr. Schmid: Gut!)

weiter. Also ich konstatiere noch einmal: Sie haben nur die eine Legitimation in der Hand für Ihre Handlungen, das ist der Befehl der Militärregierungen; nichts anderes liegt hier vor. Und man darf noch weitergehen. Sie, das heißt diese sogenannten demokratischen Parteien, die in diesem Hause

Und

nun

vertreten zu

sind, haben die Militärregierungen förmlich umworben, diesen Befehl in Ihrer Gesamtheit haben, um nur eine Frage herauszugrei-

erlassen61). Sie

59) Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. 60) Welchen Ausschuß Renner hier meinte, blieb ungeklärt, da am

19. Okt. weder der HptA noch der Ausschuß für Grundsatzfragen tagte. 61) Bezeichnend dürfte eine Bemerkung von Robertson in einem Telegramm an das Foreign Office vom 12. Jan. 1948 nach einem Gespräch mit Herbert Kriedemann (Mitglied des Wirtschaftsrates und besoldetes Mitglied des Parteivorstandes der SPD) sein: „Both the SPD and the CDU in my opinion are convinced that a Government for West Germany is necessary and desirable under the present circumstances, but they will wish to place upon the Allies the responsibilities for its creation" (FO 371/70 571).

202

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fen, um

anstatt die

die

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Frage des Friedensschlusses eines Besatzungsstatuts!

zu

20.

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stellen, vorgezogen,

zu

Schaffung

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kämpfen

Sie hier anstreben, steht in einem klaren und eindeutigen Gegensatz Potsdamer Abkommen62), aus dem einer der Herren Vorredner auch einen Passus herausgenommen hat, der ihm gerade paßte. Aber im Potsdamer Abkommen sind doch einige Dinge, die unvereinbar sind mit den Befehlen der Militärregierungen und auch unvereinbar mit dem, was Sie hier durchführen in Form der Verfassung für den kommenden westdeutschen Separatstaat. Im Potsdamer Abkommen ist zum Beispiel auch festgelegt, daß Deutschland bereits während der Besatzungszeit als nationale und wirtschahliche Einheit zu betrachten ist. Da steht drin, daß während der Besatzungszeit die Entnazifizierung und Entmilitarisierung Deutschlands durchzuführen ist. (Dr. Schmid: Seydlitz-Polizei63), da kann man anfangen! Heiterkeit.) Da steht drin, daß Deutschland schnell einen gerechten Frieden erhalten soll, und da steht drin, daß Deutschland zentralisierte, vielmehr zentrale Reichsverwaltungsinstanzen und zwar in der Form von vier Staatskommissaren erhalten solle. Nun überprüfen wir einmal die Entwicklung hier bei uns in Westdeutschland mit den im Potsdamer Vertrag auch von den Westmächten so feierlich unterschriebenen Verpflichtungen. Wo sind wir heute? (Dr. Schmid: An der Oder-Neiße-Linie!) Sie sagen, wir sind gezwungen, wir können nicht mehr länger warten, wir müssen das Chaos beseitigen. Wer hat es denn geschaffen, meine Herren?

Das,

was

zum

-

-

(Zuruf: Sie!)

-

-

Wer hat es denn geschaffen, frage ich Sie! Wollen Sie mir da auch die Antwort geben: „Die Sowjetbesatzungsmacht hat es geschaffen"?

-

(Dr. Schmid: Aber natürlich!) Eine sehr dumme Antwort, Herr Dr. Schmid! Das glauben Sie nämlich selber nicht, was Sie jetzt gesagt haben. (Dr. Schmid: Doch, das glaube ich!) Für das Chaos sind die reaktionären Parteien64) hier im Westen, für das Chaos sind die internationalen Krähe verantwortlich, die sich nicht an das Potsdamer Abkommen gehalten haben. (Zuruf: Herr Renner, wir sind hier in der Pädagogischen Akademie, nicht in der Demagogischen Akademie!) Ziehen Sie sich diesen Schuh an, Herr, er paßt Ihnen mehr als mir.

-

(Heiterkeit.)

-

sprechen hier in der Präambel davon, daß die nationalsozialistische Zwingherrschaft das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt hat. Dazu konnte man hier heute eine sehr bezeichnende Äußerung hören. Es gab hier einen Herrn, der gesagt hat, man könne diese Bemerkung glatt streichen, man solle nicht von Sie

62) Potsdamer Abkommen siehe Dok. Nr. 1, Anm. 22. 63) Seydlitz-Polizei siehe Dok. Nr. 4, Anm. 28. 64) „Reaktionäre Parteien" in der Vorlage handschr. eingefügt für „Abgeordnete". 203

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Hitler reden, man solle ihm kein Denkmal errichten65). Nun, ich denke, man muß von Hitler reden, wenn man den Auhakt finden will für die politische, für die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Neuordnung des kommenden Staates, der keinen monopolkapitalistischen, imperialistischen, friedenbedrohenden Charakter haben darf. (Dr. Schmid: Aber auch keine Konzentrationslager!)66) Darum muß man sich mit Hitler beschähigen und muß von der Tatsache ausgehen, daß Hitler auch im Auftrag bestimmter Kräfte diese Zwingherrschaft aufgerichtet hat. (Dr. Schmid: Richtig!) Und nun, Herr Dr. Schmid ich wende mich an Sie als Hauptzwischenrufer -, möchte ich eines feststellen: Sind die Krähe, in deren Auftrag Hitler seine Zwangsherrschah aufgerichtet hatte, denn tot bei uns in Deutschland? Sind die tot? Die sind doch noch alle höhlich da!

-

-

-

(Zurufe.) Ihr Parteivorsitzender,

Herr Dr. Schumacher, hat vor zwei Jahren auf einer Parteifunktionärkonferenz Ihrer Partei in Köln67) die Feststellung gemacht, daß heute in allen leitenden Positionen der Wirtschaft und der Verwaltung die alten Kräfte der Reaktion sitzen, denen das deutsche Volk Hitler und das heutige Elend verdankt. (Lebhahe Zurufe von der SPD.) Und nun sagen Sie, (Fortgesetzte lebhahe Zurufe. Glocke des Präsidenten.) Nun sagen Sie: Demokratie! Ich habe nur 15 Minuten. Machen Sie Ihre Zurufe lieber (Glocke des Präsidenten.) Vizepräs. Schönfelder: Herr Renner, einen Augenblick! Ich meine, den Eindruck zu haben, als wenn Zwischenrufe aus dem Publikum erfolgt sind. -

-

-

-

-

(Zuruf: Ganz richtig!) verboten, meine sehr geehrten

Das ist

Damen und Herren. Wer sich der Diszi-

plin nicht fügt, muß hinausgewiesen werden; denn es hat niemand Abgeordneten das Recht, sich an den Beratungen der Abgeordneten

außer den beteili-

zu

gen, auch nicht durch Zurufe. Renner (KPD): Ich habe die Frage an Sie gerichtet, Herr Dr. Schmid, ob Sie nicht mit mir der Auffassung sind, daß damals Herr Dr. Schumacher mit seiner Feststellung absolut ins Blaue getroffen hat. (Heiterkeit. Dr. Schmid: Weitgehend!) Diese Feststellung ist aber zwei Jahre alt, und Sie wollen doch hier nicht behaupten, daß in den zwei verflossenen Jahren etwas geschehen ist zur Abstellung dieses skandalösen Zustandes, den Ihr Parteivorsitzender vor zwei Jahren bereits festgestellt hat. -

-

) Vgl. den Beitrag von Süsterhenn in dieser Sitzung. ') Zu den Konzentrationslagern in der SBZ siehe Dok. Nr. 10, ) Gemeint war vermutlich eine Rede von Schumacher am Parteifunktionären. 204

Anm. 31. 3. Febr. 1946 in Köln

vor

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(Dr. Schmid: Immerhin haben wir noch keine Konzentrationslager!) Immerhin haben wir aber heute in allen leitenden Positionen der Wirtschah und Verwaltung die Naziaktivisten, Kriegsverbrecher und Nutznießer des Hitlersystems in allen Positionen -, denen wir heute unser Elend verdanken. Das können Sie auch mit allen Redensarten nicht aus der Welt schaffen. Vizepräs. Schönfelder (unterbrechend): Einen Augenblick! Das Thema des heutigen Tagesordnungspunktes ist die Präambel. Verlieren Sie sich bitte nicht allzuweit in allgemeine politische Erörterungen. Renner (KPD): Ich sprach von der Notwendigkeit, Hitler in der Präambel zu erwähnen. Sie werden mir nicht gut widerlegen können, daß die Erwähnung Hitlers schon aus dem Grunde notwendig ist, weil heute noch so viele Nutznießer seines Systems und seiner Ordnung und seines Verbrechens leben und bei uns in den „demokratischen" Parteien sitzen. (Zurufe: SED! Markgraf68)!) Nein, ich meine Herrn Dr. Pferdmenges69) unter anderen. Ich kann Ihnen noch einige 50 andere nennen, auch aus Ihren Reihen der „jungen demokratischen CDU"! -

-

-

-

(Heiterkeit.) Nun? -

(Erneute Heiterkeit.)

Gehen wir einen Schritt weiter. Ich halte dieser Ihrer verwaschenen Formulierung in der Präambel die Formulierung entgegen, die den Verfassungsentwurf des Volksrates70) einleitet. Da steht nichts Numinöses, da geht es ohne feierlichen Duktus der Worte, da wird etwas ganz anderes klar und eindeutig ausgesprochen. Als Ausgangspunkt der Verfassung heißt es: „In der Gewißheit, daß nur durch eine auf die Souveränität des Volkes sich gründende demokratische Republik die Einheit der Nation, der soziale Fortschritt, die Sicherung des Friedens und die Freundschah mit anderen Völkern gewährleistet wird, hat sich das deutsche Volk diese Verfassung gegeben." (Zuruf: Wo bleiben die Menschenrechte?!) Wo bleiben die Menschenrechte? Ich weiß nicht, was dieser Zwischenruf soll. Von den Menschenrechten ist in dieser Verfassung ja auch nur in sehr deklaratorischer Form die Rede. Vizepräs. Schönfelder (unterbrechend): Verzeihung, ich möchte noch einmal daran erinnern, (Renner: Mich stört das nicht!) daß nur Abgeordnete berechtigt sind, Zwischenrufe zu machen. Renner (KPD): Mich stört das nicht. Wenn ich nun einen Schritt weitergehe zu diesen Menschenrechten der Herr meint wahrscheinlich die Grundrechte -, dann stelle ich hier fest, daß die Grundrechte in Ihrem Verfassungsentwurf nur -

-

-

') Zu Markgraf siehe Dok. Nr. 4, Anm. 11. ') Robert Pferdmenges (1880-1962), Bankier, 1947-1949 Mitglied des Wirtschaftsrates (CDU), Freund und Berater von Adenauer. Vgl. das Porträt von Wilhelm Treue in: Geschichte im Westen, Jhrg. 5 (1990), S. 188-210. ') Zum Verfassungsentwurf des Volksrates siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. 205

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in derselben unverbindlichen deklaratorischen Weise enthalten sind wie seinerzeit in der Weimarer Verfassung. Sie sind aber diesmal noch nicht einmal so weit gegangen, daß Sie sich den fundamentalen Grundsatz der Weimarer Verfassung zu eigen gemacht hätten, daß die Souveränität vom Volke ausgeht. So weit sind Sie heute nicht einmal gekommen! Und nun sagen Sie: Wir laden das gesamte deutsche Volk ein, sich dieser unserer Verfassung anzuschließen. Sie sagen weiter, daß Sie das tun auf Grund der Tatsache, daß Ihnen das deutsche Volk in seiner Gesamtheit das Mandat gegeben hätte, einschließlich der Vertreter Berlins, wobei Sie unterlassen, davon zu sprechen, daß die Vertreter Berlins bestenfalls die Westsektoren Berlins vertreten. Sie sagen also: Wir laden das übrige deutsche Volk ein, sich dieser Verfassung anzuschließen. Da ergibt sich doch nun die Frage: Wer lädt wen ein, und in welchen Verein soll der Eingeladene eintreten, in welche Verfassung soll der Eintretende sich hineinbegeben? (Zuruf: In eine demokratische, Herr Renner, nicht in eine volksdemokrati-

sche Ihrer Art!) Ich werde Sie noch auf drüben aufmerksam machen.

einige

Unterschiede in der Demokratie hüben und

-

(Große Heiterkeit.) den Hinweis, daß drüben das Problem der einer der gefährlichsten Gruppen der Gruppe, Enteignung nämlich der Kriegstreiber, Großagrarier, gelöst ist. Dort hat man also eine Potsdam erfüllt. Dort hat man die Großagrarier entschädivon Bestimmung hat und Siedlerstellen geschaffen. Und hier bei uns 500 000 gungslos enteignet im Lande Nordrhein-Westfalen haben wir uns in der vergangenen Woche mit den Durchführungsbestimmungen zu diesem englischen Gesetz beschäftigt71). Und der Extrakt ist der: Aufstellung eines Zehnjahresplans; jedes Jahr sollen 2000 Siedlerstellen geschaffen werden. Das macht in 10 Jahren 20 000. Und daneben steht die Frage: Woher das Geld nehmen, um die hier bei uns notwendigen Entschädigungen aufzubringen? So stehen wir hier vor der Tatsache, daß die Durchführung dieses erbärmlichen Agrarreformgesetzes scheitert, weil unser Finanzminister von Nordrhein-Westfalen kein Geld hat. Er hat aber Geld, um diesen Parlamentarischen Rat anteilmäßig zu finanzieren. (Zurufe und große Unruhe.) Vizepräs. Schönfelder (unterbrechend): Verzeihung, einen Augenblick! Ich habe jedem Redner Spielraum gegeben, über die 15 Minuten hinaus zu sprechen, aber nicht zu dem Zweck, nun über etwas anderes zu reden als über unser Thema. Renner (KPD): Ich mache Ihnen einen demokratischen Vorschlag: Sie ziehen die Unterbrechungen ab. Ich bin nämlich unterbrochen worden. Ich erlaube mir

-

'

einer

zum

Beispiel und

zwar

(Heiterkeit.)

71)

206

Durchführung der (Bodenreformgesetz) vom 16. Mai

Bodenreform und Siedlung in Nordrhein-Westfalen 1949 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, 1. Juni 1949, Nr. 15). Peter Hüttenberger: Nordrhein-Westfalen und die Entstehung seiner parlamentarischen Demokratie. Siegburg 1973, S. 418 ff. Gesetz über die

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Vizepräs. Schönfelder: Ich habe die Unterbrechungen schon berücksichtigt. (KPD): Dann lassen Sie mich noch fünf Minuten ungestört sprechen

Renner

und sorgen Sie dafür, daß die Unterbrechungen hinterherkommen beim nächsten Redner. Die sprechen ja dreimal zu dem Thema. Vizepräs. Schönfelder: Wenn Sie sich auf die Präambel beschränken, werden die Unterbrechungen aufhören. Renner (KPD): Ich will auf eine andere Frage hinaus, und zwar die Frage der Entmilitarisierung, die das Potsdamer Abkommen zwingend vorsah. Wie steht es damit bei uns? Bei uns sind die alten Konzerne wiederhergestellt und die alten Konzerninhaber sitzen wieder in ihren Stellen. Drüben hat man diese Betriebe der kriegshetzerischen Monopolkapitalisten in volkseigene Betriebe umgewandelt, hat die alten Konzerninhaber zum Teufel gejagt und hat die Betriebe entschädigungslos in die Hand des Volkes übergeführt72). Das ist die Erfüllung des Potsdamer Abkommens. (Lebhahe Zurufe: Seydlitz73)! Und in die Diktatur!) Und hier, Herr Dr. Schmid, ein Wort an Sie: wir streiten uns hier seit mehr als zwei Jahren um den Begriff der Sozialisierung des Bergbaues. Wir reden in unserem Landtag beinahe zwei Jahre Vizepräs. Schönfelder (unterbrechend): Einen Augenblick, Herr Renner! Ich muß doch sagen, daß von der Industrialisierung und Sozialisierung in der Präambel wirklich nicht die Rede ist. (Heiterkeit und Zustimmung.) Ich möchte Sie doch bitten, sich wirklich an das Thema zu halten. Sie provozieren ja mit diesen Ausführungen, die nicht zum Thema gehören, gerade die Zwischenrufe, die Sie nicht gern auf ihr Konto nehmen wollen. Renner (KPD): Ich gehe ja aus von der Präambel, (große Heiterkeit und Zurufe) ich sprach davon, daß die Nutznießer des Hitlertums hier nicht beseitigt worden sind, und weise nun darauf hin, daß zum Beispiel auch die Behandlung der Frage der Sozialisierung des Bergbaues, wie sie hier bei uns betrieben worden ist, ein Beweis dafür ist, daß die Hitlerkrähe bei uns noch vorhanden, noch im Amte sind, im Besitz ihrer Macht. Und nun eine Frage an Sie, Herr Dr. Schmid: Wie vereinbart sich denn der bei uns bestehende Zustand mit Ihrer sozialdemokratischen, auf dem Düsseldorfer Parteitag74) so feierlich ausgesprochenen Forderung nach der „Verwirklichung des Sozialismus als Tagesaufgabe"? Sehen Sie, wenn man sich die Verwirklichung des Sozialismus als Tagesaufgabe stellt, dann muß man in der Präambel die Grundrechte schaffen, dann muß man nicht deklaratorische Erklärungen -

-

aus DDR-Sicht geschrieben Stefan Doernberg: Die Geburt eines neuen Deutschland 1945-1949. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und die Entstehung der DDR. Berlin (Ost) 1965, S. 127 ff. Zu Seydlitz siehe Dok. Nr. 4, Anm. 28. Siehe die Publikation: Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 11. bis 14. September 1948 in Düsseldorf. Hamburg

) Siehe hierzu

) )

1949.

207

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machen, sondern

man muß die Grundrechte in der Verfassung gesetzlich verankern. Diesem Problem gehen Sie ja bewußt aus dem Wege. Sie wollen ja den Weimarer Zustand wiederherstellen, diese Unklarheit, die dort geschaffen wurde. Und nun ein letztes Wort. Wir sind der Auffassung, daß eine gesamtdeutsche Republik gebildet werden muß, in der die monopolkapitalistischen, imperialistischen Kräfte, die auf den Krieg treiben und die für den letzten Krieg verantwortlich sind, wirtschahlich und politisch entmachtet sind. Wir stehen auf dem Boden einer zentralen deutschen Republik, die die Grundsätze verwirklicht, die ja in der Ostzone auf politischem, wirtschahlichem und gesellschahlichem Gebiet vollzogen worden sind. Wir sind der Auffassung, daß allein die Verwirklichung dieser Grundvoraussetzungen und -bedingungen das schafft, was Sie alle angeblich wollen, nämlich die Sicherung der Einheit der Nation, den sozialen Fortschritt, den Frieden und die Völkerverständigung. Das ist der Inhalt einer Verfassung, wie wir sie bejahen. Und da diese Punkte weder in Ihrer Präambel noch in Ihrer Verfassung vorgesehen sind, lehnen wir diese Präambel ab. Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat nunmehr Frau Abgeordnete Wessel. Frau Wessel (Z): Meine Damen und Herren! Ich glaube, Sie werden Verständnis dafür haben, daß es für mich jetzt nicht leicht ist, nach den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Renner wieder zur Präambel zu kommen; denn gerade seine Ausführungen haben ja gezeigt, wie verschiedenartig in unserem Volke draußen die Meinungen sind, die man sich von der Präambel und von dem zu schaffenden Grundgesetz macht. Es ist auch nicht notwendig, daß ich all das wiederhole, was von den Herren Vorrednern gesagt worden ist, und ihre Standpunkte unterstreiche. Wir haben aus den ganzen Ausführungen wohl entnommen, daß die Beratungen gerade zur Präambel doch noch nicht so durchdacht gewesen sind, daß sie ein einheitliches Bild des Wollens gegeben haben, das wir haben möchten. In diesem Sinne möchte ich als Sprecherin der Zentrumsfraktion kurz unseren Standpunkt darlegen und sagen, was wir noch an Wünschen und Erwartungen zur Präambel, aber auch zu den Grundfragen im ganzen zu sagen haben. Eins ist ganz klar aus den bisherigen Darlegungen herausgekommen; daß die Formulierung der Präambel noch vielerlei zu wünschen läßt. Und so wichtig das Pathos und der Wortlaut einer Präambel auch sein mögen die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Heuss waren dafür sehr aufschlußreich -, so wichtig ist auch, daß in der Präambel und in dem Grundgesetz das niedergelegt wird, was dem Zustande des Volkes und was seiner politischen Situation entspricht. Wir hatten in Weimar eine der besten Verfassungen der Welt gemacht, und doch ist die Geschichte darüber hinweggegangen. Darum sind das Komma und der Strich vielleicht nicht so notwendig und so wichtig, sondern wichtig und notwendig ist, daß der einfache Staatsbürger fühlt und weiß, was in der Präambel steht. Und darum sollte sie so einfach und klar wie möglich -

sein.

(Brockmann: Sehr richtig!)

Aus dieser

Sorge hat auch die Zentrumsfraktion ihre Wünsche und Sorgen. Wir hätten gesetz 208

zur

Präambel und zum Grunddaß die Präambel

gewünscht,

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noch nicht in diesem Kreise zur Besprechung gekommen wäre, sondern daß erst ganz klar und deutlich die verschiedenen Meinungen und Auffassungen geklärt hätte. Herr Abgeordneter Dr. Schmid hat vom Kompromiß gesprochen. Selbstverständlich ist wie im Leben des einzelnen Menschen so auch im politischen Leben ein Kompromiß möglich und notwendig. Aber ich möchte doch glauben, daß es gerade in den Fragen, die einem Grundgesetz, wie wir es schaffen wollen, vorausgestellt werden müssen, gelingen sollte, sich eine einheitliche Meinung und eine einheitliche Auffassung in diesem Parlamentarischen Rat zu erarbeiten. Die Zentrumspartei sieht es in der Präambel und in dem darauf begründeten Grundgesetz als die wichtigste Aufgabe an, die Freiheitsrechte und die Menschenwürde zu sichern. Ich glaube, über diese Aufgabe sind wir uns bei allen gegenteiligen Meinungen und Äußerungen, die wir gehört haben, wohl klar. Und diese Menschenwürde ist, wie der Herr Abgeordnete Dr. Süsterhenn ausführte, in den ewigen, von Gott gegebenen Rechten begründet. Zu den bereits gegebenen Ausführungen zu der Präambel möchte ich neben der Menschenwürde auch noch auf den Begriff der Freiheitsrechte und der daraus zu ziehenden Schlüsse eingehen. Wir sagen, daß das deutsche Volk von dem Willen erfüllt sein soll, seine Freiheitsrechte zu schützen. Und wie wichtig für ein Volk wie auch für den Einzelmenschen die Freiheit ist, darüber haben wir ja in den vergangenen 15 Jahren unserer ereignisreichen Geschichte einen sehr deutlichen Anschauungsunterricht bekommen. Erst der freie Mensch kann sich echt entfalten, denn im menschlichen Sein ist die Freiheit in ihren Grundelementen ja nichts anderes als geistige Selbständigkeit, Selbstsein, Fähigkeit zur eigenen Entscheidung, aber auch die tätige Anerkennung jener Beziehungen, in denen die Menschen zueinander stehen und in echter Toleranz begegnen. Wir Deutschen haben immer sehr viel von der Freiheit gesprochen und noch mehr gesungen. Wir wissen aber auch aus der deutschen Geschichte und aus unseren eigenen Erfahrungen, daß es häufig um die Freiheit des deutschen Menschen schlecht bestellt war, wenn die Freiheit nicht ein echtes Anliegen der Menschen selber war. Und darum muß es uns gelingen, den deutschen Menschen den Begriff einer wirklichen Freiheit erst wieder zu vermitteln. Freiheit kann nicht durch Gesetze und Institutionen verwirklicht und gesichert werden, sondern erst, wenn die Menschen in ihren äußeren Räumen hei sind und der Staat nur so viel an Gesetzen und Maßnahmen vorschreibt, wie zur Erreichung der Wohlfahrt der Menschen notwendig ist. Diese für das Freiheitsgefühl wichtige Tatsache sollten wir nicht außer acht lassen, auch dann nicht, wenn die Arbeit an einem Bundesgesetz in den juristischen Formulierungen trocken und nüchtern erscheint. Verfassungen müssen auch das lebendige Wollen und Streben eines Volkes dokumentieren; nur dann werden sie vom Volke bejaht und getragen und im entscheidenden Augenblick verteidigt. Und die in einem Volk gegebenen Freiheitsrechte sollten die Grundlage bilden zur Regelung der Pflichten des einzelnen wie der Gesellschah. Wie aber in Wirklichkeit diese Freiheitsrechte gewertet und gesehen werden, wie sie in echter Toleranz geachtet und geübt werden, danach wird das Leben des einzelnen wie der Gemeinschah bestimmt. man

209

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Überzeugung,

die bereits Aus dieser Erkenntnis ist die Zentrumsfraktion der mein Fraktionskollege Brockmann in der dritten Plenarsitzung dieses Hohen Hauses dargelegt hat75), daß zu den in einem Grundgesetz zu garantierenden Freiheitsrechten unter allen Umständen auch das vom Naturrecht gegebene

Elternrecht

gehören muß76).

(Brockmann: Sehr richtig!)

Die Begründung dieses Rechts hat bereits Herr Abgeordneter Brockmann in seiner Rede gegeben77), und ich möchte nur hinzufügen, daß wir die Sicherung des Elternrechts deshalb für so bedeutsam halten, weil wir befürchten, daß eine

andere ein

Regelung

nicht

zur

Befriedung

des deutschen Volkes

Ziel, das wir doch alle in diesem Hohen Hause haben. (Dr. Heuss: Es kann auch umgekehrt gehen!)

beitragen

wird -

Vielleicht darf ich noch hinzufügen, daß in Art. 120 der Weimarer Verfassung78) das Elternrecht garantiert und niedergelegt worden ist. (Dr. Heuss: Und vorher verhindert, daß ein Schulgesetz zustande kam!70) Gegenruf80): Es ist manches niedergelegt worden, was nicht zustande

-

kam!)

Das ist kein Grund dafür, daß man ein Recht, das durchaus begründet ist, und das von den dem Menschen gegebenen Freiheitsrechten hergeleitet werden kann, nicht dokumentieren will. Wenn das Schulgesetz verhindert worden ist, Herr Abgeordneter Heuss, dann ist es durch die Parteien verhindert worden und nicht durch den Willen des Volkes. Das müssen wir uns auch einmal klarmachen. (Dr. Heuss: Durch die unmögliche Fassung dieses Artikels!) Ich darf weiter fortfahren und sagen: Ich glaube, es doch aussprechen zu müssen, daß zu der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung, die Sie ja in Art. 7 der Grundrechte als unverletzlich dokumentiert haben, auch dieses Recht gehören muß, daß die Eltern bestimmen können, in welcher Schulart und nach welchen religiösen Grundsätzen ihre Kinder erzogen werden sollen. (Brockmann: Sehr richtig!) Wenn man auf der einen Seite die Freiheit des Glaubens als unverletzlich dokumentiert, kann man auf der anderen Seite ein Recht, das von da hergeleitet wird, nicht einfach als untragbar bezeichnen. (Brockmann: Sehr richtig!) -

75) Siehe Dok. Nr. 3, S. 145. 76) Menzel berichtete am 22. Okt.

77)

78)

1948 an Ollenhauer, bei dieser Plenarsitzung sei plötzlich Herr Hundhammer erschienen. Süffisant kolportierte er: „Welche Bedeutung er [Hundhammer] selbst seiner Anwesenheit beigemessen hat, ergibt sich aus seinem Ausspruch, der Antrag des Zentrums, das Elternrecht in dem Grundgesetz zu verankern, sei wohl eine für ihn bestimmte Verbeugung gewesen (!)" (FESt NL Menzel R 1, Grundgesetz 1). Siehe Dok. Nr. 3, S. 145. Folgt in der Vorlage gestrichen: „-erneuter Zuruf des Abg. Dr. Heuss. Herr Abg. Heuss, in diesem Artikel ist". Zum Schulkonflikt während der Weimarer Republik siehe die in Dok. Nr. 3, Anm. 95 genannte Literatur. Der Gegenruf in der Vorlage handschr. eingefügt. -

79) 80) 210

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Wir müssen uns hier doch in einer gewissen logischen Denkform bewegen, (Dr. Heuss: Die Schule ist kein individuelles Unternehmen, sondern eine -

Gesellschahsorganisation!) gerade diese Frage

ganz kurz angeschnitten haben, weil ich der dann in Deutschland zu einem inneren Frieden kommen, wenn wir die Krah haben, nicht unter bestimmten vorgefaßten Meiund von diesen habe ich gesprochen -, sondern in echter Toleranz nungen all diese Fragen zu lösen, die heute noch innerhalb unseres Volkes der Lösung bedürfen. Wenn wir nicht zu dieser inneren Befriedung unseres Lebens kommen, dann werden in unserem Volke weltanschauliche Vergihungsmomente nicht beseitigt werden. Und deshalb möchte ich es aussprechen, daß gerade wir von der Zentrumspartei der Überzeugung sind, daß alle weltanschaulichen Fragen aus den parteipolitischen Kämpfen herausgenommen werden können, wenn diese einmal in einem Grundgesetz geregelt sind. Wir kommen ja gerade wegen unserer weltanschaulichen Gegensätze nicht zu klaren politischen Entscheidungen. Wem es im deutschen Volke darum zu tun ist, daß wir endlich politisch denken und handeln lernen, wer unserem Staat zu einer echten politischen Gestaltung verhelfen will, wer im Volke echten politischen Instinkt wecken will, muß aus ganzer Seele wünschen, daß all dieser weltanschauliche Explosivstoff aus unserem politischen Leben entfernt wird. Die Verquickung weltanschaulicher und politischer Fragen hat sich in Deutschland seit 400 Jahren als unheilvoll erwiesen. Das Christentum ist dadurch zum Teil verweltlicht, nicht aber die Welt christlich geworden. Und darum möchten wir hoffen, daß wir es hier in Bonn fertigbringen, daß all diese Entscheidungen in weltanschaulichen und Gewissenshagen, die ja in Art. 7 ausdrücklich formuliert worden sind, beim Staatsbürger und nicht bei den Parteien liegen. Und wenn durch Volksbegehren über bestimmte weltanschauliche Fragen eine Abstimmung gewünscht wird, dann verlangen wir, daß ein Volksentscheid darüber herbeigeführt wird.

Ich möchte

Überzeugung

bin, daß wir

nur

-

(Dr.

Heuss: Um Gottes

willen!)

schaffende Grundgesetz muß doch die Möglichkeit geben, daß die weltanschaulichen Fragen dem Streit der Parteien entzogen und durch Volksentscheid im vorparlamentarischen Raum geklärt werden -81) (Erneuter Zuruf des Abg. Heuss) ich glaube, Sie werden später noch einmal über die Wichtigkeit dieser Regelung nachdenken -, so daß dem zuständigen Parlament dann die Aufgabe zufällt, den klar bekundeten Willen des Volkes in gesetzliche Form zu kleiden. Wir können es doch nicht leugnen, daß solche in das Leben des Menschen tief eingreifende Fragen nicht in die Entscheidung einer zufälligen parteipolitischen Konstellation abgleiten dürfen. Nicht die Parteien, sondern der verantwortungsbewußte Mensch muß vor seinem Gewissen und seinem Gott die Verantwortung für die Regelung der weltanschaulichen Probleme, wie er sie will, tragen. Und das Bestreben damit möchte ich zum Schluß kommen -, die weltanschaulichen Fragen über den Kampf der Parteien hinauszuheben, ist besonders Das

neu zu

-

-

) Siehe hierzu auch Jung: Grundgesetz und Volksentscheid,

S. 298 ff. 211

Sechste Sitzung des Plenums 20. Oktober

Nr. 6

auch ein

1948

der heute noch den Parteien sich vielfach entziehenden wir deshalb das staatliche Leben so, daß wir aus den Erfahrungen einer reichen, aber schweren Vergangenheit dem deutschen Volke jene Grundlagen geben, daß es zu einer echten Neugestaltung seines persönlichen und staatlichen Lebens kommt. Halten wir darum sorgfältig von ihm alles fern, was es auseinanderreißt. Was wir brauchen, ist vor allem ein innerdeutscher Friede, nachdem er mit den Siegermächten schon so lange auf sich warten läßt. Vizepräs. Schönfelder: Meine Herren, Sie werden ja dem Präsidenten nicht böse sein, daß er die Rednerin nicht unterbrochen hat. Aber Sie werden mit mir der Meinung sein, daß sie sehr wenig zur Präambel, sondern zum Inhalt des Grundgesetzes selbst geredet hat, ein Thema, zu dem wir im Laufe unserer Verhandlungen noch kommen werden. (Zuruf: Sie hat festgestellt, daß nach Herrn Renner zur Präambel schwer

Anliegen

jungen Menschen. Gestalten

zurückzufinden sei!)

Das Wort hat nunmehr ein Berliner Vertreter, Herr Abgeordneter Reuter. Reuter (SPD)82): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte einige kurze Bemerkungen machen und, wie der Herr Präsident schon sagte, als Vertreter Berlins sprechen, und zwar zur Präambel. Herr Abgeordneter Renner hat die Aktivlegitimation des Hauses bestritten und hat gemeint, daß dieses Haus nicht berechtigt sei, ein Grundgesetz zu verab-

schieden.

(Renner: Ist die

worden?)

Aktivlegitimation

eines Vertreters

von

Berlin

festgestellt

Herr Abgeordneter Renner, ich habe Sie nicht unterbrochen, ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie die Liebenswürdigkeit hätten, mich einmal anzuhören. Es könnte vielleicht für Sie ganz interessant sein. Herr Abgeordneter Renner hat erklärt, daß dieses Hohe Haus überhaupt nicht die Aktivlegitimation habe, ein Grundgesetz für einen Teil oder für die Gesamtheit Deutschlands zu verabschieden, dieses Hohe Haus bestehe nur auf Grund eines Befehls irgendwelcher Besatzungsmächte. Herr Abgeordneter Renner, ich möchte mir erlauben, festzustellen, daß die Vertreter Berlins aus eigenem Beschluß der Berliner Bevölkerung mit Zustimmung dieses Hohen Hauses hier sind. -

-

(Bravo!) Unsere Anwesenheit ist von keiner Besatzungsmacht erwähnt worden. Wir haben in Berlin unseren Beschluß aus eigenem Willen auf Grund einer demokra-

tischen

Bevölkerung gefaßt. Abg. Renner.) Wir repräsentieren, Herr Abgeordneter Renner, netenversammlung. Entscheidung

unserer

Zurufe des

(Bravo!

-

unsere

Berliner Stadtverord-

-

(Renner: Ja, das kennen

wir

alles!)

Nein, das kennen Sie leider nicht! Dadurch unterscheiden wir uns voneinander. Wir repräsentieren die Meinung der gesamten Berliner Bevölkerung,

-

) In der Vorlage handschr. korrigiert 212

aus

„Berlin".

Sechste nicht

nur,

Sitzung des Plenums

wie Sie freundlicherweise bemerken

zu

20. Oktober 1948

müssen

glaubten,

Nr. 6

der West-

sektoren, sondern ganz Berlins. Und da Sie und Ihre Freunde gelegentlich leise Zweifel äußern, so wollen wir Ihnen demnächst Gelegenheit geben, in freien Wahlen Ihre Meinung ebenfalls zu äußern, und wir hoffen, daß Sie sich den demokratischen Gepflogenheiten anpassen und sich an diesen Wahlen, vor denen Sie soviel Angst haben, beteiligen werden. (Sehr gut!)

Sie werden von der Berliner Bevölkerung dieselbe Antwort bekommen. Sie können mit Ihrem Ritterkreuzträger Markgraf83) wieder dorthin abfahren, wo Sie hergekommen sind, wenn die Wahl in heier Entscheidung unseres Volkes Platz

greih.

(Erneuter Zuruf des Abg. Renner.)

Abgeordneter Renner hat dann gemeint, es bestehe keine Aktivlegitimation für die Ostzone. Rein rechtlich betrachtet ist das natürlich richtig. Dieser Fehler läßt sich aber faktisch sehr schnell beheben, wenn die Freunde des Herrn Abgeordneten Renner der Ostzone die Möglichkeit geben, in heier Wahl zu der Frage Stellung zu nehmen, ob sie mit uns zusammen ein Grundgesetz für ganz Deutschland schaffen wollen oder nicht. Herr

(Sehr richtig!)

Seien Sie sicher: 99% der Bevölkerung würden Ihnen die Antwort geben, die Sie verdient haben. Denn, Herr Abgeordneter Renner, gerade die Unterschiede zwischen der Ostzone und dem, was hier in diesem Gesetz geschaffen werden soll, geben uns das Recht, zu sagen, daß wir nicht nur Berlin, sondern auch die gesamte Ostzone selbst vertreten. Sie haben von Enteignungen gesprochen. (Zurufe des Abg. Renner.) Sprechen Sie doch nicht von Enteignungen! Wie ist es denn in der Ostzone? Jeder Mensch ist doch dort enteignet, denn kein Mensch ist dort seines Eigentums mehr sicher. Das ist der Charakter, den Sie dem Eigentum in Ihrer Zone geben. Sprechen Sie doch nicht von Grundrechten und Menschenrechten in einem Augenblick, in dem Ihre Vertreter ganz offen und ungeniert sich zur Einrichtung der Konzentrationslager84) bekennen und uns selber diese Konzen-

trationslager

als den

demnächstigen

Aufenthaltsort ankünden.

(Zuruf des Abg. Renner.)

Nein, Herr Renner, die Ostzone und die

Bevölkerung der Ostzone will ihrem Vaterlande will Rechtsstaat einen zu und haben, in dem in der einzelne Lebens und seines Freiheit, Selbständigkeit und Unabhängigkeit seiner Existenz sicher ist. Das ist die tiefe, heiße unausrottbare Sehnsucht aller Deutschen, mit Ausnahme der wenigen Nutznießer einer einzigen Besatzungszurück

-

macht,

(Sehr gut!)

83) Zu Ritterkreuzträger Markgraf siehe Dok. Nr. 4, Anm. 11. 84) Konzentrationslager in der SBZ siehe Dok. Nr. 10, Anm. 31. 213

Sechste

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Sitzung des Plenums

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1948

Stütze der Ritterkreuzträger Markgraf85) in Berlin und deren einzige Stütze in der Zone der Herr General v. Seydlitz86) ist. Wir überlassen Sie neidlos dieser Gesellschah, in der wir uns nicht befinden wollen. Sie können sicher sein, Herr Abgeordneter Renner, an dem Tage, an dem Sie in der Ostzone den dort vorhandenen Parteien die Möglichkeit geben, frei und selbständig ihr organisatorisches Gefüge aufzubauen und über ihre eigenen Angelegenheiten ohne Einmischung von Ihnen oder Ihrer Auhraggeber zu entscheiden, und an dem Sie ferner der größten demokratischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die Möglichkeit geben, mit Kandidaten aufzutreten, an dem Tage ist Ihre Herrlichkeit zu Ende, an dem Tage ist das Provisorium von Bonn in ein Definitivum des ganzen deutschen Volkes verwandelt worden.

deren

einzige

(Lebhaher Beifall.) Für diesen Tag zu arbeiten, das sehen wir als die vornehmste Aufgabe der Berliner Vertreter an. Gerade weil wir in unbestreitbarer völliger Unabhängigkeit von irgendeiner äußeren Macht uns zu dem Werk mit bekennen und an ihm mitwirken wollen, das hier als ein Rechtsstaatsgebilde geschaffen werden soll, gerade deswegen haben wir auch das Recht zu sagen, daß, wenn die Ostzone frei sein wird, endgültig dieses Provisorium, das geographisch ein Provisorium ist, das politisch ein Provisorium ist, weil der Osten nicht dabei sein kann und weil der Osten noch nicht mitwirken kann, unter Mitwirkung der Vertreter des Ostens ein Definitivum werden wird. Herr Abgeordneter Renner, Sie machen einen großen Fehler. (Renner: Ich bin Sozialist, das ist mein Fehler!) Sie vergessen, daß das deutsche Volk Sie und Ihr System zu nahe kennenge-

lernt hat.

(Renner: Das sind olle Kamellen!) Wir leben nicht von propagandistischen

Auseinandersetzungen, wir leben von denen wir durch die brutale Stiefelgewalt, die Sie repräsentieren, gezwungen werden. Sie machen einen anderen Fehler, Herr Abgeordneter Renner. Sie unterschätzen Ihre Gegner. (Renner: Ganz und gar nicht. Ich weiß, daß hinter Ihnen die Wallstreet den

täglichen Auseinandersetzungen,

zu

steht!)

Kampf so lange führen, bis Sie nicht nur in Berlin und in der Ostzone, sondern auch hier verschwunden sein werden, bis das deutsche Volk in wirklicher, unabhängiger Freiheit ein wirklich demokratisches Gebilde aufgebaut haben wird. (Renner: Auch unabhängig vom Dollar?) Dann werden wir eines Tages in der Lage sein, ohne daß wir Ihre Propagandareden anhören müssen, die Arbeiten, die wir jetzt hier leisten, noch einmal zu überprüfen. Dieser Tag, an dem Sie in die Richtung abgefahren sein werden, wo Sie hingehören, wird ein wirklicher Freudentag für ganz Deutschland sein. Wir werden diesen

(Beifall!)

85) Siehe oben Anm.

86j

214

83.

Seydlitz siehe Dok.

Nr. 4, Anm. 28.

Sechste Sitzung des Plenums 20. Oktober 1948

Nr. 6

von der Aktivlegitimation sollte niemand reden, dessen Aktivlegitimation allein in dem Auftrag einer Besatzungsmacht besteht. Von der Aktivlegitimation können diejenigen reden, die in voller Freiheit, in voller Unabhängigkeit und in klarer Erkenntnis aller politischen Zusammenhänge sich

Deswegen glaube ich,

entschlossen haben, gemeinsam mit den Vertretern Westdeutschlands hier ein neues Werk zu errichten. Dieses Westdeutschland umfaßt zusammen mit Berlin immerhin beinahe 50 Millionen. Die Anmaßung, mit der Sie in der Ostzone glauben, mit Ihren Zentralverwaltungen, Wirtschahskommissionen und anderen Einrichtungen, in denen kein einziger gewählter Repräsentant des deutschen Volkes tätig ist87), anderen Menschen Ihren Willen aufzwingen zu können, diese Anmaßung wird eines Tages ein Ende nehmen. Wir Berliner hoffen, daß dieses Grundgesetz, das durch die Präambel eingeleitet wird, die Ideen und Gedankengänge des Rechtsstaates, des Rechtsschutzes und der Würde und Unverletzlichkeit des Menschen und die Sicherheit des Menschen vor Polizeigewalt und die Klarstellung, daß der Mensch seinem ordentlichen Richter vorzuführen ist, wenn er etwas begangen hat, und nicht, daß er im Dunkel der Nacht verschwindet und man nach Jahren nicht weiß, wo er geblieben ist wir hoffen, daß das Grundgesetz diese Grundsätze so fest verankert, daß alle Menschen in der Ostzone ganz klar wissen, wohin sie gehören: dahin, wo die Fahne der Freiheit weht! (Lebhaher Beifall und Händeklatschen. Renner: Mit dem Dollarzeichen!) Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren! Damit ist der erste Punkt der -

-

Tagesordnung erledigt. Ich möchte nun eine Frage Es hagt sich, ob wir den

Geschäftsordnung stellen. Es ist jetzt 1/2 7 Uhr. zweiten Punkt der Tagesordnung noch in Angriff nehmen wollen. Ich fürchte, wir werden morgen vormittag doch nicht fertig, zur

so mehr, als der Vorschlag gemacht wurde, auch die Wahlrechtshagen noch zu diskutieren. Deshalb frage ich, ob wir es den beiden Rednern, die vielleicht noch zu Worte kommen können, zumuten wollen, vor der ermüdeten Versammlung das wichtige Thema der Länderkammer zu behandeln, oder ob wir nicht morgen früh mit dem zweiten Punkt der Tagesordnung anfangen um

wollen88).

Wird hierzu das Wort verlangt? Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann lasse ich darüber abstimmen, ob wir jetzt vertagen oder noch Redner zum zweiten Punkt der Tagesordnung anhören wollen. Wer den Wunsch hat, jetzt Das sind 28 Stimmen. Wer zu vertagen, den bitte ich, eine Hand zu erheben. Hand erheben. zu eine Das sind 17 weiter tagen will, den bitte ich, jetzt -

-

-

87) Elisabeth Kraus: Ministerien für ganz Deutschland? Der Alliierte Kontrollrat und die Frage gesamtdeutscher Zentralverwaltungen. München 1990. 88) Folgt gestrichen: „Ich würde glauben, daß wir mit dem morgigen Vormittag kaum

auskommen können,

sondern wahrscheinlich noch den Nachmittag hinzunehmen müsWenn das der Fall ist, würde ich doch glauben, daß wir es unseren Rednern nicht zumuten sollen, in so später Stunde das wichtige Thema der Länderkammer zu behandeln." sen.

215

Nr. 6

Sechste

Sitzung des Plenums 20. Oktober

1948

Stimmen. Es ist also beschlossen, daß für heute vertagt und morgen früh 9 Uhr fortgefahren wird. Die Sitzung ist geschlossen. Die Sitzung wird um 18 Uhr 30 Minuten geschlossen.

216

um

Siebente

Sitzung des Plenums 21. Oktober 1948

Nr. 7

Nr. 7

Siebente Sitzung des Plenums 21. Oktober 1948 Z

5/14, Bl. 21-225; ungez. und undat. stenogr.

Kurzprot.:

Z

5/2102)

Wortprot.1)

Stenogr. Berichte, S. 85-124. Koppert, Dr. Reynitz, Herrgesell, Thöt.

Druck: Z 5/14, Bl. 1-20.

Stenogr.

Dienst: Dr.

Dauer: 9.10-13.04; 15.07-17.33 Uhr

[1. Die

Sitzung wird

der eröffnet.

AUSSPRACHE

um

ÜBER

DIE

LÄNDERKAMMER]

9 Uhr 10 Minuten durch den

Vizepräsidenten

Vizepräs. Schönfelder: Ich eröffne die Sitzung3). Die Tagesordnung der heutigen Sitzung ist dieselbe wie Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:

Schönfel-

gestern.

Länderkammer. Ich bitte den Herrn Abgeordneten Dr. Lehr, das Wort zu nehmen. Dr. Lehr (CDU)4): Meine Damen und Herren! Mit diesem Punkt der Tagesordnung stoßen wir in eines der großen Probleme unserer Verfassungsaufgabe vor. Denn es ist klar, daß für das künftige politische Leben in Deutschland sowohl die Frage der Zusammensetzung wie die des Aufgabenbereichs der zweiten Kammer von wesentlicher Bedeutung sein werden. Die Frage, die wir heute morgen behandeln, ist deshalb eine eminent politische. Bei den Beratungen unseres Organisationsausschusses5) war eines von vornherein klar und gab den Verhandlungen auch einen gewissen sicheren Ausgangspunkt. Es war die Tatsache, daß die Notwendigkeit einer zweiten Kammer durch alle Fraktionen hindurch unbestritten war. Das Einkammersystem bedeutet tatsächlich ja nur eine unvollkommene Demokratie. Dieses System läßt den Grundgedanken der Polarität, namentlich im Verhältnis zwischen Ländern und Bund, völlig außer acht. In allen Kulturländern der Welt hat es zu allen Zeiten gegeben und gibt es auch heute noch zwei Häuser. Diese zwei Häuser müssen

2) 3) 4)

5)

Die Vorlage wurde für den Druck eingerichtet und weist daher Anweisungen für den Setzer auf. Vgl. Einleitung, S. XXXIX. Die Blätter 174, 233, 235, 248, 256-260 der ursprünglichen Zählung wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vor dem Druck nochmals abgeschrieben. Sie sind daher doppelt vorhanden. Anders als bei den früheren Sitzungen wurde das Kurzprot. nicht als Drucks, verteilt. Die Bekanntgabe der entschuldigten Teilnehmer, die üblicherweise zu Beginn jeder Sitzung erfolgte, geschah später; siehe TOP 2. Lehr hatte seine Ausführungen vor der Fraktion der CDU/CSU am 19. Okt. 1948 skizziert. Dabei war beschlossen worden, daß er „nur die Rahmenfassung und noch keine detaillierten Formulierungen für die Länderkammer" bringen solle. Siehe Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 83. Protokolle des Organisationsausschusses in: Z 5/68 ff. Ihre Edition in dieser Reihe wird

vorbereitet.

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gegenseitig abstimmen, um den echten Staatswillen gemeinsam zu finden. Grundgedanken sind wir also ausgegangen. Dagegen gingen und gehen unsere Ansichten über den Aufgabenbereich und die Zusammensetzung auseinander. Auf der einen Seite steht die Forderung nach voller Gleichberechtigung beider Häuser, der das Vetorecht gegenübergesich

Von diesem

stellt wird, das mit einer qualifizierten Mehrheit ausräumbar sein soll. Auf der einen Seite steht ferner der Gedanke der reinen Bundesratsvertretung, des reinen Bundesratsprinzips, das heißt der ausschließlichen Vertretung durch Regierungsmitglieder der Länderkabinette; auf der anderen Seite das reine Senatsprinzip, das bedeutet, daß man an Stelle der Bürokratie dem Persönlichkeitswert des freien, unabhängigen Bürgers den Vorrang geben will. Wenn zwei derartige Auffassungen sich schroff gegenüberstehen, so liegt es nahe, daß vermittelnd ein weiterer Vorschlag zum Ausdruck gekommen ist, ein Gedanke, der das Für und Wider beider Systeme reiflich abwägt und versucht, das Beste und Wertvollste aus ihnen zu einem Vermittlungsvorschlag zu vereinigen. Denn es war uns bei den Verhandlungen im Organisationsausschuß immer klar, daß hinter den Vorschlägen, die von hier ausgehen und später einer Nationalversammlung vorgelegt werden sollen, eine starke Mehrheit stehen und daß auch unser gesamter Vorschlag sich später auf eine überwältigende Mehrheit unseres Volkes stützen muß. Letzten Endes müssen wir, gleichgültig wie der einzelne denkt und wie sehr er mit seinem eigenen Vorschlag auch persönlich verbunden sein mag, nur einen Grundsatz voranstellen, nämlich den, das zu schaffen, was für das deutsche Volk in seiner Gesamtheit wichtig und richtig ist. Wenn wir uns im besonderen über die Fragen der Gleichberechtigung oder des Vetorechts hier unterhalten, müssen wir zurückdenken an die Erfahrungen in der Weimarer Zeit, an die Tatsache, daß die Weimarer Verfassung weder ein Bundesrats- noch ein Senatsprinzip noch überhaupt eine zweite Kammer kannte. Rückblickend erübrigt sich die Frage, wie die Verhältnisse sich 1933 entwikkelt haben würden, wenn, als man von nationalsozialistischer Seite dem

Reichstag

ein Ermächtigungsgesetz6) abverlangte, eine vollberechtigte zweite Kammer vorhanden und deren Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz erforderlich gewesen wäre. Dem Reichsrat der Weimarer Verfassung fehlte die Möglich-

keit, die föderalistischen Kräfte des Reiches ausgleichend zusammenzufassen. Deshalb bedeutet nach der Auffassung meiner Freunde ein Vetorecht, mag seine Ausräumung an noch so qualifizierte Mehrheiten gebunden sein, einen Rückschritt und wiederholt die sung.

)

Unzulänglichkeit

der

der Weimarer Verfas-

Ermächtigungsgesetz („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich") vom (RGBl. I, S. 141) gab der Reichsregierung die Möglichkeit, ohne Zustimmung des Reichstages und des Reichsrates und ohne Gegenzeichnung des Reichspräsidenten Gesetze einschließlich des Haushaltsgesetzes zu erlassen, die von der Weimarer Verfassung abweichen konnten. Rudolf Morsey (Hrsg.): Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933. Quellen zur Geschichte und Interpretation des „Gesetzes zur Behebung Das

24. März 1933

der Not

218

Regelung

von

Volk und Reich". Düsseldorf 1992.

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Kompromiß hinsichtlich der Vollberechtigung der Länderkammer würde unserer Auffassung das ganze Werk der Neuschöpfung gefährden und gerade die Fehler nicht vermeiden, die wir gerne vermieden wissen wollen, und wir selbst würden nicht zielbewußt und schöpferisch neue Wege gehen. Deshalb vertreten wir den Standpunkt der vollen Gleichberechtigung, also den Standpunkt, daß erst aus den übereinstimmenden Willensäußerungen der beiden Kammern sich der echte Staatswille ergibt, der einen jederzeit arbeitsfähi-

Ein

nach

gen Gesamtstaat lenken soll. Wenn wir auch keinen Parlamentsabsolutismus wünschen, so wollen wir auf der anderen Seite keineswegs die Rechte schmälern, die dem Parlament zustehen. Wir erstreben vielmehr eine wohlabgewogene Gewaltenteilung und eine echte, rechte Ausbalancierung der Krähe. Wir haben auf der einen Seite das vorwärtsdrängende Element des Parlaments, bewegt von seinen Parteien, die wetteifernd um die Probleme des Tages ringen, und auf der anderen Seite eben diesen Geist der Kontinuität und Stabilität, des ruhigen Abwägens durch Staatsmänner, die in ihren Kabinetten aktiv wirken, und durch solche, die auf lange Erfahrungen zurückblicken und von sich aus gestaltend mit eingreifen. Das sind eben zwei gänzlich verschiedene Elemente, und da stehen wir auf dem Standpunkt: Suum cuique, jedem das Seine. Wenn ich nunmehr zu der Frage der Zuständigkeit übergehe und dabei von dem eben verfochtenen Grundsatz der vollen Gleichberechtigung ausgehe, dann formuliere ich gern wie auch Art. 65 des Herrenchiemseer Entwurfs7) den Satz: Durch die Länderkammer wirken die Länder bei der Gesetzgebung, der Regierung und der Verwaltung des Bundes gleichberechtigt mit. Das bedeutet, daß Gesetze einen übereinstimmenden Beschluß beider Häuser erfordern, daß die Länderkammer das Recht der Gesetzesinitiative hat, daß sie mitzusprechen und mitzubestimmen hat über die Ausführungsbestimmungen und über allgemeine Anweisungen zu Bundesgesetzen, daß sie auch das Recht hat, bei allgemeinen Organisationsmaßnahmen, bei Ausübung der Bundesaufsicht und letzten Endes auch bei Durchftihrung des Bundeszwanges mitzuwirken und mitzubestimmen. Dabei wollen wir als Besonderheit betonen, daß der Erlaß von Ausführungsbestimmungen und allgemeinen Anweisungen Sache insbesondere der Regierungsvertreter sein soll, die gewissermaßen gleich einer Kurie in der Länderkammer selbst ein Sprachorgan der Länderregierungen sein und gerade die Fragen entscheiden sollen, deren Ausführung den Ländern selbst obliegt. Mit dieser Formulierung komme ich ganz von selbst zu der Frage, wie der föderalistische Charakter der Verfassung gesichert werden soll. Die Hervorhebung der Stellung der Regierungsvertreter in der Länderkammer stellt schon eine solche Sicherung des föderalistischen Charakters der Verfassung dar. Aber die Frage ist doch die, ob eine zweite Kammer überhaupt das geeignete Instrument ist, den föderalistischen Charakter einer Verfassung zu sichern. Zweikammersystem und Föderalismus sind keineswegs identische Begriffe. Die zweite Kammer ist in einem Einheitsstaat ebenso denkbar wie in einem Bundesstaat. Das föderalistische System bedeutet vielmehr, daß in einem Bundesstaat die Aufgaben so bestimmt und verteilt werden müssen, daß jede Arbeit, die eine

7) Abdr.

in: Der Pari. Rat Bd. 2, S. 592.

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Unterstufe erfüllen kann, auch dieser Unterstufe zugewiesen und von ihr geleistet wird. Die Sicherung gegen den zentralistischen Machtstaat und gegen eine etwa befürchtete Aushöhlungspolitik gegenüber den Ländern muß vor allem auf folgende Weise geschaffen werden: Erstens durch eine den Bund, die Länder und die Gemeinden in ihrer selbständigen Existenz und in ihren Rechten sichernde Verteilung der Finanzen; zweitens durch eine Verteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern, wie sie durch ausdrückliche Zuweisung im Zuständigkeitskatalog der Artikel 35, 36 ff. unseres Verfassungsentwurfs8) und durch sei sie ausdrückdie Ablehnung des Begriffs der Kompetenz-Kompetenz, die lich, sei sie durch die Fassung anderer Artikel ausgesprochen vorgesehen ist. Drittens ist ein wesentliches Instrument zur Sicherung des Föderalismus dadurch geschaffen, daß man es in der Verfassung durch besondere Bestimmungen erschwert, die Bundesverfassung zu ändern. Nehmen wir zu diesen drei Postulaten noch die besonderen Kompetenzen der Regierungsvertreter in der Länderkammer hinzu, so haben wir mit dem Ganzen ein wohlabgewogenes und sicheres Gebäude, das den föderativen Charakter des künhigen Bundesstaates eindeutig sichert. Ich komme zur Zusammensetzung der Länderkammer. Man schafh die Länderkammer als ein wirklich vollwertiges Organ, und zwar um jedes Mißverständnis auszuschließen, als ein vollwertiges Bundesorgan. Die Länderkammer ist kein Organ der Länder, sie ist ein echtes Bundesorgan, an welchem die Länder als gegebene Machtfaktoren an der Willensbildung des Bundes und an der Ausführung dieses Willens beteiligt sind und auch tatsächlich als solche handeln und zur Geltung kommen. Wenn man die Länderkammer so konstruiert, dann ist ihre Zusammensetzung mit Sorgfalt abzuwägen. Hier entsteht sofort eine schwerwiegende organisatorische Frage: Soll man die Vertretung der Länder rein durch Beauftragte der Landesregierungen im weitesten Sinn, also durch sachverständige Beamte aus den obersten Stufen der Beamtenhierarchie gestalten, oder soll man den Persönlichkeitswert voranstellen durch den Typ eines von der Staats- und Parteibürokratie unabhängigen, heien Bürgers, der in seinem Beruf und in seinem bisherigen politischen Verhalten bewährt ist, der auf Grund seines Könnens und seiner Erfahrung unabhängig urteilt? Das sind die beiden entscheidenden Fragen. Ich wiederhole noch einmal, daß wir uns bewußt sein müssen, unsere Verfassungsvorschläge so zu gestalten, daß sie auch wirklich in weiten Teilen unseres Vaterlandes populär werden und anregend wirken zur Mitarbeit in Bund, Ländern und Gemeinden. Das ist sicher nicht ganz leicht in diesem Augenblick, da weiten Teilen unserer Bevölkerung das ganze Geschehen der jüngsten Zeit, der hinter uns liegenden drei Jahre, noch lebendig ist, da wir unter dem Eindruck dieses völlig verfehlten Entnazifizierungsverfahrens9) stehen, da bereits wieder -

-

8) 9)

220

Der Pari. Rat Bd. 3, S. 530 ff. Zur Entnazifiemng siehe Justus Fürstenau: Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik. Neuwied/Berlin 1969. Als Regionalstudie zur franz. Zone Rainer Möhler: Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besat-

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ungefähr

39 Parteien in Deutschland

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miteinander ringen und da die

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Jugend

bedauerlicherweise, aber auch erklärlicherweise vielfach noch abseits steht. Deshalb ist bei vielen meiner Freunde der Gedanke vertreten worden, daß ein reiner Bundesratscharakter, eine reine Vertretung durch die Mitglieder der Kabinette allein nicht die Resonanz in der Bevölkerung finden könnte und daß durch den neu zu schaffenden Typ des älteren Staatsmannes ein besonderes, lebendiges Element geschaffen werden könnte, das in weiten Kreisen der Öffentlichkeit anziehend wirkt. Erinnern wir uns doch aus der Geschichte des Parlamentarismus namentlich in unserem Nachbarland Frankreich, daß in der zweiten Kammer oh hervorragende Volksvertreter gesessen haben, deren Meinung und Persönlichkeit weit über das eigene Land und über die Ideen hinausstrahlten, die sie jeweils dort vertraten. Auf der anderen Seite aber ist mit Recht ausgeführt worden, daß gerade die besondere Sachkunde der Regierungsvertreter unentbehrlich ist und daß die gewählten Senatoren unter keinen Umständen einfach die politische Zusammensetzung der Volkskammer widerspiegeln dürfen. Wenn man aus beiden Gedankengängen das Wesentliche und Wertvolle herauskristallisiert, dann kommt man zu Ausgleichserwägungen, welche sowohl den Regierungsvertreter-Charakter, wie ihn die Vertreter des Bundesratsprinzips wünschen, als auch den Senatoren-Charakter miteinander verbinden. Die Regierungsvertreter dürfen und das ist eine Voraussetzung für ihren vollwertigen Einsatz unter keinen Umständen weisungsgebunden sein, sondern sie müssen auch, genau wie die Senatoren, nach freier Überzeugung stimmen können. Nun wird man, wenn man realpolitisch denkt, da sofort einwenden: Ja, aber die Regierungsvertreter werden doch zweifellos die Meinung ihrer Kabinette vertre-

-

ten!

(Dr. Menzel: Vertreten müssen!) Sicher werden sie das, denn sie kommen ja aus wohlabgewogenen Beratungen ihrer Kabinette und haben sich dort auch ihre Meinung gebildet. Aber sie sollen trotzdem nach heier Überzeugung stimmen. Das wird in der Verfassung und das ist die ausdrücklich festzulegen sein. Deshalb können sie auch natürliche, logische Folge jederzeit von ihren Regierungen abberufen werden, wenn sich ein auf die Dauer in den Kabinetten nicht erträglicher Dissensus herausstellen sollte. Aber die Tatsache, daß die Regierungsvertreter nicht weisungsgebunden sein sollen und daß auch durch sie das nichtinstruierte Votum in der Kammer sichergestellt werden muß, führt andererseits zu dem richtigen Schluß, daß auch Kabinettsmitglieder wählbar sein können. Man wird weiter einwenden, daß durch die Entsendung von Regierungsvertretern in die Legislative gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen wird. Es ist aber etwas wesentlich anderes, ob nur eine bestimmte Anzahl von Regierungsvertretern in der Legislative mitwirkt neben einer entsprechenden -

-

-

zung von 1945 bis 1952. Mainz 1992. Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte von Rheinland-Pfalz Bd. 17. Für die SBZ nunmehr Ruth-Kristin Rößler (Hrsg.): Entnazifizierungspolitik der KPD/SED 1945-1948. Dokumente und Materialien. Goldbach 1994. 221

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Anzahl von freien Senatoren, oder ob die Mitwirkung in der Legislative ausschließlich in der Hand von Regierungsvertretern liegt. Man soll in diesem kombinierten System doch den Ländern die Gelegenheit geben, in diese neue Gestaltung, in diese neuen Verhältnisse hineinzuwachsen, und man muß auf der anderen Seite einmal eine Weile ruhig zuwarten können, bis sich der in unserem deutschen Vaterlande noch in der Entwicklung begriffene Gedanke des freien, unabhängigen, erfahrenen, älteren Staatsmannes entwickelt. Es hieße doch sich ein Armutszeugnis ausstellen, wenn man nicht glaubt, auf diesem Wege zum Ziel kommen zu können, und daran verzweifelt, etwa einen solchen Typ bei uns herauszubilden. Bei einer Zusammenarbeit von Regierungsvertretern und Senatoren wird auch der Einwand vermieden, daß durch die Entsendung von Ministern oder ihrer Vertreter die Herrschaft der Ministerialbürokratie aufgerichtet wird. Den hört man namentlich dann, wenn man Bedenken hat, daß Minister in ihr Amt kommen, die noch neu in ihrer politischen Tätigkeit sind und ihrem Amt auch noch ohne lange Erfahrungen gegenüberstehen. Aber man vermeidet auf diese Weise auch die Gefahr der Politisierung der ernannten Regierungsvertreter, die sich ja immer mit den heien Senatoren abstimmen müssen, und vermeidet letztlich auch die Gefahr, daß die Regierung in die Hand einer einzelnen Partei

gerät.

Der von uns so befürwortete lebendige Austausch von Meinung zu Meinung wird nicht nur die schöpferische Arbeit in der Kammer lebhah behuchten, er wird auch allgemeines Interesse im Volk erwecken, um so mehr, je stärker die Persönlichkeiten sind, die dort in der zweiten Kammer um die Meinung und um den Willen des Staates ringen. Je ausgeprägter die Persönlichkeiten auf der Senatorenseite sind, desto mehr ist für die Regierungen in den Kabinetten der Anlaß gegeben, auch ihrerseits möglichst starke und selbstsichere Persönlichkeiten aus den Regierungen heraus zu entsenden zum Kampf der Geister in der Länderkammer. Die Regierungsvertreter sind selbstverständlich abhängig vom Vertrauen ihrer Landtage und werden darauf immer in einer gewissen Weise Rücksicht nehmen. Aber es stärkt sie in der Abgabe ihrer unabhängigen, heien Meinung, wenn sie sich eben auch auf die Meinungsbildung der heien Senatoren stützen können. Für die Grundsätze, nach denen wir unsere Länderkammer ausgestalten wollen, ist ganz besonders wichtig das von mir noch einmal mit Nachdruck herauszustellende Prinzip der Stabilität. Das steht neben dem Prinzip des nichtinstruierten Votums gleichwertig im Vordergrund. Es läßt sich dadurch unterstreichen, daß die von den Landtagen gewählten Mitglieder der Länderkammer im Gegensatz zu den jederzeit abberufbaren Regierungsvertretern auf eine Zeitdauer von sechs Jahren gewählt werden. Nimmt man dann noch alle zwei Jahre einen Wechsel zu einem Drittel der gewählten Senatoren vor, so schafh man aus diesen beiden Gedanken zusammen das Prinzip der ewigen Länderkammer, und das ist eine wesentliche Sicherung der Stabilität und der Kontinuität. Die

Einzelheiten des

') 222

Von

Verfahrens10) bezüglich Bestellung der Regierungsvertreter und

„bezüglich"

bis „Senatoren" in der

Vorlage handschr. eingefügt.

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Wahl der Senatoren muß man selbstverständlich der Ländergesetzgebung überlassen, man soll da nicht bundesstaatlich hineinregieren. Eine besonders wichtige Funktion wird das Mitwirkungsrecht bei der Notverordnungsgesetzgebung sein und endlich die Eigenschah als Legalitätsreserve bei der Regierungsbildung. Ich möchte wegen der vorgeschrittenen Zeit, damit der Herr Präsident nicht die Glocke in Bewegung setzt, mich hier sehr kurz fassen und deshalb noch einmal in einzelnen Thesen das Wesentliche zusammenfassen, was ich im Namen meiner Freunde Ihnen vorzuschlagen habe: Erstens: Vollberechtigung der Länderkammer mit all den Einzelheiten, wie ich sie Ihnen vorgeschlagen habe: übereinstimmender Beschluß bei der Gesetzgebung und Gesetzesinitiative, Mitwirkung bei den Ausführungsbestimmungen. Zweitens: Bei nicht übereinstimmenden Beschlüssen von Volkskammer und Länderkammer Zusammentreten der entsprechenden Ausschüsse auf beiden Seiten zu einer Neuberatung und zu dem Versuch eines Ausgleichs, auf Grund dessen dann erneute Beratungen in beiden Häusern stattfinden sollen. Drittens als weiterer Rahmengrundsatz: Die Länderkammer setzt sich zusammen aus Vertretern der einzelnen Bundesländer. Die verschiedene Stärke der einzelnen Bundesländer wird man allerdings wohl in Rechnung stellen müssen. Ich weiß, daß auch hier die Meinungen auseinandergehen, daß manche Mitglieder unseres Ausschusses nachdrücklich dafür eingetreten sind, die Länder ohne Rücksicht auf ihre Größe im Interesse der Demokratie in gleicher Weise zu beteiligen. Aber ich glaube, daß man nach dem Grundsatz der verschiedenen Leistungen der Länder wohl nicht umhin kann, zu differenzieren, wobei ich zahlenmäßige Vorschläge heute hier im Plenum vermeiden und nur darauf hinweisen möchte, daß man einmal die Einwohnerzahl, zum anderen aber auch die ganze Struktur eines Landes zugrunde legen kann. Auf jeden Fall wird man bedenken müssen, daß die Länderkammer, wenn man sie zahlenmäßig betrachtet, nicht ein Parlament wie die Volkskammer sein soll und deshalb in ihrer zahlenmäßigen Struktur wesentlich kleiner sein muß, um eben die besondere Struktur der zweiten Kammer zum Ausdruck zu bringen. Die Hälhe der Mitglieder einer solchen Kammer würde von dem Ministerpräsidenten jeden Landes nach Beschluß des Kabinetts zu ernennen sein. Sie müssen Mitglieder der Landesregierung sein. Die weitere Hälhe der Abgeordneten wird von den Landesparlamenten gewählt auf Grund eines Vorschlagsrechtes der Länderregierungen, die zweckmäßigerweise die doppelte Zahl der zu wählenden Abgeordneten vorschlagen, damit ein möglichst großer Kreis derer erfaßt sein soll, die aus allen Berufen, aus allen Schichten der Bevölkerung, allein mit Rücksicht auf Leistungen, Persönlichkeit und Erfahrung von den Landtagen gewählt werden sollen. das hatte ich Viertens: Die Regierungsvertreter und die gewählten Mitglieder sondern dürfen nicht müssen nach einzeln aufgeführt weisunggebunden sein, während die Senatosind Sie freier Überzeugung stimmen. jederzeit abberufbar, Drittel alle zu einem auf zwei erneuert ren sechs Jahre gewählt und Jahre werden. Die Einzelheiten, die dann noch übrigbleiben, bestimmen die Landes-

-

gesetze.

Rahmen, den ich Ihnen aufgezeigt habe, vorbehaltlich der Regelung Einzelheiten, soll das Problem der Länderkammer nunmehr in den inter-

In diesem von

223

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fraktionellen Besprechungen11) weiter behandelt werden, und ich hoffe, daß die Beratungen sowohl im Organisationsausschuß wie in den interfraktionellen Besprechungen dazu führen, daß wir zu einem Vorschlag kommen, der eine große Mehrheit in diesem Hause findet und der auch berufen ist, dem Verfassungsgesetz das zu geben, was ich ihm von Anfang an gewünscht habe: eine Popularität in unserem Lande und das Interesse der gesamten Bevölkerung zur Mitarbeit. (Beifall bei der CDU.) Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren, ich darf darauf hinweisen, daß ich hundert Prozent zur Redezeit zugegeben habe. Aber ich hoffe, da die erste Rede in das ganze Thema hineingeführt hat, daß die nachfolgenden Redner sich etwas kürzer fassen können. Ich gebe dann Herrn Dr. Dehler das Wort. Dr. Dehler (FDP): Meine Damen und Herren! Der Vorschlag, den Herr Kollege Dr. Lehr Ihnen soeben hinsichtlich der Zusammensetzung der Länderkammer und ihrer Funktionen vorgetragen hat, entspringt unserer Anregung. Wir halten ihn nach wie vor für glücklich. Wir haben ihn nicht erfunden. Unentwegte Achtundvierziger, die wir sind, haben wir uns gefragt: Wie sind unsere Großväter an diese Frage, die ihnen ja in der gleichen Weise wie uns als Aufgabe vorlag, herangegangen, welche Lösung haben sie gefunden? Sie haben sich die gleichen Antworten gegeben wie wir und haben am Ende in der Verfassung vom 28. März 1849 neben das Volkshaus ein Staatenhaus gestellt, das zusammengesetzt ist zur Hälhe aus Vertretern der Länderregierungen und zur Hälhe aus Abgeordneten, die von den Landtagen gewählt werden12). (Zuruf: Aber ohne Vorschlagsliste der Regierung!) Sicherlich, diese Einschränkung wird von mir nicht aufgenommen. Diese Lösung von 1849 haben wir aufgenommen. Wir haben zunächst eine herbe Kritik gefunden, sowohl auf der einen Seite des Hauses wie auch in der Öffentlichkeit. Man hatte das Gefühl, daß hier nichts Organisches vorgeschlagen werde; man sprach davon, daß hier unvereinbare Dinge miteinander vermengt würden, daß das typische faule Kompromiß vorliege. Das ging bis zu dem bösen Wort von der Kreuzung zwischen Dackel und Briefkasten. -

(Heiterkeit.) Es ist mit diesen

Einwendungen eine Frage aufgeworfen, mit der wir uns auseinandersetzen müssen und die meines Erachtens nicht nur in diesem Punkte eine Rolle spielt. Oh habe ich das Gefühl: Man hat vor allem gesagt: Hier fehlt jede Erprobung. bei allen entscheidenden Fragen, vor denen wir stehen, haben wir eine Scheu, Wege zu beschreiten, die bisher noch nicht begangen waren. Ob das nun die Frage des Wahlrechtes ist oder die Frage der Regierung auf Zeit, Fragen, die entscheidend sind dafür, ob es uns gelingt, eine handlungsfähige, starke, wetterfeste Demokratie zu schaffen, überall die gleiche Hemmung davor, einen Weg -

) Zum Kontext siehe Morsey: Die Entstehung des Bundesrates, passim. ) Abschnitt IV, Art. I (§ 85) der Reichsverfassung vom 28. März 1849. 224

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zu gehen, der noch nicht ausgetreten ist. Man ist zu sehr fixiert an die Schablone. Man wirft unserem Vorschlag vor, er sei nicht stilgerecht, es würden in ihm wesensfremde Stilelemente miteinander vermengt. Meine Damen und Herren, wir halten es mit Montesquieu13) und nicht mit Rousseau14), mit dem esprit des lois und nicht mit dem contrat social. Haben wir nicht mit den stilgerechten Demokratien verdammt schlechte Erfahrungen gemacht? Wollen wir aus der Zeit, die hinter uns liegt, nichts lernen? Oh habe ich das Gefühl, daß wir uns in gespenstischer Weise genau so benehmen wie die Leute von 1919. Damals wurden „stilgerechte" Demokratien aufgezogen, in ganz Europa vom Atlantik und vom Mittelländischen Meer bis zu den russischen Grenzen. Das war die Herrschah des Parlamentarismus, das war die Herrschah des Proporz, weitgehendes Wahlrecht, ein angeblich gerechtes Wahlrecht, Wahlrecht der Frauen, Wahlrecht der Jugendlichen. Meine Damen und Herren, was ist dabei herausgekommen? Das waren die anfälligen Demokratien, die keinen Bestand hatten! Erinnern wir uns doch an dieses Massensterben der Demokratien, das sich da vor 1933 vollzogen hat. Das fing schon 1922 in Italien an und hat sich fortgesetzt bis zum Zusammenbruch der französischen Republik im Jahre 1940. Man vergißt, daß die Weimarer Republik verhältnismäßig sehr viel mehr Widerstandskraft gezeigt hat. Viele dieser Demokratien sind schon vor ihr erlegen. Das war kein Sterben in Schönheit, obwohl es angeblich stilgerechte Demokratien gewesen sind. (Dr. Schmid: Aber, Herr Kollege Dehler: der Fortschritt besteht nicht immer darin, daß man über gestern auf vorgestern zurückgeht!) Beinahe möchte ich sagen, Herr Kollege Schmid, im Gegenteil! Man muß

zurückgehen

-

(Dr. Schmid: Auf vorvorgestern?!) -

Man muß auf dem Wege zurückgehen und fragen: Von wo an ist man in den falschen Seitenpfad eingebogen? (Zurufe von der FDP15): Sehr richtig! Dr. Schmid: Nun ist es so: es ist das Wesen der Geschichte, daß sie nicht umkehrbar ist.) Eben! Wir haben vielleicht die letzte Chance, Herr Kollege Schmid, eine gesunde Demokratie zu schaffen, und ich habe das verdammte Gefühl, wir verderben diese Chance. Unsere Großväter waren klüger als die Schöpfer der Weimarer Verfassung. Sie haben nicht so jakobinisch gedacht wie das 20. Jahrhundert. Das ist mir das Entscheidende. Wir wollen nicht stilgerecht sein, um wieder stilgemäß zu sterben, sondern wir wollen etwas Gesundes, etwas Standfestes schaffen. Das aber ist eine Erfahrung der Geschichte, daß nur die Demokratien Bestand gehabt haben, die nicht zu klar konstruiert waren, sondern die aufgebaut waren auf einer gewissen Vielfältigkeit, auf ausgleichenden Einrichtungen. Vielen Staaten ist das zugewachsen. Das können wir nicht nachholen. Wir können -

-

-

13) Montesquieu siehe Dok. Nr. 2, Anm. 76. 14) Jean Jacques Rousseau (1712-1778), französischer Schriftsteller. 15) In der Vorlage handschr. korrigiert aus „SPD". 225

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aber

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Erfahrungen dieser beständigen Demokratien lernen. Ich bin der Meinung, folgen nicht dem Gesetz der Ästhetik, sondern wir folgen der der Geschichte, und da heißt es, man soll Gegengewichte schaffen. Erfahrung Herr Kollege Dr. Lehr sagt, man soll dem Gesetz der Polarität folgen. Das halte ich für richtig. aus

den

wir

(Dr. Schmid: Aber sehen Sie: die Großväter haben nicht einmal ein Deutschland fertiggebracht!) Wir wollen nicht in eine Geschichtskritik eintreten, aber sie haben gute Ideen gehabt! (Dr. Schmid: Aber sie haben sie nicht realisiert!) Das ist die Tragik des 19. Jahrhunderts. Vielleicht haben wir noch eine Chance, das nachzuholen. Vielleicht! Wir sehen die dunklen Wetterwände aufsteigen, aus denen vielleicht das Ungewitter kommt, das alles wegschwemmt. Aber wir wollen doch immerhin die geschichtliche Aufgabe, die wir hier zu erfüllen haben, einmal angehen und versuchen, etwas Rechtes zu schaffen. Ich sage: Institutionen, die Gegengewichte bilden, Krähe der Vielfalt! Das Simple, das Einfältige ist immer falsch und ungesund. Das Vielfältige ist richtig. Und darum habe ich das Gefühl, (Dr. Schmid: Aber das Komplizierte ist falsch!) das, was wir hier vorschlagen, ist gesund, das ist richtig. Das verbindet die Vorteile der Lösungen. Herr Kollege Dr. Lehr hat Ihnen die Dinge eben gezeigt: es verbindet die Vorteile der Lösungen des Bundesratsprinzips und des Senatsprinzips und vermeidet die Fehler der beiden. Man kann dem Bundesratsgedanken doch vor allem entgegenhalten, daß er die Neigung zum Bürokratischen haben wird, und mit Recht sagt Herr Kollege Dr. Lehr, daß es wohl eine Illusion sein wird, wenn man glaubt, man könne Vertreter der Länderregierungen im Bundesrat weisungsfrei machen. Sie werden weisunggebunden sein, sie werden die Exponenten ihrer Länderregierungen sein, und ich sage sogar: Das ist nicht falsch, sondern das soll so sein; das ist der Ausfluß des bündischen Gedankens, daß der Wille der Länderregierungen zum Ausdruck kommt. (Dr. Schmid: Das ist aber in der Schweiz nicht so und auch in Amerika nicht! Gegenruf: Wir machen ja auch keine Schweizer Verfassung!) Also ich meine: gerade durch die Verbindung der beiden Prinzipien wird man zumindest ein Gegengewicht schaffen gegen den einseitigen Willen der Länderregierung, der sich durch ihre Vertreter manifestiert und auf der anderen Seite wird es ein Gewinn sein, die Erfahrungen und den Sachverstand, auch die Apparatur der Länderregierung bei diesem Organ zur Geltung kommen zu las—

-



sen.

das



(Dr. Schmid: Also die Bürokratie!) Ja, die soll zum Teil vorhanden sein, soll aber paralysiert werden durch des Senators, des politisch ausgerichteten Senators. Also eine paralysierte Bürokratie soll eines der obersten Bun(Dr. Schmid:

politische Prinzip desorgane sein?)

Nein, Sie denken konstruktiv, Herr -

226

(Dr. Schmid:

Richtig,

Kollege Schmid. ich denke konstruktiv.)

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Nicht konstruktiv, sondern Sie denken viel zu mechanisch, zu rational! Sie sehen nicht die Möglichkeit, daß etwas wächst, und Wachstum heißt, aus der



Spannung herauskommen. (Zuruf des Abg.

Dr.

Schmid.)

und ist

gesund wirkungsvoll. Vizepräs. Schönfelder (unterbrechend):

Das ist

Herr Dr. Schmid: ich möchte doch bitten, die Zwischenrufe etwas einzuschränken! in Dr. Dehler (FDP): Also ich glaube, es wird gut sein, positive Qualitäten einer Länderregierung steckt ja doch eine Elite, die schon viele Filter überstanden hat in diesem obersten Organ wirken zu lassen. Ein Bedenken kann man haben. Wenn man sich vorstellt, daß nach dem reinen Bundesratsprinzip neben dem Volkshaus die Länderkammer vollberechtigt in der Gesetzgebung mitwirkt, dann liegt ein Stilbruch vor insofern, als die Männer der Exekutive, denn das sind ja die Länderregierungen, vollberechtigt neben der Legislative der ersten Kammer stehen. Das ist eine Verletzung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung. Ich meine, dieser Stilbruch wird zumindest gemindert dadurch, daß im Bundesrat politische Persönlichkeiten, Senatoren eingeschaltet sind. Auch bei der Frage der Regierungsbildung erscheint es mir erträglicher zu sein, daß im Falle des Versagens des Bundestages, wenn der Bundesrat notgedrungen zusammen mit dem Bundespräsidenten einspringt, dieses Organ nicht ausschließlich Exponent der Länderregierungen ist, sondern verbrämt ist mit dem politischen Willen der Senatoren. Das gleiche wiederholt sich auf der Ebene der Wahl des Bundespräsidenten. Ich sehe in dieser von uns vorgeschlagenen Kombination durchaus Vorzüge, auch gegenüber den Mängeln, die man mit Recht dem reinen Senatsprinzip entgegenhält. Man kommt nicht darüber hinweg: ein reiner Senat, der durch die Landesparlamente gewählt ist, ist notgedrungen eine Wiederholung der politischen Struktur der Landtage, ist der gleiche politische Querschnitt, führt am Ende zu einer politischen Gleichschaltung der beiden Kammern. Dieser Fehler wird nach meiner Meinung dadurch kompensiert, daß ein anderes Prinzip, der Wille der Länder, das bündische Prinzip, in diesem Organ zum Ausdruck kommt. Wir wollen nach unserer Überzeugung den bündischen Aufbau unseres Staates. Dann haben die Länder aber auch ein Recht darauf, an der Willensbildung des Bundes beteiligt zu sein. Ich glaube, beim reinen Senatstyp würde dieses Recht verkümmern. Die Senatoren wären keine wirklichen Vertreter der Länder. Da könnte man auch nicht durch das Mittelchen helfen, daß man etwa sagt: Die Senatoren sollen das Recht haben, an den Kabinettssitzungen der Länderregierungen teilzuhaben. Sie wären in Wirklichkeit von dem Willen der Länder losgelöst. Man braucht sich ja nur die Überschneidungen vorzustellen, die eintreten, wenn sich die Koalition einer Landesregierung ändert oder wenn ein Landtag aufgelöst wird. Die Senatoren haben dann zu diesen neugebildeten Länderregierungen überhaupt keine Beziehungen mehr. Darum wirkt auch insoweit der Gedanke durchaus glücklich und fortschrittlich, den wir Ihnen für die Bildung dieser Länderkammer vor-



legen. 227

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Bei der reinen Senatslösung besteht durchaus die Gefahr der Fraktionsbildung und damit der crux des Fraktionszwanges, wiewohl nach meiner Meinung bei der Erörterung dieser Frage zu leicht vergessen wird, welche fruchtbare Arbeit in der sachlichen, freimütigen Aussprache der Fraktionen geleistet wird. Auf jeden Fall wird, wenn man hier eine Gefahr sieht, die Kombination mit den Vertretern der Länderregierung, wird der Zwang, der darin besteht, daß die Senatoren sich auseinandersetzen mit dem gereiften und zielklaren Wollen der Vertreter der Länderregierungen, nur nützlich und heilsam sein und die Bindung der Fraktion sprengen. Ich meine, der Vorschlag, von dem wir ausgehen, ist konstruktiv, ist nicht nur eine Vermittlung auf mittlerer Linie, sondern ist ein Kompromiß auf einer höheren Ebene, ein huchtbarer Ausgleich, der der Sache nur nützen kann. Bei dieser Lösung halte ich es für durchaus vertretbar, daß eine echte zweite Kammer geschaffen wird, daß diese zweite Kammer vollkommen gleichberechtigt gegenüber dem Parlament steht, daß sie ein Gegengewicht gegen den von uns nicht für glücklich gehaltenen übermächtigen Parlamentarismus bildet. Wir wollen durchaus auch hier das Gesetz der Polarität anerkennen. Wir halten es für glücklich, wenn eine Bremse eingeschaltet wird gegen eine Krankheit unserer Zeit, gegen die Hypertrophie der Gesetzgebung, gegen diesen Wahnglauben, daß man das Leben normieren könne, daß man durch die Normierung irgendwelche Wunder schaffe. Daher nicht überwindbares Veto, sondern Gleichberechtigung dieser zweiten Kammer und auch dadurch wieder eine fruchtbare Spannung. Man muß sich davor hüten, in dem, was wir hier zu schaffen haben, so etwas wie ein Oberhaus, wie ein Herrenhaus zu sehen, wie eine Vertretung einer privilegierten Schicht16), die es zu beschränken gilt und der gegenüber es darauf ankommt, notfalls die Möglichkeit der Überwindung zu haben. Wir erkennen die Notwendigkeit der Schaffung einer föderalen Kammer an, aus Vertretern der Regierungen, ergänzt durch die Senatoren. Diese Institution soll gleichberechtigt gegenüber dem Parlament stehen. Es entsteht natürlich ein Kondominium mit der notwendigen Folge, daß man zu einer Entscheidung, zu einem Gesetz nur durch eine positive Entscheidung beider Kammern kommt. Aber wir sehen darin keinen Mangel, sondern im Gegenteil ein besonders gesundes Spannungsverhältnis. Wir haben die Möglichkeit erwogen, daß man notfalls einen Konflikt zwischen den beiden Kammern überwinden kann. Wir haben zur Erwägung anheimgestellt, ob man zu diesem Zwecke nicht eine Bundesversammlung aus Bundestag und Bundesrat, ergänzt durch Vertreter der Landtage, bildet. Dieses Gremium wäre auch der richtige Wahlkörper für die Wahl des Bundespräsidenten, um ihm ein breiteres Forum, eine Art plebiszitäre Grundlage zu geben. Aber das halte ich nicht für unbedingt notwendig. Richtig ist auf jeden Fall die Gleichberechtigung beider Kammern als Regulativ, als Filter gegen überstürzte und nicht überdachte Gesetzgebung. Ein Problem ist die Frage, wie man die Zahl der Mitglieder dieses Bundesrates regelt, ob man hier dem bündischen Prinzip folgt und jedem Land die gleiche

') „Die 228

es zu

beschränken

gilt"

in der

Vorlage nachträglich handschr. hinzugefügt.

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Stimmenzahl gibt. Es spricht manches dafür, besonders wenn man daran denkt, daß partikularistische und oh auch hegemonielle Tendenzen in größeren Ländern vorhanden sind, die es zurückzudämmen gilt, und wenn man daran denkt, daß gerade die kleinen Länder früher auch die reichshommen und die reichstreuen waren, oh auch eine stärkere demokratische Tradition haben als die großen. Aber es will mir doch gerade angesichts der großen Lasten, die es auszugleichen gilt, angesichts der gewaltigen Aufgaben, die auf dem Ganzen liegen werden, richtig erscheinen, daß man das Gewicht der Länder zum Ausdruck bringt17) und die Zahl der Vertreter nach der Zahl der Einwohner abstuft. Um noch einmal zu wiederholen, was ich auf einen Zwischenruf schon gesagt habe. Ich halte es für ausgeschlossen, wie es uns in dem Vorschlag der CDU vorgelegt wird, die Landtage bei der Wahl ihrer Abgeordneten dadurch zu beschränken, daß man ihnen eine Vorschlagsliste der Länderregierungen präsentiert. Das wäre unerträglich. Die Landtage sollen natürlich die Möglichkeit der unbeschränkten Auswahl haben. Man könnte erwägen, ob man hier irgendwelche ständischen Prinzipien zur Geltung kommen lassen könnte.

(Widerspruch.)

Aber ich bin der Meinung mit Ihnen, daß auch das sehr schwierig sein wird; denn wir haben keine echten Stände mehr. Zusammenfassend: ich halte die Lösung, die wir Ihnen vorschlagen, meine Damen und Herren, für richtig, richtig auch aus einem psychologischen Gesichtspunkt. Dem Bundesrat des Bismarckschen Reiches, dem Reichsrat der Weimarer Zeit kann und muß man eines vorwerfen. Sie haben ohne Verbindung mit unserm Volk gelebt. Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet, sie haben aber doch nicht die geringste Resonanz in unserem Volk gespürt. Sie waren wirkliche Dunkelkammern. Das, was wir schaffen wollen, vermeidet diese Mängel, schafft die Möglichkeit der ausgezeichneten sachlichen Arbeit und führt gleichzeitig zu einer engen Beziehung zu unserem Volke, gibt nach meiner Meinung die Grundlage für eine spannungsreiche, huchtbare Arbeit und legt vielleicht die Grundlage für eine segensreiche Tradition. (Beifall in der Mitte.) Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat nunmehr Herr Dr. Katz. Dr. Katz (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist außerordentlich begrüßenswert, daß über einen gewissen Streitpunkt, über den organischen Aufbau des Bundes hier eine öffentliche Aussprache stattfindet. Ich teile die Bedenken nicht, die gegen eine derartige verhühte öffentliche Aussprache, wie man sagte, geäußert worden sind. Wir alle wissen, daß die Reaktion unserer Bonner Beratungen innerhalb des deutschen Volkes nicht so groß ist, wie wir es alle erwartet oder wenigstens gewünscht haben18). Ich bin mir nicht sicher, ob wir ohne Fehler gearbeitet haben, als wir die Öffentlichkeit aus den Aus-

') Das Folgende

in der Vorlage handschr. der Einwohner stützt."

;)

Zum Interesse der

Öffentlichkeit

am

korrigiert aus „sich nicht abgestuft auf die Zahl

Pari. Rat siehe

Lange:

Der Pari. Rat, S. 58 ff.

229

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Schußberatungen ausgeschlossen haben19). Wir alle wußten, daß der Kern dieser Arbeit in den Ausschüssen durchgeführt werden müßte, daß die öffentlichen Plenarsitzungen selten sein würden. Aber wenn ich an den Organisationsausschuß denke, in dem ich hauptsächlich mitgearbeitet habe, wenn ich an die anderen Ausschußsitzungen denke, denen ich beigewohnt habe, ich wüßte nicht ein Wort, das nicht in voller Öffentlichkeit hätte gesagt werden können, und ich glaube, es wäre von uns allen klüger gewesen, wenn wir die Öffentlichkeit auch für die Ausschußsitzungen von vornherein hergestellt hätten. (Dr. Schwalber: Die Erkenntnis kommt sehr spät bei Ihnen, Herr Dr. Katz!) Ich bin nicht derjenige gewesen, der sich dafür eingesetzt hat, die Öffentlichkeit aus den Ausschußsitzungen fernzuhalten. (Dr. Schwalber: Aber zum mindesten die Regierungsvertreter!) Ich sage das jetzt, weil ich dem Hause die Erwägung offenstellen wollte, ob nicht von jetzt an wenigstens die Ausschußsitzungen öffentlich, mindestens presseöffentlich gestaltet werden sollten. Durch die Pressekonferenzen am Ende jedes Tages wird doch nur ein unvollständiges Bild der Debatten übermittelt. Ich glaube, es könnte unserem gesamten Werke nur dienen, wenn die Presse an allen Ausschußsitzungen voll teilnähme, um sich ihr eigenes Bild zu verschaffen. (Heile: Das hat die Gefahr des Redens zum Fenster hinaus!) Ich habe nicht den Eindruck, als ob die Ausschußmitglieder anders reden würden, wenn die Presse zugegen ist, als wenn sie unter sich sind. -

-

(Widerspruch.)

Ich habe diesen Eindruck bisher nicht gewonnen mit Ausnahme einer einzigen Fraktion, die aber keine so große Rolle spielt. (Zuruf des Abg. Renner. Heiterkeit.) In der Frage der Länderkammer, die hier diskutiert wird, vergißt man oh, daß ja die Hauptprobleme des organischen Ineinandergreifens der verschiedenen Bundesorgane in anderen Kapiteln stehen, über die im Ausschuß im großen und ganzen Einigkeit erzielt worden ist. Daß der Kern der politischen Arbeit bei der Volkskammer liegen wird, darüber besteht Einigkeit. Über die Funktion und das halte ich für der Regierung besteht Einigkeit, insbesondere darüber eine sehr wichtige Neuerung -, daß das Mißtrauensvotum der Zukunh ein konstruktives Mißtrauensvotum sein wird, das heißt ein Mißtrauensvotum, das nur dann gültig ist, wenn gleichzeitig der neue Kanzler vorgeschlagen wird. Das wird einer der wichtigsten Paragraphen dafür werden, daß die Unstabilität, wie wir sie in der Weimarer Verfassung gehabt haben und wie sie heute beispielsweise in Frankreich sichtbar wird, in Fortfall kommt. Denn wenn Koalitionen auseinanderfallen sollten, die bis dahin eine Regierung gebildet haben, so bedeutet das keineswegs den Sturz der Regierung. Der Sturz der Regierung kann nur durch das Schaffen einer neuen Koalition zustande kommen. Ich halte das für einen der wesentlichsten Fortschritte, der die kommende Verfassung vor der von Weimar auszeichnet. -

-

') Nur das Plenum und der HptA tagten grundsätzlich öffentlich, während in den Fachausschüssen die Öffentlichkeit ausgeschlossen war. 230

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zu den Meinungsverschiedenheiten über die Länderkammer, die, wie gesagt, nicht den schwersten Punkt in dieser Auseinandersetzung darstellen. Mei-

Nun

und ich treten aus voller innerer Überzeugung für die Senats ein, eines Senats, dessen Kernpunkte sind: erstens das nichtinstruierte Votum, zweitens die Wahl durch die Landtage, nicht ernannte Persönlichkeiten, sondern frei gewählte Persönlichkeiten. Ein wichtiger Gegensatz zu den Ausführungen der beiden Vorredner ist dabei folgender. Wir treten für eine Superiorität der Volkskammer ein, nicht für eine völlige Gleichheit im Falle des Dissenses. Der Hauptgrund, der uns dazu bringt, ist der, daß wir Parlamentskrisen und unter Umständen Staatskrisen so weitgehend wie möglich vermeiden wenn nicht ausschalten wollen. Wir wissen zu genau, daß hinter der Krise des demokratischen Systems der Diktator lauert. Wenn der Apparat, den wir jetzt aufstellen, nicht funktioniert, wenn die Spielregeln, die wir jetzt schaffen, nicht zu einem guten demokratisch-politischen Erfolg führen, dann wird am Horizont der nächste Diktator auhauchen. Aus diesen Gründen müssen wir bei der Beratung über diese Spielregeln darauf drängen, daß die Konfliktsmöglichkeiten, die die ganze Apparatur unter Umständen hemmen oder lahmlegen können, auf das geringst denkbare Maß beschränkt bleiben. Aus diesem Grunde sind wir der Ansicht, daß wir der Volkskammer eine Superiorität im Falle des Dissenses zubilligen müssen. Wir wollen, daß dann mit Zweidrittelmehrheit die Volkskammer, die ja die vom Volk direkt gewählten Abgeordneten enthält, die Entscheidung gibt. Das ist gleichzeitig politisch weise; denn wenn zwei Drittel der vom Volk direkt gewählten Abgeordneten eine bestimmte Entscheidung, ein bestimmtes Gesetz, eine bestimmte Aktion wollen, so wäre es sehr unklug, wenn sich ein indirekt gewähltes Oberhaus, eine indirekt gewählte Länderkammer dem entgegenstemmen wollte. Das Ganze ist vielleicht nicht ganz, aber doch teilweise dem Veto des Präsidenten in den Vereinigten Staaten vergleichbar, der ja, wie Sie wissen, die Gesetzgebung durch sein Veto hemmen kann. Aber wenn der Kongreß mit Zweidrittelmehrheit gegen ihn entscheidet, so wird auch gegen ihn der Wille dieser Abgeordund darauf legen wir den größten Wert neten Gesetz. Aus diesem Grunde sind wir nicht für völlige gesetzgeberische Gleichheit beider Kammern, sondern für eine Superiorität der Volkskammer. wenn ich Herrn Dr. Dehler verstanden Ein anderer wichtiger Differenzpunkt darin überein mir ist folgender. Wir sind für gleiches habe, stimmt er mit Stimmrecht für jedes Land und halten das für ein Element des föderativen Systems. Es darf keinen Unterschied geben zwischen großen Ländern und kleinen Ländern, zwischen reichen und armen, zwischen bevölkerungspolitisch starken und schwachen. Das ist eines der wichtigsten Elemente einer jeden Bundesverfassung, daß man zwischen großen und kleinen keinen Unterschied macht. Wir würden in politisch gefährliche Situationen kommen, wenn sich die großen und reichen sozusagen gegen die armen und schwachen verbünden könnten; denn das wird ja eine der kommenden Auseinandersetzungen bei dem Lastenausgleich und ähnlichen Dingen sein. Infolgedessen ist eines unserer wichtigsten Grundprinzipien, daß gleiches Stimmrecht für jedes Land geschaffen werden muß.

politischen Freunde Schaffung eines reinen

ne





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-

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In der Frage des ewigen Senats scheinen die verschiedenen Redner übereinzustimmen. Wir sind aus Gründen der Stabilität und des ruhigen Kurses dafür, daß ein Drittel seiner Mitglieder sich alle zwei Jahre erneuert und daß auf diese Art und Weise nicht etwa ein großer politischer Umschwung sofort sich in einer völligen Neuschöpfung des Senats ausdrückt. Der Kern unseres Vorschlages und der Hauptgrund, warum wir für die Schaffung eines Senats sind, ist der, daß wir in das deutsche Verfassungsleben einen neuen Stil einführen, einen neuen Typ des Politikers schaffen wollen, den Deutschland bisher nicht gekannt hat. Bisher haben in der ersten Kammer immer die Bürokraten, die Vertreter der Länderredarüber ist gar kein gierungen gesessen. Es waren Ministerialbeamte, die sowohl im Bismarckschen Bundesrat wie im Reichsrat gute Arbeit Zweifel geleistet haben. Sie haben gute Arbeit geleistet, ohne daß das Volk die geringste Kenntnis davon genommen hat. Sie haben ich möchte den Ausdruck Dunkelkammer, wie er gefallen ist, nicht gebrauchen abgeriegelt vom Volk in irgendwelchen Versammlungsräumen gesessen, und die teilweise sehr guten Bemer-

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kungen und Reden, die dort zu einzelnen Gesetzgebungsproblemen gehalten worden sind, sind niemals in das Volk hinausgedrungen. Wir sind der Ansicht, daß durch die Schaffung des Senats ein neues Leben in die Gesetzgebung der ersten Kammer oder der zweiten Kammer, wie man sie nennen will, der Länderkammer hineingebracht wird. Anstelle dieses technisch wohlgebildeten höheren Beamten, der bisher in diesen Funktionen beschähigt war, soll in dem Senator der Länderkammer ein neuer Typ treten, der natürlich erst allmählich kommen kann. Es soll der politisch reife, der heie, der innerlich unabhängige Bürger diese Funktion ausüben. Es soll ein Mann sein, der durch eigene Tätigkeit die parlamentarische Übung, das öffentliche Leben kennt, eine politische Persönlichkeit, die es gewohnt ist, von höherer Warte aus Probleme des öffentlichen Lebens selbst zu entscheiden. Dieser gewählte und nicht ernannte Mann soll die Stimme seines Landes nach heiem Wissen und Gewissen abgeben. Er soll nicht an irgendwelche Instruktionen gebunden sein. Er soll nicht an die Stimme seines eigenen Landesparlaments gebunden sein, nicht an den Auftrag einer Regierung. Er wird sie alle kennen und wird diese Tendenzen bei seiner eigenen Entscheidung berücksichtigen, aber er soll sie frei fällen können. Wenn wir die Länderkammer so schaffen, so werden wir dieser Kammer auch von der Seite der personellen Zusammensetzung und von der Seite ihrer politischen Bedeutung ein ganz anderes Gesicht verleihen, als es diese Kammern in den Zeiten Bismarcks und Weimars gehabt haben. Die Rede eines solchen Senators zu einem bestimmten politischen Problem wird, ganz anders als es früher war, nicht als Makulatur zu den übrigen Drucksachen gehen, sie wird im Volke gehört, verstanden werden und Diskussionen auslösen. Auf diese Weise soll in der Schaffung der Länderkammer ein weiteres Instrument zu der sehr notwendigen Politisierung und Demokratisierung des deutschen Volkes geschaffen werden, eine außerordentlich wichtige Funktion. Wenn hier heute der Vorschlag gemacht worden ist, ein Gemisch aus Bundesrat und Senat zu schaffen, so kann ich als meine persönliche Meinung nur wiedergeben, daß ich dieses Zwittergebilde nicht für einen Fortschritt, sondern für einen Rückschritt halten würde. 232

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(Zuruf von den Sozialdemokraten: Sehr richtig!) Ich bin der Ansicht, daß dann eine derartige Unklarheit in den Funktionen auhreten würde, daß nur wie oh bei Zwittern die schlechten Eigenschaften eines jeden Elternteils herauskommen, die guten aber überdeckt werden würden. Wenn schon eine Entscheidung gefällt werden muß, dann entweder Bundesrat oder Senat, aber kein Zwitter.

(Zurufe.) Ich halte in diesem Fall eine

Kreuzung für

Unglück.

ein

technisch-organisatorisches

(Zuruf: Man merkt, daß wir im Museum Koenig20) eröffnet sind!) Ich möchte dem Herrn Präsidenten den Gefallen tun, meine Redezeit nicht zu überschreiten, und komme daher zum Schluß. Alles, was wir über die organische Zusammensetzung, über diese Spielregeln der Bundesorgane beschließen, ist nicht unabdingbar. Dort sind keine Prinzipien zu verfechten, daß die eine Partei ja und die andere Partei nein sagen müßte. Alle Vorschläge, die wir heute gehört haben, sind sowohl demokratisch als föderativ, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Wir haben unsere Ansicht hier vorgetragen, um im Wege der freien und offenen Aussprache zu dem Ergebnis zu kommen, das den Interessen der Gesamtheit am besten dient, und ich hoffe, wir werden dieses Ziel binnen kurzem erreichen. Wichtiger als die eine oder die andere Art bleibt die Tatsache, daß wir das Grundgesetz zustande bekommen, und zwar sobald als möglich. (Beifall bei den Sozialdemokraten.) Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung, die sich in den letzten Worten um die Begriffe Bundesrat oder Senat im Parlamentarischen Rat angesponnen hat, entfernt uns immer weiter von den eigentlichen Grundlagen des föderalen Staatsaufbaus. Bevor ich deshalb zu den hier vorgetragenen Grundlagen für die Auseinandersetzung zwischen den Begriffen Bundesrat und Senat Stellung nehme, möchte ich die Auffassung der Deutschen Partei2'1), wie sie in ihrem Verfassungsvorschlag und auch in der Zusammenstellung des Zonenbeirats22) klar und eindeutig niedergelegt ist, noch einmal vortragen. Es scheint mir notwendig zu sein, daß wir uns noch einmal darauf besinnen, welche Forderungen vom Standpunkt eines klaren und eindeutigen Föderalismus, der einen Bundesstaat erstrebt, zu diesem Problem zu stellen sind. Der Grundgedanke, von dem die Deutsche Partei bei dem Staatsaufbau in ihrem Verfassungsvorschlag ausgegangen ist, ist die konsequente Durchführung des Prinzips der Gewaltenteilung in einem Bundesstaat, und zwar auf allen drei Ebenen, der Ebene des Bundes, der Ebene der Länder und der Ebene des Volkes. Die Fülle der Gewalt muß nicht nur zwischen Exekutive, Legislative 20) Zur Eröffnung des Pari. 21) Siehe Dok. Nr. 3, Anm. 22) Siehe Dok. Nr. 2, Anm.

Rates im Museum

Koenig

siehe Dok. Nr. 1, Anm. 7.

102. 77.

233

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Rechtsprechung, sondern gleichzeitig auch zwischen Bund und Ländern eindeutigen Gliederung der Aufgaben und einer klaren Abgrenzung der Kompetenzen aufgeteilt werden. Auf der Bundesebene insbesondere müssen Volk und Länder in allen drei Bereichen, der Exekutive, der Legislative und der Rechtsprechung, gleichberechtigt vertreten sein. Auf dem Gebiet der Exekutive haben wir daher einen Bundespräsidenten vorgeschlagen, der von der gesamten Volksvertretung gewählt wird. Als oberstes Regierungsorgan, also als oberstes Exekutivorgan steht neben ihm der Bundesrat, gebildet aus den Regierungsvertretern der Länder, in dem jedes Land durch einen Bevollmächtigten vertreten ist. Den Vorsitz in dem Bundesrat führt der Bundespräsident. Die Aufgaben dieses obersten Exekutivorgans bestehen in der Festlegung der Richtlinien der Politik, in der Entscheidung über politische Grundsatzfragen, insbesondere auf dem Gebiet des Notverordnungsrechts, und in dem Erlaß von Rechtsverordnungen und allgemeinverbindlichen Verwaltungsvorschriften, die in Ausführung der Bundesgesetze ergehen. Nach den Weisungen dieses obersten Exekutivorgans arbeitet die aus dem Bundeskanzler und den Ministern bestehende Regierung, die vom Vertrauen der Legislative abhängig ist. Die Legislative ist nach unseren Vorschlägen in Form eines echten Zweikammersystems ausgebildet. Sie besteht aus einer Volkskammer, in der das Volk seine Vertretung findet, zusammengesetzt aus Abgeordneten, die in direkter Wahl nach dem Mehrheitswahlprinzip in kleinen Wahlkreisen gewählt werden. Daneben steht eine erste Kammer, die auf der Länderbasis gegründet ist, aber kein ausgesprochen föderales Organ ist, und für deren Zusammensetzung sich verschiedene Möglichkeiten ergeben. Sie kann sich aus Senatoren zusammensetzen, die in indirekter Wahl nach dem Mehrheitswahlrecht in großen Wahlkreisen gewählt werden. Sie kann sich auch aus Senatoren zusammensetzen, die in indirekter Wahl durch die Landtage gewählt werden, gegebenenfalls auch auf Vorschlag der Landesregierung. Sie ist nach unserer Auffassung jedoch noch und

mit einer

durch Vertreter der Wirtschah und der Kultur zu ergänzen. Wir haben in Artikel 71 unseres Verfassungsvorschlages für die Angelegenheiten der Wirtschah die Schaffung eines besonderen Wirtschaftsrates und in Artikel 53 für die Angelegenheiten der Kultur die Schaffung eines besonderen Kulturrates vorgeschlagen, weil wir eine klare Gliederung dieser drei Gebiete, eine klare Dreigliederung zwischen dem politischen, dem wirtschaftlichen und dem kulturellen Leben für notwendig und richtig halten. (Dr. Heuss: Da heut sich Rudolf Steiner23)! Heiterkeit.) In dem Artikel 111 unseres Verfassungsvorschlages, der die Zusammensetzung der ersten Kammer behandelt, haben wir deshalb vorgesehen, daß diese erste Kammer sich aus Vertretern der Länder, aus Vertretern des Wirtschahsrates in dem Gewerkschaften und Unternehmer paritätisch vertreten sind und aus -

-

-

) Rudolf Steiner (1861-1925), österreichischer Anthroposoph.

Er initiierte zur Lösung der Frage eine „Bewegung für Dreigliederung des sozialen Organismus" mit dem Programm der Entflechtung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.

sozialen

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Vertretern des Kulturrates zusammensetzt, über dessen Zusammensetzung ich Ihnen hüher schon einmal berichtet habe. Voraussetzung ist weiter, daß diese beiden Kammern volle gesetzgeberische Kompetenzen, also auch das Initiativrecht besitzen. Für die Gesetzgebung ergibt sich dann folgender Weg. Die Regierung als Teil der Exekutive fertigt den Gesetzentwurf. Der Bundesrat als das oberste Exekutivorgan stimmt diesen Gesetzentwurf mit den Interessen der Länder ab und bringt ihn bei der Legislative ein. Die beiden Kammern der Legislative bestimmen die Fassung des Gesetzentwurfs und stimmen über seine Genehmigung ab. Diese gewisse Schwerfälligkeit der Gesetzgebung hat folgenden Grund: Es soll damit einmal erreicht werden, daß nur ausgereihe Gesetze, also nur solche Gesetze entstehen, die allseitig beachtet und nicht auf einer der drei Ebenen bekämph werden. Es soll ferner dadurch der Gesetzeshypertrophie Einhalt ge-

boten werden. In gleicher Weise sollen die Länder und das Volk auch in dem Bereich der Rechtsprechung auf der Bundesebene im obersten Gerichtshof ihre Vertretung finden; denn der Präsident des obersten Gerichtshofes soll von der Volkskammer auf Vorschlag des Bundesrates gewählt werden, während die einzelnen Richter, von den Ländern gestellt, die Länderebene vertreten. So sind in allen drei Bereichen der Gewalten auf der Bundesebene Volk und Länder richtig vertreten, und das föderale Prinzip ist konsequent durchgeführt. Das Deutsche Reich soll so als Bundesstaat reorganisiert werden und aus gleichberechtigten Einzelstaaten bestehen. Kein Staatenbund, sondern ein Bundesstaat soll geschaffen werden, der nach außen als einheitliche Staatspersönlichkeit in Erscheinung tritt, nach innen jedoch höchstmöglicher Freiheit und Eigenbestimmung Raum läßt. In der Zusammenstellung des Zonenbeirats finden Sie auf Seite 22 die Stellungnahme über den Verfassungsvorschlag der Deutschen Partei24) zusammengefaßt. Hier ist folgendes Urteil niedergelegt: Am vollständigsten ist das Prinzip föderalistischer Willensbildung in den Verfassungsrichtlinien der Deutschen Partei durchgeführt (gleichberechtigte Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung und der Wahl des Bundespräsidenten über die von ihnen beschickte zweite Kammer. Ausübung der Bundesregierung durch die Bevollmächtigten der Länder). „Der Bundeswillen soll eine Integration des Länderwillens in Verbindung mit dem parlamentarisch zum Ausdruck gebrachten Gesamtwillen der Nation sein." Das hat Hellwege in der entsprechenden Sitzung des Zonenbeirats ausge-

führt25).

Wenn ich mich nach dieser

Darstellung unseres Vorschlages nun der Debatte muß ich feststellen, wieweit doch die bisher hier vorgeschlagenen Lösungsversuche von den Grundlagen des echten föderalen Staatsaufbaues abweichen. zuwende,

so

) Zonenbeirat zur Verfassungspolitik siehe ) Akten zur Vorgeschichte Bd. 3, S. 887.

Anm. 22.

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als Vertreter der föderalen Auffassung auf den Boden dieser Debatte, als Mindestforderung die Sicherung des Prinzips der Ausgewosich ergibt zwischen dem denn eine Gleichheit ist nicht mehr erreichbar genheit Willen des Volkes, dem Staatswillens der Länder und dem Staatswillen des Bundes auf der Bundesebene. Dieses Prinzip ist mindestens auf dem Gebiet der Legislative, aber auch auf dem Gebiet der Exekutive durchzusetzen, um den Einfluß des Staatswillens der Länder zu sichern. In Weimar hatten wir eine unvollkommene Lösung des Problems in der Form des Reichsrates, der zwar durch seine Zusammensetzung aus Vertretern der Länderregierungen ein unverfälschtes Organ des Länderwillens auf der Bundesebene war, aber kein volles Gleichgewicht auf dem Gebiet der Gesetzgebung besaß, da er nur mit einem Vetorecht ausgestattet war, andererseits aber einen entscheidenden Einfluß auf die Exekutive durch die Genehmigung der Rechtsund der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu den Bundesgesetzen nehmen konnte. Der Reichsrat der Weimarer Verfassung war daher ein Organ mit sowohl legislativen wie exekutiven Aufgaben. Das Prinzip der Gewaltenteilung war durch diese Vermischung durchbrochen. Er hat in dieser Form das ständige Fortschreiten der Aushöhlungspolitik der Zentrale gegenüber den Ländern nicht vereiteln können. Er hat die richtige Würdigung seiner Bedeutung in der Öffentlichkeit hauptsächlich deshalb nicht gefunden, weil die Presse von seinen Sitzungen und Beschlüssen grundsätzlich keine Notiz genommen hat. Es liegen hier zweifellos Fehler vor, die die damaligen Pressereferenten der Reichsregierung und des Reichsrates in erster Linie zu verantworten haben. Zur Sicherung des gesammelten Staatswillens der Länder auf der Bundesebene scheint uns als äußerstes Entgegenkommen nur noch folgende Lösung in Betracht zu kommen: die Bildung eines Bundesrates aus Vertretern der Länderregierungen mit voller gesetzgebender Kompetenz und mit dem Genehmigungsrecht für die Rechts- und die allgemeinen Verwaltungsvorschrihen zu allen Bundesgesetzen, gleichviel, ob deren Ausführung beim Bund allein, bei der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung, bei den Ländern nach Weisung des Bundes oder bei den Ländern in eigener Zuständigkeit liegt. Dies ist für die Behandlung der Finanzgesetze ganz besonders wichtig. Ein solcher Bundesrat ist kein Parlament. Als seine Mitglieder kommen deshalb nur Vertreter der Länderregierungen in Betracht, weil die Minister, obwohl sie Mitglieder von Parteien sind, von ihren Parteivorständen wesentlich unabhängiger sind und weil sie keinem Fraktionszwang unterliegen. Denn in einem so gebildeten Bundesrat gibt es keine Bildung von Fraktionen. Außerdem wird ein gesunder Einfluß der Bürokratie der Länder auf der Bundesebene ermöglicht. Man muß sich darüber klar sein, daß die Bürokratie letzten Endes eine Fülle von Erfahrungen und Kenntnissen verkörpert, die zum Ausdruck und zum Einsatz gebracht werden sollen und müssen. Nur bei der Errichtung eines solchen Bundesrates, wie ich ihn vorgeschlagen habe, kann man von einem föderativen Aufbau und von einer Ausgewogenheit der drei Faktoren Volk, Länder und Bund auf der Bundesebene sprechen. Allein mit der Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern und mit ihrer Sicherung in der Verfassung und allein mit genügenden Finanzzuweisungen an Tritt

man

so

-

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-

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die Länder und Gemeinden zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben ist ein föderativer Staatsaufbau nicht durchgeführt. Diese Wünsche können gleicherweise auch in einem dezentralisierten Einheitsstaat gesichert werden. Der föderative Aufbau verlangt jedoch als primäre Voraussetzung, daß die Länder durch ein eigenes Organ auf der Bundesebene vertreten werden. Das Zweikammersystem allein gewährleistet, wie Herr Dr. Lehr richtig ausgeführt hat, den föderalen Aufbau an sich nicht, da ein Zweikammersystem sowohl in einem Einheitsstaat wie in einem föderalen Staat möglich ist und daher kein Kriterium für den föderalen Staatsaufbau darstellt. Die Zusammensetzung einer sogenannten Länderkammer aus in den Landtagen indirekt gewählten Abgeordneten ergibt kein Organ des Länderwillens auf der Bundesebene. Eine solche Zusammensetzung kann man auch nicht als eine freie Wahl bezeichnen. Wir wissen aus Erfahrung, wie in den Landtagen z. B. die Wahl der Vertreter zum Wirtschahsrat oder auch zum Parlamentarischen Rat erfolgt ist. Nach genauer Auheilung entsprechend dem D'Hondtschen Verfahren26) hat nämlich jede Fraktion die Möglichkeit, eine bestimmte Anzahl von Damen oder Herren vorzuschlagen, deren Entsendung dann vom Plenum genehmigt wird. Das ist keine Wahl, das ist vielmehr eine Delegation von Parteivertretern. Wir gewinnen somit in einer solchen Länderkammer nichts anderes als ein Spiegelbild der Volkskammer. Wir haben also in dieser Länderkammer nicht Länder-, sondern nur Parteivertreter.

(Sehr gut!)

Wir werden notwendigerweise hier Fraktionsbildungen mit dem ausschließlichen Einfluß der Parteivorstände und der Parteibürokratie erleben. Wir erhalten mithin ein zweites Parlament und so eine Hypertrophie des parlamentarischen Systems, gleichgültig, ob man dieser Länderkammer ein Vetorecht oder volle gesetzgebende Kompetenz gibt. Sie ist kein Staatenhaus, sondern nur eine modifizierte Volkskammer, in der die Parteien in erster Linie zu bestimmen haben. Die Abgeordneten dieser Länderkammer, auch wenn sie direkt als Senatoren in großen Wahlkreisen gewählt sein sollten, werden niemals Vertreter des Landes sein, das sie entsendet, sondern stets nur Vertreter ihrer Parteien. Wie durch ein solches Organ der Länderwille auf der Bundesebene vertreten werden kann, ist mir schlechterdings unerfindlich. Mit einem föderativen Staatsaufbau hat diese Konstruktion jedenfalls nichts zu tun. Wir müssen sie deshalb grundsätzlich ablehnen. Die Vertreter der Deutschen Partei müssen betonen, daß die Gestaltung der Länderkammer ein Problem ist, dessen Lösung für unsere Zustimmung oder Ablehnung des Gesamtwerkes der Verfassung entscheidend sein

wird. Die

vorgeschlagene Mittellösung,

ten Kammer

2B)

je

zur

Hälhe

aus

nämlich eine Zusammensetzung dieser zweiVertretern der Länderregierungen und aus Sena-

Das d'Hondtsche Verfahren wurde von dem Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Gent, Victor d'Hondt (1841-1901) entwickelt für die Verteilung von Sitzen in Vertretungskörperschaften. Dabei werden die für einzelne Wahlvorschläge abgegebenen gültigen Stimmen nacheinander durch 1,2,3 usw. geteilt, bis aus den gewonnenen Teilungszahlen so viele Höchstzahlen ausgesondert werden können wie Sitze zu vergeben sind. Jeder Wahlvorschlag erhält soviele Sitze, wie Höchstzahlen auf ihn entfallen.

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toren, die indirekt oder direkt gewählt werden, schafh eine pseudoföderale Länderkammer. Der Vorteil liegt zweifellos in der Neubildung einer gewissen Elite von Parlamentariern, die hier ermöglicht wird. Ich habe aber Bedenken gegen eine Wahl dieser Senatoren wenn ich mich einmal auf den Standpunkt dieses Vorschlages stellen darf durch die Landtage auf Grund einer von der Regierung aufgestellten Liste. Ich habe Bedenken, daß auf diese Weise die Opposition in den Landtagen von der Vertretung in der Länderkammer völlig ausgeschaltet werden könnte. Ich glaube deshalb, daß es, wenn man sich überhaupt zu einem solchen Prinzip entschließt, richtiger wäre, die Senatoren in freier, direkter Wahl in großen Wahlkreisen in den Ländern erküren zu lassen und die Landtage bei ihrer Entsendung auszuschalten. Die Bedenken, die man gegen diese Lösung haben muß, sind vor allem, daß trotz dieser Zusammensetzung sich doch ein überragender Einfluß der Parteivorstände und der Parteibürokratie ergibt, daß sich doch Fraktionsbildungen nicht vermeiden lassen, daß sich doch Fraktionszwang einstellt, daß somit die Ländervertreter zu Parteivertretern werden und daß dadurch wieder der reine Parlamentscharakter zum Durchbruch kommt. Meine Damen und Herren! Ich möchte noch eines herausstellen. Bei der Legislative haben wir in der Volkskammer immer einen sehr starken Einfluß der Parteibürokratie. Wir möchten deshalb unter allen Umständen in dem anderen Organ nicht auch den überwiegenden Einfluß dieser Parteibürokratie finden. Wenn schon eine Bürokratie in diesem Gremium einen Einfluß haben soll, soll es die ausgewogene und erfahrene Bürokratie der obersten Verwaltung der Länder sein. (Zuruf des Abg. Dr. Katz.) Herr Dr. Katz, zweifellos sind in der obersten Verwaltung doch bessere Kräfte tätig als in der Parteibürokratie, wobei ich alle Parteien zusammenfasse und durchaus kein Werturteil abgeben möchte. (Renner: Die haben das bewiesen; sie haben bisher allen Systemen ge-

-

-

dient.) Gewiß, aber ihre Sachkenntnis können Sie, Herr Abgeordneter Renner,

ihnen nicht bestreiten. Gerade durch die Tatsache des Dienens unter den verschiedensten Regierungen beweisen sie ihre Sachkenntnis und Erfahrung. (Renner: So kann man es auch auffassen.) Ich bin durchaus kein Anwalt der Bürokratie. Wenn wir uns diesem Vorschlag weiter widmen und ihn durchdenken, muß nach meiner Auffassung, wenn aus diesem pseudo-föderalen Organ ein echtes föderales Organ werden soll, noch einiges mehr vorgesehen werden. Es muß vorgesehen werden, daß jede Fraktionsbildung möglichst vermieden wird. Man könnte eine Fraktionsbildung überhaupt untersagen und somit die Mitglieder eines solchen Gremiums nur einzeln ansprechen, diesem Gremium also denselben Charakter geben, wie ihn ein echter Bundesrat haben würde, der sich eben von einem normalen Parlament durch seine eigenen Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich unterscheidet. Ferner könnte man die Frage noch weiter dahin vertiefen, daß man sich überlegt, ob diese gesamte Kammer sich mit den ihr zugewiesenen legislativen und exekutiven Aufgaben beschähigen soll, oder ob es, 238

Siebente wie auch

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Seiten der demokratischen Fraktion vorgeschlagen wurde, richtidie exekutiven ger wäre, Aufgaben der Länderkammer nur durch die Vertreter der Länderregierungen in diesem Organ erledigen zu lassen, also in erster Linie die Zustimmung zu den Rechts- und Verwaltungsvorschrihen, die in Ausführung der Bundesgesetze erlassen werden sollen, so daß hier die Gesamtkörperschah nur für die Erfüllung der legislativen Aufgaben in Betracht kommt. Allerdings wird auch dieses Organ nur dann zur vollen Auswirkung kommen können, wenn man ihm die vollen gesetzgeberischen Kompetenzen zuweist. Ich möchte meine Darlegungen dahin zusammenfassen, daß nach meiner Auffassung allein ein Bundesrat aus Vertretern der Länderregierungen den ausgewogenen Einfluß des Länderwillens auf der Bundesebene sichert. Ich möchte noch einmal darauf hinwiesen, daß diese Lösung uns als weitestes Entgegenkommen noch tragbar erscheint, um ein Aushöhlen der Befugnisse der Länder durch die zentralistischen Bestrebungen des Bundes zu vermeiden, um vor allem aber die Bundesfreundlichkeit der Länder zu erhalten und durch ein gegenseitiges Kennenlernen auf gleichberechtigter Basis die Möglichkeit des organischen Einspielens der Kräfte des Bundes und der Länder herbeizuführen. Das bundesfreundliche Verhalten, das Reich und Länder einander schulden, wie Bismarck gesagt hat, ist absolute Voraussetzung für ein gutes Zusammenarbeiten in einem bundesstaatlichen System. von

(Bravo!) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner. Meine Damen und Herren! Unsere Stellungnahme zu dem Pro-

Vizepräs. Schönfelder:

(KPD): blem, das uns heute hier bewegt, basiert auf unserer Beurteilung des politischen, Renner

wirtschahlichen und gesellschaftlichen Charakters des von ihnen geplanten separaten und separatistischen Weststaates. Dieser Staat, der nach einer gestern hier vorgetragenen Äußerung in Europa aufgehen soll27) womit der politische Begriff Westeuropa gemeint ist -, wird ein reaktionärer Staat; er wird ein Staat, der die Interessen der in ihm herrschenden monopolkapitalistischen Kräfte wahren wird gegen die wirklichen Interessen des Volkes, der Massen des Volkes. -

(Zuruf: Abwarten!) Nein, nicht abwarten, dafür haben wir eine zu bittere28) Geschichte hinter uns. Wir wissen, was man von der Bourgeoisie erwarten kann.

-

Die Wirtschahsform dieses Staates wird und muß die sein mit allen für die Arbeiterklasse und die Masse des

monopolkapitalistische werktätigen und schaf-

fenden Volkes so schädlichen Auswirkungen. (Dr. Schmid: Wie die Uranbergwerke im Erzgebirge29)!) Ich sage: mit so schädlichen Auswirkungen, Herr Dr. Schmid, wie sie die Aufrichtung unserer westdeutschen Unternehmerverbände und das Eindringen

-

') Siehe Dok.

Nr. 6, Carlo Schmid

am

Ende seiner Rede auf S. 183.

;) „Zu bittere" nachträglich in der Vorlage handschr. eingefügt. ') Zum Uranbergbau im Erzgebirge siehe Rainer Karisch: „Ein Staat im Staate". Der Uran-

bergbau der Wismuth AG in Sachsen und Thüringen. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 49-50/93. 3. Dez. 1993, S. 14-23. Als zeitgenössische Publikation, vom Vorstand der SPD herausgegeben: Uranbergbau in der Sowjetzone.

Hannover

(1949).

239

Nr. 7

Siebente

Sitzung des Plenums

des internationalen

bringen.

Trustkapitals

in

(Dr. Schmid: Immerhin schickt

Es wäre vielleicht -

abzuschieben.

notwendig

21. Oktober 1948

unsere

westdeutsche Wirtschah mit sich

die Leute dort nicht nach Sibirien!) gewesen, von hier auch einige rechtzeitig man

(Lebhafte Zurufe: Aha! und große Heiterkeit.)

Es wäre vielleicht

gewesen, wenn man unsere Naziaktivisten, die heute am laufenden Band freigesprochen werden, Kriegsverbrecher, so zur Rechenschah gezogen hätte, (Zuruf von der SPD: Sie ziehen nicht Naziaktivisten zur Rechenschaft, sondern Sozialdemokraten, Herr Renner!) zur Rechenschah für ihre Verbrechen am Volk. Nun zu diesem neuen Gebilde des Staates, für das gestern auch die Schutzherrschah des lieben Gottes reklamiert worden ist, was einen der Herren zu der Feststellung bewogen hat, daß man für einen so faulen Zweck den lieben Gott aus dem Spiele lassen solle. Der Stern dieses kommenden politischen Staates ist das Dollarzeichen, gar nichts anderes, darüber sind wir uns klar. Wir stehen daher auf dem Standpunkt, daß die einzige Garantie gegen eine von mir aufgezeichnete Entwicklung dieses Staates im Sinne eines absolut reaktionären Staates darin besteht, daß man alle Machtfülle in die Hand der vom Volke nach dem Verhältniswahlsystem gewählten Volkskammer legt. Bei dieser Volkskammer muß das uneingeschränkte Recht der Gesetzgebung liegen. Nun einmal eine historische Feststellung. Die Stabilität des Staates auch des Staates, den Sie zu schaffen beabsichtigen hängt doch nicht von dem Wahlgesetz ab, nach dem die Volksvertretung gewählt wird, wie das heute morgen hier zum Ausdruck kam, sondern die Stabilität des Systems, das Sie schaffen wollen, hängt davon ab, welche Politik Sie gegen die Massen des Volkes betreiben, welche Politik Sie überhaupt betreiben. Richtet sich Ihre Politik gegen die Masse des werktätigen Volkes, dann schützen alle Schutzmaßnahmen Sie nicht, dann ist es auch ganz gleichgültig, ob Sie einen Bundesrat oder einen Senat schaffen; dann ist es auch ganz gleichgültig, ob Sie sich, wie das heute bereits der Fall ist, mit einem Ersatz für den alten Artikel 4 830) beschäftigen, daß Sie also heute schon überlegen, wie man die Rechte der Volksvertretung überhaupt beseitigen kann. Da gibt es nur eins: eine Politik für das Volk, eine Politik gegen die Volksschädlinge, also gegen die Kriegstreiber, gegen die Kriegsgewinnler von heute, gegen die Nutznießer dieser Ihrer Gesellschahs- und Wirtschahsform. Das ist die beste Garantie und der beste Schutz für die Stabilität einer Demokratie. Nun haben wir heute morgen folgendes hier vor unseren Augen abrollen sehen. Herr Dr. Lehr, dem Herr Dr. Dehler die Gleichmäßigkeit der Gedanken in etwa attestiert hat, hat uns hier einen Vorschlag gemacht, der darauf hinausläuh, zwar den Namen Bundesrat zu vermeiden, aber doch ein Zwitterding zu schaffen, das so halb Bundesrat und halb Senat ist. Dieser von den beiden Herren -

richtiger

unsere

-

-

') 240

Art. 48 WRV betraf die Kompetenzen des rung von Sicherheit und Ordnung."

Reichspräsidenten

für „Maßnahmen bei Stö-

Siebente

Sitzung des Plenums

21.

Oktober 1948

Nr. 7

und Parteivertretern vorgesehene Senat soll zur Hälhe aus Regierungsvertretern, also Kabinettsmitgliedern, zur anderen Hälhe aus Abgeordneten der jeweiligen Landtage bestehen. Dabei hat Herr Dr. Lehr sich zu der Feststellung verstiegen, daß die Minister die sachverständigsten obersten Beamten seien. (Dr. Lehr: Sie waren ja selbst einmal Minister31)! Heiterkeit.) Daher gerade wage ich ja, ein Urteil abzugeben, Herr Dr. Lehr. -

-

(Erneute Heiterkeit.)

Aber ich habe

wenigstens in gebracht, wenigstens in eins. Das



ein Ministerium die Sachkenntnis mit hineinhaben sogar Sie mir attestieren müssen.

(Zuruf des Dr. Lehr.) Aber der Vorschlag läuh, und das ist das Gefährliche, darauf hinaus, der Bürokratie der Ministerien die Macht in die Hand zu geben. Wenn nun heute hier von meinem geschätzten Herrn Vorredner behauptet worden ist, daß das gerade etwas sehr Wünschenswertes sei, weil ja gerade diese Bürokratie die notwendige Sachkenntnis mitbrächte, dann erlaube ich mir den Hinweis, daß diese Bürokratie, wie wir sie heute kennen, diese ausgereihen Herren Ministerialbeamten, die Männer mit dem langen Bart, der Rat der Ältesten, wie Sie sich ihn hier vorstellen, gerade die Herren sind, die zu unseren Lebzeiten, Herr Dr. Lehr, sich jetzt schon dem vierten System zu dienen anschicken. Das ist die alte, bewährte Bürokratie, die im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, unter Hitler (Zuruf: und im Ministerium Renner!) und jetzt auch in dem neuen Gefüge, das Sie ihr bieten, gewillt ist, eine bestimmte Funktion auszuüben, die Funktion nämlich, die Interessen der herrschenden Klasse unter allen Umständen hochzuhalten. (Dr. Schmid: Das hat sie doch auch getan, als Sie Minister waren!) Als wir in Nordrhein-Westfalen, in der britischen Zone eine historische Reminiszenz, Herr Dr. Lehr zur Einführung der neuen deutschen Gemeindeordnung32), also einer neuen Kommunalverfassung übergingen, da waren es die Vertreter der Militärregierung das ist allerdings leider schon 2V2 Jahre her -, die uns damals die Notwendigkeit einer Neueinführung einer Gemeindeverfassung damit begründeten, es sei notwendig, die Herrschah der Bürokratie zu brechen, das Führerprinzip aus der Verwaltung zu beseitigen. Das war vor 2V2 Jahren die Begründung für die Neueinführung der deutschen Gemeindeordnung, nicht wahr, Herr Dr. Menzel? Was sich aber in der Zwischenzeit vollzogen hat, das ist das Zurückweichen der „demokratischen" Parteien vor der Bürokratie. Heute sitzen in den Rathäusern und sitzen in den Ministerien von geringen Abweichungen abgesehen die Herrn Bürokraten von gestern, und die machen die Politik. Das sind doch die tatsächlichen Minister in der Mehrzahl der Fälle, das wissen Sie, Herr Dr. Lehr, so gut wie ich. -

-

-

-

-

) Heinz Renner war Sozialminister im nordrhein-westfälischen Kabinett Amelunxen und seit Juni 1947 bis zum Ausschluß der KP-Minister Verkehrsminister im Kabinett Arnold gewesen.

) Hierzu Wolfgang Rudzio:

Die Neuordnung des Kommunalwesens in der Britischen Zone. Zur Demokratisierung und Dezentralisierung der politischen Struktur: Eine britische Reform und ihr Ausgang. Stuttgart 1968.

241

Nr. 7

Und

Siebente der

Sitzung des Plenums 21. Oktober 1948

der Herren Sozialdemokraten. Ihr Vorschlag geht einen reinen Senat bilden. Aber einig sind sich beide Parteien wieder in der Forderung, daß dieser Senat in etwa den Charakter eines ewigen Senates erhalten müsse, um die Kontinuität der Arbeit in der Politik sicherzustellen. Beide sind sie sich einig in der Forderung, daß gleiches Stimmrecht für die Länder geschaffen werden solle, wobei Herr Dr. Katz den Vergleich gebrauchte, daß sich in diesem Senat nicht arm gegen reich durchsetzen dürfe. Es gibt noch eine andere Vergleichsmöglichkeit. Es muß meines Erachnun

dahin,

man

Gegenvorschlag

möge

auch dafür gesorgt werden, daß sich der Fortschritt gegen die absolute Reaktion in diesem zu bildenden Senat durchsetzen kann. Das schafft man aber nicht damit, daß man die Länder dort in gleicher Stärke einfügt, sondern das schafft man höchstens in der Form, daß man den Ländern je nach ihrer Bevölkerungszahl ein gestuftes Stimmrecht in diesem Senat einräumt. Hinter diesen Gedankengängen und Vorschlägen, die heute hier vorgetragen worden sind, steht nichts anderes als die Angst vor einer fortschrittlichen Entwicklung in den jeweiligen Ländern, steht nichts anderes als die Angst vor dem Sozialismus. Es ist historisch gesehen auch absolut ein Unfug, zu behaupten, daß die Demokratien nach dem ersten Weltkrieg gestorben seien am Wahlrecht, am Proporz. Das war gar nicht die Todesursache. Die Todesursache war die, daß die herrschenden bürgerlichen Parteien aus Angst vor der fortschrittlichen Entwicklung, vor der sozialistischen Entwicklung in den jeweiligen Ländern sich auf die Reaktion gestützt haben. Hitler ist nicht von sich aus an die Macht gekommen, sondern Hitler ist in Deutschland an die Macht gekommen, weil damals besonders die deutsche Schwerindustrie, das gesamte deutsche Bergbaukapital ihn in diese Position hineingeführt hineingestoßen haben. Ihr, dieser monopolkapitalistischen Reaktion in der Hauptsache verdanken wir Hitler, und darum schaffen Sie heute, wie Sie meinen, Sicherungen, und darum erwägen Sie heute schon wieder Gedankengänge auf etwaige Neuschaffung eines Ersatzes für den alten Artikel 4833). Also wenn schon Ländervertretung, dann auf keinen Fall dieser Ländervertretung das Recht der Gleichberechtigung mit der Bundeskammer, dann schon als Voraussetzung, daß der Landtag seine Vertreter direkt wählt, daß sie nicht abhängig sind von dem Weisungsrecht ihrer Länderkabinette, daß sie zusammengesetzt sind nach der Bevölkerungszahl der Länder. Es soll ihnen ruhig das Recht einer gewissen Gesetzesinitiative zugestanden werden. Sie sollen auch, und da kommen wir Ihnen noch entgegen, ein gewisses Einspruchsrecht haben. Aber dieses Einspruchsrecht darf nur ein34) suspensives Veto sein, und dieser Einspruch, wenn er erhoben wird, muß in der vom Volke gewählten und allein zuständigen Kammer mit einfacher und nicht mit qualifizierter Mehrheit beseitigt werden können, wie das auch der Herr Vertreter der Sozialdemokratie heute morgen hier als seine Auffassung herausgestellt hat. Wenn man in dieser Art etwas schafft, was keineswegs gleichberechtigt, sondern nur als konsultative Instanz neben der Bundeskammer steht, dann ist tens

33) Siehe Anm. 30. 34) In der Vorlage handschriftlich korrigiert aus „kein". 242

Siebente

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was man normalerweise wünschen kann, vollkommen gesichert; dann haben die Länder eine ausreichende Einwirkungsmöglichkeit und auch die Möglichkeit, ständig einen befruchtenden Einfluß auf die Vertretung des Volkes auszuüben, dann ist unserer Überzeugung nach all das gegeben, was man schaffen muß und was wir wünschen müssen im Interesse einer vernünhigen und sachlichen Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bundesregierung. Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brockmann. Brockmann (Z): Meine Damen und Herren! Ich hatte mir im Ältestenrat bereits die Bemerkung erlaubt, daß es, wenn auch kein prinzipieller Zusammenhang zwischen den beiden Punkten unserer Tagesordnung besteht, die wir heute hier behandeln, doch zweckmäßiger gewesen wäre, wenn beide Punkte der Tagesordnung in Zusammenhang gebracht worden wären. Es ist besonders für mich, der ich namens der Zentrumspartei spreche, nicht leicht, zu der Frage der Länderkammer zu sprechen, ohne gleichzeitig auch unsere Auffassung zur Finanzhoheit Bund oder Länder darzulegen. und ich Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, daß diejenigen rechne mich zu diesen Kreisen -, die befürchten, bei den verschiedenen Vorschlägen, die hier gemacht worden sind, könnte das föderative Prinzip in der Durchführung dieses Grundgesetzes oder dieser Verfassung, wie wir es nun nennen wollen, etwas zu kurz kommen, daß sie und ich also Bedenken haben könnten, dem Bunde in bezug auf die Finanzhoheit das zu geben, was nach meiner Meinung unbedingt notwendig ist. Wir werden darauf noch zurückkommen, wenn wir Punkt 3 der Tagesordnung behandeln. Zumindest wäre doch unter den durch die Kriegsfolgen gegebenen Verhältnissen eine Finanzhoheit für ihn notwendig. Darum hätte ich gern diese beiden Dinge in Zusammenhang

alles,

-

-

-

gebracht.

Nun hat die Debatte, die bisher hier abgerollt ist, ja gezeigt, daß sich im Grunde das wiederholt, was im allgemeinen in den Ausschüssen zu diesem Problem gesagt worden ist. Und doch stimme ich dem Herrn Kollegen Katz zu, wenn er der Meinung ist, daß es auf keinen Fall schaden kann, wenn die Öffentlichkeit an diesen Verhandlungen in der sogenannten camera caritatis stärker interessiert werden und von sich aus in die Lage versetzt werden sollte, stärkeren Anteil an diesen Verhandlungen zu nehmen. Aber ich bin mir als Vertreter einer sogenannten kleinen Fraktion ganz klar darüber, daß die entscheidenden Erklärungen von den beiden großen Fraktionen abgegeben worden sind. Ob man das nun Kreuzung nennen will oder Kompromiß oder wie auch immer, meine Damen und Herren, meine politischen Freunde und ich sind der Meinung, daß es hier wirklich zu einem Kompromiß kommen muß, im ganzen gesehen, wenn das Werk, das wir hier schaffen wollen, in das Herz des Volkes eingehen und vom Vertrauen des gesamten Volkes getragen

werden soll. Trotzdem können wir uns nicht mit allem einverstanden erklären, was an Gedanken und Erfordernissen auf dem Wege zu einem solchen Kompromiß hier ausgesprochen worden ist. Ich möchte mich nur auf einige wenige grundsätzliche Bemerkungen beschränken über unsere Auffassung bezüglich dieses Gegenstandes der Tagesordnung, den wir als Länderkammer behandeln. 243

Nr. 7

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Wir sind Föderalisten und wünschen das föderative Prinzip echt durchgeführt und vertreten zu sehen. Wir sprechen uns deshalb für das reine Bundesrats-

aus, weil nach unserer Auffassung nur dadurch die Länder wirklich und echt zur Geltung kommen. Das ist für uns als Föderalisten entscheidend, daß die Länder wirklich echt zur Geltung kommen, daß man hier nicht nur eine Konzession an das föderative Prinzip einschaltet und festlegt. Wir wollen dieses Prinzip echt durchgeführt wissen. Wir sind der Auffassung, daß nur dann ein gutes Verhältnis zwischen Bund und Ländern gesichert ist. Sie sind doch nun einmal da, wenn wir sie auch in der bestehenden Form nicht akzeptieren wollen; es ist ja alles wandelbar. Aber sie sind doch da, wir müssen von ihnen ausgehen. Wir sind also der Auffassung, daß nur dann ein gutes Verhältnis zwischen Bund und Ländern aufkommen und zukunftsträchtig sein kann, wenn die Länder ihre Vertretung in der Länderkammer haben. Beim Senatsprinzip wie auch dem von Herrn Dr. Lehr vorgeschlagenen kombinierten Prinzip zwischen Bundesrat und Senat können sich meiner Ansicht nach die Länder als solche doch nicht entsprechend vertreten fühlen. Wir sind ferner der Auffassung, daß die Wahl der Mitglieder zu dieser Länderkammer durch die Regierung der Länder erfolgen soll. Die Regierungen repräsentieren doch letzten Endes das Volk in diesen Ländern. Dabei muß ich allerdings auch sagen, daß wir uns nicht ich will es nicht als Nivellierung bezeichnen mit der Auffassung einverstanden erklären können, daß hier alle Länder in gleicher Zahl vertreten sein sollen, sondern wir wünschen die Differenzierung nach der Bevölkerungsziffer. Die Gefahr, daß die Länderkammer-Mitglieder, wenn sie von den Kabinetten gewählt bzw. entsandt werden, nur einseitig die Interessen der Länder vertreten würden, sehen wir als nicht allzu groß an; denn schließlich sind diese Ländervertreter doch auch Deutsche und werden das gesamtdeutsche Interesse irgendeinem partikularistischen Interesse jederzeit voranstellen. (Dr. Menzel: Sind Sie sicher?) Doch, ich bin bestimmt sicher, Herr Kollege. Wenn es sich, sagen wir mal, z.B. um Angehörige Ihrer Fraktion oder Ihrer Partei handelt, die doch ganz stark in den Länderkabinetten vertreten ist, dann werden diese Deutschen doch das gesamtdeutsche Interesse über jedes partikuläre Interesse stellen. (Dr. Schmid: Denken Sie an den Kartoffelkrieg35) letztes Jahr!) Nun, Herr Kollege Schmid, wir wollen ja hoffen, daß wir nicht dauernd einen Kartoffelkrieg führen werden! (Dr. Schmid: Da wurde in beiden Lagern gesündigt!) Ich bin ja der Uberzeugung, daß sich unsere wirtschaftlichen Verhältnisse, auf die Dauer gesehen, dahin ändern, daß wir die politische Konstruktion, die wir schaffen müssen, doch nicht unter dem Aspekt des Kartoffelkrieges zu sehen haben.

prinzip



-







) Als „Kartoffelkrieg" wurden Auseinandersetzungen zwischen der Frankfurter bizonalen

Verwaltung und einzelnen Ländern über zur Vorgeschichte Bd. 3, S. 722 f.

Akten 244

die

Ablieferung

von

Kartoffeln bezeichnet.

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(Heiterkeit.) Ich

daß wir doch etwas weiter über die Dinge hinausreichen. Aber ich Sie sagen wollen. Sie wollen zum Ausdruck bringen, daß dieser egozentrische Geist, der sich in der engen Länderbegrenzung auswirken könnte, über die Grenzen hinausgreifen und das ganze Volk und die gesamtdeutsche Politik nachteilig beeinflussen könnte. Dagegen wehren wir uns selbstverständlich. Ohne Zweifel wird beim Senatsprinzip von dem Wert der Persönlichkeit ausgegangen. Nun ist es aber doch denkbar und meiner Ansicht nach sogar sicher, daß auch beim Bundesratsprinzip, wenn wir es realisieren, die Kabinette doch nur erfahrene und qualifizierte Persönlichkeiten nehmen, weil sie doch Wert darauf legen, gut vertreten zu sein. Ich kann mir nicht denken, daß die Kabinette, sagen wir mal, durch sogenannte kleine Bürokraten vertreten sein wollen. Also hier lassen sich die Vorzüge, die man für die Realisierung des Senatsprinzips anführt, auch durchaus auf die Durchführung des Bundesratsprinzips anwenden, und diese Vorzüge lassen sich in der Realisierung des Bundesratsprin-

glaube,

weiß,

was

zips durchaus verwirklichen. Nun, meine Damen und Herren, wenn ich nicht der Meinung wäre, daß wir hier im Parlamentarischen Rat keine Zeit haben, daß wir das Werk sehr eilig durchführen und zum Abschluß bringen müssen, wenn es nicht nötig wäre, schnell eine schlagkräftige Gesetzgebung zu schaffen, so würde ich mir vielleicht doch einmal ja, erschrecken Sie jetzt, bitte, nicht erlauben, den Gedanken hier auszusprechen, ob man nicht die Frage prüfen sollte, daß neben dem Bundesrat und neben dem Bundestag ein Senat existieren könnte. Ich sagte: erschrecken Sie nicht! -

(Zuruf links: Das tun wir trotzdem!) Das würde aber viel einfacher sein als den

-

behiedigt.

-

irgendein Kompromiß,

das nieman-

(Dr. Schmid: Und dann noch eine weitere Kammer, die alle Kammern miteinander versöhnt!) Nein, Herr Kollege Schmid. (Renner: Nehmen Sie noch die Handelskammer!) Nein, Herr Renner, Sie wissen genau so gut wie ich, daß man mit derartigen Konstruktionen, wie Sie sie nun gerade empfehlen, doch nicht gerade das trifh, was hier zur Diskussion steht. Es handelt sich doch nicht darum, daß die Auffassung dieser oder jener Seite hier realisiert wird, sondern im Grunde genommen handelt es sich darum, daß der Versuch unternommen wird, eine Konstruktion zu finden, die weitgehend das gesamte Volk behiedigt. Allerdings, meine sehr verehrten Damen und Herren, dürfte nun dieser Senat, wie ich ihn mir vorstelle, nicht aus von den Landtagen zu wählenden Vertretern bestehen. Wie ein Senat aussieht, der von den Landtagen beschickt wird ich darf mir diese Bemerkung erlauben -, das sehen wir doch am Wirtschahsrat. (Dr. Schmid: Auch hier!) Herr Schmid, Sie weisen auf dieses Parlament hin. Ich darf Sie daran erinnern, daß ich bereits in meiner ersten Rede36) auf diesen Mangel hier vor -

-

-

-

36) Siehe Dok.

Nr. 3, S. 143.

245

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diesem Hause ganz deutlich hingewiesen habe. Denn wir sehnen alle nichts so sehr herbei wie den Tag, an dem es unserem Gesamtvolk möglich sein wird, eine repräsentative, aus allgemeinen Wahlen des Volkes hervorgegangene Vertretung mit dem Werke endgültig zu betrauen, das hier zu lösen für einen bestimmten Zeitraum und leider nur für einen Teil unseres Volkes uns auferlegt ist. (Renner: Aber uns haben doch auch die Landtage hierher geschickt, Herr Brockmann! Sind das genau so faule Köpfe wie der Wirtschahsrat?) Herr Kollege, das ist ja gerade der Mangel! Aber ich will mir in diesem Zusammenhang die eine Bemerkung erlauben ich bitte die verehrten Herren aus Bayern, mir das nicht übel zu nehmen -: daß es vielleicht doch gut gewesen wäre, man hätte dann alle politischen Strömungen weitestgehend für dieses Werk, das hier geschaffen werden soll, interessiert,

-

-

(sehr richtig!) nicht, damit sie ein Recht hätten, hier vertreten zu sein, sondern weil ich der Meinung bin, daß aus den divergierenden Meinungen schließlich doch etwas Gutes herausgekommen wäre oder, wenn Sie es anders nennen wollen ich möchte es mit dem bezeichnen, was im parlamentarischen Leben immer ein ganz natürlicher Vorgang ist -: „der Widerspenstigen Zähmung". (Dr. Menzel: Das reicht aber nicht!) -

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann gar kein Zweifel möglich sein, daß die Auslese der Abgeordneten durch das Volk eine erheblich glücklichere ist als eine unkontrollierte Auslese durch die Parteien. Zu einer solchen Auslese durch die Parteien aber würde es führen, wenn wir den Senat von den Landtagen wählen lassen würden. Auf keinen Fall kann sich aber ein Land durch ausgesprochene Parteivertreter, wie es diese Senatoren sein würden, bei

der Bundesgesetzgebung hinreichend repräsentiert fühlen. Ich sage: kein Land! Das ist ganz unmöglich. Der Repräsentant eines Landes müßte meiner Meinung nach immer der Vertreter der Regierung dieses Landes, also mindestens ein Minister sein. (Dr. Schmid: Das sind doch auch Parteileute. Sonst müssen Sie Herrn Staatssekretär Meißner37) neu erfinden und als Vertreter der Länder einset-

zen!) Beschwören Sie doch Herrn Meißner nicht! (Dr. Schmid: Aber dessen Schatten steht vor der Tür!) Herr Kollege Schmid! Ich bin nicht der Auffassung, daß wir aus der Vergangenheit in unserem Lande und in den Parteien und Parlamenten nichts gelernt hätten. (Dr. Schmid: Manchmal fällt es schwer, es zu glauben!) Sie mögen merkwürdige Erfahrungen gemacht haben; -

-

-

)

246

Otto Meißner, Staatssekretär (1880-1953). Seit 1920 (bis 1945) war Meißner Chef der Präsidialkanzlei und übte insbesondere auf Reichspräsident Hindenburg zusammen mit dessen Sohn Oskar und anderen Beratern einen bedeutsamen und unkontrollierbaren Einfluß mit antiparlamentarischer Tendenz aus. Siehe seine Memoiren: Staatssekretär unter Ebert, Hindenburg, Hitler. 1. A. Hamburg 1950, 3. A. 1958.

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(Heiterkeit) ich bin aber im allgemeinen der Auffassung, Herr Kollege Schmid, daß wir doch aus dieser Zeit so hoffe ich wenigstens unsere bestimmten Lehren gezogen haben. Meine Damen und Herren! Es wird befürchtet, daß der Bundesrat, wenn er aus Regierungsvertretern gebildet wird, notwendigerweise eine bürokratische Instanz werden müsse. (Dr. Schmid: Ist es immer gewesen!) Ich teile diese Befürchtung nicht. Denn so, wie wir ihn vor uns sehen, wird er von der Bürokratie nicht beherrscht werden. Genau wie Sie hasse ich die Bürokratie. Ich bin der Meinung, daß wir bisher ganz allgemein in den Regierungen der Länder bei weitem nicht genug getan haben, um diese Bürokratie zu überwinden. Aber ich bin andererseits auch der Meinung, daß die Bürokratie nicht gerade beim Minister anzufangen braucht. (Renner: Da erlebt sie ja ihre Krönung!) Herr Renner, ich bitte Sie! Wie soll ich sagen? Ein Gefühl der Courtoisie Ihnen gegenüber verbietet mir, Sie darauf hinzuweisen, daß Sie doch selber als -

-

-

Minister38) Gelegenheit gehabt haben,

(Renner: daher meine Erfahrungen!) ein Werturteil darüber abzugeben oder festzustellen, ob die Bürokratie in Ihnen gekrönt worden ist oder nicht. (Große Heiterkeit. Renner: Sie wollen ja auch andere Minister, Sie wollen ja Minister, die Beamte sind, im Gegensatz zu der heutigen Lösung in der britischen Zone. Sie übersehen diesen kleinen Unterschied. Sie sprechen von Ministern als Beamten!) Ich spreche von parlamentarischen Ministern, Herr Kollege Renner; andere können wir uns gar nicht vorstellen! (Renner: „Oberster sachverständiger Beamter", sagte Herr Dr. Lehr! Ein -

-

vollkommenes Novum!) Ich glaube, soweit ist es doch noch nicht, daß die Auffassungen meiner Fraktion mit den Auffassungen des Herrn Dr. Lehr und seiner Fraktion überein-

-

stimmen!

(Dr. Schmid: „Noch nicht" ist gut!) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wünschen also

um es zusam-

daß der Bundesrat bei der Gesetzgebung mitwirkt. Er soll nach unserer Auffassung das Recht erhalten, eigene Gesetzesvorlagen einzubringen und gegen vom Bundestag beschlossene Gesetze Einspruch zu erheben. Der Bundestag soll Einsprüche des Bundesrates nur mit qualifizierter Mehrheit überstimmen können. Wir sehen in unserer Auffassung natürlich, ich sage das nochmals, in Verbindung mit der Frage der Finanzhoheit die Möglichkeit, etwas zu schaffen und zu gestalten, was wirklich konstruktiv ist und was uns alle auf einen vernünftigen Nenner bringen soll und uns die Aussicht bietet, daß die Arbeit und die Bemühungen dieses Hohen Hauses doch nicht dazu führen werden, daß der eine Teil den anderen majorisiert. Zur Stunde be-

menzufassen

-

-,

-

-

) Renner als Minister siehe

Anm. 31.

247

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Sitzung

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herrscht uns der Gedanke, daß wir die gesetzgeberische Arbeit den Zeitverhältnissen anpassen müssen. Unseres Erachtens müssen die gesetzgeberischen Instanzen so eingerichtet sein, daß sie schnell arbeiten können. Heute ist wohl mehr denn je Gefahr im Verzug, und heute sind wir wohl mehr denn je gezwungen, so schnell wie möglich zu arbeiten. Ich möchte aber noch einmal betonen, daß für uns die Fragen Bundesrat oder Senat und Bundesfinanzen ein einheitliches Ganzes darstellen, das unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu betrachten ist. Voneinander getrennt geraten diese beiden Fragen in die Gefahr, überzeitlich gesehen und gelöst zu werden. Und gerade davor möchte ich warnen. Es geht hier im Parlamentarischen Rat in erster Linie um die so naheliegende, uns allen so gegenwärtige Not und um die Überwindung dieses Notzustandes, dieser Not ganz allgemein gesehen. Deshalb haben wir im Parlamentarischen Rat die Pflicht, den Abschluß unserer Arbeiten zu beschleunigen, und deshalb dürfen wir zur Stunde die Mittel und Wege nicht nach irgendwelchen Doktrinen, sondern müssen sie nach ihrer Wirksamkeit auswählen. Meine Damen und Herren! Ich möchte schließen mit der Bemerkung: Es muß uns gleichzeitig ein wahres Herzensbedürfnis sein, dafür Sorge zu tragen, daß die individuelle Freiheit, mag es sich um die Freiheit des Einzelmenschen, der Einzelpersönlichkeit oder und das ist uns bei diesem Punkt der Tagesordum die Freiheit der Länder handeln, unter allen nung das Entscheidende Umständen geachtet wird. (Beifall in der Mitte.) -

-

[2. GESCHÄFTLICHES] Meine Damen und Herren! Damit wäre der Punkt 2 Tagesordnung erledigt. Ehe wir zum dritten Punkt kommen, möchte ich zunächst bekanntmachen, welche Herren für heute entschuldigt sind39). Ich habe das mit Absicht am Anfang der Sitzung nicht getan, weil mir gesagt wurde, es sei möglich, daß der eine oder andere dieser als fehlend angegebenen Herren noch erscheinen werde. Ich habe aber diese Beobachtung nicht gemacht. Es sind also für heute entschuldigt die Herren Dr. Adenauer, Dr. Finck, Gayk, Kaiser, Dr. v. Mangoldt der sollte aber eventuell noch eintreffen, (Zuruf: ist eingetroffen!) schön -, ferner die Herren Schröter, Dr. Seibold, Dr. Suhr und Reimann. (Zuruf rechts: Und Herr Dr. Süsterhenn! Er hat angerufen, daß er nicht

Vizepräs. Schönfelder:

unserer

-

-

kommen kann!) Schön, dann schreibe ich das auch hierher. Formalität erledigt.

-

') 248

Die

„Mitteilung für die Plenarsitzung"

in: PA 5/28.

Dann wäre auch diese —

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[3. AUSSPRACHE ÜBER DIE FINANZFRAGEN] Wir kommen dann

zu

Punkt 3 der

Tagesordnung:

Finanzfragen.

Dazu bitte ich Herrn Dr. Höpker Aschoff, das Wort zu nehmen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Der Abschnitt XI des Herrenchiemseer Entwurfs40) einschließlich der Artikel 37 und 38 umfaßt zwei bedeutsame Materien, einmal die Finanzhoheit des Bundes in ihrem Verhältnis zu den Ländern und dann das sogenannte Budgetrecht. Die Kürze der Zeit zwingt mich, nur die erste Materie hier zu behandeln. Es erheben sich da drei Unterhagen: 1. Wem die Gesetzgebung zustehen soll, 2. wie die aufkommenden Steuern zwischen dem Bund und den Ländern verteilt werden sollen und 3. von wem die Verwaltung

werden soll. Finanzausschuß dieses Hauses hat seine Beratungen verhältnismäßig schnell zum Abschluß gebracht dank der von ihm gewählten Arbeitsmethode, indem er zunächst eine große Reihe von Sachverständigen vernommen, auf eine Generaldebatte verzichtet und sofort versucht hat, die einzelnen Artikel des Entwurfes zu formulieren41). Wir haben dabei dem Bund die Gesetzgebung für die Zölle und die großen Verbrauchs- und Verkehrssteuern zugewiesen. Hätten wir es nicht getan, so hätten wir das Rad der Geschichte um mehr als 100 Jahre zurückgedreht, denn es ist bekannt, daß in Deutschland bereits seit den Tagen des Deutschen Zollvereins, seit dem Jahr 1834, auf diesen Gebieten eine gleichmäßige Gesetzgebung besteht. Außerdem hätte eine Landesgesetzgebung auf diesen Gebieten bedeutet, daß die Zölle den Grenzländern, die Verbrauchssteuern den Ländern, in denen die Produktionsstätten liegen, und die Verkehrssteuern den Ländern, in denen die großen Wirtschahszentren liegen, zugefallen wären; eine höchst ungerechte Verteilung, um so ungerechter, als die Masse dieser Abgaben in den Preisen auf den letzten Verbraucher abgewälzt wird und die Belastung von ihm getragen werden muß. Dieser Grundsatz muß nach unserem Dafürhalten auch für die Biersteuer gelten. Wir haben durchaus Verständnis für die besonderen bayerischen Forderungen, die hier erhoben werden. Aber ich darf doch darauf hinweisen, daß zwei Sachverständige, der Direktor der Verwaltung für Finanzen, Hartmann42), in also zwei Frankfurt und der Oberfinanzpräsident Prugger43) in München für Interessen ein sonst die die doch Herren, wohlgeneigtes Ohr bayerischen haben -, mit starkem Nachdruck darauf hingewiesen haben, daß auch hier eine einheitliche Gesetzgebung notwendig sei wie bei allen Verbrauchssteuern und daß der Ausgleich auf dem Gebiete des Finanzausgleichs durch Zuweisung dieser Steuern an die Länder und damit auch an das bayerische Land gefunden werden müsse. Wenn man bei der Biersteuer anders verfahren würde, so würde

geführt Der

-

40) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 586. 41) Siehe hierzu den in Vorbereitung befindliehen Band dieser Edition. 42) Alfred Hartmann (1894-1967), seit 1947 Direktor der Verwaltung für Finanzen des VWG. F. Etzel: Die Bedeutung Alfred Hartmanns für den Aufbau der Finanzverwaltung und die Neuordnung des Steuerrechts der Nachkriegszeit. Bonn 1964. 43) Alexander Prugger (1877-1962), seit 1945 Oberfinanzpräsident in München. 249

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sich ergeben, daß an den Grenzen des bayerischen Landes von den übrigen Ländern eine Übergangsabgabe erhoben werden müßte, wie das in den Zeiten der süddeutschen Biersteuer-Reservate der Fall war44). Es würde sich auch, wie uns Herr Finanzminister Weitz45) dargestellt hat, ein seltsamer Wettbewerb unter den einzelnen Ländern erheben. Was geschah nach der Währungsreform? Die Bayern, die damals über sehr große Vorräte eines vielleicht ihnen selber nicht mehr ganz schmackhaften Bieres verfügten, setzten damals die Biersteuer herab mit dem Ergebnis, daß der Preis gesenkt wurde und nunmehr Norddeutschland mit dem bayerischen Bier überschwemmt wurde. Revolten in Norddeutschland, Vorstellungen bei den Finanzministern in Norddeutschland und nunmehr dasselbe Vorgehen auch in den norddeutschen Ländern der britischen Zone, auch hier Herabsetzung der Biersteuer! Beides war rechtswidrig, weil die Verbrauchssteuern, auch die Biersteuer, durch die allgemeine Gesetzgebung der Besatzungsmächte geregelt sind, mit dem Ergebnis, daß sowohl Bayern wie die Länder der britischen Zone ihre Biersteuerermäßigung wieder rückgängig machen mußten. Aber dieser Wettbewerb zeigt, wie unmöglich es ist, die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Verbrauchssteuern den Ländern zu überlassen. Bei der Besteuerung von Einkommen und Vermögen ist in Herrenchiemsee die Forderung erhoben worden, die Bestimmung der Freigrenzen, der Tarife und Hebesätze den Ländern zu überlassen. Der Finanzausschuß ist diesen Forderungen nicht gefolgt. Die Höhe der Steuersätze macht eine gleichmäßige Gesetzgebung erforderlich, da andernfalls Standortverschiebungen zu befürchten wären und bei der Lohnsteuer der Nettobetrag der Lohnempfänger eine ganz unterschiedliche Höhe erfahren würde. Außerdem wäre eine schwierige Zerlegung erforderlich, da die Landesgesetzgebung dann, wenn das Einkommen aus verschiedenen Quellen fließt oder das Vermögen in verschiedenen Ländern gelegen ist, nur das in diesem Lande aufkommende Einkommen und das im Lande gelegene Vermögen mit ihrer Steuer erfassen könnte und dadurch insbesondere bei der Einkommensteuer die nach dem Gesamteinkommen berechnete Progression, die aus sozialen Gründen eine unbedingte Notwendigkeit ist, unmöglich gemacht würde. Es sei hier aber noch hervorgehoben, daß, indem wir auf diesem Gebiet der direkten Steuern dem Bunde die Gesetzgebung zusprechen, für die Zukunh nichts verbaut ist. Sollte die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland sich so gestalten, daß eine Herabsetzung der Tarife der Einkommensteuer und der Körperschahsteuer möglich sein würde, so wäre es sehr wohl möglich, den Ländern dadurch eine größere Bewegungsfreiheit zu geben, daß man ihnen gestattet, zu den Steuersätzen, wie sie der Bund erhebt, Zuschläge für sich oder ihre Gemeinden zu erheben. Meine Damen und Herren! Wir sind bei der Ausgestaltung des Finanzrechts föderalistischer gewesen als der Gesetzgeber der Weimarer Verfassung, indem

) )

250

Zur Frage der Biersteuer hatte es im Rahmen des ChE ein Gutachten gegeben. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 578 f. Dr. jur. Heinrich Weitz (1890-1962), CDU, Finanzmin. in Nordrhein-Westfalen. Porträt von Michael Alfred Kanther in: Geschichte im Westen Jhrg. 4 (1989), S. 198-215.

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wir die Steuern mit örtlich

begrenztem Wirkungsbereich der Gesetzgebung der Länder überlassen haben, darunter auch die Grunderwerbsteuer, die Vergnügungsteuer, die Feuerschutzsteuer, die Wandergewerbesteuer. Ich komme nun zur zweiten Frage: zur Frage des Finanzausgleichs. Es versteht sich, daß die Länder nicht Kostgänger des Reiches sein dürfen, daß daher das nationalsozialistische System unter allen Umständen verworfen werden muß, das den Ländern nach dem Bedarf bemessene Zuschüsse zuwies. Es hagt sich dann nur, in welchem Umfang das Aufkommen der Bundessteuern den Ländern zugewiesen oder die Länder an dem Aufkommen der Bundessteuern beteiligt werden sollen. Die Regelung, die der Finanzausschuß in dieser Frage getroffen hat, ist föderalistischer als die Regelung der Weimarer Verfassung, indem das, was wir beschlossen haben, den Ländern nicht nur das volle Aufkommen der Grunderwerbsteuer, der Rennwettsteuer, der Krahfahrzeugsteuer wie in der Weimarer Zeit zuweist, sondern auch das Aufkommen der Biersteuer, der Vermögensteuer, der Erbschahsteuer. Das Aufkommen der Einkommen- und Körperschahsteuer und der Umsatzsteuer gilt als gemeinsame Einnahme des Bundes und der Länder. Es ist hier angeregt worden, insbesondere auch von dem Direktor der Verwaltung für Finanzen, Hartmann46), die Umsatzsteuer zur Gänze dem Bund zukommen zu lassen und dafür die Einkommen- und Körperschahsteuer zur Gänze den Ländern zuzuweisen. Ich kann gar nicht genug vor einer solchen Auheilung warnen. Wir übersehen heute in keiner Weise die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern. Wir wissen nicht, welche Ansprüche an die Bundeskasse gestellt werden. Aber wir sind uns darüber klar, daß der Bund gewaltige Lasten zu tragen haben wird: Besatzungskosten, Kriegsfolgelasten, die Zuschüsse zur Sozialversicherung, das alles wenigstens zum größeren Teil, so daß der Bund an den größten und stärksten Steuern, wie Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer, beteiligt sein muß. Wir haben darum die Einkommen-, Körperschah- und Umsatzsteuer, die heute die bedeutendsten Steuern bei uns sind, zu gemeinsamen Einnahmen des Bundes und der Länder erklärt und behalten uns vor, nach Maßgabe der Aufgabenverteilung durch das Bundesfinanzausgleichsgesetz das Aufkommen zwischen Bund und Ländern zu verteilen. Auf diese Weise ist auch die Möglichkeit gewonnen, zwischen den starken und den schwachen Ländern einen vernünhigen Ausgleich herbeizuführen, der bei uns in Deutschland eine unbedingte Notwendigkeit ist, und insbesondere das Aufkommen der Umsatzsteuer, soweit es den Ländern zugewiesen wird, nach Schlüsseln zu verteilen, die der Lastenverteilung unter den Ländern und ihrem wirklichen Bedarf Rechnung tragen. Ich habe berechnet: Wenn man das Steueraufkommen des Rechnungsjahres 1947 zugrunde legt und wenn man für die Einkommen-, Körperschah- und Umsatzsteuer eine Verteilung wählt, wie sie in der Zeit der Weimarer Republik errechnet war, also 75prozentige Beteiligung der Länder an der Einkommen- und Körperschahsteuer, 30prozentige Beteiligung der Länder an der Umsatzsteuer, würde eine Finanzmasse von 8 225 Millionen den Ländern für sich und ihre ')

Zu Hartmann siehe Anm. 42.

251

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Gemeinden zufallen, dem Bund

dagegen

eine Finanzmasse

von

5 851

Millio-

nen.

Meine Damen und Herren! Es mag lehrreich sein, einmal zu vergleichen, wie in anderen Bundesstaaten, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, die Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen dem Bund und den Gliedstaaten sich gestaltet. In den Vereinigten Staaten ergeben sich folgende Ziffern ich nehme hier die Zahlen der Vorkriegszeit, weil nur diese einen vernünftigen Vergleich zulassen -: Im Jahre 1913 war der Bund mit 24,6 Prozent an dem Gesamtsteueraufkommen beteiligt, im Jahre 1933 mit 38,3 Prozent und im Jahre 1936 mit 55,6 Prozent. Vergleichen Sie damit unsere Auheilung, wie sie sich nach meiner Berechnung gestalten würde, so daß also den Ländern und Gemeinden 8,2 Milliarden, dem Bund nur 5,8 Milliarden zufließen würden, so sehen Sie, daß unsere Regelung föderalistischer ist als die Regelung der Vereinigten Staaten. Wollte ich dann noch die Zahlen der Kriegsjahre heranziehen, so würde sich ergeben, daß der Anteil des Bundes am Gesamtsteueraufkommen in den Vereinigten Staaten auf über 90 Prozent gestiegen ist. Aber diese Zahl läßt einen wirklichen Vergleich nicht zu. Meine Damen und Herren! Die Beschlüsse zur Gesetzgebung und zum Finanzausgleich sind im Finanzausschuß mit großer Einmütigkeit, bei einer oder zwei Stimmenthaltungen, gefaßt worden. Schwieriger lagen die Dinge auf dem Gebiet der Finanzverwaltung, weil die Meinungen hier schärfer einander gegenüberstanden. Meine Freunde halten die Bundesfinanzverwaltung für eine unbedingte Notwendigkeit. Auch in dieser Frage stand die große Mehrzahl der Sachverständigen, die wir im Finanzausschuß gehört haben, auf unserer Seite. Ich möchte hier besonders hervorheben, daß auch die Mehrheit der Landesfinanzminister sich für eine Bundesfinanzverwaltung eingesetzt hat. Der Herr Finanzminister Dr. Kraus47) von Bayern hat allerdings die landeseigene Verwaltung der Finanzen gefordert, und der Finanzminister Dr. Hilpert48) von Hessen trat für eine der Länder ein. von uns vernommenen Minister Aber die Auftragsverwaltung Weitz49) von Nordrhein-Westfalen und Hoffmann50) von Rheinland-Pfalz wie auch der Finanzsenator Dudek51), Hamburg, haben sich mit Nachdruck für die Bundesfinanzverwaltung eingesetzt. Es ist bekannt, daß auch der Finanzminister von Württemberg-Baden, Herr Dr. Köhler52), der Finanzsenator von Hamburg und der Finanzminster von Schleswig-Holstein denselben Standpunkt vertreten. Andere Sachverständige wie Herr Hartmann von der Verwaltung für Finanzen und Herr Oberfinanzpräsident Prugger53), die für eine Auftragsverwaltung der -

47) Dr. Johann-Georg 48) 49) 50) 51) 52)

53) 252

Kraus (1879-1952), CSU, 1947-1950 bayerischer Staatsminister der Finanzen. Dr. Werner Hilpert (1897-1957), CDU, seit 1947 Minister der Finanzen in Hessen. Min. Weitz siehe Anm. 45. Dr. Hans Hoffmann (1893-1952), SPD, seit 1947 Finanzminister in Rheinland-Pfalz. Walter Dudek (1890-1976), SPD, 1945-1953 Senator und Präses der Finanzbehörde in Hamburg. In der Vorlage irrtümlich Dudeck. Heinrich Köhler (1878-1949), ab April 1920 badischer Finanzminister, 1923-1924 badischer Staatspräs., im 3. Kabinett Marx Reichsfinanzminister. Seit Mai 1946 badischer Wirtschaftsminister. Oberfinanzpräs. Prugger siehe Anm. 43.

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Länder eingetreten sind, haben doch zugeben müssen, daß verwaltung leichter zu handhaben sei und weniger Kosten Auhragsverwaltung der Länder.

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eine Bundesfinanzverursache als eine

Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich in Kürze noch einmal die wichtigsten Argumente zusammenfasse, die gegen eine Finanzverwaltung der Länder und für die Bundesfinanzverwaltung sprechen. Es ist nicht richtig, daß schon einheitliche Gesetze und Durchführungsverordnungen eine gleichmäßige

und

gerechte Durchführung der Steuergesetzgebung verbürgen. Ausführungsanweisungen, Einzelanweisungen des Bundesfinanzministeriums, eine immer wieder geübte gleichmäßige Verwaltungspraxis, die nur in einem einheitlichen Beamtenkörper möglich ist, gleichmäßige Schulung, gleichmäßige LaufbahnRichtlinien, gleichmäßige Fortbildung spielen hier eine entscheidende Rolle. Man glaube doch nicht, eine gleichmäßige Verwaltungspraxis könnte schon dadurch erzielt werden, daß der Finanzminister einheitliche Anstellungsgrundsätze aufstellt oder einheitliche Schulen einrichtet. Die Verwaltung entscheidet schließlich über Stundungen und Erlasse, und die Gefahr ist groß, daß die Landesfinanzverwaltung Steuerschuldner auf Kosten des Bundes schont, wenn sie auch Bundessteuern für den Bund verwaltet. Es ist auch für die Wirtschah nicht gleichgültig, ob die Unternehmungen, die ihre Betriebe in verschiedenen Ländern haben, nur mit einer Finanzverwaltung oder aber mit mehreren zu tun und sich dann erst einen Weg durch das Gestrüpp der verschiedenen Verwaltungsvorschriften und Formulare zu bahnen haben.

(Sehr richtig!)

Wir haben in den vergangenen

Jahren den Versuch gemacht, eine gleichmäßige innerhalb der verschiedenen Länder durch eine sogenannte Verwaltungspraxis und manche Tagungen sind zu diesem Zweck herbeizuführen, Koordinierung worden. sehr Mit geringem Erfolg! Als in der britischen Zone mit abgehalten dem 1. April dieses Jahres den Ländern die eigene Finanzverwaltung in den Schoß fiel, sah man sich sofort genötigt, die bisherige Finanzleitstelle in Hamburg als ein Büro der Landesfinanzminister der britischen Zone wieder einzurichten, um auf diese Weise wenigstens in etwa eine einheitliche Finanzverwaltung durchführen zu können. Dazu noch ein Wort vom Standpunkt der Landwirtschaft aus. Die Einheitswerte bedürfen einer Nachprüfung. Eine zuverlässige Bewertung der Einheitswerte des landwirtschaftlichen Besitzes wird man nur erreichen, wenn das Bodenschätzungsgesetz durchgehihrt wird. Eine gleichmäßige und gerechte Bodenschätzung ist ohne einheitliche Verwaltung nicht möglich. Es war im Finanzausschuß der als Sachverständige vernommene Landwirtschahsminister Niedersachsens, Dr. Gereke54), der mit starkem Nachdruck gerade auf diese Frage und dieses Bedürfnis der Landwirtschah hingewiesen hat. Und wer könnte schließlich das Wagnis unternehmen, die Veranlagung der kommenden großen Vermögensabga54) Günther Gereke (in der Vorlage irrtümlich Gerecke) (1893-1970), CDU, Juni 1948Juni 1950 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und stellv. MinPräs. in Niedersachsen, wechselte später in die DDR. 253

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be, die dem sogenannten Lastenausgleich dienen soll, elf Länderverwaltungen

Abgabe wird einen tiefen Eingriff bedeuten und die Veranlagung auf große Schwierigkeiten stoßen, da sie auch die Bewertung der Kriegsschäden in sich schließt. Die Durchführung der entsprechenden Gesetze wird, mögen sie noch so sorgfältig ausgedacht sein, immer neue Ausführungsanweisungen und auch Einzelentscheidungen notwendig machen. Die Veranlagung kann also unmöglich in die Hände der Länderverwaltungen gelegt weranzuvertrauen? Diese

den.

Meine Damen und Herren! Man hat oh davon gesprochen, daß jede Sonderverwaltung überflüssig sei. Das mag schon seine Begründung haben, wenn man etwa in einem Land alle Behörden auf der mittleren Stufe beim Regierungspräsidenten zusammenfaßt, die allgemeine Verwaltung in Preußen, oder wenn man auf der unteren Stufe, auf der Kreisebene, nach Möglichkeit alle Verwaltungszweige den Stadt- und Landkreisen angliedert. Aber die Finanzverwaltung wird auch als Länderverwaltung eine Sonderverwaltung sein. Die Verwaltung der Zölle und indirekten Steuern ist es immer gewesen, auch zu einer Zeit, als die Länder wie vor 1914 die Steuern für das Reich verwalteten, und sie muß es heute auch bei den direkten Steuern sein, weil die Steuergesetze inzwischen so verfeinert worden sind, daß hier nur Beamte mit Sonderausbildung und reichem technischen Können die Dinge meistern können. Nur eine größere Verwaltung hat schließlich die Möglichkeit, fähige, für die leitenden Stellen geeignete Beamte an den richtigen Plätzen einzusetzen. Treitschke55) hat einmal das grimmige Wort geprägt, daß es nicht gerade die Erfahrung und den Weitblick eines Beamten vermehre, wenn er immer nur von Zwickau nach Zittau versetzt würde. Eine große Verwaltung hat die Möglichkeit, die Leute auch einmal über

die

Ländergrenzen

hinauszuschicken und ihnen dadurch den Blick für das zu eröffnen.

Ganze des Vaterlandes

(Sehr gut!)

Aber damit genug von diesen Einzelargumenten. Ich möchte hier nur noch einige historische Zeugen zu Hilfe rufen: den Historiker Waitz56). Er gehörte dem Verfassungsausschuß der Frankfurter Nationalversammlung an und hat einmal in ausführlicher Weise zur Frage der Finanzhoheit des Reiches gegenüber den Gliedstaaten Stellung genommen. Er sprach damit nicht nur seine eigene, sondern auch die Meinung des Verfassungsausschusses der Frankfurter Nationalversammlung aus. Er hat hernach seine Gedanken in dem Satz zusammengefaßt: Die Gliedstaaten dürfen so wenig die Kassierer wie die Bankiers des Gesamtstaates sein. Und Lorenz von Stein57), der Meister der Finanzwissenschah, hat mit siegreichen Gründen dargetan, daß ein Bundesstaat über die

55) Heinrich

von Treitschke (1834-1896), Geschichtsschreiber und Publizist. Walter BußTreitschke. Sein Welt- und Geschichtsbild. Göttingen 1952. Georg Waitz (in der Vorlage Weitz) (1813-1886), Professor für Geschichte in Göttingen, Leiter der „Monumenta Germaniae". Lorenz von Stein (1815-1890), Staatsrechtslehrer und Nationalökonom; 1846-1852 Professor in Kiel, 1855-1885 Professor in Wien. D. Blasius: Lorenz von Stein, Diss., Köln 1970.

mann:

58) 57)

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Finanzhoheit verfügen müsse und daß die Zuweisung der Finanzhoheit an den Bundesstaat der Souveränität der Einzelstaaten keinen Eintrag tue. Meine Damen und Herren! Wir haben in Deutschland seit dem Jahre 1919 eine Reichsfinanzverwaltung. Es ist das große Verdienst von Matthias Erzberger58) gewesen, sie geschaffen zu haben. Das Werk, das er geschaffen hat, ist ein Zeugnis seiner Klugheit und seines Organisationstalents.

(Sehr gut!)

Erzberger damals geschaffen hat, ist in schweren Zeiten eine der festesten Klammern des Reiches gewesen. Meine Damen und Herren, hüten Sie sich, heute zu zerstören, was Erzberger damals geschaffen hat! Und nun noch eine grundsätzliche Frage, nämlich die, ob unsere Beschlüsse mit dem föderativen Charakter des Bundes, der uns nicht nur durch die Londoner Empfehlungen aufgegeben, sondern auch von uns selber aus eigener, heier Überzeugung gewollt ist, vereinbar ist. Lassen Sie mich einen Vergleich mit dem Ausland ziehen. Drei Viertel aller Staaten der Welt sind Bundesstaaten. Das ist wenig bekannt. Wir ziehen Vergleiche im allgemeinen nur mit der Schweizerischen Eidgenossenschah und den Vereinigten Staaten. Aber auch die großen Dominions des britischen Commonwealth, auch die großen südamerikanischen Republiken sind Bundesstaaten. In allen diesen Staaten wird dem Bunde das uneingeschränkte Recht der Gesetzgebung für alle Steuern zugesprochen; in den Vereinigten Staaten für die direkten Steuern vom Einkommen und Vermögen allerdings erst seit 1913, auf Grund des Amendements 16 zur Verfassung der Vereinigten Staaten. Aber der Bund hat von den Möglichkeiten, die ihm damit geboten wurden, dann krähig Gebrauch gemacht, und die Einkommensteuer, die neben der Bundessteuer noch von den Gliedstaaten erhoben wird, hat ein sehr bescheidenes Aussehen neben der großen Einkommensteuer, die vom Bund selbst erhoben wird. Weiter gilt in allen diesen Bundesstaaten der selbstverständliche Grundsatz, daß die Bundessteuern auch durch Bundesbehörden erhoben werden, weil man dort sehr wohl weiß, daß es ein mißliches Ding ist, Steuern für Rechnung eines anderen zu verwalten, wenn man dabei in die Versuchung geführt wird, die eigenen Landeskinder auf Kosten des Bundes zu schonen. Meine Damen und Herren! Immerhin könnte es für einen amerikanischen Beobachter vielleicht eine gewisse Verwunderung erregen, daß wir eine Finanzhoheit des Bundes auch für Steuern in Anspruch nehmen, die wir nachher entweder ganz oder doch zum Teil den Ländern zuweisen. Der amerikanische Beobachter würde vielleicht sagen: Macht es nach unserem Grundsatz: Das, was der Bund braucht, Gesetzgebung des Bundes und Verwaltung des Bundes, das, was die Länder brauchen, Gesetzgebung des Landes und Verwaltung der Länder. Dieser Grundsatz ist bei uns völlig undurchführbar. Wir können uns nicht den Luxus leisten, zwei Verwaltungen nebeneinander aufzubauen. Es bliebe also nur der Ausweg, die Verwaltung den Ländern auch für den Bund zu übertragen. Aber dagegen sprechen all die Argumente, die ich vorher in Kürze vorgetragen habe. Was

) Matthias Erzberger siehe Dok.

Nr. 3, Anm. 69.

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Ich möchte hier noch einen Kronzeugen beschwören, der in süddeutschen Landen geboren ist, den württembergischen Finanzminister Pistorius59), der in der Zeit des ersten Weltkrieges die württembergischen Finanzen verwaltete, der sich ausführlich zu der Frage ausgesprochen hat, inwieweit es dem Reich zuträglich sei, daß seine Steuern durch die Länder für das Reich verwaltet werden, insbesondere im Hinblick darauf, daß im Jahre 1913, als der Wehrbeitrag und die Besitzsteuer für das Reich eingeführt worden sind, auch hier die Verwaltung den Ländern übertragen wurde. Pistorius hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Veranlagungsergebnisse auch in Ländern, deren wirtschaftliche Natur sonst eine gewisse Gleichartigkeit aufzeigt, höchst verschieden gewesen sind und daß daher die Veranlagung dieser Steuern für das Reich in keiner Weise den Anforderungen der Gleichmäßigkeit und der Gerechtigkeit Rechnung getragen habe. Zum zweiten, meine Damen und Herren. Unsere Verarmung und die Höhe der Steuersätze lassen es nicht zu, daß wie in den Vereinigten Staaten zwei Steuergläubiger sich in völlig ungeregeltem Wettbewerb auf den Steuerschuldner stürzen. In den Vereinigten Staaten mag es möglich sein, daß der Bund eine Einkommensteuer nach eigener Gesetzgebung und eigener Verwaltung erhebt und die Länder eine Einkommensteuer nach eigener Gesetzgebung und Verwaltung und daß dasselbe bei der Erbschahsteuer der Fall ist. Das ist bei uns völlig undurchführbar. Drittens: wir brauchen einen Ausgleich zwischen starken und schwachen Ländern. Es ist bekannt, daß das Steueraufkommen des Landes Hamburg so groß ist wie das Steueraufkommen des ganzen Landes Niedersachsen und das Steueraufkommen der Stadt Bremen größer als das Steueraufkommen des Landes Schleswig-Holstein. Ein solcher Ausgleich wird sich in doppelter Form vollziehen müssen, einmal dadurch, daß der Bund gewisse Ausgaben ganz oder zum Teil übernimmt, die von den schwachen Ländern zumal wenn sie von diesen Lasten noch mit verschiedener Härte getroffen werden nicht getragen werden können, also etwa Besatzungskosten, Kriegsfolgelasten und die Zuschüsse zur Sozialversicherung, zweitens dadurch, daß bestimmte Steuern für die Allgemeinheit erhoben und dann nach Maßgabe der Lasten ganz oder zum Teil den Ländern zugewiesen werden; aber wohlgemerkt nicht etwa nach dem Ermessen des Bundes wie in der nationalsozialistischen Zeit, sondern indem den Ländern ein gesetzlich begründeter Anspruch nach Maßgabe des kommenden Finanzausgleichsgesetzes auf ihre Anteile gegeben wird. Ich glaube also, wir sind föderalistischer als die Vereinigten Staaten, wenn wir einmal von den Beschlüssen des Finanzausschusses ausgehen, indem wir die Einkommen- und Körperschahsteuer und die Umsatzsteuer, unsere beiden größten Steuern, zu gemeinsamen Einnahmen des Bundes und der Länder erklären und die Vermögen- und Erbschahsteuer ganz den Ländern zuteilen. Schließlich haben die Besatzungsmächte selbst die Notwendigkeit einer Finanzhoheit des Bundes dadurch anerkannt, daß sie durch ihre Kontrollratsgesetze -

-

') Theodor Finanzen.

256

von

Pistorius (1861-1939),

von

1907-1918

Württembergisoher

Minister der

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Gesetz 6461) und durch die letzten Verbrauchdie doch alle als steuergesetze, gleichlautende Gesetze innerhalb der drei Westzonen erlassen sind61a), zum Ausdruck gebracht haben, daß hier unter allen Umständen eine gleichmäßige und einheitliche Gesetzgebung eine Notwendigkeit sei. Doch hiervon genug. Es wäre eine völlig falsche Beurteilung, wollte man unsere Diskussion im Finanzausschuß als einen Kampf zwischen Zentralismus und Föderalismus betrachten. Eine solche Deutung habe ich bisher nur in einer hannoverschen Zeitung gefunden, wo der Versuch unternommen wird, die Anhänger einer Bundesfinanzverwaltung als Verfechter eines öden Zentralismus anzuschwärzen. Meine Damen und Herren, die Diskussion im Finanzausschuß wurde mit sachlichen Argumenten geführt. Und schließlich haben die Länder bei allen Entscheidungen des Bundes in Finanzsachen auf die Willensentscheidung des Bundes entscheidenden Einfluß in der Gesetzgebung bei dem Erlaß von Ausführungsvorschrihen. Wir sind durchaus bereit, bei eigener Bundesfinanzverwaltung den Ländern das Recht einzuräumen, beim Erlaß von Ausführungsvorschrihen mitzuwirken, mag es sich nun um Rechtsverordnungen, mag es sich um allgemeine Verwaltungsvorschriften handeln, und insofern dem Artikel 112 der Verfassung eine weitere Fassung zu geben. Wir sind auch durchaus bereit, in den Personalien der Verwaltung den Ländern eine Mitwirkung einzuräumen bei der Ernennung der Richter eines kommenden Bundesfinanzhofes, auch bei der Bestellung der Präsidenten der Landesfinanzämter und ihrer Abteilungsdirektoren und meinetwegen auch der Leiter der Hauptzollämter und damit möchte ich Steuerämter. Alles das ist möglich. So glaube ich denn meine Betrachtungen beschließen -, daß die Beschlüsse des Finanzausschusses den förderativen Charakter des Bundes nicht verletzen und wir letzten Endes nach dem guten Wort der Römer gehandelt haben: In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus autem Caritas, das heißt: Im Notwendigen die Einheit, sonst Freiheit, in allem aber das gegenseitige Verstehen62). vom

Februar

194660), durch das

-

(Beifall.) Das Wort hat Herr Dr. Grève. Meine Damen und Herren! Ich bin in der selten glücklichen (SPD): Freunde und mich zu erklären, daß wir den Ausführungen des für meine Lage, Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff in ihrem vollen Inhalt zustimmen. Damit könnte ich meine Ausführungen beenden und das Rednerpult wieder verlassen.

Vizepräs.

Dr.

Schäfer:

Dr. Grève

60) Kontrollratsgesetz Nr. 12 vom 11. Febr. 1946, Amtsblatt des Kontrollrates, S. 60. 61) Gesetz Nr. 64 vom 20. Juni 1948. Gesetz- und Verordnungsblatt des Vereinigten Wirt61a) 62)

schaftsgebietes, Beilage Nr.

4, S. 13. Gesetze Nr. 12-15 des Kontrollrates vom Febr. 1946. Amtsblatt des Kontrollrates, S. 60-76. Der amerikanische Verbindungsoffizier Simons vermerkte unter dem 22. Okt. 1948, die Ausführungen in der Plenarsitzung vom 21. Okt. von Höpker Aschoff seien weitgehend eine Antwort auf die Stellungnahme der Millitärgouverneure zu den Vorschlägen des Finanzausschusses und einer diesbezüglichen Diskussion mit ihm vom Tage zuvor gewesen (Z 45 F 17/254-2/5). Siehe hierzu Der Pari. Rat Bd. 8, Dok. Nr. 12 und 13. 257

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Da aber nach mir

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unser verehrter Kollege Herr Dr. Binder nicht nur allein, sondern nach ihm auch noch einige Kollegen, die seine Auffassung vertreten, versuchen werden, das, was Herr Dr. Höpker Aschoff hier ausgeführt hat, für nicht föderalistisch genug zu erklären, möchte ich in kurzem versuchen, die Richtigkeit dessen, was uns Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff gesagt hat, zu unterstreichen. Herr Kollege Brockmann hat mit Recht ausgeführt, daß das Problem der Finanzen an sich nicht von den übrigen Problemen losgelöst betrachtet werden könnte, mit denen wir uns hier zu beschäftigen haben, insbesondere von dem Problem, welche Funktionen man der Länderkammer zuerkennt. Das ist richtig, und wir haben zunächst einmal darauf hinzuweisen, daß das Problem der Finanzen und ihrer Regelung in der Verfassung an sich nur ein Teilproblem der Zuerkennung der Kompetenzen überhaupt ist, denn grundsätzlich nehmen die Finanzen keine besondere Stellung gegenüber allen anderen Gebieten unserer staatlichen Lebensordnung ein. Das ergibt sich insbesondere klar, wenn man das Gebiet der Steuern betrachtet, für das die allgemein-politischen Grundsätze selbstverständlich anzuwenden sind, besonders wenn es sich darum handelt, Einnahmen und Ausgaben des Staatsganzen oder eines Gemeinwesens zu bestimmen. Schon ein Blick in die Verfassungen aller Länder, insbesondere in die Verfassungen mit einem föderalen Charakter zeigt aber, daß dennoch das Finanzwesen außerhalb der übrigen Gebiete der staatlichen Ordnungsfunktionen und ihres Systems behandelt wird und eine entsprechende Regelung gefunden hat. Dafür muß irgendein Grund vorliegen, und ich möchte versuchen, kurz darauf hinzuweisen, welches diese Gründe sind. Die Frage, inwieweit man überhaupt auf dem Gebiete des Finanzwesens zum Ausdruck bringen soll, ob eine staatliche Ordnung einen unitarischen oder föderativen Charakter hat, ist zum mindesten eine sehr prekäre. Ich bin der Auffassung, daß man den Charakter eines Staatswesens im Hinblick darauf, ob er unitarisch oder föderativ ist, nicht nach der Ordnung seines Finanzwesens beurteilen kann und darf. Die Frage des Finanzwesens ist eine Frage, die nicht losgelöst von den Dingen betrachtet werden kann, die wir heute unter Punkt 2 der Tagesordnung, Länderkammer, zu erörtern versucht haben. Das Finanzwesen ist als ein Teil der Wirtschah zugleich nicht nur ein Teil der politischen Ökonomie, sondern es gehört als Teil der Finanzwirtschah in ein System von Funktionen, die nicht irgendwie beliebig verändert werden können. Das ist einer der hauptsächlichsten Gründe, daß das Finanzwesen dennoch gesondert betrachtet werden kann und losgelöst von den anderen Regelungen eine besondere Regelung zu finden hat, auf die Herr Dr. Höpker Aschoff in seinen Ausführungen auch schon hingewiesen hat. Ich möchte mit aller Deutlichkeit unterstreichen, daß es meinen Freunden und mir beim Finanzwesen nicht darum geht, von seiner Regelung her dem Bundesstaat, den wir in Bonn zu schaffen versuchen, den Charakter des Unitarischen oder des Föderalistischen beizulegen. Es gibt für uns neben den verschiedenen Darstellungen, die wir heute noch hören werden, auf dem Gebiete des Finanzwesens ganz bestimmte Momente, die unserer Auffassung nach für sich sprechen, und das sind ganz konkrete Verhältnisse. Diese konkreten Verhältnisse

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gerade, die uns zu einer ganz bestimmten Haltung veranlassen, und deswegen, weil sie neben den rein politischen ihre Bedeutung haben. Die Finanzwirtschaft ist letztlich nur ein Teilkomplex und ein Teilstück der gesamten Volkswirtschaft. Auf die besonderen Funktionen der Finanzwirtschah hier einzugehen, ist im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Was aber aus einer Finanzwirtschah, die einmal auch auf dem Teilgesind

es

zwar

biete des Finanzwesens eine einheitliche war, werden kann, wenn man sie zersplittert, wenn man sie atomisiert, das sehen wir an dem, was aus unserem Finanzwesen durch die Auheilung Deutschlands in Zonen, in soundso viele Länder mit eigenem Finanzwesen geworden ist. Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es selbst in diesem Jahr in der britischen Zone noch nicht möglich war, das Finanzwesen den Ländern zu übergeben, ohne nicht zugleich wieder eine Institution zu schaffen, die sich mit einer gemeinsamen Regelung der Finanzhagen in den einzelnen Ländern der britischen Zone zu befassen hatte. Solche Gesichtspunkte sollten nicht neben unseren Erörterungen liegen, daß nämlich eine weiträumige Allgemeinwirtschah auch eine weiträumige Finanzwirtschah erheischt. Gerade das wirtschahliche Prinzip in der öffentlichen Finanzwirtschah ist es, das unseres Erachtens für die Verteilung der Kompetenz auf dem Gebiet des Finanzwesens ausschlaggebend sein sollte. Meine Damen und Herren! Es ist nicht nur die untereinander bestehende Abhängigkeit und die Verflechtung der deutschen Wirtschah im Hinblick auf Fragen der Preise und Löhne, Verlagerung von Betrieben ein Punkt, auf den Herr Kollege Höpker Aschoff auch schon mit Recht hingewiesen hat, wenn er von Standortverschiebung sprach -, letztlich sind es die Lebensbedingungen und die Lebensbedürfnisse aller Menschen, die nach unserer Ansicht eine gemeinsame und gleichmäßige Regelung auf diesem für alle Beteiligten so wichtigen Gebiete notwendig machen. Aus diesem Grunde glauben wir, es nicht einer Vielzahl einzelner Länder überlassen zu sollen, das Finanzwesen bis in seine Einzelheiten hinein zu regeln. Wir sind der Auffassung, daß wir, von gewissen Modifikationen abgesehen, wieder zu dem System zurückkehren sollten, das mit dem Namen Erzberger63) verknüpft ist. Ich glaube, wenn Erzberger nicht ermordet worden wäre, sondern heute noch lebte, er würde in den Reihen der Freunde meines verehrten Kollegen Dr. Binder heute einen erbitterten Kampf um das führen, was in Deutschland einzuführen er damals für richtig gehalten hat und wir mit ihm heute noch. -

(Sehr richtig!)

Wenn ich vorhin sagte, daß das Finanzwesen nicht zum Kriterium der Staatsform gemacht werden darf, so ergibt sich für uns zwangsläufig die Folge, daß es im Finanzwesen selbst nicht möglich ist, heute mit einem Anachronismus aufzuwarten, der uns in eine Zeit zurückwerfen würde, die wir lange überstanden haben und von der wir nicht möchten, daß sie wiederkehre. Wir befinden uns mit dieser Auffassung auch durchaus in guter Gesellschaft. Die vielen

;) Siehe Dok.

Nr. 3, Anm. 69.

259

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auf die auch schon Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff hingeuns zum großen Teil die Richtigkeit unserer Auffassungen bestätigt. Nur der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, daß es sich sowohl um die Vertreter der Wirtschah als auch der Gewerkschaften handelte64). Gerade die Gewerkschahen haben darauf hingewiesen, daß bei einer Verschiedenartigkeit der Besteuerung in den einzelnen Ländern im Hinblick auf den Nettolohn des Arbeiters auch unterschiedliche Bruttolöhne gezahlt werden müßten, wodurch eine völlige Veränderung im Preisniveau in den Industrien der einzelnen Länder auhreten würde. Die Vertreter der Wissenschah, des Städtetages, des Landkreistages, der Landwirtschah, die Oberfinanzpräsidenten und nicht zuletzt die Finanzminister und der Direktor der Finanzen in Frankfurt, Hartmann65), selbst, neben ihm die Vertreter der Finanzleitstelle in Hamburg, sie alle waren der Auffassung, daß nicht nur auf dem Gebiete der Gesetzgebung und der Rechtsprechung, sondern auch auf dem Gebiete der Verwaltung einige mit gewissen Einschränkundie Finanzhoheit beim Bunde liegen müßte. Als besonders interessant gen diesem in Zusammenhang Erwähnung finden, was Herr Direktor Hartmann mag daß nämlich alle sachlichen und technischen Gründe dafür sprehat, gesagt chen, daß auch auf dem Gebiete der Finanzverwaltung dem Bund die Hoheit zuerkannt wird, daß es lediglich politisch-psychologische Momente in den süddeutschen und südwestdeutschen Ländern seien, die ihn veranlaßten, vor uns zu erklären, ihretwegen sollte man es bei einer Länderfinanzverwaltung belassen. Ich glaube, diese politisch-psychologischen Momente sind weniger Momente der Bevölkerung in den süddeutschen und südwestdeutschen Ländern, sie sind auch nicht so sehr Momente, die in der Wirtschah zum Ausdruck kommen, sondern hier handelt es sich meines Erachtens um Argumente, die von der beteiligten Bürokratie vorgetragen werden,

Sachverständigen,

wiesen

hat, haben

-

-

(sehr richtig!)

auf die hier auch heute schon hingewiesen worden ist. Wenn ich von beteiligter Bürokratie spreche, will ich noch etwas deutlicher werden und sagen, daß hier die Personalpolitik zum Angelpunkt der allgemeinen Politik gemacht wird und gerade deswegen die Gründe nicht durchschla-

gend sind,

uns von unserer

Auffassung abzubringen.

Rande erwähnt werden, daß ebenso unverständlich die Haltung der Präsidenten der Industrie- und Handelskammern ist, die durch einen kürzlich in München gefaßten Beschluß66) zum Ausdruck gebracht haben, daß man mit einem gewissen Weisungsrecht des Bundes auf dem Gebiet der Verwaltung die Finanzhoheit den Ländern geben könnte. Angeblich sollen diesem Beschluß

Es mag

64) 65) 66)

260

nur am

In der 4.

für Finanzfragen trat als Sachverständiger Dr. Lorenz im wirtschaftswissenschaftlichen Institut der Gewerk-

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Wolkersdorf, Abteilungsleiter schaften auf (Prot, in: Z 5/24).

Zu Hartmann siehe Anm. 42. Die Resolution, unter dem 7. Okt. 1948 vom Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern des VWG versandt, ging auch an MinPräs. Stock, der sie als Drucks. Nr. 60 des Büros der Ministerpräsidenten unter dem 14. Okt. 1948 verteilte (Z 12/11, Bl. 274 ff.).

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bis auf eine Ausnahme sämtliche Präsidenten der Industrie- und Handelskammern zugestimmt haben. Wieweit man aber den Herren die Beurteilung einer solch wichtigen Frage zuerkennen kann, ist zumindest sehr zweifelhah, wenn man weiß, daß in einer Denkschrih über die Finanzhoheit der Zentralgewalt und der Länder und die Organisation der Steuer- und Zollverwaltung im Vereinigten Wirtschahsgebiet die Vereinigung der Industrie- und Handelskammern von Nordrhein-Westfalen, an der sicher die Präsidenten der Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen maßgeblich beteiligt gewesen sind, etwas ganz anderes vorgeschlagen hat67), nämlich das, was der Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff vor mir hier vorgetragen hat. Man muß also sehr skeptisch sein, vor allen Dingen auch deswegen, weil die Präsidenten der Industrie- und Handelskammern nicht immer als Repräsentanten der Wirtschah sprechen, die sie vertreten,

(sehr richtig!)

sondern sehr oh ihre Privatmeinung sagen, die eine ganz bestimmte politische Tendenz hat, aber nicht als Grundlage für die Beurteilung der Haltung der von ihnen vertretenen Wirtschah genommen werden kann. (Dr. Strauß: Gerade wie es Ihnen paßt!) Herr Kollege Dr. Strauß, ich sage es zumindest so, daß es verständlich ist, und nicht in einer Form, die mir zumindest Veranlassung gibt, darauf hinzuweisen, daß man es auch anders lesen kann. Man kann nicht im April 1948 sagen: alles beim Bund, und dann plötzlich im Oktober kommen und erklären: nun möglichst doch bei den Ländern. Es kommt nämlich darauf an, Herr Kollege Dr. Strauß, wer solche Beschlüsse inauguriert, ob Sie derjenige sind, der den entsprechenden Vortrag hält, oder ob Herr Dr. Höpker Aschoff es ist. Ich glaube, daß, wenn Herr Dr. Höpker Aschoff den Vortrag gehalten hätte, der eine oder der andere Präsident einer Industrie- und Handelskammer doch eine andere Auffassung von dem bekommen hätte, um was es sich hier bei uns handelt, und dementsprechend ein anderes Votum abgegeben haben würde. Es ist nicht so, Herr Kollege Dr. Strauß, daß man die Herren so völlig allein vor ein Problem stellen kann und es ihnen dann überläßt, dieses Problem zu behandeln. Es gehört auch für den Präsidenten einer Industrie- und Handelskammer eine ganze bestimmte Sachkenntnis von den Dingen dazu, um hei und unabhängig urteilen zu können. Zwingend sprechen meines Erachtens aber für das, was Herr Dr. Höpker Aschoff hier vorgetragen hat und was meine Freunde und ich unterstreichen, die staatsfinanziellen Folgen des verlorenen Krieges und des politischen Zusammenbruchs. Fragen wie die Besatzungskosten, der Lastenausgleich aller Art, insbesondere auch die Frage der durch das Problem der Flüchtlinge und Vertriebenen entstandenen Kosten sind meines Erachtens Beispiele dafür, daß die Aufgaben, die dem Bund in Zukunh erstehen werden, von einer derartigen Schwerkraft sind, daß beim Bund auch die Zuständigkeit dafür liegen muß, wie die Kosten für diese Aufgaben aufzubringen sind. Wir leben insoweit in derselben Situation, in der Deutschland sich im Jahre 1919 und 1920 befunden hat.

-

)

Die Denkschrift ließ sich nicht ermitteln. 261

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Was damals

Erzberger08) richtig gemacht hat, sollten auch wir heute als richtig anerkennen. Wir sollten wieder auf das zurückkommen, was mit seinem Namen, mit der Finanzreform des Jahres 1920 verbunden ist. Es ist auch so, daß, wenn wir nur den Finanzausgleich betrachten, der Finanzausgleich auf Jahre hinaus noch ein Lastenausgleich ist. Der Lastenausgleich, über den jetzt in Frankfurt in einem oder in mehreren Ausschüssen beraten wird, wird nicht der letzte Lastenausgleich sein. Wir werden im zukünftigen Finanzausgleich persönliche und sachliche Lasten aller Art zu verteilen haben. Deswegen ist es wichtig, diese Lasten, die Gesamtlasten sind, nicht einzelne Länder tragen zu lassen, sondern vom Gesamten her zu bestimmen, wie sie auf alle gerecht und gleichmäßig zu verteilen sind. Die Finanzreform als die Voraussetzung dessen, was dann in Deutschland als Reichsfinanzverwaltung erstand, ist nach unserer Auffassung eine staatsmännische Tat gewesen, an der wir uns heute nur ein Vorbild nehmen können. Meine Freunde und ich sind aus diesen Gründen der Auffassung, daß Bundesgesetzgebung, Rechtsprechung und Bundesverwaltung auf dem Gebiet des Finanzwesens ihren Niederschlag in dem von uns zu verabschiedenden Grundgesetz finden sollten. Es wäre ein Fehler, wenn wir uns hier nicht darüber verständigen könnten. Ich glaube, es ist richtig, was hier zum Ausdruck gebracht worden ist: Wenn wir dieses Problem im Zusammenhang mit anderen hier noch zu lösenden Problemen behandeln, wird auf dem Gebiet, zu dem ich hier jetzt spreche, das wahr werden, was im geheimen vielleicht auch der Wunsch mancher ist, die gegen das sprechen, was wir beschließen wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanzen eignen sich nicht und damit möchte ich meine Ausführungen beschließen als Objekt irgendwelcher landsmannschahlichen Brauchtumspflege. Ich will nicht gegen den Föderalismus polemisieren. Aber ich möchte doch sagen, daß es aus Brauchtumspflege manchmal sogar zu Brauchtumsexzessen kommen kann. Auf dem Gebiet der Finanzen wären sie in dieser Zeit der Not und des Elends unangebrachter als auf jedem anderen Gebiet. Wir sind durchaus bereit da unterstreiche ich auch das, was Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff gesagt hat -, allen Wünschen Rechnung zu tragen, die berechtigterweise von den Vertretern des föderalen Prinzips an uns herangetragen werden. Ich bin auch der Auffassung, daß das, was wir hier erarbeiten, schon föderalistischer ist als das, was in der Reichsverfassung von Weimar seinen Niederschlag gefunden hat. Die berechtigten Wünsche auf dem Gebiet der Finanzen werden von den Ländern aus jeweils bei der Verabschiedung des Finanzausgleichsgesetzes zum Ausdruck gebracht werden können. Ihnen wird in diesem Zusammenhang Rechnung getragen. Es wird sicher nach mir einer der Kollegen sagen, daß die Eigenverantwortlichkeit der Länder damit nicht in genügender Art und Weise zum Ausdruck gebracht wird. Die Eigenverantwortlichkeit der Länder wird meines Erachtens hinreichend berücksichtigt, wenn in jedem Jahr von neuem entsprechend den von Bund und Ländern auszuführenden Aufgaben festgestellt wird, wie hoch die Kosten dieser -



-

) 262

Zu

Erzberger und seinen Finanzreformen siehe Dok.

Nr. 3, Anm. 69.

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sind und wie die Lasten dementsprechend auf Bund und Länder zu verteilen sind. Wir sind durchaus bereit, hier eine echte Mitwirkung der Länder ihren Niederschlag finden zu lassen. Unsere politische Verantwortung nicht nur vor uns selber, sondern auch vor der Geschichte, die wir im gewissen Sinne durch das mitgestalten, was wir hier erarbeiten, fordert durchaus die Respektierung der deutschen Länder und ihres spezifischen Ordnungssystems auch im Rahmen des Ganzen. Sie fordert von uns aber zumindest in gleicher Weise die Ignorierung und die Überwindung der Länderegoismen.

Aufgaben

(Bravo!)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Binder. Meine Damen und Herren! Der Standpunkt der CDU in (CDU): Finanzausschuß und in der Presse schon genügend zum ist im Finanzhagen Ausdruck gekommen. Ich glaube daher, mich hier außerordentlich kurz fassen zu können, wenn ich unseren Standpunkt noch einmal formuliere. Wir stehen hier in Bonn vor der Aufgabe, einen Bundesstaat zu errichten. Dabei steht es auch für unsere Partei fest, daß alle Fragen der Wirtschah unter den heutigen Verhältnissen nur reichseinheitlich geregelt werden können. Aus diesem Grunde sind wir der Meinung, daß die Finanzgesetzgebung auch in den Fällen, in denen die Festsetzung der Hebesätze der Steuern den Ländern oder den Gemeinden zusteht, grundsätzlich beim Reich bleiben muß. Wenn die Fragen der Finanzen hier überhaupt eine so schwerwiegende Rolle spielen, so deswegen, weil es sich bei dem Bau unserer Verfassung auch darum handelt, den Ländern ihre finanzielle Grundlage zu sichern. Denn wer das Geld hat, hat auch die Macht. Und ein bundesstaatlicher Aufbau unserer Verfassung wäre praktisch hinfällig, wenn die Länder nicht ihre selbstverantwortliche Finanzwirtschaft haben würden. Wir haben in sehr eingehenden Besprechungen mit Sachverständigen aller Kreise die Frage ventiliert, ob es nicht möglich wäre, das Steueraufkommen in Deutschland so abzugrenzen, daß die Länder und der Bund ihre eigenen Steuerquellen für sich haben. Die Beratungen haben ergeben, daß wie der Vorredner Herr Dr. Höpker Aschoff schon zum Ausdruck gebracht hat möglicherweise in Zukunft eine derartige Trennung möglich ist. Es gibt zwei Lösungen: Die eine besteht darin, daß die Länder besondere Zuschlagssätze zu den großen Bundessteuern erheben, die andere darin, daß das derzeitige Steuersystem überhaupt umgebaut wird. Es wird aber Vorarbeiten von mindestens fünf Jahren auf dem Gebiet der Landwirtschah erfordern, eine solche Lösung durchzuführen. Wir haben uns aber hier mit einem Provisorium, nämlich einer vorläufigen Verfassung zu befassen. Wir mußten infolgedessen von den gegebenen Verhältnissen ausgehen und sind daher zu dem Ergebnis gekommen, daß die Interessen der Länder nur dadurch gewahrt werden können, daß die großen Steuern, Einkommensteuer, Körperschahsteuer und Umsatzsteuer, gemeinsame Steuern des Bundes und der Länder werden. Das hat zur Folge, daß Bund und Länder sich jährlich in das Aufkommen dieser Steuern teilen müssen. Die Position der Länder bei dieser Aufteilung der Steuern ist aber nur dann gewährleistet, wenn sie bei der Verabschiedung des jährlichen Finanzausgleichsund Steueraufteilungsgesetzes in ihrer Mitwirkung an der Gesetzgebung eine ausreichende Sicherung haben. Infolgedessen hängt unsere Zustimmung zu die-

Vizepräs. Schönfelder:

Dr. Binder

-

-

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ser Regelung davon ab, daß in der Frage des Länderrats eine Lösung gefunden wird, die die Rechte der Länder in ausreichender Weise sichert.

In der Frage der Finanzverwaltung ist es im Finanzausschuß zu keiner Einigung gekommen69). Auf der einen Seite sprechen außerordentlich starke Gründe dafür, die Verwaltung der Finanzen reichseinheitlich zu regeln, weil über die Durchführung der Steuergesetze bei der Veranlagung an Ort und Stelle entschieden wird. Auf der anderen Seite ist aber die Abgrenzung der Finanzverwaltung in einem sehr erheblichen Umfang auch eine politische Frage. Ich glaube, daß der Standpunkt meiner Partei und der der anderen Parteien in der

Sache gar nicht so sehr voneinander abweichen. Wir sind durchaus der Auffassung, daß die Veranlagungs-, Stundungs-, Niederschlags- und Erlaßrichtlinien reichseinheitlich vom Bundesfinanzminster geregelt werden müssen. Wir sind auch der Meinung, daß die Ausbildung und Versetzung der jüngeren Finanzbeamten durch den Bundesfinanzminister zu erfolgen hat, damit die Herren aus den einzelnen Ländern in ihren jungen Jahren auch in einer anderen Finanzverwaltung tätig werden. Wir sind ebenso der Meinung, daß bei der Ernennung der Oberfinanzpräsidenten und der Abteilungspräsidenten der Bundesfinanzminister ein Mitwirkungsrecht haben muß, um bei den führenden Stellen die Einheitlichkeit der Durchführung der Gesetze zu gewährleisten. Was danach dem einzelnen Landesfinanzminister auf dem Gebiete der Steuerverwaltung übrigbleibt, sind praktisch nur zwei Dinge: nämlich einmal, die Verfügungen des Bundesfinanzministers mit seiner Unterschrift versehen an die Oberfinanzpräsidenten weiterzureichen, und zweitens die sehr unangenehme Aufgabe, den eventuell notwendig werdenden Personalabbau vorzunehmen. Darüber hinaus wird ihm bei der Durchführung der Bundesfinanzverwaltung als Auftragsverwaltung kein nennenswerter Spielraum bleiben. Er hat allerdings die Möglichkeit, bei der unumgänglichen Zusammenlegung der Bundes- und der Landesfinanzverwaltungen Einsparungen zu machen. Es war für mich als ehemaliger Leiter der Finanzverwaltung von Südwürttemberg-Hohenzollern79) außerordentlich interessant, daß einer unserer befähigsten Finanzminster, Herr Dr. Hilpert71), im Finanzausschuß erklärt hat, es sei ihm in Hessen möglich gewesen, mit etwa 70% der Stellen, die ursprünglich in der Reichsfinanzverwaltung vorgesehen waren, auszukommen. (Zuruf: Aber in der Zukunft nicht mehr!) Meines Erachtens auch in der Zukunft. Es ist tatsächlich so, je kleiner ein Verwaltungsbezirk ist, desto leichter ist er übersehbar, und desto besser können Einsparungsmöglichkeiten wahrgenommen werden. (Zinn: Er hat sich schon eine Ausnahmebewilligung geben lassen, um neue Krähe einzustellen.) -

69) Siehe Anm. 41. 70) Dr. Paul Binder war 71)

264

1947 Staatssekretär für Finanzen in Südwürttemberg-Hohenzollern gewesen. Dr. Werner Hilpert (1897-1957), CDU, Minister für Finanzen in Hessen, war als Sachverständiger in der 6. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen aufgetreten (Prot, in: Z 5/25, Bl. 2-124).

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Herr Minister, das -

rungsreform sind.

der

liegt nur daran, daß im Augenblick durch die WähFinanzverwaltung zusätzliche Aufgaben übertragen worden

(Zinn: Nein, um die angeblich so schlechte Steuermoral zu bekämpfen.) Sicher, das ist aber auch eine zusätzliche Aufgabe, die lediglich mit den

besonderen Verhältnissen des Augenblicks zusammenhängt. Ich möchte zum Abschluß meiner Darlegungen noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, der uns im Finanzausschuß sehr stark beschäftigt hat, der aber in der außerordentlich exakten und guten Darstellung, die Herr Dr. Höpker-Aschoff uns gegeben hat, nicht erwähnt worden ist. Wir bauen bekanntlich unsere Verfassung nicht in den luhleeren Raum, sondern in ganz bestimmte wirtschahliche und politische Verhältnisse hinein. Bei den Beratungen des Finanzausschusses mit den Sachverständigen ist immer wieder zum Ausdruck gekommen, daß dieses Verfassungsgebäude, der künhige Bundesstaat, vom ersten Tage seiner Existenz ab finanziell nicht lebensfähig sein wird, wenn nicht auch die Besatzungskosten so stark gesenkt werden, daß überhaupt eine finanzielle Daseinsmöglichkeit für das neue Gebilde besteht72). Ich habe diese Stellungnahme auch der Presse mitgeteilt, und inzwischen sind von amerikanischer Seite zur Frage der Besatzungskosten verschiedene offizielle Verlautbarungen ergangen. (Zuruf links: Die kennen wir ja!) Herr General Clay hat erklärt, daß er nicht die Absicht habe, die Ausgaben der Militärregierung zu rechtfertigen. Darum handelt es sich auch gar nicht. Wenn er damit aber sagen wollte, daß er überhaupt nicht bereit sei, auf dieses Problem einzugehen, dann muß ich dazu bemerken, daß die Macht der Verhältnisse stärker sein wird als die Ansicht des Herrn General Clay. Es sind drei Dinge in dieser Polemik gegen die Deutschen vorgebracht worden, um unseren moralischen Anspruch auf eine Herabsetzung der Besatzungskosten zu bestreiten, obwohl diese Frage mit Moral gar nichts zu tun hat, sondern eine rein finanztechnische Angelegenheit ist. Zunächst wurde von dem offiziellen Sprecher der OMGUS73) darauf hingewiesen, daß die deutschen Verwaltungen selbst ihre Ausgaben nach der Währungsreform nicht in genügendem Umfange gesenkt hätten. Ich bin mit dem Sprecher der amerikanischen Militärregierung durchaus einig darin, daß die Ausgaben der deutschen Verwaltungen noch in einschneidenderer Weise herabgesetzt werden könnten. (Dr. Menzel: Na, na!) -

) Binders folgende Ausführungen wurden am folgenden Tag in einer Sitzung der CDU/CSU-Fraktion als „zu scharf" gerügt. Er habe seine Kompetenzen überschritten (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 85). In die OMGUS-Akten wurden seine Ausführungen gesondert in englischer Übersetzung aufgenommen (Z 45 F/15/148-2, folder 3). ) Vermutlich wurde hier auf einen Zeitungsartikel in der Neuen Zeitung vom 9. Okt. 1948 (S. 1) unter dem Titel „Amerikanische Besatzungskosten berechtigt" angespielt. Darin wurde eine Radioansprache eines Vertreters der MilReg. referiert, in dem u. a. versprochen wurde, man werde sich um Senkungen im nächsten Jahr bemühen. 265

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Wenn das bisher nicht der Fall gewesen ist,

so liegt es zunächst daran, daß diese deutschen Verwaltungen an die Bedürfnisse der Militärregierung angepaßt werden mußten, daß um nur ein Beispiel zu nennen das Amt für Vermögenskontrolle in München, als es von der bayerischen Regierung übernommen wurde, annähernd 1000 Angestellte hatte, und die bayerische Regierung sich verpflichten mußte, diesen Angestellten in dem ersten Dreivierteljahr nicht zu kündigen. Das ist nur einer der vielen Fälle, den ich herausgegriffen habe, um zu zeigen, inwieweit das Ausmaß der Mehrausgaben der deutschen Verwaltungen von den Besatzungsmächten abhängt. Es kommt noch ein anderer Gesichtspunkt dazu: So lange wir derart übermäßige Besatzungskosten zu bezahlen haben, wird kein deutscher Landesfinanzminister die ausreichende Autorität haben, Einsparungen in seinem Landtag durchzusetzen. Die betroffenen Kreise werden ihm immer das Argument entgegenhalten, daß diese Einsparungsmaßnahmen praktisch doch nur deswegen gemacht werden, um weiterhin die übermäßig hohen Besatzungskosten bezahlen zu können. Wenn wir eine Chance haben wollen, unsere eigenen Verwaltungsausgaben herabzusetzen, müssen die deutschen Finanzminister darauf hinweisen können, daß es ihnen bereits gelungen ist, die Besatzungskosten in einem ausreichenden Maße herabgesetzt zu bekommen; denn dann können sie mit einem ganz anderen Gewicht an die Aufgaben herangehen, die sie in ihrem eigenen Lande zu bewältigen haben. Es kommt ferner hinzu, daß eine Senkung von Ausgaben, die ja entweder eine Entlassung von Beamten oder eine Einstellung von Subventionen oder eine Herabsetzung von Sachausgaben bedeutet, nur von Leuten durchgesetzt werden kann, die die notwendige Robustheit haben, auch widerstrebenden Interessen entgegenzutreten. Solche Leute werden aber mit derselben Robustheit auch den Versuch machen, sich gegenüber den alliierten Militärregierungen durchzusetzen. Es wird also sehr weitgehend von der Politik der Militärregierungen abhänder inwieweit wir in sein Finanzminister zu bekommen, die werden, gen, Lage eine derart komplizierte und unangenehme Aufgabe bewältigen können. Die zweite Entgegnung, die uns bei der Frage der Besatzungskosten gemacht wurde, war die, daß General Clay sagte, solange die amerikanische Regierung für jeden Amerikaner in Deutschland pro Tag 80 Dollarcents aufwende, müßten die Deutschen eben 20 Dollarcents tragen. Dieses Beispiel ist nicht ganz richtig gewählt. Wörtlich genommen ist es jedenfalls nicht so, daß wir pro anwesenden Amerikaner 20 Dollarcents, d. h. 66 Pfennig pro Tag aufzuwenden hätten, also 250 DMark im Jahr. Wenn es so wäre, dann gäbe es überhaupt keine Diskussion über die Besatzungskosten, und ich möchte sogar sagen: Wenn das als Offerte gemeint war, dann sind wir gern bereit, die Zuschüsse für 1 Million amerikanischer Soldaten in Europa zu bezahlen, weil wir dann wirklich einen ausreichenden Schutz hätten. Es wurde in der Presse auch noch gesagt, Deutschland habe eigentlich kein Recht, für eine Herabsetzung der Besatzungskosten zu plädieren, solange die amerikanische Regierung in einem so ungewöhnlich großen Ausmaß Rohstoffe und Nahrungsmittel für ihre Rechnung nach Deutschland einhihre. Es ist ohne weiteres anzuerkennen, daß wir von amerikanischer Seite eine sehr große Hilfe -

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-

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Bewältigung unserer wirtschaftlichen Nöte erfahren haben. Aber die Dinge liegen so, daß ein ganz überwiegender Teil dieser Hilfe ja einfach dadurch notwendig geworden ist, daß in Jalta74) die Aufteilung Deutschlands, die Abtrennung Westdeutschlands von seinen landwirtschahlichen Versorgungsgebieten und vor allen Dingen praktisch auch die Vertreibung von rund 7 Millionen Ostdeutschen nach dem westdeutschen Gebiet hingenommen wurde. Dadurch erhält diese Hilfeleistung zum Teil einen ganz anderen Charakter. Außerdem bin ich der Meinung, daß es sich bei der Frage der Besatzungskosten überhaupt nicht um die moralische Berechtigung, sondern lediglich um rein finanztechnische Gesichtspunkte handelt. Im Augenblick hat die Bank Deutscher Länder es abgelehnt, den finanziell notleidenden Ländern Kredite zur Verfügung zu stellen. Ich bin keineswegs sicher, ob in wenigen Tagen oder bei der

Wochen, wenn auch der Rest unserer Länder vor dem finanziellen Ruin stehen wird, die Bank Deutscher Länder sich derartigen Kreditgesuchen wird erneut

widersetzen können. Wahrscheinlich werden die im Bankenrat vertretenen Landesbankenpräsidenten von ihren Regierungen so unter Druck gesetzt werden, daß sie ihre Haltung ändern werden. Versuche nach dieser Richtung sind bereits gemacht worden. Wenn sich nun daraus die Situation ergeben sollte, daß die Bank Deutscher Länder diesem Druck nachgibt in der Hoffnung, daß der alliierte Bankenrat einer derartigen Kreditbewilligung nachträglich die Genehmigung versagt, so bin ich keineswegs sicher, ob diese Spekulation richtig sein wird. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, daß die Besatzungsmächte lieber eine inflatorische Politik in Deutschland hinnehmen, als die notwendigen Konsequenzen aus der Lage zu ziehen und eine sofortige Herabsetzung der Besatzungskosten durchzuführen. (Renner: Was ziehen Sie vor?) Eine sofortige Herabsetzung der Besatzungskosten! Die Dinge liegen so, daß wir hier eine ganz vergebliche Arbeit leisten würden, wenn wir den künhigen Bundesstaat nicht auf eine einwandfreie finanzielle Grundlage stellen könn—

ten.

(Beifall bei der CDU.) Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann über Herr (DP): das große Gebiet der Finanzfragen in einer Viertelstunde zweifellos nichts Entscheidendes sagen. Ich begrüße es deshalb, daß Herr Dr. Höpker Aschoff in so ausgezeichneter Weise über die Arbeit im Finanzausschuß berichtet hat. Das

Vizepräs. Schönfelder:

Dr. Seebohm

ermöglicht mir, auf die Einzelheiten nicht einzugehen, sätzliche Bemerkungen zu dem Problem zu machen.

sondern

einige grund-

Wenn für einen föderalen Staat die Staatlichkeit der Länder Voraussetzung des Bundes bildet, dann ist die Bestimmung des Artikels 121 des Entwurfes75), daß Bund und Länder eine gesonderte Finanzwirtschaft zu führen haben, von we-

74) Jalta siehe Dok. Nr. 1, Anm. 21. 75) Bezug genommen wurde auf die Drucks. Nr. 203: Formulierungen der Fachausschüsse (Stand: 18. Okt. 1948); Entwürfe S. 1 ff.; Der Pari. Rat Bd. 7, S. 1 ff. 267

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sentlicher Bedeutung für die Verfassung. Sie ist eine Deklaration, die Bund und Ländern die richtige Eingliederung innerhalb der Finanzwirtschah zuweist. Das Entscheidende bei den Finanzproblemen ist es ja, daß auf den drei Ebenen, der Ebene des Bundes, der Länder und der Gemeinden, die Selbstverantwortung ganz stark zum Ausdruck kommen kann; denn diese drei Ebenen stehen verantwortlich gegenüber der Gesamtheit der Steuerzahler. Diese Selbstverantwortung schließt es aus, daß ein Kostgängerprinzip eingeführt wird, gleichgültig zwischen welchen Ebenen auch immer. Sie schließt aus, daß gegenüber dem kaum gehemmten Ausgabebedürfnis der Bürokratie keine Einschränkungen gemacht werden. Es ergibt sich aus ihr die Notwendigkeit, daß jedes Gremium der Selbstverwaltung nicht nur die Ausgaben, sondern in einem möglichst großen Umfang auch die Einnahmen zu bewilligen und zu vertreten hat, daß aber mindestens die Deckung der Ausgabenspitze aus eigenen Einnahmen erfolgen muß, deren Erschließung dem Beschluß der die Ausgaben bewilligenden Körperschah unterliegt. Nur dann werden aus der Erkenntnis unserer Armut die notwendigen Folgerungen gezogen, um in allen drei Bereichen die Beschränkung der Ausgaben auf das Existenzminimum der Selbstverwaltungskörperschaften durchzuführen. Wir brauchen eine Erneuerung des Vertrauens der Bevölkerung gerade gegenüber der Finanzverwaltung. Wir brauchen deshalb eine bevölkerungsnahe und wirtschaftsfreundliche Finanzpolitik, um dieser an sich höchst unbeliebten, weil so sehr „einnehmenden" Behörde das durch die Überdrehung der Steuerschraube verlorengegangene Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Es ist sehr wesentlich, bei der Formulierung der entsprechenden Abschnitte des Grundgesetzes die große Aufgabe zu bedenken, daß sie der Wiederherstellung der völlig zerrütteten Steuermoral zu dienen haben. Das setzt voraus, daß die steuerliche Belastung des einzelnen eine wirtschaftlich erträgliche und sozial verantwortbare ist und daß die Steuerbelastung der Betriebe wirtschaftlich vertretbar ist. Beide Prinzipien müssen von dem Willen beherrscht werden, eine echte und gesunde Kapitalbildung zu ermöglichen, eine Kapitalbildung, die getragen wird von dem Sparwillen des kleinen Mannes und von dem Willen der Betriebe zur Betriebserneuerung und zur Betriebsverbesserung aus den erarbeiteten Abschreibungen und Amortisationen, die der Verbilligung der Produktion und der Erhöhung des Reallohnes zu dienen haben. Wir brauchen dazu das Vertrauen zu einer bevölkerungsnahen Finanz Verwaltung, deren Beamte das gleiche Idiom sprechen wie ihre Klienten und die mit den wirtschaftlichen Nöten und Sorgen des Gebietes, in dem sie wirken, verbunden sind. Wir brauchen zur Erneuerung des Vertrauens einen Abbau des übertrieben aufgeblähten Beamtenapparates. Wir brauchen aber vor allem die Wiederherstellung der Rechtssicherheit in den Steuerangelegenheiten und die Sicherung der Bevölkerung gegen allzu eigenwillige Entscheidungen der Finanzbürokratie. Das Finanzproblem und das ist hier schon richtig ausgeführt worden ist nicht ein Problem, das allein aus dem Zusammenwirken von „Bund und Ländern" zu lösen ist. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß wir ein Primat der Politik ebenso ablehnen wie ein Primat der Wirtschaft und daß wir es für -

-

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notwendig halten, daß diese beiden Gebiete in Ausgewogenheit und Gleichberechtigung nebeneinander sich entwickeln können. Entscheidend gerade auf dem Finanzgebiet sind die wirtschahspolitischen Gesichtspunkte. Eine rein fiskalische Finanzpolitik wird zur Erdrosselung der Wirtschah führen. Wir brauchen also eine Ausgewogenheit zwischen den Be-

dürfnissen der öffentlichen Hand in den drei genannten Bereichen und den Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung der gesamten Wirtschah. Das bedingt, daß die Finanzprobleme nicht nur von der Auseinandersetzung zwischen föderalistischen und zentralistischen Tendenzen aus zu lösen sind, sondern daß hier die wirtschahlichen Notwendigkeiten zur entscheidenden Bedeu-

tung emporwachsen.

Es ist daher die Frage nach den notwendigen Forderungen der Wirtschah vorweg zu stellen. Die Entwicklung der Technik bedingt die Forderung der Wirtschah nach festen Voraussetzungen für ihre Arbeit in möglichst großen Wirtschahsräumen. Die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft soll und darf nicht durch eine Hypertrophie staatspolitischen Eigenlebens so verschoben werden, daß damit die gesunde und folgerichtige Entwicklung der Wirtschah unmöglich gemacht wird. Nicht die Standortverschiebung, die sich ergeben könnte, ist entscheidend, sondern die Folgen, die sich für die Konkurrenzgleichheit der verschiedenen Industrien und der gewerblichen und landwirtschaftlichen Unternehmungen ergeben. Um hier vom Staat aus keine ungleichen und ungerechten Voraussetzungen zu schaffen, sondern um klare und, soweit es dem Staat möglich ist, gleiche Konkurrenzvoraussetzungen zu schaffen, um damit das Prinzip des Staates durchzusetzen, daß er für alle das gleiche warme Herz und die gleiche Einsatzbereitschah haben muß, ergibt sich die Notwendigkeit, daß die Steuergesetzgebung aller für die Wirtschah wesentlichen Steuergesetze dem Bund zusteht, daß die Steuerrechtsprechung ihre oberste Spitze auf der Bundesebene findet und daß die Verwaltung der Steuereinnahmen grundsätzlich nach einheitlichen Richtlinien erfolgt. Von diesen Voraussetzungen der Wirtschah ist auszugehen, und nunmehr sind vom föderalistischen Standpunkt drei Fragen zu untersuchen: Wie können die Länder und Gemeinden zu eigenen Einnahmen kommen, um ihre Selbständigkeit nicht durch Aushöhlung oder Zwang zu verlieren? Wie kann der Einfluß der Länder auf die einheitliche Steuergesetzgebung gesichert werden? Wie kann der Einfluß der Länder auf die Finanzverwaltung gesichert werden? Die Auheilung der Steuern ist eine Frage der Auheilung der Aufgaben. Wir haben bereits mehrfach gehört, daß es heute nicht möglich ist, eine klare Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern durchzuhihren. Aber einen Grundsatz für die Aufgabenteilung möchte ich doch ganz klar herausstellen, das ist der Grundsatz, daß keinem der unteren Bereiche, Ländern oder Gemeinden, Aufgaben zugewiesen werden dürfen, ohne daß ihnen das Aufkommen der zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendigen Gelder gesichert wird. Daß wir heute nicht zu einer klaren Aufgabenteilung und damit nicht zu einer klaren Auheilung der Steuern zwischen Bund und Ländern kommen können, ergibt sich durch die Kriegsfolgeschäden, die die Länder ganz verschieden getroffen haben. Das eine Land ist stärker betroffen durch Besatzungskosten, das andere 269

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stärker durch die Sorgen und Nöte der von ihm aufgenommenen vertriebenen deutschen Menschen, und das dritte wiederum stärker durch die viel umfangreicheren Sachschäden, die der Krieg über dieses Land gebracht hat. Da wir heute zu keiner reinen Scheidung der Aufgabengebiete kommen können, ist es leider auch nicht möglich, die Erträge aller Steuern zwischen Bund und Ländern aufzuteilen. Das zwingt uns zu einem Finanzausgleich, der dadurch in der Zukunft eine Bedeutung haben wird, die wesentlich größer ist, als wir es eigentlich wünschen. Andererseits ist es sehr bedauerlich, daß die heutige Situation, die sich nun in bestimmten Vorschriften des Grundgesetzes niederschlagen wird, damit die Entwicklung für die Zukunh bindet. Es wäre nach meiner Auffassung durchaus zu überlegen, inwieweit man hier den Bedürfnissen der Zukunh von vornherein Rechnung tragen muß, ob es also nicht richtig ist, eine Reihe dieser Bestimmungen nicht in der Verfassung zu binden und damit Schwierigkeiten zu schaffen, wenn wir sie wieder ändern wollen. Wir sind bei diesem Grundgesetz sicherlich gezwungen, auf eine ganze Reihe der heutigen Gegebenheiten viel stärker Rücksicht zu nehmen, als man es sonst bei der Abfassung derartiger Grundgesetze zu tun pflegt. Aber wir sollten dieses Prinzip auch nicht zu sehr übertreiben und sollten hier von vornherein weitgehende Entwicklungsmöglichkeiten lassen. Wenn wir uns dazu bekennen müssen, daß wir heute eine Aufteilung der Steuern entsprechend der ungeklärten Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern in dem Maße, wie wir es wünschen würden, nicht durchführen können, und wenn wir deshalb die Konsequenz daraus ziehen müssen, daß der unausweichliche Finanzausgleich von viel größerer Bedeutung wird, als wir es wünschen, dann müssen wir aber daraus auch die weitere Konsequenz ziehen, daß dieser Finanzausgleich zu einem ständigen Streitobjekt zwischen Bund und Ländern werden wird und daß wir, gerade um eine gerechte Lösung dieses Finanzausgleichs zu ermöglichen, in erster Linie die entsprechenden Voraussetzungen schaffen müssen, um den Ländern auf der Bundesebene die ihnen gebührende Einwirkung zu verschaffen. Hier liegt das Kernproblem der Finanzfragen und nicht auf irgendeinem der anderen Gebiete. Erst wenn eine ausgewogene Beteiligung des Länderwillens auf der Bundesebene gegeben ist, erst wenn ein echtes Organ der Länder auf der Bundesebene vorhanden ist und in vollem Umfang bei der Legislative, der Steuergesetzgebung und bei der Exekutive, den Ausführungsvorschriften der Steuergesetze eingesetzt wird, erst dann haben wir die Möglichkeit, von einem wirklich föderalen System unseres Staates für die Zukunft zu sprechen. Herr Dr. Grève hat gesagt, daß er und seine Freunde sich für die richtige Mitwirkung der Länder bei der Abfassung und Durchführung dieser Gesetze einsetzen werden. Aber ich kann mir vorläufig nicht denken, wie er bei dem von Herrn Dr. Katz vorgetragenen Senatssystem diese Mitwirkung der Länder sichern will. Ohne einen echten Bundesrat aus Vertretern der Länder, der vollbeteiligt ist an der Legislative und der in der Exekutive insoweit eingeschaltet ist, daß die Ausführungsvorschriften, also die Rechts- und allgemeinen Verwaltungsanordnungen, für die Bundesgesetze seiner Zustimmung bedürfen, ist ein solcher Ausgleich nicht möglich, und wir haben ohne ihn daher keine Möglichkeit, von einem föderalen Staatsaufbau zu sprechen. 270

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Dieses Problem scheint mir auch deshalb wichtig zu sein, weil wir bei der Behandlung der Finanzhagen uns andererseits veranlaßt sahen, das Gewicht der Exekutive in Gestalt der Regierung zu verstärken. Wir haben in dem Artikel 124 b76) ausdrücklich die Vorschrih eingebaut: „Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung". Das ist eine Bestimmung, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, den Ausgabewünschen der Parlamente einen Riegel vorzuschieben mit Rücksicht

auf die außerordentlich angespannte finanzielle Lage, die sich so bald nicht ändern wird. Ebenso darf ich hierbei auf die Bestimmung der Reichsabgabenordnung Bezug nehmen, wonach im Kabinett Ausgabebeschlüsse, die über den Etat hinausgehen, nicht gegen den Willen des Finanzministers gefaßt werden dürfen, es sei denn, daß der Ministerpräsident sich ausdrücklich gegen ihn stellt. Wir sehen hier sehr deutlich, daß die Bundesregierung, also die Exekutive, ein stärkeres Gewicht in den finanziellen Entscheidungen erhalten soll und muß. Um so mehr müssen wir auf der anderen Seite verlangen, daß die Länderregierungen auf der Bundesebene mit dem ihnen gebührenden Gewicht eingeschaltet werden. Wenn man konsequent ist, muß man sich zu diesem Standpunkt bekennen. Es ist nun sehr eingehend auch schon die Frage behandelt worden, ob wir der Landesfinanzverwaltung oder der bundeseigenen Finanzverwaltung den Vorzug geben sollen. In dem Entwurf von Herrenchiemsee hat man zwischen zwei Arten der Landesverwaltung unterschieden, nämlich der Landesverwaltung in eigener Zuständigkeit und der Landesverwaltung nach Weisung des Bundes. So wie es nach unseren Vorschlägen in dem Artikel 123 des Entwurfs77) niedergelegt ist, wird die von uns gewünschte Landesfinanzverwaltung nach Weisung des Bundes noch wesentlich weiter in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt sein, als es in dem Herrenchiemseer Entwurf vorgesehen war. Es bietet sich so die Voraussetzung, daß die vorgeschlagene Landesfinanzverwaltung die ihr gestellten Aufgaben voll und ganz erfüllen kann. Es wird immer davon gesprochen, daß die Kostenfrage für die Beurteilung der Entscheidung eine wesentliche Rolle spielen wird. Aber die Kostenhage das haben die Vernehmungen der Sachverständigen ergeben ist deshalb nicht entscheidend, weil durch eine Kombination der engeren Finanzverwaltung mit der Landesverwaltung der Finanzen sich Einsparungsmöglichkeiten ergeben, die die auf der anderen Seite etwa sich ergebenden höheren Ausgaben ausgleichen werden, wobei die etwa entstehenden höheren Ausgaben ferner auch dadurch weiter ausgeglichen werden, daß sich andererseits auf der Bundesebene Einsparungsmöglichkeiten durch die Zusammenfassung in der Länderebene ergeben. Also ist die Kostenhage nicht von entscheidender Bedeutung. -

-

76) Ebenda. 77) Ebenda. 271

Nr. 7 Die

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Frage der Schlagkraft der Verwaltung hat ebenfalls keine entscheidende

denn nach den Ausführungen der Sachverständigen insbesondere Hartmann78) auf eine Frage von mir hierzu geantwortet ist nicht anzunehmen, daß die Schlagkraft der Verwaltung durch eine ländereigene Finanzverwaltung nach Weisung des Bundes beeinträchtigt werden könnte. Was nun die Frage der Koordinierung betrifh, auf die Herr Dr. Höpker Aschoff einging, so muß ich aus meinen Erfahrungen sagen, daß ich mit der Koordinierung nur die besten Erfahrungen gemacht habe. Wir haben auf dem Gebiete der Arbeitsverwaltung bekanntlich keine bizonale Spitze gehabt, auch keine anerkennenswerte Spitze in der Zone, und haben deshalb die ganzen und doch gewiß sehr entscheidend wichtigen Probleme im Zuge der Koordinierung lösen und ausgleichen müssen. Wir haben mit dieser Koordinierung die besten Erfahrungen gemacht. Es hat sich immer wieder gezeigt, daß eine Zusammenarbeit auch der aus den verschiedensten Parteien stammenden und die verschiedensten Länderinteressen vertretenden Minister sachlich ausgezeichnet funktioniert hat. Ich bin also aus dieser Erfahrung doch der Auffassung, daß zwischen verständigen Menschen, selbst wenn sie aus den verschiedensten Gegenden und Parteien stammen, sich bei der Lösung sachlicher Aufgaben und gerade die außerordentlich sachliche Probleme ohne sind weiteres eine ja Finanzhagen klare und einfache, schnell durchzuführende Koordinierung erreichen läßt. Wir müssen feststellen, daß die süddeutschen Erfahrungen mit der landeseigenen Finanzverwaltung durchaus erfreuliche sind und daß man nicht sagen kann, daß die Erfahrungen dieser Länder in den letzten drei Jahren gegen die

Bedeutung,

hat Herr Dr.

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Landesfinanzverwaltung sprechen. Man hat ferner eingewendet, daß das Problem der Bundesexekution bei der Lösung dieser Fragen eine Rolle spielen könnte, nämlich insofern als bei einer bundeseigenen Finanzverwaltung seitens des Bundes sehr viel leichter die Möglichkeiten gegeben sind, die Länder an die Hand zu nehmen. Ich möchte sagen, daß diese bundeseigene Finanzverwaltung damit also die Gefahr in sich birgt, die Länder an die Kette zu legen. Menschen, die sich bei der Errichtung eines Bundes in erster Linie immer mit dem Gedanken der Bundesexekution beschäftigen und nach Lösungen suchen, wie man eine Bundesexekution ausüben könnte, das sind Menschen, die den Bund im Grunde gar nicht wollen;

(Zustimmung)

denn eine Bundesexekution ist immer der Selbstmord des Bundes. Deshalb möchte ich mich gerade aus diesem Grunde nochmals dafür einsetzen, daß man den Ländern gibt, was den Ländern zukommt, also eine klare Mitwirkung durch ländereigene Organe auf der Bundesebene ermöglicht bei der Finanzgesetzgebung und bei der Bewilligung der von den Bundesministern zu erlassenden Rechts- und allgemeinen Verwaltungsvorschriften in Ausführung der Bundesgesetze, und daß man zum andern ihre Beteiligung bei der Verwaltung dadurch sichert, daß man eine Landesfinanzverwaltung nach Weisung des Bundes schafh. Dann werden Sie durch enge Verbindung zwischen der Bundesregierung und den Länderregierungen auf dem Gebiet der Finanzen auch das

') Zu Hartmann siehe Anm. 272

42.

Siebente Vertrauen

zu

der

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Finanzverwaltung

len, das jetzt verschwunden (Beifall.)

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und damit die Steuermoral wiederherstel-

ist.

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner. Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, auch zu diesem Punkte etwas zu sagen. Ich war der Ansicht, daß das Grundsätzliche, was wir als Kommunisten zu dieser Sache zu sagen haben, von mir gesagt worden ist, als ich zu der Frage der Bundeskammer und des Senats und des Bundesrates Stellung nahm. Wenn ich

Vizepräs. Schönfelder:

Renner

(KPD):

trotzdem hier von der schönen Gelegenheit Gebrauch mache, etwas zu sagen, dann haben mich die Ausführungen des Herrn Dr. Binder zu der Frage der Besatzungskosten dazu veranlaßt. Welch herrliche Gelegenheit für die CDU79), hier auf dem historischen Boden am Rhein einmal etwas Grundsätzliches zu der Frage der Besatzungskosten und der Besatzung selber zu sagen! Aber aus der von mir erwarteten Fanfare ist eine klägliche Chamade geworden, nehmen Sie mir das nicht übel. Aber ich will Ihnen beweisen, was in mir den Eindruck hervorgerufen hat, daß ihm, dem Herrn Binder, während des Redens sozusagen die Courage ausgegangen ist. Wenn man sich hier hinstellt und der Besatzungsmacht entgegenhält, die Besatzungskosten doch herunterzusetzen, damit man als Finanzminister in seinem eigenen Ländchen Gelegenheit und Argumente habe, seinen eigenen deutschen Leuten die Notwendigkeit von Ersparnissen schmackhah zu machen, dann ist das meines Erachtens keine Argumentation. Besonders wenn man noch einen Schritt weitergeht und auf die Bemerkung des Generals Clay Bezug nimmt, der feststellte, daß es doch wohl für uns zumutbar sei, wenn die USA 80 Dollarcents und die deutschen Länder 20 Dollarcents pro Mann aufbringen. Aber diese Bemerkung als ein Angebot auszulegen und dann die Phrase zu konstruieren: „Auf dieser Basis von 20 Dollarcents pro Mann sind wir sogar bereit, die Kosten für eine ausreichende Besatzung von einer Million Mann amerikanischer Besatzungstruppen zu zahlen", Herr Dr. Binder, das ist ein böser Zungenschlag, der Ihnen da unterlaufen ist. nun

(Zurufe.) Sie müßten sich doch als „deutscher Mann" hierherstellen und zur Frage der Besatzung deutsch reden! Das haben Sie nicht gemacht. Sie haben, als ich Ihnen den Zwischenruf machte: Und Ihre Lösung! (Zuruf: Ich bin nicht Dr. Binder!) Verzeihung, ich habe Sie verwechselt. Als ich also den erwähnten Zwischenruf machte und hier das Wort „Inflation" fiel, kam aus dem Munde des Herrn Dr. Binder die Antwort: „Wir sind für die Herabsetzung der Besatzungskosten." Herr Clay hat übrigens meines Wissens noch einen dritten Punkt berührt. Zeitungsmeldungen80) zufolge soll er gesagt haben: Wenn uns die Besatzungsko-

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79) „Für die CDU" in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 80) Siehe Anm. 73. 273

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sten zu hoch oder untragbar seien, solle man doch die Steuern erhöhen. Haben da die Zeitungen falsch berichtet? Aber nun zu der Frage selber. Wir müßten doch den Wunsch aussprechen und können gar nichts anderes fordern, als daß die Besatzungsmächte möglichst bald den deutschen Boden verlassen. Alle Besatzungsmächte! Daß allerdings von der CDU ein anderer Standpunkt vertreten wird, das wissen wir von den denkwürdigen Erklärungen des Herrn Dr. Konrad Adenauer. Das ist allerdings schon zwei Jahre her, eine Auffassung, die ich in der Zwischenzeit überwunden glaubte, diese Erklärung von Herrn Dr. Adenauer, daß die Besatzung gar nicht lange genug dauern könne. Wörtlich so, vor zwei Jahren war das! Hier mußte hei ausgesprochen werden, daß nicht nur eine Herabsetzung der Besatzungskosten notwendig ist. Hier muß ausgesprochen werden, daß wir möglichst bald einen gerechten Frieden und damit den Abzug aller Besatzungsmächte fordern. (Zurufe: Aber selbstverständlich! Machen Sie mal den Anfang!) Kommen Sie mir heute entgegen? Ich hoffe übrigens, noch Gelegenheit zu haben, Ihnen zu Ihren gestrigen Ausführungen etwas Konkretes zu sagen. Da kommen Sie mir aber heute mit Ihrem Zwischenruf entgegen. Es hat im Sommer des Jahres eine Außenministerkonferenz in Warschau stattgefunden81). Da hat man ein Programm aufgestellt, auf das sich die Minister aller volksdemokratischen82) Länder Ost- und Südosteuropas und der Vertreter der UdSSR geeinigt haben. Darin heißt es: Möglichst baldiger Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland. Möglichst baldige Schaffung einer zentralen deutschen Reichsregierung. Und ein Jahr nach Schaffung dieser Voraussetzungen Abzug aller Besatzungsmächte. Sehen Sie, das ist auch mein Standpunkt: Möglichst schneller Friedensschluß und dann Abzug der Besatzungsmächte, aller Besat-

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zungsmächte! (Zurufe.)

Ich bin gar nicht bange, wir brauchen dabei nichts zu befürchten. (Stürmische Heiterkeit und ironische Zustimmung.) Aber Ihnen wird bei dem Gedanken höllisch unwohl, daß Sie die Besatzungsmächte schnell loswerden könnten. Es wird Ihnen dabei höllisch unwohl, vor allen Dingen auch Ihnen, Herr Abgeordneter Reuter, auch Ihnen! Wo blieben Sie mit Ihren kühnen Reden, wenn nicht hinter Ihnen gewisse Besatzungsmächte ständen! (Lebhafte Zurufe: Aha!) Wo, frage ich! Aber wie gesagt: wir sind der Auffassung, daß sie abziehen sollen, daß sie uns in unserem Deutschland, in unserem deutschen Hause wieder das Hausrecht einräumen sollten. -

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)

) 274

Die Außenminister der Sowjetunion und der Staaten des Ostblocks hatten sich am 23. und 24. Juni 1948 in Warschau getroffen und massiv gegen die Beschlüsse der Londoner Konferenz Stellung genommen. Keesing's Archiv 1948-49, S. 1542. Abdr. der Resolution ebenda. In der Vorlage handschr. korrigiert aus „ostdemokratischen".

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(Zurufe: Euch, euch!] Ich bin darüber hinaus aus folgenden Gründen dieser Auffassung und komme damit zum letzten Satz. Wenn Sie den sehnlichen Wunsch haben, die Besatzungsmächte hier möglichst lange zu halten, dann resultiert das aus der Angst, daß das deutsche Volk, wenn es einmal dazu Gelegenheit hat, direkt mit Ihnen und Ihrer Politik abrechnen wird. (Dr. Schmid: Am letzten Sonntag83)! Reden Sie nicht vom letzten Sonntag, Sie Demokrat! (Große Heiterkeit! Dr. Schmid: Letzten Sonntag!) Sie wissen, daß wir am letzten Sonntag auf sehr ungleicher Plattform gekämph haben. (Dr. Schmid: Warum?) Ich sage nur ein Wort: wenn man in einem Gebiet, wie es das Warum? der Ruhr ist, die beiden entscheidenden Zeitungen unserer an Industriegebiet Partei seit fast Jahreshist systematisch zerschlägt, dann sollten Sie als Journalist und Politiker wissen, was das bedeutet. (Dr. Schmid: Das hat fhnen vielleicht sogar genützt!) Außerdem, mein sehr verehrter Kollege Dr. Carlo Schmid: in der Frage sind noch nicht alle Lieder gesungen, und ich warte ja auf den Augenblick, wenn Sie einmal Ernst machen mit Ihrer Forderung: Verwirklichung des Sozialismus als Tagesaufgabe. (Dr. Schmid: Richtig!) Wenn einmal der Tag kommt, lieber Herr Dr. Carlo Schmid, dann singen wir alle beide hier ein anderes Lied. Aber der Tag kommt bestimmt nicht84), wenn Sie ihn herbeiführen sollen. Dazu sind Sie nicht gewillt. -

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(Zurufe.)

Sie bestimmt nicht, höchstens wir! Aber nun eine andere Feststellung, um zum Schluß zu kommen: Sie haben Angst, die Besatzungsmächte könnten abziehen, und deswegen spreche ich Ihnen das Recht ab, sich überhaupt über die Höhe der Besatzungskosten aufzuregen. Wenn Sie die Besatzung haben wollen, müssen Sie die Besatzungskosten bejahen. Das tun Sie innerlich auch, und Ihr Gerede ist nur ein Reden an den Dingen vorbei. Warum brauchen Sie die Besatzungsmacht? Weil Sie genau wissen, wie wertvoll die Besatzungsmacht für Sie ist. Das ist doch ihre Funktion, als Schutzwall zwischen den Linien zu stehen85), zwischen der deutschen Arbeiterklasse und den fortschrittlichen demokratischen Krähen und der deutschen Reaktion, um nicht deutlicher zu werden, da wir ja in einer Kolonie leben. Ein Problem zum Beispiel, Herr Dr. Carlo Schmid. Wie wäre das spielend zu lösen! Ich denke an das Problem der Sozialisierung des Bergbaus, die die -

13) Schmid spielte ,4) 15)

hier auf die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen vom 17. Okt. 1948 an, bei denen die KPD nur noch 7,6 % erhalten hatte gegenüber 14 % bei den Wahlen des Jahres 1947. Der Rest des Satzes handschr. hinzugefügt. Von „zwischen ..." bis „deutschen Reaktion" in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 275

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westdeutsche Arbeiterschah fordert86). Wie leicht wäre das zu lösen, wenn wir nicht eine Besatzungsmacht hätten, wenn wir nicht die Erklärungen aus dem Munde des Herrn Generals Clay hätten87), daß der Landtag von NordrheinWestfalen für die Sozialisierung des Bergbaues unzuständig ist, und wenn man nicht noch seine letzte Erklärung mit auf den Weg bekommen hätte, daß nunmehr der Investition ausländischen Kapitals in unserer deutschen Industrie Tür und Tor geöffnet ist. Das sind die Argumente, die Sie bewegen88), wenn Sie nach der Besatzung schreien. Folglich können Sie höchstens um eine Senkung der Besatzungskosten bitten. (Zuruf: Das ist schon etwas.) Ja, das ist schon etwas, da gebe ich Ihnen recht. Das ist die Politik, die Sie immer treiben. Es ist schon etwas. Eine Scheibe trockenes Brot, nicht wahr, das ist schon etwas, das ist ja in Ihrem Sinne. (Dr. Schmid: Das ist schon besser, als wenn es einem die Russen wegnehmen, Herr Renner, das wissen Sie.) Ich bin in der Beziehung der bescheidenen Meinung, daß ein deutscher Mann in diesem Hause, wenn er sich darauf beruh, daß er vom Vertrauen des Volkes getragen wird, aussprechen müßte: Bitte, Besatzungsmächte, gebt uns Frieden und zieht möglichst bald in euer Land heim! Das sollte ein Deutscher sagen. Ziehen Sie die Konsequenzen, wie ich Sie als „Deutscher" beurteile. Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel. Frau Wessel (Z): Meine Damen und Herren! Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen. Man kann nach den Ausführungen meiner Vorredner, die die Bundesfinanzverwaltung und die Finanzhoheit des Bundes ablehnten, durchaus verschiedener Meinung zu diesen Fragen sein. Aber wir wollen doch einmal daran denken, in welchen Notverhältnissen wir uns heute befinden. Deshalb schließt sich das Zentrum jenen Auffassungen an, die die Bundeshoheit und die Bundesverwaltung der Finanzen verlangen. Wir befinden uns heute in derselben Situation, in der sich Matthias Erzberger89) 1919 befunden hat. Sein Finanzwerk ist tatsächlich, wie es Kollege Dr. Höpker Aschoff ausgedrückt hat, ein Werk der Klugheit gewesen. Sein Werk war die beste Klammer für das so schwer am Boden liegende deutsche Reich. Alle seine Kritiker hatten es später leicht, über ihn herzufallen; denn sie berücksichtigten nicht die Notlage des Volkes, um dessentwillen Erzberger sein Finanzwerk so und nicht anders geschaffen hatte. Wenn wir uns heute in einer ähnlichen Situation befinden, wenn wir auch um den zu schaffenden deutschen Bundesstaat eine Klammer legen müssen, so wird es auch uns nicht erspart bleiben, daß man uns später kritisiert. Wir schaffen heute keine ewigen Gesetze und keine ewigen Regelungen, und wenn spätere Generationen sich -

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86) Zur Sozialisierungsfrage in Nordrhein-Westfalen siehe Dok. Nr. 3, Anm. 123. 87) Clay hatte mehrfach argumentiert, die Ruhrindustrie gehöre dem ganzen deutschen Volke und eine Sozialisierung könne daher nicht vom Landtag Nordrhein-Westfalens entschieden werden. Zum Kontext Krieger: General Lucius D. Clay, S. 294 f. 88) In der Vorlage „wenn Sie nach der Besatzung schreien" handschr. hinzugefügt. 89) Zu Erzberger siehe Dok. Nr. 3, Anm. 69. 276

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nicht mehr in solchen Notverhältnissen befinden wie wir, dann können sie etwas anderes und ihrer Meinung nach Besseres schaffen. Wir können uns heute nicht den Tatsachen verschließen, wie sie Herr Dr. Höpker Aschoff an den Tag gelegt hat, angesichts der gewaltigen Aufgaben, die dem Bunde infolge der Kriegslasten, an Besatzungskosten, an Kosten für den Lastenausgleich und mit den sehr hohen Ausgaben für soziale Aufgaben auferlegt sind. Wir halten ferner aus den hier angeführten Gründen auch die Bundesfinanzverwaltung für notwendig und die Auhragsregelung durch die Länder nicht für ausreichend. Dabei sind für uns auch jene Gesichtspunkte maßgebend, die für eine gleichmäßige Veranlagung der großen Vermögen für den kommenden Lastenausgleich in Betracht kommen. Man wird diese Aufgabe nicht in die Hände der elf Länder legen können. Auch das ist uns angesichts unserer Notverhältnisse klar geworden, daß wir uns nicht den Luxus leisten können, die Verwaltungen weiter auszubauen, und von dieser Situation ausgehen müssen.

aber besonders ankommt, ist, daß die Länder einen gesetzlichen ihre Steuern erhalten und daß dabei ein Ausgleich zwischen den Anspruch auf schwachen und starken Ländern erfolgt, daß ferner die Länder bei der Beratung der Ausführungsverordnungen eingeschaltet werden. Wir wünschen nicht, daß die Länder Kostgänger des Bundes werden; aber ebensowenig wünschen wir, daß die Kommunen Kostgänger der Länder werden. Daher unterstützen wir die Wünsche, die von den Vertretern des Städtetags und der Gemeinden ausgesprochen worden sind, daß auch die Kommunen bestimmte Steuern zugewiesen bekommen. Wenn wir uns somit aus den gegebenen Notverhältnissen heraus für die Finanzhoheit des Bundes und für die Bundesfinanzverwaltung entscheiden, so sind wir uns darüber klar, daß dabei manche Wünsche der Länder nicht erfüllt werden können. Um ihnen aber im Bereich des Bundes einen entsprechenden Ausgleich zu bieten, sind wir, wie bereits die Herren Brockmann und Dr. Seebohm dargelegt haben, für das Bundesratsprinzip bei der Gestaltung der Länderkammer. Aus den gleichen Gründen erscheint es uns dringend notwendig, den Ländern eine echte bundesstaatliche Vertretung zu geben, damit sie ihre Wünsche hinsichtlich der eigenen Finanzen durchsetzen können. (Bravo! beim Zentrum.) Vizepräs. Schönfelder: Meine Damen und Herren! Damit ist dieser Gegenstand der Tagesordnung erledigt. Ich habe bereits gestern abend darauf hingewiesen, daß ein Antrag vorliegt, auch das Wahlverfahren auf die Tagesordnung zu setzen. Ich stelle die Frage, ob das Haus damit einverstanden ist. Widerspruch erfolgt nicht: ich nehme daher an, daß der Rat damit einverstanden ist, wenn wir in der Sitzung heute nachmittag über das Wahlverfahren sprechen. Ich nehme an, der Rat hat den Wunsch, nunmehr in die Mittagspause einzutreEs ist so ten. Ich schlage daher vor, daß wir uns bis 15 Uhr vertagen. beschlossen. Ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um 13 Uhr 4 Minuten unterbrochen. Worauf

es uns

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Sitzung des Plenums 21. Oktober 1948 [4. AUSSPRACHE ÜBER DAS WAHLRECHT]

Sitzung wird um 15 Uhr 7 Minuten durch den Vizepräsidenten Schönfelder wieder eröffnet. Vizepräs. Schönfelder: Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir kommen zum letzten Punkt der Tagesordnung: Das Wahlrecht. Ich frage, ob unter den Rednern eine Verabredung über die Reihenfolge besprochen worden ist. Wenn nicht, dann würden wir einfach wieder nach dem alten Die

Turnus

gehen.

(Zuruf: Nach dem Turnus!) Es herrscht Einverständnis darüber, daß wir nach dem Turnus gehen. Dann hat zunächst der Redner der SPD das Wort, Herr Abgeordneter Dr. -

Diederichs. Dr. Diederichs (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist wahrscheinlich symbolisch und kein Zufall, daß als Appendix zu unserer Tagesordnung, wobei man das Wort Appendix nicht unbedingt mit Wurmfortsatz zu übersetzen braucht, die Wahlrechtshage behandelt wird. Denn im Grunde genommen ist das Wahlrecht kein unmittelbarer Bestandteil des Grundgesetzes, das wir hier schaffen wollen. Wie wesentlich aber die Behandlung dieser Frage des Wahlrechts praktisch ist, geht nicht nur daraus hervor, daß die Verhandlungen, die darüber bisher im Ausschuß gepflogen worden sind90), in der Presse sehr weitgehende Beachtung gefunden haben, sondern auch aus dem, was in Herrenchiemsee vom Verfassungskonvent hierzu gesagt wurde. Der Verfassungskonvent in Herrenchiemsee sagte91): Bei seinen Arbeiten stieß der Verfassungskonvent in verschiedenen Gebieten immer wieder auf die außerordentliche Bedeutung des Wahlrechts. Für eine planmäßige Durchforschung dieses Gebietes hielt er sich aber nicht hir zuständig, da auch nur die Grundzüge eines Wahlgesetzes wohl nicht in ein zu schaffendes Grundgesetz aufzunehmen sind. Unter diesem Aspekt hat sich der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee mit dieser Frage nicht näher befaßt. Der Rat hier war sich aber durchaus darüber klar, daß diese Frage hier behandelt werden müsse, damit in dem Augenblick, da unser Gesetz fertig sein würde, auch die Möglichkeit bestünde, auf Grund eines existenten Wahlrechts die darin geschaffenen Körperschaften nun auch wirklich zu bilden und zu wählen. Infolgedessen hat der Ausschuß, der allerdings insofern in einer etwas unglücklichen Lage gegenüber den anderen Ausschüssen war, als er keine positive Unterlage hatte, auf der er hätte arbeiten können, seine Arbeiten in dem Sinne aufgenommen, daß er Sachverständige der verschiedensten Richtungen um Gutachten über das Wahlrecht gebeten und auf Grund dieser Gutachten die Fragen des Wahlmodus in sehr eingehender Aussprache erörtert hat. Dabei sei voraus-

') Der Wahlrechtsausschuß hatte zu diesem Zeitpunkt neunmal getagt. Der Pari. Rat Bd. 6. ) Der Verfassungskonvent hatte sich trotz dieser Feststellung vielfach mit dem Wahlrecht befaßt. Siehe Der Pari. Rat Bd. 2, passim. 278

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daß sich der Ausschuß von vornherein durchaus darüber einig war, daß in das Grundgesetz selber keine Bestimmung über den Wahlmodus aufgenommen werden sollte. In diesem Grundgesetz sollte bezüglich der Wahl lediglich die Feststellung der allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahl festgelegt werden, dagegen sollte über den Modus nichts gesagt werden. Darüber hinaus war sich der Ausschuß weiterhin darüber klar, daß er mit dem hier zu schaffenden Wahlgesetz ein Wahlgesetz ausschließlich für das erste zusammentretende Parlament auf Grund unseres Grundgesetzes schaffen wollte. Er wollte also grundsätzlich späteren Regelungen dieser Frage in keiner Weise vorgreifen. Da es im Grundgesetz nicht verankert werden soll, wäre sehr vieles ungefährlich, denn es handelt sich dann um ein einfaches Gesetz, das ja jederzeit auf dem Wege einfacher Gesetzgebung bei Bedarf geändert werden könnte. Wie ich schon sagte, lag dem Ausschuß keinerlei Vorlage für ein Wahlgesetz vor. Er hat aber auf Grund seiner Verhandlungen in einer seiner letzten Sitzungen Entscheidungen getroffen, die für die weiteren Verhandlungen und für den definitiven Abschluß dieser Arbeiten von entscheidender Bedeutung sind, vor allen Dingen aber nach meiner Auffassung die Möglichkeit in sich tragen, einen mittleren Weg zu finden, auf dem ein brauchbares Wahlgesetz für das Parlament zustande kommen kann. Zur Abstimmung standen in dieser Sitzung am 15. Oktober92) folgende drei

geschickt,

Fragen: Frage: Wird von dem Ausschuß ein reines relatives Mehrheitswahlrecht englischen Musters, also mit Einmannwahlkreisen mit relativer Mehrheit und mit der Wahl des Kandidaten in einem einzigen Wahigang empfohlen? Diese Regelung hat der Ausschuß mit 5 : 3 Stimmen abgelehnt. Darüber hinaus wurde als zweite Frage gestellt: Wird ein Mehrheitswahlrecht Erste

mit absoluter Mehrheit, das heißt also, falls der erste Wahlgang keine absolute Mehrheit bringt, mit einer Stichwahl gewünscht? Diese Frage wurde einstimmig verneint. Also auch die Freunde des relativen Mehrheitswahlrechts haben die Möglichkeit eines Stichwahlsystems negiert. Die dritte Frage, die zur Debatte stand, war die Form eines reinen Proportionalsystems, also der reinen Listenwahl. Auch dieses System wurde vom Ausschuß

einstimmig abelehnt. Mit diesen drei negativen, das heißt ausschließenden Beschlüssen hat der Ausschuß praktisch nun den Weg für eine Form des Wahlrechts freigemacht, die man als ein modifiziertes Wahlrecht ansprechen könnte. Lassen Sie mich nun kurz schildern, welche Hauptgründe diejenigen zum Ausdruck brachten, die es hier ablehnten, diese Dinge so zu formen. Die Gründe für die Ablehnung des relativen Mehrheitswahlrechts bestanden in erster Linie in dem Wunsch, eine möglichst gerechte, das heißt sachlich möglichst gleichartige Wertung aller abgegebenen Stimmen herbeizuführen. Diejeni-

) Gemeint

war

die

Sitzung des Wahlrechtsausschusses vom 14. Okt. und nicht vom ff.; die Abstimmung protokolliert auf S. 209.

15. Okt. 1948. Der Pari. Rat Bd. 6, S. 208

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gen, die dieses Wahlrecht ablehnten, sind der Auffassung, daß beim relativen Mehrheitswahlrecht eine zu große Anzahl von Stimmen in den Einzelwahlkreisen verloren gehe; ferner bestehe beim Auftreten etwa von vier Bewerbern theoretisch die Möglichkeit, daß ein Bewerber mit 25% der Stimmen plus einer Stimme gegen 75% hinfällig werdende Stimmen gewählt werden kann, und diese Auswahl widerspräche dem Gerechtigkeitsempfinden des Wählers. Wahlmüdigkeit und politische Uninteressiertheit würden dann gerade unter denen besonders deutlich hervortreten, welche wissen, daß sie in dem Wahlkreis, in dem sie wohnen, für ihre Grundauffassungen keinen Boden haben. Als zweiten besonderen Grund für die Ablehnung brachte man auf der Seite der Gegner der relativen Wahl den Einwand, daß die Möglichkeit bestehe, bei den Einerwahlkreisen, also bei recht kleinen Wahlkreisen, sogenannte Lokalgrößen in ein Parlament zu wählen, die in ihrem engen Kreise gute Arbeiter sein mögen, die aber für die Aufgaben, die ein solches Bundesparlament zu lösen hat, nicht unbedingt die Besten zu sein brauchen. Es wurde hier bestritten, daß dieses reine Mehrheitswahlrecht unbedingt zur Wahl des besten Mannes führen müßte. Darüber hinaus war man der Auffassung, die Einstellung, daß der in einem solchen Einerwahlkreis Gewählte nun der Vertreter dieses Bezirkes im Parlament sein sollte, könne zwei negative Seiten haben. Wenn er nämlich von einer relativ schwachen Mehrheit gewählt worden ist, so repräsentiert er ja nur einen sehr geringen Teil dieser Wähler, und es bleibt eine reine Fiktion, daß er der Vertreter dieser Bevölkerung sei. Darüber hinaus aber möge es bezüglich der Arbeit eines Bundesparlaments, das von höherer Ebene höhere Aufgaben staatspolitischer Art zu lösen hat, vermieden werden, daß zu all dem Trennenden, was an sich im deutschen Volke vorhanden ist konfessioneller Art, parteilicher Art, Länder bis hinunter zu den Großstädten usw. -, nun durch allzu weitgehende Aufteilung in allzu kleine Wahlkreise ein weiteres differenzierendes Moment eingebaut werde. Als ein besonderes Argument für dieses relative Mehrheitswahlrecht wird immer gern ins Feld geführt, daß hier eine bessere Mehrheitsgarantie für eine sei. es ist bisher nicht gelungen, irgendJedoch arbeitsfähige Regierung gegeben wie nachzuweisen, daß das mit Sicherheit zu erwarten sei. Wir können bei unserer soziologischen Struktur mit Sicherheit annehmen, daß das Ziel einer solchen Vereinfachung etwa bis zum Zweiparteiensystem hin auf diesem Wege nach unserer Auffassung zweifellos nicht erreichbar ist. Dabei bleibt folgendes zu bedenken. Es wird hierbei immer ohne weiteres vorausgesetzt, daß das Zweiparteiensystem ideal wäre, und man kann durchaus zweifelhaft sein, ob dieses Postulat unbedingt richtig ist. Es wurde besonders von den Herren der Deutschen Wählergesellschaft93}, die auch bei uns zu Gaste waren und weitgehend Gelegenheit hatten, ihre Auffassungen bei uns auseinanderzu-

) Die Deutsche Wählergesellschaft, eine Vereinigung unter Leitung von Dr. Dolf Sternberger, vertrat engagiert und publizistisch sehr wirksam den Gedanken des relativen Mehrheitswahlrechtes. Vgl. die einleitenden Worte des Zweiten Vorsitzenden im Rahmen der Anhörung während der 9. Sitzung des Wahlrechtsausschusses. Der Pari. Rat Bd. 6, S. 247; ferner Lange: Wahlrecht, S. 307 ff.

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setzen, darauf hingewiesen, daß die Wähler unter solchem System mehr oder weniger gezwungen seien, sich in den größeren Parteien zu konzentrieren. Mein Hinweis, daß dadurch in diese Parteien eine wesentlich größere Inhomogenität hineinkäme, wurde von Herrn Mommsen94) von der Wählergesellschah durchaus bejaht. Er sagte: Mit diesem Problem mögen sich die Parteien intern abfinden. Wenn man aber auf solche Parteien eine Regierung stützt und dann sagt, eine solche Regierung sei besonders stark fundiert, so glaube ich, daß selbst, wenn sie eine solche Mehrheit hinter sich hat, auf dem Boden einer so inhomogenen Partei mit so starken inneren Spannungen von einer Stärke solcher Regierung kaum die Rede sein kann. Ein weiteres Argument ist der stetige Hinweis darauf, daß das Mehrheitswahlrecht die Persönlichkeit besonders in den Vordergrund rücke und eine besondere Auswahl für den Wähler nach reinen Persönlichkeitsgesichtspunkten garantiere und daß der Wähler in den kleineren Wahlkreisen auf diese Weise einen persönlichen Konnex zu seinem Abgeordneten, zu seinem Kandidaten erhalten könne. Ad 1 wage ich zu bezweifeln, daß in einem Wahlkreis von 150 000 Einwohnern der persönliche Konnex zu dem Gewählten wirklich so eng ist, daß man hierfür alle möglichen Mängel eines solchen Systems, wie ich sie geschildert habe, in Kauf nehmen könnte. Vor allem aber ist hier eins zu erwähnen. Wenn dieses Argument richtig ist, und es treten vier oder fünf Gruppen mit ausgezeichneten Vertretern, mit ausgesuchtem Material an Menschen hier in den Wettbewerb, dann bedeutet das, daß mit einer relativen Mehrheit, möglicherweise einer ganz knappen, von diesen fünf ausgezeichneten Bewerbern vier ausfallen, also ein enormer Verschleiß an wirklich qualifizierten Menschen, die in den Parlamenten positive Arbeit leisten könnten. Aus diesem Grunde, bei aller Anerkennung, daß man das Persönlichkeitsmoment durchaus werten sollte, haben wir denn unsererseits Vorschläge gemacht, die durchaus die Möglichkeit bieten, dieses Persönlichkeitsmoment mit dem Proporz in einer gesunden Kombination zu vereinigen. Vor allen Dingen ist bei dieser Persönlichkeitspräsentation in kleinen Wahlkreisen in den ganzen Verhandlungen trotz mehrfacher Rückfragen meinerseits immer die eine Frage offengeblieben: Wer sind denn die Berufenen, die diese exquisiten Persönlichkeiten als Einzelkandidaten präsentieren? Es hieß dann ganz automatisch: Das werden die Parteien in erster Linie sein, soweit nicht Einzelkandidaten auftreten. Praktisch ist also die Präsentation dieser Persönlichkeiten nicht anders als bei einem Listenwahlrecht, wo auch die Parteien die Persönlichkeiten auswählen und präsentieren, womit ich mich dagegen verwahren möchte, daß ich etwa die Absicht hätte, jetzt für ein Listenwahlrecht zu plädieren. Sie werden hören, daß mein Vorschlag in eine andere Richtung geht. Eines der stärksten Argumente, die von den Freunden des englischen Wahlrechts angeführt werden, ist immer jenes: es garantiere sichere Mehrheiten und damit ein sicheres Funktionieren der parlamentarischen Arbeit. Hier möchte ich hinzuhigen: Abgesehen davon, daß solche sicheren Mehrheiten bei unserer

94)

Konrad Mommsen (1896-1973), nach 1945 Berater von OMGUS, ab 1947 Leiter der Berliner Verbindungsstelle des Länderrates der US-Zone. 281

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Struktur

partei

in

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keineswegs garantiert sind, bin ich überzeugt, daß weder die BayernOberbayern in diesem Falle auf die Herausstellung qualifizierter Kan-

didaten als Einzelkandidaten verzichten würde noch die Niedersächsische Landespartei in den Gegenden, in denen sie glaubt, einen guten Boden zu haben. Sie haben auch in den Gegenden bei der Zusammensetzung der Bevölkerung, besonders bei einem relativen Mehrheitswahlrecht eine Aussicht, gewählt zu werden. Also die Aussicht, hier eine Konzentration auf zwei starke Parteien zu

bekommen, ist keineswegs gegeben.

der Funktion von Parlament und all der Organe, über die in Tagen hier sehr viel gesprochen worden ist, ist Aufgabe des und Grundgesetzes Aufgabe ergänzender Geschähsordnungen und ähnlicher Bekann Sie nicht auf die Einzelentscheidung des Wählers abgewälzt stimmungen. werden; denn diese Funktion muß auch von der Aufgabe her, die jeweils dem Parlament gestellt wird, von denen losgelöst werden, die sich berufen fühlen, als Abgeordnete des Volkes auf dieser politischen Ebene zu arbeiten. Diese Verantwortung kann man nicht dem einzelnen Wähler zuschieben. Weil man das nicht kann, ist aus demselben Grunde zu Punkt 2 die Stichwahl von allen gemeinsam abgelehnt worden, weil keiner wollte, daß nach einem ersten Wahlder einen, der nun nicht mehr an den gang nun zum zweiten der Wähler Drücker kam, gewählt hatte von sich aus entscheiden sollte; Welches von den beiden anderen Übeln halte ich für das geringere und wo gebe ich die Entscheidung, daß einer von den beiden, die ich im ersten Wahlgang beide nicht gewählt habe, zum Ziel kommen soll? Aus diesem Grunde wurde auch das Die

Sicherung

diesen beiden

-

-

Stichwahlsystem negiert. dritte, was abgelehnt wurde,

war, wie ich schon sagte, die reine Listenwahl. Die ist auch von denen, die im Grunde genommen Freunde des Verhältniswahlrechtes sind, abgelehnt worden, weil wir wünschen, daß der Wähler wirklich einen Einfluß auf die Auswahl der Persönlichkeiten hat, und weil wir ihn nicht vor eine feste, auch in ihrer Reihenfolge fixierte Liste mit der Entscheidung: Vogel friß oder stirb! stellen wollen, sondern weil wir dem Wähler wirklich Gelegenheit geben wollen, Personen zu wählen. Weiterhin ist entscheidend dafür gewesen, dieses starre Listensystem abzulehnen, weil mit dem starren Listensystem von jeher ein schweres Mißtrauen gegen die Parteiorganisationen und ihren Apparat großgezogen worden ist, weil immer sehr viele draußen argumentiert haben: auf die Aufstellung dieser Listen haben wir gar keinen Einfluß. Sie könnten ihn haben, wenn sie aktiv in den Parteien tätig wären. Aber es hat, wie gesagt, dazu geführt, daß der Kampf um die Stellen auf den Listen und ähnliches mehr Mißtrauen bei den Wählern, vor allen Dingen bei jenen erweckt hat, die in jedem Wahlkampf erneut gewonnen werden müssen, die also nicht aktiv politisch und parteilich tätig sind. Ein solches Mißtrauen zu beseitigen, kann nur in unserem Interesse liegen. Nur auf diese Weise können wir Sympathien für die Demokratie erwecken. Lassen Sie mich nun kurz schildern, nachdem diese beiden extremen Pole des Wahlrechts abgelehnt waren, welchen Vorschlag ich meinerseits im Einverständnis mit der Fraktion dem Wahlrechtsausschuß präsentiert habe. Unser Vorschlag ging dahin, eine Personenwahl mit dem Verhältniswahlrecht zu kom-

Das

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binieren. Dabei war der oberste Gesichtspunkt, möglichst wenig Stimmen in Verlust geraten zu lassen. Da eine unmittelbare Demokratie in so großen Staaten, wie wir sie heute haben, praktisch nicht mehr möglich ist, müssen wir also zu einer repräsentativen Demokratie, zu einer parlamentarischen Demokratie kommen, und wenn ein solches Parlament die Volksmeinung repräsentieren soll, dann muß es auch in seiner Zusammensetzung ungefähr der Struktur des Volkes entsprechen. Da die Form, in der sich das Volk politisch organisiert, jedoch die Form der Parteien ist, so waren wir der Auffassung, daß auch diese Parteien ungefähr im Rahmen ihrer Bedeutung im Parlament vertreten sein sollten. Darüber hinaus waren wir weiter der Auffassung, wie ich schon vorher sagte, daß zu kleine Wahlkreise nicht im Sinne des Zieles liegen, das mit der Wahl eines Zentralparlamentes beabsichtigt ist. Ideal wäre es, wenn man ein Bundesparlament konstruieren will, daß man im gesamten Bund einheitlich gemeinsam wählen würde. Das ist aus technischen und anderen Gründen praktisch nicht möglich. So stehen wir vor der Notwendigkeit, das Wahlgebiet in Wahlkreise einzuteilen. Wir sind der Auffassung, daß man es nicht weiter stückeln sollte, als für diesen technischen Zweck unbedingt notwendig wäre. Deshalb ging mein Vorschlag dahin, das gesamte Bundesgebiet in Wahlkreise einzuteilen, die das entspräche ungefähr 7 bis 1-1,25 Millionen Einwohner haben 900 000 Wählern -, und daß in einem solchen Wahlkreis sechs direkte Kandidaten gewählt und im Ausgleich zur Verwertung von anfallenden Reststimmen für jeden Wahlkreis auf einer Bundesliste noch zwei weitere Sitze zugeteilt werden sollten. Das bedeutet einen unbedingten Schutz und eine Beteiligung wirklich echter und beachtlicher Minderheiten. Es bedeutet auf der anderen Seite, daß wilde Kandidaten und ähnliche verhältnismäßig geringe Aussicht haben, in ein solches Parlament einzuziehen. Die wirkliche Chance aber, daß Persönlichkeiten, von welcher Partei sie auch vorgeschlagen werden, auch wirklich in das Parlament einziehen, ist bei dieser Struktur weitestgehend gesichert; denn bei einem so großen Wahlkreis von über 1 Million Einwohnern ist ein Ausgleich innerhalb des Wahlkreises so weitgehend möglich, daß auch Parteien, die nur die Hälfte oder ein gutes Drittel der Stimmen aufbringen, die die stärkste in diesem Wahlkreis hat, bei der Verteilung von sechs Sitzen noch Berücksichtigung finden und auf diese Weise auch ihre guten Persönlichkeiten in das Parlament hineinschicken. Die Persönlichkeitswahl für den Wähler wird dadurch garantiert, daß wir dem Wähler mehr als eine Stimme geben, nämlich entweder die volle Zahl der in das wären 6 Stimmen seinem Wahlkreis zu Wählenden oder, darüber könnte man sich einigen, wenn man es nicht für nötig hält, vielleicht auch nur die Hälhe, das heißt 3 Stimmen. Auf jeden Fall hätten die Wähler mit dem Mehrstimmenwahlrecht auf dem Wahlvorschlag, auf dem die verschiedenen politischen Gruppen ihre Persönlichkeiten präsentieren, innerhalb dieser Wahlentweder eines einzelnen, wenn sie sich parteilich gebunden vorschläge oder auch in verschiedenen Wahlvorschlägen, wenn sie sich parteilich fühlen, nicht gebunden fühlen und besonders prägnante Menschen wählen wollen mit den verschiedenen Stimmen diejenigen zu bezeichnen, die sie ins Parla-

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-

-

-

283

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wählen wollen. Es würden dann zum Schluß des Wahlaktes die auf jeden Wahlvorschlag entfallenden Stimmen addiert und nach der Stärke der für jeden Wahlvorschlag abgegebenen Stimmen nach dem Verfahren von d'Hondt95) diese Mandate verteilt, und innerhalb der Wahlvorschläge, die ja offene Listen mit der Präsentation von Personen bedeuten, bekommen die Mandate die Persönlichkeiten, denen der Wähler mit den meisten Stimmen des Votum gegeben hat. Darüber hinaus hat dieses Wahlsystem den Vorzug, daß Nachwahlen bei einem solchen Wahlsystem überflüssig werden; denn es liegen ja über diejenigen hinaus, die auf diese Weise ins Parlament eingezogen sind, für weitere Kandidaten die Stimmen der Bevölkerung vor. Beim Ausscheiden eines Kandidaten braucht man in einem solchen Fall von dem Wahlvorschlag, dem der Ausscheidende angehört hat, nur den mit der nächst hohen Stimmenzahl in das Parlament einrücken zu lassen. Es rückt ja auch kein Anonymer ein, sondern jemand, der in der Wahl draußen vor der Bevölkerung gestanden und seine Auffassungen und Ideen dort propagiert hat. Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein Wort zur Frage des Kumulierens sagen. Auch diese Frage ist berührt worden. Sie ist zu keinem Abschluß gekommen, ist im Ausschuß noch nicht entschieden. Die Frage ist also praktisch offen, ob man mit diesem Mehrstimmenwahlrecht auch das Kumulieren, das heißt das Häufeln der Stimmen auf Einzelkandidaten, um das Persönliche vielleicht noch deutlicher zu unterstreichen, gestatten will oder nicht. Ich möchte diese Frage an dieser Stelle, da sie in der Schwebe ist, auch nicht nach dieser oder jener Richtung hin beantworten. Meine Damen und Herren! Damit bin ich am Schluß meiner Ausführungen. Ich hoffe, Sie haben daraus entnommen, welche triftigen Gründe für uns maßgebend waren, uns für ein manipuliertes Verhältniswahlrecht einzusetzen. Ich habe die Zuversicht, daß wir bei den weiteren Arbeiten zur Formulierung eines Wahlrechts kommen können, daß diesen Wünschen entfernt von allen radikalen Lösungen nach der einen oder anderen Seite gerecht wird und uns ein Parlament bringt, das, wenn unser Verfassungsrecht gut wird, auch arbeitsfähig sein wird. ment

(Beifall.) Das Wort hat der Redner der CDU/CSU, Herr Dr. Kroll. Dr. Kroll (CSU): Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Wenn die CDU die Wahlrechtsfrage mit als einen Punkt der Tagesordnung dieser Plenarsitzung vorgeschlagen hat, so hat sie es getan, weil die Wahlrechtsfrage im Laufe der letzten Jahre als eine politische Frage erkannt worden ist und nicht als eine bloß formal-technische Angelegenheit96). Solange man über das Wahlrecht vom technischen Standpunkt spricht, kann man die Meinung vertreten, das sei ein Anhängsel, das uninteressant ist. Es gibt verschiedene Modifikationen, man

Vizepräs. Schönfelder:

') ') 284

Zum d'Hondtschen Verfahren siehe Anm. 26. Zur Entwicklung des Meinungsbildes in der CDU/CSU siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. 267. Ferner Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, passim.

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kann es so, man kann es anders machen; das berührt das Wesen der Demokratie nicht. Solange man diesen Standpunkt vertritt, wird das Interesse der Öffentlichkeit für das Wahlrecht selbstverständlich gering sein. Es bleibt auf einen Kreis von Fachleuten beschränkt. Die Tatsache, daß in letzter Zeit die Öffentlichkeit, die Presse, selbst eine neutrale Wählergesellschah97) sich mit den Fragen des Wahlrechts beschäftigt haben, hat tiefere Gründe. Mein Vorredner, der verehrte Herr Dr. Diederichs, Vertreter der SPD, hat dies ja auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Er hat sich nicht mit allen möglichen technischen des hat die er nicht zahllosen Wahlrechts Fragen beschähigt, Kombinationsmöglichkeiten, die das Wahlrecht bietet, etwa vorgetragen, sondern er hat in einer sehr klaren und deutlichen Stellungnahme im Grunde zwei Standpunkte einander gegenübergestellt, das englische Mehrheitswahhecht, relatives Mehrheitswahlrecht genannt, und man kann sagen, sämtliche übrigen Formen. Dieses Interesse der Öffentlichkeit an der Frage des Wahlrechts ist dadurch entstanden, wenn man es einmal populär ausdrücken will, daß man vielleicht vom Standpunkt einer tieferen Analyse etwas oberflächlich vorgehend sich gefragt hat: wie schaut es denn eigentlich mit der Demokratie aus? Wir machen immer wieder eine merkwürdige Feststellung, und die ist so, daß wir zwei völlig voneinander abweichende Systeme demokratischen Stils und demokratischen Lebens besitzen. Wir besitzen das angelsächsische System der Demokratie mit dem eingespielten Zweiparteiensystem, das zwar auch mehr Parteien kennt, aber doch immer wieder um zwei große Gruppen herum tendiert, wobei es nicht ausgeschlossen ist, daß eine Partei völlig verdrängt wird, wie die Liberale Partei in England, und heute durch die starke und intensive Labour Party ersetzt wird; aber es ist ein Zweiparteiensystem, ein System, das funktioniert. Warum es funktioniert, davon wird noch die Rede sein. Auf der anderen Seite erleben wir demokratische Versuche in Deutschland, auf dem ganzen europäischen Kontinent, in Frankreich, in Italien und wo auch immer, wo sich ganz merkwürdige Erscheinungen zeigen. Die Demokratie ist schwächlich, die Demokratie ist in sich kraftlos. Die Meinungen sind zersplittert, eine Unzahl von Parteien ist vorhanden, die sich manchmal einigen, vielleicht um so rascher, je größer die äußere Not und der Druck sind, und die um so rascher wieder auseinanderfallen, wenn diese Dinge nicht mehr auf sie einwirken, mit anderen Worten eine Demokratie, die so ist, wie man sie lieber nicht sehen möchte. Ich habe es einmal in einer Versammlung so formuliert: Die zwei Demokratien unterscheiden sich so wie das Schloß am Meer vom Schloß an der Tür; im Grunde haben sie überhaupt nichts miteinander zu tun. Das mag überspitzt sein, aber Sie werden sehen, daß es einen Kern der Sache schon trifft Nun ist man den Dingen gewissermaßen wie in einer Art Populärphilosophie nachgegangen und hat gefragt: Wie kommt es denn zu dem Zweiparteiensystem in den angelsächsischen Ländern, und woher kommt die Vielzahl der Parteien in den anderen Ländern, die immer wieder das Charakteristikum haben, daß verschiedene Parteien sich zusammenfinden müssen, um eine Mehrheit im Parlament zu bilden, weil eine Partei es nicht schafh, weil sie nicht stark

')

Siehe Anm. 93. 285

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genug ist, und die darum alle zusammen in sich schwächer sind als im Zweiparteiensystem? Denn Koalitionen sind bekanntlich nichts Starkes, sondern etwas Schwaches, wenn man sie auch nicht verachten darf, denn auch das englische Volk geht in der größten Not Koalitionen ein. Sie haben ihren Sinn, nur sind sie nicht, ich möchte sagen, die permanente Lösung der Demokratie, sondern sie sind für Notzeiten geeignet. Beim Untersuchen dieses Zustandes und beim Bekennen der Tatsache, daß das angelsächsische System der Demokratie letzten Endes auf dem Zweiparteiensystem beruht, stößt man immer wieder auf den Kardinalunterschied des Wahlrechts. Es werden manchmal die folgenden Fragen gestellt: Am Ende haben die Angelsachsen eine so lange und hohe Tradition der Demokratie, daß sie sich zum Zweiparteiensystem durchgerungen haben, und am Ende ist der Kontinent vielleicht gar nicht geeignet, ein solches Gebilde zu bauen. Sicher ist eines: die kontinentale Demokratie ist schon einmal zerbrochen, und zwar in einer nicht sehr schönen Form, während die Demokratie der Angelsachsen noch heute besteht und in sich so lebensfähig ist, daß sie Aussicht hat, recht lange zu

bestehen.

(Dr. Diederichs: Das können Sie doch nicht auf das Wahlrecht zurückführen!) Herr Dr. Diederichs, die Beweisführung müssen Sie mir überlassen. Ich

komme -

gleich

darauf

sprechen. es glauben, liegt an uns.) jemandem meine Meinung aufgezwungen,

zu

(Dr. Diederichs: Ob wir

Ich habe noch nie und Überzeugung zu haben oder zu gewinnen, ist Sache des Parlaments und des parlamentarischen Diskutierens. Sie brauchen die nicht zu haben, aber Sie wissen sehr genau, daß sehr viele in Deutschland, die nicht parteigebunden sind, heute diese Überzeugung haben. Sonst wäre der Aufmarsch der Wählergesellschah vor dem Ausschuß98) nicht erfolgt. Die Frage, die sich nun hieran knüpft, ist diese: Was hat das unterschiedliche Wahlrecht für eine Bedeutung? Die Bedeutung und damit muß ich jetzt gegen das Mehrheitswahlrecht Stellung nehmen liegt zunächst einmal darin, daß dieses Wahlrecht sich von dem modifizierten Verhältniswahlrecht sehr grundsätzlich unterscheidet. Der Unterschied ist schon deutlich herausgehoben worden. Das englische Mehrheitswahlrecht ist so gebaut, daß in den einzelnen Wahlkreisen eine Person gewählt wird. Ich sage nicht: Persönlichkeit. Persönlichkeiten können durch das eine oder das andere System gewählt werden, vielleicht sogar durch das Listenwahlsystem am sichersten. Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, zu sagen, daß Persönlichkeiten ein besonderes Indiz dieses Wahlrechts sind. Eine Person wird gewählt, und das ist das Entscheidende. Diejenige Person ist gewählt, und nur sie allein, auf die die meisten Stimmen im Wahlkreis abgegeben werden. Die übrigen, die dieses Ziel nicht erreicht haben, die nicht durch das Rennen gegangen sind, müssen bedauerlicherweise ausscheiden. Diese Ungerechtigkeit ist vom Standpunkt der Repräsentanz der Stimmen ganz offen zuzugestehen. Dieser Nachteil muß klar ausgesprochen -

Überzeugung

-

-

) 286

Neunte

Sitzung des Wahlrechtsausschusses.

Der Pari. Rat Bd. 6, S. 247 ff.

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werden. Aber er erweist sich bei näherem Durchdenken als ein Vorteil. Ob er gerecht ist, das wird gesondert zu untersuchen sein. Die Tatsache nämlich, daß nur einer in einem Wahlkreis Abgeordneter werden kann, macht es nicht möglich oder nicht wahrscheinlich, daß sich noch fünf weitere bewerben. Die Vorstellung des Herrn Dr. Diederichs, daß lokale Persönlichkeiten hier zu üppig ins Kraut schießen könnten, haben sich zunächst historisch in England als absolut nicht wahr erwiesen. (Dr. Diederichs: In England!) Wir haben ja noch kein Mehrheitswahlrecht, Herr Dr. Diederichs. Wir müßten es erst einmal versuchen. (Dr. Diederichs: Wir haben es gehabt.) Nein, wir haben etwas ganz anderes gehabt, wir haben ein Wahlrecht mit Stichwahl gehabt. Das ist schlechter als das Verhältniswahlrecht der Weimarer Zeit. Darauf wird noch zurückzukommen sein.

-

-

(Zuruf.) Bitte, lassen Sie mich doch ausreden, Sie können auch reden. (Dr. Grève: Sie haben Angst vor einem Zuruf!) Nein, ich kann keine Diskussion mit jedem einzelnen führen. Ich bin gern bereit, auf Zwischenrufe einzugehen, Herr Dr. Grève. Solche Angst habe ich gar -

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nicht. Ich glaube, ich sehe nicht so ängstlich aus. Ich sagte, die Tatsache, daß nur ein Kandidat das Rennen macht, macht es für vernünhige Gruppierungen oder Parteien illusorisch, noch fünf oder sechs andere Kandidaten ins Rennen zu schicken. Wir haben Beispiele vom heutigen Mehrheitswahlrecht. Ein Kollege meiner Fraktion hat von Hamburg etwas erzählt, was in dieser Richtung geht. Dort hat man sich in Verkennung der Tatsache, wie das Mehrheitswahlrecht wirkt, auf drei Kandidaten eingelassen, natürlich mit dem Erfolg, daß zwei Kandidaten ausfielen. Aber man hat begriffen, daß man sich das nächste Mal einigen muß und daß man sich eben nur einen Gegenkandidaten leisten kann. Das ist allein aussichtsreich. Darum kandidieren in der Regel auch beim englischen Mehrheitswahlrecht nie mehr als zwei Kandidaten, allerhöchstens einmal drei Kandidaten, weil die Chancen hir die weiteren Bewerber eben sehr gering sind. Das kann man ablehnen. Man kann sagen, das zwingt rein formal eine Einigung herbei, die wir nicht haben wollen. Ich gebe Ihnen zu, daß man diesen Standpunkt mit gutem Recht vertreten kann. Gewiß, diese Art der Einigung ist in etwa durch die Form erzwungen. Aber sie bedeutet etwas. Wenn wir die heutigen Verhältnisse nehmen, hat Herr Dr. Diederichs, glaube ich, gerade nicht recht, wenn er sagt, es sei nicht garantiert, daß es in Deutschland zum Zweiparteiensystem führen würde. Geben wir uns doch einmal einen Überblick über die Wahlergebnisse der letzten Zeit. Wir werden dann beobachten, daß eigentlich mit einer gewissen Periodizität jeweils die eine von den beiden großen Parteien in der Regel auch in den Wahlkreisen an der Spitze liegt, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Das Mehrheitswahlrecht würde dahin führen ich gebe es zu -, daß zunächst nur zwei Parteien übrigblieben. Soweit ich unterrichtet bin, ist das auch das wesentliche Ergebnis eines modifizierten Mehrheitswahlrechts in Schleswig-Holstein. Diese Tatsache muß man -

287

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nüchtern akzeptieren. Sie ist an sich der formale Beweis dafür, daß sehr wohl das Mehrheitswahlrecht englischer Prägung zusammenschweißt und zu einer Gruppierung möglichst um das Kernphänomen des Zweiparteiensystems führt. Ich gebe aber zu, daß das für die überzeugten Gegner des Wahlrechts durchaus nicht genügt. Ich will sie auch hier gar nicht überzeugen, ich will ihnen nicht sagen, daß vielleicht aus dieser formalen Einigung eine solche innere Einigung entsteht, daß man sich nachher ohne weiteres verständigt. Ich glaube, dieser Prozeß würde lange dauern. Aber eine Tatsache ist vorhanden: die nicht unbedingt notwendigen Reibungen, die bisweilen nur deshalb entstehen, weil man einer anderen Parteigruppierung angehört, würden sehr rasch verschwinden. Man würde ein Maximum an möglicher Einigung erzielen, wobei sehr richtig Spannungen in das innere Gefüge der Parteien verlagert würden. Nicht bestreiten kann man, daß, formal gesehen, diese Einigung mit der Tendenz zum Zweiparteiensystem zustande käme. Ablehnen kann man sie vor allem mit dem Argument: Wir Deutsche sind so differenziert, wir haben so unterschiedliche Weltanschauungen und Standpunkte, wir lassen uns nicht in eine solche Zwangsjacke stecken, wie sie das englische Mehrheitswahlrecht darstellt. Dieses Argument akzeptiere ich. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, die Dynamik der Geschichte zeigt uns, daß ein Ausmaß an Freiheit, dem man politisch in der Form des Verhältniswahlrechts Ausdruck gibt, sehr rasch im dialektischen Umschlag zum Zerfall dieser Freiheit und zur Geburt der Tyrannis werden kann. Kein anderer und kein geringerer als Piaton90) hat im 10. Buch des „Staates" diesen Vorgang ein für allemal gültig beschrieben, wo er das Hervorgehen der Tyrannis aus der formalen Demokratie mit zwingender Notwendigkeit als einen Exzeß der formalen Freiheit, die sich in der Tyrannis durch die Demagogie überleitend überschlägt, aufzeigt und damit klar macht, daß man so Freiheit im politischen Sinne nicht retten kann, sondern sie dann erst recht der Gefahr der Diktatur nicht der alleinige und nicht aussetzt. Das ist auch einer der Gründe dafür der ausschlaggebende Grund, aber einer der Gründe -, daß die Weimarer Demokratie mit ihrem so sehr gerechten Wahlrecht eine üppige Fülle von kleinen und kleinsten Parteigruppierungen, von vollkommen sinnlosen Zusammenspielmöglichkeiten geschaffen hat, die letzten Endes nicht mehr fähig waren, dem rasanten Angriff der stark werdenden Flügelgruppen von links und rechts zu widerstehen, und die zum Schluß beinahe widerstandslos vor dem Nationalsozialismus kapitulierten. (Renner: Waren es nur die Splittergruppen, die kapituliert haben?) Nein, die Demokratie hat nicht gehalten, Herr Kollege Renner. Das habe ich ja eben gesagt. (Renner: Die Demokratie hat wegen der Splittergruppen nichts getaugt?) Sie hat nichts getaugt, weil sie den Staat nicht aktivieren konnte und nicht fähig war, den Staat so stark zu machen, daß er den antidemokratischen Angriffen standgehalten hätte. -



-

") 288

Piaton siehe Dok. Nr. 8, Anm. 114.

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hier ankommt, ist folgendes. Man kann sagen, daß das Zweiparteiensystem, zu dem man durch dieses Wahlrecht gezwungen wird, eine Vergewaltigung der Freiheit und der Gerechtigkeit darstellt. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich dann nur darüber im klaren sein, daß nach diesem Gesichtspunkt England und Amerika keine Demokratie ist. Ich glaube, die Herren von drüben würden es sich sehr verbeten haben, sie vielleicht als Abart oder Spielart kontinentaler Tyrannis aufgefaßt zu wissen. Tatsächlich führt das Mehrheitswahlrecht zum Zweiparteiensystem und das Zweiparteiensystem zu folgender Konsequenz: Die eine Partei geht in der Regel als Sieger aus dem Wahlkampf hervor. Wenn nur zwei da sind, ist es anders technisch kaum möglich. Sie übernimmt die volle Verantwortung in der Regierung und ist fähig, für vier Jahre oder hir die Dauer des Wahlturnus die Regierung zu stellen und damit Gesetze zu machen und eine starke Regierung wirklich zu ermöglichen. Nur die aktive, starke Demokratie ist wirklich lebensfähig. Ein Gebilde, das aus den verschiedensten Bruchstücken, aus den verschiedensten Parteigruppierungen zusammengeleimt ist, wird sich in der heutigen Notzeit vergeblich gegen die schweren Aufgaben, die gestellt sind, durchzusetzen versuchen. Beim System des Mehrheitswahlrechts und der englischen Demokratie nutzen sich die großen Parteien nicht gleichzeitig ab, während sich beim Verhältniswahlrecht Koalitionen als Zwangsläufigkeiten ergeben und damit eine gesunde Opposition gleichzeitig einer großen Partei gar nicht möglich ist. Die radikalen Gruppen, die die Demokratie ablehnen, erfahren daher den Zuwachs an Unlust aus der Bevölkerung. Die Opposition wächst also immer in die radikalen Flügelgruppen. Sie wächst beim englischen Mehrheitswahlrecht bzw. bei einem solchen System in der Regel der natürlichen Oppositionspartei zu, die als zweite Partei bereit steht, eines Tages selbst die Verantwortung zu übernehmen. Das ist eine gesunde und konstruktive Opposition, weil sie selbst bereit sein muß, ihre Kritik jederzeit in die Tat einer Regierungspraxis umzusetzen. Parteien, die nie in die Verlegenheit kommen, Regierungsverantwortlichkeit zu übernehmen, haben es leicht, zu kritisieren. Ja, sie sind geradezu versucht, die Demokratie in Grund und Boden zu kritisieren und ihr damit den Weg in den Abgrund zu bereiten. Allein die ernste Sorge um diesen Hintergrund des Wahlrechts hat die CDU/CSU-Fraktion bewogen, in einem Mehrheitsbeschluß sich für das englische Mehrheitswahlrecht einzusetzen100). Auch unserer Fraktion wird es nicht leicht, einen solchen Standpunkt einzunehmen. Auch bei uns gibt es sehr viele Bedenken, die die Tatsache einer gewissen Ungerechtigkeit anerkennen, die Sorge haben, ob die Stimmen dann noch gewertet werden usw. Man muß immer wieder auf den dialektischen Prozeß des Geschichtsablaufs in einem aus Mehrheitswahlen hervorgegangenen Regierungsgebilde hinweisen. Die Partei, die heute mit wenigen Stimmen, also mit einer relativen Mehrheit die Verantwortung übernimmt und bei der gewissermaßen zu wenig Träger des Willens in der Stimmung des Volkes dahinterstehen wobei sehr viele Stimmen nach der anderen Seite verloren gehen -, diese Partei muß ebenso abtreten, wenn die

Worauf

es

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10°)

Der Pari. Rat Bd. 6, S. XXIX. 289

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wenig nach der anderen Seite rutscht. Tatsache ist, daß im englischen Politik ein regelmäßiger Turnus zwischen Liberalen und Konservativen stattgefunden hat und wir heute in den Zyklus der Abwechslung zwischen Konservativen und Labour Party hineinzukommen scheinen. (Dr. Grève: Es gibt noch 60 Liberale.) Die aber immer weniger geworden sind. Vielleicht setzen sie sich noch Stimmung

ein klein

Verlauf der

einmal durch. Aber das Wesen der Sache ist doch in dem Sinne, wie ich es geschildert habe; das kann doch kein Mensch bestreiten. Der zunächst in erster Lesung angenommene Beschluß des Wahlrechtsausschusses, vom Mehrheitswahlrecht englischer Prägung abzugehen, ist für mich gleichbedeutend mit einem Verzicht auf aktive und starke Demokratie. Man kann jetzt Sicherungen einbauen, soviel man will zum Beispiel, daß der Ministerpräsident nicht gestürzt werden darf -, man kann dem Ministerpräsidenten ein sogenanntes konstruktives Mißtrauensvotum mit auf den Weg geben. Man hat ja niemanden, der im Ernstfall, wenn eine Koalition geplatzt ist, dem Minister oder der Regierung Gesetze bewilligt. Es ist kein Gremium vorhanden, das geschlossen hinter ihm steht. Wir werden es vermutlich erleben, daß wir uns wieder in einer Zeit allerhöchster Not, die nur mit äußersten Mitteln vermutlich überwunden werden kann, ein staatliches Gefüge leisten, welches so locker und so vielfältig konstruiert ist, daß es vermutlich den starken Stürmen nicht gewachsen sein wird. Was ist dann der Fall? Reichskanzler a.D. Luther101) hat es einmal hier vor dem Wahlrechtsausschuß klargelegt: Dann rettete man sich in der Weimarer Zeit, die lange nicht eine solche Notzeit wie die heutige war, in die Fachkabinette, in die Fachministerien. Mit anderen Worten, die Demokratie dankte ab. Sie dankte schon endgültig ab, als sie nicht mehr in der Lage war, anders als durch die Notverordnungen des Kabinetts Brüning zu regieren. Wir haben die Wahl, ob wir uns für eine gerechte Repräsentanz im Sinne des Verhältniswahlrechts oder für eine aktive oder lebensfähige Demokratie entscheiden wollen. Das ist unser Standpunkt. Ich glaube gern, daß Sie einen anderen Standpunkt haben. Aber ich habe das Gefühl, man hat heute auch draußen begriffen, daß wir ein Wiederaufleben der Weimarer Demokratie unter keinen Umständen gebrauchen können, weil ein nicht lebensfähiges Gebilde wie die Weimarer Demokratie nicht wert ist, noch einmal neu errichtet zu werden. (Dr. Reif: Na, na, so schlimm war sie nicht!) Eine Demokratie, die die Tyrannis so widerstandslos aus sich heraus entläßt, ist nicht wert, noch einmal geschaffen zu werden. Ich wiederhole meine -

-



Behauptung.

(Lebhafte Zurufe.) ) Dr.

der

(1879-1962), von 1918-1922 Oberbürgermeister von Essen, später in Reichspolitik tätig, u. a. von Jan. 1925 Mai 1926 Reichskanzler, von 1930-1933

Hans Luther

Auf die Reichsreformbestrebungen der Weimarer Republik versuchte er durch den von ihm gegründeten Bund zur Erneuerung des Reiches Einfluß zu nehmen. Wolfgang Hofmann: Zwischen Rathaus und Reichskanzlei. Stuttgart [. .] 1974.

Reichsbankpräsident.

Er nahm als Sachverständiger an der 7. teil. Der Pari. Rat Bd. 6, S. 163 ff. 290

-

Sitzung

des Ausschusses für

Wahlrechtsfragen .

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Ich kann nicht allen Herren auf einmal antworten, aber, wie gesagt, die Diskussion wird ja auch später noch fortgesetzt werden. Nun, meine Damen und Herren, damit will ich aber nicht schließen; ich möchte einen Ausblick geben. In bin der Meinung, daß damit, daß wir uns für eine aktive Demokratie über den Umweg des Mehrheitswahlrechtes einsetzen, noch lange nicht alles beschlossen ist. Ich glaube, wir müssen versuchen, den Weg zu gehen, der ja auch in einigen Ländern begangen wurde, in dem Lande Schleswig-Holstein102) zum Beispiel: grundsätzlich einmal für die erste Wahl es mit dem Mehrheitswahlrecht zu riskieren, um wirklich sagen zu können, welche neuen Modifikationen es schaffen könnte. (Zuruf: Holstein ist auch modifiziert.) Ja, diese Modifikation, Herr Dr. Diederichs, akzeptiere ich auch, aber nicht eine Modifikation mit einem Sechs-Mann-Wahlkreis. Das ist im Grunde zwar Persönlichkeitswahl, aber reiner Proporz, bei dem die Vorzüge der Mehrheitswahl in keiner Weise mehr zur Geltung kommen. Unsere Modifikation geht darauf hinaus, im Sinne des schleswig-holsteinischen Wahlgesetzes ein Angebot zu machen, das vom Standpunkt der Mehrheitswahl noch erträglich ist, das den guten und gesunden Sinn noch in sich birgt und doch bis zu einem gewissen Grade den Anhängern des Proproz, die sich nicht vom Verhältniswahlrecht trennen können, die Brücke zu bauen und ihnen die Gelegenheit zu geben, darauf zu gehen. Ich habe im Wahlrechtsausschuß gesagt, daß man sich über den Prozentsatz wird verständigen müssen. Sicher ist eins: das Anhängsel einer Bundeswahlliste darf nicht so groß sein, daß der Gedanke der echten Mehrheitswahl total verfälscht und in sein Gegenteil des reinen Verhältniswahlrechts verkehrt wird. Ich darf nun zum Schluß kommen und sagen: Die Herren hier, die mir durch Zwischenrufe bekundeten, daß sie anderer Meinung sind, mögen durchaus ihren Standpunkt vertreten und ihn sachlich begründen und vielleicht auch die entscheidende Verantwortung für die Gestaltung des kommenden Wahlrechtes übernehmen. Wir wollten nicht, daß diese Stunde vorübergeht, ohne daß wir auf die großen Zusammenhänge und Hintergründe des Wahlrechts hingewiesen haben, auch auf die Tatsache, daß zum Beispiel in den britischen Dominien, die ja nicht alle vom Geiste des Mutterlandes erfüllt sind Südahika, Kanada, die Einführung des Mehrheitswahlrechtes zu denselben ErgebnisAustralien sen geführt hat wie in England selbst. Wir wollten darauf aufmerksam gemacht haben, daß die größte Chance besteht, daß das englische Mehrheitswahlrecht die Möglichkeit bietet, Parteienzersplitterung und Parteienkampf einzuschränken und eine sinnvolle Konstruktion der Demokratie, gesunde Regierungsparteien, gesunde Opposition im Wechselspiel des historischen Ablaufes zu schaffen. Ich persönlich darf noch hinzufügen, daß für mich nur die angelsächsische Demokratie ein Beispiel eines echten demokratischen, lebensfähigen Staatsgebildes darstellt und daß die Dinge, die wir einmal erlebt haben, so wertvolle -

-

-



')

Zum

Wahlgesetz in Schleswig-Holstein

siehe

Lange: Wahlrecht,

S. 99 ff.

291

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Bestandteile sie enthalten mögen, so sehr sie sich um die Freiheitsrechte bemüht haben, eines verfehlt haben, nämlich einen gesunden und vernünhigen demokratischen Staat zu bauen, daß sie scheiterten an ihrer Freiheit, so wie Plato es beschrieben hat. Was wir wollen, ist ein Staat, der auch in der Not besteht und nicht bei den ersten Anstürmen zusammenbricht, der dann der Diktatur entgegengeht, sondern der sich wirklich demokratisch behauptet. Dazu aber braucht er diese innere Stärke, die ihm bisher gefehlt hat. Auf diese Dinge hingewiesen zu haben, schien uns ein Gebot der Stunde, und ich darf hoffen, daß die Mahnung, die wir an alle in diesem Sinne richteten, die Zusammenhänge nicht zu verkennen und den großen historischen Hintergrund des Mehrheitswahlrechts im Zusammenhang mit der angelsächsischen Demokratie zu erkennen, wenigstens gehört wird und daß die Welt erfährt, daß wir bereit sind, eine starke, lebensfähige Demokratie zu bauen und von der unseligen Zersplitterung des Proporzes ein für allemal abzugehen. (Lebhafte Rufe: Bravo!) Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat Herr Dr. Becker. Dr. Becker (FDP): Meine Damen und Herren! Es war ein sehr glücklicher Gedanke, die Probleme, die die Ausschüsse zur Zeit beschäftigt haben, hier in öffentlicher Sitzung einmal zu erörtern, damit auch die große Öffentlichkeit daran teilnehmen kann. Trotz aller anerkennswerten Mitarbeit der Presse beleider noch steht eine sehr große Interesselosigkeit gegenüber unseren

Arbeiten103).

-

-

Wie mein Herr Vorredner schon hervorgehoben hat, war wohl die Wahlrechtshage die einzige Frage, die zu einer lebhahen Beschäftigung der Öffentlichkeit mit ihr geführt hat, so lebhaft, daß auch wir im Wahlrechtsausschuß zahlreiche Zuschriften104) bekommen haben, ernsterer Art, für die wir herzlich danken, auch wenn wir ihnen nicht in allem folgen können, aber auch solche heiterer Art wie zum Beispiel die folgende. Ein Herr hatte gelesen, daß Reichskanzler Luther105) hier das englische System mit dem Zweiparteiensystem empfohlen habe. Es waren ihm offenbar Zweifel gekommen, ob das Zweiparteiensystem

sich so schnell einführen lassen würde, und er machte den Vorschlag, man solle doch kurzerhand sämtliche deutschen Männer in die Männerpartei und sämtliche deutschen Frauen in die Frauenpartei hineinschicken, und die ganze Sache wäre geregelt.

(Heiterkeit.)

ob bei einem Widerstreit der Parteien nun etwa das Bürgerliche Gesetzbuch mit seiner Schlüsselgewalt usw. den Ausschlag zu geben habe, oder ob es dabei bleiben soll, daß im Hinblick auf die Überzahl der Frauen die Frauenpartei stets die Mehrheit hätte, so daß umgekehrt als im täglichen Leben die Männer in ergebenster Opposition sein würden. Er hat vergessen

103)

Zu den

Lange:

Klagen, die öffentliche Meinung kümmere sich zu wenig um den Pari. Rat, siehe

Der Pari. Rat, S. 58 ff.

104) Zuschriften

105) 292

hinzuzufügen,

zum

Wahlrechtsausschuß

liegen

erwähnte Zuschrift ließ sich nicht ermitteln. Siehe Anm. 101.

nur

sehr vereinzelt

vor

(Z 5/119). Die

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(Heiterkeit.) Aber das nur nebenbei. Wir haben aus der ganzen Diskussion doch folgendes entnommen: Die Wahlrechtsfrage kann für sich allein gar nicht betrachtet werden, sondern sie muß in einem viel größeren Zusammenhang betrachtet werden, und wenn sie das große Interesse der Öffentlichkeit erregt hat, dann deshalb, weil man die Hoffnung hat, auf dem Wege über die Änderung des Wahlrechts zu einer konstanten, lebensfähigen, allen Stürmen gewachsenen Demokratie zu kommen. Wir wollen untersuchen, ob diese Fragestellung richtig ist. Ich habe, um das vorweg zu sagen, den Eindruck, daß man etwa so verfährt wie wenn man in der Medizin glauben würde, mit Aspirin alles heilen zu können. Demokratie heißt Selbstregierung des Volkes, durch die Mehrheit des Volkes. Diese Selbstregierung setzt voraus, daß im Wege des Repräsentativsystems diese Mehrheit irgendwie aktionsfähig, regierungsfähig gemacht werden soll. Erste Voraussetzung ist also, daß eine Mehrheitsbildung erfolgt, und zweite Voraussetzung ist, nach dem Grundsatz, daß wählen Vollmacht geben heißt, daß die Wähler in der Lage sind, wirklich Vollmacht zu erteilen, sich also diejenigen, denen sie Vollmacht geben wollen, gründlich anzusehen, und zum andern, daß sie in der Lage sind, auch diejenigen, die gewählt werden, als die von ihnen gewählten Bevollmächtigten anzuerkennen. Allen diesen Voraussetzungen muß ein gutes Wahlrecht entsprechen. Mehrheitsbildung, das ist klar, ist der Grundsatz der Demokratie. Zum Schutze gegen eine Diktatur dieser Mehrheit haben wir ja die Grundrechte, das heißt den durch die formulierten Grundrechte umfriedeten Bezirk derjenigen Freiheitsrechte des einzelnen, in die die Mehrheit auch dann, wenn sie die gesetzliche Mehrheit und kraft dieser die Regierung hat, doch nicht hineinregieren kann. Aber Mehrheitsbildung setzt voraus, daß eine wirkliche Mehrheit auch zum Zuge kommt. Kommt die Mehrheit bei dem relativen Mehrheitswahlrecht zum Zuge? Ich sage Nein. Nehmen Sie den Fall England. Auf einen Labour-Abgeordneten kommen 30 000 Wähler, auf einen Abgeordneten der Konservativen 50 000 Wähler, auf einen liberalen Abgeordneten 200 000 Wähler. Oder ein anderes Beispiel: In einem Wahlkreis, in dem der Labour-Abgeordnete mit 9000 Stimmen gewählt ist, hat der Konservative 8000, der Liberale 7000 Stimmen bekommen, die beiden letzten sind durchgefallen. Nennen Sie das noch ein Mehrheitswahlrecht? Ich nenne es Minderheitswahlrecht. (Lebhahe Zurufe: Sehr richtig!) Und ferner: im Durchschnitt des ganzen Landes betrachtet kommen Sie zu dem Ergebnis, daß unter Umständen eine Majorität von 35 bis 40 Prozent der abgegebenen Stimmen genügt, um eine Mehrheit in diesem Sinne zu schaffen, die Mehrheit, bestehend aus nur einer Partei, die die „Mehrheit" hat. Nun aber weiter, meine Damen und Herren. Wenn diese auf eine Minderheit der Wahlberechtigten aufgebaute sogenannte Mehrheit vermöge des parlamentarischen Regimes in der Lage ist, aus sich heraus auch die Regierung zu bilden, dann ist die Legislative und die Exekutive trotz des Grundsatzes der Teilung der Gewalten für vier Jahre in einer Hand (Zurufe: Sehr richtig!) 293

Siebente

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und damit haben Sie die Diktatur der Parlamentsherrschah, nur gemildert durch die Befristung auf 4 Jahre und gemildert vielleicht durch ein Oberhaus.

(Lebhahe Zustimmung.)

Nun aber die weitere

Frage und jetzt kommt der große Gedankensprung in der Deduktion der anderen Seite -: man führt uns auf, welche großen Vorteile ein Zweiparteiensystem hat. Ich erkenne sie an. Es sind Vorteile da: eine klare Regierungsmehrheit, eine klare Opposition, eine klare, einheitliche Opposition, in sich nicht aufgespalten. Die Vorteile sind zweifellos da. Aber wer sagt uns denn, daß dieses Wahlrecht absolut, mit Sicherheit uns in Deutschland das Zweiparteiensystem bringt? Niemand. Als Herr Reichskanzler Luther106) uns im Ausschuß die Vorteile des Zweiparteiensystems in sehr temperamentvoller Form, auch in sehr feiner und von seinem Standpunkt aus überzeugender Form darlegte, da habe ich ihn gefragt: Ja, wenn das die Vorteile des Zweiparteiensystems sind, welche Garantie haben Sie denn nun, daß dieses Wahlrecht, auf Deutschland angewendet, auch zum Zweiparteiensystem in Deutschland führt? Und die Antwort: Die Garantie kann ich nicht übernehmen. Ich habe aus den Worten meines Herrn Vorredners entnommen, daß auch er damit rechnet, daß die Einführung des relativen Wahlrechtes nur erst in einer geraumen Zeit dazu führen könnte, in Deutschland das Zweiparteiensystem zu schaffen. Und was ist in der Zwischenzeit, bis das so weit ist? Wo bleibt denn bis dahin die starke, lebensfähige Demokratie, die durch dieses Wahlrecht, durch dieses Aspirin angeblich gebracht werden soll? Ich sehe da keine -

-

-

Möglichkeit.

-

Aber ich sehe eine andere Möglichkeit, wenn ich mir sage, daß wir das Wahlrecht ich wiederhole es nicht losgelöst betrachten können von den anderen Problemen, die uns hier beschähigen. Es greift eins ins andere über. Jeder Ausschuß kommt mir so vor, als wenn er für sich mit allem Eifer einen wunderbaren Baustein für den Bau des Verfassungshauses eines neuen Deutschlands schafh. Wir haben aber tatsächlich, und das sollten wir in interfraktionellen Besprechungen einmal tun, uns noch keine Gesamtschau von dem Bau gebildet, zu dem diese Steine einmal zusammengefügt werden sollen. -

-

(Zustimmung.)

Wenn Sie von dem ausgehen, was alle diejenigen bewegt, die ein Wahlrecht in der von meinem Herrn Vorredner geschilderten Weise wünschen, nämlich daß damit eine große, gefestigte Demokratie geschaffen werden soll, dann schlage ich Ihnen einen anderen Weg vor, einen Weg, der sofort zum Ziel führen kann, das ist der Weg einer auf Zeit gebildeten Regierung, einer auf eine Zeit von zwei oder vier Jahren gebildeten Regierung, unstürzbar durch Mißtrauensvotum und unstürzbar durch Zerfall einer Koalition, weil sie nicht auf einer Koalition aufgebaut ist. Sie sich doch bitte: was uns allen, was insbesondere vielleicht der Jugend an der Demokratie von Weimar nicht gefallen hat und was wir jetzt bei unseren französischen Nachbarn auch sehen, das ist doch das, daß man vor

Überlegen ') 294

Zu Reichskanzler

a.

D. Luther und seinem Auftritt siehe Anm. 101.

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lauter Wechsel der Regierungen nicht zu einer sachlich-praktischen Arbeit komund ich knüpfe da an meinen men kann. Wenden wir uns doch einmal Herrn Vorredner an, der die angelsächsische Demokratie empfahl —, an das amerikanische System. Da hat man ja diese auf Zeit, auf vier Jahre fest gewählte Exekutive, die unangefochten durch Koalitionszerfall, durch Mißtrauensvotum regiert, die aber Gesetze nur mit Zustimmung der Legislative, mit der Zustimmung der beiden Häuser schaffen kann. Führen wir sie doch einmal ein: nur stürzbar durch Urteil des Verfassungsgerichtshofes wegen Verletzung der Verfassung oder der Bundesgesetze, eventuell stürzbar durch einstimmiges Votum beider Häuser bei übereinstimmender Ablehnung des Haushalts; aber im übrigen geben sie der Regierung Zeit, ihr Programm einmal in die Wege zu leiten, durchzuhihren. Wie sieht es denn sonst aus? Wenn eine Regierung einmal irgendeine Reform anpackt, dann wird dieser Anfang der Reformzeit Schwierigkeiten bringen; Altgewohntes scheint verloren, das Neue sieht man noch nicht; es gibt Übergangsschwierigkeiten. Diese Übergangsschwierigkeiten führen sofort dazu, daß im Schöße der einzelnen Parteien, die die Regierung gebildet haben, Wirbel entstehen, Unzuhiedenheiten, so daß die eine oder andere Partei, wenn einer parteiposich diese Unzuhiedenheiten niederschlagen, nun aus Furcht, litisch begründeten, aber staatspolitisch falschen Furcht —, sie könnten vorübergehend Wähler verlieren, aus der Koalition ausbricht. Das verhindern wir, so lange wir es nicht durch eine entsprechende staatspolitische Erziehung unser aller erreicht haben, nur durch eine konstante Regierung. Sie sehen, meine Damen und Herren, es greih eins ins andere über. Es ist die gleiche Frage der Konstanz, die wir heute morgen auch schon erörterten, als wir von Bundesrats- und Senatsprinzip sprachen und uns darüber einig waren, daß wir ein sogenanntes ewiges Oberhaus schaffen wollen, ein Oberhaus, das auch dann feststeht, wenn in dem vierjährigen Wechsel von Bundestag durch Neuwahl und von Bundesregierung durch Neuwahl vielleicht ein Intervall entstehen könnte, so daß gerade dann dieses Oberhaus der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht sein wird, ebenso wie der Bundespräsident in der gleichen Zeit und zum gleichen Zeitpunkt gleichfalls der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht sein wird, dieser Bundespräsident, gewählt nicht nur von den Parlamenten, gewählt nicht nur vom Bundestag und Bundesrat, sondern, um ihm eine weiter gespannte, feste Grundlage hir schwierige Tage zu geben, um ihn und seine Gewalt im Akt ihrer Begründung zu trennen von der Legislative, gewählt von einer Bundesversammlung, zu der neben diesen beiden Parlamenten noch Delegationen der einzelnen Länderparlamente hinzutreten. Diese Gedanken, die ich hier im Zusammenhang mit der Wahlrechtshage angeführt habe, habe ich in Anträgen niedergelegt, die den entsprechenden Ausschüssen vorliegen. Zu solchen Schlußfolgerungen führt uns die Erörterung der Wahlrechtsfrage, zunächst unter dem Gesichtspunkt des relativen Wahlrechts. Nun die Frage des Proporzes. Es ist doch auffallend, daß man zu unserer Jugendzeit ich rechne die 55- bis 70jährigen in diese Kategorie, von der ich eben sprach, hinein -, also etwa um das Jahr 1900, 1910, allgemein der Meinung war, daß das Mehrheitswahlrccht, das wir damals hatten, falsch sei, weil es ungerecht sei. Und nicht nur wir in Deutschland gingen zum Proporz über, -

-

-

-

295

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mit Württemberg, sondern die ganze Welt, beginnend mit Belgien; die Schweiz hat es eingeführt und die Schweiz in Verbindung mit einer sogar auf Zeit gewählten konstanten Regierung. Alle diese Staaten haben also nach und nach das Verhältniswahlsystem eingeführt. Der Fehler war bei uns nur der, daß wir die Dinge maßlos überspitzt haben: riesengroße Wahlkreise, in denen sich ein Kandidat höchstens in den Kreisstädten sehen lassen konnte, um Fühlung mit den Wählern aufzunehmen, riesengroße Wahlkreise, die Listen zeigten von Männern und Frauen, von denen vielleicht nur dieser oder jener in einem kleinen Kreis bekannt war, in summa summarum aber alle im ganzen Wahlbezirk nur wenigen bekannt waren. Wenn man damals demokratieverdrossen war und heute alles Heil in einer grundsätzlichen Änderung des Wahlrechts sieht, so lag es an dem häufigen Wechsel der Regierungen im parlamentarischen System und an diesen eben geschilderten Wahllisten, die in der Hauptsache unbekannte Namen enthielten. Wenn Sie es genau betrachten, meine Damen und Herren: jedes Wahlrecht hat etwas für sich und etwas gegen sich. Am meisten gegen sich hat meiner Ansicht nach das relative Mehrheitssystem, von dem ich gesprochen habe, und das Proporzsystem in seiner übertriebenen Form, wie wir es in der Weimarer Republik hatten. Aber dazwischen jetzt den Weg zu finden zu einem neuen Wahlrecht, das ist jetzt die Aufgabe des Wahlrechtsausschusses. Herr Kollege Diederichs bemüht sich, einen Entwurf fertigzustellen, Herr Kollege Kroll bemüht sich in gleicher Richtung. Ich habe es ebenfalls getan; mein Entwurf liegt heute oder morgen hüh im Druck vor. Ich gehe davon aus, die Vorteile beider Prinzipien miteinander zu verbinden. Ich möchte vorschlagen, daß bei einer Gesamtzahl von 400 Abgeordneten des Bundestages in 230 Einzelwahlkreisen, also auf 200 000 Einwohner ein Abgeordneter nach dem sogenannten Mehrheitswahlrecht, um dieses Wort zu gebrauchen, gewählt wird, aber nicht nach dem relativen Mehrheitssystem, denn das ist eine Minderheitswahl, sondern so, daß im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit entscheidet. Wenn diese absolute Mehrheit nicht vorhanden ist, findet ein zweiter Wahlgang statt, aber nunmehr nach dem relativen System, so daß eventuell auch neue Abgeordnete aufgestellt werden können. Ich wiederhole noch einmal: die Mehrheitsfindung ist doch das, was beim Wahlrecht in der Demokatie notwendig ist. Die Mehrheitsfindung erreiche ich nur dadurch, daß ich immer mehr von denen, die zur Wahl gestellt sind, ausscheide. Man kann das bei einem Wahlgang natürlich nicht auf vier oder fünf oder sechs Wahlgänge verteilen, aber zumindest auf zwei und erreicht dann107) eine annähernd echte Mehrheitsbildung. Aber zur Ergänzung, meine Damen und Herren, muß der Proporz herangezogen werden. 170 Abgeordnete schlage ich vor im Wege des Verhältniswahlrechts als Ergänzung zu wählen, so daß der Wähler nur ein einziges Mal wählt, abgesehen von den Kreisen, in denen eine Nachwahl stattzufinden hat. Im ersten Wahlgang gibt jeder, der kandidieren will, an, zu welcher Partei er sich rechnet, und diese Stimmen werden der betreffenden Partei durch den ganzen

beginnend

107) 296

Das

folgende korrigiert aus „alles".

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Bund hinzu- und zusammengerechnet. Nach dem einfachen Divisor: Gesamtsumme aller Stimmen geteilt durch 170, wird dann ausgerechnet, wer nach diesem System gewählt ist, zunächst in den Ländern und darüber hinaus dann mit den Reststimmen im Bund. So lassen sich die Dinge machen. Der Wähler hat im ersten Wahlgang nur darüber zu entscheiden, ob er in seinem Wahlkreis von 200 000 Einwohnern den Herrn Müller oder die Frau Schulze oder den Herrn Meier und die Frau Hoffmann wählen will, weiter gar nichts. Für die Beibehaltung des Proporzes in diesem von mir geschilderten Umfang sprechen folgende Gründe: Erstens der von dem Kollegen Diederichs schon hervorgehobene Grundsatz der Gerechtigkeit. Ich sagte schon: wählen heißt Vollmacht erteilen. Wer die Vollmacht erteilt, möchte sehen, daß diejenigen, die er bevollmächtigt, auch bei der Führung der Staatsgeschähe wenigstens beteiligt sind. Ferner: es ist unmöglich, ohne das Verhältniswahlrecht Frauen in genügender Zahl, etwa die Flüchtlinge, Sachverständige aus den verschiedenen Berufen, vielleicht auch die Führer der einzelnen Parteien in die Parlamente hineinzubringen. Denn die Fairness wie in England, daß man dem Führer einer Partei aus Honorigkeit überhaupt keinen Gegenkandidaten gegenüberstellt, gibt es bei uns nicht, so weit haben wir es noch nicht gebracht. (Heiterkeit. Zuruf: Fairness ist bei uns Mangelware!) Meine Damen und Herren, so liegen die Dinge! Sie werden nun sagen: es wird hier schon wieder ein Kompromiß vorgeschlagen; heute morgen wurde schon beim Bundesrat und beim Senat ein Kompromiß vorgeschlagen und hier nun schon wieder! Dazu lassen Sie mich folgendes sagen: Die Gegner des Proporzes reden so gern davon, daß er die Bildung von kleinen Parteien begünstige und daß diese kleinen Parteien, die da gewählt würden, die „Splitterparteien", das Zünglein an der Waage seien. Gehen wir diesem Begriff einmal auf den Grund! Was heißt denn „Splitterpartei"? Splitterpartei ist eine Partei, die nur ein einziges Teil der staatlichen Aufgaben in Angriff nimmt, etwa die Volkswagen-Anzahlungspartei108) oder die Aufwertungspartei109) oder die Impfgegnerpartei oder was es sonst dergleichen gibt. Das ist eine Splitterpartei, denn die beschähigt sich nur mit einem kleinen Splitter der staatlichen Aufgaben. Aber die Parteien, die von einer einheitlichen umfassenden Grundanschauung ausgehen und von dieser her alle Aufgaben des Staatslebens anzupacken vermögen und auch anpacken können, sind keine Splitterparteien, sondern sind vielleicht zur Zeit nur kleine Parteien. -

(Sehr gut! rechts.)

„Zünglein an der Waage". Ja, meine Damen und Herren, stellen Sie sich doch einmal ein Zweiparteien-System vor, etwa so, daß auf der einen Seite des Hauses 27 Abgeordnete einer Partei und auf der anderen Seite auch 27 Abgeordnete der anderen Partei säßen! Herr Kollege Schmid hat uns gestern

Nun das

J

')

Ca. 300 000 Personen hatten bis 1945 mit der KdF Sparverträge abgeschlossen, um auf einen Volkswagen („KdF-Wagen") zu sparen. Sie schlössen sich nach 1945 zu einem Hilfsverein zusammen und führten einen Musterprozeß, der sich über viele Jahre hinzog. Siehe hierzu Der Spiegel, 1. Juni 1950, S. 20 f. Aufwertungspartei siehe Dok. Nr. 11, Anm. 71.

297

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wie es dann im Wesen der Demokratie liege, sich gegenseitig zu bis man sich in der Mitte im Austausch von Gründen und Gegengrünnähern, den im Wege der Diskussion gefunden habe. Wenn ich die letzten 6 oder 7 Wochen hier überschaue, so habe ich den Eindruck, daß diese gegenseitige Annäherung bis jetzt eigentlich nur im Wege der Echternacher Springprozession vor sich geht, etwa in einer Form mit drei Schritt vor und zwei zurück, die einen Tanzmeister oder Ballettmeister des 18. Jahrhunderts hätte anregen können, einen neuen Contre-Tanz zu komponieren. Sehen Sie, meine Damen und Herren, die Mittelparteien haben auch ihren Zweck, nicht deshalb, wie von den Gegnern des Proporzes gesagt wird, weil sie nun in erpresserischer Form irgendetwas aushandeln wollen. Darum handelt es sich nicht. Wir unterscheiden ganz scharf Kompromiß und Kuhhandel. Ein Kompromiß besteht darin, daß mit Gründen und Gegengründen in sachlicher Diskussion der Boden gefunden wird, auf dem man sich einigen kann, und ich glaube, wir „Zünglein-Parteien", wenn ich so sagen soll, haben nach der Richtung hin vielleicht schon einiges geleistet, auch wenn es noch nicht so in Erscheinung getreten ist. Aber es ist nötig, daß, wenn 27 Propheten rechts und 27 Propheten links stehen, immerhin in der Mitte einige Weltkinder vorhanden

vorgeführt,

sind,

(Heiterkeit und Zurufe: sehr richtig!) die dann diesen Contre-Tanz inhibieren und die Leute etwas schneller als bei der Echternacher Springprozession zusammenführen. (Dr. Heuss: Sehr hübsch!) Wenn bei einer solchen Vermittlung und Entwicklung dann gesagt wird, daß ich sage dazu: Kuhhandel ist kein Komein Kompromiß ein Kuhhandel sei, echter Kompromiß ist etwas staatspoaber aber ein er promiß, kompromittiert; litisch Wertvolles -, wenn dann ein derartiger Kompromiß gefunden wird und das für den, der die Dinge nur logisch-abstrakt-akademisch betrachtet, nur als ein Flick- und Stückwerk erscheint, dann möchte ich folgendes sagen: Wir in Deutschland laufen auch heute vielfach noch mit geflickten Anzügen herum und fühlen uns nolens volens darin wohl. In geflickten Häusern werden wir noch recht lange wohnen, und trotzdem können wir auf dem Wege der Freiheit und des Fortschritts vorangehen, wenn wir nur innerlich die richtige Verfassung haben, meine Damen und Herren, darauf kommt es an! (Brockmann: Sehr gut!) Wenn in einer der ersten Debatten im September110) hier darüber gestritten worden ist, ob dieses Verfassungskleid, das hier zugeschnitten wird, ein Anzug von der Stange oder ein Anzug nach Maß sein soll, dann sage ich Ihnen: Der Anzug kann meinetwegen sogar aus Stücken zusammengesetzt sein; die Hauptsache ist, daß er paßt und daß er hält. (Beifall bei der FDP.) Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heile. Heile (DP): Meine Damen und Herren! Nachdem meine Herren Vorredner ihren Standpunkt ausführlich dargelegt haben, glaube ich mich ganz kurz fassen zu -

') Siehe die 298

3.

Sitzung vom 9. Sept. 1948, Dok.

Nr. 3, S. 90.

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können. Das Thema, das uns heute beschäftigt, ist von allen Vorrednern nicht als rein technisches Problem behandelt worden, sondern als ein Problem wichtigster politischer Entscheidungen, als ein Problem, das geradezu auf den Mittelpunkt unseres ganzen Verfassungswerkes hinzielt. Man kann die Sache von zwei Seiten aus betrachten, entweder vom einzelnen Menschen aus, vom Staatsbürger, oder vom Staate aus. Hier ist das Problem meistens vom Staate aus gesehen, besprochen und gedacht worden, indem man sagte: wir müssen versuchen, mit Hilfe des Wählens eine arbeitsfähige Regierung zu bekommen; zweifellos ein ganz richtiger Gedanke und entscheidender Gesichtspunkt. Da dieser sehr stark betont worden ist, will ich einmal die Betrachtung von der anderen Seite her anstellen, vom Standpunkt des einzel-

Menschen aus. Sehen wir uns einmal die Zustände an, die jetzt nicht bloß in Deutschland, sondern fast überall, in allen Ländern vorhanden sind! Wir werden finden, daß überall die gleiche Klage besteht: das politische Interesse der Menschen ist überaus gering geworden, sie gehen nicht einmal mehr zur Wahl. Wir haben bei den letzten Wahlen nicht bloß in vereinzelten Gemeinden, sondern sehr allgemein erlebt, daß oh kaum die Hälfte der Bürger, oh noch weniger, von dem Bürgerrecht Gebrauch gemacht haben, daß die Menschen nicht zur Wahl gegangen sind. Warum? Glauben Sie, daß das bloß daran liegt, daß sie kein Interesse an den Dingen der Nation, an dem Schicksal der Nation haben? Das glaube ich nicht. Niemand kann mit absoluter Gewißheit sagen, was die einzelnen Menschen bewogen hat, sich so staatsfeindlich zu benehmen. Aber wenn man, wie ich in letzter Zeit es sehr intensiv und sehr oh zu tun immer wieder versucht habe, mit den Menschen spricht und sie hagt: warum seid ihr nicht es ist ja nicht schwer, wenn man auf dem Lande wohnt, zur Wahl gegangen? Leute zu finden, von denen man weiß, daß sie nicht hingegangen sind -, dann findet man nur ganz selten Leute, die einem die Antwort geben, die Sache interessiere sie nicht, sondern fast ausnahmslos habe ich die Antwort bekommen: Hat es denn überhaupt noch einen Sinn, da hinzugehen? Es hat doch gar keinen Zweck, drüben in der Regierung wird doch nicht gehandelt, wie ihr zu eurer Entschuldigung sagt, weil in den Parlamenten keine Mehrheit vorhanden ist, in Wirklichkeit, weil ihr nicht regieren könnt. Im Parlament gibt es ja doch nur ein ewiges Reden und Zanken hin und her. Das ist wieder nur die alte Schwatzbude, wie man es hüher genannt hat! Was sind denn die Parlamente anders? Euer Gezänk hat ja doch keinen Zweck! Ihr einigt euch doch nicht! Wenn man dann auf diesen Gedankengang mit dem Hinweis auf das Fehlen einer Mehrheit eingeht, kommt die Antwort: Ja, warum ist es denn so, daß im Parlament keine feste Mehrheit vorhanden ist? Und wenn man dann sagt: das liegt nur an euch, nur daran, daß ihr nicht zur Wahl gegangen seid, so antworten sie darauf wieder nur: Daran ist euer Wahlgesetz schuld, wir gehen deshalb nicht zur Wahl, weil diese Art, wie wir da wählen sollen, diese Zettelabstimmung, uns einfach nicht liegt, das ist ja überhaupt keine Wahl! Der Gedanke, den in diesem Zusammenhang Herr Diederichs vorgetragen hat, ist gewiß ein Versuch, eine Besserung dessen zu schaffen, was wir bisher gehabt haben, und ich gestehe zu, daß es ein ernst zu nehmender Versuch ist, nen

-

-

299

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der wirklich eine

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21.

Verbesserung bringt.

Oktober 1948

Ob aber diese

Verbesserung ausreichen

würde, die allgemeine passive Resistenz gegen die wichtigste Staatsbürger-

zu beseitigen, möchte ich bezweifeln. Warum? Auch bei diesem System würde bestehen bleiben, was wir jetzt haben, nämlich das Gefühl der Menschen, nicht selbst, nicht unmittelbar, in Wirklichkeit überhaupt nicht zu wählen. Sie haben eben bei diesem Listensystem nicht das Gefühl, sich für einen Menschen, den sie lebendig vor sich sehen und beurteilen können, zu entscheiden, indem sie ihn und seine politischen Gedankengänge, seinen Charakter, sein Wesen usw. mit dem seines Gegenkandidaten vergleichen, den sie ebenso lebendig vor sich gesehen und gehört haben. Bei der Listenwahl haben sie das Gefühl: wir werden hier von irgendeiner Macht, die außerhalb unserer Kontrolle liegt, vor eine vollendete Tatsache gestellt; wir haben nicht zu wählen, sondern wir haben nur die Stimme für eine Partei abzugeben! Unser deutsches Volk ist in seiner überwältigenden Mehrheit bis hinein in die Reihen der sozialistischen Parteien, die noch am meisten Organisation und Parteidisziplin haben, durchaus nicht so eingestellt, daß der einzelne Bürger glaubt: ich kann meine politische Meinung nur im Wege meiner Partei zum Ausdruck bringen und ich muß das denken und tun, was meine Partei will, sondern unsere deutschen Menschen wollen durchaus ihre eigene Meinung haben und wollen sich ihre Meinung auch von ihrer eigenen Partei nicht vorschreiben lassen. Sie können das „unpolitisch" nennen. Dieser Standpunkt kommt aber nicht aus einer unpolitischen Grundhaltung heraus, sondern aus einer anderen politischen Grundhaltung als der, die Sie vielleicht allein für richtig halten. Diese Menschen und ich glaube, das ist die Mehrheit der wollen das Recht ihrer Persönlichkeit nicht preisgeben deutschen Menschen und glauben, daß der freie, einzelne Mensch unter allen Umständen der Grundpfeiler, der eigentliche Träger des ganzen Staates zu sein hat. Sie wollen, daß die einzelnen Menschen, die sich in Freiheit vereinigen, in ihrer hei gewollten Gemeinschah den Staat bilden und daß sie, wenn sie wählen, demjenigen ihre Vollmacht geben, der sie bei der Ausübung ihres Bürgerrechts vertreten soll. Zu diesem ihrem Vertreter wollen sie ein Verhältnis persönlichen Vertrauens haben und deshalb sich nicht von irgendeiner Organisation vorschreiben lassen, wem sie ihre Vollmacht zu geben haben. Man hat hier gesagt: Wenn in Konsequenz dieses Standpunktes ein reines Personenwahlrecht eingeführt werden sollte, so müßte man sich für ein reines Mehrheitswahlrecht entscheiden111). Davon aber brauche man nicht mehr zu sprechen, weil, wie Herr Diederichs heute gesagt hat, das Mehrheitswahlrecht vom Wahlrechtsausschuß abgelehnt worden sei. Ich möchte trotzdem dringend empfehlen, sich für die Mehrheitswahl zu entscheiden, und zwar für die Wahl durch absolute Mehrheit, die nötigenfalls mit Hilfe einer Stichwahl zwischen den beiden erfolgreichsten Kandidaten hergestellt werden müßte. Ich persönlich bin der Meinung, daß das die beste Form des Wählens überhaupt wäre, weil diese Form des Wählens, die wir vor 1914 für die Wahl des Reichstags gehabt

pflicht

-

-

) Die folgenden Ausführungen wurden von Heile stilistisch stark umgearbeitet, vor

300

dem Druck noch einmal

abgeschrieben worden

sind.

so

daß sie

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haben, sich als die beste Methode einer wirklich den Volkscharakter repräsentierenden und den Willen des Volkes durchsetzenden parlamentarischen Führerauslese bewährt hat. (Zuruf links: Da hatten wir doch 18 Parteien im Reichstag! Löhe: Keine

Spur!)

-

Hier wird immer

eingewendet: mit der Stichwahl kommt der berühmte Kuhhandel. Ich bestreite das. Ich kann mich aber wohl damit einverstanden erklären, an Stelle der alten Form der Stichwahl, bei der nur die beiden, die die meisten Stimmen bekommen haben, nachher noch einmal einen Wahlgang machen, als zweiten Wahlgang, wie Herr Dr. Becker es eben vorgeschlagen hat, die englische relative Mehrheitswahl einzuführen, bei der Wahlbündnisse der stärkeren mit den schwächeren Parteien auch möglich, aber nicht absolut notwendig sind, eventuell auch neue Kandidaten aufgestellt werden können. Möglich, daß das die bessere und auch glücklichere Form der Stichwahl im Interesse der Bildung einer festen und klaren Mehrheit ist. Was ist, wenn wir das machen würden, dann auf alle Fälle erreicht? Daß das politische Leben wieder lebendig wird. Gehen Sie doch jetzt in Wahlkämpfe hinein! Sind es wirklich Wahlkämpfe? Die Jüngeren unter uns haben wirklich lebendige Wahlkämpfe überhaupt noch gar nicht erlebt. Wirkliche Wahlkämpfe haben wir vor 1914 gehabt; da wurde in den Wahlkämpfen mit Leidenschaft und mit Begeisterung und nicht mit Gehässigkeit gerungen. Wohl gab es auch damals schon einzelne Leute, die gehässig kämphen und üble Methoden im Wahlkampf anwandten. Aber das war damals doch die Ausnahme, während es heute leider Gottes zumindest keine seltene Ausnahme ist. Die Wahlkämpfe waren damals noch wirklich lebendig. Der ganze Kreis, die ganze Bevölkerung nahm daran Anteil, weil am Ende des Wahlkampfes die Entscheidung stand: unser Kreis, unsere Heimat ist jetzt sozialistisch, liberal, konservativ oder wie man die Parteien nennen mochte, vertreten. Und dann nahmen die, die die Niederlage erlitten hatten, sich vor: so, jetzt ruhen wir aber nicht, die Scharte wird ausgewetzt, im nächsten Wahlkampf wollen wir den Sieg erringen! So blieb das politische Leben im lebendigen Fluß. Das, was wir heute haben, ist ja gar kein Wahlkampf, sondern eine Stimmenzählung, so etwas wie ein Photographieren aller Schattierungen. Sie glauben, daß das gerecht sei, weil sie glauben, daß damit verhindert würde, daß große Minderheiten verschwinden, einfach nicht zur Geltung kommen. Ich meine: bei dieser Methodik des Proporzes haben wir bisher ein viel größeres Verschwinden von Minderheiten, oh sogar von Mehrheiten erlebt, und zwar nicht nur bei uns, sondern überall auf der Erde, aber bei uns am stärksten, da ja ganz große Menschenmassen von vornherein überhaupt nicht mehr zur Wahl gehen. Und diese Nichtwähler sind keineswegs bloß Leute, die kein politisches Interesse haben, sondern Leute, die einfach keinen Glauben an die Möglichkeit haben, auf diese Weise ihr Bürgerrecht und ihre Bürgerpflicht des Wählens auszuüben, weil sie das Gefühl haben: das ist kein politischer Kampf, keine politische Entscheidung, sondern politische Schiebung! Wenn die Kandidatenaufstellung wirklich nach der Methode von Herrn Diedorichs gemacht würde, so, daß die Parteien ganz korrekt wenn sie eine gute Organisation haben, ist es ja denkbar -, zuvor in sich -

301

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Kampf ausfechten, wer auf die Liste kommen soll, hätten wenigstens die Mitglieder der Partei eine Mitwirkung bei der wirklichen Wahl. In Wirklichkeit aber beteiligt sich an diesem Kampf um den Platz auf der Liste auch bei der einen

besten Organisation, die in unserem Lande wohl die Sozialdemokratie hat, nur ein Bruchteil der Mitglieder der Partei. (Zuruf links: Wer stellt denn bei der Mehrheitswahl die Kandidaten auf?) Lassen Sie mich diesen Gedanken erst einmal aussprechen. In Wirklichkeit werden durch die Listenwahl die Kandidaten auch bei der besten Organisation nicht gewählt, sondern von der Parteimaschine ernannt, die nur diejenigen Leute aufstellt, die in dieser Partei nicht nur organisiert, sondern im Sinne der Parteimaschine aktiv tätig sind. Das ist nur ein kleiner Teil der Wähler. Dieser bestimmt, und die anderen Sie können sagen, das hätten sie sich selber zuzuschreiben haben keine Möglichkeit, bei der Aufstellung der Liste und damit bei der wirklichen Wahl mitzuwirken. Was haben Sie auf diese Weise erreicht? Nur den Schein einer Wahl, bestimmt keine gleiche und erst recht keine direkte Wahl. Nach der Verfassung, die wir hier ausarbeiten und die Herr Dr. Diederichs auch als Grundlage für die Wahlrechtsauseinandersetzungen vorgeschlagen hatte, sollte solch Wahlsystem ausgeschlossen sein. Denn die Verfassung sagt: die Wahl soll direkt sein. Und das ist keine direkte Wahl. (Zuruf: Sie müssen doch auch Kandidaten präsentieren. Wie stellen Sie sich denn das vor?) Bei der Mehrheitswahl werden Personen, nicht Parteien gewählt. Da kann jeder sich selbst präsentieren oder einzelne Leute können ihn präsentieren, auch die Parteien können die Leute präsentieren. Wesentlich aber ist allein, daß da jeder Wähler die Möglichkeit hat, sich von den verschiedenen Kandidaten den auszuwählen, der ihm gefällt. Aber wenn eine Liste da ist, kann er nur für eine Parteiliste stimmen. (Dr. Diederichs: Nein, nein! Das haben Sie gar nicht mitgekriegt.) Doch! -

-

-

-

-

(Große Heiterkeit.)

Ich kenne Ihr System. Wenn dabei der Wähler wirklich eine Wahl haben soll, dann müssen Sie die Konsequenz ziehen und auch das Kumulieren zulassen, worüber Sie nur andeutend gesprochen haben. Dann hat der Wähler immerhin noch eine Möglichkeit, einen der auf der Liste stehenden Kandidaten zu bevorzugen. Aber das ist eine Möglichkeit, die für die meisten Menschen so kompliziert ist, daß nur ganz wenige von diesen Wahlbestimmungen Gebrauch machen werden. (Dr. Diederichs: Wenn Sie auf die Analphabeten spekulieren, werden Sie natürlich keinen Erfolg haben112)!) So kann man auch diskutieren, eine Diskussion ist das nicht. Ich meine, wir wollen doch nicht einfach hier bloß reden, um irgendeine Parteimeinung

-

112) Folgt

in der Vorlage handschr. gestrichen: „Abg. Dr. Heuss: Das ist in Württemberg möglich". Dieser Zuruf wurde bereits in der nochmaligen Abschrift für die Druckvorlage

nicht übernommen.

302

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bekunden, sondern miteinander diskutieren. Ich habe geglaubt, daß Sie genau so, wie ich vorhin Ihnen, Herr Dr. Diederichs, mit Sorgfalt und Interesse zugehört habe wie ich Ihnen überhaupt gern zuhöre, wenn Sie Ihren Standpunkt darlegen, und jederzeit gern bereit bin, mich von Ihnen überzeugen zu lassen, wenn Ihre Argumente auch nicht immer überzeugen können -, auch mir zuhören und nicht einfach dazwischenrufen würden, ich hielte eine Rede für zu

-

Analphabeten. (Widerspruch:

Dr. Diederichs: Nein, das habe ich nicht gesagt, da haben Sie mich mißverstanden! Glocke des Präsidenten.) Das haben Sie aber eben gesagt! (Löbe: Das war ein Irrtum!) Sie haben gesagt, daß meine Rede ein Appell an die Analphabeten oder ein Rechnen mit Analphabeten sei. -

-

-

-

(Lebhafter Widerspruch.)

Gut, dann bitte ich

es meiner Schwerhörigkeit zuzuschreiben, daß ich Sie nicht richtig verstanden habe. Also weiter! Tatsache ist, daß sich die große Masse unserer deutschen Wähler nicht nur, sondern der Wähler aller Länder mit einem so komplizierten System nicht abfinden kann und eine wahre Sehnsucht danach hat, ganz klar und einfach lebendig vor ihnen stehende Menschen wählen zu können, um in dem Augenblick des Wählens selber die Entscheidung fällen zu können. Sobald wir dieses Recht des persönlichen Wählens wieder haben, werden wir auch wieder ein lebendiges Interesse des Volkes für den politischen Wahlkampf und für die Politik haben. Mit der Einführung des Proporzes haben alle Länder einen gewaltigen Rückgang des politischen Interesses erlebt, und schon aus diesem Grunde sollten wir diesen Weg nicht weitergehen. Das Kompromiß, das hier zuletzt von Herrn Dr. Becker vorgeschlagen worden ist, würde ich annehmen, wenn wir die klare Mehrheitswahl mit absoluter Mehrheit nicht bekommen können. Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner. Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Die Ausführungen meines Vorredners Heile zwingen mich, einen kleinen Spaziergang in die Geschichte der deutschen Wahlgesetze zu machen. Vielleicht ist dieser kleine historische Rückblick auch ein bißchen lehrreich für die jungen Menschen hier in diesem Saal. Wir haben auf dem Gebiete des Wahlrechts bei uns in Preußen-Deutschland schon einiges hinter uns, vor allen Dingen diejenigen, die sich in der Altersklasse des Herrn Heile befinden, also auch ungefähr in der meinigen. Ich fange einmal mit dem Dreiklassenwahlrecht im alten Preußen an113). (Heile: Das hat hiermit nichts zu tun!) -

)

Das Dreiklassenwahlrecht in

Preußen, gültig von

1849-1918 für die Wahl

zum

Abgeord-

netenhaus teilte die Bevölkerung jedes Wahlkreises so auf, daß auf jede Klasse ein Drittel des gesamten Steueraufkommens der direkten Steuern entfiel. Jede Klasse stellte dieselbe Anzahl von Wahlmännern, die den Abgeordneten bestimmten. Beseitigt wurde es erst durch die Novemberrevolution von 1918, nachdem dies in der Osterbotschaft Kaiser Wilhelms II. vom 7. April 1917 bereits angekündigt worden war. Thomas Kühne: Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen 1867-1914. Düsseldorf 1994. 303

Nr. 7

Siebente

Sie haben -

(Heile:

Sitzung des Plenums 21.

von

Oktober 1948

der Zeit -

Mehrheitswahlsystem) vor 1914 gesprochen. Ich schenke Ihnen nichts. Ich pflege meinen Gegnern nichts zu schenken, wenn ich es irgend kann. Das Dreiklassenwahlrecht in Preußen hatte das Ergebnis, daß z.B. in einer mittleren Kreisstadt der Herr vom

-



Fabrikbesitzer für sich allein so viele Stimmen auf sich vereinigte wie seine ganze Belegschaft und die übrigen proletarischen Wähler in dieser mittleren Stadt. Nur eins der vor 1914 bekanntesten und am meisten belachten Beispiele aus dem Wahlrecht: Hildesheim! Unser gutes, braves Hildesheim muß Ihnen ja bekannt sein, Herr Heile. Dort war es im Zeichen des Dreiklassenwahlrechts möglich, daß der Herr Domküster auf Grund der reichlichen Trinkgelder, die

ihm die

Dombesichtigungen einbrachten,

(Heiterkeit.)

in der Ersten Klasse wählte, während der Herr Bischof und das Domkapitel in der Zweiten und der niedere Klerus und das gesamte Fußvolk in der Dritten

-

Klasse wählten.

(Erneute Heiterkeit.) Das ist ein authentisches Beispiel. (Dr. Katz: Das Beispiel kommt aber 35 Jahre zu spät!) Er hat gesagt, das Wahlrecht vor 1914 wäre das richtige gewesen. (Heile: Das Reichstagswahlrecht!) Schön, ich komme auf das Reichstagswahlrecht. Wie war es denn da? Das war doch auch ein Personenwahlrecht, das es ermöglichte, daß ein Deutschnationaler in Ostelbien mit 8000 Stimmen zum Abgeordneten gewählt werden

-

-

konnte, (Zuruf: da lag der Fall doch anders, das lag

an

der falschen Kreiseintei-

lung.)

aber, lieber Herr, das ist doch nebensächlich, Sie als Sozialdemokrat sollten doch auch ein bißchen davon wissen -, während sozialdemokratische Kandidaten in Industriestädten mit mehr als 100 000 Stimmen nicht zum Zuge

-

kamen.

(Dr. Katz: Seit 30 Jahren ist das anders.) Und in dieser schönen Zeit, die für Sie die Heile, (Heile: das habe ich nicht gesagt.)

gelobte

Zeit

zu

sein

scheint, Herr

gab es noch etwas anderes außer der gekünstelten Wahlkreiseinteilung und dem ungerechten Mehrheitswahlsystem. Das war die Methode der Wahlbeeinflussung, die es z.B. fertigbrachte, daß in dem fast restlos katholischen Saargebiet der deutschnationale Reichstagsabgeordnete immer gegen den Zentrumsmann siegte. Von den Sozialdemokraten konnte man damals in dieser Gegend noch nicht reden; wenn die auftraten, läuteten damals noch die Kirchenglocken. (Heiterkeit.)

Es ist gut, sich daran zu erinnern, meine Herren Zeiten könnten einmal wiederkommen.

(Erneute Heiterkeit.) 304

von

der Sozialdemokratie. Die

Siebente Wie war das Herrn Steiger

Sitzung des Plenums

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Nr. 7

Dort wurde z.B. die Bergarbeiterschah geschlossen vom die Wahlurnen geführt, und wehe dem Bergarbeiter, der nicht vor den Augen seines Steigers den richtigen Wahlzettel hineinwarf! Der Zentrumskandidat damals aus der Zeit vor 1914 hieß Muth114), aber er kam nie durch. Aber wissen Sie, wo die Wähler landeten, die damals sozialdemokratisch zu wählen wagten? Im Ruhrrevier! Die mußten auswandern, weil sie in dem gesamten Saargebiet unter dem preußischen Bergwerksdirektor Dr. Hilger115), der später seine ruhmreiche Tätigkeit in Schlesien ausübte, keine Arbeitsmöglichkeit mehr bekamen. (Zurufe: Das ist ein Beispiel für die SED!) Gibt es dort in der Ostzone kein absolutes Proporzsystem? (Erneute lebhafte Zurufe.) Wagen Sie das zu bestreiten? Und wenn es dort nur eine SED gibt, so bin ich der Meinung, daß diese Einheit der Arbeiterklasse eine glückhafte Entwicklung ist. (Dr. Katz: Alle anderen Parteien verbieten!) Sie wissen ja sehr gut, daß das gar nicht wahr ist, daß es neben der SED auch andere Parteien gibt, nur mit dem einen Unterschied, daß sie sich in den demokratischen Aufbau einfügen und positiv daran mitarbeiten.

möglich? an

-

-

(Heiterkeit.)

Nun noch ein weiteres Beispiel über das Verhältniswahlsystem und seine Auswirkungen. Herr Abgeordneter Brockmann, ich sehe Sie gerade, ist Ihnen „Muftika-Muhika" noch ein Begriff? Denken Sie noch an die Situation in dem ehemaligen Windthorstlw)-Wahlkreis Lingen-Meppen? Das war der einzige Wahlkreis in diesem katholischen Teil Hannovers, wo Sie einen Zentrumsmann durchbekamen, weil es Windthorst war. Im übrigen war erst nach 1918 ein zweiter Sitz für das Zentrum in Hannover zu erobern. Dieselben Erfahrungen haben wir nicht nur in Muhika gemacht, sondern auch in Groß-Berlin, wo es dem Zentrum auch mit mehr als 100 000 Wählerstimmen vor 1914 nicht gelungen war, einen Kandidaten durchzubringen.

Und was war damals los? Damals haben die alten Sozialdemokraten und das alte Zentrum mit Recht in diesem Wahlsystem etwas Undemokratisches, etwas Ungerechtes gesehen. Und sie haben mit Recht energisch für die Beseitigung eines Systems gekämpft, welches verhütete, daß die von den Wählern abgegebenen Stimmen gleichwertig und gleichberechtigt zum Zuge kamen. Damals waren Zentrum und SPD in der Beurteilung dieses Wahlgesetzes absolut einig. Heute haben sich die Verhältnisse im Zeichen der neuen Demokratie etwas geändert. Die Reste des Zentrums, soweit sie heute in der CDU gelandet sind,

4) Carl Muth (1867-1944), Publizist, Herausgeber der Zeitschrift „Hochland". Walter Ferber: Karl Muth, in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, Hrsg. von R. Morsey (Bd. 1), S. 94 ff. Mainz 1973.

5) Ewald Hilger (in der Vorlage Hilgers) (1859-1934), Vorsitzender der Bergwerksdirektion in Saarbrücken in der Verwaltung der staatlichen Bergwerke im Saargebiet, ab 1905 in der oberschlesischen Bergwerksverwaltung. 6) Zu Windthorst siehe Dok. Nr. 3, Anm. 138. In der Vorlage mehrfach „Windhorst" statt „Windthorst" geschrieben.

305

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stehen auf einem anderen Standpunkt. Und warum stehen sie auf einem andeStandpunkt? Weil das System, das sie heute vorschlagen und heute als das richtige ansprechen, ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Vormachtstellung gegenüber den kleineren Parteien zu konsolidieren. Und alles Gerede, das um diese Geschichte herum gemacht wird, ist nur ein Versuch, diese Binsenwahrheit zu vertuschen. Übrigens eine Parallele! Auch Hitler hat gesagt, daß die kleinen Parteien schädlich seien. Vielleicht können Sie das gelegentlich einmal nachlesen. Nun, was ist los? Was heute hier geschieht, ist nichts anderes als der Versuch, das damalige Unrecht, gegen das damals SPD und Zentrum gekämph haben, auf die heutigen kleinen Parteien anzuwenden. Wahlrechtshagen sind politische Fragen. Sie sind darüber hinaus aber auch leider politische Machtharen

gen. Und

ich habe das Glück nicht gehabt, ihn zu ich mir nun vorstelle aber ich kenne den Herrn hören, -, daß Herr Luther, unser alter Essener Dr. die der von dem Essener, als er dort Oberbürgermeister war, Mann, Luther117), daß nun also ausgerechnet dieser ich kann auch anders", sagten: „Luther, Erzreaktionär es gibt doch wirklich keine andere Bezeichnung für Herrn Luther; denken Sie doch nur an seine Rolle im alten Kaiserreich, denken Sie doch nur an seine Rolle in der Weimarer Republik! Er war doch ein Reaktionär, und er sollte sich nun plötzlich auf seine alten Tage geändert haben? An diese Änderung glaube ich nicht.-Aber dieser Mann hat sich hier hingestellt und das von Ihnen, meine Herren von der CDU, heute propagierte Wahlrecht als die Lösung, als die gerechte Lösung hingestellt, die einen Ausweg darstellt. Das wundert mich nicht angesichts der Tatsache, daß heute die Herren aus dem alten Zentrum in der neuen CDU auch diesen Gesinnungswechsel mitgemacht haben. Gleiche Brüder, gleiche Kappen! Nun, das englische System, das hier heute mit so großer Verve als die Lösung herausgestellt worden ist, hat auch eine besondere Auswirkung. Und die besteht darin, daß dort drüben bei positiveren Voraussetzungen soziale Fortschritte nur sehr viel schwerer durchgesetzt werden können und daß soziale Einrichtungen sehr viel langsamer als sogar im alten Preußen zum Zuge kommen. Ich habe vor einigen Tagen Gelegenheit gehabt, mit einigen deutschen Leuten zu sprechen, die von Nordrhein-Westfalen aus dem Coal Board Office, der englischen Kohlenbehörde, einen Besuch abgestattet haben. Einer der Herren war der Herr Wirtschaftsminister Nölting118), und der andere, der mir das erzählt hat, war Kommunist, war unser Fraktionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Er berichtete, daß er dem Chef dieses Coal Board Office die Frage vorgelegt habe, wie viele Bergarbeiter heute in England die Gelegenheit hätten, sich nach Schichtschluß im Betrieb zu waschen. Der Herr Minister meinte, es wären 25, und der Sachbearbeiter meinte, bis zu 30% höchstens. An Ihre Adresse, Herr Menzel: Ihr Kollege Nölting hat denselben Minister gefragt, ob seinerzeit bei der Überführung des Bergbaus aus dem Privatbesitz in wenn

-

-

117) Luther siehe

118j

306

Erik

Anm. 101.

Nölting siehe Dok.

Nr. 3, Anm. 131.

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die Hand des Staates von Seiten der alten Bergwerksbesitzer Schwierigkeiten gemacht worden seien, worauf der Minister geantwortet hat: Nein. Darauf hat nun Herr Nölting gesagt: Dafür gibt es nur eine Erklärung: daß die Abfindung, die gezahlt worden ist, sehr anständig war. Aber das nur nebenbei. Ich konnte mir diese Feststellung nicht verkneifen. Warum plädieren nun die Herren von der CDU und mit geringer Modifizierung auch die Herren von der SPD heute für dieses modifizierte englische Wahlgeoder besser gesagt für dieses manipulierte Wahlgesetz, wobei ich durchsetz aus die Frage offen lasse, wer manipuliert wen. Was ist los? Warum hat die CDU ein Interesse an der Einführung dieses englischen Wahlrechts? Nun, dieser englische Wahlmodus verhindert, daß die Gegensätze innerhalb der Klasse der Bourgeoisie auseinanderklaffen und daß es zur Bildung von neuen Parteien innerhalb der Partei der Reaktion, der CDU, kommt. Dieser Sehnsuchtsschrei nach dem englischen Wahlgesetz ist besonders gut zu verstehen, wenn man sich die heutige Entwicklung in Bayern ansieht. Dort soll dieses englische Wahlgesetz so etwa in der Form eines Verhütungsmittels gegen Abtreibungen wirken. -

-

(Heiterkeit.) Jedenfalls besteht die Tatsache, daß das Zweiparteiensystem die Aufgliederung des Bürgertums trotz bestehender Klassengegensätze verhindert. (Dr. Kroll: Und das Einparteiensystem?) Ich kann mir durchaus ein System vorstellen, das im Endergebnis zu

-

einem

Einparteiensystem

führt.

(Schallende Heiterkeit.) Ich kann mir das durchaus auch unter absolut demokratischen Vorzeichen denken. Wenn z.B. bei uns in Deutschland die kommende Frankfurter Regierung eine bestimmte Politik, eine klar und eindeutig den Interessen der Massen des Volkes dienende Politik triebe, dann kann ich mir vorstellen, daß sich hinter diese Regierung eine Einheitspartei stellen würde. Das wäre doch durch-

-

aus

berechtigt.

(Zuruf: Wie bei Hitler! Das haben wir schon einmal gehabt!) Sie werden mir doch nicht unterstellen, daß ich unter einer Einheitspartei das begreife, was Hitler darunter verstanden hat. Wenn Sie das nicht verstehen, kann ich Ihnen nicht helfen. Es gibt auch unbelehrbare Menschen. Nun das Unrecht des englischen Wahlmodus! Wir haben es doch eindeutig besonders in Nordrhein-Westfalen in den Gemeinden erlebt, wo es uns ja für die vorletzten Kommunalwahlen oktroyiert worden war. Die Mehrzahl der Damen und Herren hier werden das wohl wissen. Ergebnis: In Essen eroberte die CDU mit 37,4% aller abgegebenen Stimmen die absolute Mehrheit. In ElberfeldWuppertal wirkte sich das Wahlergebnis mit umgekehrtem Vorzeichen zugunsten der SPD aus. Und nun das Ergebnis119)! Ich will gar nicht meine Auffassung von den Auswirkungen der Politik dieser einseitigen Gemeindevertretungen hier zum Aus-

in der Vorlage handschr. Politik hier auszusprechen."

') Folgt

gestrichen: „Ich

wage

nicht,

meine

Meinung

üher die

307

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druck bringen. Ich lasse einmal die SPD gegen die CDU sprechen und umgekehrt. Bei uns in Essen CDU-Mehrheit. Wahlplakate der SPD: Nieder mit der CDU-Herrschah, nieder mit der Personalpolitik, der Pöstchenpolitik usw. Und in Wuppertal hat die CDU mit demselben Wahlplakat mit genau demselben Text Propaganda gegen die SPD gemacht. Also muß doch schon etwas dransein

(Heiterkeit) -

der Behauptung, daß die Siegerpartei ihre vollkommen undemokratisch zustande gekommene Mehrheit benutzt hat, um in der jeweiligen Gemeinde eine absolut parteiegoistische Politik zu treiben, wenn sie sich selber das gegenseitig vorwerfen. Was ich darüber denke und was ich an Beweisen in der Hand habe, das hier vorzutragen kann ich mir wirklich ersparen, weil ich nur 15 Minuten Redezeit habe. Aber es liegt auf derselben Linie. Und nun gehen wir einen Schritt weiter. Hier wird mit großem Pathos immer wieder herausgestellt: Die Tatsache, daß sich in der Weimarer Republik Splitterparteien gebildet haben, sei die Ursache für den Verfall der Demokratie. Stimmt denn das? Ist denn das historisch wahr? Warum haben sich denn in der Weimarer Republik Splitterparteien gebildet? Wo haben die sich gebildet? In der Arbeiterklasse? Die Arbeiterklasse hatte damals ihre beiden großen Parteien, die KPD und die SPD. (Zuruf: Und heute eine große und eine kleine!) Das wird sich genau so ändern, wie es sich nach 1918 geändert hat, wo die SPD als die größere Partei begonnen hat, um nachher die kleinere zu werden. Ewig läßt sich der Arbeiter nicht betrügen120). Warum Splitterparteien? Weil die bürgerliche Klasse auf Grund der damals vorhandenen Ausweglosigkeit als Folge der strukturellen Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems keinen anderen Ausweg mehr sah als den, sich in verschiedene Interessengruppen aufzulösen. Das war die Ursache. Deshalb ist es zur Bildung von Hausbesitzerparteien und weiß der Teufel, wie die Parteien damals geheißen haben, gekommen. Die innere Zwangslage, resultierend aus der Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems, war der Grund. (Dr. Grève: Aber Sie haben mit den kapitalistischen Parteien doch zusammengearbeitet, um die Weimarer Demokratie kaputt zu machen!) Ich bin der Meinung, daß diejenigen am meisten dafür gesorgt haben, die Brünings Politik121) und die Notverordnungen mitgemacht haben. Welchen Ausweg haben Sie, meine Herren Sozialdemokraten, in der damaligen Zeit gewählt? Es ist heute schon erwähnt worden. Sie sind zu der Methode der Notverordnungen übergegangen. Die politisch maßgeblichen Parteien von damals haben politische Abstinenz geübt. Warum? Weil sie vor dem Volk nicht mehr die an

-

-

in der Vorlage handschr. gestrichen: „Aber ich will Sie ja schonen und will sachlich dazu sprechen." ) Heinrich Brüning (1883-1970), Zentrumspolitiker. Seit dem 28. März 1930 Reichskanzler ohne parlamentarische Mehrheit. Er führte seine Politik mit Hilfe von Notverordnungen durch. Memoiren 1918-1934. Stuttgart 1970. Heinrich Brüning, in: Zeitgeschichte in Lebensbildern. (Bd. 1) Hrsg. von Rudolf Morsey. Mainz 1973, S. 251 ff.

') Folgt

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Verantwortung für das übernehmen wollten, was in der Folge der Notverordnungen gegen das Volk exerziert wurde. Brüning hier nennen, heißt auch seine den Erlaß und den Inhalt seiner ihrem brutalen Abbau der Renten Weihnachtsnotverordnung von 19 3 0122) mit und mit ihren Massensteuern herausstellen. Aber nur soviel, daß Sie damals als Sozialdemokraten sich auch an der Abstinenzpolitik beteiligt haben. Richtig gesagt muß man nicht Brüning als den ersten Notverordnungskanzler bezeichnen. Es war ja schon vorher einer da. Ihr sozialdemokratischer Kanzler Müller123) hat zuerst mit Notverordnungen, hat zum ersten Mal mit dem Artikel 48 Politik

Das heißt auch

nennen.

zum

Beispiel

regiert.

Der Zerfall der bürgerlichen Gruppen innerhalb der Bourgeoisie war die Folge der Krise des kapitalistischen Systems. Aus dieser Notlage heraus hat man sich in den Faschismus eines Adolf Hitler geflüchtet. Ich habe heute morgen schon einmal ausgesprochen: Adolf Hitler ist doch nicht vom Himmel heruntergefallen. Er ist doch das Endergebnis einer langen politschen Entwicklung bei uns in Deutschland, an der auch Sie, meine Herren von der SPD, beteiligt sind. (Dr. Schmid: Wie war es denn mit dem gemeinsamen Streik in Berlin und Hamburg, wo Sie mit der SA Streikposten gestanden haben124)?) Man hat damals nach dem Tyrannen geschrien, um sich vor der aufsteigenden Arbeiterklasse zu retten. Damals, noch im Jahre 1933, hat Ihre Parteiführung ein Angebot zur Bildung einer einheitlichen Abwehrhont gegen Hitler abgelehnt. Damals haben die Arbeiter bei uns im Ruhrgebiet auf den Befehl zum Generalstreik gewartet. Er ist nicht gekommen. Wer hat denn im Reichstag in der Krolloper Hitler mit dem Ermächtigungsgesetz die Möglichkeit gegeben, die

Demokratie

zu

beseitigen?

den Sozialdemokraten: Wer?) Soll ich Ihnen einige „demokratische" Minister aus der britischen Zone nennen? Heute brave CDU-Leute125), zum Beispiel unsere Frau Kultusminister von Nordrhein-Westfalen, die damals im Reichstag126) Abgeordnete des Zentrums war, das ausnahmslos dafür gestimmt hat. Also wenn schon Stellungnahme, dann eine historisch echte und wahre Stellungnahme. Die Tyrannis haben Sie gewollt. Sie brauchten sie, Sie brauchten Hitler und seinen Faschismus als die brutalste Ausbeutungsmethode gegen die Arbeiterklasse.

(Zuruf

122)

von

Da Weihnachten 1930 eine

gemeint

war;

möglicherweise

Notverordnung nicht erlassen wurde, blieb unklar, was die Notverordnung vom 1. Dez. 1930 zur Sicherung von

Wirtschaft und Finanzen (RGBl. I, S. 279). 123) Hermann Müller-Franken (1876-1931), SPD, Reichskanzler (März-Juni 1920, Juni 1928März 1930); siehe die entsprechenden Bände in der Edition Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik bearb. von Martin Vogt: Das Kabinett Müller I, Boppard 1971, Das Kabinett Müller II,

Boppard

1970.

124) Siehe Dok. Nr. 4, Anm. 25. 125) In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Zentrums". 126) Christine Teusch (1888-1969), von 1919-1933 Zentrumspolitikerin

im Reichstag, nach Mitbegründerin der CDU im Rheinland und seit 1946 im nordrhein-westfälischen Landtag. Von 1947-1954 Kultusministerin in Nordrhein-Westfalen. Siehe Zeitgeschichte in Lebensbildern. Hrsg. von Rudolf Morsey. Bd. 2, Mainz 1975, S. 202 ff. 1945

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Nun ein Wort weiter. Es ist heute so wenig von der Persönlichkeitswahl gesprochen worden, einem Paradepferdchen, das man in der Zwischenzeit so oh hat laufen lassen. Ich will nicht gehässig werden. Ich habe aber einmal im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Frage aufgeworfen: Wenn ich mich so umsehe

und die Persönlichkeiten betrachte, dann sehe ich wohl einige „Persönlichkeiten"; aber vielleicht muß man sagen, daß sie sehr umstrittene Persönlichkeiten sind.

(Heiterkeit.)

begnüge mich heute mit der Feststellung, daß man von der Persönlichkeitswahl heute nicht viel Aufhebens gemacht hat. Und nun zum Schluß. Wir haben in Nordrhein-Westfalen, meine Herren Sozialdemokraten, mit Hilfe Ihres Fraktionskollegen Dr. Menzel mit Zustimmung aller Parteien außerhalb der CDU für unsere Kommunalwahl ein Gesetz herausgebracht, das zwar im Prinzip auch von der Personenwahl ausgeht, das aber im Endeffekt ein klares und eindeutiges Proporz-, Verhältniswahlsystem ist. Ich bin der Meinung, daß, wenn man schon das eine Proporz-System aus taktischen Gründen ablehnt, mindestens die Sozialdemokratie sich hinter das von Ihrem Fraktionskollegen Dr. Menzel für Nordrhein-Westfalen geschaffene Kommunalwahlgesetz stellen und für das darin verankerte Prinzip aussprechen sollte. Meine Herren, wenn auch heute vielleicht ein derartig „manipuliertes" oder „modifiziertes" gemischtes System der SPD zugute kommen kann, sind Sie sicher, daß das immer so sein wird, oder haben Sie nicht selber vielleicht ein bißchen Sorge, daß das Rad sich einmal rückwärts entwickeln könnte und daß dann Ihre großen Koalitionsbrüder von der CDU die Nutznießer Ihres Systems werden? Dann zum Abschluß. Man sollte doch nicht ganz das abschreiben, wofür man einmal die Fahne hochgehalten hat. Man sollte nicht nur mit dem Munde betonen, daß man aus der Geschichte seiner Partei, aus der Geschichte der Arbeiterbewegung etwas gelernt hat. Wer der Arbeiterbewegung dienen will, wer die Arbeiterklasse und ihre Interessen verteidigen will, der kann sich nur für ein reines Proporz-System aussprechen, das dazu führt, daß die Stimme des kleinen Arbeiters, des kleinen werktätigen Mannes so gleichwertig und so bedeutsam in die Wahlurne geht und später aus der Wahlurne auch wieder gleichberechtigt herauskommt, wie das nur im Proporz-System möglich ist. Was Sie wollen, bedeutet Gleichberechtigung bis zum Schlitz der Wahlurne, und wenn einmal die Stimme, der Wahlzettel hineingeworfen ist, dann beginnt nach Ihrem System, auch nach Ihrem modifizierten System die Ungerechtigkeit, die Also ich

Ungleichwertigkeit.

(Dr. Menzel: Wo denn?) Als Arbeiter, als Sozialist sollte man aber für die Gleichwertigkeit der abgegebenen Stimmen und für das gleiche Wahlrecht hir alle Wahlberechtigten bei uns stimmen und dafür sorgen, daß das durchgeführt wird. Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat Frau Wessel. Frau Wessel (Z): Meine Damen und Herren! Es scheint mein Schicksal zu sein, daß ich immer hinter dem Herrn Abgeordneten Renner sprechen muß, und es ist nicht leicht, dann wieder zu dem eigentlichen Inhalt unserer Debatte zu310

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rückzukehren. Ich möchte mich als letzte Rednerin zu der Frage des Wahlrechts möglichst kurz fassen und nur noch einige grundsätzliche Ausführungen machen. Vorausschickend möchte ich dazu sagen, daß meine Partei auf dem Standpunkt des modifizierten Verhältniswahlrechts steht, das heißt Verbindung des Persönlichkeitswahlrechts mit dem Proporz. Es ist von den Vorrednern das Für und Wider für das Mehrheitswahlrecht wie für das Verhältniswahlrecht dargelegt worden. Die beiden Kollegen Herr Dr. Diederichs und Herr Dr. Becker haben uns Entwürfe dargelegt, die bemüht sind, ein Wahlrecht zustande zu bringen, von dem man glaubt, daß es eine gerechte Stimmenverteilung sichert127). Von den Vertretern des Verhältniswahlrechts wird immer die gerechte das ist heute auch ausgeführt worden sehr stark betont. diese So Argumentation ist, nämStimmenverteilung wichtig lich der Gesichtspunkt des gleichen Rechts für alle, so scheint es mir doch angesichts der vorgebrachten Gründe für das eine und andere Wahlrecht und besonders angesichts der Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Kroll notwendig zu sein, die Stellungnahme des Zentrums zum Wahlrecht nicht allein von dieser Begründung her zu zeigen, sondern aus den tatsächlichen politischen Verhältnissen unseres Volkes. Meine Damen und Herren! Das vom Herrn Abgeordneten Kroll im Namen der CDU geforderte relative Wahlrecht soll das Ziel haben, in Deutschland zum Zweiparteiensystem zu kommen, wie es in England und Amerika der Fall ist. Es ist in diesem Zusammenhang einmal ganz interessant, zu sagen, daß ausgerechnet Herr Churchill128), doch wohl der beste Englandkenner, ein Gegner des das müssen wir Mehrheitswahlrechts ist. Es ist in Amerika und England einmal sehen so, daß dort echte politische Parteien bestehen, nicht Weltanschauungsparteien wie bei uns in Deutschland. Sie werden es verstehen, wenn ich gerade diesen Standpunkt einmal in die Debatte werfe, weil er in den bisherigen Ausführungen nicht zutage getreten ist. Sie werden weiterhin verstehen, weshalb ich in meinen gestrigen Ausführungen verlangt habe, daß die Parteien sich nicht gegenseitig in weltanschaulichen Kämpfen aufreiben dürfen und deshalb diese Fragen, wenn wir überhaupt zu einem echten politischen Leben kommen wollen, im vorparlamentarischen Raum geklärt und entschieden werden müssen. Solange wir diesen Standpunkt nicht anerkennen, solange wir nicht bereit sind, in allen Fragen, auch in weltanschaulichen, tolerant und demokratisch zu handeln, schaffen wir keine echte Demokratie in Deutschland, auch nicht mit dem besten Wahlrecht. Wir sollen uns davor hüten, zu glauben, daß wir die Spannungen, die in sozialer, nationaler und weltanschaulicher Hinsicht in unserem Volk vorhanden sind, etwa mit diesem oder jenem Wahlrecht überwinden. Es ist deshalb auch falsch, wie es von Herrn Abgeordneten Kroll dargestellt worden ist, daß das Scheitern der Weimarer Republik in dem Maße auf das Verhältniswahlrecht zurückzuführen ist, wie es immer von den Vertretern des Mehrheitswahlsy-

-

-

-

127) Siehe dazu Der Pari. Rat Bd. 6 passim. 128) Churchill siehe Dok. Nr. 6, Anm. 21. 311

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dargestellt wird. Meine Damen und Herren, Weimar ist gescheitert, weil die Parteien es nicht verstanden haben, die vorhandenen sozialen und nationalen Spannungen zu überwinden, stems

(sehr gut!)

und weil erhebliche Teile des deutschen

Bürgertums ihre historische Aufgabe politischen Neugestaltung Deutschlands nicht erkannt haben. (Sehr richtig!) Das von Herrn Dr. Kroll geforderte Mehrheitswahlrecht würde und das wollen wir einmal ganz offen aussprechen zu Frontbildungen führen, die wir für falsch und gefährlich halten. Es würden nämlich bei uns in Deutschland, weil wir eben weltanschaulich orientierte Parteien haben, Scheidungen etwa in eine christliche oder nichtchristliche, in eine bürgerliche oder eine sozialistische Front kommen. Das würde die völlige Zerreißung des deutschen Volkes in zwei Lager bedeuten. Zudem glauben wir, daß das Ziel nicht einmal mit dem relativen Wahlrecht erreicht wird, das deutsche Volk zu klaren politischen Entscheidungen zu bringen. Unser politisches Leben ist nicht so einfach, daß man die Menschen nach ihrer Parteizugehörigkeit in christlich oder nichtchristlich, in sozialistisch oder bürgerlich einteilen kann. Je mehr von den Deutschen begrifzur

-

-

fen wird, daß im politischen Leben Gesetze, Denkweisen und Sachverhalte eine Rolle spielen, die auf einer ganz anderen Ebene liegen als der, was im Sinne einer Weltanschauung oder eines religiösen Bekenntnisses erheblich ist oder nicht, und wir bereit sind, unsere Entscheidungen danach zu treffen, erst dann und nicht durch ein Wahlrecht werden wir zu echten politischen Fronten

kommen.

(Brockmann: Sehr richtig!)

Es ist doch durchaus denkbar und ich möchte die Frage in diesem Zusammenhang gerade in bezug auf unsere deutschen Parteien einmal aussprechen -, daß zum Beispiel von zwei guten und echten Christen der eine glaubt und in der Lage ist, in der liberalen Wirtschahsform, ja sogar im kapitalistischen System -

seiner christlichen Weltanschauung zu handeln, und daß der andeebenso gute Christ meint, nur durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sein Christentum in der Politik sichtbar machen zu können. Und umgekehrt kann auch ein im religiösen Sinne unchristlicher Mensch ein ebenso konservativer wie extremer Erneuerer und Sozialist sein und dabei doch in vollem Einklang mit dem sittlichen Gehalt der Bergpredigt oder dem sozialmoralisch bedeutsamen Inhalt der 10 Gebote stehen. Selbst wenn Deutschland weltanschaulich und religiös nicht so stark zerklüftet wäre, wie es der Fall ist, wenn das deutsche Volk eine Weltanschauung und eine Religion hätte, würden verschiedene politische Parteien aus der verschiedenen politischen Einstellung der Menschen vorhanden sein. Aus diesen Gründen halten wir die Vorschläge eines Wahlrechts, die an diesen realen Tatsachen vorbeigehen, für falsch und verhängnisvoll, weil sie nämlich auf Trugschlüssen aufgebaut sind. Wir wenden uns auch deshalb das darf ich gerade als Frau einmal aussprechen gegen das Mehrheitswahlrecht, weil es bestimmten Gruppen, die keineswegs als Interessengruppen angesprochen werden können, wie zum Beispiel die Frauen, wenig Chancen geben wird, eine entsprechende Vertretung in den

entsprechend

re

-

-

312

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Parlamenten zu bekommen. Weil wir aber der Auffassung sind, daß in dem Neuaufbau Deutschlands ohne die Frau ein wesentlicher Faktor fehlen würde, wünschen wir nicht ein Wahlrecht, das der Frau verfassungsmäßig das passive Wahlrecht wohl zuerkennt, sie aber in der Praxis davon ausschließt. damit möchte ich zum Schluß kommen und mich auf diese Was wir aber wenigen grundsätzlichen Ausführungen zum Wahlrecht beschränken unserem Volke immer wieder klarmachen müssen, ist die Erkenntnis, daß die Führung im Staate dem echten Politiker vorbehalten bleiben muß. Für ihn steht das Politische im Vordergrund und nicht die Vertretung der Interessen einer Gruppe. Es muß unser Anliegen sein, dem deutschen Volk diese echten Politiker zu geben, jene Führer, die sich auch über die Grenzen ihrer Partei hinaus als Volksvertreter fühlen. Diese politische Elite zu schaffen, wird die bedeutsamste Aufgabe unserer Demokratie sein. Wenn wir gestern bei der Präambel von der echten Freiheit der Menschen gesprochen haben129), so müßte sie hier bei den Volksvertretern in ihrer ganzen Haltung sichtbar sein. Im Mittelpunkt aller demokratischen und sozialen Problematik steht heute neben der Frage und der Aufgabe der Kulturproblematik die freie, neue Bildung einer Elite, zu der grundsätzlich alle Zugang haben, der aber zuzugehören von dem Niveau, von der Würde und von dem Wert des Menschen abhängig ist. Nur von dieser Grundlage aus werden wir zu einer politischen Gestaltung Deutschlands kommen, werden wir es fertigbringen, auch die richtigen Proportionen in unser politisches und parlamentarisches Leben zu bringen. Ich glaube nämlich, wir geben uns einer großen Täuschung hin, das Nichtfunktionieren unseres heutigen parlamentarischen Lebens nur von der Frage dieses oder jenes Wahlrechts aus zu sehen. Nicht das Wahlrecht ist daran schuld, sondern das Versagen von Parteivertretern, die es nicht fertigbringen, über ihre Parteizäune hinweg das gemeinsame große Ziel der Gestaltung und des Funktionierens unserer Demokratie zu sehen. So muß es unser Anliegen sein ganz gleichgültig, welches Wahlrecht wir bekommen -, Menschen zur Geltung zu bringen, die in echter Verantwortung den demokratischen Staat aufbauen. Diese kommen von verschiedenen politischen Auffassungen her. Aber bei allen konkreten Unterschiedlichkeiten haben sie vieles gemeinsam, wo wir uns alle finden können, um nämlich in Wahrheit dem deutschen Volke zu dienen. -

-

-

(Bravo!) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Löwenthal. Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zum Schluß

Vizepräs. Schönfelder:

Dr. Löwenthal

(SPD):

diesmaligen Plenartagung nur einige kurze Bemerkungen. Nach den glanzvollen Heiterkeitserfolgen, die der Herr Abgeordnete Renner heute davongetragen hat, steht zu befürchten, daß auch er plötzlich an Arbeitsüberlastung unserer

erkranken und durch einen anderen ferngelenkten Lautsprecher ersetzt wird. (Sehr gut! und Heiterkeit.) Das wäre eigentlich bedauerlich. Denn einen zweiten so ergiebigen negativen Propheten wie den Abgeordneten Renner werden wir wohl kaum wieder hierher bekommen. Es wäre verlockend, einige besondere Perlen, die Herr Renner

129)

Siehe den

Redebeitrag von Frau Wessel in Dok. Nr.

6, S. 208 ff. 313

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heute vor uns ausgestreut hat, etwas näher auf ihren Wahrheits- und sonstigen Gehalt zu untersuchen. Aber ich will ihm nicht darin folgen, daß ich über alles und noch einiges spreche, nur nicht zum Thema. Nur einige wenige Worte! Es war etwas unvorsichtig, wenn Herr Renner von einem reaktionären Staat gesprochen hat, der die Monopolinteressen vertritt. Denn offenbar hat er nicht daran gedacht, daß es einen Staat gibt, der in der Ostzone in den SowjetAGs130) den größten monopolistischen Trust errichtet hat, den die Weltgeschichte jemals gesehen hat.

(Sehr gut!)

Besatzungskosten zu sprechen, ist auch ein billiges Vergnügen für ihn, nicht für die Steuerzahler der Ostzone, die ungefähr drei Fünhel aber billig ihres Steueraufkommens für die dortige Besatzungsmacht aufbringen müssen. Ein gerechter Frieden sieht nach Meinung des Herrn Renner wohl so aus, daß jetzt aus der schon ausgepowerten Ostzone noch 10 Milliarden Dollar nach dem Wert von 1938, das sind jetzt 13 Milliarden Dollar herausgeholt werden sollen. Was den Abzug der Besatzungstruppen anbelangt, so ist durch die Aufstellung dieser neuen Polizeimacht von 400 000 Mann131) schon dafür gesorgt, daß die Bäume der wirklichen Demokratie (Renner: das steht bei euch auf dem Papier!) auch in der Ostzone nicht in den Himmel wachsen würden. Von den

-

-

(Zuruf von Renner.) Regen Sie sich nicht auf, (Zuruf

-

-

von

Herr Renner,

es

kommt noch viel besser.

Renner.)

Sie sich nicht vorzeitig, heben Sie sich Ihre Entrüstung auf! (Heiterkeit. Renner: Es ist bezeichnend, daß man das ganze Haus gegen einen aufbieten muß.) Warten Sie! (Renner: Es wird sich Gelegenheit geben, auf Ihre Argumente vom gleichen Glocke Platz zu antworten. Ich hoffe, daß Ihre Demokratie so weit geht. des Präsidenten.) Sie als Sachverständiger für Demokratie, das müssen Sie natürlich wis-

Verausgaben

-



-

sen.

jetzt zum Thema! Der Herr Abgeordnete Renner hat es für gut befunden, einige Histörchen aus der Zeit des Dreiklassenwahlrechts und der Wahlen zum

Aber

kaiserlichen Reichstag vorzutragen, die ausnahmsweise sogar wahr gewesen sind. Ausnahmsweise, sage ich, Herr Renner. (Renner: Soll das heißen, daß ich sonst lüge?) Ich habe eine sehr gute Stimme, so schreien können Sie gar nicht. (Renner: Herr Präsident, ist das auch Demokratie, wenn er mir Lügen vorwirh? Glocke des Präsidenten.)

-

-

13°) Sowjetische Aktiengesellschaften wurden 1946 gegründet und erfaßten im Rahmen der Reparationsleistungen zeitweise ein Viertel bis ein Drittel der industriellen Fertigung

m) 314

der SBZ. Bis 1953 wurden sie zumeist der DDR zurückgegeben. Zur Polizei in der SBZ siehe Dok. Nr. 4, Anm. 28.

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Vizepräs. Schönfelder: Herr Renner, Sie haben gemerkt, daß ich nichts gegen Zwischenrufe habe. Aber sie dürfen nicht so ausarten, daß weder der Redner noch die Versammlung etwas versteht. (Renner: Ich habe einen Brief gegen Ihre „objektive" Geschähsführung zur Unterschrih fertig. Der Brief geht Ihnen noch heute im Laufe des Tages zu132).)

Möglichkeit gehabt, alles mögliche, auch nicht zum Thema gehörte, hier in die Versammlung hineinzubringen. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Ihnen darauf in gleicher Weise geantwortet wird. Soviel Demokratie müssen Sie auch zugestehen. Sie haben doch weiß Gott die

-

wenn es

(Zuruf

von

Renner.)

Dr. Löwenthal (SPD): Ich nehme es Herrn Renner nicht übel. Er ist darauf aus, mit seiner einzigen Person hier das zu leisten, was im Ostsektor von Berlin allerdings ganze Scharen von Leuten leisten, die von seinen Freunden aufge-

sind. (Zuruf des Abg. Renner.) Herr Renner, Sie hätten es nicht nötig gehabt, so weit auf die Wahlzustände in Ostelbien zurückzugreifen. Denn was sich bei den letzen Wahlen vom Oktober 1946 in Ostelbien zugetragen hat, das übersteigt alle Rekorde. Ich will nicht Einzelheiten vortragen. (Renner: Sie können sie nicht vortragen, Sie können nur Sammellügen aus dem „Telegraf133)" vortragen.) Herr Renner, ich möchte Ihnen empfehlen, eine auch für Sie recht nützliche Lektüre in die Hand zu nehmen. Ich habe die Dinge, die diese Wahlfälschungen in unerhörtestem Maßstabe in der Ostzone betreffen, in meinem Buch über die Zustände in der Ostzone dargelegt134). Da können Sie das nachlesen. Ich will jetzt zu so vorgerückter Stunde das Auditorium damit nicht länger behelligen. Aber wenn Sie einiges hören wollen, will ich es Ihnen auch sagen. sie macht alles dafür gesorgt, daß die Wählerlisten gar Da hat die SMA135) nicht aufgestellt werden konnten, indem man mit allen möglichen Tricks gearbeitet hat, die ich auch im einzelnen geschildert habe und belegen kann. Das beruht alles auf amtlichen Akten, Herr Renner, die mir zugänglich gewesen sind. Das kann man nicht wegstreiten. (Renner: Ihre Spionagezentrale in Hannover130) hat sie produziert.)

putscht

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der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 30. Okt. 1948 über die des Pari. Rates vom 26.-29. Okt. 1948: „Der Vollständigkeit halber soll hier Tätigkeit noch Erwähnung finden, daß der KPD-Abgeordnete Renner beim Präsidenten schriftlich gegen die Art und Weise Verwahrung eingelegt hat, in der Vizepräsident Schönfelder die Geschäftsordnung in der 6. und 7. Plenarsitzung des Rates handhabte" (Z 12/118, Bl. 11). Das Schreiben selbst ließ sich nicht ermitteln. 133) Der Telegraf war eine seit 1946 unter dem Titel „unabhängige Zeitung für das freie Berlin" erscheinende Tageszeitung, die von Arno Scholz und Paul Löbe herausgegeben wurde. 134) Fritz Löwenthal: Der neue Geist von Potsdam. Hamburg 1948. In englischer Ausgabe: News from Soviet Germany. London 1950. 135) SMA: Abkürzung für Sowjetische Militäradministration. 136) Gemeint war die Parteizentrale der SPD in Hannover.

132) Siehe den Bericht

315

Nr. 7

Siebente

Sitzung des Plenums

21. Oktober 1948

Ich will mich mit Ihnen nicht weiter auseinandersetzen. Wenn Sie weiter bellen wollen, dann bitte schön. (Renner: Der Schwindel, den Sie hier vortragen!) Ich merke an Ihrem Verhalten nur, wie unangenehm es Ihnen ist, daß auch einmal die Wahrheit gesagt wird. (Zurufe: Sehr richtig! Renner: Man kann auch umgekehrt schlußfolgern.) Die SMA hat Sie sind von sich aus an die Wahrheit nicht gewöhnt. dafür gesorgt, daß im größten Umfang überhaupt keine Wählerlisten aufgestellt werden konnten. Sie hat dafür gesorgt, daß ihr mißliebige Kandidaten rechtzeitig eingesperrt wurden. Derartige Dinge sind massenhah vorgekommen. Was hüher in Ostelbien vorgekommen ist, daß nämlich mit Wahlschnaps gearbeitet wurde, das geschieht jetzt in diesem gesegneten Lande, wo der Schnaps so reichlich fließt, erst recht im großen Umfange, und zwar nicht nur mit Schnaps, sondern mit Würstchen und mit anderen besonderen Verlockungen. (Renner: Ihr arbeitet mit Care-Paketen137). Ist das nicht dasselbe?) In Ostelbien ist es im Jahre 1946 mit allen diesen Schikanen und allen diesen schändlichen Methoden nicht gelungen, zu verhindern, daß immerhin noch die übrigen Blockparteien in einigen Ländern sogar die Mehrheit bekommen haben. Damals war man noch nicht so weit wie heute. Aber trotzdem haben Sie heute Angst vor den Wahlen in der Ostzone. Obwohl Sie sich auf die Bajonette der Besatzungsmacht stützen können, wissen Sie ganz genau, daß, wenn Sie die Wahlen in der Ostzone nicht verhindern würden, ein derartig jämmerliches Debakel herauskommen würde, wogegen Ihre Wahlniederlage vom Sonntag ein Waisenkind wäre138). Und das will schon etwas sagen. —



-



-

(Renner:

Wie geistreich!) Ergebnis so wäre,

wie Sie es haben wollen, würden wir zu Methoden kommen, wie wir sie im Mutterlande der berühmten Volksdemokratie sehen, wo wir ständig bei jeder Wahl der Kenner nimmt es ohne Erstaunen wahr, der Laie schweigt dazu erfahren, daß 103% der Wahlberechtigten an die Urne gegangen sind Wenn das

-

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(Heiterkeit) und daß von den Abstimmenden 105% für den Einheitsblock der Kommunisten und der Parteilosen so heißt dieses herrliche Gebilde gestimmt haben. erbauliche Wunder eine sind Derartige Angelegenheit, allerdings nicht für die Betroffenen. (Zuruf des Abg. Renner.) Ich will auf diese Dinge nicht weiter eingehen, ich will zum Schluß kommen. Ich möchte nur darauf hinweisen, Herr Renner, aus dem, was Sie hier vorgebracht haben, hat sich ergeben, wie unangenehm es für Sie, Ihre Freunde, Ihre Hintermänner und Ihre Drahtzieher ist, daß man jetzt hier dabei ist, ein Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu machen, die eines Tages auch -

-

137) Care-Pakete waren Geschenksendungen der Cooperative for American Remittances to Europe, die 1946 in den USA gegründet wurde zur Organisation von Hilfssendungen nach Europa. 138) Zur Wahlniederlage der KPD vom 17. Okt. siehe Anm. 83. 316

Siebente

Sitzung des Plenums

21.

Oktober 1948

Nr. 7

ihre Ostzone umfassen und die einstweilen einen großen Anziehungspunkt für sie bilden wird. Es soll uns ein Ansporn sein, alles daran zu setzen, das Werk, mit welchem wir hier betraut sind, möglichst schnell und in einer möglichst erfreulichen Form zu Ende zu bringen. Vizepräs. Schönfelder: Damit ist die Debatte und auch die jetzige Tagung des Parlamentarischen Rates geschlossen139). Es ist unmöglich, jetzt schon eine neue Plenarsitzung zu bestimmen. Das wird den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates gegebenenfalls zur Kenntnis gebracht werden. Ich schließe die Sitzung. Die Sitzung wird um 17 Uhr 33 Minuten

')

geschlossen.

Die Neue

Zeitung (23. Okt. 1948, Artikel „Plenumdebatte bringt keine Entscheidung", Ausschnitt in Z 5/180 F) kommentierte die Ergebnisse der 6. und 7. Sitzung wie folgt: „Neutrale Beobachter äußern, die zweitägige Debatte im Plenum habe die Verhandlungen nicht vorangetrieben, sondern praktisch um eine ganze Woche verzögert. Diese Ansicht wird damit begründet, daß von vornherein in den Fraktionen die Abmachung getroffen wurde, keine Polemik in der Plenarsitzung zu führen und nach wie vor alle Wege offenzuhalten." Man erwarte entscheidende Ergebnisse durch die interfraktionellen Beratungen der kommenden Woche. 317

Achte

Nr. 8

Sitzung des Plenums

24.

Februar 1949

Nr. 8

Achte

Sitzung

des Plenums

24. Februar 1949 Z

5/15, Bl. 23-144; Z 5/16, Bl. 1-172; ungez. und undat. stenogr.

Wortprot.1)

Kurzprot.:

Druck: Z

Stenogr.

15/15, Bl. 1-22. Stenogr. Berichte, S. 125-167. Dienst: Dr. Koppert, Dr. Meidinger, Dr. Haagen, Dr. -

Herrgesell.

Jonuschat,

Dr.

Peschel,

Dauer: 9.46-12.29; 14.46-18.37; 18.50-19.03 Uhr

[1. GEDENKEN AN DEN ABG. WALTER, GESCHÄFTLICHES] Die

Sitzung

wird

um

9

Uhr 46 Minuten durch den Präsidenten Dr. Adenauer

eröffnet2). Präs. Dr. Adenauer: Ich eröffne die Sitzung. Meine Damen und Herren! Am 17. Februar ist

(die Abgeordneten erheben sich)

aus

unser

Kollege Walter3)

dieser Zeitlichkeit abberufen worden. Herr Walter wurde vom Landtag von in den Parlamentarischen Rat entsandt. Er ist uns allen lieb

Württemberg-Baden

!) Die Vorlage wurde für den Druck eingerichtet und weist daher Anweisungen an den Setzer auf. Vgl. Einleitung, S. XXXIX. Wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen wur-

den Bl. 2, 45-48, 113 der ursprünglichen Blattzählung vor dem Druck nochmals abgeschrieben, so daß diese Seiten doppelt vorhanden sind. Vereinzelt wurden Seiten einer maschinenschr. Durchschlagfassung mit verwendet. 2) Mitte Februar 1949, nachdem den Alliierten am 11. Febr. 1949 das vom HptA in dritter Lesung verabschiedete GG übermittelt worden war, dachte man konkret daran, die zweite Lesung im Plenum zu veranstalten. Die CDU/CSU-Fraktion hatte am 11. und 16. Febr. 1949 bereits festgelegt, wer die Berichterstattung im Plenum nach einem Generalbericht durch den Vorsitzenden des HptA übernehmen solle. Offen blieb dabei allerdings die Frage, ob man in die 3. Lesung eintreten solle, ohne daß die Stellungnahme der Alliierten zum GG vorliege und ohne daß das Besatzungsstatut bekannt sei (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 400 ff.). Nach einem Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 22. Febr. 1949 war diese Sitzung des Plenums vom Ältestenrat am gleichen Tag beschlossen worden. Demnach sollten die Beratungen eigentlich ausgesetzt und erst am Donnerstag, 3. März 1949, wieder aufgenommen werden. Dieser Beschluß wurde gefaßt, da sich die Vertreter der SPD auf den Standpunkt stellten, der Pari. Rat solle das GG zu Ende führen, gleichgültig ob die Bemerkungen der Alliierten zum GG-Entwurf vorlägen oder nicht und gleichgültig auch, ob bis dahin die Alliierten ihre Beratungen über das Besatzungsstatut abgeschlossen hätten (Z 12/121, Bl. 29). Die Beratung des Wahlgesetzentwurfes am 22. und 23. Febr. 1949 durch den HptA und durch das Plenum in erster, zweiter und dritter Lesung am 24. Febr. 1949 sei daher überraschend gewesen (Bericht Leisewitz vom 1. März 1949, Z 12/12, Bl. 245). Zur Begründung hieß es, die Länderregierungen sollten möglichst bald mit den Vorbereitungen der Wahl zum Volkstag beginnen können. Der Vorgang scheine ihm bezeichnend für die Unentschlossenheit, die in Bonn aus dem Warten auf die „Bemerkungen" der Alliierten zum GG und das Besatzungsstatut entstanden sei (ebenda). 3) An der Beisetzung in Stuttgart nahmen für die CDU/CSU-Fraktion teil die Abg. Kaufmann, Dr. Finck und Dr. Strauß (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 408). 318

Achte Sitzung des Plenums 24. Februar 1949

Nr. 8

durch seinen Pflichteifer, seine Zuverlässigkeit, seine Ausgeglichenheit und seine stete Hilfsbereitschah. Wir werden sein Andenken in Ehren halten. Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen Kollegen von Ihren Sitzen erhoben; ich danke Ihnen. An Stelle des Herrn Walter wurde Herr Kühn4) als Mitglied des Parlamentarischen Rates gewählt. Herr Kühn ist anwesend; ich heiße ihn willkommen. Das Mitglied des Parlamentarischen Rates Rönneburg5) hat sein Mandat infolge Erkrankung niedergelegt. An seine Stelle tritt Herr Hofmeister6), Niedersach-

geworden

sen.

Für die heutige Dr. Binder und

Sitzung haben sich entschuldigt die

Herren

Löbe, Reuter, Heile,

Reimann7).

[2. ENTWURF EINES WAHLGESETZES DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND, ERSTE LESUNG]

Allgemeine Aussprache Wir treten nunmehr in die Tagesordnung8) ein. Auf ihr steht die Beratung des Entwurfs eines Wahlgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 2.1

Nr. 624), Berichterstatter; Dr. Becker. Nun sieht unsere Geschähsordnung9), die

ja mit Absicht etwas summarisch und locker gefaßt ist, keine ausdrückliche Bestimmung darüber vor, ob im Plenum drei Lesungen nach gewissen Zeiträumen vorzunehmen sind oder nicht. Ich

schlage Lesung sind?

Ihnen vor, nach einer kurzen Unterbrechung die zweite und dritte die erste anzuschließen. Darf ich fragen, ob Sie damit einverstanden

an

(Allgemeine Zustimmung.) zur Abkürzung

unserer Beratungen beitragen, wenn wir zunächst in eine kurze Generaldebatte zum Wahlgesetz eintreten und im Anschluß daran die einzelnen Artikel aufgerufen werden. Ich nehme an, daß Sie auch mit diesem Vorschlag einverstanden sind.

wird, glaube ich,

Es

-

4) Adolf Kühn (1886-1968), CDU, Württemberg-Baden. 5) Heinrich Rönneburg (1887-1949), CDU, Niedersachsen, war aufgrund einer Krankheit zurückgetreten, nachdem Adenauer ihn darum gebeten hatte, sein Mandat niederzulegen, damit sein Vertreter im Pari. Rat abstimmen könne

QR). Rönneburg verstarb

6) 7) 8) 9)

am

1.

Sept.

1949.

(StBKAH,

NL Adenauer 09.03

Siehe Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat,

S. 414. Dr. Werner Hofmeister (1902-1984), CDU, Justizmin. und Minister für Entnazifizierung in Niedersachsen. Die entsprechende „Mitteilung für die Plenarsitzung" in: PA 5/Nr. 28. Die Tagesordnung dieser Sitzung mit dem einzigen TOP „Wahlgesetzentwurf" wurde vervielf. als Drucks. Nr. 625. Zur Geschäftsordnung siehe Dok. Nr. 5, Anm. 8.

319

Nr. 8

Achte

Sitzung des Plenums

24.

Februar 1949

Schließlich darf ich bitten, Wortmeldungen an die Herren Schriftführer zu richten, weil es dem Präsidenten sonst leicht passieren kann, daß er eine Wortmeldung übersieht. Bisher liegen keine Wortmeldungen vor.

(Dr.

von

Brentano: Zur

Geschähsordnung!)

hat Herr Dr. von Brentano das Wort. Dr. von Brentano (CDU): Ich möchte nur fragen, ob nicht vor Eintritt in die Aussprache ein Generalbericht zu erstatten wäre. Zur

-

Geschähsordnung

(Zustimmung.)

Präs. Dr. Adenauer: Berichterstatter über den Wahlgesetzentwurf ist Herr Dr. Becker. Ich erteile ihm das Wort. Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Meine Damen und Herren! Der Wahlrechtsausschuß, dessen Vorsitzender zu sein ich die Ehre hatte, hat in etwas über 20 Sitzungen seine Arbeit erledigt10). Er hatte eine ungewöhnliche Aufgabe insofern, als ihm keine Regierungsvorlage zur Verfügung stand, so daß er Weg und Materie des Gesetzentwurfs sich erst erarbeiten mußte. Ich glaube, der Wahlrechtsausschuß kann für sich in Anspruch nehmen, daß er Entscheidungen nicht aus dem Wege gegangen ist, sondern sie geradezu gesucht hat, um den Weg zum Ziel zu finden. Auch wenn die Abstimmungen zunächst alle negativ verliefen, ergab sich schließlich aus der Summe der Negationen etwas Positives. Das Ergebnis dieser Arbeit liegt Ihnen in der Ausschußfassung vor. Über die Arbeit des Wahlrechtsausschusses im einzelnen darf ich kurz folgendes berichten. Wir haben im Ausschuß Sachverständige gehört: Prof. Dr. Thoma11), früher Heidelberg, jetzt in Bonn, und Herrn Reichskanzler a.D. Dr. Luther12); der eine aus der Fülle seines Wissens berichtend, der andere temperamentvoll seine Ansicht vortragend. Wir haben ferner die Herren Vertreter der Wählergesellschah13) gehört, die von ihrer Idee befangen uns die Vorzüge des von ihnen propagierten Mehrheitswahlrechts vorzutragen sich bemüht haben. Wir haben weiter in Gestalt zahlreicher Zuschrihen aus dem Kreise des deutschen Publikums und der Wählerschaft14) eine Mithilfe in einem Umfang erhalten, wie sie wahrscheinlich kein anderer Ausschuß bekommen hat. Wir haben darüber hinaus nicht nur Zuschrihen erhalten, sondern uns auch gewisse Bespiegelungen durch die Öffentlichkeit gefallen lassen müssen13). Diese Zuschriften haben verschiedenen Charakter. Wir sind dankbar für viele Zuschriften, die uns zugegangen sind und zum Teil außerordentlich glänzende, fein durchdachte Vorschläge enthielten; manch andere waren allerdings weniger gut. Namens des Ausschusses danke ich allen, die uns ihre Vorschläge eingereicht haben.

10) 11)

12) 13) 14)

Die Protokolle des Ausschusses für Wahlrechtsfragen wurden in Bd. 6 dieser Reihe ediert. Insgesamt wurden es 25 Sitzungen, Richard Thoma, zur Person siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. 3 ff. Sein Auftritt im Ausschuß für Wahlrechtsfragen siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. 4 ff. Siehe Dok. Nr. 7, Anm. 101. Zur Deutschen Wählergesellschaft siehe Dok. Nr. 7, Anm. 93. Zuschriften zum Wahlgesetz sind nur sehr unvollständig erhalten. Siehe Der Pari. Rat Bd. 8, S. LH.

15) Ebenda. 320

Achte

Sitzung des Plenums

24. Februar 1949

Nr. 8

Zuletzt ist mir noch ein Vorschlag zugegangen, über den ich, weil der Wahlrechtsausschuß seine Arbeit bereits abgeschlossen hatte, hier berichten und aus dem ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Punkte vortragen möchte. Es handelt sich um die Eingabe des Herrn Gerhardt Arndt16), Mitglied des Landtags von Niedersachsen und Repräsentationsmitglied der Ostdeutschen Landsmannschaften. Die Landsmannschaften der ostdeutschen Provinzen richten an den Parlamentarischen Rat folgenden Antrag: l.In der künhigen Bundesregierung wird ein Ministerium für die Ostvertriebenen errichtet. Diese Forderung hat mit unserer heutigen Erörterung an sich nichts zu -

tun. 2. Es wird

gewährleistet, daß die Ostvertriebenen entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil ein Viertel der Sitze im künhigen Bundesparlament erhal-

ten. 3. Die

Berechtigung der Anträge zu 1. und 2. wird in der Verfassung bzw. in einem besonderen Gesetz Wahlgesetz gesichert. Die Sicherung von einem Viertel der Sitze für die Ostvertriebenen kann wie folgt gesche-



hen: werden in der Verfassung bzw. in einem besonderen Gesetz von vornherein 25% der Sitze vorbehalten. 5. Um diese Sitze in Anspruch zu nehmen, stellen die Landsmannschahen der Ostvertriebenen Wahlkandidaten für eine gesonderte Wahl auf, oder die Landsmannschahen schlagen Kandidaten den einzelnen Parteien vor. 6. Die wahlberechtigten Ostvertriebenen wählen gesondert, eventuell im Zusammenhang mit der allgemeinen Wahl auf besonders gekennzeichneten Wahlzetteln. Ich hatte es übernommen, über diese Eingabe hier im Plenum zu berichten; ich bin dieser Pflicht hiermit nachgekommen. Die Zuschrihen enthalten neben ernsteren Dingen manchmal auch heitere Einzelheiten. Wenn man die Riesenzahl der Zuschrihen überblickt, könnte man dazu kommen, eine Psychologie der Wahlrechtsbeflissenen zu schreiben. Dabei könnte man vier Gruppen von Wahlrechtsbeflissenen schaffen: Zunächst die Gruppe der Wahlrechtsenthusiasten; das sind jene, die glauben, mit Hilfe des Wahlrechts alles politische Weh und Ach, so tausendfach, aus einem Punkt kurieren zu können. Die zweite Gruppe sind die Wahlrechtsphantasten. Das sind jene, die mit allen möglichen Vorschlägen kommen. Davon nur eine ganz kleine Auslese. Da ist zunächst die Unpartei, „Un" nicht im Sinne United Nations, sondern eine Vereinigung, die sich zu den Parteien verhält wie etwa Unglück zum Glück oder wie Unsegen zum Segen. Sie sieht vor, daß jeder deutsche Stamm einen besonderen Wahlkörper bildet. Dabei wird in deren Zuschrift ausdrücklich auf die exemplifiziert, die aus Siebenbürgen ausgewandert und bei uns eingewandert sind. Diese Wahlkörper sollen in sich Abgeordnete wählen, und, so heißt es weiter, wir, die Unpartei, die wir keine Partei 4. Es

16) Gerhard Arndt, 1890-1963, CDU, MdL Niedersachsen, ab

8. Nov. 1950

BHE, ab 8. März

1951 SRP.

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Nr. 8

Achte

Sitzung des Plenums

24. Februar 1949

sind, sind diejenigen, die die zu wählenden Sachverständigen vorzuschlagen haben. Dazu hat der Wahlrechtsausschuß sich die Rückhage erlaubt, wie dieser Vorschlag bei dem Durcheinander der Bevölkerung in Deutschland nun eigentlich durchzuführen wäre, etwa in der Form, wie nach dem Bericht der Biblischen Geschichte zur Zeit der Finanzreform des Kaisers Augustus jeder in die Stadt seiner Geburt zurückkehren mußte, um sich dort in die Wählerliste eintragen zu lassen? Weiter ist die Frage erlaubt, ob die Wahlkörper der einzelnen deutschen Stämme von sich aus in der Lage wären, Sachverständige vorzuschlagen, so daß sich dann dabei doch wieder Parteien bilden. Auf diese Fragen habe ich eine präzise Antwort nicht erhalten. Da wird ferner vorgeschlagen, man solle das Wahlalter schon mit 18 Jahren ansetzen, aber die 18-21-Jährigen sollen nur eine halbe Stimme erhalten. Es ist die Frage aufzuwerfen: Soll man nach dem Vorbild der Eheanbahnungsinstitute etwa auch Anbahnungsinstitute einschalten, wo sich zwei parteipolitisch gleichgestimmte Seelen männlichen und weiblichen Geschlechts zusammenfinden können, um so als siamesische Zwillinge oder in irgendeiner anderen Form das Wahlrecht auszuüben? Da wird weiter empfohlen, man solle die Stimmen wägen und nicht zählen, man solle die wählen, die etwas verständen. Der Wahlrechtsausschuß hat darauf geantwortet: Mit großem Interesse zur Kenntnis genommen! Aber wer diesen Vorschlag mache, scheine zu wissen, wie die Betreffenden heißen, deren Stimmen man wägen soll. Seien Sie bitte so liebenswürdig haben wir ihnen dann bloß und teilen deren Adressen wir uns Sie brauchen mit; geschrieben noch die anderen 46 Millionen Deutschen zu hagen, ob sie der gleichen Meinung sind, und die Wahl ist getätigt. So könnte man stundenlang aus diesen Akten17) berichten. Sie sind eine Fundgrube nicht nur für Doktordissertationen, sondern auch für Humoristica. Die nächste Gruppe sind die Wahlrechtsingenieure. Ich weiß nicht, ob Sie, meine Damen und Herren, wissen, was ich meine. Die Ingenieurwissenschah ist eine Wissenschah, die es mit festen, klaren, naturgegebenen Gesetzen zu tun hat, die sich mit der toten Materie befaßt und insoweit ausgezeichnet ist. Aber wenn man mit ähnlichen Gesetzen an die lebendige Materie, also auch an die Wähler und damit an das Wahlrecht, herangeht, dabei aber gleichzeitig die psychologischen Faktoren völlig außer acht läßt, dann hat man das, was ich mit dem Wort Wahlrechtsingenieur bezeichnen möchte. Auch von dieser Erfinderseite haben wir eine ganze Reihe von Vorschlägen erhalten. Da wird zum Beispiel nachgewiesen, daß, wenn ein bestimmtes uns vorgeschlagenes Wahlsystem anno 1932 gegolten hätte, Hitler niemals an die Macht hätte kommen können. Die letzte Gruppe sind die Wahlrechtsstrategen, also jene Personen und Personenkreise, die ein Wahlrecht ausklügeln, wie es gerade für sie paßt. Die einen schlagen das Proportionalwahlrecht vor, weil sie der Meinung sind, dieses wäre ausgerechnet für ihre Partei nützlich und richtig; die anderen schlagen das -

-

) Akten (Eingaben)

zum

Rates nicht enthalten.

322

Wahlgesetz

sind im engeren Sinne im Aktenbestand des Pari.

Achte

Sitzung des Plenums 24.

Februar 1949

Nr. 8

relative Mehrheitswahlrecht vor und meinen, dieses sei allein richtig, weil es ihrer Partei nütze. Weil ich höflich bin, darf ich feststellen, daß es diese Wahlrechtsstrategen nur außerhalb dieses Hauses gibt. Die echten Probleme, mit denen wir es zu tun haben und deren Lösung wir uns, wie gesagt, im Wahlrechtsausschuß auf dem Wege über negative Abstimmungen erst erarbeitet haben, liegen nun so: Heute stehen sich gegenüber das relative Mehrheitswahlrecht auf der einen und der Entwurf des Wahlrechtsausschusses auf der anderen Seite, der ein Kompromiß zwischen dem relativen Mehrheits- und dem Proportionalwahlrecht darstellt, allerdings vorwiegend auf der Grundlage des Proportionalwahlrechts. Wenn man beide Systeme miteinander vergleicht, wird man von vornherein sagen müssen: Es gibt hier niemals ein Gut und Böse, ein Schlecht oder Gut. So stehen die Dinge sich niemals

gegenüber.

Wenn ich mir

schuß, die

nun

hier erlaube,

aus

dem

Gang der Debatte im WahlrechtsausFür und Wider kurz vorzutragen, das hat,

Vorlage geführt glaube ich damit auch für die heutige allgemeine Aussprache eine gewisse Grundlage schaffen zu können. Die geschichtliche Entwicklung des Wahlrechts, die uns Herr Professor Dr. Thoma18) vorgetragen hat, zeigt uns, daß man bis zum ersten Weltkrieg nur das zu unserer

so

Mehrheitswahlrecht in verschiedenen Formen kannte. Wir müssen uns über folgendes klar sein: Sinn der Demokratie ist Herrschah der Mehrheit; also muß die Mehrheit geschaffen werden, um im repräsentativen System diese Herrschaft auszuüben. Aber die Mehrheit muß ermittelt werden, und zwar zunächst die Mehrheit der Wähler. Wir hatten in USA und England das System der relativen Mehrheit, aber doch nur deshalb die relative Mehrheit, weil, vor allem in USA und England, aus der historischen Entwicklung heraus von vornherein nur zwei Parteien zur Wahl standen. Die andere Form, die sich in Deutschland entwickelt hat und die Ihnen aus der Zeit der Bismarckschen Verfassung her bekannt ist, bestand in einem echten Mehrheitswahlrecht mit eventuell doppeltem Wahlgang. Wurde im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit nämlich nicht erreicht, dann entschied in der Stichwahl die relative Mehrheit zwischen den zwei Kandidaten, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hatten. In Frankreich galt ein ähnliches System wie in Deutschland: absolute Mehrheit im ersten Wahlgang; im zweiten Wahlgang entschied die relative Mehrheit unter allen bisherigen Bewerbern, neue Kandidaten konnten aufgestellt werden. Gegen die Jahrhundertwende erhoben sich immer stärkere Einwände gegen das Mehrheitswahlrecht; dieses sei völlig ungerecht, weil es viele Wählerschichten von der Vertretung im Parlament überhaupt ausschließe. Diese Stimmung griff immer weiter um sich und führte schließlich zur Einführung des Verhältniswahlrechtes auf dem ganzen europäischen Kontinent, zum Teil in seinen extremen Formen wie bei uns in der Weimarer Republik. Große Wahlkreise, lange Listen, Fremdheit zwischen Bewerbern und Wählern, Entfernung des Gewählten ') Der Vortrag zum Wahlrecht von Prof. Thoma vom 22. Sept. 1948 wurde als Sekretariatsumdr. Nr. S 45 vervielf. (Z 5/202). Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 6, S. 3 ff. 323

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Achte

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seinen Wählern: dies etwa sind die Nachteile dieses Systems. So ist es daß man heute wieder nach dem Mehrheitswahlrecht ruh, und zwar in erster Linie nach dem relativen Mehrheitswahlrecht. Man stellt die Behauptung auf, das relative Mehrheitswahlrecht schaffe allein die Voraussetzungen für eine stabile Regierung; das relative Mehrheitswahlrecht schaffe automatisch das Zweiparteiensystem, und aus dem Zweiparteiensystem ergebe sich automatisch eine stabile Regierung einerseits und eine Opposition, die als solche im Volke dann bei Fehlern, welche die Regierungspartei mache, wieder Wurzel fasse und dann, wenn die Regierungspartei abgewirtschaftet habe, vom Vertrauen des Volkes getragen an die Macht komme. Das etwa sind die Gedankengänge, die zugunsten des relativen Mehrheitswahlrechtes angeführt werden. So etwa werden die Vorteile des Zweiparteiensystems, die ich eben angedeutet habe, umschrieben. Vor allem wird betont, die Einführung dieses Wahlrechts schaffe automatisch über kurz oder lang ein Zweiparteiensystem. Dies wird aber von der anderen Seite bestritten mit dem Hinweis darauf, daß in Deutschland ganz andere soziologische und historische Voraussetzungen vorliegen, daß es in Bayern, Niedersachsen oder in Gegenden mit einseitigem konfessionellen Charakter immer Gruppen geben werde, die es zu Mandaten in der Volksvertretung bringen und deshalb das Aufkommen nur zweier miteinander ringender großer Parteien verhindern. Gegen das Mehrheitswahlrecht wird auch eingewendet, daß es praktisch kein Mehrheitswahlrecht, sondern sehr oh nur ein Minderheitswahlrecht sei und daß, wenn mindestens drei Parteien zur Wahl ständen und die Partei, die mit 35% der Stimmen gewählt sei, praktisch eben nur die Minderheit der Wähler hinter sich habe, während die Mehrheit der Wähler des Wahlkreises anderer Auffassung sei. Ferner wird eingewendet, daß eine derartige Herrschah der Minderheit, wenn sie in mehreren Wahlkreisen Platz greife, dahin führen könne, daß gar nicht die Mehrheit der Wähler selbst, sondern nur eine große Minderheit der Wähler die Mehrheit im Parlament schaffe. Dann wird auf der Grundlage des parlamentarischen Regimes die Minderheit der Wähler sowohl die Legislative wie auch, eben auf dem Wege über das parlamentarische Regime, die Exekutive, also die Regierung, in der Hand haben; damit tritt zu der Herrschah der Minderheit der Wählerschah auch eine Vermengung der beiden Gewalten ein. Auf der anderen Seite wird wieder hervorgehoben, man dürfe nicht unterschätzen, was eine echte Opposition zu leisten habe; eine echte Opposition könne sich aber nur bei einem Zweiparteiensystem bilden. Dabei bleibt aber immer das relative Mehrheitswahldie Frage, ob was, wie gesagt, bestritten wird recht in Deutschland mit seinen besonderen soziologischen und historischen Gegebenheiten das Zweiparteiensystem überhaupt schaffen kann. Ferner wird geltend gemacht, bei einem Zweiparteiensystem gehe die Arbeit der Gesetzgebung rasch und reibungslos vonstatten. Auch der „Rheinische Merkur"19) hat vor einigen Wochen in einem Aufsatz unter Bezugnahme auf die Arbeit des Parlamentarischen Rates ausgesprochen, wenn wir im Parlamentarivon

gekommen,

-

-

19) Dabei handelte es sich um einen Artikel vom Wilhelm Wenger; Ausschnitt in: Z 5/186 F. 324

22.

Jan.

1949

„Appell an Bonn"

von

Paul

Achte

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sehen Rat ein echtes Zweiparteiensystem gehabt hätten, dann wäre die Arbeit in Bonn viel schneller vor sich gegangen. Der Verfasser dieses Artikels übersieht, daß hier von vornherein keine Partei die andere überstimmen, sondern daß man einen gemeinsamen Nenner, ein Kompromiß schaffen wollte, um so die in den Londoner Empfehlungen vorgesehene Zweidrittelmehrheit für die Annahme des Grundgesetzes sicherzustellen. Ich glaube also, dieser Hinweis ist verfehlt, weil er die Grundlage unserer Arbeit in Bonn verkennt. Wenn im übrigen auf Bonn exemplifiziert wird, so darf darauf verwiesen werden, daß hier zwei große Parteien vorhanden sind, die aber nun beide gleich groß sind. Gegebenenfalls so sagen die anderen -, wenn die Parteien nicht gleich groß sind, wenn aber die eine Partei nur sehr wenig Übergewicht über die andere hat, dann werden die wenigen, die das Übergewicht ausmachen, praktisch das „Zünglein an der Waage" sein, das man sonst den anderen Parteien als Rolle zugeschrieben hat. Um dieses Zünglein an der Waage, das dann im Rahmen der einen von den beiden großen Parteien vorhanden ist, nicht als solches zur Auswirkung kommen zu lassen, muß man zum Fraktionsund man muß ganz scharf diese so urteilen die anderen zwang übergehen die die Mehrheit über paar Leute, hinausgehen, an der Strippe halten, weil Herrschah der und der Bestand des Kabinettes gefährdet ist. Partei sonst die Die Gegner des Zweiparteiensystems sind daher der Auffassung, daß dieses Zweiparteiensystem dahin führen muß, daß die Freiheit der Abstimmung des Abgeordneten, seine Freiheit von Weisungen und von Instruktionen in dem Sinne niemals vorhanden sein kann wie in einem anderen System. Auf der anderen Seite ist es zweifellos richtig, daß das Wahlkreiswahlrecht den Wähler und den Gewählten viel besser miteinander verbindet ein unzweifelhafter Vorteil. Auch der Abgeordnete fühlt sich, wenn er in einem bestimmten Wahlkreis gewählt ist, viel fester mit seinen Wählern verbunden. Die Wahl in einzelnen Wahlkreisen kann unter Umständen auch eine größere Wahlbeteiligung deshalb hervorbringen, weil, wenn zwei oder drei oder vier Persönlichkeiten zur Auswahl stehen, hierdurch ein gewisses sportliches Interesse erweckt wird. Ein weiterer Vorteil der Einzelwahlkreise, auf den in der letzten Hauptausschußsitzung hingewiesen worden ist, ist der, daß die Frage des Nachwuchses in der Politik zum Teil auch damit sich lösen läßt, daß eben dann ein einzelner sich seinen künftigen Wahlkreis von Jugend her zu erobern versucht, ihn bearbeitet und damit in die politischen Aufgaben in ganz anderem Maße hineinwächst, als wenn er ohne nähere Beziehung zu Land und Leuten in die Politik hineinzugehen sich bemüht. Nun kommen die anderen und sagen: Zugegeben; aber nun liegt ein anderer Fall vor, nämlich beim Zweiparteiensystem wenn das relative Mehrheitswahlrecht dieses überhaupt schaffen kann genügt ein kleiner Wechsel von Wählern von der einen Seite auf die andere Seite, ein Wechsel, der unter Umständen im Verhältnis zur ganzen Wählerschah prozentual außerordentlich gering ist, um einen grundsätzlichen Wechsel in der Mehrheit der Mandate im Parlament herbeizuführen, das heißt, eine vielleicht geringe Schwankung der Meinungen in der Wählerschaft wächst sich zu einer ungeheuer stark ausschlagen-

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325

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24.

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den Kurve in der Parlamentsbesetzung aus und führt damit die Politik zu schärferen Umbrüchen und schärferen Drehungen, als es notwendig wäre, wenn diese Umschwünge auch im Parlament nur in dem Ausmaß sich zeigen würden, in welchem sie in der Wählerschah vor sich gingen. Endlich wird gesagt: Wir riskieren, daß, wenn schon ein geringer Teil der Wählerschah diesen Umschwung geben kann, dieser Teil doch nur das ist, was man sonst Flugsand oder Mitläufer oder Mitgeschleihe nennt, während der Wille des wirklich politisch interessierten Bevölkerungsteils dabei weniger zum Ausdruck kommen würde. Die Anhänger des Verhältniswahlrechts sagen: Unser System hat den Vorzug, daß es derartige Schwankungen nicht in derart starken Ausschlägen zum Austrag bringt, sondern daß diese sich nur in dem Maße, in dem sie in mehr oder weniger starken Ausschlägen in der Wählerschah selbst auhreten, auch in den Parlamenten widerspiegeln. Dann wird gesagt: Aber die Koalitionsbildung in den Parlamenten ist dann, wenn mehrere Parteien vorhanden sind, sehr schwierig, die Stabilität der Regierung, die auf einer Koalition von Parteien beruht, ist gefährdeter als die Stabilität einer Regierung, die auf einer Partei beruht. Dazu ist von anderer Seite gesagt worden: Die Koalition der Parteien wird im Parlament gebildet, aber die Koalition derjenigen Strömungen, die sich in beiden Parteien finden, wird sonst in den Fraktionen gebildet, und wenn sie dann in der Fraktion zu einer Zusammenfassung ihrer Ansichten gekommen sind, müssen sie erst ihren Beschluß unter Fraktionszwang stellen, weil sonst, wenn ein Teil der Fraktion eine andere Meinung zum Ausdruck bringt und dementsprechend abstimmt, die Mehrheit wieder nicht vorhanden ist und die Regierung wieder gefährdet wäre. Das ist

das Hin und Her der Meinungen gewesen, die für und gegen das für und gegen das Verhältniswahlrecht vorgetragen worden sind. Wir haben elfmal die verschiedenen Wahlrechte, d. h. die in den elf Ländern Deutschlands jetzt gelten, erörtert. Wir haben andere Systeme herangezogen, und schließlich ist die Mehrheit des Ausschusses zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kombination zwischen den Vorzügen des sogenannten Mehrheitswahlrechts und denen des Verhältniswahlrechts wohl das Richtige sein möge. Die Wege zu diesem Ergebnis waren auch etwas verschlungen, und ich glaube, ich kann es mir ersparen, über Einzelheiten zu berichten. Was jetzt vor Ihnen liegt20), ist ein Verhältniswahlrecht, aber ausgestattet mit den Vorzügen des sogenannten Mehrheitswahlrechts. 200 Abgeordnete von den etwa 400, die zu wählen sind, werden in Einzelwahlkreisen gewählt, und zwar nach dem System der relativen Mehrheit. Die gesamten anfallenden Stimmen eben die Zahl der werden zusammengezählt und dann durch die Zahl 400 errechnet. wird der Es ist im Daraus Wahlquotient Abgeordneten geteilt. Land und Länderverwieviele Wahlkreise jedes jeder ausgeführt, Wahlgesetz band bekommt, wieviele Mandate auf Landes- oder Länderverbandslisten verteilt werden. Diese Listen werden besetzt nach den Stimmenzahlen, die unter so

Zweiparteiensystem,

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') Drucks. wurfes. 326

Nr. 624: In der 64.

Sitzung des HptA angenommene Fassung des Wahlgesetzent-

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des Quotienten auf die einzelnen Parteien entfallen, das heißt Abgeordnete als sich Mandate beim Dividieren ihrer Stimmzahl durch die Wahlzahl unter Anrechnung der im Wahlkreis eroberten Mandate ergeben. Es ist ferner ein Antrag unseres Kollegen Dr. Diederichs noch gestern hier erörtert worden21), in dem vorgesehen ist, daß, wenn ein auf der Landesliste stehender Bewerber als Kandidat im Wahlkreis den Wahlquotienten erreicht hat, ohne dort gewählt zu sein, er dann vorzugsweise auf der Landesliste gewählt sein soll. Auch dieser Vorschlag dient dazu, dem Gedanken Rechnung zu tragen, daß der in das Parlament einziehen soll, der auf seinen Namen in einer erkennbaren Weise Stimmen vereinigt hat. Ich glaube, auf Einzelheiten des Vorschlags jetzt nicht eingehen zu sollen. Vielleicht wird sich im Laufe dieser Debatte hierzu noch die Gelegenheit ergeben oder mein Mitberichterstatter Heiland das Wort ergreifen. Wir haben noch zwei Punkte kurz zu erörtern. Der eine betrifh die Frage des passiven Wahlrechts der Beamten. Diese Frage ist gestern im Hauptausschuß erörtert worden22) und hat zu dem Ergebnis geführt, daß in dieser Vorlage zur Zeit eine Bestimmung darüber nicht enthalten ist, weil beabsichtigt ist, diese Frage in einer Schluß- und Ubergangsbestimmung im Grundgesetz zu regeln, wodurch es sich automatisch auch auf das Wahlgesetz auswirken würde. Die Frage der Wahlpflicht haben wir mit Mehrheit im Ausschuß verneint, und sie steht nicht zur Debatte, weil entsprechende Anträge nicht vorliegen. Die Vorlage, die Ihnen jetzt vorliegt, ist im Hauptausschuß mit den Stimmen aller Parteien bei Stimmenthaltung der CDU/CSU angenommen23). Nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen im Wahlrechtsausschuß hatte die CDU/CSU zwischendurch schon einmal selbst einen Antrag auf Kombination des Mehrheitswahlrechts und des Verhältniswahlrechts gestellt, einen Antrag, der sich deckte mit einem Vorschlag, den ich zunächst gemacht hatte, der aber auch von der CDU/CSU abgelehnt worden war. Da ich unterstelle, daß man sich in der Zwischenzeit durch die Stellung des eigenen Kombinationsantrages dem Gedanken einer Kombination, wie sie auch hier zum Ausdruck gekommen ist, genähert hat, und da man nicht gegen diese Vorlage gestimmt, sondern sich nur der Stimme enthalten hat, darf ich wohl diese Enthaltung als den Ausdruck eines „tolerari potest" auslegen, so daß angenommen werden kann, daß, wenn dieses Gesetz mit der Mehrheit, wie sie sich im Hauptausschuß gezeigt hat, auch hier angenommen würde, das Gefühl des Unbehiedigtseins bei dem Teil des Hauses, der sich der Abstimmung enthält, nicht vorhanden zu sein braucht. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. v. Brentano. Dr. v. Brentano (CDU): Meine Damen und Herren! Der Berichterstatter, Herr Kollege Dr. Becker, hat einleitend darauf hingewiesen, daß verschiedene Sorten von Menschen sich mit dem Wahlgesetzentwurf beschäftigt haben: Wahlenthu-

Zugrundelegung

eine Partei bekommt soviele

-

-

21)

22) 23)

53. Sitzung des HptA vom 23. Febr. 1949; als Drucks. Nr. 621. Ebenda, S. 687 ff. Drucks. Nr. 624 siehe Anm. 20.

Verhandlungen,

S. 718. Der

Antrag vervielf.

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Wahlphantasten, Wahlstrategen und Wahlingenieure. Ich glaube ihm sagen zu dürfen, daß ich bestimmt zu den beiden letzteren nicht gehöre, ich lasse aber seine Entscheidung offen, ob er mich am Schluß meiner Ausführungen zu den Wahlphantasten oder den Wahlenthusiasten rechnen wird. In einem muß ich Herrn Kollegen Dr. Becker enttäuschen. Er hat seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, daß in der Stimmenthaltung meiner Parteiheunde in der Sitzung des Hauptausschusses24) eine Tolerierung zu erblicken sei. Meine Damen und Herren, ich darf ankündigen, daß meine Fraktion bei der Schlußabstimmung sich gegen das vorgesehene Wahlgesetz aussprechen wird25), (Zuruf von der SPD: Also sind Sie gar nicht so tolerant!) und zwar aus guten Gründen. Ich möchte selbstverständlich nicht die Diskussion jetzt noch einmal in der Weise eröffnen, daß ich auf alles Für und Wider der verschiedenen Wahlsysteme eingehe, um so weniger, als in den letzten Tagen im Hauptausschuß darüber eingehend und gründlich gesprochen worden ist. Aber ich möchte feststellen, daß meine Fraktion und meine Partei der Entscheidung über das Wahlsystem eine ganz besondere Bedeutung beimessen, vielleicht eine stärkere Bedeutung, als das von anderen Vertretern hier im Hause geschieht. Wir sind davon überzeugt, daß Zusammensetzung und Struktur des ersten Volkstages ganz entscheidend auf den Stil der von uns gewünschten neuen demokratischen Republik einwirken werden, und wir sind überzeugt, daß die bisherige Methode des Verhältnis- und Listenwahlsystems nicht in der Lage ist, zu garantieren, daß die Struktur dieses Volkstages so sein wird, wie wir das im Interesse einer gesunden politischen Entwicklung erhoffen. Wir fürchten auch, daß der Volkstag bei Beibehaltung des bisherigen Wahlsystems nicht in der Lage sein wird, seine Aufgaben so zu erfüllen, wie es insbesondere die nächste Zukunh notwendig erscheinen läßt. siasten,

) Siehe Anm. 21. ) Die CDU/CSU hatte Mitte Febr.

1949 mehrfach über das

Wahlgesetz diskutiert und ihre

Position festgelegt. Vgl. Sitzung vom 16. Febr. 1949 (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 402 f.), 17. Febr. 1949 (ebenda, S. 408), 23. Febr. 1949 zweimal (ebenda, S. 412 ff.). In der Sitzung vom 23. Febr. 1949, 10.00 Uhr war beschlossen worden: „1. Antrag zur Wahlpflicht wird nicht mehr gestellt. 2. [Es] wird festgelegt, daß wir weiter am Mehrheitswahlrecht festhalten, daß wir aber den parlamentarischen Gepflogenheiten nachkommen und weiter mitarbeiten, um doch

vielleicht gewisse Veränderungen zu erreichen. Antrag zum Mehrheitswahlrecht wird formuliert. 3. Zur Wählbarkeit der Beamten. Hier wird die Fraktion folgenden Antrag einbringen: ,Ein Richter oder Beamter, der in die Körperschaft gewählt wird, die über den Haushalt seiner Verwaltung zuständig ist, tritt mit Ablauf des Monats, in dem die Wahl stattfindet, für die Dauer seiner Zugehörigkeit zu dieser Körperschaft in den Wartestand. Behördenangestellte sind in den gleichen Fällen mit Bezügen zu beurlauben, die dem Wartegeld der Beamten entsprechen. Das Nähere wird gesetzlich geregelt.'" In der Fraktionssitzung der CDU/CSU vom 23. Febr. 1949, 20.00 Uhr, war beschlossen worden, daß auf der Plenarsitzung Dr. von Brentano, Schröter und Kaufmann sprechen sollten, „um der SPD die Lage nicht weiter zu erleichtern, sondern etwas zu erschweren, da sie im Wahlgesetz so wenig Entgegenkommen für das von uns vertretene Wahlsystem gezeigt hat" (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 413). 328

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Ich möchte hier nicht etwa in eine Schwarz-Weiß-Malerei verfallen, ich möchte nicht sagen, daß man nur Argumente für die eine und nur Argumente gegen die andere Form bringen könnte. Ich möchte mich auch, wie ich schon sagte, gar nicht etwa darauf einlassen, allen Argumenten, die Herr Kollege Dr. Becker sehr übersichtlich vorgetragen hat, zum Teil zuzustimmen, zum Teil sie zu widerlegen versuchen. Wir sind der Uberzeugung, daß das Listen- und Verhältniswahlsystem zum mindesten in entscheidender Weise mit dazu beigetragen hat, eine verhängnisvolle Entwicklung in Deutschland und anderswo auszulösen. Es wäre verlokkend, einmal zu analysieren, wieso es kam, daß überall dort, wo das Listenwahlsystem galt, totalitäre Staatsformen entstanden sind, (Dr. Heuss: besonders in der Schweiz und in Schweden!) während in den anderen Ländern, die traditionell das Mehrheitswahlsystem kennen, diese Erscheinungen nicht festzustellen waren. Ich glaube, Herr Kollege Dr. Heuss wird seinen Einwand, die Schweiz zu apostrophieren, selbst nicht ganz ernst nehmen; denn daß die Schweiz aufgrund ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung den Anfechtungen nicht in gleichem Maße ausgesetzt war wie andere Länder, wird auch Herr Kollege Dr. Heuss nicht bestreiten können. (Dr. Heuss: Dann dürfen Sie nicht so hei Behauptungen aufstellen!) Ich gebe Ihnen gerne Gelegenheit, Herr Kollege Dr. Heuss, meine Auffassung nachher in der Diskussion zu widerlegen. Ich sagte, es wäre interessant, diese Analyse hier vorzunehmen, und ich glaube, es gibt wohl keine Regel ohne Ausnahme, die die Regel bestätigen würde. So könnten wir auf das Beispiel von Spanien, Italien, Ungarn, Polen und Deutschland verweisen. (Dr. Schmid: Bisher waren aber die totalitären Resultate die Ausnahme.) Herr Kollege Dr. Schmid, sie waren die Regel in Ländern, die blind auf das Verhältnis- und Listenwahlsystem eingeschworen waren. Ich habe das lediglich als ein Beispiel gebracht, um zu sagen, es wäre vielleicht interessant, diese Dinge hier im einzelnen darzulegen. Aber das ist nicht der alleinige Grund. Wir sind der Meinung, daß in dem Listenwahlsystem und ein Verhältniswahlsystem ohne Listen ist in sich undenkbar nicht die Voraussetzungen geschaffen sind, die für ein gesundes politisches Leben erforderlich sind. Wir glauben, daß die unmittelbare Bindung des Gewählten an den Wähler, die unmittelbare Verantwortung des Gewählten gegenüber dem Wähler, der lebendige Kontakt zwischen beiden durch die Zwischenschaltung der Liste, wenn nicht unmöglich gemacht, so doch sehr erschwert wird. Listen kommen anders zustande als Kandidaturen einzelner Abgeordneter. Ich glaube auch und ich bitte, mir diesen Ausflug in die jüngste Vergangenheit zu gestatten -, daß ohne das Listenwahlsystem und ohne den glatten Betrug des Nationalsozialismus, der einen Adolf Hitler in Hunderten von Wahlkreisen als Spitzenkandidat präsentierte und damit in den Wählern den Glauben hervorrief, es handle sich um die Wahl dieses Adolf Hitler, der schon irgendeine Bedeutung in der Öffentlichkeit gewonnen hatte, ich glaube, daß ohne diesen Betrug die damalige Wahl anders ausgegangen wäre; denn auf der Liste folgten diejenigen, die man nicht gewählt hätte, die politischen Defraudanten, Hasardeure und Verbrecher, womit -

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ich nicht gesagt haben will, daß Hitler selbst in eine andere

Kategorie gehör-

te.

So sind wir der Meinung, daß wir uns, wenn wir eine gesunde politische Entwicklung fördern und auch das lebendige Interesse des Wählers am politischen Leben bei uns wieder aktivieren wollen, zur Mehrheitswahl entschließen sollten und müßten. Wir sind nicht der Meinung, daß die Erwägungen, die letzten Endes auf mathematische Gerechtigkeit abstellen und mit denen man das Verhältnis- und Listenwahlsystem begründet, irgendwelche Überzeugungskraft besitzen. Was vollzieht sich denn bei der Listenwahl? Ist sie überhaupt noch eine Wahl? Es ist einmal von einem Staatsrechtler gesagt worden, das Listen- und Verhältniswahlsystem führe dahin, daß die Wahl zu einer Abstimmung wird, daß sie zu einer statistischen Feststellung der pluralistischen Aufteilung des Volkes führt und damit zu einer Art Plebiszit wird. Ich halte diese Auffassung für richtig; denn es wird nicht, wie das einer Wahl sinngemäß innewohnt, eine Entscheidung für oder gegen den Gewählten getroffen, es wird eine Liste und damit allenfalls ein Programm, eine Anzahl von Menschen, die ein Programm verkörpern, gewählt, ohne daß der Wähler weiß, auf wen seine Stimme entfällt, und ohne daß er jemals die Möglichkeit hat, den, den er gewählt hat, auch nur zur Ordnung zu rufen. Sie sehen, daß wir uns vor diesen Konsequenzen nicht fürchten. Was wird letzten Endes erreicht? Wir sind uns alle hier im Hause einig, daß politische Entscheidungen notwendigerweise Mehrheitsentscheidungen sind und sein müssen. Ob man die Mehrheit als der Weisheit letzten Schluß anerkennt oder nicht, will ich dahingestellt sein lassen. Aber es ist auch einmal gesagt worden, die Mehrheit sei im politischen Leben eine Erfindung, notwendig und zweckmäßig wie die Beleuchtung durch Gas, auf die man nicht verzichten könne. Ich glaube, es war Gladstone26), der es gesagt hat. Diese Mehrheitsentscheidungen vollziehen sich aber auch in dem Parlament, das aufgrund einer Verhältniswahl27) gewählt wird. Man ist lediglich den Umweg gegangen, daß man die politische Entscheidung vom Wähler auf den Gewählten verlagert. Man schafh ein Parlament, das ein verkleinertes Staatsvolk darstellt wie ich schon sagte, eine Wiedergabe der pluralistischen Aufteilung des Volkes mit allen Komplexen, allen Polaritäten und mit gewissen, fest oder weniger fest umrissenen und formierten Gruppen. Dann wiederholt sich in diesem Parlament das, was man im Volk dem Wähler vorenthalten hat, es wiederholt sich dort die Notwendigkeit, zu einer Mehrheitsentscheidung zu kommen. Ich glaube, es wird niemand sagen, daß etwa die Entscheidungen, die in solchen Parlamenten getroffen wurden, klare Mehrheitsentscheidungen waren. Es entstehen dann Mehrheitsentscheidungen von Mehrheiten, die organisch, geistig und politisch überhaupt nicht verbunden, sondern allenfalls in der Negation sich einig sind. -

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') William Eward Gladstone (1809-1898), britischer Staatsmann. „Ich will nicht sagen, wer es gesagt hat." ) In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Mehrheitswahl". 330

Der Satz

korrigiert

aus

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ja auch nicht von ungefähr und ich glaube, darauf hätte der Herr Berichterstatter auch zu sprechen kommen sollen -, daß wohl kaum Wünsche an den Wahlrechtsausschuß gelangt sind, das Verhältniswahlsystem beizubehalten, daß aber wohl zahllose Wünsche und Anregungen von überall her, nicht nur von der deutschen Wählergesellschah, kamen, die sich für die Einführung des Mehrheitswahlsystems aussprechen. Und ich glaube, daß wir als Politiker und Parlamentarier unsere Aufgabe nicht erfüllen, wenn wir nicht auf diese Stimmen hören und sie zum mindesten beachten. Es scheint mir nicht zufällig zu sein, daß sich insbesondere viele Gruppen junger Menschen, nicht nur beispielsweise die Studenten in dem Schreiben, das die ASTA-Vorsitzenden an uns gerichtet haben28), sondern auch die jungen Gruppen der politischen Parteien, der CDU, der FDP und der SPD Es ist

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(Zuruf: wo?)

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in einer Sitzung, an der Herr Kollege Zinn29) persönlich und über die er wahrscheinlich Auskunh zu geben vermag, über die der SPD-Informationsdienst in Hessen ausführlich berichtet hat nachdrücklich für die Einführung des Mehrheitswahlrechts ausgesprochen haben. Und ich glaube weiter, ohne damit etwa eine Gewissenserforschung anregen zu wollen, daß auch hier in dem Hohen Hause eine ganze Anzahl von Abgeordneten ist, die sich innerlich der Notwendigkeit und Berechtigung unseres Begehrens gar nicht verschließen, die aber aus anderen Gründen zum mindesten im Augenblick diese Entscheidung für verfrüht halten.

beispielsweise teilgenommen hat,

-

-

(Brockmann: Herr von Brentano, umgekehrt auch!) Lassen Sie mich zum Schluß kommen! Wir sind der Meinung, daß der Parlamentarische Rat mit dem Wahlgesetz, das hier zur Entscheidung steht, eine verhängnsvolle Entscheidung trifft. Ich möchte aber eins hier feststellen: Wir wollen nicht von einem modifizierten Mehrheitswahlrecht oder von einem verbesserten Listenwahlrecht reden, wenn wir diesen Entwurf behandeln, sondern wir wollen offen sagen, daß wir ein klares Verhältnis- und Listenwahlsystem

haben. Ein kaschiertes Verhältniswahlsystem!) Meine Damen und Herren, mir liegt bereits eine hochinteressante Ausarbeitung30) vor, die darüber Auskunh gibt, wie sich diese 400 Sitze Sie wissen,

geschaffen

(Zuruf:

-

zum Wahlsystem ließ sich nicht ermitteln. Die Kölnische Rundschau berichtete unter dem 2. März 1949 (Ausschnitt in: Z 5/190 F) über eine von den studentischen Vertretern von 23 Hochschulen und Universitäten gefaßte Entschließung, in der die Einführung des reinen Personenwahlrechts auf Mehrheitsbasis verlangt wurde. An der Universität Heidelberg sei eine Abstimmung durchgeführt worden, die bei 1232 gültigen Stimmen 97,7% für Personen- und Mehrheitswahlrecht ergab. Hiervon seien 67,7% für relative Mehrheitsentscheidung und 32,3% für das absolute Mehrheitssystem gewesen. Von den 97,7%, die sich für das Personen- und Mehrheitswahlrecht entschieden, forderten 98% die Anwendung dieses Wahlrechts auch schon bei der Wahl des ersten Bundestages. ') In der Vorlage korrigiert aus „Abg. Zinn". ') Dabei dürfte es sich, wie aus einem späteren Redebeitrag von Becker hervorgeht, um den Wahlgesetzentwurf handeln, der aufgrund von Vorschlägen des Innenministers Ulrich (Württemberg-Baden) erarbeitet wurde. Siehe Anm. 128.

:)

Ein Schreiben der ASTA-Vorsitzenden

Allgemeine

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daß wir nach wie vor der Überzeugung sind, daß auch diese Anzahl viel zu hoch gegriffen ist demnächst auf die sogenannten Wahlkreise und auf die Listen verteilen. Sie werden vielleicht dann auch später feststellen, daß diese Angaben im wesentlichen richtig sein werden. Danach werden auf die sogenannten Wahlkreise nicht mehr als 25% der Sitze und auf die Listen 75% der Sitze entfallen. Ich überlasse es der künhigen Entwicklung, den Beweis für die Richtigkeit zu erbringen, bin aber gern bereit, den einzelnen von Ihnen diese Ausarbeitung zur Verfügung zu stellen. (Zurufe und Unruhe. Glocke des Präsidenten.) Die Einwendungen beweisen mir nur, daß Sie sich offenbar selbst über die etwas komplexe Gestaltung des von Ihnen beschlossenen Gesetzes nicht restlos im klaren sind. Wir sind auch nicht der Meinung um das anschließend an eine Bemerkung des Herrn Kollegen Dr. Becker hinzuzufügen -, daß etwa das Problem der Vertriebenen und Flüchtlinge eine andere Entscheidung notwendig macht. Wir sind völlig davon überzeugt ich glaube, wir alle -, daß es eine wesentliche und unerläßliche politische Aufgabe ist, die Flüchtlinge in das politische Leben genau so einzubeziehen wie die sogenannten Altbürger, damit diese häßliche Terminologie möglichst bald aus dem deutschen Sprachschatz verschwindet. Wir können es sicherlich nicht so machen, wie es der von Herrn Kollegen Dr. Becker zitierte Einsender meint, daß man 25% der Sitze reserviert. Wir sollten es aber auch nicht so machen, daß man den einen oder anderen Flüchtling erlauben Sie mir, das zu sagen als Konzessionsschulzen auf eine Liste setzt; sondern man sollte auch den Vertriebenen und Flüchtlingen dieselbe Chance des Wählens und des Gewähltwerdens geben wie den Altbürgern. Das ist leichter im System der Mehrheitswahl als im System der Listenwahl. —



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(Widerspruch.) Solange der Gegenbeweis nicht erbracht ist, glaube ich, wird man diese Behauptung nicht widerlegen können. (Dr. Grève: Nicht die Umkehrung der Beweislast!) Ich glaube nicht, daß das bisherige Listenwahlsystem irgendeinen Beweis dafür erbracht hat, daß unsere Neubürger in angemessener Zahl in den Parlamenten

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vertreten sind.

Ich glaube, das Wesentliche gesagt zu haben. Meine Fraktion hat im Wahlrechtsausschuß von Anfang an selbstverständlich mitgearbeitet. Obwohl wir erhebliche Zweifel und Bedenken hatten, ob zwischen zwei Systemen, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen, eine Synthese, eine mittlere Linie überhaupt gefunden werden könne, haben wir uns bemüht, Bedenken, deren Berechtigung wir nicht bestreiten wollten, Rechnung zu tragen und einen mittleren Weg zu finden; das hat unser Vorschlag und unsere Mitarbeit bewiesen. Wir glauben nicht, daß der Vorschlag, der heute im Plenum zur Abstimmung steht, auch nur im entferntesten den Wünschen und Anforderungen gerecht wird, die wir im Interesse einer gesunden und organischen politischen Entwicklung unseres deutschen Volkes erhoffen und wünschen, und werden deshalb dieser Vorlage unsere Zustimmung verweigern. (Bravo! bei der CDU.) 332

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Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Schmid. Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren! Mein verehrter Kollege Herr von Brentano hat im Namen seiner Fraktion eine Erklärung darüber abgegeben, welches Wahlrecht er und seine Freunde schlechthin, überall, für alle Zeiten und in jeder historischen Situation für das beste halten. (Zuruf: Das hat er nicht gesagt!) Das hat er gesagt! (Dr. von Brentano: Nein!) Ich werde ihm auf diesem Wege nicht folgen. Ich werde keine Erklärung -

darüber abgeben, welches Wahlsystem schlechthin für das beste gehalten werden soll. Wir haben nämlich hier ein Gesetz zu schaffen, das nicht für Jahrzehnte die Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland regieren soll, (Zuruf: aber präjudizieren!) sondern das ein einziges Mal zur Anwendung kommen soll, nämlich in einem ganz bestimmten historischen Zeitpunkt, dem ganz bestimmte Aufgaben gestellt sind. Es wird diesen Sommer zur Anwendung kommen und dann nicht mehr. Ich will darum lediglich erklären, welche Gründe uns zu unserer Stellungnahme zu diesem einen Gesetz bewegt haben. Alle Wahlsysteme31) haben ihre eigentümlichen Vorzüge und alle haben ihre eigentümlichen Nachteile. Und was ihre eigentümlichen Vorzüge anbetrifh, so haben diese ihnen zugeordnete spezifische Nachteile. Das Verhältnis, in dem diese Vorzüge zu den Nachteilen stehen, ist nicht von Ewigkeitsgesichtspunkten her zu bestimmen, sondern jeweils nur von einer bestimmten geschichtlichen Situation aus und auf bestimmte geschichtliche Aufgaben hin, deren Bewältigung durch dieses Wahlrecht zu leisten ist. Die Qualität eines Wahlrechtsystems, diese sehr relative Qualität wird durch das bestimmt, was es in einer bestimmten Situation zu leisten vermag, in einer Situation, die durch bestimmte Möglichkeiten und durch spezifische Aufgaben determiniert ist. Dabei ist entscheidend, welches Wahlrecht „hier und jetzt" mehr an Vorzügen als an Nachteilen zur Auswirkung zu bringen vermag. Und was die Vorzüge anbetrifh, so ist zu überlegen, ob die jeweilige Zeit imstande ist, den Preis zu bezahlen, den diese Vorzüge fordern; denn alles auf dieser Welt kostet seinen Preis. Man spricht viel von den Vorzügen des Mehrheitswahlrechts. Es ist gar keine Frage, daß dieses Wahlrecht auch außerordentliche politische Vorzüge für sich buchen kann. Ich sehe sie zwar nicht dort, wo man sie im allgemeinen sehen zu müssen glaubt. Ich weiß auch nicht, ob wir, wenn wir wirklich zu dem Mehrheitswahlrecht kommen wollen, Herr Kollege von Brentano, das Sie preisen, nicht noch einen Schritt weiter gehen müßten und folgerichtig nur Kandidaten auftreten lassen sollten, die nicht eine Parteibezeichnung hinter ihrem Namen haben. Wenn das Resultat, das Sie wollen, erzielt werden soll, dann dürhe man nur die „Free Lances", wie die Engländer sagen, die „Freien Lanzen" zum Turnier antreten lassen, nicht aber Leute, die schließlich doch nur Sprecher einer Partei sind und nicht gewählt werden, weil sie nun Meier, Müller oder Schulze heißen, sondern weil hinter ihrem Namen „CDU", „SPD"

) In der Vorlage handschr. korrigiert

aus

„Wahlrechte". 333

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oder sonst eine Hieroglyphe steht. Denn hier wählt der Wähler wirklich nicht eine Person, sondern eine Partei, die ihm durch den Namen ihres Sprechers bestenfalls ein wenig sympathischer geworden sein mag32), als sie es vor der Aufstellung der Kandidatenliste schon gewesen zu sein schien. Die Vorzüge des Mehrheitswahlrechts sehe ich in erster Linie darin, daß es klare Machtverhältnisse schafft, wenigstens in den meisten Fällen; denn beim richtigen Mehrheitswahlrecht geht es nicht um Erfolg oder Mißerfolg, sondern um Sieg oder Niederlage.

(Sehr richtig!)

Das ist im

keit.

politischen

Leben eine gute Sache. Ich sage das in aller Öffentlich-

Vorzug ist, daß das Mehrheitswahlrecht die Krisen sichtbarer macht, die vielleicht unter der Decke der geordneten Mechanik eines „pays légal" verdeckt schwelen, und daß es auch die Chancen sichtbarer macht, die, vielleicht noch nicht klar erkannt, in einer politischen Bewegung stecken mögen. Das reine Mehrheitswahlrecht wirkt so, als ob man einem Organismus einen Fieberschock versetzte, der latente Krankheiten zu einem brutalen Ausbruch bringt. Das ist unter Umständen eine gute Sache. Die Wahlresultate im Mehrheitswahlrecht geben dann ein Bild wie die scharfen Zacken einer Fieberkurve, an der man ablesen kann, was in dem Patienten noch an Krankheitskeimen und an Regenerationskrähen stecken mag. Aber die Voraussetzung für die Indikation eines solchen Verfahrens ist, daß der Organismus diesen Fieberschock aushalten kann. Was nützte uns eine solche Therapie, wenn sie, in einer bestimmten Situation angewandt, den Patienten umbringt? Und darum handelt es sich gerade. Kann der deutsche politische Organismus heute eine solche Krise, ein solches Hineingeworfenwerden in die brutale Entscheidung über Sein oder Nichtsein aushalten? Ich glaube nicht, daß er es heute kann. Denn unser Volkskörper, unser politischer Körper ist zu schwach dazu; er ist zu geschwächt, er kann ja kaum noch kleine, leichte Erschütterungen seines Gefüges aushalten. Die Grenzlinie ist fast überall schon erreicht. Uns fehlt doch noch völlig selbst der Anfang einer soliden staatlichen Armatur, und machen wir unserem Volke fehlt darüber hinaus noch die Möglichkeit und sich klar und eindeudas uns doch keine Illusionen! sogar Verlangen danach, werden bewußt zu steht und der der es es in mit muß, der Situation, tig fertig werden. In solchen Zuständen kann man, wenn man nicht tödliche Gefahren laufen will, es mit einem Wahlrecht nach dem reinen Mehrheitssystem nicht versuchen. Wir brauchen heute ein anderes System. Wir brauchen ein Wahlrecht, das die latenten Krisen nicht zum brutalen Ausbruch bringt. Wir brauchen ein Wahlrecht, das dem politischen und sozialen Organismus, für den wir verantwortlich sind, keine Belastungsproben auferlegt, die es noch nicht zu leisten vermag. Wir brauchen ein Wahlrecht, das die Risiken auf mehr und auf breitere Schultern verlagert. Dann möchte ich noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Wir sind in unserem Lande nicht allein. Wir haben die hoheitliche Gewalt, die unser Parlament Der zweite

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) 334

Der Rest des Satzes in der

Vorlage handschr. hinzugefügt.

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ausüben wird, mit den Besatzungsmächten zu teilen. Sie werden uns das Maß dem es sich wird bewegen können. Wenn wir ein Wahlrecht bekommen, das wenn es einen Sinn haben soll auf ein Zweiparteiensystem hinauslaufen muß: welche der beiden Parteien wird dann die Besatzungspartei sein? (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Ich bitte Sie, sich das einmal zu überlegen. Wir leben in Deutschland, Herr von Brentano! Aus all diesen Gründen glauben wir, daß für dieses eine Wahlgesetz ein Proportionalsystem das bessere leistet und darum richtiger ist als ein Mehrheitswahlrecht. Wenn wir ein Stück weiter sein werden, Herr von Brentano, können wir wieder miteinander reden. (Dr. von Brentano: Dann ist es zu spät!) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Heuss. Dr. Heuss (FDP): Meine Damen und Herren! Es ist eine etwas peinliche Situation, wenn eine Plenarsitzung so unmittelbar einer Hauptausschußsitzung folgt und man nun Dinge, die vorgestern und gestern diskutiert wurden33), noch einmal in der Diskussion hört und dabei feststellen muß, daß der verehrte Herr Kollege von Brentano an der Diskussion des vorgestrigen Tages nicht teilgenommen hat. Infolgedessen hat er eine Reihe der Dinge, die dort sozusagen auf die Seite geschoben worden waren, nun doch wieder vorgetragen. Denn wir waren uns doch, glaube ich, wenigstens atmosphärisch dahin einig geworden, daß dieser ewige Hinweis auf das Ausland in unserm Kreis eigentlich zwecklos ist; das können also Historiker oder Literaten oder ähnliche Leute tun. Aber wir haben doch festgestellt, daß die Tatsache, daß in irgendeinem Lande ein bestimmtes Wahlsystem vorhanden ist, ohne irgendwelche Bezüglichkeit auf unsere Situation und ohne irgendeine Beweiskrah ist. Herr von Brentano hat gemeint, daß alle die Länder, die sich mit dem Proporzsystem eingelassen haben, in die Diktatur hineingefallen seien. Ich hatte in einem Zwischenruf die Schweiz und Schweden genannt. Ich hätte auch die anderen skandinavischen Länder nennen können. Wir haben vorgestern darüber gesprochen, daß die französische Situation in ihrer Entwicklung von dem eben gegebenen Zustand des Wahlrechts vollkommen unabhängig ist. Die Franzosen haben seit 1870 ihr Wahlrecht wiederholt gewechselt und haben so oder so ihre Krisen gehabt. Die Krise im vergangenen Herbst war ja ein Sonderargument für unsere Diskussion geworden. Seitdem das Kabinett Queuille34) stabilisiert'ist, scheint dieses Argument auf der Rechten wenn ich so sagen darf nicht gerade mehr an der Tagesordnung zu sein. Man soll doch nicht meinen, der Hinweis auf England oder Frankreich in empfehlendem oder in irgendwie abwehrendem Sinne habe für unsere Auseinandersetzung irgendein Gewicht. Wer das glaubt, der hält die Politik und die Geschichte für etwas mechanivormessen, in

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) Siehe die

)

52. und 53. Sitzung des HptA vom 22. und 23. Febr. 1948; Verhandlungen, S. 687 ff. Henri Queuille (1884-1970), franz. Premierminister vom 11. Sept. 1948-5. Okt. 1949. In der Vorlage korrigiert aus „König", Name des franz. Militärgouverneurs.

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stisch Machbares. Die Geschichte ist aber nicht mechanistisch machbar, sondern sie lebt und leidet aus einer unendlichen Fülle von Motiven, von denen das Wahlrecht, dessen Bedeutung ich nicht unterschätzen will, nur ein höchst sekundärer und hinzutretender Faktor der politischen Entscheidung ist. (Dr. Kroll: Wir könnten das ja einmal versuchen! Wenn es so sekundär wäre, brauchte man sich ja nicht dagegen zu sträuben!) Lieber Herr Kollege Kroll! Gerade wenn man weiß, daß das etwas Sekundäres ist, macht man keine Ersatzreligion daraus, wie es heute viele Menschen tun, die mit einer gewissen dogmatischen Gläubigkeit35) meinen, daß irgendein Wahlrechtsentwurf oder eine Wahlrechtsgestaltung Heilswerte und Heilsfolgen in sich trage. Wir stehen vor einer konkreten Situation, von der der Vorredner, Herr Professor Schmid, schon gesprochen hat. In der Auseinandersetzung über die Frage, ob Mehrheitswahlsystem oder Proporzsystem, wenn wir uns theoretisch unterhalten wollen, gibt es an soundso vielen Stellen durchaus die Möglichkeit, zu sagen: Ja, du hast recht, ich habe in der Sache unrecht, oder umgekehrt. Für das Mehrheitssystem sprechen alle Argumente, von denen auch Herr Kollege Schmid gesprochen hat: nämlich dort, wo unmittelbare, echte Entscheidungen politischer Art getroffen werden müssen ganz gewiß mit einem gewissen Verzicht auf das, was man formale Demokratie nennt. Denn die Mehrheitsentscheidung worauf ja auch hingewiesen worden ist ist auf der Ebene des Parlaments nun eben keine Mehrheitsentscheidung, sondern eine Minderheitsentscheidung, die um der staatlichen Funktionsfähigkeit willen hingenommen werden kann, die man aber um Gottes willen nicht ideologisch hochheben soll. Wir sind jetzt bei dem Versuch, das Listenwahlsystem, wie es hüher gewesen ist, aus der deutschen Gewöhnung herauszubringen. Dieses Listensystem des mechanisch-automatischen Zuwachses von Abgeordneten auf 60 000 Stimmen war ein schlechtes System, weil es gerade die unmittelbare Bindung zwischen und übersehbaren und vielleicht auch den Gewählten den Kandidaten hat. mechanisiert und den in Kreisen Hintergrund geschoben Aber wir müssen uns doch ein bißchen dagegen wehren, daß jetzt die Vorstellung vorgetragen wird, daß jemandem in dem Augenblick, wo er mit einem übersehbaren Wahlkreis konfrontiert wird, die Chance gegeben sei, nun etwas wie eine „Persönlichkeit" zu sein. Allmählich entsteht die geradezu groteske Vorstellung, daß derjenige, dessen Name auf einer „Liste" steht, dadurch eo ipso die Qualität einer Persönlichkeit verloren hat und sozusagen nur ein Pappsoldat ist, der von einem Feldwebel oder Leutnant, der an der Spitze dieser Liste steht, geführt wird. Meine Damen und Herren, so ist es nämlich auch nicht. Auch innerhalb des Listenwahlsystems sind Menschen aufgestellt an zweiter oder dritter oder vierter oder fünher Stelle, nicht weil sie irgendwelche Figuren sind, sondern weil sie auch durch ihre Leistungen, durch ihre Bemühungen in einem Wahlkreis oder in einem Wirtschahsverband oder ich weiß nicht was schon, eine Art von Ansprüchen mit geschaffen haben. —

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-

) 336

In der

Vorlage handschr. korrigiert

aus

„Kindlichkeit".

Achte Sitzung des Plenums 24. Februar

1949

Nr. 8

(Dr. von Brentano: Das wird niemand bestreiten!) Wir wollen die Sache also nicht ganz so vereinfachen. Wir sehen

jetzt die daß dieses Element der Gegebenheit, persönlichen Auseinandersetzung mit der kleineren wieder eine huchtbare Chance bekommt. der Wahlkreise Schaffung Wenn Sie aber glauben, daß mit dem Mehrheitssystem des umschränkten Wahlkreises die größere Qualität des Parlaments gesichert sei, dann befinden Sie sich in einem großen Irrtum; denn die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, daß sehr viele an sich qualitätsvolle Leute Sie waren nicht dabei, als ich kürzlich die Beispiele vorgetragen habe in der Bewerbung vor einem Wahlkreis die absoluten Opfer der non-valeurs gewesen sind, der Biedermänner aus der Nähe, die man gewählt hat, weil gegen sie am wenigsten einzuwenden -

-

war.

(Zuruf: Bassermann36)! Stresemann37)!) Bassermann, Stresemann, Naumann38): die ganze Kategorie dieser Leute ist

je und je in den Bezirkswahlen durch irgendwelche Lokalgrößen geschlagen -

worden. Mit dieser Situation ist nun einmal geschichtlich zu rechnen. Um die Sache nicht allzu breit zu machen, will ich aber noch auf eins hinweisen, das in der bisherigen Diskussion etwas zu kurz gekommen ist. Wir wissen, daß wir die Mehrzahl unseres Volkes, die Mehrzahl unserer Wähler jetzt auf der Frauenseite sehen. Die Frauen haben im Mehrheitssystem keine Chance, eine ihrer Bedeutung irgend entsprechende Vertretung zu bekommen.

(Zurufe.)

An dieser Stelle hören nämlich auch die Vertreter des

Mehrheitssystems auf,

auf die sonst so angesehenen angelsächsischen Vorbilder zu blicken. Die Angelsachsen sind in einer etwas komischen Situation: Wenn sie nach Deutschland kommen, erzählen sie uns, wir müßten brav Demokratie treiben, und sie fragen uns, woran es denn eigentlich liege, daß unsere Frauen noch gar nicht so im politischen Leben stünden. Wenn man sich aber dann die angelsächsischen39) Dinge näher ansieht, dann erfährt man, daß im Repräsentantenhaus von 432 Abgeordneten sieben Frauen sind,

(hört! hört!)

und im Unterhaus glaube ich fünf oder sechs; aber mehr werden es nicht sein. Wenn man also an das Herausheben der Chancen denkt, die jetzt aus guten Gründen und nicht aus Kavaliersgründen den Frauen gegeben werden müssen, sich in der Gestaltung der öffentlichen Dinge mit zu bewähren, und wenn man gleichzeitig weiß schmerzliche Einsicht! -, daß dort, wo wie etwa in meiner württembergisch-badischen Heimat die Frauen mit dem lustigen Panaschieren und Kumulieren eine Chance hätten, ihre Vertreterinnen in die Gemeinderäte hineinzubringen, sie es doch nicht tun, so wissen wir, daß nur in der Fassung -

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-

) Friedrich Daniel Bassermann (1811-1855), badischer Politiker. NDB, Bd. 1, S. 623. ) Gustav Stresemann (1878-1929), Reichskanzler und Außenminister des Deutschen

Rei-

ches. Martin Walsdorff: Bibliographie Gustav Stresemann. Düsseldorf 1972. ) Friedrich Naumann siehe Dok. Nr. 3, Anm. 74. ') In der Vorlage handschr. korrigiert aus „englischen". 337

Achte Sitzung des Plenums 24. Februar 1949

Nr. 8 eines ce!

Proporzsystems auch den gegeben ist, überhaupt in

Frauen heute eine Chance das Parlament einzuziehen.

die

einzige Chan-

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(Zuruf.)

-

Lieber Herr von Brentano, Sie werden sagen: Abwarten! Gehen Sie dann einmal in einen Wahlkreisverband der CDU: wenn dort ein Kandidat aufgestellt werden soll und jemand auf die Idee kommt, die vortreffliche Fürsorgerin oder die ausgezeichnete Studienrätin aufzustellen, dann sagen sämtliche Vertrauensmänner: Ausgezeichnet, aber unmöglich aus der politisch-psychologischen Situation unseres Kreises! Für die Frauen ist allein mit dem Proporzsystem die Möglichkeit gegeben, überhaupt zu einer Vertretung zu kommen. Ich will auch noch ein Wort sagen zu der beanstandeten Größe Zahlen-, nicht Qualitätsgröße des kommenden Parlaments, wo die Zahl der Sitze von 400 auf 300 heruntergesetzt werden soll. Tun Sie das nicht! Wir haben ja in den interfraktionellen Besprechungen usw. die Sorgen gehört: Wie kriegen wir denn qualitätsvolle Vertretungen, Fraktionen von 100 oder 120, oder ich weiß nicht was, zusammen, wo soviel neue Leute kommen? Wie sollen wir denn dann aus den neuen Leuten ein schlagkrähiges Parlament machen? Es ist das eine Sorge der Erziehungsveranstaltungen in den Fraktionen, aus diesen neuen Männern qualitätsvolle Parlamentarier zu machen. Aber glauben Sie doch nicht, daß Sie mit 250 oder 300 Leuten die Arbeit dieses kommenden Volkstages bewältigen können. Sie können es nicht, nämlich deshalb nicht, weil Sie auf der einen Seite die große Anzahl gesetzgeberischer Arbeit auf sich zukommen sehen, die unerhört groß und stark sein wird. Gleichzeitig soll aber auch von diesem Volkstag aus ein Integrationsprozeß in das Bewußtsein der Bevölkerung gehen. Die Leute, die hier in dem Volkstag sind, sollen gleichzeitig auch in ihren Wahlkreisen sichtbar werden. (Zuruf von der CDU.) Ja, das sollen sie tun. Denn durch die Presse allein können sie es nicht. Sie sollen die Auseinandersetzung haben. Wer kann denn diese führen? Die können nur die Leute führen, die Beamte gewesen sind; die waren freigestellt. Die Leute aus den freien Berufen, die nebenher noch eine Leistungspflicht für ihre berufliche Erhaltung haben, können das kaum tun. Sie stehen bei der Einschränkung der Größe des Parlaments vor der Gefahr, daß Sie in das Parlament wieder den Syndikus der Interessenverbände, der auch heigestellt ist, hereinbekommen. Um das zu vermeiden, brauchen Sie das größere Parlament, das den größeren Austausch der Auseinandersetzung zwischen den Wählern und dem Abgeordneten und gleichzeitig die Differenzierung der Arbeit im Parlament wird leisten können. Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich habe in der Debatte, die wir im Hauptausschuß40) gehabt haben, einen Gedanken zum Ausdruck gebracht, der, wie mir damals schien, auch auf Herren der CDU Eindruck gemacht hat. Man kann an sich für das Zweiparteiensystem sein. Ich rede hier nicht mit der Sentimentalität dessen, der Angst davor hat, von der Geschichte überfahren zu werden. Wir wissen: Gut, es können dann in Deutschland Millionen von Men-

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') 338

52.

Sitzung des HptA vom

23.

Febr. 1949;

Verhandlungen, S.

695 ff.

Achte

Sitzung des Plenums 24.

Februar 1949

Nr. 8

sehen heimatlos werden, denen die Art der Firmierung des Christentums in der CDU, wovon wir noch einmal zu sprechen haben werden, nicht gefällt und denen auf der anderen Seite die Situation innerhalb der Sozialdemokratie nicht gefällt. Das wäre ja gleichgültig. Die Situation ist aber die, daß überall dort, wo das Zweiparteiensystem die große Spielregel des politischen Lebens wurde, das Beamtentum geschichtlich eine andere Strukturierung besessen hat, als es sie in Deutschland besitzt. Man hatte in Amerika das Spoilsystem, das Beutesystem, das Andrew Jackson41) eingeführt hatte und das dann durch Karl Schurz42) etwas abgebremst wurde. Da wußte man: Man wird von der Partei in ein Amt gesetzt, und wenn die Partei verloren hat, dann fliegt man wieder heraus ganz in der des staatlichen dieses Beamten in geschichtSystem Ordnung. In England ist lichen Entwicklung sehr viel geringer ausgebildet gewesen. Wir aber hatten es zentral in der Struktur der deutschen Dinge. Ob man es für gut oder für schlecht hält, steht gar nicht zur Diskussion. Ich halte es auf das Ganze für eine sehr gute Angelegenheit der deutschen staatlichen Entwicklung, daß wir den beamtlichen Typ in gewissem Sinne mit geschaffen haben, auf dem der Staat mit ruhte. Aber wenn Sie jetzt die Situation in die Zukunft projiziert so sehen, daß Sie der einen Partei die Mehrheit zusprechen und mit der Mehrheit die Verantwortung hir die Regierungsgeschähe, für die Legislative, für die Exekutive, so wird diese Mehrheitspartei vollkommen legitim die Beamtungen mit Leuten ihres Vertrauens besetzen. Gut! Und dann wird diese Regierung das nächste Mal abserviert, und die Exekutive in der Spitze und die Legislative wird anders aussehen. Aber der Beamte der deutschen Tradition wird bleiben. Denn er hat seinen Anspruch aufgrund des deutschen Beamtenrechts. Von dort her ist diese Konstruktion eine theoretisch sehr schwierige, weil Sie nämlich dann den Zustand schaffen durchdacht und praktisch ganz unsentimental gesehen durchgeführt -, daß Sie wechselnde Entscheidungen der oberen Hälhe haben und die Strukturierung des Staates mit von einer parteipolitischen Vergangenheit bestimmt wird. Und ein letztes, wovon Schmid auch sprach: Das Mehrheitssystem der einfachen Machtentscheidungen wird dann vielleicht sinnvoll, wenn wir echte Entscheidungen zu treffen haben. Das haben wir auf lange, lange hinaus nicht. Um diese Zeit zu tragen, wird das Problem der Koalition oder des Kompromisses nicht so, wie die Formalpolitiker des Literatentums das ansehen, ein Fliehen vor der Verantwortung sein, sondern es wird das Gesetz der Selbsterhaltung unseres Volkes als irgendwie einheitlich strukturierten Körpers schlechthin werden. Und wir werden das Schicksal dieses Volkes nicht in die Hände von mechanistisch denkendem Literatentum geben. —



-

(Bravo!) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bei der Debatte, die wir zu Anfang unserer Besprechungen am 9. 9. 194843) gehabt

41) Andrew Jackson (1767-1845), 7. Präsident der Vereinigten Staaten. 42) Carl Schurz (1829-1906), amerikanischer Staatsmann und Journalist deutscher 43)

Her-

kunft. Siehe Dok. Nr. 3, S. 124. 339

Nr. 8

Achte

Sitzung des Plenums

24. Februar 1949

haben, schon die grundsätzliche Auffassung meiner Partei zur Frage des Wahlrechts dargelegt. Aber wir haben heute den besonderen Fall und dies ist zu unterstreichen -, daß wir jetzt ein Gesetz schaffen, das nur die Voraussetzungen für eine einmalige Wahl zu gestalten hat, während es dem durch diese Wahl gewählten Parlament obliegt, ein endgültiges Wahlsystem für das deutsche Volk zu erarbeiten. Dabei bin ich durchaus der Auffassung, daß in einem wirklich dynamisch gestalteten politischen Leben, in dem sich die Vielfalt des allgemeinen Lebens zu spiegeln hat, auch das Wahlsystem einem ständigen Wechsel zu unterwerfen ist. Es ist nicht so, daß das Wahlsystem den Staat bildet. Nicht das Wahlsystem baut eine echte Demokratie auf, sondern die Menschen, die sich des Systems bedienen. Wir müssen bei der Entscheidung dieser Frage auch ganz nüchtern beurteilen, in welcher Lage sich das deutsche Volk heute befindet und was diesem deutschen Volk in den letzten 30 Jahren als Lebensform der Demokratie dargeboten worden ist: erst das Verhältniswahlsystem der Weimarer Republik und im Anschluß daran eine Reihe von Wahlakten, die doch in keiner Weise mehr wirklich auf Freiheit und Gleichheit begründet waren. Damit die Menschen in Deutschland nun wieder langsam, aber sicher an ein wirkliches demokratisches Leben herangeführt und daran gewöhnt werden, ist es notwendig, daß wir immer wieder versuchen, die Grundlagen unserer demokratischen und föderalen Staatsauffassung mit dem Bewußtsein des Volkes so zu verbinden, daß es sie lebendig in sich trägt. Diesem Ziel ist es nun nicht ohne weiteres zuträglich, wenn man Voraussetzungen schafft, die für diese Entwicklung gewisse Schwierigkeiten bringen, oder wenn man das Wahlsystem, das wir jetzt für diese erste Wahl beschließen, nun das Schicksal so hinstellt, als ob von ihm von dem Ja oder Nein dazu unserer Zukunh maßgebend abhänge. Wir hatten den Wunsch, für diese erste Wahl eine Wahlpflicht einzuführen, um alle deutschen Menschen überhaupt einmal zu einer klaren Entscheidung aufzurufen, um vor allen Dingen die große Gruppe der Nichtwähler zu zwingen, sich endlich einmal eindeutig für eine Marschrichtung zu entscheiden. Denn das Wesentliche ist, daß sich diese Leute nun einmal wirklich überlegen, wie denn die Zukunh Deutschlands gestaltet werden soll, und daß sie nicht den heute schon wieder so starken zersetzenden Krähen anheimfallen, die sich bemühen, alles, was geschieht nur weil es bei den heutigen Zeitumständen natürlich nicht erstklassig und nicht mit 100%iger Wirkung geschehen kann -, infolge ihrer absolut übersteigerten intellektualistischen Auffassung herabzureißen, und die dadurch im Volke das notwendige Wachsen eines demokratischen Bewußtseins wiederum langsam, aber sicher zerstören und so den Kräften den Weg öffnen, die für unsere Zukunh ebenso verderblich sind wie vor 30 Jahren, als sie sich schon einmal bei uns eingenistet hatten. Aus diesem Grunde würden wir es sehr begrüßen, wenn sich die Mehrheit des Hohen Hauses für eine Wahlpflicht entscheiden könnte, aus dem rein erzieherischen Moment heraus, alle diese Menschen unter den Zwang zu stellen, sich wenigstens diesmal zu entscheiden, wie sie ja im Dritten Reich unter den merkwürdigen Zwang gestellt wurden, sich nämlich in Wahrheit nicht entscheiden zu können. -

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340

Achte

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Nr. 8

Aber wir haben uns bisher mit dieser Auffassung leider nicht durchsetzen können. Wenn wir nun die besondere Lage unseres Volkes sehen, dann ist es immerhin wesentlich, daß wir der Vielfalt des Lebens auch im Parlament ein Spiegelbild geben. Diese Vielfalt des Lebens zeigt sich bei uns in Deutschland besonders in den heute hier schon angedeuteten Problemen unseres großen Frauenüberschusses, in der besonderen Lage unserer Vertriebenen und Flüchtlinge und in der besonderen neuen Struktur, die durch die Zerreißung in Zonen entstanden ist. Deshalb können wir nicht einen neuen Weg gehen und das Steuer radikal herumwerfen, sondern wir müssen behutsam vorgehen und müssen versuchen, ein System zu finden, das durch Herausstellen der Persönlichkeit im einzelnen Wahlkreis die Menschen anzuziehen versucht, um sie an das politische Leben heranzubringen, das aber andererseits diese Persönlichkeiten aus dem Volke heraus erst einmal sich formen läßt und ihnen deshalb einen entsprechenden Rückhalt geben muß. Deswegen sind wir der Auffassung, daß es für diese erste Wahl notwendig ist, ein solches gemischtes Wahlsystem zu wählen, das uns erst langsam die Voraussetzungen zu dem Wahlsystem finden läßt, das wir in der Zukunh zu erreichen hoffen. Ich kann aus der Erfahrung heraus nur sagen, daß die Persönlichkeitswahl in Verbindung mit der Listenwahl, die auch durch das Wahlgesetz angestrebt wird, in den Ländern, in denen sie bisher eingeführt wurde, durchaus zu guten Ergebnissen geführt hat. Wir sind mit Hilfe dieses gemischten Systems tatsächlich dazu gekommen, daß es wieder bestimmte Abgeordnete für jeden Wahlkreis gibt und daß sich dabei die Bevölkerung mit dem Abgeordneten und der Abgeordnete mit der Bevölkerung verbindet. Dieser Ubergang ist unbedingt notwendig, ehe wir vielleicht später einmal zu einem reinen Persönlichkeitsund Mehrheitswahlsystem kommen. Würden wir diese Zwischenstufe überspringen, so würden wir bei der augenblicklichen Lage unseres Volkes einer Prozedur den Weg öffnen, die nicht zu einem organischen Wachstum, nicht zu einer wirklich dynamischen Entfaltung des politischen Lebens, sondern entweder zu einer Eruption oder zu einem Stillstehen des demokratischen Apparates führen muß. Diesen Stillstand des Apparates aus der Negation heraus müssen wir fürchten. Ihn gilt es zu überwinden. Es gilt, den Krähen, die in ihrem zersetzenden Intellektualismus die organische Entwicklung zu zerstören sich bemühen, etwas entgegenzustellen, das lebenswahr ist und anziehend wirkt. Ich möchte deshalb gerade denjenigen Abgeordneten des Hohen Hauses, die aus ihrer grundsätzlichen Einstellung zum Mehrheitswahlsystem das jetzt vorgeschlagene Wahlsystem ablehnen, doch anheimgeben, sich einmal in der britischen Zone davon zu überzeugen, wie die Wahlsysteme sich bewährt haben, die dort ähnlich dem jetzt hier vorgeschlagenen System bereits durchgehihrt worden sind. Ich kann aus meiner Erfahrung nur betonen, daß wir durch diese Verbindung der Persönlichkeitswahl mit einem Listenwahlsystem in unserem Streben nach echter Belebung des politischen Bewußtseins wirklich zu sehr guten Ergebnissen gekommen sind. Deswegen haben wir uns entschlossen, dieser Form des Wahlgesetzes unsere Zustimmung zu geben. Wir haben das auch deshalb getan, weil wir überzeugt 341

Nr. 8

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Frauen und den beruflich stark belasteten Persönlichkeiinsbesondere aber auch den Vertriebenen mit diesem Wahlsystem die ten, Chancen zu ihrer Vertretung gegeben sind, Aussichten, die sie weitestgehenden bei einem reinen Mehrheitswahlsystem nicht haben werden. Wir haben den Beweis für diese Auffassung bereits erlebt. Ich darf nur an die Wahlen erinnern, die als Persönlichkeitswahlen in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen durchgeführt worden sind und bei denen gerade diese Kategorien in den Landtagen überhaupt nicht vertreten sein würden, wenn sie nicht mit Hilfe der Koppelung des Persönlichkeitswahlsystems mit dem Listenwahlsystem hereingekommen wären. Gerade im Interesse dieser Gruppen, die für sich selbst zu schwach sind, um sich durchzusetzen, ist es notwendig, daß wir ihnen durch dieses System eine angemessene Vertretung sichern, ja ihnen damit überhaupt erst die Voraussetzung geben, mit der ganzen Gewalt ihrer Stimmenmasse bei den Parteien eine entsprechend große Vertretung zu erzwingen. Es ist also in dem Wahlgesetz durchaus ein Schutz der schwachen, aber dem politischen Leben unbedingt zu gewinnenden Kräfte gegeben, den wir in unserer besonde-

sind, daß gerade den

ren Lage unbedingt begrüßen müssen. Wir müssen aber auch von unserem Standpunkt aus noch eines zu diesem Gesetz sagen. Man hat in der Debatte im Hauptausschuß44) gesagt, daß das reine Mehrheitswahlsystem deswegen zu begrüßen sei, weil man sich damit gegen die kleinen und kleinsten Parteien mit Erfolg zur Wehr setzen könne. Meine Damen und Herren! Die kleinen und kleinsten Parteien werden sich, wenn sie örtlich eng mit der Bevölkerung verbunden sind, auch bei einem Mehrheitswahlsystem durchsetzen. Die Deutsche Partei hat daher von sich aus keine Erinnerung gegen dieses System. Wir glauben, daß wir uns auch unter einem solchen System durchsetzen werden. Aber ich bin der Auffassung, daß man ein Wahlsystem nicht von vornherein darauf abstellen darf, die lebendige

des politischen Lebens zu verhindern. Ich habe gerade aus den die in den angelsächsischen Ländern vorliegen, immer wieder das Bedenken, daß sich die Vielfalt des Lebens in Deutschland und die besondere Art des deutschen Menschen, die nach singulärer Betätigung drängt und sich auch individuell vertreten sehen will, nicht entfalten wird, ja daß wir sogar viele Menschen vom politischen Leben zurückstoßen, wenn wir ihnen nicht die Möglichkeit geben, sich auch im politischen Leben der von ihnen erstrebten Differenzierung gegenüberzusehen und sich dementsprechend entscheiden zu können. Eine Zusammenfassung der politischen Krähe in zwei großen Parteien würde das demokratische politische Leben in Deutschland, das sich jetzt erst entfaltet, wieder ersticken. Wir können uns eine derartige Entwicklung nicht leisten, sondern wir müssen im Gegenteil alle Voraussetzungen schaffen, um jeden einzelnen deutschen Menschen für unser politisches Leben zu interessieren. Das ist eine große Erziehungsaufgabe, der sich nach meiner Auffassung die anderen Gesichtspunkte bei unserer heutigen Situation unterzuordnen haben. Es gilt wirklich, die deutschen Menschen wieder an das politische Leben heranzuführen, sie mit dem politischen Leben zu verbinden und in ihnen das Verant-

Entwicklung Erfahrungen,

44) 342

52. und 53.

Sitzung des HptA

am

22. und 23. Febr. 1949;

Verhandlungen, S.

687 ff.

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dafür zu wecken, daß sie jeder einzelne durch ihren Einsatz an der Gesamtentscheidung teilnehmen müssen, weil sie sie vor ihrem Volk zu verantworten haben. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Brockmann. Brockmann (Z): Meine Damen und Herren! Ich befürchte, daß wir dieselbe Debatte, die wir nun im Plenum erleben, die wir im Hauptausschuß, der ja öffentlich tagt woran Herr Heuss ganz richtig erinnert hat -, hinter uns haben45), demnächst im Volkstag, wenn wir über das endgültige Wahlgesetz zu entscheiden haben, noch einmal erleben werden. Das ist auch nicht schlimm. Ich wollte durch diese Bemerkung nur die Situation kennzeichnen, die dadurch gegeben ist, daß dieser Wahlgesetzentwurf, der hier vorliegt, ad hoc eine Aufgabe zu erfüllen hat, nämlich der Bundesrepublik den ersten Volkstag, und zwar

wortungsbewußtsein

-

-

-

den ersten

arbeitsfähigen Volkstag

zu

geben.

Da möchte ich für meine Person und meine Partei unterstreichen, daß sowohl im Hauptausschuß als auch im Plenum wiederholt zum Ausdruck gekommen ist, daß zu dieser Arbeit des ersten Bundes- bzw. Volkstages alle parteipolitischen Richtungen und Strömungen in unserem Volke verantwortungsvoll mit herangezogen werden sollen. Der Herr Kollege Schmid hat in ganz besonders eindrucksvoller Weise hier belegt, wie notwendig es ist, daß wir uns bemühen, nicht mit einer oder mit zwei Parteien, sondern mit dem Einsatz aller parteipo-

litischen Gemeinschahen die Schwere der Aufgabe zu meistern, die unserem Volke durch den Verlust des Krieges und durch den Zusammenbruch der Desperadopolitik der Nazis nun gestellt worden ist. Das ist meiner Ansicht nach für uns das Entscheidende bei der Beurteilung des Pro oder des Kontra zu dem hier vorliegenden Wahlgesetzentwurf: die weitestgehende Heranziehung aller Deutschen an die Verantwortung in dem kommenden Bundestag. Meine Damen und Herren! Meine Kollegin Wessel hat gestern in der öffentlichen Sitzung des Hauptausschusses46) unsere grundsätzliche Auffassung zum Wahlrecht, Wahlsystem usw. sehr eingehend dargelegt, so daß ich darauf verzichten kann, Sie noch mit entsprechenden Darlegungen aufzuhalten. Ich möchte nur noch einmal zusammenfassend betonen, daß wir vom Zentrum uns nicht von vornherein für ein ganz bestimmtes System aussprechen oder festgelegt haben. Nein, unsere grundsätzliche Haltung zu jedem System richtet sich danach, ob zwei Voraussetzungen erfüllt sind: 1. daß jedem Wähler das gleiche Recht und damit die gleiche Verantwortung in einem solchen Wahlsystem gegeben ist, und 2. und das ist für uns von besonderer Bedeutung und Wichtigkeit daß jede Stimme auch das gleiche Gewicht haben muß. Das betonen wir besonders in Rücksicht auf Art. 4547) der Bundesverfassung bzw. des Bundesgrundgesetzes, in dem ja der Grundsatz der Wahlgleichheit in besonderer Weise zum Ausdruck gebracht ist. -



45) Ebenda. 46) Ebenda, S. 691 ff. 47) Art. 45 in der Fassung der 3. Lesung des HptA (Stand 10. Febr. 1949) setzte das Prinzip der allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahl für die Bundestagswahlen fest, später Art. 38 GG; Entwürfe, S. 206; Der Pari. Rat Bd. 7, S. 408. 343

Nr. 8

Achte

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24.

Februar 1949

Nun, meine Damen und Herren, möchte ich der Auffassung Ausdruck verleihen, die ich auch gestern bereits im Hauptausschuß zum Ausdruck bringen durfte48), daß eigentlich, wenn ich so sagen darf, die Differenzen zwischen den

Auffassungen in den einzelnen Fraktionen gar nicht so groß sind. Ich glaube, es ist kaum jemand in diesem Hohen Hause, der einem der beiden Systeme oder der Systeme überhaupt einzig und allein bis in die letzten Konsequenzen hinein das Wort reden würde. Weil ich besorgt darum bin, die Situation, die auch draußen im Lande bei der Diskussion dieser Frage doch teilweise sehr aufgeregt und, ich möchte fast sagen, vergiftet worden ist, wieder etwas zu entgiften, und weil ich besorgt darum bin, daß wir uns gerade in der Situation, in der wir stehen, immer wieder möglichst zusammenfinden, möchte ich hier auch noch einmal zum Ausdruck bringen, daß es mich ganz außerordentlich sympathisch berührt hat und daß es von meinem Standpunkt aus als ein großes Plus zu werten ist, daß niemand mehr in diesem Hause aufgetreten ist, der dem sogenannten reinen Persönlichkeitswahlrecht das Wort geredet hat, auch

nicht seitens der Vertreter der CDU/CSU, heute nicht und auch im Hauptausschuß nicht. Auch von der Seite hat der Herr Kollege Kaufmann ja betont das reine Persönlichkeitswahlrecht abgelehnt und sich zweitens und das unterstreiche ich ganz besonders für einen gesunden und vernünftigen Mittelweg ausgesprochen. Er hat mit Recht diese Auffassung damit begründet, daß er sagte: Entscheidend ist, daß wir zu stabilen Regierungen und vor allen Dingen für den ersten Bundestag zu einer stabilen Regierung kommen, die in der Lage ist, die schweren Aufgaben, vor denen wir stehen, zu meistern. Da habe ich mir bereits erlaubt, darauf hinzuweisen, daß diese Stabilität der Regierung und der Regierungsführung nicht hier entschieden wird. Sie ist bereits im Grundgesetz entschieden, nämlich dadurch, daß wir beispielsweise das konstruktive Mißtrauen hineingenommen haben. Es ist gar nicht möglich das muß die Öffentlichkeit wissen im kommenden Volks- oder Bundestag eine Regierung zu stürzen, ganz gleich welche Parteigruppierung das vorhat, wenn diese Parteigruppierung nicht gleichzeitig in der Lage ist, eine neue Regierung auf die Beine zu stellen. Das hat in Zukunh mit dem Wahlrecht, mit dem Wahlsystem, mit dem Wahlgesetz usw. gar nichts mehr zu tun. Nun, meine Damen und Herren, möchte ich zum Schluß meiner Darlegungen darauf hinweisen, daß wir gerade auch in Nordrhein-Westfalen in dem dortigen großen Landtag einen sehr augenscheinlichen Beweis dafür haben, daß die Gruppen, die hier genannt wurden beispielsweise die Vertriebenen und insbesondere die Frauen, auch Persönlichkeiten, die nicht so wortgewaltig sind und agitatorisch nicht so stark wirken können, daß sie die breiten Massen hinter sich bringen auf deren Mitarbeit man aber im Parlament entscheidenden Wert legt -, bei dem reinen Mehrheitswahlsystem wirklich zu kurz kommen. Wir haben in der großen Fraktion der CDU beispielsweise in Nordrhein-Westfalen unter 92 Abgeordneten 3 Frauen, in meiner Fraktion unter 16 Abgeordneten 2. Mit Ausnahme von 2 Abgeordneten sind wir alle über die Liste gewählt wor-

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-

:) Siehe 344

Anm. 44,

Verhandlungen, S.

698 f.

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den. Es war uns möglich, Frauen und Vertriebene viel stärker zu berücksichtigen. Da haben wir den Beweis für die Tatsache, daß gerade in der augenblicklichen Situation nicht nur den berechtigten Ansprüchen der Vertriebenen und der Frauen, sondern auch dem Anspruch, den wir an sie richten müssen, nämlich daß wir sie zur Mitarbeit im parlamentarischen Raum heranziehen wollen und müssen, am besten durch das System Rechnung getragen wird, das diese Vorlage aufweist. Auch aus diesen Gründen werden wir dieser Vorlage unsere

Zustimmung geben.

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Renner. Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Zwar ist dieses Wahlgesetz vom Wahlrechtsausschuß in einer Unzahl von Sitzungen49) durchberaten worden; es ist aber auch eine Tatsache, daß der Hauptausschuß nur in zwei knappen Sitzungen am vorgestrigen und gestrigen Tage sich mit der Materie beschähigt hat50). Es ist drittens eine Tatsache, daß wir heute oder morgen in drei aufein-

anderfolgenden Lesungen

Wahlgesetz als Plenum verabschieden sollen. gleich angeben. Eine Vorbemerkung erscheint mir überstürzte Behandlungsmethode zu erklären.

dieses

Den Grund dafür werde ich

diese etwas dieser Woche hat die Pressestelle des Parlamentarischen Rates die Montag Mitteilung herausgegeben, daß der Ältestenrat des Parlamentarischen Rates beschlossen habe, vor der zweiten Lesung des Grundgesetzes im Plenum die Bekanntgabe des Besatzungsstatuts abzuwarten51). In der Zwischenzeit sollte nur das Wahlgesetz beebenfalls nach dem erwähnten Pressekommuniqué daß das Wahlgesetz, wie stehen werden. vor Heute wir der Tatsache, sprochen ich schon sagte, vom Plenum in drei aufeinanderfolgenden Sitzungen verabschiedet werden soll. Als Begründung dafür wird angegeben, daß die Länderregierungen möglichst bald mit den Vorarbeiten für die Durchführung der Wahl zum Volkstag beginnen, die Wählerlisten nachschreiben müßten usw., damit diese Wahl möglichst hühzeitig bei Abruf erfolgen könne. Unter Bruch des in dem von mir zitierten Pressekommuniqué erwähnten Beschlusses des Ältestenrates soll das Plenum des Parlamentarischen Rates am kommenden Donnerstag, auch wenn bis dahin das Besatzungsstatut nicht zugestellt worden ist, womit allgemein gerechnet wird, mit der zweiten Lesung des Grundgesetzes für die Deutsche Bundesrepublik bereits beginnen. Das ist eine vollständige Änderung der offiziellen Taktik des Hohen Hauses. Ich muß diese Ausführungen machen, um meinen Antrag begründen zu können, der darauf hinausläuh, diese Beratungen abzubrechen. Am 17. Februar 1949 haben die Herren Militärgouverneure in einem Aide-Mémoire52), deutsch in einer Gedächtnisstütze

angebracht,

um

Am

-



(Heiterkeit!)

49) Der Pari. Rat Bd. 6. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten 23 Sitzungen stattgefunden. 50) Siehe Anm. 44. 51) Siehe Der Pari. Rat Bd. 4, S. XXI; ferner Anm. 2. 5Z) Das Aide-Mémoire der Alliierten zum Entwurf des GG vom 17. Febr. 1949, vervielf. als Drucks. Nr. 616, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 8, Dok. Nr. 43.

345

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ich verdeutsche das nicht ohne Grund -, den Präsidenten des Parlamentarischen Rates und damit den Rat selber wissen lassen, daß sie und ihre Berater den Entwurf des Grundgesetzes von ihnen „Provisorische Verfassung" genannt -, wie er vom Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates in dritter Lesung angenommen worden ist, prüfen. Völlig neu für die deutsche Öffentlichkeit ist, daß der Entwurf des Grundgesetzes in seinem derzeitigen Stadium bereits den Herren Militärgouverneuren zur Kenntnisnahme und Prüfung zugeleitet worden ist. Bisher wurde von der sozialdemokratischen und von den bürgerlichen Fraktionen des Parlamentarischen Rates stets die Auffassung vertreten und auch ganz offiziell ausgesprochen, daß den Militärgouverneuren das Grundgesetz erst nach seiner endgültigen Verabschiedung, also nach Durchführung der dritten Lesung, zugestellt werden soll. Das deutsche Volk hat wohl ein Recht, zu erfahren, durch welche Umstände dieser taktische Wechsel zustande gekommen ist. Warum ist man von dem bisherigen offiziellen Standpunkt abgewichen? Wer hat den Militärgouverneuren diesen Verfassungsentwurf im derzeitigen Stadium zugeleitet und wer hat die Bitte ausgesprochen, daß sie sich mit ihm im derzeitigen Stadium beschähigen -



mögen?

Zweck der Prüfung ist nach dem erwähnten Aide Memoire, festzulegen, wieweit der Entwurf des Grundgesetzes von den alliierten Forderungen abweicht, die uns in dem bekannten Schreiben vom 22. November53) vergangenen Jahres zugeleitet worden sind. Nun heißt es in diesem Schreiben vom 17. Februar54)

wörtlich: Im Verlauf ihrer

Prüfung des Grundgesetzes werden die Militärgouverneure Gelegenheit haben, solche Punkte, von denen sie das für nötig halten könnten, an ihre Regierungen zu verweisen. Bei der Erwägung seines eigenen Programms

sollte der Parlamentarische Rat sich darüber klar sein, daß dies eine gewisse Verzögerung bewirken dürhe. Die Militärgouverneure werden ihre Ansichten zu gegebener Zeit dem Parlamentarischen Rat zuleiten. Das ist etwas absolut Neues. Wenn sich bei der Prüfung des Grundgesetzes durch die Herren Militärgouverneure also Punkte ergeben sollten, die zu den Bedingungen im Widerspruch stehen, die uns in dem Schreiben vom 22. November 1948 als zwingend auferlegt worden sind, dann gibt es eine Nachprüfung durch die Regierungen in Washington, London und Paris. Es werden sich solche Zwiespältigkeiten und Widersprüche ergeben. Ich erinnere nur an die Konzeption der Militärregierung in der Frage der Finanz- und Steuerhoheit, in der Frage der Bundesfinanzverwaltung, der Einbeziehung der Westsektoren Berlins in diesen separaten westdeutschen Bundesstaat. Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, wir sind bei der Beratung des Wahlgesetzes.

Renner zu

(KPD): Ich muß das anführen dürfen, Herr Präsident, um meinen Antrag Wenn man mich nicht unterbricht, dann bin ich sehr viel eher

begründen.

53) Denkschrift der Alliierten

vom

22. Nov.

Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 8, Dok. Nr. 18. 54) Siehe Anm. 52. 346

1948, vervielf. als Sekretariatsumdr. Nr. S 1;

Achte

Sitzung

des Plenums 24. Februar 1949

Nr. 8

Ich sage Ihnen gleich, worauf ich hinaus will. Ich will auf folgendes hinauskommen: daß meines Erachtens dieses Schreiben der Militärgouverneure uns suggerieren will, daß wir in Bonn etwas kurztreten sollen. Ich bin der Meinung, daß die Herren Militärgouverneure aufgrund eines bestimmten außenpolitischen Ereignisses zu diesem Ratschlag an uns gekommen sind, nämlich aufgrund des Stalinschen Friedensangebotes55), aufgrund der Auswirkung dieses Friedensangebotes auf die Weltöffentlichkeit und auch auf die Völker in den Westländern und Weststaaten selber. Dazu kommt, daß innerhalb der Westmächte selbst die Differenzen offensichtlich dauernd wachsen, was am eindeutigsten dadurch bewiesen wird, daß die Westmächte noch immer nicht mit dem Besatzungsstatut fertig geworden sind, daß sie sich immer noch nicht in dieser Frage einigen können. Die alles beherrschende Stellung des USA-Monopolkapitals hat den Ländern, den Satellitenstaaten des Marshall-Planes56), auch England und Frankreich, langsam ein Licht aufgesteckt, daß die eigene nationale Wirtschah, ihre politische Bewegungsfreiheit und ihre Entwicklungsmöglichkeiten dadurch entscheidend eingeengt werden. Man begreih langsam in diesen Ländern, was der Marshall-Plan bedeutet. Wir in Westdeutschland, Westdeutschland mit dem Marshall-Plan, Westdeutschland mit dem Ruhrstatut, Westdeutschland mit dem Besatzungsstatut, sollten nicht zu denselben Schlußfolgerungen kommen, daß es notwendig ist, auch einmal zu überlegen, wohin wir unter der Führung dieser Politik des USA-Monopolkapitals gehen? Ich bin der Meinung, daß wir überlegen müssen. Wir sollten uns darüber klar sein, daß wir durch das Besatzungsstatut die uns gegebene Verfassung erhalten. Was wir hier machen, sind doch bestenfalls nur deutsche Durchführungsbestimmungen dazu. Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, ich habe Ihnen ein gentleman's agreement angeboten: 10 Minuten Redezeit, dann müßte ich die Zügel fester anziehen. Die zehn Minuten sind vorbei. Renner (KPD): Sie können mir nicht erzählen, daß zehn Minuten herum sind. Ich kenne meine Art zu reden. Ich weiß, wie lange man dazu braucht. Wenn Sie aber Ihre Unterbrechungen mitrechnen

fertig.



55) Mit dem „Friedensangebot Stalins" war ein Interview mit dem Journalisten Kingsbury Smith vom 27. Jan. 1949 gemeint. Abdr. in: Keesing's Archiv 1948-49, S. 1799 f. Darin war u. a. die Frage gestellt worden: „Wenn die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich übereinkommen würden, die Errichtung eines westdeutschen Staates zu verschieben, indem sie gleichzeitig den Rat der Außenminister zu einer Zusammenkunft einberufen würden, um das deutsche Problem als Ganzes zu behandeln, wäre die Sowjetunion dann bereit, die Verkehrsbeschränkungen zwischen Berlin und den Westzonen aufzuheben? Antwort: Vorausgesetzt, daß die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich die in obiger Frage erwähnte Bedingung erfüllen, sieht die Regierung der Sowjetunion kein Hindernis, die Verkehrsbeschränkungen aufzuheben, vorausgesetzt, daß die durch die drei Mächte eingeleiteten Transport- und Handelsbeschränkungen gleichzeitig aufgehoben würden." Der Informationsdienst für die Abgeordneten des Pari.

56)

Rates befaßte sich unter dem Stalins Angebot (Z 12/52, Bl. des Marshall-Plans" in Origins of the Marshall Plan. „.

.

.

Febr. 1949 mit der Reaktion der Westmächte auf 152, 154). der Vorlage handschr. eingefügt. Siehe John Gimbel: The Stanford 1976. 1. und 2.

347

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Präs. Dr. Adenauer: Nein, Herr Renner. Ich bitte Sie,

jetzt

zur

Sache

zu

spre-

chen.

(KPD): Ich komme zur Sache, wenn Sie mich nur zur Sache sprechen lassen. Ich will nämlich den Antrag begründen, daß Sie auch mit der Verabschiedung des Wahlgesetzes Schluß machen sollen den Antrag stelle ich hier -, aus den Gründen, die ich wenigstens anzudeuten berechtigt sein muß. Ich bin der Meinung, daß wir kein Interesse haben, nun überstürzt, nur nach den Intentionen des USA-Kapitals, die Spaltung Westdeutschlands zu forcieren. Sie wissen so gut wie ich, Herr Dr. Adenauer, daß die britische und französische Militärregierung in den letzten Wochen offensichtlich einen retardierenden Kurs gegangen sind. Warum sollen wir schlechtere Deutsche sein57)? Warum sollten wir unsere eigenen deutschen Interessen nicht in den Vordergrund schieben58), wie das die anderen Völker ja auch tun? Sie haben einmal mit Recht gesagt, Herr Dr. Adenauer, daß die Zeit kommen könnte oder kommen wird, wo man uns für dieses Verfassungswerk, das wir machen, sehr schwer und sehr hart beurteilen wird. Ich bin der Meinung, der Zeitpunkt kommt nicht erst in der Zukunh, er wird bereits in einigen Monaten da sein. Und nun zum Schluß. Was machen Sie hier? Anstatt alles zu vermeiden, was die internationalen Gegensätze noch mehr steigert, stoßen Sie in das Horn hinein. Die Berliner Vertreter treten auf und schüren das Feuer. Das deutsche Volk hat kein Interesse daran. Wir sollten wissen, daß wir den Frieden und die Einheit Deutschlands nur dann bekommen, wenn die alliierten Mächte wieder zur Einheit und zum Potsdamer Abkommen zurückfinden. Oder wagt hier einer das Gegenteil zu behaupten? Wagt hier einer zu behaupten, daß die Einheit Deutschlands bei der jetzigen internationalen Konstellation herstellbar ist? Müßten wir als Deutsche nicht alles tun, um die Westmächte direkt anzuflehen, zu dieser Einheit im Kontrollrat, in der interalliierten Kontrollkommission zurückzukommen? Das machen Sie59) nicht. Sie treiben hier, Sie peitschen das Wahlgesetz durch, Sie peitschen den Verfassungsentwurf durch. Aber Herr Dr. Adenauer hat vor einigen Wochen einmal vor einer Schweizer Journalistendelegation gesagt, der Zeitpunkt komme, daß sich bei uns eine nationalistische Partei bilden werde60). Er ist mit seiner Politik schuld, wenn wir eine faschistische Partei bekommen werden, das muß klar ausgesprochen Renner

-

57) Folgt in der Vorlage handschr. gestrichen „als die Engländer sind". 58) Der folgende Satzteil in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 59) Im Folgenden in der Vorlage viermal „Sie" korrigiert aus „wir". 60) Adenauer hatte am 29. Nov. 1948 25 Schweizer Journalisten empfangen und dabei auch über das Echo gesprochen, das seine Rede in Berlin vom 23. Nov. 1948 in der Neuen Züricher Zeitung hervorgerufen hatte. In Berlin hatte er gesagt: „Mit wem das wiedererstarkte Deutschland einmal zusammengehen wird, hängt davon ab, wie die übrige Welt Deutschland behandelt." Hierzu Mensing: Adenauer, Briefe, S. 359 f.; ebenda abgedruckt eine Aufzeichnung von Adenauer „Ausführungen vor den Schweizer Journalisten" sowie Erläuterungen vom 18. Jan. 1949 (ebenda, S. 387), die darauf abzielten, das Presseecho zu dämpfen. 348

Achte

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werden. Was Sie hier machen, das ist das Gegenteil von dem, was im Interesse des deutschen Volkes liegt, das ist das Gegenteil der Wiederherstellung seiner Einheit, das ist das Gegenteil der Schaffung der Vorbedingungen für einen erträglichen Frieden. Das Ihnen zu sagen, war mir an dieser Stelle ein Herzensbedürfnis. Und nun zum Wahlrecht. In unserer Verfassung, angenommen von Ihnen, steht unter anderem drin: Gleiches Wahlrecht. Wenn Worte einen Sinn haben sollen, wenn diese Grundrechte also keine reine Deklaration sein sollen, was sie de jure und de facto sind, dann sollte das doch nur bedeuten, daß die Stimme jedes wahlberechtigten Deutschen gleichberechtigt in die Wahlurne hineingeht und aus der Wahlurne mit gleicher Wirkung, mit gleichem Recht auch wieder herauskommt. Es müßte so sein, daß die Stimme jedes einzelnen deutschen Bürgers beim Verlassen der Wahlurne denselben Effekt erzielt. Ich als Sozialist habe eine grundsätzliche Forderung zu erheben und muß das heute morgen noch einmal tun. Solange es eine marxistisch-sozialistische internationale Arbeiterbewegung in der Welt gibt, war es eine der grundsätzlichen Forderungen dieser Bewegung, das proportioneile Wahlrecht zu verlangen. Warum? Jedes andere Wahlsystem etwa auf der Basis eines Mehrheitswahlsystems wirkt sich zugunsten der bürgerlichen Reaktion aus. Die Arbeiterklasse das beweist die Geschichte ihres Kampfes in Deutschland eindeutig hat gegen sich den ungeheuren Machtapparat der gesamten geschlossenen bürgerlichen Reaktion, diesen Machtapparat nicht nur materieller, sondern auch geistig propagandistischer Art, von der Kirche bis heute zum Rundfunk und zu der Überzahl von Presseerzeugnissen. Das war in der Vorzeit in Deutschland noch sehr viel ungünstiger gegen die Arbeiterschah gerichtet. Das richtet sich im Augenblick, im heutigen Westdeutschland, gegen uns als Kommunisten. Aber ein Sozialist müßte das auch im heutigen Stadium bekennen. Wir Sozialisten waren also der Überzeugung, daß wir gegen diese Übermacht der bürgerlichen Reaktion unsere sozialen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Rechte mit dem Instrument des Parlaments nur dann verwirklichen können, wenn wir die Stimme jedes einzelnen deutschen Arbeiters, jedes wahlberechtigten Bürgers gleichwertig in die Waagschale werfen können. So haben wir auch gekämph. Und wie stolz waren wir in den Jahren vor 1914, wenn es uns sukzessive hier und da gelungen ist, da ein Reichstagsmandat, dort einen Stadtverordnetensitz und hier die Mehrheit in einer Gemeinde zu erobern. Das ist allerdings noch Vorgeschichte der SPD. Das haben die Sozialdemokraten, die heute hier sitzen, größtenteils vergessen. Und nun zu den Argumenten von heute. Ich komme zu Herrn von Brentano. Er hat sich heute sehr kurz gehalten mit der Behauptung, daß Weimar an der Vielfältigkeit der Parteien gescheitert ist. Er wollte damit sagen: an der Tatsache, daß die bürgerlichen Gruppen, Schichten und Klassen in der Weimarer Periode zerfallen sind, parteimäßig gesehen. Zerfallen sind sie aber nicht, weil Weimar war, sondern weil eine strukturelle Krise des damaligen und auch heute leider noch herrschenden kapitalistischen Wirtschahssystems bestanden hat. Diese inneren Gegensätze, die Interessengegensätze der verschiedenen bürgerlichen Gruppen untereinander und gegeneinander, die heute künstlich in der -



349

Nr. 8

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Achte

CDU/CSU

Augenblick

24. Februar 1949

weil über dem Ganzen als Pazifikator im noch der Herr Kardinal Dr. Frings61) schwebt,

niedergehalten werden,

(Heiterkeit)

diese Gegensätze sind am Zerfall der bürgerlichen Schichten und Gruppen in zahlreiche Parteien in der Periode von Weimar schuld gewesen. Wenn man das Wahlgesetz, das heute die CDU/CSU herausstellt, dieses absolute Mehrheitswahlsystem bereits in Weimar gehabt hätte, dann hätte Hitler 1933, ja schon vorher legal die Macht ergreifen können, dann hätte er 1933 80% der Reichstagssitze mit ihrem System erobert. Es ist also kein Schutz gegen den Totalitarismus. (Dr. Kroll: Er hätte sich aber nicht auf Splitterparteien berufen können!) Er hat sich verlogenerweise auf die Splitterparteien berufen, wie das heute noch versucht wird. Wenn wir damals dieses Wahlgesetz gehabt hätten, dann hätte Hitler legal die Macht ergreifen können. Dann hätte er nicht, um sein erstes Kabinett zu bilden, auf die Deutschnationalen zurückgreifen müssen. Dann hätte er, um die Verfassung zu ändern, nicht im Jahre 1933 mit dem Ermächtigungsgesetz62) arbeiten müssen, dem damals auch Deutsche Volkspartei und Zentrum zugestimmt haben wir haben ja noch Abgeordnete hier, die damals die Hand mit hochgehoben haben -, dieses Manöver hätte er nicht -

-

notwendig gehabt. (Zuruf des Abgeordneten Brockmann.) Sie

nicht, Herr Brockmann, aber in der CDU sitzen meines Wissens minde-

-

stens zwei.

Ich will Ihnen eines sagen. Ich habe den Verdacht, daß die CDU auch heute noch ein derartiges Wahlsystem propagiert, um sich auch die Möglichkeit zu schaffen, Verfassungsänderungen auf diesem bequemen Wege durchzuführen.

(Heiterkeit.)

Denn der Nationalsozialismus ist seinerzeit auch nicht vom Himmel heruntergefallen. Er ist das Endergebnis einer Entwicklung gewesen, an der die heute führenden Herren der CDU/CSU als damalige brave Deutsche Volksparteiler, Deutschnationale und Zentrumsführer maßgeblich beteiligt waren. Gestern ist von der Einführung Hitlers in die Kreise der westdeutschen Schwerindustrie gesprochen worden63). Bei Ihnen sitzt der Herr Lehr64), er hat doch damals die Tür für Herrn Hitler zu den Schwerindustriellen in Düsseldorf aufgemacht. Für die Menschen bestellt. Erinnerungen des Altbischofs von Köln. Köln 1973. Rudolf Morsey: Adenauer und Kardinal Frings, in: Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, hrsg. von Dieter Albrecht, Hans Günter Hockerts, Paul Mikat und Rudolf Morsey. Berlin 1983, S. 483-501. 62) Zum Ermächtigungsgesetz siehe Dok. Nr. 7, Anm. 6. 63) Im Rahmen der Diskussionen im HptA (Verhandlungen S. 707 ff.) war dies nicht der Fall. Allerdings wurde dort eingehend, insbes. von Strauß, über das politische Versagen der Beamtenschaft am Ende der Weimarer Republik gesprochen. 64) Dr. Robert Lehr war von 1924-1933 Oberbürgermeister von Düsseldorf und Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei gewesen. Die Anspielung betraf einen Besuch von Lehr bei einer Veranstaltung des Industrieclubs am 26. Jan. 1932, bei der er Hitler als Redner begrüßte. Walter Forst (Hrsg.): Aus dreißig Jahren. Rheinisch-Westfälische Politiker-Portraits. Köln, Berlin 1979, S. 77. Ferner Walter Forst: Robert Lehr als Oberbürgermeister.

61) Josef Kardinal Frings:

Düsseldorf, 350

Wien 1962.

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Nun aber noch etwas Sachliches dazu. Ich verstehe nicht, wie Herr von Bren400 Abgeordnete, tano heute sagen kann, daß der jetzt vorliegende Vorschlag davon 200 direkt, 200 auf Liste so etwas Abgrundschlechtes sein soll. In der -

vorigen Woche hat dieselbe CDU/CSU bekanntlich noch den Antrag gestellt, -

statt 400 nur 300 Abgeordnete vorzusehen und von den 300 240 direkt und 60 indirekt wählen zu lassen. In der vorigen Woche hat man also noch nicht die ganze ungeheuerliche Gefährlichkeit eines derartigen gemischten Systems begriffen. Das nenne ich Konsequenz, das nenne ich Grundsätzlichkeit. Darf ich noch auf eine andere eigenartige Grundsatzlosigkeit hinweisen. Gestern haben wir im Hauptausschuß erlebt, daß die CDU/CSU, die doch gegen die Listen ist, für ihre Partei das Recht der Listenverbindung zwischen CDU und CSU gefordert hat. Oder irre ich mich da? Gestern noch hat man die Listenverbindung für seine Partei verlangt. Wie kann man sich dann heute hinstellen und sagen, das System der Liste ist eine abgrundtiefe Schlechtigkeit und eine Verkehrtheit? Das ist doch keine Konsequenz. Ebenso falsch ist es, die Dinge so hinzustellen, als wenn in dem kommenden Volkstag 25% der Mandate nur durch direkte Wahl zustande kämen und 75% ich glaube, ich irre mich nicht über die Listen. Meines Wissens ist doch der Mann gewählt, der im Wahlkreis die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Es müssen also zum mindesten die 200 Abgeordneten Ergebnisse der direkten Wahl in ihren Bezirken sein, also der Personenwahl. Dann haben wir gestern auch noch etwas anderes beschlossen. Wir haben beschlossen, daß auch noch der Abgeordnete, der auf der Liste steht, aber in seinem Wahlbezirk die zweithöchste Stimmenzahl auf sich vereinigt, gegenüber den anderen von der Bundesliste im Bezirk den Vorrang haben soll. Also Sicherungen nach jeder Richtung, soweit man es wünschen kann. Wer stellt übrigens die Parteikandidaten auf? Sie haben doch in Ihrem eigenen Entwurf in § 19 stehen, daß die Partei die Kandidaten aufstellt. Es ist also eine blutige Illusion, die Dinge dem Volk draußen so hinzustellen, als sei der Kandidat das Ergebnis tiefgründiger Erwägungen in der Masse des Volkes, als stiege er von unten herauf in den Apparat hinein und als wäre er auf einmal wie ein deus ex machina da. -

-

(Heiterkeit.) Das ist doch gar nicht wahr. Dann brauchten Sie nicht den § 19 zu beschließen. Ihr Kandidat wird von seiner Parteiführung gewählt. Wenn er dann auf-

Wahlprogramms von den dummen Wählern gewählt ist, dann geht er Volkstag hinein, und dann spielt das nennen wir alten, erfahrenen die Parteidisziplin. Dann geht das Programm in alle Winde, Parteihasen so und dann setzen sich in der CDU/CSU die stärkeren Interessen gegenüber den schwächeren durch. Dann dominiert der Herr Pferdmenges65) über den kleinen grund

des

in den

-



Gewerkschahsfunktionär.

(Heiterkeit.) Das ist die Folge der Tatsache, daß man in der CDU/CSU keine Partei etwa rein politischer Struktur vor sich hat. Nein, die CDU/CSU ist eine Weltanschau-

i5)

Zu

Pferdmenges

siehe Dok. Nr. 6, Anm. 69. 351

Nr. 8

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Die Wählermassen wählen CDU, weil die Kirche ihnen das vorman ihre religiösen Bindungen über die Kirche ausnutzt, um sie vor den Karren der CDU/CSU zu spannen, weil man auf den Wahlplakaten der CDU/CSU lesen kann: „Der Christ wählt CDU" oder: „Die Christen gehören zusammen und wählen CDU". Aber es wäre verkehrt, damit die Partei schon eine christliche Partei zu nennen. So weit wage ich nicht zu gehen. Die Führer oben machen alles andere als eine christliche Politik. Die Führer geraten gelegentlich sogar in einen gewissen Gegensatz zu den Herren Bischöfen und Kardinälen, Herr Dr. Adenauer.

ungspartei.

schreibt, weil

(Erneute Heiterkeit.)

zitiert und kommt mit zehn Zentimeter langem Gesicht zurück, und dann geht am andern Tag der Herr Süsterhenn zu der Bischofskonferenz, und dann macht man etwas anderes, meine Herren Sozialdemokraten. Da hat man ein gentleman's agreement in der Frage der Konfessionsschule gemacht66). Das gentleman's agreement darf nicht gebrochen werden. Dann findet man aber einen Herrn einer anderen Partei, die an dem gentleman's agreement nicht beteiligt ist, und der bringt wir werden es erleben in den nächsten Tagen nach dem Wortlaut und den Intentionen der CDU/CSU einen eigenen Antrag ein. Damit wird die Frage der konfessionellen Schule wieder in Fluß gebracht, die CDU ist aus ihrem gentleman's agreement heraus und, meine Herren Sozialdemokraten, Sie werden erneut überfahren. Da wird

man

-

-

(Heiterkeit.)

man das. Sie sind jetzt gewarnt. Ich könnte Ihnen auch den Herrn der den Antrag67) stellt, aber ich bin nicht so indiskret.

So macht nennen,

(Erneute Heiterkeit.)

gar nichts anderes zu stabilidaß bei einem reinen Mehrheitswahlsysieren. Wenn man sich vergegenwärtigt, stem ein Mandat mit 33% und zum Teil noch weniger der abgegebenen Stimmen erobert werden kann, dann muß man doch erkennen, daß eine Minderheit im Wahlbezirk im Parlament nachher zu einer künstlichen Mehrheit gemacht wird. Das ist doch keine Demokratie, das ist Wahlarithmetik. Das dient dem einzigen Zweck, eine Herrschahsform und damit einer Wirtschahsform und damit den Charakter dieser Ihrer Frankfurter oder Bonner Republik zu stabilisieren. Die Frage des Sitzes ist ja noch offen, ich weiß nicht, wer darin siegt. Nun ein letztes Wort an Herrn Carlo Schmid. Er ist nicht da, das tut mir leid. Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, daß es eine Grundsatzforderung der marxistisch-sozialistischen Arbeiterbewegung ist, das Proporzsystem zu verlangen. Ich habe von Ihrer Seite noch keine Gegenerklärung gehört. Ich habe nur Argumente nach der Richtung gehört, es sei doch wohl durch Weimar bewieNun ein letztes Wort. Der

Antrag der CDU/CSU läuft auf

hinaus, als die Machtposition der CDU/CSU

unter allen

Umständen

66) Vgl. hierzu die Diskussion im Ausschuß für Grundsatzfragen, abgedr. in: Der Pari. Rat Bd. 5, passim; ferner die Monographie von Burkhard van Schewick: Die katholische Kirche und die

Entstehung

der

Verfassungen

in Westdeutschland 1945-1950. Mainz

1980. war vermutlich der Abg. Brockmann Nr. 758. Siehe Dok. Nr. 9, Anm. 47.

67) Gemeint 352

(Zentrum)

mit seinem

Antrag auf Drucks.

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Nr. 8

daß das nicht ganz das Richtige sei. Aber heute haben wir etwas Neues Heute hat Herr Carlo Schmid in der ihm eigenen Offenherzigkeit die Katze aus dem Sack gelassen. Er hat sich wieder einmal als der reine Opportunist herausgestellt, indem er sagte: Für den Augenblick, für diesen ersten Volkstag scheint uns dieses Wahlsystem richtig und geeignet zu sein; später lassen wir mit uns reden. Also, meine Herren von der CDU/CSU, noch sind nicht alle Türen zugeschlagen. sen,

gehört.

(Heiterkeit.)

Einen sehr gefährlichen Zungenschlag hat er mit dem Aufwerfen der Frage getan: Wer ist Träger der Staatshoheit bei uns in Westdeutschland? Er hat die Dinge so hingestellt, als sei Träger der staatlichen Hoheit dieser kommende

bzw. die kommende westdeutsche separate Regierung plus MilitärreHerr Carlo Schmid, Sie sind viel zu klug, um das anzunehmen. Sie wissen sehr genau, wer Träger der staatlichen Autorität im kommenden westdeutschen Staat ist. Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, Ihre halbstündige Redezeit ist vorbei. Renner (KPD): Ich habe nur einen letzten Satz zu sagen. Die Herren Militärgouverneure stellen ja ihre Diener unter den Artikel 868), so daß also Herr Dr. Konrad Adenauer keine Sorge zu haben braucht. Solange wir eine Besatzungsmacht haben, kann ihm aus dieser Dienerschah, auch wenn er die tragende Partei werden wird, nichts geschehen. Erst wenn sie weg sind, wird die Frage heikel. Dann wird eventuell das deutsche Volk die Gelegenheit nehmen, die Politik der Parteien seit 1945 zu revidieren. (Dr. Strauß: Das werden Sie erfahren!) Wir hoffen sogar, daß wir das erfahren. Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, seien Sie in Ihren Äußerungen etwas vorsichtig, damit wir uns nicht um Sie dieselbe Mühe zu machen brauchen wie um den Kollegen Reimann69). (Heiterkeit. Renner: Er hat Ihnen bereits erklärt, daß er nicht aufgrund Ihrer Bitte freigekommen ist!)

Volkstag

gierungen.

-

-

) Gemeint war Art. 8 des Besatzungsstatuts. Der Pari. Rat Bd. 4, S. 61. !) Max Reimann war von der britischen Militärregierung angeklagt, zu drei Monaten Gefängnis verurteilt und zeitweise inhaftiert worden, weil er Politiker, die gegenüber

den Alliierten kooperationsbereit waren, als Quislinge beleidigt hatte. Dies warf die Frage der Immunität der Mitglieder des Pari. Rates auf. Der Pari. Rat bemühte sich erfolgreich um seine Freilassung. Adenauer an General Bishop vom 2. Febr. 1949 abgedr. bei Mensing: Adenauer, Briefe, S. 393. Siehe auch die Berichte der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs.

vom 18. Jan. 1949, dabei Abschrift eines Interviews von Reimann mit 13. Jan. 1949, Z 12/120, Bl. 118 f., Bericht vom 20. Jan. 1949, ebenda, Bl. 90, Bericht vom 3. Febr. 1949, Z 12/121, Bl. 139, Bericht vom 18. Febr. 1949, ebenda, Bl. 48. Artikel über den Prozeß und die Verurteilung in der Neuen Zeitung vom 3. Febr. 1949,

ADN

vom

S. 1. Siehe auch einschlägige Korrespondenz zwischen dem Britischen Verbindungsbüro Bonn und Berlin in: Kl. Erw. 792/6. Im HptA wurde eingehend auf der 47. Sitzung vom 8. Febr. 1949 darüber gesprochen (Verhandlungen, S. 603 ff.). Die propagandistische Auswertung seitens der KPD erfolgte durch die Broschüre von Max Reimann: Wir Deutsche und das Ruhrstatut. Warum ich verhaftet wurde. Berlin 1949. Diese Broschüre sowie Unterlagen über den Prozeß in SAPMO, NY 4230 (NL Reimann)/vorl. 25.

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Herr Renner hat die folgende Frage an mich gestellt. Er hat gesagt, den Militärgouverneuren sei der Grundgesetzentwurf zur Kenntnisnahme und Prüfung zugeleitet worden, und es sei die Bitte ausgesprochen worden, daß sie sich damit beschäftigen möchten, wer das veranlaßt habe. Ich kann Herrn Renner auf diese Frage nur dieselbe Antwort geben, die ich ihm gestern schon im Ältestenrat gegeben habe70). Es ist also nur eine propagandistische Frage, die er heute stellt. Die Antwort, die ich ihm gestern gegeben habe, ist die, daß die Drucksa-

chen automatisch sämtlichen Stäben zugehen, und nicht nur den Stäben, sondern auch der Presse, daß sie somit jedermann zugänglich sind. Die Drucksache71) ist also den Militärgouverneuren von uns nicht zugeleitet worden. Aber Herr Renner wußte das gestern auch schon. (Renner: Ich habe eine zweite Frage an Sie gestellt. War nicht im Ältestenrat festgelegt, daß wir vor der Verabschiedung des Grundgesetzes den Eingang des Besatzungsstatutes abwarten wollen72)? Antworten Sie darauf!) Herr Renner, Sie müssen sich erneut zum Wort melden. Jetzt haben Sie nicht das Wort. Jetzt hat das Wort Herr Kaufmann. Kaufmann (CDU): Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Renner wie so oh uns eine gewisse Erholung verschafh hat -

(Heiterkeit)

durch sein Intermezzo, das er selber mit dem Namen „Herzensbedürfnis Renich weiß allerdings nicht ganz genau, wo die hauptsächner" bezeichnet hat lichen Komponisten für dieses Intermezzo sitzen; ich bitte ihn, das selber festzustellen -, können wir wieder zu der Frage des Wahlrechts übergehen. Ich möchte zu den allgemeinen politischen Bemerkungen des Herrn Renner nur eins sagen. Wenn er uns hier schon vormacht, wie wir in bestimmter Richtung flehen und beten sollten, so darf ich ihn darauf hinweisen, daß es vielleicht in diesem Fall zweckmäßig wäre, sich der Gepflogenheit vieler Völker anzuschließen und solches Flehen und Gebete um Friedenswillen nach dem Osten zu richten, anstatt ausgerechnet nach dem Westen. Vielleicht wäre dort seine Bitte um die Behiedung der Welt angebrachter als so, wie er sie hier vorgebracht hat. Wir haben eine merkwürdige Charakterisierung der einzelnen Gruppen von Interessenten an der Wahlrechtsdiskussion vom Herrn Kollegen Becker gehört. Ich bin nicht ganz so höflich wie er, um zu sagen, daß zum Beispiel „Wahlrechtsstrategen" hier gar nicht vorhanden wären. Aber es gibt bei diesem Problem auch noch andere Gruppen von Menschen außer denen, die er aufgezählt -

70) Über die Ältestenratssitzung

71)

72) 354

vom

23. Febr. 1949 berichtete

Pfeiffer, dessen Aufzeich-

Rat Bd. 10, Dok. Nr. A26), in der CDU/CSUFraktion (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 412): „Die SPD drängte sehr auf Weiterarbeit, der Termin wurde aber, wie schon früher, auf den 3. März 1949 festgelegt. Die Stimmung war wenig erfreulich, es konnte auch nicht über alles gesprochen werden, da die Kommunisten anwesend waren." Es handelte sich vermutlich um die Drucks. Nr. 679: GG-Entwurf in der Fassung der 3. Lesung des HptA vom 10. Febr. 1949. Abdr. in: Entwürfe, S. 195 ff.; Der Pari. Rat Bd. 7, S. 396 ff. Der Pari. Rat Bd. 4, S. XXI.

nungen hierzu nichts

hergeben (Der Pari.

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hat. Das sind

diejenigen, die merkwürdigen Hintergedanken,

ohne Hintergedanken, insbesondere ohne die die Herr Renner hinter jeder Stellungnahme sucht nach dem Rezept: Wer noch nie hinterm Ofen gesessen hat, der sucht niemand dahinter -, aufrichtig und ohne Übertreibung eine bestimmte Form einer gesetzlichen Regelung für die zur Zeit oder für die auf Dauer richtige halten. Ich gebe gerne zu, daß es in diesem Hause Leute gibt, die aus Überzeugung der Meinung sind, das Verhältniswahlrecht sei das richtige, es sei noch nicht abgelebt, die Vorwürfe, die gegen es erhoben würden, seien übertrieben, und man solle es dabei belassen. Mit solchen Leuten kann man reden und deren Meinung kann man auch anerkennen. Eine gleichgeartete Gruppe sitzt auf der anderen Seite, wobei ich sagen möchte, daß Wahlrechtsphantasten auf der Seite derjenigen, die das Mehrheitswahlrecht hier verteidigen, meines Wissens nicht vorhanden sind. Ich habe zum Beispiel nur aus den gegnerischen Reihen gegenüber dem Mehrheitswahlrecht die Redensart von der Persönlichkeitswahl gehört, von der von den Verteidigern des Mehrheitswahlrechts überhaupt nicht die Rede gewesen ist. Das ist doch immerhin beachtlich. Es gibt darüber hinaus hier aber eine ganze Anzahl von anderen Betrachtungen. Diese muß ich denn doch deutlich so kennzeichnen, daß hier eine Rechnung aufgemacht worden ist, daß der Parteivorteil abgeschätzt worden und danach die Abstimmung eingerichtet ist, daß die Zusammenfassung verschiedener Parteigruppierungen innerhalb der Abstimmung danach erfolgt ist, und zwar aus dem ganz einfachen Interesse der Selbstsicherung und der Erhaltung der eigenen Partei beziehungsweise der Erhaltung der Mehrheit, die man dafür mit anderen Parteien wünscht. -

(Brockmann: Das Das ist keine

ist

ja

eine

Unterstellung!)

ich kann das beweisen. Von den Verteidigern des Mehrheitswahlrechts ist nur als Nebenergebnis, das allerdings sehr zweckmäßig ist, gesagt worden, daß auch die politische Krankheit der Splitter- und Kleinstparteien durch die Einführung eines Mehrheitswahlrechts langsam geheilt werden kann, während deshalb umgekehrt die kleinen Parteien in ganz besonderer Weise sich mit den Verteidigern des Verhältniswahlrechts zusammengetan haben, mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, daß sonst ihre Parteien zugrunde gehen. Nun sagte der Herr Kollege Brockmann so sonderbar, das Verschwinden der kleinen Parteien würde eine Entrechtung der Bevölkerung sein. -

Unterstellung;

(Brockmann: Nein!) Oder der Herr werden.

Kollege

Heuss

(Brockmann: Niemand len.)

sagt, die Menschen würden politisch heimatlos

von uns

hat

es so

begründet,

wie Sie

es

unterstel-

Bitte, lesen Sie das Protokoll dessen nach, was Sie gesagt haben. Es ist ein reiner Selbsterhaltungstrieb, den ich menschlich ja verstehe, und dem ist, wie Sie genau wissen, ja auch mit meinem Kompromißvorschlag in etwa Rechnung getragen worden, dem Vorschlag, den Sie, Herr Kollege Brockmann, vorhin worüber ich mich heute -, den aber Ihre zwar sehr nett begründet haben im Wahlrechtsausschuß kategorisch abgelehnt und dadurch unmöglich Kollegin

-

-

355

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gemacht hat73). In diesem unserem Vermittlungsvorschlag ist durchaus die Möglichkeit gegeben gewesen, daß wirklich politische Kleinparteien auch ihr Leben erhalten. Dabei ist übrigens interessant, daß ein Kollege, der leider heute nicht da ist und der eine dieser Kleinparteien vertritt, im Wahlrechtsausschuß erklärt hat: Mir ist das ganz einerlei; auch wenn meine kleine Partei dabei zugrunde geht, bin ich trotzdem bereit, für das Mehrheitswahlrecht einzutreten, weil ich es für richtig halte74) (Dr. Grève: Der erzählt viel, wenn der Tag lang ist!) Sie müssen nicht andere gleich so werten, wie Sie selbst handeln, Herr Kollege Grève. Sie haben uns auch schon einiges erzählt, was Ihnen die Mehrheit dieses Hauses, zum Teil auch Ihre eigene Fraktion, nicht geglaubt hat. Aber einen einzelnen Abgeordneten hier in der Form zu desavouieren, scheint mir nicht richtig zu sein. Jedenfalls ist das, was ich eben sagte, von einem -

offiziellen Parteivertreter einer kleinen Partei ausdrücklich erklärt worden. Es muß weiter einmal folgendes öffentlich gesagt werden. Der Herr Kollege Schmid hat von einer geschichtlichen Aufgabe der gegenwärtigen Vorlage ge-

sprochen. Ich habe allerdings das Gefühl gehabt, daß er diese geschichtliche Aufgabe nicht begründet hat, wenigstens nicht so, wie ich das für möglich und nötig gehalten hätte. Die wirkliche „geschichtliche" Aufgabe der Auhechterhaltung des Verhältniswahlsystems ist die, die Kleinstparteien in Deutschland, zumindest für den nächsten Bundestag, auf jeden Fall zu konservieren. Es ist weiterhin die Aufgabe, die Übermacht der Parteimaschine, von der hier nach den verschiedensten Richtungen hin gesprochen worden ist, zu konservieren. Es ist schließlich die „geschichtliche" Aufgabe dieser Vorlage, auch in Zukunh die Zwangskoalitionen notwendig zu machen, die zu einer Regierungsbildung dann unerläßlich sind. Ich unterscheide, wie Sie aus meinen Ausführungen an anderer Stelle wissen, zwischen Zwangskoalitionen und zwischen heiwilligen Koalitionen zu sachlichem Ziel. Daß solche Zwangskoalitionen nichts politisch Erfreuliches sind, hat der Herr Kollege Schmid vorhin dargelegt, indem er gesagt hat: solche Verständigungen kosten immer etwas. Sie kosten leider sehr viel, und die Kosten gehen meistens nicht zu Lasten der Parteien, die sie schließen, sondern zu Lasten des Volkes! Ich habe sehr begrüßt was Herr Renner so bedauert hat -, daß der Herr hat: Was wir hier machen, soll nur für die Wahl dieses Schmid gesagt Kollege Sommers gelten. Aber wenn schon, dann muß auch begründet sein, warum dieses System, das nach wie vor ein reines Verhältniswahlsystem ist, unbedingt in diesem Sommer noch einmal bestehen muß, warum man, obwohl man in den eigenen Reihen, sowohl in der Fraktion wie in der Partei, so viele Anhänger des Mehrheitswahlrechts hat, erst nachher über eine andere Form mit sich reden läßt. Der Vorschlag, der jetzt von Ihnen präsentiert worden ist, wäre ja auch nicht einmal zustande gekommen, wenn nicht diejenigen, die diesen -

„Kollegin im Wahlrechtsausschuß" war Frau Wessel, die im nachhinein noch Stellung nahm. Zum Kompromißvorschlag Kaufmann siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. 611. 74) Vgl. Heiles Ausführungen in der 19. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen vom 73)

Die

16. Dez. 1948; Der Pari. Rat Bd. 6, S. 591.

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ganzen Kram des mechanischen Verhältniswahhechts und der Großwahlkreise in Ihren eigenen Reihen nicht wollen, Ihnen mit dem Dreschhegel gewinkt hätten. Sonst wäre nämlich aus der Fraktionsvertretung, soweit sie im Wahlrechtsausschuß gewesen ist, dieses veränderte Wahlrecht, das wenigstens einen kleinen Schritt vorwärts tut, auch nicht gekommen. Das wissen Sie doch auch. (Dr. Grève: Sie fassen es so auf!) Nein, ich fasse es nicht so auf, sondern ich weiß das. Gibt nun ein Mehrheitswahlrecht der Bevölkerung Anlaß, sich in einer anderen Form an den politischen Dingen zu beteiligen, und Anlaß, zu hoffen, daß manches im politischen Leben neu gestaltet werden kann? Kein Mensch von uns hat in irgendeinem Augenblick das Mehrheitswahlrecht als ein Allheilmittel für die Demokratie angepriesen. Wenn solches von anderer Seite behauptet ist, so ist das vom Kollegen Becker richtig als Phantasterei, die keinen Sinn hat, gekennzeichnet worden. Aber wir wissen, daß mit dem Mehrheitswahlrecht das Volk in einer durchaus demokratischen Form die grundsätzliche politische Vorentscheidung fällt. Das Volk weiß nicht nur, daß es den Kandidaten A im Wahlkreis a wählt, sondern es weiß zu gleicher Zeit, daß es mit diesem Kandidaten auch die Richtung wählt, die ein zweites entscheidet. Es weiß genau, daß seine Stimme für die Mitwirkung an der Regierung verlorengeht, wenn es sich auf die Seite der Minderheit stellt. Es ist also kein einziger Wähler um seine Entscheidung irgendwie betrogen, sondern er weiß ganz klar, was er mit seiner Stimme tut. Und die mathematische Ausrechnung der Gehat sich als immer eine Torheit erwiesen. rechtigkeit (Gayk: Vorausgesetzt, daß die Partei die richtige Richtung hat!) Dafür müssen Sie bei Ihnen sorgen. Wir tun es bei uns. Das kann ich bei Ihnen nicht beeinflussen. Ich will es auch nicht in diesem Zusammenhang zu beurteilen versuchen, zumal der Kollege Renner ja noch dafür da ist, der sich ja auch als Sozialist bekennt. Sicher ist ferner, daß ein Mehrheitswahlrecht für eine bestimmte Zeit politische Klarheit schafft, die Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Das hat in der Vergangenheit gefehlt. Daraus ist auf der politischen Linie ein Tasten und ein Hin und Her entstanden, das zu unerfreulichen Ergebnissen geführt hat. Sicher ist, daß das Mehrheitswahlrecht die politische Stetigkeit fördert, die nicht nur durch solche Verfassungsartikel, wie sie vorhin erwähnt worden sind, sondern die auf jedem nur möglichen Wege gefördert werden sollte. Nun hat der Kollege Schmid gestern und heute gesagt, daß das zwar richtig sei, daß es aber unter Umständen eine Radikalkur sei und daß es die Frage sei, ob man dieses „künstliche Fieber" dem deutschen Patienten heute zumuten könne. Ich glaube, daß das Bild deshalb nicht richtig ist, weil auch das andere Wahlsystem in dieser Richtung nichts anderes und keine Besserung bringt. Denn der Fieberzustand wird so oder so bleiben, weil er nämlich nicht durch das Wahlsystem herbeigeführt wird, sondern durch unsere in jeder Hinsicht unglücklichen Verhältnisse und durch das Neue, das werden und sich gestalten will und das auch irgendwie wie eine Krankheitskrise, wenn man so sagen soll, sich äußert. Das Wahlsystem an und für sich kann in dieser Hinsicht keine Fieber-

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zustände herbeiführen. Es kann insbesondere keinen Zustand herbeiführen, der krankhaften Erscheinungen am deutschen Staatskörper oder Volkskörper führen wird. Es ist von ungesundem Beamtenwechsel gesprochen worden. Ich habe sehr hüh in meinem Leben in USA die Formen des Beamtenwechsels bei dem Wechsel von politischen Richtungen persönlich erlebt75), habe manches Mal über jene Erlebnisse in den Vereinigten Staaten und auch hier in Deutschland erzählt und habe manche humoristische Glosse daran knüpfen können. Gewiß ist dieser Wechsel, der mit dem Wechsel politischer Richtung in der Regierung verwie sich das heute im einzelnen auswirkt, weiß ich nicht aus bunden war eigener Erfahrung; es wird wohl nicht grundsätzlich anders geworden sein -, nicht erheulich und entspricht nicht dem, was wir für uns wollen. Derartiges braucht aber nicht notwendig mit dem Mehrheitswahlrecht verbunden zu sein und wird es meines Erachtens bei uns auch nicht sein. Selbstverständlich wird eine andere, zur Regierung kommende politische Richtung die bestimmenden, ausschließlich politischen Beamten auswechseln müssen. Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Aber wir haben eigentlich, außer in der Hitlerzeit und die nachzuahmen ist keiner von uns in irgendeiner Weise begierig ohne Rücksicht auf die Regierungsrichtung keinen Fall gehabt, daß ein generelles Auswechseln der Beamtenschah nach parteipolitischen Gesichtspunkten erfolgt ist. Davon kann gar keine Rede sein. Das soll und darf auch in Zukunh nicht sein. Je stärker und geschickter wir eine gewisse Entpolitisierung des Beamtentums vornehmen, desto leichter wird es sein, solche Folgeerscheinungen zuverlässig zu verhindern. Ich muß ehrlich sagen, ich habe die Begründer des gestern im Hauptausschuß beschlossenen und nun hier vorliegenden Wahlrechts nicht beneidet76). Denn es fällt wirklich schwer, diese Kombination hier oder draußen irgendwie zu verteidigen, nicht nur wegen ihrer fehlerhahen Einzelheiten und Kompliziertheiten, die sich in der Praxis zeigen werden. Aber am sonderbarsten ist es mir gewesen, daß hier für dieses merkwürdige Wahlsystem Begründungen gegeben worden sind wie: Die Frauen kommen nicht zum Zuge, und: Die Vertriebenen kommen nicht zum Zuge. Sie wissen ganz genau so gut wie ich, daß die nicht ausreichende zahlenmäßige Vertretung der Frauen an ganz anderen Gründen liegt als am Wahlsystem. Denn wenn es am Wahlsystem läge, müßten auf dem Wege des Verhältniswahlsystems mindestens die Hälhe der Abgeordneten Frauen sein. Daß das nicht der Fall ist, liegt nicht am Wahlsystem, sondern erstens an der Einstellung der Frau selber und zweitens und entscheidend an der inneren Einstellung der betreffenden Parteien. Daß hier vieles anders werden muß und daß das, was wir als allgemeinen Willen auch hier wieder festgestellt haben, nämlich der Frau im politischen Leben Raum zu geben, auch in der wohlverstanden auch mit dem Praxis der Parteien Wirklichkeit werden muß Willen der Frauen -, das ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber weit hergezu

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75) Kaufmann hatte in den USA in Madison (New York) und Columbia (New York) studiert. 76) 59. Sitzung des HptA vom 23. Febr. 1949; Verhandlungen, S. 707 ff. 358

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holt, das hier

zur Begründung dieses merkwürdigen, von Ihnen präsentierten heranzuziehen. Wahlsystems Was für die Frauen gilt, gilt auch für die Vertriebenen. Es wird schwer sein, einen tüchtigen Mann aus den Reihen der Vertriebenen, der bereits politische Erfahrungen mitbringt, dazu zu bringen, daß er irgendeine Kandidatur gewinnt. Es ist immer schwer, Konservativismus gegenüber Neuem zu überwinden. Das wird auch mein Lebtag so bleiben. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, in der Richtung stetig fortzuschreiten. Aber man darf die Dinge nicht so verzeichnen, daß man glaubt, man könnte damit nun Hilfstruppen für dieses merkwürdige

Wahlsystem gewinnen.

Es ist von der Zahl der Abgeordneten die Rede gewesen. Wir haben kürzlich in einem interfraktionellen Ausschuß77) die Frage der Zahl der Abgeordneten ein-

heute hier vorgetragen worden ist, kleinen Parteien das Bedenken geäußert worden ist, daß bei einer kleineren Zahl von Abgeordneten ihre Vertretung noch mehr zusammenschmelze und den kleinen Parteien die Besetzung von wichtigsten Ausschüssen nicht mehr möglich sei. Dieses Argument habe ich verstanden. Aber ich stelle fest, daß die SPD-Vertreter genau so wie die Vertreter der CDU doch der Überzeugung waren, daß ein bis zum Optimum konzentriertes Parlament günstiger sei als eine solche Riesenzahl, die ja gestern noch um einige mögliche Ziffern vergrößert worden ist. Man war sich, während wir 250 vorgeschlagen hatten, schließlich auf die Zahl von 300 Abgeordneten praktisch einig geworden. Ich habe dieses Einverständnis nicht so aufgefaßt, daß es als ein Kompromiß verstanden wurde, das Gegenleistungen notwendig machte, sondern es war eine gemeinsame klare Überzeugung. Wenn dabei auch zum Ausdruck gekommen ist, es werde schwer sein, eine so große Zahl von wirklich erstklassigen politischen Menschen zusammenzubringen, so ist es recht vernünftig gewesen, das auszusprechen. Denn es kommt nicht nur darauf an, daß eine so große Zahl von politischen Menschen und eine noch größere Zahl, die man für solche Aufgaben gebrauchen kann, an sich vorhanden ist, sondern man muß sie auch erst einmal davon überzeugen, daß das tatsächlich ihre Aufgabe ist. Man muß sie davon überzeugen, daß sie das Opfer diese Aufgabe zu übernehmen, bringen müssen. Wir haben sehr viele politische Menschen in Deutschland, die hohen Wert haben. Wir brauchen nicht immer zu predigen, die anderen Völker haben eine so viel größere Tradition politischer Art, daß sie in einer Demokratie ganz anders arbeiten können als wir. Das wird übertrieben oh ausgesprochen. Aber wir haben außerordentlich wenig wirklich politische Menschen, die sich bei den Verhältnissen in Deutschland bereit finden, sich der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Man kann es vielen von ihnen noch nicht einmal übelnehmen. Sie sind nicht etwa nur deshalb nicht bereit, (Dr. Grève: die sind alle noch nicht entnazifiziert!) weil sie dabei an ihrem Verdienst oder ihrem Geldsack, in ihrer Familie oder an ihrer Bequemlichkeit leiden würden, sondern es gibt sehr viele politische Menschen, die deshalb nicht bereit sind, Abgeordnete zu werden, weil sie

gehend besprochen. Gegenüber dem, stelle ich fest, daß lediglich von den

)

Es ließ sich nicht

ermitteln,

um

was

welchen Ausschuß

es

sich handelte. 359

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keinen Sinn dafür haben, in die Drecklinie zu treten, die in Deutschland leider immer noch im großen mit der politischen Arbeit verbunden ist. (Gayk: Wem sagen Sie das?) Deshalb ist es, wenn man hier von der Zahl 300 oder 400 sprach, nicht richtig, daran zu erinnern, es sei das Bedenken geäußert worden, daß es schwer sei, so große Fraktionen mit geeigneten Leuten zu besetzen. Das hat schon seine guten und sachlichen Gründe. Nun noch ein kurzes Wort zu der Frage der Einstellung der Jugend. Ich bin nicht der Meinung, daß wir uns von irgendeinem Volksteil, ob rechts oder links, ob schwarz oder weiß, ob jung oder alt, die entscheidende Richtung unseres Handelns vorschreiben lassen müssen. Auf der anderen Seite ist das, was man heute Jugend nennt und was jahrmäßig weit in das hineingeht, was man hüher nicht mehr Jugend genannt hat, doch ein außerordentlich bedeutsamer politischer Faktor, weil dieser Kreis durch die unglücklichen Verhältnisse der Vergangenheit aus jeder Freude an politischer Arbeit herausgedrängt worden ist oder aber durch die Irreleitung der Vergangenheit aus Mangel an Urteilsfähigkeit auf einen falschen Weg geraten war und infolgedessen heute unsicher geworden ist. Diese ungeheure Zahl von Menschen äußerlich und innerlich für die politische Arbeit zu gewinnen und ihnen wieder den Sinn dieser politischen Arbeit zu vermitteln, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, um so mehr als die uns nächstfolgende ältere Generation, die uns in allen Parteien und in allen Arbeitsgruppen fehlt, durch diese jungen Menschen einmal ersetzt werden muß, ganz gleichgültig, was sie heute schon von politischen Dingen kennen oder nicht kennen. Wenn deshalb aus der Jugend in sachlicher Form Stellungnahmen zu politischen Dingen kommen, habe ich mir angewöhnt, mich dadurch zwar nicht zwingen zu lassen, aber diese Vorschläge und Wünsche doppelt ernst anzusehen. Von diesem Gesichtspunkt aus kann ich nicht verstehen, daß über solche Stellungnahmen wie zum Beispiel die der Studentenschah, die uns vorgelegen hat78), mit einem gewissen spöttischen Lächeln hinweggegangen wird. (Dr. Becker: Von welcher Universität?) Von allen Universitäten. (Dr. Grève: Von allen? Davon kann gar keine Rede sein: Göttingen fällt zum Beispiel nicht darunter. Das ist doch kein Beweis, daß es da nicht genau so aussieht.) Präs. Dr. Adenauer: Es kann immer nur einer reden, Herr Grève. (Dr. Grève: Zwischenrufe sind erlaubt!) Aber die Zwischenrufe müssen Zwischenrufe und dürfen keine Reden -



sein.

(Dr. Grève: Ein Satz ist keine Rede!) Zwischenrufe werden mich nicht stören insbesondere nicht die von Herrn Dr. Grève. Ohne Uberschätzung solcher Kundgebungen möchte ich doch auch einmal sagen: Die deutsche akademische Jugend es ist traurig,

Kaufmann (CDU):

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78) Siehe Anm. 360

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das ausdrücklich unterstreichen muß hat sich zwar an den TorheiVergangenheit auch beteiligt, (Dr. Schmid: reichlich!) sie hat aber auch schon einmal eine große Tradition der Demokratie getragen. (Zuruf: Das ist aber lange her! Dr. Strauß: München 1943!)79) Uns kommt es darauf an, nach den Irrwegen der Vergangenheit, an denen die meisten Alten genau so teilgenommen haben wie die Jungen, diese Jugend für den deutschen Staat wieder zu gewinnen. Alles, was wir tun, ist nicht das Schaffen einer „Ersatzreligion" in irgendeiner Wahlgesetz-Bestimmung, die wir wollen. Alles, was wir tun, ist auch keine Rechthaberei und keine Einseitigkeit. Das hat unsere Kompromißbereitschaft bewiesen, der man die kalte Schulter gezeigt hat, weil man um jeden Preis um der Parteien willen das Verhältniswahlsystem haben wollte. Unser Bemühen ist vielmehr, die Menschen wieder an den Staat heranzubekommen. Ich habe nach der Konstellation, die im Hause vorhanden ist, leider die vergebliche Aufgabe, noch einmal den Antrag der CDU-Fraktion zum Wahlgesetz hier vorzulegen80), der in Ziffer 1 mit dem Vorschlag von 300 Abgeordneten und mit dem Vorschlag des Mehrheitswahlrechts den § 8 entsprechend ändert und in Ziffer 2 vorschlägt, die entsprechenden Ziffern des Wahlgesetzes sinngemäß zu ändern. Wir wissen, daß bei der Festlegung, die dieses Haus in der Mehrheit seiner Mitglieder schon vorgenommen hat, dieser Antrag auch hier wieder abgelehnt wird. Wir wollen die Dinge nicht noch weiter durcheinanderbringen, indem wir zum Beispiel geheime Abstimmung beantragen, wobei sehr wahrscheinlich sich mancher finden würde, der im stillen Kämmerlein Anhänger des Mehrheitswahlrechts ist. (Zuruf: Oder umgekehrt!) Umgekehrt bestimmt nicht, soweit ich weiß. Aber ich gebe Ihnen anheim, wenn sie es wünschen, diesen Beweis zu suchen. Wir wissen also, daß dieser Antrag abgelehnt wird. Aber wir wollen vor der gesamten Bevölkerung dartun, daß wir zwar von diesem neuen Wahlrecht nicht eine grundsätzliche Wandlung der Haltung des Volkes erwarten, daß wir aber glauben, daß dieses neue Wahlrecht dazu beigetragen hätte, die Menschen an den Staat heranzubringen, die Stetigkeit der politischen Aktion in einem ganz erheblichen Maße zu stärken und uns gerade in der Zeit, für die nun Ihr sonderbares Verhältniswahlrecht daß

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Damit wurde auf die „Weiße Rose", eine Widerstandsgruppe um Prof. Kurt Huber mit den Studenten Hans und Sophie Scholl und anderen angespielt, die in München und anderen Städten Flugblattaktionen gegen das Dritte Reich in den Jahren 1942-1943 unternahmen. Inge Scholl: Die Weiße Rose. Frankfurt, Hamburg 1958. Christian Petry: Studenten aufs Schafott. Die Weiße Rose und ihr Scheitern. München 1968. Drucks. Nr. 628: Antrag der CDU/CSU (Dr. Finck, Kaufmann und Schröter) vom 24. Febr. 1949 zum Wahlgesetz: „1. § 8 soll folgende Fassung erhalten: ,Der Bundestag besteht aus 300 Abgeordneten, die in Einzelwahlkreisen gewählt werden. In den einzelnen Wahlkreisen ist derjenige Bewerber gewählt, der die meisten der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigt.' 2. Die Ziffern für die Wahlkreise in § 8 Abs. 3 sind entsprechend zu ändern. Desgleichen sind zu ändern alle sonstigen dem System des Mehrheitswahlrechts widersprechenden Bestimmungen der Vorlage."

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in der Zeit, in der die grundsätzliche Neugestaltung des deutschen Bundes vorgenommen werden muß, eine Anzahl von Männern zu geben, die zum Teil neu in die politische Arbeit kommend, enger mit dem Volk zusammenhängen und für das Volk arbeiten würden.

gelten soll, gerade

(Bravo!)

Präs. Dr. Adenauer: Es sind noch sechs Redner zum Wort gemeldet. Außerdem muß der Berichterstatter den Schlußbericht geben. Wir haben jetzt 12 V2 Uhr. Ich schlage vor, daß wir eine Mittagspause eintreten lassen. Diese ist bis 2 V2 Uhr vorgeschlagen worden. Sind Sie damit einverstanden? Dann werden wir

pünktlich um 14.30 Uhr Die Sitzung wird um 12 Die Sitzung wird um 14

wieder beginnen. Uhr 29 Minuten unterbrochen. Uhr 46 Minuten durch den Präsidenten wieder -

aufge-

nommen.

Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren, wir nehmen die

Beratungen

wieder auf. Es besteht allseits der lebhahe Wunsch, heute mit den drei Lesungen fertig zu werden. Ich glaube, dieser Wunsch ist auch berechtigt. Es sind nun noch zum Wort gemeldet die Abgeordneten Dr. Diederichs, Stock, Dr. Mücke, Dr. Schröter, Frau Wessel, Renner, Dr. Kroll und zum Schluß Berichterstatter Dr. Becker. Die Redezeit kann nach der Geschähsordnung durch Beschluß des Hauses beschränkt werden. Ich schlage nicht vor, sie zu beschränken. Aber ich glaube, Sie stimmen mit mir darin überein, daß, wenn wir allen Rednern nahelegen, sich nun, nachdem alle Gesichtspunkte schon erörtert worden sind, kurz zu fassen, jeder Redner in etwa fünf Minuten fertig ist.

(Zustimmung.)

Ich darf Ihre Zustimmung feststellen. Das Wort hat nunmehr Herr Dr. Diederichs. Dr. Diederichs (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde versuchen, mir soviel Reserve aufzuerlegen, daß ich mit der knappen Zeit, die uns zur Verfügung steht, um das Wahlgesetz heute noch zu verabschieden, auch nach Möglichkeit auskomme. Ich möchte es mir daher versagen, etwa noch alle die Argumente zu unterstreichen, die von jenen vorgebracht wurden, welche das Wahlgesetz in der vorliegenden Form bejahen. Auch ich bekenne mich zu diesem Gesetzentwurf und bin im großen und ganzen mit seinen Befürwortern und den von ihnen vorgebrachten Argumenten einig. Ich kann es mir aber nicht versagen, hier kurz einige Argumente zu beleuchten, die von der CDU, die zu verstehen gab, daß sie den Wahlgesetzentwurf ablehnen würde, in die Debatte geworfen worden sind81). Herr Dr. von Brentano hat heute vormittag besonders betont, die Bedeutung des Wahlgesetzes als einer Entscheidung des Wahlvolkes könne praktisch gar nicht überschätzt werden; ein Wahlsystem sei von entscheidender Bedeutung für die Bildung und Heranziehung eines demokratischen Volkes schlechthin. Ich glaube, gerade die politische Situation, in der wir uns befinden, da wir den ersten

81)

Zur

Beschlußfassung der CDU/CSU siehe Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat., S. 403

und 413. 362

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wählen sollen, jenen Bundestag, der ich möchte sagen zentimeterweise die Kompetenzen für das deutsche Volk erkämpfen soll, erfordert gebieterisch, daß dieser Bundestag ein Gesicht hat, daß er wirklich das gesamte Volk repräsentiert. Die parlamentarische Demokratie ist eine Repräsentativdemokratie. Mithin soll man alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns zu Gebote stehen, um unserem Bundesparlament das Gehige zu geben, das das Gesamtvolk repräsen-

Bundestag

tiert. Herr Dr. von Brentano hat wiederholt und ziemlich bewußt das Listenwahlsystem der relativen Mehrheitswahl oder, wie Herr Dr. Becker sich auszudrücken pflegte, dem Minderheitswahlrecht gegenüberzustellen beliebt. Damit argumentiert er gegen ein fiktives Gebilde. Denn von der reinen Listenwahl ist in diesem Hause vom ersten Tage an praktisch nie die Rede gewesen. Der Wahlrechtsausschuß hat es von Anfang an abgelehnt, ein reines Listenwahlrecht zu schaffen, und die Freunde des Verhältniswahlrechts haben stets ihre Bereitwilligkeit betont, den Argumenten der Freunde des Mehrheitswahlrechts namentlich hinsichtlich der Personenwahl weitgehend entgegenzukommen. Das Ergebnis, das uns in Gestalt des Wahlgesetzentwurfs vorliegt und in der Hälfte der Wahlkreise praktisch die Mehrheitswahl vorsieht, stellt in der Tat eine weitgehende Konzession an die Auffassung derer dar, die die Vertretung des Wahlkreises durch einen Abgeordneten gesichert wissen möchten. Falsch ist die Auffassung des Herrn Dr. von Brentano soviel ich höre, hat er sie inzwischen in Besprechungen als irrig korrigiert -, daß eben nicht jeder Wahlkreis seinen Abgeordneten hätte. Vielmehr sieht der Entwurf ausdrücklich für 200 Wahlkreise je einen Abgeordneten vor, der mit relativer Mehrheit gewählt wird. Rechnet man diese Regelung rein theoretisch bis in ihre letzten Konsequenzen zu Ende durch, so wäre es tatsächlich möglich, daß, wenn wir annehmen, es sind in jedem Wahlkreis vier Bewerber vorhanden, die Abgeordneten mit 26% aller Stimmen gewählt werden. Damit hat man den Verfechtern der reinen Mehrheitswahl schon eine erhebliche Konzession gemacht und man hätte guterdings erwarten können, daß auch die Gegenseite ein ähnliches Entgegenkommen gezeigt hätte. Wir bedauern es, daß das nicht der Fall ist. Der Herr Kollege Dr. Kroll hat wiederholt betont, die Anhänger der Mehrheitswahl könnten keine Konzessionen machen, weil eben das relative Mehrheitswahlrecht praktisch irgendwelche Manipulationen nicht verträgt; es ist in seinen Grundlagen so primitiv, daß man es nicht variieren kann; das relative Mehrheitswahlrecht läßt eben den Mann mit den meisten Stimmen wählen, und damit ist es aus. Allein dieser Primitivität des Mehrheitswahlrechts, die vor allem für jene einleuchtend ist, die sich nicht eingehend mit Wahlrechtsfragen befaßt haben, ist es zuzuschreiben, wenn gewisse Kreise feststellen zu können glauben, daß im Volke draußen eine so große Begeisterung für die Mehrheitswahl vorhanden ist. In der Tat, wenn man sich von Mann zu Mann über diese Dinge unterhält, gewinnt man immer wieder den Eindruck, daß die Menschen draußen sich über das Drum und Dran eben nicht im klaren sind. Das Mehrheitswahlrecht bedeutet die Transformation einer Minderheit in eine parlamentarische Mehrheit. Dies ist der Hintergrund dieses Wahlrechts, und die beschönigenden Deklarationen mit dem Hinweis auf die starke Regierung, hin-

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der eine starke, geschlossene Mehrheit stehe, und ähnliche Argumente köndaran nichts ändern. Wenn man aber auf der einen Seite eine starke Regierung oder Zentralregierung ich will einmal dieses perhorreszierte Wort gebrauchen anstrebt, andererseits aber auf dem Wege über den Föderalismus sich bemüht, eine Unmenge von Schwierigkeiten in dieses System hineinzubauen, um die Regierung ja nicht allzu stark werden zu lassen, wenn man vor der Staatsomnipotenz, die sich vielleicht allzu breit machen könnte, Angst hat, dann ist es nicht ganz begreiflich, warum man den starken Mann oder die starke Regierung auf dem Weg über ein Mehrheitswahlrecht, also über die Transformation einer Minderheit in eine parlamentarische Mehrheit erreichen zu müssen glaubt. Parteien, die sich im ehrlichen Wahlkampf eine wirkliche Mehrheit verschaffen, kommen auch auf dem Wege über das Verhältniswahlrecht zu einer Vertretung dieser Mehrheit. (Sehr richtig! bei der SPD.) In diesem Zusammenhang möchte ich eins zu erwähnen nicht versäumen. Gerade in meinem Heimatland Niedersachsen konnte man in den letzten Monaten folgende Beobachtung machen. Wir haben hüher in Niedersachsen die Kommunalwahlen nach einem stark englisch beeinflußten Mehrheitswahlrecht82) durchgeführt. Dabei ist in einer ganzen Reihe von Orten eine sozialdemokratische Mehrheit herausgekommen, obwohl insgesamt eine Stimmenmehrheit für diese Partei nicht vorhanden war. Das Ergebnis entsprach ganz der reinen Mehrheitswahl. Nunmehr ist, nachdem aufgrund unseres niedersächsischen Wahlgesetzes eine Neuwahl durchgeführt wurde, an gewissen Stellen durch das Verhältniswahlrecht eine entsprechende Korrektur eingetreten, in denen nun die CDU eine Mehrheit hat. Man hat nun bereits Anträge auf Widerruf und Aufhebung der hüheren Beschlüsse mit der Begründung gestellt, diese seien von einer unechten Mehrheit beschlossen worden, die eben durch das Mehrheitswahlrecht zustande gekommen sei; daher seien die Sozialdemokraten nicht berechtigt gewesen, solche Beschlüsse zu fassen, sie hätten nur eine Minderheit der Bevölkerung hinter sich gebracht. Das ist die Konsequenz der Inkonsequenz, nur keine Quakelei! (Hört! Hört! und Sehr gut! bei der SPD.) Ich möchte nun noch kurz auf einige andere Fragen eingehen, die der Herr Abgeordnete Kaufmann heute morgen dem Hause glaubte mitteilen zu müssen und die in derselben Richtung liegen. Herr Kaufmann hat zunächst darauf hingewiesen, nicht in seinem Lager sei das Wort von der Persönlichkeitswahl aufgetreten. Ich will das für Ihre Mitglieder im Wahlrechtsausschuß gelten lassen. Wir wissen aber, daß die Deutsche Wählergesellschah83) gerade mit diesem Argument in außerordentlich starkem Maße für die reine Mehrheitswahl operiert und geworben hat. (Kaufmann: Was geht mich die Deutsche Wählergesellschah an!) Herr Kollege Kaufmann, ich will Ihnen gerne glauben, daß die Deutsche Wählergesellschah Sie nichts angeht. Immerhin war gerade sie es, die draußen ter

nen

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82) 83) 364

Zum Niedersächsischen Kommunalwahlrecht siehe Lange: Wahlrecht, S. 82 ff. Zur Deutschen Wählergesellschaft siehe Dok. Nr. 7, Anm. 93.

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arbeiten und es so darzustellen versucht hat, als ob die Mehrheitswahl das A und O, die Lösung und der Stein der Weisen aller Demokratie sei. Herr Kollege Kaufmann, Sie haben in Ihren Ausführungen den kleinen Parteien ausgesprochenes Parteiinteresse unterstellt. Es kann nicht meine Aufgabe sein, die kleinen Parteien gegen solche Anwürfe in Schutz zu nehmen. Ich weiß, sie sind auch selber stark und Manns genug, um sich gegen solche Unterstellungen zur Wehr zu setzen. Aber Sie haben das gesagt, nachdem Sie fünf Minuten vorher unserem Freund Renner zugerufen hatten, man vermute keinen hinter einem Ofen, hinter dem man nicht schon selber einmal gesessen habe. Ich glaube, man sollte mit solchen Unterstellungen in diesem Zusammenhang etwas vorsichtig sein. Es sind immerhin Kapazitäten wie die Professoren Jellinek84) und Thoma85), die nie einen Zweifel darüber gelassen haben, daß es ein Mangel an historischer Einsicht sei, wenn Deutsche glaubten, mit einem so simplen Wahlrecht einen Umschwung herbeiführen und Demokraten erziehen zu können, die wir noch nicht haben. In der Tat, es ist eine Frage der Erziehung zum demokratischen Menschen, und dazu gehört nach meiner Überzeugung vor allem die Achtung vor den Minderheiten. Gerade weil diese Achtung vor den Minderheiten im reinen Mehrheitswahlrecht nicht gewahrt ist, ist das Mehrheitswahlrecht zum mindesten für den ersten grundlegenden Bundestag, der die Fundamente für das deutsche Volk schaffen soll, praktisch nicht anwendbar. Und wenn Sie im Hinblick auf unseren Wahlrechtsentwurf sagen, er schaffe ein merkwürdiges Wahlsystem, so darf ich Sie darauf hinweisen, daß Sie selber bis zu einem gewissen Grade uns auf diesem Wege schon gefolgt waren. Sie hatten ja vorgeschlagen, von den 400 Abgeordneten 300 in den einzelnen Wahlkreisen und 100 durch den Proporz zu wählen. Wir haben Sie dann darauf hingewiesen, bei diesen 100, die durch Proporz verteilt werden, sollten die Stimmen derer nochmals berücksichtigt werden, die schon direkt gewählt worden sind. Das hätte bedeutet, daß diejenigen, deren Parlamentssitze aus diesen 25% im Proportionalwege ermittelt wurden, ihre Mandate für den vier- oder fünffachen Preis der anderen hätten einkaufen müssen. Das ist eine einseitige Bevorzugung, und ich glaube, jede Art von Wahlrecht, das ganz bewußt und offen eine einseitige Bevorzugung irgendwelcher Wählerkreise bedeutet, wird den Anforderungen an die Gleichheit des Wahlrechts nicht gerecht. Wenn Sie darauf hinweisen, daß es erzieherisch für den Wähler sei, wenn er von vornherein weiß, wenn er irgendeine kleinere Gruppe wählt, ist seine Stimme verloren, und daß er aus dieser Einsicht heraus nach der Methode „Vogel friß oder stirb" dann eine Partei wählen soll, die er eigentlich seiner Überzeugung nach nicht wählen wollte, dann weiß ich nicht, ob noch von der Wahrung der Wahlheiheit wirklich gesprochen werden kann. immer gern mit diesem

Argument

zu

84) Prof. Walter Jellinek (1885-1955), Prof. für Rechtswissenschaften u. a. in Straßburg, Kiel, ab 1945 in Heidelberg. Zu seiner Mitwirkung an den Beratungen über das Wahlrecht siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. 276 und passim; ferner Lange: Wahlrecht, S. 317. 85) Prof. Dr. Richard Thoma (1874-1957), bis zu seiner Emeritierung Prof. für Staats- und öffentliches Recht in Bonn. Weitere Angaben zu ihm in: Der Pari. Rat Bd. 5, S. 361, Mitwirkung am Wahlrecht siehe Der Pari. Rat Bd. 6, passim.

Anm. 1. Zur

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von einem Vertreter der CDU aus dem Lande Niedersachsen86) hier mit besonderem Eifer und mit gutem inneren Recht von den Interessen jener Teile des deutschen Volkes gesprochen worden, die unter dem Zwang der Verhältnisse ihre Heimat verlassen mußten und jetzt hier unter uns leben und leben müssen. Bei dem reinen Mehrheitswahlrecht ist es klar, daß in einem kleinen Wahlkreis sich diese Leute als Zugewanderte und Vertriebene gegenüber den Einheimischen nicht werden durchsetzen können. Schon das erfordert, daß wir einen weitgehenden Verhältnisausgleich in das Wahlgesetz einbauen, um auf diese Weise dem Wahlgesetz die Form zu geben, die wirklich eine Repräsentation des deutschen Volkes ergibt. Ich will mit diesen Ausführungen schließen. Es wäre zu den Problemen noch unendlich viel zu sagen, aber ich möchte mich an die vorgeschriebene Zeit halten, um den Fortgang unserer Arbeiten nicht aufzuhalten. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Frau Wessel. Frau Wessel (Z): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegen den Vorwurf, der gemacht worden ist, daß ich in der Sitzung des Wahlrechtsausschusses gegen einen Vorschlag der CDU mich eingesetzt habe87), brauche ich mich eigentlich nicht mehr zu wehren, nachdem mein Vorredner, Herr Dr. Diederichs, die Gründe dargelegt hat. Dieses von der CDU vorgesehene Wahlrecht sah tatsächlich in der Praxis so aus, als sollte hier quasi ein neues Zweiklassenwahlrecht geschaffen werden, nämlich ein Wahlrecht, nach dem die großen Parteien doppelt und die kleinen Parteien zu einem Viertel berücksichtigt werden sollten. Ich glaube, man kann es uns nicht übelnehmen, wenn wir nicht allein als Vertreter einer kleineren Partei, sondern aus denselben Gründen, die der Auffassung sind, daß hier nicht mehr Herr Dr. Diederichs angeführt hat von einer Gleichheit und einem Gleichberechtigtsein der Stimmen gesprochen werden kann. Ich muß schon sagen, ich finde es doch etwas eigenartig, daß mit einer solchen Begründung, wie sie hier von Herrn Kaufmann gegeben worden ist, geglaubt wird, uns gegenüber einen solchen Vorschlag vertreten zu sollen. Es sind von Herrn Dr. Becker verschiedene Gruppen genannt worden, je nach den Gesichtspunkten, aus denen sich die einzelnen mit dem Wahlrecht befassen. Ich möchte mich zu der Gruppe derjenigen zählen, die aus ganz nüchternen, politischen Erwägungen zu dem Wahlgesetzvorschlag gekommen sind, wie er uns jetzt vorliegt. Es ist gerade bei der Begründung des Mehrheitswahlrechts gesagt worden, daß die Frauen dabei durchaus ihre Berücksichtigung finden würden. Ich fühle mich verpflichtet, mit aller Deutlichkeit festzustellen und ich kann das anhand der tatsächlichen Verhältnisse -, daß die Frau bei dem reinen Mehrheitswahlrecht keine Chance hat. Ich möchte das nur an einigen Zahlen beweisen. Wir haben im Landtag von Nordrhein-Westfalen unter den denn dort sind eine Anzahl von direkt gewählten Abgeordneten der CDU

Es ist

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diesem Zeitpunkt hatte in dieser Sitzung ein Vertreter der CDU aus Niedersachdas Wort noch nicht ergriffen. Gemeint war die Eingabe von Gerhardt Arndt, die Dr. Becker in seinen Ausführungen zitierte. Siehe Dok. Nr. 8, Anm. 16. 87) Siehe den Wortbeitrag von Kaufmann auf S. 355 f.

86)

Bis

sen

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zu

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der CDU in einer Form gewählt worden, die ein reines Mehrheitswahlrecht darstellen würde -, unter den 92 Abgeordneten der CDU 3 Frauen. Unsere sehr verehrte Kollegin Frau Dr. Weber ist nicht einmal in einem Wahlkreis, in einem Einzelwahlkreis, durchgekommen. So sieht in der Praxis die Erfahrung aus, die wir gemacht haben. Der Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Dr. Sträter88), ist in seinem Einzelwahlkreis durchgefallen, und die CDU konnte nicht einmal den Justizminister aus ihren Abgeordnetenreihen stellen, weil Dr. Sträter im Einzelwahlkreis nicht zum Zuge gekommen ist. Ein weiteres: Nehmen Sie die Verhältnisse an, wie sie im Landtag von Schleswig-Holstein liegen, von denen uns Herr Kollege Schröter ein so beredtes Lied gesungen hat. Im Lande Schleswig-Holstein würde nämlich, wenn wir ein reines Mehrheitswahlrecht haben, wahrscheinlich die CDU auch zu den sogenannten Splitterparteien gehören; denn unter den 21 Abgeordneten der CDU im Landtag von Schleswig-Holstein hat die CDU im direkten Wahlgang 6 Abgeordnete durchbekommen und 15 Abgeordnete auf der sogenannten Reserveliste, wie man hier sagt. Bei uns im Lande Nordrhein-Westfalen haben wir uns den Vorwurf machen lassen müssen, wir von der Reserveliste wären eigentlich durch die Hintertreppe ins Parlament hineingekommen. Man soll diese Sachen ganz nüchtern und aus den Erfahrungen heraus betrachten. Es kam doch auch nicht von ungefähr, daß gerade aus den Kreisen der CDU und zwar vom der Vorschlag89) gemacht worden ist, Herrn Kollegen Dr. de Chapeaurouge man möchte 50 Vertriebene und Flüchtlinge außerhalb des allgemeinen Wahlrechts vorweg wählen, weil sie sonst anders könnte ich mir den Antrag nicht erklären nicht die entsprechende Aussicht hätten, in das Parlament hineinzukommen. Ein Vertreter der CDU in Nordrhein-Westfalen, Herr Ehren90), ist auch als Vertriebener nicht im direkten Wahlgang in den Landtag hineingekom-

Abgeordneten

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men.

Alle diese Erfahrungen, die wir schließlich haben machen müssen, haben uns dazu bewogen nicht weil wir nun Angst gehabt hätten, als kleine Partei nicht wieder in das Parlament hineinzukommen, sondern weil wir uns in etwa doch auch als Vertreter dieser Interessen fühlen -, uns für den Wahlrechtsvorschlag einzusetzen, wie er heute vor uns liegt. Ich kann mir nicht denken, daß bei den Verhältnissen auf politischem und auch parteipolitischem Gebiet und trotz der Tatsache, daß die Frauen fast 60 und mehr Prozent der Wählerstimmen stellen, es möglich sein wird, aufgrund eines Mehrheitswahlrechts die entsprechende Anzahl von Frauen in das Parlament hineinzubekommen. Wir werden und ich glaube, im nächsten Bundesparlament wird sich das es erleben daß die Frauen mit wenigen Ausnahmen wahrscheinlich auf Landes-, zeigen und Bundesliste in das Parlament hineingekommen sind. -

-

88) 89) 90)

Dr. Artur Sträter (1902-1977), CDU, 1946/48, 1948-1950 Justizmin. in Nordrhein-Westfalen. Drucks. Nr. 167, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 6, S. 589, Anm. 24. Hermann Ehren (1894-1964), Christlicher Gewerkschaftler und Zentrums- bzw. CDUPolitiker.

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Grund, den ich noch anführen möchte und der uns dem reinen Mehrheitswahlrecht und damit nicht wie zu dem Zweidas auch im Hauptausschuß ganz eindeutig gesagt worden ist wünschen auch Deutschland kommen. Wir zu deshalb nicht parteiensystem in das weil nicht wir Auseinanderfalzu einem Zweiparteiensystem zu kommen, len des deutschen Volkes in Christen oder Nichtchristen erreichen wollen; denn wir sind der Auffassung wie das schon von meinem Kollegen Herrn Brockmann gesagt worden ist -, daß man diese Trennung aus politischen Gründen nicht machen kann. Wenn von Herrn Kollegen Dr. Schmid gesagt worden ist, daß es gerade im kommenden Bundestag um politische Entscheidungen gehen wird und daß deshalb die Wahl zu diesem Bundestag nach politischen Grundsätzen erfolgen müsse, so bin ich der Auffassung, daß das am allerbesten auch mit einem Wahlrecht möglich ist, das den verschiedensten Gruppierungen der einzelnen Wähler die Möglichkeit gibt, sich zu den Parteien zu bekennen, zu denen sie sich infolge ihrer Auffassung zugehörig fühlen. Das sind die Gründe gewesen, die uns veranlaßt haben, diesem Wahlrechtsvorschlag unsere Zustimmung zu geben. Es ist hier so viel von der werbenden Krah gesprochen worden, die von einem Wahlrecht ausgehen wird. Es ist auch davon gesprochen worden, wie stark vor allem die Jugend am Wahlrecht interessiert ist. Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Kaufmann dazu berechtigt gewesen ist, davon zu sprechen, daß die Abgeordneten dieses Parlamentarischen Rates etwa die Eingaben der Studenten mit einer Handbewegung abgetan hätten. Wogegen wir uns wehren ist, daß man einseitig glaubt, nur mit einem bestimmten Wahlrecht auch der Jugend eine Chance geben zu können. Die Jugend kann genau so gut auch nach dem Vorschlag, wie er uns jetzt vorliegt, den Weg in das Parlament und in die politische Arbeit finden wie etwa nach dem relativen Mehrheitswahlrecht. Wir müssen uns darüber klar sein, daß entscheidend für die Demokratie und überhaupt für die Arbeit, die wir zu leisten haben, nicht das Wahlrecht sein wird, sondern entscheidend wird die Leistung sein, die von den Abgeordneten und von den Männern und Frauen ausgeht, die für die Politik maßgebend sind. Das kann man nur immer wiederholen. Bringen wir darum, von dieser Leistung ausgehend, die Männer und Frauen ins Parlament, zu denen wir das Vertrauen haben, daß sie im Geiste echter Demokratie und auch wie ich hinzufügen möchte in einem sozial fortschrittlichen Geiste ihre Arbeit machen. Denn das darf ich zum Schluß zu all den Argumenten sagen, die letzten Endes hinsichtlich des Versagens der Weimarer Republik angeführt worden sind ist es die Nichtlösung der sozialen Frage gewesen, die entscheidend zum Scheitern von Weimar beigetragen hat. Es ist aber ein zweiter

bewogen hat,

nicht

zu

-

-

-

-

-

-

-

(Sehr richtig!)

Wir wissen ganz genau, daß all diese sozialen Probleme in unserem heutigen Grundgesetz nicht verankert sind. Es wird die entscheidende Aufgabe der Männer und Frauen im künhigen Bundestag sein, diese sozialen Probleme in einem sozial fortschrittlichen Geiste zu lösen. Auch deswegen glauben wir, daß alle Kreise und alle Kräfte im Parlament vertreten sein müßten und daß jetzt die allerwenigste Zeit dafür vorhanden wäre, von einem reinen Zweiparteiensystem 368

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1949

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das mit dem relativen Mehrheitswahlrecht verbunden sein würde, diese wichtigen Lösungen für das deutsche Volk herbeizuführen. aus,

so

(Bravo!)

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Frau Weber. Frau Dr. Weber (CDU): Aber nicht zu einer Rede, sondern nur zu einer kleinen Randbemerkung! Warum soll in einer politischen Debatte nicht auch einmal eine kleine Randbemerkung fallen? Daß ich nicht gewählt worden bin und im Wahlkreis nicht durchgekommen bin, lag daran, daß die Zentrumspartei unsere Stimmen zersplittert hat. (Brockmann: Ich bitte ums Wort! Dr. Schmid: Darf ich fragen, was heißt —

Stimmen"?) aber das Wort fiel, warum sollte ich nicht „unsere

eine Bemerkung machen? Ich darf aber noch einen Satz hinzufügen, damit Sie sehen, daß ich ganz objektiv bin: Es war das gute Recht des Zentrums. Und noch eine kleine Randbemerkung, die sich an alle meine Parteifreunde richtet; da wir als Frauen hier so leidenschahlich und auch mit Recht für die Gleichberechtigung der Frauen eingetreten sind, so erhoffen wir von der CDU und nicht nur auf Landes- und die Aufstellung von Frauen in Wahlkreisen Bundeslisten -, in denen wir uns mit aller fraulichen Kraft und Würde durchsetzen wollen. (Bravo! und Heiterkeit.) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Renner. Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Zuerst ein Wort an Sie, Herr Präsident streng der Rangordnung gemäß! Eine der Gaben, die ich bei Ihnen bewundere, ist Ihr erstaunliches Gedächtnis. Aber heute morgen hat es versagt. Ich habe nämlich drei Fragen vorgelegt, von denen Sie nur zwei beantwortet haben. Ich mußte Ihnen aber die beiden ersten vorlegen, um auf die dritte kommen zu können. Als dritte Frage habe ich Ihnen die vorgelegt, wie es sich erkläre, daß wir unter Abweichung von einer offiziellen Mitteilung der Pressestelle des Parlamentarischen Rates, in der ein Beschluß des Ältestenraan der Sitzung des Ältestenrates war ich nicht tes91) mitgeteilt wurde beteiligt, unter uns gesagt -, vor dem Eintreffen oder vor der Überreichung des Besatzungsstatuts mit der zweiten Lesung des Verfassungsentwurfs beginnen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch diese Frage noch beantworten wollten. Präs. Dr. Adenauer: Die Frage kann ich sofort beantworten: Der Ältestenrat hat Da

-

-

-

seine Meinung geändert. Renner (KPD): Dann darf ich wohl auch die Antwort geben, die ich gestern dem Ältestenrat gegeben habe. Wie oh, habe ich gefragt, wollen wir überhaupt noch umfallen? (Schönfelder: Die Frage ist auch noch nicht beantwortet worden!) Die ist auch noch nicht beantwortet worden. Aber bei Ihrer Methode, bei Ihrem stabilen Kreuz sind in dieser Beziehung alle Möglichkeiten offen. Sie

-

91) Siehe

Anm. 70.

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werden umfallen, so oh überhaupt nur noch ein Umfall möglich ist. Sie werden schlucken, was überhaupt geschluckt werden kann und was von Ihnen zu schlucken verlangt wird. Das dazu! Und nun ein Wort an den sehr verehrten Herrn Kollegen Kaufmann. Er hat nach den „Komponisten" gefragt, die in meinem Herzen den Wunsch ausgelöst haben, den ich ausgedrückt habe. Er meint wahrscheinlich die Komponenten, die in meinem Herzen den Wunsch ausgelöst haben. Ich könnte ihm eine sehr einfache Antwort geben. Es war die Komponente, die daraus resultiert, daß ich ein deutscher Mensch bin, daß ich ein Sozialist und ein internationaler Marxist bin, daß ich ein Mensch bin, der sich für den Frieden, für Deutschland und sein Volk und für den Frieden in der ganzen Welt einsetzt, und daß ich ein Mensch bin, der für ein eigenes, gesundes und glückliches Deutschland kämpft. Vielleicht sind das genug Komponenten. Nun aber zur Sache! Ich habe niemand der Herren, die sich hier zur Frage des Wahlmodus geäußert haben, als Phantasten oder als Mathematiker angesprochen, sondern ich habe sie als Zweckpolitiker und als Opportunisten hingestellt, als Wahlarithmetiker. Wie war es doch in der Vorberatung? War es da nicht so, daß von Seiten der CDU ausgesprochen wurde: Wir haben ein Interesse daran, die kleinen Parteien niederzuhalten? Ist nicht aus dem Munde des CDU-Vertreters der Satz gefallen, daß kleine Parteien ein Krankheitssymptom seien? Und wenn nun ein CDUMann an Herrn Professor Schmid von der SPD die Frage gerichtet hat, warum er sich jetzt bei seiner gespaltenen Seele, die auch heute wieder zutage getreten ist, im Prinzip doch für dieses Wahlgesetz entscheidet, dann erlaube ich mir, für Sie die Antwort zu geben. (Dr. Schmid: Geben Sie sie!) Doch, ich gebe sie. Sie sind nämlich ein Mann, der auf Sicher geht. Und wenn Sie, Herr Carlo Schmid, der Gewißheit wären, daß der CDU-Wahlmodus Ihnen die Schäflein in den Stall triebe, dann wären Sie ebenso grundsätzlich für das Gegenteil von dem, was Sie jetzt vertreten. (Heiterkeit. Dr. Schmid: Sie nicht auch, Herr Renner?) Habe ich nicht ganz klar und eindeutig ausgesprochen, die Interessen der Arbeiterklasse bedingen, daß wir ein Proporzsystem wollen? Ich bin so ehrlich, das auszusprechen. Das ist unser Interesse. Darum verlangen wir das, weil wir als Arbeiterklasse so wenig Machtmittel haben, uns gegen diesen Riesenblock der Reaktion durchzusetzen; -

-

-

-

(Heiterkeit) weil auch Ihre Väter einmal in derselben Situation waren, in der wir uns heute befinden. Es gab einmal eine Zeit, lieber Herr Professor Carlo Schmid, in der die Kirchenglocken geläutet haben, wenn ein sozialdemokratischer Wahlagitator in ein katholisches Dorf unten an der Mosel eingerückt ist. Und es gab einmal eine Zeit, in der man gegen die Sozialdemokraten mit denselben Methoden der Verhetzung, des Drecks und des Schmutzes vorgegangen ist, wie man es heute uns gegenüber beliebt. Es hat euch nichts geschadet, es schadet uns auch nichts.

(Heiterkeit.) 370

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Aber wir haben auch inzwischen ein dickes Fell bekommen, weil wir ja wissen, was wir wollen. Aber nun zurück zur Sache! Ich muß ein mahnendes Wort an die Adresse der CDU richten. Ist da nicht so etwas wie eine Bayernpartei92)? Könnte dieses System, das Sie heute proklamieren, nicht auch bei ihr einmal daneben gehen? Kann sie nicht auch einmal eine Minderheit und eine kleine Fraktion sein, wenn sich der große Bruder in Bayern, der mit so massiven Argumenten arbeitet, durchsetzt? Vorsicht bei solchen Geschichten! Man kann sich dabei leicht ins eigene Fleisch schneiden. Herr Carlo Schmid hat gesagt, daß dieses aktuelle Wahlsystem, das im Augenblick von ihm als richtig angesprochen wird, dazu beitragen könnte, die fieberigen Zustände, die doch die Folgen unserer wirtschahlichen und politischen anders kann es ja gar nicht gemeint sein -, durch ein geSituation sind schicktes und zweckdosiertes prophylaktisches Wahlsystem zu mildern. (Dr. Schmid: Nicht prophylaktisch, sondern therapeutisch!) Meinetwegen auch therapeutisch! Die Leute wollen auf folgendes hinaus. Sie wollen sagen: Wenn wir uns für ein System entscheiden, das einer einzigen Partei die absolute Mehrheit in die Hand spielt nicht per Recht gibt! -, dann ist diese Mehrheit dazu gezwungen, die Verantwortung zu übernehmen. Sie haben ja in diesem Zusammenhang auch von der Besatzungspartei gesprochen. Und Sie halten es für richtiger, wenn man ein System ausklügelt, das im Endeffekt zur Bildung von Koalitionen zwingt. (Dr. Schmid: Das habe ich nicht gesagt!) Sie sprachen von der Notwendigkeit, die Verantwortung zu verteilen. (Dr. Schmid: Die Risiken!) Die Verantwortung kann man nur dadurch verteilen, daß man sie auf verschiedene Fraktionen innerhalb einer Koalitionsregierung verteilt. (Dr. Schmid: Das ist wiederum nicht ganz richtig!) Vielleicht erklären Sie mir das nachher. Aber ich glaube, ich habe Sie ganz verstanden. gut So sind die Dinge doch wohl aufzufassen, und das hätte eine gewisse Logik, Herr Professor. (Dr. Schmid: Mit Rabatt!) Nicht mit Rabatt! Es kommt nämlich entscheidend darauf an, welchen Charakter der Staat bekommen soll, den man bauen will. Soll es der Staat werden, von dem wir jetzt einen Abklatsch in Frankfurt in Gestalt des Wirtschahsrates sitzen haben? (Dr. Schmid: Nein!) Nein, sagen Sie! Ich sage auch nein. Soll es nicht der Staat werden, dann muß man verhüten, daß die Partei allein an die Macht kommt, die in Frankfurt allein an der Macht ist. Das ist die CDU/CSU. -

-

-

-

-

-

-

-

(Heiterkeit.) Da muß

Zustand

)

Zur

einer Koalition kommen. Ich habe hier ja als beste Lösung den herausgestellt, daß man eine Regierung aus allen Fraktionen des Parla-

man zu

Bayernpartei

siehe Anm. 106. 371

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bildet. Ich bin der Meinung, daß das das beste Instrument wäre, um fieberige Krankheitserscheinungen zurückzudrücken. (Dr. Schmid: Herr Renner, dieses System funktioniert nur, wenn eine Besatzungsmacht ihre Polizei zur Verfügung stellt!) Ich glaube nicht, daß Sie damit recht haben. Das hieße ja schlußfolgern, daß wir Deutsche nicht selber in der Lage wären, eine vernünhige soziale Ordnung aus uns aufzubauen. (Zuruf: So geht es nicht!) Das hieße ja in der Perspektive Ihnen nachsagen, daß Sie die Ordnung von Frankhirt auch nur auhechterhalten zu können glauben, solange die Besatzungsmacht da ist. Vorsicht! Vorsicht! Ich bin der Meinung, wenn wir in Deutschland eine solche wirklich soziale Republik aufbauen wollten, müßte das auch unter den derzeitigen Bedingungen möglich sein. Ich weise darauf hin, daß der Verfassungsentwurf des deutschen Volksrates93) das als Grundlage einer demokratischen Regierung ausdrücklich herausstellt. ments

-

(Kaiser: Das ist die Volksfront!) Ja, das ist eine Volkshont! Wenn man sich Volk nennt und als Volk fühlt, wenn man sich als einiges Volk fühlt, kann man auch zu dem Schluß kommen,

-

daß man als Volk eine einheitlich geschlossene Regierung bilden kann. Und nun noch etwas an die Adresse des Herrn Kaufmann. Er sprach davon, daß man die Menschen an den Staat heranbringen müsse, und er bedauerte, daß das im Augenblick nicht völlig gelungen sei. Aber, Herr Kaufmann, wenn man dann einen Wahlmodus mit Sperrklauseln ausgesonnen hat und ihn praktisch da unten im Süden anwendet, oder wenn man sich, wie es hier im Anfangsstadium der Beratungen geschehen ist, mit Erwägungen herumschlägt, ob man, falls eine Partei nicht ein Mandat in einem Wahlbezirk erreicht hat, sämtliche übrigen für diese Partei abgegebenen Stimmen für null und nichtig erklären soll, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn man die Menschen nicht an den Staat heranbringt. Es ist ganz einfach von den deutschen Menschen nicht zu verlangen, daß sie in den beiden großen Parteien CDU/CSU und SPD den Staat oder gar die einzigen in diesem Staat möglichen und erlaubten demokratischen Parteien erblicken. Das kann man beim besten Willen dem deutschen Volke nicht zumuten. So weit dürfte auch Ihre eigene Arroganz nicht gehen. Und nun etwas Ernsteres. Das ist das, was Herr Kaufmann an die Adresse der Jugend gerichtet hat. Jugend! Er hat dabei ein beachtliches Pathos aufgebracht. Ich will seinem Pathos einige konkrete Dinge entgegenhalten. Jugend! In Ihrem Verfassungsentwurf94) steht, daß der junge Mensch mit vollendetem 21. Lebensjahr das aktive und mit vollendetem 25. Lebensjahr erst das passive Wahlrecht erhalten soll. Jugend! Der Arbeitersohn ist bei Schulentlassung in sehr vielen Fällen schon gehalten, durch Einsatz seines Körpers und seiner körperlichen Arbeitskraft dazu beizutragen, seine Familie zu erhalten. Es hat auch Zeiten

) Zum Volksrat-Entwurf der Verfassung siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. ) Siehe Art. 48 des GG-Entwurfes vom 5. Febr. 1949 (Drucks. Nr. 543), Entwürfe, Der Pari. Rat Bd. 7, S. 355.

372

Schlußfassung unverändert als Art.

38 GG.

S. 179;

Achte

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gegeben, in denen man von dem jungen Menschen, wenn er 15 Jahre alt war, verlangt hat, seinen Körper auf dem Schlachtfeld für den Staat herzugeben, für den Staat Hitlers! Aber wählbar und wahlberechtigt machen Sie eigenartigen fortschrittlichen Vertreter der Jugend diese Jugend erst mit dem 21. bzw. 25. Lebensjahr. Da stimmt irgend etwas nicht! (Kaufmann: Bei Ihnen nicht!) Kaufmann, Sie sprachen von der Drecklinie. (Kaufmann: Bei Ihrer Rechnung stimmt etwas nicht!)

Herr -

Ich bin der haben soll, daß

daß ein Arbeiter mit 18 Jahren die Wahlberechtigung mit 18 Jahren reif ist, zu wählen. (Kaufmann: Dieser Meinung ist der vernünftige junge Mensch nicht!) Fragen Sie sie doch einmal! Wenn Sie allerdings die Studentenführer fragen, auf die Sie Bezug genommen haben, dann bekommen Sie eine Antwort,

Meinung,

-

er

-

die Ihnen

paßt.

ist die Jugend viel zu bescheiden!) Man kann der Jugend auch die Bescheidenheit einreden; man kann ihr auch eine falsche Bescheidenheit einreden. Und damit komme ich zu dem von Ihnen zitierten Brief der Führer der Studentenschaft95). Sie sprachen in glühenden Worten von dem Geist der Studentenschah vor einhundert Jahren! Sie sprachen dann davon, daß es auch in dieser Studentenschah von heute gärt, daß sie einen Ausweg sucht, daß sie mitarbeiten möchte, aber den Anschluß noch nicht gefunden hat. Den von Ihnen

(Kaufmann: Dafür

-

-

zitierten Brief haben keine Studenten geschrieben, den haben Studentenführer Das ist ein Brief, der auf demselben Wege, von denselben Autoren eingeleitet worden ist, die uns auch diesen Sturm von Briefen eingetragen haben, die wir in den vergangenen Wochen von der empörten katholischen Volksseele erhalten haben96). (Kaufmann: Herr Renner, denken Sie an den Sitz hinter dem Ofen!) Nachtigall, ick hör dir trapsen! (Glocke des Präsidenten.) Präs. Dr. Adenauer: Einen Augenblick, Herr Renner! Meine Herren, Sie reizen durch Ihre Zwischenrufe geradezu Herrn Renner, länger zu sprechen, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Renner (KPD): Das ist nicht wahr! Ich lasse mich nicht reizen. Sie sollten mich doch wirklich besser kennen, Herr Adenauer. Ich sage, was ich sagen zu

geschrieben!

-

müssen glaube. Ein Wort zu dem Geist dieser Führer der heutigen Studenten bzw. ein Wort an ihre politischen Hintermänner und an die gewissen Professoren, die ihnen solche Gedanken einreden. Persönlichkeitswahl! Das kommt nicht aus den Köp-

fen dieser

jungen Menschen, schon

) Siehe Anm. ) Zuschriften

gar nicht

aus

den

Köpfen

der Studenten,

Nr. 28.

Konfessionsschule wurden als massenhaft gleichförmige Eingaben vom Pari. Rat bereits als „Weglegesachen" formiert und demgemäß auch kassiert. Es handelte sich dabei um nicht weniger als 1690 Eingaben mit ca. 20-30 000 Unterschriften. Der Pari. Rat Bd. 5, S. 902, Anm. 55. zur

373

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Achte

die

größten

zum

Teil ganz andere

Sorgen haben.

Dieser

übersteigerte

Individua-

lismus, der aus einer solchen Konzeption herausschaut, dieser Persönlichkeitsdünkel, den ein gewisses Literatentum diesen Studenten einzuflößen bestrebt ist unter glücklicher Ausnutzung der geistigen Atmosphäre in diesen Kreisen, in denen

eine Reihe ehemaliger Berufsoffiziere herumdie sehen müssen. Es gab hier bei uns einmal wir Gefahr, spukt -, einen Unterrichtsminister ich will keinen Namen nennen -, der mußte als Rektor der Universität gehen97), weil ihm nachgewiesen worden ist, und zwar nicht von deutscher Seite, sondern von der britischen Militärregierung, daß bei der Immatrikulation von Studenten komischerweise eine Unmenge von NaziAktivisten mitgerutscht ist. Mit ihm gegangen ist ein gewisser Professor hier in Bonn. Den Namen nenne ich nicht; aber die Bonner werden ihn kennen. Der war vordem Major im Führer-Hauptquartier und dann hier in Bonn berufen, an der Universität leitende Funktionen in diesem Immatrikulationsausschuß auszuüben. So erklären sich diese komischen Erscheinungen, vor denen wir stehen. Wenn wir dann heute wieder hören, daß in den Hinterzimmern der Studentenkneipen sich schon schlagende Verbindungen auhun, wo sich diese Art von Studenten Schmisse verpaßt, um sich so gezeichnet von der „Masse Volk", von der „Masse Mensch" zu unterscheiden, dann ist das ein sehr böser Geist, den wir bei einem Teil unserer heutigen Studentenschah feststellen müssen. Ich sage: bei einem Teil. Bei einem großen Teil ist es ja so, daß er auf solche blödsinnigen Ideen nicht mehr verfällt. Ein großer Teil der Studenten hat, wie wir hoffen müssen, begriffen, daß es ihre Aufgabe ist, Verbindungen zum Volke aufzunehmen, sich in das Volk einzureihen, dem sie schließlich und endlich überhaupt die Möglichkeit verdanken, ihr Studium abzuschließen, indem das Volk in Form von Steuern die hohen Zuschüsse finanziert, die unsere Universitäten verschlingen. Aber ein Wort an Herrn Kaufmann! Es ist Ihnen heute morgen auch anders geht es ja bei Ihnen nicht wieder einmal der Hinweis auf die Ostzone entfahren. Vor einigen wenigen Tagen, Herr Kaufmann, hatte ich Gelegenheit, mich mit Herrn Konrad Adenauer unter vier Augen auch einmal über eine Frage, die den Osten angeht, auszusprechen. -

ja heute leider auch

ist die

-



-

(Hört! Hört!98))

Ich bitte, gut zuzuhören, was wir ihm da gesagt haben. Wir haben ihm da gesagt, daß unserer Auffassung nach auch heute durchaus die Möglichkeit besteht, daß die Parteien des Westens zusammen mit den Parteien des Ostens die Frage der Schaffung der Einheit Deutschlands aufgreifen99). Diese Möglich) Dabei handelte

sich um den Rektor Prof. Heinrich Michael Konen (1874-1948), seit Kultusminister in Nordrhein-Westfalen. Vgl. Munzinger-Archiv. ;) In der Vorlage handschr. gestrichen „im Zentrum". ') Angespielt wurde hier vermutlich auf den „Semjonow-Plan", der zum Zeitpunkt dieser Plenarsitzung mehreren Abgeordneten des Pari. Rates von Seiten der SED zugegangen war (Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 24. Febr. 1949, Z 12/121, Bl. 16-19). Leisewitz berichtete: „Der Abgeordnete Renner, KPD, hat bereits bei der heutigen Behandlung des Wahlgesetzentwurfes [. .] entsprechend der darin betonten es

Aug. 1946-Ende

1947

.

374

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keit bejahen wir nach wie vor. Wir haben ihm mit Bedauern vorgehalten, daß leider von dem Westen Deutschlands her kein Wort der Bejahung solcher Gedankengänge ertönt. So liegen die Dinge.

(Kaiser: Das ist ja grundfalsch, was Sie sagen!) Herr Kaiser, Sie haben nicht das Recht, über unseren Willen zu urteilen; den kennen Sie gar nicht. (Kaiser: Nein, was Sie behauptet hatten, ist falsch!) Was ich behauptet habe, ist meine innere Überzeugung und ist auch, nebenbei bemerkt, in dem Falle die Überzeugung des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands, des Abgeordneten Reimann. Wir glauben also heute noch an die Möglichkeit, eine derartige Zusammenarbeit zu schaffen. Ich rufe Sie (zum Präsidenten) zum Zeugen, daß wir in diesem Sinne mit

-

-

Ihnen

haben. Aber es ist falsch, wenn Sie behaupten, daß wir nicht für die (Kaiser: Einheit Deutschlands wären. Das haben Sie gesagt!) Hören Sie doch gut zu, Herr Kaiser. Sie sind doch immerhin ein ernster Mann. Sie werden sogar von mir noch ernst genommen, was ich nicht allen Ihren Freunden nachsagen kann. Ich habe gar nicht behauptet, was Sie mir jetzt unterstellen. Ich habe gesagt, ich hätte mit Bedauern festgestellt, daß leider vom Westen her auf diesen Ruf bisher keine Antwort gekommen sei. Wollen Sie bestreiten, daß ich damit recht habe? Damit habe ich leider recht. Aber nun noch ein Wort an Herrn Kaufmann. Herr Kaufmann, es gibt außer der studentischen Jugend noch eine andere Jugend in Deutschland; die hat auch Appelle an den Parlamentarischen Rat gerichtet, die sind von Ihnen nicht

gesprochen

-

indem er wiederum beantragte, mit den Beratungen des Grundgesetzes machen und auch die Behandlung des Wahlgesetzentwurfes nach der ersten Lesung auszusetzen." Der Plan (ebenda, Bl. 18-19) sah vor, die Mitte Deutschlands von Besatzungstruppen freizumachen und eine deutsche Gesamtregierung in Berlin zu schaffen, eine neue gemeinsame Währung zu schaffen und einen Friedensvertrag mit den Siegermächten abzuschließen. Jakob Kaiser hatte ihn am 24. Febr. der „United Press" als Mitteilung der SED bekanntgemacht, so daß er auch in der internationalen Presse behandelt wurde. Vgl. Neue Züricher Zeitung vom 25. Febr. 1949, Bl. 2. Dort war von folgendem Programm die Rede: „1. Die französischen und britischen Besatzungstruppen sollen sofort zurückgezogen werden. 2. Die amerikanischen und russischen Truppen sollen sich umgehend aus Mitteldeutschland zurückziehen. Diese Einheiten sollen an die West- bzw. Ostgrenze Deutschlands verlagert werden. 3. Während der Übergangszeit soll sowohl die West- wie auch die Ostmark ihre Gültigkeit beibehalten. 4. Berlin soll als Vier-Mächte-Stadt verwaltet werden. Sobald die deutsche Zentralregierung errichtet wäre, sollten die von den Besatzungsmächten eingeführten Währungen außer Kraft gesetzt und durch eine einzige allgemeindeutsche Währung ersetzt werden." General Clay äußerte nach Aussage von United Press (ebenda), der Plan könne die wesentlichen Probleme nicht lösen. Er stelle folgende Gegenfragen: „1. Wie können dann die Reparationsforderungen im allgemeinen und diejenigen an die Industrien im besonderen gelöst werden; 2. Welche Garantien wären dann für die Durchführung und Kontrolle deutscher Wahlen gegeben; 3. Wie würde sich dann die Beteiligung der alliierten Mächte bei den Sicherheits- und anderen Kontrollorganen gestalten." Es werde auch nicht gesagt, ob ganz Deutschland für die Entrichtung von Reparationen haftbar gemacht werden soll, ferner sei nicht bestimmt, ob ganz Deutschland am europäischen Wiederaufbau teilnehmen soll.

Linie

gehandelt,

Schluß

zu

375

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beachtet worden. Wenn ihre Liebe zu unseren Studenten im Westen so brennend wäre, warum raffen Sie sich nicht auf, um dieser großen Anzahl von Studenten, die heute darauf angewiesen sind, die entsprechenden Stipendien zu garantieren? Warum machen Sie da keine positive Arbeit? Warum fassen Sie in der Linie keine positiven Beschlüsse? Hier liegt eine Zeitung vor mir, die „Süddeutsche Zeitung". Bestimmt steht diese Zeitung nicht in dem Verdacht, eine kommunistische Zeitung zu sein. Also ich zitiere aus dieser Zeitung100). Präs. Dr. Adenauer: Herr Abgeordneter Renner, wir sind beim Wahlgesetz. Renner (KPD): Herr Präsident, es gehört aber auch nicht zum Wahlgesetz, was sonst zu diesem Punkt gesagt worden ist. Ich werde mir erlauben, Herrn Kaufmann und den Herren dieses Hauses diesen Auszug aus der Presse durchschriftlich zugänglich zu machen. Sie können das dann an die Herren Studenten, die angeblich so hinter Ihnen stehen, weiterleiten. Es handelt sich um eine bestimmt nicht kommunistische Zeitung, die aber rühmend hervorhebt 1. die Höhe der Stipendien und 2. die politische und wissenschahliche Aktivität der Studentenschah in der Ostzone. Bei uns sind die Studenten weder wissenschaftlich sehr aktiv, noch sind sie politisch aktiv. Das dazu. Aber ein letztes Wort an Sie, um Ihnen zu beweisen, wo Ihre Liebe für die Jugend aufhört. Ich habe hier, als die Frage der Grundrechte zur Debatte stand, verlangt, einen Absatz des Inhalts aufzunehmen, daß Jugendliche bei gleicher Arbeit den gleichen Lohn erhalten sollen101). Was haben Sie mit diesem meinem Antrag gemacht? Sie haben ihn unisono abgelehnt. Alle im Hause haben diesen Antrag abgelehnt102). Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, ich bitte nochmals, zur Sache zu reden. Renner (KPD): Zur Sache habe ich nur noch ein letztes Wort zu sagen. Das ist nämlich der Satz, daß alle die vielen Phrasen und hohen Worte, die heute vor allen Dingen von den Herren von der CDU gemacht worden sind, nur den einen Zweck haben, die Tatsache zu verhüllen, daß man mit einem gekünstelten Wahlsystem das erzielen will, was der Sprecher der Sozialdemokratie gesagt hat: örtliche Minderheiten, Mandate, die mit durchschnittlich 30 Prozent der abgegebenen Stimmen erobert worden sind, im Volkstag zu parlamentarischen Mehrheiten zu machen. Ihnen geht es um kein grundsätzlich etwa demokratisches, ethisches oder wie immer geartetes sonstiges Prinzip. Ihnen geht es nur darum, die schwarze Fahne der Reaktion über dem schwarzen Westdeutschland hochhalten zu können. So liegen die Dinge. Und dafür arbeiten Sie mit allen Mitteln, auch mit den Mitteln eines derartig undemokratischen Wahlgesetzvorschlages. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Stock. Stock (SPD): Meine Damen und Herren! Von sehen der CDU/CSU-Fraktion liegt ein Antrag103) vor, der verlangt, daß der Bundestag nur aus 300 Abgeordneten ') Folgt gestrichen in der Vorlage „Glocke des Präsidenten". ) Über die Grundrechte war zu diesem Zeitpunkt im Plenum noch nicht debattiert

wor-

den. Ein entsprechender Antrag der KPD war im Ausschuß für Grundsatzfragen gestellt und abgelehnt worden. Der Pari. Rat Bd. 5, S. 868. Renner wiederholte den Antrag im HptA, 42. Sitzung vom 18. Jan. 1949; Verhandlungen, S. 541. ) Folgt in der Vorlage gestrichen: („Glocke des Präsidenten"). ) Drucks. Nr. 628 siehe Anm. 80.

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bestehen soll, und zwar sollen diese 300 Abgeordneten in einzelnen Wahlkreisen, also nach dem Mehrheitsverhältnis, gewählt werden. Die CDU/CSU-Fraktion hat in den langen und vielen Verhandlungen im Wahlrechtsausschuß nicht immer auf diesem Standpunkt gestanden. Sie hatte vielmehr ursprünglich einen Antrag eingebracht, der besagte, daß 400 Abgeordnete gewählt werden sollen, und von diesen 400 Abgeordneten sollten 300 nach dem relativen Mehrheitswahlsystem und 100 nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden. Wir sagten damals, es sei ein Unding, daß man 300 nach dem relativen Mehrheitswahlrecht wählt, während nur 100 nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden sollen, weil es dann darauf hinauskommt, daß eine Minderheit nachher im Parlament eine Mehrheit hat, daß man vielleicht mit 30 Prozent der Stimmen 60 und noch mehr Prozent der Mandate im Parlament erhalten kann, wie es ja früher tatsächlich der Fall gewesen ist, bevor die Verhältniswahl eingeführt wurde. Ich will hier nicht mehr eine lange Rede über das hühere Reichstagswahlrecht halten, durch das Minderheiten bei der Wahl sehr oft die Mehrheiten im Parlament waren. Nun hat man dabei auch auf das Verhältnis in England und in Amerika hingewiesen. Es hat aber heute noch niemand gesagt, daß dieses Wahlrecht in den beiden Ländern dazu führt, daß im ganzen überhaupt nur 45 oder 48 Prozent der Wähler zur Wahlurne gehen, so daß man dort an den Wahlen vollständig desinteressiert ist, weil man von vornherein schon glaubt wissen zu können, wer gewählt wird und wer nicht gewählt wird. Ich bin nicht der Auffassung, daß man mit einem solchen Wahlsystem die Menschen zur Demokratie erzieht. Man fesselt mit einem solchen Wahlsystem auch nicht die breite Masse an den neuen Staat, sondern man fesselt sie nur dann an den neuen Staat, wenn man ihr ein Wahlsystem gibt, bei dem jeder einzelne weiß, daß auch seine Stimme, die er abgibt, dann gewogen wird, daß sie genau soviel zählt wie die Stimme des anderen auch. Man soll hier nicht die Sache umschreiben; denn so und nicht anders liegen die Verhältnisse. Man will, wie ich schon sagte, durch dieses Wahlsystem, das ein relatives Mehrheitswahlsystem ist, erreichen, im Parlament eine Mehrheit zu sein, obwohl man im Volk eine Minderheit ist. Nur einige Worte auch zu der Persönlichkeitswahl. Es ist zwar hier bestritten worden, daß darüber irgendwo gesprochen worden ist. Ich könnte ja die Protokolle vom Wahlrechtsausschuß vorlegen. Ich glaube, es war der Herr Kollege Schröter, der von der Persönlichkeitswahl sprach. Dafür nur ein kleines Beispiel. Nehmen wir an, in Vilsbiburg in Niederbayern würde meinetwegen Herr das Prof. Dr. Geiler104), gewiß eine große Persönlichkeit, aufgestellt werden und ihm gegenüber würde der müßte allerdings bei den Demokraten sein Häusler Hintermoser aus Hintertupfing aufgestellt werden; der ist CSU. Was glauben Sie, wer da gewählt werden würde, die Persönlichkeit oder derjenige, der der richtigen Partei angehört? Es gibt darüber keinen Zweifel. Das haben wir ja vor 1918 in Bayern miterlebt, daß die Persönlichkeiten ausgeschieden sind und daß die gewählt wurden, die der allein seligmachenden Partei ange-

-

104) Prof. Karl Geiler (1878-1953),

von

Okt. 1945-Dez. 1946 MinPräs.

von

Groß-Hessen. 377

Nr. 8

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hört haben. Seinerzeit

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das Zentrum, dann war es die Bayerische Volksder seit 1918 drüben in dem Laden mitmacht, können Sie kein X für ein U machen. So und nicht anders sind die Verhältnisse. Vielleicht darf ich auch noch einen Satz zu der Behauptung von der stabilen, festen Regierung bringen, die vorhanden wäre, wenn eine Partei allein die Mehrheit im Parlament hat. Nun, die CSU hat seit der Wahl am 1. Dezember 1946 von 180 Abgeordneten allein 103 Abgeordnete, nachdem der eine, Herr Dr. Baumgartner106), davongeflattert ist. Meine Herren, Sie lesen ja soviel in der Presse über diese bayerische Regierung, über die Verhandlungen in Bayern. Glauben Sie, daß das die Regierung ist, die wirklich stabil ist, die wirklich das bringt, was ein ganzes Volk fordern kann? Ich bin der Meinung, mancher Minister hat seine Arbeit nur damit, daß er die Partei zusammenzuhalten sucht, damit sie nicht noch mehr zerspringt. Sie haben ja gelesen, daß man dem Justizminister räuberische Erpressung vorwirft. Man hält dem Kultusminister indem er Theaterstücke vor, daß er als Kultusminister Handlungen vornimmt verbietet —, die nicht in sein Ressort gehören. Das ist nun eine Regierung, die aufgrund einer glatten Mehrheit im bayerischen Parlament vorhanden ist. Meine Damen und Herren! So kann man nicht operieren. Mein Parteifreund Schmid hat ganz richtig gesagt: In der heutigen Zeit und in der heutigen Situation soll man die Verantwortung auf breite Schultern legen. Man soll alle dabei beteiligen, damit dann auch für das gesamte Volk, sagen wir hier für das gesamte deutsche Westvolk, etwas Praktisches und Vernünhiges dabei herauskommt. Nun liegt noch ein Antrag vor, der mich sehr überrascht, von der CDU/CSU und auch unterschrieben von Herrn Dr. Becker und Herrn Dr. Seebohm107) und war es

partei105). Demjenigen,

-

zwar:

Wir

beantragen,

„darüber hinaus

in § 5 Buchstabe c den zweiten Halbsatz wie folgt zu fassen: ist nicht wählbar, wer in die Gruppen I, II und III eingestuft

ist." Das heißt also, meine Damen und Herren, daß in den zukünftigen Bundestag, in das neue Parlament auch die Mitläufer gewählt werden können, daß Sie dann auf einer Bank mit den Ortsgruppenleitern und den Kreisleitern sitzen. Das unterschreiben Leute, die doch mit in der CDU/CSU-Fraktion sind, obwohl die bayerische Regierung, die, wie ich schon sagte, allein aus CSU-Mitgliedern zusammengesetzt ist, in ihrem Wahlgesetz, das jetzt verabschiedet wurde108), in Art. 37 ganz klar zum Ausdruck bringt: Nicht wählbar sind außer den in Art. 2 aufgeführten Personen ehemalige Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Gliede-

105) Hierzu Klaus Schönhoven: Die Bayerische Volkspartei 1924-1932. Düsseldorf 1972. 106) Josef Baumgartner (1904-1964), war nach seinem Austritt aus der CSU seit Jan. 1949 Vorsitzender der Bayernpartei geworden, die offensichtlich einen erheblichen Zulauf, insbesondere auch aus den Reihen der CSU erhielt. Ilse Unger: Die Bayernpartei. Geschichte und Struktur 1945-1957. Stuttgart 1979. Ferner Konstanze Wollner: CSU und die Bayernpartei. Ein besonderes Konkurrenzverhältnis 1948-1960. 2. A., Köln 1984. 107J Drucks. Nr. 626a: Antrag Dr. Seebohm, Dr. Finck, Dr. Becker zum Wahlgesetz vom 24. Febr. 1949 betr. Wahlgesetz § 5 Ziffer c. Der Antrag wurde im nachhinein verlesen. 108) Siehe Lange: Wahlrecht, S. 57. 378

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rungen, die nicht entlastet sind oder die, solange noch keine rechtskräftige Spruchkammerentscheidung über sie vorliegt, in die Gruppen I, II, III und IV gehören. Das Gesetz ist schon angenommen. Soweit ich von dem Herrn Kollegen Zinn unterrichtet bin, besteht auch in Hessen dieselbe Bestimmung. Es käme dann so, daß diese Nazis zwar nicht in die Länderparlamente gewählt werden können, weil sie aufgrund des Wahlgesetzes von der Wählbarkeit in die Parlamente ausgeschaltet sind. Aber in den Bundestag, also in das Parlament, das über den Länderparlamenten steht, würden sie dann gewählt werden können. Ich glaube, daß das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Deshalb bitte ich, daß dieser Artikel so, wie er im Hauptausschuß verabschiedet wurde, auch von Ihnen hier angenommen wird. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Brockmann. (Brockmann: Ich denke, es sind noch eine Reihe Wortmeldungen vor mir; ich hatte mich als letzter gemeldet!) Es sind dann noch zwei weitere Wortmeldungen. Brockmann (Z): Meine Damen und Herren! Ich wollte Sie nicht lange aufhalten. Ich wollte mir nur einige Worte zu der Bemerkung meiner verehrten Frau Kollegin Weber erlauben. Es könnte ein ganz falscher Eindruck entstehen, wenn man diese Bemerkung so auf sich wirken läßt, wie Frau Weber sie offenbar gemeint hat. Ich zweifle nicht daran, Frau Kollegin Weber, daß meine politischen Freunde in dem Wahlkreis, in dem Sie nicht gewählt worden sind, Ihnen persönlich aus einem gewissen Vertrauensverhältnis auch die Stimmen gegeben hätten. Aber daraus zu folgern, daß alle Zentrumsstimmen, wenn sie nicht für einen Zentrumskandidaten zum Zuge kommen, nun ohne weiteres auf Sie bzw. einen Kandidaten Ihrer Partei gefallen wären, das hieße denn doch den politischen Sinn der Zentrumspartei und die politische Auffassung der Zentrumswähler verkennen. (Frau Weber: Ich habe Ihnen ja gesagt, das war Ihr gutes Recht!) Aber dann wundere ich mich um so mehr, daß Sie diese Bemerkung machen. Denn Sie sind doch offenbar auch durch die Mithilfe anderer Parteien nicht zum Zuge gekommen, deren gutes Recht das ebenso war. Ich wundere mich, daß Sie das gute Recht gerade mit Rücksicht auf die Zentrumspartei betonen und diese Bemerkung gerade an die Adresse der Zentrumspartei richten. Es ist notwendig, daß man diese Dinge einmal klarstellt und zwar gerade in diesem Augenblick. Das scheint mir dringend notwendig zu sein. Ich könnte Ihnen ja mit der Gegenfrage aufwarten, warum denn andere sogenannte christliche Kandidaten in anderen Wahlkreisen durchgefallen sind, in denen das Zentrum überhaupt keine Kandidaten aufgestellt hat. Ist man denn sicher, meine Damen und Herren, daß alle Zentrumswähler, wenn sie keine Gelegenheit haben, zum Zentrum zu gehen oder einen Zentrumskandidaten zu wählen, nun gerade einen Kandidaten der CDU wählen würden? Ich glaube nicht. Darum möchte ich für meine Person keinen Zweifel darüber lassen, daß wir in dieser Beziehung ganz anderer Auffassung sind. Frau Kollegin Weber, noch aus der jüngsten Zeit zeigt das Beispiel Bremen, das ich bestimmt nicht begrüße, das ich ganz außerordentlich bedaure, doch sehr deutlich, von welch großer und tiefer Sorge wir gerade vom Zentrum in dieser Beziehung bewegt sind, -

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und ich bitte Sie, dafür auch besonderes Verständnis zu haben. Ich unterstreiche nochmals, was ich gestern für meine Partei ausführen durhe. Vom Boden der Weltanschauung aus können unterschiedliche politische Zielsetzungen zu völlig unterschiedlichen politischen bzw. parteipolitischen Gemeinschahen führen. Das ist einer der Gründe mit, warum wir uns gerade für dieses Wahlgesetz und für die Vorlage einsetzen, die hier zur Diskussion steht. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Mücke. Dr. Mücke (SPD): Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. v. Brentano hat heute vormittag bei der Verteidigung des Mehrheitswahlsystems u.a. gesagt, daß es eine wesentliche Aufgabe sei, die Vertriebenen in das politische Leben hineinzubringen. Das ist eine absolut richtige Feststellung, insbesondere im Hinblick darauf, daß das kommende Bundesparlament, soweit es die deutsche es gibt auch eine internationale Seite dieses Problems -, über Seite angeht das Schicksal der Vertriebenen zu entscheiden haben wird. Daraus folgt, daß die Vertriebenen in diesem Parlament entsprechend der Bedeutung dieses Parlaments und der Bedeutung der Aufgaben, die es auch für sie zu erfüllen hat, entsprechend ihrem Anteil mitzubestimmen haben und nicht, wie es beispielsweise in diesem Hause ist, im Verhältnis 65 : 1. Das Mehrheitswahlsystem, wie und das ist nicht nur eine es von der CDU/CSU angestrebt wird, würde Meinung meiner Parteifreunde, insbesondere der Vertriebenen unter ihnen, das ist, wie ich hier feststellen möchte, die Meinung wohl aller oder mindestens des weitaus überwiegenden Teils aller Vertriebenen, einschließlich der Anhänger der CDU/CSU —, ich sage, dieses Mehrheitswahlsystem würde in der heutigen Zeit einen Faustschlag ins Gesicht der Vertriebenen bedeuten. Es würde vielleicht den entscheidenden Niederschlag der Vertriebenen überhaupt bedeuten. Man muß doch gerade bei diesem Problem die Dinge nüchtern und ohne Ressentiment sehen. Das Vertriebenenproblem ist ein Problem der Eingliederung auch auf der politischen Ebene. Wie sieht es da aus? Es ist eine Tatsache, die trotz aller schönen Worte nicht wegzuleugnen ist, daß es heute noch, vier Jahre seitdem es in Deutschland ein Problem der Vertriebenen gibt, sowohl materiell wie ideologisch gesehen einen echten Gegensatz zwischen den Vertriebenen und den Einheimischen gibt. Diese Situation wird am besten durch eine Antwort charakterisiert, die mir der Herr Abgeordnete Kaufmann anläßlich der Diskussion im Wahlrechtsausschuß einmal gegeben hat. Er hat mir auf den Einwand, daß bei einem Mehrheitswahlsystem in Einmann-Wahlkreisen die Vertriebenen nicht einmal dazu kommen würden zu kandidieren, wörtlich gesagt: Wie können Sie eine örtliche Partei veranlassen, einen Fremden als Spitzenkandidaten kandidieren zu lassen? (Kaufmann: Das ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen!) Das ist nicht aus dem Zusammenhang gerissen, es ist eine tatsächliche Feststellung. Es ist so, der Vertriebene wird heute noch tatsächlich besonders dort, wo der Mensch sich dem Menschen gegenübersteht als Fremder angesehen, wir brauchen uns da nichts vorzumachen. Wir müssen als Politiker von dem ausgehen, was ist, und es ist so. Das liegt in dem Problem, das liegt in der Unzulänglichkeit der Mittel. Die Vertriebenen sind ja nicht in ein aufnah-

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mebereites Land hineingekommen, sondern das wissen sie selbst am besten in ein durch den Krieg zerstörtes Land. Dieses Problem des Geben- und Nehmenmüssens ist schwer, aber man muß doch von diesen Tatsachen ausgehen. Ein Fremder bedeutet eine Minderheit. Es ist eine beachtliche Minderheit, ich meine die Minderheit von 7,5 Millionen von 45 Millionen. Heute würde aber die Durchführung dieses Mehrheitswahlsystems eine Unterdrückung dieser Minderheit bedeuten, einer Minderheit von der hier festgestellt worden ist, daß es eine wesentliche Aufgabe ist, diese Minderheit in das politische Leben hineinzubringen. Ich sehe bei einem Mehrheitswahlsystem hierfür keine Möglichkeit, obwohl das Mehrheitswahlsystem für normalisierte Verhältnisse durchaus seine Vorteile hat zur Aufhebung der Zersplitterung der Parteien. Aber wir leben in einer außergewöhnlichen Situation und wir müssen hier außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen. Wir müssen dieser Situation Rechnung tragen. Ich glaube, daß der uns vorliegende Entwurf das tut, indem für die Vertriebenen die Möglichkeit besteht, wenn sie schon nicht in den einzelnen Stimmkreisen kandidieren oder gewählt werden, über die Landeslisten bzw. die Bundesliste gewählt zu werden. Und ich möchte noch ein Weiteres sagen. Es ist so und das ist auch nicht selbst den wenn eine Partei -: Mut in einem Einmannhätte, wegzuleugnen Wahlkreis einen Vertriebenen aufzustellen, so würde es viele einheimische Wähler geben, die vielleicht diese Partei wählen würden, wegen des Flüchtlingskandidaten aber dann einem einheimischen Kandidaten der Gegenpartei den Vorzug geben. Man soll sich hier nichts vormachen, das ist nun einmal -

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so.

Der vorliegende Entwurf trägt also den Verhältnissen, soweit die Vertriebenen in Frage stehen, am besten Rechnung. Die CDU/CSU sollte es sich überlegen, ob sie für ein System eintritt, das letztlich auch gegen den Willen ihrer eigenen Anhänger aus Flüchtlingskreisen einen Zustand verewigen würde, der unmöglich und untragbar ist, nämlich das Vor-der-Türe-Stehen auch im öffentlichen Leben von Millionen von Menschen, die sich in einer schwierigen Situation befinden und deren Situation gemeistert werden muß. Es wird, wenn dieses vorliegende Wahlgesetz angenommen wird, weiter darauf ankommen, da neben den Parteien die Möglichkeit einer Wahlbeteiligung für Wählergruppen nicht besteht, daß die Parteien auch von sich aus dem Umstand Rechnung tragen, daß sie den Vertriebenen die Möglichkeit geben, auf den Listen zu kandidieren. Hier liegt eine große Verantwortung für alle Parteien. Das Flüchtlingsproblem ist ein Problem, das quer durch alle Parteien geht. Hier muß von den Parteien

daher

Vorsorge getroffen werden, daß berechtigten Ansprüchen der VertriebeRechnung getragen wird. Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn ich abschließend feststelle: wenn man diesen berechtigten Belangen nicht Rechnung trägt, dann würde, um zum Schluß noch ein Wort des Kollegen v. Brentano zu zitieren, im wahrsten Sinne nen

des Wortes sowohl die Zusammensetzung wie die Struktur des zu wählenden Parlaments für den Stil unserer neuen Demokratie entscheidend sein. Diese Entscheidung würde dann aber nicht im Parlament, sondern außerhalb des Parlaments fallen. 381

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Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Kroll. Dr. Kroll (CSU): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, allein die Tatsache, daß die Wahlrechtsdebatte im Parlamentarischen Rat einen solchen Umfang erreicht hat, weist auf die ungeheure Bedeutung des Wahlrechts ich in der kommenden Demokratie zur Genüge hin. Wenn es sich hier nur habe es schon einmal ausgeführt um eine technische Gestaltung handeln würde, dann würde das Für und Wider von allen Seiten nicht so viel erwogen worden sein. Auch diejenigen Anhänger, die zum Teil, wie besonders der letzte Redner, sehr gewichtige Gründe gegen das reine Mehrheitswahlrecht vorgetragen haben, sind irgendwie davon bestimmt, daß heute die Öffentlichkeit aus dem Gesamtkomplex der Beratungen im Parlamentarischen Rat von der Frage der künhigen Gestaltung des Wahlrechts mit am meisten beeindruckt wird. Ich glaube, daß auch über diese Entscheidung hinaus immer wieder in der Zukunh das Wahlrecht aus staatspolitischen Gründen in den Mittelpunkt der Diskussion rücken wird. Wieviel Argumente ich sagte vorhin, durchaus gewichtige Argumente, ich liebe keine Schwarzweißmalerei und liebe nicht die Art, nur das eine zu sehen und das andere zu übersehen man auch immer aufbringen wird, man wird sich der Tatsache nicht verschließen können, daß der Gedanke, über eine Wahlrechtsreform eine entscheidende Neuerung des demokratischen Staatsgefüges zu erzielen, im Volke Fuß fassen wird. Meine verehrten Zuhörer, da muß ich Ihnen sagen, das ist ein Erfolg für die Demokratie als solche. Wenn es heute überhaupt gelingt, ein Problem so populär zu machen, daß man sich nicht nur im Parlamentarischen Rat, sondern in allen möglichen Ausschüssen, in neutralen Gesellschaften, aber auch schon irgendwo draußen in den Dörfern interessiert und fragt, was ist denn eigentlich mit diesem Wahlrecht los, was hat es auf sich, schickt uns einmal einen Redner hinaus, wir wollen aufgeklärt werden und das zu einem an sich technischen Problem -, dann können Sie daraus ersehen, daß hier eine Gärung in Gang kommt, die für die Gesamtdemokratie von ungeheurer Bedeutung sein wird. Ich muß etwas im Gegensatz zum Herrn Kollegen Renner sagen, der unserem Vorsitzenden des Hauptausschusses, Professor Carlo Schmid, Umfälle in beliebiger Zahl nachzuweisen versucht. Nun, Herr Renner ist ein guter Taschenkünstler, er kann viel beweisen, vor allem wenn man nicht in der Lage ist, ihm unmittelbar durch Zwischenrufe so viel zu erwidern, wie es notwendig wäre. Ich muß also sagen, daß ich die Haltung von Professor Schmid durchaus verstehe. Er hat zunächst nur die großen und gewichtigen Argumente für das relative Mehrheitswahlrecht herausgestellt und hat gesagt, daß man sich in etwa ich kann ihn nicht wörtlich zitieren für künhige Zeit die Hände heihalten muß, daß die Argumente, die er im Augenblick dagegen hat, einmal vielleicht in Wegfall kommen können. Seine Argumente waren auch zeitbedingt. Er wies auf die Besatzungsmächte hin. Er wies auf die Tatsache hin, daß wir gar kein heies Spiel der Demokratie haben. Er wies auf die Tatsache hin, daß die Spielregeln der echten Demokratie von Regierung und Opposition bei uns dadurch zu Verzerrungen führen könnten, daß fortgesetzt eine Regierung gezwungen ist, Verantwortung für etwas zu übernehmen, wofür sie im Grunde gar keine Verantwortung übernehmen kann, weil sie sie gar nicht hat, weil sie bei -



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den Besatzungsmächten liegt. Das sind sehr wichtige Argumente, und ich werde mich mit ihnen etwas zu beschäftigen haben. Daraus können Sie ermessen, daß die SPD, die im übrigen auch schon hüher ich erinnere an Dr. Otto Bauer109), den Führer der österreichischen Sozialdemokratie, der ebenfalls schon im Jahre 1929 auf die Bedeutung einer Wahlrechtsreform in Österreich im Sinne einer stärkeren Hinführung zum Mehrheitswahlrecht hingewiesen hat sich damit befaßt hat, ich sage, daß die SPD in ihrer Haltung durchaus bereit ist, die ungeheure Bedeutung zuzugeben, die der Gedanke des Mehrheitswahlrechts an sich hat. Sie hält im Augenblick die Zeit nicht für gekommen und hat Argumente dafür angegeben, und ich bin nicht so boshah wie Kollege Renner, ihr andere Argumente zu unterschieben, als sie sie genannt hat. Aber bleiben wir einmal dabei. Das, was Professor Schmid in seiner Argumentation zwar nicht übersieht, aber nicht so herausgearbeitet hat, ist das eine Argument, unter dem wir an sich schon stehen, daß nach Verhältniswahlrecht gewählte Parlamente immer eine geringere Chance haben, das Gesetz, unter dem sie angetreten sind, noch einmal zu verlassen. Theoretisch gesetzt den Fall, die zwei größten Parteien hätten die Mehrheit und würden sich einmal auf das Mehrheitswahlrecht einigen, so bin ich der Meinung, eine falsche Weichenstellung am Anfang kann unter Umständen bedeuten, daß das Gewicht der Tatsache der vielen kleinen Parteien verhindern wird, daß es geschieht. Setzen wir uns doch nicht ein für formale Gerechtigkeit im Sinne der arithmetischen Verteilung von Stimmen und Sitzen, sondern im Sinne eines Funktionierens des Staatslebens in einem gewollten Zwei- oder Dreiparteiensystem, jedenfalls in einem System, von dem Sie hier erklärt haben, daß es ein System der Minderheitsregierung sei, ein System der Ungerechtigkeit, praktisch ein System der Vergewaltigung. Es hat nur noch gefehlt, daß das Wort Nazisystem geprägt wurde, dann wäre der Beweis lückenlos geschlossen gewesen, daß England und die Vereinigten Staaten eigentlich unter einer Diktatur leben. Das war für mich die größte Überraschung, in der Argumentation der übrigen immer wieder zu hören, daß wir im Mehrheitswahlrecht etwas zu erblicken haben, was hundertprozentig undemokratisch ist. Meine verehrten Zuhörer, ich möchte Ihnen darauf folgendes sagen. Ich glaube, wir Deutsche haben allen Grund und alles Recht, kraft unserer glorreichen demokratischen Vergangenheit als Lehrmeister der Demokratie den angelsächsischen Völkern gegenüberzutreten und ihnen zu erklären: Wenn ihr erst einmal Demokratie sehen wollt, dann lernt von uns, kommt zu uns, die wir das absolut patentierte gerechte Verhältniswahlrecht haben, und begreift, daß ihr unter der Diktatur lebt und daß ihr überhaupt noch nie ein demokratisches Verhältnis bei euch entwickelt habt. Ich glaube, die Herren, die so argumentiert haben, haben wirklich wider besseres Wissen argumentiert. Denn es ist doch schlechterdings unvorstellbar, diese Argumente immer wieder vorzubringen und sich nicht zu vergegenwärtigen, daß es sich dabei um die gut funktionierenden -

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')

Otto Bauer (1881-1938), österreichischer, sozialdemokratischer Politiker. Detlev Albers: Versuch über Otto Bauer und Antonio Gramsci. Zur politischen Theorie des Marxismus. Berlin 1983.

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der Demokratie handelt, während Herr v. Brentano eingangs vielleicht nicht in einem exakten Kausalzusammenhang nachgewiesen, aber die Tatsache angedeutet hat, die nicht zu leugnen ist und die ich so formulieren möchte, damit auch Herr Professor Heuss nichts dagegen sagen kann, nämlich die Tatsache, daß die demokratischen Systeme, die auf dem Boden des Verhältniswahlrechts aufbauen, in einer ganz besonderen Weise für die Diktatur anfällig sind. Über die Hintergründe dieser Anfälligkeit haben wir uns hier schon unterhalten; ich will Sie damit nicht langweilen, aber ich will Ihnen ins Gedächtnis zurückrufen, diese Anfälligkeit beruht zum Schluß darauf, daß das Verhältniswahlrecht hier möchte ich auf die Ausführungen von Frau Wessel eingehen gewiß bei einigen Parteien so angewandt werden kann, daß sie beste Demokraten ins Rennen schicken. Ich möchte dem Zentrum das Kompliment machen, daß ich ihm zutraue, daß es das zustande bringt. Ob aber die WAV110) oder die KPD oder wie sie heißen mögen, immer nach diesem demokratischen Rezept verfahren und ihre besten Demokraten und nicht ihre besten Demagogen ins Rennen schicken, Frau Wessel, das weiß ich nicht. Da bin ich der Meinung, daß das Verhältniswahlrecht in einer ausgezeichneten Weise die

Systeme

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Demagogen begünstigt.

(Renner: Ist das nicht auch eine Taschenspielerei, die Sie sich erlauben?) Herr Renner, ich wage auch einmal ein offenes Wort zu reden, nachdem sonst nur Sie den Vorzug haben. Also reden Sie doch nachher. (Renner: Das ist blöde, aber nicht offen!) Über die Qualität der Redner wollen wir nicht streiten, Herr Renner. Aber wenn Sie sich angegriffen fühlen, ich glaube, Sie stehen mit dem Herrn Präsidenten so gut, daß er Ihnen auch außer der Reihe noch einmal das Wort erteilen wird.

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(Heiterkeit.) Ich glaube, da brauchen Sie keine Angst zu haben. Die Tatsache ist jedenfalls nicht abzuleugnen, daß das Verhältniswahlrecht das Heraufkommen kleiner und kleinster Gruppierungen unendlich begünstigt. Und keiner der Redner hat dagegen etwas sagen können. Es handelt sich nicht nur um die hier vertretenen Parteien, sondern um die noch ungeborenen, die vielleicht noch kommen werden. Denken Sie an die 1000-Mark-Aufwerter, die wir einmal hatten111)! Vielleicht gibt es auch einmal eine Partei zur Abänderung der Währungsreform, und ich weiß nicht, was wir da noch alles erleben werden; zwei Parteien für und drei Parteien gegen den Lastenausgleich usw. Alles Gruppierungen, die das Verhältniswahlrecht geradezu hervorreizt. Ein sehr kluger Beobachter hat einmal gesagt, es ist das Wesentliche an den Formen ich glaube auch, daß Herr Professor Heuss die Formen nicht ganz so unwichtig nimmt, wie er es hier getan hat; ich werde darauf gleich noch zurückkommen -, daß sie schon etwas bedeuten, nämlich je nach dem, was sie erleichtern und was sie behindern. Das Verhältniswahlrecht erleichtert, um es -

110)

Hans Woller: Die Loritz-Partei.

Geschichte, Struktur und Politik der Wirtschaftlichen

Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945-1955. Stuttgart 1982. m) Zur Aufwertungspartei siehe Dok. Nr. 11, Anm. 71. 384

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einmal

grob zu formulieren, den Streithähnen, ihre Meinungen in besonderen Gruppen auszutragen. Das Mehrheitswahlrecht erschwert es. Das Mehrheitswahlrecht zwingt kraft der Konstitution der Wahlkreise mit dem einen Abgeordneten, der gewählt wird, sich zunächst einmal bis zu jener Grenze zu einigen, die überhaupt menschenmöglich ist. Es beweist, daß man sich dann eben doch weitgehend verständigt. Es führt dazu, daß die maßvollen Männer und Frauen wesentlich bei der Entscheidung beteiligt sind und nicht die Radikalinskis, die immer damit drohen, daß sie ihren eigenen Laden aufziehen. Das

ist die entscheidende Tatsache. Noch ein Wort zur Form. Hier wird auch ein Argument sehr häufig gebraucht, aber immer mit wechselndem Vorzeichen. In der Wahlrechtsdebatte hieß es immer wieder: Formen aus anderen Ländern kann man doch nicht einfach auf deutsche Verhältnisse übertragen, das ist doch völlig unmöglich; wir müssen unsere eigene Form entwickeln. (Dr. Heuss: Man kann sie übertragen; man soll ihnen nur keine Beweiskraft

geben.)

Der Herr

Rousseau112)

war

kein Deutscher, aber die Gedanken, die

er

gedacht hat, bemühen wir uns ununterbrochen zu vollziehen. Der Herr Montesquieu113) war auch kein Deutscher, und doch ist seine Lehre von der Dreiteilung der Gewalten für alle modernen Staatswesen verbindlich geworden. Ich glaube nämlich, daß man sehr unterscheiden muß zwischen Formen, die wirklich lokal gebunden sind, und solchen, die es nicht sind, die eine gewisse -

Übertragbarkeit

in sich haben. Herr Professor Heuss, die seltsame Tatsache, daß englische Mehrheitswahlrecht außer in England auch in den britischen Dominions mit gleichem Erfolg angewandt hat, beweist, daß man es auf noch viel heterogenere Völker übertragen kann als etwa auf uns arme Deutsche. Warum wir dafür eintreten, das ist an sich eine bekannte Tatsache. Was die berühmte Frage der Wahlarithmetik angeht ja, du lieber Himmel, Herr Renner, Sie werden doch nicht glauben, daß wir es in der Tasche haben, zu wissen, wer im künftigen Bundestag die Mehrheit hat. Das wissen wir genau so wenig, wie Sie es wissen oder wie die SPD es weiß. Hier ist eben einmal der Taktiker mit seinen zuschanden geworden. Ich glaube, das ist überhaupt derjenige, den Herr Dr. Becker vergessen hat. Er hat nur die Strategen genannt. Ich habe die Wahlrechtstaktiker vermißt. Die haben nämlich letzten Endes auch dieses Gesetz gemacht. Strategisch ist aber ein Denken, das glaubt, daß wir uns aufgrund der Erkenntnisse, die wir heute nun einmal über die Zusammenhänge zwischen Mehrheitswahlrecht und einem Zwei- oder Dreiparteiensystem, also einem Wenig-Parteiensystem haben, eine weitere Aufspaltung in Deutschland nicht leisten können. Hierzu noch ein Wort, Herr Professor Heuss. Ich gestehe Ihnen die Sonderstellung etwa der Liberalen hinsichtlich CDU oder SPD völlig zu. Kein Mensch wird sie Ihnen streitig machen. (Dr. Heuss: Davon habe ich gar nicht geredet.) man

das

-

Überlegungen

112) Rousseau siehe Dok. Nr. 7, Anm. 14. 113) Montesquieu siehe Dok. Nr. 2, Anm.

76.

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Aber eins muß gesagt werden: die Tatsache, daß das Volk nicht gewillt ist, sich an einer Demokratie zu beteiligen, die sich in immer weitere Gruppen neu aufsplittern wird das wird geschehen, das wird auch durch dieses Wahlrecht wieder geschehen, und vier Jahre sind dazu eine überlange Zeit -, diese Tatsache kann der Demokratie als solcher sehr gefährlich werden. Hier ist mein Argument folgendes. Man muß sich entscheiden, was einem das wichtigste Grundprinzip ist. Es kann sein, daß die formale Gerechtigkeit über alles zu stellen ist. Aber dann müssen Sie über die formale Gerechtigkeit, wie schon Piaton ich habe es schon einmal gesagt es im 10. Buch des „Staates"114) für alle Zeiten gültig beschrieben hat, in Kauf nehmen, daß sich daraus die Anarchie und aus der Anarchie die neue Diktatur entwickelt. Gegenüber der Behauptung des Herrn Renner, daß der Herr Hitler in Deutschland mit dem Mehrheitswahlrecht schon längst vor dem Jahre 1933 an die Macht gekommen wäre, möchte ich folgendes sagen. Herr Renner, die schönsten Argumente, mit denen er sich an die Macht durchringen konnte, hätten ihm dann gefehlt, ihm hätten die Argumente mit den Splitterparteien, mit der unseligen Zerrissenheit des deutschen Volkes und mit der verächtlichen, schwachen, läppischen Demokratie gefehlt. Mit einem solchen Argument kann man in England keine Partei gründen, wie die Partei des Herrn Mosley115), von der ich glaube, daß sie heute noch existiert, beweist. Man kann sich vielmehr drüben nur lächerlich machen. Da muß ich sagen, ich wünschte, wir hätten einen Zustand, bei dem wir uns gleichfalls damit nur lächerlich machen könnten, wenn gesagt wurde, bei uns sei eine starke Demokratie erst durch eine Diktatur aufzubauen. Mir wäre es lieber, wir würden die Voraussetzungen an anderer Stelle schaffen. Auch Herr Dr. Becker darauf möchte ich noch einmal hat heute eigentlich insofern mit schlechtem Gewissen gezurückkommen anderer Stelle einen Antrag laufen hat, der das Gegenteil als er an sprochen, von dem erreichen will, was er mit dem Verhältniswahlrecht bezweckt, nämlich eine lebensfähige Demokratie. Ich erinnere hier an den Antrag Dr. DehlerDr. Becker betreffend das Präsidialsystem116). Wir werden zu diesem System noch Stellung zu nehmen haben. Ich werde es persönlich unter allen Umständen unterstützen. Wir werden dann vielleicht die Gelegenheit nehmen, einen Teil der Zersplitterung durch eine andere Form an einer anderen Stelle innerhalb des demokratischen Aufbaus wieder gutzumachen, einen Teil dessen, was heute durch dieses Wahlrecht auf lange Sicht vermutlich schlecht gemacht wird. Ich möchte mich zum Abschluß noch mit zwei Argumenten beschäftigen. Das eine ist die Frage der Frau, und das andere ist die Frage der Flüchtlinge. Bei den Frauen habe ich mich belehren lassen. Da hat der Parlamentarische Rat eine Formulierung beschlossen, nach welcher nunmehr künhig auch für alle -

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v. Chr.); R. Maurer: Piatons „Staat" und die Demokratie. Berlin 1970. 115) Sir Oswald Mosley (1896-1980), englischer Politiker, Gründer der faschistischen Neuen Partei, die mehrfach umbenannt wurde. llß) Antrag Dehler-Becker betr. Präsidialsystem siehe Drucks. Nr. 486.

114) Piaton, griechischer Philosoph (428 ?)-348/347

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Zeiten Männer und Frauen die gleichen Rechte und auch Pflichten haben sollen117). Damit ist doch klargestellt, daß sie auch die gleichen Chancen haben müssen. Die gleichen Chancen aber, Herr Renner und Frau Wessel oder wer auch immer hier dazu gesprochen hat —, haben sie im Verhältniswahlrecht und im Mehrheitswahlrecht. Sie sprachen immer von den 60% der Wähler, die Frauen sind. Was hindert die Frauen daran, sich untereinander besonders dahingehend zusammenzuschließen, nur Frauen in den Bundestag zu wählen? (Dr. Seebohm: Die Männer hindern sie daran! Zuruf des Abg. Renner.) Ach, der Herr Kardinal Frings118) hindert sie daran? Sie haben eine Vorstellung von dem Kardinal Frings, als sei er der Deus ex machina, der hier über dem Parlamentarischen Rat schwebt. Sie haben aber vergessen, daß der Herr Präsident Dr. Adenauer auch noch jemand ist, der in seiner Funktion etwas zu sagen hat, und daß sich die beiden nicht immer einig sind. Sie wissen ganz genau, so ganz kann es nicht stimmen, Herr Renner. Im übrigen sind wir gar nicht so zahm, daß wir zu allem ja sagen. So sehen wir auch gar nicht aus. Ich persönlich habe von dem Herrn Kardinal Frings noch nicht eine einzige Anweisung entgegengenommen, Herr Renner, das sei Ihnen hier auch einmal gesagt. Grundsätzlich kann man in der Demokratie nur die gleichen Chancen geben. Man kann nicht ein System aufbauen, das wieder von der Gleichheit dieser Chancen abgeht. Die gleiche Chance ist formell gegeben. Wie sie genutzt wird und ob sie genutzt wird, ist eine Sache, die mit dem Gesetz oder mit der Wahlmethode nichts mehr zu tun hat, sondern die vielleicht damit etwas zu tun hat, inwieweit man auf besondere Belange der weiblichen Psyche in diesem Sinne des Abgeordnetenseins Rücksicht nimmt und Rücksicht nehmen will. Das hat aber mit dem Wahlrecht nichts zu tun, sondern das hat mit den Männern etwas zu tun. Und die Männer können unter dem Verhältniswahlrecht und unter dem Mehrheitswahlrecht Rücksicht nehmen. Die Frauen könnten formell ihre Frauen mobilisieren. Die Chancen und das Recht dazu haben sie, niemand wird es ihnen streitig machen. Außerdem glaube ich folgendes sagen zu können, Frau Wessel. Die wirklich hervorragenden Frauen und wir haben doch eine ganze Handvoll davon werden sich auch gegen die Männer durchsetzen. Von den Frauen, die wir hier sehen, sind wir restlos überzeugt, daß sie sich auch in Zukunh wieder durchsetzen werden. Das ist unsere Hoffnung. Wir hoffen, daß es ihnen gelingen wird, auch Nachfahren und Jüngerinnen zu finden, die in gleicher Weise das Panier der Frau hochhalten und für ihre Rechte aktiv eintreten. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß der Beschluß des Parlamentarischen Rates, die Gleichheit zwischen Mann und Frau herbeizuführen, überwiegend von Männern gefaßt worden ist und daß die Männer gar nicht so boshah und bösartig sind, wie man vielfach aus diesen Reden hier entnehmen könnte. -

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7) 8)

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Der hier zitierte Art. 4 in der Fassung der ersten Lesung des HptA (Entwürfe, S. 42; Der Pari. Rat Bd. 7, S. 92) entsprach nicht mehr der Beschlußlage. Vgl. Art. 4 der Fassung der 3. Lesung des HptA (20. Febr. 1949), Entwürfe, S. 196; Der Pari. Rat Bd. 7, S. 397. Kardinal Frings siehe Anm. 61.

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Abschließend zu dem sehr ernsten Flüchtlingsproblem. Herr Dr. Mücke hat gesagt, daß das reine Mehrheitswahlrecht zweifelsohne dazu beitragen würde, daß die Flüchtlinge innerhalb der Wahlkreise sich nicht als Kandidaten durchsetzen könnten. Ich habe mit Herrn Dr. Mücke schon hüher Unterhaltungen über dieses sehr schwierige Thema gepflogen. Ich habe ihn dann einmal gefragt: Herr Dr. Mücke, wünschen Sie eigentlich die Flüchtlingspartei? Letzten Endes gehen die Argumente, die Herr Dr. Mücke vorschlägt, darauf hinaus, der Sonderstellung der Flüchtlinge durch eigene Abgeordnete gerecht zu werden, was entweder im Rahmen der Parteien oder, wenn das nicht genügend geschieht, in einer besonderen Flüchtlingsbewegung geschehen müßte. Herr Dr. Mücke hat das abgelehnt, und ich glaube, mit guten Gründen. Der Zustand darf unter keinen Umständen verewigt werden, daß zwischen den Flüchtlingen und den Einheimischen keine Brücke geschlagen wird. Er darf auch nicht dahingehend aufrechterhalten werden, daß sich zum Schluß aus der Abseitsstellung ein abseitiges Recht entwickelt, das in einer ganz besonderen Weise dazu angetan ist, diesen unseligen und das sei hier noch einmal gesagt von uns nicht zu verantwortenden Zustand zu verewigen. Ich gebe durchaus zu, daß das Flüchtlingsproblem im Augenblick ungelöst ist und daß es weder durch das Verhältniswahlrecht noch durch das Mehrheitswahlrecht gelöst werden kann. Denn auch beim Verhältniswahlrecht hat sich gezeigt und Herr Dr. Mücke hat seine Beispiele bisher aus dem Verhältniswahlrecht gebracht -, daß die Durchsetzung und Aufstellung von Kandidaten überaus schwierig, teilweise unmöglich ist. Hier gibt es gar nichts zu beschönidas wäre auch im Rahmen gen. Man hätte sich vielleicht überlegen sollen des Mehrheitswahlrechts möglich gewesen -, für die vierjährige Bundestagswahl eine einmalige Sonderstellung der Flüchtlinge zu schaffen und ihnen die Chance zu geben, unter allen Umständen mit einer bestimmten Zahl von Vertretern in den Bundestag einzuziehen, weil hier ein abnormer und absonderlicher Fall vorliegt. Innerhalb des bestehenden Systems, gleichgültig, ob Verhältniswahlrecht oder Mehrheitswahlrecht, müssen sich die Flüchtlinge innerhalb der Parteien durchsetzen. Das haben sie zum Teil getan und das werden sie in Zukunh noch stärker tun müssen. Daß sie dabei Widerstände zu überwinden haben werden, weiß Dr. Mücke so gut, wie ich es weiß. Daß diese Widerstände nicht immer sachlich und gerechtfertigt sind, das wissen wir alle beide, und das wissen Sie alle auch. Aber daß sie nicht durch die Form des Wahlrechts beseitigt werden können, das wissen wir erst recht. Ich bin der Meinung, über dieses Problem hätte noch sorgfältig diskutiert werden müssen, was geschehen kann, um eine wirklich verbürgte Zahl von Flüchtlingen in den Bundestag zu bringen. Aber, Herr Dr. Mücke, Sie werden mir zugeben, weil wir beide auf lange Sicht wollen, daß weder das Flüchtlingsproblem in einer Sonderrechtsstellung verewigt wird vielmehr soll es nach menschlichem besten Wissen und Gewissen gelöst werden -, noch daß die heutigen staatspolitischen Entscheidungen nur von gegenwärtigen Erwägungen getroffen werden, muß man die keine Augenblickshage, sondern eine bei dieser Frage des Wahlrechts von Frage langhistiger ungeheurer Bedeutung ist grundsätzlich entscheiden. Diese grundsätzliche Entscheidung kann nicht lauten: heute Verhältniswahl-

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recht und morgen vielleicht Mehrheitswahlrecht, weil das Verhältniswahlrecht heute auch das Verhältniswahlrecht morgen bedingt. Aus diesem Grunde haben wir uns für diese Linie entschieden, und ich glaube Ihnen sagen zu dürfen, daß das Volk im Ganzen unsere Entscheidung versteht. Wir bekommen von allen Seiten Zuschriften, die verlangen, der Parlamentarische Rat solle mit seiner Entscheidung vorsichtig sein, er solle sich nicht in dem Sinne festlegen, daß er allein die endgültige Entscheidung trifh. Man verlangt die Volksabstimmung über das Wahlgesetz. Es ist hier nicht meine Sache, noch zu diesem Punkt zu diskutieren. Aber überlegen sollte man sich: wenn das Volk, von dem wir doch nach Rousseau119) sagen, daß es der eigentwir sprechen immer wieder von der Volkssouveränität -, liche Regent sei verlangt, daß ihm das Wahlgesetz zur Abstimmung vorgelegt wird, dann sollten die Repräsentanten des Volkes hellhörig sein, sollten in ihrer Entscheidung vorsichtig sein und sich überlegen, wie sie es am besten anstellen, daß sie wirklich und wahrhaftig dem Willen des Volkes gerecht werden. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat als letzter Redner auf der Rednerliste Herr Dr. Schmid. Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren, nur wenige Worte. Ich fühle mich verpflichtet, Herrn Dr. Kroll zu antworten. Denn er hat vergessen, eines der Argumente, die ich gegen ein Mehrheitswahlrecht in dieser Zeit vorgebracht habe, seiner Kritik zu unterziehen. Man sollte bei der Frage, welches der beiden Wahlsysteme gewählt werden soll, nicht allzu sehr sich des Arguments bedienen, eines sei demokratischer als das andere. Demokratie ist unter beiden Systemen möglich und Demokratie kann unter beiden Systemen verunmöglicht werden. Ebenso aber ist richtig, daß unter beiden Systemen regiert werden kann, wenn man vom Regieren etwas versteht. Und ebenso sicher ist, daß unter beiden Systemen kleine Parteien, sogar Zwergparteien möglich sind. Unter dem System des Mehrheitswahlrechts werden Sie die Heimatparteien züchten. Und Heimatparteien, mögen sie so oder so, mögen sie mehr oder weniger ehrenwert sein, sind kein gutes Einbringen in ein demokratisches politisches System. Man begeht bei diesen Diskussionen häufig den Fehler, daß man von einer apriorischen Feststellung ausgeht. Man sagt: dieses oder jenes Wahlrecht wird, wenn es rein durchgeführt wird, das schlechthin Gute, auf alle Fälle aber durch seine bloße Mechanik das Bessere bringen. Das ist falsch. Ein Wahlrecht hat ein Parlament zu produzieren. Dieses Parlament ist ein Instrument der Politik. Es hat eine Regierung aus sich hervorzubringen. Diese Regierung muß sehen, wie sie mit diesem Parlament, unter Umständen auch gegen das Parlament, wenn es sich unsinnig zeigen sollte, regieren kann. Man spricht so oh von dem schlechten Beispiel, das die Vierte Republik in Frankreich gibt. Dort wird heute ein ausgezeichnetes Beispiel gegeben, was Regieren heißt. Ich habe alle Bewunderung vor dem Kabinett Queuille120), wie es bei diesen Mehrheitsverhältnissen die allerdings dem Verhältniswahlrecht zu verdanken waren mit den Situationen fertig geworden ist, vor die sie das letzte Jahr gestellt hat. -



-

1Q) 20)

Rousseau siehe Dok. Nr. 7, Anm. 14. Henri Queuille siehe Anm. 34.

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Man muß

allerdings regieren wollen und regieren können. Das ist das Entscheidende. Und dabei ist es nicht so sehr wichtig, welche Art von Wahlsystem man angewandt hat. Ich weiß nicht, und niemand von uns weiß es hier, welches der beiden Systeme uns in der Zukunft mehr Vorteil bringen könnte und wie es sich in den nächsten vier Jahren auswirken wird. Man weiß heute nicht einmal, welches der beiden Systeme die Tätigkeit der Regierung auch nur erleichtern wird. Auch das wird sich erst später zeigen. Aber eines können wir uns jetzt vielleicht schon überlegen. Wir können uns die Frage stellen: Ist eines dieser Systeme so, daß die Gefahr besteht, daß das deutsche Volk es nicht aushält, wenn dieses System auf seinen jetzigen Zustand angewandt wird? Es könnte durchaus sein, lieber Herr Kollege Dr. Kroll, daß man bei Anwendung Ihres Rezepts den alten Arztwitz wiederholen könnte: „Operation geglückt, Patient gestorben." Denn stellen wir uns doch vor, was wenn wir in diesem Jahre nach dem reinen Mehrheitswahlsystem wählen sollen geschehen wird! Man wird praktisch von den paar Heimatparteien sehe ich ab zwei Parteien haben. Diese zwei Parteien werden um Sieg oder Niederlage ringen müssen, nicht nur im Wahlkampf, sondern auch nachher im Parlament. Und so, wie die Dinge in Deutschland heute liegen alles ist im Fluß, der Staat ist ohne Armatur und das gesellschaftliche Leben in einer Verwirrung ohnegleichen -, ist eines sicher: Ein solcher Kampf unter zweien im Parlament auf Sieg und Niederlage würde sein Widerspiel finden unten in einem ebenso bitteren Kampf auf der sozialen Ebene. Es würden sich parlamentarischer Kampf und sozialer Kampf aufeinandertürmen; einer würde den anderen anheizen, der Konflikt auf der einen Ebene den Konflikt auf der anderen verschärfen. Solche Entwicklungen werden vielleicht einmal notwendig sein und sie werden dann ausgetragen werden müssen. Ich möchte sie mir aber als Mann, der sein Volk liebt, in dieser Zeit nicht wünschen; denn unser Volk würde sie in dieser Zeit nicht auszuhalten vermögen. Nun werden Sie mir vielleicht antworten: Das braucht doch alles nicht so zu sein; jene der beiden Parteien, die die Mehrheit erringen wird, wird vernünhig regieren; denn sie weiß ja, daß sie das nächste Mal vielleicht wird abgelöst werden können. Ich fürchte, daß man hier Hoffnungen hegt, die wenig Aussicht haben, sich zu erfüllen. Es wurde neulich davon gesprochen ich glaube, Sie waren es, Herr Kollege Dr. Heuss -, daß im Deutschen leider das Wort Fairneß noch nicht existiere121). Warum geht eine reine Mehrheitsparteiregierung in England? Weil in England bestimmte Spielregeln unter allen Umständen anerkannt werden! Weil in England die Mehrheit eher auf die Erreichung eines Zieles verzichtet, als daß sie zur Erreichung dieses Zieles schlechthin jedes sich ihr bietende Mittel gebrauchhoffen wir es auch bei uns einmal etwas wie Fairneß te. Vielleicht wird es geben. Ob es sie heute schon gibt, wage ich zu bezweifeln. Und so fürchte ich, daß die Partei, welche es auch immer sein mag, die heute durch ein Mehrheits-

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-

-

-

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-

121) 390

Siehe S. 104.

-

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Wahlrecht in die Lage versetzt wird, ihre Macht absolut zu gebrauchen, diese Macht nicht nur gebrauchen, sondern vielleicht mißbrauchen könnte, in der daß Ablauf der noch viel Wasser den bis zum Erwartung, Legislaturperiode Rhein wird hinunterlaufen können. Man sollte den Menschen den Mißbrauch der Macht nicht zu leicht machen. -

(Sehr gut!)

Das ist es, was ich sagen wollte. Es lag mir daran, es noch zu sagen, weil ich den Eindruck gewinnen mußte, daß einiges von dem, was heute morgen gesagt wurde, mißverstanden worden ist. Meine Damen und Herren, bedenken Sie, für welches Jahr Sie dieses Gesetz beschließen! (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Präs. Dr. Adenauer: Die Rednerliste ist erschöph. Das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abgeordnete Dr. Becker. Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Meine Damen und Herren! Angeregt durch eine Frage des Herrn Kollegen Dr. von Brentano, ob der Schrihwechsel des Wahlrechtsausschusses122) von mir auch ausreichend wiedergegeben worden ist, angeregt auch durch den Gang der Verhandlungen hier im Plenum sehe ich mich veranlaßt, als Berichterstatter einiges dem hinzuzufügen, was heute vor-

mittag vorgebracht wurde. Ich ging bei meinem Bericht heute

morgen davon aus, daß der Gang der Verhandlungen Wahlrechtsausschuß bekannt ist, ebenso die Entwürfe und die Stellungnahme der einzelnen Parteien123). Da dies offenbar nicht der Fall ist, darf ich bitten, mir zu gestatten, nun noch einen kurzen Überblick zu geben. Nachdem im Ausschuß grundsätzlich alle extremen Wahlsysteme durch Abstimmung abgelehnt waren, wurden drei Kompromißentwürfe vorgelegt; alle drei gedacht als eine Annäherung des Proportionalwahlrechts an die unbestreitbaren Vorzüge eines Wahlsystems, das auf einzelnen Wahlkreisen beruht. Unter diesen Entwürfen befand sich ein Entwurf des Kollegen Dr. Kroll124), der 350 Mandate vorsah, 300 Abgeordnete gewählt nach relativem Mehrheitswahlrecht in einzelnen Wahlkreisen, 50 nach Proporz, mit der Bestimmung, daß, wer in einem Einzelwahlkreis kein Mandat bekommen hat, auch keines von den 50 erhalten soll. Einen anderen Entwurf hatte Kollege Dr. Diederichs125) ausgearbeitet; seine Einzelheiten interessieren in diesem Zusammenhang nicht. Ich selbst habe einen Kompromißvorschlag entworfen126), 2 3 0 Abgeordnete im Wege eines wirklichen Mehrheitswahlrechts, nämlich mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang und relativer Mehrheit in einem zweiten Wahlgang, sowie 170 Abgeordnete im Wege des Proporzes zu wählen. Dieser von mir ausgearbeitete Vorschlag wurde im

122) Siehe oben

123j

S. 331.

Abdr. der Protokolle in: Der Pari. Rat Bd. 6. 124) Entwurf Kroll zum Wahlgesetz, Drucks. Nr. 264a; Anm. 50.

abgedr.

in: Der Pari. Rat Bd. 6, S. 408,

125) Mehrere Entwürfe von Diederichs abgedr. in: Der Pari. Rat Bd. 6. 126) Kompromiß-Entwurf Becker als Anlage zum Kurzprot. der 22. Sitzung des Wahlrechtsausschusses (Drucks. Nr. 606), siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. 675 ff. 391

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mit neun gegen eine Stimme abgelehnt; der Träger der einen Stimme steht vor Ihnen. Dann brachte der Herr Kollege Kaufmann127) Mitte Dezember mit Unterstützung seiner Freunde im Wahlrechtsausschuß einen Antrag ein, der 400 Abgeordnete vorsah, von denen 300 im Wege eines echten Mehrheitswahlrechts, also genau wie von mir vorgeschlagen, und 100 im Wege des Proporzes als Ersatz gewählt werden sollten, wobei offen gelassen war, die Zahlen eventuell auf 250 zu 150 zu variieren. Dieser Vorschlag entsprach, von einigen Schnörkeln abgesehen, praktisch meinem Vorschlag.

(Hört! Hört!)

Nun hat Herr Kaufmann heute morgen erklärt, es falle schwer, diese Kombination zu begreifen. Ja, welche Kombination? Die, die heute vorliegt, oder die damals von mir ausgearbeitet, aber von den Freunden des Herrn Kaufmann im Wahlrechtsausschuß abgelehnt wurde? Oder die, die er nach dem Muster der von ihm abgelehnten Kombination seinerseits im Ausschuß eingebracht hat? Alle Kombinationen stimmen im Grundsätzlichen überein; in allen Fällen handelt es sich um eine Kombination des Einzelwahlkreises mit dem Proportional-

wahlrecht. nun im Ausschuß weiter debattiert. Es wurde dann nach den Vordes Innenministers Ulrich1'28) von Württemberg-Baden von mir ein schlägen neuer Wahlrechtsvorschlag ausgearbeitet129). Dieser sah vor, daß auf der Grundlage des Proporzes, aber unter Schaffung von Einzelwahlkreisen die Wahlzahl zu errechnen war. Wer im Einzelwahlkreis die Wahlzahl erreicht hatte, war gewählt; wer im Einzelwahlkreis der Wahlzahl nahekam, konnte für seinen Wahlkreis dann noch gewählt werden, wenn noch unverbrauchte Reststimmen seiner Partei zur Auffüllung der Wahlzahl zur Verfügung standen. Dieser von mir ausgearbeitete Vorschlag wurde dann im Ausschuß zu dem Entwurf umgearbeitet, der Ihnen heute vorliegt. Umgearbeitet ist er aus einem einzigen Grunde. Man sagte, es könne vorkommen, daß in einem Wahlkreis zwei und dafür in einem anderen Wahlkreis kein Abgeordneter gewählt wird. Wegen dieser entfernten Möglichkeit hat man die Formulierung gewählt, die Ihnen heute vorliegt. Der Herr Kollege Dr. von Brentano hat heute vormittag vorgetragen, daß auch nach diesem Wahlgesetzvorschlag vielleicht nur 25 Prozent der Abgeordneten in den einzelnen Wahlkreisen gewählt würden, während 75 Prozent von den 200 Mandaten, die für die einzelnen Wahlkreise vorgesehen seien, doch erst wieder auf der Landesliste ermittelt würden. Ich glaube nun, da muß ein Versehen vorliegen. Ich bekam schon einen Schreck, weil eben ein verehrter Kollege, ein Berufskollege und Kollege in Bonn, diesen Einwand brachte. Sollte sich der Ausschuß derart geirrt haben? Wenn ich Herrn von Brentano richtig verstanden habe, dann hat wohl er sich geirrt; er hat wahrscheinlich den Ulrich-Entwurf im Auge gehabt.

Wir haben

127) Entwurf Kaufmann, Drucks. Nr. 369, abgedr. in: Der Pari. Rat Bd. 6, S. 580 ff. 128) prltz Ulrich (1888-1969), SPD, Innenmin. von Württemberg-Baden. 129) Zu den Vorschlägen von Ulrich, die zu einem Entwurf Becker führten, siehe Rat Bd. 6, S. 681, Anm. 17.

392

Der Pari.

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Ich wollte das nur richtigstellen, um zu zeigen, daß die Wege der CDU im Wahlrechtsausschuß ziemlich verschlungen waren. Sie gingen vom relativen Mehrheitswahlrecht aus und kamen dann zu dem (Kaufmann: Das ist doch nicht die Aufgabe eines Berichterstatters!) O ja! Ich berichte über den Gang der Ausschußverhandlungen, nachdem mir vorgehalten wurde, ich hätte darüber nicht vollständig berichtet. -

-

(Kaufmann:

Sie

polemisieren!)

Tatsachen. Ich polemisiere nicht. CDU im Wahlrechtsausschuß waren ziemlich zunächst das relative Mehrheitswahlrecht vorgesie als insofern, verschlungen schlagen hat, dann eine Kombination von relativem Mehrheitswahlrecht plus Proporz und schließlich eine Kombination zwischen echtem Mehrheitswahlrecht plus Proporz. Späterhin wurde gegenüber den jetzt vorliegenden Anträgen Stimmenthaltung geübt, nachdem mir über die jetzt vorliegende Fassung von einem Kollegen der CDU gesagt worden war: Ja, wenn es wenigstens der ursprüngliche Vorschlag, der dem System des Ministers Ulrich entsprach, wäre, dann wäre es schon anders. Ich gestehe persönlich ganz offen, daß ich für den Entwurf Ulrich mehr Sympathie habe als für diesen; aber sehr groß ist der Unterschied zwischen beiden Entwürfen auch nicht. Ich habe eigentlich nicht geglaubt, daß man so humorlos sein könnte, die Scherze, die ich über die vier Gruppen von Wahlrechtsbeflissenen gemacht habe, mißzuverstehen. Ich habe diese Bezeichnung auf die Zuschrihen angewendet, die dem Wahlrechtsausschuß zugegangen sind130). Selbstverständlich habe ich damit keinen Angehörigen dieses Hohen Hauses gemeint. Nur in einem Fall habe ich allerdings, das gebe ich offen zu, an uns alle gedacht: das war, als ich von Wahlrechtsstrategen sprach und mit einer gewissen Ironie, von der ich auch nicht annahm, daß sie mißverstanden werden könnte, den rhetorischen Ausdruck gebrauchte, daß damit natürlich nicht Mitglieder dieses Hauses gemeint seien. Inzwischen hat mich Herr Kollege Dr. Kroll darüber belehrt, daß man nicht von Wahlrechtsstrategen, sondern von Wahlrechtstaktikern sprechen muß. Ich bitte um Entschuldigung; ich bin in militärischen Dingen nicht so bewandert.

Nein; ich berichte

Ich wiederhole: Die

-

nur

Wege der

(Heiterkeit.)

zu diesen Dingen gesagt worden ist, darf ich der Vollständigkeit halber wiederholen. Wenn gesagt wurde, daß jede Partei gern das Wahlrecht sehe, das zu ihren Gunsten sei, so nehme ich das keinem übel. Wenn Sie die Entwürfe gegeneinander abwägen: grundsätzlich Verhältniswahlrecht und grundsätzlich relatives Mehrheitswahlrecht, so halte ich mich doch für verpflichtet, dazu noch folgendes zu sagen. Man hat erklärt, das relative Mehrheitswahlrecht werde in der ausgesprochenen Absicht vorgeschlagen, kleine Parteien damit zu erledigen, während das Verhältniswahlrecht der Gerechtigkeit diene und jede Partei zum Zuge kommen lasse. Ob die Stellungnahme zu dieser Alternative nun Strategie oder Taktik ist, lasse ich dahingestellt; eins von beiden ist es bestimmt.

Was im Ausschuß

13°)

Die Eingaben an den Wahlrechtsausschuß sind Der Pari. Rat Bd. 6, S. 44, Anm. 121.

nur

recht

unvollständig

erhalten. Siehe

393

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Schließlich wurde angeregt, ich möchte noch einmal über die Briefe berichten, die sonst noch beim Wahlrechtsausschuß eingegangen sind131), insbesondere darüber, ob Wünsche nach dem Mehrheitswahlrecht geäußert wurden. Nun, es ist eine unendliche Zahl von Briefen eingegangen; sie liegen bei den Akten des Wahlrechtsausschusses und stehen Ihnen zur Verfügung. Zunächst hat jeder Einsender seine eigene Methode empfohlen. Daneben sind Zuschriften eingegangen, in denen das Mehrheitswahlrecht empfohlen wird. Andere Briefe, gerade aus der letzten Zeit, empfehlen die Kombination zwischen Mehrheitswahl und Proporz, also die Kombination, von der wir hier sprechen und die sich seit November und Dezember wohl auch im Volke als einigermaßen durchführbar herumgesprochen hat. Von den Zuschriften, die bei uns noch eingegangen sind, erwähne ich das Rundschreiben der Universitätsjugend132), von der schon die Rede war. Wenn ich den Herrn Kollegen Kaufmann richtig verstanden habe, hat er aus diesem Rundschreiben den Schluß gezogen wie übrigens zunächst auch ich -, als habe die Studentenschah aller Hochschulen sich für das relative Mehrheitswahlrecht ausgesprochen. Inzwischen habe ich mich erkundigt, und man hat mir mitgeteilt, daß hier in Bonn keine Abstimmung stattgefunden hat. -

(Dr.

Heuss: Nur in

Heidelberg

war

eine

Abstimmung133).)

Ich weiß nicht, ob nicht die Abstimmung in Bonn deshalb von einer bestimmten Seite aus unterlassen worden ist, weil die Anwesenheit des Parlamentarischen Rates die Möglichkeit geboten hätte, vor der Abstimmung beide Seiten zu Worte kommen zu lassen. Über die Abstimmung in Heidelberg am 26. Januar habe ich gestern einen Brief, gerichtet an den Wahlrechtsausschuß, erhalten134). Präs. Dr. Adenauer: Herr Abgeordneter Dr. Becker, ich muß Sie unterbrechen. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das ist kein Bericht mehr. Berichterstatter Dr. Becker: Ich berichte über den Brief, den Professor Jellinek135) an mich als Vorsitzenden des Ausschusses für Wahlrechtshagen im Parlamentarischen Rat gerichtet hat. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Becker, wenn Sie jetzt als Redner sprechen wollen, dann müssen Sie sich als Redner zum Wort melden. Aber als Berichterstatter haben Sie über die Vorgänge im Wahlrechtsausschuß zu berichten. Berichterstatter Dr. Becker: Nachdem dieser Brief erst nach Abschluß der Arbeiten des Wahlrechtsausschusses eingegangen ist, halte ich es für eine Pflicht der Loyalität, seinen Inhalt dem Plenum zur Kenntnis zu bringen. Ich habe heute morgen die Zuschrih der Landsmannschah der Ostflüchtlinge vorgetragen136), die mir gestern zugegangen ist. Und jetzt berichte ich über die Zuschrih des Herrn Professors Jellinek.

131) Ebenda. 132) Siehe Anm. 28. 133) Ein Wahlzettel für die Abstimmung in: NL Jellinek/38. 134) Diese Eingabe aus Heidelberg (Uni) ließ sich nicht ermitteln. Siehe jedoch Anm. 28. 135) In NL Jellinek/38 ließen sich nur zwei Schreiben von Jellinek (14. Sept., 10. Okt. 1948) an

den Pari. Rat ermitteln.

136) Vgl. den Redebeitrag von Becker zu Beginn dieser Sitzung auf S. 394

321.

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Präs. Dr. Adenauer: Herr

Abgeordneter Dr. Becker, dieses Verfahren wird dazu führen, daß die Aussprache wieder eröffnet wird.

Berichterstatter Dr. Becker: Gleichzeitig mit seinem Brief hat Professor Jellinek uns einen Stimmzettel übersandt137), den ich zu den Akten des Wahlrechtsausschusses gebe. Nach dem Text dieses Stimmzettels wird das Listenwahlsystem ohne weiteres mit dem Verhältniswahlrecht gleichgesetzt. Weiter ist in dem Text davon die Rede, daß nach diesen Grundsätzen der neue Volkstag gewählt werden soll. Ich muß feststellen, daß bei der Herstellung dieses Stimmzettels die Grundsätze objektiver Unterrichtung nicht gewahrt sind. Schließlich sind noch weitere Zuschriften eingegangen, darunter ein Brief, den Sie zu Neujahr erhalten haben138) und von dem wir hier insofern keine Notiz zu nehmen haben, als ich den Eindruck habe, daß (zur CDU gewandt) jeder von Ihnen seinerseits von dem Inhalt dieses Briefes im Hinblick auf seinen wenig diplomatischen Charakter abzurücken bereit ist.

[2.2 Einzelberatung] Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Damit ist die Generaldebatte erledigt, und es hagt sich, wie wir weitergehen sollen. Ich bitte Sie, einmal die

zur Hand zu nehmen, weil das unsere Verhandlungen außerordentlich vereinfachen wird. Es liegen in dieser Drucksache Vorschläge des Dreierausschusses, den Sie gestern eingesetzt haben140, vor, und zwar sind diese Vorschläge gemacht worden zu den §§ 2, 5, 8, 11, 18, 22, 45, 46. Ich habe den § 10 überschlagen, weil bei diesem § 10 Absatz 3 zu dem Vorschlag des Dreierausschusses eben noch ein Antrag von Herrn Dr. Grève eingegangen ist, der noch nicht vervielfältigt werden konnte. Herr Dr. Grève beantragt, in § 10 Abs. 3 den Satz 2 zu streichen141). Ich glaube, es würde richtig sein falls das von Ihnen gewünscht wird -, daß ein Mitglied dieses Dreierausschusses Ihnen kurz berichtet, wie seine Beschlüsse zustande gekommen sind, ob sie einstimmig zustande gekommen sind oder nicht.

Drucksache139)

-

Herr Dr. v. Brentano! Dr. v. Brentano (CDU): Ich

glaube nicht,

daß das noch

nötig

sein wird.

7) Der Stimmzettel aus der Eingabe Jellinek ließ sich nicht ermitteln. 8) Damit dürfte ein „offener Neujahrsgruß" der Deutschen Wählergesellschaft

an alle Mitdes Pari. Rates, veröffentlicht in den Mitteilungen der Deutschen Wählergesellschaft, Jan. 1949, S. 9 f. gemeint gewesen sein. Der Pari. Rat Bd. 6, S. 610, Anm, 5; Lange: Wahlrecht, S. 321, Anm. 81. Gemeint war die Drucks. Nr. 624: In der 53. Sitzung des HptA am 23. Febr. 1949 angenommene Fassung des Wahlgesetzentwurfs (mit Anderungsvorschlägen des Dreierausschusses). Vgl. dazu Der Pari. Rat Bd. 6, S. 752 ff., insbes. Anm. 1. Der Dreierausschuß bestehend aus den Abg. Diederichs, Becker und Finck war nach der 53. Sitzung des HptA gebildet worden. Vgl. Der Pari. Rat Bd. 6, S. 752. Der zu streichende § 10 Abs. 3, Satz 2 (Antrag Grève) wurde im nachhinein noch verlesen.

glieder

9) °)

J)

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Dr. Diederichs

(SPD): Ich empfehle, daß wir von Fall zu Fall bei den einzelnen Paragraphen kurz auseinandersetzen, was den Ausschuß veranlaßt hat, solche Abänderungsvorschläge zu machen. Präs. Dr. Adenauer: Dann kommen wir in eine sehr lange Geschichte hinein.

Ich wollte diese Sache abkürzen und wollte das dadurch erreichen, daß, wenn der Dreierausschuß erklärt, daß er einstimmig diese Vorschläge macht, vielleicht eine Erläuterung vom Plenum weiter nicht verlangt wird. Darf ich hagen, ob Sie diesem Vorschlag zustimmen; wenn der Dreierausschuß erklärt, daß er einstimmig zu diesen Vorschlägen gekommen ist, soll eine Erläuterung im einzelnen und damit eine Diskussion im einzelnen über diese Abänderungsvorschläge des Dreierausschusses nicht mehr nötig sein. Das scheint Ihre Zustimmung zu finden. Dann wäre der Antrag Grève zu § 10 Abs. 3 vorzunehmen. Ich nehme an, daß Sie die Drucksache zur Hand haben. Der Dreierausschuß hat zu Abs. 3 vorge-

schlagen:

Die hiernach jeder Partei in jedem Land (Länderverband) noch zustehenden Sitze werden ihr nach der Reihenfolge ihres Wahlvorschlages zugeteilt; Kandidaten, die ausnahmsweise in einem Wahlkreis die volle Wahlzahl er-

reicht haben, erhalten das Mandat

folge.

Dann heißt es weiter diesen Satz bezieht -:

vorzugsweise auch außerhalb der Reihen-

und ich nehme an, daß der

Antrag

Dr. Grève sich auf



Mehr als die für das Land (den Länderverband) vorgesehene Zahl der auf Landesliste wählbaren Abgeordneten darf insgesamt nicht zugeteilt werden. Dr. Diederichs (SPD): Herr Präsident, er bezieht sich auf den Satz, den Sie zuvor vorgelesen hatten, der in dem Ursprungsentwurf als zweiter Satz selbständig war und hier jetzt durch Semikolon getrennt ist, auf den Satz, der mit „Kandidaten" beginnt und mit dem Wort „Reihenfolge" schließt. damit kein Mißverständnis entsteht Präs. Dr. Adenauer: Es ist also von Herrn Dr. Grève beantragt, den Satz: „Kandidaten, die ausnahmsweise in einem Wahlkreis die volle Wahlzahl erreicht haben, erhalten das Mandat vorzugsweise auch außerhalb der Reihenfolge" zu streichen. Wir brauchen jetzt nicht abzustimmen. Wir müssen paragraphenweise vorgehen. Es sind noch andere Anträge gestellt. Ich wollte das nur zunächst klären. Dr. Grève (SPD): Herr Präsident, ich glaube, Sie haben trotzdem nicht die richtige Vorlage. Denn in der Vorlage, die uns zuletzt zugegangen ist, heißt dieser Satz in Abs. 3, dessen Streichung ich beantrage: Kandidaten, die die volle Wahlzahl erreicht haben, erhalten das Mandat vorzugsweise auch außerhalb der Reihenfolge. (Dr. Becker: Sie verlesen ja den Satz aus dem ursprünglichen § 10.) Ich verlese den Satz aus dem Wahlgesetzentwurf, wie er gestern in der Hauptausschußsitzung angenommen worden ist, Drucksache Nr. 624. Präs. Dr. Adenauer: Verzeihen Sie, Herr Dr. Grève, Sie haben jetzt aus dem § 10, wie er ursprünglich war, etwas verlesen. Nun hat aber der Dreierausschuß in seiner Sitzung gestern abend und diese Nacht einen Vorschlag zu diesem § 10 gemacht, den Sie darunter abgedruckt finden, und zwar in Absatz -

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-

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unverändert und in Absatz 3 verändert. Wir legen aber der heutigen Beratung und Abstimmung den Vorschlag des Dreierausschusses zugrunde. Dr. Grève (SPD): Wenn das so gehandhabt wird, dann muß ich beantragen, daß ich nehme an, in Absatz 3 des Vorschlages des Dreierausschusses der Satz daß es Satz 2 sein soll gestrichen wird: Kandidaten, die ausnahmsweise in einem Wahlkreis die volle Wahlzahl erreicht haben, erhalten das Mandat vorzugsweise auch außerhalb der Reihenfolge. ich bitte Präs. Dr. Adenauer: Das habe ich eben vorgelesen. Wir hätten jetzt Sie, die Drucksache zur Hand zu nehmen folgende Abänderungsanträge wobei wir die Vorschläge des Dreierausschusses nicht mehr zu berücksichtigen brauchen -: zu § 1, zu § 3 das sind alles Anträge von Herrn Dr. Seebohm142) -, zu § 5 zwei Anträge, eben wird noch ein weiterer Abänderungsantrag zu § 5 eingereicht. Ja, meine Damen und Herren, wenn noch Anträge gestellt werden sollen, wird es allmählich Zeit. auch dieser Antrag ist nicht Herr Dr. Dehler beantragt143) zu § 5 Litera c die Streichung des zweiten Halbsatzes. In der Fassung des vervielfältigt Dreierausschusses heißt diese Bestimmung: dem nicht die Wählbarkeit durch rechtskräftige Entscheidung im Entnazifizierungsverfahren abgesprochen worden ist (Zuruf des Abg. Dr. Dehler.) Nun weiß ich nicht, was Sie wünschen, Herr Kollege Dr. Dehler. (Dr. Dehler: Die Streichung des zweiten Halbsatzes.) Sie wollen also gestrichen haben: Darüber hinaus ist nicht wählbar, wer in die Gruppe I, II, III und IV eingestuft 1

und

2

-

-

-

-

-

-

-



.

.

.

-

-

ist.

Nicht wahr, Herr Kollege Dr. Dehler? (Dr. Dehler: Ja.) Ferner liegt ein Antrag zu § 8 vor, dann der eben erörterte Antrag Dr. Grève zu § 10 Absatz 3 und Anträge zu §§ 18 und 22. Das sind die vorliegenden

Abänderungsanträge.

Ich weiß nicht, ob es nötig ist, daß alle Abänderungsanträge einzeln begründet werden. (Zurufe: Nein! Dr. Seebohm: Sollen die Anträge von dem, der sie gestellt hat, generell auf einmal begründet werden?) Präs. Dr. Adenauer: Ich denke mir das Abstimmungsverfahren so, daß wir, um schnell voranzukommen, über die Paragraphen, zu denen keine Abänderungsanträge gestellt worden sind, ohne weiteres abstimmen. Wir stimmen über jeden Paragraphen, zu dem ein Abänderungsantrag gestellt ist, einzeln ab. Wenn vorher dazu gesprochen werden soll, wird zu den einzelnen Paragraphen ge-

sprochen.

Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Ich möchte bitten, noch einen Druckfehler berichtigen zu dürfen. In § 10 Absatz 3 in der Fassung des Dreierausschusses

1421

Die

Anträge

von

Dr. Seebohm

vom

24. Febr. 1949 wurden vervielf. als Drucks. Nr. 626

und 626a.

143)

Der

Antrag

Dr. Dehler wurde im nachhinein verlesen.

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muß es in der dritten Zeile statt:.die ausnahmsweise in einem Wahlkreis die volle Wahlzahl erreicht haben" heißen: die als Bewerber in einem Wahlkreis die volle Wahlzahl erreicht haben." Es handelt sich hier nur um eine Konkretisierung des gleichen Inhalts der Bestimmung des Abs. 3 in der Fassung des Hauptausschusses. Präs. Dr. Adenauer: Es ist also einfach ein Druckfehler. In der Zwischenzeit ist wieder ein Antrag eingegangen. Ich meine, wir stellen das jetzt in aller Ruhe und Geduld klar, dann gehen die beiden letzten Lesungen um so schneller. der Antrag konnte nicht mehr Es ist von Herrn Dr. Mücke beantragt144) verlese ich ihn werden, -, den § 1 Absatz 2 wie folgt vervielfältigt deswegen .

-

ergänzen:

zu

welche am 1. Januar 1945 ihren dauernden Wohnsitz innerhalb der Grendes Deutschen Reiches nach dem Stand vom 1. März 1938 hatten oder außerhalb dieser Grenzen beheimatet waren und von dort ..." Herr Dr. Mücke hat weiter zu § 5 Litera b in der Fassung des Dreierausschusses beantragt, diese Litera b zu streichen. Sie lautet: „der am Wahltage seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Angehöriger der in § 1 Absatz 2 benannten Gruppen seit mindestens einem Jahr seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat." Darf ich fragen, Herr Kollege Mücke: Sie wollen damit erreichen, daß jemand sofort, nachdem er die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, wahlberechtigt wird? Dr. Mücke (SPD): Die Bestimmung in Ziffer b hinsichtlich der deutschen Staatsangehörigkeit ist nicht gerechtfertigt, da seit 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit überhaupt nicht zu erwerben war. Also ist diese Bestimmung überflüssig. Hinsichtlich der Volksdeutschen Vertriebenen ich werde das noch näher begründen ist es auch nicht richtig, die Wählbarkeit von einer Aufenthaltsdauer abhängig zu machen. Vielleicht darf ich das gleich kurz begründen? Präs. Dr. Adenauer: Ich möchte den Herrn Berichterstatter des Wahlrechtsausschusses bitten, uns mitzuteilen, wenn irgendwelche Änderungen von Belang beantragt werden, ob hierüber im Wahlausschuß schon gesprochen und welche Stellung dazu eingenommen worden ist. Wir kommen zu § 1. Hierzu liegt der Antrag Dr. Mücke vor, § 1 Absatz 2 wie „.

.

.

zen

-

-

folgt

zu

ergänzen:

welche am 1. Januar 1945 ihren dauernden Wohnsitz innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 1. März 1938 hatten oder außerhalb dieser Grenzen beheimatet waren und von dort ..." Wird hierzu das Wort gewünscht? Herr Dr. Mücke! Dr. Mücke (SPD): Durch die bisherige Formulierung des Wahlgesetzentwurfs ist offensichtlich versehentlich ein Personenkreis außer acht gelassen worden, nämlich der Personenkreis der deutschen Volkszugehörigen, die vor dem 1. Januar 1945 im Deutschen Reich ihren Aufenthalt genommen haben. Es sind „.

.

.

-

) Der Antrag Dr. Mücke wurde im nachhinein verlesen. 398

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dies Volksdeutsche, die während des Krieges dienstverpflichtet wurden, es sind dies aber auch die Volksdeutschen, die aus den südosteuropäischen Staaten im Rahmen der bekannten Nazi-Umsiedlungsaktion schon vor dem 1. Januar 1945 hier in Deutschland Aufnahme gefunden haben, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen. Es wäre unbillig, diesem Personenkreis, dem nach dem Grundgesetz die Rechte aus der Verfassung gegeben werden, hier das Wahlrecht abzusprechen. Deshalb bitte ich, diesen Ergänzungsantrag anzunehmen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Becker, können Sie sich vielleicht hierzu äußern? (Dr. Becker: Es bestehen meines Erachtens keine Bedenken.) Dann können wir also abstimmen, und zwar wird zunächst abzustimmen sein über den Abänderungsantrag Dr. Mücke. Wer dafür ist, den bitte ich eine Hand zu erheben. Das ist die große Mehrheit. Angenommen. Wir kommen dann zur Abstimmung über § 1 in der Fassung, wie sie sich nach der Annahme des Abänderungsanü'ags Dr. Mücke darstellt. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Das ist die große Mehrheit. Angenom—

-

men.

Dann kommen wir zu § 2. Liegen hierzu keine Anträge vor? (Zuruf: Die Anträge des Dreierausschusses145)!) Bezüglich der Anträge des Dreierausschusses haben wir doch

abgemacht

und sind uns darüber klar, daß diese Vorschläge des Dreierausschusses insgesamt als angenommen zu betrachten sind, so daß wir uns jetzt nur noch mit Abänderungsanträgen, die aus dem Hause gestellt sind, zu befassen haben. Darnach stelle ich fest, daß zu § 2 keine Abänderungsanträge vorliegen und daß wir über § 2 abstimmen können. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Das ist die große Mehrheit. Angenommen. -

(Kaufmann: Stimmenthaltung!) -

Ich bitte diejenigen, die sich der Stimme enthalten wollen, die Hand zu erheben. Wir kommen zu § 3. Zu § 3 liegt der Antrag Dr. Seebohm vor. Der Antrag ist in Ihren Händen. Wünschen Sie das Wort, Herr Kollege Dr. Seebohm? (Dr. Seebohm: Jawohl, ich möchte kurz zur Begründung sprechen.) Herr Abgeordneter Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Meine Damen und Herren! In der gestrigen Sitzung des Hauptausschusses war auf Antrag des Herrn Abgeordneten Renner das Wort „Untersuchungshaft" gestrichen worden146). Es ist in den Vorschlag des Dreierausschusses wieder aufgenommen worden. Das habe ich bei der Abfassung meines Antrags nicht gewußt. Ich hatte in Verfolg des Antrags des Herrn Abgeordneten Renner, so wie er ihn gestern gestellt hatte, beantragt, weiterhin auch die Worte: „oder infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden" zu streichen. Es handelt sich hier darum, daß die Wahlberechtigung für einen bestimmten Personenkreis ruht. Die Wahlberechtigung ist diesen Personen also nicht entzogen. Wenn wir hier die vorge-

145)

146)

Vorschläge des Dreierausschusses waren in der Drucks. Nr. 624 bereits eingearbeitet worden. Der Pari. Rat Bd. 6, S. 752, Anm. 1. Beschluß des HptA auf seiner 53. Sitzung vom 23. Febr. 1949; Verhandlungen, S. 707 ff. Die

399

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24. Februar 1949

einschließlich des Wortes „Untersuchungshaft" vornehExekutive die men, ist verpflichtet, dafür zu sorgen, daß diesen Personen die Möglichkeit gegeben wird, ihr Wahlrecht auszuüben, während jetzt keine derartige Sorge notwendig ist, vielmehr diesen Personen die Wahlberechtigung dadurch indirekt entzogen wird, daß sie keine Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben. Man sollte nach meiner Auffassung den in Untersuchungshaft befindlichen oder infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehaltenen Personen ohne weiteres die Möglichkeit zur Stimmabgabe geben. Es ist keine so große Schwierigkeit, die dazu notwendigen Einrichtungen zu treffen. Ich bitte deshalb, den Antrag auf Streichung der Worte „Untersuchungshaft" und „oder infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden" anzunehmen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner. Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Gestern ist auf meinen Antrag von einer Mehrheit des Hauptausschusses147) beschlossen worden, in der ursprünglichen Fassung die Worte „oder Untersuchungshaft" zu streichen. Die von mir ebenfalls beantragte Streichung der übrigen Formulierungen dieses Paragraphen ist abgelehnt worden. Der Herr Vorsitzende des Hauptausschusses hat mit Recht auf die Unlogik hingewiesen, die darin besteht, daß man den Untersuchungsgefangenen das aktive Wahlrecht konzedieren will, aber nicht einer Gruppe, auf die das gleiche zutrifft, nämlich den infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung Gehaltenen. Beim Untersuchungsgefangenen muß ja bekanntlich innerhalb 24 Stunden überprüft werden, ob die verhängte Untersuchungshah zu Recht besteht. Sie kann nur als zu Recht bestehend anerkannt werden, wenn der berechtigte Verdacht einer Strahat vorliegt. Der Untersuchungsgefangene ist also in einer entschieden wenn ich so belasteteren Situation als der deutsche Staatsbürger, der infolge sagen darf gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung nur für 24 Stunden in Verwahrung gehalten wird. Wir haben gestern darauf hingewiesen, daß mit einer solchen Möglichkeit unter gewissen Voraussetzungen eine gewisse Personengruppe systematisch von der Ausnutzung des Wahlrechts ferngehalten werden kann. Ich verstehe nun nicht, wie der Dreierausschuß gegen den eklatanten Mehrheitswillen des Hauptausschusses sogar auch noch die erste kleine Verbesserung aus der Welt schaffen konnte, und ich bitte, das zu revidieren und im Sinne des jetzt von Herrn Seebohm aufgenommenen Antrags die Streichung der Fassung von „oder Untersuchungshah" ab zu beschließen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Becker. Berichterstatter Dr. Becker:' Ich bitte, die kurzen Bemerkungen vom Platze aus machen zu dürfen. Die Fassung des Wahlrechtsausschusses, die dem Hauptausschuß vorgelegt worden ist, und die Fassung des Dreierausschusses stammt wörtlich aus dem Reichswahlgesetz148) von 1924. Da habe ich sie abgeschrieben.

schlagene Streichung



-

147) Ebenda. 148) Reichswahlgesetz in neuer Fassung, veröffentlicht durch Bekanntmachung 1924 (RGBl. I, S. 159). 400

vom

6. März

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(Zurufe.)

Fassung ist damals zweifellos wohlüberlegt gemacht worden. Es ist nämlich das sehr genau überlegte Reichswahlgesetz von 1924 gewesen, bei dem damals eine Regierungsbank vorhanden war, bei dem also der Justizminister und der Innenminister wahrscheinlich auf eine Menge technischer Schwierigkeiten hingewiesen haben werden, die diese Fassung notwendig gemacht haben werden. Wir sind nicht in der Lage, auf diese Unterstützung durch Innenminister oder Justizminister zu rechnen, und sind daher im Dreierausschuß der Meinung gewesen, man solle sich den praktischen Erfahrungen von damals anschließen. Das Reichswahlgesetz von 1924 hatte nur noch einen einzigen Satz mehr; er lautete: Dies trifft nicht zu für politische Gefangene, die sich in Schutzhaft befinden. Da wir eine Schutzhah nicht mehr kennen, ist dieser Satz weggelassen worden. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren, wir müssen zur Abstimmung kommen. Wir stimmen also ab über den Antrag Seebohm zu § 3; erst über den Abänderungsantrag. Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag sind, eine Hand zu erheben. Das ist die große Mehrheit. Angenommen. Wir stimmen dann ab über § 3 mit diesen Abänderungen. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Wird geDas ist die Mehrheit. wünscht, daß die Stimmenthaltung festgestellt wird? Diese

-

-

-

(Kaufmann: Ja!)

Ich bitte diejenigen, die sich der Stimme enthalten, die Hand zu erheben. Das ist die Minderheit. Wir kommen dann zu § 4. Dazu liegen keine Abänderungsanträge vor. Ich bitte diejenigen, die dahir sind, die Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit.

-

-

Angenommen.

-

§ 5! Dazu liegen mehrere Abänderungsanträge vor, und zwar zunächst der Antrag Seebohm149): Ziffer b erhält die Fassung des Antrags Dr. Mücke, Drucksache 614. (Dr. Seebohm: Darf ich den Antrag begründen?) Ich überschaue es noch nicht. Ich darf erst die weiteren Anträge vorle-

-

sen.

liegt ein Antrag Dr. Mücke150) von heute vor, Ziffer b zu streichen. Und weiter liegt noch ein Antrag Dehler zu § 5 Ziffer c auf Streichung des zweiten Halbsatzes vor. Dann

') Der Antrag Seebohm vom

24. Febr. 1949

lautete:

Wahlgesetz, vervielf.

als Drucks. Nr. 626a,

„1. § 3: Die Worte ,oder infolge gehalten werden' werden gestrichen. 2. § 5: Ziffer b: erhält die Fassung des Antrages Dr. Mücke Drucks. 614. 3. § 18: wird gestrichen. 4. § 22: Abs. 1: Zusatz zu Satz 2: jedoch mit der Maßgabe, daß mindestens ein Vertreter jeder im Landtag vertretenen Partei diesem Ausschuß angehören muß." Der Antrag Mücke, vervielf. als Drucks. Nr. 614, wurde im nachhinein verlesen. .

')

zum

.

.

401

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(Dr. Seebohm: Und der Antrag Seebohm-Finck-Becker151)!) Und der Antrag auf Drucksache Nr. 626, in § 5 Ziffer c den zweiten Halbsatz wie folgt zu fassen: Darüber hinaus ist nicht wählbar, wer in die Gruppen I, II und III eingestuft -

ist. Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist ziemlich kompliziert. Ich möchte Ihnen vorschlagen, daß wir zunächst den Antrag Dr. Mücke zu § 5 Ziffer b nehmen. Dieser Antrag ist identisch mit Ihrem Antrag, Herr Seebohm. (Dr. Seebohm: Er ist nicht ganz identisch, weil der Antrag Mücke heute nachträglich gestellt ist. Die Fassung, die ich beantragt hatte, halte ich als wahlweisen Antrag aufrecht für den Fall, daß der Antrag Mücke abgelehnt

werden

sollte.) Antrag Mücke. Und Sie haben beantragt? Seebohm (DP): Der gestern nicht behandelte Antrag des Das ist der

-

Dr. Dr. Mücke

Herrn

Abgeordneten

Ziffer b wie folgt zu fassen: der am Wahltag seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder der, ohne bisher die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, Flüchtling oder Vertriebener im Sinne des § 1 Absatz 2 ist. Sollte der Antrag Dr. Mücke auf Streichung abgelehnt werden, ist es notwendig, diesen Antrag anzunehmen, weil sonst Vertriebene und Flüchtlinge, die de jure noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, nicht kandidieren kön-

lautet, §

5

nen.

Präs. Dr. Adenauer: Also stimmen wir zunächst über den weitergehenden Abänderungsantrag ab. Herr Dr. Becker, wünschen Sie das Wort dazu? Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Jawohl! Wir haben all diese Fragen im Ausschuß wiederholt erwogen und sind zu der gekommen, daß der das Wahlrecht in Deutschland haben will, mit dem passive derjenige, deutschen Schicksal immerhin schon in einer gewissen Form verbunden sein muß. Und das ist er doch wohl nur dann, wenn er seit mindestens einem Jahr einen Wohnsitz in Deutschland gehabt hat. Die Flüchtlinge sind in ihrer übergroßen Mehrzahl weit über ein Jahr hier. Es kann Ausnahmen geben, die dazu führen, daß vielleicht der eine oder andere dann nicht passiv wahlberechtigt wäre. Wir haben aber folgendes zu erwägen. Ich bedauere, daß diese Frage nicht in den Fraktionen abgehandelt werden konnte. Wir müssen damit rechnen, daß auch jemand über die Grenze herüberkommt, von dem man nicht gleich wünschen kann, daß er nun unmittelbar in das deutsche Parlament gewählt wird, und der trotzdem in der Lage ist, schon innerhalb eines Jahres sich einen Anhang zu schaffen, mit dem er mit hundert -

Überzeugung

Unterschrihen zum Parlament kandidieren kann. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mücke. Dr. Mücke (SPD): Meine Damen und Herren! Die Streichung der Bestimmung hinsichtlich des Personenkreises, dessen Wählbarkeit davon abhängig gemacht wird, daß die einzelnen Personen mindestens seit einem Jahre die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ist gerechtfertigt, weil diese Bestimmung keinen

) Siehe Anm. 402

107.

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Sinn hat. Seit 1945 war es keiner Person möglich, die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung zu erwerben, denn die Länder waren nicht in der Lage, die deutsche Staatsangehörigkeit zu verleihen. Diese Bestimmung ist also praktisch sinnlos. Deshalb ist der Antrag auf Streichung gerechtfertigt. Was nun den zweiten Personenkreis anbelangt, so handelt es sich um die Volksdeutschen Flüchtlinge. Hier ist die Lage folgendermaßen: Diese Volksdeutschen Flüchtlinge sind mindestens seit dem Potsdamer Abkommen152) de facto Deutsche; denn sie sind ja aufgrund des Potsdamer Abkommens als Deutsche in das deutsche Staatsgebiet übergeführt worden, um hier nicht als Fremde zu wohnen und ihren Aufenthalt zu haben, sondern als gleichberechtigte Deutsche. Sie haben es nicht zu vertreten, daß sie bisher nicht die deutsche Staatsangehö-

rigkeit

besitzen.

Frage des Aufenthalts anlangt, so lag die Übersiedlung und der Zeitpunkt der Übersiedlung nicht in ihrem Willen, sondern im Willen der Ausweisungsbehörden, und es ist bekannt, daß beispielsweise die Sudetendeutschen Was die

der Tschechoslowakei, soweit sie wertvolle Fachkrähe waren, bis in die letzte Zeit zurückgehalten wurden. (Dr. Seebohm: Und noch zurückgehalten werden!) Ja, und noch zurückgehalten werden! Für diese Leute würde es eine ungerechtfertigte Bestrafung bedeuten, nicht wählbar zu sein, nur weil sie die Voraussetzung, ein Jahr ihren Aufenthalt hier in Deutschland zu haben, ohne eigenes Hinzutun nicht erfüllen. Auch das Argument, daß man nicht jeden Hergelaufenen kandidieren lassen könne, zieht nicht; denn ich möchte die Partei sehen und nur die Parteien stellen ja die Kandidaten auf -, die ohne Nachprüfung irgendeinen Unbekannten aufstellen würde. Das ist also eine rein theoretische Erwägung, die hinter den Gründen, die ich vorgetragen habe, zurückgestellt werden muß. Ich bitte deshalb, auch namens meiner Fraktion, der von mir beantragten Streiaus

-

-

chung stattzugeben.

Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Schmid! (Dr. Schmid: Ich verzichte!) Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Es handelt sich also darum, ob dieser Buchstabe b gestrichen werden soll. Das ist der erste Antrag. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag Dr. Mücke auf Streichung sind, eine Hand zu erheben. Das sind 20 Stimmen. Ich bitte nun diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu heben. Das sind 27 Stimmen. Der Antrag ist abgelehnt. Dann kommen wir zu dem Antrag Seebohm. (Dr. Seebohm: Darf ich um das Wort bitten!) Dazu ist doch gesprochen worden. (Dr. Seebohm: Dann ist es in Ordnung!) Wir stimmen jetzt also über den Antrag Seebohm zu Litera b ab. Ich nehme an, Sie überschauen die Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag Seebohm sind, die Hand zu heben. Das ist die große Mehrheit. —

-

-

-

-

'•)

Zum Potsdamer Abkommen siehe Dok. Nr. 1, Anm. 22.

403

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Dann kommen wir

§

24. Februar 1949

c. Dazu liegen zwei Anträge vor, zunächst ein auf Drucksache 62 6153): Wir beantragen, in § 5 Ziffer c den zweiten Halbsatz wie folgt zu fassen: „Darüber hinaus ist nicht wählbar, wer in die Gruppen l, II und III eingestuh ist." Ferner ein weiterer Antrag Dehler154) zu § 5 Litera c, diesen zweiten Halbsatz ganz zu streichen. Das Wort hat Herr Dr. Dehler. Dr. Dehler (FDP): Ich habe gegen diesen zweiten Halbsatz rechtliche Bedenken. Die Folgen einer politischen Belastung werden ausschließlich in den Befreiungsgesetzen geregelt. Sie sind sedes materiae. (Zuruf: Bei uns nicht!) Ich kann nur von der Rechtslage in den Ländern der amerikanischen Zone sprechen. Wir haben nach meiner Überzeugung nicht die Möglichkeit, abgesehen von den Folgen des Befreiungsgesetzes und der Entscheidung einer Spruchkammer, irgendeine politische Beeinträchtigung von Rechten früherer Pg.s festzulegen. Nach den Gesetzen der amerikanischen Zone ist es so, daß die Gruppen I und II ohne weiteres die Wählbarkeit verlieren, daß bei der Gruppe III die Spruchkammer die Möglichkeit hat, die Wählbarkeit abzuerkennen, und daß bei der Gruppe IV eine solche Konsequenz ausgeschlossen ist. Deswegen bin ich der Meinung, daß der erste Halbsatz der Ziffer c die Folgen der politischen Belastung für die Wählbarkeit hinreichend umschreibt. (Schönfelder: Wir haben aber auch die britische Zone!) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Stock. Stock (SPD): Meine Damen und Herren! Ich hatte bei meinen kurzen Ausführungen, die ich heute früh machte, schon darauf hingewiesen, daß es bestimmt nicht die Absicht dieses Parlaments ist, sich im Bundestag mit aktiven Nazis an einen Tisch zu setzen. (Renner: Das bleibt abzuwarten!) Ja, es ist möglich, daß welche da sind. Aber hier habe ich auch erklärt, daß wir, wenn wir das beschlössen, uns in Widerspruch zu sehr vielen Landeswahlgesetzen stellen würden und daß es dann geschehen würde, daß der Betreffende nicht ins Landesparlament, wohl aber ins Bundesparlament gewählt werden kann. (Dr. Schwalber: Dann werden Sie auch noch Föderalist!) Herr Kollege Dr. Schwalber, das hat mit Föderalismus gar nichts zu tun, sondern nur mit gesundem Menschenverstand, und der scheint auch manchmal bei gewissen Leuten zu fehlen. Wenn wir in dieses Wahlgesetz diese Bestimmung aufnehmen, kann folgendes eintreten: Es könnte möglich sein, daß das bayerische Parlament aufgelöst und zusammen mit dem westdeutschen Bundesparlament gewählt wird. Dann dürfte der Nazi nicht zum Parlament in Bayern gewählt werden, aber er dürfte zum westdeutschen Bundesparlament gewählt werden. Ich glaube, meine Damen zu

5 Litera

Antrag Seebohm-Finck-Becker

-

-

-

r>3) 54) 404

Antrag wurde im Folgenden verlesen. Als Drucks, nicht nachweisbar. Der

Achte und Herren, das

machen,

wie

es

Rechtsauffassung

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geht doch nicht. So kann man doch ein Wahlgesetz nicht Herr Dr. Dehler vorschlägt. Ich kenne seine sehr sensible darüber. Es muß doch so gemacht werden: Wenn der Betref-

fende nicht zum Landesparlament gewählt werden kann, darf er auch unter keinen Umständen ins Bundesparlament gewählt werden. Hier will ich nur noch bemerken, daß die reine CSU-Regierung in Bayern diesen Gesetzentwurf ausgearbeitet und daß die große Mehrheit der CSU im Bayerischen Landtag ihn angenommen hat. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Menzel. Dr. Menzel (SPD): Meine Damen und Herren! Die rechtlichen Bedenken des Herrn Kollegen Dehler vermag ich nicht zu teilen. Zunächst haben wir hier Gesamtbundesrecht zu schaffen und können nicht auf das in den einzelnen Zonen geltende besondere Recht Rücksicht nehmen, auch dann nicht, wenn es zur Zeit noch von der Militärregierung gesetzt ist. Darüber hinaus aber müssen Sie an den viel größeren Bereich der britischen Zone denken. In der britischen Zone enthalten die Entnazifizierungsbescheide nichts und können gar nichts enthalten über etwaige politische Betätigungsverbote; sie beschränken sich lediglich auf etwaige Verbote hinsichtlich der Berufsausübung und auf dem Gebiete des Vermögensrechts. Wenn Sie also diesen Satz streichen, dann würden Sie ohne weiteres zum mindesten in der britischen Zone die Möglichkeit schaffen, daß Angehörige der Gruppen III und IV passiv wählbar sind. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Fassung der Ziffer c des § 5 ist, wie wir bereits gestern im Hauptausschuß erörtert haben155), zweifellos sehr unschön. Eine Bezugnahme auf alliierte Gesetze oder Direktiven in einem solchen deutschen Gesetz wird später einmal durchaus als ein Mangel empfunden werden. Und etwas anderes ist es ja nicht, wenn wir diese Gruppen I, II, III und IV erwähnen. Insbesondere bestehen natürlich da doch die Bedenken, Herr Menzel, daß unter diesen Gruppen in den verschiedenen Zonen und Ländern etwas Verschiedenes verstanden wird. Deswegen wäre es nach meiner Auffassung zweckmäßig gewesen, wenn man auch hier versucht hätte, ohne eine solche Bezugnahme eine Lösung zu finden. Ich darf darauf hinweisen, daß jetzt der Artikel 146 des Grundgesetzes ausdrücklich festlegt, daß die zur Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften von den Bestimmungen des Grundgesetzes nicht berührt werden, daß infolgedessen diese Rechtsvorschriften auch nicht von den Bestimmungen des Wahlgesetzes berührt werden können. Es ist mir durchaus nicht klar, ob hier nicht gewisse Überschneidungen vorliegen. Ich würde deshalb, wenn wir uns darüber einigen könnten, es als Verbindungsantrag der beiden vorliegenden Anträge vorziehen, wenn wir eine ähnliche Fassung annehmen könnten, wie wir sie vorhin zu § 2 Ziffer 3 beschlossen haben. Dort haben wir bei dem aktiven Wahlrecht gesagt: „Wer nach dem im Lande seines Wohnsitzes geltenden Landtags- bzw. Bürgerschahswahlgesetz im Zusammenhang mit der Entnazifizierung nicht wahlberechtigt ist." Dementspre-

-

-

)

53.

Sitzung des HptA vom

-

23. Febr. 1949;

Verhandlungen, S.

707

ff, hier

S. 717 f.

405

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24. Februar 1949

chend würde hier die Ziffer c des § 5 logischerweise heißen: „Wer nach dem im Lande seines Wohnsitzes geltenden Landtags- bzw. Bürgerschahswahlgesetz im Zusammenhang mit der Entnazifizierung nicht wählbar ist." Ich glaube, wenn wir diese Fassung annehmen, dann kommen wir am besten über die Schwierigkeiten der verschiedenen Anträge hinweg. Ich möchte deshalb beantragen unabhängig von dem von mir vorliegenden Antrag, auf den ich mich gegebenenfalls ja noch zurückziehen kann -, diese Fassung hier einzusetzen, weil sie gleichzeitig auch im Einklang mit der Fassung des § 2 Ziffer 3 steht. Präs. Dr. Adenauer: Herr Seebohm, dann bitte ich, den Antrag schriftlich einzureichen156). Es ist so schwer möglich, genau festzustellen, was von Ihnen gewünscht wird. Das Wort hat Herr Renner. Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Menzel hat mit Recht darauf hingewiesen, daß eine Streichung dieses Nachsatzes bei uns in der britischen Zone zur Folge haben wird, daß alle, die nicht direkt in die Gruppen I und II eingruppiert sind, das passive Wahlrecht erhalten werden, weil es nach den Bestimmungen, nach denen bei uns die Entnazifizierungsausschüsse gearbeitet haben, nicht möglich war, zu entscheiden, daß Wahlrecht und Wählbarkeit auf Zeit oder auf Dauer entzogen werden. Wir hätten also den recht absurden Zustand, daß bei einer generellen Streichung dieses Zusatzes bei uns ohne weiteres jeder das passive Wahlrecht bekäme, auch wenn er in die Gruppe III eingruppiert ist. Aber ich bitte, sich doch einmal folgendes klar zu machen. Selbst die Tatsache, daß in den verschiedenen Zonen die Kontrollratsanordnung157) nicht einheitlich durchgeführt worden ist, schafft doch den Tatbestand nicht aus der Welt, daß nach den Kontrollratsanordnungen Klarheit darüber möglich ist, wer in die jeweilige Gruppe einzugruppieren ist. So steht also nur noch die eine Frage offen: Will man einem ehemaligen Nationalsozialisten, der belastet ist, die Wählbarkeit konzedieren? Will man das? Das ist die entscheidende Frage. Und noch einen letzten Gedanken! In all den langen Jahren der Anwendung dieser von den Militärregierungen uns auferlegten Entnazifizierungsmaßnahmen durch alle Parteien ging das hindurch bedauert, daß nicht wir haben wir Deutschen die Möglichkeit bekommen haben, zu entnazifizieren. Jetzt haben wir eine Möglichkeit. Warum machen wir von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch? Oder wollen Sie wirklich behaupten, daß ein Mann, auf den nach allgemeiner Kontrollratsanordnung der Begriff „Gruppe IV" zutrifh, in den kommenden Volkstag als Abgeordneter einziehen soll? Wenn Sie das wollen, bitte, das ist dann Ihre Sache. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Becker! -

-

156) 157)

406

-

Siehe unten. Gemeint war die Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrates vom 12. Jan. 1946: Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. Amtsblatt des Kontrollrates, S. 98 ff.

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Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Ich möchte im Augenblick jetzt nur referieren und nicht persönlich Stellung nehmen. Der Ausschuß hat folgendes erwogen, und zwar sowohl der Wahlrechtsausschuß wie der Dreierausschuß. Wir haben uns gesagt: Bei der aktiven Wahlberechtigung, die sehr viele Menschen umfaßt, ist es zweckmäßig, an die landesrechtlichen Bestimmungen anzuknüpfen, weil die Leute daran gewöhnt sind und das deshalb psychologisch richtig ist. Das entspricht auch der Anregung, die der Herr Kollege Zinn gestern gegeben hat. Bei der passiven Wahlberechtigung kommt es aber an sich nur auf wenige Leute an, die aber im gleichen Parlament sitzen und die nun allerdings gleichmäßig zu behandeln wären. Denn es erschien uns unmöglich, gesetzt den hypothetischen Fall, daß überhaupt jemand aus Gruppe IV gewählt würde, daß der eine in das Parlament unter diesen Bedingungen und der andere vielleicht unter geringeren oder schwereren Bedingungen kommen kann. Es schien uns auch für die Wahlprüfung schwierig, diese Dinge zentral nachzuprüfen, wenn wir nicht gleichlautende Bestimmungen haben. Deshalb kamen wir im Wahlrechtsausschuß und auch gestern im Dreierausschuß bei dieser passiven Wahl-

berechtigung dazu,

sie generell zu regeln. Eine andere Frage sind die Anträge. Da habe ich meine eigene Meinung. Aber dazu will ich nicht sprechen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. v. Brentano! Dr. v. Brentano (CDU): Meine Damen und Herren! Für die amerikanische Zone, in der ich die Verhältnisse zu kennen glaube, schließe ich mich vorbehaltlos den Ausführungen und dem Antrag des Herrn Kollegen Dr. Dehler an. Ich bin nicht der Meinung, daß ein Wahlgesetz etwa der geeignete Platz wäre, um das höchst problematische Experiment der Denazifizierung an einem gewissen Personenkreis noch einmal zu wiederholen. Wenn in den anderen Zonen Verschiedenheiten bestehen, die wir nicht zu übersehen vermögen, dann bin ich schon der Meinung, daß wir diesen Absatz in den Ausschuß zurückverweisen. Denn wir können eine solche Frage von grundsätzlicher Bedeutung nicht hier irgendwie durch Zufallsentscheidung klären. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Seebohm, können Sie den Antrag, den Sie stellen

werden, jetzt verlesen? (Dr. Seebohm: Ich habe ihn Herrn Stock gegeben!) Schriftführer Stock (SPD): Ich habe ihn hier. Er lautet: Wer nach dem im Lande seines Wohnsitzes geltenden Landtags- bzw. Bürgerschahswahlgesetz im Zusammenhang mit der Entnazifizierung nicht wählbar ist. Das heißt also, was ich vorhin schon gesagt habe: Wer aufgrund des Landeswahlgesetzes oder, wie es in Bremen und Hamburg ist, des Bürgerschahswahl-

gesetzes nicht wählbar ist, kann auch für das Bundesparlament nicht wählbar sein. Präs. Dr. Adenauer: Herr v. Brentano, halten Sie Ihren Antrag auhecht, diesen Artikel mit den verschiedenen Anträgen an den Ausschuß zurückzuverweisen? (Dr. v. Brentano: Jawohl!) Das Wort hat Herr Dr. Becker. 407

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Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Ich möchte dringend bitten, davon abzusehen. Denn wir haben schon tagelang im Ausschuß darüber debattiert158) und sind nicht in der Lage, das Recht aus allen Zonen französische Zone, britische Zone, Berlin, amerikanische Zone, welch letztere ich allerdings kenne festzustellen und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Der gemeinsame Nenner ist am schnellsten nach dem Antrag Seebohm zu bekommen, der eben verlesen worden ist. Er bringt nur in der praktischen Durchführung die Schwierigkeit mit sich, daß das Wahlprüfungsgericht im künftigen Volkstag seinerseits die Arbeit machen muß, die dem Ausschuß nicht zu übertragen ich eben bitte. Präs, Dr. Adenauer: Herr v. Brentano, Sie halten also Ihren Antrag aufrecht? (Dr. v. Brentano: Nein, nach den Ausführungen von Herrn Dr. Becker ziehe ich ihn zurück.) Dann kämen wir zur Abstimmung über die verschiedenen vorliegenden Abänderungsanträge. Der weitestgehende Antrag ist der Antrag des Herrn Dr. Dehler, den zweiten Halbsatz zu streichen. Wenn der Antrag abgelehnt ist, kämen wir zu dem Antrag Dr. Seebohm von heute. Wenn der Antrag keine Mehrheit finden sollte, kämen wir zu dem Antrag Seebohm-Finck-Becker. Und zwar hat er den Inhalt, die Gruppe IV zu streichen. Sind wir uns über die Abstimmung vollständig klar? -

-

(Zustimmung.)

Wir stimmen also zunächst ab über den Antrag Dehler auf Streichung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dehler sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die gegen die Streichung sind, eine Hand zu erheben. Das ist unzweifelhaft die Mehrheit. Die Streichung ist abgelehnt. Dann kämen wir zur Abstimmung über den Antrag Seebohm von heute. Soll er —

-

nochmals

vorgelesen werden?

(Wird verneint.)

Vielleicht lesen Sie ihn doch vor, damit kein Irrtum vorkommt. Schrihführer Stock (SPD): „Wer nach dem im Lande seines Wohnsitzes geltenden Landtags- bzw. Bürgerschaftswahlgesetz im Zusammenhang mit der Entnazifizierung nicht wählbar ist." Präs. Dr. Adenauer: Ich bitte diejenigen, die hierfür sind, eine Hand zu erheben. (Schriftführer Stock: 35!) Wird noch weitere Zählung gewünscht?

(Rufe: Gegenprobe!)

Ich bitte erheben.

diejenigen,

die gegen diesen

Antrag Seebohm sind,

eine Hand

zu

(Schriftführer Stock: 28!)

Also ist der

Antrag Seebohm von heute Seebohm-Finck-Becker159) erledigt.

(Zustimmung.)

158) Der Pari. Rat Bd. 6, passim. 159) Drucks. Nr. 626a, Abdr. in Anm. 408

149.

angenommen. Damit ist der

Antrag

Achte

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Nr. 8

Das war der § 5. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Änderungsantrag zu § 8. (Kaufmann: Herr Präsident, es muß noch über § 5 und § 6 abgestimmt

werden!) Ist denn ein -

(Kaufmann:

Antrag

zu

§

6

da?

Ist keiner da!)

Na also! -

(Kaufmann: Aber abgestimmt muß werden!)

Meine Herren! Wir stimmen dann ab über den § 5 in der Form, wie er durch die Abstimmung über den Antrag Seebohm von heute festgestellt ist. Ich bitte diejenigen, die für den § 5 in dieser abgeänderten Form sind, die Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Angenommen. (Renner: Gegenprobe! Ich stimme gegen den Antrag.) Das ist Dann bitte ich diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. -



die Minderheit. Wir kommen dann zur Abstimmung über den § 6. Ich bitte diejenigen, die für § 6 sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Angenommen. § 7. Ich bitte diejenigen, die für § 7 sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Angenommen. Dann kommen wir zu § 8. Zu § 8 ist auf Drucksache Nr. 6281B0) ein Antrag von Dr. Finck, Kaufmann und Schröter gestellt, der Ihnen zugegangen ist. Das Wort wird nicht gewünscht, Herr Finck? (Dr. Finck: Nein, wir haben genug debattiert!) Das Wort hat Herr Kaiser. Kaiser (CDU): Bei § 8 ist mit Bezug auf Berlin vom Dreierausschuß eines nicht beachtet worden. Sowohl Dr. Suhr als auch ich haben gestern darauf hingewiesen, daß, was Berlin angeht, nicht nur die Westsektoren bei der Wahlkreiseinteilung berücksichtigt werden müssen, sondern ganz Berlin, das rechtlich und nach der Überzeugung der überwiegenden Mehrheit seiner Bevölkerung eine Einheit bildet. Die hier gefundene Lösung ist unbrauchbar; denn sie würde den Menschen, die anderer Auffassung sein zu dürfen glauben, wie z.B. unserem Freunde Renner, die Möglichkeit geben, zu behaupten, daß es uns nur um die Beachtung und die Einbeziehung von West-Berlin zu tun wäre. Da aber GroßBerlin eine Einheit ist, müssen wir Wert darauf legen, daß in § 8 in den Absätzen 3, 4 und 5 Berlin als Ganzes beachtet und genannt wird. (Zuruf: Nächste Seite!) Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Wenn nur einer spricht, kommen wir weiter. (Renner: Ich habe ums Wort gebeten!) Ich darf erst klarstellen, Herr Renner; Sie kommen schon zu Wort. In dem Vorschlag des Dreierausschusses, Herr Kaiser, heißt es auf Seite 6 bei Groß-Berlin „10 (+ 5)" und nachher nochmals „200 (+ 5)". Unter 6 ist allerdings, wie -

-

-

-

mir

scheint, ein Irrtum vorgekommen. (Rufe: Nein!)

160) Drucks. Nr. 628, Abdr.

in Anm. 80.

409

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Da muß es heißen: „Die zusätzlichen 15 Abgeordneten." Kaiser (CDU): Nein, Herr Präsident, das ist so ganz richtig. Aber das ist keine Lösung für uns. Die Stadtverordnetenversammlung und der Magistrat von Berlin fühlen sich für ganz Berlin verantwortlich, und wir, die 5 Abgeordneten von Berlin, sind nicht Abgeordnete für die drei Westsektoren, sondern wir sind auch von den Abgeordneten des Ostsektors als Vertreter für ganz Berlin gewählt, und wir müssen aus hochpolitischen Gründen Wert darauf legen, daß auch in dieser Formulierung das ist auch für Westdeutschland von Bedeuals Berlin Ganzes tung angesehen wird. Ob wir dann im Ostsektor wählen können, ist eine andere Frage. Aber wir müssen auf jeden Fall die Möglichkeit schaffen, daß gewählt wird. Präs. Dr. Adenauer: Dann, bitte, formulieren Sie den Antrag. Herr Renner, einen Augenblick, wir wollen erst den Antrag Finck161) abwarten. Denn ich nehme an, Sie werden doch einige Ausführungen dazu machen. -

-

-

(Heiterkeit.)

Der Antrag Finck ist zweifellos der weitestgehende, über den zunächst abgestimmt werden muß, weil er den ganzen Paragraphen ersetzen will. Ich bitte

diejenigen, diejenigen, abgelehnt.

die für den Antrag Finck sind, die Hand die dagegen sind, um das Handzeichen.

zu

erheben.

Der

Ich bitte

Antrag Finck -

ist

-

dem Änderungsantrag Kaiser. Ich nehme an, daß Sie Änderungsantrag stellen. (Kaiser: Der Antrag ist sofort formuliert: Berlin muß im Hinblick auf seine gesamte Einwohnerzahl in Abs. 3 und 4 Berücksichtigung finden!) So können wir es nicht machen. Wir müssen das dann in Ziffern hier ausrechnen. Sie können das eben machen. Herr Becker, vielleicht machen Sie es mit Herrn Kaiser zusammen. In der Zwischenzeit gebe ich Herrn Renner das Wort. Renner (KPD): Ich hätte bestimmt Ihre wertvolle Zeit nicht in Anspruch genommen, wenn ich nicht durch den Herrn Kollegen Kaiser angezapft worden wäre. Aber man muß Sie doch endlich ermahnen, für eine gute Regie zu sorgen, Herr Präsident. Nachdem gestern bereits die Panne passiert ist, daß in der Drucksache des zuständigen Wahlrechtsausschusses162) hinter dem Namen Berlin in Klammern steht „Westsektoren", müßte doch nun endlich, nachdem gestern auf diesen Fauxpas hingewiesen worden ist, dieser Fehler bereinigt worden sein. Nun zur Sache selber, Herr Kaiser, wieviel Einwohner haben Sie denn in Berlin? Wieviel Einwohner gibt es da?

Jetzt kommen

wir

zu

einen



(Kaiser:

3

V3 Millionen!)

161) Ebenda. 162) rjrucks. 624 führte Groß-Berlin als Land auf. Siehe auch den Wortlaut des § 8 Abs. 3 in der Fassung, wie er vom HptA in der 53. Sitzung am 23. Febr. 1949 angenommen wurde (Verhandlungen, S. 719). Im HptA war die Diskussion zwischen Renner und Kaiser bereits in ähnlicher Weise

410

abgelaufen.

Achte

Sitzung des Plenums

24.

Februar 1949

Nr. 8

3 V3 Millionen. Dann stehen Ihnen also die 10 + 5 zu, die Ihnen hier konzediert sind, wenn Sie in ganz Berlin zu einer Wahl für Westdeutschland kommen. (Kaiser: Für Deutschland kommen!) Für Westdeutschland kommen. (Kaiser: Nein, für Deutschland kommen!) Das ist eben der Irrtum in Ihrer Konzeption, auf den ich schon mehrfach hinzuweisen verpflichtet war. Sie wissen genau so gut wie ich, daß die Frage der Einbeziehung West-Berlins in den westdeutschen Bundesstaat vorläufig einmal nur Wunschtraum und Wunschvorstellung des Berliner Spaltermagistrats ist. Sie wissen ganz genau so gut, wie ich das weiß, daß Herr Reuter bei seinen Besuchen in London und Paris, als er diese Frage klären wollte, auf sehr eisige Zurückhaltung gestoßen ist. Wir wissen aber alle, daß ursprünglich in diesem Parlamentarischen Rat Berliner Vertreter überhaupt nicht hinzugezogen werden sollten. Es hat zu Anfang, als dann die Berliner nicht als Delegierte, sondern als Vertreter doch hinzugezogen worden sind, in diesem Punkte Auseinandersetzungen mit den Militärregierungen des Westens gegeben163). Also Sie haben keinen wie immer gearteten Rechtstitel, sich als Vertreter auch nur von WestBerlin hinzustellen und die Dinge so darzustellen, als sei das Mandat, das Sie von Ihrem Spaltermagistrat erhalten haben, die Aktivlegitimation, dieses Gesamtberlin in diese politische und wirtschahliche Situation hinein zurückzuentwickeln, wie wir sie im Westen haben. Sie glauben ja selber nicht, daß das möglich sein wird, und ein Mann wie Sie, Herr Kaiser, sollte es sich abgewöhnen, utopische Politik zu machen. Sie haben gestern selbst gesagt: Wenn wir in Ostberlin nicht wählen dürfen was ich als gegeben unterstelle -, dann können wir natürlich nicht eine Abgeordnetenzahl entsprechend der Einwohnerzahl von ganz Berlin in Anspruch nehmen, dann müssen wir uns mit einer Abgeordnetenzahl begnügen, die der Einwohnerziffer in den Westsektoren entspricht. Dem ist man nun entgegengekommen, indem man die Frage in der Form 10 + 5 offengehalten hat. Ich verstehe nun nicht, wollten Sie sich an mir nur reiben, Herr Kaiser, oder was hatten Sie vor? -

-

-

-

-



(Kaiser: Nein!)

Ich will Ihnen sagen, was Sie vorhatten. Ihnen brennt es auf den Nägeln. (Kaiser: Die Sorge um Deutschland!) Ach, lieber Gott, Herr Kaiser, spielen Sie nicht mit Deutschland und nehmen Sie nicht solche hohen Worte in den Mund. Ihnen geht es darum, die Westberliner Kapitalisten unter die Schutzmöglichkeiten und Schutzbestimmungen der wirtschaftlichen und politischen Ordnung Westdeutschlands zu stellen. Darum geht Ihr Spiel und um nichts anderes. (Zuruf rechts: Pfui!) Wenn Sie etwas anderes, wenn Sie die Einheit Deutschlands wollten, dann hätten Sie in Berlin und von Berlin aus eine andere Rolle spielen können. -

3)

Zu den Auseinandersetzungen mit den Alliierten Pari. Rat siehe Dok. Nr. 1, Anm. 17.

um

die

Beteiligung von Berlinern am 411

Nr. 8

Achte

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Februar 1949

(Kaufmann: Das ist eine Schande, was gesagt wird!) Ich bedauere, daß ich Ihre Zeit in Anspruch nehmen mußte, ich hatte es gar nicht vor. Kaufmann: Es ist eine Schande, daß etwas Derartiges in (Schlußrufe. diesem Hause einem Abgeordneten gesagt werden kann!) Das fällt auf den Begriff Drecklinie. (Kaufmann: Jawohl, daran sind Sie beteiligt!) Präs, Dr. Adenauer: Herr Kaufmann, Sie können sich dann zum Wort melden. (Renner: Das meine ich auch!) Herr Schmid, bitte! Dr. Schmid (SPD): Ich mache nur einen technischen Vorschlag. Ich glaube, daß dem Bedenken des Herrn Kollegen Kaiser Rechnung getragen werden sollte. Technisch könnte man das so tun, daß man die Zahl der Abgeordneten in Abs. 1 nicht mit 400, sondern mit 410 annimmt, daß man Groß-Berlin in Abs. 3 15 Abgeordnete, in Abs. 4 ebenfalls 15 Abgeordnete gibt und Abs. 6 wie folgt faßt: Falls in einem Teil des Bundesgebiets infolge höherer Gewalt Wahlen nicht stattfinden können, so verringert sich die Zahl der Abgeordneten entsprechend dem von der Wahl ausgeschlossenen Bruchteil der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Damit ist, glaube ich, allem Rechnung getragen. Präs. Dr. Adenauer: Ich überschaue nicht, ob nicht, wenn dem Vorschlag von Herrn Dr. Schmid entsprechend beschlossen wird, durch die Erhöhung der Ziffer auf 410 auch noch weitere Änderungen nötig werden. (Dr. Schmid: Nein!) Bei dem Divisor! (Dr. Schmid: Aber der Divisor 410 würde nur dann in Tätigkeit treten, wenn in Gesamtberlin gewählt wird!) Für den Fall müßten Sie das aber auch noch in dem anderen Paragraphen vorsehen. Dr. Schmid (SPD): Das muß man vorsehen. Man kann durch entsprechende Verweisungen die Möglichkeit der Anpassung an die jeweilige Situation schaffen. Präs. Dr. Adenauer: Nehmen Sie es mir als Verhandlungsleiter nicht übel, es wäre sehr wünschenswert, wenn das im Ausschuß vorher geklärt worden wäre; denn wir laufen sonst Gefahr, im Plenum Beschlüsse zu fassen, die nicht konkludent sind. Dann bitte ich doch zu versuchen, die Formulierung auch bei dem Divisorparagraphen jetzt schon zu machen. (Dr. Schmid: Kann man nicht diese Dinge zwischen der ersten und zweiten Lesung ins reine bringen?) Wann wollen Sie die zweite Lesung abhalten? Ich dachte, wir machen es heute. Wenn wir eine kleine Pause dazwischen machen, können wir die zweite und dritte Lesung nach meiner Meinung sehr schnell erledigen; denn es hat doch keinen Zweck, daß noch einmal geredet wird. (Dr. Grève: Das könnten wir in der Pause machen!) -

-

-

-

412

Achte Sitzung des Plenums 24. Februar 1949

Nr. 8

Meine Damen und Herren! Es wird jetzt viel schneller gehen. Sind wir uns klar über den Vorschlag Schmid wegen der Fassung dieses Paragraphen mit Rücksicht auf den Vorschlag des Herrn Kaiser?

(Zustimmung.)

Dann bitte

Änderung -

ich, Herr Kollege Becker, schon zu versuchen, die Folgen der festzustellen, ehe wir an die Paragraphen

400-410 im weiteren Text

herankommen. Wir kämen dann zur Abstimmung über diesen § 8 in der Form, wie er sich nunmehr nach dem Vorschlag Schmid darstellt. Ich bitte diejenigen, die für § 8 in dieser Form sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. (Renner: Ich habe dagegen gestimmt, Herr Präsident!) Dann bitte ich diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Fünf -

-

dagegen.

Der

Paragraph

ist angenommen. 9. Ich bitte diejenigen, die für den

-

Wir kommen zu § § 9 sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Angenommen. Wir kommen jetzt zu § 10. (Renner: Da ist ein Schönheitsfehler, da steht wieder das Wort „einschließ-

lich Großberlin"!) Dr. Schmid (SPD): Ein Vorschlag in Anpassung an die nunmehrige Fassung von § 8 mit der Zahl von 410. Es könnte in Abs. 1 so heißen: „durch die Zahl 410 bzw. die sich nach § 8 Abs. 6 ergebende Zahl geteilt." Dann wäre auch hier die Anpassung vollzogen. Präs. Dr. Adenauer: Bei § 10 Abs. 1, Sind wir uns über den Wortlaut klar?

(Zustimmung.) 10 liegt noch

§

ein Antrag Grève vor. Ich muß ihn noch verlesen: „In § 10 Abs. 3 wird Satz 2 gestrichen." Ich bitte, Herr Grève. Dr. Grève (SPD): Meine Damen und Herren! Wenn in § 10 Abs. 3 der bisherige Satz 2 erhalten bleibt, ist es möglich, daß es zwei Gruppen von Kandidaten gibt, die den Wahlquotienten erreicht haben, daß aber aus einer dieser Gruppen die Kandidaten, obwohl sie den Wahlquotienten erreicht haben, nicht Abgeordnete werden können, nämlich diejenigen, die nicht auf einer Liste stehen, während die Kandidaten, die den Wahlquotienten erreicht haben, aber auf einer Liste stehen, Abgeordnete werden können. Das scheint mir eine unmögliche Differenzierung von Kandidaten in zwei verschiedene Gruppen zu sein, die beide den Wahlquotienten erreicht haben, nämlich in die Gruppe derjenigen, die auf einer Landes- oder der Bundesliste untergebracht sind, und in diejenigen, die nicht auf einer Landesliste oder der Bundesliste untergebracht sind. Es gibt hier nur die Möglichkeit, bei der Zuteilung von Mandaten entweder alle zu berücksichtigen, die den Wahlquotienten erreicht haben, oder keinen zu berücksichtigen, der den Wahlquotienten erreicht hat, ohne daß er entweder in relativer Mehrheit direkt gewählt worden ist oder daß er nach der Reihenfolge auf einer Landesliste oder der Bundesliste zum Zuge kommt. Sonst würden zwei völlig verschiedene Systeme durcheinandergeworfen, so daß ich bitte, meinem Antrag unter Berücksichtigung der von mir gegebenen Begründung zuzustimZu

men.

Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Becker! 413

Nr. 8

Achte

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Februar 1949

(Dr. Becker: Ich bitte vielleicht Herrn Dr. Diederichs sich äußern zu lassen, der den Antrag gestellt hat.) Ich meine jetzt nicht als Antragsteller, sondern als Berichterstatter. Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Diese Formulierung entspricht einem Antrag des Kollegen Dr. Diederichs164). Sie ist im Hauptausschuß angenommen worden und erschien auch deshalb plausibel, weil der Kandidat, wenn er auf der Landesliste als Wahlkreiskandidat doch schon die volle Wahlzahl erhalten hat, durch die Zahl, die er sich selbst auf seinen Namen oder auf seine Persönlichkeit hin erworben hat, bevorzugt zu werden verdient. Das waren die Gedankengänge, die Kollege Diederichs hatte. Wir kämen dann zur Präs. Dr. Adenauer: Wird das Wort noch gewünscht? Abstimmung über § 10, und zwar zunächst über den Abänderungsantrag Schmid. Er bezieht sich auf die 400-410 usw. Ich bitte diejenigen, die für diesen Abänderungsantrag Schmid sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Angenommen. Wir kämen dann zur Abstimmung über den Antrag Grève zu dem anderen Absatz in dem Paragraphen. Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag Grève sind, eine Hand zu erheben. 27. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Das erste war die Mehrheit. Angenommen. Ich bitte diejenigen, die für den § 10 nach Annahme dieser AbänderungsanträDas ist die Mehrheit. Angenommen. ge sind, eine Hand zu erheben. sind den zu Jetzt folgenden Paragraphen bis zu § 18 keine Abänderungsanträge Ich gestellt. schlage vor, über die §§ 11 bis 17 zusammen abzustimmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die dafür sind, die Paragraphen 11 bis 17 in dieser Fassung anzunehmen, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, Das erste war die Mehrheit. Angenommen. eine Hand zu erheben. Dann kommen wir zu § 18. Hier liegt ein Antrag des Herrn Seebohm vor. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 18 hat uns schon gestern im Hauptausschuß im Zusammenhang mit einem Antrag der CDU/CSU auf Einfügung eines § 16a beschäftigt165). Es handelt sich darum, daß nach dem Vorschlag des Entwurfs die Verbindung mehrerer Wahlvorschläge als unstatthah erklärt ist. Nach dem Vorschlag des Dreierausschusses soll nun an Stelle dessen folgende Formulierung gesetzt werden: Die Verbindung von Wahlvorschlägen mehrerer Parteien ist unstatthah. CDU und CSU gelten als eine Partei. Meine Damen und Herren! Es erscheint mir sehr merkwürdig, in einem solchen Gesetz eine lex specialis für bestimmte Gruppen zu machen und damit gewissermaßen ein Sonderrecht zu schaffen. Ich bin der Auffassung, wenn wir uns der Tatsache gegenübersehen, daß in verschiedenen Zonen verschiedene Parteien entstanden sind, die in enger Zusammenarbeit miteinander stehen, daß wir grundsätzlich für diese eine Wahl auf den § 18 verzichten und es dem Bundes-

-

-

-

-



-

-

-

164) Drucks.

Nr. 621.

165) Ebenda,

S. 721.

Verhandlungen,

414

Vgl. dazu Dr. Diederichs in der 53. S. 721.

Sitzung des HptA am 23. Febr.

1949;

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Nr. 8

überlassen sollten, sich zu dieser Frage noch einmal grundsätzlich äußern. Es werden sich bei der Form, die das Wahlgesetz jetzt hat, wohl irgendwelche Schwierigkeiten daraus nicht ergeben. Ich halte es für optisch und sachlich richtig, daß man diese Vorschrift streicht. Ich bitte deshalb, mei-

Wahlgesetz zu

nem Antrag zuzustimmen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner! Renner (KPD]: Meine Damen und Herren! Ich hatte heute morgen schon Gelegenheit, auf diesen eigenartigen Tatbestand hinzuweisen, daß die CDU/CSU im

Gegensatz zu ihrer angeblichen grundsätzlichen Einstellung für das absolute Mehrheitswahlsystem sich hier de facto zu einer Listenverbindung bekennt. Diese meine Feststellung ist nicht beanstandet worden, auch nicht durch Herrn Kaufmann, der sich heute darin gefällt, mir gute Lebensformen anzuerziehen. Aber ich mache auf eines aufmerksam. Draußen in der Politik, in der Öffent-

lichkeit hat sich die CDU/CSU bisher peinlich gegen eine Feststellung nach der Richtung verwahrt: Ihr seid ein und dieselbe Partei. Es ist auch nirgendwo in ganz Westdeutschland zu einem engeren Zusammenschluß gekommen als zu dem einer Arbeitsgemeinschah. Intimer ist das Verhältnis nicht geworden. Das hat natürlich seine politischen Gründe. Sie liegen nicht in der Tatsache, daß auf der einen Seite der böse Mann, der Herr Adenauer, ist, auf der anderen der Herr Pfeiffer; das hat tiefere Gründe. Aber hier Seite sagen wir einmal umschiffen wir diese tieferen Gründe, indem wir in ein Bundesgesetz eine absolute lex specialis hineinarbeiten. Ich kenne keine Verfassung der Welt, in der der Name einer Partei erwähnt ist. Wir haben hier also ein Gesetz, in dem, um der CDU/CSU die offizielle Verschmelzung zu ersparen und ihr doch noch die Vorzüge und die Profitmöglichkeiten einer Listenverbindung zu eröffnen, ihr das konzediert wird. Ich weiß wirklich nicht, ob man das verantworten kann. Herr Dr. Konrad Adenauer, reden Sie doch Ihren guten Freunden zu, daß sie um des guten Zweckes einiger mehr zu erobernder Mandate willen endlich sich auch öffentlich in die Arme sinken. Gleiche Brüder, gleiche Kappen! Wir haben gerade dieser Tage Fastnacht. Es ist die beste Zeit, diesen Akt zu vollziehen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Kaufmann. Kaufmann (CDU): Der Herr Abgeordnete Renner hat bewiesen, daß es technisch möglich ist, wenn man genügend darin herumrührt, auch aus der saubersten Quelle Unrat zu schöpfen. Das hat er aber schon mehrfach bewiesen. (Renner: Ich habe in der CDU gerührt!) Rühren Sie nicht zuviel daran, es könnte für Sie peinlich werden. Meine Damen und Herren! Wir haben den Antrag, wie er hier formuliert ist, nicht gestellt. Ich halte ihn in dieser Form auch nicht für richtig, sondern wir haben gestern den Antrag gestellt, daß Listenverbindungen zulässig sind. Davon hat man aus allen möglichen Gründen, von denen man sich vorstellt, daß sie möglicherweise zu Verwicklungen führen könnten, absehen wollen und hat dann im Hauptausschuß erklärt, daß es doch genüge, wenn eine gemeinsame Erklärung abgegeben wird, daß alle Parteien meinen, daß z.B. die verschiedenen Landesorganisationen der CDU und der CSU eine Einheitspartei seien. Da sich aber der Hauptausschuß klar wurde, daß eine derartige Erklärung kein Recht -

-

-

415

Achte

Nr. 8

schafh, hat

Sitzung des Plenums

man nun

24.

Februar 1949

versucht, irgendeine Formulierung

zu

finden166). Richtig

wie sie von Herrn Seebohm vorgeschlagen ist. Wir werden ihr zustimmen. Wenn die Möglichkeit der Änderung nicht gegeben ist, würde uns nichts anderes übrigbleiben, als dieser sehr unglücklichen Fassung des Dreierausschusses zuzustimmen, die ich weder für schön noch für üblich halte. Das ist alles, was dahinter steckt. Alles übrige, was Sie gesagt haben, Herr Renner, entspringt ausschließlich Ihrer Phantasie. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Schmid. Dr. Schmid (SPD): Es besteht kein Zweifel, daß ein Verbot der Listenverbindung sinnvollerweise nicht das Verbot der Verbindung von Listen rechtlich unabhängiger Organisationen einer ideologisch geschlossenen Partei, wie die Partei der CDU/CSU das ist, bezwecken konnte. Ich glaube, das haben wir gestern klipp und klar zum Ausdruck gebracht. Was mit dem Art. 18 verhindert werden soll, ist, daß Parteien, die ideologische Unterschiede aufweisen, sich im Wege der Listenverbindung Mandate erwerben, die ihnen sonst nicht zufallen würden. Man sollte sich angewöhnen, den politischen Wahlkampf klar und sauber zu führen. Man soll sagen: Das und das vertrete ich, das und das will ich, und das sind die Methoden, die ich anzuwenden gedenke. Wenn sich Gruppen zusammenfinden, die das gleiche wollen, das gleiche vertreten, die gleichen Methoden vorschlagen, sollen sie von vornherein als eine Partei mit einem Namen auftreten. Denn die Flagge deckt die Ladung. Wenn Sie das nicht können oder nicht wollen, sollen sie nicht mit Hilfe des Tricks oder des Kunststücks einer Listenverbindung sich zusätzliche Mandate erwerben wollen. Ich könnte in einem solchen Verfahren nichts sehr Ruhmvolles finden. Wenn man in den politischen Kampf geht, soll man sein Visier aufschlagen und soll zeigen, wer man ist. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt der Antrag Seebohm auf Streichung des § 18 vor167). Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Seebohm sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind! Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den § 18 in der Fassung des Dreierausschusses. (Dr. Menzel: Ich bitte, satzweise abzustimmen.) Sie beantragen, über die beiden Sätze getrennt abzustimmen? ist die

Formulierung,

-

-

-

-

(Wird bejaht.)

Es ist also beantragt, über die beiden Sätze getrennt abzustimmen. Ich darf die Sätze vorlesen. Zunächst würde über den Satz abzustimmen sein: „Die Verbindung von Wahlvorschlägen mehrerer Parteien ist unstatthaft." Dann würde über den zweiten Satz abzustimmen sein: „CDU und CSU gelten als eine Partei." Wir stimmen zunächst über den ersten Satz ab. Ich bitte diejenigen, die für den ersten Satz sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind! Das erste war die Mehrheit. Angenommen.

-

-

-

16fi) 167) 416

Ebenda. Der Antrag

war

in Drucks. Nr. 626 enthalten.

Achte

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Nr. 8

Wir kommen zur Abstimmung über den zweiten Satz. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. 28. Diejenigen, die dagegen sind, bitte ich, 19. Damit ist der § 18 angenommen. eine Hand zu erheben. Zu den §§ 19, 20 und 21 sind keine Anträge gestellt. Ich bitte diejenigen, die für diese Paragraphen sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen Mehrheit. sind sind! die Die Das erste war angenommen. Paragraphen Wir kommen jetzt zu § 22. Dazu liegt ein Antrag Seebohm vor. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um die Frage, die Abgrenzung der Wahlkreise durch einen Ausschuß vorzunehmen, der jeweils aus den Ministern des Innern und 12 von den Landtagen zu wählenden Mitgliedern besteht. Dieser Ausschuß soll nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. Es ist gestern im Hauptausschuß168) von Herrn Dr. Diederichs gesagt worden, er könne sich nicht vorstellen, daß man einen solchen Ausschuß zusammensetzt, ohne daß darin nicht wenigstens ein Vertreter jeder Partei, die dem Landtag bzw. der Bürgerschah angehört, vertreten ist. Ich lege aber doch Wert darauf, diese Auffassung hier ganz grundsätzlich zu verankern, und meine, daß eine solche protokollarische Notiz allein nicht für jeden Fall genügt, daß es vielmehr richtig wäre, um alle Zweifel auszuschließen, diesen Gedanken hier klar zum Ausdruck zu bringen. Ich möchte deshalb vorschlagen, dem zweiten Satz des ersten Absatzes im § 22 den Nachsatz anzuhängen: „jedoch mit der Maßgabe, daß mindestens ein Vertreter jeder im Landtag vertretenen Partei diesem Ausschuß angehören muß." Das ist schon deswegen notwendig, weil sich in den verschiedensten Landtagen und Bürgerschahen ergeben kann, daß kleinere Parteien gegebenenfalls nur mit einem oder zwei Abgeordneten vertreten sind. Es ist aber wichtig, daß bei der Abgrenzung der Wahlkreise alle Parteien gehört werden. Ich halte das für demokratisch. Denn Sie wissen alle, wie sehr es bei der Abgrenzung der Wahlkreise darauf ankommt, die Interessen der verschiedenen Parteien gegeneinander abzuwägen, und daß deshalb die Stimme auch der kleinsten Partei, die bereits durch einen Abgeordneten vertreten ist, gehört werden muß. Daß sie sich in einem solchen Ausschuß nicht voll durchsetzen kann, ergibt sich von selbst, da sie bei 12 Mitgliedern niemals bestimmend sein kann. Es wird ihr aber bei dieser Fassung Sitz und Stimme gesichert, und man kann dann wirklich sagen, daß wir demokratisch verfahren. Aus diesem Grunde bitte ich, meinem Antrag zuzustimmen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Diederichs. Dr. Diederichs (SPD): Meine Damen und Herren! Ich wundere mich, daß Herr Dr. Seebohm diesen Antrag noch bringt. In der Hauptausschußsitzung hat er ausdrücklich auf meine Erklärung, daß eine loyale Handlungsweise selbstverständlich wäre, erklärt, eine solche Erklärung genüge ihm169). Jetzt erhebt er es zum Antrag, um es im Gesetz zu verankern. Ich muß das so auffassen, Herr Seebohm, daß Sie dieser Zusicherung doch nicht zu trauen scheinen. (Dr. Seebohm: Ihnen schon, Herr Dr. Diederichs!) -

-

-

-

168) Siehe Anm. 169) Ebenda.

164,

Verhandlungen, S.

723.

417

Nr. 8

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Das bezieht sich nicht auf meine Person. Aber Sie scheinen zu glauben, es könnte sich doch nur um große Grund zu haben, daß es andere gibt Parteien außerhalb von uns handeln -, die anders verfahren würden. Dieses Ihr Mißtrauen muß ich Ihnen überlassen. Wir halten eine solche Bestimmung für überflüssig, weil wir so viel Fairneß doch schon gelernt haben. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Renner. Renner (KPD): Zu der Beanstandung, die Herr Dr. Seebohm hier vorgetragen hat und die durch Ihre Erklärung, Herr Dr. Diederichs, aus der Welt geschafft zu sein scheint, kommt doch ein anderes Moment hinzu. Es gibt de facto Landtage, in denen nicht alle in einem Lande zugelassenen demokratischen Parteien vertreten sind, nämlich Schleswig-Holstein und Bayern.

-

-

(Zuruf.)

Nein, nicht nur deshalb, sondern weil man die Mandate durch ein gekünsteltes Wahlgesetz eskamotiert hat, wie man das nennt170). Aber wir machen ein erstes Gesetz für eine einmalige Wahl. Was steht im Wege, in Ergänzung des Gedankengangs und der Zusage des Herrn Dr. Diederichs noch hinzuzufügen, daß man dort, wo die in dem jeweiligen Lande zugelassenen demokratischen Parteien im Landtag nicht durch Abgeordnete vertreten sind, zumindest ihre Parteiorganisation mit einem Vertreter hinzuziehen muß?

-

(Dr. Grève: Da kommen wir mit dem Begriff „demokratisch" in Komplikationen. Dr. Katz: „Demokratisch" würde einen großen Prozeß geben.) Nein, „demokratisch" kann im Augenblick bei uns im Westen noch keinen großen Prozeß geben, weil alle zugelassenen Parteien nur deshalb zugelassen sind, weil die Besatzungsmächte sie für demokratisch halten. Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, Sie sprechen nicht zu dem Antrag See-

-

bohm. Renner (KPD): Doch, ich spreche dazu. Ich möchte einen Zusatzantrag stellen. Ich möchte im Ernst anregen, daß wir das so ausdehnen. Wir können doch nicht anerkennen, daß, wo in einem Land solche Klauseln geschaffen worden sind, die Partei, die bei der kommenden Wahl eventuell eine Chance haben wird, von vornherein bei der Festlegung der Wahlbezirke ausgeschaltet werden soll. Bewähren Sie sich doch als Demokraten! Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, ich bitte Sie, den Antrag zu formulieren. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Minister des Innern waren früher in den Hansestädten die Polizeiherren. Polizeiherren im hüheren Sinne gibt es augenblicklich nicht. Ich möchte deshalb bitten, hinter „dem Minister des Innern" einzufügen: „beziehungsweise dem Präsidenten des Senats". Der Präsident des Senats wird derjenige sein, der am ehesten die Funktion jetzt ausübt. (Schönfelder: Das würden wir auch ohnedem so machen.) Das Präs. Dr. Adenauer: Herr Schönfelder, haben Sie Bedenken dagegen? scheint nicht der Fall zu sein. Schönfelder (SPD): Ich glaube, es geht auch ohnedem. Dann beschließen wir in Hamburg: er ist Minister des Innern. Das bringen wir fertig. -

') 418

Zu den

Wahlgesetzen der Länder siehe Lange: Wahlrecht, passim.

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Nr. 8

Präs. Dr. Adenauer: Stellen Sie einen Antrag, Herr Dr. de Chapeaurouge? Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich stelle den Antrag, einzufügen: „beziehungswei-

dem Präsidenten des Senats". (Dr. Becker: Und wie ist es in Bremen? Kaiser: Und in Berlin?) Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, haben Sie Ihren Antrag fertig? se



(Renner: Nein!)

Dann stellen wir die Abstimmung über den § 22 zurück, bis der Antrag des Herrn Renner hier angelangt ist. Wir kommen nun zu den folgenden Paragraphen. Zu den folgenden Paragraphen sind keine Anträge mehr gestellt. Ich schlage Ihnen vor, über sämtliche -

folgenden Paragraphen

zusammen abzustimmen. Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Ich sehe in § 22 Abs. 2 der Fassung des Dreierausschusses einen Fehler. Der Satz: „Bei ihrer Bildung sollen die Stadtund Landkreisgrenzen erhalten bleiben" muß auch in den Vorschlag des Dreierausschusses hinein.

Grève: Das ist nicht gesagt. Dazu müssen Sie einen Antrag stellen.) ist nicht nötig. Ich gebe nur den Beschluß des Dreierausschushier falsch ses, der wiedergegeben ist, in seiner richtigen Fassung wieder. Durch irgendein Versehen muß der Satz weggeblieben sein. Präs. Dr. Adenauer: Sie sind nicht zu verstehen. Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Im Abs. 2 des § 22 stand der Satz: „Bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen erhalten bleiben." Das sollte auch nach dem Vorschlag des Dreierausschusses so bleiben und ist durch ein

(Dr.

Ein

Antrag

-

Versehen offenbar nicht nur

richtigstellen.

hineingesetzt

worden. Ich will also diese

Auslassung

Präs. Dr. Adenauer: Das ist also ein Druckfehler?

(Dr. Becker: Ja!) Das gehört also noch dazu. Darüber sind wir uns jetzt klar. Wir kommen dann zur Abstimmung über die Paragraphen 23 ff. bis zum Schluß. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. DiejeniDas erste war die Mehrheit. Die Paragraphen sind gen, die dagegen sind! angenommen. Jetzt müssen wir noch den Antrag Renner bekommen. Der Abänderungsantrag des Herrn Renner zu dem § 22 lautet folgendermaßen: Sofern zugelassene Parteien in den Landtagen nicht vertreten sind, erhalten sie ebenfalls Sitz und Stimme. Brockmann (Z): Das könnte man doch viel einfacher machen, indem man den Antrag Seebohm dahin ändert, daß man schreibt: „mindestens einem Vertreter jeder im Lande zugelassenen Partei". Das ist doch dasselbe. Präs. Dr. Adenauer: Nein, Sie können den Landtagen so etwas nicht vorschrei-

-

-

ben.

(Brockmann: Das will aber Herr Renner.) (SPD): Man könnte dem Wunsch dadurch Rechnung tragen, daß

Dr. Diederichs man

de

hineinschreibt: Der Verhältnisberechnung werden die Wahlziffern zugrunso daß es nicht nach der Mandatsziffer, sondern nach den abgegebeWahlziffern geht.

gelegt,

nen

419

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(Renner: Einverstanden! Stock: Dann kriegt ihr ja 9 Parteien. Renner: Was schadet denn das?) Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Becker, vielleicht können Sie sich als Berichterstatter zu dem Vorschlag äußern. Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Ich bin mit dem Vorschlag Diederichs einver-

-

standen.

Wir haben noch gar nicht die Wahlziffem. Der Antrag Diederichs setzt doch voraus, daß schon gewählt ist. (Renner: Letzte Landtagswahl! Zum Landtag ist immer gewählt worden.) Präs. Dr. Adenauer: Der Vorschlag heißt so: „. erfolgt durch einen Ausschuß. Dieser besteht aus dem Minister des Innern und 12 vom Landtag nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Mitgliedern." Darf ich zunächst einmal fragen: Mitgliedern des Landtags, oder wovon sonst? (Dr. Menzel: Natürlich! Dr. Seebohm: Ist nicht nötig. Dr. Heuss: Muß nicht sein, nur von ihm gewählt! Dr. Schäfer: Mitglieder der zugelasseDr. Menzel

(SPD):

.

-

-

nen

Parteien!)

.

-

Landtag kann 12 beliebige Personen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Darf ich dann einmal fragen, was das bedeutet? Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Das ist ganz einfach. So steht es in jeder Verfassung, zum Beispiel auch in der hessischen Verfassung über die Wahl des Staatsgerichtshofs; sie geschieht nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Das heißt, es werden Listen von den Wählern, das sind hier die Abgeordneten, aufgestellt, und nach dem Verhältnis der Stimmen, die auf jede Liste entfallen, werden die Sitze verteilt. Präs. Dr. Adenauer: Der Herr Kollege Stock sagt: nach der Stärke der Fraktionen in den Landtagen. Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Nein. Wenn die Fraktion mit einer anderen zusammen eine gemeinschaftliche Liste macht, ist klar, daß es nach dieser Liste Man muß das klarstellen. Also der

wählen, und

-

geht.

zwar

Es gibt durchaus die Möglichkeit einer Verbindung der beiden Gedankengänge. Wenn man sagt: „12 Vertreter der im Lande zugelassenen Parteien, die im Verhältnis der Stimmenzahl bei der letzten Landtagswahl gewählt werden", sind alle Schwierigkeiten aus der Welt geschafft. Dann gibt es 12 Vertreter, und die großen Parteien haben eine entsprechend größere Anzahl. Dann ist doch alles in Ordnung. Landtagswahlen haben überall stattgefunden. Die Zahlen liegen fest. Was hindert uns daran, eine derartige Regelung zu Renner

(KPD):

treffen? Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Es bestehen keine Bedenken, dem Antrag Dr. Diederichs stattzugeben, der folgendermaßen zu verstehen ist: Statt nach dem Verhältnis der Abgeordneten zu wählen, wählt man nach dem Verhältnis der bei der letzten Landtagswahl oder Bürgerschahswahl abgegebenen Stimmen, um auch die Parteien, die es zu keinem Mandat gebracht haben, dabei zu berücksichtigen und um andererseits auszuschließen, daß alle möglichen Parteien, die keine Stimme bekommen haben, nun auch noch Vertreter in den Ausschuß schicken. 420

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Nr. 8

Präs. Dr. Adenauer: Mir scheint das etwas wenig überlegt zu sein. (Schönfelder: Mir auch!) Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin doch der Auffassung, daß durch meinen Antrag die Sache am einfachsten und richtigsten gelöst wird. Ich gebe zu, daß das Bedenken des Herrn Kollegen Renner, daß in den Landtagen gewisse Parteien nicht vertreten sind, dabei nicht berücksichtigt wird. Man könnte diesem Gedanken so Rechnung tragen, wie es Herr Kollege Brockmann ausgeführt hat, indem man vorschlägt, anzufügen: „jedoch mit der Maßgabe, daß mindestens ein Vertreter jeder im Lande zugelassenen Partei diesem Ausschuß angehören muß." Gegen diese Fassung bestehen deshalb gewisse Bedenken, weil man die Zahl der Zulassungen von Parteien nicht beschränken kann. Ich bin deswegen doch der Ansicht, daß man die Zugehörigkeit zu diesem Ausschuß auf die Parteien beschränken muß, die jeweils bereits in den Landtagen vertreten sind. Ich glaube, daß wir damit auch demokratisch richtig handeln. Diejenigen Parteien, die nicht in einem Landtag vertreten sind, sind doch irgendwie in anderen Ländern vertreten und können sich da nach ihrer Bedeutung einschalten, wo sie stärker vertreten sind. Aber den von mir vorgeschlagenen Zusatz halte ich doch für zweckmäßig. Dr. Grève (SPD): Mir scheint die Sache durch Anträge nur kompliziert und nicht vereinfacht zu werden. Ich bin gegenüber dem Kollegen Seebohm der Auffassung, daß auch sein Antrag nicht zur Simplifizierung, sondern nur zur Komplizierung beiträgt. Ich schlage vor, es bei der bisherigen Fassung des § 22 Abs. 1 zu belassen, es im übrigen den Ländern selbst zu überlassen, die Regelung nach dieser Vorschrih zu treffen, und alle Abänderungsanträge abzulehnen.

(KPD): Wenn feststeht, daß z.B. in Bayern meine Partei trotz einer relativ sehr hohen Stimmenzahl im Lande nicht einen einzigen Abgeordneten im Landtag hat, dann muß man meines Erachtens doch dafür sorgen, daß eine Partei, die zahlenmäßig so stark ist cum grano salis, relativ gesehen -, zum mindesten in einer derartigen Frage ein Wörtchen mitreden kann, fch sehe ein, daß man 12 nicht auheilen kann. Renner

-

(Zuruf: 25!)

wir einen Zusatz einführen würden, daß nach dem d'Hondtschen Verfahren171) vorgegangen wird, dann würden wir damit den großen Parteien ihr Stimmenverhältnis garantieren, aber auch Parteien, die eine gewisse Anzahl von Stimmen auf sich vereinigt haben, würden dann nicht zu kurz kommen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Es liegen drei Anträge vor: 1. der Antrag des Dreierausschusses, 2. der Antrag Dr. Seebohm, 3. der Abänderungsantrag Renner. Der Abänderungsantrag Renner ist der weitestgehende, weil er auch Parteien berücksichtigt, die nicht im Landtag vertreten sind. Ich würde also, wenn Sie damit einverstanden sind, zunächst über den Abänderungsantrag Renner und dann über den Abänderungsantrag Dr. Seebohm abstimmen lassen. Aber

wenn

m) d'Hondtsches Verfahren

siehe Dok. Nr. 7, Anm. 26. 421

Nr. 8

Achte

Sitzung des Plenums 24. Februar 1949

Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag Renner sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte die, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Dr. Seebohm. Ich bitte diejeniWer ist dagegen? gen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Auch der Antrag Dr. Seebohm ist abgelehnt. Wir kommen damit zur Abstimmung über den § 22 in der Fassung der Vorlage. Ebenso die, die Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. sind. Der § 22 ist angenommen. dagegen Wir kommen nunmehr zur Gesamtabstimmung über den Wahlgesetzentwurf mit Einschluß der jetzt beschlossenen Abänderungen. Ich bitte diejenigen, die für den Gesetzentwurf einschließlich der heute beschlossenen Abänderungen sind, eine Hand zu erheben. Ebenso diejenigen, die dagegen sind. Der Entwurf ist in dieser Fassung in erster Lesung ange-

-

-

-

-

-

-

-

nommen.

[3. WAHLGESETZ, ZWEITE UND DRITTE LESUNG] Nun kämen wir, meine Damen und Herren, zur zweiten und dritten Lesung. Dazu möchte ich Ihnen folgendes Verfahren vorschlagen. Unsere Geschäftsordnung läßt uns vollkommene Freiheit, zwischen der ersten, zweiten und dritten Lesung eine Pause einzulegen oder nicht. Ich glaube, es ist richtig, wenn wir die zweite und auch die dritte Lesung unmittelbar an die erste anschließen. Die ganze Materie ist sowohl im Hauptausschuß wie auch heute im Plenum so gründlich durchberaten worden, daß alle Mitglieder des Parlamentarischen Rates sich darüber klar sein werden, wie sie ihre Stimme abge-

ben wollen. Ich möchte Ihnen weiter vorschlagen, daß wir in der zweiten und dritten Lesung in keine Debatte mehr eintreten, daß wir ferner auf die Abstimmung über die einzelnen Paragraphen verzichten und also nur noch zwei Gesamtabstimmungen vornehmen. Herr Abgeordneter Dr. Menzel! Dr. Menzel (SPD): Ich möchte zur zweiten Lesung doch den Antrag stellen, dem § 5 Buchstabe c wieder die alte Fassung, also nicht die Fassung der ersten zu geben. (Wagner: Zur Geschähsordnung!) Präs. Dr. Adenauer: Zur Geschähsordnung

Lesung,

Herr Abgeordneter Wagner! und Die parlamentarische Übung, drei Herren! Damen Wagner (SPD): Meine Ich habe den Eindruck, wir ihren hat Sinn. guten Lesungen durchzuführen, haben heute zum Teil Bestimmungen so rasch beschlossen, daß es mir wichtig

erscheint, einzelne Fragen noch einmal zu überlegen und zwischen der ersten und den übrigen Lesungen eine Pause einzuschalten. Ich beantrage deshalb, die zweite und dritte Lesung auf morgen zu vertagen, so daß die Möglichkeit besteht, die Dinge noch einmal in Ruhe zu überdenken. Herr Schönfelder! Präs. Dr. Adenauer: Sie haben den Antrag gehört. -

422

Achte

Sitzung des Plenums 24.

Februar 1949

Nr. 8

Schönfelder (SPD): Ich würde dann vorschlagen, jetzt eine Pause einzulegen und die beiden Lesungen in einer Abendsitzung durchzuführen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Strauß! Dr. Strauß (CDU): Für den Fall, daß heute die zweite und dritte Lesung nicht mehr stattfinden sollten, beantrage ich, sie erst in der nächsten Woche vorzunehmen. Ein großer Teil der Abgeordneten hat sich darauf eingerichtet, daß die Sitzung heute zu Ende geht. Die Herren sind durch dringende anderweitige Inanspruchnahme verhindert, morgen hier zu sein. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen doch vorschlagen, daß wir eine Pause von etwa einer Viertelstunde oder zehn Minuten eintreten lassen und dann die zweite und dritte Lesung vornehmen. Die Materie ist völlig klar, ich glaube nicht, daß heute wider den Willen der Mehrheit des Hauses irgendwelche Beschlüsse gefaßt wurden. Ich glaube auch nicht, daß die Mehrheit des Hauses, wenn wir die Sitzung bis morgen vertagen, in diesem oder jenem Punkt noch zu einer anderen Auffassung kommen wird.

Herr Abgeordneter Renner! Renner (KPD): Ich habe heute morgen einen Antrag gestellt172), Herr Präsident, das Plenum möge sich nach Abschluß der ersten Lesung vertagen. Ich hätte erwartet, daß Sie über diesen Antrag wenigstens hätten abstimmen lassen. Präs. Dr. Adenauer: Wir sind ja noch da. Renner (KPD): Ich erinnere nur höflich an den von mir gestellten Antrag. Präs. Dr. Adenauer: Ich schlage Ihnen also, meine Damen und Herren, vor, die Sitzung auf 10 Minuten zu unterbrechen. Es ist so beschlossen. Ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um 18.37 Uhr unterbrochen. Die Sitzung wird um 18.50 Uhr wieder aufgenommen. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die zweite Lesung ein. Herr Abgeordneter Dr. Menzel! Menzel (SPD): Meine Damen und Herren! Ich hatte beantragt, den § 5 Buchstabe c in der alten Fassung des Hauptausschusses wiederherzustellen. Die Rechtslage in der britischen Zone ist doch nicht ganz klar, so daß es, falls über die Wählbarkeit nur die Landesgesetzgebung entscheidet, durchaus möglich ist, daß ein nach Kategorie IV Eingestuher wählbar ist. In der britischen Zone sind im allgemeinen nach Kategorie IV diejenigen gekommen, die in der amerikanischen Zone nach III eingestuft werden. Lediglich um der Klarstellung willen bitte ich, die alte Fassung wiederherzustellen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Ich widerspreche dem Antrag und beziehe mich auf meine Ausführungen in der ersten Lesung. Abgesehen davon, daß ich es als absolut untragbar empfinde, wenn diese Gruppenbezeichnung in unser Gesetz aufgenommen wird, bin ich auch der Auffassung, daß die in erster Lesung beschlossene Fassung völlig genügt. Wenn wir die Wahlberechtigung an die Vorschriften der Landeswahlgesetze binden, können wir das auch bezüglich der Wähl—

172) Siehe

S. 348.

423

Nr. 8

Achte

Sitzung des Plenums

24.

Februar 1949

barkeit tun. Ich bitte Sie daher, den Abänderungsantrag des Herrn Kollegen Dr. Menzel abzulehnen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Menzel hat, wie Sie gehört haben, beantragt, den § 5 Buchstabe c in der alten Fassung wiederherzustellen. Das Haus hat soeben den Antrag Dr. Seebohm angenommen. Ich nehme an, daß das Haus sich der Tragweite des Antrags Dr. Menzel klar ist. Wer für den Antrag Dr. Menzel ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. Ebenso, wer dagegen ist. Der Antrag Dr. Menzel ist mit 31 gegen 22 Stimmen angenommen. Damit ist die alte Fassung des § 5 Buchstabe c wiederhergestellt. (Dr. Seebohm: Ich bitte ums Wort!) Wozu? (Dr. Seebohm: Weil ich selbst einen Abänderungsantrag zu der jetzigen Fassung stellen will.) Es ist doch bereits abgestimmt. Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Verzeihen Sie, das ist doch ein Abänderungsantrag zur jetzt beschlossenen Fassung. Präs. Dr. Adenauer: Verzeihen Sie; nach der Geschähsordnung ist das nicht

-

-

-

-

-

möglich.

Dr. Schmid

Kollege Dr. Seebohm einen stellen müssen. Dr. Seebohm (DP): Ich behalte mir dann vor, in der dritten Lesung einen Abänderungsantrag zu stellen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner. Renner (KPD): Ich bestehe nicht auf meinem Schein, Herr Präsident, aber ich muß Sie daran erinnern, daß eigentlich vor Beginn dieser zweiten Lesung über meinen Antrag auf Vertagung hätte abgestimmt werden müssen. Ich bin mir darüber klar, daß dieser Antrag abgelehnt worden wäre, und so begnüge ich mich mit dieser von mir selber getroffenen Feststellung. Ich will Ihnen in so später Abendstunde keine Schwierigkeiten machen. Aber jetzt zu einer Sache, die einen bitterernsten Hintergrund hat. Das ist die von Herrn Dr. Carlo Schmid zu § 8 Abs. 6 vorgeschlagene und akzeptierte Fassung: „Falls in einem Bezirk des Bundesgebietes infolge höherer Gewalt nicht gewählt werden kann, bleiben die entsprechenden Mandate unbesetzt." Ich habe als Rheinländer, besonders in der Fastnachtszeit, Sinn für Humor, aber so kann man doch nicht eine hochnotpeinliche außenpolitische Aktion vornehmen. Herr Kollege Dr. Schmid, Sie haben, bestimmt ohne das zu ahnen und vielleicht sogar ohne es zu wollen, hier den Ostsektor von Berlin für den westdeutschen Bundesstaat annektiert. So geht das nun nicht. (Zuruf: Der gehört doch zu Groß-Berlin.) machen wir uns doch nichts vor, wir sind doch schließDer Ostsektor lich keine kleinen Kinder gehört nun einmal nicht zu den Berliner Westsektoren, und wir haben hier kein Recht, von uns aus festzustellen, ob und wie in diesem Ostsektor gewählt werden soll. (Zuruf des Abg. Kaiser.) Glauben Sie, daß wir das Recht haben, Herr Kaiser?

-

In diesem Falle hätte Herr

(SPD):

Abänderungsantrag

zum

Abänderungsantrag

-

-

-

424

Achte

Sitzung des Plenums

24. Februar 1949

Nr. 8

(Kaiser: Jawohl, das haben wir.] -

Wer ist „wir"? Wir in diesem Gremium? (Kaiser: Wir alle!) Nein, nein; so geht das nun nicht, Herr

Kollege Kaiser. Hier wird etwas nichts anderes wenn es ernst gemeint ist, eine darstellt als, gemacht, Provokation an die Adresse der sowjetrussischen Regierung. Nichts anderes steckt dahinter, und Sie werden mit diesen Anträgen höchstens eines erreichen, nämlich daß in die internationalen Konfliktstoffe noch ein neuer hineingetragen wird. Wenn Sie das wollen, dann sprechen Sie es aus, aber irgendein Faktum schaffen Sie durch diesen blödsinnigen Beschluß nicht. Präs. Dr. Adenauer: Herr Abgeordneter Renner, der Parlamentarische Rat faßt niemals blödsinnige Beschlüsse. Ich bitte Sie, diesen Ausdruck nicht mehr zu gebrauchen, sonst müßte ich Sie zur Ordnung rufen. (Renner: Das können Sie nach der Geschäftsordnung nicht173).) Doch, hier kann man Sie zur Ordnung rufen. (Renner: Das steht nicht in der Geschähsordnung drin!) Also, Herr Abgeordneter Renner, ich verstehe Sie so: Sie beantragen, die alte Fassung wiederherzustellen.

-

was

-

(Renner: Jawohl!)

Ich bitte Ich bitte

diejenigen, diejenigen, abgelehnt.

die für den Antrag Renner sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag ist die dagegen sind, eine Hand zu erheben.

-



Weitere Anträge sind nicht gestellt. Herr Abgeordneter Dr. Becker! Berichterstatter Dr. Becker (FDP): Liegt der neue Text des § 8 in der Fassung des Antrags Dr. Schmid und die entsprechende Fassung zum § 9 schriftlich vor? Ich möchte dann noch hagen: In welchem Artikel war Präs. Dr. Adenauer: Ja. ein Schreibfehler oder ein Druckfehler? -

(Zuruf: § 21!) Herr Abgeordneter Dr. Suhr! Dr. Suhr (SPD): In § 21 ist die Ernennung der Landeswahlleiter geregelt. Da ist Berlin ausgelassen worden. Für Berlin wurde nach dem Wortlaut kein Landeswahlleiter bestimmt. Es muß heißen: „Der Landeswahlleiter wird von der be-

treffenden Landesregierung, der Verbandswahlleiter für Berlin vom Magistrat, für Bremen und Hamburg von den Senaten ernannt." Dr. Diederichs (SPD): Zu den Verbänden gehört Berlin nicht. Berlin zählt mit zu den einzelnen Ländern, und für diese ist in der ersten Zeile vorgesehen, daß .

173)

.

.

In der Geschäftsordnung (Drucks. Nr. 157) regelte § 29 den „Sach- und Ordnungsruf" wie folgt: „Ist ein Redner wegen Abschweifung auf Gegenstände, die nicht zur Sache gehören oder wegen Verletzung der Ordnung im Laufe einer Sitzung dreimal vom Präsidenten zur Sache verwiesen oder zur Ordnung gerufen worden, so hat ihm der Präsident das Wort zu entziehen. Er kann zum gleichen Gegenstand der Tagesordnung in derselben Sitzung das Wort nicht mehr erhalten. Über Beschwerden entscheidet der Altestenrat."

425

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Sitzung des Plenums

24. Februar 1949

der Landeswahlleiter von der Landesregierung ernannt wird. In Berlin entspricht der Landesregierung der Magistrat von Berlin. (Dr. Suhr: Es ist ein Irrtum von mir!) Präs. Dr. Adenauer: Also, Herr Dr. Suhr, dann ist das auch in Ordnung. (Dr. Suhr: Jawohl!) Dann hat Herr Heiland noch einen Antrag zu § 18 gestellt. Heiland (SPD): Ich beantrage, den Satz 2 in § 18 wieder zu streichen. Präs. Dr. Adenauer: Das ist der CDU/CSU-Satz. Herr Heiland beantragt, ihn zu streichen. Wir stimmen ab über den Antrag Heiland. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. 27 Stimmen. Diejenigen, die dagegen sind, bitte ich eine Hand zu erheben. 22 Stimmen. Der Antrag Heiland ist mit 27 gegen 22 Stimmen angenommen. Wir kommen zur Gesamtabstimmung. Ich bitte diejenigen, die für das Wahlgesetz in der nunmehr auch gegenüber der ersten Fassung geänderten Fassung sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Das Gesetz ist in der zweiten Lesung angenommen. Wünschen Sie wieder eine Pause? -

-

-

-

-



(Zurufe: Nein!) Sie sind damit einverstanden, daß die dritte schlossen wird?

-

(Zustimmung.)

Lesung unmittelbar

ange-

Sind Anträge gestellt? Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Ich beantrage, in § 5 Ziffer c die beiden Worte „und IV" zu streichen. Präs. Dr. Adenauer: Ist sich das Haus darüber klar? Herr Dr. Seebohm nimmt den ursprünglichen Antrag wieder auf. Ich bitte diejenigen, die für diesen Abänderungsantrag Dr. Seebohm zu § 5 Litera c sind, eine Hand zu erheben. 20 Stimmen. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. 30 Stimmen. Der Antrag Dr. Seebohm ist damit abgelehnt. Weitere Anträge liegen nicht vor. Herr Abgeordneter Kaufmann! Kaufmann (CDU): Die Abstimmung über § 18, die nun wieder umgekehrt gelaufen ist wie vorhin, ist wohl so zu erklären, daß ein Großteil des Hauses der Meinung war, für die Klärung der Rechtslage genüge die gemeinsame Auffassung des Hauses, daß Parteien, die zwar organisatorisch oder namensmäßig, landesmäßig oder sonstwie getrennt sind, aber gesinnungsmäßig und wesensmäßig zusammengehören, nicht unter die Bestimmung des § 18 fallen. Herr Kollege Dr. Schmid hat auch eine entsprechende Erklärung für seine Fraktion abgegeben, die meiner Meinung nach die Ansicht des gesamten Hauses ist. Wenn wir trotzdem und trotz der Tatsache, daß die Formulierung des Dreierausschusses recht unglücklich ist, schließlich der Meinung waren, daß sie stehenbleiben muß, so liegt das nur daran, daß Zweifel bestanden haben, ob durch eine solche gemeinsame Stellungnahme des Hauses wirklich gegenüber einem anders gesinnten Bundeswahlleiter Recht geschaffen wird. Im formalen Sinne wird es das zweifellos nicht, aber ich glaube, daß ich keinen neuen -

-

-

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Nr. 8

Antrag stellen sollte auf Wiederherstellung dieser recht unglücklichen Bestimmung, sondern daß wir uns ganz einfach auf die gegenseitige Anständigkeit der Gesinnung und auf das, was wir uns gesagt haben, verlassen. (Zinn: Die ideologische zweifelhah!) Da haben Sie schon den

Übereinstimmung

Formaljuristen,

zwischen CDU und CSU ist

der etwas dreht! Trotzdem, Herr Kolle-

ge Zinn, glaube ich, daß wir übereinstimmen.

(Zinn: Das müssen Sie im einzelnen noch beweisen, ob Sie übereinstimmen.)

Präs. Dr. Adenauer: Wird noch das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wir kommen, wenn Anträge weiter nicht gestellt werden, zur Abstimmung über das Gesetz im ganzen. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, die Hand zu erhe—

ben.

Und

diejenigen,

die

dagegen

Dieselbe Mehrheit und Minderheit

sind.

wie eben. Das Gesetz ist damit angenommen und die —

Ich um

schlage Ihnen vor, die Tagesordnung

einverstanden?

)



Tagesordnung erledigt174).

daß der Ältestenrat am Donnerstag früh zusammentritt, der nächsten Sitzung zu beschließen. Sind Sie damit

Die beschlossene Fassung des Wahlgesetzes wurde als Sekretariatsumdr. Nr. S 53 vervielf.; Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 6, S. 752 ff. Der britische Verbindungsoffizier Chaput de Saintonge wies in seinem Bericht vom 26. Febr. 1949 an Steel (Kl. Erw. 792, Bd. 1) darauf hin, daß mit diesem Beschluß die Sache längst nicht erledigt sei. Zweifellos habe der Pari. Rat außerhalb seiner Zuständigkeit gehandelt, denn die Ländergesetze, mit denen die Delegierten entsendet worden seien, hätten keinen Auftrag für ein Wahlgesetz beinhaltet. MinPräs. Lüdemann habe scharf bei der SPD in Hannover gegen die Haltung der SPD-Fraktion in Bonn protestiert und die Annahme eines Mehrheitswahlsystems im Rahmen von Ein-Mann-Wahlkreisen verlangt. Vermutlich sei es ratsam, den Minister-

präsidenten den Auftrag zu geben, Länderwahlgesetze zu koordinieren, da jede Entscheidung durch die Militärgouverneure eine Partei bevor- oder benachteiligen würde. „The issues over the Electoral system are essentially those of party tactics, for these reasons are very delicate. If the present compromise is reversed it may be, that the small parties and even the SPD may prefer to oppose the whole formation of a West German Government rather than face a major defeat at the polls. The SPD are anxious that the first Government should be a coalition in order that they may participate in the formation of the new federal administrations and the nomination of the leading civil servants. The policy of the CDU/CSU is likewise animated by the desire to monopolise the formation of the administration, thus ensuring against violent reversals of policy should subsequent elections return an SPD majority." Leisewitz (ASt Bad Godesberg des BdMinPräs.) resümierte die Sitzung wie folgt: „Seitens der CDU/CSU-Fraktion wurde sowohl im Hauptausschuß als auch im Plenum unter Außerachtlassung des .Leidenswegs' des Wahlrechtsausschusses erneut der Versuch

unternommen, das reine Mehrheitswahlrecht durchzusetzen. Der Versuch mußte mißlingen, da neben der SPD sämtliche kleineren Parteien, wie es in der Natur der Dinge liegt, für die Einführung des Verhältniswahlrechts eintraten [. .] Der vom Rat zum Beschluß erhobene Gesetzentwurf scheint allerdings weniger eine Kombination aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht darzustellen, als vielmehr eine Art Verquickung von Persönlichkeits- und Listenwahl" (Bericht vom 1. März 1949, Z 12/12, Bl. 245). Zur Reaktion der Alliierten und der weiteren Entwicklung bis zur erneuten Befassung des Plenums am 10. Mai 1949 (Dok. Nr. 11) siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. XXXV ff. .

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Nr. 8

Achte

Sitzung des Plenums

24.

Februar 1949

(Dr. Becker: Ich bitte um Angabe, ob damit zu rechnen ist, daß nächsten Donnerstag nachmittag Plenarsitzung sein wird, damit die Abgeordneten sich einrichten können175).) Ich

glaube wohl,

(Brockmann:

-

daß

man

sich darauf einrichten muß.

Um welche Zeit ist

Ältestenrat?) Plenarsitzung.

Um 10 Uhr Ältestenausschuß, ab 16 Uhr Damit schließe ich die Sitzung.

(Schluß der Sitzung

5)

19 Uhr 03

Minuten.)

Die ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. berichtete unter dem 24. Febr. 1949, das Plenum werde voraussichtlich am 3. März wieder zusammentreten, obwohl bis jetzt für diesen Tag nur der Ältestenrat einberufen sei. „Die SPD wünscht aber und ihr Wunsch könnte an diesem nur durch einen direkten Eingriff der Besatzungsmächte geändert werden Tag in die 2. Lesung des Grundgesetzes durch die Vollversammlung einzutreten. Es scheint aber festzustehen, daß selbst sie mit der 3. Lesung warten will, bis die alliierte Stellungnahme zum Grundgesetz und das Besatzungsstatut vorliegen. Von französischer Seite wurde der Zusammentritt des Plenums am 3. März stark in Zweifel gezogen und zwar unter Hinweis darauf, daß die CDU/CSU-Fraktion die Lesung noch hinausgeschoben sehen möchte" (Z 12/121, Bl. 12). Die Plenarsitzung wurde dann offensichtlich kurzfristig verschoben. Chaput de Saintonge berichtete unter dem 4. März 1949: „The plenary session of the parliamentary council which was due to have been held today did not take place. From all available evidence, it appears that Adenauer (CDU) and Schmid (SPD), had decided some days ago that it should be postponed until some message on the basic law had been received from the Military Govenors, in order to maintain pressure on the Military Governors, however, no announcement of this decision was made in Bonn, and even a man as closely placed to Adenauer as Blankenborn stated early this morning that he expected the plenary session to take place." (Kl. Erw. 792, Bd. 6). -

-

428

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

Nr. 9 Neunte

Sitzung

des Plenums

6. Mai 1949 Z 5/17, Bl. 15-197; ungez. und undat.

Kurzprot:

stenogr.

Wortprot.1)

Stenogr. Berichte, S. 169-195. Koppert, Dr. Meidinger, Dr. Peschel, Herrgesell.

Druck: Z 5/176, Bl. 1-14. -

Stenogr.

Dienst.: Dr.

Dauer: 17.23-20.02; 21.09-23.32 Uhr

[1. GESCHÄFTLICHES]

Sitzung wird eröffnet2).

Die

um

17 Uhr 23 Minuten

Präs. Dr. Adenauer: Ich eröffne die

!)

2) 3)

durch den Präsidenten Dr. Adenauer

Sitzung3).

Die Vorlage wurde für den Druck eingerichtet und weist daher Anweisungen für den Setzer auf. Vgl. Einleitung, S. XXXIX. Aus einem Bericht des brit. Verbindungsoffiziers vom 7. Mai 1949 ist zu erkennen, daß die Ministerpräsidenten Stock, Kaisen, Kopf, Altmeier und Müller an der Eröffnung dieser Sitzung teilnahmen (Kl. Erw. 792, Bd. 7). Nach einem Bericht von Chaput de Saintonge an den Political Advisor beim Militärgouverneur, Steel, fürchteten die deutschen politischen Parteien eine Einigung mit den Sowjets auf ihre Kosten auf der bevorstehenden Außenministerkonferenz in Paris; von daher hätten sie sich mit den Schlußarbeiten und der Ratifizierung auch so beeilt. „Adenauer is reported to have told Schmid and Menzel on the 5th of May that the Germans could no longer depend on the Allies as they were in position to leave at the last moment the Germans completely in the lurch with their Basic Law if it were not yet passed, and to create a unified state. In such an event, Adenauer considered that matters would develop in Germany as in the Balkans and Czechoslovakia, first an S.E.D. Minister of Interior, then a Minister of Justice and then the communists would have the whole country. The German leaders were therefore anxious to ratify the Basic Law as speedily as possible and to promulgate it before the Foreign Ministers had time to hold progress" (Bericht vom 18. Juni 1949, Kl. Erw. 792, Bd. 3). General Robertson hatte auf einer Pressekonferenz am 5. Mai 1949 erklärt, die westlichen Alliierten wären möglicherweise bereit, die Bildung eines westdeutschen Staates aufzuschieben, wenn ein Abkommen über die Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung mit der Sowjetunion zustande käme (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 551, Anm. 4). Adenauer mag in diesen Befürchtungen u.a. durch ein Interview von Clay in „Stars and Stripes" bestärkt worden sein, über das der Informationsdienst für die Abgeordneten des Pari. Rates unter dem 4. Mai 1949 berichtete (Z 12/52, Bl. 15). Clay hatte dort u. a. gesagt, er hoffe, daß die Bereitschaft der Westmächte, mit der Sowjetunion über die deutsche Frage zu diskutieren, falls die Blockade aufgehoben wird, die Pläne für den westdeutschen Staat nicht verzögere. Jedes Vertagen der Staatsgründung durch die Alliierten würde einen Vertrauensbruch gegenüber den westdeutschen Politikern bedeuten, die vor ihrem eigenen Volk die Verantwortung für die Schaffung einer westdeutschen Regierung übernahmen. Ihnen gegenüber das Vertrauen zu brechen, würde einen Vertrauensbruch gegenüber den demokratischen Elementen in Deutschland und damit einen Schlag gegen die demokratischen Ziele der Alliierten in Deutschland bedeuten. Falls dies eintrete, würde der Führergedanke in Deutschland wieder an Stärke gewinnen. Auch in der „Times" war über eine Verbindung zwischen einer baldigen Aufhe429

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums

6. Mai 1949

Ich habe zunächst folgendes mitzuteilen4): An Stelle des erkrankten Abgeordneten, Herrn Dr. Fecht ist Bürgermeister Hilbert durch Beschluß des Landtags von Südbaden am 7. März 1949 zum Abgeordneten des Parlamentarischen Rates gewählt worden. Wie Ihnen allen schon bekannt sein wird, ist unser Kollege Dr. Süsterhenn vorgestern mit dem Auto verunglückt und ziemlich schwer verletzt worden5). Er hat sein Amt niedergelegt. An seine Stelle ist der Ministerialrat Hubert Hermans durch Beschluß des Landtags Rheinland-Pfalz vom 5. Mai 1949 zum Abgeordneten des Parlamentarischen Rates gewählt worden6). Der Abgeordnete Dr. Fritz Löwenthal hat am 4. Mai 1949 dem Präsidium mitgeteilt, daß er aus der Fraktion der SPD ausgeschieden sei, und darum gebeten, als parteiloses Mitglied des Parlamentarischen Rates geführt zu wer-

den7).

Schließlich darf ich Ihnen folgenden Vorschlag des Ältestenrats unterbreiten: Wir wollen um 8 Uhr eine Pause bis 9 Uhr einlegen und dann mit unseren Beratungen fortfahren, bis die Tagesordnung erschöph ist. dem Abschluß der Arbeit des Pari. Rates geschrieben worden. Das Blatt vermutete, daß für die angebliche sowjetische Bereitschaft zur Aufhebung der Blockade neben dem Erfolg der Luftbrücke und der Gegenblockade vor allem der Wunsch maßgeblich sei, die Bildung einer westdeutschen Regierung zu verhindern. (Informationsdienst vom 22. April 1949 in: Z 12/52, Bl. 32). Siehe auch Adenauers Ausführungen in der CDU/CSU-Fraktionssitzung vom 5. Mai 1949 (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 551), aus denen hervorgeht, daß es eine Verständigung mit Menzel gegeben hatte. Er hatte dabei ausgeführt: „Es sind zwei Gründe maßgebend: Clay ist dafür, daß wir nicht zum Gespött in Deutschland werden und so General Clay das Grundgesetz noch acht Tage vor seiner Abberufung hat und sich während seiner Amtstätigkeit noch für die Genehmigung einsetzen kann. Zweitens: Die Alliierten gehen anscheinend mit dem Gedanken um, den Sowjets nachzugeben" (Ebenda). 4) Die entsprechende Mitteilung des Sekretariates des Pari. Rates für den Präs. in: PA 5/Nr. 28. 5) Süsterhenn hatte am 5. Mai 1949 einen schweren Autounfall. Teile der katholischen Bevölkerung sahen darin nach einem Bericht des brit. Verbindungsoffiziers Chaput de Saintonge eine Strafe Gottes, weil er am Tage zuvor einem Kompromiß, bei dem er Positionen der Kirche aufgegeben habe, zugestimmt hatte (Abdr. des Berichtes bei Pommerin: Die Mitglieder des Pari. Rates, S. 585). Zur Auswirkung auf seine weitere politische Karriere siehe Peter Bucher: Adolf Süsterhenn, S. IX. 6) Den Abgeordneten wurde das Nachrücken von Hermans durch Sekretariatsumdr. Nr. S 62 mitgeteilt. 7) Dr. Fritz Löwenthal, Nordrhein-Westfalen (1888-1956) wurde aus der SPD ausgeschlossen, nachdem es Auseinandersetzungen um Fragen der Parteidisziplin gegeben hatte. Vgl. den Artikel im Tagesspiegel vom 3. Mai 1949: Die Gefahr der „Parteidisziplin" von Fritz Löwenthal sowie „Der Sozialdemokrat" vom 5. Mai 1949: Artikel „Dr. Löwenthal ausgeschlossen". Im Abschlußbericht des britischen Verbindungsstabes über den Pari. Rat (Abdr. bei Pommerin: Die Mitglieder des Pari. Rates, S. 575) wurde er als farblose Persönlichkeit geschildert, die ganz und gar durch seine politsche Vergangenheit geprägt sei; er war 1933 nach Moskau emigriert, 1946 in die SBZ zurückgekehrt, dort in der Zentralverwaltung für Justiz tätig gewesen; dann verließ er im Jahre 1947 die SBZ. Seine Beiträge hätten sich auf scharfe Kontroversen mit den Vertretern der KPD beschränkt. Siehe auch Sekretariatsumdr. Nr. S 61: Mitteilung der SPD an die Nachrichtenagenturen betr. Fritz Löwenthal vom 4. Mai 1949 (Z 5/203) sowie Sekretariatsumdr. Nr. S 63 betr. den Austritt aus der SPD (ebenda).

bung der Berliner Blockade und

430

Neunte Die

Tagesordnung

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

enthält zwei Punkte:

Einsetzung eines Überleitungsausschusses, 2. Zweite Lesung des Entwurfs eines Grundgesetzes für 1.

die Bundesrepublik Deutschland. Gegen diese Tagesordnung erhebt sich kein Widerspruch; ich stelle fest, daß Sie mit ihr einverstanden sind. Wir treten nunmehr in die Beratung des ersten Gegenstandes ein:

[2. EINSETZUNG EINES

ÜBERLEITUNGSAUSSCHUSSES]

Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer. Berichterstatter Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren! Nach der Verabschiedung des Grundgesetzes wird es darauf ankommen, aus Grundsätzen, die im Grundgesetz ausgesprochen sind, staatliche Lebensformen zu beginnen. Bis zum Ablauf und zur Durchführung von Wahlen zum Bundestag und bis zur Bildung einer Bundesregierung würde zuviel Zeit vergehen. Es ist deshalb notwendig, daß in der Zwischenzeit Vorbereitungen für einen schnellen, sicheren und erfolgreichen Start der Bundesorgane getroffen werden. Diesen Erwägungen entspringt der Antrag8), der Ihnen im Text vorgelegt worden ist. Der Antrag fordert, daß zunächst einmal ein Ausschuß des Parlamentarischen Rates gebildet wird, ein Überleitungsausschuß, und daß gleichzeitig der Präsident und die beiden Vizepräsidenten des Parlamentarischen Rates beauftragt werden, im Einvernehmen mit dem Überleitungsausschuß für die Durchführung der aus dem Grundgesetz sich ergebenden und zur Aufnahme der Tätigkeit des Bundes und der Bundesregierung notwendigen Maßnahmen Sorge zu tragen. Es handelt sich hierbei um Aufgaben, die einmal in gewissen vorbereitenden Arbeiten für die Gesetzgebung bestehen, also in der Zusammenstellung und Sammlung des zerstreuten und buntscheckigen Gesetzesmaterials, das für eine rasche Vorbereitung der Bundesgesetzgebung herangezogen und gruppiert werden muß. Es werden weiter erforderlich gewisse Rahmenordnungen für den Aufbau der künftigen Bundesverwaltung. Das sind Aufgaben, die eigentlich eine logische Konsequenz aus der Tätigkeit, der Aufgabe und der Zuständigkeit des Parlamentarischen Rates darstellen. ) Drucks. Nr.

881: Beschluß des Pari. Rates betr.

Überleitungsausschuß vom 6. Mai 1949.

Sitzung gewählten Mitglieder auf und definierte die Aufgaben des Ausschusses wie folgt: „Zur Wahrnehmung der sich aus dem Grundgesetz bis zum Zusammentritt des Bundestages ergebenden Pflichten und Aufgaben bildet der Parlamentarische Rat einen Überleitungsausschuß. Gleichzeitig beauftragt der Parlamentarische Rat den Präsidenten und die beiden Vizepräsidenten im Einvernehmen mit dem Überleitungsausschuß für die Durchführung der sich aus dem Grundgesetz ergebenden und zur Aufnahme der Tätigkeit des Bundes notwendigen Maßnahmen Sorge zu tragen." Im Vorfeld dieses Beschlusses hatte es Kompetenzauseinandersetzungen mit den Ministerpräsidenten gegeben, die sich aufgrund einer Unterredung mit den Militärgouverneuren am 29. April 1949 ermutigt sahen, ihrerseits Vorbereitungen für die Übergangszeit bis zur Schaffung einer Bundesregierung zu treffen. Zusammenfassend hierzu U. Wengst: Staatsaufbau und Regierungspraxis, S. 81 ff. Er führte die

am

Ende der

431

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Es ist auch das sachlich Nächstliegende, daß ein Ausschuß des Parlamentarischen Rates sich mit diesen Angelegenheiten befaßt. Denn die Mitglieder des Rates haben in ihren monatelangen Beratungen in den Fachausschüssen, im Hauptausschuß und im Plenum sich in besonderer Weise mit den Aufgaben vertraut gemacht, die beim Inslebentreten des Bundes sofort angepackt werden müssen. Sie sind also in erster Linie in der Lage, die Beweggründe zu kennen, die für das Grundgesetz bestimmend gewesen sind und die beim vom Zustand in eine Roleine heutigen gestaltende Staatsentwicklung hauptsächlich

Übergang

le

spielen

werden.

(Reimann: Herr Präsident, ich bitte

ums

Wort.)

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann. Reimann (KPD): Meine Damen und Herren! Weil ich nicht genau wußte, um was es sich handelt, habe ich vorhin in der Sitzung des Altestenrats9) die Auffassung vertreten, daß auch ein Vertreter der Kommunistischen Partei in

diesen Überleitungsausschuß gewählt werden sollte. Ich betone ausdrücklich, daß ich im Ältestenrat über die Funktion dieses Überleitungsausschusses nicht informiert worden bin. Ich bin mir über die Aufgabe dieses Ausschusses erst durch die Begründung meines Herrn Vorredners klar geworden. Nach dieser Begründung stelle ich fest, daß es sich dabei um eine Regierung handelt. Sie, meine Herren, stehen im Begriff, heute eine Regierung für Westdeutschland zu bilden. Sie täuschen hier einen Ausschuß vor. Aber das, was mein Vorredner hier ausgeführt hat, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß dieser Ausschuß die Funktion einer westdeutschen Regierung haben soll. Daher möchte ich hier die Frage aufwerfen: Ist der Parlamentarische Rat überhaupt berechtigt, eine Regierung für Westdeutschland einzusetzen? Ich stelle die Frage: Ist in den Londoner Empfehlungen10), nach denen wir ja hier arbeiten, ein solches Regierungsorgan vorgesehen?11) Ich will das heute klargestellt haben, ob dieser Ausschuß eine westdeutsche Regierung darstellt. Nach der Begründung, die uns soeben gegeben worden ist, ist es so. Präs. Dr. Adenauer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; wir kommen zur

Abstimmung. Ich schlage Ihnen setzen und die

(Reimann sche Herr

Regierung gebildet!) Abgeordneter Reimann,

(Reimann:

-

zunächst grundsätzlich den Überleitungsausschuß einzuBenennung und Wahl seiner Mitglieder später vorzunehmen. [in großer Erregung]: Es ist unerhört! Es wird da eine westdeutvor,

Das ist

Sie haben nicht das Wort.

unerhört!)

ich entziehe Ihnen das Wort. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir gesonnen sind, Ihnen vollkommene parlamentarische Redefreiheit zu lassen, daß wir aber nicht daran denken, uns von Ihnen terrorisieren zu lassen. Herr

-

Abgeordneter Reimann,

9) Über diese Ältestenratsitzung vom 6. Mai 1948 ließen sich Unterlagen nicht ermitteln. 10) Londoner Empfehlungen siehe Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. n) Folgt in der Vorlage gestrichen: „Ich möchte diese Klarstellung treffen, damit es nicht nachher heißt, die Öffentlichkeit sei irgendwie getäuscht worden." 432

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Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

(Reimann: Nein, nicht terrorisieren. Ich rufe das dem deutschen Volke zu, Begriff stehen, eine westdeutsche Regierung einzusetzen.) Herr Abgeordneter Reimann, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie nicht das Recht haben, unsere Arbeiten derart zu stören. Wir werden mit der daß Sie hier im

-

größten

dagegen vorgehen. Regierung bilden!) Abgeordneter Reimann, ich rufe Sie zur Ordnung.

Entschiedenheit

Reimann: Sie wollen eine

(Beifall.

Herr



(Reimann: Danke schön!)

-

Abgeordneter Reimann, ich (Laute Zustimmung.) kommen nun zur Abstimmung.

Herr -

rufe Sie

zum

zweiten Mal

zur

Ordnung.

Ich bitte die Damen und Herren, die für die Einsetzung eines Überleitungsausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Einsetzung des Ausschusses ist mit Und diejenigen, die dagegen sind. allen gegen zwei Stimmen beschlossen. Die Wahl der Mitglieder werden wir im Laufe der heutigen Sitzung noch tätigen. Wir kommen nun zum zweiten Gegenstand der Tagesordnung:

Wir



-

*

[3. ZWEITE LESUNG12) DES ENTWURFS EINES GRUNDGESETZES FÜR DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND (DRUCKSACHEN Nr. 85013), 85414))] Der

über die

zunächst einen Bericht des Vorsitzenden des Entwicklung unserer Arbeit entgegenzunehmen.

Godesberg des

BdMinPräs. berichtete unter dem 7. Febr. 1949: „Um Rück-

Ältestenrat schlägt Ihnen

Hauptausschusses 12)

Die ASt Bad

fragen

zu

vermeiden, darf darauf aufmerksam gemacht werden, daß seitens des Parla-

mentarischen Rates die

14)

grundsätzliche

Diskussion über die

strittigen

Probleme des

20. und 21. Oktober 1948 (6. und 7. Plenarsitzung) durchgeführt wurde, als 1. Lesung des Grundgesetzes im Plenum gilt" (Z 12/121, Bl. 113). Drucks. Nr. 850: Entwurf des Grundgesetzes, 4. Lesung des HptA. Entwürfe S. 241 ff.; Der Pari. Rat Bd. 7, S. 532 ff. Dazu gab es eine Drucks. Nr. 850 a: Berichtigung zur Drucks. Nr. 850 betr. Art. 143 sowie eine Drucks. Nr. 850 b: Gegenüberstellung der alten und neuen Artikelnummern des Grundgesetzentwurfes. Letztere abgedr. in: Der Pari. Rat Bd. 7, S. 651 f.. Drucks. Nr. 854: Ergänzung der Drucks. Nr. 850 vom 6. Mai 1949 aufgrund des Beschlusses des HptA vom 6. Mai 1949. Im nachhinein wurde vom Sekretariat des Pari. Rates im Verlaufe seiner Abwicklungstätigkeit als „Anlage zum stenographischen Bericht der 9. Sitzung des Parlamentarischen Rates" ein Dokument erstellt, das die Be-

Grundgesetzes,

13)

vor,

die

am

zeichnung trug „Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Drucks. Nr. 850, 854) erstattet von den Berichterstattern des Hauptausschusses für das Plenum." Dieser Bericht wurde offensichtlich jedoch erst im nachhinein aus einzelnen Teilbeiträgen erstellt von Brentano erwähnt beispielsweise Presseartikel vom August 1949 (S. 99) und publiziert (Druckerei E. Huth, Wuppertal-Vohwinkel, ohne Jahr, jedoch erst 1950/1951, 105 Seiten). Die Verbindung dieses Berichts -

-

zum Prot, der 9. Sitzung blieb somit künstlich; im Prot, der Sitzung selbst fand sich keinerlei Hinweis. Höpker Aschoff bemerkte zu Beginn seines Berichtes (ebenda, S. 51), es sei vorgesehen gewesen, daß die Berichterstatter der Fachausschüsse bei der zweiten Lesung des GG im Plenum des Pari. Rates zu den einzelnen Abschnitten des GG einen Bericht über das bisherige Ergebnis der Beratungen erstatten sollten. Mit Rücksicht auf die schnelle Verabschiedung des GG in der zweiten und dritten Lesung des Plenums habe man von solchen Berichten abgesehen, dafür aber den Berichterstattern aufgege-

433

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Sitzung

des Plenums 6. Mai 1949

Dann treten wir in die Beratung der einzelnen Artikel ein15). Ich nehme an, daß Sie mit dem Vorschlag einverstanden sind, und erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Schmid das Wort.

[3.1 BERICHTERSTATTER DR. SCHMID] Berichterstatter Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren! Der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Machtapparats im Frühjahr des Jahres 1945, der in der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am Tage des 8. Mai 1945 seinen Abschluß und seine Bestätigung fand, hat die völlige politische und administrative Desorganisation Deutschlands bewirkt und das deutsche Volk der Möglichkeit institutioneller nationaler und internationaler Handlungsfähigkeit beraubt. Trotzdem aber ist Deutschland als staatliches Gebilde nicht untergegangen. Da nach dem ausdrücklich erklärten Willen der Besatzungsmächte ich erinnere an die Berliner16) und Potsdamer Erklärungen17) Deutschland staatlich als Einheit erhalten bleiben sollte vom Sommer 1945 und da die Besatzungsmächte es weit von sich gewiesen haben, das deutsche Volk versklaven und seinen inneren Zusammenhang zerschlagen zu wollen, ist -

-

ben, einen schriftlichen Bericht zu erstatten, der dann dem Prot, der zweiten Lesung des Plenums beigefügt werden solle. Autoren der einzelnen Teile, bzw. Abschnitte des GG waren:

I. Die Grundrechte: Dr. von Mangoldt II. Der Bund und die Länder: Wagner

und

liegt

daher nicht

der Bundesrat, der Bundespräsident, die Bundesregierung: Dr. Lehr VII. Die Gesetzgebung: Dr. Katz VIII. Ausführung der Bundesgesetze und Bundesverwaltung: Dr. Laforet (Bern.: Auch als Umdruck S 95 überliefert) IX. Die Rechtsprechung: Zinn X. Das Finanzwesen: Dr. Höpker Aschoff XI. Übergangs- und Schlußbestimmungen: Dr. von Bretano. Während der Sitzung selbst traten lediglich die Abgeordneten v. Mangoldt und v. Brentano mit Bemerkungen, die sie als „Berichterstatter" machten, hervor. Eine Aufstellung über die Anträge der Fraktionen, die am 6. Mai 1949 vorlagen, gegliedert nach den Artikeln des GG-Entwurfes als Drucks. Nr. 879. Vorbereitet wurde der Ablauf der Schlußberatungen im HptA und im Plenum durch zwei interfraktionelle Besprechungen am 5. Mai 1949 (Prot, in: StBKA 09. 09). Dabei ging es insbesondere um die Frage, wie mit den Anträgen zu verfahren sei. Adenauer betonte, jedes Mitglied müsse im Plenum wissen, was zu erwarten sei. Wenn eine der beiden großen Fraktionen plötzlich mit neuen, nicht bekannten Anträgen käme, dann werde die Zurückverweisung an den Ausschuß beantragt werden. Man kam überein, daß eine Vereinbarung wünschenswert sei, keine neuen Anträge zu stellen. Seebohm wurde von Menzel bedrängt, auf Anträge der DP zu verzichten, um Auseinandersetzungen zu ersparen. „Das an sich verständliche Beginnen, das Gesicht zu wahren, könne man nicht auf die hiesigen Verhältnisse übertragen." Im HptA sollten die Anträge lediglich gestellt oder aufgerufen werden, ohne über sie zu sprechen. Wenn Anträge im Plenum wieder aufgenommen werden, solle dort darüber gesprochen werden (ebenda). Zur Berliner Erklärung siehe Dok. Nr. 6, Anm. 30. Potsdamer Abkommen siehe Dok. Nr. 1, Anm. 22. III.—VI. Der

15)

16) 17) 434

vor)

(Bern.: Auch als Umdruck Nr. S 96 überliefert) (der Bericht wurde von ihm jedoch nicht geliefert

Bundestag,

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Staatsgebiet und Staatsvolk erhalten geblieben. Die Einheit der Staatsgewalt wurde gewahrt sowohl von oben her durch die treuhänderische Wahrnehmung der zentralen Staatsfunktionen durch den Kontrollrat und die einzelnen Besatzungsmächte, als auch von unten her durch die treuhänderische Wahrnehmung gesamtdeutscher Aufgaben zunächst durch die kleineren Gebietskörperschaften und dann durch die Länder. Es bestand und es besteht also kein Anlaß und keine Möglichkeit, Deutschland als staatliches Gebilde neu zu konstituieren. Es bleibt lediglich neu zu organisieren. Aus der Potsdamer Erklärung ergibt sich, daß auch die Besatzungsmächte bei ihren organisatorischen Maßnahmen seit Beginn der Besetzung von dieser Vorstellung ausgegangen sind. die Einheit

von

Organisation hat sich bisher im wesentlichen auf Grund von und Ermächtigungen der Besatzungsmächte vollzogen. Es wurden Anordnungen Länder gebildet, die sich, zum Teil wenigstens, Verfassungen geben durhen. In der amerikanischen und britischen Zone wurden zonale Einrichtungen geschaffen, und schließlich wurden die britische und die amerikanische Zone zu dem Der Prozeß dieser

sogenannten „Vereinigten Wirtschahsgebiet" zusammengeschlossen, wenngleich die

Befugnisse

der bizonalen

Organe

im wesentlichen auf

Angelegenheiten

der

Wirtschah, des Finanzwesens, des Sozialwesens und des Verkehrs beschränkt geblieben sind. Eine gesamtdeutsche Lösung setzte die Einigung18) der vier

über eine gemeinsame Deutschlandpolitik voraus. Bisherige eine solche Einigung herbeizuführen, haben zu keinem Erfolg ge-

Besatzungsmächte

Versuche, führt.

Frühjahr 1948 haben die westlichen Besatzungsmächte vereinbart, dem Teil des deutschen Volkes, der in den ihrer Jurisdiktion unterliegenden Zonen lebt, die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung zu. gestatten. Diese Versammlung sollte ich zitiere hier den Text „eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafh, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralgewalt schafh und Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält"19). Die auf diese Weise zu beschließende Verfassung sollte, wenn sie mit diesen allgemeinen Grundsätzen nicht im Widerspruch steht, von den Militärregierungen zur Ratifikation durch die Länder freigegeben werden. Wenn sie von zwei Dritteln der Länder ratifiziert wird, tritt sie für die Gesamtheit des Gebiets der drei Westzonen in Kraft. Die Ministerpräsidenten der Länder, denen das Dokument, aus dem ich eben zitiert habe, am 1. Juli letzten Jahres übermittelt worden ist, haben erklärt, von der erteilten Ermächtigung Gebrauch machen zu wollen20). In den elf Ländern der drei Westzonen haben auf Grund von im wesentlichen einheitlichen Gesetzen Wahlen stattgefunden. Die so gewählten 65 Abgeordneten sind am 1. SepIm

-

-

18) In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Weisung". 19) Londoner Empfehlungen, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. 20) Dies geschah durch die Antwortnote der Ministerpräsidenten an die Militärgouverneure mit Stellungnahme zu den Frankfurter Dokumenten vom 10. Juli 1948. Abdr.: Der Pari. Rat 1, S. 143 ff.

435

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tember des letzten Jahres in Bonn zum Parlamentarischen Rat zusammengetreten. Ihnen haben sich auf Einladung dieses Parlamentarischen Rates 5 Abgeordnete Groß-Berlins beigesellt. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates sind nicht hier auf Grund eines Auhrags der Besatzungsmächte; sie handeln für das deutsche Volk und in dessen Auhrag. Die deutsche Volkssouveränität, das heißt das elementare Recht des deutschen Volkes auf eigene Bestimmung der Inhalte und Formen seiner nationalen Existenz, ist der Substanz nach weder durch den Zusammenbruch des nationalsozialistischen Machtapparats noch durch die militärische Kapitulation noch durch die Übernahme der Ausübung der obersten Gewalt in Deutschland durch die Besatzungsmächte untergegangen. Was durch diese Akte vernichtet worden ist, ist lediglich die Möglichkeit, von diesem Recht heien Gebrauch zu machen. Die Besatzungsmächte haben seine Ausübung für Zeit

gesperrt.

Durch die in dem Dokument Nr. I21) gegebene Ermächtigung haben sie diese Sperre zum Teil zurückgenommen mit der Wirkung, daß das deutsche Volk nunmehr wieder die Möglichkeit erhalten hat, von einer breiten Schicht der ihm der Substanz nach voll verbliebenen Volkssouveränität Gebrauch zu machen. Freilich zeigen die dem Parlamentarischen Rat gemachten inhaltlichen und verfahrensmäßigen Auflagen deutlich genug, daß die Besatzungsmächte auch hier im Westen bisher nicht gewillt sind, alles, was der Begriff Volkssouveränität beinhaltet, zur Auswirkung kommen zu lassen. Hinzu kommt, daß nur das gesamte deutsche Volk imstande ist, seine Souveränität wirklich zu aktualisieren. Diese Einschränkungen unserer Handlungsfreiheit aber bedeuten, daß der Parlamentarische Rat nicht imstande ist, eine deutsche Verfassung im vollen Sinne des Wortes zu schaffen. Das ist der Grund, warum schon die Ministerpräsidenten und später auch die Parteien des Parlamentarischen Rates das zu schaffende Werk nicht eine „Verfassung", sondern ein „Grundgesetz" genannt haben, und das ist auch der Grund, warum immer wieder zum Ausdruck gebracht worden ist, daß dieses Grundgesetz ein Provisorium sei, durch das lediglich ein Staatsfragment organisiert werden soll, das sowohl in territorialer Hinsicht als auch seinem substantiellen Gehalt nach „offen" bleibt. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates sind zwar von den Landtagen gewählt worden, sie sind aber nicht Abgeordnete und Vertreter der Länder. Sie vertreten nicht Länderinteressen, sondern ein gesamtdeutsches Anliegen. Die Tatsache der Wahl der Abgeordneten durch die Landtage ändert daran nichts. Durch diesen Wahlmodus ist lediglich zum Ausdruck gekommen, daß auch bei diesem Werk das deutsche Volk wirksam wird in seiner historischen Gliederung in Länder. Der Parlamentarische Rat hat seine Arbeiten ohne eine offizielle Vorlage22) beginnen müssen. Diese Vorlage mußte zuerst in den Fachausschüssen erarbei-

-

21) Frankfurter Dok. Nr. I, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff. 22) De facto wurde der durch den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee erarbeitete Entwurf, Abdr.

in: Der Pari. Rat Bd. 2, vielfach als

schüsse benutzt. 436

Grundlage

der Arbeit der Fachaus-

Neunte

Sitzung

des Plenums 6. Mai 1949

Nr. 9

tet werden. Die

Ergebnisse der Arbeiten der Fachausschüsse wurden in vier dem Hauptausschuß beraten23). In 58 Sitzungen des Hauptausschusses ist der Entwurf fertiggestellt worden, der Ihnen, meine Damen und Herren, nunmehr zur Beratung und Abstimmung vorliegt24). Lassen Sie mich nun kurz den Aufljau und das System dieses im Entwurf vorliegenden Grundgesetzes schildern. Dem Grundgesetz ist eine Präambel vorangestellt. Diese Präambel ist mehr als nur ein pathetischer Vorspruch. Sie zählt und wir sind dabei in vollem Bewußtsein dessen, was geschehen sollte, vorgegangen die konstitutiven Faktoren auf, die wirksam geworden sind, und sie besagt, was geschaffen werden sollte und was noch nicht geschaffen werden konnte. Diese Präambel enthält also rechtlich erhebliche Feststellungen, Bewertungen, Rechtsverwahrungen und Lesungen

vor

-

-

Ansprüche zugleich. Das Grundgesetz selbst beginnt mit dem Abschnitt über die Grundrechte. Diese Grundrechte wurden im Gegensatz zur Weimarer Verfassung an den Anfang des Ganzen gestellt, weil klar zum Ausdruck kommen sollte, daß die Rechte, deren der Einzelmensch bedarf, wenn anders er in Würde und Selbstachtung soll leben können, die Verfassungswirklichkeit bestimmen müssen. Letztlich ist der Staat dazu da, die äußere Ordnung zu schaffen, deren die Menschen zu einem

auf der Freiheit des einzelnen beruhenden Zusammenlebens bedürfen. Aus diesem Auftrag allein stammt letztlich die Legitimität seiner Machtausübung. Mit einigen wenigen Ausnahmen hat man sich auf die sogenannten klassischen Grundrechte beschränkt und bewußt darauf verzichtet, die sogenannten Lebensordnungen zu regeln. Hätte man dies hier versucht, so wäre man, wenigstens nach Auffassung der Mehrheit dieses Hauses, über die durch den Auhrag, nur ein Provisorium zu schaffen, gezogenen Grenzen hinausgegangen25). Der Hauptausschuß hat bewußt davon abgesehen, auf den bisherigen politischen und staatsrechtlichen Namen Deutschlands zurückzugreifen. So ehrwürdig auch die Tradition des Namens „Deutsches Reich" ist die Erinnerung an die Untaten, die während der nationalsozialistischen Zwingherrschah in diesem Namen begangen worden sind, ist noch zu frisch und die Gefahr, daß der alte Name den Blick auf die neue Wirklichkeit mit Stimmungen und romantischen Ansprüchen, die nicht mehr unseres Jahrhunderts sind, vernebeln könnte, noch zu groß, als daß der Parlamentarische Rat der Notwendigkeit hätte enthoben bleiben können, einen neuen Namen zu finden. Der Hauptausschuß schlägt Ihnen den Namen „Bundesrepublik Deutschland"25) vor. In diesem Namen kommt zum Ausdruck, daß ein Gemeinwesen bundesstaatlichen Charakters ge-

23)

Die 58.

lungen,

24)

25) 2ß)

Sitzung des HptA hatte noch am Mittag des 8. Mai 1949 stattgefunden; VerhandS. 767 ff. Es folgte noch eine 59. Sitzung am 9. Mai 1949, auf der noch einmal

über das Wahlgesetz beraten wurde. Es handelt sich um den Entwurf des GG in der

Fassung der Drucks. Nr. 850. Siehe Anm. 13. Siehe hierzu die Beratungen im Ausschuß für Grundsatzfragen. Der Pari. Rat Bd. 5, S. XXXIV f. Zur Diskussion der Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" siehe Dok. Nr. 2, Anm. 31. 437

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schaffen werden soll, dessen Wesensgehalt das demokratische und soziale Pathos der republikanischen Tradition bestimmt: nämlich einmal der Satz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, weiter die Begrenzung der Staatsgewalt durch die verfassungsmäßig festgelegten Rechte der Einzelperson, die Gleichheit aller vor dem Gesetz und der Mut zu den sozialen Konsequenzen, die sich aus den Postulaten der Demokratie ergeben. Die Demokratie des Grundgesetzes ist als Repräsentativdemokratie gedacht, das heißt, das Volk in seiner Gesamtheit tritt selbst nur bei Wahlen und Abstimmungen handelnd in Erscheinung. Die Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt werden durch Organe ausgeübt, deren Zusammensetzung und Befugnisse im Grundgesetz geregelt sind. Die Demokratie des Grundgesetzes ist ferner eine parlamentarische Demokratie insofern, als die Regierung dem Volk verantwortlich ist, und sie ist eine genauer gesagt der Volksvertretung rechtsstaatliche Demokratie insofern, als die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die Rechtsprechung und die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden sind. Der Geltungsbereich des Grundgesetzes erstreckt sich vorläufig auf die elf Länder der westlichen Besatzungszonen und auf Groß-Berlin. Wir sind mit letzterem bewußt über die Londoner Empfehlungen27) hinausgegangen. Die Legitimation für dieses Verhalten glaubten wir in der geschichtlichen Notwendigkeit zu finden und in dem Anspruch des Volkes von Berlin auf jede Unterstützung materieller und moralischer Art in seinem Freiheitskampf. Mag diese Bestimmung des Grundgesetzes von den Besatzungsmächten28) suspendiert werden das Wissen der Deutschen in Berlin und hier um ihre Zusammengehörigkeit wird stärker sein als alle Staatsräson.

-

-

-

(Beifall.)

Anwendungsgebiet des Grundgesetzes ist nicht „geschlossen". Jeder Teil Deutschlands kann ihm beitreten. Aber auch der Beitritt aller deutschen Gebiete wird dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen können. Diese wird es erst dann geben, wenn das deutsche Volk die Inhalte und Formen seines politischen Lebens in heier Entschließung bestimmt haben wird. Das Grundgesetz sieht für das neu zu ordnende Gemeinwesen einen bundesstaatlichen Aufljau vor. So weit auch die Ansichten über die Wesensmerkmale des Bundesstaates und des föderalistischen Prinzips auseinandergehen mögen, Das

27) Londoner Empfehlungen, Abdr. Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. 28) Siehe die Einschränkungen hinsichtlich Berlins im Genehmigungsschreiben der Alliier-

vom 12. Mai 1949: Unter 4) hieß es dort: „Ein dritter Vorbehalt betrifft die Teilnahme Groß-Berlins am Bund. Wir interpretieren die Auswirkungen der Artikel 23 und 144 (2) des Grundgesetzes dahingehend, daß sie eine Annahme unseres früheren Wunsches bedeuten, dahingehend, daß Berlin zwar nicht Stimmberechtigung im Bundestag oder Bundesrat eingeräumt werden, noch von der Bundesregierung gestellt werden kann, Berlin jedoch nichtsdestoweniger eine kleine Anzahl von Vertretern zur Teilnahme an den Sitzungen jener gesetzgeberischen Körperschaften bestimmen mag." Dok. Nr. 12, Anm. 15.

ten

438

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bestellt doch Übereinstimmung darüber, daß der Bundesstaat durch mehrere sichere Kennzeichen charakterisiert ist. Einmal gehört es zu seinem Begriff, daß er ein in mehr oder weniger autonome Gebietskörperschaften gegliedertes Ganzes ist. Diese seine Glieder müssen Träger eigener Rechtsmacht und imstande sein, den ihnen zugewiesenen oder überlassenen Aufgabenkreis mit eigenen Organen und mit Mitteln, auf die sie einen eigenen Rechtsanspruch haben, zu erfüllen. Auf der anderen Seite aber wird die Staatlichkeit der Glieder überhöht und aufgefangen durch den Bundesstaat, dem eine eigene, von den Ländern nicht abgeleitete Gebietshoheit zukommt, die entweder schlechthin oder beim Vorliegen gewisser Umstände die der Länder ausschließt. Die Rechte der Länder und des Volkes in den Ländern werden im Bundesstaat dadurch gewahrt, daß die Gliederung des Gesamtvolkes in Länder in gewissen Organen des Bundes zum Ausdruck kommt. Der vorliegende Entwurf hat dieser Begriffsbestimmung Rechnung getragen. Das Bundesgebiet ist in Länder gegliedert, und diese Gliederung in Länder kann auch nicht durch eine Änderung der Verfassung aufgehoben werden. Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifh oder zuläßt. Die Bundesrepublik hat also nur die Befugnisse, die ihr vom Grundgesetz zugewiesen sind; wo im Grundgesetz eine Bundeszuständigkeit nicht nachgewiesen werden kann, ist die Zuständigkeit eines Landes gegeben. Die Länder sind in der Gestaltung ihrer Verfassungen und in der Führung ihrer staatlichen Verwaltung frei. Jedoch bestimmt das Grundgesetz, daß die Verfassungen der Länder gewissen Voraussetzungen entsprechen müssen, die die Grundlage eines jeden republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates sind. In der so

grundsätzliche Heterogenität zwischen der Verfassungswirklichkeit des Bundes und der Länder eine Unmöglichkeit und die Gewährleistung grundsätzlicher Homogenität eine Pflicht des Bundes. Auf der anderen Seite ist der Bund so gestaltet, daß sein Gebiet nicht die Summe der einzelnen Ländergebiete, sondern ein eigenes Gesamtgebiet ist, dessen Staatsangehörigkeit alle Deutschen genießen. Das Staatsvolk des Bundes besteht nicht aus den Bevölkerungen der einzelnen Länder, sondern es ist ein Ganzes, das nicht etwa in „Ländervölker" auseinanderfällt, sondern das in den Ländern lediglich seine besondere territoriale Gliederung erfährt. Die Bundesgewalt geht dort, wo das Grundgesetz Befugnisse des Bundes vorsieht, grundsätzlich der Ländergewalt vor. Bundesrecht bricht Landesrecht, und wenn es sich um die Ausführung von Bundesgesetzen handelt, stehen die Länder unter der Aufsicht des Bundes. Verletzt ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz obliegenden Pflichten, so kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats den Bundeszwang zur Tat ist eine

Anwendung bringen.

Der bundesstaatliche Charakter des Grundgesetzes kommt wesentlich zum Ausdruck in der Gestaltung der Organe des Bundes und in der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung und in der Gestaltung des Finanzwesens. Lassen Sie mich kurz eine Charakterisierung der wesentlichsten Organe geben. 439

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Das wichtigste Organ des gleichen und unmittelbaren

Bundes ist der Bundestag, der aus allgemeinen, Wahlen hervorgeht und die eigentliche Vertretung des Gesamtvolkes darstellt. In ihm verkörpert sich die ungeteilte Einheit des politischen Willens des zum Ganzen strebenden deutschen Volkes. Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt und kann nur aufgelöst werden, wenn er dem Bundeskanzler das erbetene Vertrauensvotum verweigert. Seine Abgeordneten sind unabhängig und genießen alle Rechte, die in den letzten Jahrhunderten zum Schutze der Parlamentsheiheit entwickelt worden sind. Der Bundestag beschließt die Gesetze, er wählt den Bundeskanzler und kontrolliert die Regierung, die von seinem Vertrauen abhängig ist. Als Teil der Bundesversammlung nimmt er an der Wahl des Bundespräsidenten teil. Neben dem Bundestag steht der Bundesrat. Er ist das Organ, durch das die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitwirken. Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Regierungen der Länder, also nicht aus Beamten. Die Bundesratsbevollmächtigten führen Stimmen, die nach der Bevölkerung der Länder gestuh sind. Diese Stimmen geben sie nicht frei ab, sondern auf Grund von Instruktionen, die ihnen die Länderregierungen erteilen. Wenngleich der Bundesrat ein Gremium ist, das die Bevollmächtigten der Landesregierungen in sich vereinigt, so ist er als Ganzes doch nicht ein Organ der Länder, sondern ein Organ des Bundes. In seinen Beschlüssen kommt rechtlich gesehen nicht Länderwille, sondern Bundeswille zum Ausdruck. Der Bundesrat ist ein Organ der Gesetzgebung des Bundes. Grundsätzlich steht ihm das Recht zu, gegen Gesetzesbeschlüsse des Bundestags Einspruch einzulegen. Auf gewissen Sachgebieten, bei denen die Interessen der Länder besonders unmittelbar betroffen sind es handelt sich im wesentlichen um Dinge auf dem Gebiet der Finanzen -, hat der Bundesrat volle legislative Parität mit dem Parlament. Seine Stellung auf dem Gebiet der Verwaltung ist stark. Grundsätzlich bedarf die Bundesregierung seiner Zustimmung beim Erlaß von Rechtsverordnungen und außerdem bei einer Reihe von Verwaltungs- und Regierungsakten. Staatsoberhaupt ist der Bundespräsident. Die Stellung des Reichspräsidenten der Weimarer Verfassung war außerordentlich viel stärker als die Stellung des Bundespräsidenten nach dem Entwurf dieses Grundgesetzes. Der Reichspräsident war vom Volke gewählt und darum Träger einer besonderen Autorität. Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, die aus den Mitgliedern des Bundestags und einer entsprechenden Anzahl von Vertretern der Landtage besteht. Dem Bundespräsidenten steht kein „Artikel 48"29) der alten Weimarer Verfassung mehr zur Verfügung; es gibt keine Wehrmacht mehr, deren Oberbefehl er führen könnte; er kann nicht wie der Reichspräsident der Weimarer Verfassung den Kanzler selbständig ernennen und entlassen. Er kann keine Bundesexekution anordnen und auch das Parlament nicht selbständig auflösen, wie Artikel 2530) der Weimarer Verfassung dies vorgesehen hatte. -

29) 30)

Art 48 WRV siehe Dok. Nr. 7, Anm. 30. Art. 25 WRV lautete: „Der Reichspräsident kann den

einmal 440

aus

dem

gleichen Anlaß [...]"

Reichstag auflösen, jedoch

nur

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an Befugnissen geblieben? Er vertritt den Bund und entläßt die Bundesbeamten und Bundesrichter. völkerrechtlich. Er ernennt Er macht dem Bundestag einen ersten Voraus. übt das Er Begnadigungsrecht Wahl des die für Bundeskanzlers. Das ist ungefähr alles. Trotzdem wird schlag der Inhaber dieses hohen Amtes die Möglichkeit zu fruchtbarer staatsmännischer Wirkung haben, wenn er begreift, daß auch ein „Pouvoir neutre" echte Autorität zu verleihen vermag, wenn der Inhaber des Amtes weiß, daß Aktion nicht die einzige Möglichkeit politischen Wirkens ist. Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Bundeskanzler wird vom Bundestag ohne Mitwirkung des Bundesrats auf Vorschlag des Bundespräsidenten gewählt. Seine Stellung ist besonders stark. Er bestimmt die Bichtlinien der Politik und praktisch ist er Herr über die Zusammensetzung seiner Regierung, die als solche nicht des vorherigen Vertrauensausspruches des Bundestags bedarf. Zwar ist der Bundeskanzler parlamentarisch verantwortlich hir sich und hir die Tätigkeit eines Bundesministers, mit dem er sich solidarisch erklärt. Er kann aber nicht durch ein Mißtrauensvotum einer beliebigen Mehrheit im Bundestag gestürzt werden. Um zu verhindie stark genug sind, eine Regierung zu dern, daß heterogene Mehrheiten oder nicht aber willens, eine neue Regierung zu bilden außerstande stürzen, der in damit die alte Regierung und Verantwortung abzulösen die Regierungsden letzten das in wie funktion lähmen, Jahren der Weimarer Republik so oh bestimmt das Grundgesetz, daß ein Mißtrauensvotum nur dageschehen ist, durch ausgesprochen werden kann, daß der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Kanzler wählt. Das bedeutet politisch gesehen, daß das Grundgesetz die Regierung praktisch nur einem Bundestag gegenüber verantwortlich sein läßt, dessen oppositionelle Mehrheit homogen genug ist, um ihrerseits Verantwortung zu übernehmen. Die Verteilung der Befugnisse auf Bund und Länder ist auf dem Gebiet aller drei Staatsfunktionen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung erfolgt. Auf dem Gebiet der Gesetzgebung hat der Bund das ausschließliche Recht nur auf bestimmten Sachgebieten. Es sind dies jene, die sinnvoller Weise nur einheitlich geregelt werden können. Auf diesen Sachgebieten können die Länder keine Gesetze erlassen. Im übrigen steht das Recht der Gesetzgebung den Ländern zu. Eine Reihe wichtiger Lebensgebiete aber ist der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes und der Länder unterworfen. Jedoch können die Länder hier von ihrem Recht zur Gesetzgebung nur insolange und insoweit Gebrauch machen, als der Bund dies nicht selber tut. Der Bund kann von seinem Recht Gebrauch machen, soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil die eventuelle Regelung einer Angelegenheit durch das Gesetz einzelner Länder eine sachlich unwirksame Sache wäre oder weil die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit dadurch beeinträchtigt werden könnten und schließlich, weil die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus eine bundesgesetzliche Regelung erfordert. Was die Verwaltung anlangt, so ist die Ausführung der Landesgesetze ausschließlich Sache der Länder, die auch die Möglichkeit haben, sich die hierfür

Was ist dem

Bundespräsidenten

-

-

-

-

441

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erforderlichen Einrichtungen nach eigenem Gutdünken zu schaffen. Auch die Ausführung der Bundesgesetze ist grundsätzlich Sache der Länder. Nur auf wenigen Sachgebieten besteht ein bundeseigener Verwaltungsunterbau. Grundsätzlich führen die Länder die Bundesgesetze aus, und zwar grundsätzlich als eigene Angelegenheiten. Nur in Fällen, die im Grundgesetz besonders bestimmt sind, haben sie die Bundesgesetze im Auhrage des Bundes auszuführen. In beiden Fällen unterstehen die Länder aber der Bundesaufsicht: Der Bund kann im Fall der Ausführung von Bundesgesetzen in Eigenverwaltung die Ausführung auf ihre Gesetzmäßigkeit hin kontrollieren; im Fall der Auhragsverwaltung erstreckt sich die Kontrolle auch auf die Zweckmäßigkeit der Ausführung. Die Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich Ländersache. Nur auf der obersten Stufe werden zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung obere Bundesgerichte geschaffen: für die ordentliche Gerichtsbarkeit, die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Finanzgerichtsbarkeit, die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit. Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung quer durch alle Säulen der Gerichtsbarkeit hindurch im ganzen zu wahren, wird über diesen oberen Bundesgerichten ein Oberstes Bundesgericht geschaffen, das als letzter Rechtszug in Fällen entscheidet, für Einheitlichkeit der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte von grundsätzlicher Bedeutung ist. Neben oder über diesen Gerichten steht das Bundesverfassungsgericht. Es ist der eigentliche Hüter der Verfassung. Es ist nicht nur Träger der Gerichtsbarkeit in Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern, sondern auch dazu berufen, in bestimmten Fällen das Grundgesetz verbindlich auszulegen und bei Zweifeln

über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht und Landesrecht mit dem Grundgesetz die letzte Entscheidung zu treffen. Bei der hohen Bedeutung, die dem Bundesverfassungsgericht zukommt, kann die Ernennung seiner Mitglieder nicht Sache der vollziehenden Gewalt sein. Seine Mitglieder werden darum je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat ernannt. Eine besondere Bedeutung kommt der Regelung des Finanzwesens zu. Hier waren die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien am langwierigsten, und hier haben die Besatzungsmächte am eindringlichsten zum Ausdruck gebracht, was sie sich unter einer Verfassung föderalistischen Typs vorstellen31). Die schließlich in vierter Lesung vom Hauptausschuß beschlossene Lösung des Problems weicht erheblich von der deutschen Überlieferung ab. Die Zukunft wird zeigen müssen, ob die so geschaffene Finanzverfassung den Anforderungen genügt, die die Zeit an die Leistungsfähigkeit der Bundesgewalt stellen wird. Der Zweck der getroffenen Regelung ist, Bund und Länder in den Stand zu setzen, ihre Aufgaben so sehr als möglich mit eigenen Mitteln zu erfüllen, ohne dadurch die vor allem aus sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen erforderliche Einheit der Finanzpolitik zu gefährden und ein Gefälle zwischen steuerschwachen und steuerstarken Ländern entstehen zu lassen. Nach diesen Gesichtspunkten wird die Gesetzgebungshoheit, die Verteilung der Erträge der Steuern und das Problem der Finanzverwaltung gelöst.

) Siehe insbes. Bd. 442

8 dieser Editionsreihe.

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Das Grundgesetz schließt mit einer Reihe von Übergangs- und Schlußbestimmungen. Es ist klar, daß in Anbetracht der Verschiedenläufigkeit der Entwicklung der staatlichen Dinge in Deutschland der Anschluß der neuen Ordnung an den

bisherigen Zwischenzustand nicht glatt vollzogen werden kann. Sehr zahlreiche Ubergangs- und Schlußbestimmungen sind darum erforderlich geworden. Durch dieses Grundgesetz soll zwar nur eine den Bedürfnissen der Ubergangszeit dienende Ordnung geschaffen werden, doch wenn es in Krah sein wird, wird es möglich werden, daß endlich ein deutsches Parlament und eine deutsche Regierung gesamtdeutsche Interessen wahrnehmen. Freilich wird unsere Souveränität weitgehend durch das Besatzungsstatut12) eingeschränkt sein, in dem die Besatzungsmächte sich das Recht vorbehalten haben, teils eigene Maßnahmen in Deutschland durchzuführen, teils auf gewissen Sachgebieten die

Deutschen legislatorisch und administrativ auszuschließen oder doch eine deutsche Tätigkeit von ihrer Genehmigung abhängig zu machen. Die Gesetze, die unsere gesetzgebenden Körperschaften beschließen werden, können von den Besatzungsmächten mit einem Veto belegt werden. Die Bundesrepublik Deutschland wird nur bei sehr weiser Handhabung dieser Befugnisse durch die Besatzungsmächte imstande sein, die Aufgaben zu erfüllen, für deren Lösung das Grundgesetz das Instrument werden soll. Erst mit der Erlangung der vollen Entscheidungsfreiheit, also der vollen Souveränität, wird das deutsche Volk und werden seine politischen Organe imstande sein, die volle Verantwortung für das zu tragen, was in Deutschland geschieht. Demokratie aber ist unter anderem vornehmlich auch die Übernahme der vollen Verantwortung durch ein Volk für alles, was auf seinem Gebiet geschieht. Darum wird die Bundesregierung gerade um der Demokratie willen, die es vor Diskreditierung zu schützen gelten wird, nicht umhin können, auf die Wiedererlangung der deutschen Souveränität hinzuarbeiten nicht um eigensüchtiger Zwecke willen, sondern weil das deutsche Volk sonst nicht die Möglichkeit hat, sich selbst hei in ein politisch, ökonomisch und konstitutionell geeintes Europa einzubringen. Unser Grundgesetz verzichtet darauf, die Souveränität des Staates wie einen „Rocher de bronze" zu stabilisieren, es macht im Gegenteil die Abtretung von Hoheitsbehignissen an internationale Organe leichter als irgendeine andere Verfassung in der Welt; es macht die allgemeinen Begeln des Völkerrechts zu Bestandteilen des Bundesrechtes und sieht darüber hinaus in der umfassendsten Weise den Anschluß Deutschlands an ein System internationaler Schiedsgerichtsbarkeit und kollektiver Sicherheit vor. Mit der Annahme dieser Bestimmungen wird unser Volk zeigen, daß es entschlossen ist, mit einer europäischen Tradition zu brechen, die in der ungehemmten Entfaltung der Macht des Nationalstaates den eigentlichen Beweger der Geschichte und ihren letzten Sinn sah. Die letzte Bestimmung des Grundgesetzes ist ein Artikel, in dem gesagt ist, daß das Grundgesetz automatisch an dem Tage außer Kraft tritt, an dem eine Verfassung wirksam wird, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung be-

32)

Zum Besatzungsstatut, das den Deutschen Pari. Rat Bd. 4, insbes. S. 54 ff.

am

10.

April

1949 bekannt

wurde, siehe

Der

443

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schlössen worden ist. Die neue, die echte Verfassung unseres Volkes wird also nicht im Wege der Abänderung dieses Grundgesetzes geschaffen werden, sie wird originär entstehen, und nichts in diesem Grundgesetz wird die Freiheit des Gestaltungswillens unseres Volkes beschränken, wenn es sich an diese Verfassung machen wird. Wann dieser Tag sein wird, wissen wir nicht. Ich für meine Person möchte hoffen, daß ihm der Gründungstag der Vereinigten Staaten von Europa auf dem Fuße folgen wird.

(Beifall.)

Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Wir treten in die Beratung ein. Zugrunde liegt die Drucksache Nr. 8 5 033). Zu dieser Drucksache ist eine Ergänzung auf Drucksache Nr. 85434) gegeben. Ich bitte, diese einzusehen. Bei der Kompliziertheit der ganzen Materie kommen wir reibungslos nur durch, wenn wir mit größter Achtsamkeit zu Werke gehen. Ich empfehle Ihnen daher, in der Drucksache Nr. 850 die Änderungen zu notieren, die auf Drucksache Nr. 854

enthalten sind. Ich darf noch berichtigen, daß auf Drucksache Nr. 854 bei Artikel 87 am Schluß der drittletzten Zeile ein Komma fehlt. Das Komma ist nötig, weil dadurch erst der Sinn klar wird. Es muß heißen: „für das polizeiliche Auskunhs- und Nachrichtenwesen,". Dann darf ich noch auf einen Druckfehler35) in der Präambel aufmerksam machen. Dort finden Sie „Groß-Berlin" verzeichnet. „Groß-Berlin" muß gestrichen werden; Berlin kommt an anderer Stelle. (Renner: Ei, ei, das ist im Gegensatz zu den Ausführungen von Herrn Carlo Schmid. Das unterstreicht das wieder: Der kalte Krieg wird eingestellt!) Schließlich darf ich feststellen: Die Frist zur Einreichung der Abänderungsanträge lief erst heute nachmittag 4 Uhr aus; daher sind die Anträge erst nach und nach hereingekommen36). Sie wissen alle, daß das Büro seit gestern eine ganz hervorragende Arbeit geleistet hat. Aber bei der Kürze der Zeit konnte die Vorbereitung nicht so genau sein, wie sie sonst gewesen wäre. Ich bitte darauf Rücksicht zu nehmen.

33) Drucks. Nr. 850 siehe Anm. 13. 34) Drucks. Nr. 854 siehe Anm. 14. 35) Dieser Druckfehler in der Präambel vom

36)

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in Drucks. Nr. 850 wurde durch die Drucks. Nr. 878

berichtigt.

Mit Sekretariatsumdr. Nr. S 53 vom 27. April 1949 wurde den Abgeordneten des Pari. Rates mitgeteilt, 1. alle bisher eingereichten und noch nicht behandelten Anträge seien

als zurückgezogen anzusehen; 2. sie wurden gebeten, zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Ergebnisse der interfraktionellen Besprechungen noch Anträge zu stellen sind; 3. solche Anträge bis Montag, den 2. Mai 12.00 Uhr dem Sekretariat zuzuleiten, 4. nur noch Einzelanträge zu einzelnen Artikeln des GG und keine Sammelanträge einzureichen, 4. bei der Bezifferung die Fassung Drucks. Nr. 604/607 und Drucks. Nr. 675 (3. Lesung HptA) zugrunde zu legen. Eine undat. und ungez. Aufstellung: Anträge der Fraktionen, die bis zum 5. Mai 1949 12.00 Uhr vorgelegen haben, im Umfang von dreieinhalb eng beschriebenen Seiten in: PA 5, Nr. 9. 444

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[3.2

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ÜBERSCHRIFT]

Wir kommen dann zu der Überschrift. Dazu ist ein Antrag auf Drucksache Nr. 76337) gestellt. Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Arbeitstagung hat begonnen, ein Teil der Gäste hat uns verlassen. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir die Anträge, die wir gestellt haben, nur ganz kurz begründen werden. Eine eingehende Stellungnahme, wie sie sich aus

diesen Anträgen ergibt, auch zu Ausführungen, die hier gemacht worden sind, behalten wir uns für die dritte Lesung vor. Wir haben beantragt, dem Grundgesetz die Überschrih „Grundgesetz zur Erneuerung des Deutschen Reiches" zu geben. Wir schlagen diese Überschrih vor, weil wir uns zur geschichtlichen Dauer des deutschen Gesamtstaates bekennen, der als Bund deutscher Länder erneuert wird. In dieser Überschrih liegt zugleich der Anspruch, dieses Grundgesetz zum Ausgangspunkt der gesamtstaatlichen Verfassung Deutschlands werden zu lassen. Der Reichsgedanke soll dabei in seinem eigentlichen Sinne zum Ausdruck kommen, (Reimann: Mit oder ohne Österreich?) nämlich daß das Deutsche Reich als Rechtsordnung nach dem Vorbild und den Geboten der göttlichen Schöpfungsordnung geschaffen wurde und so auch in Zukunh bestehen soll. Ich bitte um Annahme des Antrags. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der •

Antrag

ist

abgelehnt.

-

-

Wir kommen dann zu dem Abänderungsantrag auf Drucksache Nr. 76438) zu Artikel 1. (Zuruf: Die Präambel!) Dazu sind keine Abänderungsanträge gestellt. Ich schlage Ihnen vor, daß wir zu den Teilen, zu denen jetzt keine Abänderungsanträge gestellt sind, nicht besonders abstimmen, weil wir zum Schluß eine Gesamtabstimmung vornehmen. Sonst wird das ständige Abstimmen zu den Artikeln, zu denen keine Anträge gestellt sind, eine etwas einförmige Angelegenheit. Sind sie damit einverstanden? (Zustimmung und Widerspruch.) Zur Geschähsordnung Herr Dr. Schwalber! Dr. Schwalber (CSU): Ich beantrage, über jeden einzelnen Artikel abzustimmen. Wir, die wir nicht an den Hauptausschußsitzungen teilgenommen haben, haben bisher noch keine Möglichkeit gehabt, unsere Auffassung kundzugeben, ob wir mit den Artikeln einverstanden sind oder nicht. -

37) 3S)

Drucks. Nr. 763: Antrag der DP Nr. 1 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Überschrift des Grundgesetzes. Er wurde von Seebohm im nachhinein verlesen. Drucks. Nr. 764: Antrag der DP Nr. 2 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 1, Abs. 2. Er wurde verlesen. 445

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[3.3 PRÄAMBEL] Präs. Dr. Adenauer: Wenn das gewünscht wird, werden wir dem stattgeben müssen. Dann kommen wir zunächst zur Abstimmung über die Präambel. Ich bitte diejenigen, die für die Präambel sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte nun diejenigen, die dagegen sind. Gegen 2 Stimmen angenommen. (Dr. Grève: Ich bitte, die Stimmenthaltung feststellen zu lassen, Herr Präsi-



dent!)

Dann bitte ich diejenigen, die sich der Stimme enthalten erheben. 3 Stimmenthaltungen.

-

zu

haben, eine Hand

-

[3.4

I.

GRUNDRECHTE)

Wir kommen dann zu Artikel 1. Dazu ist der Abänderungsantrag auf Drucksache Nr. 764 gestellt. (Dr. Dehler: Zunächst die Überschrih, Herr Präsident!) Das war der Abänderungsantrag. Wir stimmen ab über die Überschrift, zu der Herr Dr. Seehohm soeben den Abänderungsantrag gestellt hat, der abgelehnt worden ist. Ich bitte diejenigen, die für die Überschrih in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind. Gegen 4 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Artikel 1. (Zuruf: Die Überschrih zum Abschnitt I. fehlt! Dr. Strauß: „I. Die Grund-

-

-

-

rechte"!) Ich denke, darüber brauchen -

-

wir nicht abzustimmen.

(Widerspruch.)

Dann bitte ich diejenigen, die dafür eine Hand zu erheben.

sind, daß die Überschrih lautet „I. Die

Diejenigen, die dagegen sind. Die Mehrheit war für die Überschrih; gegen 2 Stimmen angenommen. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben zu Artikel 1 den Antrag gestellt, in den Satz: „Das deutsche Volk bekennt sich darum zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschah, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" vor dem Wort „Grundlage" die Worte „von Gott gegebene" einzufügen39). Diese Bestimmung soll einen besonders tiefen Ernst und eine endgültige Bedeutung dadurch bekommen, daß diese höchsten Rechtsgedanken als „von Gott gegeben" anerkannt werden. Sie sind daher durch menschliche Willkür nicht abzuändern und von ewiger Gültigkeit. Ein Gesetzgeber, der hiergegen verstößt, macht sich der Gesetzesverkehrung schuldig. Wir wollen, daß das deutsche Volk aus den Jahren tiefer Not die Lehre zieht und sich in diesem Grundgesetz dazu bekennt, daß keine Macht der Welt es wieder von seiner tiefen Bindung an die geistige Welt abzuziehen vermag. Grundrechte",

-

-

!) Drucks. 446

Nr. 764, siehe

vorherige Anm.

-

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Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. dann zur Abstimmung über den Artikel 1 in der Fassung des kommen Wir Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Gegen 2 Stimmen angenommen. Wir kommen dann zum Antrag auf Drucksache Nr. 76 540), der dahin geht, einen neuen Artikel 1 a einzufügen. Das Wort hat Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben beantragt, nach dem Artikel 1 einen neuen Artikel 1 a folgenden Inhalts einzufügen: (1) Jeder Mensch hat ein Recht auf seine Heimat. -

-

-

-

(2) Geborgenheit und Frieden sind für alle Deutschen Stammeszugehörigkeit vom Staate zu gewährleisten.

ohne Rücksicht auf ihre

Romantik, daß dieser Antrag gestellt wird; sondern dieser Antrag wird gestellt als ein ausdrückliches Bekenntnis zur Heimat und zu unseren vertriebenen und flüchtigen deutschen Menschen. Millionen von Menschen vieler Völker sind seit Beginn dieses Jahrhunderts aus ihrer Heimat vertrieben worden. Der Heimatbegriff ist dadurch heute ganz anders in dem Bewußtsein der Menschen verankert. Wir wollen, daß das deutsche Volk sich durch die Aufnahme dieses Artikels in die Grundrechte ausdrücklich zu einer Ächtung der zwangsweisen Vertreibung der Menschen aus ihrer Heimat bekennt. Wir wissen, daß gerade in den Kreisen der Vertriebenen als Ursache des Vertriebenen- und Flüchtlingsproblems die Mißachtung der menschlichen Freiheit und des Naturrechts auf Heimat und Existenz angesehen wird. Wir sehen in der Vertreibung so vieler deutscher Menschen eine Schuld all derjenigen, die dafür die Verantwortung tragen, und damit eine Verpflichtung für sie, uns und diesen Menschen zu helfen, ihr Schicksal anders, als es jetzt ist, und neu zu gestalten. Das soll durch unseren Antrag bekundet werden. Ich bitte um Annahme. Brockmann (Z); Ich bitte um getrennte Abstimmung über die einzelnen Abschnitte dieses Antrags. Präs. Dr. Adenauer: Sie wünschen, Herr Brockmann, daß zunächst über Absatz 1 des Antrags Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 765 und dann über Absatz 2 abgestimmt wird? Es ist nicht ein Ausdruck der

(Brockmann: Ja.)

Dann bitte ich diejenigen, die für Absatz 1 des Antrags Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 765 sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Das ist die Mehrheit. Damit ist Absatz 1 abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über Absatz 2 dieses Antrags Dr. Seebohm. Ich bitte diejenigen, die für diesen Absatz 2 sind, eine Hand zu erheben. (Kroll: Zur Abstimmung! Ich bitte, den Satz noch einmal zu verlesen. Wir -

-

haben die Drucksache nicht bekommen.) Ich darf ihn vorlesen:

-

40) Drucks. Nr. verlesen.

765:

Antrag der DP

Nr. 3

vom

17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 1

a.

Er wurde

447

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Geborgenheit und Frieden sind für alle Deutschen ohne Rücksicht auf ihre Stammeszugehörigkeit vom Staate zu gewährleisten. Ich bitte diejenigen, die hierfür sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Das ist die große Mehrheit. Damit ist der Antrag Dr. Seebohm, einen neuen Artikel 1 a einzuschieben, abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 2. Ich bitte diejenigen, die für -

-

Artikel 2 sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Diejenigen, die sind. Stimmen angenommen. Gegen 2 dagegen Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 3. Ich bitte diejenigen, die für Artikel 3 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Gegen 2 Stimmen angenommen. (Reimann: Es ist doch bekannt, daß wir dagegen sind. Sollen wir immer die Hand heben?) Herr Reimann, dazu sind Sie Parlamentarier. Wir kommen dann zu Artikel 4. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Zur Abstimmung! Ich bitte, über die einzelnen Abschnitte getrennt abzustimmen, da wir grundsätzlich die Kriegsdienstverweigerung ablehnen und daher den Absatz 3 ablehnen werden. Präs. Dr. Adenauer: Zu Artikel 4 ist auf Drucksache Nr. 75241) der Abänderungsantrag gestellt, den Absatz 3 des Artikels 4 zu streichen. Der Absatz 3 lautet: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über diesen Abänderungsantrag. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die gegen die Streichung sind. Das ist die Mehrheit. Damit ist der Abänderungsantrag kommen Wir nunmehr zur Abstimmung über Artikel 4 in der Fasabgelehnt. des sung Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die für diesen Artikel 4 sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Das ist die Mehrheit 2 Stimmen angenommen. gewesen. Gegen Wir kommen nunmehr zu Artikel 5. Zu Artikel 5 ist von Ihnen (zur SPD) ein Abänderungsantrag auf Drucksache Nr. 8 7 742) gestellt. Das Wort hat Herr Dr. Schmid. Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren! Es ist in den bisherigen Verhandlungen, insbesondere im Hauptausschuß, sehr viel debattiert worden, ob diesem Artikel, der von der grundsätzlichen Freiheit der Wissenschaft, Lehre und Forschung handelt, eine Bestimmung angefügt werden solle, wonach diese Freiheit nicht von der Treue zur Verfassung entbindet. Es ist aus ernster Sorge um die Freiheit der Wissenschah die Meinung laut geworden, daß eine Bestimmung dieser Art sich mit der Würde des Grundgesetzes nicht vertrage. Weiter ist befürchtet worden, daß aus einer solchen Bestimmung vielleicht etwas wie eine —

-

-

-



-

-

-

) Drucks.

Nr. 752:

2. Mai 1949

:) Drucks.

betr.

-

Antrag Schröter, Dr. Lehr, Dr. de Chapeaurouge, Dr. Schwalber vom Streichung von Abs. 3 aus Art. 5. Antrag Zinn (SPD) in der 2. Lesung im Plenum vom 6. Mai 1949 betr.

Nr. 877: Art. 5, Abs. 3. Er lautete: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht

Verfassung." 448

von

der Treue

zur

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Forschung und der Lehre erwachsen könnte. Einfügung beantragen, soll unter gar keinen Umständen die verantwortungsbewußte Kritik am Grundgesetz selbst und auch nicht an den Prinzipien ausschließen, auf denen es beruht; dieser Satz soll lediglich zum Ausdruck bringen, daß solche Kritik unter dem Gebot der Verantwortlichkeit steht und mit dem Respekt erfolgen muß, den man einem Gesetz schuldet, Knechtung

der Wissenschah, der

Der Satz, dessen

wir

nach dem ein Volk zu leben sich entschlossen hat. Es soll verhindert werden, daß unter dem Vorwand einer wissenschaftlichen Kritik ein Mann auf dem Katheder nichts anderes treibt als hinterhältige Politik, indem er die Demokratie und ihre Einrichtungen nicht kritisiert, sondern verächtlich macht. (Renner: Das kann er nur bei einem schwachen Kultusminister!) Man könnte sagen, daß das Selbstverständlichkeiten sind; warum brauche man dann einen solchen Satz? Meine Damen und Herren, es sind vor 1933 in deutschen Hörsälen Dinge geschehen43), für deren Auswirkungen wir heute bezahlen, die vielleicht unterblieben wären, wenn man die Herrschaften nachdrücklich genug auf eine feierliche Verpflichtung hätte hinweisen können.

(Sehr richtig!)

Das soll dieser Satz leisten. Freilich ist es richtig, daß man bei einem energischen Kultusminister auch auf Grund der Disziplinarvorschriften eingreifen

kann.

(Renner: Eine energische Volksvertretung!) es sehr nützlich zu sein, eine eindringliche Warnung auszusprechen, eine Warnung an solche, die versuchen sollten, die Republik „wissenschaftlich" zu unterlaufen. Die Leute, die solches etwa vorhaben sollten, sollen genau wissen, daß die Republik entschlossen ist, sich auch gegen Hinter-

Aber mir scheint

hältigkeit

zu

verteidigen!

(Bravo! bei der SPD.)

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Heuss. Dr. Heuss (FDP): Wir haben an sich nicht vor, heute eine Detail débatte zu führen. Aber es muß ein Wort des Widerspruchs gesagt werden, weil das einer

der Artikel ist, die absolut unter der Optik der nationalsozialistischen Erfahrungszeit stehen. Wir haben an manchen Stellen des Grundgesetzes diese Spiegelung der Erfahrungen einer Zeit, über deren Beurteilung wir uns absolut einig sind. Aber ich halte es für schier unerträglich an dieser Situation, die Mißtrauensaktion gegen einen einzigen Beruf nun sozusagen verfassungsrechtlich zu „verankern"; so hat man früher gesagt. Ich glaube, daß hier das Problem gege-

ben ist, wie die Minister die Kontrolle führen können gegen den Mißbrauch, der ja als Gefahr in jedem Amt drinstecken kann. In der heutigen Situation den Hochschullehrer und den Professor unter eine Art von Rachebedrohung für Gewesenes zu setzen, halte ich nicht für möglich. (Dr. Grève: Aber die Feinde der Demokratie werden schon wieder auf dem Katheder erscheinen!) Das kommt auf die Demokratie an. —

) Siehe hierzu die Fallstudie Denken und Handeln der

von

Christian Jansen: Professoren und Politik. Politisches

Heidelberger Hochschullehrer

1914-1935.

Göttingen

1992.

449

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Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die den Hand erheben. eine zu Der Antrag ist mit sind, gegen Abänderungsantrag 34 gegen 32 Stimmen angenommen. Nein, es ist falsch gezählt worden. Die beiden Schrihführer haben sich berichtigt. Es waren 34 gegen 31 Stimmen. Damit ist der Abänderungsantrag angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Artikel in der durch diesen Abänderungsantrag geschaffenen neuen Form. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel in dieser Form sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Artikel ist gegen 4 Stimmen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 6. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 6 sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Gegen -

-

-

-



4 Stimmen angenommen.

-

-

Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Artikel 7. (Zinn: Zu Artikel 6 liegt ein Abänderungsantrag vor.) Nein, hier liegt kein Abänderungsantrag vor. Welcher Abänderungsantrag soll zu Artikel 6 gestellt sein? Im Büro ist keiner vorhanden. (Dr. Höpker Aschoff: Nr. 86044). Renner: Nr. 8 3 645).) Zu Artikel 6 ist hier kein Antrag gestellt. (Renner: Nr. 836 zu dem alten Artikel 7, jetzt Artikel 6.) Der Antrag ist zu der Sitzung des Hauptausschusses gestellt gewesen. Der Abänderungsantrag zu Artikel 6 ist noch nicht verteilt. Ich schlage nun vor, die Abstimmung über Artikel 6 noch zu ergänzen und zunächst über den Abänderungsantrag dazu abzustimmen. Dieser Antrag hat keine Nummer. Er lautet -

-

-

-

so:

Es wird beantragt, dem Artikel 6 Absatz 5 folgende Fassung zu geben: Das uneheliche Kind ist mit seinem natürlichen Vater auch im Rechtssinn verwandt, Ihm sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für seine leibliche und seelische Entwicklung und seine Stellung in der Gesellschah zu schaffen wie dem ehelichen Kind. Es ist also wohl derselbe Antrag, wie er im Hauptausschuß gestellt war46). Dr. v. Brentano (CDU): Ich bitte, über die beiden Sätze getrennt abzustimmen. Präs. Dr. Adenauer: Sie beantragen getrennte Abstimmung über die beiden Sätze. Ich darf darauf aufmerksam machen, Herr v. Brentano, daß der zweite Satz des Abänderungsantrags dem Absatz 5 entspricht. Ich verstehe also den Antrag so, daß Sie nur beantragen, den einen Satz einzufügen: „Das uneheliche Kind ist mit seinem natürlichen Vater auch im Rechtssinn verwandt." Nr. 860: Antrag der DP und des Zentrums vom 6. Mai 1949 betr. Art. 7 b, Abs. 2. Er lautete: „(2) Die Eltern haben das erste Recht, die Art der Schulerziehung zu bestimmen, die ihren Kindern zu gewähren ist. Insbesondere bestimmen die Erziehungsberechtigten über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht. Wir beantragen, über diesen Antrag namentlich abzustimmen." Drucks. Nr. 836: Antrag der SPD vom 5. Mai 1949 betr. Art. 7 a, Abs. 5, Art. 138 c-2 war hier nicht einschlägig. Adenauer stellte im nachhinein klar, daß der Antrag keine Nummer trug. 57. Sitzung des HptA vom 5. Mai 1949; Verhandlungen S. 759.

44) Drucks.

45) 4ß) 450

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Zinn (SPD): Nein, wir beantragen, den ersten Satz unseres Antrags, außerdem den zweiten Satz anzunehmen. Der zweite Satz ist zwar inhaltlich dem seitherigen Absatz 5 gleich; aber in der Fassung muß er anders lauten. Präs. Dr. Adenauer: Herr Zinn, die andere Fassung wird nur nötig, wenn dieser Satz eingeschoben wird. Also sind wir uns darüber einig, daß, wenn der erste Satz keine Mehrheit findet, über den zweiten Satz hier nicht mehr abgestimmt zu

werden braucht,

(Zinn: Jawohl!) weil er inhaltlich mit dem Satz des Hauptausschusses übereinstimmt. Wir brauchen also nur über den Antrag abzustimmen, in den Artikel 6 Absatz 5 den Satz aufzunehmen: Das uneheliche Kind ist mit seinem natürlichen Vater auch im Rechtssinn verwandt. Ich bitte diejenigen, die für diesen Abänderungsantrag sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Der

Antrag

-

ist

-

abgelehnt.

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Artikel 6 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die für diesen Artikel sind, eine Hand Das ist die Mehrheit; angenommen. zu erheben. Wir kommen numehr zu Artikel 7. Dazu liegen mehrere Abänderungsanträge -

vor.

Mangoldt: Ich bitte ums Wort.) Mangoldt! Dr. v. Mangoldt (CDU): Meine Damen und Herren! Ich habe als Berichterstatter folgende erläuternde Erklärung zu dem Absatz 3 dieses Artikels 7 abzugeben: Mit Rücksicht auf die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder in der Schulgesetzgebung ist es Sache der Länder, die Erteilung des Religionsunterrichts zu regeln. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen dann zur Abstimmung über die verschiedenen Abänderungsanträge. Es liegt nach der Reihenfolge der Numerierung zu(Dr.

v.

Herr

v.

-

nächst die Drucksache Nr. 7 5 847) vor, das ist ein Antrag Dr. Seebohm, Brockmann; dann die Drucksache Nr. 76 848), ein Antrag Dr. Seebohm; weiter die Drucksache Nr. 855; ferner ein Antrag Dr. Pfeiffer; endlich die Drucksache Nr. 86049), ein Antrag Dr. Seebohm, Brockmann. (Dr. Seebohm: Der ist mit Nr. 758 identisch.) Dann können wir Nr. 758 weglegen. (Dr. Seebohm: Nr. 860 weglegen!) Also legen wir Nr. 860 weg.

-

-

758: Antrag der DP und des Zentrums vom 13. April/3. Mai 1949 betr. 2. Er war identisch mit der Drucks. Nr. 860. Siehe Anm. 43. Drucks. Nr. 768: Antrag der DP Nr. 6 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 7 b, Abs. 3. Er lautete: „Satz 2 des Absatzes 3 des Artikels 7 b wird in der Fassung der 3. Lesung des Hauptausschusses wieder hergestellt." Diese Fassung wurde im nachhinein von See-

47) Drucks. Nr. Art. 7

48)

b, Abs.

bohm verlesen.

49) Drucks. Nr. zum

860: Antrag der DP und des Zentrums Wortlaut siehe Anm. 44.

vom

6. Mai 1949 betr. Art. 7

b, Abs. 2; 451

Nr. 9

Neunte

In dem

Antrag

Sitzung

des Plenums 6. Mai 1949

Nr. 758 ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag auf Abstimmung muß von mindestens 10 Mitgliedern des Hauses unterstützt sein. Diese Unterstützung liegt bis jetzt nicht vor. Wir brauchen daher keine namentliche Abstimmung vorzunehmen. Ich schlage Ihnen vor, Herr Seebohm, daß wir zunächst den Antrag auf Drucks. Nr. 768 zurückstellen, bis wir über die anderen abgestimmt haben. Sind Sie

namentliche

damit einverstanden? Dr. Seebohm: Ja!

Brockmann: Ich bitte ums Wort.) Brockmann,, Brockmann (Z): Das wird schlecht möglich sein, weil die Anträge auf der neuen Drucksache Nr. 85550), die Anträge Dr. Pfeiffer, drei verschiedene Materien behandeln. Ich vermute, Herr Präsident, daß der Antrag Seebohm, Brockmann mit dem Antrag Pfeiffer, Ziffer 2, identisch ist. Das wären die weitestge-

Herr

-

henden

trag

Anträge. Ich würde daher vorschlagen, über den weitestgehenden Anabzustimmen, wie wir auch gestern im Hauptausschuß vorgegangen

zuerst

sind. Präs. Dr. Adenauer: Sie haben den

Antrag des Herrn Brockmann gehört, der über den Antrag von Dr. Seebohm, Brockmann auf Drucksache Nr. 758 und über den Antrag Dr. Pfeiffer, Dr. Weber Ziffer 2 auf Drucksache Nr. 855 zusammen abzustimmen. Dabei muß ich aber feststellen, daß der Antrag Dr. Pfeiffer, Dr. Weber als Eventualantrag gestellt ist, das heißt für den Fall, daß der Antrag Dr. Pfeiffer, Dr. Weber Ziffer 1, nicht angenommen wird. Ich glaube, es empfiehlt sich deswegen, zunächst über Ziffer 1 des Antrags Dr. Pfeiffer, Dr. Weber und dann über diese beiden Anträge abzustimmen. dahin

geht,

(Zustimmung.)

Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Pfeiffer, Dr. Weber, Ziffer 1 von Drucksache Nr. 855, sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die erheben. Hand eine zu Der ist mit 34 gegen 31 Stimsind, Antrag dagegen -

men

abgelehnt.

Wir kommen

nun



zur

gleichzeitigen Abstimmung

über den

Antrag

Dr. See-

bohm, Brockmann, Drucksache Nr. 758, und über den Antrag Dr. Pfeiffer, Dr. Weber, Drucksache Nr. 855 Ziffer 2. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Nr. 855: Antrag der CDU/CSU vom 6. Mai 1949. Er lautete „1. Dem Art. 7 b Abs. 1 voranzustellen: ,1) Bei der religiös-weltanschaulichen Gestaltung des Schulwesens ist dem Willen der Erziehungsberechtigten Rechnung zu tragen.' 2. Für den Fall, daß der Antrag zu 1. nicht angenommen werden sollte, wird in Übereinstimmung mit der Charta der Menschenrechte der UN der Eventualantrag gestellt, dem Art. 7 b folgenden Abs. 1 voranzustellen: ,1) Die Eltern haben das erste Recht, die Art der Schulerziehung zu bestimmen, die ihren Kindern zu gewähren ist.' 3. Sollte auch der vorstehende Eventualantrag keine Annahme finden, so wird hiermit wird ein Artifolgender zweiter Eventualantrag gestellt: In die kel folgenden Inhaltes aufgenommen: ,Über die grundgesetzliche Anerkennung des Rechts der Eltern, den religiösen oder weltanschaulichen Charakter der Volksschule zu bestimmen, entscheidet eine Volksabstimmung, die von der Bundesregierung innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zu veranstalten ist. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen innerhalb des Bundesgebietes ist maßgebend.'"

') Drucks.

folgenden

Übergangsbestimmungen

452

Neunte

Sitzung des Plenums

6. Mai 1949

Nr. 9

Hand zu erheben. Und diejenigen, die dagegen sind. Das ist dieselbe Mehrheit wie vorhin; die Anträge sind mit 34 gegen 31 Stimmen abgelehnt. Wir kommen dann noch zur Abstimmung über den Antrag Dr. Pfeiffer, Dr. Weber, Drucksache Nr. 855 Ziffer 3. Ich bitte diejenigen, die hierfür sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Es ist dasselbe Stimmenverhältnis wie vorhin, also mit 34 gegen 31 Stimmen abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag Dr. Seebohm, Drucksache Nr. 768. Herr Dr. Seebohm, wollen Sie Ihren Antrag nicht erläutern? Die meisten Mitglieder haben die Fassung des Hauptausschusses nicht mehr, die Sie wiederhergestellt wissen wollen. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Sinn und Tragweite meines Antrags kann kein Zweifel bestehen. Die Fassung des Hauptausschusses in dritter Lesung ist bekannt. Diese Fassung ist in vierter Lesung geändert worden. Ich habe beantragt, sie wiederherzustellen. Es handelt sich um den Religionsunterricht in den öffentlichen Volks-, Mittel- und Berufsschulen und in den höheren Lehranstalten mit Ausnahme der bekenntnisheien Schulen -, der dort ordentliches Lehrfach sein soll. Es heißt dann weiter: Er wird unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes nach den Grundsätzen und Lehren der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer kann gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen. Der letzte Satz dieser Bestimmung ist in Übereinstimmung mit der neuen Fassung schon hüher im Hauptausschuß beschlossen worden51). Mir liegt vor allen Dingen daran, den Satz 2 wiederherzustellen. Er wird unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts nach den Grundsätzen und Lehren der Religionsgemeinschaften erteilt, während die neue Fassung des Hauptausschusses in vierter Lesung lautet: Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschahen erteilt. Ich sehe darin einen wesentlichen Unterschied und beantrage deshalb die Wiederherstellung der Fassung des Hauptausschusses dritter Lesung, in der auch die Arten der Schulen ausdrücklich aufgezählt sind. (Renner: Es ist eine Dummheit, daß Sie die Schulen aufgezählt wissen -

-

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-

-

wollen.)

Präs. Dr. Adenauer: Meine Herren, ich bitte Sie,

Zwiegespräche

zu

unterlas-

sen.

Wir kommen

zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. Ebenso diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Artikel 7 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 7 in dieser Fassung sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Artikel 7 ist gegen 5 Stimmen angenommen. -

-

-

-

)

57.

Sitzung des HptA vom

5. Mai 1949;

Verhandlungen,

S. 760 f.

453

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums

6. Mai 1949

Wir kommen nunmehr

zur Abstimmung über den Artikel 8. Abänderungsanträdazu nicht vor. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 8 sind, eine ge liegen Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Artikel 8 ist gegen 2 Stimmen angenommen. Artikel 9. Ich bitte diejenigen, die für Artikel 9 sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Artikel 9 ist gegen 2 Stimmen angenommen. Artikel 10. Ich bitte diejenigen, die dem Artikel 10 zustimmen, eine Hand zu erheben. Ebenso diejenigen, die dagegen sind. Gegen 2 Stimmen angenommen. Herr Renner, enthalten Sie sich der Stimme? -

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(Renner: Nein, nein!) -

Dann müssen Sie

es

irgendwie

kenntlich machen.

Wir kommen zu Artikel 11. Dazu lag ein Antrag vor, der inzwischen zurückgezogen ist. Ich bitte diejenigen, die dem Artikel 11 in der Fassung des Hauptausschusses zustimmen, eine Hand zu erheben. Ebenso diejenigen, die dageArtikel 11 ist gegen 2 Stimmen angenommen. gen sind. Artikel 12. Ich bitte diejenigen, die diesem Artikel zustimmen, eine Hand zu erheben. Nun diejenigen, die dagegen sind. Artikel 12 ist gegen 2 Stimmen -

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angenommen. Artikel 13. Ich bitte diejenigen, die diesem Artikel zustimmen, eine Hand zu Artikel 13 ist gegen 2 Stimmen erheben. Nun diejenigen, die dagegen sind. angenommen. Zu Artikel 14 liegen zwei Abänderungsanträge vor, und zwar ein Antrag Dr. Heuss auf Drucksache Nr. 8 6 452) und ein Antrag Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 7 7 053). Herr Dr. Höpker Aschoff! Dr. Höpker Aschoff (FDP): Meine Damen und Herren! Der Abänderungsantrag Dr. Heuss bezweckt, festzustellen, daß eine Enteignung nur gegen angemessene Entschädigung stattfinden darf, und zweitens, daß über die Entschädigung der Rechtsweg offengehalten werden muß. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um eine sehr wesentliche Abweichung des Grundgesetzes von den bisherigen Rechtsnormen. Deswegen muß ich zu dieser Frage ganz kurz Stellung -

nehmen. Betrachten wir die geschichtliche Entwicklung, dann haben wir nach der sogenannten vollen Entschädigung, wie sie in dem preußischen Enteignungsgesetz von 187454) verankert war, in der Weimarer Verfassung den Begriff der ange-

52) Drucks.

Nr. 864: Antrag der FDP vom 6. Mai betr. Art. 14. Er lautete: „Es wird beantragt, den Absatz 3 des Artikels 14 abzuändern wie folgt: Artikel 14: (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und gegen angemessene Entschädigung erfolgen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfall der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen." 53) Drucks. Nr. 770: Antrag der DP Nr. 8 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 14, Abs. 4. Der im Verlaufe der Aussprache noch modifizierte Antrag wurde später verlesen. 54) Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874 (GS, S. 221). 454

Neunte

Sitzung

des Plenums 6. Mai 1949

Nr. 9

Entschädigung eingeführt. Dieser Begriff ist in die Judikatur eingeganinsbesondere auch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts verankert und gen worden. Er ist ferner in sämtliche Gesetze aufgenommen worden, die in der Zwischenzeit erlassen worden sind, und hat auch Eingang gefunden in die Verfassungen von Bayern und Baden, die nach 1945 geschaffen wurden. Entscheidend ist für uns, daß der Begriff der angemessenen Entschädigung erhalten bleibt, denn sonst besteht die Gefahr, daß an die Stelle dieses deutlichen und durch die Rechtsprechung geklärten Begriffs eine Fassung tritt, die zwar bei vernünhiger Auslegung die Möglichkeit einer angemessenen Entschädigung theoretisch nicht ausschließt, aber in der Praxis jeder beliebigen andemessenen

ren

Auslegung, gegebenenfalls

sogar einer

Raum gibt. Ich bitte weiter

entschädigungslosen Enteignung

zu berücksichtigen, daß es sich hierbei um eine grundsätzliche Anordnung handelt, die das gesamte Entschädigungsrecht betreffen wird. Man darf diesen Wortlaut nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Entschädigungen bei großen wirtschaftlichen und sozialen Umschichtungen betrachten, sondern diese Änderung greift in das Enteignungsrecht ein, von dem laufend eine ganze Reihe von Eigentümern betroffen werden, die zu bestimmten Zwecken, z.B. für den Bergbau, für Straßen- oder Eisenbahnbauten Grundstücke oder andere Objekte herzugeben haben. Wenn nunmehr der Begriff der angemessenen Entschädigung fällt, so wird damit ein Rechtszustand geschaffen, der unter keinen Umständen hingenommen werden darf und kann. Es handelt sich da um Eingriffe in das Eigentum, durch die das Eigentumsrecht selbst ausgehöhlt wird. Ich erinnere vor allem daran, daß gerade bei bergrechtlichen Grundabtretungen, bei denen die angemessene Entschädigung auch die Entschädigung für wirt-

schaftliche Erschwernisse umfaßt, die jetzige Fassung eine solche Entschädigung nicht mehr zuläßt, weil sie von der Judikatur abgelehnt werden wird. Ich möchte deshalb dringend bitten, meinem Antrag zuzustimmen und den Begriff der angemessenen Entschädigung wiederherzustellen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Nach meiner Auffassung ist der Antrag Dr. Heuss auf Drucksache Nr. 86455) der weitergehende. Dr. Schmid (SPD): Ich darf bemerken, Herr Präsident, daß Satz 3 gestern als letzter Satz von Absatz 3 schon angenommen worden ist56). Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Dehler! Dr. Dehler (FDP): Es braucht lediglich über den Satz 2 Beschluß gefaßt zu werden. Die Sätze 1 und 3 sind schon erledigt. Präs. Dr. Adenauer: Also wird der Antrag Dr. Heuss dahin abgeändert, daß lediglich der zweite Satz bleibt: Es darf nur auf Grund eines Gesetzes eine Enteignung gegen angemessene Entschädigung erfolgen. Ich wiederhole: Nach meiner Auffassung geht dieser Antrag weiter als der Antrag Dr. Seebohm; wir stimmen also über ihn zuerst ab. Herr Dr. Seebohm!

55) Drucks. Nr. 864 siehe Anm. 52. 56) Gemeint war die 57. Sitzung des HptA vom

5. Mai 1949;

Verhandlungen,

S. 747. 455

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums

6. Mai 1949

(DP): Herr Präsident, ich muß ergebenst widersprechen. Mein erheblich weiter, weil er auch den ganzen Komplex der bergrechtAntrag geht lichen Grundabtretung umfaßt. Ich bin aber damit einverstanden, daß so verfahren wird, wie Sie vorgeschlagen haben. Präs. Dr. Adenauer: Es ist so richtig, wie ich gesagt habe. (Dr. Seebohm: Das ist Auffassungssache.) Nein. Sie wollen angemessene Entschädigung nur geben, soweit das Gesetz im Falle dringenden öffentlichen Bedürfnisses bestimmt, daß die Entschädigung bei gerechter Abwägung der Interessen der Beteiligten gewährt wird, während der Antrag Dr. Heuss allgemein eine angemessene Entschädigung verlangt. Also geht der Antrag Dr. Heuss weiter. Ich lasse zuerst über ihn abstimmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen wollen, eine Hand zu erheben. Der Antrag ist mit 30 gegen 26 Stimmen Diejenigen, die dagegen sind. Dr. Seebohm

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abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag Dr. Seebohm. Wer dafür Das ist die Wer ist dagegen? ist, den bitte ich eine Hand zu erheben. der Seebohm ist Dr. Mehrheit; Antrag abgelehnt. Nun kommen wir zur Abstimmung über den Artikel 14 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dem Artikel in dieser Fassung zustimmen, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Artikel 14 ist gegen 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Artikel 15. Dazu liegen zwei Anträge vor, und zwar zunächst ein Antrag Dr. Seebohm auf Streichung, Drucksache Nr. 77157), weiterhin ein Antrag Dr. Heuss auf Drucksache Nr. 8 6 3 58). Herr Dr. Höpker Aschoff! Dr. Höpker Aschoff (FDP): In dem Antrag Dr. Heuss sind durch Schreibfehler Im zwei Worte ausgefallen. Es muß heißen: „Der Bund kann durch Gesetz übrigen ist der Antrag in Ordnung. Der Antrag will feststellen, daß ein Recht zur Sozialisierung nur dem Bunde zusteht und nicht den Ländern. Ferner stellt -

-

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-

Forderung auf, daß auch Entschädigung erfolgen soll. er

die

hier die

Enteignung

nur

gegen angemessene

Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Mein Antrag auf Streichung des Artikels 15 soll ausdrücklich klarstellen, daß mit Artikel 14 allen Notwendigkeiten, in das Eigentum einzugreifen, Genüge geschehen ist. Es ist daher weder notwendig noch vertretbar, den Artikel 15 und damit die Sozialisierung in die Grundrechte aufzunehmen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Meine Damen und Herren! Bei der gestrigen Abstimmung im Hauptausschuß59) wurde schon nach der Abstimmung festgestellt, daß

57) Drucks. Nr.

771:

„Artikel

wird

58)

59) 456

15

Antrag der DP Nr.

gestrichen."

9

vom

17. Febr./ 2. Mai 1949 betr. Art. 15. Er lautete:

Drucks. Nr. 863: Antrag der FDP vom 6. Mai 1949 betr. Art. 15. Er lautete: „Der Bund kann Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft überführen. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 entsprechend." 57. Sitzung des HptA vom 5. Mai 1949; Verhandlungen, S. 747 f.

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Nr. 9

durch ein Versehen bei Artikel 15 im letzten Absatz nur der Absatz 3 Satz 3 genannt wurde, während Satz 3 und Satz 4 genannt werden müssen. Wir haben uns vorbehalten, das heute bei der Abstimmung im Plenum richtigzustellen. Ich stelle daher den Antrag, in der Fassung des Hauptausschusses im letzten Absatz einzufügen: „Artikel 14 Absatz 3 Satz 3 und 4". Präs. Dr. Adenauer: Herr Abgeordneter Zinn! Zinn (SPD): Ich muß dem Antrag des Herrn Dr. von Brentano widersprechen. Die Fassung des Artikels 15 ist durchaus in Ordnung und gestern so beschlossen worden. Satz 4 ist durch einen reinen Zufall gestern hereingekommen. Es handelt sich hier um einen Teil des Antrags Dr. Dehler. Er würde sich im übrigen schon deshalb erübrigen, weil Artikel 19 Absatz 4 ohnehin den Rechtsweg zuläßt. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Wir haben gestern erst über den Artikel 14, dann über den Artikel 15 gesprochen. Bei Artikel 15 wurde Satz 4 nicht aufgenommen. Ich glaube, ich habe dann bei Artikel 15 festgestellt das stenographische Protokoll wird es ausweisen -, daß da ein Irrtum vorliegt60). In Artikel 15 wurde nur auf Satz 3 verwiesen, nicht aber auch auf Satz 4. Das konnte im Augenblick niemand übersehen, und so ist man schließlich dazu gekommen, den Satz 4 nicht aufzunehmen. Ich glaube, es dürhe kein Bedenken bestehen, die Abstimmung im Plenum, die für heute vorbehalten blieb, jetzt nachzuholen. Präs. Dr. Adenauer: Besteht darüber Einverständnis? (Widerspruch bei der SPD.) Besteht eine materielle Verschiedenheit, oder ist die Sache nur formell nicht in Ordnung? (Zurufe: Sie ist materiell nicht in Ordnung.) Dann müssen wir abstimmen. Der weitestgehende Antrag ist der Antrag Dr. Seebohm; er geht auf Streichung. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen wollen er steht auf Drucksache Nr. 771 —, die Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag Dr. Seebohm ist abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag Dr. Heuss auf Drucksache Nr. 863, mit der Korrektur. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Dr. von Brentano. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist angenommen. Wir kommen weiter zur Abstimmung über den Artikel 15 mit der Änderung, die Herr Dr. von Brentano beantragt hat. Ich bitte diejenigen, die dieser Fassung zustimmen, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Mit Stimmenmehrheit angenommen. Artikel 16. Dazu liegt ein Antrag Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 77261) vor. -

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60) Ebenda. 61) Drucks. Nr. 772: Antrag der DP Nr. 10 vom 17. Febr./ 2. Mai 1949 betr. Art. 17 Abs. 1 (bzw. Art. 16, Abs. 2). Er lautete: „Kein Deutscher darf ausgeliefert oder des Landes verwiesen werden. Die Worte ,An das Ausland' werden gestrichen." 457

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Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Auch dieser Antrag ist durchaus nicht unwichtig. Wir beantragen, im Absatz 2 die Worte „an das Ausland" zu streichen, ferner hinzuzufügen, daß ein Deutscher auch nicht des Landes verwiesen werden darf. Die Streichung der Worte „an das Ausland" soll betonen, daß nach Annahme des Grundgesetzes eine Auslieferung grundsätzlich nicht mehr erfolgen darf. (Zuruf von der SPD: Clausula Schacht62)!) Das hat nichts mit den Angelegenheiten Dr. Schachts zu tun. Hier handelt es sich nicht um die Durchführung eines Hahbefehls innerhalb Deutschlands, sondern um eine Auslieferung. Wenn wir ein geschlossenes Bundesgebiet haben und ein Grundgesetz, das für dieses Gebiet gilt, dann ist auch eine Auslieferung innerhalb des Bundesgebiets an ausländische Mächte, die sich hier aufhalten, nicht mehr angebracht und sollte daher in Zukunft nicht mehr in Frage kommen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag Dr. Seebohm zustimmen, eine Hand zu erheben. Die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Artikel 16 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, die Hand zu erheben. Das ist die große Mehrheit; Artikel 16 ist angenommen. Zu Artikel 17 liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die ihm zustimDas ist die Mehrheit; Artikel 17 ist in der men, eine Hand zu erheben. beschlossen. des Fassung Hauptausschusses Artikel 18. Auch hierzu kein Abänderungsantrag. Ich bitte diejenigen, die diesem Artikel zustimmen, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. -

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Angenommen.

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Wir kommen zu Artikel 19. Hierzu liegt ein Antrag Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 77463) vor. Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei meinem Antrag zu Artikel 19 nur um eine redaktionelle Änderung des letzten Absatzes. Mit dieser Änderung soll aber bewirkt werden, daß die Generalklausel im Grundgesetz klarer und eindeutiger als durch die bestehende Fassung verankert wird. Der Satz: „Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben" soll ersetzt werden durch den Satz: „Soweit nicht eine andere gerichtliche Zuständigkeit begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben." Auf diese Weise soll die Generalklausel in -

Umfang eingeführt und die Zuständigkeiten, die Verwaltungsweg ergeben, ausdrücklich ausgeschaltet werden. ihrem vollen

62) Zu Schacht siehe S. 137. 63) Drucks. Nr. 774: Antrag der DP Nr.

sich

aus

dem

12 vom 17. Febr./ 2. Mai 1949 betr. Art. 20 c, Abs. 4. Er lautete: „Satz 2 des Absatz 4 des Artikels 20 erhält folgende Fassung: .Soweit nicht eine andere gerichtliche Zuständigkeit begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg

gegeben.'" 458

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Mai 1949

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Präs. Dr. Adenauer: Ich bitte diejenigen, die dem Antrag Dr. Seebohm zustimDer Nun diejenigen, die dagegen sind. men wollen, eine Hand zu erheben. Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen nunmehr über den Artikel 19 in der Fassung des HauptausschusWer ist ses ab. Wer ihm zustimmt, den bitte ich die Hand zu erheben. 19 ist Artikel angenommen. dagegen? Nun hat die KPD-Fraktion auf Drucksache Nr. 75964) Anträge gestellt. Ich glaube, hier ist der richtige Platz, um diese Anträge zu behandeln, nachdem wir den Abschnitt über die Grundrechte abgeschlossen haben. Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Renner. Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Unser Antrag hat den Zweck, eine -

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über die Frage herbeizuführen, ob die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen oder nicht. Ich will Sie heute nicht mit den einzelnen Fragen, die in den verschiedenen Teilen unseres Antrags enthalten sind, belasten. Die Materie ist bekannt und hier mehrfach besprochen worden. Ich begnüge mich mit der Anführung der unserer Meinung nach wichtigsten sozialen und wirtschahlichen Grundrechte, deren Verankerung im Grundgesetz und deren verpflichtende Durchführung durch Gesetz wir für notwendig erachten. Zu diesen Forderungen gehören: die verfassungsmäßige Verankerung eines einheitlichen Arbeitsrechts, der Arbeitsschutzorgane, der 40-Stundenwoche, des Rechts auf gleichen Lohn für Männer, Frauen und Jugendliche bei gleicher Arbeit, des Jugend- und Mutterschutzes, des Rechts auf bezahlten Urlaub, die Anerkennung des Streikrechts auch hir Beamte des öffentlichen Dienstes, die entschädigungslose Enteignung der Kriegsverbrecher, die gleichberechtigte Mitwirkung der Gewerkschaften in Wirtschah und Industrie, die Überführung der Bodenschätze und der Grundstoffe in Volkseigentum und der Schutz gegen Mißbrauch des Eigentums. Wer die Diskussion um die Sicherung der Unantastbarkeit des heiligen Eigentums verfolgt hat, die hier soeben abgerollt ist, wird mir recht geben, wenn ich die bedauerliche Tatsache feststelle, daß dieses Grundgesetz keines dieser sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte, also die Rechte, an denen die Massen des werktätigen Volkes besonders interessiert sind, enthält. Nun hat Herr Carlo Schmid in seinen Ausführungen zu den Grundrechten erklärt, daß zum Zweck der besonderen Kennzeichnung ihrer Wichtigkeit die Grundrechte an den Anfang der Verfassung gestellt worden seien, im Gegensatz zur Weimarer Verfassung, wo sie am Ende gestanden hätten. Da bin ich nun der Meinung, daß das nicht eine Frage der topographischen Anordnung ist. Es ist ganz gleichgültig, ob die Grundrechte am Anfang, in der Mitte oder am Schluß des Grundgesetzes stehen. Wenn nicht dafür gesorgt wird, daß sie wirksam gemacht werden, was bei den Grundrechten der Weimarer Verfassung

Klärung

Nr. 759: Antrag der KPD vom 2. Mai 1949 betr. soziale und wirtschaftliche Grundrechte. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 5, S. 253 ff. Propagandistisch hatte die KPD diese „sozialen Grundrechte" erstmals auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft für eine gesamtdeutsche Verfassung am 7. Nov. 1948 in Bad Godesberg im Rahmen einer Rede von Reimann herausgestellt. Siehe auch die Druckschrift der KPD unter dem Titel: „Bonn das deutsche Volk am Scheideweg", Frankfurt/Main [1948].

64) Drucks.

-

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bekanntlich nicht der Fall war, dann ist die Frage der örtlichen Rangierung vollkommen nebensächlich, dann bleiben alle Grundrechte, wieviele Sie immer in die Verfassung hineinarbeiten mögen, rein zu nichts verpflichtende Deklarationen. Nun hat Herr Carlo Schmid zwar bereits zugegeben, daß das, was ten Grundrechten in das Grundgesetz aufgenommen wurde, die

an

sogenann-

sogenannten „klassischen Grundrechte" und Grundsätze sind. Deutlicher gesagt heißt das, es sind die Grundsätze, die das fortschrittliche Bürgertum sich im Zuge der letzten 200 Jahre nach und nach erkämph hat, also vor allem die Grundrechte, die das

Bürgertum

lege

Wert

in der

großen

französischen Revolution sich errungen hat. Ich

darauf, auf das Alter dieser Grundrechte hinzuweisen, auf die Tatsa-

che, daß in Ihrem Grundgesetz kein einziger neuer Gedanke enthalten ist. Nachdem der Antrag der CDU auch die Aufhebung der Todesstrafe, die gestern beschlossen worden ist65), wieder annullieren will, erkennen wir, wie berechtigt der Ausspruch des Herrn Konrad Adenauer war, daß dieses Grundgesetz den Sieg des 17. über das 19. Jahrhundert bedeute. So liegen die Dinge in Wirklichkeit. Aber noch viel interessanter ist es, zu klären, warum die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte nicht im Grundgesetz enthalten sind. Es ist immerhin erstaunlich, daß nicht einmal die Gewerkschahsmitglieder in diesem hohen Gremium es sich zur Pflicht gemacht haben, diese Grundrechte im Grundgesetz zu verankern66). Das hat eine Geschichte, und ich bin der Öffentlichkeit die Wiedergabe dieser Geschichte schuldig. Zu Beginn der Verhandlungen dieses hohen Rates hat man zwischen SPD und CDU/CSU ein Gentlemen's Agreement abgeschlossen, wenn dieser Ausdruck in diesem Zusammenhang angebracht ist

(Heiterkeit) ich meine nicht die Vertragschließenden, ich meine die Sache -, und dieses Gentlemen's Agreement lief darauf hinaus, daß die SPD auf die Verankerung der sozialen und wirtschahlichen Grundrechte und die CDU/CSU auf die

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) Der HptA hatte in der 57. Sitzung vom 5. Mai 1949 einen Antrag von Wagner (Drucks. Nr. 832) angenommen; Verhandlungen, S. 758. Zum Antrag Chapeaurouge auf Strei-

chung siehe unten.

') Über das entscheidende Gespräch zwischen Fraktionsvorstand der SPD und Vertretern

der bizonalen Gewerkschaften hierüber am 28. Sept. 1948 berichtete Walter Menzel an den Parteivorstand wie folgt: „Nach eingehender Aussprache haben die Genossen der Gewerkschaften eingesehen, daß und warum wir keinerlei sog. unechten Grundrechte in das Gesetz aufnehmen können. Ihnen waren bisher die Gedankengänge der Partei und insbesondere der Fraktion nicht bekannt, so vor allem die Probleme Verfassung oder Verwaltungsstatut (Staatsfragment), Versuche der CDU, die Entscheidungen bis zum nächsten Frühjahr herauszuzögern. Überzeugt wurden sie vor allem durch den Hinweis, daß wir uns die bisherige Hilfe der FDP bei allen Fragen des Staatsaufbaus verscherzen würden, wenn wir auf dem Gebiete eines sozialrechtlichen Kataloges auf die Seite der CDU/CSU drängen würden. Die erste gesetzgebende Versammlung wird wahrscheinlich ganz andere Möglichkeiten auf dem Gebiete der sozialen und arbeitsrechtlichen Gesetzgebung ergeben als die jetzige Zusammensetzung des Parlamentarischen Rates." (FESt NL Menzel R 1, Grundgesetz 1).

460

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der weltanschaulichen und kirchenpolitischen Rechte verzichtet67). größeren, ich darf nicht sagen Gerissenheit, ich will sagen dank ihrer größeren taktischen Kunst ist es den Herren von der CDU gelungen, durch die Maschen dieses Abkommens hindurch ihre Grundforderungen in kirchenpolitischen und allgemein weltanschaulichen Fragen doch ins Gesetz hineinzubringen. Die Herren Sozialdemokraten haben zwar gelegentlich, als sie diese Entwicklung sahen, aufgemuckt und gedroht: Wenn ihr euch das nicht abgewöhnt, nehmen wir die sozialen und wirtschahlichen Grundrechte wieder auf. Das hat man sogar noch erwogen auf der berühmten Sitzung des sozialdemokratischen Parteivorstandes in Godesberg auf der Godesburg68). Aber es blieb dabei: das, was der CDU/CSU interessant erschien, ist in das Gesetz aufgenommen, und was den werktägigen Massen nottut, ist durch das Versagen der SPD nicht in das Gesetz hineingekommen. Nun sagt Kollege Schmid, der Staat, den wir bauen, soll ein sozialer Staat sein. Der Staat, den Sie gebaut haben das beweist eindeutig das Fehlen der sozialen und wirtschahlichen Grundrechte wird ein Staat der Reaktion werden. Präs. Dr Adenauer: Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge der KPD-Fraktion auf Drucksache Nr. 7596!)). Ich bitte diejenigen, die für diese Anträge sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Damit sind die Anträge abgelehnt.

Verankerung Dank ihrer

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[3.5 II. BUND UND LÄNDER] Wir haben damit Abschnitt I erledigt und können übergehen zum Abschnitt II. Bund und Länder. Wir stimmen zunächst ab über die Überschrih: „II. Bund und Länder". Herr Abgeordneter Dr. Dehler! Dr. Dehler (FDP): Ich schlage vor, zu formulieren: „Der Bund und die Länder". Präs. Dr. Adenauer: Sie haben den Abänderungsantrag gehört. Es ist beantragt worden, nicht zu sagen: „Bund und Länder", sondern: „Der Bund und die Länder". Wir stimmen zunächst über diesen Abänderungsantrag ab. Ich bitte diejenigen, die für ihn sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit geworden. Diejenigen, die dagegen sind. Das ist die Minderheit; angenom-

-

men.



Wir kommen dann zu Artikel 20. Bei Artikel 20 ist in Absatz 2 eine Korrektur vorzunehmen. Diese Korrektur ist verzeichnet auf der Anlage zu der Drucksache Nr. 850, Drucksache Nr. 85470). Es werden in Absatz 2 die Worte „vollziehende Gewalt" und „Rechtsprechung" umgestellt, so daß es jetzt lautet: „durch

67) Siehe hierzu Der Pari. Rat Bd. 5, S. XXXIV f. 68) Dabei dürfte die Sitzung des Parteivorstandes vom 11. April 1949 gemeint sein, auf der beschlossen wurde, für den 20. April 1949 eine Konferenz in Hannover einzuberufen. Ferner wurde dort eine Stellungnahme zum Besatzungsstatut abgegeben (PA 5/Nr. 10). 69) Drucks. Nr. 759 siehe Anm. 64. 70) Drucks. Nr. 854: Ergänzung der Drucks. Nr. 850 vom 6. Mai 1949 aufgrund des Beschlusses des HptA vom 6. Mai 1949. 461

Nr. 9

Neunte

besondere

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt

und der Recht-

sprechung".

Zu diesem Artikel

liegt

ein

Antrag

Dr. Seebohm auf Drucksache Nr.

77571)

vor.

Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben beantragt, den ersten Satz des Absatz 2 des Artikel 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" zu ersetzen durch den Satz: „Volk und Länder sind Träger der Bundesgewalt." Durch diesen Satz soll der föderale Aufbau des Bundesstaates

Deutschland eindeutig geklärt und festgelegt werden. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 20. (Dr. Laforet: Es liegt noch ein Antrag Dr. v. Brentano, Dr. Kroll, Dr. Schwalber, Dr. Seibold vor, Drucksache Nr. 76072).) Ich bitte um Entschuldigung, es liegt auf Drucksache Nr. 760 noch ein Antrag Dr. v. Brentano, Dr. Kroll, Dr. Schwalber, Dr. Seibold vor. Es ist beantragt, in Artikel 20 die Absätze 2 und 3 wie folgt zu fassen: (2) Das Volk ist Träger der Staatsgewalt. (3) Das Volk übt die Staatsgewalt durch Wahlen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt aus. Sie sind mit der Umstellung auch hier einverstanden? -



-

(Dr. v. Brentano: Selbstverständlich.) Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Dr. v. Brentano. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Artikel 20 in der etwas veränderten Form, sonst aber in der Fassung, wie er aus dem Hauptausschuß hervorgegangen ist. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Das ist -

-

die Mehrheit; angenommen. Wir kommen zu Artikel 21. Zu Artikel 21 liegt ein Antrag Brockmann auf Drucksache Nr. 85973) vor. Herr Brockmann! Brockmann (Z): Meine Damen und Herren! Erstmalig, kann man wohl sagen, ist in einem deutschen Verfassungswerk die Tatsache zu verzeichnen, daß die politischen Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes als politische Willensbildner und Willensträger hier besonders erwähnt und, ich möchte —

71) Drucks. Nr. 775: Antrag der DP Nr. 13 vom 17. Febr./ 2. Mai betr. Art. 21, Abs. 2, Satz 1. Der Antrag wurde im folgenden von Seebohm verlesen. 72) Drucks. Nr. 760: Antrag Dr. von Brentano und andere vom 4. Mai 1949 betr. Art. 21, Abs. 2 und 3. Der Antrag wurde im folgenden verlesen. 73) Drucks. Nr. 859: Antrag des Zentrums vom 6. Mai 1949 betr. Art. 21 a, Abs. 1, Satz 3. Er lautete: „Artikel 21 a Abs. 1 Satz 3 wird wie folgt geändert: .Ihre innere demokratischen Grundsätzen entsprechen und durch Offenlegung der gegen undemokratische Einflüsse gesichert sein.'"

462

Ordnung muß Finanzquellen

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

fast sagen, begründet sind. Dieses Faktum macht es notwendig, daß man Klarheit darüber schafh, welche Parteien denn nun im Sinne einer echten politischen Willensbildung des Volkes hier in Artikel 21 des Grundgesetzes berührt sind. Das ist in Absatz 2 dieses Artikels wörtlich umschrieben. Aber mir scheint, daß der Absatz 1 einen gewissen Mangel aufweist. Er lautet: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen ent-

sprechen.

unserer Auffassung zuzustimmen, daß der durch wird: „und Finanzquellen gegen undemokratiOffenlegung angefügt sche Einflüsse gesichert sein". Die Vergangenheit unseres deutschen Parteiwesens, insbesondere mit Rücksicht auf die Partei, die uns zwölf Jahre terrorisiert hat, spricht für unseren Antrag. Präs. Dr. Adenauer: Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag Brockmann sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist mit 34 zu 25 Stimmen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Artikel 21 in der Fassung des angenommenen Antrags Brockmann. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 21 in dieser Form sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Artikel ist so angenommen. Artikel 22 betrifft die Flaggenfrage und soll, einer Vereinbarung entsprechend, auf die dritte Lesung verschoben werden74). Zu den folgenden Artikeln 23 bis einschließlich 29 liegen keine Anträge vor. Ich weiß nicht, Herr Dr. Schwalber, ob Sie nicht Erbarmen mit uns haben und vielleicht gestatten, über diese Artikel jetzt insgesamt abzustimmen. (Dr. Seebohm: Widerspruch!) Herr Dr. Seebohm widerspricht. Ich kann es Ihnen also nicht ersparen. Ich bitte diejenigen, die dahir Artikel 23, Fassung des Hauptausschusses. sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Artikel 24, Fassung des Hauptausschusses. Mehrheit; angenommen. Artikel 25, Fassung des Hauptausschusses. Mehrheit; angenommen. Artikel 26, Fassung des Hauptausschusses. Mehrheit; Angenommen. Artikel 27, Fassung des Hauptausschusses. Mehrheit; Angenommen. Artikel 28, Fassung des Hauptausschusses. Mehrheit; Angenommen. Artikel 29, Fassung des Hauptausschusses. Mehrheit; Angenommen. Wir werden uns rächen, Herr Dr. Seebohm. (Heiterkeit. Dr. Seebohm: Vielen Dank!) Artikel 30. Dazu liegt auf Drucksache Nr. 875 ein Antrag auf Streichung vor. (Zuruf: Die Drucksache ist in Nr. 87375) umgeändert.) Herr Dr. Laforet! Dr. Laforet (CSU): Meine Damen und Herren! Der Artikel 30 gibt in der Erörterung der Rechtsverhältnisse zwischen Bund und Ländern die Grundlage des Bundesstaates nach dem Entwurf. Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und

Wir wünschen und wir bitten Sie darum,

-

-

-

-

-

-

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-

-

-

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-

74) Siehe Dok. Nr. 10, S. 587. 75) Drucks. Nr. 873: Antrag der

SPD

vom

6. Mai 1949 betr.

Streichung von Art.

30.

463

Nr. 9

Neunte

Sitzung

des Plenums 6. Mai 1949

der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit das Grundkeine andere gesetz Regelung trifh oder zuläßt. Gewiß ist die Folgerung aus diesem Grundgedanken des Artikel 30 später sowohl für die Gesetzgebung wie für die Verwaltung hervorgehoben, aber der Artikel 30 gibt die grundlegende Gestaltung des Bundesstaates, und aus Gründen der Klarheit ist die Bestimmung wichtig und darf nicht gestrichen werden. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Zinn sind, den Artikel 30 zu streichen, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 30 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Wir kommen zu Artikel 31. Dazu liegt ein Antrag Dr. Pfeiffer, Dr. v. Brentano, Dr. Laforet, Hilbert auf Drucksache 80176) vor. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. die

Erfüllung

-

-



Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Artikel 31 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Zu Artikel 32 liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für die Fassung Das ist die Mehrheit; des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben.

-

-

-

-

angenommen. Zu Artikel 33 liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für die Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; -

angenommen. Zu Artikel 34 liegt ein Antrag Zinn vor, Drucksache Nr. 87177). (Zinn: Wird zurückgezogen!) Dann liegen zu Artikel 34 keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für Artikel 34 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Zu Artikel 35 keine Anträge. Ich bitte diejenigen, die für die Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen. Artikel 36. Hierzu ist auf Drucksache Nr. 87478) der Antrag gestellt, den Artikel 36 zu streichen. Ich bitte diejenigen, die für die Streichung dieses Artikels sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist -

-

-

abgelehnt.



Wir kommen zur Abstimmung über den Artikel 36 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Der Artikel ist angenommen. -



78)

Drucks. Nr. 801: Antrag der CDU/CSU vom 4. Mai 1949 betr. Art. 31. Er lautete: „Der Artikel 31 enthält folgende Fassung: ,Bundesrecht geht vor Landesrecht'". 77) Drucks. Nr. 871: Antrag der SPD vom 6. Mai 1949 betr. Art. 34. Er lautete: „Es wird beantragt, Artikel 34 zu streichen". 7S) Drucks. Nr. 874: Antrag der SPD vom 6. Mai 1949 betr. Streichung von Art. 36.

464

Neunte

Zu Artikel 37 hat auf Drucksache Nr.

Sitzung des Plenums 6. 81479)

Dr. Schwalber

Mai 1949

Nr. 9

folgenden Antrag

gestellt:

In Absatz 1 Zeile 3 sind zwischen die Worte „Bundesgesetz" und „obliegenden Pflichten" die Worte „gegenüber dem Bund" einzufügen. Der Artikel ist jetzt anders gedruckt, so daß es jetzt heißen muß: „In Absatz 1 Zeile 2". Artikel 37 Absatz 1 würde nach diesem Antrag also lauten: Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz gegenüber dem Bund obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag Dr. Schwalber sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist mit 32 zu 31 Stimmen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Artikel 37 in der Form, die er nunmehr durch den Antrag Dr. Schwalber erhalten hat. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 37 in dieser Fassung sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Artikel 37 ist in der abgeänderten Form angenommen. Wir kommen [zu] -

-

-

-

[3.6 III. DER BUNDESTAG]

(Dr. Strauß: Zur Geschäftsordnung!) Herr Dr. Strauß zur Geschäftsordnung! Dr. Strauß (CDU): Wenn bis zu dem nächsten Abschnitt keine Abänderungsanträge vorliegen, bitte ich erneut zu erwägen, ob wir nicht abschnittsweise

abstimmen können. Präs. Dr. Adenauer: Wie wäre es, Herr Dr. Seebohm? (Dr. Seebohm: Ich habe Bedenken.) Dann haben wir zunächst über die Überschrift abzustimmen. Herr Abgeordneter Wagner! Wagner (SPD): Herr Präsident, ich habe hierzu nach 4 Uhr einen schrihlichen Antrag80) beim Büro eingereicht. Der Antrag ist sehr einfach. Er geht dahin, überall an Stelle des Wortes „Bundestag" das Wort „Volkstag" zu setzen. Präs. Dr. Adenauer: Hierzu ist noch ein Antrag Dr. Seebohm gestellt, an Stelle von „Bundestag" zu sagen „Reichstag"81). Nun entsteht die Frage: Welcher Antrag ist der weitergehende? Das ist Auffassungssache. Ich meine, das Volk ist größer als das Reich, und würde daher vorschlagen, zunächst über den Antrag auf Ersetzung des Wortes „Bundestag" durch „Volkstag" abzustimmen. -

Nr. 814: Antrag Dr. Schwalber und andere vom 5. Mai 1949 betr. Art. 118 b. Er wurde verlesen. !) Dieser Antrag der SPD vom 6. Mai 1949 wurde als Drucks. Nr. 880 vervielf. ) Drucks. Nr. 777, Antrag der DP Nr. 15 vom 17. Febr./ 2. Mai 1949 zur Überschrift des Abschnittes IV.

() Drucks.

465

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Ich bitte diejenigen, die dafür sind, daß in der Überschrift und in den folgenden Artikeln das Wort „Bundestag" wieder durch das Wort „Volkstag" zu Ich bitte diejenigen, die 26 Stimmen. ersetzen ist, eine Hand zu erheben. für die Ablehnung dieses Antrages sind, eine Hand zu erheben. Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Dr. Seebohm, statt „Volkstag" die Bezeichnung „Reichstag" zu wählen. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag ist abgelehnt. Nachdem wir nunmehr diese Abänderungsanträge erledigt haben, sind weitere Anträge bis zum Artikel 49 nicht gestellt. Ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt über die Überschrih und dann über die anderen Artikel insgesamt abstimmen. Ich stelle fest, daß kein Widerspruch erfolgt. Ich bitte diejenigen, die für die Überschrih „III. Der Bundestag" sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Gegenprobe! Herr Renner allein. -

-

-

-

-

Wir kommen

kel 49. Ich bitte

-

-

Angenommen. nun zur

diejenigen,

sind, eine Hand

zu

Abstimmung

über die Artikel 38 bis einschließlich Arti-

die für diese Artikel in der Fassung des erheben. Diejenigen, die dagegen sind.

Wir kommen nunmehr

[zu]

Angenommen.

-

-

[3.7

Hauptausschusses

IV. DER

BUNDESRAT]

Es liegt zu dieser ganzen Gruppe ein Antrag vor, und zwar ein Antrag Dr. von Brentano auf Drucksache Nr. 8 2 582). Er ist zu Artikel 53 gestellt, und zwar in Artikel 53 Absatz 2 Satz 2 aufzunehmen: Zur Beratung über wichtige Angelegenheiten ziehen die Bundesminister Mitglieder des Bundesrats zu. Ich schlage Ihnen vor, daß wir über diesen Antrag zuerst entscheiden. Falls er abgelehnt werden sollte, können wir über diese ganze Gruppe beschließen, weil es der einzige Abänderungsantrag ist. Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag Dr. v. Brentano zu Artikel 53 sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über „IV. Der Bundesrat" und Artikel 50

-

-

bis 53. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel einschließlich der Überschrih in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Ich schlage Ihnen dann vor, jetzt die Pause eintreten zu lassen. Wir fahren um 9 Uhr fort. Die Sitzung wird um 20.02 Uhr unterbrochen. Die Sitzung wird um 21.09 Uhr wieder aufgenommen. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Wir fahren bei -

82) Drucks. Nr. 825: Antrag der CDU/CSU Antrag wurde verlesen. 466

vom

5. Mai 1949 betr. Art. 69

(früher 73).

Der

Neunte

[3.8

V. DER

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

BUNDESPRÄSIDENT]

fort. In dieser Gruppe liegt zu Artikel 60 Antrag Drucksache Nr. 7 7 983) vor. Der Antrag, der zu Artikel 57 gestellt war, ist zurückgezogen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir über die Überschrih und die Artikel 54 bis 59 zusammen abstimmen. Es erhebt sich kein Widerspruch. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, daß die Überschrih und diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses angenommen werden, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Das ist angenommen. Dann kommen wir zu Artikel 60. Dazu liegt ein Antrag Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 779 vor. Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Weimarer Verfassung war vorgesehen, daß die Leiter der obersten Bundesbehörden das sind zum Beispiel das Reichspatentamt und ähnliche Behörden -, wenn sie vom Reichspräsidenten ernannt werden sollten, nur mit Zustimmung des Reichsrats ernannt werden konnten. Das soll durch den Antrag an der Stelle des Grundgesetzes, wo die Ernennungsbefugnisse des Bundespräsidenten festgelegt sind, wieder eingefügt werden, damit die Bestimmungen der Weimarer Verfassung auch für den jetzt vorgesehenen Bundesrat Anwendung finden. Es handelt sich also nicht um Reichsbehörden im Sinne der Ministerien, sondern um die Leiter der obersten Bundesbehörden, wie des Reichspatentamtes, des Obersten Bundesgerichtes und ähnlicher Institutionen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen dann ab über Artikel 60 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 61. Es liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für Artikel 61 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Wir kommen [zu] -

-

-

-

-

-

-

-

[3.9 VI. DIE BUNDESREGIERUNG] Zu dieser Gruppe sind Anträge nicht gestellt. Wenn kein Widerspruch laut wird, würden wir zunächst über die Überschrih und dann über die Artikel dieser Gruppe abstimmen. Widerspruch erhebt sich nicht. Ich bitte diejenigen, die für die Überschrih „VI. Die Bundesregierung" sind, die Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. -

-

Nr. 779: Antrag der DP vom 17. Febr./ 2. Mai 1949 betr. Art. 82, Abs. 1. Er lautete: „Art. 82, Abs. 1 erhält folgenden neuen Satz 2: ,Zur Ernennung und Entlassung der Leiter der obersten Bundesbehörden bedarf der Bundespräsident der Zustimmung des Bundesrates.'"

) Drucks.

467

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nun kommen wir zur Abstimmung über Artikel 62 bis 69. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Wir kommen jetzt [zu] -

[3.10

VII. GESETZGEBUNG DES

BUNDES]

[SPD): Ich beantrage Einfügung des bestimmten Artikels in der Überschrih, also: „Die Gesetzgebung des Bundes".

Zinn

Präs, Dr. Adenauer: Wir stimmen über diesen Antrag ab. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Die Überschrih ist so angenommen. Zu Artikel 70, 71 und 72 sind keine Anträge gestellt. Ich bitte diejenigen, die für die Artikel 70, 71 und 72 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Wir kommen dann zu Artikel 73. Dazu ist zunächst zu bemerken, daß bei Ziffer 5 und bei Ziffer 10 Lücken waren. Ziffer 5 ist durch Ziffer 1, Ziffer 10 durch Ziffer 2 der Anlage Nr. 854 auszufüllen. Es ist zu diesem Artikel 73 folgender Abänderungsantrag gestellt, Antrag Dr. Pfeiffer auf Drucksache Nr. 80284), wie es scheint. Haben Sie den Antrag zur -

-

Hand?

(Zurufe: Nein!) das ist noch die alte Ziffer85), er ist Nach diesem Antrag soll in Artikel 35 jetzt Artikel 73 folgender Absatz 2 eingefügt werden: Bundesgesetze nach Ziffer 10 bedürfen der Zustimmung des Bundesrats. Sind Sie sich über den Antrag klar? Dann können wir abstimmen. Ich bitte die für diesen Abänderungsantrag Dr. Pfeiffer sind, eine Hand zu diejenigen, die erheben. Diejenigen, dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Artikel 73, wie er nach Ausfüllung der Ziffern 5 und 10 hier niedergelegt ist. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 73 in dieser Fassung sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Wir kommen zu Artikel 74. Hier liegt ein Antrag Dr. Seibold auf Drucksache Nr. 8 0 686) vor. Ich verlese ihn: Wir beantragen, daß in Artikel 36 Ziffer 17 der Absatz „die Förderung der land- und forstwirtschahlichen Erzeugung" gestrichen wird. Ich bitte diejenigen, die entsprechend dem Antrag Dr. Seibold für die Streichung sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der -

-

-

-

-

-

Antrag

ist

abgelehnt.

-

-

84) Drucks. Nr. 802: Antrag der CDU/CSU vom 4. Mai 1949 betr. Art. 35 (jetzt 73). Der Antrag wurde verlesen. 85) In diesem Entwurf des GG waren die Artikel neu durchgezählt worden. Siehe Drucks. Nr. 850 b (Anm. 13.) 86) Drucks. Nr. 806: Antrag Dr. Seibold, Hilbert vom 4. Mai 1949 betr. Art. 36, Ziffer 17. Der Antrag wurde verlesen. 468

Neunte

Sitzung des Plenums 6. Mai 1949

Nr. 9

Wir stimmen dann ab über den Artikel 74 in der Fassung des HauptausschusDer Artikel ses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. ist angenommen. Wir kommen zu Artikel 75. Hier liegen zwei Abänderungsanträge vor, und zwar ein Antrag Dr. Seebohm, Drucksache Nr. 78 087), und ein Antrag Dr. Pfeiffer, Drucksache Nr. 80 3 88). Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag muß deshalb begründet werden, weil er seinerzeit im Hauptausschuß sehr zu Unrecht kurz übergangen wurde83). Es war damals angeführt worden, daß er wegen des Kompromisses zwischen den beiden großen Parteien nicht mehr gestellt werden dürhe. Ich habe mich nachdrücklich gegen eine solche Behandlung verwahrt. Es handelt sich dabei darum, in die Rahmenbestimmungen der konkurrierenden Gesetzgebung auch das Selbstverwaltungsrecht der Arzte, Zahnärzte, Dentisten, Tierärzte und Apotheker aufzunehmen. Bei der Eigenart des ärztlichen Berufsstandes besteht die Notwendigkeit, diese in geschlossenen Selbstverwaltungsorganisationen zusammenzuschließen, die der Aufsicht des Staates unterstehen, da andernfalls der einzelne Arzt der Staatsaufsicht unterstehen müßte. Es ist nach meinen Erfahrungen, die ich auch als Gesundheitsminister meines Landes zu sammeln Gelegenheit hatte90) durchaus richtig, die Bestimmung über das Selbstverwaltungsrecht der Ärzte, Zahnärzte usw. nicht auf Landesebene zu regeln, sondern dafür eine Rahmengesetzgebung des Bundes vorzusehen. Ich möchte Sie deshalb im Interesse der Ärzteschah bitten die unbedingt nur auf diese Weise dazu kommt, ihre Ärzteordnung wiederherzustellen, die sie in jahrzehntelanger Arbeit gestaltet hat und die nur in der Vergangenheit durch Zwangsbestimmungen verunstaltet worden ist -, der Ärzteschah die Möglichkeit zu geben, im Rahmen eines solchen Bundesgesetzes ihr Selbstverwaltungsrecht auszuüben und sich zu einer einheitlichen Ärzteordnung usw. wieder zusammenzufinden. Es handelt sich hier darum, daß wirklich echte Selbstverwaltungsorganisationen dieses Standes auf gleicher Grundlage in Deutschland wieder geschaffen werden, daß aber diesen Selbstverwaltungsorganisationen nicht mehr als der notwendigste gesetzliche Rahmen gegeben wird. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. (Renner: Herr Brockmann, im Landtag Nordrhein-Westfalen haben wir das abgelehnt, und Sie mit uns!) -

-

-

Nr. 780: Antrag der DP Nr. 18 vom 17. Febr./ 2. Mai 1949 betr. Art. 36 a. Er lautete: „In Artikel 36 a ist folgende neue Ziffer 6 einzufügen: 6. Das Selbstverwaltungsrecht der Ärzte, der Zahnärzte und Dentisten, der Tierärzte und der Apotheker." Drucks. Nr. 803: Antrag der CDU/CSU vom 4. Mai 1949 betr. Art. 36 a. Er wurde von Adenauer im nachhinein verlesen. 57. Sitzung des HptA vom 5. Mai 1949; Verhandlungen S. 755. Dr. Hans-Christoph Seebohm war 1946/47 Minister für Aufbau und Arbeit, danach Minister für Arbeit, Aufbau und Gesundheit in Niedersachsen gewesen.

87) Drucks.

88) 89) 90)

469

Nr. 9

Neunte

Ich bitte

Sitzung des Plenums 6.

diejenigen, abgelehnt.

die

dagegen sind,

Mai 1949

eine Hand

zu

erheben.

Der

Antrag

ist

-

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag der CDU, Drucksache Nr. 80391). Der Antrag lautet: Gesetze nach Ziffer 1 bedürfen der Zustimmung des Bundesrats. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 75 in der Fassung des HauptausschusDer Antrag ist angenommen. ses sind, eine Hand zu erheben. Zu Artikel 76, 77 und 78 sind keine Anträge gestellt. (Reimann: Stellen Sie einen Antrag, Herr Seebohm!) Ist ein Antrag gestellt? (Zuruf: Es wurde ein Antrag Seebohm vermißt!) Dann bitte ich Sie, erregende Worte zu vermeiden. (Dr. Seebohm: Nur Ruhe, sie kommen schon! Renner: Sein Sekretär wird ihn erschießen!) Sie sind doch für Abschaffung der Todesstrafe!

-

-

-

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-

-

(Heiterkeit!)

-

Ich bitte diejenigen, die für Annahme der Artikel 76, 77 und 78 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Wir kommen zu Artikel 79. Hier liegt ein Abänderungsantrag Dr. Seebohm -

vor92). (Heiterkeit.)

Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Ich heue

mich, daß ich wieder etwas zur Belebung unserer kann. beitragen Meine Damen und Herren! Es scheint mir doch dringend notwendig, nachdem in Absatz 3 des Artikel 79 entgegen der früheren Fassung auf Antrag der SPD für bestimmte Sachgebiete des Grundgesetzes eine Änderung für unzulässig erklärt worden ist, dabei die gesamten Grundrechte auch wirklich einzuschließen, also nicht nur Artikel 1, und deshalb die Absätze 2 und 4 des Artikels 19 in die Aufzählung mit aufzunehmen, in denen es heißt, daß erstens in keinem Fall ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf, und zweitens muß die Generalklausel unter allen Umständen erhalten bleiben. Wenn man hier die Artikel 1 und 21 aufzählt, dann muß man logischerweise auch diese, die gesamten Grundrechte umfassenden Bestimmungen mit aufnehmen. Ich bitte daher, dem Antrag zuzustimmen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die hir den Antrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Minderheit; Arbeit

abgelehnt. 91) Drucks. Nr. 803 siehe Anm. 88. 92) Der Antrag lief unter der Drucks.

-

Nr. 781, der mit Drucks. Nr. 875 für die zweite Lesung aufrechterhalten wurde. Er lautete: „In die Aufzählung des Abs. 3 des Artikels 106 werden die Absätze 2 und 4 des Artikels 200 aufgenommen."

470

Neunte

Ich bitte ses

sind, (Dr.

diejenigen,

Sitzung des Plenums

die für den Artikel 79 in der

Fassung

eine Hand zu erheben. Dehler: Es ist ein Schreibversehen

6. Mai 1949

des

Nr. 9

Hauptausschus-

-

Dr. v. Mangoldt: zu berichtigen. Es muß heißen: „1 und 20"!) Es heißt also: „Artikel 1 und 20". Ich bitte diejenigen, die für den Artikel Das ist die 79 in dieser verbesserten Form sind, eine Hand zu erheben. Mehrheit; angenommen. Wir kommen zu Artikel 80. Hier liegt ein Antrag der CDU, Drucksache Nr. 80993), vor, in Artikel 80 Absatz 2 Satz 1 die Worte „vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung" zu streichen. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zu Artikel 80. Ich bitte diejenigen, die dem Artikel in der FasDas ist die sung des Hauptausschusses zustimmen, eine Hand zu erheben. -

-

-

-

-

Mehrheit; angenommen.



zu Artikel 81. Zu Artikel 81 ist kein Antrag gestellt. Ich bitte die für Artikel 81 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine diejenigen, Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. kommt ein Jetzt Antrag Brockmann auf Drucksache Nr. 85794), hinter Artikel 81 einen neuen Artikel einzufügen. Der Antrag ist so lang, daß ich Herrn Brockmann bitte, ihn zu verlesen. Brockmann (Z): Es handelt sich um den Antrag auf Volksbegehren und Volksentscheid, der den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates durch Umdruck bekannt sein dürhe, so daß ich der Bitte des Präsidenten wohl nicht zu entsprechen brauche, ihn zu verlesen. Ich bitte aber den Präsidenten, mir zu gestatten, statt dessen eine Begründung zu diesem Antrag zu geben.

Wir kommen



93) Drucks. Art. 108

Nr. 809:

Antrag

Dr. Pfeiffer und andere

vom

a) Abs. 2, Satz 1. Er wurde verlesen. 94) Drucks. Nr. 857: Antrag des Zentrums vom 5. Mai VIII.

Gesetzgebung des Bundes"

wird

4. Mai 1949 betr. Art. 80

(früher

1949 betr. Art. Ill a/a. Er lautete: 111 a/a neu aufgenommen:

„In

folgender Artikel

,Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfes stellt. Dem Volksbegehren muß ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Er ist von der Bundesregierung unter Darstellung ihrer Stellungnahme dem Volkstag zu unterbreiten. Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Volkstag

unverändert angenommen worden ist. Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen findet ein Volksentscheid nicht statt. Das Begehren eines Volksentscheids wird von einer oder gemeinsam von mehreren Parteien, der Volksentscheid durch den Bundesminister des Innern durchgeführt. Alle Inhaber des aktiven Wahlrechts sind zur Teilnahme berechtigt. Der Gesetzentwurf, der dem Volksentscheid zugrunde liegt, ist angenommen, wenn mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten durch die Abstimmung mit Ja die Zustimmung erklärt hat. Der angenommene Gesetzentwurf ist spätestens einen Monat nach der Abstimmung von Bundespräsident und Bundeskanzler zu unterzeichnen und durch das Bundesgesetzblatt oder den Bundesanzeiger mit Gesetzeskraft zu verkünden. Alles Nähere regelt ein Bundesgesetz." Zum Kontext siehe Jung: Grundgesetz und Volksentscheid, S. 198 ff. 471

Nr. 9

Sitzung

Neunte

des Plenums 6. Mai 1949

In Artikel 20 Absatz 2 heißt es, daß die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Die Mehrheit dieses Hohen Hauses hat dem Abänderungsantrag des Kollegen Dr. von Brentano95) die Zustimmung versagt, in dem lediglich von Wahlen und nur von der Ausübung der Staatsgewalt durch Abstimmung gesprochen wird. Die Zentrumshaktion ist der Überzeugung, daß die Mehrheit, nachdem sie an der Möglichkeit der Volksabstimmungen festgehalten hat, dem Zentrumsantrag ihre Zustimmung geben wird, der die Durchführung von Volksabstimmungen in der Form von Volksbegehren und

Volksentscheid zu realisieren versucht. Wenn der Absatz 2 des Artikels 20 nicht etwas versprechen will, was nicht gehalten wird oder gehalten werden soll, dann muß der Antrag nunmehr in diesem Hohen Hause eine Mehrheit finden. Eine besondere Form des Volksentscheids war allerdings schon in einem Eventualantrag der Fraktion der CDU/CSU zu Artikel 7 gewünscht worden. Demnach hat also nicht nur die Mehrheit, die die Abänderung des Artikels 20 abgelehnt hat, sondern auch die Fraktion der CDU/CSU das Prinzip der Volksentscheidung beziehungsweise der Volksabstimmung bejaht. Die Überlegung, daß mit dem Volksentscheid Mißbrauch getrieben werden könnte, scheidet aus, da der Antrag der Zentrumsfraktion vorsieht, daß ein Zehntel von Wahlberechtigten den Volksentscheid begehren muß. Wer also Artikel 20 Absatz 2 realisieren will und wer vor allen Dingen von Ihnen auf der Rechten das erzielen will, was Sie mit Ihrem Eventualantrag heute zum Ausdruck gebracht haben, der muß für unseren Volksentscheid stimmen. (Renner: Volksentscheid über Elternrecht!) Präs. Dr. Adenauer: Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Brockmann sind, Ich bitte diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag eine Hand zu erheben. ist abgelehnt. Wir kommen

Fassung

des

-

-

zu

Artikel 82. Ich bitte

Hauptausschusses sind,

angenommen. Wir kommen

diejenigen,

eine Hand

die für den Artikel 82 in der erheben. Der Artikel ist so

zu

-

[zu]

[3.11

VIII. DIE

AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE BUNDESVERWALTUNG]

UND DIE

Ich bitte diejenigen, die für die Überschrih in dieser Fassung sind, eine Hand Das ist gebilligt. zu erheben. Zu den Artikeln 83 bis einschließlich 86 sind Anträge nicht gestellt. Ich bitte diejenigen, die für die Artikel 83 bis 86 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Wir kommen dann zu Artikel 87. Ich bitte zunächst Kenntnis davon zu nehmen, daß Absatz 1 dieses Artikels durch Ziffer 3 der Anlage Nr. 854 zu ersetzen ist. Ich nehme an, daß die Sache klar ist. Es sind dann zu dem Artikel 87 —

-

95) Siehe 472

Anm. 72.

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

Fassung folgende Anträge gestellt, zunächst auf Drucksache Nr. 78 2 98) Antrag Dr. Seebohm und auf Drucksache Nr. 79 8 97) ein Antrag Dr. Pfeiffer. Ich weiß nicht, ob Sie die Anträge zur Hand haben. Herr Dr. Seebohm wird seinen Antrag sicher erläutern. in dieser ein

(Dr. Seebohm: Darf ich das Wort haben?)

Bitte sehr! Dr. Seebohm

Präsident, meine Damen und Herren! Es handelt sich auf Antrag Streichung des zweiten Satzes des Absatzes 3. (Reimann: Bekommen Sie Kilometergeld?) Schade, wenn ich es nicht bekommen sollte! Im übrigen gehen meine Schuhsohlen doch auf meine Kosten. In diesem Absatz 3 erhält der Bund unter außerordentlichen Bedingungen die Möglichkeit, bei Bedarf bundeseigene Mittel- und Unterbehörden zu errichten. Ich bitte, diesen Satz, der wirklich in der Verfassung selten unschön wirkt, weil es eine Bestimmung ist, die praktisch bei den unendlich vielen Voraussetzungen, die erst überwunden werden müssen, doch nie zur Durchführung kommen wird, der Klarheit und Übersichtlichkeit halber zu streichen. Es wird sonst später einmal niemand verstehen, was uns eigentlich hat bewegen können, ein solches Monstrum von einem Satz in die Verfassungswirklichkeit zu setzen. (Dr. Schmid: Nachtigall!) Die singen draußen in den Fliedersträuchern, aber die trappsen hier nicht! Präs. Dr. Adenauer: Soweit ich sehe, sind der Antrag Dr. Seebohm und der Antrag Dr. Pfeiffer unter Buchstabe b identisch. (Dr. Laforet: Jawohl!) Wir können also über die beiden zusammen abstimmen. Ich bitte diejenigen, die für die übereinstimmenden Anträge sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Abgelehnt. Wir stimmen dann über den Artikel 87 in der vorliegenden Form ab. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Dr. Laforet (CSU): Es ist noch etwas. Unter Buchstabe a ist beantragt, in Absatz 3 als Satz 2 einzufügen: Das Bundesgesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Präs. Dr. Adenauer: Wir müssen noch über Buchstabe a des Antrags Dr. Pfeiffer abstimmen. Danach wäre in Absatz 3 als Satz 2 beizufügen: Das Bundesgesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Ich bitte diejenigen, die für diesen Abänderungsantrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über Artikel 87 in der vorliegenden Fassung. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. (Dr. Laforet: Mit der Ergänzung!) Ja, mit der Ergänzung Absatz 1. -

hier

(DP):

Herr

um unseren

-

-

-

-

-

-

-

96) Drucks. Nr. 97)

782: Antrag der DP Nr. 20 vom 17. Febr./ 2. Mai 1949 betr. Art. 116, Abs. 3. Er lautete: „In Artikel 116, Abs. 3 wird der letzte Satz gestrichen." Drucks. Nr. 798: Antrag Dr. von Brentano und andere vom 4. Mai 1949 betr. Art. 116. Er war mit dem Antrag der DP (vorige Anm.) identisch.

473

Nr. 9

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Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

(Dr. Laforet: Mit der Ergänzung durch die Drucksache Nr. 85498).) Ich sage ja, in der Fassung. (Dr. Laforet: Ist dazu noch ein mündlicher Antrag möglich?) Wir sind jetzt in der Abstimmung. Ich darf nochmals wiederholen. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 87 in der Fassung des Hauptausschusses Absatz 1 aber in der Form, wie er in der Drucksache Nr. 854 wiedergegeben Hand zu erheben. ist eine Der Artikel ist angenommen. sind, Zu den Artikeln 88 bis 91 liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Dr. Lehr (CDU): Zur Geschäftsordnung! Ich bitte um eine kurze Unterbrechung. Es sind Mißverständnisse in der Abstimmung aufgetreten. (Dr. Schmid: Wir sind einverstanden!) Präs. Dr. Adenauer: Aber bitte, kurz! -

-

-



-

-

(Pause.) Ich möchte Ihnen, da wir ein bißchen aus der Reihe gekommen sind, vorschlagen, daß wir die Abstimmung von Artikel 87 an wiederholen. (Dr. Laforet: Kann dazu noch ein Antrag gestellt werden?) Wir sind in der Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 87 in der Fassung des Hauptausschusses mit der Änderung in Absatz 1, wie sie aus der Anlage hervorgeht, sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Dann stimmen wir ab über die Artikel 88, 89, 90 und 91. Zu diesen Artikeln liegen Anträge nicht vor. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind so angenommen. Wir kommen [zu] -

-

-

[3.12 IX.

DIE

RECHTSPRECHUNG]

Wir stimmen zunächst über die Überschrih ab. Ich bitte diejenigen, die für die Überschrift: „IX. Die Rechtsprechung" sind, eine Hand zu erheben. Die Überschrih ist angenommen. Zu den Artikeln 92 bis einschließlich 94 liegen Anträge nicht vor. Dr. Dehler (FDP): Ich werde zu Artikel 95 einen Antrag stellen, durch den das Oberste Bundesgericht wegfallen soll. Ich will hier nur bemerken: Wenn der -

zu Artikel 95 angenommen würde, würde das Oberste Bundesgericht in Artikel 92 entfallen. Aber ich stelle hier zunächst keinen Antrag. Präs. Dr. Adenauer: Es wird kein Antrag gestellt. Dr. Dehler (FDP): Aber vorbehalten! Falls mein Antrag zu Artikel 95 angenommen würde, würde das Oberste Bundesgericht in Artikel 92 entfallen. (Dr. Menzel: Artikel 92 müßten wir aussetzen.)

Antrag

) Drucks. Nr. 474

Ergänzung der Drucks. HptA vom 6. Mai 1949.

854:

schlusses des

Nr. 850

vom

6. Mai 1949

aufgrund

des Be-

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Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

Präs. Dr. Adenauer: Dann würde ich

vorschlagen, Artikel 92 zurückzustellen. Dehler: (Dr. Einverstanden!) Wir können nicht anders verfahren, so daß wir über die Artikel mit Ausnahme von Artikel 92 abzustimmen hätten. Ich bitte diejenigen, die für die Artikel in Die Artikel der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. sind angenommen. Wir kommen jetzt zu Artikel 95. Dazu liegt auf Drucksache Nr. 866") ein -

Antrag

Dr. Heuss

vor.

(Zurufe: Haben wir nicht! Dr. Dehler: verteilt, er liegt vorn am Podium.) Ist der Antrag jetzt verteilt? (Wird bejaht.)

Der

Antrag

ist anscheinend nicht

-

-

Das Wort hat Herr Dr. Dehler. Dr. Dehler (FDP): Es handelt sich

um einen Antrag, der meines Erachtens für die Struktur unseres Gerichtswesens bedeutsam ist. In dem Entwurf, der Ihnen nach der vierten Lesung des Hauptausschusses vorliegt, ist ein „Oberstes Bundesgericht" als Gericht über den sogenannten „oberen Bundesgerichten" vorgesehen, die dem hüheren Reichsgericht, Reichsfinanzhof, Reichsverwaltungsgericht entsprechen. Ich glaube, daß der Versuch, eine Spitze unseres Gerichtswesens nach dem Vorbild anderer Länder zu schaffen, der Entwicklung unseres Gerichtswesens widerspricht. Die Kopie hemder Vorbilder ist immer eine verdammt gefährliche Sache. Das bestrickt zunächst durch eine Möglichkeit der Uniformierung, der Zusammenfassung. In Wirklichkeit ist es ein Schlag ins Gesicht für den, der geschichtlich und traditionell denkt. Wir haben Gott sei Dank eine andere Entwicklung genommen. Unser Gerichtswesen war vielfältig. Es hat sich nicht in einer Bahn und auf eine Spitze zu entwickelt, sondern hat sich verästelt. Ich glaube, wir haben gar keinen Anlaß, das, was wertvoll war, zu zerstören. Das Ansehen unserer höchsten Gerichte, vor allem das Ansehen des Reichsgerichts gebietet, das, was hier gewachsen war, zu bewahren und nicht zu verderben. Der Vorschlag, der Ihnen vorliegt, trägt diese Gefahr in sich. Sie wollen nutzlos einen Wert, der auch das Dritte Reich im wesentlichen überdauert hat, zerstören. Wir schlagen vor, einen anderen Weg zu gehen. Wir haben Anlaß, dafür zu sorgen, daß unser Recht einheitlich ist, daß die oberen Bundesgerichte ich schlage vor, sie Bundesgerichte zu nennen in der Rechtsentwicklung nicht auseinandergehen. Dieses Ziel kann man dadurch erreichen, daß man nach unserem Vorschlag einen Bundesgerichtshof aus Richtern der Bundesgerichte schafh, die nach dem Vorbild der Vereinigten Senate zusammentreten, wenn verschiedene Bundesgerichte in ihrer Rechtsprechung auseinanderzugehen drohen, wenn also ein Bundesgericht von der Rechtsprechung eines anderen Bundesgerichts abweichen will. -

-

!) Drucks.

Nr. 866:

beantragt, Artikel

Antrag der

FDP

vom

6. Mai 1949 betr. Art. 95. Er lautete:

„Es wird

folgt zu fassen und hinter Artikel 96 einzuordnen: Artikel 95: (1) Zur Wahrung der Einheit des Bundesrechts wird aus den Richtern der Bundesgerichte der Bundesgerichtshof gebildet, dessen Entscheidung einzuholen ist, wenn ein Bundesgericht von der Entscheidung eines anderen Bundesgerichtshofes abweichen will. (2) Das Nähere

95 wie

regelt ein Bundesgesetz." 475

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

in der Drucksache Nr. 866, zur Wahrung der Einheit des den Richtern der Bundesgerichte den Bundesgerichtshof zu Bundesgerichts aus dessen bilden, Entscheidung einzuholen ist, wenn ein Bundesgericht von der anderen Bundesgerichts abweichen will. Das Nähere soll eines Entscheidung einem Bundesgesetz überlassen bleiben. Bei Annahme dieses Artikels ist Artikel 92 dahin zu ändern, daß das Oberste Bundesgericht fällt. In Artikel 96 wäre das Wort „oberen" vor dem Wort „Bundesgerichte" zu streichen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Strauß. Dr. Strauß (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, es bei der gegenwärtigen Fassung der dritten Lesung des Hauptausschusses zu belassen. Wir haben die für die künftige Entwicklung des deutschen Rechts und der deutschen Rechtsprechung allerdings, wie Herr Kollege Dehler ausgeführt hat, sehr bedeutungsvolle Frage im Rechtsausschuß100) eingehend erörtert. Wir haben versucht, eine Lösung zu finden, die für die Zukunh keine Wege verbaut, sondern die eigentliche Auseinandersetzung auf später verschiebt, damit sie in voller Ruhe und unter Anhören aller sachverständigen und beteiligten Kreise durchgeführt werden kann. Wir haben andererseits die Institution des Obersten Bundesgerichts als solche in der Verfassung bereits festhalten wollen, haben aber durch entsprechende Veränderungen während der verschiedenen Lesungen im Hauptausschuß die Möglichkeit gegeben, nachher bei der Einrichtung des Obersten Bundesgerichts verschiedene Lösungsformen zu wählen. Wenn Herr Dr. Dehler auf die deutsche historische Entwicklung auf diesem Gebiet hingewiesen hat, so möchte ich aus dieser Entwicklung allerdings entgegengesetzte Schlüsse ziehen. Ich bin nicht der Ansicht, daß man von ausländischen Erfahrungen, wenn sie gut sind, nicht lernen sollte. Im übrigen ist die deutsche Entwicklung ursprünglich von einheitlichen obersten Gerichten im Mittelalter ausgegangen und ist einer unheilvollen Zersplitterung durch Besonderheiten der Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert ausgeliefert worden. Wir möchten die Möglichkeit offenlassen, daß die verschiedenen, wie ich glaube, nicht zum Heil des deutschen Rechts und der deutschen Rechtseinheit auseinandergelaufenen Sparten der Gerichtsbarkeit nach einer weiteren Entwicklung später einmal wieder in einer obersten Spitze zusammenlaufen. Wir haben aber gerade den Bedenken von Herrn Dr. Dehler und seinen Freunden dadurch Rechnung zu tragen versucht, daß wir keine endgültige Fixierung vorgenommen, sondern die Bildung, das heißt die Zusammensetzung dieses Obersten Bundesgerichts einem künhigen Bundesgesetz vorbehalten haben. Ich bitte Sie daher, gerade um der Zukunh der Entwicklungsmöglichkeiten des deutschen Rechts und der deutschen Rechtsprechung willen, es bei der Fassung der dritten Lesung im Hauptausschuß zu belassen. Präs. Dr. Adenauer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Dr. Heuss zu Artikel 95, Drucksache Nr. 866101).

Dahin zielt der

Antrag

100) Protokolle des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege Ihre Edition im Rahmen dieser Reihe wird vorbereitet. 101) Drucks. Nr. 866 siehe Anm. 99. 476

in: Z

5/79,

80.

Neunte

Sitzung

des Plenums 6. Mai 1949

Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben.

abgelehnt.

zu

Nr. 9

erheben. Der

Ich -

Antrag

ist

-

zur Abstimmung über den Artikel 95 in der Fassung des Ich bitte diejenigen, die für den Artikel in dieser Fassung sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Wir müssen jetzt über den Artikel 92 abstimmen, den wir zurückgestellt haben. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 92 in der Fassung des HauptausschusDas ist die Mehrheit; angenommen. ses sind, eine Hand zu erheben. 96. dann kommen zu Wir Artkel Anträge liegen nicht vor. Ich bitte diejenigen, Hand den Artikel zu erheben. für eine die sind, Absätzen abzustimmen.) Ich nach Aschoff: bitte, (Dr. Höpker Ich bitte diejenigen, die für Artikel 96 Absatz 1 sind, eine Hand zu erheben. Angenommen. Ich bitte diejenigen, die für Absatz 2 sind, eine Hand zu erheben. Das ist die

Wir kommen dann

Hauptausschusses.

-

-

-

-

-

Mehrheit; angenommen.

diejenigen, die für Absatz 3 sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Damit ist der ganze Artikel wohl erledigt. Wir kommen zu Artikel 97. Ich mache darauf aufmerksam, daß dieser Artikel Ich bitte

-

durch die Fassung auf Drucksache Nr. 854 Seite 2 Nr. 1 Sache klar?

zu

ersetzen ist. Ist die

(Zurufe: Ja!)

Dann kommen wir zur Abstimmung über die Fassung des Artikels auf der Drucksache Nr. 8 54102) Seite 2. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand Das ist angenommen. zu erheben. Artikel 98 muß ebenfalls die Fassung wie in der Drucksache Nr. 854 auf Seite 2 unter Nr. 2 erhalten. (Dr. Dehler: Ich bitte, absatzweise abzustimmen.) Dann kommen wir zur absatzweisen AbAber der Tatbestand ist klar. Drucksache über Artikel Nr. 854. Ich bitte zunächst diejeniauf 98 stimmung Hand erheben. 1 für Absatz zu eine die sind, Angenommen. gen, Absatz 2! Angenommen. Absatz 3! Angenommen. Absatz 4! Angenommen. Absatz 5! Angenommen. Wir fahren bei Artikel 99 und 100 fort. Zu diesen beiden Artikeln liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für die Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Bei Artikel 101 ist nach der Drucksache Nr. 854 Seite 2 Streichung beschlossen. Ich bitte diejenigen, die für die Streichung von Artikel 101 sind, eine Hand zu erheben. Damit ist der Artikel gestrichen. Zu Artikel 102 liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für Artikel 102 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

102) Drucks.

Nr. 854 siehe Anm. 98.

477

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Wir kommen zu Artikel 103. Dazu liegt ein Antrag von Dr. de Chapeaurouge, Drucksache Nr. 86 7103), auf Streichung vor. Das Wort hat Herr Dr. de Chapeau-

rouge. Dr. de nes

Chapeaurouge (CDU):

Antrags,

nahme der

Meine Damen und Herren! Zur

Begründung

mei-

dem Grundgesetz zu streichen, dessen Aufgestern beschlossen hat, will ich nur ganz kurze

den Artikel 103

aus

Hauptausschuß Ausführungen machen104). In der Reichsverfassung von 1871 hat sich eine Bestimmung über die strafe nicht befunden. Ebensowenig hat die Verfassung von Weimar die

TodesTodes-

strafe behandelt. Der Entwurf von Herrenchiemsee sagt über die Todesstrafe nichts. Die deutsche Gesetzgebung befindet sich hierbei in Übereinstimmung mit der Gesetzgebung aller übrigen europäischen Staaten, die die Frage der Todesstrafe nicht in ihren Verfassungen geregelt, sondern in die allgemeine Gesetzgebung übernommen haben. Ich glaube, das sollten wir auch in der Bundesrepublik Deutschland tun. Ich halte es für selbstverständlich, daß nach all den schweren Zeiten, die wir durchgemacht haben und in denen schreckliche Todesurteile gefällt worden sind, das Problem der Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland eingehend wird behandelt werden müssen. Bei der Todesstrafe handelt es sich um ein Problem, mit dem jede Generation sich einmal auseinandersetzen muß und wird. Es ist aber nicht Aufgabe des Parlamentarischen Rates, im Grundgesetz irgendwie präjudizierend zur Todesstrafe Stellung zu nehmen. Wir schaffen ein Grundgesetz, das nur die notwendigsten Bestimmungen enthält, um die Bundesrepublik Deutschland vorläufig lebensfähig zu machen. In ein solches Grundgesetz gehört eine Bestimmung über die Todesstrafe nicht hinein. Ich will nicht verhehlen, daß ich persönlich die Todesstrafe im Augenblick für nicht entbehrlich halte. Ich kenne sehr wohl die schwerwiegenden Argumente, die schon alt sind und sich gegen die Todesstrafe anführen lassen. Es würde aber verfehlt sein, wenn wir hier im Parlamentarischen Rat eine Vorwegentscheidung kommender Kämpfe um die Todesstrafe treffen würden. Wir würden damit den Rahmen der Aufgaben, die uns gestellt sind, meines Erachtens in einem wichtigen Punkt überschreiten, und das sollten wir nicht tun. Wenn ich den Antrag auf Streichung des Artikels 103 stelle, so will ich damit in keiner Weise einem Mitglied des Parlamentarischen Rates das Geständnis abzwingen, daß er für die Todesstrafe ist. Diese Entscheidung muß man jedem frei lassen. Ich halte es aber für sachlich verkehrt, wenn wir ohne gründliche Aussprache eine so schwerwiegende Frage lösen wollten. Mit einigen wenigen Worten kann man der Schwierigkeit des Problems nicht gerecht werden. Ich hielte es für verfehlt, wenn wir der Versuchung, dieses Problem heute in einer kurzen Aussprache zu lösen, nachgeben würden.

867: Antrag Dr. de Chapeaurouge und andere vom 6. Mai 1949 betr. Art. 103. Er lautete: „Wir beantragen den Artikel 103 betreffend Abschaffung der Todesstrafe zu streichen." 57. Sitzung des HptA vom 5. Mai 1949; Verhandlungen, S. 755.

) Drucks. Nr.

) 478

Neunte

Sitzung des Plenums 6. Mai

1949

Nr. 9

Daher bitte ich Sie, den Artikel 103 zu streichen, allein schon aus demokratischer Achtung vor dem Bundestag, der nach uns kommt und sich auch mit dem neuen Strafrecht zu befassen haben wird, wobei auch die Frage der Todesstrafe erneut zu behandeln sein wird. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wagner. Wagner (SPD): Meine Damen und Herren! ich beantrage, den Streichungsantrag des Herrn Dr. de Chapeaurouge abzulehnen. Ich bedauere es persönlich außerordentlich, daß die imponierende Mehrheit in der gestrigen Sitzung des Hauptausschusses105), der mit 15 gegen 4 Stimmen beschlossen hat, die Todesstrafe abzuschaffen, in ihrem Eindruck nach außen hin dadurch abgeschwächt wird, daß heute ein Antrag auf Rückgängigmachung dieses Beschlusses von gestern gestellt wird. Der Herr Kollege Dr. de Chapeaurouge hat Ihnen die Gründe für seinen Streichungsantrag vorgetragen. Ob diese überzeugend auf Sie gewirkt haben, muß ich Ihrem eigenen Urteil überlassen. Er hat sich aber bei dieser mündlichen Begründung sehr viel maßvoller ausgedrückt als in einem wie soll ich es nennen? in Zeitungsartikelform geschriebenen Exposé100), das vervielfältigt und an uns hier verteilt worden ist und in dem er gegen die Abschaffung der Todesstrafe Stellung nimmt. Was der Herr Kollege Dr. de Chapeaurouge darin ausführt, kann nicht unwidersprochen bleiben. Seine Darlegungen sind verteilt an alle Mitglieder des Parlamentarischen Rates, sie sind verteilt an die Presse, die sie an die Öffentlichkeit bringt. Ich glaube, er hat mit seinen Ausführungen denen, die Anhänger der Todesstrafe sind, keinen sehr guten Dienst geleistet; denn die Argumente, die er vorbringt, sind so alt, daß man geglaubt hätte, sie im Jahre 1949 nicht noch einmal hören zu müssen. (Dr. Binder: Deswegen können sie trotzdem richtig sein.) Herr Dr. Binder, ich habe mit einigem Erstaunen auch Ihren Namen unter den Unterzeichnern des Antrags auf Streichung des Artikels 103 gelesen. (Dr. Binder: Auf Grund der Erfahrungen, die wir in Württemberg gemacht -

-

-

haben.) Präs. Dr. Adenauer: Verzeihen Sie die Unterbrechung! Wenn Sie sprechen wollen, dann melden Sie sich bitte zum Wort. Aber bitte keine Unterhaltung

während der Rede!

Kollege Dr. de Chapeaurouge hat in seiner Begründung das ich politisch für absolut unverständlich halte. Er sagt, angeführt, unsere junge deutsche Demokratie brauche die Todesstrafe zu ihrem Schutz. Er stellt damit der jungen deutschen Demokratie ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Ich glaube, wenn die junge deutsche Demokratie sich nur mit Hilfe der Todesstrafe halten kann, dann wird sie niemals zur Welt kommen, dann werden wir in Deutschland nie und nimmer eine Demokratie haben. Wir haben mehr Vertrauen zur jungen deutschen Demokratie. Wir glauben nicht, daß wir sie mit Wagner (SPD):

Der Herr

etwas

105) Ebenda, S. 758. 106) Chapeaurouge: Um die Todesstrafe, Sekretariatsumdr. kel von ihm in der Kölnischen Rundschau Todesstrafe".

vom

Nr. S 65. Ähnlich auch ein Arti7. Mai 1949 „Für oder gegen die

479

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums

6. Mai 1949

Hilfe der Todesstrafe aufrechterhalten können. Wir meinen vielmehr, wir können sie nur aufrechterhalten, indem wir das Leben schützen, indem wir nicht den Grundsatz aufstellen, daß die Demokratie das Recht habe, Menschenleben zu vernichten. Herr Dr. de Chapeaurouge argumentiert damit, daß der Deutsche Juristentag im Jahre 1912 in Wien107) sich für die Todesstrafe ausgesprochen habe. Meine Damen und Herren, das war 1912! Inzwischen haben wir zwei Weltkriege erlebt; inzwischen haben Faschismus und Nationalsozialismus Geschichte wirklich mit Blut geschrieben, und inzwischen haben wir auch erlebt, wie wenig Respekt man vor dem Menschenleben gehabt hat. Und inzwischen sollte man doch zu der Erkenntnis gekommen sein, daß das Leben etwas Heiliges ist, so heilig, daß die zum Staat organisierte Gruppe von Menschen sich nicht das Recht zuschreiben kann, anderen Menschen das Leben abzusprechen. Ich wiederhole den Satz, den ich im Hauptausschuß ausgesprochen habe: daß der Staat, der das Leben nicht gegeben hat, auch nicht das Recht hat, das Leben zu nehmen. Wenn wir heute, meine Damen und Herren, zur Frage der Todesstrafe Stellung nehmen, so haben wir hinter uns die Erfahrung jener schrecklich blutigen Hitlertyrannei, in der das Leben systematisch mißachtet wurde, der nichts heilig war, in der man Menschen gemordet hat, zunächst im kleinen, dann im größeren, dann im Riesenmaßstab. Wenn der Staat nicht beginnt, von sich aus mit der Tötung von Menschenleben aufzuhören, wenn er nicht von sich aus beginnt, das Morden einzustellen, dann wird es auch mit dem großen Völkermorden niemals ein Ende nehmen. Denn das ist der Beginn. Sie mögen die Dinge betrachten, wie Sie wollen. Der Herr Kollege Dr. de Chapeaurouge schreibt, das Volk verstehe nicht, daß der Hauptausschuß die Todesstrafe abgelehnt habe. Nun, ich will mit ihm darüber nicht streiten, wer die Stimmung des Volkes besser kennt, jene, die für die Abschaffung, oder jene, die für die Beibehaltung der Todesstrafe sind. Aber ich kann Ihnen sagen, daß der Beschluß des Hauptausschusses ein sehr großes Echo in unserem Volke gefunden hat. Dieses Echo ist uns ein Beweis dafür, daß unser Volk sich für diese Dinge in eminentem Maße interessiert und diesen Fragen heute mit weit größerem Interesse gegenübersteht als gestern, vorgestern, zur Zeit vor Hitler und zur Zeit der blutigen Tyrannei Hitlers. Denn das Volk ist in seiner tiefsten Seele von der Notwendigkeit überzeugt, daß der Staat Respekt habe vor der Heiligkeit des Lebens. Ich fürchte, Sie, Herr Dr. de Chapeaurouge, haben nicht die richtige Fühlung mit der Masse des Volkes, wenn Sie glauben, daß wir auf dem falschen Wege sind. Aber ganz gleich, wie das Volk zur Todesstrafe steht und wie es darüber entscheidet, Sie haben jedenfalls nicht das Recht, Herr Dr. de Chapeaurouge, sich auf eine wirkliche Autorität zu berufen, auf den Geheimrat Professor Dr. Kahl, der später Vorsitzender des Strahechtsreform-Ausschusses des Deutschen

107)

Bereits der vierte Deutsche Juristentag [1863) und der 30. (Danzig 1910) hatten sich mit der Todesstrafe befaßt. Geheimrat Kahl (siehe folgende Anm.) war dort VerteidiTodesstrafe der gewesen. M. Schewardnadse: Die Todesstrafe in Europa. Eine rechtsger

Fragen

vergleichende Darstellung.

480

München 1914.

Neunte

Sitzung

des Plenums 6. Mai 1949

Nr. 9

Wenn Sie den Kahl108) von 1912 zitieren, der damals für die dann müßten Sie auch den Kahl zitieren, der in den Jahren 1928 und 1930 sich mit uns für die Aufhebung der Todesstrafe eingesetzt hat. Sie dürfen nicht einen Teil der Vergangenheit zitieren, der für Sie spricht, sondern Sie müssen auch den Kahl erwähnen, der sich als aufrechter Mann zu einem Bekenntnis gegen die Todesstrafe durchgerungen hat. Man kann sagen, alle philosophischen und vielleicht sogar religiösen Argumente können nicht verfangen. Nun weist Herr Dr. de Chapeaurouge darauf hin, in Köln sei siebenmal die Todesstrafe beantragt worden, und am gleichen Tag habe der Hauptausschuß beschlossen, die Todesstrafe abzuschaffen. Ja, meine Damen und Herren, diese Strahaten sind begangen worden, obwohl Sie die Todesstrafe haben. Sie könnten so argumentieren, wenn wir die Todesstrafe nicht hätten und Sie wollten sie jetzt auf Grund solcher Prozesse einführen. Sie können aber jetzt nicht so argumentieren, wie Sie es getan haben. Wir selbst haben immer schon unter dem Eindruck gestanden, daß trotz der Todesstrafe Strahaten grausigster Art begangen worden sind. Es ist ein große Kurzsichtigkeit, es ist ein oberflächliches Denken, zu glauben, daß durch Grausamkeit der Strafen Verbrechen bekämph oder gar ausgerottet werden könnten. Nein, wer wirklich in die Probleme hineingestiegen ist, weiß: Je grausamer die Strafen, desto grausamer die Verbrechen. Wer wirklich sich mit der Frage der Todesstrafe ernstlich befaßt hat, der weiß, daß sie nicht imstande ist, irgendein Verbrechen zu verhindern, daß sogar der Satz gerechtfertigt ist, daß die Verbrecher, die dazu veranlagt sind, durch die Todesstrafe zu ihrer Tat eher angereizt als von ihr abgeschreckt werden.

Reichstags

Todesstrafe

war.

eingetreten sei,

(Dr. Binder: Oho!)

Herr Dr. Binder, Sie sollten dieses Problem weniger mit Oho-Rufen als mit einem gründlichen Studium etwas näher betrachten. Dann würden Sie wahrscheinlich bei ruhiger Prüfung zu einem ganz ähnlichen Ergebnis wie wir kommen. Es gibt eben Dinge, die man sehr genau geprüft haben muß, um sie -

wirklich beurteilen

zu

können.

Nun noch ein Wort zu einem weiteren Argument des Herrn Dr. de Chapeaurouge. Er sagt, man müsse Zeit zur Lösung und Entscheidung der Frage der Todesstrafe haben; dieses Problem gehöre überhaupt nicht in das Grundgesetz hinein, sondern in das Strahecht. Nun, meine Damen und Herren, ich will erst gar nicht die Frage aufwerfen, was alles nicht in unser Grundgesetz hineinge-

hört und ob das, was drinsteht, wirklich hineingehört, ob nur das hineingehört, drinsteht. Das ist eine Frage, über die so oh gesprochen worden ist. Zweifellos hätte man manches weglassen können, nur eines nicht: Sie müssen, wenn Sie den neuen Staat aufbauen wollen, zu der Frage Stellung nehmen, wie Sie sich zu dem Gebot der Heiligkeit des Lebens stellen. Und wenn schon in Artikel 2 Absatz 2 der Satz steht: „Jeder hat das Recht auf Leben" was ist es mit Ihrem Recht auf Leben, wenn Sie die Todesstrafe beibehalten wollen? Hier gilt es, Farbe zu bekennen. Hier heißt es zu einer Frage Stellung nehmen, die was

-

) Zu Geheimrat Kahl siehe Dok.

Nr. 6, Anm. 49.

481

Nr. 9

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Sitzung des Plenums

6. Mai 1949

nicht, wie Herr Dr. de Chapeaurouge meint, von Generation gestellt wird; nein, diese Frage ist unserer Zeit gestellt.

zu

Generation

neu

Wenn Sie sagen, auch andere Länder haben die Todesstrafe nicht in ihrer Verfassung: nun, was andere Länder haben und nicht haben, ist deren Sache. Aber wir Deutschen haben eine ganz andere Veranlassung als andere Länder, gerade in diesem Punkt einen anderen Weg zu gehen. Bei uns ist der Tod umgegangen, bei uns hat man Todesstrafen verhängt und vollstreckt in einem so schrecklichen Ausmaß, daß kein anderes Volk wie wir so Veranlassung hat, eine klare Entscheidung gegen die Todesstrafe zu fällen. Wenn Herr Dr. de Chapeaurouge ferner sagt, die Entscheidung über die Todesstrafe gehöre in die Strafrechtsbestimmungen hinein, so verkennt er die Bedeu-

tung des ganzen Problems.

Am Schluß seiner Darlegung ist sich Herr Dr. de Chapeaurouge seiner eigenen Argumente gar nicht mehr sicher. Er sagt nämlich, an sich bedeute die Streichung des Artikels 103 nicht eine Stellungnahme gegen die Abschaffung der Todesstrafe im Prinzip. Nein, meine Damen und Herren, Sie haben gar nicht mehr recht den Mut, sich zur Todesstrafe zu bekennen! Hier hat man das berechtigte Gefühl, daß man plötzlich allein steht. Hier will man sich hinter dem Vorwand verschanzen, daß die Entscheidung über die Todesstrafe nicht in

die Verfassung gehöre, daß man erst lange Diskussionen bei der kommenden Strafrechtsreform brauche, um die Entscheidung über die Todesstrafe zu treffen. Nun, die Zeit, daß man Monate und Jahre über eine Frage diskutiert, über die jeder Mensch, der im öffentlichen Leben steht, nachgedacht haben muß, eine Entscheidung gefällt haben muß, ist vorüber. Ein jeder, der politische Verantwortung trägt, der von seinem Volk ins Parlament geschickt wird, muß in der Lage sein, über eine derartige Frage in wenigen Tagen zu entscheiden. Deshalb sage ich: das sind Ausflüchte, leere Ausflüchte. Sie müssen sich zu einem klaren Ja oder Nein bekennen. Die Streichung des Artikels 103 würde bedeuten, daß Sie für die Todesstrafe sind. Man sollte einen Grundsatz der neuen, jungen Demokratie, zu der der Grund jetzt gelegt wird, nämlich die Aufhebung der Todesstrafe, nicht beseitigen. Deshalb glaube ich, die junge deutsche Demokratie ist es sich selbst schuldig, dem eigenen Volke gegenüber mit der Forderung Wegweiser zu sein, daß das Leben etwas unantastbar Heiliges ist. (Lebhaher Beifall, besonders bei der SPD.) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner. Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Trotz der gebotenen Rücksichtnahme auf das hohe Alter des Herrn Dr. de Chapeaurouge, der seine Überzeugung von der Notwendigkeit der Beibehaltung der Todesstrafe aus dem für ihn denkwürdigen Erlebnis auf dem Deutschen Juristentag in Wien 1912109) schöpft, muß man eine Frage stellen, die allerdings nicht ganz zum Thema gehört: Wie ist es möglich, daß auf Kosten des Parlamentarischen Rates, also des Volkes, derartige private Arbeiten und Ergüsse eines Mitglieds dieses Rates in vielen Exemplaren vorgelegt werden? Ich wage die Behauptung: Wenn ein Kommunist sich dieses Recht anmaßen würde, dann würde er damit auf strikte Ablehnung stoßen.

109) Siehe 482

Anm. 107.

Neunte

Sitzung des Plenums 6. Mai 1949

Nr. 9

Nun zur Sache selber. Herr Dr. de Chapeaurouge hat heute aus Gründen, die mein Vorredner, Herr Wagner, richtig gekennzeichnet hat, sich mehr darauf versteih, seinen Antrag mit formellen Argumenten zu begründen. Er hat gemeint, es sei nicht Sache des Parlamentarischen Rates, diese Frage grundsätz-

lich zu klären, man sollte diese Aufgabe dem kommenden Bundestag usw. usw. überlassen. Er hat die Dinge so dargestellt, als sei das Problem in unserem Gremium noch nicht ernstlich durchdiskutiert. Nun, wir haben dieselbe Debatte mit denselben Argumenten schon vor einigen Monaten über uns ergehen lassen110). Dabei hat Herr Wagner sich mit derselben Klarheit und Eindeutigkeit wie heute zu dem Problem der Todesstrafe geäußert und ist damit auf dieselben Ablehnungsgründe gestoßen, die Herr Dr. de Chapeaurouge vorhin vorgetragen hat. Zuvor noch eine Bemerkung, damit ich sie ja nicht vergesse: Herr Dr. de Chapeaurouge schreibt in seinem Artikel, auch andere Länder hätten die Todesstrafe noch nicht beseitigt. Wir können es uns nicht ersparen, zu erklären: Zu den Ländern mit einer wahrhaften Kultur, die die Todesstrafe beseitigt haben, gehört auch die von Ihnen bei jeder Gelegenheit verunglimphe Sowjet-Union. (Gelächter rechts und in der Mitte. Zurufe: Tod durch Verhungern!) Nur die Dummheit kann zu einer solchen Feststellung kommen. Wenn in der Sowjet-Union Menschen im Laufe des Krieges verhungert sind, dann wegen der Verbrechen, die Sie heute so scheinheilig beklagen, wenn Sie von den Folgen des Nazi-Regimes sprechen. Wenn in Rußland gehungert worden ist, so infolge der Vernichtungen, die der Krieg in Rußland hervorgerufen hat. -

-

(Erneute Zurufe.)

dumme Zwischenrufe keine Antwort mehr. Chapeaurouge sagt weiter, die Frage der Todesstrafe sei eine Gewissenshage. Herr Dr. de Chapeaurouge ist Repräsentant einer soi-disant christlichen Partei. Aber ist das für einen Christen, der wirklich Christ sein will, wirklich eine Gewissenshage? Für einen wahren Christen ist die Ablehnung der Todesstrafe meiner Überzeugung nach eine Selbstverständlichkeit. Ein anderes Argument, die Todesstrafe sei notwendig als Abwehrwaffe zum Schutze des Staates gegen seine Gegner und als Ausdruck des Willens des Staates zur Selbstbehauptung, scheint mir auf einer falsch verstandenen Staatsräson zu beruhen. Wenn irgendein Staat, irgendein Regime sich der Todesstrafe gegen seine Gegner bedient, wenn er mit der Todesstrafe geradezu gewütet hat, dann war es der von Ihnen heute so abgelehnte nationalsozialistische Staat. Hat die Todesstrafe diesen Staat in seinem Bestand, seiner Existenz etwa gesichert? Das Gegenteil ist der Fall gewesen. Herr Dr. de Chapeauouge bringt weiter das Argument, bei den gegenwärtigen politischen Verhältnisses sei es für den Staat eine Notwendigkeit, die Todesstrafe als Schutzmaßnahme aufrechtzuerhalten. Wer soll diese Schutzmaßnahme praktizieren, Herr Dr. de Chapeaurouge? Die Richter von heute waren die Richter von gestern, das Idealbild dessen, was Sie uns heute als Richter vorstelIch

gebe

auf

so

Herr Dr. de

-

')

Die

Frage war im HptA Verhandlungen, S. 534.

in der 42.

Sitzung

am

18.

Jan.

1948

andiskutiert worden.

483

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums 6. Mai

1949

len. Die Richter der Weimarer Zeit111) waren wahrhahig keine Verteidiger des Staatswesens. Werden die Richter von heute, die alle aus der Zeit des Nazismus und der Weimarer Republik stammen, sich mit größerem Eifer der Verteidigung des jungen Staates hingeben, als sie es in der Zeit der Weimarer Republik taten? Ich bin der Auffassung, man darf dem Richtertum von heute angesichts seiner Zusammensetzung und seiner nationalsozialistischen Vergangenheit die Verhängung der Todesstrafe überhaupt nicht in die Hand geben. So liegen die Dinge! Sie werden das Recht der Verhängung der Todesstrafe als politische Waffe gegen die fortschrittlich-demokratischen Krähe im Staat anwenden und ausnutzen112). Nun noch ein letztes abschließendes Wort! Gestern war unter der großen Zahl derer, die gegen die Beseitigung der Todesstrafe waren, auch der Herr Dr. Lehr113). Heute sehe ich, wie ich zu meinem Erstaunen gestehen muß, seinen Namen nicht mehr unter den Unterschrihen des Antrags des Herrn Dr. de Chapeaurouge. Vielleicht hat er sich den guten Rat zu eigen gemacht, der ihm gestern erteilt worden ist, daß man bei der Entscheidung über die Todesstrafe vorsichtig sein soll. Mit Recht hat Kollege Wagner darauf hingewiesen, daß nach Artikel 2 jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit haben soll. Als wir diese Bestimmung zum ersten Mal behandelt haben, ist die Mitteilung durch die Presse gegangen, daß mit der Annahme dieser Formulierung die Todesstrafe in Deutschland aufgehoben sei. So hat damals ein Teil der Presse berichtet. Erst nachträglich hat sich herausgestellt, daß Sie, meine Herren von der CDU, eine so weitgehende Folgerung aus dieser Formulierung gar nicht ziehen wollen. Mit welcher Ernsthaftigkeit Sie die Grundrechte, die Sie mit beschlossen haben, auffassen und aufnehmen, welche praktische Bedeutung Sie den von Ihnen formulierten Grundrechten beilegen, geht daraus hervor, daß Sie in Artikel 2 das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als sogenanntes Grundrecht garantieren, jetzt aber gegen die Beseitigung der Todesstrafe stimmen. Ihre Grundrechte sind Worte, nicht Fakten. Das ist die richtige Feststellung. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Schmid. (Dr. Schmid: Ich verzichte!) Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag auf Drucksache Nr. 867114) sind, Artikel 103 zu streichen, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag ist abgelehnt.

jungen

-

-

(Bravo!)

zur Abstimmung über den Artikel 103 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die diesem Artikel zustimmen, die Hand zu erheben. Artikel 103 ist angenommen.

Wir kommen

-

m) Richter in Weimar siehe Dok. Nr. 2, Anm. 36. 112) In der Vorlage handschr. korrigiert aus: „Sie 113) m) 484

werden die Todesstrafe gegen den Staat anwenden und ausnützen." Siehe die 59. Sitzung des HptA vom 5. Mai 1949; Verhandlungen, S. 758. Drucks. Nr. 867 siehe Anm. 103.

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

Zu den Artikeln 104 und 105 sind Abänderungsanträge nicht gestellt. Ich bitte diejenigen, die beiden Artikeln in der Fassung des Hauptausschusses zustimDie Artikel 104 und 105 sind angenommen. men, die Hand zu erheben. Wir kommen [zu] -

[3.13 X. FINANZWESEN] Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Ich

beantrage,

als Überschrift „Das Finanzwesen" anzuneh-

men.

Präs. Dr. Adenauer: Es soll also jetzt heißen: „Das Finanzwesen." Ich bitte diejenigen, die für diese Überschrift des Abschnitts X sind, eine Hand zu erheben. Es ist so beschlossen. Ich rufe auf Artikel 106. Dazu hat Herr Hilbert auf Drucksache Nr. 808115) beantragt, den Absatz 3 wie folgt zu fassen: Bundesgesetze über Steuern, die der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes unterliegen, bedürfen der Zustimmung des Bundesrats. Ich bitte diejenigen, die für diese Änderung des Artikels 106 Absatz 3 sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Artikel 106 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die für diesen Artikel sind, eine Hand zu erheben. Artikel 106 ist in der Fassung des Hauptausschusses angenommen. Zu den Artikeln 107 bis 116 sind Abänderungsanträge nicht gestellt. (Schlör: Zu Artikel 107 liegt auf Drucksache Nr. 797116) der Antrag vor, den Absatz 3 zu streichen.) Ist er verteilt worden? (Zuruf: Er ist von gestern.) Herr Schlör, ist der Antrag wiederholt worden? Schlör (CSU): Jawohl. Der Antrag geht dahin, den Absatz 3 des Artikels 107 zu -

-

-

-

-



streichen. Präs. Dr. Adenauer: Sie haben

gehört: Herr Schlör erklärt, der Antrag sei worden. Ich besitze ihn nicht; aber wir können ihm rechtzeitig abgegeben das wohl glauben. Der Antrag würde dann rechtzeitig gestellt sein, und wir würden über ihn abzustimmen haben. Er geht dahin, in Artikel 107 den Absatz 3 zu streichen. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag auf Streichung ist hier

abgelehnt.

Wir kommen

-

zur

ausschusses. Herr Dr.

Höpker

-

Abstimmung

über den Arikel 107 in der

Fassung

des

Haupt-

Aschoff!

115) Drucks.

Nr. 808: Antrag Hilbert und andere vom 4. Mai 1949 betr. Art. 122 a, Abs. 3. Er wurde verlesen. 11S) Drucks. Nr. 797: Antrag Hilbert und andere vom 4. Mai 1949 betr. Art. 122 b, Abs. 3. Der Absatz sollte gestrichen werden.

485

Nr. 9

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Dr. Höpker Aschoff (FDP): In Artikel 107 Absatz 2 Zeile 1 muß es statt „Verkehrsteuer" „Verkehrsteuern" heißen. Es fehlt ein „n". Präs. Dr. Adenauer: Es soll in Artikel 107 Absatz 2 heißen: „Die Biersteuer, die Verkehrsteuern", also die Mehrzahl. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 107 in dieser Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Herr Dr. Binder! Dr. Binder (CDU): Ich möchte den Antrag stellen, über die Artikel 108 und 109 getrennt abzustimmen. Präs. Dr. Adenauer: Sie wollen über diese Artikel getrennt abgestimmt haben. Also beschließen wir zunächst über Artikel 108. Ich bitte diejenigen, die für die Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel -

ist angenommen. Wer für Artikel 109 in der

-

Fassung des Hauptausschusses ist, den bitte ich eine Hand zu erheben. Auch dieser Artikel ist angenommen. Es war die gleiche Mehrheit. Wir kommen zur Abstimmung über die Artikel 110 bis einschließlich 116. Dazu sind keine Abänderungsanträge gestellt. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Wir kommen [zu] -



[3.14 XI. ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN]

(Dr. Seebohm:

Die

Ziehen Sie diesen

Übergangs-

Antrag (Dr. Seebohm: Ja, ja.)

und Schlußbestimmungen! wieder zurück?

Heiterkeit.) -

die für die Überschrih „XI. Übergangs- und SchlußbestimHand eine zu erheben. mungen" sind, Angenommen. Zu den Artikeln 117 bis 120 sind keine Anträge gestellt worden. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Zu Artikel 121 liegt ein Antrag der CDU vor, Drucksache Nr. 796117). Ist der Antrag in Ihren Händen? Ich bitte

diejenigen,

-

-

(Zurufe: Nein.) Soweit ich sehe, ist der Unterschied

nun der, daß die Zustimmung des Bundeswird. verlangt (Zuruf von der CDU: Nur zum ersten Teil.) Also, zu dem ersten Teil von Ziffer 1: Der Bund trägt die Aufwendungen für Besatzungskosten und die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten nach näherer Bestimmung eines Bundesgesetzes, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

rats

) Drucks.

Nr. 796: Antrag Dr. Lehr und andere Er wurde verlesen.

486

vom

4. Mai 1949

betr. Art. 138

c

5, Abs. 1.

Neunte Das ist doch der

rungsantrag sind,

Antrag

Antrag?

eine Hand -

Sitzung des Plenums 6. Mai 1949

Nr. 9

Dann bitte ich diejenigen, die für diesen Abändezu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der

ist abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über Artikel 121 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Bei den folgenden Artikeln 122 bis 131 einschließlich sind keine Anträge -

-

-

gestellt.

(Dr. von Brentano: Zur Geschähsordnung!) Herr Dr. von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Zu Artikel 124 habe ich als Berichterstatter zu Abschnitt XI folgende Erklärung abzugeben: Der Parlamentarische Rat konnte es nicht, als im Rahmen seiner Zuständigkeit liegend erachten, zu der Frage der völkerrechtlichen und innerstaatlichen Wei-

der vom Deutschen Reich abgeschlossenen internationalen Verträge, auch des Beichskonkordates von 1933118), Stellung zu nehmen. Die Gültigkeit solcher Verträge ist, wie aus Artikel 124 hervorgeht, nach den allgemein gültigen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen. In Artikel 124 wird darüber nicht entschieden. Präs. Dr. Adenauer: Wir können jetzt zur Abstimmung kommen. Es wird eventuell eine gesonderte Abstimmung verlangt werden. Wir stimmen zunächst ab über die Artikel 122 und 123 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dahir sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Wir stimmen ab über Artikel 124 in der Fassung des Hauptausschusses. (Dr. Grève: Ich bitte, über beide Absätze getrennt abstimmen zu lassen.) Es ist beantragt, bei Artikel 124 in der Fassung des Hauptausschusses über die Absätze 1 und 2 getrennt abzustimmen. Wir stimmen zunächst ab über Absatz 1. Ich bitte diejenigen, die für Absatz 1 sind, eine Hand zu erheben. Angenommen. Absatz 2. Ich bitte diejenigen, die für Absatz 2 sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Absatz 2 und damit der Artikel sind angenommen. Wir können dann, falls kein Widerspruch laut wird, über die Artikel 125 bis einschließlich 131 zusammen abstimmen. Zu diesen Artikeln liegen keine Abänderungsanträge vor. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Artikel 132. Der Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 853119) ist zurückgezogen. Es liegt noch ein Antrag von Herrn Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 787120)

tergeltung so

-

-

-

-

-

vor.

18) Zum Reichskonkordat siehe Dok. Nr. 10, Anm. 48. 19) Drucks. Nr. 853: Antrag Dr. Mücke (SPD) betr. Art.

20)

132. Er lautete: „In Artikel 132 letzter Satz ist das Wort .landesrechtlicher' zu streichen. Begründung: Die beantragte Streichung soll außer den landesrechtlichen Regelungen auch solche berücksichtigen, die durch den Wirtschaftsrat getroffen sind.". Drucks. Nr. 787: Antrag der DP Nr. 25 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 143 c-1 (neu 132). Es wurde die Streichung beantragt.

487

Nr. 9

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Bitte, Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei diesem Antrag um unseren Wunsch, den letzten Satz des Artikel 132 gestrichen zu sehen. Dieser Satz bedeutet, daß bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes, nach dem die Rechtsverhältnisse von Personen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen oder pensionsberechtigt waren, neu geregelt werden sollen, vorbehaltlich anderweitiger landesrechtlicher Regelung Rechtsansprüche dieser Personen nicht geltend gemacht werden können. Man hat diesen Satz zweifellos in Erinnerung an die Tatsache aufgenommen, daß hiervon eine Reihe von Menschen betroffen sind, die unter die Entnazifizierungsgesetze fallen. Man hat aber vergessen, daß dieser Satz eine viel größere Anzahl von Menschen trifh, die wahrlich ein solches Schicksal nicht verdient haben, nämlich die vertriebenen Beamten und die heimkehrenden Kriegsgefangenen. Ich halte es für unmöglich, daß man diesen Satz aufrecht erhält nur deswegen, weil vielleicht eine bestimmte Gruppe von Menschen nicht von den bestehenden für sie günstigen Vorschrihen Nutzen ziehen soll, während wir gleichzeitig durch diese Vorschrih einer großen Anzahl von Menschen, die um Deutschland wirklich sehr viel mehr gelitten haben als viele, die hier im Saale sind, noch eine besondere Last aufbürden. Die Not der heimkehrenden Kriegsgefangenen und der vertriebenen Beamten ist so groß, daß ich glaube, das Recht und die Pflicht zu haben, den Antrag auf Streichung dieses Satzes zu stellen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für Ich bitte diejenigen, den Antrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. ist Der Hand zu eine erheben. die dagegen sind, Antrag abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 132 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel 132 in dieser Fassung sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Bei Artikel 133 ist die Sache etwas kompliziert. Zunächst ist der Antrag der CDU, Drucksache Nr. 861121), zurückgezogen. Es bleibt übrig ein Antrag der DP, -

-

-

Nr. 861: Antrag der CDU/CSU betr. Art. 143 c-2. Er lautete: „Zum Aufbau eines allen persönlichen und fachlichen Anforderungen genügenden öffentlichen Dienstes und zur Anpassung seines Personalbestandes an die Änderung der Zuständigkeiten und Ländern und allen Aufgaben der öffentlichen Verwaltungen können im Bund, in denzum 30. Juni 1950 anderen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts bis 1. Richter und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand oder in den Wartestand oder in ein anderes Amt, auch geringeren Ranges und mit geringerem Diensteinkommen versetzt

121) Drucks.

werden;

und Beamte auf Kündigung, Widerruf oder Probe in den Ruhestand, in ein anderes Amt, auch geringeren Ranges und mit einem geringeren Diensteinkommen versetzt werden, falls ihr Dienstverhältnis nicht nach dem für sie geltenden Recht gelöst 2. Richter

wird;

Angestellte und Arbeiter mit einer Kündigungsfrist von längsten sechs Monaten zum Kalendervierteljahres gekündigt werden. In den Fällen, in denen eine längere Kündigungsfrist vereinbart war oder als vereinbart galt, oder in denen eine Kündigung ausgeschlossen war, kann die Abfindung und Versorgung durch Gesetz geregelt werden.". 3.

Schluß eines

488

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Nr. 9

Drucksache Nr. 788122), ein Antrag der SPD, Drucksache Nr. 868123), und ein Antrag der FDP, Drucksache Nr. 865124). Ich bitte genau zuzusehen, worin sich diese Anträge unterscheiden. (Dr. Lehr: Ich bitte um das Wort.) Herr Dr. Lehr! Dr. Lehr (CDU): Ich schlage vor, es zunächst bei der Fassung des Hauptausschusses von gestern zu belassen und diese Anträge noch einmal bis zur dritten Lesung zurückzustellen. Präs. Dr. Adenauer: Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Lehr gehört. Er scheint mir zweckmäßig zu sein, da sonst vielleicht Abstimmungen herauskommen, die nicht gewollt sind. Sind Sie mit dem Vorschlag Dr. Lehr einverstanden?

(Zustimmung.)

Dann müssen wir uns darüber klar sein, daß abweichend von der Absprache im Ältestenrat, wonach in dritter Lesung mit Ausnahme des einen Komplexes, den wir kennen, keine Anträge mehr gestellt werden sollen auch diese Frage noch erörtert werden kann. Damit sind Sie einverstanden. Herr Dr. Lehr, sind Sie damit einverstanden, daß wir so verfahren? -

-

(Dr. Lehr: Ja.) Dann lasse ich

jetzt abstimmen über Artikel 133. Die Abänderungsanträge werden bis zur dritten Lesung zurückgestellt. Ich bitte diejenigen, die für Art. 133 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Artikel 133 ist angenommen. Darf ich die Bitte hinzufügen, daß sich die Herren Antragsteller morgen möglichst bald zusammensetzen, um die Anträge, die jetzt zurückgestellt sind, mit der Fassung des Hauptausschusses zu vergleichen. -

Nr. 788: Antrag der DP Nr. 26 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 143 c-2. Er lautete: „Der Parlamentarische Rat wolle beschließen: a) Artikel 143 c-2, Abs. 1 erhält folgende Fassung: 1) Beamte und Richter, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Grundgesetzes auf Lebenszeit angestellt sind, können bis zum 1. Januar 1950 in den Ruhestand oder in den Wartestand versetzt werden, wenn ihnen der Mangel persönlicher und fachlicher Eignung nachgewiesen werden kann. Über das Vorliegen dieser Voraussetzung entscheidet der zuständige Disziplinargerichtshof. Auf in einem unkündbaren Dienstverhältnis stehenden Angestellte findet diese Vorschrift entsprechende Anwendung. b) Im Artikel 143 c-2, Abs. 2 werden die Worte ,vom zuständigen Bundesminister' ersetzt durch die Worte ,auf Beschluß der Bundesregierung'. c) Artikel 143 c-2, Abs. 4 wird gestrichen. d) In Artikel 143 c-2 erhält Abs. 6 folgende neue Fassung: ,6) Das Nähere bestimmt ein

!) Drucks.

Bundesgesetz'".

) Drucks.

Nr. 868:

Antrag der

SPD

vom

6. Mai 1949 betr. Art. 133. Der

Antrag

war

weitgehend identisch mit der Drucks. Nr. 861 (Anm. 121); als weiteren Abschnitt sah er vor: „2) Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf Angehörige des öffentlichen Dienstes, die von den Vorschriften über die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus nicht betroffen oder anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus sind." ) Drucks. Nr. 865: Antrag der FDP betr. Art. 133; der Antrag war fast gleichlautend mit der Drucks. 861 (vgl. Anm. 121). 489

Nr. 9

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Mai 1949

Zu den Artikeln 134 und 135 sind keine Anträge gestellt. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Zu Artikel 136 liegen zwei Anträge des Herrn Abgeordneten Dr. Seebohm vor, und zwar auf Drucksache Nr. 789125) und Nr. 790126). Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Anträge, für die ich Ihnen die Begründung vorzutragen habe, haben ein und -

denselben Sinn, nämlich (Dr. Grève: keinen Sinn!) Ach Gott, Herr Dr. Grève, solche geistlose Bemerkungen würde ich doch nicht machen! Ich glaubte, wir hätten uns über ein höheres Niveau geeinigt. Sie können es aber auch anders haben, wenn Sie wollen. Diese Anträge haben den Sinn, eine Rechtsverletzung, die durch Artikel 136 ungewollt eintreten würde, zu verhindern. Es handelt sich darum, daß bei der Bildung des Landes Niedersachsen ohne Behagung des Volkes durch eine Maßnahme der Militärregierung die Länder Oldenburg und Braunschweig mit der ehemaligen Provinz Hannover zu einem Land Niedersachsen einschließlich Schaumburg-Lippe zusammengeschlossen worden sind127). Im Gegensatz zu der Eingliederung des Landes Lippe in das Land Nordrhein-Westfalen, die dadurch beschränkt ist, daß nach fünf Jahren eine Volksabstimmung im Lande Lippe über seine Zugehörigkeit zu Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen zu erfolgen hat, ist hier eine Volksabstimmung nicht vorgesehen. Nordrhein-Westfalen, das dementsprechend um das Land Lippe sich mehr bemüht, hat mit dem Land Lippe über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung einen Vertrag abgeschlossen und ein Gesetz angenommen, das den Ansprüchen Lippes durchaus Rechnung trägt. Dagegen sind die Verhältnisse in Niedersachsen noch heute ungeklärt, und es werden insbesondere eine ganze Reihe von wesentlichen Einrichtungen in den Ländern Oldenburg und Braunschweig von der Bestimmung des Artikel 136 betroffen, falls hier nicht einschränkende Bestimmungen eingefügt werden. Es ist deshalb von mir nach Rücksprache mit den zuständigen Stellen, insbesondeund ich darf sagen aller Parteien, denn es sind sowohl re der Bevölkerung Vertreter der SPD als auch anderer Parteien bei mir gewesen und haben mit mir gesprochen -, beantragt worden, in dem ersten Absatz hinter den Worten —

-

-

Nr. 789: Antrag der DP Nr. 27 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 143 f, Abs. 1. Er lautete: „In Artikel 143 f, Abs. 1 sind zwischen die Worte: .angehört hat', und ,dem Lande zu', die Worte einzufügen: ,unter Wahrung seiner ursprünglichen gebietlichen

125) Drucks.

Zweckbestimmung.'" Nr. 790: Antrag der DP Nr.

28 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 143 f., Abs. 2 und 4. Er lautete: „Hinter Abs. 4 ist folgender neuer Absatz 4 a einzufügen: 4 a) Zum Vermögen nicht mehr bestehender Länder im Sinne der Absätze 1 bis 4 gehört nicht das Vermögen rechtlich selbständiger Körperschaften und Stiftungen und anderer Vermögensmassen des öffentlichen Rechts, auch wenn es aus Zuwendungen eines nicht mehr bestehenden Landes stammt. Der Weiterbestand dieser Einrichtung wird gewährleistet." 127) Hubert Mainzer: Die Entstehung des Landes Niedersachsen. In: Manfred Overesch (und andere): Zeitenwende. Umbruch und Aufbruch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Hannover 1986, S. 134-156.

126) Drucks.

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„angehört hat" die Worte einzufügen „unter Wahrung seiner ursprünglichen gebietlichen Zweckbestimmung". Das Vermögen soll auf das neue Land übertragen werden, aber seine ursprüngliche gebietliche Zweckbestimmung soll erhalten

bleiben.

Ferner beantrage ich, hinter Absatz 4 einen neuen Absatz 4 a einzufügen, um die in den Ländern Braunschweig und Oldenburg vorhandenen selbständigen Körperschahen und Stihungen in ihrem Vermögen zu erhalten und ihnen die Zuwendungen zu sichern, auf die sie aus hüheren Zeiten ein Recht haben, damit der Weiterbestand dieser Einrichtungen gewährleistet ist. Es ist die Fassung dieses Absatzes insbesondere ausgearbeitet worden von Herrn Oberstadtdirektor Dr. Lötz128) in Braunschweig im Einvernehmen mit den örtlichen Stel-

len. Ich bitte, beide

Anträge, die für die oldenburgischen und braunschweigischen

Interessen eintreten und die verhindern

sollen, daß durch Vorschriften des

Nachteile für diese ehemaligen Länder entAnnahme dieser Anträge wird wesentlich zur Beruhianzunehmen. Die stehen, und der zum gung guten Zusammenwachsen aller Gebiete im Bevölkerung Lande Niedersachsen beitragen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Grève. Dr. Grève (SPD): Meine Damen und Herren! Damit Sie nicht den Eindruck bekommen, als ob Herr Dr. Seebohm das Land Niedersachsen allein vertritt, fühle ich mich verpflichtet, zu sagen, daß das, was Herr Dr. Seebohm zum Ausdruck gebracht hat, in keiner Weise geeignet ist, hier behandelt zu werden. Wir, die wir nicht von der Deutschen Partei, sondern von der Sozialdemokratischen Partei als Abgeordnete des Landes Niedersachsen in den Parlamentarischen Rat entsandt worden sind, haben soviel Verständnis für Föderalismus, daß ich Sie bitten muß, diese Angelegenheit der Regelung innerhalb des Landes Niedersachsen zu überlassen. Der Parlamentarische Rat ist nicht dazu da, die inneren Angelegenheiten des Landes Niedersachsen zu regeln. Wir haben im Landtag von Niedersachsen Gelegenheit genug, uns auseinanderzusetzen. Auf der Plattform, die Sie, Herr Dr. Seebohm, gewählt haben, ist es nicht möglich, diese inneren Probleme Niedersachsens zu lösen. (Dr. Seebohm: Bundesrecht bricht Landesrecht, Herr Dr. Grève!) Präs. Dr. Adenauer: Ich lasse abstimmen über den Antrag auf Drucksache Nr. 7 89129). Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache Nr. 790180). Ich bitte diejenigen, die dahir sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dageAuch dieser Antrag ist abgelehnt. gen sind.

Grundgesetzes vermögensrechtliche

-

-

-

-

128)

129) 13°)

Dr. Emil Walter Lötz (* 1896), Oberstadtdirektor von Braunschweig. Siehe seine Kurzin: Who's Who in lower Saxony. Ein politisch-biographischer Leitfaden der britischen Besatzungsmacht 1948/1949. Hrsg. von Andreas Röpke, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte Bd. 55, 1983, S. 243-309. Drucks. Nr. 789 siehe Anm. 125. Drucks. Nr. 790 siehe Anm. 126.

biographie

491

Nr. 9

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des Plenums 6. Mai 1949

Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 136. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Zu Artikel 137 liegt auf Drucksache Nr. 872131) ein Antrag Zinn auf Streichung vor.

Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Zinn auf Streichung des Artikel 137 sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag auf Streichung ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 137. Ich bitte diejenigen, die für Artikel 137 in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist angenommen. Zu Artikel 138 und 139 sind keine Anträge gestellt. (Dr. Becker: Ich bitte um das Wort!) Zu welchem Artikel? (Dr. Becker: Zu Artikel 138!) Herr Dr. Becker! Dr. Becker (FDP): Der Artikel 138 sieht vor, daß für die Wahl des ersten Bundestags, der ersten Bundesversammlung und des ersten Bundespräsidenten das diesem Grundgesetz beigefügte Wahlgesetz gilt. Der Artikel ist zweifellos so auszulegen, daß das Wahlgesetz, das als Anlage dem Grundgesetz beigefügt wird, integrierender Bestandteil der Verfassung ist. Ebenso darf als richtig festgestellt werden, daß demgemäß das Grundgesetz ohne Wahlgesetz unvollständig ist, und daß das Grundgesetz, auch wenn wir formell diesen Artikel heute verabschieden, materiell erst in Kraft treten kann, wenn sein Inhalt dadurch vervollständigt ist, daß das Wahlgesetz nach rechtskräftiger Erledigung dem Grundgesetz beigefügt werden kann. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über die Artikel 138 und 139. Ich bitte diejenigen, die für diese beiden Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, die Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Zu Artikel 140 liegt ein Antrag Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 791 vor132). Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fassung dieses Artikels ist wirklich nicht sehr schön; denn es ist doch wohl für jeden Deutschen unerträglich, daß man in einer deutschen Verfassung, die wir uns selbst geben, von der „Befreiung" des deutschen Volkes spricht, wenn diese Befreiung nicht aus eigener Kräh erfolgt ist. Ich bitte deshalb am Inhalt des Artikels soll nichts geändert werden —, an Stelle der bisherigen Fassung folgende Fassung zu setzen: Die zur Beseitigung des Nationalsozialismus und des Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt. -

-

-

-

-

-

) Drucks. Nr. ) Drucks. Nr.

872: Antrag der SPD vom 6. Mai 1949 betr. Art. 137. 791: Antrag Nr. 29 der DP vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 146. Der

Wortlaut wurde verlesen. 492

Neunte

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

Wir vermeiden damit, von einer „Befreiung" zu sprechen, die wir leider aus eigener Kraft nicht vollbracht haben. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen über Artikel 140 in der Fassung des Hauptausschusses ab. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Angenommen. Artikel 141 in der Fassung des Hauptausschusses! Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Zu Artikel 142 liegen zwei Anträge vor, ein Antrag Dr. Seebohm, Drucksache Nr. 792133), und ein Antrag Brockmann, Drucksache Nr. 856134). (Dr. von Brentano: Ich bitte zunächst als Berichterstatter um das Wort.) Als Berichterstatter Herr Dr. von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Als Berichterstatter habe ich zu Artikel 142 folgende Erläuterung zu geben. Unter einer landesrechtlichen Regelung in einem Land im Sinne dieses Artikels ist nicht nur eine einheitliche Regelung zu verstehen, sondern es kann sich auch um eine differenzierte Regelung handeln. Im Wege der Landesregelung kann nach diesem Artikel der Religionsunterricht auch dort, wo er am 1. Januar 1949 nicht ordentliches Lehrfach war, zum ordentlichen Lehrfach erklärt werden. Diese so getroffene Regelung kann im Wege der -

-

-

-

Landesgesetzgebung

wieder geändert werden.

Präs. Dr. Adenauer: Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, diesen Artikel zu streichen, durch den die Bestimmung des Absatz 3 des Artikel 7 über den Religionsunterricht so wesentlich eingeschränkt wird, daß man sagen kann, sie wird praktisch damit aufgehoben. Durch die Erklärung des Herrn Berichterstatters sind die Bedenken, die wir gegen diesen Artikel haben, noch wesentlich gesteigert worden; denn es wird dadurch praktisch der in den Grundrechten gesicherte Religionsunterricht soweit eingeschränkt, daß er in einem großen Teil des Bundesgebietes wirklich nicht mehr in dem Maße durchgeführt werden kann, wie es der Artikel 7 der Grundrechte vorsieht. Es erscheint mir unerträglich, daß man in einer Verfassung, in der an anderer Stelle festgelegt wird, daß Grundrechte nicht eingeschränkt werden dürfen, diese einschränkt. Das ist widersinnig und Grundrechte in einem entspricht nicht dem Sinn der von uns bei den Grundrechten angenommenen Bestimmung. Ich halte es deshalb für notwendig, daß man diesen Artikel

Übergangsartikel

streicht. Auch sachlich

ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten; denn es wird dadurch Auseinandersetzung, die man endgültig ausschließen sollte, erneut in die Länder hineingetragen. Es können sich sehr schwere Auseinandersetzungen aus eine

133) Drucks.

Nr. 792: Antrag der DP Nr. 30 vom 17. Febr./2. Mai 1949 betr. Art. 148/2 (später Er sah die Streichung des Absatzes vor. Drucks. Nr. 856: Antrag des Zentrums vom 6. Mai 1949 betr. Art. 148/2. Er sah die Streichung des Absatzes vor. 148

134)

d).

493

Nr. 9

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Sitzung des Plenums 6. Mai

1949

dieser nun

Bestimmung ergeben. Daß wir das Elternrecht infolge dieser Vorschrift überhaupt nicht mehr in der Verfassung haben im Sinne eines wirklich

demokratischen Menschenrechtes, das möchte ich nur noch unterstreichen. behaupten wollen, daß die Menschenrechte in der Verfassung verankert sind, dann ist es notwendig, diesen Artikel fallen zu lassen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Brockmann! Brockmann (Z): Meine Damen und Herren! Wir haben nur mit größtem Widerstreben dem Artikel 7 des Grundgesetzes heute unsere Zustimmung gegeben, nicht weil wir gegen die in seinem Absatz 3 festgelegte Regelung des Religionsunterrichts sind, sondern wegen der negativen Entscheidung insbesondere bezüglich des Elternrechts, die dieser Artikel enthält. Wir haben aber trotz schwerster Bedenken unsere Zustimmung gegeben, weil der Absatz 3 dieses Artikels 7 versucht, eine Regelung des Religionsunterrichts in den Schulen als ordentliches Lehrfach durchzuführen. Auffällig ist mir ich habe das schon bei anderer Gelegenheit zum Ausdruck gebracht -, daß gegenüber der ursprünglichen Fassung, die die einzelnen Schularten aufzählte und darin eigentlich ihren entscheidenden schulpolitischen Wert für diesen Artikel hatte, jetzt diese allgemeine Fassung aus der Weimarer Verfassung übernommen worden ist, die damals ebenso auf Grund eines Kompromisses zustande gekomWenn wir

-

men

ist.

(Dr. Schmid: Na also!) Ich vermute, daß auch diese Fassung, Herr Kollege Schmid, auf Grund eines Kompromisses zustande gekommen ist. (Renner: Sie waren ja in Frankfurt dabei135)!) Ich bin nicht dabei gewesen. (Renner: Ach so, Ihre Kollegin war dabei!) Nein, das hat damit nichts zu tun. (Renner: Aber wichtig ist der Befehl!) Ich benutze diese Gelegenheit, Herr Renner, hier auch erneut zu erklären, und ich glaube das auch für den Herrn Kollegen Seebohm sagen zu dürfen, daß wir mit keinem einzigen diesbezüglichen Kompromiß irgend etwas zu tun haben oder zu tun gehabt haben. Darüber liegen ganz eindeutige schriftliche und mündliche Erklärungen unsererseits vor. Meine Damen und Herren! Nun der Tatbestand. Warum versucht man, im Artikel 7 die Frage des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach das ist ja das Entscheidende in den Schulen im Grundgesetz zu regeln? Offenbar, weil dieses Grundgesetz, das für die deutschen Länder gelten und das Recht schaffen soll, dem Religionsunterricht eine Rechtsstellung geben soll als ordentliches Lehrfach in allen Schulen aller deutschen Länder, auf die dieses Grundgesetz Bezug nimmt. Dieses Faktum oder dieser gute Wille, wenn ich einmal so -

-

-



-

5) Der Hinweis auf „Frankfurt" bezog sich vermutlich auf die Besprechung der Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen mit einer Delegation des Pari. Rates in Frankfurt/Main

494

am

14.

April

1949, Abdr. Der Pari. Rat Bd. 4, S. 112 ff.

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sagen darf, wird durch die sogenannte Bremer Klausel136) im Artikel 142 vollständig zunichte gemacht. Wir haben in den Ländern, in denen der Religionsunterricht auf Grund landesrechtlicher Regelung worauf auch der Artikel 142 Bezug nimmt, und die Interpretation beziehungsweise Ergänzung der Erklärung, die der Herr Berichterstatter eben abgegeben hat, macht mich noch viel skeptischer als ordentliches Lehrfach geregelt ist, gar nicht notwendig, irgendwelche Verfassungsbestimmungen oder Bestimmungen des Grundgesetzes, also hier Artikel 7 Absatz 3, anzuwenden, sondern die Anwendung dieser Bestimmung in Artikel 7 Absatz 3 hat praktisch Sinn doch nur für die Länder, in denen der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach nicht die landesgesetzliche oder landesrechtliche Regelung erfahren hat, wie beispielsweise in NordrheinWestfalen oder den Nachfolgeländern Preußens, wo auf Grund des preußischen Volksschulunterhaltungsgesetzes vom Jahre 1906 eine ganz klare Regelung besteht. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darum sage ich: Diese Bremer Klausel hebt im Grunde genommen das auf, was man in Artikel 7 Absatz 3 will. Sie haben das Elternrecht abgelehnt. Wir haben für dieses Elternrecht gekämph und werden weiterkämpfen bis zum äußersten, weil es ein naturhah begründetes Recht ist. Es ist abgelehnt worden, und jetzt wird auch dem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in den Schulen eine Stellung gegeben, die er nicht neu zu beziehen braucht in den Ländern, wo er sie bisher gehabt hat, die er aber dort nicht bekommt, wofür eigentlich dieser Artikel 7 Absatz 3 gedacht ist. Darum ist er widersinnig, und darum müssen wir ihn ablehnen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich glaube, wir können über die beiden Anträge, die identisch sind, gleichzeitig abstimmen. Damit sind die beiden Herren einverstanden. (Dr. Seebohm: Ja!) Ich bitte diejenigen, die für diese Abänderungsanträge sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die gegen die Abänderungsanträge sind, eine Hand zu erheben. Die Anträge sind abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Artikel 142 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die für diesen Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenom-

-

-

-



-

men.

')

Die „Bremer Klausel" bezog sieh auf Art. 141 GG in der Schlußfassung und besagte, daß Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG („Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach") keine Anwendung finden sollte in einem Lande, in dem am 1. Jan. 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Dies war in Bremen der Fall und durch Art. 32 der Verfassung von 1947, der besagte, daß die allgemein bildenden öffentlichen Schulen Gemeinschaftsschulen mit bekenntnismäßig nicht gebundenem Unterricht in biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage sein sollten, auch festgelegt worden. Der Bremer Senat hatte in einer Sondersitzung wegen dieses Problems einstimmig beschlossen, im Pari. Rat auf eine entsprechende Beschlußfassung hinzuwirken. Vgl. das Kurzprot. der 43. Sitzung des HptA vom 18. Jan. 1949 (Drucks. Nr. 547), abgedr. als Faksimile bei Hartmut Müller: Der Weg zum Grundgesetz. Bremen 1979, S. 179.

495

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Zu Artikel 143 und 144 liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für diese Artikel in der Fassung des Hauptausschusses sind, eine Hand zu erheben. Die Artikel sind angenommen. Zu Artikel 145 liegt ein Antrag Dr. von Brentano auf Drucksache Nr. 8 00137) -

vor.

Das Wort hat Herr von Brentano. Dr. von Brentano (CDU): Meine Damen und Herren! Wir haben heute abend zu Beginn der Sitzung die Präambel beschlossen, in der wir festgestellt haben, daß das deutsche Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz beschlossen hat. Wir haben weiter im Artikel 20 die Formulierung angenommen, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Das veranlaßt mich, in dem Antrag, der Ihnen auf der Drucksache Nr. 800 vorliegt, zu beantragen, daß über die Annahme dieses Grundgesetzes durch das Volk entschieden wird. Bei der vorgerückten Zeit möchte ich Sie nicht mit einer langen Begründung aufhalten;

aber ich halte es für erforderlich, einiges dazu zu sagen. Indem wir anerkannt haben, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, haben wir ein unverzichtbares, aber auch unabdingbares Becht des Volkes anerkannt, über sein politisches Schicksal selbst zu entscheiden. Ich bin der Meinung, wenn wir für das deutsche Volk, in dessen Auhrag wir zu handeln glauben und zu handeln hoffen, eine Verfassung ausgearbeitet haben, dann haben wir auch die Verpflichtung, das Volk zu behagen, ob es in dieser Verfassung und unter dieser Verfassung leben will. Ich glaube, wenn wir diesen demokratischen Weg nicht gehen würden, dann würden wir gegen ein Grundgesetz der Demokratie verstoßen und unter Umständen die politische Entwicklung mit einer schweren Hypothek belasten, von der wir nicht wissen, ob wir sie jemals abtragen können. Ich kenne die ernsten, ich kenne die guten Gründe, die aus sachlichen Erwägungen für die Formulierung geltend gemacht werden, die Ihnen heute im Entwurf vorliegt. Ich weiß, daß die Zeit drängt. Ich glaube aber, daß eine vielleicht geringe Zeitversäumnis in keinem Verhältnis steht zu dem politischen Versäumnis, das wir begehen würden, wenn wir das Volk nicht fragen würden, ob es in diesem neuen Staat und mit diesem neuen Staat leben will. Denn nicht wir, sondern nur die Gesamtheit des Volkes kann die Verfassung mit dem Vertrauen ausstatten und sie damit zu lebendiger Wirksamkeit bringen, die für eine gesunde Entwicklung unserer Demokratie Voraussetzung ist. Ich halte es deswegen für unerläßlich, diesen Antrag zu stellen, und wiederhole, daß ich es für einen ernsten politischen Fehler halten würde, dessen Folgen bestimmt nicht denen zugute kommen, an die wir denken, wenn wir uns einer solchen Entscheidung des Volkes entziehen würden.

Nr. 800: Antrag Dr. v. Brentano vom 4. Mai 1949 betr. Art. 148 e Abs. 1 (Volksim Grundgesetz). Er lautete: „Ich beantrage, Artikel 148 e Abs. 1 zu streichen und durch folgende Formulierung zu ersetzen: ,1) Die Annahme des Grundgesetzes wird durch Volksabstimmung entschieden. Es gilt als angenommen, wenn die Wahlberechtigten sich mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Annahme aussprechen.'" Zum Kontext des Antrages siehe Jung: Grundgesetz und Volksentscheid, S. 263 ff.

137) Drucks.

abstimmung

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Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Becker. Dr. Becker (FDP): Meine Damen und Herren! Ich möchte mich, für meine Person und wohl auch für meine Freunde, diesem Antrag des Herrn Kollegen von Brentano anschließen. Ich will darauf verzichten, die Gründe, die meiner Ansicht nach durchschlagend sind, zu wiederholen. Gestatten Sie mir nur, auf einen Gesichtspunkt aufmerksam zu machen. Es kann durchaus sein, daß nach der Verfassung des einen oder anderen Landes in dem betreffenden Lande eine Volksabstimmung stattfinden muß. (Dr. Schmid: Wieso?) Ich weiß es nicht genau. Ich möchte annehmen, daß es vielleicht in Bayern der Fall sein könnte. Ich kann mir vorstellen, daß dann eine Volksabstimmung im gesamten werdenden Bund doch diejenigen psychologischen Voraussetzungen schaffen wird, die notwendig sind, um auch in allen Ländern den entsprechenden Schwung für eine solche Abstimmung herbeizuführen. Auch aus diesem Grunde möchte ich diesen Antrag unterstützen. (Renner: Ich bitte ums Wort!) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Renner. Renner (KPD): Ich möchte nur die Feststellung treffen, daß wir vor Tagen, zu dem von Ihnen gewünschten Termin bereits, einen schriftlichen Antrag eingereicht haben138), der sich mit dieser Forderung beschähigt hat. Ich stelle also fest, daß auch wir vor den Sprechern des heutigen Tages bereits den Antrag auf Durchführung eines Volksentscheids gestellt haben, der allerdings eine Klausel enthält, die bisher nicht zum Ausdruck gebracht worden ist. Wir sind der Auffassung, daß das Grundgesetz nur dann als angenommen gelten soll, wenn die Mehrheit aller Abstimmungsberechtigten ihm zugestimmt hat. Diese Klausel scheint uns notwendig zu sein. Außerdem ist sie mit den Bestimmungen der Weimarer Verfassung über den Volksentscheid identisch. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, eine Hand zu erheben. (Renner: Mit der Klausel, Herr Präsident!) Erlauben Sie, einen Augenblick. (Renner: Mein Antrag geht weiter, über ihn muß zuerst abgestimmt wer-



-

den!)

Ihr

Antrag ist,

-

liegt infolgedessen

wie ich

nicht

vom

Büro

höre, nicht mehr

erneuert

worden und

vor.

so kommen Sie nicht daran vorbei. Ich habe ausdrücklich daß ich bitte, den Antrag dem Plenum zur Entscheidung vorzulegen, und habe das so rechtzeitig eingereicht, wie Sie es selber als letzten Termin zum Ausdruck gebracht haben. Ich habe sogar vor dem Eintreten dieses letzten Termins den Antrag eingereicht. Ich habe also ein Recht, auf der Abstimmung zu bestehen.

Renner

(KPD): Nein,

geschrieben,

)

Ein Antrag der KPD zum Volksentscheid ließ sich als Drucks, nicht ermitteln. Er wurde im nachhinein von Renner verlesen.

497

Nr. 9

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6. Mai 1949

Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, ich habe keinen Anlaß, an etwas vorbeizukommen. Sie haben mir einen Brief geschrieben, wonach Sie alle bisher gestellten

Anträge wiederholen139).

(Renner: Das stimmt nicht, Herr Präsident!) Das ist wörtlich ein Satz, er wurde mir vom Büro vorgelegt. Darauf habe ich gesagt: Das genügt, das ist eine Wiederholung. Also wie lautet Ihr An-

-

trag?

(KPD): Unser Antrag lautet: Volksabstimmung unter der Voraussetzung, daß das Gesetz als angenommen nur dann gilt, wenn die Mehrheit aller Abstimmungsberechtigten ihm zugestimmt hat. Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner erklärt, daß er den Antrag rechtzeitig eingereicht hat. Bei der Fülle der Arbeit des Büros(Renner: Das steht bereits in allen Zeitungen!) Das ist noch kein Beweis, Herr Renner; lassen Sie mich doch aussprechen. Bei der Fülle der Arbeit für das Büro ist es immerhin möglich, daß ein solcher Antrag übersehen worden ist. Der Antrag Renner ist der weitestgehende Abänderungsantrag; denn er will nicht nur eine Volksabstimmung, sondern er will darüber hinaus (Zuruf: Qualifizierte Mehrheit! Renner: Nein!) er will darüber hinaus, daß in allen abstimmenden Ländern zusammengerechnet mehr als die Hälhe der Abstimmungsberechtigten sich dafür ausRenner

-

-

-

-

spricht.

(Renner: Richtig!)

Das ist der weitestgehende Abänderungsantrag. Danach würde der Antrag von Brentano zur Abstimmung kommen. Ich bitte also diejenigen, die für den Antrag Renner sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Dr. von Brentano. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. von Brentano sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die gegen den Antrag Dr. von Brentano sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Artikel 145 in der Fassung des Hauptausschusses. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Der Artikel ist angenommen. Wir kommen zu Artikel 146. Dazu liegen keine Anträge vor. Ich bitte diejenigen, die für den Artikel sind, eine Hand zu erheben, Der Artikel ist angenom-



-



-

-

men.

Wir kommen zu Artikel 147. Dazu Drucksache Nr. 8 5 8140) vor.

')

')

liegt

ein

Brockmann auf

Unter dem 2. Mai 1949 hatte Renner in einem Schreiben Adenauer mitgeteilt, daß die KPD im Plenum die Anträge zu den Problemen der sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte wieder aufgreifen werde in der Formulierung des Schreibens vom 12. Okt. 1948 an den Vorsitzenden des Ausschusses für Grundsatzfragen (Z 5/136, Bl. 119). Drucks. Nr. 858: Antrag des Zentrums vom 6. Mai 1949 betr. Art. Ill a/a und 149. Er lautete: „Für den Fall der Ablehnung des vorgeschlagenen Artikels 111 a/a. Der Parlamentarische Rat wolle beschließen: Artikel 149 wird Abs. 2 des Artikels 149. Arti.

498

Abänderungsantrag

.

.

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Nr. 9

Das Wort hat Herr Brockmann. Brockmann (Z): Meine Damen und Herren! Ich bitte den Herrn Präsidenten, mir zu gestatten, dazu eine Erklärung abzugeben. Die Mehrheit dieses Hohen Hauses hat soeben beschlossen, daß das Grundgesetz durch die Landtage bestätigt werden und nicht dem Volke unmittelbar zur letzten Entscheidung unterbreitet werden soll. Das Volk wird zu sprechen haben, wenn ein von ihm gewähltes Parlament eine echte Verfassung für ganz Deutschland vorlegen muß und vorlegen kann. Die Tatsache, daß die unmittelbare Zustimmung des Volkes zum Grundgesetz nicht eingeholt wird, macht es erforderlich, daß es wenigstens noch eine andere Form der nachträglichen Einflußnahme des Volkes auf das Grundgesetz geben sollte und geben müßte. Dabei besteht auch nach Auffassung der Zentrumsfraktion die Gefahr einer Erschütterung der durch das Grundgesetz geschaffenen Ordnung. Man muß diese Gefahr der Erschütterung, weil eine Reihe von Grundrechten nicht aufgenommen worden sind, unter allen Umständen zu vermeiden suchen. Die Zentrumshaktion hat deshalb keine Revisionsfähigkeit für das Grundgesetz in seiner Gesamtheit vorgesehen. Das Zentrum ist aber in bezug auf die Grundrechte der Überzeugung, daß diese, soweit sie im Grundgesetz enthalten sind, keinesfalls wieder eingeschränkt werden sollen oder wieder eingeschränkt werden dürfen. Jedoch ist auch bei den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates klar zum Ausdruck gekommen und wiederholt auch heute zum Ausdruck gebracht worden, daß weite Kreise der Bevölkerung den Grundgesetzkatalog und insbesondere den Katalog der Grundrechte als nicht erschöpfend erachten. Sie stehen dem Grundgesetz insgesamt mit gewissen schwerwiegenden Bedenken und Vorbehalten gegenüber, weil in ihm ein so fundamentales Freiheitsrecht, wie das Elternrecht es darstellt, keine Anerkennung gefunden hat. (Dr. Dehler: Das ist ja nicht wahr, Herr Brockmann! Das Elternrecht ist doch festgelegt. Lesen Sie es doch nach! Was Sie unter Elternrecht behaupten, ist eine Fiktion. Kommen Sie doch nicht immer mit den gleichen

Dingen!

Das ist ja unerträglich.) Sie haben recht, es ist für weite Kreise des Volkes wirklich unerträglich, daß man einer solchen Forderung nicht zugestimmt hat. (Dr. Dehler: Der Fiktion einer Forderung! Wir wollen hier keine Wahlkämpfe vorbereiten, Herr Brockmann. Es ist nicht wahr, daß wir das Elternrecht nicht in der Verfassung festgelegt haben. Es ist festgelegt!) Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, Herr Kollege Dr. Dehler, wenn hier auf die Tribüne kommen würden Sie (Dr. Dehler: Das haben Sie schon zum sechsten Mal gesagt!) und den Nachweis für Ihre Behauptung liefern würden, daß das Elternrecht in dem Grundgesetz drinsteht. Ich würde sofort mit Ihnen einer Meinung sein, die Segel streichen und schweigen, weil ich glücklich wäre, daß es verankert ist. Aber, meine Damen und Herren, Sie können es uns ja doch nicht übelnehmen,

-

-

kel 149 Abs. 1 erhält folgende Fassung: .Binnen Jahresfrist nach Inkrafttreten des Grundgesetzes kann der Bundestag in Übereinstimmung mit dem Bundesrat die Grundrechte ergänzen, aber nicht beschränken.'" 499

Nr. 9

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daß wir und darin sehe ich unsere Aufgabe bis zur letzten Möglichkeit uns für die Erkämpfung dieses Rechts und seine Fundierung im Grundgesetz einset-

-

zen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter diesen Umständen(Reimann: „Sehr verehrter Herr Präsident Dr. Adenauer!") Nein, ich rede hier ganz für meine Person und aus meinem Gewissen heraus, wie jeder andere auch. Im übrigen darf ich Ihnen gegenüber, Herr Reimann, bemerken, daß auch noch eine ganze Reihe sozialer Grundrechte nicht im Grundgesetz verankert sind. Wir geben Ihnen ja die Möglichkeit, das

-

noch

nachträglich

durchzusetzen.

Unter diesen Umständen scheint

es

recht und

billig, ja

eine

zwingende

Not-

sein, die Möglichkeit zur Ergänzung der Grundrechte zu schafwendigkeit fen, Herr Kollege Dr. Dehler. Weiter bezwecke ich mit meinem Antrag nichts. zu

Ich bitte Sie daher, diesem Antrag die Zustimmung zu geben. (Zinn: Am 6. April wollten Sie auf alles verzichten!)141). Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Brockmann. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag -

-

ist abgelehnt. Wir kommen dann

Hauptausschusses.

zur

Abstimmung diejenigen,

Ich bitte

über Artikel 147 in der Fassung des die dafür sind, eine Hand zu erheben.

Der Artikel ist angenommen.

-

[3.15 SCHLUSSABSTIMMUNG] Wir kommen nunmehr

zur

Schlußabstimmung.

(Dr. Pfeiffer: Ich bitte ums Wort!) Es ist im Ältestenrat auf Wunsch einiger

Herren vereinbart worden, daß kurze Schlußabstimmung Erklärungen abgegeben werden können. Die soll des Ganzen ja in der dritten Lesung stattfinden. politische Würdigung Das Wort hat Herr Dr. Pfeiffer. Dr. Pfeiffer (CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Abgeordneten der CSU habe ich folgendes zu erklären: Die heute hier im Parlamentarischen Rat festgelegte Fassung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland enthält leider eine beträchtliche Anzahl von Bestimmungen, die von uns als unannehmbar im Sinne eines wirklich föderativen Staatsaufbaus angesehen werden müssen. Die Abgeordneten, in deren Namen ich spreche, haben gegen die bedeutungsvollsten dieser Artikel gestimmt. Uber solche Artikel hinaus enthält das Grundgesetz auch noch Lükken und farblose Formulierungen, die dazu führen, daß wir nicht von dem Bild eines eindeutig föderativen Verfassungswerkes sprechen können. Diese zwei vor

der

)

Die

-

Bemerkung bezog sich vermutlich auf Brockmanns Äußerung im HptA, 55. Sitzung 6. April 1949, als beraten wurde, ob die vom Siebenerausschuß gewonnenen Kompromisse noch gelten würden (Verhandlungen, S. 731). vom

500

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Umstände haben in dem Volksteil, der in uns seine Vertreter sieht, sehr große Unruhe und Besorgnis zur Folge, die ihren Ausdruck bei der Ratifizierung des abgeschlossenen Werkes finden werden. Es sind noch Besprechungen im Gange, die einen Ausgleich der Auffassungen soweit erstreben, daß auch den Vertretern einer ganz klaren bundesstaatlichen Gestaltung des neuen Staatswesens die Zustimmung möglich gemacht wird. Die Besprechungen haben bisher noch kein behiedigendes Ergebnis gehabt. In Bayern und in anderen Gebietsteilen wird von maßgeblichen politischen Kräften morgen eine ernste Prüfung des Gehaltes des vorliegenden Verfassungswerkes vorgenommen werden. In Ansehung der geschilderten Umstände werden sich die Abgeordneten der CSU bei der Schlußabstimmung in der zweiten Lesung der Stimme enthalten. Für ihre Entscheidung wird das Bild maßgebend sein, das sich durch die dritte Lesung ergeben wird. Einige andere Abgeordnete nehmen die gleiche Haltung ein. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erklärung, der Herr Minister Dr. Pfeiffer für die CSU soeben abgegeben hat, haben meine Freunde und ich mit großem Interesse gehört. Wir schließen uns ihr an. Sie enthält durchaus die Gedanken, die auch uns während der heutigen Verhandlungen bewegt haben, und sie legt nur das eindeutig fest, was auch wir gegenüber diesem Verfassungsentwurf bisher empfinden. Wir werden uns daher gleichfalls, auch mit Rücksicht auf die fehlenden Grundrechte, die wir beantragt hatten, in dieser Lesung der Verfassung der Stimme enthalten und uns vorbehalten, eine endgültige Entscheidung in der dritten Lesung zu treffen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Brockmann. Brockmann (Z): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe für die Abgeordnete Frau Wessel und für mich die Erklärung abzugeben, daß das Ergebnis der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates hier in der Plenarversammlung zur zweiten Lesung des Grundgesetzes uns, was die entscheidende Grundforderung angeht, zu der ich am heutigen Tage wiederholt Stellung nehmen durhe, in keiner Weise befriedigen kann. Wir wissen, daß bei vorliegenden Schwierigkeiten geringerer materieller Art die großen Parteien den Versuch machen, Brücken zu finden und sich zu verständigen. Wir hoffen, daß bis zur dritten Lesung auch in diesen entscheidenden Fragen, die personelle Grundrechte betreffen, noch eine Verständigung möglich ist. In der heutigen Abstimmung werden auch wir uns der Stimme enthalten.

(Zuruf: Es geht um Deutschland!) Adenauer142}: Meine Damen und

Herren! Wir kommen dann zur die den Grundgesetzentwurf sind, für diejenigen, Schlußabstimmung. wie er in seiner heutigen Fassung vorliegt, eine Hand zu erheben. 47 Ja-Stimmen. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. 2 NeinStimmen. Ich bitte diejenigen, die sich enthalten, ihre Hand zu erheben. Präs. Dr.

Ich bitte



-

-

142) Folgt in der Vorlage gestrichen: „Herr Binder, keine Diskussion, sondern Erklärung. Das Wort hat Herr Binder. (Verzichtet)".

nur

eine

501

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15 Enthaltungen. Das Grundgesetz ist angenommen. Damit ist die zweite Lesung des Grundgesetzes abgeschlossen143). Wir haben nun noch die

[4. WAHL DER MITGLIEDER DES

ÜBERLEITUNGSAUSSCHUSSES]144)

zu tätigen. Ich darf um Vorschläge bitten. Berichterstatter Dr. Schäfer (FDP): Es sind von einer Reihe von Fraktionen für den Ausschuß vorgeschlagen worden die Abgeordneten Dr. Pfeiffer, Dr. Lehr,

Kaiser, Kaufmann, Dr. von Brentano, Dr. Strauß, Hermans, Dr. Schmid, Dr. Menzel, Zinn, Dr. Suhr, Dr. Grève, Maier, Dr. Hoch, Dr. Dehler, Dr. Höpker Aschoff, Dr. Seebohm, Brockmann; als Stellvertreter die Herren Seibold, Dr. de

Frau Dr. Weber, Dr. Finck, Dr. Hofmeister, Dr. Laforet, Hilbert, Dr. Dr. Bergsträsser, Zimmermann, Dr. Diederichs, Stock, Katz, Wagner, Dr. Mücke, Dr. Becker, Dr. Reif, Heile, Frau Wessel. Präs. Dr. Adenauer: Sie haben die Namen gehört. Darf ich feststellen, ob Sie damit einverstanden sind? Das ist der Fall.

Chapeaurouge,

(Zuruf des Abg. Renner.) -

Sie wollen Abstimmung. Ich bitte erheben. Gegen 2 Stimmen145).

-

diejenigen,

die dafür sind, eine Hand

zu

-

[5.

TERMIN DER

NÄCHSTEN SITZUNG, EINLADUNG

DES DEUTSCHEN

VOLKSRATES]

Meine Damen und Herren! Einem Beschluß des Ältestenrates entsprechend schlage ich Ihnen als Termin für die nächste Sitzung vor Sonntag, den 8. Mai, 15 Uhr, und zwar mit der Tagesordnung: Dritte Lesung des Grundgesetzes. Ferner hat Herr Renner für diese Sitzung einen Antrag eingereicht, den ich zu Ihrer Kenntnis bringen möchte: Das Plenum des Parlamentarischen Rates wolle beschließen: Der Parlamentarische Rat nimmt sofort Verbindung auf mit dem Präsidium des Deutschen Volksrates146), um alle deutschen demokratischen Parteien zusam-

menzubringen zur Besprechung, der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, der Fragen eines gesamtdeutschen Friedensvertrages. Im Bericht des US-Verbindungsoffiziers Pabsch (Highlight Summary zum 7. Mai 1949) wurde hervorgehoben, das Abstimmungsergebnis ergebe lediglich 64 anstatt 65 Stimmen. Niemand wisse zur Zeit im Pari. Rat, was mit der fehlenden Stimme sei (Z 45 F/l 5/148-2 folder 3). ) Zur Funktion des Überleitungsausschusses vgl. TOP 2 dieses Dokuments. Abdr. des Prot, der einzigen Sitzung vom 3. Juni 1949 in: Der Pari. Rat Bd. 10, Dok. Nr. C3. ) Dieser Beschluß wurde gesondert vervielf. als Drucks. Nr. 881. Abdr. auf S. 431, Anm. 8. ') Zum Deutschen Volksrat siehe Dok. Nr. 9, Anm. 10. Der Antrag wurde vervielf. als Drucks. Nr. 882.

')

502

Neunte

Zweck dieser selben Fragen ten.

Sitzung des Plenums 6.

Mai 1949

Nr. 9

Besprechung soll sein, dem Außenministerrat, der sich mit denbeschähigen wird, eine gesamtdeutsche Auffassung zu unterbrei-

Ich hoffe, daß Sie mit der Tagesordnung einverstanden sind. Damit schließe ich die Sitzung. Die Sitzung wird um 23 Uhr 32 Minuten geschlossen.

503

Zehnte

Nr. 10

Sitzung des Plenums 8.

Mai 1949

Nr. 10

Zehnte

Z

5/18, Bl. 25-125;

Kurzprot:

Z

des Plenums Mai 8. 1949

Sitzung

5/19, Bl. 1-180; ungez. und undat. stenogr.

Wortprot.1).

Druck: Z 5/18, Bl. 1-24. -

Stenogr.

Dienst: Dr.

Stenogr. Berichte, S. 197-243. Koppert, Dr. Meidinger, Dr. Peschel, Herrgesell,

Dauer: 15.16-19.29; 20.30-0.38 Uhr

Dr.

Reynitz, Thöt.

[1. GESCHÄFTLICHES] Die Sitzung wird um 15 Uhr 16 Minuten durch den Präsidenten Dr. Adenauer eröffnet. Präs. Dr. Adenauer: Ich eröffne die Sitzung. Entschuldigt haben sich die Abgeordneten Reuter und Dr. Suhr2). Wir treten in die Tagesordnung3) ein; sie liegt Ihnen vor. Wir kommen zum ersten

Punkt:

[2.] ANTRAG DER KPD-FRAKTION AUF SOFORTIGE AUFNAHME DER VERBINDUNG MIT DEM PRÄSIDIUM DES DEUTSCHEN VOLKSRATS (DRUCKSACHE NR. 882)4) Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Renner. Renner (KPD): Meine Damen und Herren! In wenigen Tagen werden die Verkehrs- und Handelsbeschränkungen, unter denen Deutschland in seiner Gesamtheit erheblich gelitten hat, aufgehoben werden5). Am 23. Mai kommen in Paris die Außenminister der alliierten Mächte im Außenministerrat, wie er im Pots-

1) Die Vorlage diente als Manuskript für den Druck, so daß

sie Anweisungen für den Setzer Vgl. Einleitung S. XXXIX. Vereinzelt wurden Seiten aus einer maschinenschr. Durchschlagfassung mit verwendet. 2) Aus einem Bericht des britischen Verbindungsstabes vom 9. Mai 1949 geht hervor, daß der Sitzung die Ministerpräsidenten Altmeier, Arnold, Lüdemann und Stock als Gäste

enthält.

beiwohnten (Kl. Erw. 792, Bd. 7, Bl. 64). 3) Eine Tagesordnung zur 10. Plenarsitzung wurde vervielf. als Sekretariatsumdr. Nr. S 67 (Z 5/203); fehlerhafter Entwurf, in dem von der 9. anstatt der 10. Plenarsitzung die Rede war, in: Z 5/210. 882: Antrag der KPD vom 6. Mai 1949 betr. rat. Er war von Adenauer bereits am Ende der 9. Sitzung des

4) Drucks. 5)

Verbindung zum Deutschen VolksPlenums

vom

6. Mai 1949

(siehe Dok. Nr. 9) verlesen worden.

Am 4. Mai 1949

war

in einem

Kommunique der

vier Großmächte

bekanntgegeben

worden, daß sie ein Ubereinkommen erzielt hätten, demzufolge alle seit dem 1948

1. März

eingeführten Beschränkungen der Nachrichtenverbindungen, des Verkehrs und des

Handels zwischen Berlin und den westlichen Zonen sowie zwischen der SBZ und den westlichen Zonen am 12. Mai aufgehoben werden, und daß am 23. Mai in Paris sich die Außenminister treffen werden, um Deutschland berührende Fragen sowie Probleme zu erörtern, die sich aus der Situation ergeben, darunter auch die dortige Währungsfrage. Schlegelmilch: Hauptstadt, S. 555 ff.; dort auch Hinweise auf die Literatur zu den diplomatischen Bemühungen um die Beendigung der Berlin-Blockade. 504

Zehnte Sitzung des Plenums

8. Mai 1949

Nr. 10

damer Abkommen gebildet worden ist, zusammen, um gesamtdeutsche Fragen, auch die durch die Verhältnisse in Berlin entstandenen Schwierigkeiten und die Frage des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland zu besprechen6). Die Alliierten, deren Differenzen doch bestimmt groß sind, größer jedenfalls, als es die Differenzen unter deutschen Menschen sind und sein können, haben sich also zusammengefunden, und wie wir aus der Presse, aus dem Munde verantwortlicher Staatsmänner wissen, besteht unter ihnen in entscheidenden Fragen bereits eine Einigung. Angesichts dieser Situation, angesichts der Bedeutung der Stunde erscheint es uns als eine zwingende Notwendigkeit, daß auch die berufenen deutschen Parteien sich endlich zusammenfinden und beratend die zwischen ihnen bestehenden Differenzen aus der Welt zu schaffen versuchen, um so dem Außenministerrat eine gesamtdeutsche Konzeption bezüglich der Fragen vorzulegen, die hoffentlich jetzt eine Regelung finden werden. Ich hage: Liegt nicht im Augenblick auf jedem deutschen Menschen ein derartiges Maß von Verantwortung, daß wir verpflichtet sind, die kleineren und größeren Parteistreitigkeiten und Gegensätze zu überwinden und uns endlich als Vertretung des gesamtdeutschen Volkes zusammenzufinden und diese Stellungnahme auszuarbeiten? Es geht um Deutschland, es geht um die Lebensbedingungen unseres Volkes, es geht um den Frieden, es geht um die Erhaltung des Friedens, es geht um die Vermeidung des Krieges, es geht also um unsere lebensnotwendigsten Interessen! Wie oft haben Sie hier zum Ausdruck gebracht, daß Sie die berufenen Vertreter des Volkes in den Ländern der Bizone sind! Heute stehen wir erneut vor der Tatsache, daß das Präsidium des Deutschen Volksrats in Wiederholung seiner Einladung vom April noch einmal mit einer Einladung7) an uns herangetreten

speziell

') Außenministerkonferenz Paris siehe Anm. 16. ) Der Deutsche Volksrat hatte Mitte März 1949 ein sechstes Mal im Beisein von Oberst Tulpanow und dem Sonderbotschafter für Deutschland, Semjonow, getagt. Dabei wurde die Arbeit des Pari. Rates heftig kritisiert; Präsident Nuschke charakterisierte sie u.a. als „Groteske", die einen „Rückschlag um 150 Jahre bedeuteten." Die im Entstehen begriffene Verfassung müsse richtig eine „General-Clay-Robertson-Koenig-Verfassung" genannt werden. Im Zuge dieser Tagung wurde, nachdem die deutsche Bevölkerung aufgefordert worden war, gegen die Bildung eines westdeutschen Staates zu opponieren, auch beschlossen, Dr. Adenauer und Dr. Köhler zu Gesprächen einzuladen (Siehe Mannheimer Morgen vom 19. März 1949, Artikel „Volksrat sucht Verbindung mit dem Westen", Auszug in: Z 5/191 F). Nach einer Mitteilung in der Zeitung „Die Welt" vom 19. März

1949 hatten sowohl Adenauer als auch Carlo Schmid die vorgeschlagenen Gespräche bereits am 18. März für zwecklos erklärt; Schmid hatte gesagt; „Wir können uns doch nicht mit Leuten zusammensetzen, die unsere Freunde ins KZ sperren". Adenauer hatte mit Nuschke, der Vorsitzender der Ostzonen-CDU war, während dessen Aufenthalt in Bonn am 1. und 2. März 1949 eine etwa zweistündige Unterredung gehabt; eine geplante zweite Unterredung war wegen der Reise einer Abordnung des Pari. Rates nach Frankfurt nicht zustande gekommen. Carlo Schmid hatte sich nicht sprechen lassen. (Bericht von Leisewitz vom 2. März 1949, Z 12/123, Bl. 217). Die Einladung des Volksrates erfolgte dann durch ein Fernschreiben unter dem 21. März 1949 an den Pari. Rat (NL Blankenhorn/241, als Sekretariatsumdr. Nr. S 34 vervielf. in: Z 5/202): „Die Zerreißung Deutschlands durch die Bildung eines Weststaates bedeutet eine tödliche Gefahr für die nationale Existenz des deutschen Volkes. Hinzu kommt die wachsende Gefahr eines neuen Krieges. Der dadurch für unser Volk geschaffene Not-

505

Nr. 10

Zehnte

Sitzung des Plenums

8. Mai 1949

ist, in den nächsten Tagen in Braunschweig oder an irgendeinem von uns zu bestimmenden Ort zusammenzukommen. Herr Präsident, Sie machen die Einwendung; daß Sie dieses Telegramm bisher nicht bekommen hätten. Das Telegramm und sein Inhalt sind aber heute morgen über alle deutschen Sender

bekanntgegeben worden8). (Lachen.)

Ich weiß nicht, ob die Tatsache, daß das Telegramm noch nicht eingetroffen ist, Ihnen, meine Herren von der Sozialdemokratie, Anlaß zum Lachen geben sollte. Wir sind über mehr hinweggekommen als über ein nicht fristgerecht eingegangenes Telegramm. Hier in diesem Hause ist die Tatsache der Einladung bekannt, und außerdem richten wir die Aufforderung an Sie, sich nun endlich zu diesem Entschluß durchzuringen. Ich bin der Meinung, daß in diesem Augenblick jeder, der die Interessen des deutschen Volkes höher stellt als die Interessen einer Partei, einer Gruppe oder -

8)

stand erfordert außerordentliche Maßnahmen um Sicherung für das Leben und die Zukunft des deutschen Volkes zu schaffen. Ein einheitliches Deutschland ermöglicht die Lösung aller Fragen, die vor dem deutschen Volke stehen." Man möge am 8. April 1949 in Braunschweig zusammenkommen, um über die friedliche Entwicklung durch die Demokratisierung des öffentlichen Lebens zu beraten. Man solle auch darüber beraten, gemeinsam im Namen des deutschen Volkes von den Alliierten den baldigen Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und den Abzug der Besatzungstruppen zu fordern. Adenauer hatte zunächst den Eingang des Schreibens bestätigt und eine Antwort angekündigt für die Zeit, da der Pari. Rat wieder zusammenkommen würde. Bereits am 19. März hatte Renner im Namen der KPD eine Einberufung des Plenums gefordert, um über die Einladung zu beraten (PA 5/Nr. 30, Schreiben vom 19. März 1949). Am 1. April 1949 protestierte er in einem Schreiben an Adenauer, daß eine Reaktion noch nicht erfolgt sei und beschwerte sich über die „Mißachtung der kommunistischen Fraktion" (ebenda). Am 5. April 1949 faßte der Ältestenrat dann eine Resolution gegen die Stimme von Renner, in der es hieß: „Der Parlamentarische Rat weiß sich mit der deutschen Bevölkerung der Ostzone einig in dem Willen zur Rückgewinnung der deutschen Einheit, er wird aber dem Vorschlag nicht Folge leisten, da er die Gleichwertigkeit in der demokratischen Legitimation der Einladenden anzuerkennen nicht in der Lage ist." Entwurf ebenda, ferner Z 12/122, Bl. 78. Die Entschließung des Ältestenrates als Sekretariatsumdr. Nr. S 34 a vervielf. (Z 5/202). Einzelne Telegramme von Belegschaften und Resolutionen zur Volksratsinitiative in: Z 5/9. Siehe auch den Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 25. März 1949 und 6. April 1949, Z 12/122. Die erneute Einladung ließ sich nicht ermitteln. Nach der Niedersächsischen Volksstimme vom 9. Mai 1949 (Ausschnitt in: Z 5/198 F) hieß es in der Einladung unter anderem: „Es liegt im vordringlichen nationalen Interesse des gesamten deutschen Volkes, daß alles getan wird, um die Einheit Deutschlands auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet wiederherzustellen. Jeder Versuch, noch vor der AußenministerKonferenz durch die Bildung einer separaten interimistischen Westregierung vollendete Tatsachen zu schaffen, die die Spaltung Deutschlands vertiefen, kann nur als verantwortungslos angesehen werden [. .1 Das Präsidium des Deutschen Volksrates schlägt daher dem Parlamentarischen Rat und dem Zweizonen-Wirtschaftsrat vor, durch beauftragte Vertreter unverzüglich zu Vorbesprechungen zusammenzutreten und gemeinsam Termin, Ort und Tagesordnung für eine alsbald abzuhaltende gesamtdeutsche Besprechung festzulegen. Hierzu schlagen wir vor, die folgenden Punkte auf die Tagesordnung zu setzen: 1. Maßnahmen zur Verwirklichung der Einheit Deutschlands auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet, 2. Ausarbeitung eines gesamtdeutschen Memorandums über den Abschluß eines Friedensvertrages und den Abzug der Besatzungstruppen für die Außenministerkonferenz in Paris." .

506

Zehnte

Sitzung des Plenums 8. Mai

1949

Nr. 10

seine eigenen Interessen, verpflichtet ist, unserem Antrag zuzustimmen, um so mehr als wir wissen, daß auf der Gegenseite uns deutsche Hände entgegengereckt werden, die mit uns zusammen ganz Deutschland und unserem Volke gesunde Lebensbedingungen und den Frieden schaffen wollen. Um dieses Zieles willen sollten Sie diesem unserem Antrag einstimmig zustimmen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Kaiser. Kaiser (CDU): Meine Damen und Herren! Ich bin tief durchdrungen davon, daß kein Mitglied des Parlamentarischen Rates, kein Abgeordneter an diesem für unser Volk, für unsere Nation geschichtlich bedeutsamen Tag Ol ins Feuer der Meinungsverschiedenheiten gießen sollte, die unter uns, den Deutschen, und auch unter den Männern und Frauen dieses Hauses leider noch bestehen. Aber ich bin der Auffassung, daß ausgesprochen werden muß, was zu äußern einfach unsere Pflicht ist. Insofern werden die Herren der KPD-Fraktion, Reimann und Renner, es als selbstverständlich ansehen, daß zunächst einmal einer der Berliner Abgeordneten zu ihrem Antrag das Wort nimmt. Ich darf von mir sagen, daß mir in diesen für unser Volk so schweren Nachkriegsjahren nichts so sehr am Herzen gelegen hat wie die Sorge um die Einheit unseres Vaterlandes, um die Einheit Deutschlands und im Zusammenhang mit dieser Sorge die Schaffung einer gesamtdeutschen Körperschah, die der Vorbereitung dieser Einheit unseres Volkes dienen sollte9). Ich habe durch meine Bemühungen in Berlin und in der Ostzone bewiesen, daß ich keine Furcht, keine Hemmungen und keine Bedenken habe, mich in der Sorge um Deutschland auch mit Kommunisten an einen Tisch zu setzen. Das aber, meine Damen und Herren und Herr Reimann und Renner -, kann nur einen Sinn haben, wenn auf beiden Seiten eine ehrliche, für unser Volk wirklich besorgte Gesinnung vorhanden ist. Leider und das sage ich in letzter Überlegung können wir dem sogenannten Deutschen Volksrat diese Gesinnung nicht zuer-

-

-

kennen10).

9) Siehe Conze: Jakob Kaiser: Politiker zwischen Ost und West 1945-1949. S. 133 ff. °) Vgl. hierzu auch den Artikel in der Neuen Zeitung vom 15. Jan. 1949, S. 6: Wie

der

Volksrat entstand. In dem

Formschreiben, das der Pari. Rat, zumeist gez. durch Ministerialdirigent Blankenborn, an Einsender versandte, die sich für Gespräche mit dem

Volksrat aussprachen, hieß es u. a.: „Man muß die zu der Einladung des Volksrates gehörende Entwicklung prüfen, um den Wert dieser Einladung richtig einschätzen zu können, und man muß die Voraussetzungen erkennen, die erforderlich sind, um zu einer stabilen Zusammenarbeit gelangen zu können. Die russische Politik hat seit 1945 unter dem Leitgedanken gestanden, daß die westliche Welt durch den Krieg so geschwächt sei, daß sie mit den Problemen der Umstellung auf den Frieden nicht fertig

werden könne und zum ökonomischen Zusammenbruch verurteilt sei (...) Es ist selbstverständlich, daß die staatliche Einigung ganz Deutschlands unser Ziel ist und bleiben wird; aber es muß eine Einheit sein, in der der Staat um der Menschen willen da ist und in dem Schutz der Würde und Freiheit des einzelnen seine Aufgabe sieht, nicht aber umgekehrt der Mensch zum Objekt eines omnipotenten staatlichen Willens wird. Die Ereignisse der letzten drei Jahre in den osteuropäischen Ländern und vor allem in der Tschechoslowakei beweisen, welch tödliche Gefahr für die innerstaatliche Entwicklung das Eingehen eines Bündnisses mit dem Kommunismus bedeutet. Bei dem Volksrat der sowjetischen Besatzungszone handelt es sich nicht um eine deutsche Vertretung. Er ist nicht aus rechtlich anzuerkennenden Wahlen hervorgegan507

Nr. 10

Zehnte

Sitzung des Plenums

8. Mai 1949

(Sehr richtig!)

Warum nicht? Jeder urteilsfähige Deutsche kennt heute Entstehung und Funktion dieses Volksrates. Niemand, auch nicht die Herren Reimann und Renner,

wird diesem Volksrat deutsche

Abstammung nachsagen können;

(Sehr gut!)

denn sie wissen am besten, wer seine Väter sind und wo seine Wiege stand. Mir selbst mir, dem Jakob Kaiser hatte man im November/Dezember 1947 ja zugemutet, Geburtshelferdienste zu leisten. Ich und meine Freunde in Berlin und in der Ostzone haben das Drama um die Entstehung des Volkskongresses und des Volksrats am eigenen Leibe erlebt. Sie wissen, daß die sowjetische Besatzungsmacht mein Nein zum Volkskongreß, zum Volksrat und zu seiner volksdemokratischen Aufgabe mit meiner Beseitigung beantwortet hat. -

-

(Hört! Hört!)

Für den Charakter des Volksrates und für die Methoden, mit denen er geschaffen wurde, ist die Vernichtung der Unabhängigkeit unserer Partei, der Christlich-Demokratischen Union in der Ostzone, die als letzte politische Gruppe ihre Freiheit zu wahren wußte, das geschichtliche Beispiel. Männer des Präsidiums des Volksrats selbst haben Zeugnis dafür abgelegt, welcher politischen Aufgabe der Volksrat zu dienen hat. Es ist, weiß Gott, keine deutsche Aufgabe. Wer noch mehr über die Methoden der Gewalt und des Druckes wissen will, unter denen Volkskongreß und Volksrat ins Leben traten, der soll die politischen Flüchtlinge behagen, die auch heute noch unablässig aus der Ostzone und aus dem Ostsektor von Berlin nach dem Westen kommen. Die können am besten darüber Bescheid geben. Zudem, meine Damen und Herren, gehören die Mitglieder des Volksrats zum größten Teil der SED an, einer Partei, deren Rolle

Bolschewisierung der Ostzone, bei der Blockade, bei der Zerreißung Berlins, bei den Qualen und Leiden, die diese Blockade für die Berliner Bevölkerung mit sich gebracht hat, in einer Weise mitgewirkt hat, daß sie niemand

bei der

mehr als eine deutsche Partei anerkennen kann.

(Sehr richtig!)

Wer könnte ihre Männer und Frauen nach diesen ter des deutschen Volkes bezeichnen? (Zuruf des Abgeordneten Renner.)

Erfahrungen

noch als Vertre-

dem völlig regellos zusammengesetzten Volkskongreß berufen worden. gelenkt wird er von der SED, deren Verbindung zur sowjetischen Besatzungsmacht es unmöglich erscheinen läßt, sie noch als deutsche politische Partei zu betrachten. Die beiden anderen Parteien der Sowjetzone sind durch die dortige Besatzungsmacht in ihrer organisatorischen Form und der Möglichkeit, ihrem Willen Ausdruck zu geben, derart verstümmelt, daß sie auch nicht mehr als Vertreter des deutschen Volkes in der Sowjetzone angesehen werden können. Es würden also in Braunschweig den Delegierten des Parlamentarischen Rates und des Wirtschaftsrates mittelbare Unterhändler Sowjetrußlands gegenüberstehen, nicht aber deutsche, durch demokratische Wahlen legitimierte Vertreter [. .] Zehntausende deutscher Landsleute sitzen mit Zustimmung oder auf Veranlassung der SED-Leitung in den Konzentrationslagern oder sind nach Rußland verschleppt. Daß auch diesen Unglücklichen Gerechtigkeit widerfährt, ist eine weitere Voraussetzung eines erfolgversprechenden Gespräches." (NL Blan-

gen, sondern Bestimmend

von

.

kenhorn/241).

508

Zehnte

Sitzung

des Plenums 8. Mai 1949

Nr. 10

Ich spreche nicht von Ihnen, Herr Renner. Daran ändern weder die nationale Begleitmusik noch die pseudodemokratischen Phrasen etwas, mit denen sie ihre verderbliche Politik begleiten. Jene Mitglieder des Volksrats aber, die sich noch formell Mitglieder der Christlich-Demokratischen Union oder der Liberal-Demokratischen Partei nennen, sind nichts als Gefolgschahsleute dieser Partei. Von Leuten wie Grotewohl11) und Fechner12) und allen anderen Mänder früheren SPD, muß ich in diesem Zusammenhang sagen -, nern der SPD die ihre Partei in der Ostzone dem Kommunismus auslieferten und heute Verantwortungen im Volksrat tragen, brauche ich gar nicht erst zu reden. Jedenfalls steht fest: Der sogenannte Deutsche Volksrat, der von der SED und ihren Handlangern getragen wird, ist weder eine deutsche, noch ist er eine demokratische Einrichtung. Deshalb kann er für uns, für die Frauen und Männer des Parlamentarischen Rates, kein Verhandlungspartner sein. Natürlich, Herr Renner, geht unser Verlangen auf ein gesamtdeutsches Gespräch. Es geht auf die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Es geht auf die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung. Und es geht uns, weiß Gott, auch um die Frage eines Friedens für Gesamtdeutschland. Nichts wäre uns erwünschter, als daß eine Vertretung Gesamtdeutschlands der kommenden Außenministerkonferenz deutsche Vorschläge unterbreiten und für unsere Nation Rede und Antwort stehen könnte. Damit das aber möglich wird, ist unser Wunsch und unsere Forderung: Man ermögliche doch unverzüglich heie Wahlen in Berlin und in der Ostzone! Man lasse doch alle demokratischen Parteien in voller Freiheit ihre Vertreter wählen! Ich sage noch einmal: auch in Ost-Berlin und in der Ostzone. Bis aber diese Forderung erfüllt ist, bleibt uns die Pflicht aufgegeben, Sprecher auch für Berlin und für die Ost-

-

zone zu sein. Den kommunistischen

Antrag bitte ich abzulehnen.

Zuruf des Abgeordneten Renner.) hat Adenauer: Herr Dr. Schmid. Präs. Dr. Das Wort und Schmid Meine Herren! Das drängendste Anliegen aller Dr. Damen (SPD): Deutschen ist heute die Wiederherstellung der Einheit ihres Vaterlandes. Die Einheit, die sie dabei meinen, ist nicht nur die kulturelle Einheit, die Einheit, die sie meinen, ist nicht nur die Einheit im Sinne einer sich im Bewußtsein immer wieder manifestierenden Identität der Strebungen und Gemeinsamkeiten; sondern die Einheit, die sie dabei meinen, ist die politische Einheit Deutschlands, diese zeitgestaltende Entsprechung der Liebe zur Heimat, die unsere große Mutter ist. Sie haben diesen Willen nicht aus dem Sacro egoismo der Nationalisten heraus, und nicht weil sie etwa glaubten, nur in einem großen auch die kleinen Räume könne sich ein Volk in der Würde verwirklichen

(Bravo! und Händeklatschen.

-

-

n)

12)

Otto Grotewohl (1894-1964), sozialdemokratischer Politiker, der nach 1945 in der SBZ die dortige SPD wieder aufbaute und die Forderung nach einem Zusammenschluß der Arbeiterbewegung in der SED unterstützte. Heinz Voßke: Otto Grotewohl. Ein biographischer Abriß. Berlin (DDR) 1979. Max Fechner (1892-1973), Mitunterzeichner des Gründungsaufrufs der SPD vom 15. Juni 1945 und Befürworter der Schaffung einer einheitlichen Arbeiterpartei durch Zusammenschluß mit der KPD. 509

Nr. 10

Zehnte

Sitzung des Plenums

8. Mai 1949

Völker haben ihre Würde, und sie steht in nichts der Würde der großen Völker nach. Die Deutschen holen diese Sehnsucht zur Einheit nicht aus einem romandiesem gefährlichen Ding, das die Völker so leicht tischen Unterbewußtsein auf Abwege führen kann -, sondern sie holen diesen Willen zur Einheit aus sehr elementaren Bereichen: die Wurzeln dieses Willens liegen in dem Bewußtsein, daß zusammenkommen muß, was zusammen gehört, wenn eine echte Ordnung in der Symbiose der Völker herrschen soll. Dieses Anliegen kommt auch, und nicht zuletzt, aus dem Willen der Deutschen zur Selbstachtung. Denn diese Selbstachtung kann nur bewahren, wer weiß, daß er sein Leben in der Freiheit führen kann. Die nationale Einheit ist ja letzten Endes nichts anderes als ein Reflex der Bürgerfreiheit, wie sie in der großen französischen Revolution statuiert worden ist und wie sie bei uns als einer ihrer großartigsten Verkünder einst Görres und wie sie für ganz Europa Mazzini verkündet hat. Sie alle haben die nationale Einheit nicht im Namen der Macht gefordert, sondern im Namen der Freiheit. Dann wollen wir diese Einheit des deutschen Volkes aus Gründen europäischer Solidarität; denn Europa kann nur geschaffen werden, wenn das ganze Deutschland dabei ist. (Lobe: Sehr richtig!) Der Riß, der heute durch Deutschland geht, geht in Wirklichkeit durch Europa, und Europa unter Anerkennung dieses Risses schaffen würde bedeuten, daß man Europa zu Kleineuropa degradiert, und ein Kleineuropa wäre nichts anderes als eine Verlockung für Großasien. Indem wir unsere Einheit fordern, sind wir uns bewußt, daß wir ein Anliegen Europas erfüllen. Unsere Forderung ist eine europäische Forderung! Wir sind ein besetztes Land. Jalta13) und Potsdam14) haben uns vier Herren beschert, die sehr Verschiedenes in Deutschland wollen. Die Schaffung der politischen und konstitutionellen Einheit setzt voraus, daß sich die vier Besatzungsmächte endlich einmal auf eine gemeinsame Deutschlandpolitik einigen. (Renner: Das war einmal im Potsdamer Abkommen der Fall!) Ich werde Ihnen gleich etwas dazu sagen, Herr Kollege Renner. (Renner: Sie waren schon einmal einig!) Der Inhalt dieser Einigung kann vernünhigerweise nur sein, die Deutschen in den Stand zu setzen, die Formen und Inhalte ihrer politischen Existenz selber zu bestimmen, zu bestimmen im Rahmen der europäischen Gegebenheiten und -

-

Notwendigkeiten.

Es sind dafür schon Versuche gemacht worden, Herr Kollege Renner, Sie haben recht, der erste geschah in Potsdam. Die Besatzungsmächte fühlten sich damals in erster Linie noch als Siegermächte, und die Völker Europas, die dieses Potsdamer Abkommen billigten, standen noch ganz im Banne des Entsetzens angesichts der großen Gefahr, der man eben entgangen war. Das Gesetz von Potsdam ist gewesen, dieses Deutschland ganz zum Objekt zu machen.

13) Jalta siehe Dole. Nr. 1, Anm. 21. 14) Potsdam siehe Dok. Nr. 1, Anm. 510

22.

Zehnte

Sitzung des Plenums 8. Mai

1949

(Renner: Das ging aber nicht gegen ganz Deutschland!) Das Gesetz von Potsdam ist gewesen, Deutschland zu organisieren, besser domestizieren zu können!

Nr. 10

um

es

(Sehr richtig!)

Das ist das Gesetz von Potsdam, Herr Kollege Renner. Ich verstehe dieses Gesetz von den Siegern dieses Krieges aus und auch da nur für den Sommer 1945. Aber wollen.

was

ich nicht verstehe, ist, daß heute Deutsche

zu

Potsdam zurück

(Zustimmung.)

Dann hat die Moskauer Konferenz der vier Mächte stattgefunden. Diese Konferenz ist gescheitert15). Wir wissen die Gründe, ich habe sie hier nicht zu diskutieren. Nunmehr findet wieder eine Außenministerkonferenz statt16). Diese Konferenz ist wieder einmal etwas, das nicht unsere Sache ist, etwas, bei dem wir nicht mitreden dürfen; aber das hindert nicht, daß wir etwas dazu zu sagen

haben.

hoffen, daß diese Konferenz zu einer Einigung der vier Mächte führen wird, zu einer Einigung, die es erlauben wird, die konstitutionelle Einheit Deutschlands und seine politische Homogenität wiederherzustellen,

Wir wollen

(Sehr gut!)

und wir hoffen, daß die aus dieser Einigung hervorgehende Wirklichkeit das Werk dieses Parlamentarischen Rates sehr bald gegenstandslos werden lassen möge und daß sie zeigen wird, daß hier wirklich nur etwas Provisorisches geschaffen wurde. Dann werden wir uns wir, alle Deutschen zusammen die Verfassung geben, die wir für die beste für unser Land halten, das heißt: wir werden dann die Formen und Inhalte unseres politischen Lebens selbst und ohne Auflagen und ohne Genehmigungsrecht Dritter allein bestimmen. -

-

(Sehr richtig!)

Einigung wäre vor der Geschichte sinnlos, wenn sie nicht die für eine Einheit Deutschlands in der Freiheit, in der Freiheit Voraussetzungen des Ganzen und in der Freiheit der Individuen schafhe. Diese Einigung muß zum Gegenstand haben die Schaffung gleicher demokratischer Lebensbedingungen überall in Deutschland, im Westen und im Osten. (Sehr gut! bei der SPD.) Denn die Voraussetzung einer jeden konstitutionellen17) Einheit ist die politische, die ökonomische und die soziale Homogenität des zur Einheit ZusammenAber eine solche

)

')

)

Die Moskauer Außenministerkonferenz hatte im Frühjahr 1947 (10. März-24. April 1947) stattgefunden. Amerikanische Dokumente in: Foreign Relations 1947/11, S. 139576. Zur englischen und französischen Position siehe Martina Kessel: Westeuropa und die deutsche Teilung. Englische und französische Deutschlandpolitik auf den Außenministerkonferenzen von 1945 bis 1947, München 1989, S. 211 ff. Zur deutschen Reaktion siehe Akten zur Vorgeschichte Bd. 2, S. 7 ff. Die Pariser Außenministerkonferenz fand vom 23. Mai-20. Juni 1949 statt. Die Protokolle in: Foreign Relations of the United States 1949 Volume III, Council of Foreign Ministers; Germany and Austria, S. 915 ff. Siehe hierzu auch Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, S. 4 ff.; Abdr. des Prot, der zweiten und letzten Sitzung des Konsultativrates, durch den die Westalliierten die deutsche Seite beteiligen wollte, ebenda, S. 909-912. In der Vorlage handschr. korrigiert aus „politischen".

511

Nr. 10

Zehnte

Sitzung des Plenums

8. Mai 1949

Diese Homogenität fehlt aber, wenn in einem Teil Deutschlands die Menschen in der Liberalität eines demokratischen Regimes, das auf dem Respekt vor der Einzelpersönlichkeit beruht, leben können,

gefügten.

(Renner: Ruhrstatut!)18)

die Urandie Reduzierung der Gewerkschaften zu Faktoren der Staatsmacht und die Polizeiherrschaft dem politischen Leben das Gepräge geben. im anderen Teil aber

Konzentrationslager19), Zwangsverschickung in bergwerke20), Gleichschaltung oder Ausmerzung politischer Parteien, (Sehr richtig!)

Wir wollen die Einheit in der Freiheit und wir wollen eine Einheit, die auch dem Osten Deutschlands die Prärogative der Freiheit gestattet, nicht eine Einheit, die sie dem Westen raubt. Wie ist das zu erreichen? Das ist einfach; der Herr Kollege Kaiser hat schon davon gesprochen. Man braucht nur in ganz Deutschland freie Wahlen auszuschreiben. Was heißt: heie Wahlen? Freie Wahlen heißt Wahlen, deren Vollzug unter der Kontrolle der Wähler steht und nicht unter der Kontrolle irgendeiner Staatspolizei oder Staatspartei. Freie Wahlen heißt freier Wettbewerb aller demokratischen Parteien. Und was heißt freier Wettbewerb aller demokratischen Parteien? Es heißt, daß Kurt Schumacher in Leipzig sprechen kann, Herr Adenauer in Halle und Herr Kaiser in Magde-

burg!

(Zustimmung.)

Das heißt heie Wahlen. Solange dieser Zustand nicht hergestellt ist, haben wir keine heien Wahlen im Osten. Freie Wahlen bedeutet weiter die vorherige Anerkennung ihres Resultats durch alle Besatzungsmächte. Falls diese Aufgabe für heute noch zu groß sein sollte, so könnte man doch vielleicht eine Probe aufs Exempel des guten Willens machen, indem man etwa für morgen in Berlin

die administrative Einheit

(Zustimmung.)

Das ist ganz einfach

stattfinden

zu

zu

wiederherstellt21).

machen:

man

braucht

nur

im Ostsektor die Wahlen

lassen, die in den drei Westsektoren stattgefunden haben22)!

(Lobe: Sehr richtig!)

Aspekte des Problems im Hinblick auf die Konferenz der Außenminister. Daneben gibt es einen inneren Aspekt, nämlich den, inwieweit das deutsche Volk selber an diesen Dingen mitzuwirken hat und mitwirken kann. Man braucht keine Werbung für den Einheitsgedanken in Deutschland. Die Deutschen leben insgesamt in diesem Gedanken abgesehen von einigen Interessenten und einigen Käuzen. Die Duodezseparatismen, die es da und dort Das, meine Damen und Herren, sind die

-

18) Zum Ruhrstatut siehe Dok. Nr. 2, Anm. 69. 19) Konzentrationslager in SBZ siehe Anm. 31. 20) Uranbergwerke in der SBZ siehe Dok. Nr. 7, Anm. 29. 21) Die administrative Einheit von Berlin war im Verlaufe des Herbstes und Winters 1948 auseinandergebrochen. Vgl. die Chronologie in: Berlin. Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung 1946-1948, passim. Schlegelmilch: Hauptstadt, S. 95 ff. 22) Zu den Wahlen in Berlin siehe ebenda, S. 344 ff. 512

Zehnte

geben

Sitzung des Plenums 8. Mai

mag, sind Lächerlichkeiten, die bald

an

sich selber

1949

krepiert

Nr. 10 sein

wer-

den.

(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)

Man braucht auch in Deutschland keine öffentliche Meinung herzustellen, etwa durch Kongresse und ähnliches; sie sind völlig überflüssig. Man braucht auch nicht Konventikel sogenannter Persönlichkeiten zusammentreten zu lassen, um den Weg für die deutsche Einheit hei zu machen. Herr Nadolny23) und seine Gäste haben unser Mitleid erregt, sonst nichts.

(Sehr gut!)

Bemühungen dieser Herrschahen nicht sehr viel Neues, aber viel Altes, nämlich die etwas epigonenhahe Neuaufwärmung der russischen Erinnerungen der preußischen Tradition des letzten Jahrhunderts. (Renner: Da gibt es auch etwas, das heißt Rapallo!)24) Ja, ich weiß. (Renner: Das hat uns einmal die Tür zur Freiheit aufgemacht!) Das hat insbesondere unserer Reichswehr die Möglichkeit gegeben, sich in Rußland25) ausbilden zu lassen. (Heiterkeit. Renner: Das war ja Ihre Reichswehr!) Aber die Ausbilder waren Ihre LeuteWir fanden in den

-

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Botschafter in Rußland, hatte bereits in Bonn Adenauer empfing ihn nicht, gesucht; Gesprächskontakte Carlo Schmid wechselte lediglich „ein paar Höflichkeitsphrasen" (Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. vom 10. Jan. 1949, Z 12/120, Bl. 20). Mitte März 1949 hatte er dann in Bad Godesberg einen Kreis führender Persönlichkeiten zu einer Gesprächsrunde zusammengeführt, weil der Eindruck entstanden sei, daß der Wille zur Einheit Deutschlands im Westen erschlafft sei und damit die Teilung Deutschlands zu einem Dauerzustand werden könnte. Teilnehmer waren Dr. Hermes, Dr. Pünder, Dr. Erhard, der frühere Botschafter von Prittwitz und Gaffron, der frühere MinPräs. Steltzer, der Leiter des Zweizonen-Flüchtlingsamtes Dr. Schreiber, Hermann J. Abs und Gertrud Bäumer. Das Gespräch wurde geheimgehalten und seitens der Leitung der CDU Adenauer hatte nach einer Aussage Blankenborns von dem Vorhaben vorher nichts erfahren abgelehnt. Nadolny sprach auch mit Botschafter Murphy. Siehe den ausführlichen Bericht der ASt Bad Godesberg des BdMinPräs. in: Z 12/122, Bl. 181-185. Unterlagen im OMGUS-Bestand: Z 45 F-3/162-3, folder 9. Seine Bemühungen fanden ein intensives kritisches Echo durch die Neue Zeitung in der Ausgabe vom 17. Febr. 1949 (S. 2): Nadolny zwischen Ost und West, sowie Ausgabe vom 19. März 1949, S. 7, wo er

23) Rudolf Nadolny (1873-1953),

Anfang Jan.

1933 deutscher

1949

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„Kopf der Woche" präsentiert wurde. Rapallo-Vertrag wurde am 16. April 1922 während der Weltwirtschaftskonferenz von Genua mit Rußland abgeschlossen und betraf vor allem wirtschaftliche Fragen: Verzicht auf die Erstattung wirtschaftlicher und militärischer Kriegsschäden, Meistbegünstigung im Handel. Zugleich wurden mit der Sowjetunion diplomatische und konsularische Beziehungen aufgenommen. Dies bedeutete für das bolschewistische Sowjetrußland eine internationale Aufwertung. Die wirtschaftlich motivierte Verständigung wurde im Westen in der Folgezeit häufig als Geheimpolitik mystifiziert. Karl Dietrich Erdmann: Deutschland, Rapallo und der Westen. VZG 11, 1963, S. 105 ff. als

24)

Der

mit Rußland siehe Olaf Groehler: Selbstmörderische Allianz. Deutsch-russische Militärbeziehungen 1920-1941. Berlin 1992; Manfred Zeidler: Reichswehr und Rote Armee 1920-1933. Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit. Beiträge zur Militärgeschichte Bd. 36. München 1993.

25) Zur Zusammenarbeit der Reichswehr

513

Nr. 10

Zehnte

Sitzung des Plenums

8. Mai 1949

(Renner: Ich habe schon geistreichere Ausführungen von Ihnen gehört als den blöden Witz, den Sie sich geleistet haben!) Eine andere Frage ist, ob nicht eine gemeinsame Kundgebung der demokratisch legitimierten Vertreter des deutschen Volkes in allen Zonen eine nützliche Sache sein könnte. Ich glaube, ja: sie könnte schon eine nützliche Sache sein.

Und nun komme ich zu der Einladung, die Sie, Herr Kollege Renner, uns an Stelle des Telegraphenboten freundlicherweise übermittelt haben. (Renner: Sie haben ja wohl eine andere bekommen. Heiterkeit.) Sehen Sie, zuerst habe ich mich gewundert, daß der Deutsche Volksrat26) und auch Sie, die Sie uns immer die Spalter und die Knechte des amerikanischen Monopolkapitalismus genannt haben, uns einladen. Wollen Sie sich wirklich mit uns Verbrechern gemeinsam an einen Tisch setzen? -

(Heiterkeit.) Aber offenbar ist das Maß

an patriotischer Selbstverleugnung, das Sie aufzuHerr Renner, recht groß. (Heiterkeit. Renner: Wenn Sie morgen die Gouverneure behagen, und diese befehlen, fahren Sie übermorgen hin. Sie brauchen nur einen Befehl von dem Herrn Gouverneur, wo der sie hinschickt.)

bringen vermögen, -

Ich habe ihn noch nicht bekommen. (Renner: Aber Sie kriegen ihn eventuell, lieber Freund! Dann legen Sie die Hände an die Hosennaht, wie Sie es seit acht Monaten getan haben. Von Sozialist wage ich gar nicht zu reden.) Bei uns in Schwaben sagt man: „Wetten, daß nicht?"27) Nun kehren wir zu Ihrer Einladung zurück. Auf diese Einladung hin muß man sich doch wohl die Frage vorlegen, ob die Mitglieder dieses Volksrates demokratisch legitimierte Vertreter des deutschen Volkes im Osten sind, genauer gesagt, ob sie dessen Wünsche, Forderungen und Vorstellungen zum Ausdruck bringen oder nicht. (Sehr gut! bei der SPD.) Ich bin überzeugt, daß in diesem Gremium mancher Mann guten Willens zu finden ist. Aber die Einrichtung als solche ist doch nichts anderes als eine Organisation zur Verwirklichung einer sehr bestimmten Politik, die nicht die unsere ist, sondern jene, für deren Verwirklichung Herr Oberst Tulpanow28) seinen Wehrsold in Deutschland bezieht. -

-

(Heiterkeit.) Und das Deutschland, das nach diesen Vorstellungen geschaffen werden soll, ist ein Deutschland, das wir nicht wollen, so wenig wie Jan Masaryk29) die

') Deutscher Volksrat siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. ) In der Vorlage handschr. korrigiert aus „wen das". ) Oberst Sergej I. Tulpanow (*1902), sowjetischer General, 1945-1949 Chef der Informationsabteilung der SMA. Erinnerungen von ihm erschienen unter dem Titel: „Erinnerungen an deutsche Genossen". Berlin, Weimar 1984. ') Jan Masaryk (1886-1948), Sohn des ersten tschechoslowakischen Staatspräsidenten, von

Juli

1940 bis zu seinem Tode Außenminister 1945 im Exil.

514

der tschechoslowakischen

Republik;

bis

Zehnte

Sitzung des Plenums 8. Mai

1949

Nr. 10

Tschechoslowakei wollte, die Herr Gottwald30) zu schaffen den Auftrag bekomhatte. (Löbe: Sehr gut!) Wir wollen nicht ein Deutschland, in dem Buchenwald31) sich wieder mit Hählingen füllt. Wir wollen nicht ein Deutschland, in dem man unsere Jugend unter die Erde schickt, damit sie Uran für Atombomben32) graben soll. Wir wollen nicht ein Deutschland, in dem das Regime der Blockwalter zur Bespitzelung der Bevölkerung neu geschaffen wird. Wir wollen nicht ein Deutschland, in dem die Polizei, wenn auch unter dem etwas lyrischen Namen „Volkspolimen

zei",

(Heiterkeit.)

allmächtig ist. Und wir wollen nicht ein Deutschland, in dem es politisch nur eine Einheitsmeinung in einer Einheitspartei geben darf. Potsdam-Preußen war keine gute Sache für unser Volk. Wir möchten nicht, daß es abgelöst wird

durch ein Weil wir

Karlshorst-Deutschland33).

Leuten

machen, die

aber nichts davon versprechen, eine gemeinsame Aktion mit nur formal das gleiche Ziel haben wie wir, die Einheit Deutschlands, die aber sehr andere Vorstellungen über das haben, was diese Einheit Deutschlands beinhalten soll, deswegen wollen wir mit dem Volksrat nichts zu tun haben. Wir möchten nämlich weder die Partei der einen Besatzungsmacht sein, Herr Renner, noch die der anderen Besatzungsmächte. Wir glauben, die Deutschen im Osten werden es uns danken, daß wir uns weigern, seiner ihm aufgezwungenen Staatspartei eine Potemkinsche Fassade zu liefern, hinter der man, für eine Weile wenigstens, verbergen möchte, was man im letzten will. Wenn wir im Westen uns auf Unternehmen einließen, deren Zweck in so eindeutiger Weise ist, das Regime im Osten Deutschlands in dem Europa, dessen Leistungen man braucht, hoffähig zu machen unsere Brüder zu

uns

-

30) Klement Gottwald (1896-1953), tschechischer Kommunist, nach dem Staatsstreich

vom

Febr. 1948 Staatspräsident. 31) Informationen über Sowjetische KZ's in Deutschland gelangten im Jan. 1949 unter anderem durch die von der US-Militärregierung herausgegebenen Neue Zeitung an die breite Öffentlichkeit. Ein Artikel von Rainer Hildebrandt: „Nicht zum Arbeiten, zum Sterben hier." Die Geschichte der sowjetischen KZ's in Deutschland, sprach von insgesamt 260 000 Betroffenen (Neue Zeitung vom 8. Jan. 1949, S. 7). Die dortigen Verhältnisse wurden insbesondere von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit in der Öffentlichkeit angeprangert. Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948-1959. München 1987. Als zeitgenössische Publikation siehe Hermann Just: Die sowjetischen Konzentrationslager auf deutschem Boden 1945-1950. (Berlin) 1950. Ehemalige Häftlinge richteten unter dem 15. Mai 1949 eine Eingabe „an den Rat der Außenminister in Paris", in der sie die Verhältnisse in den Lagern kurz schilderten. „Im Namen der Menschlichkeit und namens der noch Inhaftierten fordern wir für die Gefangenen menschenwürdige Lebensverhältnisse, die Freilassung aller unschuldig Inhaftierten, gerechtes, öffentliches Gerichtsverfahren und ausreichende Verteidigungsmöglichkeit und für alle Gefangenen das Recht, mit den Angehörigen in Verbindung zu treten" (Z 45 F 3/161-2, folder 20; Abdr. bei Merz a. a. O., S. 63). 32) Zum Uranbergbau in der SBZ siehe Dok. Nr. 7, Anm. 29. 33) Karlshorst, ein Ortsteil von Berlin, war Sitz der Sowjetischen Militäradministration. 515

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haben, daß schon einmal in Deutschland ein durch den Umgang der Demokraten hoffähig gemacht worden ist, würden die letzte Hoffnung verlieren, daß auch ihnen einmal wieder ein Leben in der Freiheit und ein Leben frei von Furcht blühen könnte. Dieses Ziel, meine Damen und Herren, würden wir durch nichts mehr gefährden, als wenn wir ihnen sagten: die Abgesandten jener, unter denen ihr leidet, sind Leute, die das gleiche wollen wie wir. Wir wollen unsere Landsleute im Osten nicht enttäuschen und darum, Herr Renner, sagen wir nein! im Osten, die nicht vergessen

Zwangsregime

(Lebhaher Beifall.) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Reif. Dr. Reif (FDP): Meine Damen und Herren! In wenigen Stunden wird das Hohe Haus ein Werk abgeschlossen haben, von dessen Vollendung sich alle guten Krähe dieser Welt den Ausgang einer glücklicheren Zukunh unseres Volkes

versprechen.

(Renner: Nach Carlo soll es nur ein paar Tage Lebensdauer haben!)34) In dieser Stunde wird uns von der kommunistischen Fraktion die Entscheidung über einen Antrag vorgelegt, bei dem es nicht um Opportunismus und Zweckmäßigkeit gehen darf, sondern bei dem es sich darum handelt, ob wir in derselben Stunde, in der wir den ersten Schritt des deutschen Volkes zur Demokratie wagen, die Demokratie Lügen strafen wollen. Seit vier Jahren werden über 20 Millionen Menschen in Mitteldeutschland in der Verwaltungsmaschine eines raffinierten Polizeistaates im Sinne einer Politik ausgerichtet, die keine deutsche Politik und keine europäische Politik ist. Wir in Berlin, die wir die Freiheit haben, gegen diese Maschine und ihre Absichten zu protestieren, wir wissen, daß der waffenlose Widerstand der Berliner Bevölkerung gegen das gleiche Ansinnen Hoffnung jener 20 Millionen Menschen in Mitteldeutschland ist. Wenn wir jetzt sagen können, daß dieser waffenlose Widerstand zum Erfolg geführt hat, so hat sich mit diesem Erfolg eine Hoffnung der Menschen in der sowjetischen Besatzungszone erfüllt. Unsere Niederlage, Herr Renner, wäre Anlaß zur Verzweiflung von Millionen Menschen gewesen.

In diesem

steht der Parlamentarische Rat vor der Frage, ob er einer des Deutschen Volksrats35) Folge leisten soll oder nicht. Es ist von Einladung den Kollegen, die vor mir gesprochen haben, schon auf die fragwürdige demokratische Legitimität dieses Volksrats hingewiesen worden. Ich möchte ganz kurz sprechen, meine Damen und Herren. Enttäuschen Sie nicht die 20 Millionen Menschen in Mitteldeutschland, die von Ihnen in dieser Frage ein Nein erwarten! Genau so wie wir während des Dritten Reiches mit Angst, mit Sorge, mit Verzweiflung gesehen haben, wie die großen Mächte der Welt in den Augen vieler Deutscher das Gewaltregime zu bestätigen schienen, genau so warten die Menschen jetzt im Osten darauf, welche Entscheidung hier gefällt wird, ob wir denen die Hand reichen, die für sie nichts anderes als Handlanger

Augenblick

) Anspielung auf Carlo Schmids These

vom

provisorischen Grundgesetz.

scher: Carlo Schmid und die Gründung der Bundesrepublik, passim. ) Zur Einladung des Deutschen Volksrates siehe Dok. 9, Anm. 146. 516

Gerhard Hir-

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Mai 1949

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der

die Unterdrücker selbst. In dieser EntscheiIch weiß, daß der Weg unseres Volkes zur Einheit und Freiheit ein sehr schwerer Weg ist. Er wird nicht mit Erfolg beschritten, wenn billiger Opportunismus an seinem Ausgangspunkt steht. Meine Damen und Herren! Auch die Demokratie hat ihr moralisches Gesetz und ihren moralischen Kredit. Um den geht es, wenn wir über den Antrag Renner entscheiden. Deshalb kann unsere Entscheidung nur nein lauten.

Unterdrückung, wenn nicht gar dung kann es nur ein Nein geben.

(Beifall.)

Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Renner sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir kommen zum zweiten Punkt der Tagesordnung: -

-

[3. ENTWURF EINES GRUNDGESETZES FÜR DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND, DRITTE LESUNG] FASSUNG DER ZWEITEN LESUNG (DRUCKSACHE NR. 88336)) -

[3.1. Allgemeine Aussprache] Wir treten in die allgemeine Aussprache ein. Das Wort hat Herr Dr. Lehr. Dr. Lehr (CDU): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube in Ihrem

Sinne

zu

handeln,

Tagesordnung

wenn ich mich jetzt der engeren Aufgabe unserer heutigen zuwende und mich dabei im Rahmen der vereinbarten Zeit hal-

te.

der Bundesrepublik Deutschland tauchte zunächst die inwieweit der Tatsache Rechnung zu tragen sei, daß dieser zu schaffenden Organisation eines Bundesstaates nicht die volle Souveränität gegeben werden konnte. Sollte das Staatsfragment trotzdem auf dem Gebiet der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung so ausgestattet werden, daß es echtem staatspolitischen Handeln Raum gab und künftiger Souveränität genügende Unterlage schuf? Wir alle, die wir positiv zur Aufgabe eingestellt waren, haben uns bemüht, das Haus, das wir bauten, so wohnlich einzurichten, wie es möglich war, und es nach innen und nach außen mit den Einrichtungen zu versehen, mit denen ein Volk selbständig leben, seine Wirtschah und seine Kultur günstig aufwärtsentwickeln kann. Sicherungen für dieses Ziel konnten wir freilich nicht schaffen. Wir müssen vertrauen, daß die für uns in Frage kommenden Siegermächte zugleich unsere Schutzmächte sind und daß die Aufnahme in die europäische Völkerfamilie den gegebenen Sicherheitsrahmen für uns darstellt. Wir waren uns noch über ein Weiteres klar. Wir waren uns bewußt, daß die Organisation, die wir schufen, von größter Bedeutung ist für das ganze GesetzBei der

Ausgestaltung

Frage auf,

883: Entwurf des Grundgesetzes in der Fassung der 2. Lesung des Pari. Rates, Stand: 6. Mai 1949. Anders als bei den sonstigen Drucksachen des Pari. Rates, die lediglich hektographierte Vervielfältigungen waren, wurde diese Fassung bereits als echter Druck hergestellt.

') Drucks. Nr.

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und insbesondere für den Abschnitt I des Grundgesetzes und die in ihm verankerten Grundrechte; denn die Organisation eines Bundesstaates soll in erster Linie den einzelnen Staatsbürger in seinen Rechten und vor allem in seiner persönlichen Freiheit sichern. Sie soll auf der anderen Seite gleichzeitig der Gesamtheit für die Aufwärtsentwicklung auf allen Gebieten des wirt-

gebungswerk

schaftlichen, kulturellen und verfassungsmäßigen Lebens den erforderlichen

Spielraum geben.

Wir waren uns in den aufbauwilligen Parteien darüber einig, den Parlamentsabsolutismus nach volksdemokratischem Muster abzulehnen, an dem Grundsatz der Gewaltenteilung festzuhalten und das Prinzip der Polarität der politischen Kräfte überall da, wo es am Platze war, zum Ausdruck zu bringen. Deshalb bestand bei uns von Anfang an Einmütigkeit darüber, daß wir eine Zweite Kammer zu schaffen hatten, ein echtes Bundesorgan und gleichzeitig das Mitsprache-Organ der Länder als föderativen Ausdruck des Länderwillens neben dem Bundestag. Unser Bundestag ist im wesentlichen das, was der frühere Reichstag gewesen ist: er ist der eigentliche Repräsentant der deutschen Demokratie. Er geht hervor aus allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen. In seinen Grundbestimmungen war er bei den ganzen Verhandlungen überhaupt nicht umstritten. Schwierigkeiten, die sich dabei ergaben, lagen allein in dem Wahlsystem, für das aber ein besonderes Gesetz in Frage kommt. Ebenso gehört in diese Organisationshage nicht das Problem der Stellung der politischen Parteien, die wir dafür in dem Abschnitt „Der Bund und die Länder" in dem Ihnen allen vertrauten und geläufigen Artikel 21 behandelt haben. Ich sagte vorhin schon: der Bundesrat ist das förderative zweite Organ. In dem Entwurf ist ihm nur verhältnismäßig wenig Raum gegeben, ausschließlich in den vier Artikeln 50 bis 53. Aber wenn Sie das Verfassungswerk studieren, werden Sie in einer ganzen Reihe von Verfassungsbestimmungen an anderen Stellen wichtige Verankerungen seiner Funktionen finden. Ich darf der Kürze halber nur erwähnen den Abschnitt „Die Gesetzgebung des Bundes", Artikel 77 ff, den Abschnitt „Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung", Artikel 83 ff. und vor allen Dingen auch in dem Abschnitt „Finanzwesen" den wichtigen Artikel 106 und die ihm folgenden. Quer durch alle Fraktionen hindurch ging der Meinungsstreit, ob wir das Bundesrats- oder das Senatsprinzip zu wählen hatten. Der Senatsgedanke, der an hervorragende ausländische Vorbilder anknüpfen kann, findet sich bereits in der Reichsverfassung von 1849. Auch der Bundesrat hat eine Tradition vom mittelalterlichen Reichstag bis zum Reichsrat der Weimarer Verfassung. Bei uns in Deutschland haben die Territorialgewalten immer den Willen gehabt, an der Bildung des gesamtstaatlichen Willens teilzunehmen. Es wäre auch falsch, die Länderregierungen, die eine politische Macht in Deutschland darstellen, von der aktiven Mitwirkung im Bund auszuschließen. Das Senatsprinzip stellt im Gegensatz zum Bundesrat, der sich aus weisunggebundenen Mitgliedern der Länderegierungen zusammensetzt, den von der Staatsbürokratie unabhängigen Bürger dar. Es stellt den älteren Staatsmann in den Vordergrund, der nach seiner gesamten Persönlichkeit, seinen Leistungen und Erfahrungen in die hö518

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here Ebene des Senats gesandt wird. Die Befürworter dieses Sytems, zu dem ich mich selbst bekenne, sahen in ihm eine wesentliche und vorteilhahe Erneuerung des politischen Lebensstils und eine sehr günstige Förderung und Reform des Parteiwesens. Gegen das Bundesratsprinzip sprach zudem ein bedeutsames staatsrechtliches Argument; denn die Landesregierungen haben nur Exekutiv-, aber keine Legislativbefugnisse, und ihre Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung läßt sich systematisch kaum rechtfertigen. Sie nehmen neben bedeutsamer Mitwirkung an der Gesetzgebung in sehr starkem Maße an der Verwaltung des Bundes teil. Der jetzt zu schaffende Bundesrat hat im Normalfall nur ein Einspruchsrecht; ich zitiere den Artikel 77. Aber dieses Einspruchsrecht wiegt schwer, zumal ein im Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit beschlossener Einspruch im Bundestag auch nur durch eine Zweidrittelmehrheit, mindestens aber durch die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags zurückgewiesen werden kann; das ist der Artikel 77 mit seinem außerordentlich wichtigen Absatz 4. Der Aushöhlung der Länderrechte, die von manchen Seiten besorgt war, sind weitere wirksame Riegel neben dieser Bestimmung vorgeschoben. Wo Länderinteressen stark berührt werden, wie zum Beispiel bei Bundesgesetzen über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder Gemeinden ganz oder zum Teil zufließen, ist die Zustimmung des Bundesrats vorgeschrieben; Artikel 106. Verfassungsänderungen bedürfen stets einer qualifizierten Mehrheit. Die Gesetzesinitiative steht dem Bundesrat unbeschränkt zu, genau wie dem Bundestag. Ich verweise ferner hier, ohne Einzelheiten zu erwähnen, auf die Mitwirkung beim Gesetzgebungsnotstand. Immerhin, wenn ich das Gesamtresultat betrachte, muß ich bekennen, daß ein reiner Bundesrat nicht geschaffen ist, weil die volle Gleichberechtigung mit dem Bundestag leider nicht erreicht werden konnte. Das ist besonders durch den Wegfall des früheren Artikel 105 deutlich geworden, dessen großen Katalog von 13 einzelnen Vorschriften Sie alle noch im Gedächtnis haben. Damals waren in allen diesen Punkten übereinstimmende Beschlüsse beider Häuser

vorgesehen. Auch ein

gemischtes System,

um das wir lange gerungen haben, bei dem der Länderregierungen ebenso wie Abgeordnete der Landtage vertreten sein sollten und das in zwei Kurien bundesrätlicher und senatorialer Prägung trotzdem einheitlich die Zweite Kammer verkörpern sollte, hat sich nicht durchsetzen lassen. Ein kurzes Wort über die Stellung des Bundespräsidenten. Das Grundgesetz hat keinen starken Präsidenten im Sinne der Weimarer Verfassung vorgesehen, sondern hat den Präsidenten mehr auf repräsentative Funktionen beschränkt. Es wäre aber falsch, zu sagen, der Bundespräsident soll nur repräsentative Funktionen haben. Wir sind immer bestrebt gewesen, das parlamentarische System zu verbessern. Deshalb haben wir eine Möglichkeit geschaffen, in Konflikten zwischen Regierung und Parlament einen ehrlichen Makler einzusetzen, ein Pouvoir neutre. In dieser Eigenschah kann der Bundespräsident sehr wesentlich beim Gesetzgebungsnotstand mitwirken, wie ihn Artikel 81 vorsieht. Er kann unter bestimmten Voraussetzungen auch den Bundestag auflösen, wie es die

Abgeordnete

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Artikel 63 und 68 vorsehen. Außerdem steht ihm das Vorschlagsrecht für den Bundeskanzler und dessen Ernennung nach seiner Wahl zu. Mit dieser Charakterisierung der Stellung des Bundespräsidenten kann ich diesen Punkt verlassen und mich dem eigentlichen Kernstück demokratischer Verfassung zuwenden: der Bundesregierung. Die Regierungsform ist das Wesentliche, und die Frage der Bildung der Regierung und des Maßes ihrer Abhängigkeit von der Volksvertretung und den übrigen obersten Organen ist das Kernstück. Hier haben wir in allen politischen Lagern, die zu unserer Arbeit positiv eingestellt waren, eine gewisse Übereinstimmung feststellen können. Wir haben gemeinsam nach neuen Konstruktionen gesucht, um zu vermeiden, daß eine solche Häufung von Regierungsstürzen oder Regierungsumbildungen wie in der Weimarer Zeit sich wiederholen könnte. Das Mittel glauben wir in dem sogenannten positiven Mißtrauensvotum des Artikel 67 gefunden zu haben. Es bedeutet, daß ein Mißtrauensvotum stets mit der Benennung eines Nachfolgers des Bundeskanzlers verbunden sein muß und daß die parlamentarischen Spielregeln, wenn sie infolge einer Obstruktion im Hohen Hause versagen, vorübergehend auch durch eine Minderheitsregierung mit einem starken Kanzler ersetzt werden können. Dieses positive Mißtrauensvotum ist auf den Bundeskanzler beschränkt, der die Richtlinien der Politik zu bestimmen hat. Es kann nicht auf ein beliebiges Kabinettsmitglied angewendet werden. Wollte man beim positiven Mißtrauensvotum einer Parlamentsmehrheit gestatten, einen einzelnen Minister aus dem Kabinett ich gebrauche das Wort „herauszuschießen" und dabei zugleich einen Nachfolger zu präsentieren, dann würde man zwangsläufig die Homogenität des Kabinetts sprengen. Die herausgehobene Stellung des Bundeskanzlers soll die einzelnen Minister aber nicht etwa zu Staatssekretären bismarckscher Prägung werden lassen, sondern innerhalb der Regierungsrichtlinien, die der Bundeskanzler zu bestimmen hat, leitet jeder Bundesminister seinen Geschähsbereich selbständig. Es gilt das Kollegialprinzip bei Regierungsbeschlüssen, zum Beispiel beim Erlaß von Verordnungen und in der Gesetzesinitiative, ebenso aber auch bei der Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedern des Kabinetts selbst. Damit möchte ich, um im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Zeit zu bleiben, diese wenigen charakteristischen Betrachtungen zu dem Gesamtwerk abschließen und sagen: Wenn auch im Entwurf noch manche Modernisierung des Parlamentarismus und demokratischer Formen, die zu wünschen gewesen wäre, nicht durchgeführt worden ist, so ist das Ganze doch eine sorgfältig durchdachte Gesetzesarbeit. Ich glaube, daß sie es dem deutschen Volk ermöglichen wird, in freiheitlichen, in demokratischen und in republikanischen Formen sich den Weg in eine glücklichere Zukunft zu bahnen und als ein gleichberechtigtes und geachtetes Volk in der Gemeinschah der Kulturvölker der Welt an der gemeinsamen Wohlfahrt und der Aufwärtsentwicklung der Kultur mitzuhelfen. Dazu verhelfe uns Gott! (Lebhafter Beifall bei der CDU.) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Menzel. -

520

-

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Dr. Menzel (SPD): Meine Damen und Herren! Wir schreiben heute den 8. Mai 1949. Vor genau vier Jahren wurde die bedingungslose Kapitulation unterschrieben37). An jenem Tage endete eine Zeit des Terrors, der menschlichen Erniedrigung und der deutschen Demütigung. Tief, sehr tief war Deutschland seit 1933 gefallen. Auch heute und auch an dieser Stelle wollen wir klar die

des Nationalsozialismus betonen für das, was geschah, und daß schuld ist an dem Unglück, das über Deutschland und die Welt kam. Am 9. Mai 1945 begann ein neuer Abschnitt unserer Geschichte. Blicken wir auf diese vier Jahre zurück, so müssen wir uns gestehen: Wir begannen den 9. Mai 1945 mit einer Fülle von Hoffnungen, aber viele dieser Hoffnungen wurden zerstört durch fast ebenso viele Enttäuschungen, (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Enttäuschungen vor allem darüber, daß es nicht möglich war, in Deutschland Demokratie zu erleben, daß wir uns darauf beschränken mußten, Demokratie nur zu lehren und darüber zu theoretisieren, sie aber nicht in der täglichen Praxis unseres Verfassungslebens und unseres politischen Lebens zu erproben. Fast vier Jahre dauerte es, ehe die Deutschen wenigstens hier im Westen die Chance bekamen, in einem über die hüheren Provinzen und Länder hinausgehenden Bereich neu aufzubauen. Ausgangspunkt unserer Arbeit, die im September des Vorjahrs begann, war, durch ein Grundgesetz eine einheitliche Organisation Westdeutschlands zu schaffen, das heißt, den Grad von verfassungsmäßiger Verwaltung für dieses Gebiet zu erreichen, den wir Deutsche heute unter einer Besatzung überhaupt erreichen können. Wegen der fehlenden Souveränität mußte die Schaffung einer Verfassung im althergebrachten Sinne unterbleiben; dies auch um deswillen, weil das, was dereinst östlich der Oder und Neiße wieder deutsch sein wird, vorläufig noch fehlt und weil Millionen Deutsche der Ostzone bei unserem Beginnen zwangsweise abseits stehen müssen. Leider entstand im Laufe der Verhandlungen hier in Bonn immer mehr der Drang zum Perfektionismus, der Drang, eine Vollverfassung zu schaffen. Wir Sozialdemokraten haben das bedauert. So wird durch den Zwang unserer Situation über manchem Kapitel leider stehen: Mehr Schein als Sein. Für uns Sozialdemokraten kam noch ein weiterer Ausgangspunkt hinzu, das war die Anerkennung des Grundsatzes, daß das, was zu schaffen war, nicht auf einem neuen Bündnis heier deutscher Länder beruhte, daß Deutschland vielmehr als ein bereits bestehendes Staatsgebilde anerkannt wurde und die Weimarer Verfassung als letzte deutsche Klammer trotz der Zeitereignisse nicht vernichtet war. Ohne die Anerkennung auch dieses Ausgangspunktes wäre für uns eine gedeihliche Mitarbeit an diesem Grundgesetz wohl kaum möglich

Verantwortung

nur er

gewesen. Das Dokument Nr. 1 der Londoner Konferenz38), das die Grundlage unserer Arbeit in Bonn gebildet hat, schreibt in Verbindung mit den späteren Erläute-

37) Zur Kapitulation 1945 siehe Dok. Nr. 2, Anm. 13. 38) Londoner Empfehlungen, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1,

S. 1 ff.

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rungen der Alliierten eine föderative Verfassung vor. Auch bei uns Deutschen bestand von Anbeginn der Arbeit an gar kein Zweifel darüber, daß wir den nationalsozialistischen Unitarismus nicht wiederholen konnten und daß wir von der Tatsache, die deutsche Republik werde sich aus einzelnen Ländern zusammensetzen müssen, auszugehen haben, ohne daß wir damit zugleich die Notwendigkeit anerkannten, die durch Jalta39) gezogenen Zonengrenzen, die lediglich militärischen Kompromissen ihr Dasein verdanken, verewigen zu müssen.

Trotzdem waren unsere Beratungen von einem tiefen, bedauerlichen Mißtrauen eben dieser Länder, deren Notwendigkeit von niemandem bestritten wurde, gegenüber dem künhigen Bunde begleitet. Leider tragen gerade daher jene Artikel, die sich mit dem Verhältnis Bund Länder befassen, sehr stark den Stempel des Kompromisses, und ich fürchte, daß dadurch manche Unklarheiten in das Gesetz hineingekommen sind und manche unnötige Streitigkeiten vor dem künhigen Verfassungsgericht entstehen werden. Bei der Debatte über den Sinn des deutschen Föderalismus wurde zumeist verkannt, daß der föderalistische Staat ein Produkt jenes Zeitalters ist, in welchem sich die Aufgaben des Staates wesentlich von jenen des heutigen unterschieden. Die Erweiterung des Rechts- zum Kultur- und Wohlfahrtsstaat geschah im gleichen Augenblick, in dem man von dem Staat eine Einschränkung seiner Tätigkeit forderte. Trotzdem nahmen die Aufgaben des Staates zu, und gerade sein Eindringen in die Wirtschahssphäre verschärfte den Druck zur -

Bildung größerer Einheiten, sei es geographisch, sei es zuständigkeitsmäßig. Es war allen Beteiligten klar, daß eine der wichtigsten Aufgaben darin bestand, in dem neuen Staatsaufbau das richtige Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und den Gliedstaaten hinsichtlich ihrer Aufgaben und Zuständigkeiten zu schaffen. Denn hierin liegt das Problem bei jedem Föderalismus, und dieser Kampf um die Aufgabenverteilung ist gerade in Deutschland schon seit dem Wiener Kongreß von 18 1 540) immer der empfindlichste Punkt unserer verfassungspolitischen Entwicklung gewesen. Aber wir mußten dafür sorgen, daß die staatliche Organisation Westdeutschlands mit der technischen, wirtschahlichen und kulturellen Entwicklung Deutschlands, aber auch Europas Schritt hält. Man kann vielleicht manchen Zweifel hegen, ob dies gelungen ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen recht kritischen Artikel verweisen, der vor einiger Zeit in einer westdeutschen Zeitung erschien und in dem

Professor Dr. Bühler41) unter anderem sagt: Es ist leider nicht zu verkennen, daß der Bonner Entwurf seine Herkunh von einem Gremium nicht verleugnet, das nicht aus Wahlen des deutschen Volkes

') Jalta siehe Dok. Nr. 1, Anm. 21. ') Der Wiener Kongreß (18. Sept. 1814-6. Juni 1815) bewirkte die Wiederherstellung des )

522

europäischen Staatensystems

nach den

napoleonischen Kriegen.

Es handelte sich um einen Artikel in der Rheinischen Post vom 9. April 1949 von Prof. Dr. Ottmar Bühler, in der Vorlage irrtümlich Bohler, (1884-1965), seit 1942 Professor für öffentliches Recht, insbes. Finanz- und Steuerrecht, an der Universität Köln, unter dem Titel „Deutsche Kleinstaaterei? Der Bonner Verfassungsentwurf und die Länder". Ausschnitt in: Z 5/194 F.

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Sitzung

des Plenums 8. Mai 1949

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hervorgegangen ist, sondern sich aus Delegierten der Landtage zusammensetzt, die begreiflicherweise der wichtigste Hort dieser Kleinstaaterei sind, und daß der Entwurf im übrigen die stärksten Einwirkungen von den Landesregierungen

bekommen hat, deren Leiter sich nacheinander ja immer wieder in Bonn einNiemand wird die Lösung dieser wirtschaftlichen Lebenshagen von fanden den Ländern erwarten, sondern nur von einem Gesamtstaat. Dafür ist aber der Gesamtstaat, wie ihn der Bonner Entwurf vorsieht, schlecht gerüstet. Es erhebt und erhob sich für uns Sozialdemokraten daher die recht bange Frage, ob die Organe, die wir in diesem Gesetz geschaffen haben Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung -, wirklich funktionsfähig werden können und ob die Verzahnung miteinander geglückt ist. Der Bundesrat ist zwar jetzt im wesentlichen auf ein reines Veto beschränkt, aber er hat doch in sehr vielen Fällen ein volles Recht der Zustimmung bekommen, und wir Sozialdemokraten haben die Befürchtung, daß in dieser Einschaltung des Bundesrats auf wichtigen Gebieten eine Hemmung für eine reibungslose Weiterentwicklung liegen könnte. Wir konnten uns mit dieser Einschränkung nur um deswillen einverstanden erklären, weil wir dafür auf anderen Gebieten bessere Lösungen fanden. Dazu gehört zum Beispiel auch, daß das Grundgesetz von den Gliedstaaten, aus denen sich der Bund zusammensetzt, eine Garantie für die Gesetzmäßigkeit ihrer Verwaltung und damit die Fundierung der Rechtsstaatsidee in den Länderverfasssungen fordert. Wir begrüßen vor allem, daß die politischen Parteien erstmalig in einer Verfassung genannt werden, daß man den Mut hat, die im politischen Leben seit je bei den Parteien effektiv liegende Macht anzuerkennen und sie verfassungsmäßig zu garantieren, aber mit der Garantie, die Möglichkeiten einer Kontrolle über einen wirklich demokratischen Aufbau dieser Parteien zu verbinden, ohne daß diese Kontrolle zu einer Einengung des politischen Lebens hihren darf. So haben wir in der zweiten Lesung des Plenums dem Antrag zugestimmt, der verlangte, daß die Parteien verpflichtet sein sollen, ihre Finanzgebarung jederzeit offenzulegen, damit jeder Deutsche wissen kann, woher die politischen Parteien ihre Einkünfte beziehen. Aber es ist klar, daß auch für die Parteien das gelten muß, was nach dem Grundgesetz künftig für jeden einzelnen Staatsbürger zu gelten hat: daß er sich auf die Rechte der Demokratie nicht berufen darf, wenn er diese Demokratie bekämph oder beseitigen will. Wir haben auch das begrüßen wir den Artikel 48 der Weimarer Verfassung über das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten beseitigt und hoffen, daß durch das vom Herrn Kollegen Dr. Lehr hier dargestellte System des qualifizierten und des konstruktiven Mißtrauensvotums eine genügende Stabilität der künhigen Regierungsgewalt garantiert sein wird. Meine Damen und Herren! Einer der neuralgischen Punkte, vielleicht sogar der empfindlichste Punkt unserer Beratungen waren die Fragen der Finanzen; denn die Form und der materielle Inhalt des föderativen Aufbaus eines Staates werden wesentlich gestaltet durch die Zuständigkeit bei den Finanzen. Der erste Ausgangspunkt für uns mußte sein, die Lastenverteilung zwischen Bund .

.

.

-

-

-

523

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und Ländern zu regeln. Es war klar, daß die riesigen Lasten der Kriegsfolgen, sei es der inneren oder äußeren Besatzungskosten, von dem Bunde zu tragen sind. Zweiter Ausgangspunkt für uns und gerade für uns Sozialdemokraten war die Erkenntnis der Notwendigkeit, die deutsche Armut überall gleichmäßig zu erfassen und ihr überall gleichmäßig zu steuern, soweit das in einem so zerstörten Lande überhaupt noch möglich sein kann. Daß auf diesem Gebiet Vereinbarungen zwischen den Ländern untereinander nicht möglich sind, hat wohl am besten die Tatsache bewiesen, daß selbst in der Bizone die Länder vor einigen Wochen sich nicht über einen freiwilligen Finanzausgleich einigen konnten. Wir glauben überdies, daß in einem gesunden Finanzausgleich(Dr. Strauß: Im Finanzrat42) ist man zu einer Einigung gekommen!) Herr Kollege Dr. Strauß, die Tatsache, daß es nicht zu einer Vereinbarung gekommen ist, beweist, daß, wenn nicht einmal acht Länder sich einigen können, es unmöglich sein wird, die deutsche Wirtschah auf der Hoffnung aufzubauen, daß elf Länder sich einigen. Wir glauben überdies, daß in einem gesunden Finanzausgleich eine starke Stütze des Föderalismus liegen kann. Würde der Bund nicht durch finanzielle Hilfe zugunsten leistungsschwacher Länder, die wir nun einmal haben, sorgen können, dann würden diese Länder zu einem Zusammenschluß geradezu drängen, sie würden dazu drängen, ihre Aufgaben dem leistungsfähigeren Bunde zu übertragen. Gerade dadurch würde ein starker Zug zum Unitarismus entstehen. Wie wichtig diese Fragen sind, können Sie aus einem Vorschlag des Länderrates von Mitte März43) dieses Jahres entnehmen, in dem auf Wunsch Bayerns angeregt wird, daß Bayern aus den Gesamteinnahmen der Bizone einen jährlichen Zuschuß von 283 Millionen Mark erhalten solle. Überdies brachten die Besatzungsmächte selbst durch ihr Dokument Nr. 2 über die Neuordnung der Ländergrenzen44) zum Ausdruck, daß die gegenwärtigen Ländergrenzen geändert werden müßten, weil die heutigen Länder zum Teil finanziell viel zu schwach seien, um lebensfähig bleiben zu können. Ich darf dabei auch daran erinnern, daß es die britische Militärregierung war, die für ihren Besatzungsbereich bis zum 31. März vorigen Jahres einen Finanzausgleich unter den Ländern der britischen Zone angeordnet hatte und daß in dem Augenblick, als dieser Finanzausgleich aufgehoben wurde, das Elend vor allem in dem mit Flüchtlingen überfüllten Land Schleswig-Holstein entstand. Darüber hinaus hat der Finanzausgleich seit jeher noch eine weitere Aufgabe und soziale Funktion gehabt. Wenn ich nicht irre, fließen zur Zeit rund 45 Prozent des deutschen Gesamteinkommens als Steuern und Abgaben aller Art wieder in die öffentliche Hand. Damit wird die Steuerpolitik und die Art der Verteilung der Steuern zu einem wesentlichen Faktor auch der allgemeinen -

42) Der Gemeinsame Deutsche Finanzrat wurde aufgrund eines vorläufigen Abkommens der Finanzminister der Länder der amerik. und brit. Zone vom 13. Sept. 1946 tätig. Walter Vogel: Westdeutschland 1945-1950, Teil III, S. 91 ff. *3) Zum Gesamtproblem siehe Akten zur Vorgeschichte Bd. 5 passim, insbes. S. 401 ff., zum

Ausgleichsplan

44) Frankfurter Dok. 524

der Finanzminister S. 402, Anm. 17. Nr. II, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 32 f.

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vor allem auch, worauf wir Sozialdemokraten besonderen Wert der legen, Sozialpolitik. Hatte das Schwergewicht in den Debatten bis zur dritten Lesung des Hauptausschusses auf dem Gebiet der Finanzverwaltung beruht, so mußte, nachdem der Bund durch den Wegfall einer umfangreichen Bundes-Finanzverwaltung erheblich geschwächt werden mußte, ein Ausgleich zu seinen Gunsten gesucht werden. Es war für die sozialdemokratische Fraktion ein großes Opfer, diesen Weg zu gehen, weil wir in der alten Erzbergerschen Reichsfinanzverwaltung45) eine starke Klammer und eine wirkliche Garantie für die politische Einheit Deutschlands sahen. Wir haben aber geglaubt, auch auf dem Gebiet der Finanzen wie beim gesamten Grundgesetz das Problem Bund-Länder nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Verwaltung, sondern der Gesamtbedürfnisse des künftigen Bundes zu sehen. Wir glauben, daß das, was der Bund entgegen unseren früheren Vorstellungen an Kompetenzen auf dem Gebiet der Finanzverwaltung verloren hat, er nunmehr durch eine anderweitige Verlagerung der Verteilung der Steuerquellen wieder bekommen hat. Entscheidend war letzten Endes, daß der Bund, um alle seine großen Aufgaben in der Zukunft hei und selbständig erfüllen zu können, nicht von den Überweisungen, vor allem aber nicht von dem guten Willen der einzelnen Länder abhängig werden darf. Wir glauben, daß das garantiert ist. Nun, meine Damen und Herren, ein Wort zu den Grundrechten. Wenn man erkennt, daß die Demokratie in einem Staate etwas anderes sieht als lediglich eine von Menschen gehandhabte Apparatur, daß ihr Sinn darin besteht, den Staat zum Menschen hinzulenken, und daß die Demokratie eine Ausdrucksform darstellt, durch die ein Volk versucht, den Weg zu sich selbst zu finden, dann entspringt daraus eine entscheidende sittliche und politische Verpflichtung. So kommt es in erster Linie nicht auf die Form an, die wir dem Staats- und verwaltungsrechtlichen Aufbau geben, sondern es wird allein der Inhalt entscheiden, mit dem wir diese Form ausfüllen werden. Freiheit und Gerechtigkeit sind seit jeher die Grundlagen eines jeden Staates gewesen. Um sie zu garantieren, reicht es aber nicht aus, diese Thesen lediglich in der Form verschiedener Grundrechte zu proklamieren. Wir haben uns daher entschieden und wir Sozialdemokraten begrüßen das -, daß die Grundrechte ein bindender Bestandteil unseres öffentlichen und privaten Rechts werden, daß sie klagbare subjektive Rechte für den einzelnen Staatsbürger vermitteln. Damit vertrauen wir zugleich unseren Richtern ein sehr hohes politisches Gut an, und wir können nur hoffen, daß die Richter dieses Vertrauen rechtfertigen werden und ihre Haltung nicht zu neuem Mißtrauen Anlaß geben wird. Wenn wir uns allerdings heute die Rechtsprechung mancher Gerichte zu dem Gesetz über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der vergangenen Zeit ansehen, dann hagt es sich doch sehr, ob dieses Vertrauen nicht heute schon wieder weitgehend untergraben worden ist.

Wirtschahs-,



(Sehr wahr!)

)

Zur Erzbergerschen Finanzreform siehe Dok. Nr. 3, Anm. 69.

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Meine Damen und Herren! Wir sind in der Zeit des Terrorsystems vor allem für das Postulat Freiheit sehr empfindlich geworden. Und wenn es im Grundgesetz heißt: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich", dann ist das zugleich ein Bekenntnis, das sich wie ein roter Faden durch das gesamte Grundgesetz zieht, und es enthält zusammen mit dem Bekenntnis zur Unverletzlichkeit der menschlichen Würde das Wesentliche unserer künftigen Ziele. Aus diesem Grunde haben wir auch so entscheidenden Wert darauf gelegt, daß die Freiheit der Lehre auf den Universitäten zwar gewährt wird, daß sie aber nicht mehr mißbraucht werden darf, daß auch die Lehre gebunden ist an die Treue zur

Verfassung.

Gerade weil wir das Postulat der Freiheit als ein wesentliches Naturrecht so es bedauert, daß das sogenannte Elternrecht überhaupt in die Debatte geworfen und mit dem Grundrecht der Freiheit der Menschen vermengt worden ist. (Hört! Hört! rechts.) Wenn Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes bestimmt: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht", dann ist es, glaube ich, falsch, zu sagen, daß den Eltern damit nicht alles zugestanden worden ist, worauf sie füglich Anspruch erheben können. Wir Sozialdemokraten hätten es begrüßt, wenn der Kampf, der über diese Frage geführt worden ist, vermieden worden wäre und wenn man sich endlich dazu hätte entscheiden können, die Kinder beider Konfessionen gemeinschaftlich im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens auch der Konfessio-

hochhalten, haben wir

erziehen, (Sehr richtig! bei der SPD) wenn man darauf verzichtet hätte, die Kämpfe beider Konfessionen nen zu

untereinan-

der durch die Forderung nach demselben Schulsystem vorzudemonstrieren. Wahrscheinlich wäre die Mehrzahl der sozialdemokratischen Wähler bereit gewesen, um der christlichen Gemeinschahsschule willen auch auf die bekenntnisfreie Schule zu verzichten. Dieser große Wurf ist nicht gelungen, und auch hier gilt der Satz, daß die Kosten politischer Irrtümer grenzenlos sein können. Wir sind der Auffassung, daß für Fragen des Schulsystems die Länder allein zuständig sein müssen. Denn das Wesen des Föderativen liegt doch gerade in der Berücksichtigung der kulturellen Entwicklung und der kulturellen Freiheiten eines jeden Landes. Nimmt man hier den Ländern jedes Eigenleben, dann hat es an sich keinen Sinn mehr, von einem föderativen Bundesstaat zu sprechen. Im übrigen sind wir der Auffassung, daß das Kind nicht nur für die Eltern erzogen wird. Es wird auch um seiner selbst willen erzogen, und dazu gehört, daß es in seine allgemeine Umwelt hineinwächst, nicht nur in die des Elternhauses. Es muß später sein Leben innerhalb dieser es umgebenden Lebensgemeinschah allein führen. War es doch kein geringerer als Martin Luther, der in seiner Schrift an die Ratsherren46) sagte:

46)

526

von Martin Luther (1483-1546) „An die Radherrn aller stedte deutsches lands" war erstmals 1524 in Wittenberg gedruckt worden. Menzel zitierte hier offensichtlich aus einer normalisierten Fassung.

Die Schrift

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Die Obrigkeit hat auch ein primäres, unabhängig und selbständig neben dem der Eltern stehendes Recht auf Erziehung und Unterricht der Jugend, das unmittelbar in der auf Dauer angelegten Funktion der Obrigkeit und ihrer Pflicht zu aktiver Sorge für die ihr anvertraute soziale Gemeinschah verwurzelt ist. Und es war kein geringerer als der Kardinal Dr. Faulhaber47), der am 29. Juni 1919

sagte:

Die Eltern haben ein

auf ihre Kinder.

heiliges,

aber kein absolutes, kein unbeschränktes Recht

(Hört! Hört!)

Der Einbau des Menschen in die Probleme des Staates, sein Heranführen an diese Aufgabe kann nicht früh genug beginnen. Man muß dabei aufbauen auf dem Verständnis der Deutschen untereinander, aber auch auf der Ablehnung konfessioneller Streitigkeiten und Auseinandersetzungen. Zu welchen Folgerungen dies führt, beweisen unsere Zwergschulen an vielen Stellen in diesem Lande. Wir haben Orte mit zwei und drei Schulen, die von nur je 50 bis 60 Kindern besucht werden. Wir haben sogar Fälle, in denen an einer katholischen Schule mehr evangelische Kinder sind als katholische. Wir rufen heute alle nach Europa, wir konstruieren schon ein Weltparlament, wir fordern die Anerkennung des Völkerrechts und die Erziehung der Jugend zu diesen Idealen. Ich möchte behaupten, daß die allgemeine und gemeinschahliche Schule unendlich mehr eine günstige und ausreichende Voraussetzung für die Wiedergewinnung auch einer geistigen Einheit bietet als die konfessionell oder national isolierte Schule. Zum Abschluß dieses Kapitels noch ein Wort zum Recht des im Staate verkörperten Volkes. Der Staat ist heute auf allen Gebieten benachteiligt. Er ist politisch, organisatorisch, wirtschahlich und psychisch auf einem Tiefpunkt angelangt, wie ihn die deutsche Geschichte seit Jahrhunderten nicht mehr kannte. Wir lehnen den Versuch ab, diesen Tiefstand staatlicher Autorität dazu benutzen zu lassen, um den öffentlichen Angelegenheiten eine Gestaltung zu geben, die die Interessen der Volksgemeinschah in eben diesem so schwachen Staate nach unserer Auffassung nicht berücksichtigen würde. Hiergegen wehren wir uns. Wir wehren uns hiergegen auch deshalb, weil wir, die wir nicht unmittelbar vom Volke gewählt sind, glauben, kein Mandat zu haben, um einen seit Jahrzehnten in Deutschland leider bestehenden Streit entscheiden zu wollen. Wir wollen es der hei gewählten neuen Volksvertretung und als echte Demokraten dem künhigen Volkstag überlassen, wie er glaubt dieses Problem lösen zu sollen. Wir wollen die Entscheidungen dieser Probleme in eine Zeit legen, in der auch in einem geeinten Deutschland dem Staat, eben dieser Gemeinschah gegeben werden kann, was der Gemeinschah gebührt. -

-

von Faulhaber (1869-1952), Kardinal-Erzbischof, seit 1917 Erzbischof von München. Siehe Ludwig Volk: Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952), in: Rudolf Morsey (Hrsg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 2, Mainz 1975, S. 101-113.

) Michael

527

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In diesen Fragenkomplex spielen auch die Auseinandersetzungen über das Konkordat vom 12. September 19 3 3 48) hinein. Meine Fraktion hatte geglaubt, den Streit, ob das Konkordat völkerrechtlich gelte und innerpolitisch deutsches Recht sei, hier nicht entscheiden lassen zu sollen. Deshalb haben wir uns dagegen gewehrt, seine Gültigkeit trotz aller Zweifel ausdrücklich anzuerkennen.

Bei den

übrigen Grundrechten begrüßen wir es, daß es endlich gelungen ist, die Gleichberechtigung von Mann und Frau zur Anerkennung zu bringen. Damit ist der Frau nunmehr auch rechtlich die Verantwortung gegeben, die ihr das Leben sowieso heute schon auferlegt hat und die anzuerkennen auch eine Pflicht der Männer war. Es ist nur hagisch, daß diese Emanzipation der Frau erst durch zwei Weltkriege errungen werden mußte und daß die Frau ihre Gleichberechtigung nicht durch eine wirksame Kriegsächtung erkämph hat. Andererseits bedauern wir, daß es nicht möglich war, die Gleichstellung des unehelichen Kindes mit dem ehelichen zu erreichen. Es ist hier so häufig in diesem Saal von Naturrechten gesprochen worden, (Sehr richtig! bei der SPD) aber da, wo es nötig gewesen wäre, eine Entwicklung anzuerkennen, die seit Jahrzehnten nicht mehr aufzuhalten ist, weigert man sich, dem unehelichen Kind den natürlichsten Anspruch, den es gibt, zuzubilligen, nämlich Vater und Mutter zu haben. (Sehr gut! bei der SPD.) Warum sieht man im übrigen diese Frage zu sehr vom Standpunkt der Würdigkeit aus und nicht endlich vom Standpunkt des Lebewesens, das es in erster Linie angeht, nämlich vom Standpunkt des Kindes? Bei den weiteren Bestimmungen begrüßen wir es, daß erstmals in einer Verfasdie Begriffe Gemeineigentum und wohl in einem Gesetz überhaupt sung und Gemeinwirtschaft gesetz- und verfassungsmäßig verankert worden sind. Gerade hieraus erhoffen wir Sozialdemokraten in der Vorstellungswelt der Deutschen eine zunehmende Einsicht über die Notwendigkeit, die deutschen Schlüsselindustrien in Gemeineigentum zu überführen. Darin sehen wir einen politischen Fortschritt, der mit dazu beigetragen hat, manche Bedenken gegen andere Bestimmungen des Grundgesetzes auszuräumen. Seit Jahrzehnten fordert die Sozialdemokratie die Sozialisierung. Sie wissen, daß diese Forderung ein wesentliches, vielleicht das entscheidende Ziel unseres politischen Kampfes zur Befreiung des arbeitenden Menschen von den Ungerechtigkeiten dieser Gesellschaftsordnung ist. Die Hoffnungen von Millionen auf eine Sozialisierung scheiterten nach 1918 an dem Widerstand der Deutschen und nach 1945 an dem der Alliierten49). Nun können wir erneut hoffen. Die Sozialdemokratie wird es daher als ihre vornehmste Pflicht betrachten, alsbald nach dem Zusammentritt —



)

') 528

Das Reichskonkordat wurde nach mehrjährigen Verhandlungen am 20. Juli 1933 in Rom zwischen dem Vatikan und der deutschen Reichsregierung abgeschlossen und stellte für Hitler einen außenpolitischen Prestigegewinn dar. Das Bundesverfassungsgericht stellte in einem Urteil vom 26. März 1957 fest, das Konkordat sei auch für die Bundesrepublik gültig. Ludwig Volk: Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Mainz 1972. Siehe die in Dok. Nr. 3, Anm. 123 angegebene Literatur zur Sozialisierung nach 1945.

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des ersten Bundestags durch entsprechende Gesetzentwürfe an dieses große Werk der Sozialisierung heranzugehen, da es die Ära eines dauerhahen Friedens einleiten kann. Seit Beginn der Beratungen des Parlamentarischen Rates sind wir und damit die deutsche Öffentlichkeit nicht weniger als dreimal50) von Interventionen oder Anregungen der drei Militärgouverneure beunruhigt worden. Als wir am 1. September 1948 mit unseren Arbeiten begannen, war die Grundlage durch das Dokument Nr. I51) gegeben. Die Auflage, ein föderatives System in Westdeutschland aufzubauen, schien uns genügend Spielraum zu geben, um das in das Grundgesetz hineinzuschreiben, was wir Deutschen über das Zusammengehen der elf westdeutschen Länder hir richtig und erforderlich hielten. Je mehr aber die Zeit ins Land schritt und je mehr Anregungen seitens der Militärregierungen kamen, um so mehr wurde die Grundlage unserer Arbeit durch sogenannte authentische Interpretierungen der Militärregierungen über das, was sie als einen föderativen Staat ansehen, eingeschränkt. Wir haben das bedauert. Wir glauben, daß es richtiger gewesen wäre, uns das, was die Alliierten erst im Laufe von sechs Monaten, und zwar tropfenweise herausgaben, gleich bei Überreichung des Dokumentes Nr. I zu erläutern; denn dann wäre für uns alle zu erkennen gewesen, in welchem Maße die Alliierten bereit waren, uns Deutschen die Möglichkeit zu einer föderativen Gestaltung zu geben. Manche Arbeit und manche politische Enttäuschung wäre uns erspart geblieben, und wahrscheinlich nicht nur uns. Es war selbstverständlich, meine Damen und Herren, daß wir an den Anregungen der Alliierten nicht achtlos vorbeigehen konnten; denn es war uns Sozialdemokraten von Anfang an klar, daß die wirkliche Souveränität nach wie vor bei den Besatzungsmächten liegt und daß die Verfassung nicht das sein wird, was wir beschließen, sondern das Besatzungsstatut52) und alle jene alliierten Einrichtungen, mit denen wir im letzten halben Jahr so reichlich gesegnet worden sind. Ich meine zum Beispiel die Ruhrbehörde53), die Sicherheitsbehörde54) und andere mehr. Das Eingehen auf die alliierten Anregungen konnte und durfte niemals dazu führen, daß wir nur die Handlanger wurden und die Verantwortung nach außen für das übernahmen, was die Alliierten intern anregten. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, daß unter diesem Grundgesetz

50) Insgesamt könnte

man bis zu diesem Zeitpunkt sogar von vier Interventionen der Alliierten sprechen; vgl. Bd. 8 dieser Edition: 1. Das Memorandum vom 22. Nov. 1948 (Drucks. Nr. 22) 2. Aide Mémoire über die Prüfung des GG-Entwurfs vom 17. Febr. 1949 (Drucks.

Nr.

616)

3. Denkschrift

vom

2. März 1949

[englisch])

(Sekretariatsumdr. Nr. S

3

[deutsch] und

Vorschläge des Siebener-Ausschusses Nr. S 20). Frankfurter Dok. Nr. I, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff. Besatzungsstatut, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 4, S. 54 ff. Zur Ruhrkontrolle siehe Dok. Nr. 2, Anm. 69. Sicherheitsbehörde siehe Anm. 141.

4.

Memorandum betr. die

vom

Nr. S 4

25. März 1949

(Sekretariatsumdr. 51)

52j 53) 54J

529

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eines Tages die Unterschrih von Deutschen stehen wird. Wir und nicht die Alliierten werden vor der Zukunft die Verantwortung für dieses Gesetz zu tragen haben.

(Sehr richtig!)

Entscheidung über ein Ja oder Nein zu diesem Gesetz kann man selbstverständlich nicht von dem Inhalt dieses oder jenes einzelnen Artikels ausgehen. Wir sind uns durchaus bewußt, daß es sich hier aus den geschichtlichen Notwendigkeiten heraus nur um etwas Provisorisches handelt und daß es aus dieser geschichtlichen Situation heraus gar nicht in unserer Macht steht, etwas zu schaffen, was Jahrzehnte überdauern könnte. Aber wir wissen auch um die normativen Krähe des Faktischen, das heißt um das Schwergewicht provisorischer Lösungen und ihre Auswirkungen für die weitere Entwicklung. Die Grundlage unserer Entscheidungen beruht auf der Erkenntnis, daß das Grundgesetz einen Fortschritt gegenüber dem bringt, was seither in Westdeutschland war und noch ist. Und nur das konnte entscheidend sein. Meine Damen und Herren! Sie wissen, ich komme von Rhein und Ruhr, und zwar nicht erst seit 1945, und ich stehe in der Arbeit meiner Partei, der Sozialdemokratie, nun seit 30 Jahren55). Sie werden mir daher ein Urteil zugestehen über das, was die großen Schichten der täglich schwer arbeitenden Bevölkerung in den Fabriken, vor dem Hochofen und unter der Erde vor der Kohle sich für Vorstellungen über unser künftiges Vaterland und über unsere künftige politische Entwicklung machen. Sie alle wollen nicht mehr zurück zu jenem zerrissenen Deutschland, wie es einmal vor hundert Jahren Heinrich Heine56), ein Sohn dieses Landes, besang: Und als ich auf dem St. Gotthard stand, da hört' ich Deutschland schnarchen, Es schlief da unten in sanfter Ruh von sechsunddreißig Monarchen. Die Menschen von Rhein und Ruhr würden in einer Zerreißung Deutschlands eine Gefährdung ihrer Existenz und die Gefahr sehen, daß ihre Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit niemals verwirklicht werden können. Sie haben Angst, daß Deutschland wieder eines Tages geschändet werden könnte, wenn wir in erster Linie Niedersachsen, Hessen oder Bayern werden müßten, und sie fürchten, daß ein Mißbrauch wieder zu einem neuen Nationalismus vor allem in unserer Jugend führen könnte. Wenn wir den alliierten Anregungen bei der Gesetzgebung und den Finanzen gefolgt wären, wären wir in unserem staatsrechtlichen Aufbau weit hinter das zurückgeworfen worden, was bereits durch die Einrichtung in Frankfurt existiert. Jene Vorschläge hätten in Wirklichkeit nicht die von uns erhofhe Einheit, sondern die Stabilisierung der Souveränität von elf westdeutschen Ländern bedeutet. Einer solchen Auflösungspolitik hätBei der

von 1945 politisch bedeutsame Funktionen in Nordrhein-Westfalen wahrgenommen, seit 23. Aug. 1946 war er Innenminister. G. Hirscher: Sozialdemokratische Verfassungspolitik, S. 79 ff. Heinrich Heine (1797-1856), Publizist und Dichter. Das Zitat stammte aus dem 1836 erschienenen „Der Tannhäuser. Eine Legende."

) Menzel hatte nach dem Zusammenbruch

') 530

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ten wir Sozialdemokraten niemals zugestimmt. Wir konnten unsere Zustimmung nur einem Gesetz geben, das ein arbeitsfähiges Funktionieren der neuen verwaltungsmäßigen Einheiten der Westzonen garantiert. Das war auch der entscheidende Sinn der Beschlüsse der Sozialdemokratischen Partei, die am 20. April 1949 gefaßt wurden57).

der Sozialdemokratischen Partei werden für dieses Grundgesetz und ohne Rücksicht darauf, von welchen Landtagen sie gewählt zwar stimmen, wurden. Wir von der Sozialdemokratischen Partei haben uns hier von Anfang an als Vertreter Gesamtdeutschlands und nicht als Vertreter eines Landes, daß heißt nicht als Subsidiär-Deutsche gefühlt. Das hat nichts mit Zentralismus oder Unitarismus zu tun, sondern mit der klaren Erkenntnis, daß ein gesamtdeutsches Bewußtsein, vor allem bei der Jugend, nur dann vor einem erneuten nationalistischen Mißbrauch bewahrt werden kann, wenn wir hier in Bonn dem deutschen Volk eine Einheit geben, die sich einbaut in das europäische Länderkonzert, wenn wir es zu einem Weg hinführen, der endlich Abstand nimmt von dem nationalen Egoismus vergangener Jahrzehnte und der Gesamtdeutschland als einen Baustein für das kommende Europa sieht. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Heuss. Dr. Heuss (FDP): Meine Damen und Herren! Die Situation beim Abschluß unserer Arbeiten ist für den, der von Anbeginn ihr verbunden war, eigentümlich seelisch gespalten insofern, als wir vor der Frage stehen: Zählen wir nun auf, was uns an diesem Grundgesetz nicht gefällt, um durch diese Darlegungen ein Alibi unseres Besserwissens zu geben, oder loben wir das Gesetz, um damit Die

57)

Mitglieder

Am 20.

April 1949 hatte eine gemeinsame Sitzung von Parteivorstand, Fraktion und sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in Hannover stattgefunden. Dabei waren noch einmal die Bedingungen für eine Akzeptierung des GG festgeschrieben und alternativ eine Kurzfassung ohne Grundrechte, reduziert auf ein Organisationsstatut, beschlossen worden. Diese Kurzfassung war zwar im Sekretariat vervielfältigt worden, aber sie wurde nicht verteilt. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 7, S. 462 ff. Die in Hannover gefaßte Entschließung war im Ton und Inhalt sehr scharf gewesen. Es hieß dort u.a. „Angesichts der herannahenden großen Entscheidungen wird der nationalistische und kommunistische Ansturm nur aus eigenem politischen Willen des deutschen Volkes und nicht durch bloße staatsrechtliche Konstruktionen gebrochen werden, die auf fremder Weisung beruhen. Die Sozialdemokratische Partei kann hier nicht folgen. Sie sieht eine letzte Möglichkeit, die Arbeit im Parlamentarischen Rat zu einem erträglichen Abschluß zu bringen, wenn die notwendige deutsche Entschlußfreiheit durch die Besatzungsmächte nicht weiter beeinträchtigt wird, der Grundgesetzentwurf auf das Notwendigste beschränkt wird, die die Volkssouveränität einengenden Vollmachten des Bundesrates entscheidend gemindert werden, die Erhaltung der deutschen Rechts- und Wirtschaftseinheit auf allen Gebieten, vor allem auf dem der Gesetzgebung, sichergestellt wird, eine Regelung im Finanzwesen getroffen wird, die dem Bund die Mittel und Möglichkeiten gibt, deren er zur Erfüllung seiner Aufgaben bedarf, endlich die Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse in allen Teilen des Bundesstaates insbesondere eine einheitliche Sozialordnung und ein angemessener Finanz- und Lastenausgleich gewährleistet wird. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wird ein Grundgesetz ablehnen, das einer dieser Anforderungen nicht genügt." (Sekretariatsumdr. Nr. S 38; Zum Kontext siehe Kaff: Die Unionsparteien 1946-1950, S. 485 ff.; Lange: Der Pari. Rat, S. 95; Hirscher: Sozialdemokratische Verfassungspolitik, S. 22). 531

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einen Integrationseffekt im Bewußtsein der Bevölkerung zu erzielen? Ich glaube, wir müssen in beidem Maß halten. Es wäre sinnlos, die Arbeit, die hier geleistet wurde, durch einen Katalog des Mißbehagens zerreden zu wollen. Es ist doch so: Fast jeder von uns glaubt, daß er mit einer bestimmten Vorstellung über die Zweckmäßigkeit und Güte einer deutschen Verfassung hierher gekommen ist. Entweder hat er sich diese Vorstellung selber gemacht, oder seine Partei hat sie ihm geliefert, und nun ist er in die Situation gestellt worden, daß diese beste Verfassung, die er in seinem Hirn hatte, mit dem Ergebnis hier nicht übereinstimmt. Das bedeutet, daß wir das, was jetzt abgeschlossen wird,

nicht zu beurteilen haben unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Leistung, sondern des in der deutschen Volks- und Staatengemeinschah heute politisch Möglichen. Ob die Staatstheoretiker und Staatsrechtler mit uns zufrieden sind, das wird uns einmal interessieren, wenn sie die Kommentare schreiben; aber es wird uns nicht zu stark beeindrucken können. Denn sie sind die Perfektionisten auf dem Papier, während wir in die Wirklichkeiten der deutschen Geschichte gestellt waren und gestellt sind, bei unserer Arbeit gelähmt eben durch diese deutsche Geschichte und durch unsere äußere Machtlosigkeit. Der Vorwurf lastet auf uns, daß diese Arbeit zu lange gedauert habe. Es scheint ein psychisches Gesetz zu sein, daß, wenn die Solone™) zusammenkommen, sie in ihrem Ehrgeiz wachsen, möglichst große Verfassungen zu machen. Wir sind bereit, diesen Vorwurf von unserem Volk anzunehmen, aber nicht von den Besatzungsmächten, die im Laufe dieses Jahres sich selber als Spezialisten und Perfektionisten des Vertagens von Schwierigkeiten erwiesen haben. Wir sind lange genug vor der Problematik etwa des Besatzungsstatus gestanden kommt es, wann kommt es, in 14 Tagen, in drei Tagen, es ist schon da, sind es ein paar Paragraphen, sind es ein paar hundert Seiten50)? Bis in den Schluß unserer Arbeiten hinein ging diese Geschichte. Nun aber habe ich nicht die Absicht, den Rückblick so zu machen: was ist alles geschehen? Wir haben von den beiden Vorrednern ein bißchen in dem Sinne Berichterstattung bekommen. Ich möchte nur ein paar politische Dinge festhalten. Ich glaube, in unserer Arbeit war eigentlich zunächst fast der interessanteste Vorgang das Legende gewordene Frühstück des Herrn Abgeordneten Menzel mit dem Herrn Ministerpräsidenten Ehard aus München60); -

58) Solon, Gesetzgeber in Athen, ca. 640-nach 561 v. Chr. 59) Siehe hierzu Der Pari. Rat Bd. 4, S. XIV ff. 60) Gemeint war ein Abendessen am 26. Okt. 1948 im Bonner Königshof mit Walter Menzel

und dem bayerischen MinPräs. Ehard im Beisein von Pfeiffer und Karl Schwend. Das dort erreichte „Gentlemen's agreement" in der Frage der Länderkammer sah folgendermaßen aus: Ehard wollte sich in der CDU/CSU-Fraktion für einen Bundesrat mit suspensivem Veto für einige Gebiete einsetzen, Menzel dagegen verpflichtete sich, seiner Fraktion diese Lösung schmackhaft zu machen. Kock: Bayerns Weg in die Bundesrepublik S. 300 ff., Morsey: Zwischen Bayern und der Bundesrepublik. Die politische Rolle des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard 1946-1949, S. 366 f.; Dieter Düding: Ehard, Menzel und die Staatsform. Der Kompromiß über den Föderalismus. Geschichte im Westen Jhrg. 4 (1989), S. 135-144. Die detaillierteste zeitgenössische Darstellung des Geschehens erfolgte im Rahmen der Fraktionssitzung der CDU/CSU vom 28. Okt. 1948, Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 90 ff. Der englische Verbindungsoffizier

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(Heiterkeit) denn bei diesem Gespräch oder Frühstück ist der Bundesrat entstanden. Wir haben, als wir im September zusammenkamen, davon geredet, ein demokratischer Bundesstaat habe ein Zweikammersystem61). Herr Dr. Lehr hat von den Dingen vorhin auch gesprochen. Er hat noch so ein bißchen die Fiktion aufrechterhalten, der Bundesrat sei so etwas wie eine Zweite Kammer. Das ist er nämlich nicht. Für den Historiker wird es eine sehr reizvolle Anekdote sein, einmal festzustellen, daß der rheinische Sozialist und der weißblaue Staatsmann sich bei Bismarck gefunden haben,

(Heiterkeit)

und den

zwar neuen

über Weimar zurück noch bismärckischer Bismärcker haben nur eines vergessen,

geworden

sind. Diese bei-

(erneute Heiterkeit) daß nämlich die Bismarcksche Konstruktion und Wesenheit des deutschen Bundesstaates den Hintergrund von Preußen besaß. Ohne den ist dieses ganze Geschichtswerk gar nicht zu begreifen. Und nun entsteht an Stelle dieses Bismarckschen Föderalismus eine andere Sache. Wir stehen vor einem sehr großen Experiment unserer Geschichte. In dem Bismarckschen war nämlich immerhin noch die Monarchie vorhanden. Das war ein sehr wesenhaftes Element. Jetzt stehen wir vor der großen Wahrscheinlichkeit62), einen Föderalismus der Bürokratie zu bekommen, und vor der Sorge, daß dadurch das Einheitsleben der Gesamtheit gestört wird. Wir hatten davon ist auch schon von Herrn Dr. Lehr, mit dem ich in diesen Dingen übereinstimmte, etwas gesagt worden davon gesprochen, daß es huchtbarer und richtiger und demokratischer gewesen wäre, einen Senat oder doch die von mir vorgeschlagene Kombination zu machen. Denn das jetzige Gebilde hat gerade das nicht, was eine junge Demokratie braucht, eine Integrationskraft ins Volksgefühl hinein. Die soll also beim Bundestag, beim Volksparlament liegen. Ich gestehe, daß ich lieber das Wort „Volkstag" gehabt hätte, um der akustischen Gegenwirkung willen, auch um das Elementare der Volkssouveränität, das schließlich doch hinter diesem Vorgang stehen soll, zum Ausdruck zu bringen, und weil ich auch gewünscht hätte, daß dieses Wort „Bundestag", an dem die Staatenbundgeschichte von Deutschland hängt, mit der Geschichte untergehen würde. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Es ist anders beschlossen worden; wir nehmen es hin. —

-

Chaput de Saintonge berichtete am 6. Nov. 1948 wie folgt über die Unterredung: „A gentleman's agreement was reached between them that the Second Chamber should be in the form of a Bundesrat with an equal number of members from all Laender. This Bundesrat would have only suspensory veto powers except in matters of financial adjustment. On the following day Katz (SPD) put forward these proposals at an inter-party meeting fully expecting that they would provide the basis for agreement. Adenauer was astounded when he was told that Pfeiffer had agreed to this as it was contrary to the CDU/CSU fraktion policy. He considered such a proposal unacceptable

because it would give to the SPD control of the Bundesrat" (Kl. Erw. Nr. 792/5). ) Siehe die 2. und 3. Sitzung des Plenums am 8./9. Sept. 1948, Dok. Nr. 2 und 3. J In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Aufgabe".

533

Nr. 10

Zehnte

Sitzung des Plenums 8. Mai

Das Problem des Föderalismus wird

1949

allen eine neue, sehr eigentümliche die Parteien eine neue Verantwortung. jetzt Aufgabe geben, Warum denn? Die Länderregierungen, ob sie nun sozialdemokratisch oder von der CDU oder anderwärts geführt werden, haben in sich ein sonderliches Machtgefühl gerade für ihren Staat, für ihr Land, gleichviel wie es parteipolitisch aussieht. Die Regierungen und ihre Beamtungen haben die Tendenzen zur Sonderung, und es liegt die Verantwortung bei den sie tragenden Parteien, die über die Ländergrenzen hinausgehen, diesen Sonderungskomplex der Länderregierungen in den Breiten der gemeinen Verantwortung abzufangen und aufzuheben. Hinzu kommt eine große staatspolitische Aufgabe an die Parteien, die soviel Geduld als Elastizität als auch gesammelte Kraft verlangt. Für den Gang unserer Geschichte hier ist nun dies charakteristisch gewesen, daß wir fast immer in Auseinandersetzung mit Krähen außerhalb dieses Hauses standen. Es ist in Bonn zwar nicht das neue Schlagwort von der „Optik" im politischen Leben erfunden worden; aber der Begriff ist nun, wie mir scheint, in Deutschland gefestigt. Es darf vielleicht einen Augenblick erlaubt sein, zu sehen, welcherlei Optik in diese Arbeit hineingewirkt hat. Optik auf die Besatzungsmächte! Davon ist einiges schon gesagt. (Renner: Seid Ihr nicht eher von denen beobachtet worden?) Verzeihung, Herr Renner, einen Augenblick! Die Situation ist so, daß wir in sehr vielen Auseinandersetzungen die Ungewißheit auf der anderen Seite vor uns hatten. In den Zimmern der Verbindungsstäbe standen wohl die Dreifüße, und eine Pythia war auch mit dabei. Wenn eine Pythia spricht, ist es immer ein Risiko, ihre Worte zu interpretieren. Aber wenn da und da und da eine andere Pythia redet, so wird das um so schwerer. Das hat sehr lähmend in unsere Arbeit mit hineingewirkt. Immerhin, das war auch im Austausch der Auffassungen, der Zielsetzungen manchmal eine Behuchtung der Arbeit, was wir ruhig aussprechen können. Ich möchte nur dessen gesichert sein, daß das, was jetzt in Deutschland beschlossen werden wird und soll und was doch auch in sachlichen und moralischen Bindungen mit den Vertretern der Besatzungsmächte seine Form gefunden hat, in seiner Verbindlichkeit auch von den Kontrahenten gesehen wird. Es war schwer eine Optik in Washington, eine in London und eine in Paris -, sich da durchzufinden und dann doch zu spüren: also hier werden wir die deutschen Möglichkeiten sichern und im weltgeschichtlichen Spiel unsere Aufgabe vollenden können. Es gibt eine Optik, die nach München weist. Manchmal konnte man das Gefühl haben, daß der Mann, der gar nicht in unserm Raum ist, als Machtfaktor (Renner: der vierte Gouverneur!) durch die Säle wandere, der Dr. Baumgartner63), daß diese Figur der Bayernpartei64) irgendwie in den Kalkulationen, Überlegungen, Sorgen mit vorhanden war. Ich spreche ungern von den Dingen. Für mich ist die Auseinannämlich

wächst

uns

an

-

-



-

-

') Baumgartner, dessen Bayernpartei beträchtlichen Zulauf hatte, verlangte alle Hoheitsrechte zurück, die seit 1871 Stück für Stück geraubt worden seien. Kock: Bayerns Weg, S. 318.

) Zur Bayernpartei und ihren Erfolgen siehe Dok. 534

Nr. 8, Anm. 106.

Zehnte

dersetzung,

Sitzung des Plenums 8.

Mai 1949

Nr. 10

in die wir wegen des

sehr, sehr schmerzlich. Denn

bayerischen Problems hineingekommen sind, Anbeginn über alle psychologischen auch gerade bei uns da unten gibt Nachbarn

es war von

die es lieben Nachbarn, reiben sich auch -, undenkbar für meine Phantasie, daß ein deutsches Grundgesetz nicht mit den Stimmen der Bayern angenommen werden könnte. (Sehr richtig! Renner: Ohne Dr. Ehard gehts ja nicht!) Die Herren von Bayern haben zum Teil die Auffassung, daß ihren Erfordernissen nicht genügend Rechnung getragen würde. Es ist nicht die Stunde, um bitter zu sprechen. Aber wieviel Zeit haben wir verloren,

Schwierigkeiten hinweg,

-

-

(Zustimmung)

bis innerhalb der CDU/CSU die Sachgegensätze ausgeräumt wurden! das ist kein Vorwurf, es ist eine Selbstverständlichkeit, daß dies nicht von Bitte, heute auf morgen geht. Aber wie haben wir uns alle doch redlich bemüht, den Bayern entgegenzukommen! Das Quälende für uns ist dies, zu spüren, daß die hier anwesenden Bayern in ihrer großen Mehrheit bereit waren oder bereit sind, da sie an der Arbeit teilgenommen haben, mitzugehen und daß nun von außen her von außen her in dem Sinne: ohne die unmittelbare Verantwortung des Mitbeteiligtseins Schwierigkeiten gemacht werden. Ich habe mit den bayerischen Freunden gesprochen: Bringt doch nicht dieses Stück in die bayerische Geschichte wieder mit hinein, wie es im Jahre 1871 gewesen ist, daß hinterhergehinkt wird! Habt ihr kein Gefühl der relativen Unwürde des Vorganges, erstens

-



(Sehr richtig!)

sich überstimmen läßt, statt daß man die Dinge mitnimmt, um sie zu können? Es ist doch nicht so, daß die bayerische Geschichte allein von den Herren bestimmt wird, die gerade heute das bayerische Kabinett bilden. daß

man

mitgestalten

(Sehr wahr!)

bayerische Volk oder doch die Bevölkerung in Bayern, wo so viele Flüchtlinge noch nicht die Stimme ihres politischen Willens gefunden haben, denkt, dessen bin ich schier gewiß, über diese Dinge ganz anders. (Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte.) Ich kann mir nicht vorstellen, daß die bayerische Jugend irgendwie davon gefaßt wird, vielleicht Leute in Oberbayern, aber nicht im Fränkischen und Schwäbischen. Aber der bayerische, typisch zentralistische, von Montgelas65) gemachte Staat, für dessen Auhechterhaltung ich immer gewesen bin ich will gar kein Experiment mit ihm gemacht haben —, wird in seiner seelischen Das

-

Struktur nicht so von München bestimmt. Es ist etwas Schmerzliches und zugleich etwas leicht komisch Rührendes, daß nun, ich weiß nicht was, nach einer Legende von Heinrich dem Löwen her die Weifen hier Heinrich dem Löwen, der auch einmal in Bayern gewesen ist, als Münchener auf diesem Weg zu folgen bereit erscheinen.

(Heiterkeit.)

'5) Maximilian Joseph Montgelas, bayerischer

Montgelas.

Staatsmann (1759-1838). Eberhard Weis: Bd. I Zwischen Revolution und Reform: 1759-1799. 2. A., München 1988.

535

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Zehnte Sitzung des Plenums 8. Mai 1949

aber auch eine Optik, die Hannover66) heißt, Sie richtig zu gewinfür die Sozialdemokratie eine manchmal quälende Aufgabe. Wir, der Parlamentarische Rat in seiner Gesamtheit, mußten bieder mithelfen: Wie sage ich es also nun meinem Kinde, auch meinem Führer67)?

Nun

gibt

es

nen, das war

(Große Heiterkeit.) Wir haben schließlich erreicht, daß der Akt der „Komprimierung", dem wir in Frankfurt zugestimmt haben68), vollzogen wurde, ich glaube mit Erfolg. Die Philologen und Rechthaber im Hause unterhalten sich wohl, ob bei der Komprimierung des Grundgesetzes dieses wirklich kleiner geworden ist oder ob es eigentlich so geblieben ist, wie es war? Ich möchte vorschlagen, daß Hannover irgendeinem Bösen ich will nicht grad sagen Löwenthal69)

(Heiterkeit)

-

-

die Strafarbeit aufgibt, einmal die Buchstabenzahl im Grundgesetz Fassung 3 und im Grundgesetz Fassung 4 zu zählen. Dann läßt sich nämlich der „Sieg" der Sozialdemokratie buchstabenmäßig, zentimetermäßig darstellen. (Heiterkeit und Zuruf.) und nun werde ich sehr ernst reden Aber es gibt auch eine Optik, die heißt Köln oder Pützchen70). Ich hatte mich mit dem Kollegen Süsterhenn darüber besprochen, daß ich diesen ganzen Komplex: Kirche, Staat, Partei und Schule, hier behandeln wolle, und zwar in den Motiven, nicht aggressiv. Ich glaube eine irenische Natur zu sein71), sozusagen; aber hier stehe ich in der -

') )

) ')

')

)

-

Mit „Hannover" war die Parteizentrale der SPD und ihr Vorsitzender Dr. Kurt Schumacher gemeint. Siehe Dok. Nr. 3, Anm. 107. Die bis zum Schluß herrschenden Spannungen zwischen der Fraktion der SPD im Pari. Rat und der Parteizentrale am deutlichsten belegt in der Darstellung der Entwicklungen in der SPD im April 1949 von Adenauer vor der CDU/CSU-Arbeitsgemeinschaft/Wahlausschuß am 26. April 1949; Kaff: Die Unionsparteien 1946-1950, S. 468 ff. Bezeichnend dabei Adenauers verhältnismäßig positive Charakterisierung von Carlo Schmid (ebenda, S. 472), während er Schumacher als den „großen Hasser" bezeichnete (ebenda, S. 473). In Frankfurt hatten die Gespräche mit den Militärgouverneuren stattgefunden. Siehe das Prot, der Besprechung vom 14. April 1949 in: Der Pari. Rat Bd. 4, S. 112 ff. Ferner Der Pari. Rat Bd. 8, passim. Löwenthal war aus der SPD ausgetreten, siehe Dok. Nr. 9, Anm. 7. In der Vorlage „Pützgen". Im Kloster Pützchen bei Bonn hatte die katholische Bischofskonferenz unter Kardinal Frings im Beisein von Süsterhenn am 11. Febr. 1949 über das GG beraten. Siehe den Bericht von Chaput de Saintonge vom 13. Febr. 1949 mit Ausführungen über die Reaktionen von Blankenborn und Carlo Schmid in: Kl. Erw. 792/6. In der Vorlage handschr. korrigiert aus „Das scheint eine rheinische Frohnatur zu sein". In der Druckfassung gab es bei dem Beitrag von Heuss einige sinnentstellende Fehler. Unter anderem war „ironischer Natur" anstatt „irenische Natur" gedruckt worden. Heuss hatte dies unter dem 25. Mai 1949 moniert und erhielt unter dem 30. Mai 1949 eine Entschuldigung mit der Versicherung, daß die Fehler in den Fahnenabzügen berücksichtigt worden seien. „Bei .ironischer Natur' war, um jeden Zweifel auszuschließen, ausdrücklich vermerkt worden: .irenische', nicht .ironische'. Aber ein Besserwisser unter

den Setzern, dem .irenisch' spanisch vorkam, hat geglaubt, die Korrektur unbeachtet lassen zu müssen. So hat uns die verschlagene Gewalt des Druckfehlerteufels aller Umsicht zum Trotz überlistet" (NL Heuss/418, Koppert an Heuss vom 30. Mai 1949). Unter dem 30. Mai 1949 druckte die Bonner Universitäts-Buchdruckerei eine Berichtigung der Fehler. 536

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und diese führt man fechtend. Ich kann diese Auseinandersetdem mit zung Kollegen Süsterhenn nicht führen, sondern ich kann nur dies tun: ihm meine und Ihrer alle Wünsche für eine baldige Genesung von seinem

Verteidigung,

schweren Unfall

zu

wünschen72).

(Bravo!) Aber die Darf ich

Sachlage als solche bleibt für uns gegenwärtig. persönlich werden: Es ist zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich längere Zeit in der Atmosphäre des rheinischen Katholizismus geweilt habe. Sehr nett, sehr liebenswürdig! Ich habe dann auch den „Rheinischen Merkur" zu lesen begonnen, der übrigens nichts mit dem jungen Görres73) zu tun hat,

vielleicht mit dem alten Görres, dem Münchener. Der Koblenzer Feuergeist verflog. Dieser „Rheinische Merkur" ist ein Organ, über das ich mich nicht beklagen dürfte; denn er hat mich persönlich von Anfang an sehr nett und gut behandelt und gesagt, ich sei wer. Aber es ist nun so, daß in dem „Rheinischen Merkur" für unsere innere Situation eine schlechte Atmosphäre geschaffen wurde74). Ich möchte den Herren von der CDU die Anregung geben, aus ihrer Fraktionskasse ein Neues Testament für die Redaktionsbibliothek des „Rheinischen Merkur" zu stihen.

(Heiterkeit) und in diesem Neuen Testament durch den Buchbinder ein Dauerlesezeichen bei Matthäus 23 anbringen zu lassen, wo nämlich die Rede Jesu über die Pharisäer steht. Renner: Da müßten Sie für jede CDU-Redaktion ein (Große Heiterkeit. Neues Testament bestellen. Mit einem kommen Sie nicht aus.) In diesem Blatt ist zum ersten Mal der Begriff der „christlichen Parteien" erschienen. (Renner: Christliche Partei, deren Führer lauter Pharisäer sind!) Renner, halten Sie mal eine Zeit Ihr Maul und seien Sie ruhig! (Große Heiterkeit und Beifall. Glocke des Präsidenten.) -

-

-

J Zu Süsterhenns Autounfall siehe Dok Nr. 9, Anm. 5. ) Johann Joseph Görres (1776-1848), katholischer Publizist. Von

1814-1816

Herausgeber

des Rheinischen Merkurs in Koblenz. Reinhardt Habel: Joseph Görres. Wiesbaden 1960. NDB, Bd. 6, S. 532 ff. ) Die Arbeit des Pari. Rates wurde vom Rheinischen Merkur sehr intensiv, insbes. durch Beiträge von Paul Wilhelm Wenger, kommentiert, in denen in der Regel die SPD heftig attackiert wurde. Siehe die Zeitungsausschnittssammlung in: Z 5/168 ff.; der fragliche Beitrag (19. Febr. 1949) stammte von Otto B. Roegele (*1920) und behandelte das Elternrecht unter der Überschrift „Der Staat gegen die Eltern?" Roegele verstieg sich dabei u. a. zu folgenden Ausführungen: „Es ist eine hintergründige, verzweifelt logische Ironie (gewiß nicht der Welt- wohl aber) der deutschen Geschichte, daß die Liberalen unter Lobpreis des staatlichen Zwangsschulmonopols und die Sozialisten unter scheinheiliger Beteuerung ihres föderalistischen Kulturwillens mit der Fünften Kolonne des Bolschewismus in Deutschland plötzlich zu einer Koalition sich zusammenschlössen, als der gemeinsame antichristliche Instinkt aufgerufen ward. Kein Zufall, gewiß denn dieser stets abgestrittene und ebenso stets lebendige Affekt ist die eigentliche Konstante der deutschen Innenpolitik seit der Paulskirche." -

537

Zehnte

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Präs. Dr. Adenauer: Herr Heuss, ich nehme an, Herr Renner hat Ihnen das

nicht

übelgenommen75).

(FDP): Er hat sich darüber gefreut. (Renner: Das wollte ich sogar hören.)

Dr. Heuss

-

aber ich bitte Sie, seien Sie mal eine Zeitlang ruhig! Es geht sehr ernsthafte Dinge, die auf Ihren Beifall nicht den geringsten Wert Ihr Beifall kann für diese Art der Auseinandersetzung nur unangenehm

Verzeihung,

-

jetzt

um

legen.

sein. Dort also entstand der Begriff der „christlichen Parteien". Und dann schreibt auf einmal ein Herr Roegele76), oder wie der Mann heißt, von den „nichtchristlichen Parteien". Ich finde das sehr unchristlich.

(Sehr richtig!) Jesus Christus ist nicht auf die Welt gekommen,

mit seinem Namen Beum die Menschen, alle Menschen zu erlösen. Es sieht so aus, daß nun wir gegen diese Art von Angriffen um der Redlichkeit und Sauberkeit der Atmosphäre willen einfach gezwungen sind, über diese Dinge heute deutlich zu sprechen. Ich kann in der knappen Zeit, die mir gegeben ist, keine geistesgeschichtliche Betrachtung über das geben, was man „Elternrecht" nennt. Wir haben davon etwas im Hauptausschuß gesprochen77). Ich bin alt genug, um zu wissen, daß in die deutsche Schulgeschichte die Auseinandersetzung über das sogenannte Elternrecht erst nach 1918/19 gekommen ist. Im Jahre 1906 und 1907 waren in Preußen die großen Streite bei dem sogenannten Schulunterhaltungsgesetz über

zeichnungen

für

politische Gruppen abzugeben,

um

sondern

75) Diese Begebenheit blieb Heuss lebhaft in der Erinnerung haften, und er berichtete sie dem Adenauer-Biographen Paul Weymar unter dem 18. Febr. 1955 mit folgenden Wor„Freilich, in der Zeit des Parlamentarischen Rates gab es eine Situation oft erzählte Anekdote! da ich dem so würdig als entschieden seines Amtes waltenden Präsidenten leichten Kummer bereitete. In einer kulturpolitisch polemisierenden Rede erfuhr ich den dauernden ostentativen Beifall eines kommunistischen Abgeordneten. Ich sah schon die head-lines der Presse vor mir und sagte, Akt der Notwehr, dem animierenden Zwischenrufer, sehr schwäbisch, er möge jetzt einmal sein Maul halten. Das war nicht fein, wie ich durch die Glocke erfuhr, die der Präsident Adenauer sofort erklingen ließ. Kommt der Ordnungsruf, den ich mit Talent in alten parlamentarischen Zeiten zu vermeiden verstanden hatte? Er drohte, aber er kam nicht, sondern nur die rhetorische Frage, ob in dem Wort eine Beleidigung beabsichtigt gewesen sei. Da die meisten bei dieser Flucht ins Derbe, wenn auch zum Teil wohl erstaunt, gelacht hatten, konnte ich replizieren, daß ich ihm eine Freude machen wollte. Der Präsident begnügte sich mit dieser Replik. Ich erzähle Ihnen diese Anekdote, weil sie charakteristisch ist für das parlamentarische Würdegefühl des Präsidenten, dem ich damals ganz gewiß nicht entsprach aber auch für seine Fähigkeit, formale Entgleisungen auf eine charmante Weise in Ordnung zu bringen. Auch der Abgeordnete Renner, mein damaliger Gegenspieler, war mit dieser Lösung recht zufrieden" (B 122/2072; ferner NL Heuss/216, Abdr. bei Hans Peter Mensing: Heuss-Adenauer. Unserem Vaterland zugute. Der Briefwechsel 1948-1963, Berlin, S. 169-172; Paul Weymar: Konrad Adenauer. München 1955, S. 364 f.). Die Begebenheit wurde auch von Adenauer in seinen Memoiren erwähnt (Erinnerungen Bd. 1, S. 154). Otto B. Roegele (*1920), seit 1948 Redakteur beim Rheinischen Merkur, ab 1963 dessen ten:

-

-

-

76) 77)

Herausgeber.

Die Diskussion fand insbes. in der 21. S. 245 ff.

handlungen, 538

Sitzung

des

HptA

vom

7. Dez. 1948 statt; Ver-

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den konfessionellen oder nichtkonfessionellen Charakter der Volksschule. Kein von Elternrecht! Es wird mir widersprochen, wenn ich sage, daß es eigentlich erst in der Revolution 1918/19 als Begriff sich gefestigt hat. Theoretisch mag es älter sein; die konkrete Schulpolitik wurde erst damals damit befaßt, als der „unabhängige" preußische Kultusminister Adolf Hoffmann78) den Erlaß losließ, daß die Kinder, wenn ihre Eltern das beantragen, nicht mehr in den Religionsunterricht gehen müssen. Da hat die Kirche gegen dieses „Elternrecht" protestiert. Warum? Weil sie den Anspruch auf das getauhe Kind hat. Dies ist eine alte und tiefe Problematik. Wir haben nun in der Debatte erfahren, daß es wesenhah ein Stück des Naturrechts sei, den Eltern dieses spezifische Recht, den Charakter der Schule zu bestimmen, zu geben. Da liegt eine Lücke im Denken. Die Schule ist eine Veranstaltung der Gemeinschaft. Wir selber sind nicht für ein Staatsmonopol. Der Antrag über die Schule trägt ja meinen Namen. Darin ist auch das Recht auf die Privatschulen neben dem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach für alle öffentlichen Schulen genannt. Wir sehen aber nun, daß heute der Staat in seiner Verpflichtung und in seinem Anspruch, die Schule zu erstellen und zu leiten, bekämpft, befehdet, begrenzt erscheint. Es gibt auch evangelische nicht viele, aber einige -, die, wie mir scheint, jene Schrift des Bischöfe Martin Luther79) vergessen haben, die vorhin schon von Menzel zitiert wurde, sein Sendschreiben an die Bürgermeister und so fort. Diese war nicht bloß eine deutsche schulpolitische Sache jener Zeit, sondern wurde mit der größte Beitrag für die Bildungsgeschichte der ganzen Welt, der von Deutschland ausging, weil damit der Anspruch, das Recht und die Pflicht der weltlichen Gewalt auch für die christliche Unterweisung, die Luther verlangt, ausgegeben war. Ich habe im Hauptausschuß, als ich von den Dingen zu reden hatte, und auch bei unserer ersten Zusammenkunh im September hier davon gesprochen, daß die Frage des sogenannten Elternrechts ein Problem nationalpolitischer Tragik geworden ist, weil mit der unerhörten Binnenwanderung, mit der Überschwemmung des cujus regio ejus religio ein konfessioneller Mischprozeß in die kleinen Städte, in die Dörfer getragen wurde. Wir dürfen die Kinder nicht durch Isolierung gefährden, weil sie etwa in evangelischem Umland Katholiken sind. Denn dann bleiben sie Schlesier oder Sudetenleute: die Kinder wachsen nicht nationalpolitisch in ihrer Heimat zusammen. Ich will auch nicht davon sprechen, daß uns der Vorschlag gemacht worden ist, aus der Charta der UN80) jenen Satz herauszunehmen, nach dem die Eltern das Recht haben, die Art der Erziehung zu bestimmen. Das bedeutet doch, ob private oder öffentliche Schule, ob Realschule oder Gymnasium zu besuchen seien, und nicht innere Gestaltung des Schulwesens. Wort

-

;) Adolf Hoffmann (1858-1930), sozialistischer Politiker und Verfasser der Agitationsschrift „Die Zehn Gebote der Besitzenden Klasse" 1891, bis 1920 in 15

Auflagen erschie-

nen.

') Luther an die Bürgermeister siehe Anm. 46. ') Charta der UN siehe Leland M. Goodrich [. .]: Charter of the United tary and Documents. New York, London 1969.

Nations. Commen-

.

539

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Monaten über diese Dinge diskutierten, habe ich zum Ausdruck wir wollen nicht irgendwelche unverbindlichen Formen finden, bei gebracht, denen sich jeder etwas anderes denken kann. Denn solches Kompromiß schafh

Als wir

dann

vor

nur

Verunklarung.

Das Wort Elternrecht hat in der deutschen Geschichte eine spezifische Bedeutung bekommen und ist in das Weimarer Schulkompromiß81) mit durch die Sozialdemokraten hineingekommen. Warum dies? Weil damals innerhalb der Sozialdemokratischen Partei noch traditionelle Freidenkerpropaganda vorhanden gewesen ist. Manchmal habe ich die Sorge, daß von rechts her nach links gesehen wird: Wo ist denn der Adolf Hoffmann82) hingekommen, der uns die Pointen für die Agitation liefert? Es ist nur Grève da das „nur" ist vielleicht untertrieben -, ein Mann von Gewicht, nicht übersehbar, nicht überhörbar. Aber Grève reicht als Propagandamodell nicht aus; er hat ja wohl auch keine Missionsabsicht, soweit ich ihn kenne. -

(Heiterkeit.) Sie dieses, daß

Begreifen

es geistesgeschichtlich ein außerordentlicher Fortschritt ist, daß die Sozialdemokratische Partei sich gelöst hat oder sich löst von dem mechanistischen, materialistischen Grundtenor ihrer früheren Tradition83) in den religiösen Fragen? Sie sollten sich auf der Rechten darüber freuen. Von dieser Seite her nun aber ein Weiteres. Die Sache hat auch ihre kirchlichen Aspekte. Die Parteien mögen sich für ihren Bedarf so ihre Phantome bilden; die Kirchen sollen und dürfen das nicht. Ich will einen Satz vorlesen ich tue das nicht gern, aber es ist notwendig -, der vor ein paar Monaten an einen sozialdemokratischen Zeitungslizenzträger hinausging, der sich darüber beschwert hatte, daß gegen seine Zeitung von seifen der Pfarrer Propaganda gemacht werde; ein, wie mir gesagt wird, praktizierender Katholik. Am 11. März 1949 wird vom Erzbischöflichen Generalvikariat in Paderborn diesem -

Mann geschrieben: „Es ist schon eine ernste Gewissensfrage, ob ein Katholik oder der FDP angehören darf."

jetzt noch der

SPD

(Hört! Hört!)

Wegen

unserer Auseinandersetzung über das Elternrecht „angehören darf"! Der der dies schrieb, hat vermutlich keine Kenntnis von dem Inhalt des Mann, Konkordats84), in welchem den Priestern politische Zurückhaltung auferlegt ist. Er hat kein rechtes Gefühl von dem, was Gewissensfreiheit heißt. Aber das müssen wir um der Klarheit willen sagen: so geht es nicht. Die Stellung der Kirche im öffentlichen Leben wird von mir sehr groß und bedeutend und wichtig gesehen. Ich denke nicht etwa daran, die Kirche in den Raum der Kirche einsperren zu wollen: Wortverkündigung, Seelsorge, Sakramentsverwaltung. Die Kirche hat schon mehr. Adolf Kolping85) und der Freiherr

81) 82) 83) 84)

85j 540

Zum Weimarer Schulkompromiß siehe Dok. Nr. 3, Anm. 95. Siehe oben Anm. 78. Der Rest des Absatzes in der Vorlage handschr. hinzugefügt. Zum Konkordat siehe Anm. 48. Adolf Kolping (1813-1865), katholischer Theologe. Er gründete 1849 in Köln Gesellenvereine, aus denen sich das Kolpingwerk entwickelte. NDB, Bd. 12, S. 475.

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waren vielleicht mäßige87) Theologen, aber große christliche Und für uns Ältere ist der Name Hitze88} noch eine deutliche Erscheinungen. Wir wissen, was dieser Mann bedeutet hat in seiner aus dem Raum Erinnerung. der Kirche in die soziale Arbeit hinauswirkenden Bedeutung. Und in der evangelischen Kirche gibt es wohl von dem Schleiermacher89) über den Tholuk90) Frank91), Ritsehl92) und Harnack93) bis zu dem Barth94) bedeutende Theologen. Aber die großen Erscheinungen sind Johann Heinrich Wichern95) und Friedrich von Bodelschwingh96), die Männer, die, nur von der Christlichkeit ihres Wesens bestimmt, in das breite und böse Leben gegangen sind; sie haben hineingewirkt in die Seelen, aber nicht Parteipolitik gemacht. Lassen Sie mich ein sehr ernstes Wort sagen: Kirchen sollen sich nicht auf Parteien stützen wollen. (Sehr gut! bei der SPD.) Das ist ihrer nicht würdig; denn sie haben ihren Auftrag aus dem Ewigen. Aber auch die Parteien sollen sich nicht auf Kirchen stützen wollen. Die Parteien sind weiß Gott sehr diesseitige Gebilde mit allerhand Schlauheit, Taktik und kleinem Machtsinn, mit dem sie nicht die Kirchen belasten sollen und belasten dürfen. Wenn ich gehagt werde, ob so etwas in eine Schlußrede zu dem Grundgesetz der Deutschen gehört, habe ich zu antworten: Ja, weil wir in diesen Dingen eine reinliche Lüh haben müssen, gerade auch um der Kirchen willen, und weil wir unserem politischen Leben in seinen säkularisierten Bedingtheiten sein eigenes Recht und seinen Raum zu lassen und zu sichern haben. Wir haben hier redlich zusammengearbeitet. Das Schicksal hat es gefügt, daß die Gruppe, für die zu sprechen ich den Auftrag habe, in eine Mittleraufgabe von

Ketteier86)

Emmanuel von Ketteier (1811-1877); 1850 Bischof von Mainz, MitFrankfurter Nationalversammlung (1848/1849) und des Reichstages (1871/1872). NDB, Bd. 11, S. 556 ff. In der Vorlage handschr. geändert aus „schlechte". Franz Hitze (1851-1921), katholischer Theologe und Sozialpolitiker, 1884-1921 MdR. Hubert Mockenhaupt: Franz Hitze, in: Zeitgeschichte in Lebensbildern. Hrsg. von R. Morsey (Bd. 1), S. 53 ff., Mainz 1973. Friedrich Schleiermacher (1768-1834), protestantischer Theologe und Philosoph. Die Großen Deutschen. Deutsche Biographie. Hrsg. von Hermann Heimpel, Theodor Heuss, Benno Reifenberg. Bd. 5, Berlin 1957, S. 191 ff. Friedrich Tholuk (1798-1877), evangelischer Theologe. Ludwig Frank (1874-1914), 1907-1914 MdR, begründete 1904 die sozialistische Arbeiterjugend. Heuss, der mit Frank befreundet war, verfaßte später einen Artikel über ihn im Rahmen des von ihm herausgegebenen Werkes Profile, Nachzeichnungen aus der Geschichte. Tübingen 1964, S. 236-239. Albrecht Ritsehl (1822-1889), evangelischer Theologe. Karl Gustav Adolf von Harnack (1851-1930), Theologe und Professor für Kirchengeschichte in Leipzig (1876), Gießen (1879), Marburg (1886) und Berlin (1888-1921). NDB, Bd. 7, S. 688 ff. Karl Barth (1886-1968), Schweizer, reformierter Theologe. Johann Hinrich Wichern (1808-1881), evangelischer Theologe, Begründer des „Rauhen Hauses" und der Inneren Mission. Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910), evangelischer Theologe, seit 1872 Leiter der 1867 geschaffenen, später nach ihm benannten Anstalten in Bethel bei Bielefeld. NDB, Bd. 2, S. 352.

86) Freiherr Wilhelm

glied 87) 88)

89) 90) 91)

°2) 93) 94) 95) 96)

der

541

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ist. Ich möchte für uns den Anspruch erheben, daß Sie zugestehen, daß wir dieser Aufgabe gut gedient haben. In welche Situation wären wir so oh gekommen verzeihen Sie! -, wenn nicht ein Mann wie Höpker-Aschoff zur Verfügung gestellt gewesen wäre! Wir haben die große Mehrheit, von der wir hoffen, daß sie kommt, mit um deswillen zu bilden gesucht, weil nur mit einer großen Mehrheit das, was wir jetzt gemacht haben, im breiten Volk aufgenommen werden wird; das wird nicht überall der Fall sein. Die formalistischen, die Literaten-Demokraten97) wissen und werden beweisen, daß wir hier wesentlich Dummheiten gemacht haben. Sie belehren uns, daß eine Entscheidung der Demokratie in ihrer Natur auf Mehrheit und Minderheit, also auf Sieg und Niederlage abgestellt ist. Es darf hier in diesem Hause keiner besiegt worden sein. Und wenn jemand aus Eigenem dagegen stimmt, dann vielleicht aus Gründen, die nun draußen liegen, oder aus einer romantischen Rechthaberei in die Betrachtung der deutschen Dinge oder weil er sich davon eine Wahlpointe verspricht. Fast möchte mir auch scheinen, daß der Verlauf und das Ergebnis etwa ein Gegenbeweis gegen das ist, was uns jene Formaldemokraten immer erzählen, daß mit der „festen" Mehrheit und Minderheit, mit der Nr. 1 und Nr. 2, mit dem Zweiparteiensystem die deutschen Dinge zu meistern wären. Sie wären nicht zu meistern. Wir haben es gesehen. Lassen Sie mich wenige Schlußbemerkungen machen. Menzel hat damit begonnen, an den Tag zu erinnern, an dem wir heute mit vier Jahren Abstand hier zusammentreten. Ich weiß nicht, ob man das Symbol greifen soll, das in solchem Tag liegen kann. Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind98).

gekommen

-

(Sehr gut!)

Darf ich ein persönliches Wort sagen: In die verwirrte Seele trat damals plötzlich die Erinnerung an den 9. Mai, in den wir hineingingen. Das war der 140. Todestag von Friedrich Schiller, und es ging mir durch das Gehirn und ließ mich nicht mehr los ein kleiner Vers des Dichters, den Sie in Ihren S chiller-Ausgaben nicht finden werden, weil er erst später von Bernhard Suphan99) entdeckt wurde, 1803/94 entworfen: Stürzte auch in Kriegesflammen Deutsches Kaiserreich zusammen, Deutsche Größe bleibt bestehn! Schiller, der nicht nur ein Dichter, sondern auch ein großer Geschichtsdenker war, wollte irgendwie den Sinn des Vorgangs deuten, daß das alte Heilige

) In der Vorlage handschr. geändert aus „die gelernten Demokraten". ;) Dieser Ausspruch von Heuss wurde im Vorfeld des 50. Jahrestages des

')

542

8. Mai 1945 von einer „Initiative 8. Mai" für einen in der deutschen Publizistik heftig umstrittenen Aufruf gewählt, der sich dagegen wandte, den 8. Mai 1945 vor allem als Tag der Befreiung zu feiern. Vgl. den Aufruf in der Frankfurter Allgemeinen vom 7. April, ferner Leitartikel von Eckhard Fuhr in der Ausgabe vom 11. April 1995, erneuter Aufruf vom 18. April 1995; ferner zahlreiche Leserbriefe. Bernhard Suphan (1845-1911), Literaturwissenschaftler, seit 1887 Direktor des Goetheund Schillerarchivs Weimar.

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Sitzung des Plenums 8.

Mai 1949

Nr. 10

Römische Reich Deutscher Nation zerbröselte. Der alte Kaisertraum in Sinn und Wirklichkeit ging unter. Vor unserer eigenen Aufgabe ist es fast eine schreckhafte Verpflichtung an dieses Wort „Deutsche Größe bleibt bestehn" noch zu glauben. Wir können hier „Deutsche Größe" nicht beschließen und nicht beschließen wollen. Für Schiller war dieses Wort damals die Flucht in das Geistige, in das Unverlierbare, in das, was vom Tagesgeschehen unabhängig ist. Wir aber wollen wieder Ansätze ach Gott! -, ganz nüchtern und machen, nicht zur politischen „Macht" bescheiden zum bloßen politisch einheitlich Lebenkönnen. Dahinter aber steht dann doch dies Wort was ich eine schreckhafte Verpflichtung nannte von der deutschen Größe. Wir spüren dies, daß in der Auseinandersetzung mit den Völkern und Nationen das Zu-sich-selber-gefunden-haben der Deutschen erst Wirklichkeit geworden sein muß und daß unsere politische Arbeit, die noch durch viel Turbulenz, durch viele Enttäuschungen und durch viele Rückschläge hindurchgehen wird, eben in dem Ergebnis dieses Tages ein ganz kleines Stück festen Bodens für das deutsche Schicksal geschaffen haben wird. (Lebhahe Bravorufe und Händeklatschen.) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Reimann. Reimann (KPD): Meine Damen und Herren! An die Spitze meiner Ausführungen möchte ich eine nette Sache setzen, die ich soeben erfahren habe und mit der ich dieses ganze Verfassungswerk charakterisieren möchte. Herr Dr. Menzel von der sozialdemokratischen Fraktion hat eben eine sehr nette Rede gehalten und sich in dieser Rede sehr lobend ausgesprochen über den Artikel 21 Absatz 1, in dessen zweitem Satz es von den politischen Parteien heißt: Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen und durch Offenlegung der Finanzquellen gegen undemokratische Einflüsse gesichert sein. Herr Dr. Menzel nannte dies in seiner Rede einen sehr großen Fortschritt für die kommende Demokratie. Er hielt gerade seine Rede, da flatterte uns ein Abänderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion auf den Tisch. (Dr. Schmid: Nein, nicht der Fraktion!) Ach, nicht der Fraktion? Du lieber Himmel! Also die sozialdemokratische Fraktion ist nicht mehr eine Fraktion? Das ist sehr nett, Herr Professor Schmid! Es ist ein Abänderungsantrag von Herrn Minister Zinn und Herrn Kaufmann100), in dem gesagt wird, daß dieser Satz, den Herr Menzel so sehr herausstrich als den Satz, der eine wirkliche demokratische Entwicklung garantiere, nun auf einmal ad acta gelegt werden soll. Mit diesem einen Beispiel, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen beweisen, in welch einer Verfassung Sie sich mit Ihrer Verfassung befinden. (Renner: Sehr gut!) -

-

-

-

') Drucks. Nr. Artikel

Antrag Zinn, Kaufmann vom 7. Mai 1949: „Es wird beantragt, in den zweiten Satz zu streichen und durch folgenden Satz zu ersetzen: muß demokratischen Grundsätzen entsprechen'".

892: 21 Abs. 1

,Ihre Ordnung

543

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Sitzung des Plenums 8.

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Meine Damen und Herren101)! In der von Ihnen beschlossenen Präambel des Grundgesetzes, das Sie fälschlich als ein Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ansprechen, stehen einige Formulierungen, die eine offenkundige Irreführung des deutschen Volkes und auch eine historische Unwahrheit bedeuten. Sie behaupten, das Grundgesetz sei geschaffen zur Wahrung der nationalen und staatlichen Einheit Deutschlands. Sie behaupten, das deutsche Volk habe aus seiner verfassunggebenden Gewalt heraus dieses Grundgesetz beschlossen. Es soll nach Ihrer Fiktion Deutschland zu einem gleichberechtigten Glied in einem vereinten Europa machen und dem Frieden der Welt dienen. Sie behaupten in der Präambel ferner, das deutsche Volk habe auch für jene Deutschen gehandelt, „denen mitzuwirken versagt war". Ich beginne bei dieser letzten Formulierung. Nicht einmal das deutsche Volk im Westen Deutschlands hat an dieser Verfassung mitgewirkt. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates sind in den Landtagen der verschiedenen Länder der Trizone bestimmt worden. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Gewählt worden!) Das Volk hat nicht durch eine Wahl die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates zu dieser Tätigkeit bestimmt. (Dr. Menzel: Und beim Volksrat?!)102) Die Bildung dieses Parlamentarischen Rates geht zurück auf einen Beschluß der westlichen alliierten Mächte, verankert in den sogenannten Londoner Empfehlungen103), in denen die Schaffung eines separaten westdeutschen Staates angeordnet ist. Dieser Wille der westlichen Besatzungsmächte ist durch die Gouverneure an die Ministerpräsidenten der Trizone weitergeleitet worden. Diese haben den Befehl zur Bildung des westdeutschen separaten Staates übernommen. Ebenso waren sie einverstanden mit den Vorschrihen, die die Besatzungsmächte bezüglich des Charakters dieses westdeutschen separaten Staates diktierten. Die Ministerpräsidenten ihrerseits haben dann den ihnen übertragenen Befehl an den Parlamentarischen Rat zur Ausführung weitergegeben. Ihre Behauptung in der Präambel also, das deutsche Volk habe dieses getan, ist eben die von mir vorhin festgestellte Irreführung. Mit der Übernahme dieses Amtes haben Sie gleichzeitig die Befehle der Besatzungsmächte in bezug auf den föderativen Charakter dieses Staates anerkannt104). Sie waren sich auch klar darüber, daß die Bildung dieses separaten Weststaates die nationale und staatliche Einheit Deutschlands zerschlagen mußte.

Wie steht

es

nun

Präambel sprechen, haben soll?

101)

Die

mit der verfassunggebenden Gewalt, von der Sie in der aus der heraus das Volk dieses Grundgesetz beschlossen

folgende Ansprache als Manuskript mit handschr.

Korrekturen in: SAPMO NY 4230

(NL Reimann)/vorl. 25. Sie wurde auch verkürzt vervielf. als Sondernummer des Sozialistischen Informations-Dienstes, hrsg. vom KPD Parteivorstand Frankfurt/Main vom 14. Nov. 1949.

102) Zum Deutschen Volksrat siehe Dok. Nr. 1, Anm. 40. 103) Londoner Empfehlungen, Abdr.: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. 104) Gemeint waren die Frankfurter Dokumente, Abdr. in: Der Pari. 544

Rat Bd. 1, S. 30 ff.

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Sitzung des Plenums 8. Mai 1949

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Meine Damen und Herren! Die deutschen staatlichen Hoheitsrechte sind durch den Berliner Vertrag105) vom Juni 1945 von den vier Besatzungsmächten übernommen worden. Ausübendes Organ ist der alliierte Kontrollrat und nur dieser Kontrollrat in seiner Gesamtheit ist berechtigt, Anordnungen zu treffen, die gesamtdeutsche Fragen angehen. Das steht wörtlich in diesem Abkommen.

(Renner: Sehr richtig!)

Teilen des Kontrollrats über Fragen, die Deutschland als Ganzes betreffen, sind weder völkerrechtlich bindend noch für das deutsche Volk verpflichtend. Teile der Kontrollratsmächte, wie etwa die Teilnehmer der Londoner Konferenz, sind nicht berechtigt, von deutschen Hoheitsrechten Gebrauch zu machen. Die Londoner Empfehlungen aber gehen zurück auf eine Anordnung der Londoner Konferenz unter Hinzuziehung der Benelux-Staaten. Sie bedeuten einen Bruch des Viermächteabkommens, in dem sich die alliierten Mächte zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands verpflichtet haben. Sie bedeuten aber auch einen Bruch der Verpflichtungen gegenüber unserem Volke, die deutschen Hoheitsrechte treuhänderisch zu verwalten. Die Spaltung Deutschlands und die Schaffung des Ruhrstatuts106), durch welches die wirtschaftliche Basis und somit die Existenz unseres Volkes bedroht sind, sind unvereinbar mit der übernommenen Treuhänderschaft, weil sie einen vernichtenden Eingriff in die Struktur des ihnen anvertrauten Deutschland bedeuten. Die westlichen Besatzungsmächte haben bisher deutsche Hoheitsrechte an das deutsche Volk nicht zurückgegeben, und sie gedenken dies auch nicht zu

Entscheidungen

von

tun.

Beweis dafür ist das von Herrn Dr. Schumacher und nachträglich auch von Herrn Dr. Adenauer geforderte Besatzungsstatut107). Dort heißt es im ersten Satz

wörtlich: „In Ausübung der von den Regierungen Frankreichs, der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs vorbehaltenen obersten Gewalt ..." Es ist also eine offensichtliche historische Fälschung, wenn Sie in der Präambel aussprechen, das deutsche Volk in den elf Ländern der Trizone habe von seiner verfassunggebenden Gewalt Gebrauch gemacht. Nun behaupten Sie aber in der Präambel sogar, auch für jene Deutschen gehandelt zu haben, „denen mitzuwirken versagt war". Glauben Sie denn, daß die Befehle der westlichen Besatzungsmächte auch in der sowjetischen Besatzungszone maßgebend sind oder umgekehrt, oder glauben Sie gar, daß das deutsche Volk in der sowjetischen Besatzungszone sich einer derartigen Verfassung unterstellen würde, an der es überhaupt nicht mitgearbeitet hat, das deutsche Volk weder im Westen noch im Osten? (Renner: Sehr gut!) Das würde zum Beispiel bedeuten, daß das werktätige Volk in der sowjetischen Besatzungszone, daß die Wissenschahler und sonstigen Geistesarbeiter Verzicht leisten müßten auf alle politischen, wirtschahlichen und sozialen Errungenschaften, die sie sich in der Durchführung der Bestimmungen des Potsdamer

105) Berliner Deklaration siehe Dok. Nr. 6, Anm. 30. 106) Zur Ruhrkontrolle siehe Dok. Nr. 2, Anm. 68. w7) Besatzungsstatut siehe Der Pari. Rat Bd. 4, S. 56. 545

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8. Mai 1949

Abkommens erobert haben. Ich behaupte, wenn das Volk im Westen Deutschlands dieses Verfassungswerk kennenlernt, wenn es seine Bedeutung begreih, dann wird es dieses Werk durch einen Volksentscheid ablehnen. Daß diese meine Behauptung zutrifft, geht auch daraus hervor, daß Sie Angst haben, (Renner: Sehr gut!) dem Volke diese Verfassung zur Abstimmung vorzulegen108). Sie sprechen aber auch davon, daß das deutsche Volk selbst diese Verfassung geschaffen habe. Auch darin liegt eine Unwahrheit. Das Volk würde diese Verfassung ablehnen, weil sie die Spaltung Deutschlands bedeutet. Es würde die Verfassung auch ablehnen, weil sie gedacht ist für einen reaktionären, monopolkapitalistischen Staat, dessen wirtschaftliches Potential und dessen Jugend Sie im Rahmen des Atlantikpaktes zu kriegerischen Zwecken in einer Auseinandersetzung zwischen dem kapitalistischen Westen und dem Lande des Sozialismus und den Volksrepubliken einsetzen wollen. Deshalb lehnten Sie auch den Kriegsächtungs-Artikel ab (Renner: Sehr richtig!) und legten in dieser Verfassung fest, daß Waffenbestellungen und Beförderung von Waffen nur mit Zustimmung der Regierung erfolgen dürfen. Das aber, meine Damen und Herren, bedeutet doch, daß auf deutschem Boden Kriegsmaterial hergestellt werden soll. Ich habe soeben gesagt, daß Sie eine Verfassung für einen reaktionären Staat geschaffen haben. Für diese Behauptung bin ich den Beweis schuldig. Herr Dr. Adenauer, es ist doch wahr, daß Sie von Anfang an gegen das Potsdamer Abkommen waren? Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an Ihre Reden im Zonenbeirat, in denen Sie ganz offen gesagt haben: „Niemals werden wir das Potsdamer Abkommen109) annehmen!" Welches ist nun der Inhalt dieses Potsdamer Abkommens, und warum sind Sie dagegen? Das Potsdamer Abkommen sieht vor die Demokratisierung ganz Deutschlands, ebenso seine Entmilitarisierung, die Durchführung einer Bodenreform in ganz Deutschland, ferner die Auflösung der Monopole und Konzerne in ganz Deutschland. Das bedeutet, Herr Dr. Adenauer, daß den Krähen, die Sie politisch und wirtschaftlich vertreten, nämlich das deutsche Monopolkapital im Westen Deutschlands, die wirtschaftliche und politische Macht entzogen werden soll. Weil Sie aber der Vertreter dieses deutschen Monopolkapitals sind, sind Sie gegen das Potsdamer Abkommen. Sie sind aber auch noch aus einem anderen Grunde gegen das Potsdamer Abkommen. Wie ich schon einmal feststellte, läßt das Potsdamer Abkommen die Einheit Deutschlands unangetastet; es sieht die Bildung von deutschen Staatssekretariaten110) und die spätere Bildung einer gesamtdeutschen Regierung vor. Sie aber, Herr Dr. Adenauer, verfolgten schon nach dem ersten Weltkriege

108)

Zur Frage der S. 252 ff.

Ratifizierung

des GG siehe

log) Potsdamer Abkommen siehe Dok. Nr. 1,

Jung: Grundgesetz und Volksentscheid,

Anm. 22. Adenauer und Reimann waren beide Siehe Akten zur Vorgeschichte

Mitglieder im Zonenbeirat der britischen Zone gewesen.

no) 546

Bd. 1 ff. Siehe Dok. Nr. 6, Anm. 87.

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Sitzung des Plenums 8. Mai 1949

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eine andere Konzeption; ich werde dazu in meinen späteren Ausführungen noch Stellung nehmen. Nicht nur Herr Dr. Adenauer, auch Herr Dr. Schumacher war gegen die Durchführung des Potsdamer Abkommens in ganz Deutschland. Hier begegnen sich die Interessen der westdeutschen Politiker mit denen der in- und ausländischen Imperialisten. Das Abgehen von den Potsdamer Beschlüssen, die Bildung eines westdeutschen Staates durch Sie ist nur möglich geworden, weil Sie dies gewollt haben. Herr Dr. Schumacher hat als erster deutscher Politiker das Besatzungsstatut gefordert111). Es ist unwesentlich, was man sich bei dieser Forderung gedacht hat; entscheidend sind die Auswirkungen. Mit der Forderung nach einem Besatzungsstatut hat Herr Dr. Schumacher geradezu den Boden für die Londoner Empfehlungen112) vorbereitet. Ich wage zu behaupten; Wenn Sie, meine Damen und Herren, nicht gegen dieses Abkommen gewesen wären, dann hätten die inund ausländischen Krähe niemals Deutschland spalten können, dann wäre der Kontrollrat niemals aktionsunfähig geworden. Darum tragen Sie als deutsche Politiker die Hauptverantwortung vor dem deutschen Volke. Sie, meine Damen und Herren, versuchen dem deutschen Volke einzureden, Sie seien für die Einheit Deutschlands. Sie haben aber alle Bemühungen einzelner politischer Persönlichkeiten um die Herbeiführung einer gemeinschaftlichen deutschen Aussprache torpediert, und der, der den stärksten Widerstand dagegen aufbrachte, war Herr Dr. Schumacher. Sie haben diese Linie Ablehnung von Gesprächen aller deutschen Politiker bis zum heutigen Tage durchgehalten. Sie haben alle unsere Anträge abgelehnt, die darauf abzielten, die Tätigkeit des Parlamentarischen Rates einzustellen, und haben jetzt noch einen Regierungsausschuß gewählt113). Sie haben ferner unsere Anträge abgelehnt, die darauf hinausliefen, deutsche Politiker aus ganz Deutschland an einen Tisch zu bringen. Vorgestern und auch heute noch lehnten Sie unseren Antrag ab, eine solche Aussprache durchzuführen. Also nicht das, was Sie sagen, ist entscheidend, sondern das, was sie tun. Wir sollten jetzt vermeiden, Sand in das Getriebe der Aussprache zwischen den alliierten Großmächten zu streuen. Sie aber, meine Damen und Herren, verfolgen Ihre Politik weiter. Wir kommen an dieser gesamtdeutschen Aussprache doch nicht vorbei. Oder fühlen Sie sich verpflichtet, auch hier erst wieder einen Befehl der Militärgouverneure abzuwarten? Sie glauben, daß das ganze deutsche Volk sich dieser Verfassung anschließen werde. Wer sich aber dieses Verfassungswerk einmal näher anschaut, der muß zu der Feststellung kommen, daß ihm alles fehlt zum Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Interessen und Rechte der breiten Masse des werktätigen Volkes. Die SPD und CDU/CSU haben sich dahin geeinigt, die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte nicht in die Verfassung aufzunehmen. -

-

ni)

Zur Entstehung der Forderung nach einem Besatzungsstatut siehe die Einleitung zu Bd. 4 dieser Edition, S. VII ff. 112) Londoner Empfehlungen siehe Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. 113) Damit war die Einsetzung eines Überleitungsausschusses gemeint. Vgl. Dok. Nr. 9, TOP 2.

547

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8. Mai 1949

Verfassung läßt aber auch keinen Raum für eine demokratische Fortentwicklung, weil die Krähe des Volkes in ihr vollständig ausgeschaltet sind. Das Volk wird nach den Bestimmungen dieser Verfassung nur einmal wirksam, und zwar bei der Wahl zum Bundestag. Ein Eingreifen des Volkes in die Legislative in der Form eines Volksentscheids haben Sie nicht vorgesehen; Sie haben alle Anträge abgelehnt, die darauf abzielten. Sie sagen zwar in Artikel 21 Ihrer Verfassung: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Aber durch die Errichtung des Bundesrats haben Sie die legislativen Rechte des Bundestags in entscheidenden Punkten eingeengt. Sie haben das Prinzip der Gewaltenteilung in seiner krassesten Form beibehalten, dieses Prinzip, an dessen Befolgung schon der Staat von Weimar zugrunde gegangen ist. Nach Ihrer Verfassung liegt die ExeDiese

kutive bei der Regierung. In Wirklichkeit wird sie wie im Weimarer Staat bei der Verwaltungs- und Regierungsbürokratie im Bunde, in den Ländern und in den Gemeinden liegen. Nachdem schon der Weimarer Staat daran gescheitert ist, daß die Verfassung keine Enteignung der monopolkapitalistischen Kräfte und der Großgrundbesitzer vorsah, wird der von Ihnen beabsichtigte separate Weststaat daran scheitern, daß in seiner Verwaltung die alten reaktionären Elemente dominieren, und daran, daß die monopolkapitalistischen Krähe und die Großgrundbesitzer nicht enteignet werden. Wenn man sich die unantastbare Stellung und Machtfülle vergegenwärtigt, die Sie nach dieser Verfassung dem Justizapparat gegeben haben, dann zwingt sich der Schluß auf, daß dieser Apparat, in dem das nationalsozialistische Element noch stärker ist als in der Verwaltung, genau wie in der Weimarer Periode auch in Ihrem neuen Staat die alte, zersetzende und volksfeindliche, gegen den Fortschritt ausgerichtete Tätigkeit ungehindert fortsetzen wird. Dem arbeitenden und schaffenden Volke haben Sie nicht einmal das zugestanden, was sogar die Weimarer Verfassung zugestanden hatte: das verfassungsmäßig unterbaute Recht auf den Streik. Den Beamten der öffentlichen Dienste und Verwaltungen haben Sie dieses Streikrecht direkt verweigert. Vor einigen Tagen noch, am 1. Mai, dem Feiertag der Werktätigen, haben sich sozialdemokratische Politiker vor die werktätigen Massen hingestellt und ihnen vom Kampf um die Verwirklichung des Sozialismus erzählt. Sie haben dabei die Forderung auf Sozialisierung der Grundstoffindustrien, auf Eroberung des Mitbestimmungsrechts der Gewerkschaften in der Wirtschah und in den Betrieben erhoben. Meine Herren der sozialdemokratischen Fraktion! Zeigen Sie mir in dieser Ihrer Verfassung einen Anhaltspunkt für die Möglichkeit einer Verwirklichung dieser Forderungen, zu denen sich auch heute noch der Deutsche Gewerkschahsbund bekennt. In diesem Ihrem Verfassungswerk haben Sie auf all das, was Sie noch am 1. Mai gefordert haben, Verzicht geleistet. Am Anfang Ihrer Politik im Parlamentarischen Rat stand die Bereitwilligkeit zum Kompromiß mit der CDU und CSU, und diese Politik haben Sie bis zum Ende durchgehalten. Daran ändert auch nichts der Theaterdonner, den Sie am 20. April in Hannover aufgezogen haben114). Unter der Führung des Herrn Carlo Schmid ist die SPD von Anfang bis zum Ende in dem Sinne aufgetreten, als handle es sich

) 548

Zu den Beschlüssen der SPD

vom

20.

April 1949 in Hannover siehe Anm.

57.

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Sitzung des Plenums 8.

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darum, ein Statut für

einen Geselligkeitsverein zu organisieren. Sie haben den Grundsatz eines Ferdinand Lassalle115) verraten, daß Verfassungsewig richtigen sind. haben die Macht durch Ihren Kompromiß mit der Sie hagen Machthagen CDU/CSU in die Hand derjenigen gespielt, die die Urheber des Klassenkampfes sind. Sie haben die Anwendung der Erkenntnis Lassalles der CDU/CSU überlassen. Sie wagen nicht einmal, das von Ihnen bejahte Grundgesetz der Abstimmung durch das Volk zu unterstellen. Sie wissen ganz genau, warum. Das Volk wird jedoch über dieses Werk und Ihre Haltung in den Auseinandersetzungen darüber zu gegebener Zeit seine Entscheidung fällen. Wer ist denn der politische Repräsentant der reaktionären Mächte im Westen Deutschlands? Es ist doch kein anderer als Herr Dr. Adenauer, der Präsident dieses Parlamentarischen Rates, der heute den Schlußstrich unter das von Ihnen gemäß den Befehlen der westlichen Besatzungsmächte erarbeitete Grundgesetz für den separaten Weststaat zieht116). Welche Genugtuung muß das für diesen Herrn Dr. Adenauer sein, der schon 1919 mit seinen separatistischen Bemühungen einsetzte117), daß ihm nun endlich nach so langen Jahren gelungen ist, was er im Grunde genommen stets gewollt hat! Herr Dr. Adenauer! Vor genau 30 Jahren, im Jahre 1919, riefen Sie als Oberbürgermeister von Köln dazu auf, die Initiative zur Gründung eines separaten Weststaates, den Sie damals Rheinstaat nannten, zu ergreifen. Herr Dr. Adenauer, in einer Rede vor den Kölner Stadtverordneten haben Sie damals erklärt, der preußische Ministerialdirektor Preuß118), der das Projekt der beabsichtigten Teilung Preußens bearbeiten solle, habe die Sache zu den Akten gelegt. Aus diesem Grunde und aus der weiteren Erwägung heraus, daß England niemals sein Einverständnis dazu gebe, daß die Rheinlande an Frankreich kämen, müsse nunmehr die rheinische Bevölkerung von sich aus das Projekt ins Rollen bringen. Dabei dürfe sich die rheinische Bevölkerung, so sagten Sie weiter, nicht von falsch verstandenen Rücksichten auf die deutschen Ostprovinzen leiten lassen. Es sei Ihnen, Herr Dr. Adenauer, bekannt, daß der deutsche Osten dem Rheinstaatprojekt ablehnend gegenüberstehe, weil der wirtschahlich arme und schwache Osten ohne den wirtschahlich reichen Westen nicht existieren könne. Die Rheinlande, so sagten Sie, könnten und dürhen aber nicht länger darauf Rücksicht nehmen; vielmehr gehe es jetzt darum, daß die rheinische

115) Siehe Dok.

Nr. 3, Anm. 53. Reimann hatte diesen Satz

von

Lassalle bereits

Plenarsitzung angeführt. Siehe S. 11. die KPD entsprechende Attacken gegen Adenauer vorbereitete,

zu

Beginn der

ersten

116) Daß

hatte dieser bereits einem Schreiben des Geschäftsführers des CDU-Kreisverbandes Altenkirchen, Raymund Helmert, vom 23. Febr. 1949 erfahren. Helmert berichtete, führende Persönlichkeiten der rheinisch-pfälzischen KPD hätten den Schriftsteller Josef Hoffmann aufgeaus

sucht, um dessen Materialsammlung.zur rheinischen Separatistenbewegung auszuwerten, und gegen Adenauer eine Großaktion vorzubereiten (Mensing: Adenauer, Briefe, S. 415). Zu einer ersten diesbezüglichen Attacke war es bereits in der 56. Sitzung des

117)

13. April 1949 gekommen (Verhandlungen, S. 48). Karl Dietrich Erdmann: Adenauer in der Rheinlandpolitik nach dem Ersten Weltkrieg. Stuttgart 1966 sowie Henning Köhler: Adenauer und die Rheinische Republik. Opladen

HptA am 1986.

118)

Zu Preuß siehe Dok. Nr. 2, Anm. 86.

549

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Zehnte

Sitzung des Plenums 8.

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selbst und beschleunigt ihre Interessen wahrnehme, beschleunigt weil die damaligen Alliierten sich noch nicht einig darüber seien, was deshalb, mit den Rheinlanden geschehen solle. In Anbetracht dieser einmaligen und einzigartigen Konstellation müsse, so sagten Sie, ganz schnell gehandelt werden; die rheinische Bevölkerung müsse ihrerseits sofort die Initiative ergreifen, sonst seien alle verloren. Das sagten Sie, Herr Dr. Adenauer, im Jahre 1919 in einer Stadtverordnetensitzung in Köln. Derselbe Dr. Adenauer hat um dieselbe Zeit in einer Hauptversammlung der auf Antrag des Herrn Silverberg119) vom Braunkohlensyndikat gerade gegründeten Vereinigung der Rheinischen Industrie- und Handelskammern im alten Hansa-Haus in Köln einen Plan zur gewaltsamen Loslösung des Rheinlandes von der Saar bis zur holländischen Grenze und unter Einbeziehung des westfälischen Landes und der Emdener Häfen vorgetragen. Er hat damals berichtet, sein Plan, hinter dem auch der Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer, Geheimrat Louis Hagen120), stehe, werde von der englischen Besatzungsmacht in Köln gebilligt; er habe die gleiche Aktion auch bei seinen Amtskollegen, also den Oberbürgermeistern dieser Gebiete, eingelei-

Bevölkerung

tet.

Zu diesen meinen Feststellungen liegt eine eidesstattliche Erklärung eines Herrn vor, der der damaligen Sitzung beiwohnte. (Dr. Adenauer: Namen nennen!) Den werden Sie sofort zu hören bekommen! Am 1. Januar 1919 wurde ein parlamentarischer Ausschuß aus acht Abgeordneten gebildet, der über die Stellung der Rheinlande beraten und entscheiden sollte. Der Vorsitzende dieses Ausschusses waren Sie, Herr Dr. Adenauer. Sehen Sie! Am 10. März 1919 fand in der Kasinogesellschah in Köln eine Versammlung dieser Separatisten statt. Es handelte sich dabei um den sogenannten Sonderausschuß für die Vorbereitung einer Volksabstimmung am Rhein. Die „Deutsche Zeitung" schrieb am 15. März 1919 über diese Versammlung, der Kölner Oberbürgermeister Adenauer, der Hauptdirigent der ganzen rheinischen Komödie sei nicht in Erscheinung getreten; er habe nicht einmal am Vorstandstisch gesessen, sondern vorn im Saal, im Publikum. Der Zentrumsabgeordnete Oberpfarrer Kastert121) teilte in dieser Versammlung mit, Dr. Adenauer, sein engerer Parteifreund, werde die Arbeit dieses Sonderausschusses auch weiter unterstützen. Herr Dr. Adenauer, Sie haben einmal zur Entschuldigung vorgebracht, daß Sie den Vorsitz dieses Separatistenausschusses nur übernommen hätten, um -

119) Paul Silverberg (1876-1959), Industrieller. Seit 1926 Mitglied der DVP und Angehöriger der „Ruhrlade", einem informellen Zirkel von zwölf einflußreichen Schwerindustriel-

zur politischen Einflußnahme verwaltete. Seit 1933 in die Reden und Schriften, hrsg. von Franz Mariaux. Köln 1951. Louis Hagen (1855-1932), rheinischer Bankier, zugleich seit 1915 Präsident der Industrie- und Handelskammer Köln. Kurt Pritzkoleit: Wem gehört Deutschland. Düsseldorf

len, die Gelder der Industrie

12°)

Schweiz emigriert.

Vgl.

1958.

121) Oberpfarrer Bertram Kastert, Vorsitzender der Kölner Zentrumspartei.

Zu den Vorgängen siehe auch Konrad Adenauer. Oberbürgermeister von Köln. Festgabe der Stadt Köln zum 100. Geburtstag ihres Ehrenbürgers. Hrsg. von Hugo Stehkämper. Köln 1976, S. 221 ff.

550

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Sitzung des Plenums 8. Mai

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verhindern. Diese Behauptung haben Sie sogar bis in die hinein exportiert. Auch dafür kann ich Ihnen den Beweis Reichsregierung liefern. Ich meine, das ist eine sehr unkluge Ausrede. Schauen Sie, Herr Dr. Adenauer, es gibt heute aktive Nazis wie Schepmann122), der sich hinstellt und sagt, er sei zwar Obergruppenführer und Stabschef der SA, aber niemals Nationalsozialist gewesen. Als Sie, Herr Dr. Adenauer, erkannten, daß Ihre Auffassungen nicht nur im damaligen Kölner Stadtverordnetenkollegium, sondern auch auf der Tagung der Vereinigung der Industrie- und Handelskammern auf Bedenken stießen und das Volk selbst gegen Sie Front machte, schalteten Sie sehr geschickt um und plädierten Sie für ein starkes, einheitliches Deutschland. Warum das Zentrum damals „Los von Berlin!" rief, ist eindeutig: Die kapitalistischen Auftraggeber von damals, die Kriegsgewinnler, fürchteten sich vor der Möglichkeit einer Enteignung, denn diese war in den Jahren 1919 und 1920 ja immerhin noch möglich, genau so wie heute. Wenn das Potsdamer Abkommen in ganz Deutschland Anwendung fände, dann würde allerdings die Enteignung Ihrer Herren Pferdmenges123), Thyssen124) und Klöckner125) drohen, die Sie hier ja

Schlimmeres

zu

vertreten.

Damals waren Sie, Herr Dr. Adenauer, der Vorsitzende dieses Separatistenausschusses. Heute ist Herr Dr. Adenauer der Vorsitzende des Parlamentarischen Rates. Damals wollten Sie das Rheinland von Deutschland trennen. Damals gelang es Ihnen nicht, denn es kämphen sozialdemokratische, christliche und kommunistische Arbeiter mit fortschrittlichen Bürgern gegen die Separatisten. Hunderte Deutscher haben infolge der Politik dieses Separatistenausschusses drüben am Rhein ihr Leben lassen müssen. Der Name Aegidienberg126) ist in die deutsche Geschichte als Sieg der Arbeiter und fortschrittlichen Bürger über den Separatismus eingegangen. Heute ist Herr Adenauer der Präsident des Parlamentarischen Rates, gewählt mit den Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion. Sie, meine Herren Sozialdemokraten, haben diesmal nicht wie damals die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei gegen diese separatistischen Bestrebungen gekämph. Heute leisten Sie ihnen und Herrn Dr. Adenauer in seinen Bestrebungen, Deutschland zu spalten, aktive Unterstützung. Wir werden im Landtag von Nordrhein-Westfalen, dessen Abgeordneter auch Sie sind, Herr Dr. Adenauer, auf die Dinge noch zu sprechen kommen, die ich

) Wilhelm Schepmann (1894-1970), seit Nov. 1943 Stabschef der SA; nach 1945 unter falschem Namen lebend, wurde er Ende April 1949 von den Engländern verhaftet und ;) J ) ')

den deutschen Behörden übergeben. Zu Pferdmenges siehe Dok. Nr. 6, Anm. 69. Fritz Thyssen (1873-1951), Industrieller. Peter Klöckner (1863-1940), schuf mit seinem Bruder Florian den Klöckner-Konzern. NDB, Bd. 12, S. 105 ff. Am Aegidienberg (Siebengebirge) und bei der gleichnamigen Gemeinde fand am 16. Nov. 1923 ein „Entscheidungskampf" zwischen Heimwehrverbänden und Separatisten statt, bei dem 14 Separatisten erschossen wurden. Siehe die zeitgenössische, lokalgeschichtliche Darstellung von Klaus Friedrichs: Die Separatistenschlacht im Siebengebirge. Neuwied 1931. 551

Nr. 10

Zehnte

Sitzung des Plenums

heute

angeschnitten habe, Erklärungen belegen127).

8. Mai 1949

und werden sie mit Material und mit eidesstattlichen

Sie, meine Damen und Herren, haben

unseren Antrag zu einer gemeinsamen aller deutschen Politiker Aussprache abgelehnt. Über die Begründung dieser dem Volke hier Sie im Westen Rede und Antwort stehen. Ablehnung mögen Liegt Ihre Ablehnung eines solchen Gesprächs im Interesse unseres Volkes? Die Stimmung und Sehnsucht in unserem Volke geht dahin, daß wir uns zusammen an einen Tisch setzen und die Vorschläge beraten, die wir der kommenden Außenministerkonferenz zur Bildung nicht einer westdeutschen Regiedie Sie bereits eingesetzt haben -, sondern einer gesamtdeutschen Rerung gierung machen sollten, in einem Gespräch über den Inhalt eines Friedensvertrags, in dem der Tag festgelegt werden soll, an dem die Besatzungstruppen aus ganz Deutschland abziehen. Unsere fugend ist den älteren Politikern bereits vorausgeeilt. Aus allen Parteien, auch aus der Sozialdemokratischen Partei, haben sich Vertreter der Jugend aus allen vier Besatzungszonen in Braunschweig zusammengefunden ich betone ausdrücklich: aus allen Parteien und haben einen Vorschlag ausgearbeitet, wie wir zu diesem einheitlichen Deutschland kommen. Ich glaube, daß wir mit diesem Beispiel der Jugend geradezu wetteifern müßten und nicht hier, wie Sie, Herr Carlo Schmid, große Wahlreden halten sollten. Ich sage Ihnen: Warten wir drei Wochen ab, und dann wird viel von dem, was heute hier gesagt ist, nicht mehr stimmen. Es wird und muß so kommen, daß wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen und einen deutschen Standpunkt für den politischen und wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands den Besatzungsmächten übergeben. Aus diesen Gründen lehnen wir das Grundgesetz, weil es die Spaltung Deutschlands bedeutet, ab. Vizepräs. Schönfelder: Das Wort hat Herr. Dr. Adenauer. Dr. Adenauer (CDU): Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Worte sprechen zu den Vorgängen vor jetzt 30 Jahren, nicht um dem Herrn Reimann auf Herrn Reimann komme ich noch zurück -, sondern ich zu antworten möchte hier folgendes gegenüber den Behauptungen des Herrn Beimann feststellen: Wenn Herr Reimann sagt, ich hätte jemals die Loslösung der Rheinlande vom Deutschen Reich betrieben, so sagt Herr Reimann die Unwahrheit und er spricht wider besseres Wissen. (Hört! Hört! und Pfui-Rufe.) Ich möchte noch folgendes hier feststellen. Im Jahre 1933, in der nationalsozialistischen Zeit, ist eine besondere Untersuchungskommission128) gegen mich im preußischen Innenministerium von dem nationalsozialistischen preußischen Ministerpräsidenten eingesetzt worden. Dieser nationalsozialistische Untersu-



-

-

) Dazu kam es nicht mehr, denn Reimann wurde nach der Beendigung seiner Tätigkeit im Pari. Rat erneut inhaftiert. Siehe Dok. Nr. 8, Anm. 69. Anm. 117; ferner Schwarz: Adenauer, S. 374 ff.

') 6) 632

Siehe Anm. 72. Drucks. Nr. 906: Entwurf des Wahlgesetzes in der vom HptA am 9. Mai 1949 beschlossenen Fassung. In Bd. 6, S. 804 ff. wurde eine Vorfassung abgedruckt.

Elfte

Sitzung des Plenums

Beratung der einzelnen Paragraphen grundsätzliche Fragen zu behandeln.

10. Mai 1949

des Gesetzes bietet

Gelegenheit

Der Artikel 137 des hier unter dem 8. Mai verabschiedeten

lautet: Für die Wahl des ersten

Nr. 11

genug,

Grundgesetzes

Bundestages, der ersten Bundesversammlung und des Bundespräsidenten der Bundesrepublik gilt das Wahlgesetz. Dieses Wahlgesetz hat der Parlamentarische Rat heute zu beschließen, Artikel 137 wurde erst möglich, nachdem die Alliierten ihre Bedenken, die sie gegen die Zuständigkeit dieses Hauses für den Erlaß eines Wahlgesetzes zuerst hatten7), fallengelassen haben. Das hier zunächst beschlossene Gesetz8) war nicht ersten

.

.

.

seines sachlichen Inhalts wegen, sondern

aus diesen formalen Gründen von den Alliierten nicht bestätigt worden. Nachdem nunmehr die Kompetenz dieses Hauses anerkannt ist, sind die Fachausschüsse nochmals zusammengetreten und haben im Rahmen dieser Kompetenz einen neuen, gekürzten Vorschlag des Wahlgesetzes ausgearbeitet9), der vorgestern in der Sitzung des Hauptausschusses Annahme gefunden hat10). Mit dieser Vorlage wird sich das Haus in Einzelberatungen zu befassen haben. Wie gesagt, ich will auf Einzelheiten nicht eingehen, wollte nur vorausschicken, daß dies die Vorgeschichte dessen ist, was wir heute im Wahlgesetz zu behandeln haben. das möchte ich aber vorweg bemerken ist entsprechend Dieses Wahlgesetz dem Charakter des Grundgesetzes ein Provisorium und ist angesichts der Tatsache, daß es nur für einmalige Wahlen zum ersten Bundestag im Rahmen dieses provisorischen Grundgesetzes gilt, eine einmalige Entscheidung und keine Bindung auf lange Sicht. Das bedeutet, daß es nur die Voraussetzungen schaffen soll, um die Organe, die wir nach dem Grundgesetz beschlossen haben, bilden zu können. Wir haben ein Interesse daran, so schnell wie möglich eine Volksvertretung zu wählen. Daher bedarf dieses Gesetz nur weniger Paragraphen, um eine einheitliche Regelung in den Ländern sicherzustellen. Auf Grund dieses Gesetzes wird es den Ländern möglich sein, auf dem Verordnungswege schnellstens die Durchführungsbestimmungen zu erlassen und so dem Volke die Möglichkeit zu geben, die Volksvertretung zu wählen und damit die Bildung einer Regierung zu ermöglichen. Ich brauche deshalb weitere Ausführungen über das Gesetz nicht zu machen und bitte, in die Verhandlungen einzutreten. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Schröter. Schröter (CDU): Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe ebenfalls wie der Herr Berichterstatter nicht die Absicht, in eine nochmalige grundsätzliche Erörterung des Problems des Wahlrechts einzutreten. Ich glaube, das ist zur Genüge geschehen. Die Fraktion der CDU/CSU hat ihren -

7)

8) 9) °)

-

Die Militärgouverneure hatten im Verlaufe ihrer Besprechung mit Vertretern des Pari. Rates am 14. April 1949 dem Pari. Rat gewisse Zuständigkeiten hinsichtlich des Wahlgesetzes zugebilligt. Siehe hierzu Der Pari. Rat Bd. 4, S. 126 f. Zur Reaktion auf deutscher Seite siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. XLI f. Siehe Dok. Nr. 8, Anm. 174. Der Pari. Rat Bd. 6, S. 768 ff. 59. Sitzung des HptA vom 9. Mai 1949; Verhandlungen, S. 769 ff.

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im Hauptausschuß11), im Plenum12) und in der Presse genügend Ausdruck gebracht. Ich glaube auch, es würde in diesem Fall keinen Zweck haben, da es uns heute wohl nicht mehr gelingen würde, uns gegenseitig zu überzeugen. Aber meine Fraktion hat mich doch beauftragt, einige wenige Feststellungen zu treffen. Ich möchte zunächst einmal die Feststellung treffen, daß wir in den Ausschüssen, wo immer es möglich war, aufs intensivste ehrlich und aufrichtig mitgearbeitet haben. Wir haben das getan angesichts der Aufgabe, die der jetzt lebenden deutschen Generation gestellt ist, nämlich eine arbeitsfähige, eine funktionierende Demokratie aufzubauen. Wir wissen, daß wir schon einmal diesen Versuch gemacht haben. Damals ist er gescheitert. Dieses Mal muß er gelingen. Wir wissen, daß das Wahlrecht, das Wahlsystem für den Aufbau dieser arbeitsfähigen Demokratie von entscheidender Bedeutung ist. Nur dieses Ziel, zu einer arbeitsfähigen Demokratie zu kommen, hat uns geleitet. Wir sind von der Überzeugung durchdrungen, daß dieses Ziel, eine arbeitsfähige Demokratie in Deutschland zu schaffen, nur durch das Mehrheitswahlrecht erreicht werden kann. Deswegen haben wir uns von Anfang an für das Mehrheitswahlsystem eingesetzt. Wir haben uns im Laufe der Verhandlungen in den Ausschüssen und im Plenum davon überzeugen müssen, daß die Erreichung dieses Zieles nicht möglich ist. So haben wir nach einer Kompromißlösung gesucht. Wir sind zu einer Kompromißlösung bereit gewesen; aber dieses Kompromiß hätte ein echtes Kompromiß zwischen Mehrheitswahl und Verhältniswahl sein müssen. Wir haben auch dieses Ziel nicht erreichen können. Wir haben geglaubt, es auf Grund der Tatsache erreichen zu können, daß in allen Fraktionen Vertreter des Mehrheitswahlrechts vorhanden sind. Weil wir dieses Ziel nicht erreichen konnten und weil schließlich im Wahhechtsausschuß ein System gefunden worden ist, das ein reines Verhältniswahlrecht ist, ja, das in den Folgen nach unserer Auffassung vielleicht noch schlimmer ist als das Verhältniswahlrecht, das zur Arbeitsunfähigkeit des Weimarer Parlaments geführt hat, deswegen haben wir uns entschlossen, diese Wahlrechtsvorlage abzulehnen. Meine Damen und Herren! Wir sind überzeugt, daß das Wahlrecht, das nunmehr gefunden ist, nicht zu einer arbeitsfähigen Demokratie in Deutschland führen kann. (Zuruf rechts: Sehr richtig!) Wir haben diese Beweise bereits bekommen. Soll ich reden von unseren ganzen Verhandlungen, die wir in den acht, neun Monaten hier geführt haben? Sie haben doch durch das Vorhandensein der zahlreichen Parteien den Beweis erbracht, daß auch die Arbeit im Parlamentarischen Rat kein Ruhmesblatt für die Demokratie, für ihre Popularisierung ist. (Widerspruch und Zurufe links und in der Mitte. Dr. Heuss: Wenn wir gefehlt hätten, wäre doch nichts zustande gekommen!)

Standpunkt

zum

-

")

Ebenda.

12) Siehe Dok. 634

Nr. 8, TOP 2.1.

(S.

319

ff.).

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Ich glaube, die Verhandlungen, die wir am letzten Sonntag erlebt haben13), sind ebenfalls ein Beweis dafür gewesen, daß es nicht gelungen ist, für die neue deutsche Demokratie zu werben.

(Zurufe.) Wir haben es erleben müssen, daß ein Vertreter der Kommunistischen Partei sich hingestellt und versucht hat, den ehrwürdigen Präsidenten des Parlamentarischen Rates zu diffamieren. (Unruhe und Zurufe links.) Meine Damen und Herren! Glauben Sie, daß es im englischen Unterhaus möglich gewesen wäre, den Mr. Speaker zu diffamieren? Die deutsche Demokratie in diesem Parlament hat es ertragen, daß Herr Reimann diese Rede halten konnte, fm englischen Unterhaus wäre dieser Mann nicht 24 Stunden länger Mitglied des Hauses geblieben. (Reimann: Was wahr ist, bleibt wahr!) Wir haben es dann erlebt, daß man sich über die harten seelischen Kämpfe, die sechs meiner bayerischen Freunde schließlich zu dem sicher auch für sie bitteren Nein geführt haben, hinweggesetzt und geglaubt hat, diese meine Parteifreunde mit Angriffen belegen zu sollen, die nach unserer Auffassung mit Recht von dem Herrn Präsidenten dieses Hauses mit einem Ordnungsruf geahn-

det worden sind14).

(Dr.

Grève:

Ich

spreche

Sprechen

Sie

dazu.

zum

Thema,

Herr

Schröter!)

(Dr. Grève: Nein, Sie tun es nicht!) Ich habe gesagt, daß ich im Auhrage meiner Fraktion einige Feststellungen zu treffen habe, und davon werde ich mich auch durch ihre Zwischenrufe, Herr Grève, nicht abbringen lassen. Wenn wir an die Vorgänge des letzten Sonntags denken, dann steigen in uns gewisse Erinnerungen und das waren nicht die besten Erinnerungen an die Weimarer Zeit auf. (Unruhe und Zurufe.) Wir haben in den Verhandlungen des Wahlrechtsausschusses gesagt, daß nach unserer Auffassung eine der Hauptursachen für das Versagen der Weimarer Demokratie das Vorhandensein der vielen kleinen Parteien gewesen ist. (Wiederholte Zurufe links.) Daran sind wir erinnert worden, wenn wir an die Vorgänge denken, die wir am letzten Sonntag in einer Stunde erlebten, die eine Schicksalsstunde unseres Volkes hätte sein sollen, einer Stunde, die eine große Stunde, die zum mindesten eine weihevolle Stunde für unser Volk hätte sein sollen. Die Tatsache, daß diese Angriffe gestartet werden konnten, beweist die Richtigkeit unserer These, daß, je zahlreicher und je kleiner die Parteien sind, um so leidenschahlicher und hemmungsloser und vielleicht auch häßlicher die Kämpfe der Parteien unter sich sind. -

-

-

13) Siehe Dok. 14) Ebenda.

-

Nr. 10, S. 504 ff.

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aus einem anderen Grunde hat sich unsere These, glaube ich, als richtig erwiesen. Es hat hier einmal ein Mitglied unseres Hauses die Feststellung getroffen, daß, wenn die kleinen Parteien verschwinden müßten, Millionen von Deutschen politisch heimatlos werden würden. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen gestehen, daß dieses Argument auf mich einen gewissen Eindruck gemacht hat, weil es von einem Manne stammte, der Jahrzehnte für heisinniges, liberales und demokratisches Gedankengut gekämpft hat. Aber wenn ich

Auch

auch menschliches Verständnis für diese Auffassung habe, so bin ich doch der daß es angesichts der realpolitischen Notwendigkeit, eine neue, eine arbeitsfähige Demokratie zu schaffen, in diesem Augenblick nicht um Sentiments gehen kann. Das ist mit ein Grund gewesen, warum wir uns von Anfang an für das Mehrheitswahlrecht eingesetzt haben. Meine Damen und Herren! Ich will nicht von wir haben das bereits getan all den Folgen sprechen, die das Verhältniswahlrecht neben dem Vielparteiensystem nach sich ziehen muß. Ich will nicht von dem Zwang zur Bildung von Koalitionsregierungen sprechen, von dem Zwang zur Schaffung von Kompromissen, von der Tatsache, daß innerhalb dieser Koalitionsregierungen, die jederzeit zu einer Koalitonskrise führen können, die Parteien sich verbrauchen, sich abnutzen und daß schließlich in der Bevölkerung alle Parteien als unzulänglich abgelehnt werden und eine Sehnsucht nach dem starken Mann aufkommt. Ich will auch davon nicht sprechen, daß man das Verhältniswahlrecht als das gerechteste Wahlrecht ansieht. Wir persönlich stehen auf dem Standpunkt, daß es kein gerechteres Wahlrecht geben kann als das Mehrheitswahlrecht; denn das Verhältniswahlrecht-

Überzeugung,

-

-

(Zuruf links.) Herr Dr. Grève, Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will. (Zuruf des Dr. Grève.) Ich glaubte, Sie machten einen Zwischenruf. (Dr. Grève: Diesmal nicht!) Der Grund liegt darin, daß im Zeichen des Verhältniswahlrechts die vielen kleinen Parteien zum Zuge kommen; und das bedeutet nichts anderes als eine Überschätzung der kleinen Parteien. Das sind einige der Gründe, auf die ich mich vorläufig beschränken will. Wir haben es ganz besonders bedauert, daß alle Fraktionen außer der CDU/CSU -

-

und der DP, die sich enthalten hat, nicht geglaubt haben, unserem Antrag auf Einrichtung der Sonderwahlkreise für Heimatvertriebe15) zustimmen zu kön-

nen16).

5) Drucks.

6) 636

Nr. 905: Antrag der CDU/CSU zum Rahmenwahlgesetz vom 9. Mai 1949. Er lautete: „Hinter § 9 des Rahmenwahlgesetzes ist einzufügen: § 9 a Für Flüchtlinge und Vertriebene sind unter Anrechnung auf die Zahl der Wahlkreise des § 9 besondere Wahlkreise zu bilden. Die Flüchtlingswahlkreise sollen in der Regel soviel Flüchtlinge und Vertriebene umfassen, wie es der durchschnittlichen Einwohnerzahl eines Wahlkreises entspricht. In Ländern, in denen die Gesamtzahl der Flüchtlinge und Vertriebenen hinter der durchschnittlichen Einwohnerzahl eines Wahlkreises wesentlich zurückbleibt, kann von der Bildung von Flüchtlingswahlkreisen abgesehen werden." Der folgende Satz in der Vorlage handschr. hinzugefügt.

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wir es andererseits begrüßt, daß, abgesehen von einer keine Partei im Hauptausschuß an der Lauterkeit und Ehrlichkeit Entgleisung, Absichten unserer gezweifelt hat17). (Renner: Wer war die Entgleisung?) Herr Renner, Sie waren doch selbst dabei. (Renner: Ich zweifle heute noch an der Ehrlichkeit.) Herr Renner, haben sie ein schlechtes Gewissen? (Renner: Gar nicht!) Ich möchte aber, um jeder Legendenbildung von vornherein vorzugreifen, das eine sagen: Wir stehen nicht auf dem Standpunkt, daß eine deutsche Partei allein imstande ist, das Schicksal der Flüchtlinge zu wandeln, sondern nur durch das Zusammenstehen aller deutschen Parteien ist es vielleicht möglich vielleicht möglich! -, das zu Herzen gehende Schicksal der Flüchtlinge zum mindesten in etwas zu mildern. Wie erbärmlich wäre es von einer Partei, wollte sie vielleicht parteipolitische Vorteile aus der Not der Heimatvertriebenen ziehen!. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das Problem der Heimatvertriebenen nicht das Problem eines einzigen Landes, vielleicht meiner schleswig-holsteinischen Heimat, ist. Es ist auch kein ausschließlich deutsches Problem. Es ist ein europäisches Problem, ja, es ist vielleicht ein Problem, das die ganze Welt angeht, ein Problem, das infolgedessen auch nur mit internationaler Hilfe gelöst werden kann. Aber diese internationale Hilfe wird uns nur zuteil werden, wenn zunächst unser Volk selbst eine gewaltige Kraftanstrengung gemacht hat. Ich bin der Uberzeugung, daß eine künftige(Renner: Die Anstrengung muß Geld kosten!) Herr Renner, angesichts des Ernstes des Gegenstandes(Renner: Ach, bei Ihnen kann man nicht ernst bleiben!) Herr Renner, Sie sind doch ein schlechter Demokrat, daß Sie mir nicht einmal die Aufrichtigkeit meiner Ansichten zugestehen. (Weiterer Zuruf des Abgeordneten Renner.) Ich wiederhole, wir sind der Auffassung, daß keine Partei das Schicksal wandeln kann, daß wir das nur durch internationale Hilfe erreichen können, daß wir aber diese internationale Hilfe nur dann bekommen, wenn wir selbst zunächst eine kraftvolle Anstrengung gemacht haben. Eine künftige Geschichtsschreibung wird die jetzt lebende deutsche Generation vielleicht einmal danach beurteilen, wie unser Volk mit diesem Problem der Heimatvertriebenen fertig geworden ist. Vor der Aufgabe, dieses Problem zu meistern, steht der künhige deutsche Bundestag. Wir wissen, daß nach den vier Jahren grausamer Enttäuschungen die Heimatvertriebenen ihre letzte Hoffnung auf diesen deutschen Bundestag setzen. Wehe, wenn sie wieder genarrt werden! Aus dieser Situation, aus dieser Mit

Genugtuung haben

-

-

-

-

-

-

7)

Renner war bei der 57. Sitzung des HptA (Verhandlungen, S. 743 ff.), als über das Rahmenwahlgesetz beraten wurde, nicht anwesend gewesen. Die Bemerkung dürfte sich daher auf die Erste Lesung des Wahlgesetzes vom 22./23. Febr. 1949 beziehen. 52. und 53. Sitzung des HptA; Verhandlungen, S. 687 ff.

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Sorge, aus dieser Befürchtung haben wir unseren Antrag formuliert. Denn wir brauchen nicht nur eine Vertretung, sondern eine ausreichende Vertretung der Heimatvertriebenen in dem kommenden deutschen Bundestag.

(Dr. Grève: Darum Mehrheitswahlrecht!) Jawohl, aus diesem Grunde unser Antrag auch im Zeichen des Mehrheitswahlrechts, Herr Dr. Grève; ich glaube, vielleicht gerade im Zeichen des Mehr-

heitswahlrechts.

Wie sehr wir der Beratung durch Heimatvertriebene bedürfen, das beweist ein Problem, das unseres Erachtens der kommende deutsche Bundestag als eines

der ersten angreifen muß, nämlich die gerechte Verteilung der Heimatvertriebeauf das gesamte deutsche Vaterland, die notwendig ist, um den Heimatvertriebenen wieder eine menschenwürdige Wohnstätte zu geben, die aber auch notwendig ist als Voraussetzung für die Wiedereinschaltung der Heimatvertriebenen in das Wirtschahsleben. Aus dieser Sorge wurde unser Antrag geboren. Wir haben ja schon wiederholte Male Versuche gemacht. Soll ich an die Ministerpräsidentenkonferenzen erinnern, soll ich an die Ministerkonferenzen erinnern18)? Alle haben sich mit der Flüchtlingshage beschähigt, und erreicht ist bisher doch so gut wie gar nichts. (Wagner: Was hat das mit dem Wahlrecht zu tun?) Das werde ich Ihnen sofort sagen, Herr Wagner. Ich sage das in Zusammenhang mit unserem Antrag, besondere Heimatvertriebenenwahlkreise zu schaffen, weil eben die Ministerpräsidenten und die Minister sich nicht haben einigen können. Denn sind sie nicht bis zu einem gewissen Grade Interessentenvertreter? Der eine will die Heimatvertriebenen loswerden, und der andere will sie nicht haben. (Dr. Schmid: Das ist Föderalismus!) Lassen wir doch die Kirche im Dorf! Deswegen bin ich der Uberzeugung, daß von den Ministern, von den Ministerpräsidenten, von den Ländern aus diese Frage überhaupt nicht gelöst werden kann, sondern es wird die Aufgabe des Bundestags sein, als eine der ersten Maßnahmen ein Bundesgesetz zu nen

-

-

-

schaffen, (Zuruf das

zu

von

einer

der SPD: Dazu

Bundesregierung!)

gerechten Verteilung

Zonen führt und für ihre

der Heimatvertriebenen auf alle deutschen Wiedereinschaltung in die deutsche Wirtschah

sorgt. Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz kurz mit einigen Einwänden beschäftigen, die von sehen der gegnerischen Parteien gegnerisch in dem Sinn, daß sie gegen diesen Antrag gestimmt haben erhoben worden sind. Da ist zum Beispiel gesagt worden, daß diese Sache verfassungsrechtlich nicht zulässig sei. Ich habe mir am heutigen Vormittag von einigen Rechtsgelehrten einige Gutachten verschafft. Diese Rechtsgelehrten haben erklärt, daß die Sache -

-

) Zu den vergeblichen Bemühungen, einen Ausgleich unter den Ländern in der Verteilung der

Flüchtlinge zu erreichen siehe die Edition Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepu-

blik, passim. 638

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anders, als Herr Professor Dr. Schmid gestern in der

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Hauptausschußsitzung

vereinbar ist. Ich will verfassungsrechtlich nicht sagen, Herr Kollege Dr. Schmid, daß vielleicht diese Rechtsgutachten richtig sind. (Zuruf von der SPD: ,,Rechts"-Gelehrte!) Aber ich will doch das eine sagen, daß man zum mindesten zweierlei Meinung darüber sein kann. Sie sehen also, daß es auch Rechtsgelehrte gibt, die im Gegensatz zu Ihrer Auffassung der Meinung sind, daß die Sache mit dem Artikel 38 unseres neuen Grundgesetzes durchaus vereinbar ist. Es war vor allen Dingen das Argument, das gestern, glaube ich, der Kollege Dr. Becker vorgebracht hat, daß die Sache nicht anginge, daß dieser Antrag zu dem Artikel 38 unseres Grundgesetzes in Widerspruch stände, wonach die Abgeordneten Abgeordnete des ganzen Volkes sein müßten. Die Rechtsgelehrten sind der Meinung, daß dieser Artikel ganz bestimmt nicht zutrifh. Wäre nämlich diese These richtig, Herr Kollege Becker, dürhen wir nicht Bauern aufstellen, dürften wir nicht Handwerker aufstellen. (Zurufe: Na, na! Unruhe.) Dann könnte man zu der Auffassung kommen, daß diese genau so Interessentenvertreter und nicht Abgeordnete des gesamten Volkes sind. mit

-

sagte19)

unserem

Grundgesetz

-

-

(Erneute Unruhe.)

und ich muß auch sagen, daß ich bereit bin, zu hören, weil er ein Kollege mit einer großen politischen und parlamentarischen Tradition ist in den gestrigen Verhandlungen des Hauptausschusses gesagt, daß dieser Antrag nicht gestellt werden dürfe. Wir hätten nicht die Aufgabe, die Forderungen der Heimatvertriebenen deswegen zu erfüllen, weil von ihnen die Forderungen und die Anträge vorliegen, sondern wir hätten leidenschaftslos zu prüfen, ob diese Anträge im Interesse der Sache liegen. Der Herr Kollege, der diese Äußerung gemacht hat, hat dann noch hinzugefügt, es bestehe doch die Gefahr, daß diese Vertreter der Heimatvertriebenen in erster Linie alles unter dem Gesichtswinkel des Heimatvertriebenen sähen. Ich möchte doch dem betreffenden Kollegen erwidern, daß wir seit mehreren Jahren bereits Länderparlamente haben, daß in diesen Parlamenten in allen Fraktionen vielleicht Vertreter der Heimatvertriebenen sitzen und daß diese Heimatvertriebenen doch wohl den Beweis ihrer sachlichen und erfolgreichen Arbeit erbracht haben. (Dr. Grève: Normal, ohne Flüchtlingskreise!) Das wird außerdem geschehen, Herr Kollege Grève. Wir werden in dem Wahlrecht, das Sie jetzt schaffen, dafür sorgen, daß jedenfalls von meiner Partei ausreichend Flüchtlingsvertreter hineinkommen. (Lebhahe Zurufe von der SPD.) Bitte sehr, weil wir keinen anderen Weg haben. Aber wir werden uns vielleicht im neuen deutschen Bundestag wieder sprechen und sehen, ob dann wirklich eine ausreichende Vertretung entsprechend den Wünschen der Heimatvertriebenen im deutschen Bundestag vorhanden sein wird. Dann hat ein anderer Kollege auf dessen Stimme besonders

-

-

-

-

')

59.

Sitzung des HptA vom 9.

Mai 1949;

Verhandlungen, S.

777.

639

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Wir haben aber kein Verständnis

dafür, wenn beispielsweise gegen unseren worden ist, daß organisatorische und technische Schwierigkeiten der Durchführung dieses unseres Antrages entgegenstünden. Angesichts der sich von Tag zu Tag verschlimmernden Not der Heimatvertriebenen sollten wir nicht von organisatorischen und technischen Schwierigkeiten sprechen. Organisatorische und technische Schwierigkeiten lassen sich überwinden. Sie werden sich überwinden lassen, wenn nur ein Wille vorhanden ist. Bekennen wir uns doch zu diesem Willen! Es ist dann noch gesagt worden, daß die Heimatvertriebenen keine Sonderbehandlung verdienten oder keine Sonderbehandlung wünschten. Ich darf doch auf die zahllosen Telegramme20) hinweisen, die man gestern mit leichter Hand als bestellte Arbeit hingestellt hat. (Zurufe von der SPD.) Ich weiß nicht, von wem diese Arbeit bestellt ist; von uns bestimmt nicht. Ich möchte doch auf jene gewaltige Kundgebung hinweisen, die in Köln stattgefunden hat21), wo 20 000 Heimatvertriebene versammelt gewesen sind, die nach Referaten auch des Geistlichen Rates Göbel22) und anderer Männer23) die Forderungen aufgestellt haben, die wir zu einem Antrag verdichtet haben. Das ist ein Beweis, daß diese Forderungen auch von den Heimatvertriebenen vertreten werden. Ich glaube, wir können nur mit Bewunderung feststellen, daß diese gewaltige Kundgebung der 20 000 angesichts der fürchterlichen Not, in der die Heimatvertriebenen sich befinden, mit einer derartig vorbildlichen Disziplin durchgeführt wurde. Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß wir angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause mit unserem Antrag unterliegen werden. Wir werden diesen Kampf fortsetzen. Ich hoffe, daß Herr Renner heute nicht das Wort wiederholen wird, das er gestern im Hauptausschuß ausgesprochen hat24), wo er die Erklärung meines Freundes Finck, daß wir den Kampf um die Elternrechte in der Öffentlichkeit fortsetzen würden, bereits als Absicht einer Reaktion hingestellt hat. Wir werden, weil wir hier unterliegen, den Kampf in der Öffentlichkeit weiterführen. (Zurufe des Abgeordneten Renner.)

Antrag gesagt

') Eingaben

) )

) ) 640

zur Frage von Flüchtlingswahlkreisen in: Z 5/125. Bereits im HptA wurde der zutreffende Verdacht geäußert, es handele sich um eine Kampagne; siehe 59. Sitzung vom 9. Mai 1949, Verhandlungen, S. 778. In der Tat hatte es eine Telegramm-Aktion gegeben (Z 5/156, Bl. 49 ff. mit Abschriften von Eingaben einzelner Ortsverbände der Flüchtlingsorganisationen). Zum Gesamtkomplex der Flüchtlingswahlkreise siehe auch Linus Kather: Die Entmachtung der Vertriebenen. Bd. 1, München (1964), S. 71 f. Zur Kundgebung von Heimatvertriebenen in Köln siehe die Berichterstattung in der Allgemeinen Kölnischen Rundschau vom 9. Mai 1949. Prälat Georg Göbel war Gründer des Hauptausschusses der Ostvertriebenen in der britischen Zone. Siehe die Memoiren von Linus Kather (Anm. 20), S. 41, in denen er Auseinandersetzungen mit ihm beschrieb. Es sprach ferner Linus Kather (1893-1983), Vertriebenenpolitiker; zunächst in hohen Parteiämtern der CDU, ab 1954 BHE, später NPD. 51. Sitzung des HptA vom 9. Mai 1949; Verhandlungen, S. 769 ff. Finck hatte an dieser Sitzung allerdings nicht teilgenommen.

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Das haben Sie schon vergessen, Herr Renner. Wir werden diesen Kampf in der Öffentlichkeit fortsetzen. Wir wissen, wenn wir das Mehrheitswahlrecht mit einer erdrückenden Mehrheit des fordern, daß wir uns in deutschen Volkes befinden, aber ganz besonders in Übereinstimmung mit dem Teil unseres Volkes, um den wir kämpfen und für den wir kämpfen, in Übereinstimmung mit der deutschen Jugend.

-

-

Übereinstimmung

(Beifall bei der CDU.)

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Becker. Dr. Becker (FDP): Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat damit begonnen, hervorzuheben, daß die Arbeit im Wahlrechtsausschuß von allen Parteien mit Fleiß und Eifer durchgeführt worden und sehr huchtbringend gewesen sei. Ich bin Vorsitzender dieses Ausschusses gewesen ich muß heute

und kann nur sagen, daß der Wahhechtsausschuß, wenn man sagen, leider schon das Parlament eine Halle der Wiederholungen genannt hat, diese Bezeichnung in der zweiten und dritten Potenz verdient. Wiederholungen waren es, immer wieder dieselben Erzählungen25). Und Ergebnis? Irgendeine Einigung auf ein bestimmtes System muß ja nun wohl getroffen werden. Man kann nicht so verhandeln, daß man immer sagt: Ich bestehe hierauf, ich bestehe darauf, und dann in den Dingen nicht weiterkommt. Herr Kollege Schröter hat insbesondere hervorgehoben, diese Verhandlungen im Parlamentarischen Rat bewiesen, daß das Mehrheitswahlrecht ich allein nenne es das Minderheitswahlrecht und werde auch ausführen, warum zu einer Verbesserung und Beschleunigung der Verhandlungen hätte führen können. Der Herr Kollege übersieht zweierlei. Erstens: Wir mußten hier sowohl ein außenpolitisches Kompromiß, ein Kompromiß nach außen hin, wie ein innenpolitisches Kompromiß schaffen. Dieses innenpolitische Kompromiß mußte so geschaffen werden, daß es die Zustimmung in zwei Dritteln aller deutschen Länder erfährt. Das war eine besondere Ursache dafür, daß die Dinge sich in die Länge gezogen haben. Der zweite Grund war der, daß wir hier zwei große Parteien hatten, die beide gleich stark waren. Wenn nach dem Wunsche meines Herrn Vorredners die kleinen Parteien nicht vorhanden gewesen wären, ob wir dann wohl am vergangenen Sonntag schon die Bundesverfassung hätten verabschieden können? Ich nehme für meine Freunde in Anspruch, daß sie sich in einer Weise, die die Öffentlichkeit vielleicht einmal mehr mit Dank bedenken sollte, abgemüht haben, vermittelnd und ausgleichend zu wirken und zu einem Kompromiß zu führen, das weiß Gott nicht unanfechtbar ist, das aber doch wenigstens die Grundlage dazu gegeben hat, daß hier überhaupt etwas zustande gekommen ist. Zweite Frage: Mehrheitswahlrecht. Sie haben aus den vorliegenden Drucksachen gesehen, daß ein Abänderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU hierzu vorliegt26). Wir haben über die Frage lange debattiert; ich will nicht auf alle Einzelheiten wieder eingehen. Eins möchte ich Ihnen nur sagen: zu dem Mate-



-

-

25) 26)

Siehe die Protokolle des Wahlrechtsausschusses in Bd. 6 dieser Edition. Zum Abänderungsantrag CDU/CSU siehe Drucks. Nr. 912, Abdr. in: Anm. 55. 641

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rial, das wir bei der

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Lesung27) hier vorliegen hatten, ist inzwischen noch Material gekommen. Es hat sich nämlich die zweites gewichtiges und hat uns Material gegen das relative WahlWählergesellschah28) gemeldet recht geliefert. Diese Wählergesellschah hat darauf hingewiesen, daß in England zum Beispiel für die Wahl eines Labour-Abgeordneten bei der letzten Wahl 30 000 Stimmen notwendig waren, daß ein konservativer Abgeordneter im Durchschnitt 47 000 und ein liberaler Abgeordneter sage und schreibe 187 000 Stimmen gebraucht hat. Die Wählergesellschah, die uns das geschickt hat, war heilich nicht die deutsche, sondern die englische. Diese englische Wählergesellschaft hat dem Sinne nach hinzugefügt, daß sie nur vor einem solchen Wahlrecht warnen könne, und hat die Warnung auf Grund ihrer Erfahrungen ausgeersten

ein ganz

sprochen.

(Dr. von Brentano: Welcher Partei gehört die an?) Es sind Vertreter aller Parteien darin. Ich bitte, die Akten des Wahlrechtsausschusses nachzusehen. Sie werden in den Briefköpfen die Adressen der Direktion sehen, also wer dazu gehört. Es gehören Mitglieder der Liberalen Partei, es gehören Mitglieder der Konservativen Partei Lord Amery29) dazu, und es gehören auch Mitglieder der Labour-Partei dazu. (Dr. Kroll: Was sagt die deutsche Wählergesellschah?30) Dr. Grève: Das ist -

-

völlig uninteressant.)

-

-

Das wissen Sie alle, was die sagt. Aber wichtig ist, daß die Wählergesellschah eines Landes uns warnt, die am eigenen Leibe dieses Wahlrecht erfahren hat und die auf dem Standpunkt zu stehen scheint, daß ein solches Wahlrecht niemals mehr zu ändern ist. Warum nicht? Die herrschende Partei tut es nicht, weil niemand den Ast absägt, auf dem er sitzt. Und die Opposition wird es niemals tun, weil sie es in der Opposition nicht kann und, wenn sie zur Regierung gekommen ist, nicht will. (Zuruf von der CDU: Dann können sie doch alle zuhieden sein!) Die Folge dieses Mehrheitswahlrechts ist, daß es kein Mehrheitswahlrecht ist, sondern praktisch in vielen Fällen ein Minderheitswahlrecht. Wenn die Minderheit einer Bevölkerung die Mehrheit der Parlamentsmandate stellt und wenn die Mehrheit der Parlamentsmandate dann die Regierung aus ihrer Mitte stellt, wenn mit anderen Worten die Parlamentsmehrheit, also die Gesetzgebung, und ein Ausschuß dieser Regierung, das heißt die Exekutive, in der gleichen Hand sind, glauben Sie, daß das ein ersprießlicher Zustand ist? Man spricht so oh davon, daß die Parteidiktatur mit dem Wahlrecht verbunden ist. Ich darf Sie auf folgendes aufmerksam machen. In England das haben wir im Wahlrechtsausschuß von dem Sachverständigen, dem Staatsrechtslehrer Dr. Thoma31) gehört muß jeder frisch gewählte Abgeordnete seiner Parteileitung ein Schrift-

-

-

27) 28) 29) 30) 31)

Siehe Dok. Nr. 8, S. 319 ff.

Unterlagen zur Englischen Wählergesellschaft ließen sich nicht ermitteln. Leopold Stennet Amery (1873-1955), englischer Staatsmann. Deutsche Wählergesellschaft siehe Dok. Nr. 7, Anm. 93. Das Referat von Prof. Thoma über die Entwicklung der Wahlsysteme, vor

dem Wahl-

rechtsausschuß vervielf. als Sekretariatsumdr. Nr. S 45 (Z 5/202). Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 6, S. 2 ff. 642

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stück übergeben, in dem steht, daß er sein Amt niederlegt. Ausgefüllt ist nur nicht das Datum. (Zuruf: Das gibt es bei deutschen Parteien auch!) Wo ist da die Beseitigung der Parteidiktatur durch dieses Wahlrecht? Eine weitere Frage: In welchem Lande hat der Fraktionsführer oder das Mitglied der Fraktion, das beauftragt ist, die Abgeordneten zusammenzuhalten, den Namen: Einpeitscher? Im Lande des relativen Wahlrechts. (Zuruf von der CDU: Das stammt aus dem 18. Jahrhundert; wir leben im

20.) Das ist heute noch so. Aber dieser Wahlgesetzentwurf, meine Damen und Herren, der Ihnen vorliegt, sieht vor, daß sowohl die Abgeordneten in den Wahlkreisen wie auch die, die auf Ergänzungslisten stehen, in geheimer Abstimmung der einzelnen Parteien aufgestellt werden. Das ist die Beseitigung der Parteidiktatur, soweit sie überhaupt möglich ist. Aufgestellt werden die Kandidaten überall durch die Parteien, in England, Deutschland und anderwärts; da ist kein Unterschied. Es würde zu weit führen, alle sonstigen Gründe und Argumente aufzuführen. Die Frage, ob das deutsche Volk das Mehrheitswahlrecht, also in Wahrheit das Minderheitswahlrecht, oder unsere Kombination eines gerechten Verhältniswahlrechts mit kleinen Wahlkreisen wünscht, diese Frage läßt sich durchaus lösen, indem man sie zur Abstimmung stellt, —



(Zuruf: Zur Volksabstimmung!) vollkommen einverstanden, zur Volksabstimmung. Die Volksabstimmung ist die Wahl! Wenn nämlich das deutsche Volk die kleinen Parteien nicht will, braucht es sie bloß nicht zu wählen. -

(Sehr gut!)

Gesichtspunkt, den mein Vorredner angeschnitten hat, betrifh den Schaffung von Flüchtlingswahlkreisen32). Ich muß gestehen: Als ich

Ein weiterer

Antrag

auf

diesen Antrag zum ersten Mal las, wirkte er bestechend auf mich, und ich habe mich bemüht, die technischen Einzelheiten durchzudenken und mit anderen zu erörtern. Je mehr man sich aber mit dieser Frage befaßt, um so mehr muß man sagen, daß beträchtliche staatsrechtliche Schwierigkeiten dem Antrag im Wege stehen. Wir haben gestern eine Verfassung angenommen, in der es heißt, daß die Abgeordneten nicht nur aus allgemeinen Wahlen hervorgehen, sondern daß sie auch Vertreter des ganzen Volkes sind. Mir scheint, daß mit diesem Satz eine Ablehnung des Zustandes verbunden ist, der hüher im preußischen Herrenhaus herrschte, wo kurienweise gewählt wurde, wo die Städte ihre Oberbürgermeister und der Großgrundbesitz seine Vertreter abordneten usw., wo also die Wähler in Wahlkörper aufgegliedert waren. Unsere Verfassung will das verhindern. Nach demokratischem Grundsatz hat die Mehrheit aller Wähler zu entscheiden, und die Abgeordneten werden durch die Wähler des ganzen Volkes gewählt. Nun hat der Herr Vorredner gemeint, wir stellten auch Bauern und Handwerker als Kandidaten auf und dürften dies nach der Logik dieses Satzes nicht tun. Ja,

3Z) Siehe

Anm. 15.

643

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wir das Volk nach Bauernschah, Handwerkerschah usw. aufgliedern würdann in diesen Gremien Vertreter der Wahlkreise ernannt würden, dann würden wir den gleichen Fehler machen, den wir vom staatsrechtlichen Gesichtspunkt aus gesehen diesem Antrag zum Vorwurf machen. Ich will auf die Schwierigkeiten, die bei einer solchen Wahl in Sonderwahlkreisen auhreten würden, im einzelnen nicht eingehen, sondern nur zwei Punkte herausgreifen. Wir können nicht einen Bundestag wählen, der in Kürze ganz vordringliche Aufgaben zu lösen haben wird Aufgaben von solcher Dringlichkeit, daß dieses Hohe Haus einstimmig beschlossen hat, zur Vorbereitung dieser Aufgaben einen Uberleitungsausschuß einzusetzen um dann hinterher Gefahr zu laufen, daß etwa der Verfassungsgerichtshof erklärt: Zwei Tage, Hoher Parlamentarischer Rat, nachdem ihr das Grundgesetz beschlossen habt, habt ihr schon gegen Buchstabe und Geist dieser Verfassung verstoßen. Diese Gefahr, meine Damen und Herren, können und dürfen wir nicht laufen. Und zum zweiten: Es handelt sich ja gar nicht darum, ob das Los der Flüchtlinge durch diesen Antrag gebessert wird. Die Lösung des Flüchtlingsproblems ist eine materiellrechtliche Frage und keine formelle Frage des Wahlsystems. Hier und jetzt handelt es sich nur um eine Diskussion über das Thema: Wie schaffen wir die beste Vertretung, so daß auch die Flüchtlinge zu ihrem Recht kommen, und wie schaffen wir sie, ohne daß staatsrechtliche Bedenken dagegen entstehen? Also ist das beste Wahlrecht dasjenige, das die Flüchtlinge zum Zuge kommen läßt. Die Flüchtlinge können aber nur auf dem Umweg über die Ergänzungslisten zum Zuge kommen. Flüchtlinge, Frauen und Experten können im Wahlkreis im allgemeinen nicht durchkommen; sie werden im Wahlkreis meist nicht gewählt. Wohl aber können sie auf dem Weg über die Ergänzungslisten gewählt werden. Ich bin überzeugt, daß jede Partei es sich angelegen sein lassen wird, Frauen wie Flüchtlinge in ausreichender Zahl auf die Ergänzungslisten zu bringen, damit auch sie in den Bundestag gewählt werden. Damit habe ich alles Wichtige zu dem System des Wahlrechts gesagt, das Ihnen, meine Damen und Herren, zur Abstimmung vorliegt. Ich bitte Sie, dieser Vorlage zuzustimmen, die in langen Monaten der Beratung erarbeitet worden ist. Ich meine, auch die Fraktion der CDU/CSU sollte sich ihr bisheriges schroffes Nein noch einmal überlegen. Es ist keine zwei Wochen her, daß wir in kleinem Kreise versucht haben, eine Formulierung zu finden, und Paragraph für Paragraph zu Papier gebracht haben, eine Fassung, die bis auf unbedeutende Änderungen mit der jetzt vorliegenden übereinstimmte33). Der Kollege, der als Vertreter der CDU/CSU an dieser Aufgabe in loyalster, vornehmster und nettester Weise mitgewirkt hat, war mein Herr Vorredner34). wenn

den,

wenn

-

-

(Hört! Hört!) Leider hat die Fraktion der CDU/CSU dieser lage hinterher ihre Zustimmung versagt.

so

erarbeiteten

gemeinsamen

Vor-

(Beifall.)

) Vgl. die

25. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen dort beschlossene Entwurf. Der Pari. Rat Bd. 6, S. 771 ff. ) Es handelte sich um den Abg. Schröter.

644

vom

5. Mai 1949

und der

Elfte

Sitzung des Plenums

10. Mai 1949

Nr. 11

Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Die

Ich bitte Sie nunmehr, den Entwurf des zur Hand zu nehmen.

Überschrift: Wahlgesetz

erklären. A. Wahl

zum

Bundestag, §

ersten

Aussprache ist geschlossen. Wahlgesetzes, Drucksache Nr. 90 6 35),

Bundestag.

-

Ich darf sie als angenommen

1. Hierzu

liegen Anträge nicht vor. Ich denke, wir einzelnen jeden Paragraphen ab, sondern nur über die Wir werden eine ja Abänderungsanträge. Schlußabstimmung vornehmen. Widiesen wird nicht laut. gegen derspruch Vorschlag § 2. Hierzu beantragt Herr Dr. Becker auf Drucksache Nr. 91 636), in Ziffer 3 die Worte „zum Landtag" zu streichen. Ferner hat Abgeordneter Dr. Diederichs beantragt, der Ziffer 337) folgende Fassung zu geben: wer nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Bestimmungen über die politische Säuberung nicht wahlberechtigt ist oder in die Gruppen I, II oder III eingestuh ist. Der Antrag Dr. Diederichs ist wohl der weitestgehende; ich beabsichtige daher, über ihn zuerst abstimmen zu lassen. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist zum

stimmen nicht über

-

mit 32 gegen 31 Stimmen abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag Dr. Becker zur selben Ziffer, die Worte „zum Landtag" zu streichen. (Dr. Becker: Ich bitte, dazu eine kurze Begründung geben zu dürfen.) Wir sind in der Abstimmung. Sie hätten sich hüher zum Wort melden -

-



müssen.

Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Becker, Drucksache Nr. 9 1 638), sind, eine Hand zu erheben. Die dagegen sind. Der Antrag ist mit 17 gegen 1 Stimme angenommen; die übrigen Abgeordneten haben sich der Stimme enthal-

-

ten. Zu Ziffer 4 hat Herr Dr. Pfeiffer einen

Abänderungsantrag gestellt. Der Antrag ist noch nicht vervielfältigt; ich darf ihn daher verlesen: In § 2 Absatz 1 Ziffer 4 werden die Worte „von der Militärregierung wegen seiner Verbindung mit dem Nationalsozialismus verhaftet oder" gestrichen. Wollen sie das Wort dazu, Herr Dr. Pfeiffer? Aber nicht zur Begründung! (Dr. Pfeiffer: Nein; ich verzichte.)



35) Drucks. Nr.

36)

906 siehe Anm. 6. Zur Erleichterung der Beratungen waren auf der Drucks. Nr. 917 vom 10. Mai 1949 die Anträge der Fraktionen zum Wahlgesetz aufgeführt worden. Drucks. Nr. 916: Antrag der FDP zum Wahlgesetz vom 10. Mai 1949. Er lautete: „Es wird beantragt, im Wahlgesetz, Drucksache 906 1) in § 2 Ziff. 3 die Worte ,zum Landtag' zu

streichen. 2) § 5 Abs. 2 durch folgende Fassung zu ersetzen: .Nicht wählbar ist, wem nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Bestimmungen über die politische Säuberung die Wählbarkeit abgesprochen ist; nicht wählbar ist insbesondere, wer in die Gruppen I, II oder III eingestuft ist.'". 37) Drucks. Nr. 914: Antrag Dr. Diederichs vom 10. Mai 1949 zum Wahlgesetz. 38) Drucks. Nr. 916 siehe Anm. 36. 645

Elfte

Nr. 11

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10. Mai 1949

Sind Sie sich über den Antrag klar? Ich darf ihn erläutern. Herr Dr. Pfeiffer will mit seinem Antrag die Kategorie der von der Militärregierung nur Verhafteten nicht ausgeschlossen wissen. (Dr. Katz: Um den Antrag zu verstehen, muß man den letzten Halbsatz der Ziffer 4 lesen.) Dr. Pfeiffer (CSU): Mein Antrag zielt auf die Streichung der Ziffer 4. (Dr. Katz: Also Streichung der ganzen Ziffer. Das ist etwas ganz ande-

-

res.)

Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Pfeiffer, Sie beantragen also die Streichung der ganzen Ziffer 4? Dr. Pfeiffer (CSU): Ich beantrage Streichung der Ziffer 4. Präs. Dr. Adenauer: Nun besteht Klarheit über den Inhalt des Antrags. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Pfeiffer stimmen, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die gegen die Streichung der Ziffer 4 sind. Der Antrag ist mit 36 gegen 29 Stimmen abgelehnt. Zu § 3 sind keine Abänderungsanträge gestellt, auch nicht zu § 4. Ich darf sie als angenommen erklären. Dagegen liegen zu § 5 mehrere Abänderungsanträge vor. Zunächst ein Antrag Dr. Diederichs, Drucksache Nr. 9 1 839), § 5 Absatz 2 zu streichen und in Absatz 1 als Buchstabe c einzufügen: und nach dem am 8. Mai 1949 geltenden Recht des Landes, in dem er kandidiert, zum Landtag wählbar wäre. Weiter liegt vor ein Antrag Schröter, Drucksache Nr. 91140), den Absatz 2 zu streichen und dem Absatz 1 folgende Fassung zu geben41): (1) Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, a) der am Wahltage fünfundzwanzig Jahre alt ist, b) der am Wahltage seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder der, ohne bisher die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, Flüchtling oder Vertriebener im Sinne des § 1 Absatz 2 ist, c) der die Wählbarkeit durch rechtskrähige Entscheidung nach den im -

-

Lande

geltenden Entnazifizierungsbestimmungen besitzt. liegt vor ein Antrag Dr. Becker, Drucksache Nr. 9 1 642), § 5 Absatz 2 durch folgende Fassung zu ersetzen: Nicht wählbar ist, wem nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Bestimmungen über die politische Säuberung die Wählbarkeit abgesprochen ist; nicht wählbar ist insbesondere, wer in die Gruppen I, II oder III eingestuft Weiter

ist.

391 Drucks. Nr.

40) 41) 42) 646

918: Antrag der SPD zum Wahlgesetz vom 10. Mai 1949 betr. § 5, Abs. 2. Er lautete: „§ 5 Abs. 2 des Wahlgesetzes ist zu streichen. Statt dessen wird in Abs. 1 unter c) eingefügt: ,und nach dem am 8. Mai 1949 geltenden Recht des Landes, in dem er kandidiert, zum Landtag wählbar wäre.'" Drucks. Nr. 911: Antrag der CDU/CSU vom 10. Mai 1949 zu § 5 des Wahlgesetzes. Er wurde verlesen. Drucks. Nr. 918 siehe Anm. 39. Drucks. Nr. 916 siehe Anm. 36.

Elfte

Sitzung des Plenums

liegt vor ein Antrag Dr. Diederichs, Drucksache (Dr. Diederichs: Er wird zurückgezogen.)

Endlich

10. Mai 1949

Nr. 11

Nr. 9 1 543).

Das Wort hat Herr Dr. Becker. Dr. Becker (FDP): Meine Damen und Herren! Der Antrag des Herrn Kollegen Dr. Diederichs, in dem auf die im Lande geltenden Gesetze Bezug genommen wird, ist meines Erachtens unklar. Es ist daraus nicht zu ersehen, ob gemeint ist die Wählbarkeit auf Grund des im Lande geltenden Landtagswahlgesetzes oder aber die Wählbarkeit auf Grund des im Lande geltenden Säuberungsgesetzes. Es ist die gleiche Unklarheit, die in § 2 vorgelegen hat, weshalb ich die Streichung der Worte „zum Landtag" beantragt hatte. Ich schlage daher vor,

sich lieber für den anderen Antrag zu entscheiden. Zur Sache selbst will ich nicht weiter sprechen, sondern mit diesen Worten vollkommenen

Klärung beitragen. Kaufmann (CDU): Von Herrn Dr. Diederichs liegt der Antrag Drucksache Nr. 915 und der Antrag Drucksache Nr. 91844) vor. Präs. Dr. Adenauer: Der Antrag auf Drucksache Nr. 915 ist soeben zurückgezonur zur

gen worden. Das Wort hat Herr Dr. Diederichs. Dr. Diederichs (SPD): Meine Damen und Herren! Der Antrag Nr. 918 will an Stelle des § 5 Absatz 2 in Absatz 1 unter c einfügen: und nach dem am 8. Mai 1949 geltenden Recht des Landes, in dem er kandidiert, zum Landtag wählbar wäre. Daraus geht eindeutig hervor, daß das Recht, wonach die Landtagswählbarkeit in einem Land bestimmt wird, nicht mit den Bestimmungen über die Entnazifizierung übereinstimmt. Dies wird ausdrücklich mit dem Wort „wäre" festgestellt, weil nach unserem Wahlgesetz auch Leute in einem Lande kandidieren können, die in diesem Lande nicht ansässig sind. Mithin können wir nicht sagen „wählbar ist"; dies ist wahrscheinlich nach dem Recht des betreffenden Landes nicht möglich, und deshalb ist in meinem Antrag der Konjunktiv gewählt. Es soll das für die Landtagswahl maßgebende Recht bezüglich der Eignung als Kandidat maßgebend sein. Präs. Dr. Adenauer: Herr Schröter! Schröter (CDU): Wir ziehen den Antrag auf Drucksache Nr. 91145) zurück und werden für den Antrag Dr. Diederichs stimmen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner, Renner (KPD): Gestern, meine Damen und Herren, hat der Hauptausschuß46)

beschlossen: Nr. 915: Antrag Dr. Diederichs zum Wahlgesetz vom 10. Mai 1949. Er lautete: „§ 5 Absatz 2 ist zu streichen. Statt dessen wird folgende Fassung vorgeschlagen: ,2) Nicht wählbar sind alle diejenigen, denen die Wählbarkeit durch rechtskräftige

43) Drucks.

der politischen Säuberung ausdrücklich abgesprochen wurde oder darüber hinaus alle, die in die Gruppen I, II, III oder IV eingestuft sind. Der Nachweis der Wählbarkeitsvoraussetzungen ist vom Bewerber zu erbringen.'" 44) Drucks. Nr. 915 siehe vorige Anm.; Drucks. Nr. 918 siehe Anm. 39. 45) Drucks. Nr. 911 siehe Anm. 40. 46) 59. Sitzung des HptA vom 9. Mai 1949; Verhandlungen, S. 775.

Entscheidung im Verfahren

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Nr. 11

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Nicht wählbar ist, wer Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen war; ausgenommen sind Entlastete oder Personen, auf die die Jugendamnestie oder die Heimkehreramnestie Anwendung findet. Mit dieser Formulierung hätte man vermeiden können, daß in den neuen Bundestag unter der Flagge der neuen Demokratie alte Nazis einziehen.

(Heiterkeit.)

ergibt sich aus dem nachgereichten Antrag. Sind nun die Parteien, die gestern mit Mehrheit für diese klare, eindeutige Formulierung gestimmt haben, wieder anderer Ansicht? Das ist so, siehe die neuen Anträge. So hat sich wieder einmal bewahrheitet, was ich gestern abend nach der Abstimmung über diese Fassung einem Herrn von der SPD gesagt habe: Abwarten, ob ihr morgen nicht umfallt! Nun, sie sind umgefallen, und die gesamte gestrige Mehrheit ist umgefallen. Daß Sie, Herr Kaufmann, nicht umgefallen sind, erklärt sich daraus, (Kaufmann: daß ich auf festen Beinen stehe. Heiterkeit.) daß Sie nicht umzufallen brauchten. Sie haben von Anfang an ganz klar darauf hingesteuert, ehemaligen Nazis den Weg auch in den neuen Bundestag zu öffnen. (Zuruf: Herr Renner, das ist nicht wahr!) Na, wenn es auch vielleicht für Ihre Person nicht zutrifft, Herr Kaufmann, trifh so es doch für die Gesamtheit Ihrer Partei zu. Eine solch feine Differenziekann man Mitgliedern einer Partei wie der Ihrigen gegenüber, einer Partei, rung die so heterogen ist, nicht immer machen. Aber nun zur Sache. Sie wollen ehemaligen Nazis die Tür zum Bundestag ich denke da an „Entlastete" wie Schacht47) öffnen. Diese ehemaligen Nazis wollen Sie wieder aufstellen, um und Thyssen48), um nur zwei zu nennen die ganz Großen der heute noch vorhandenen Nazis auf dem Weg über Ihren Vorschlag vor die Karre Ihrer demokratisch aufpolierten und aufgemachten Partei zu spannen. Es handelt sich hier nicht um ein Ausnahmerecht, wie man gestern im Hauptausschuß andeutete. Das geht schon aus der Tatsache hervor, daß im schlimmsten Fall nur 400 ehemalige Nazis ausgeschaltet werden könDas nämlich

-

-



-

-

nen.

(Heiterkeit.)

Fall wird die Zahl vielleicht bei 60 Prozent aller Sitze liegen. der Sinn für Humor hat, hat heute morgen gesagt: Wäre es nicht richtiEiner, Ihr brächtet einen Antrag ein des Inhalts, die Zahl der Mitglieder des ger, Bundestags, die ehemals Mitglieder der NSDAP waren, darf 49 Prozent der Gesamtziffer nicht übersteigen?

günstigsten

Im

(Große Heiterkeit.)

nun wieder eine ernste Bemerkung. Man trifh mit der Ausschaltung der Nazis keine Massen, man trifh nur die Repräsentanten der Klasse, zu der Sie gehören, meine Herren von der CDU. Man trifh die Repräsentanten der Klasse,

Aber

die heute

zwar

noch etwas unterirdisch und

) Schacht siehe Dok.

) Thyssen siehe Dok. 648

Nr. 3, Anm. 126. Nr. 10, Anm. 124.

vorübergehend

bei Ihnen arbeiten,

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10. Mai 1949

Nr. 11

die aber schon morgen wieder die Rolle spielen werden, die sie vor 1933 und nachher in der NSDAP gespielt haben, nämlich die Rolle der wirklichen Auftraggeber der CDU. Diese Leute also will man noch einmal in den neuen

Bundestag bringen.

Gestern ist das schöne Wort vom Recht auf den politischen Irrtum gefallen. Einer hat es geprägt, dessen Namen wir alle kennen49). Ich habe gestern darauf

repliziert: Schön, es gibt heute nur

schon diesen irregegangenen Nationalsozialisten noch irregegangene das Recht auf politischen Irrtum konzedieren will, brauchen wir ihnen heute noch einmal das Recht zu konzedieren, ihren politischen Irrtum zu erneuern? So stehen doch die Dinge! Oder können wir die junge demokratische Republik, Herr Kollege Schmid, wirklich nicht aufbauen ohne die ehemaligen Nazis? Haben Sie in Ihren Reihen so wenig Demokraten, daß Sie auf die Nazis von gestern zurückgreifen müssen? (Dr. Schmid: Wir? Nein!) Aber zur Steuer [!] der Wahrheit: Wir haben gestern ausdrücklich mit Mehrheit beschlossen, sie auszuhalten. (Zurufe und Heiterkeit.) Ich weiß nicht, was da lächerlich ist? (Dr. Schmid: „Aushalten"!) Ja, vielleicht ist das gar nicht so sinnlos, dieser falsche Zungenschlag, nicht wahr, Herr Carlo Schmid? Vielleicht ist es gar nicht so sehr falsch. (Dr. Schmid: Sie haben nur gesagt: „Wir wollen sie aushalten." Sie meinen also offensichtlich damit sich. Ich dachte, Sie hätten an Herrn Markgraf'0) wenn man

-

-

-

-

gedacht.) Herr Markgraf?

Wir haben hier einen sitzen, der ist noch interessanter. Es Carlo Herr Schmid, die hier im Parlamentarischen Rat sitzen, aber gibt Leute, früher SA-Leute51) oder Richter an Sondergerichten waren. Wollen Sie denen den Weg in den neuen Bundestag aufmachen? Wollen sie das wirklich? Brauchen wir diese Leute? Oder müssen wir angesichts der Folgen ihrer politischen Irrtümer, die wir jeden Tag draußen sehen, nicht wirklich dafür sorgen, daß sie -

wenigstens 49)

vom

passiven Wahlrecht ausgeschaltet werden, dieses Bäckerdut-

Sitzung des HptA vom 6. Mai 1949 war der Begriff von Dr. Kroll (CSU) unter Bezugnahme auf Eugen Kogon verwandt worden (Verhandlungen, S. 772); die darauf folgende Diskussion mit einem Beitrag von Renner siehe ebenda. 50) Zu Markgraf siehe Dok. Nr. 4, Anm. 11. 51) Gemeint war vermutlich der Abg. Blomeyer, der Mitglied des SA-Reitersturms in Minden gewesen war. Karl Josef Denzer (Hrsg.): Nordrhein-Westfalen und die Entstehung des Grundgesetzes. Duisburg 1989, S. 129. Im Schlußbericht des brit. Verbindungsoffiziers Chaput de Saintonges über den Pari. Rat hieß es, Blomeyer sei vor 1933 Mitglied In der 59.

der Deutschnationalen Partei und des Stahlhelms gewesen. 1933-1945 sei er Sturmfühder SA, Reitersturm Minden, zahlendes Mitglied des NS-Fliegerkorps und einer oder zweier weiterer bedeutender Naziorganisationen gewesen. Er sei bei der Entnazifizierung in die Kategorie V eingestuft worden. Siehe Pommerin: Die Mitglieder des Pari. Rates, S. 564. Vgl. auch Rudolf Billerbeck: Die Abgeordneten der ersten Landtage (1946-1951) und der Nationalsozialismus. Düsseldorf 1971. Andererseits hatte Blomeyer 1942 sein Amt als Bürgermeister der Landgemeinde Ulenburg niedergelegt, als der Pastor seiner Kirchengemeinde in das KZ kam. Vgl. seine biographischen Angaben in: Z 5 Anhang/1, Bl. 26. rer

649

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Sitzung des Plenums

10. Mai 1949

zend, das Sie aufstellen wollen, um die Stimmen der Nationalsozialisten, die heute noch Nazis sind, auf sich zu vereinen? Es ist kein Ausnahmegesetz, sondern ein Gesetz, das schlimmstenfalls nur einige wenige treffen kann. Aber ohne deren finanziellen Einfluß kommen Sie offenbar nicht aus. So liegen die

Dinge.

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Schröter. Schröter (CDU): Herr Kollege Dr. Becker hat mit einer gewissen Berechtigung von dem Haus der Wiederholungen gesprochen. Sie haben eben einen lebendigen Beweis dafür gehabt. Herr Renner hat soeben von dieser Stelle aus dieselbe Rede gehalten, die er gestern im Hauptausschuß gehalten hat52). Ich bin daher gezwungen, ihm einige wenige Worte zu widmen. Herr Kollege Renner, wir gehen grundsätzlich nicht den Weg, den sie gehen wollen. Wir wollen, daß endlich auf diesem Gebiet in Deutschland Ruhe und Frieden zu herrschen anfangen. (Renner: Das hat Herr Adenauer schon 1945 gewollt.) Wir fangen jetzt mit diesem Grundgesetz einen neuen Abschnitt der deutschen Geschichte an, und da wollen wir, daß Friede in unserem Hause herrscht. Aus diesem Grund haben wir diese unsere Anträge gestellt. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß zwei Anträge zu diesem Paragraphen vorliegen, und zwar die

Anträge-

(Renner: Ich stelle den Antrag, die gestern beschlossene Fassung aufrechtzuerhalten.)

Sie müssen diesen

Antrag schriftlich einreichen.

(Zuruf des Abgeordneten Renner.) Es liegt vor der Antrag Dr. Diederichs, Drucksache Nr. 91 853), und der Antrag Dr. Becker, Drucksache Nr. 9 1 654). (Renner: Zur Abstimmung!) Langsam! Es ist schwer zu entscheiden, welcher Antrag der weitergehen-

de ist. Ich bin der Auffassung, daß der weitergehende Antrag der Antrag Dr. Becker ist, weil er von der Wählbarkeit ganz allgemein spricht, während der Antrag Dr. Diederichs von der Wählbarkeit zum Landtag spricht. Ich beabsichtige deswegen, zunächst über den Antrag Dr. Becker abstimmen zu lassen und dann über den Antrag Dr. Diederichs.

-

-

Herr Renner

zur

Abstimmung!

(Renner: Darf ich vom Platz aus sprechen?) Aber bitte, man hört Sie hier besser. (Heiterkeit.) Renner (KPD): Ich bin der Auffassung, daß der Beschluß

-

von gestern, der hier und den ich nicht mehr einzureideshalb kompletten Vorlage vorliegt chen brauche, sehr verehrter Herr Präsident -, der weitestgehende ist und daß

in der

-

52) 59. Sitzung des HptA vom 9. 53) Dok. Nr. 918 siehe Anm. 39. 54) Dok. Nr. 916 siehe Anm. 36. 650

Mai 1949;

Verhandlungen,

S. 773 f.

Elfte

Sitzung des Plenums 10. Mai 1949

Nr. 11

demzufolge, zumal er gestern die Sanktion durch die Mehrheit des Hauptausschusses erhalten hat, über ihn zuerst abzustimmen ist, weil ich ihn aufrechterhalte. Präs. Dr. Adenauer: Verehrter Herr Renner, sie meinen jetzt den § 5, wie er in der Vorlage enthalten ist. Renner (KPD): Jawohl, wie er in der Vorlage steht. Das ist der weitestgehende -

Antrag.

aber Brauch von altersher, daß zunächst über Vorlage abzustimmen ist, und daher müssen wir zu-

Präs. Dr. Adenauer: Nun ist

Abänderungsanträge

zur

es

nächst über diese Anträge abstimmen. Ich denke, Sie stimmen meinem Vorschlag zu. Dann würde zunächst abzustimmen sein über den Antrag Dr. Becker. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Becker sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der

Antrag

ist

-

-

abgelehnt.

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag Dr. Diederichs. (Dr. Becker: Ich bitte um satzweise Abstimmung.) Verzeihen Sie, Herr Dr. Präs. Dr. Adenauer: Wie soll ich das verstehen? Becker, der große Antrag Dr. Diederichs ist zurückgezogen. Dr. Becker (FDP): Der erste Satz lautet: „§ 5 Absatz 2 des Wahlgesetzes ist zu ."usw. streichen." Der zweite: „Statt dessen Ich glaube, da würde man doch dem Sinn des Antrags Präs. Dr. Adenauer: Gewalt antun. Herr Dr. Diederichs will den Satz streichen, um an dessen Stelle seinen Antrag zu setzen, so daß ich der Auffassung bin, hier kann keine getrennte Abstimmung vorgenommen werden. Zur Abstimmung Herr Dr. Schmid! Dr. Schmid (SPD): Eine Frage zur Aufklärung! Es heißt hier: „und nach dem am 8. Mai 1949 geltenden Recht des Landes, in dem er kandidiert, zum Landtag wählbar wäre." Es sind nach einer Reihe von Landeswahlgesetzen Personen zu einem Landtag nur deshalb nicht wählbar, weil sie nicht sechs Monate ihren Wohnsitz in dem betreffenden Land haben. Die würden dann auch betroffen sein? Dr. Katz (SPD): Da greih die Lex specialis des § 12 ein, wonach jeder Bewerber sich in mehreren Wahlkreisen und in verschiedenen Ländern bewerben kann. (Dr. Schmid: Die Sperrvorschrift wird trotzdem nicht aufgehoben.) Daraus ergibt sich, daß § 12 dieser Bestimmung vorgeht. Dr. Becker (FDP): Es ergibt sich daraus, wie recht ich hatte, als ich festgestellt wissen wollte, ob die Wählbarkeit nach dem Landtagswahlgesetz oder nach dem Säuberungsgesetz zu beurteilen ist. Beurteilt man sie nach dem Säuberungsgesetz, dann ist die Sache für uns alle vollkommen klar. Ich bitte, das im Antrag zum Ausdruck zu bringen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. Becker, falls Zweifel sein sollten, bitte ich, den Antrag bei der dritten Lesung einzubringen. Wir müssen jetzt fortfahren. Jetzt liegt der Antrag Dr. Diederichs vor. Der Antrag ist klar. Wir können über den Antrag Dr. Diederichs nur so abstimmen, wie er vorliegt; wir können nicht getrennt abstimmen, wie Herr Dr. Becker meinte. -

.

.



651

Nr. 11

Elfte

Sitzung des Plenums

Ich bitte erheben.

diejenigen,

10. Mai 1949

die für den Antrag Dr. Diederichs sind, eine Hand zu Ich bitte, diejenigen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag ist angenommen. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den § 5 in der Fassung, die er durch den Abänderungsantrag Dr. Diederichs bekommen hat. (Zuruf des Abgeordneten Renner.) Ja, sicher, Herr Renner. Der Abänderungsantrag Dr. Diederichs ist angenom-

-

-

men; er

war

gestellt

zu

§

5.

Abstimmung über § 5 in der durch die Annahme des Abänderungsantrags gewonnenen Fassung. (Dr. Menzel: Ich bitte um absatzweise Abstimmung!) Aber Sie wollen eine getrennte Abstimmung nur zu Absatz 1, 2 und 3 oder

Wir kommen

jetzt

zur

noch mehr? (Dr. Menzel: Nur zu den Absätzen 1, 2 und 3!) Wir kommen zur Abstimmung über § 5 Absatz 1. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Absatz 1 ist angenommen. Wir kommen zu Absatz 2. (Dr. Seebohm: Absatz 2 ist gestrichen und durch die neue Fassung er-

-

-

-



setzt.) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das noch einmal feststellen. Durch die Annahme des Abänderungsantrags Dr. Diederichs ist unter Absatz 1 eine Litera c eingesetzt, wie sie in dem Antrag Dr. Diederichs formuliert ist. Dieser Antrag ist eben angenommen worden. Verlangen Sie hier eine nochmalige Abstimmung? (Dr. Schmid: Jawohl!) Zur Abstimmung Herr Dr. von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Ich sehe keine Möglichkeit, eine neue Abstimmung vorzunehmen. Wir haben über den Antrag Dr. Diederichs in einer klaren Abstimmung entschieden. Absatz 2 ist gestrichen, und unter Absatz 1 ist Litera c eingefügt worden. Wir haben über Absatz 1 abgestimmt. Präs. Dr. Adenauer: Es wird verzichtet, Herr von Brentano. Wir kommen zur Abstimmung über Absatz 3 jetzt Absatz 2 des § 5. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Absatz 3, jetzt Absatz 2, ist angenommen. Damit darf ich den § 5 in der soeben beschlossenen Fassung für angenommen erklären. Zu § 6 liegt kein Antrag vor. Angenommen. Auch zu § 7 liegt kein Antrag vor. Ebenfalls angenommen. Zu § 8 liegt ein Antrag Schröter auf Drucksache Nr. 9 1 255) vor, und zwar des Inhalts: -

-

-

-

-

-

-

§

8

Der

folgende Fassung: Bundestag besteht aus 300 Abgeordneten

erhält

.

.

.

der CDU/CSU-Fraktion zu § 8 des Wahlgesetzes vom 10. Mai folgende Fassung: Der Bundestag besteht aus 300 Abgeordneten; sie werden nach den Grundsätzen des Mehrheitswahlrechtes gewählt."

) Drucks.

Nr. 912,

1949 lautete:

652

„§

Antrag

8 erhält

Elfte

Sitzung des Plenums

Sie werden im gleichen Verhältnis, wie ist, auf die Länder verteilt-

(Widerspruch und Zuruf: wahhechts gewählt!)

es

in dem

10. Mai 1949

bisherigen §

8

Nr. 11

vorgesehen

Sie werden nach den Grundsätzen des Mehrheits-

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte zu Ende sprechen. Der Antrag ist ergänzt worden, und zwar deswegen, weil nach den Anordnungen der Militärgouverneure der Parlamentarische Rat über die Verteilung der Abgeordneten auf die Länder befinden soll. Wenn also jetzt der Antrag gestellt wird, statt 400 Abgeordnete 300 zu wählen, so müssen auch die 300 Abgeordneten auf die Länder verteilt werden. Das ist der Inhalt des Antrags Schröter. Weiter hat er beantragt, daß diese Abgeordneten nach den Grundsätzen des Mehrheitswahlrechts zu wählen sind. Sind wir uns über den Inhalt klar? Herr Dr. Becker! Dr. Becker (FDP): Ich möchte nur auf eines aufmerksam machen. Wenn nach den Grundsätzen des § 8 die Zahl der Abgeordneten von 400 auf 300 zurückgesetzt wird, so gibt das in all den Fällen, in denen ein Land eine ungerade Zahl von Mandaten erhalten hat, eine Unmöglichkeit. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Schröter. Herr Schröter, verlangen Sie gesonderte Abstimmung über die beiden Punkte? -

(Schröter: Nein!)

Wir können also

über den ganzen Antrag schreiten. Ich bitte diejenigen, Antrag sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejeniHand zu erheben. eine Der Antrag ist abgelehnt. die sind, gen, dagegen Wir kommen jetzt zur Abstimmung über § 8 in der Fassung des Ausschusses. Ich bitte diejenigen, die für den Paragraphen sind, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen. Es liegt nunmehr ein Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache Nr. 90756) vor, und zwar, hinter § 8 des Wahlgesetzes einen § 8 a einzufügen. Es ist das der Flüchtlingsantrag. Das Wort hat Herr Hermans. Hermans (CDU): Meine Damen und Herren! Es scheint mir doch gegenüber einigen Bemerkungen, die vorhin zu unserem Antrag gefallen sind, notwendig, noch einige kurze Erklärungen anzufügen. Vor allen Dingen scheint die Frage der Verfassungsmäßigkeit unseres Antrags doch bezweifelt zu werden, obwohl derartige Zweifel in Wirklichkeit nicht bestehen können. zur

Abstimmung

die für den

-

-

-

5S) Drucks. Nr. 907: Antrag der CDU zum Wahlgesetz vom 10. Mai 1949 betr. § 8 a Wahlgesetz. Der Antrag war auf einer Fraktionssitzung vom 9. Mai 1949 beschlossen worden (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 559). Er lautete: „Für Flüchtlinge und Vertriebene sind unter Anrechnung auf die Zahl der Wahlkreise des § 9 besondere Wahlkreise zu bilden. Die Flüchtlingswahlkreise sollen in der Regel soviel Flüchtlinge und Vertriebene umfassen, wie es der durchschnittlichen Einwohnerzahl der sonstigen Wahlkreise entspricht. In Ländern, in denen die Gesamtzahl der Flüchtlinge und Vertriebene hinter der durchschnittlichen Einwohnerzahl eines Wahlkreises wesentlich zurückbleibt, kann von der Bildung von Flüchtlingswahlkreisen abgesehen werden." Zum politischen Hintergrund dieses Antrages siehe Lange: Wahlrecht, S. 323 ff.

653

Nr. 11

Elfte

Sitzung des Plenums

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Kollege Dr. Becker hat geglaubt unseren Antrag mit einem Verfahren vergleichen zu sollen, in dem für einzelne Stände ein Sonderwahlrecht geschafHerr

fen würde. (Dr. Becker: Nein, das war eine Replik auf Herrn Schröter.) Ich glaube, es ist nicht notwendig, zu erläutern, daß niemand in dem „Flüchtling"-sein einen Stand oder einen Beruf sieht oder sehen kann. Flüchtling sein ist ein sehr schweres Los. Es bedeutet, eine Heimat verloren zu haben, und hieran lassen Sie mich bitte anschließen. Ich bitte alle diejenigen, die Bedenken wegen dieses angeblichen Sonderrechts der Flüchtlinge haben, in eigenen Wahlkreisen eigene Kandidaten zu wählen, einmal daran zu denken, daß ich möchte hoffen unter den hier im Saal anwesenden Deutschen niemand auch nur eine de facto-Anerkennung oder Mitwirkung dafür geben möchte, daß diese Vertriebenen ihre Heimat verloren haben. Wie wäre es denn, wenn die Gebiete, in denen diese Menschen beheimatet waren, noch zu uns gehörten? Würden sie dann nicht in eigenen Wahlkreisen ihre eigenen Kandidaten wählen? Sollen wir nicht, nachdem das Gebiet, in dem früher gewählt werden konnte, jetzt so zusammengeschrumph ist, daß eine Einschaltung der Flüchtlinge in dieses verkleinerte Gebiet trotz erheblicher Anstrengungen, die gemacht worden sind das wollen wir doch auch einmal allen denen gegenüber, die sich darum bemüht haben, anerkennen -, nicht gelungen ist, den Flüchtlingen nun das Recht geben, das sie nach unserer Auffassung eben haben müßten? Es kann in diesem Recht weder eine Verletzung des Allgemeinheitsgrundsatzes noch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes der Verfassung, des Grundgesetzes gesehen werden. Das um so weniger, als die ganze Regelung, wie wir sie wünschen, auf gar nichts anderes hinausläuft als darauf, ein Verfahren zu schaffen, das sowieso im Wahlgesetz, wie es jetzt vorliegt, in einer etwas unlogischen Weise enthalten ist. Wenn man so sehr auf die Wahlkreise abstellt, dann ist es nicht konsequent, wenn man trotzdem die Stimmabgabe nicht an den Wahlkreis bindet, sondern sie per Wahlschein in jedem beliebigen Wahlkreis zuläßt. Es wird also keine Schwierigkeiten machen für diejenigen, die unbedingt über Bedenken fallen wollen, diese Bedenken zurückzustellen, wenn man auch den Flüchtlingen die Möglichkeit gibt, per Wahlschein in einem normalen Wahlkreis zu wählen. Herr Kollege Becker, wir wollen den Flüchtling nicht zwingen, in einem Flüchtlingswahlkreis zu wählen, sondern wir wollen ihm die Möglichkeit geben, wenn ihm das nicht paßt, einen Wahlschein zu nehmen und in einem anderen Wahlkreis zu wählen, genau so wie wir einem anderen Wähler, der in einem normalen Wahlkreis wahlberechtigt ist, nicht die Möglichkeit nehmen, mittels eines Wahlscheins in jedem anderen Wahlkreis, also auch in einem Flüchtlingswahlkreis, seine Stimme abzugeben. Die Voraussetzungen hierfür zu regeln, ist aber nicht unsere Sache, sondern, da wir hier nur den Rahmen des Wahlrechts zu bestimmen haben, Sache der Ausführungsvorschrihen der Länder, die an diesen Dingen besonders interessiert sind. (Dr. Katz: Wir können doch in Schleswig-Holstein nicht an die Hälhe der Bevölkerung Wahlscheine ausgeben!) -

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Warum nicht, wenn die Wähler es wünschen? Wir wissen aber, daß die Sucht nach Wahlscheinen eine verhältnismäßig geringe ist, und ich hoffe dringend, daß die Möglichkeit, wie sie jetzt gegeben ist, nicht dazu führt, daß allzu geschickte Parteitaktiker Wahlscheinüberfälle in wichtigen Wahlkreisen unternehmen. Das wäre nämlich, wenn man so böswillig wäre, auch möglich. Ich sage, ich will nicht hoffen, daß das geschieht. (Dr. Diederichs: Eine Warnung vor der Mehrheitswahl!) Die Mehrheitswahl schließt das Wahlscheinverfahren in dieser Form aus. Derartige Spezialerörterungen sind aber hier nicht notwendig. Meine Damen und Herren, wir kommen einfach an der Tatsache nicht vorüber, daß der Gedanke, den ich vertrete, nicht auf dem Boden dieses Hauses gewachsen ist. Er ist wirklich von der großen Masse der Flüchtlinge an uns herangetragen worden, und es hat bisher aus diesem Bereich, aus dieser Schicht keine Stimme der Ablehnung dagegen gegeben. Im Gegenteil. Es liegt Ihnen wohl inzwischen eine Mitteilung darüber vor, daß das Bekanntwerden der gestrigen Abstimmung im Hauptausschuß die Flüchtlinge veranlaßt hat, gegen die Ablehnung des von ihnen gewünschten Verfahrens und des Antrags zu protestie-

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ren.

Ich darf zum Schluß noch folgendes sagen: Es liegt uns doch nichts daran es könnte so scheinen, als ob das der Fall wäre -, die Flüchtlinge auf die Dauer zu sondern. Wir stehen vor der Tatsache, daß die Flüchtlinge diese vermeintliche Sonderung offenbar deshalb wünschen, um auch von sich aus um so besser in die wirkliche politische Situation und Konzeption hier hineinzuwachsen. Geben wir ihnen doch diese Möglichkeit! Es ist das jedenfalls ein anderer Weg als der, worüber Ihnen zu § 11 ein Antrag vorliegt, in dem verlangt wird, auch Verbände der Flüchtlinge als Parteien anzuerkennen. Es geht ja hier gerade darum, die Flüchtlinge in das vorhandene politische Bild einzureihen. (Dr. Katz57): Dazu genügt es, wenn die politischen Parteien Flüchtlinge als Kandidaten aufstellen.) Ich hoffe, die meisten Parteien dieses Hauses werden das tun. Eine wird es wohl bestimmt versuchen, und ich weiß nicht, wie groß der Erfolg sein wird. Es wäre auch gar nicht schlimm, wenn hier einmal festgestellt würde, wer denn nun das Ohr der Flüchtlinge hat. Ich glaube, darüber braucht im allgemeinen unter den Parteien dieses Hauses, wenn sie sich zu den Flüchtlingen vernünhig verhalten, nicht gestritten zu werden. Ich sehe aber nicht ein, warum man den Wunsch dieser Leute mit aller Gewalt nicht erfüllen will. Ich vermag das nicht für restlose Demokratie zu halten, obwohl ich die technischen Bedenken, die geltend gemacht worden sind, als durchaus erwägenswert ansehe. Ich glaube aber, daß über diese technischen Bedenken hinwegzukommen ist, wenn man den Willen hat, einmal den breiten Massen der Betroffenen gerecht zu werden. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Es sind zu diesem Artikel noch zum Worte gemeldet die Herren Abgeordneten Dr. Mücke, Renner, Löbe und -

-

) Der folgende Satz in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 655

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Dr. Seebohm. Ich schlage Ihnen vor, daß wir erst in eine Pause eintreten. Sind Sie damit einverstanden? Wenn Sie damit einverstanden sind, schlage ich vor, daß wir um 9 Uhr, aber pünktlich, wieder beginnen. Ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um 19 Uhr 53 Minuten unterbrochen. Die Sitzung wird um 21 Uhr 5 Minuten wieder aufgenommen. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Wir fahren fort bei dem Antrag der CDU auf Einfügung eines § 8 a. Das Wort hat Herr Lobe. Löhe (SPD): Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir dürfen jedem Abgeordneten dieses Hauses unterstellen, daß er mit ehrlichem Willen diejenigen unserer Landsleute unterstützen will, die als Vertriebene und Flüchtlinge ein besonders schweres Los zu tragen haben. Worum wir hier ringen, das ist die Frage, wie dieses Ziel am erfolgreichsten erreicht werden kann. Was wünschen die Flüchtlinge? Wünschen sie formelle Zugeständnisse oder wünschen sie praktische Abhilfemaßnahmen gegen ihre Not? Ich glaube, das zweite, und ich hage mich: Ist dazu der Antrag, den der Kollege Schröter begründet hat, notwendig, oder kann das nicht auf einem Wege geschehen, bei dem wir unser ganzes Wahlverfahren nicht schwer komplizieren? Ich kann deshalb den Weg, den die Antragsteller vorschlagen, nicht bejahen, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens, wir können auch nach dem Antrag Schröter nicht allen Flüchtlingen das Recht geben, das er beabsichtigt. Schon aus dem Antrag geht hervor, daß die Flüchtlinge in den drei französisch besetzten Ländern, in Hamburg, in Bremen usw., weil sie nicht die für einen besonderen Wahlkreis angemessene Zahl erreichen, nicht von diesem Recht Gebrauch machen können, so daß also hier schon ein Gegensatz entsteht, bei dem die einen sagen: Warum gibt man uns nicht die Rechte, die die anderen haben? Zweitens, wir befürworten damit jene Isolierung, die wir bei dem bisherigen Lauf der Dinge immer beklagt haben. (Sehr richtig! bei der SPD.) Wir konservieren einen Gegensatz zwischen Einheimischen und Flüchtlingen, der gerade überwunden werden soll, und ich bin der der Flüchtlingswahlkreis endigt in der Flüchtlingsgruppe und in der Flüchtlingspartei.

Überzeugung,

Ich

(Zuruf: Sehr richtig!)

glaube, gerade die Herren Antragsteller haben ein kleines Vorspiel für diese Entwicklung erfahren, als der einzige Flüchtlingsvertreter, den die CSU in den bayerischen Landtag gewählt hat, aus dieser Partei ausgetreten und heute ein „Wilder" ist. Seien sie überzeugt, wenn der zweite und dritte dazukommt, dann ist die

Flüchtlingspartei da, die auch Gegensatz Flüchtling gegen Flüchtling,

Sie nicht haben wollen. Aber auch der das Hineintragen der Parteigegensätze in diesen engeren Kreis ist ein gefährliches Resultat einer solchen besonderen Wahlkreiseinteilung. Zu den Parteigegensätzen kommen die landsmannschaftlichen Gegensätze, und in dem rechtlich engeren Revier, das wir diesen unseren Landsleuten einräumen, entstehen erst recht Tummelplätze von Gegensätzen, die die Parteizersplitterung fördern, aber ihr nicht entgegentreten. 656

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Aus allen diesen Gründen frage ich mich: Was wünschen die Flüchtlinge? Sie wünschen, daß ihre Stimme besser gehört werde. Kann das nicht im Rahmen des gegenwärtigen Wahlrechts und der gegenwärtigen Parteien geschehen? Werden nicht diese Parteien gezwungen sein und auf alle Fälle selber Flüchtlinge aufstellen, sie wählen und sie sprechen lassen, so daß also die Erfüllung dieses

Wunsches keiner besonderen Wahlkreiseinteilung bedarf? Die Flüchtlinge wollen zweitens, daß ihre Forderungen zum Erfolg geführt werden. Das können sie nur mit großen Parteien. Das kann auf keinen Fall geschehen durch Einrichtung oder auch nur Begünstigung von Sondergruppen und einer Sonderpartei. Das sollte uns das warnende Beispiel ich habe ich wenn es heute und bitte um Verzeihung, gestern schon darauf hingewiesen der Aufwertungspartei in einem der alten Reichstage lehren, wo wieder tue einflußlos, einseitig doch dazu nach und nach eine Gruppe entstand, die alten wieder bei den Parteien war, Unterstützung ihrer Forderungen gezwungen zu suchen, und in keiner Weise eine bessere Position für die Forderungen hergestellt hat, die sie unterstützen zu müssen glaubte. (Dr. Becker: Sehr richtig!) Ich habe auch gestern eine Anzahl technischer Schwierigkeiten hervorgehoben58). Ich mußte bekennen, daß Herr Abgeordneter Blomeyer diese meine Bedenken in erheblichem Maße abgeschwächt, aber doch nicht vollständig behoben hat. Deshalb sage ich: Sollten Flüchtlingskreise dem Irrtum unterliegen, daß eine rein formelle Änderung von Wahlrecht oder Wahlkreiseinteilung ihren Interessen allein dienen kann, so müssen wir es ihnen offen sagen, daß das nicht der Fall ist. Wer eine gesunde Bodenreform schafft und damit vielen der Flüchtlinge eine neue Unterlage für ihre Existenz gibt, wer sich für rasche Erledigung eines Wohnungsprogramms einsetzt, damit die Obdachlosen endlich wieder eine menschenwürdige Unterkunft erhalten, wer im Lastenausgleich die soziale Tendenz unterstützt, der wird den Flüchtlingen viel besser dienen, als es etwa eine neue Wahlkreiseinteilung tun kann. (Sehr richtig! bei der SPD.) Ich möchte an das Wort erinnern, das Herr Schröter aussprach: Wehe, wenn sie noch einmal genarrt werden! Herr Schröter ist bei seiner Abwehr beinahe an den Ton herangekommen, den er von der Sonntagssitzung beklagte. (Sehr gut! bei der SPD.) Wir wollen eben damit verhindern, daß sie noch einmal genarrt werden, weil wir in diesen formellen Zugeständnissen keinen Vorteil für sie sehen. Ich kann nur betonen, was ich gestern sagte: Heute verbeugen wir uns vor einer Forderung, die vielleicht auch von großen Kreisen der Flüchtlinge erhoben wird; aber morgen werden sie enttäuscht feststellen, daß dieser Weg nicht der geeignete war. Ich glaube, auch in den Reihen der CDU-Fraktion sind erhebliche Bedenken gegen diesen Weg laut geworden. Wir möchten unsere Bedenken vor der Öffentlichkeit vertreten und können deshalb diesem Antrag nicht zustim—

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men.

)

59.

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9. Mai 1949;

Verhandlungen,

S. 783.

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(Beifall.) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Renner.

(Renner: Ich verzichte aufs Wort.) Das Wort hat Herr Mücke. Dr. Mücke (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Herren! In diesem Hause ist gestern und heute sehr viel um das Problem der Vertriebenen geredet worden. Ich könnte mir als Abgeordneter aus dem Kreis der Vertriebenen fast den Vorwurf machen, daß ich in den letzten acht Monaten zu wenig darüber geredet habe. Die Vertriebenen aber wissen aus den letzten vier Jahren, seitdem es ein Vertriebenenproblem gibt, sehr wohl, daß in diesen vier Jahren viel geredet und wenig gehandelt worden ist. Es gibt in den einzelnen Ländern eine Reihe von Flüchtlingsgesetzen, die nur am Rande durchgeführt worden sind. Es kommt darauf an, daß man gerade jetzt in dem Zeitpunkt, da eine zentrale Instanz geschaffen wird, auf die die Vertriebenen warten, endlich aus der Zeit des Redens zum Handeln kommt. Man wird durch Bestimmungen in einem Wahlgesetz so oder so das Flüchtlingsproblem nicht regeln. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß den Vertriebenen in dem kommenden Bundestag, der ja über ihr Schicksal mit zu entscheiden haben wird, eine entsprechende Anzahl von Abgeordneten eingeräumt werden muß. Der Herr Abgeordnete Schröter hat erklärt, daß seine Partei, auch wenn der Antrag der CDU/CSU

nicht angenommen würde, dafür Sorge tragen werde, daß die Vertriebenen entsprechend ihrem Anteil vertreten sein werden. Die Vertriebenen werden sich heuen, wenn dieses Wort in die Tat umgesetzt wird. Das Flüchtlingsproblem ist ein Problem der Eingliederung auf allen Gebieten des Zusammenlebens der Menschen untereinander, auch auf der politischen Ebene. Eingliederung bedeutet aber schlechthin die gleiche Berechtigung und die gleiche Verpflichtung hinsichtlich der Belastung mit den für das deutsche Volk so verheerenden Folgen des zweiten Weltkriegs. Nachdem die Vertriebenen mit dem Verlust von Heimat, Hab, Gut und Existenz vorgeleistet haben, wirkt sich diese Belastung naturgemäß als Ausgleichsverpflichtung stark gegen den einheimischen Teil der Bevölkerung aus. Ich möchte sowohl gegenüber dem einheimischen Teil der Bevölkerung wie auch gegenüber den Vertriebenen feststellen, daß jede Maßnahme, die geeignet ist, die notwendige Eingliederung, die eine Existenzhage für die Vertriebenen ist, zu erschweren oder gar zu verhindern, sich gleichzeitig gegen die Verwirklichung der Ausgleichsansprüche richten muß. Wie ist es nun mit dem Antrag der CDU/CSU? Die Verwirklichung dieses Antrags würde doch gerade in dem Augenblick, da die Vertriebenen erstmalig mit dem alteingesessenen Teil der Bevölkerung zusammen über die Länder hinaus ihren politischen Willen manifestieren können, dazu führen, daß die Vertriebenen ihre entscheidende Betätigung als Staatsbürger der jungen Bundesrepublik Deutschland außerhalb der allgemeinen Regelung zu vollziehen hätten. Die so von Vertriebenen gewählten Vertreter der Vertriebenen würden in den Bundestag mit dem Stempel eines Vertriebenen einziehen, und sie würden diesen Stempel während der Dauer der Zugehörigkeit zum Bundestag behalten. Ich möchte für mich persönlich erklären, daß ich es ablehnen würde, so in den 658

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Bundestag gewählt zu werden, und ich glaube, daß ich hier die Meinung einer großen Reihe vor allem verantwortlich denkender Vertriebener ausspreche. (Dr. Menzel: Bravo!)

Schicksalsgemeinschaft. Die Entwurzelung von Millionen von Menschen hat uns alle stark durcheinandergewürfelt. Wir müssen uns zusammenfinden und so, wie die Dinge nun einmal liegen, gegebenenfalls auch zusammenraufen, aber doch mit der einzig möglichen Überschrih, daß wir in Wir alle sind doch eine

Deutsche und dann Vertriebene oder Einheimische sind. (Sehr richtig! bei der SPD.) Wie würde sich bei Annahme des Antrags der CDU die Auswirkung bei der Wahl vollziehen? Im Wahlkampf würden die Einheimischen unter sich sein und die Vertriebenen unter sich. Die Parteien wären allerdings der Sorge enthoben, in den Wahlkreisen und auf den Landeslisten unter den allgemeinen Bestimmungen Vertriebene als Kandidaten aufzustellen und damit Farbe zu bekennen, daß man die Sache der Vertriebenen, wie es immer gesagt wird, zur eigenen macht. Das ist bequem, weil es von einer Verantwortung entbindet. Aber aus dieser Verantwortung dürfen die Parteien nicht heraus. Das Flüchtlingsproblem ist ein gesamtdeutsches Problem. Und wie würde es unter den Vertriebenen aussehen? Die Vertriebenen würden in einen Kampf: Vertriebener gegen Vertriebener gezwungen, wie es schon Herr Löbe gesagt hat. Das ist eine Sache, die sich doch letzthin gegen die Vertriebenen auswirken würde. Ich selbst bin seit dem Jahre 1945 an verantwortlicher das möchte ich Stelle für die Vertriebenen tätig59). Ich kann nur sagen, daß alle sei es aus meiner auch Herrn Kollegen Schröter sagen die Freunde, von der selbstverständlich Herr Schröter, es aus Ihrer Partei, Partei, sei Kollege alle Pardaß durch das Flüchtlingsproblem quer Auffassung ausgegangen sind, teien geht. Wir haben die Auffassung, daß es richtig ist, daß die Vertriebenen in alle Parteien gehen und sich dort stark machen, um die Kreise der alteingedie Vertriebenen sessenen Bevölkerung, die ja ihre Verbündeten sein müssen könnten das Problem niemals als Minderheit lösen -, zu überzeugen. Darauf kommt es an. Man würde die Solidarität unter den Vertriebenen, besonders unter denen, die verantwortlich deren Belange vertreten, zerstören, wenn man den Weg gehen würde, den die CDU vorschlägt. Es würde zu Gegensätzen von Flüchtling zu Flüchtling kommen. Das ist in jedem Fall abzulehnen. Es muß doch so sein, daß die Vertriebenen, wenn es um ihre eigenen Belange geht, wenn notwendig eine Fraktion unter den Fraktionen bilden. Es hieße alle diese seit Jahren gefundenen Erkenntnisse und Erfahrungen in den Wind schlagen, wenn man dem Antrag der CDU/CSU Folge leisten würde. Nun noch eine Frage, die ich aufwerfen möchte, weil sie gerade aus dem Kreis der Vertriebenen kommt. Ihre Unterstützung würde auch nicht der Sache der Vertriebenen dienen. Es werden aus der Verzweiflung um die verlassene Heimat aus dem Kreis der Vertriebenen oh Stimmen laut, die sagen: Wir wollen gar nicht eingegliedert werden, wir wollen nichts als wieder in unsere Heimat erster Linie

-

-

-

r>9) Mücke nen

der

war u. a.

Vorsitzender des SPD.

bayerischen

Hauptausschusses

der

Flüchtlinge und Ausgewiese659

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zurück. Das ist gefährlich, weil es der Sache der Vertriebenen letzthin schadet. Gerade dieses Argument gibt doch besonders denen, die den Ausgleich nicht wollen, Wasser auf die Mühle, weil es den egoistischen Bestrebungen und Wünschen, den Flüchtling lieber heute als morgen außer Landes zu sehen, allen Vorschub leistet. Die Vertriebenen müssen und sollen ihre Heimat im Herzen tragen, aber sie müssen mit dem Verstand in der neuen Heimat sein. Auch unter diesem Gesichtspunkt würde der CDU/CSU-Antrag in seiner Auswirkung der Sache der Vertriebenen nicht dienlich sein. Letzthin noch ein drittes. Wenn das Grundgesetz in Kraft tritt, ist die Bildung politischer Parteien hei. Auch die Vertriebenen könnten sich nach den Bestimmungen des Grundgesetzes zu einer oder zu politischen Parteien zusammenschließen. Obwohl nach meiner Meinung dieser politische Zusammenschluß der Vertriebenen nicht in ihrem Interesse ist, ist es eine Tatsache, daß Teile der Vertriebenen diese Bestrebungen haben. Die wird man nicht verhindern können, und man muß die Dinge sich entwickeln lassen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist der Antrag der CDU/CSU nicht gerechtfertigt. Wir haben als Sozialdemokraten gerade für das gemischte Wahlsystem gemäß dem vorgelegten Entwurf gekämph, nicht zuletzt, um den Interessen und Belangen der Vertriebenen zu dienen. Wir sehen in der Regelung, die durch die Vorlage des Hauptausschusses getroffen ist, die Möglichkeit, daß die Vertriebenen im Bundestag entsprechend vertreten werden, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Parteien nicht versagen. Aber ich habe schon festgestellt, daß wohl Einmütigkeit unter allen Parteien darüber besteht, dem Erfordernis einer entsprechenden Vertretung der Vertriebenen Rechnung tragen zu wollen. Aus diesen Gründen, die auf ernsthahen Überlegungen und Erfahrungen beruhen, muß man zu dem Schluß kommen, daß eine Regelung im Wahlgesetz, wonach den Vertriebenen in besonderen Wahlkreisen die Möglichkeit gegeben wäre, ihre eigenen Kandidaten aufzustellen, nicht im Interesse der Vertriebenen ist und sein würde. Deshalb hat sich meine Fraktion entschlossen, diesen Antrag abzulehnen. (Beifall bei der SPD.) Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Seebohm. Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß der Antrag, der aus Flüchtlingskreisen an uns herangetragen worden ist, erst vor wenigen Tagen hier einging und daß er deshalb nicht so eingehend hat durchberaten werden können, wie er es unbedingt verdient. Wir haben ihn erst gestern bekommen und haben deshalb in der gestrigen Hauptausschußsitzung dazu nicht Stellung nehmen können60). Wir haben uns aber in der Zwischenzeit davon überzeugt, daß einmal die rechtlichen Bedenken gegen diesen Antrag nicht das Gewicht haben, das ihm seine Gegner zumessen möchten, und daß zum anderen die technische Durchführbarkeit durchaus gegeben ist. Es ist bedauerlicherweise im Rahmen dieses Antrags hier zu einer allgemeinen Debatte über die Vertriebenen gekommen. Ich bin der Ansicht, wir haben uns

60) 660

59.

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Verhandlungen,

S. 776 ff.

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hier nicht darüber zu unterhalten, wie wir die wirtschahliche Lage der Vertriebenen zu bessern und zu regeln haben. (Dr. Schmid: Doch, das ist besonders wichtig.) Das ist bestimmt besonders wichtig, gehört aber nicht in die Debatte über ein Wahlgesetz, Herr Schmid. Ich bin immer durchaus dafür gewesen, diese Frage an anderer Stelle sehr eingehend zu behandeln, und habe das auch getan. Ein Wahlgesetz ist aber nicht die Gelegenheit, sich über die wirtschahliche Eingliederung der Vertriebenen in den gesamten Wirtschahsprozeß zu unterhalten, sondern ist die Veranlassung, bei der man sich über ihre politische Eingliederung unterhalten muß. (Dr. Schmid: Aber der Versuch, aus einem Wahlgesetz ein Surrogat für diese notwendigen Dinge zu machen!) Wir machen hier kein Surrogat. Ich spreche hier zu einem Antrag. Und wenn ich darauf hinweise, daß man sich bei dieser Materie nicht über die wirtschahliche Lage der Vertriebenen zu unterhalten hat, sondern über ihre politische Eingliederung, dann ist das wohl ein sehr sachlicher Hinweis, wozu ich die Einwendungen, die Sie machen, nicht rechnen kann. (Löhe: Es ist aber eine Ausgliederung, Herr Kollege.) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es handelt sich also um die Frage, wie der Einbau der Vertriebenen in das politische Leben am zweckmäßigsten geregelt wird. Ich möchte Sie daran erinnern, daß dieser Einbau der Vertriebenen in das politische Leben in erster Linie davon abhängt, wie und in welchem Umfang die Vertriebenen ihre Vertretung in den politischen Körperschaften finden. Wenn der verehrte Herr Präsident Löbe ausgeführt hat, daß ein Flüchtlingsabgeordneter im bayerischen Landtag sich von seiner Fraktion getrennt hat, so ist dies eine Tatsache, die auch bei jeder anderen Art der Zuwahl von Vertriebenen in die Parlamente eintreten kann und also von diesem Problem hier nicht abhängig ist. Denn es wird ja immer so kommen, daß, wie Herr Mücke das auch ausgeführt hat, die Vertriebenen aller Parteien bei bestimmten Fragen sich verständigen und versuchen werden, ihre Auffassung gemeinsam zum Durchbruch zu bringen. Deswegen ist es auch durchaus richtig, wenn wir danach streben, daß möglichst in allen Fraktionen des zukünftigen Bundestags Vertreter der Vertriebenen zu finden sind und daß diese Vertreter der Vertriebenen nicht nur innerhalb der Fraktionen, sondern auch darüber hinaus zu Wort kommen. Es handelt sich jetzt aber darum, zu prüfen, wie denn diese Frage in günstigem Sinne geregelt werden kann. Es genügt ja nicht, daß die Parteien alle ihre Bereitschah erklären, die Vertriebenen auf ihre Listen zu setzen. Denn wir haben in § 17 die Bestimmung, daß die Aufstellung der Kandidaten für Wahlkreise und Landesergänzungsvorschläge in geheimer Abstimmung in einer Versammlung der betreffenden politischen Partei zu erfolgen hat. Nun brauche ich Ihnen kein Geheimnis zu verraten, wenn ich Ihnen sage, daß die wirtschaftliche Lage die Vertriebenen und Flüchtlinge vielfach daran gehindert hat, sich politisch zu organisieren, wie auch viele dieser Vertriebenen sich dadurch gehindert sehen, sich schon politisch zu entscheiden. Sie werden also ihre Stimme bei diesen Urabstimmungen abzugeben nicht in der Lage sein. -

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Deswegen wird

es für die politischen Parteien bei allem guten Willen sehr schwer sein, schon in diesen Urabstimmungen die entsprechenden Flüchtlingsund Vertriebenenvertreter als Wahlbewerber durchzubekommen. Gerade weil ich diese Schwierigkeiten klar und eindeutig vor mir sehe es mag in Parteien, wo es mehr nach dem Prinzip der Disziplin und nach dem Prinzip des Befehlens von oben geht, etwas leichter sein als bei anderen Parteien, die mehr demokratisch vorgehen -, sehe ich in dem Antrag, der von Flüchtlingskreisen an uns herangetragen worden ist, eine Gelegenheit, psychologisch den Vertriebenen sehr starke Möglichkeiten zu geben, um ihre Hemmungen gegen politische Mitarbeit zu überwinden. Da es darauf sehr entscheidend ankommt, daß man nämlich den Menschen, die sich stets zurückgestoßen fühlen, die sich sogar als Parias betrachten müssen, in jeder Weise hilft, sich einzugliedern, gerade deswegen halte ich diesen Antrag für sehr wesentlich und wertvoll. Ich stimme ihm deshalb namens meiner Fraktion zu. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Diederichs. Dr. Diederichs (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe in meinem Bericht ganz bewußt gesagt, daß ich es nicht für notwendig hielte, hier in eine Generaldebatte einzutreten und über Wahlverfahren und ähnliche Dinge weitgehende Ausführungen zu machen. Trotzdem hat Herr Schröter es für richtig gehalten, gleich zu Beginn, ohne erst abzuwarten, bis wir an die einzelnen Kapitel kommen, in genereller Form zu einer ganzen Reihe von Problemen Stellung zu nehmen und dabei gleichzeitig erneut zu unterstreichen, was eigentlich auch erst in einem Antrag zu dem § 8 an der Reihe gewesen wäre, daß die CDU wiederum zu ihrer Forderung des reinen Mehrheitswahlsystems zurückgekehrt sei und daß sie das mit einem Antrag kombiniere, die Abgeordnetenziffer auf 300 herabzusetzen. Herr Dr. Seebohm und sein Kollege haben diesem Antrag zugestimmt, obwohl man, wie ich weiß, noch vor wenigen Tagen in diesem Hause für ein Verhältniswahlrecht war. (Renner: Und im Ausschuß! Dr. Seebohm: Herr Heile hat sich immer für das Mehrheitswahlrecht eingesetzt.) Herr Seebohm, Sie haben mir mehrfach erklärt, daß Sie das Verhältniswahlrecht für richtig halten. (Heile: Ich habe seit 1919 für das Mehrheitswahlrecht gekämpft und ich bin nie von der Linie abgewichen. Renner: Das war das alte Dreiklassenwahlrecht in Preußen61), für das Sie gekämph haben. Dr. Grève: Da kann -

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sehen, wie wandlungsfähig Sie sind.) Wenn Herr Dr. Seebohm im Augenblick sagt, er bedaure, daß der Antrag, die gesonderten Flüchtlingswahlkreise zu schaffen, erst gestern in seine Hand ge-

man

kommen sei und ihm auf diese Weise die Möglichkeit, solche Fragen zu prüfen, nicht eher gegeben gewesen sei, so möchte ich demgegenüber betonen, daß wir den weitgehenden Verhältnisausgleich im Wahlrecht vom ersten Tage der

) 662

Zum Dreiklassenwahlrecht siehe Dok. Nr. 7, Anm. 113.

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an ausdrücklich damit begründet haben, daß wir den Flüchtlingen und Vertriebenen auf diese Weise eine ordentliche Möglichkeit geben wollten, in dem Parlament vertreten zu sein. (Dr. Seebohm: Das habe ich aber nie bestritten.) Sie haben es nicht bestritten. Ich wollte Ihnen damit ja nur zu verstehen geben, daß wir nicht erst auf einen Antrag aus Flüchtlingskreisen zu warten brauchten, sondern daß wir vom ersten Tage an unsere Bemühungen um das

Verhandlungen

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Wahlrecht unter diesem Aspekt betrieben haben. (Dr. Seebohm: Das war ja unser aller Pflicht.) Jawohl. Man ist aber grundsätzlich auf diese Anregungen nicht eingegangen, obwohl es ganz klar ist, daß eine wirklich anteilmäßige Beteiligung von Minderheiten bei einem reinen Mehrheitswahlsystem praktisch gar nicht möglich ist. Es kommt darauf hinaus, daß bei dem reinen Mehrheitswahlsystem in den sogenannten vergrößerten Flüchtlingswahlkreisen das Hauptprinzip der Freunde der Mehrheitswahl, daß es sich nämlich um Persönlichkeiten handeln sollte, die in einem möglichst kleinen Wahlkreis auch bekannt sind, glatt durchbrochen wird. Es wird hier nicht nach der Person oder nach der Persönlichkeit gehagt, sondern hier wird gefragt: Hast du den Stempel, daß du Flüchtling bist, dann werden wir dich wählen, und du hast auf diese Weise deine Vertretung. Es geht darüber noch hinaus. Es wird auf diese Weise erreicht werden müssen, daß möglicherweise sogar das Wahlgeheimnis angetastet wird. (Dr. Seebohm: Na, na!) Jawohl. Das ist furchtbar einfach. Es muß nämlich der Flüchtling in dem Fall, wenn Sie es technisch durchführen, sagen: Ich möchte den Wahlschein haben, mit dem ich für den größeren Flüchtlingswahlkreis wähle. Und der andere, wenn er es nicht will, läßt sich den Wahlschein geben, mit dem er lokal wählt. Also die Flüchtlinge, die nun die Absicht haben, auch einmal einen Einheimischen zu wählen, weil sie wissen, daß er für ihre Wünsche ein Ohr hat, haben hier die Möglichkeit nur, wenn sie sich deklarieren, ob sie diese oder jene Wahl vornehmen wollen. Wenn nun Herr Seebohm weiter erklärt hat, er halte es nicht für wahrscheinlich, daß bei den geheimen Abstimmungen über die Aufstellung der Listen die Flüchtlinge auf den Reservelisten wirklich entsprechend zur Vertretung kommen, so ist dieses sein Mißtrauen gegenüber seinen Wählern und den Mitgliedern seiner Partei eine gute Bereicherung für die Einschätzung(Dr. Seebohm: Sie können einem ja auch das Wort im Munde rumdre-

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hen!)

Herr Seebohm, ich garantiere Ihnen, wenn uns die Flüchtlinge entsprechende Männer, von denen sie sich ihre Vertretung versprechen, anbieten, dann werden wir ihnen auf unseren Reservelisten die Plätze einräumen, die sie brauchen, um ihre Interessen wirklich vertreten zu können. (Dr. Seebohm: Sie müssen nach § 17 gewählt werden. Sie können ihnen nicht Plätze einräumen.) Jawohl, die wählen wir. Da ist gar kein Bedenken, daß wir die wählen. (Dr. Binder: Warum auf der Reserveliste?)

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Aus dem einfachen Grunde, weil bei einer Wahl in einer Gegend, in der die einzelnen nicht bekannt sind, die Flüchtlinge nach ihren eigenen Prinzipien und weil wir uns auf die Einzelkreise eingestellt haben, um Ihrer Auffassung entgegenzukommen die Stimmenzahl einer einfachen Mehrheit nicht werden aufbringen können. (Dr. Katz: In Schleswig-Holstein werden Flüchtlinge auch in Wahlkreisen

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aufgestellt.)

Selbstverständlich können sie auch in Wahlkreisen aufgestellt und gewählt werden. (Gayk: Sie werden bei uns auch gewählt.) Aber in den Landesteilen, in denen sie eine verhältnismäßige Minderheit bilden, haben sie auf diesem Wege jedenfalls keine Möglichkeit, zu einem direkten Mandat zu kommen. Aber ihre Stimmen werden in der Verhältniswahlberechnung ganz entsprechend ausgeschöph werden. Die Verteilung der Flüchtlinge ist in Deutschland noch so, daß Holstein, wo Herr Schröter herkommt, bekanntlich am stärksten mit Flüchtlingen gesegnet ist, mithin in Holstein vielleicht bei der Einrichtung von Flüchtlingswahlkreisen noch Wahlkreise einer erträglichen Größe zustande kommen könnten. Aber gehen Sie in die anderen Länder, wo die Streuung größer ist! Da würden solche Wahlkreise möglicherweise ein halbes Land überschneiden. Eine wirkliche Arbeit dieser Kandidaten ihren Wählern gegenüber, die auch immer gerade von den Freunden des Mehrheitswahlrechts unterstrichen worden ist, wäre hier praktisch nicht möglich. Was mir aber am bedenklichsten erscheint, ist, daß auf diese Weise, wenn die Kandidaten der Flüchtlinge gesondert kandidieren, Flüchtlinge gegen Flüchtlinge in dem Wahlkampf auhreten müßten. Ich glaube, daß das gerade wiederum der Vertretung der Fragen und der Interessen, denen sie nahestehen, am aller-

abträglichsten wäre. (Gayk: Dann werden sie auch wieder parteimäßig zersplittert.) Man hat darauf hingewiesen, die Flüchtlinge würden, wenn sie sich

in ihren Heimatwahlkreisen bewerben könnten, doch dort auch ihre eigenen Vertreter wählen. Nun, wir alle wissen, daß die Flüchtlinge infolge der Vertreibung aus ihrer Heimat über alle Gegenden hin verstreut sind: hier wohnen die Pommern, dort die Schlesier, dort die Ostpreußen, und wie sie alle heißen mögen. Sie wohnen praktisch durcheinander und keineswegs abgesondert von der einheimischen Bevölkerung. Wenn man das Prinzip unterstrich, daß sie so wählen sollen, wie sie es eigentlich zu Hause getan hätten, so wäre auch das in dieser Form nicht durchführbar. Aber eine große Gefahr besteht. Ich warne davor: Drängen Sie die Flüchtlinge nicht in eine Ghetto-Situation! Wir wollen die Flüchtlinge eingliedern; wir bieten ihnen jede Möglichkeit, ohne Rücksicht darauf, wohin sie an sich tendieren, innerhalb der politischen Parteien für ihr Recht zu kämpfen. Und wenn sie in den Parteien mit den errungenen Mandaten in das Parlament einziehen, dann verfügen sie nicht nur über ihre eigenen Stimmen, sondern sie haben die Resonanz der ganzen Fraktion hinter sich, mit der sie zusammen beraten, in die sie eingegliedert sind, ohne sich draußen gegenseitig bekämpfen und sich die Mandate mit relativer Mehrheit abzwingen 664

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zu müssen. Gerade dies ist ein ungemein eindruckvolles Argument; denn nur mit dem Gewicht der Parteien, in denen sie gewählt sind, können sie ihre Auffassungen vertreten, ihre Wünsche und Forderungen durchsetzen. Dieses Gewicht ist um so größer und wirkungsvoller, je eher sie sich dazu verstehen, sich in die politische Arbeit einzugliedern, um auf dem Wege über die Parteien gewählt zu werden. Seit jeher ist das der Grund gewesen, weshalb wir Sozialdemokraten uns für ein breites Verhältniswahlrecht mit einem gerechten Ausgleich eingesetzt haben. Dieses Problem ist für uns nicht erst gestern oder vorgestern, als wir unsere Vorschläge machten, zutage getreten, sondern wir haben es von Anfang an gesehen und beachtet. Wir sind der Auffassung, daß wir mit dem Wahlrecht, das wir dem Hause vorlegen, alle diese Möglichkeiten ins Auge gefaßt haben, ohne technische Schwierigkeit, ja in einer Form, die durchaus die Möglichkeit bietet, den Flüchtlingen eine Vertretung zu sichern, wie sie sie brauchen. Zum Schluß meiner Ausführungen kurz noch folgendes. Man hat hier schon betont: Das Problem der Vertriebenen kann nicht von den Vertriebenen allein, jedenfalls schlechter als im Zusammenhang mit den Einheimischen gelöst werden. Erst bei enger Verbindung der Flüchtlinge mit den Einheimischen und bei Unterstützung durch sie wird die Flüchtlingshage überhaupt lösbar. Gebt also den Flüchtlingen dadurch Gewicht, daß ihr sie aufs engste verschmolzen mit den Einheimischen den Parteien anschließt! Wenn wir verwirklichen wollen, was Herr Löbe vorgeschlagen hat, wenn also die Flüchtlinge wirklich etwas erreichen wollen, dann nur in gemeinsamer Arbeit mit den Einheimischen. Dazu bietet unser Wahlrecht alle Möglichkeiten.

(Beifall bei der SPD.)

Präs. Dr. Adenauer: Jetzt hat Herr Schröter das Wort. Ich bitte ihn aber, in seine Ausführungen nicht die schleswig-holsteinische Bodenreform hereinzuziehen; sonst werden wir heute abend überhaupt nicht mehr fertig.

(Heiterkeit.)

Schröter (CDU): Meine Damen und Herren! Ich habe durchaus die Absicht, dem Wunsche des Herrn Präsidenten zu folgen und hier nicht die heimischen Querelen mit Herrn Gayk auszutragen. Herr Gayk, wir werden Gelegenheit haben, darüber im Landtag von Schleswig-Holstein zu sprechen. Zunächst ein kurzes Wort zu den Ausführungen des Herrn Dr. Diederichs. Er ist der Meinung gewesen, wir seien von unserer bisherigen Linie abgewichen dadurch, daß wir früher für das Persönlichkeitswahlrecht eingetreten seien, nun aber von diesem Prinzip abwichen und nur noch nach dem Stempel hagten. Seien Sie überzeugt, daß wir selbstverständlich nur Persönlichkeiten in Flüchtlingswahlkreisen präsentieren werden. Dies liegt ja auch im Interesse unserer Partei. Ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Löbe! Herr Kollege Löbe, ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß die Flüchtlinge materieller Hilfe bedürfen. Aber ich beziehe mich auf ein Wort, das schon Herr Dr. Seebohm gesagt hat: Die materielle Hilfe für die Flüchtlinge steht heute nicht zur Debatte. Heute gilt es vielmehr, die Voraussetzungen für eine solche materielle Hilfe im kommenden deutschen Bundestag zu schaffen. Seien wir uns darüber klar: Alle Parteien 665

Nr. 11

Elfte

Sitzung des Plenums

10. Mai 1949

bedürfen der motorischen Kräfte aus den Kreisen der Heimatvertriebenen. Wir wollen durch unseren Antrag ja gerade erreichen, daß die Heimatvertriebenen in genügender Zahl durch entsprechende Persönlichkeiten im Bundesparlament vertreten sind. Ich spreche nun einen Satz aus, dem wohl alle Parteien zustimmen werden: Wir werden niemals dazu kommen, mit unseren deutschen Mitteln die Forderungen und Wünsche der Heimatvertriebenen hundertprozentig zu erfüllen. Ist es daher nicht sehr gut, wenn diese harte Tatsache den Heimatvertriebenen von Heimatvertriebenen gesagt wird? Von uns, den Einheimischen, werden sie es nicht glauben. Wenn auf Grund der Zusammenarbeit innerhalb der Fraktionen im deutschen Bundestag die Heimatvertriebenen von ihren eigenen Genossen und Freunden die Gründe hören, warum es unmöglich ist, diese oder jene ihrer Forderungen durchzusetzen, dann werden sie davon überzeugt sein. Ich glaube, Herr Kollege Löhe, Ihr Hinweis, die Flüchtlinge in Bremen oder Hamburg würden bei unserem Vorschlag keine Vertretung im Bundestag erhalten, ist ein Argument, das ich nicht für durchschlagend halte. Wenn wir entsprechend unserem Antrag eine etwas massivere Vertretung der Heimatvertriebenen im Bundestag haben, dann werden die Interessen der Heimatvertriebenen aus Bremen und Hamburg genau so vertreten werden wie die der übrigen Heimatvertriebenen, gleichgültig ob sie aus Hamburg, Bremen oder sonstwo herstammen.

Sie

glauben,

im Fall der Annahme

unseres

Antrags würden politische Gegensät-

getragen. Sie haben in diesem Zusammenhang auf die Landsmannschaften hingewiesen und darauf, daß sie aufgespalten würden. Nun, es ist doch wohl heute in diesen Landsmannschaften schon so, daß einige, wenn sie von dem Recht des Staatsbürgers Gebrauch machen, sich zur SPD, andere zur FDP, wieder andere zur CDU bekennen. Das sind feststehende Parteien. Diese Gegensätze werden aber doch nicht erst durch uns hineingetragen, sondern sie bestehen bereits, sie sind da. Warum also unseren Antrag ablehnen? Warum fordern die Heimatvertriebenen zu Zehntausenden, ja zu Hunderttausenden eine eigene Vertretung? Warum stellen sie diese Forderung auf? Warum sind sie hierher nach Bonn gekommen und haben uns um unsere Unterstützung ihrer Forderungen gebeten? Warum sind heute wieder Telegramme des Protestes eingetroffen62)? Die Antwort ist klar: weil sie sich durch die Parteien nicht genügend vertreten fühlen! Weil dem so ist, deswegen wünschen sie eigene Wahlkreise. Und nun, meine Damen und Herren, noch ein Wort an Herrn Kollegen Dr. Mücke! Herr Mücke, Sie als Flüchtlingsvertreter lehnen es ab für unseren Antrag zu stimmen. Ich kann nur die Tatsache feststellen: Sie stellen sich damit in Gegensatz zu Persönlichkeiten, die heute führend an der Spitze der Verbände der Heimatvertriebenen stehen. Wenn Sie, Herr Mücke, draußen sagen: das sind wahrscheinlich keine Flüchtlinge, dann sage ich Ihnen(Zuruf von der SPD63): Das sind faule Witze!) ze

unter die Heimatvertriebenen

62) Siehe Anm. 20. 63) In der Vorlage korrigiert aus „Abg. 666

Dr. Mücke".

Elfte Für faule Witze sind die

Sitzung des Plenums

Flüchtlinge

zu

10. Mai 1949

schade!

Nr. 11

Wenn Herr Mücke

ausgeführt hat, eigene Flüchtlingswahlkreise liegen nicht im Interesse der Heimatvertriebenen, so sage ich Ihnen, Herr Kollege Mücke: Die Heimatvertriebe-

-

denken darüber anders als Sie. Zum Schluß noch ein kurzes Wort, Herr Mücke! Sie waren neulich mit dabei, als ich hier die Unterhaltung mit den Flüchtlingsvertretern hatte. Ich hatte den Eindruck, daß Sie der Forderung der Vertreter des Zentralverbandes der Ostvertriebenen durchaus sympathisch gegenüberstanden. Nach den Worten, die Sie heute gesprochen haben, muß ich annehmen, daß mein Eindruck falsch war. nen

(Beifall bei der CDU.) Präs. Dr. Adenauer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor; wir fahren fort. (Zurufe: Wir müssen noch über den Antrag abstimmen!) Es ist schon zu lange her, daß der Antrag gestellt war.

-

(Heiterkeit.)

Wir stimmen also ab über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache Nr. 90 764), einen § 8 a hinter § 8 einzufügen. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist mit 34 gegen 29 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zu § 9. Dazu liegt der Antrag Heile, Dr. Seebohm auf Drucksache Nr. 908R5) vor. Ich nehme an, daß Sie die Drucksache zur Hand haben. Das Wort wird nicht gewünscht, wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist abgelehnt; § 9 darf ich für angenommen erklären. Zu § 10 ist kein Antrag gestellt; ich darf ihn für angenommen erklären. Zu § 11 liegt der Antrag Dr. Diederichs vor, Drucksache Nr. 9 1 366). Herr Dr. Diederichs! Dr. Diederichs (SPD): Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine kurze Begründung. Mein Antrag bezieht sich auf § 11 Absatz 3, der folgende Fassung -

-

-

-

-

erhalten soll:

Jeder Bewerber

hat seine

Zustimmung schrihlich und gleichzeitig

eine amtlich daß die er beglaubigte Bescheinigung vorzulegen, Wählbarkeitsvoraussetzungen erfüllt. Diese Unterlagen sind bis zu dem in Absatz 1 vorgeschriebenen Termin einzureichen. Wir wollen mit diesem Antrag erreichen, daß die Voraussetzungen, die § 8 über die vollzogene Entnazifizierung verankert, auch tatsächlich erfüllt sind. Da die Entnazifizierung in den Ländern verschieden gehandhabt wird, so daß es in einigen Ländern ganze Kategorien gibt, die dem Entnazifizierungsverfahren nicht unterworfen sind, soll jeder Bewerber eine amtlich beglaubigte Bescheini-

64) Drucks. 65) Drucks.

Nr. 907 siehe Anm. 56. Nr. 908: Antrag der Deutschen Partei vom 8. Mai 1949 zum Wahlgesetz. Er lautete: „Im § 9 des Wahlgesetzes ist folgender Satz hinzuzufügen: .Erhält keiner der Bewerber die absolute Mehrheit, so findet ein zweiter Wahlgang statt, in dem die

relative Mehrheit entscheidet.'" Nr. 913: Antrag Dr. Diederichs verlesen.

66) Drucks.

vom

10. Mai 1949

zum

Wahlgesetz.

Er wurde

667

Nr. 11

gung Sinn

Elfte

Sitzung des Plenums

vorlegen, unseres

daß

er

Antrags.

die

10. Mai 1949

Wählbarkeitsvoraussetzungen

erfüllt. Dies ist der

zur Abstimmung über diesen Antrag. Ich bitte die dafür die Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; der sind, diejenigen, ist angenommen. Antrag Wir kommen zur Abstimmung über § 11 mit der soeben beschlossenen Änderung gemäß Antrag Drucksache Nr. 913. Ich bitte diejenigen, die § 11 in dieser Fassung annehmen wollen, eine Hand zu erheben. Das ist die gleiche Mehrheit; angenommen.

Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen

-

-

Herr Hermans! Hermans (CDU): Es wurde übersehen, daß gestern für die Beratung im Plenum zu § 11 Absatz 1 ein Antrag Dr. Löwenthal vorgelegt wurde. Präs. Dr. Adenauer: Der Antrag ist hier nicht aufgeführt. Hermans (CDU): Er steht auf Drucksache Nr. 90467). Präs. Dr. Adenauer: Das ist also ein Antrag Dr. Löwenthal zu § 11. Wird er

aufrechterhalten? (Dr. Löwenthal: Jawohl!) Dann bitte ich, den Antrag zur Kenntnis zu bringen. Bitte, Herr Dr. Löwenthal! Dr. Löwenthal (bei keiner Fraktion): Meine Damen und Herren! Wenn die politischen Parteien bei der Aufstellung ihrer Kandidatenlisten die Flüchtlinge bisher ausreichend berücksichtigt hätten, dann wäre die Forderung gar nicht aufgetaucht, den Flüchtlingen eine besondere Vertretung sicherzustellen. Leider ist dies nicht der Fall gewesen. Hier im Parlamentarischen Rat sind drei Prozent der Mitglieder Flüchtlingsvertreter; in den Länderparlamenten sind es zum Teil noch weniger. Wenn ich meinen Antrag aufrechterhalten habe, obwohl der Antrag Schröter vorhin abgelehnt wurde, der der Sache nach dasselbe bezweckt, so liegt der Grund darin, daß bei der kleinen Mehrheit, mit der der Antrag abgelehnt wurde, vielleicht die Erwägung eine Rolle gespielt hat, daß die in der Debatte erwähnten technischen Schwierigkeiten bestehen könnten, wenn man besondere Flüchtlingswahlkreise bildet. Das ist bei der Anregung, die ich mir Ihnen zu unterbreiten erlaube, nicht der Fall. Man kann die Sache auch so konstruieren, daß man die Flüchtlingsverbände den Parteien gleichstellt. Sie sind keine Partei, sie wollen auch keine Partei sein, aber man sollte sie den Parteien ausnahmsweise rechtlich gleichstellen. Das heißt: sie können wie die Parteien Kandidaten aufstellen, sowohl in den Wahlkreisen wie in den Wahlverbänden. Damit sind dann die technischen Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt. -

) Drucks. Nr. 904: Antrag Dr. Löwenthal vom 9. Mai 1949. Er lautete: „1) dem § 11 folgenden 5. Absatz hinzuzufügen: Als Partei gelten auch die Verbände der Flüchtlinge und Vertriebenen; 2) Dem § 15 folgenden 4. Absatz hinzuzufügen:

Die Verbände der Flüchtlinge und Vertriebenen stehen in bezug auf die Einreichung von Landesergänzungsvorschlägen den politischen Parteien gleich; 3) dem § 18 folgenden 2. Absatz hinzuzufügen: § 15 Abs. 4 findet entsprechende

Anwendung."

668

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Nr. 11

es wohl kaum eintreten, daß Flüchtlinge, die gewählt werden, eine gesonderte Fraktion bilden werden. Denn Flüchtling sein ist nur eine Seite des Daseins, wenn auch eine sehr einschneidende. Im übrigen sind die Flüchtlinge nach den verschiedensten Richtungen hin untereinander verschieden; sie werden auch den verschiedensten Parteien angehören oder nahestehen. Es ist wohl anzunehmen, daß Flüchtlingsvertreter, die gewählt sind, der Partei, der sie angehören oder nahestehen, sich anschließen, mindestens als Hospitanten. Das hätte den Vorzug, daß eine Querverbindung zwischen den Parteien entstehen würde, die zur Auflösung des allzu starken Parteiensystems beitragen könnte. Davon abgesehen hätte es die psychologische Folge, daß die Flüchtlinge das Gefühl hätten, ihre Interessen von Leuten ihres Vertrauens im Parlament vertreten zu sehen. Andererseits hätte es den Vorteil, daß die Flüchtlinge, die nicht nur als Flüchtlinge, sondern als Abgeordnete mitzuarbeiten hätten, mit den Problemen der Gesetzgebung vertraut und sehen würden, welche Schwierigkeiten der Befriedigung der Flüchtlingswünsche entgegenstehen. Die Vertreter der Flüchtlinge würden und müßten aus dieser Erkenntnis die notwendigen Folgerungen ziehen, indem sie ihren Wählern diese Schwierigkeiten zum Bewußtsein bringen. Sie könnten also nach der Richtung hin nur beruhigend wirken. Man hat vorhin davon gesprochen, durch derartige Flüchtlingsvertretungen oder, wie auch gesagt wurde, durch ein Flüchtlings-Ghetto würde nur der Zwiespalt zwischen Alt- und Neubürgern in das Volk hineingetragen. Nun, der Zwiespalt würde nicht hineingetragen, der Zwiespalt existiert. Tatsache ist, daß die Flüchtlinge im Augenblick infolge der bestehenden Verhältnisse sich leider von der übrigen Bevölkerung etwas abgesondert befinden. Wenn diese Tatsache auch im Parlament zum Ausdruck kommt, dann ist das eine ganz gesunde Erscheinung. Es hat keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken, man muß die Dinge sehen, wie sie wirklich sind. In Wirklichkeit aber würde eine derartige Flüchtlingsvertretung nach meiner Überzeugung dazu beitragen, daß der Unterschied zwischen Flüchtlingen und Altbürgern gemildert und schließlich, soweit das überhaupt mit deutschen Mitteln möglich ist ganz ist es nicht für den dieses nur Da ersten Bundeswird. Wahlgesetz möglich -, aufgehoben eine kann man dadurch so daß hoffen, wird, derartige Angleigerade tag gelten chung zwischen den Altbürgern und Neubürgern herbeigehihrt wird, daß für das Wahlgesetz, das für die Wahl des zweiten Bundestags geschaffen werden muß, diese Frage gar nicht mehr auhaucht und damit diese einmalige Erscheinung beseitigt ist. Ich betone noch einmal: Die Flüchtlinge sind keine Partei, sollen keine Partei sein und wollen, wie man hört, auch keine Partei sein. Sie würden nur den Parteien gleichgestellt, und zwar als Ausnahmeerscheinung. Wir wollen nicht das, was es in der Ostzone gibt, nämlich sogenannte überparteiliche Organisationen, die den Parteien gleichgestellt sind, sondern es handelt sich hier um eine einmalige Angelegenheit aus ganz besonderen Gründen. Wenn man berücksichtigt, daß die technischen Bedenken, die vorhin geäußert wurden, bei diesem Antrag in Wegfall kommen, dann glaube ich, daß man zu einer Flüchtlingsvertretung kommen könnte, die nicht zu einer gesonderten Fraktion führt,

Praktisch wird

-

669

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10. Mai 1949

sondern die dazu beiträgt, eine psychologische Erleichterung des Verhältnisses zwischen Altbürgern und Neubürgern zu schaffen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Dr. Becker. Dr. Becker (FDP): Ich bitte, den Antrag aus folgenden zwei Gründen abzulehnen. Der Antragsteller hat übersehen, daß im gleichen Paragraphen steht, daß mit je 100 Unterschriften versehen jeder Mensch, der in Deutschland wahlberechtigt ist, sich in Deutschland als Kandidat aufstellen lassen kann. Er hat weiter übersehen, daß es ungeahnte Konsequenzen haben kann, wenn man einen Verband, der sich nicht auf politische, sondern auf wirtschahliche und kulturelle Momente gründet, einer politischen Partei gleichstellen will. Was dem einen recht ist, würde dann dem anderen billig sein müssen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Löwenthal sind, eine Hand zu erheben.

(Zuruf: „Einstimmig"!

-

Heiterkeit.)

1 Stimme. Der Antrag ist abgelehnt. Der nächste Abänderungsantrag ist gestellt zu § 15. (Dr. Diederichs: Zur Geschähsordnung!) Zur Geschähsordnung Herr Dr. Diederichs! Dr. Diederichs (SPD): Hier liegt ein Schreibfehler vor. Es muß § 14 heißen; denn es ist hier von § 15 Absatz 4 die Rede, § 15 hat aber nur einen Absatz. Präs. Dr. Adenauer: Sie haben anscheinend eine falsche Drucksache. Auf der Drucksache Nr. 9 0 968) heißt es: -

-

§15 erhält die folgende Fassung: Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt ein Abgeordneter oder verliert er seinen Sitz, so findet, wenn der Ausgeschiedene im Wahlkreise gewählt war, eine Ersatzwahl statt; wenn er auf Landesergänzungsvorschlag gewählt war, rückt der nachfolgende Bewerber des gleichen Wahlvorschlages nach. Dr. Diederichs (SPD): Wir sind erst bei § 14. Dazu liegt noch ein Antrag auf dem gleichen Vorschlag des Herrn Dr. Löwenthal vor. Wir können nicht zu §15 übergehen, ehe das erledigt ist.

(Zuruf: Der Antrag ist zurückgezogen.) Dann ist es gut. Präs. Dr. Adenauer: Die Sache ist erledigt. Wir können jetzt bei § 15, Antrag Heile, Dr. Seebohm, bleiben69). Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nur einige grundsätzliche Worte der Begründung. In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, daß bei Verlust eines Sitzes, der in einem Wahlkreis erworben ist sei es, daß ein Bewerber die Wahl nicht annimmt, sei es, daß er stirbt oder aus anderen Gründen seinen Sitz verliert -, der nachfolgende Bewerber des Landesergänzungsvorschlags seiner Partei nachrückt. Das bedeutet einen logischen Bruch im Gesetz; denn wir unterscheiden nach diesem Gesetzentwurf grundsätzlich die



-

68) Drucks. Nr. 69) Ebenda. 670

909:

Antrag der DP

vom

9. Mai 1949

zum

Wahlgesetz.

Er wurde verlesen.

Elfte

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in den Wahlkreisen nach Mehrheitswahlrecht

gewählten Abgeordneten und die auf der Landesliste nach dem Verhältnissystem hinzugewählten Abgeordneten. Es ist ja der Sinn dieses gemischten Systems, daß, wenn Abgeordnete in einem Wahlkreis gewählt werden, diese Abgeordneten für den Wahlkreis eine besondere Verpflichtung zu übernehmen haben. Entweder stammt der Abgeordnete aus diesem Wahlkreis oder er hat sich ihm durch eingehende Arbeit besonders verbunden. Wenn nun ein solcher Abgeordneter ausfällt und der nächstfolgende auf der Landesliste nachrückt, wird das zweifellos kein Abgeordneter sein, der mit diesem Wahlkreis besonders verbunden ist, das Vertrauen der dort lebenden Menschen in besonderem Maße genießt und ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kennt. Es wird einige Zeit dauern und gewisse Schwierigkeiten bereiten, bis er dieses Vertrauen der Wähler erworben hat. Es ist deshalb alter Brauch, daß, wenn in einem Wahlkreis ein Abgeordneter ausscheidet, dann auch die Nachwahl in diesem Wahlkreis zu erfolgen hat. Das liegt durchaus im Sinne des Gesetzes und seiner ganzen Struktur. Es hat auch für das ganze politische Leben etwas durchaus Reizvolles und durchaus günstige Momente. Wir haben in Niedersachsen seit Bestehen des Landtags in einzelnen Kreisen schon eine ganze Reihe von Nachwahlen gehabt zum Teil leider durch den Tod einiger Abgeordneter —, und wir haben feststellen können, daß diese Nachwahlen durchaus zur Belebung und Behuchtung des politischen Lebens beigetragen haben. Aus diesem Grunde bitte ich unseren Antrag anzunehmen. Dr. Diederichs (SPD): Meine Damen und Herren! Nur einige Worte zu diesem Antrag. Die Auffassung von Herrn Dr. Seebohm wäre praktisch richtig, wenn es sich um ein reines Mehrheitswahlrecht handeln würde. (Dr. Seebohm: Wir haben in Niedersachsen auch ein gemischtes Wahl-

recht.)

Da ist es auch schief; ich will Ihnen das gleich auseinandersetzen. Die Sache liegt so, daß bei der Reststimmenverwertung gerade solche Gruppen, die ihre Mandate in erster Linie über die Reststimmenverwertung bekommen, automatisch beim Ausfall ihrer Leute mit ihren Mandaten nachrücken würden, während diejenigen, die die Mandate unmittelbar erhalten haben, in jedem Falle auf eine Neuwahl angewiesen wären. (Zuruf des Abgeordneten Dr. Seebohm.) Ich habe gar keine Sorge. Außerdem sprechen wir hier nicht über die niedersächsischen Verhältnisse. Im übrigen sind wir nicht der Auffassung, daß die engen lokalen Verhältnisse, von denen Sie sprachen und die anscheinend nur dieser eine Abgeordnete, der dort kandidiert und gearbeitet hat, kennen kann, die Voraussetzung sind, um ein Mandat im kommenden Bundesparlament ausüben zu können. Wir sind nicht der Auffassung, daß es Aufgabe eines Abgeordneten im Bundesparlament ist, lokale Interessen zu vertreten, sondern wir sind der Auffassung, daß ein solches Parlament durchaus wenn auch das zentrale Aufgaben zu lösen hat, in föderaWort hier nicht gerne gehört wird ler Form, um Ihnen entgegenzukommen, und daß in diesem Fall das Nachrükken auf dem Ergänzungsvorschlag durchaus das Gesunde ist. Wir haben die Kommunalwahlen, die Landtagswahlen und haben die Wahlen für das Bundes-

-

-

-

671

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Parlament. An Wahlen gebricht es richtig, dem zuzustimmen, was im

10. Mai 1949

also wirklich nicht. Ich glaube, es ist Gesetz gesagt ist, und diesen Antrag abzu-

uns

lehnen.

Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Schröter. Schröter (CDU): Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde werden für diesen Antrag stimmen, und zwar nicht aus den Gründen, die bereits von Herrn Dr. Seebohm vorgetragen worden sind, sondern auch noch aus anderen Gründen. Ich glaube, wir in Deutschland haben noch nicht gelernt, die Bedeutung der Nachwahlen richtig einzuschätzen. Blicken Sie einmal nach England hinüber, ohne daß wir damit zu hemmungslosen Nachahmern ausländischer Sitten werden wollten. In England sind derartige Nachwahlen und ich glaube, das könnten wir getrost zur Befruchtung des demokratischen Lebens in Deutschland übernehmen sehr beliebt und werden mit großem Interesse verfolgt. Ich glaube, die letzten dortigen Nachwahlen haben gezeigt, daß sie mit großem Interesse nicht nur in England, sondern auch in Deutschland verfolgt werden. Mir ist es so, als wenn diese Frage schon wiederholt eine Rolle gespielt hätte. Wir brauchen ein Stimmungsbarometer für die Wahlstimmung der Wählerschah. Es kann dem nicht entgegengehalten werden, daß wir dafür die Kommunalwahlen und die Landtagswahlen haben. Diese Kommunal- und Landtagswahlen werden unter ganz anderen Gesichtspunkten geführt als die Wahlen zum Bundestag. Infolgedessen sollten wir ebenfalls für die Nachwahl eintreten. Sie haben davon gesprochen, Herr Kollege Diederichs, daß ein Abgeordneter nicht Vertreter lokaler Interessen ist. Nein, gewiß nicht. Aber der Abgeordnete ist nun einmal seinem Wahlkreis verbunden und bemüht sich infolgedessen auch, die Interessen seines Wahlkreises und seiner Wähler wahrzunehmen. Man kann daher den Wunsch der Leute begreifen, nicht einen Kandidaten von der Landesliste, sondern einen Kandidaten ihres Vertrauens aus ihrer Mitte zu -

-

bekommen. Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für 28 Stimmen. den Antrag Heile, Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. 34 sind. Stimmen Mit gegen 28 abgelehnt. Diejenigen, die dagegen Wir kommen zu § 16. Hier liegt ein Antrag Heile, Dr. Seebohm vor, diesen Paragraphen zu streichen. Herr Dr. Seebohm! Dr. Seebohm (DP): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge, daß ich Sie noch mit vielen Anträgen belästige. Sie haben die Liste vor sich und wissen, daß es der letzte ist. Aber dieser letzte Antrag ist von -

-

-

entscheidender Bedeutung. Wir haben bei den uns

bisherigen Beratungen, auch

eingehend unterhalten, und

es war

im

Plenum, über diese Frage gemacht worden, durch

der Versuch

eine Sondervorschrih für zwei Parteien einen Ausweg zu finden. Das Problem stand damals unter der Voraussetzung, daß eine Bundeswahlliste geschaffen werden sollte. Aber wir sind darüber hinaus grundsätzlich der Auffassung, daß es eine Beschränkung der demokratischen Freiheit ist, wenn die Möglichkeit zu einer Verbindung von Wahlvorschlägen mehrerer Parteien in einzelnen Ländern 672

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gegeben ist. Die Notwendigkeit dafür mag in einzelnen Ländern verschieden liegen, und deshalb sollten wir die Möglichkeit der Listenverbindung im Gesetz nicht ausschließen. Ich bin der Auffassung, falls wir eine Bundeswahlliste bekommen hätten, daß wir dieses Verbot leichter hätten ertragen können, obwohl es mir immer sehr unschön erschienen ist und ich mich immer dagegen verwahrt habe. Aber jetzt, da uns durch die alliierten Vorschriften, die wir bekommen haben, die Möglichkeit, eine Bundeswahlliste zu schaffen, versagt ist, halte ich die Streichung dieses Verbots für außerordentlich bedeutungsvoll. Ich brauche keine weitere Begründung dafür zu geben und möchte nur sagen, daß die Entscheidung meiner Partei zu diesem Gesetz davon abhängt, ob diese Vorschrih gestrichen wird oder erhalten bleibt. (Dr. Schmid: Wir werden es zu ertragen wissen. Dr. Diederichs: Das sind diejenigen, die die kleinen Parteien erwürgen wollen!) Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Seebohm sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist mit 36 zu 25 Stimmen abgelehnt. (Dr. Seebohm: Ich bitte um das Wort zu einer persönlichen Bemerkung. Es ist der Zwischenruf gemacht worden: „Das sind diejenigen, die die kleinen Parteien erwürgen wollen.") Verzeihen Sie! Wenn Sie eine persönliche Bemerkung machen wollen, haben Sie zum Schluß dazu Gelegenheit. Ich habe die Bemerkung nicht gehört. (Dr. Seebohm: Wenn Sie sie nicht gehört haben, dann danke ich.) Ich habe sie nicht gehört, weil ich sie bei der Unruhe im Hause nicht hören konnte. (Dr. Seebohm [zum Abg. Dr. Diederichs]: Dann sind Sie um einen Ordnicht

-



-

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nungsruf herumgekommen!) Es liegen keine weiteren Abänderungsanträge

vor. Vor der Schlußabstimhat das von Herr Dr. Brentano um Wort noch mung gebeten. Dr. Diederichs (SPD): Es liegt noch ein wichtiger Antrag vor. Wir stellen zu § 23 den Antrag, im ersten Absatz hinter dem Wort „jedes Land" einzufügen: „durch Verordnung seiner Landesregierung", um die Möglichkeit zu schaffen, die Durchführungsbestimmungen auf dem Verordnungswege zu erlassen. Präs. Dr. Adenauer: Nach der Geschähsordnung müssen Anträge schriftlich vorgelegt werden. Ich frage das Haus, ob es von der Durchführung dieser Vorschrih im vorliegenden Fall abweichen will.

-

(Zustimmung.)

Über den Inhalt des Antrags ist sich das Haus ebenfalls klar. Dann bitte ich diejenigen, die für diesen Antrag Dr. Diederichs sind, eine Hand zu erhe-

ben.

(Dr. Seebohm: Durch Rechtsverordnung?) Verzeihen Sie! Jetzt kommt schon der erste Zweifel. Wollen Sie den Antrag noch einmal wiedergeben, Herr Dr. Diederichs! Dr. Diederichs (SPD): Es wird beantragt, in § 23 Absatz 1 in der dritten Zeile hinter dem Wort „jedes Land" die Worte einzufügen: „durch Verordnung seiner

-

-

Landesregierung".

673

Nr. 11

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Präs. Dr. Adenauer: Es wird

nung". -

len.

10. Mai 1949

vorgeschlagen,

zu

sagen: „durch Rechtsverord-

(Dr. Schmid: Das ist doch eine Rechtsverordnung!) Wir müssen es vor der Abstimmung und vor der

Protokollierung

klarstel-

(Zurufe.) Ich lasse

jetzt abstimmen über den Zusatzantrag

Dr.

Diederichs, die

Worte

einzufügen: „durch Verordnung seiner Landesregierung". Dr. Hofmeister (CDU): Wäre es nicht richtiger, zu sagen, daß die Verordnung durch die Landesregierung, durch das zuständige Staatsministerium erlassen

wird? Dann wäre es klar. Dr. Diederichs (SPD): Es heißt doch: „jedes Land durch Verordnung seiner Landesregierung für sein Gebiet". Präs. Dr. Adenauer: Ist es jetzt vollständig klar? Dann bitte ich diejenigen, die für diesen Zusatzantrag sind, eine Hand zu erheben. 39 Stimmen. Das ist die Mehrheit; angenommen. Vor der Schlußabstimmung hat Herr von Brentano noch ums Wort gebeten. -

-

Herr von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Meine Damen und Herren! Ich glaube doch, daß es bei der grundsätzlichen Bedeutung, die der Entscheidung über das Wahlgesetz zum ersten Bundestag zukommt, notwendig ist, vor der Schlußabstimmung noch einmal kurz zusammenzufassen, was uns bewegt, zu diesem Gesetz nein zu sagen. Ich kann im wesentlichen auf die Ausführungen meines Fraktionskollegen Schröter Bezug nehmen. Ich möchte aber doch einige Irrtümer, die in der Diskussion aufgetaucht sind, richtigstellen. Es ist einmal in der Diskussion gesagt worden, ein Nein zu diesem Gesetz bedeute, daß man die kleinen Parteien abwürgen wolle. Auch ein Zwischenruf des verehrten Kollegen Diederichs hat in anderem Zusammenhang diese Auffassung wiedergegeben. Ich stelle fest: das ist nicht richtig. Es kann nicht oh genug gesagt werden, daß sich das von uns als richtig erkannte Mehrheitswahlrecht nicht gegen die kleinen Parteien schlechthin richtet. Es richtet sich und das halten wir allerdings für notwendig gegen die sporadischen Minderheiten, die irgendwo auftauchen und dann zusammen, ohne den inneren Zusammenhang, den eine Partei braucht, vielleicht im Landesbezirk die Wählerzahl aufbringen, um einen oder zwei Kandidaten durchzubringen. (Zuruf von der SPD: Warum stimmt Ihr denn für Listenverbindung?) Herr Kollege, bei einem schlechten Gesetz muß man versuchen, jede Verbesserung, die noch möglich ist, hineinzubringen. (Zuruf des Abgeordneten Dr. Heuss.) Nein, Herr Kollege, dann ist das ein Zeichen, daß Sie das Wahlgesetz, das wir beraten, offenbar nicht richtig verstanden haben. Es richtet sich unserer Auffassung nach nicht gegen die Errichtung und Entstehung kleiner Parteien. Kompakte Minderheiten, die irgendwo mit einer gemeinsamen politischen Überzeugung auftreten, werden auch durch das Mehrheitswahlsystem niemals gehindert, eine Partei und eine starke Partei zu werden. -

-

-

674

-

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(Zuruf von der SPD: Eine Brücke für die Bayernpartei70)!) Ich glaube, wenn wir ein Beispiel aus der nächsten Nachbarschah nehmen, dann brauche ich nur auf England zu verweisen. (Renner: Das wäre anders, wenn die Kirche nicht immer hinter einer Partei stände!) Rennerkönnen Da Sie einmal antworten! Heiterkeit.) (Renner: mir Es ist sehr Ja. sympathisch, wenn hinter einer deutschen politischen Partei vielleicht auch die Kirche steht. Das ist mir sympathischer, als wenn hinter einer politischen Partei, die sich auch eine deutsche nennt, eine auswärHerr

-

Kollege

-

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tige Macht steht.

(Renner: Ja, ja; es ist aber komischerweise immer die Geldsackpartei, hinter der die Kirche steht. Da kriege ich keine Antwort!) Meine Damen und Herren! Ein zweites, was berichtigt werden muß: es ist hier über den Antrag zu § 8 des Wahlgesetzes einmal gesagt worden, daß dieser Antrag nicht der von uns beschlossenen Verfassung entspreche, zum zweiten, daß dadurch das hat auch gerade der verehrte Kollege Löbe vorgetragen die Flüchtlinge und Vertriebenen zu eigenen Gruppen zusammengeschlossen würden, also ein Ziel erreicht würde, das von den politischen Parteien und von den politisch verantwortungsbewußten Flüchtlingen sicher nicht vertreten wird. Nein, meine Damen und Herren, gerade um das zu verhindern, haben wir den Antrag gestellt. Es ist abwegig, sich hier auf staatsrechtliche Bedenken zurückzuziehen. Einmal bestehen die staatsrechtlichen Bedenken nicht, und zum zweiten dürfen wir nicht vergessen, daß wir ein Wahlgesetz beschließen, bevor eine Verfassung in Krah getreten ist, daß es also eine staatsrechtliche Erwägung ist, die neben der Sache liegt, wenn man glaubt, dieses Wahlgesetz zum ersten Bundestag müsse der noch nicht einmal genehmigten Verfassung entsprechen. (Dr. Diederichs: Aber selbstverständlich! Renner: Das gehört zu den Befehlen einer ausländischen Macht, daß Sie es übernommen haben, das -

-

-

-

Wahlgesetz zu schaffen!) Das Wahlgesetz tritt mit dem Grundgesetz gig vom Grundgesetz.

in Krah,

es

ist aber nicht abhän-

-

(Dr. Schmid: Sie können doch unter der Herrschah des Grundgesetzes kein Gesetz anwenden, das ihm widerspricht!) Herr Kollege Schmid, ich bin überzeugt, Herr Präsident Adenauer wird Ihnen das Wort erteilen. Zum zweiten: Auf diesem Weg, den wir vorgeschlagen haben, wäre es unserer Überzeugung nach möglich, die Vertriebenen zu ihrem Recht kommen zu lassen, nämlich zu ihren Vertretern, und zwar im Rahmen der politischen Parteien. Ich glaube, daß es sowohl im Interesse der Flüchtlinge wie im Interesse der politischen Entwicklung unseres Volkes liegt, daß nicht etwa durch eine verhängnisvolle Abtrennung und Absonderung großer Kreise der Flüchtlinge eigene Parteigruppen Gruppen, von denen Herr Kollege Löbe sprach, als er an

-

-

') Zur Bayernpartei siehe Dok.

Nr. 8, Anm. 106.

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die Aufwertungspartei71) und ähnliche erinnerte, die ich für genau so verhängnisvoll halten würde wie er entstehen, weil die Flüchtlinge sich mit Recht oder Unrecht hier nicht hinreichend vertreten sehen. Das nur, um Irrtümer -

richtigzustellen.

Feststellung! Ich bin mir darüber klar, daß die über die Auffassungen Richtigkeit des Mehrheitswahlrechts letzten Endes quer durch die Parteien gehen. Ich kann mich auf die Worte meines Kollegen Dr. Schmid beziehen, als wir in der letzten Plenarsitzung das Wahlrecht beraten haben, der damals selbst erklärt hat, daß auch er und seine Fraktion, zum mindesten zum großen Teil, von der Richtigkeit des Mehrheitswahlsystems überzeugt seien, allerdings mit der Einschränkung, daß man es jetzt noch nicht einführen sollte. Ich warne vor einer solchen Überlegung. Das Wort „noch nicht" bedeutet tatsächlich, man führt es nicht ein. Denn wir wollen uns klar das hat die Vergangenheit bewiesen, und das wird die Zukunft ebenso sein klar beweisen —, ein Parlament, das nach diesem meiner Überzeugung nach unseligen Modus gewählt wird, wird niemals zu der Entscheidung kommen, das klare Mehrheitswahlsystem einzuführen. Ich sage: nach diesem unseligen Modus, weil ich persönlich und weil meine Freunde davon überzeugt sind, daß es eine Synthese zwischen zwei Wahlsystemen, die so grundsätzlich verschieden sind wie das Mehrheits- und das Verhältniswahlsystem, schlechterdings nicht gibt und daß jeder Versuch, eine solche Synthese herbeizuführen, schlechter ist, als wenn man sich zu dem einen oder anderen klaren System entschließt. Ich glaube deswegen auch, man versucht allenfalls die Öffentlichkeit irrezuführen, wenn man bei diesem Gesetz davon spricht, daß es doch gewisse Grundsätze des Mehrheitswahlsystems verwirkliche, da ja ein Teil der Abgeordneten im unmittelbaren Wahlgang in den Wahlkreisen gewählt werde. Diese angeblich unmittelbare Wahl des einzelnen Abgeordneten im Wahlkreis trifh nicht zu. (Dr. Reif: Warum nicht?) De facto ist es so, daß die gesamten Stimmen zusammengezählt werden und daß das Wahlergebnis ganz klar nach den Grundsätzen des Verhältniswahlsystems errechnet wird. Da sollte man ehrlich genug sein, das auch zu sagen. Es ist hier gesagt worden, daß dieses Wahlsystem eine glückliche Mischung zwischen dem Mehrheits- und Verhältniswahlsystem darstelle. Ich erkläre als und das ist auch die Auffassung meiner Freunde -, daß meine Auffassung dem nicht so ist, daß es allenfalls ein unglückseliger Versuch ist, zwei Dinge, die nicht miteinander vereinbart werden können erlauben Sie mir das häufig mißbrauchte und häßliche Wort -, der optischen Wirkung halber zu verquikken. Wir lehnen das Wahlsystem, das hier beschlossen ist, ab, weil wir der Überzeugung sind, daß die gesamte politische Entwicklung unserer jungen Demokratie entscheidend davon beeinflußt wird, ob wir uns entschließen, dem Wunsch der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes entsprechend das MehrZum Schluß noch einmal eine

-

-



)

Aufwertungspartei war während der Weimarer Republik aktiv, ohne eine große Bedeutung zu erlangen. Lexikon zur Parteiengeschichte (Hrsg. Dieter Fricke in Die Deutsche

Zusammenarbeit mit Manfred Weißbecker und anderen) Bd. 4, Köln 1986, S. 139.

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mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, einzuführen, oder ob wir uns entschließen aus Erwägungen, die ich im einzelnen nicht anstellen möchte, die mir aber zum Teil auf der Hand zu liegen scheinen, aus Erwägungen, die zum mindesten mehr von parteipolitischen als von allgemeinpolitischen Interessen diktiert sind -, ein Wahlsystem zu wählen, von dem ich heute schon sagen zu müssen glaube, es ist eine schlechte Grundlage für die neue Demokratie. (Beifall bei der CDU.) Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Ich bitte diejenigen, die für das Wahlgesetz mit den Abänderungen und Zusätzen sind, die heute beschlossen worden sind, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejeniDas Gesetz in dieser Fassung gen, die dagegen sind, eine Hand zu erheben. ist in zweiter Lesung mit 36 gegen 28 Stimmen angenommen. (Dr. von Brentano: Ich bitte, vor der Behandlung des Punktes 3 der TagesDr. Schmid: Ich ordnung eine kurze Pause einschieben zu wollen. schließe mich diesem Antrag an.) Darf ich fragen, wie lange diese Pause sein soll. (Dr. von Brentano: Eine Viertelstunde.) Ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um 22 Uhr 30 Minuten unterbrochen. Die Sitzung wird um 23 Uhr 8 Minuten wieder aufgenommen. Präs. Dr. Adenauer: Ich eröffne die Sitzung wieder. Wir kommen zu Punkt 3 der Tagesordnung:

heitswahlsystem



-

-

-

-

[4.] WAHL DES VORLÄUFIGEN SITZES

DER

BUNDESORGANE72)

Als Berichterstatter hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer. Berichterstatter Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren! Bei diesem Gegenstand der Tagesordnung handelt es sich um die Aufgabe, für den Bundestag, den Bundesrat, den Bundespräsidenten und die Bundesregierung einen vorläufigen Sitz festzulegen. Um diese Frage hat im Laufe unserer Beratungen in der breiten Öffentlichkeit eine ergiebige und leidenschaftliche Erörterung stattgefunden73). Dabei trat nach meinem Eindruck häufig eine starke Uberbewertung der Bedeutung dieser Frage zutage. Unverkennbar bedeutet es natürlich für einige

:)

!)

Zur Diskussion um die Entscheidung für Bonn als Bundeshauptstadt siehe Pommerin: Von Berlin nach Bonn, passim. Dgl.: „Geburtstag einer provisorischen Hauptstadt". Zur Wahl von Bonn zum vorläufigen Bundessitz 1948/49. Geschichte im Westen Jhrg. 4 (1989), S. 89-112. Interessante Ausführungen von Zeitzeugen bei Morsey (Hrsg.): Konrad Adenauer und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart, Zürich 1979. Eine kurze Darstellung auch bei Adenauer: Erinnerungen, S. 173 f. Die SPD hatte bereits mit Schreiben vom 26. April 1949 (Z 5/137, Bl. 148) beantragt, „noch in dieser Woche zur Festlegung der vorläufigen Bundeshauptstadt eine Plenarsitzung einzuberufen. Die Verwaltung der zu wählenden Stadt muß so rasch wie möglich Bescheid erhalten, da sonst der rechtzeitige Abschluß auch nur der dringendsten Vorbereitungsarbeiten in Frage gestellt wird." Unterlagen zum publizistischen Echo der Hauptstadtfrage in: Z 5 Anhang/3.

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Beteiligte etwas Wesentliches, wenn sie wissen, wo nun ihr künhiges Betätigungsfeld sein soll. Aber schließlich handelt es sich für uns um eine Angelegenheit, die unter reinen Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten betrachtet werden muß. Jedenfalls kann ich Ihnen versichern, daß die Mitglieder des Ausschusses, der damit beauftragt war, dieses Gebiet zu untersuchen und die Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte herauszuschälen, keineswegs zu den Feuilletonisten gehören, die mit ungeheurem Eifer und reger Phantasie sich bemüht haben, wie Schmetterlingsjäger nach Pointen zu haschen. Wir waren vielmehr bestrebt, in nüchternen, sachlichen Untersuchungen festzustellen, wie

den Start des Bundes erleichtern und wie man erreichen könne, daß bei der Aufnahme seiner Tätigkeit Schwierigkeiten und Hindernisse auf ein Mindestmaß zurückgeführt werden. Der Ausschuß74} hat, wie ich schon sagte, die Angelegenheit nicht unter politischen, sondern lediglich unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten sachlich geprüft. Ich kann mich daher in meinem Bericht über die Tätigkeit des Ausschusses sehr kurz fassen. Zudem liegt Ihnen ja der umfangreiche Bericht über die Ermittlungen vor, die der Ausschuß angestellt hat75J. Es ist untersucht worden, wie die Verwaltungsräume, die Unterkünhe am leichtesten und besten bereitzustellen sind, die notwendig sind, um die Mitglieder des Bundestags, des Bundesrats und die ersten Organisationskerne der Bundesverwaltung unterzubringen. Man hat den Umfang des finanziellen Aufwandes geprüh, der notwendig ist. Man hat die Verkehrslage und die Möglichkeiten erörtert, die Nachrichtenmittel zu schaffen oder auszubauen, um sie dem steigenden Bedarf anzupassen. Alle diese Fragen hat der Ausschuß in ausgiebigem Maße bis in Einzelheiten hinein untersucht. Es liegt die Denkschrih darüber vor, so daß es sich für mich erübrigt, auf die Einzelheiten noch einzugehen. Nur noch eine Überlegung möchte ich am Schluß des Berichts aussprechen. Bei der Entscheidung über die Wahl des vorläufigen Bundessitzes geht es nicht darum, einer Stadt oder einem Land eine Auszeichnung zu verleihen oder

man

4) Unterlagen über die „Kommission für die Prüfung der von den Städten Bonn, Frankfurt,

5)

Kassel gemachten finanziellen und organisatorischen Angaben betreffs Bundeshauptstadt" in: Z 5 Anhang/3. Zu ihrer Tätigkeit eingehend Pommerin: Von Berlin nach Bonn, S. 124-133. Der Bericht der Kommission zur Prüfung der Angaben der Städte Bonn-Frankfurt/MainKassel und Stuttgart betr. den vorläufigen Sitz des Bundes vom 28. April 1948, vervielf. als Sekretariatsumdr. Nr. S 94, u. a. in: PA 5/22; ferner in: Z 5 Anhang/3. Chaput de Saintonge berichtete hierzu und zu der zu erwartenden Abstimmung unter dem 29. April 1949: „The report which puts Bonn in a particularly favourable light has been objected to by Grève, SPD, who is believed to have refused to give his signature. Grève has attached a note to the report assorting that the text and appendices contain misleading statements especially in the case of the financial estimates which, being based on disproportionate hypotheses, must lead to disproportionate results [. .] It is probable that if the voting in the Plenum next week were left to the individual members, the delegates from southern Germany together with all but one SPD vote, would carry the decision in favour of Frankfurt, but it is learned that the SPD has made it obligatory for its fraktion to vote for Frankfurt with the result that the CDU/CSU will vote on bloc for Bonn as a matter of party prestige, probable that the SPD who hold 27 of the total 65 votes will be defeated." (Kl. Erw. 792, Bd. 7). .

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irgendwelche Verdienste zu bescheinigen, überhaupt Dekorationen zu vergeben. Wenn der Parlamentarische Rat diese oder jene Stadt zum vorläufigen Sitz der Bundesorgane wählt, so kann es sich lediglich darum handeln, dem Lande oder der Stadt eine besondere Verpflichtung aufzuerlegen. Es erscheint mir notwendig, diese Verpflichtung besonders zu betonen. Es geht für die gewählte Stadt nicht darum, eine Vergünstigung zu erlangen, sondern darum, eine besonders schwierige Aufgabe in Angriff zu nehmen, nämlich dem deutschen Staatswesen, das werden soll, auch äußerlich die günstigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tätigkeit zu schaffen. In interfraktionellen Besprechungen wurde folgender Beschlußentwurf vereinihnen

bart, den ich Ihnen vorzutragen habe76):

Die leitenden Bundesorgane nehmen vorläufig ihren Sitz in der Stadt Die Wahl dieser Stadt unterliegt Ihrer Abstimmung. Der Ausschuß hat Ihnen hir die Wahl des vorläufigen Bundessitzes zwei Vorschläge unterbreitet: Bonn oder Frankfurt. Präs. Dr. Adenauer: Es ist geheime Abstimmung beantragt. .

.

.

-

(Renner: Ich bitte

ums

Wort!)

Das Wort hat Herr Renner. Renner (KPD): Namens der kommunistischen Fraktion des Parlamentarischen Rates habe ich folgende Erklärung abzugeben, die doppelt notwendig erscheint

-

angesichts des soeben vernommenen Versuchs, Entscheidung, die Sie jetzt treffen sollen, zu

die politische Bedeutung der verschieben und herabzumin-

dern.

verpflichtet, Sie, meine Damen und durch einen davor zu warnen, Beschluß, die Hauptstadt für den westHerren, den Schlußstrich zu ziehen unter Ihre Polideutschen Separatstaat festzulegen, tik der letzten acht Monate, die auf die Spaltung Deutschlands hinausläuh, durch die Schaffung dieses, wie der Herr Berichterstatter es nannte, „deutschen Staatswesens", das da auf Befehl der westlichen Besatzungsmächte werden soll. Sie aber reden von Ihrem Willen, die Einheit Deutschlands schaffen zu wollen. Diesen Willen sprechen Sie aus in der Präambel des von Ihnen am letzten Sonntag beschlossenen Grundgesetzes, das in Wirklichkeit nichts anderes ist als die deutsche Durchführungsverordnung zum Besatzungsstatut77). Ihr Grundgesetz soll, so sagen Sie, dem Zweck der Einigung Deutschlands dienen. Ihre Entscheidung erschwert aber diese Einigung. Sie ist ein Verrat und eine Preisgabe Berlins, der bisherigen Hauptstadt Deutschlands. Ja, meine Damen und Herren, Sie verraten mit Ihrer Entscheidung für Bonn oder Frankfurt Berlin, das die Hauptstadt Deutschlands war. Berlin, das für jeden, der Deutschland, das ganze große Deutschland liebt, die Hauptstadt bleiben wird. Die kommunistische Fraktion hält sich für

(Zurufe.)

Ich habe nicht bestritten, daß auch Sie Deutschland lieben. Der Beweis dafür hängt von Ihrer Entscheidung ab, davon, ob Sie sich für oder gegen Berlin entscheiden. Wer für Bonn oder Frankfurt stimmt, zerstört das Symbol

-

) Zur Vorbereitung dieses Tagesordnungspunktes durch die CDU/CSU siehe Anm. ) Besatzungsstatut siehe Der Pari. Rat Bd. 4.

86.

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der deutschen Einheit, das Berlin einmal dargestellt hat. Berlin ist für jeden auhechten Deutschen Deutschlands Hauptstadt; jede andere Lösung ist untragbar. Ich versage es mir, in dieser Stunde auf die allgemein bekannten häßlichen Begleiterscheinungen einzugehen, die der Kampf zwischen Frankhirt und Bonn ausgelöst hat. Richten wir lieber unseren Blick auf die Entscheidungen, die in den nächsten Wochen der Außenministerrat in Paris78) treffen wird! Dort geht es um die Lösung der gesamtdeutschen Frage. Diese entscheidende Stunde hat das beweist der Ablauf der Beradie Mehrheit des Parlamentarischen Rates nicht hier am vergangenen Sonntag ausgenutzt79). Die Mehrheit hier tungen hat die ausgestreckte Friedenshand unserer deutschen Brüder jenseits der Elbe zurückgestoßen, es gibt kein anderes Wort dafür. Gegen die Sowjet-Union wurden am vergangenen Sonntag in diesem Raum Hetzreden so maßloser Natur gehalten, daß die Goebbels'schen Propagandamethoden sie nicht zu übersteigern vermocht hätten. (Widerspruch. Glocke des Präsidenten.) Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, haben sie behauptet, die Hetzreden seien hier -

-

-

gehalten

worden?

Renner (KPD): Jawohl; das habe ich behauptet. Präs. Dr. Adenauer: Dann rufe ich Sie wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung. Renner (KPD): Ich will meine Erklärung zu Ende bringen; deshalb versage ich mir eine Antwort. Präs. Dr. Adenauer: Ja, das sollen Sie auch. Renner (KPD): Man hat hier mit den übelsten Methoden das Land und das Volk der Sowjet-Union herunterzuziehen gewagt, das Land, das mit 12 Millionen Toter uns Deutsche vom Faschismus beheit hat. -

(Gelächter und Widerspruch.) Ihr Lachen berechtigt mich zu der präzisen Frage: Bedauern Sie, vom Faschismus befreit worden zu sein? Oder wagen Sie, das Opfer der 12 Millionen toter Russen lächerlich zu machen80)? Schämen Sie sich dieses Lachens! Jetzt lachen Sie weiter über diese Sowjet-Union, die im Bunde mit den Westmächten die größten Opfer gebracht hat und unsagbares Leid ertragen mußte, um uns Deutsche von Hitler und seiner verbrecherischen Bande zu befreien! Am vergangenen Sonntag ist hier kein einziges versöhnendes Wort von Deutschen gefallen, die doch vorgeben, den Frieden mit allen Völkern der Welt anzustreben. So steht es wenigstens in der Präambel. Der Friede aber ist unteilbar. Und wer ihn für Deutschland und sein Volk, wer ihn für die Welt will, muß zu allen Völkern der Welt friedliche Beziehungen anstreben. Ihre haßerfüllten Tiraden sind Barrieren gegenPräs. Dr. Adenauer: Herr Renner, ich rufe Sie heute zum zweiten Mal zur Ordnung, weil Sie dem Hause zum Vorwurf machen, es habe am Sonntag hier haßerfüllte Tiraden gesprochen. -

78) Außenministerkonferenz Paris siehe Dok. Nr. 10, Anm. 16. 79) Siehe Dok. Nr. 10. 80) Der folgende Satz in der Vorlage handschr. hinzugefügt. 680

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den Frieden, den wir brauchen, wenn Deutschlands werktätiRenner (KPD): ges Volk arbeiten und leben soll als gleichberechtigtes Glied unter den friedliebenden Völkern der Welt. Wir haben Ihnen einen Antrag vorgelegt, der Sie dazu auffordert, es abzulehnen, eine Entscheidung für die Bundeshauptstadt des separaten westdeutschen Staates zu treffen. Wir haben den Eventualantrag gestellt falls Sie nicht gewillt sind, diesen unseren ersten Antrag zu unterstützen -, die Entscheidung hinauszuschieben, bis die Ergebnisse der Pariser Außenministerkonferenz vor-

-

liegen.

Präs. Dr. Adenauer: Die Geschähslage ist nun folgende. Es liegt zunächst der Antrag der KPD-Fraktion vor, den Herr Renner eben mitgeteilt hat. Er lautet: Der Parlamentarische Rat lehnt es ab, die Hauptstadt für den gemäß den Londoner Empfehlungen81) zu bildenden separaten westdeutschen Staat festzulegen. Als Eventualantrag: Der Parlamentarische Rat beschließt, die Festlegung des Sitzes der Bundesregierung auszusetzen und die Entscheidungen des Außenministerrates abzuwarten.

Außerdem

der Vorschlag, den Sie eben von Herrn Dr. Schäfer gehört wonach die Bundesorgane ihren vorläufigen Sitz in der Stadt nehmen, die in geheimer Abstimmung festgestellt wird. Meines Erachtens ist der erste Antrag der kommunistischen Fraktion überflüssig und ein Antrag in den luhleeren Raum; denn es ist nicht beantragt, „die Hauptstadt für den gemäß den Londoner Empfehlungen zu bildenden separaten westdeutschen Staat festzulegen". Wir denken nicht daran, Herr Renner. Renner (KPD): Um Ihnen ein Ausweichen unmöglich zu machen, korrigiere ich meinen Antrag. Geben Sie mir ihn bitte. Ich ändere ihn entsprechend ab. So schlau wie Sie bin ich auch82). Ich zwinge Sie abzustimmen. Präs. Dr. Adenauer: Der Antrag lautet jetzt anders: Der Parlamentarische Rat lehnt es ab, den Sitz der Regierung, des Bundestags, Bundesrats und Bundespräsidenten für den gemäß den Londoner Empfehlungen zu bildenden separaten westdeutschen Staat festzulegen. Das ist der Hauptantrag. Für den Fall, daß dieser Antrag abgelehnt wird, stellt die kommunistische Fraktion folgenden weiteren Antrag: Der Parlamentarische Rat beschließt, die Festlegung des Sitzes der Bundesregierung auszusetzen, um die Entscheidungen des Außenministerrates abzuwar-

haben,

liegt

vor,

ten.

Herr Dr. von Brentano zur Geschäftsordnung! Dr. von Brentano (CDU): Ich würde es ablehnen, über den ersten stimmen. Wir bilden keinen separaten Weststaat.

Ich

(Sehr richtig!) beantrage zu diesem Antrag Übergang (Zuruf des Abgeordneten Renner.)

zur

Antrag abzu-

Tagesordnung.

) Londoner Empfehlungen siehe Der Pari. Rat Bd. 1, ) Der folgende Satz handschr. hinzugefügt.

S. 1 ff.

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Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren, Sie haben gehört, daß Herr von Brentano zur Tagesordnung beantragt hat. Ich denke über die Sache ziemlich ruhig. Ich muß Ihnen gestehen, ich kann mir unter einem separaten Staat überhaupt nichts vorstellen. (Renner: Nach dem, was sich 1919 bei uns zugetragen hat, können Sie sich

Übergang

Separatismus nichts vorstellen83)?) Separat und Separatismus ist etwas anderes. Ich bleibe dabei:

unter

separaten Staat könnte ich mir nichts vorstellen. Aber, Herr



von

bitte Sie, doch Ihren

unter einem

Brentano, ich

Vorschlag zurückzuziehen. Lassen Sie mich ruhig abstimWir wissen, was die kommunistische Fraktion will. Herr von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Während der langen Beratungen im Parlamentarischen Rat haben wir uns wirklich in einer musterhah demokratischen Form von den zwei Herren, die hier eine besondere Rolle spielen, korrigieren und beschimpfen lassen. Ich glaube, wir sind es unserer Würde schuldig, einmal damit men.

Schluß zu machen. Ich finde, daß diese beiden Anträge, die hier eingereicht worden sind, überhaupt nicht Gegenstand einer Abstimmung in diesem Hause sein können. Ich lehne es für meine Person ab, darüber abzustimmen. Herr Präsident, ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie als Präsident sachlich vorgehen wollen. Ich bitte aber, den Auffassungen des Hauses Rechnung zu tragen. Ich glaube, daß wir jetzt, nachdem wir am Schluß der Beratungen stehen, einmal durch eine solche Abstimmung unzweideutig zu erkennen geben müssen, was wir von der Mitarbeit der kommunistischen Fraktion in diesem Hause halten. (Lebhaher Beifall. Zuruf des Abgeordneten Renner.) Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, Herr Dr. von Brentano hat gesagt, das Haus möge zu erkennen geben, was es von Ihrer Tätigkeit hält. (Renner: Nein, von der Rolle.) Von Ihrer Rolle und von Ihrer Tätigkeit. Sie scheinen darin einen Tadel zu erblicken. (Sehr gut! Heiterkeit. Renner: Ich bitte ums Wort zu einer persönlichen -



Erklärung.)

-

-

Sie bekommen das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach der Abstimmung. Vorher bekommen Sie das Wort nicht. Ich bitte Sie jetzt, sich der Ordnung des Hauses zu fügen. Sie haben schon zwei Ordnungsrufe; der dritte ist fällig. Meine Damen und Herren! Herr Dr. von Brentano hat zur Tagesordnung zu diesen beiden Anträgen beantragt. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. von Brentano sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag ist angenommen. Ich nehme an, daß Sie mit der Fassung des Antrags, die Herr Dr. Schäfer vorgeschlagen hat, einverstanden sind.



Übergang

-

-

) Siehe dazu den Vorwurf von Reimann an Adenauer in der

separatistisch betätigt; 682

siehe S. 549 ff.

10.

Sitzung, er habe sich 1919

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Antrag auf geheime Abstimmung gestellt ist, würden wir zur geheimen Abstimmung schreiten. Sie geht in der Weise vor sich, daß die einzelnen Mitglieder des Parlamentarischen Rates nach dem Alphabet aufgerufen werden, Da

daß sie dann ihre Stimmzettel, auf die sie entweder den Namen Frankfurt oder Bonn oder gar keinen Namen je nachdem geschrieben haben, Herrn Trossdamit ihn die in Urne legt. Dann wird die Urne entleert, und er mann84) geben, die Stimmzettel werden gezählt. Damit sind Sie wohl einverstanden? Darf ich hagen, ob Sie alle im Besitz der Stimmzettel sind. Es ist festgestellt, daß in der Urne nichts enthalten ist. Den Namensauhuf nimmt der Schriftführer, Abgeordneter Stock vor. -

-

-

(Folgt Namensaufruf.)

Darf ich fragen, ob ein Mitglied, das seine Stimme abgeben wollte, seine Stimme noch nicht abgegeben hat. Das ist nicht der Fall. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Wenn ich recht verstanden habe, haben die beiden Herren von der kommunistischen Fraktion darauf verzichtet, ihre Stimmzettel abzugeben. (Das Ergebnis wird ermittelt.) Ich bitte die Zuhörer, jedes Zeichen des Mißfallens und des Beifalls zu unter-

lassen85). Das

der

folgendes: Es waren abgegeben 63 Davon war einer unbeschrieben, also ungültig, so daß 62 gültige abgegeben waren. Die absolute Mehrheit beträgt demnach 32. Ergebnis

Abstimmung

ist

tel. tel erhalten: Bonn 33, Frankhirt 29.

(Lebhahe Beifallskundgebungen auf der Tribüne86). Zurufe.)

StimmzetStimmzetEs haben

Glocke des Präsiden-

ten.

-

84)

Hans Trossmann (1906-1993), Sekretär der Abt. III im Pari. Rat, später Direktor beim Deutschen Bundestag. Udo Wengst: Staatsaufbau und Regierungspraxis, S. 208 ff. 85) Nach einem Artikel im Hamburger Echo vom 12. Mai 1949 „Wie Bonn Sieger im Rennen wurde" (Z 5/198 F) beteiligte sich das Publikum bei der Auszählung lebhaft durch Ahoder Oh-Rufe, je nachdem, ob das Wort Bonn oder Frankfurt benannt wurde. Mit lautem Jubel wurde das endgültige Ergebnis begrüßt. „Im Parlamentsrestaurant knallten die Sektkorken der Bonner Stadtoberhäupter". 86) Das Zustandekommen dieses Ergebnisses wurde von Teilen der Presse im nachhinein als skandalös empfunden, weil wenige Stunden vor der Abstimmung ein Gerücht umlief, Schumacher habe sich „in provokatorischer Form" gegen die Wahl Bonns ausgesprochen und damit die Wahl beeinflußt worden sei (Hamburger Echo vom 12. Mai 1949, in: Z 5/198 F). In geheimer Abstimmung hatte die CDU/CSU sich am 10. Mai 1949 in der Sitzung um 10.00 Uhr noch mit nur 21 : 6 für Bonn gegen Frankfurt ausgesprochen. Dabei hatte man beschlossen, es im Plenum zu keiner Debatte kommen zu lassen (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 562). In der Tat wurde von Adenauer in der Fraktionssitzung vom 10. Mai 1949,16.00 Uhr eine vermeintliche DPD-Meldung verbreitet, Schumacher habe gesagt, eine Wahl Frankfurts als Bundessitz bedeute eine Niederlage für die CDU/CSU (ebenda, S. 563). Nachdem die SPD während einer Pause der Plenarsitzung die Meldung als falsch deklariert hatte, traf sich die CDU/CSU-Fraktion um 23.00 Uhr kurz vor der Abstimmung, um darüber noch einmal zu sprechen. Dabei wurde festgestellt, die Meldung sei doch richtig (ebenda, S. 564 f.). Wenn die Meldung als DPD-Meldung auch fingiert und nicht verteilt worden war, so war sie inhaltlich doch zutreffend gewesen. Vgl. dazu die eingehende Darstellung der Vorgeschichte der Wahl bei Dreher: Kampf um Bonn, S. 83 ff.; ferner Pommerin: Von Berlin nach Bonn,

683

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Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Herr Renner hat zu einer persönlichen Bemerkung das Wort.

(Fortdauernde Unruhe.) jetzt aber absolute Ruhe

Ich bitte

zu

bewahren. Wir befinden

uns

parlamentarischen Verhandlung. Das Wort hat zu einer persönlichen Bemerkung Herr Renner. gegenüber Herrn Renner kein Zeichen des Beifalls oder des

hier in einer

Ich bitte auch Mißfallens zu

äußern. Renner (KPD): Ich habe an den Herrn Präsidenten die Frage gerichtet, ob die Bemerkung des Herrn Abgeordneten von Brentano nicht zu einem Ordnungsruf Anlaß gäbe. Ich habe die Frage gestellt, ob es sich mit der Objektivität eines Versammlungsleiters vereinbart, unwidersprochen hinzunehmen, daß ein Abgeordneter mit dem Unterton spricht, den Herr von Brentano in die Formulierung hineingelegt hat, als er von den „beiden Herren" sprach, von der Rolle, die diese beiden Herren hier gespielt haben. (Dr. Löwenthal: Sehr richtig!) Herr Löwenthal, Sie sind mir wirklich nicht wert, daß ich noch einen Ton meiner Lungenkraft an Sie verschwende. Welche Rolle haben wir hier gespielt? Was meint Herr von Brentano mit seinem Vorwurf? Das hat er in seinen Ausführungen zum Wahlgesetz eindeutig zum Ausdruck gebracht, als er unter deutlichem Hinweis auf uns Kommunisten davon sprach, daß wir hier unter ausländischem Befehl handelten, in auswärtigem Auftrag. Der Herr Präsident hat mich gehagt, ob ich mich durch diese Äußerung getroffen fühle. Nein, ich fühle mich nicht getroffen. Unsere Ehre als Kommunisten ist nicht Ihre Ehre, und wir können nicht Männer einer Partei, in deren Führung dieselbe monopolkapitalistischen Elemente heute sitzen, die Hitler an die Macht gebracht—

-

(Glocke des Präsidenten) Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, Sie haben das Wort zu einer persönlichen Bemerkung. Ich bitte Sie, Ihre Ausführungen in diesem Rahmen zu halten. die Hitler an die Macht gebracht haben, in deren Auhrag er Renner (KPD): seinen verbrecherischen Krieg durchgeführt hat, der der Welt Millionen Toter und eine fürchterliche Not gekostet hat, wir können führende Männer einer solchen Partei nicht so ansehen, daß diese Bemerkungen uns treffen könnten. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß eine Partei, an deren Spitze sogar im Parlamentarischen Rat Leute als Abgeordnete sitzen, die ehemalige SA-Leute87) sind und Richter an Sondergerichten waren, nicht geeignet ist, uns Demo-

) 684

S. 136-138; die Darstellung bei Adenauer: Erinnerungen, S. 173 f. ist insofern befremdlich, als dort als entscheidendes Argument für Bonn die Tatsache benannt wurde, die britische Militärregierung habe zugesichert, Bonn aus ihrer Zone herauszunehmen. Unterlagen zu der o. g. Kontroverse in: Z 5 Anhang/3. Eine Ausarbeitung, wahrscheinlich von Fritz Heine, hierzu in: Z 5 Anhang/3, Bl. 176-181. Eine Zusammenstellung des sehr kritischen Presseechos auf die Entscheidung für Bonn, angefertigt von der Presseabteilung der Verwaltung des VWG ebenda, Bl. 157-172. Reiches Material auch in: FESt NL Schmid/467. Siehe Anm. 51.

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kratie zu lehren. Wir können sie auch nicht zulassen als unsere Lehrer etwa in der Liebe zum Vaterland, zu Deutschland, zu unserem Volk. Alle Ordnungsrufe, alle Versuche, zu stören, ändern nichts an der historisch bewiesenen Tatsache, daß der Befehl, der Sie, meine Damen und Herren, hierhergehihrt hat, von den Westmächten ausgegangen ist, daß der übernommene Befehl lautete, die Verfassung vorzubereitenPräs. Dr. Adenauer: Herr Renner, ich bitte Sie nochmals, bleiben Sie im Rahmen einer persönlichen Bemerkung! daß der Befehl lautete, ein Grundgesetz, eine Verfassung für Renner (KPD): den von den Westmächten befohlenen Weststaat auszuarbeiten. Präs. Dr. Adenauer: Herr Renner, das ist keine persönliche Bemerkung. Ich entziehe Ihnen hiermit das Wort. (Renner: Schön, ich ziehe mich zurück; ich habe das Entscheidende ge-

sagt.)

Meine Damen und Herren! Wir kommen

zum

vierten Punkt der

Tagesord-

nung:

[5.] ENTWURF EINES WAHLGESETZES ZUM ERSTEN BUNDESTAG DRITTE LESUNG

-

Ältestenrat88) vereinbart worden, daß die einzelnen Artikel nicht mehr aufgerufen zu werden brauchen. Aber es sind noch zwei Anträge zu einzelnen Artikeln gestellt worden, und zwar zunächst ein Antrag des Herrn Renner zu § 5 dahingehend: „§ 5 Absatz 2 bleibt bestehen in der Formulierung der Drucksache Nr. 90689)"; zweitens ein Antrag Dr. Diederichs: „Es wird beantragt, dem in § 5 Absatz 1 unter c eingefügten Zusatz folgenden Nachsatz anzuhigen(Große Unruhe. Zuruf: Es ist kein Wort zu verstehen! Brockmann: Es Glocke des Präsidenten.) ist ein entsetzlicher Lärm im Saal. In der Zwischenzeit ist ein dritter Antrag, ebenfalls zu § 5, eingelaufen. Also die drei Anträge beschähigen sich mit § 5. Ich wiederhole nochmals den Antrag Renner: § 5 Absatz 2 bleibt bestehen in der Formulierung der Drucksache Nr. 906. Ein Antrag Dr. Diederichs: Es wird beantragt, dem in § 5 Absatz 1 unter c eingefügten Zusatz folgenden Nachsatz anzufügen: Bestimmungen, die die Wählbarkeit von einem bestimmten Wohnsitz oder Aufenthalt oder einer bestimmten Wohn- oder Aufenthaltsdauer in einem Lande abhängig machen, finden dabei keine Anwendung, Es ist im interfraktionellen Ausschuß und im

-

-

-

88) Über eine Sitzung des interfraktionellen Ausschusses und des Ältestenrates 1949 berichtete Pfeiffer in der

CDU/CSU-Fraktionssitzung

vom

10.

am

10. Mai

Mai, 18.00 Uhr.

Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 564. Nr. 906 siehe Anm. 6.

89) Drucks.

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das ist also dieselbe Endlich ein Antrag Dr. Becker90), § 5 Absatz 1 Ziffer c Bestimmung, die Herr Dr. Diederichs in seinem Antrag gemeint hat soll lauten: und in dem Land, in dem er kandidiert, nach dem dort am 8. Mai 1949 geltenden Recht über die politische Säuberung zum Landtag wählbar wäre. Die Anträge Dr. Diederichs und Dr. Becker vertragen sich miteinander. (Zustimmung und Widerspruch.) Das Wort hat Herr Dr. Becker. Dr. Becker (FDP): Eine kurze Erläuterung. Ich bitte mir zu gestatten, vom Platz -

-

aus zu

sprechen.

Herr Dr. Becker, kommen Sie bitte ans Rednerpult! Die Präs. Dr. Adenauer: können da aus nicht hören. Sie von Kollegen Dr. Becker (FDP): Der Antrag, der meinen Namen trägt, der mit mehreren Abgeordneten verschiedener Parteien abgesprochen ist und deren Zustimmung -

gefunden hat, bedeutet, daß der § 5 Absatz 1 Buchstabe c nunmehr so lautet, wie er bereits angenommen war, nur mit dem Unterschied, daß klargestellt ist, daß die Bestimmungen, die dort zur Anwendung kommen, die Bestimmungen über das Recht der Säuberung sind. Wenn dieser Antrag statt der bisherigen Fassung so angenommen wird, besteht kein Hindernis, als weiteren Zusatz den Antrag des Herrn Kollegen Diederichs anzunehmen. Präs. Dr. Adenauer: Das Wort hat Herr Zinn. Zinn (SPD): Zwischen dem Antrag des Herrn Kollegen Dr. Becker und dem Antrag, den Herr Dr. Diederichs heute gestellt hat und der inzwischen angenommen worden ist, scheint dem Wortlaut nach kaum ein Unterschied zu bestehen, in der Sache aber ein erheblicher. Nach dem Antrag Dr. Becker würde das reine Entnazifizierungsrecht maßgebend sein. Nach dem Antrag Dr. Diederichs soll aber das Landesrecht maßgebend sein, das, teilweise wenigstens, erheblich schärfere Anforderungen an die zu wählenden Kandidaten stellt. Wir halten es für völlig unmöglich, daß jemand, der nach einem Landeswahlrecht nicht in einen Landtag gewählt werden kann, in einen Bundestag gewählt wird. Deshalb bitte ich, den Antrag Dr. Becker abzulehnen. Präs. Dr. Adenauer: Herr Dr. von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, wir sollten dem Antrag des Herrn Kollegen Dr. Becker doch zustimmen. Die Bedenken des Herrn Kollegen Zinn scheinen mir nicht richtig zu sein. Wir müssen berücksichtigen, daß die Wählbarkeit zu den Landesparlamenten zum großen Teil auf Gesetzen beruht, die zwei oder zweieinhalb Jahre alt sind. Inzwischen hat sich ja in unserm Vaterlande einiges ereignet. Der Herr Kollege Becker hat den meines Erachtens richtigen Vorschlag gemacht-

(Zuruf links: Schacht91)

ist inzwischen

entlastet!)

das! Es sind ja inzwischen auch neue Gesetze ergangen. Ich dem mit Antrag des Herrn Kollegen Becker werden wir in jedem Land glaube, tatsächlich der Sach- und Rechtslage gerecht, indem wir sagen, daß das Recht, Nicht

nur

-

90) Dieser Antrag Becker ließ sich als Drucks, nicht ermitteln. 91) Schacht siehe Dok. Nr. 3, Anm. 129. 686

Elfte

Sitzung des Plenums

10. Mai 1949

Nr. 11

das am heutigen Tage gilt, Anwendung zu finden hat auf das passive Wahlrecht des einzelnen. Ich glaube, daß wir damit auch ein Gefälle vermeiden, damit nicht vielleicht in den einzelnen Ländern die Kandidaten nach völlig verschiedenen Voraussetzungen aufgestellt werden. (Zinn: Es ist dann noch viel größer!) Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Ich bin doch der Auffassung, daß die beiden Anträge Dr. Becker und Dr. Diederichs sich nicht ausschließen. (Dr. von Brentano: Nein! Zinn: Inhaltlich sind sie völlig anders!) Inhaltlich betreffen sie etwas ganz anderes? (Dr. von Brentano: Nein, der neue Antrag Dr. Diederichs!) Der Antrag Dr. Becker beschäftigt sich mit den Säuberungsbestimmungen, und der Antrag Dr. Diederichs beschähigt sich mit den Aufenthaltsvorschrif-

-

-

ten.

(Zinn: Nein. Dr. Schmid: Mit den Landtagswahlgesetzen!) Das Wort hat Herr Stock. Stock (SPD): Meine Damen und Herren! Es ist ein großer Unterschied zwischen den beiden Anträgen. Der Antrag des Herrn Kollegen Dr. Becker will nur diejenigen von der Wählbarkeit ausschließen, die durch das Säuberungsgesetz in dem betreffenden Land ausgeschlossen sind. Der Antrag Dr. Diederichs ist angenommen; aber durch den Antrag Dr. Becker wird er jetzt erneut gestellt. Darum dreht es sich. Wir wollen dabei bleiben, daß nach dem Antrag Dr. Diederichs diejenigen, die nach dem Landeswahlgesetz die Wählbarkeit nicht haben, ebenfalls ausgeschlossen sind. Ich will nur ein praktisches Beispiel sagen. In Bayern könnte zum Beispiel der Betreffende zwar nicht zum Landtag gewählt werden, weil das das Landeswahlgesetz dort vorsieht, während er zum Bundestag gewählt werden könnte. Das, meine Damen und Herren, werden Sie doch selbst nicht wollen, daß einer in den Bundestag kommt, während er in den Landtag nicht kommen kann. Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Es liegt doch ein Mißverständnis vor. Ein Antrag Dr. Diederichs, der heute mittag angenommen worden ist, soll durch den Antrag Dr. Becker ersetzt werden. -

(Zustimmung.)

Aber, Herr Zinn, nun liegt noch (Zinn: Von dem habe ich ja

ein

neuer

gar nicht

Antrag

vor.

gesprochen,

Herr

Präsident!)

Aber ich habe davon gesprochen und habe gesagt, der Antrag Dr. Becker und der neue Antrag Dr. Diederichs vertragen sich miteinander, betreffen beide etwas anderes. Wir würden also in folgender Weise bei der Abstimmung zu verfahren haben: Zunächst kommt der Antrag Renner, weil er meines Erachtens der weitestgehende ist. Dann würden wir über den Antrag Dr. Becker abstimmen, der dahin geht, die in der zweiten Lesung angenommene Litera c durch die neue Fassung zu ersetzen. Danach würden wir über den neuen Antrag Dr. Diederichs abstimWir sind uns men, der sich lediglich mit der Aufenthaltsdauer beschähigt. darüber einig. -

-

(Zustimmung.) 687

Elfte

Nr. 11

Sitzung des Plenums

10. Mai 1949

Dann stimmen wir zunächst über den Antrag Renner ab, der die Fassung, wie sie ursprünglich bestanden hat, wiederherstellen will. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Renner sind, eine Hand zu erheben. Diejenigen, die dagegen sind. Der Antrag Renner ist mit 33 gegen 31 Stimmen abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag Dr. Becker. Ich brauche ihn nicht mehr zu verlesen; er ist klar. Er will den Antrag Dr. Diederichs von heute mittag ersetzen. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Dr. Becker sind, eine Hand zu erheben. 30 Stimmen. Diejenigen, die gegen den Antrag Dr. Becker sind. 31 Stimmen. (Dr. Reif: Ich bitte ums Wort zu einer Erklärung. Zuruf: Nein, wir sind ja in der Abstimmung.) Damit ist der Antrag abgelehnt. Es war soeben eine Stimme mehr. Also hat sich -

-

-

-

-

einer der Stimme enthalten.

(Zuruf: Zwei!) Zwei Enthaltungen. Der Antrag ist also mit 31 gegen 30 Stimmen abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den neuen Antrag Dr. Diederichs, der sich mit der Frage des Aufenthalts beschäftigt. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag Dr. Diederichs sind, eine Hand zu erheben. Der Antrag ist mit 37 Stimmen angenommen. Zu dem Wahlgesetz in dritter Lesung liegen keine weiteren Anträge vor. Wir Wollen Sie vorher das Wort erhalten? kommen zur Schlußabstimmung. Heuss: (Dr. Jawohl.) Das Wort hat Herr Dr. Heuss. Dr. Heuss (FDP): Meine Damen und Herren! Keineswegs ein besonderes Redebedürfnis, sondern der Wunsch meiner Freunde veranlaßt mich, ein paar Worte zu sagen. Und zwar ist der Verursacher Herr Dr. von Brentano, weil es nicht ganz möglich erschien, seine Darstellungen ohne ein Echo hinausgehen zu lassen. Herr von Brentano möge es mir nicht übelnehmen, er ist auf dem Weg, ein Spezialist für Schlußworte zu werden. Vor zwei Tagen hat er ein sehr schönes und optimistisches Schlußwort über das Grundgesetz gehalten92). (Dr. von Brentano: Heute haben Sie das Schlußwort gehalten.) Nein, Verzeihung. Ich habe nicht ein Schlußwort zu sprechen, sondern ich habe ein paar Bemerkungen zu Ihnen zu machen. Das Schlußwort vom Sonntag hat uns dargestellt, daß wir am Beginn eines wenn auch schweren Weges stehen, daß aber immerhin Optimismus angebracht ist. Heute haben wir ein Schlußwort des Inhalts bekommen, daß das, was wir heute beschlossen haben, den Ruin dessen herbeiführen wird, was wir vorgestern beschlossen haben. Woran liegt dieser Widerspruch? (Dr. von Brentano: Kein Widerspruch!) Er liegt ich will das Wort von der Optik nicht wiederaufnehmen in einem mangelhahen Gefühl für das Maßstäbliche der Größenordnungen, er liegt an der gedanklichen Isolierung des Wahlrechts. Herr von Brentano, Sie lesen zu sehr -

-

-

-

-

-

-

92) Siehe Dok. 688

Nr. 10, S. 600.

Elfte die

Flugschriften

standen, daß Sie

der Deutschen uns

Sitzung des Plenums

Wählergesellschah93).

10. Mai 1949

Nr. 11

Es ist die Situation ent-

erzählen, die Mehrheit des deutschen Volkes fordert das wobei

heute nicht mehr ganz so weit geht, von weil es sich herumgesprochen hat, daß das Mehrheitswahlsystem mit den kleinen Wahlkreisen, wofür ich sehr bin, oh genug das Gegenteil dessen bringt, was man im politischen Sinn „Persönlichkeiten" nennt. Wir liegen in der schwierigen Situation, daß durch die Naivität der Presse und durch eine sehr billige Propaganda mit der Isolierung des Wahlrechts als des schlechthin entscheidenden Problems eine vollkommene Verschiebung der Urteilskraft gegenüber dem, was politische Dinge sind, ent-

Mehrheitswahlsystem,

„Persönlichkeitswahlrecht"

zu

man

sprechen,

steht.

Was ist der

der Unterhaltung gewesen? Ziemlich deutlich ausgeSchröter: Herrn die Sehnsucht nach dem Zweiparteiensystem. sprochen Schröter ist die Modellfigur für das, was wir in Deutschland den Engländern

Hintergrund

von

nachmachen.

Zweiparteiensystem schön und gut dann, wenn echte Entscheidungen gegeben sind. Deutschland hat auf lange hin noch keine echten Entscheidungen. Denn das, was da in Schleswig-Holstein betrieben wird, ist ja doch, so tragisch die Dinge dort sind, ein idyllischer Vorgang. Sie haben, Herr Schröter, etwas die Pointe gebracht. Ach, es wäre ja so schön gewesen, wenn nicht an diesem Sonntag geschichtlicher Entscheidungen Mißstimmungen durch

das Vorhandensein dieser kleinen Parteien entstanden wären! Auf einmal eine merkwürdige Empfindlichkeit. Meine Herren, erlauben Sie mir ohne daß das eine Schärfe oder eine nachträgliche unangenehme Bemerkung sein soll : die haben hier sehr viel besser funktioniert die Parteien" als „kleinen großen Parteien. Der Ruf nach dem Zweiparteiensystem setzt voraus, daß schlagkräftige Parteien vorhanden sind. Herr von Brentano, auch Sie haben über das geseufzt, was als Nicht-Schlagkraft in Ihrer Fraktion vorhanden war, darüber, was alle wußten, wie sehr nun das, was sich als Partei und Fraktion darstellte, in der Auseinandersetzung der inneren Gegensätze gelähmt gewesen ist, was ja nun ganz verständlich gewesen ist. Es war, glaube ich, notwendig, kurze Worte zu sagen, obwohl noch entsetzlich viel über die Dinge hin und her zu reden wäre. Sie gehen aus von der Klischee-Vorstellung, daß dieses formaldemokratische Wechselspiel zwischen rechts und links immer zum besten funktioniere. Die Deutschen sind naiv genug zu glauben, daß die Engländer und Amerikaner, weil sie dieses System haben, immer eine gute Politik machen. Ach Gott, die haben mit diesem System auch schon oh genug eine ganz miserable Politik gemacht und sind einsichtig genug, zu wissen, daß die Formalien eines Wahlrechts nicht die Politik entscheiden. Es sind vielmehr die Menschen, die mit einem solchen Wahlrecht zu arbeiten haben, und es ist die geschichtliche Lage. Es ist meine tiefe Überzeugung, daß heute das Zweiparteiensystem in Deutschland, das Ihr Traum ist, der Ruin unserer Entwicklung sein würde. Hier der Ausgleich, der das Verständnis, der die Duldung, der das Heranholen der Krähe haben will, —

-

1 Deutsche Wählergesellschaft siehe Dok.

Nr. 7, Anm. 93.

689

Nr. 11

dort das

Elfte

Sitzung des Plenums

billige

oder teuere

Spiel

10. Mai 1949

heute stehen

zwischen rechts und links94)

wir nicht in dieser Entscheidung. Vielleicht später einmal. Präs. Dr. Adenauer: Herr von Brentano! Dr. von Brentano (CDU): Auf die Gefahr hin, daß ich meinen Vorredner bestätige, weil ich das Schlußwort in Anspruch nehme, muß ich noch etwas sagen. Damit Sie nicht recht behalten, erkläre ich auch, ich gebe kein Schlußwort, sondern nur eine Erklärung. Herr Kollege Heuss, ich erkenne an, daß Sie ein -

hervorragender Journalist sind, der hervorragende Formulierungen findet. Aber das glaube ich doch sagen zu müssen: wer den Sinn für das Maßstäbliche

besitzt oder nicht, mag die Zukunft erweisen. Ich weiß mich mit einem Mann einig, dessen Biographie Sie geschrieben haben, (Dr. Heuss: Das ist die beste Pointe, die ich euch geschenkt habe. Wenn ich sie nicht geschrieben hätte, wüßtet ihr das nicht.) mit dem großen Nationalliberalen Naumann95), dem Sie ja wohl nicht zum Vorwurf machen können, daß ihm der Sinn für das Maßstäbliche gefehlt habe. Wenigstens habe ich einen solchen in der Biographie, die aus Ihrer Feder stammt, nicht gefunden. Und den zweiten Einwand, Herr Professor Heuss, hätten Sie sich besser erspart. Ich stimme Ihnen restlos zu: am geschlossensten ist eine Einmannpartei. Daß eine größere Partei etwas mehr Problematik in sich birgt, ist etwas,

(Dr.

Heuss:

Selbstverständlich!)

allen bekannt sein dürhe. Ich glaube aber, daß der Einwand, daß klein Parteien sein müssen, um geschlossen zu sein, in sich nicht richtig ist. Dr. Diederichs: Sie dürfen Heuss: Nein, behaupte ich auch nicht. (Dr. nicht klein um zu aber auch bleiben.) geschlossen werden, Präs. Dr. Adenauer: Wir kommen zur Abstimmung, und zwar werden wir jetzt in dritter Lesung über das ganze Gesetz einschließlich der Überschrih abstimmen. Damit sind Sie einverstanden. Ich bitte diejenigen, die für das Wahlgesetz in der Fassung sind, die es durch die verschiedenen Anträge heute bekommen hat, eine Hand zu erheben. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, eine Hand Das Wahlgesetz ist in dritter Lesung mit 36 gegen 29 Stimmen zu erheben. was

uns

-

-

angenommen99). -

Ehe wir schließen, erteile ich zunächst Herrn Kollegen Dr. Dehler das Wort zu einer Erklärung. Dr. Dehler (FDP): Meine etwas temperamentvollen Ausführungen vom Sonntag verlangen eine Klarstellung97). Ich kann und will keinem Mitglied dieses Hauses den Vorwurf machen, daß es bewußt die Arbeit am Grundgesetz sabotiert

94) Der Rest des Satzes handschr. hinzugefügt, bzw. verändert aus „später einmal". 95) Siehe Dok. Nr. 3, Anm. 74. 96) Die verabschiedete Fassung wurde vervielf. als Drucks. Nr. 924, dazu Berichtigung auf Drucks. Nr. 928. Das vom Pari. Rat beschlossene Gesetz wurde von den Alliierten nicht ohne Beanstandungen gebilligt, so daß nach Auflösung des Pari. Rates die Ministerpräsidenten die Regelung des Wahlverfahrens zum ersten Bundestag wieder in die Hand nehmen mußten. Siehe Der Pari. Rat Bd. 6, S. XLVII ff. sowie Lange: Wahlrecht, S. 389 ff. Siehe S. 604 ff. -

97) 690

-

Elfte habe oder daß

es

seine ablehnende

wahrheitswidrig begründet

habe.

Sitzung des Plenums

Stellungnahme

zu

10. Mai 1949

dem

Grundgesetz

Nr. 11

bewußt

(Bravo!)

[6. ERKLÄRUNG DES PRÄSIDENTEN ÜBER DIE BEFUGNISSE DES

ÜBERLEITUNGSAUSSCHUSSES]

Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren! Ich möchte noch folgendes erklären. Wir haben am 6. Mai einen gewählt98). Über die und den dieses Charakter sind in der inlänAufgaben dischen und in der ausländischen Presse völlig falsche Mitteilungen erfolgt.

Überleitungsausschuß Überleitungsausschusses

(Reimann: Nein, nein!)

Nach dem Willen des Parlamentarischen Rates soll dieser Überleitungsausschuß die Befugnisse haben, Empfehlungen vorzubereiten, die der zukünhigen Bundesregierung im Hinblick auf die Vordringlichkeit gewisser gesetzgeberischer und organisatorischer Aufgaben zu machen sind.

(Renner: Legislative!)

Der Ausschuß selbst soll keinerlei politische Funktionen haben. Das ist der Wille des Parlamentarischen Rates. (Reimann: Die Begründung lautet aber anders, Herr Dr. Adenauer. Renner: Das Stenogramm kann man ja ändern.) Die Begründung lautet so, wie ich es inhaltlich wiedergegeben habe. Nur -

die kommunistische Fraktion (Reimann: hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen!) hat sich sofort bemüht, diesem Überleitungsausschuß Funktionen beizulegen, die er nach unserer Auffassung nicht hat. (Reimann: Auf Grund der Erklärung!) Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich bitte, mir die Erlaubnis zu geben, Tag und Gegenstand der nächsten Sitzung festzusetzen. Voraussichtlich wird diese nächste Sitzung in der übernächsten Woche sein. Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Ich schließe die Sitzung. Die Sitzung wird am 11. Mai 1949, 0 Uhr 14 Minuten geschlossen. -

-

) Siehe Dok.

Nr. 9, TOP 2. Die

Drucks. Nr. 925.

folgende Erklärung

von

Adenauer wurde vervielf. als

691

Nr. 12

Zwölfte

Sitzung

des Plenums 23. Mai 1949

Nr. 12

Zwölfte

Z

des Plenums Mai 23. 1949

Sitzung

5/21, Bl. 4-15; ungez. und undat. stenogr.

Kurzprot.:

Wortprot.1)

Druck: Z 5/21, Bl. 1-2. Stenogr. Berichte, S. 271-273. Stenogr. Dienst: Dr. Koppert, Dr. Peschel. Dauer: 16.07-17.03 Uhr -

[1. GESCHÄFTLICHES]

Sitzung wird eröffnet2).

Die

um

16 Uhr 7 Minuten durch den Präsidenten Dr. Adenauer

Präs. Dr. Adenauer: Ich eröffne die Sitzung. Entschuldigt haben sich die Herren Kaufmann und Wirmer3). Sein Mandat hat niedergelegt Herr Dr. Grève. An seiner Stelle ist vom Niedersächsischen Landtag Herr Ollenhauer gewählt worden. Ich heiße Herrn Ollenhauer in unserer Mitte willkommen4).

J) 2)

Die Vorlage wurde für den Druck eingerichtet und weist daher Anweisungen an den Setzer auf. Vgl. Einleitung, S. XXXIX. Die Versammlung fand im festlich hergerichteten Plenarsaal der Pädagogischen Akademie statt. Die Stadt Bonn war mit 2000 Exemplaren der neuen Bundesfahne geschmückt (Westdeutsche Zeitung vom 20. Mai 1949: „Bonn flaggt als erste deutsche Stadt"). Der NWDR hatte mit Schreiben vom 23. Mai 1949 gebeten, mit der Sitzung möglichst

pünktlich (spätestens 16.05 Uhr) zu beginnen, weil die Sitzung von fast allen deutschen Sendern übertragen werden würde (Z 5/2). Wie später von Adenauer erwähnt, waren zu dieser Sitzung die Ministerpräsidenten, die Präsidenten der Landtage und Repräsentanten des Wirtschaftsrates anwesend. Der Wirtschaftsrat tagte allerdings zur gleichen Zeit.

3) 4)

Präsident Dr. Köhler nahm in einleitenden Worten auf die Sitzung des Pari. Rates Bezug, die er dem Pari. Rat vorher übermittelte. Abdr. als Sekretariatsumdr. Nr. S 74. Der Abg. Theophil Kaufmann fehlte aus Krankheitsgründen. Siehe die Schreiben von Adenauer an ihn vom 16. und 22. Mai 1949 (Abdr. bei Mensing: Adenauer, Briefe, S. 460, 464). Der Rücktritt von Grève und der Eintritt von Ollenhauer wurde den Abgeordneten durch Sekretariatsumdr. Nr. S 75 mitgeteilt. In der Rheinischen Post wurde dieser Wechsel unter dem 23. Mai 1949 unter der Überschrift „Erste Garnitur" (Z 5/199 F) wie folgt kommentiert: „Der Parlamentarische Rat hat ein neues Mitglied: Erich Ollenhauer, Hannover, Odeonstraße Chef des Stabes im SPD-Hauptquartier. Der Parlamentarische Rat löst sich heute nachmittag feierlich auf. Ollenhauers erster Sitzungstag in Bonn wird also auch gleichzeitig sein letzter sein. Aber Dr. Grève, dessen Platz er einnimmt, hat sein Mandat nicht auf ärztliches Anraten, sondern auf Schumachers Weisung niedergelegt. Warum? Die SPD möchte sich gern der Pariser Außenministerkonferenz mündlich oder fernmündlich ,mit ihrer ersten Garnitur' präsentieren [. .]" Angespielt wurde dabei auf die Tatsache, daß die Westdeutschen durch einen Konsultativrat an der Konferenz beteiligt werden sollten. Der Konsultativrat brachte es, da die Konferenz selbst scheiterte, jedoch nur auf zwei Sitzungen. -

.

692

Zwölfte Wir treten nun in die Der einzige Punkt der

Sitzung des Plenums

23. Mai 1949

Nr. 12

Tagesordnung5) ein8). Tagesordnung ist:

[2.] FESTSTELLUNG DER ANNAHME DES GRUNDGESETZES FÜR DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND, AUSFERTIGUNG UND VERKÜNDUNG Meine Kollegen vom Parlamentarischen Rat! Heute, am 23. Mai 1949, beginnt ein neuer Abschnitt in der wechselvollen Geschichte unseres Volkes. Heute

wird nach der Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eintreten. Wir alle sind uns klar darüber, was das bedeutet. Wer die Jahre seit 1933 bewußt erlebt, wer den völligen Zusammenbruch im Jahre 1945 mitgemacht, wer miterlebt hat, wie die ganze staatliche Gewalt seit 1945 von den Alliierten übernommen worden ist, der denkt bewegten Herzens daran, daß heute, mit dem Ablauf dieses Tages, das neue Deutschland ersteht. Am Beginn dieses Abschnitts der deutschen Geschichte stand die Londoner Konferenz7) des Jahres 1948. Durch ihre Beschlüsse waren wir nach mancher Richtung hin gebunden. Durch Kräfte, die stärker sind als der Wille des deutschen Volkes, ist es auch heute unmöglich gemacht, daß ganz Deutschland zu einem Staate wird. Aber trotz aller dieser Beschränkungen stellen wir fest: Das Grundgesetz, das wir beschlossen haben, beruht auf dem freien Willen, auf der freien Entscheidung des deutschen Volkes.

(Laute Zustimmung.)

Darum soll es uns, und zwar erst recht nach all dem, was wir erlebt haben, ein heiliger Besitz sein, den wir wahren, den wir pflegen, den wir ausbauen wollen. Obgleich die obersten Organe der Bundesrepublik Deutschland noch nicht geschaffen worden sind, wird das Grundgesetz heute Rechtskraft erlangen. In Zukunh wird das Verhältnis zwischen uns und den Besatzungsmächten auf einer festeren Grundlage beruhen als bisher. Ich danke den Vertretern der Besatzungsmächte, daß sie dessen zum Zeugnis hier erschienen sind. Es haben sich zu dieser feierlichen Stunde8) eingefunden die Ministerpräsidenten und die Landtagspräsidenten der elf Länder, aus denen die drei westlichen

5) Tagesordnung

6)

7) 8)

in feierlicherer Form als bei früheren Sitzung gedruckt in: Z 5/210; auch vervielf. als Sekretariatsumdr. Nr. S 77. Nach einem im Deutschen Rundfunkarchiv vorliegenden Tonbandmitschnitt einer Reportage über diese Sitzung (Dok. Nr. 40-8513, Deutsches Rundfunkarchiv, Tondokumente zur Zeitgeschichte, Parlamentarischer Rat 1948/1949, August 1967, S. 125 ff.) folgte der Eröffnung die G-Moll-Fantasie von Johann Sebastian Bach, gespielt auf einer Orgel durch den Organisten der Bonner Münsterkirche Hubert Brings. Die Beschlüsse der Londoner Konferenz siehe Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff. Die Gäste zu dieser Sitzung wurden sehr sorgsam ausgesucht; von den insgesamt 449 Plätzen im Saal und 125 auf der Tribüne erhielten die drei Besatzungsmächte je 10 Sitze; außer den Parlamentariern waren Ministerpräsidenten, die Landtagspräsidenten und sonstige Würdenträger (Kirchen, Gewerkschaften, Universität, Stadt Bonn) eingeladen worden (Einladungen sowie Unterlagen zur Plazierung in: Z 5/2). Nach einem Bericht der Allgemeinen Zeitung vom 24. Mai 1949 (Z 5/199 F) waren die jeweiligen Stellvertreter 693

Nr. 12

Zwölfte

Sitzung des Plenums

23. Mai 1949

Zonen bestehen. Ihr Erscheinen erhärtet die Tatsache, daß von diesen elf Ländern mehr als zwei Drittel, nämlich zehn diesem Grundgesetz zugestimmt haben9). Diese Herren bekunden aber durch ihre Anwesenheit noch etwas Weiteres: Sie bekunden damit, daß die Länder in Liebe und Treue sich dem Bunde, der auch ihr Dasein schützt und verbürgt, widmen werden. Der Zweizonen-Wirtschaftsrat und die Wirtschaftsverwaltung sind durch ihre Repräsentanten hier vertreten. Auf wirtschaftlichem Gebiet haben der Wirt-

schahsrat und die Wirtschahsverwaltung große und wertvolle Aufbauarbeit geleistet, und in der Bundesrepublik Deutschland wird ihre Arbeit nicht vergessen werden. Aber lassen Sie mich in dieser ernsten und feierlichen Stunde auch einer schweren Besorgnis Ausdruck geben. Wenn die Demontage-Politik10) fortgesetzt wird, wie sie jetzt beschlossen ist, dann scheint uns im Parlamentarischen Rat dadurch auch die politische Aufbauarbeit, die deutsche Demokratie wesentlich gefährdet zu werden.

(Lebhafte Zustimmung.)

Wir bitten daher die alliierten Stellen, die für diese Demontage-Politik verantwortlich sind, diese ganze Frage nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern vor allem auch unter politischen Gesichtspunkten zu betrachten. Nun wollen wir zu dem feierlichen Akt der Unterzeichnung und der Verkündung des Grundgesetzes schreiten. Ich bitte zunächst die Mitglieder des Parlamentarischen Rates in der Reihenfolge des Alphabets heranzutreten und durch ihre Unterschrih zu bezeugen, daß das Grundgesetz in der öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Rates vom 8. Mai dieses Jahres mit einer Mehrheit von 53 gegen 12 Stimmen angenommen worden ist"). Ich werde alsdann die Herren Ministerpräsidenten und die

der Militärgouverneure und General Bishop seitens der Militärregierungen anwesend. Kardinal Frings, Max Reimann (KPD) und der stellv. englische Militärgouverneur mit seinem Stab kamen verspätet. 9) Die Daten der Beschlußfassung durch die Landtage bzw. Senate wurden im nachhinein von Adenauer noch verlesen. °) Zur Demontagepolitik siehe Akten zur Vorgeschichte Bd. 5 passim. 1) In der vollzogenen Ausfertigung des Grundgesetzes wurde von den Parlamentariern folgender Text unterschrieben: „Der Parlamentarische Rat hat das vorstehende Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in öffentlicher Sitzung am 8. Mai des Jahres Eintausendneunhundertneunundvierzig mit dreiundfünfzig gegen zwölf Stimmen beschlossen. Zu Urkunde dessen haben sämtliche Mitglieder des Parlamentarischen Rates die vorliegende Urschrift des Grundgesetzes eigenhändig unterzeichnet. Bonn am Rhein, den 23. Mai des Jahres Eintausendneunhundertneunundvierzig." Zunächst unterzeichneten Adenauer als Präs. des Pari. Rates, Schönfelder als 1. Vizepräs, und Schäfer als 2. Vizepräs.; es schlössen sich die Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge an. Es folgten gesondert die Abgeordneten aus Berlin. Für die Unterzeichnung stand ein goldener Füllfederhalter zur Verfügung, der offensichtlich nicht allen Parlamentariern leicht zur Hand ging. Die Stadt Köln hatte aus ihrem Ratssilber ein Tintenfaß bereitgestellt. Das in hellem Schweinsleder gebundene Exemplar des Grundgesetzes befindet sich heute für zeremonielle Zwecke im Büro des Direktors beim Deutschen Bundestag. 694

Zwölfte Sitzung des Plenums 23. Mai 1949

Landtagspräsidenten der elf Länder bitten, durch bezeugen, daß das Grundgesetz in dieser Fassung in mehr Herren

Nr. 12

ihre Unterschrift zu als zwei Dritteln der

elf Länder der drei Zonen angenommen worden ist. Abgeordneter Stock wird nun die Namen aufrufen12). Schriftführer Stock: Präsident Dr. Konrad Adenauer. Vizepräsident

Der Schriftführer

Adolph

Dr. Adolf Max Becker. Blomeyer. Dr. Heinrich von Brentano. Johannes Brockmann. Dr. Paul de ChapeauDr. Fritz Eberhard. Dr. Georg Diederichs. Dr. Thomas Dehler. rouge. Adolf Ehlers. Dr. Albert Finck. Andreas Gayk. Rudolf Heiland. Wilhelm Dr. Fritz Anton Hilbert. Hubert Hermans. Dr. Theodor Heuss. Heile. Dr. Rudolf Dr. Werner Hofmeister. Dr. Hermann Höpker Aschoff. Hoch. Dr. Gerhard Kroll. Karl Kuhn. Adolf Dr. Ferdinand Kleindinst. Katz. Lambert Lensing. Dr. Dr. Dr. Robert Lehr. Dr. Wilhelm Laforet. Kühn. Dr. Hermann von Mangoldt. Karl Fritz Löwenthal. Friedrich Maier. Sigmund Mayr. Dr. Walter Menzel. Dr. Willibald Mücke. Friederike Nadig. Erich Ollenhauer. Dr. Anton Pfeiffer. Heinz Renner. Renner (KPD): Ich unterschreibe nicht die Spaltung Deutschlands. Schriftführer Stock: Max Reimann. Reimann (KPD): Ich unterschreibe nicht. Hermann Runge. Schriftführer Stock: Albert Roßhaupter. Kaspar Gotthied Carl Schröter. Dr. Josef Dr. Carlo Schmid. Schlör. Josef Schräge. ElisaDr. Dr. Seibold. Dr. Hans-Christoph Seebohm. Schwalber. Kaspar Wilhelm Helene Dr. Walter Seibert. Dr. Friedrich beth Wagner. Strauß. Gustav Hans Wunderlich. Dr. Friedrich Wolff. Helene Wessel. Weber. Zinn. Stock. Zimmermann. Jean August Präs. Dr. Adenauer: Ich bitte nunmehr die Abgeordneten von Groß-Berlin um ihre Unterschrift. Ernst Reuter (mit Beifall Paul Löbe. Schrihführer Stock: Jakob Kaiser. Otto Hans Dr. Dr. Suhr. Reif. begrüßt). Präs. Dr. Adenauer-}2} Auf Grund der Beschlüsse der Londoner Konferenz von 194814) ist das Grundgesetz den Militärgouverneuren der drei westlichen Besat-

Schönfelder.

-

Vizepräsident Dr. Hermann Schäfer. Hans Dr. Paul Binder. Dr. Ludwig Bergsträsser.

Heinz Bauer.

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zu dieser Sitzung (Anm. 6) wurden während der Ableistung der Unterschriften auf der Orgel in unterschiedlicher Lautstärke Choräle gespielt, u. a. der Choral „Nun danket alle Gott". Der Korrespondent der Westdeutschen Zeitung, Erik Mauthner, bemängelte in seinem Bericht (Anm. 24), der Orgelspieler habe wohl zu wenig Sichtverbindung mit dem Geschehen im Saal gehabt. „Jedenfalls brachen seine Darbietungen während der Unterschriftengebung mehrfach ab und mußten immer wieder von neuem .angekurbelt' werden. Auch waren kirchliche Weisen nicht gerade geeignet, als Untermalung für die ablehnenden Worte der Herren Reimann und Renner zu dienen." 13) Die folgenden Worte Adenauers sind Teil des Genehmigungsprotokolls. Vgl. das Faksimile der Urschrift in: ADS, ZD 985/7. 14) Abdr. der Beschlüsse in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 1 ff.

12) Nach dem Tondokument

695

Nr. 12

Zwölfte

zungszonen

Sitzung des Plenums 23.

vorgelegt15)

und

von

diesen

Mai 1949

am

12. Mai des

zierung durch die Landtage genehmigt worden16).

Der

Landtag

des Landes Baden hat mit Beschluß

vom

Jahres

1949

18. Mai das

zur

Ratifi-

Grundgesetz

angenommen. Der Landtag des Landes

Bayern hat mit Beschluß vom 20. Mai das Grundgesetz abgelehnt17). Die Bürgerschaft des Landes Bremen hat mit Beschluß vom 20. Mai, die Bürgerschah des Landes Hamburg mit Beschluß vom 18. Mai, der Landtag des Landes Hessen mit Beschluß vom 20. Mai, der Landtag des Landes Niedersachsen mit Beschluß vom 20. Mai, der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen mit Beschluß vom 20. Mai, der Landtag des Landes Bheinland-Pfalz mit Beschluß vom 18. Mai, der Landtag des Landes Schleswig-Holstein mit Beschluß vom 20. Mai, der Landtag des Landes Württemberg-Baden mit Beschluß vom 18. Mai, der Landtag des Landes Württemberg-Hohenzollern mit Beschluß vom 21. Mai das Grundgesetz angenommen18). 15) 16)

Das Schreiben (Letter of Approval) vom 12. Mai 1949, vervielf. als Sekretariatsumdr. Nr. S 71 (nichtamtliche Übersetzung Umdruck Nr. 571 a, franz. Fassung in: Z 12/9, Bl. 152-153). Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 8, Dok. Nr. 80. Adenauer hatte bereits am 11. Mai 1949 an die Präsidenten der Landtage und die Ministerpräsidenten geschrieben und darum gebeten, die Beratung des Grundgesetzes noch in der folgenden Woche abzuschließen, da ihm mitgeteilt worden sei, die Besatzungsmächte würden das Grundgesetz noch in dieser Woche genehmigen (Unterlagen in: Z 5/9 Bl. 194 ff. sowie Z 12/33, Bl. 7). In Z 5/2 die Mitteilungen von Ministerpräsidenten und Landtagspräsidenten über die erfolgte Ratifizierung des Grundgesetzes in den jeweiligen Landtagen, zumeist mit den präzisen Abstimmungsergebnissen. In den

Landesparlamenten hatte es folgende Gegenstimmen gegeben: Baden: 2 (KPD)

Hamburg: 3 (KPD)

Rheinland-Pfalz: 8 (KPD)

Württemberg-Baden: 10 (KPD) Bayern: 101; siehe folgende Anm. Bremen: 9 (KPD, Hessen: 8 (KPD)

DP)

Niedersachsen: 37 (KPD, DP, Zentrum) Nordrhein-Westfalen: 38 (KPD, Zentrum)

Schleswig-Holstein: 6 (SSW) Württemberg-Hohenzollern: 16 (CDU, KPD). 17) Zur Beschlußfassung in Bayern siehe Kock: Bayerns Weg, S.

315 ff. MinPräs. Ehard hatte Adenauer als Präs. des Pari. Rates unter dem 20. Mai 1949 wie folgt geschrieben: „Der Bayerische Landtag hat in seiner Sitzung vom 20. Mai 1949 mit 101 gegen 63 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen beschlossen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland abzulehnen. Ferner hat der Landtag mit 97 gegen 6 Stimmen bei 70 Stimmenthaltungen beschlossen: Bei Annahme des Grundgesetzes in zwei Dritteln der deutschen Länder, in denen es zunächst gelten soll, wird die Rechtsverbindlichkeit dieses Grundgesetzes auch für Bayern anerkannt, wie es Art. 144 Abs. 1 des Grundgesetzes vorsieht. Von diesen beiden Landtagsbeschlüssen beehre ich mich Ihnen Kenntnis zu geben" (Z 5/2). Insofern war es möglich, daß MinPräs. Ehard und Landtagspräsident Horlacher für Bayern das Grundgesetz im nachhinein mit unterschrieben. 18) In der Ausfertigung des Grundgesetzes (vgl. Anm. 13) folgten nunmehr von Adenauer jeweils gesondert unterzeichnete Vermerke: „Auf Grund dieser Tatsachen hat der Parlaan

696

Zwölfte

Sitzung des Plenums 23.

Mai 1949

Ich bitte nunmehr die Herren Ministerpräsidenten und die Herren sidenten um ihre Unterschrift. Schriftführer Stock: Der Herr Staatspräsident des Landes Baden; der Herr Ministerpräsident des Landes Bayern; der Herr Senatspräsident der Hansestadt Bremen; der Herr 1. Bürgermeister der Hansestadt Hamburg; der Herr Ministerpräsident des Landes Hessen; der Herr Ministerpräsident des Landes Niedersacbsen; der Herr Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen; der Herr Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz; der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein; der Herr Ministerpräsident des Landes Württemberg-Baden; der Herr Ministerpräsident des Landes Württemberg-Hohenzollern; der Herr Präsident des Badischen Landtags; der Herr Präsident des Bayerischen Landtags; der Herr Präsident der Bremischen Bürgerschaft; der Herr Präsident der Hamburger Bürgerschaft; der Herr Präsident des Hessischen Landtags; der Herr Präsident des Niedersächsischen Landtags; der Herr Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen; der Herr Präsident des Landtags von Rheinland-Pfalz; der Herr Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtags; der Herr Präsident des Württemberg-Badischen Landtags; der Herr Präsident des Württemberg-Hohenzollerischen Landtags.

Nr. 12

Landtagsprä-

gemäß Artikel 145 des Grundgesetzes in der heutigen öffentlichen Sitzung unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins festgestellt, daß das Grundge-

mentarische Rat

setz angenommen

worden ist.

Vollzug des Artikels 145 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik fertigt der Parlamentarische Rat hiermit das Grundgesetz aus. Bonn am Rhein, den 23. Mai des Jahres 1949 In

Deutschland

gez. Adenauer. Darauf hat der Präsident des Parlamentarischen Rates das Grundgesetz in der heutigen öffentlichen Sitzung verkündet. Er bezeugt dies hiermit durch seine eigenhändige Unterschrift. Bonn am Rhein, den 23. Mai des Jahres 1949 gez. Adenauer." Auf einer neuen Seite dann folgender Wortlaut: „Der Präsident des Parlamentarischen Rates gab bekannt, daß die Veröffentlichung des Grundgesetzes in der heute erscheinenden Nummer 1 des Bundesgesetzblattes erfolgt. Abschließend hat der Präsident des Parlamentarischen Rates festgestellt, daß mit der Feststellung der Annahme des Grundgesetzes, dessen Ausfertigung und Verkündung das Grundgesetz für alle Länder der amerikanischen, britischen und der französischen Zone bindendes Recht geworden ist. Die Richtigkeit der vorstehenden urkundlichen Feststellungen und der Echtheit der eigenhändigen Unterschrift des Präsidenten des Parlamentarischen Rates bestätigen hierdurch durch ihre Unterschrift. Bonn am Rhein, den 23. Mai des Jahres 1949." Es folgten die Unterschriften der Ministerpräsidenten und Präsidenten der Landtage.

697

Nr. 12

Zwölfte

Sitzung des Plenums

Präs. Dr. Adenauer: Die

23. Mai 1949

Stadtverordnetenversammlung

ihrer 14. außerordentlichen

Sitzung

am

19. Mai 1949

stimmig gefaßt:

Groß-Berlin hat in folgenden Beschluß einvon

von Groß-Berlin bekennt sich zu den PrinziParlamentarischen Rat in Bonn am 8. Mai 1949 beschlossenen Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Ich bitte den Herrn Stadtverordneten-Vorsteher von Groß-Berlin und den Herrn Oberbürgermeister von Groß-Berlin dies durch ihre Unterschrift zu bezeugen. (Oberbürgermeister Prof. Reuter und Stadtverordnetenvorsteher Dr. Suhr vollziehen die Unterschrih.)

Die

Stadtverordnetenversammlung

pien und Zielen des

vom

[3. DANKESWORTE DES ABG.

LÖBE]

Das Wort hat das Mitglied des Parlamentarischen Rates, Herr Löbe. Löhe (SPD): Meine Damen und Herren! Nachdem wir diesen historischen Akt vollzogen haben, nachdem wir in neunmonatigem gemeinsamen Wirken für das Werk arbeiteten, wollen wir dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates, Herrn Dr. Konrad Adenauer, den Vizepräsidenten und dem Leiter der schwierigen Verhandlungen des Hauptausschusses, Herrn Carlo Schmid, unseren Dank sagen für die Tatkraft, für die Energie und Gewandtheit, mit der sie uns die

Erfüllung

unserer

Aufgabe möglich gemacht

haben.

(Beifall und Händeklatschen.)

war nicht immer leicht, nicht bei den Abstimmungen, nicht bei den Verhandlungen. Bei der Fülle von Anträgen, die auf einzelne Artikel einstürmten Zusatz-, Abänderungs-, Haupt- und Nebenanträge -, gehörte schon eine Meisterhand dazu, die Knoten zu lösen, die Fäden klarzulegen und jedes einzelne Problem seiner formgerechten Erledigung zuzuführen. Aber auch unsere Verhandlungen sind nicht immer so ruhig vorbeigeflossen wie der Rhein an warmen Sommertagen. Es hat Strudel und Schäume gegeben, und wir alle waren Zeuge, daß ein wenig Nachsicht und ein wenig Humor auch diese Wogen glätteten. Ich glaube, ich darf sogar Herrn Kollegen Renner

Es

-

darin einschließen.

Renner: Schaumschlägerei habe ich Ihnen überlassen.) Kollege, im privaten Verkehr19) waren Sie immer so nett und

(Heiterkeit. Verehrter menschlich.

-

-

(Heiterkeit.) Deshalb hat der Herr Präsident es auch nicht tragisch genommen, wenn Sie einmal laut, sehr laut, drohend wurden oder gar böse Worte für unsere Verhandlungen fanden. Ich habe dabei manchmal an die Sentenz gedacht: „Sehet, wir hassen und streiten; es trennen uns Neigung und Meinung.

19) 698

In der

Vorlage handschr. korrigiert aus „Leben".

Zwölfte

Sitzung des Plenums 23.

Mai 1949

Nr. 12

Aber indessen bleicht dir sich die Locke wie mir20)." Und wenn das falsche Gleichnis mit dem Hecht im Karpfenteich herangezogen werden sollte: es trifh nicht zu; aber immerhin hat unser Kollege Heuss erst vor einigen Tagen bewiesen, daß selbst ein so hiedfertiger, gemächlich gewordener Karpfen manchmal scharf zuschnappt und dadurch den Hecht veranlaßt, einen weiten Bogen um ihn zu schlagen21).

(Heiterkeit.)

Werte

Versammlung! mitgeholfen haben,

Wir schließen in den Dank ein

alle, die

an

diesem Werk

(Beifall)

den Leiter des Büros mit seinem Stab, all die Damen und Herren, die manche Stunde ihrer Nachtruhe opferten, um unsere Niederschrihen und Vervielfältigungen rechtzeitig vorlegen zu können, bis zu den Frauen und Mädchen, die dieses schöne Haus täglich für uns sauber und heundlich machten, und bis zu den Gastronomen unten und oben, die für unser Wohl gesorgt haben. Das alles sei in unseren Dank eingeschlossen, Herr Präsident, ausgesprochen auch von den gelegentlichen Opponenten, die manchmal sich mit Ihnen gerauh haben und die heute am Schlußtage Ihnen den auhichtigen Dank aussprechen. (Beifall und Händeklatschen.)

[4.

SCHLUSSWORTE DES

PRÄSIDENTEN]

Präs. Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren vom Parlamentarischen Rat! Ich glaube, ich darf im Namen aller, die von Ihnen, verehrter Kollege, angesprochen sind, Ihnen herzlichst für die heundlichen und anerkennenden Worte danken, die Sie für uns alle gefunden haben. Wir sind bei unseren Beratungen, so deucht mir, alle Gebende und Empfangende gewesen. Keiner hat nur gegeben, jeder hat vom anderen empfangen. Mir scheint, daß ein ganz wesentlicher Gewinn der Arbeit dieser vergangenen neun Monate der gewesen ist, daß wir hier im Parlamentarischen Rat Achtung vor der ehrlichen Meinung des Andersdenkenden bekommen haben. Unser aller ich glaube, das darf ich sagen herzlichster Wunsch ist, daß dieser Gewinn nicht nur in diesen Mauern bleiben möge, sondern daß er hinausgetragen werde in den Kampf der Parteien und daß der Wahlkampf, der nun bald beginnen wird, in vornehmer und sachlicher Weise geführt wird -

-

(Beifall)

und

das möchte ich nochmals betonen

Meinung Andersdenkender. (Bravo!) -

in -

Anerkennung

der ehrlichen

Vorlage geändert aus: „daß wir alle gegenseitig uns hassen und streiten; es trennen Neigung und Meinung, aber indessen bleichet Deine Locke dir, die Locke, wie mir." ) Gemeint waren hier wahrscheinlich die Ausführungen von Heuss in der 10. Sitzung am

')

In der

uns

8. Mai 1949. Siehe S. 537.

699

Nr. 12

Zwölfte

Sitzung

des Plenums 23. Mai 1949

Meine Damen und Herren! Gemäß Artikel 145 verkünde ich im Namen und im Auhrage des Parlamentarischen Rates

(Die Anwesenden erheben sich

den Sitzen) Groß-Berlins das Grundgesetz22). Es tritt Mitwirkung Abgeordneten mit Ablauf des heutigen Tages in Krah. Es wird in Nummer 1 des Bundesgesetzblattes von heute veröffentlicht23). Meine Damen und Herren! Wir sind der festen Überzeugung, daß wir durch unsere Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Wiedervereinigung des ganzen deutschen Volkes und auch zur Rückkehr unserer Kriegsgefangenen und Verschleppten leisten. unter

von

der

(Beifall.)

Wir wünschen und

hoffen, daß bald der Tag kommen möge, an dem das ganze deutsche Volk unter dieser Fahne wieder vereint sein wird. (Beifall und Händeklatschen.) Uns alle leitete bei unserer Arbeit der Gedanke und das Ziel, das die Präambel des Grundgesetzes in so vortrefflicher Weise in folgenden Worten zusammenfaßt: Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dieses Grundgesetz beschlossen. zu dienen, hat das deutsche Volk Möge allezeit der Geist und der Wille, der aus diesen Sätzen spricht, im deutschen Volk lebendig sein. (Lebhaher Beifall. Gemeinsamer Gesang des Liedes „Ich hab mich erge.

ben"24).)

.

.

-

;) Handschr. Bemerkung

am Rande: Zeitpunkt der Verkündigung 16.30 gestrichen, 17.02 16.58-59 Uhr, gestrichen 16.59. In den Akten des Sekretariats des Pari. Rates ein Vermerk unter dem 24. Mai 1949 mit dem Wortlaut: „Die Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland erfolgte am 23. Mai 1949 um 16.56 (korrigiert

gestrichen,

aus 16.58) durch den Präsidenten des Parlamentarischen Rates" (Z 5/2, Bl. 135). ') Außer dieser Publikation im Gesetzblatt gab es bereits eine Druckfassung (PA 5/Nr. 28); die in dieser Sitzung erstellte Ausfertigung wurde bereits 1950 (und anschließend noch mehrmals) als Faksimile publiziert und in einer ersten Aktion 1950 an die Mitglieder

des Pari. Rates, an die Präsidenten der Landtage, die Hohen Kommissare usw. verteilt (Verteiler in: PA 5/Nr. 1). ) Nach dem Tondokument über diese Sitzung (siehe Anm. 6) wurde der Gesang durch Orgelspiel begleitet. Im Vorfeld hatte es offensichtlich Überlegungen gegeben, das Deutschland-Lied zu singen. Nach einem Bericht der Kieler Nachrichten vom 24. Mai 1949 (Z 5/199 F) widersprach jedoch die SPD, weil unerwünschte Zwischenfälle zu befürchten gewesen wären und bestand darauf, daß in die musikalische Umrahmung die Melodie „Ich hab mich ergeben" als Gegengewicht zu „Nun danket alle Gott" aufgenommen würde. Aus einem Schreiben von Carlo Schmid an Hans Walz vom 19. Juli 1949 (FEST NL Schmid/468) ergibt sich, daß auch überlegt worden war, daß der Organist während der Unterzeichnung das Deutschlandlied spielen sollte. „Ich habe mich in der Tat dagegen gewehrt, daß man gewissermaßen im Hintergrund und verschämt das Kaiser-Quartett von Haydn spielen wollte, denn wenn schon die Melodie des Deutschlandliedes ertönen sollte, dann offen und mit seinem Text gesungen. Das wollte aber niemand und ich selber bin froh, daß es dazu nicht gekommen ist." Nach einem Bericht der Westdeutschen Zeitung vom 25. Mai 1949 von Erik Mauthner unter dem Titel „Ich war in der Geburtsstunde dabei" (ebenda) kam der Schlußgesang

700

Zwölfte Ich schließe die (Schluß der

Sitzung. Sitzung 17

Uhr 3

Sitzung des Plenums

23. Mai 1949

Nr. 12

Minuten25).)

für die meisten Teilnehmer überraschend, da das Programm lediglich als Tagesordnung die Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes aufgeführt habe (Programm, bzw. Tagesordnung in: Z 5/210). „Während die einen schon hinausströmten, sangen die anderen stehend das Lied mit. Als aber die Herren Reimann und Renner, die Hände in den Hosentaschen, unter Protest den Saal verließen, schien das doch noch mehr zu ziehen als der Abgesang. Und so drängte die Menge den beiden kommunistischen Abgeordneten zur Tür hinaus nach." Mauthner resümierte: „Ein einziges blieb eindrucksvoll: Rechts und links des Hauptgebäudes wurde während der ganzen Sitzungsdauer rastlos an den Erweiterungsbauten der Pädagogischen Akademie gearbeitet. Die Männer hatten braungebrannte Oberkörper und hantierten unverdrossen mit Schaufel und Spaten, schoben die Loren mit Zementbrei über die Gleise, bedienten den Bauaufzug und schalten die Gußstellen ein. Die großen Fenster des Sitzungssaales gaben den Blick voll frei auf diese Baustellen. Und das Mauerwerk da draußen wuchs mit der Unterschriftensammlung auf dem kostbar eingebundenen Schriftstück förmlich um die Wette." ) Für den Abend war ein Zusammensein der Abgeordneten im Plenarsaal geplant, am folgenden Tag nachmittags noch ein Empfang durch den Präsidenten des Pari. Rates und am Abend eine Einladung durch die alliierten Verbindungsstäbe in der Godesberger Redoute (vorläufiger Terminkalender Z 5/2, Bl. 131). 701

MITGLIEDER DES PARLAMENTARISCHEN RATES ALPHABETISCHES VERZEICHNIS1)

Adenauer, Dr. Konrad (5. Jan. len, Oberbürgermeister i.

19.

1876

April 1967), CDU,

Nordrhein-Westfa-

R. und Vorsitzender der CDU in der britischen -

Zone, MdL

Bauer, Hans-Heinz (28. März 1909), SPD, Bayern, bei der Stadtverwaltung Würzburg, MdL

Becker, Dr. Max (25.

Mai 1888

Notar, MdL

29.

Angestellter (Referatsleiter)

Juli 1960), FDP, Hessen, Rechtsanwalt und

-

Bergsträsser, Dr. Ludwig (23. Febr. 1883 23. März 1960), SPD, Hessen, Regierungspräs, i. R., Professor, MdL Binder, Dr. Paul (29. Juli 1902 25. März 1981), CDU, Württemberg-Hohenzol-

lern, Wirtschahsprüfer, Staatssekretär a. D., MdL Blomeyer, Adolf (15. Jan. 1900 5. März 1969), CDU, Nordrhein-Westfalen, -

Landwirt

(Rittergutsbesitzer)

-

Brentano, Dr. Heinrich von (20. Juni 1904 Rechtsanwalt und Notar, MdL

14. Nov.

1964), CDU, Hessen,

-

14. Dez. 1975), Zentrum, NordrheinBrockmann, Johannes (17. Juli 1888 Westfalen, Generalreferent für Kultus beim Oberpräsidenten Westfalen, -

MdL

Dr. Paul de (11. Dez. 1876 a. D., MdBürgerschaft Senator Notar,

Chapeaurouge, Dehler,

Dr. Thomas

richtspräsident, Diederichs, Landrat

Dr. a.

(14.

Dez. 1897

MdL

Georg (2. Sept.

D., Volkswirt und

21.

5. Okt. -

1952), CDU, Hamburg,

Juli 1967), FDP, Bayern, Oberlandesge-

-

1900

19. -

Apotheker,

Juni 1983), SPD, Niedersachsen, MdL

1) Grundlage der Aufstellung ist Drucks.

Nr. 21; für nähere biographische Hinweise siehe Anhang/1; aus den dort vorliegenden Informationen wurde insbes. die Berufsangabe entnommen. Biographische Daten ferner bei Lange: Die Würde des Menschen, S. 183 f., für die CDU/CSU-Mitglieder bei Salzmann: Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. XV. Die Todesdaten nach einer Aufstellung des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages. Angegeben wurde jeweils Name, Vorname, Lebensdaten, Parteizugehörigkeit, entsendendes Land, Beruf zum Zeitpunkt der Wahl in den Parlamentarischen Rat, Mitgliedschaft in einem Landtag (Bürgerschaft). Z5

703

Mitglieder des Parlamentarischen Rates Eberhard, Dr. Fritz (2. Okt. 1896 30. Staatssekretär, Leiter des Deutschen

März 1982), SPD, Württemberg-Baden, Büros für Friedenshagen, MdL

Ehlers, Adolf (21. Febr.

1978), SPD, Bremen, Senator für Inne-

-

Fecht,

20. Mai

1898

MdL

res,

Dr. Hermann

-

(20. Mai

Justizmi-

-

Ausgeschieden

Bern.:

Febr. 1952), CDU, Südbaden,

4.

1880

nister, MdL

Finck, Dr. Albert (15. dienrat, MdL

am

7. März 1949; Ersatz: Hilbert

März 1895

Aug. 1956), CDU, Rheinland-Pfalz,

3.

Stu-

-

Gayk, Andreas (11. Okt. 1893 1. bürgermeister von Kiel, MdL

Okt. 1954), SPD,

Schleswig-Holstein,

Ober-

-

Grève, Dr. Otto Heinrich (30. Jan. Rechtsanwalt, MdL Bern.:

Ausgeschieden

am

und Minister

a.

11.

Juni 1968), SPD, Niedersachsen,

-

20. Mai 1949; Ersatz: Ollenhauer

Heiland, Rudolf (8. Sept. 1910 Einzelhändler, Bürgermeister Heile, Wilhelm (18. Dez.

1908

1881

17.

D., MdL

1965), SPD, Nordrhein-Westfalen, Marl, MdL Aug. 1969), DP, Niedersachsen, Landrat

6. Mai -

von

-

Hermans, Hubert (20. März

28. Dez.

1909

Ministerialrat

1989), CDU, Rheinland-Pfalz,

-

Bern.: Ersatz für Dr. Süsterhenn

Heuss, Dr. Theodor (31. Jan. 1884 Professor, Staatsminister a. D., heier Schriftsteller, MdL

Hilbert,

Anton

(24. Dez.

(21. Okt.

Dr. Fritz

20. Okt.

1896

„Rhein-Neckar-Zeitung",

1986), CDU, Baden, Staatssekretär 1984), SPD, Hessen, Regierungspräsi-

-

Dr. jur. Werner (23. Febr. 1902 21. Sept. 1984), CDU, NiedersachJustizminister und Minister für die Entnazifizierung, Rechtsanwalt und

Hofmeister,

-

Notar, MdL

Bern.: Ersatz für

Rönneburg

Höpker Aschoff, Westfalen,

Dr. Hermann Finanzminister

Kaiser, Jakob (8. Febr. West-Berliner

a.

16.

1883

Jan. 1954), FDP, Nordrhein-

-

D. 7. Mai

1888 -

1961), CDU, Berlin, Herausgeber der

Stadtverordneter

Mitglied

Katz, Dr. Rudolf (30. Sept.

Justizminister

(31. Jan.

Zeitung „Der Tag",

Bern.: Beratendes

704

der

-

dent sen,

1963), FDP, Württemberg-Baden,

Mitherausgeber

16. Febr.

1898

Bern.: Ersatz für Fecht

Hoch,

12. Dez. -

23.

1895 -

Juli 1961), SPD, Schleswig-Holstein,

Mitglieder des Parlamentarischen Rates Kaufmann, Theophil (4. Dez. 1888 22. Aug. 1961), CDU, Württemberg-Baden, Bürgermeister a. D., Schriftsteller, Mitglied des Wirtschahsrates -

Kleindinst, Dr. Ferdinand (20. Okt. 1881 8. Sept. 1962), CSU, Bayern, Stadtrechtsrat, Referent an der Regierung von Schwaben -

Kroll,

Dr. Gerhard

(20. Aug.

MdL

10. Nov.

1910

1963), CSU, Bayern, Landrat,

-

Kühn, Adolf (31.

Mai 1886

rungsdirektor,

MdL

23. -

April 1968), CDU, Württemberg-Baden, Regie-

Bern.: Ersatz für Walter

Kuhn, Karl (14. Febr. in der

1898

Kreisverwaltung

Laforet, Dr. Wilhelm (9. professor, MdL

18. Okt. 1986), SPD, Rheinland-Pfalz, Bad Kreuznach, MdL

-

Nov. 1877

14.

Sept. 1959), CSU, Bayern,

Leasing, Lambert (14. Nov. 1889 Zeitungs- und Buchverleger a.

Dez. 1875

3. -

D.

Bern.: Beratendes

Universitäts-

-

Lehr, Dr. Dr. h. c. Robert (20. Aug. 1883 Westfalen, Oberpräsident a. D., MdL

Lobe, Paul (14.

Angestellter

25. -

13.

Okt. 1956), CDU, Nordrhein-

-

April 1965), CDU, Nordrhein-Westfalen,

Aug. 1967), SPD, Berlin, Reichstagspräsident

Mitglied

Löwenthal, Dr. Fritz (15. Sept. 1888 28. Aug. 1956), SPD, Nordrhein-Westfalen, Rechtsanwalt, Ministerialdirektor a. D. -

Bern.: Aus der SPD

am

Maier, Friedrich (29. Dez. MdL

4. Mai 1949

ausgetreten

14. Dez.

1894

1960), SPD, Südbaden, Ministerialrat,

-

Mangoldt,

Dr. Hermann von (18. Nov. 1895 Holstein, Minister a. D., Professor, MdL

Mayr, Karl Sigmund (3.

24. -

Febr. 1953), CDU,

Schleswig-

Mai 1906 19. Juli 1978), CSU, Bayern, Diplom-Volkswirt, Steuerberater, Wirtschahsprüfer Menzel, Dr. Walter (13. Sept. 1901 24. Sept. 1963), SPD, Nordrhein-Westfalen,

Innenminister, MdL

Mücke,

Dr. Willibald

anwalt

Nadig, Friederike (11.

(28. August

-

-

25. Nov.

1904

1984), SPD, Bayern, Rechts-

-

Dez. 1897

14.

Aug. 1970), SPD, Nordrhein-Westfalen,

Bezirkssekretärin der Arbeiterwohlfahrt, MdL -

Ollenhauer, Erich (27.

März 1901

Parteivorsitzender

14. Dez.

1963), SPD, Niedersachsen, Stellv.

-

Bern.: Ersatz für Grève 705

Mitglieder des Parlamentarischen Rates Paul, Hugo (28. Okt. a.

1905

D., MdL

Bern.:

Okt. 1962), KPD, Nordrhein-Westfalen, Minister

12. -

Ausgeschieden

am

Okt. 1948; Ersatz: Renner

6.

Pfeiffer, Dr. Anton (7. April 1888 20. Juli 1957), CSU, Bayern, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, MdL 11. Nov. 1984), FDP, Berlin, Dozent Reif, Dr. Hans (19. Jan. 1899 für Nationalökonomie, Mitherausgeber der „Berliner Morgenpost", Stadtver-

-

ordneter

Bern.: Beratendes

Mitglied

Reimann, Max (31. Okt.

1898

Jan. 1977), KPD, Nordrhein-Westfalen,

18.

Bergmann

-

Renner, Heinz (6. Jan. 1892 ster a. D., Journalist, MdL

Jan. 1964), KPD, Nordrhein-Westfalen, Mini-

11.

-

Bern.: Ersatz für Paul

Reuter, Ernst (29. Juli

1889

Sept. 1953), SPD, Berlin, Stadtrat, Oberbürger-

29.

meister

-

Bern.: Beratendes

Mitglied

Heinrich (8. Jan. 1887 kreisdirektor i. R.

Rönneburg, Bern.:

Ausgeschieden

Rosshaupter,

Albert (8.

am

24.

April

Sept. 1949), CDU, Niedersachsen,

1. -

Ober-

Febr. 1949; Ersatz: Dr. Hofmeister 14. Dez.

1878

1949), SPD, Bayern, Staatsmini-

-

ster a. D. Bern.: Ersatz für Seifried

Hermann (28. Okt. 1902 Bezirkssekretär der SPD

3. Mai

Runge,

Schäfer,

Dr. Hermann (6. April 1892 Geschäftsführer der Hanseatischen

Schlör, Kaspar Gottfried (17. Febr.

1975), SPD, Nordrhein-Westfalen,

-

-

26. Mai 1966), FDP, Niedersachsen, 1826 und Merkur-Ersatzkasse

von

15. Okt.

1888

gierungsrat

1964), CSU, Bayern, Oberre-

-

Schmid, Dr. Carlo (3. Dez. 1896 11. Dez. 1979), SPD, Württemberg-Hohenzollem, Professor, Justizminister und stellv. Staatspräsident, MdL -

Schönfelder, Adolf (5. April 1875 Hamburger Bürgerschah Schräge, Josef (6. Mai 1881 27.

3. Mai -

Nov.

1966), SPD, Hamburg, Präsident der

1953), Landrat, MdL

-

Schröter, Carl (29. Schwalber, tär im 706

25. Febr.

Mai 1887

dienrat i. R., MdL

-

1952), CDU, Schleswig-Holstein, Stu-

Josef (19. März 1902 16. Aug. 1969), CSU, Bayern, Bayerischen Staatsministerium des Innern, MdL

Dr.

-

Staatssekre-

Mitglieder des Parlamentarischen Rates Seebohm, Dr. Ing. Hans-Christoph (4. Aug. 1903 17. Sept. 1967), DP, Niedersachsen, Minister, Geschäftsführer der C. Deilmann Bergbau GmbH, Berg-

MdL

assessor,

1914-15. Okt.

Seibold, Dr. Kaspar (14. Okt.

1995), CSU, Bayern, Diplom-Land-

wirt

Seifried, fosef (9. Innern Bern.:

Seibert,

a.

Mai 1892

Ausgeschieden

Dr. Elisabeth

Juli 1962), SPD, Bayern,

9.

D., MdL

Staatsminister des

-

am

14. Okt. 1948; Ersatz:

(22. Sept.

1896

9.

Rosshaupter Juni 1986), SPD, Niedersachsen,

-

Rechtsanwältin und Notarin, MdL in Hessen

Stock, Jean (7. Juni

1893

Jan. 1965), SPD, Bayern, Buchdruckereibesitzer,

13.

Regierungspräsident a. D., MdL Strauß, Dr. Walter (15. Juni 1900 1. Jan. 1976), CDU, Hessen, Staatssekretär, Leiter des Rechtsamts der Verwaltung des VWG -

-

Suhr, Dr. Otto (17. Aug. 1894 30. Aug. 1957), SPD, Berlin, Stadtverordnetenvorsteher, Direktor der Deutschen Hochschule für Politik Bern.: Beratendes Mitglied Süsterhenn, Dr. Adolf (31. Mai 1905 24. Nov. 1974), CDU, Rheinland-Pfalz, Justiz- und Kultusminister, MdL Bern.: Am 5. Mai 1949 ausgeschieden; Ersatz: Hermans Wagner, Friedrich Wilhelm (28. Febr. 1894 17. März 1971), SPD, RheinlandPfalz, Rechtsanwalt, MdL -

-

-

17. Febr. 1949), CDU, Württemberg-Baden, Walter, Felix (19. Sept. 1880 Ministerialrat, MdL Bern.: Ausgeschieden durch Ableben; Ersatz: Kühn Weber, Dr. h. c. Helene (31. März 1881 25. Juli 1962), CDU, Nordrhein-Westfalen, Ministerialrätin a. D. -

-

Wessel, Helene (6. Juli

Fürsorgerin,

13. Okt.

1898

MdL

Wirmer, Ernst (7. Jan.

1969), Zentrum, Nordrhein-Westfalen,

-

1910

19. -

Aug. 1981), CDU, Niedersachsen, Oberregie-

rungsrat (24. März 1912 Stadtdirektor in Essen len,

Wolff,

Dr. Friedrich

13. Dez.

1976), SPD, Nordrhein-Westfa-

-

(18. Juni 1899 26. Dez. 1977), SPD, Niedersachsen, RedakLizenzträger der „Nordwest-Rundschau" Zimmermann, Gustav (2. Dez. 1888 1. Aug. 1949), SPD, Württemberg-Baden, Wunderlich,

Hans

teur und

-

Landesdirektor des Innern, MdL

27. März

Zinn, August (27. Mai 1901 und Direktor des

-

-

1976), SPD, Hessen, Minister der Justiz

Landespersonalamtes

Hessen 707

VERZEICHNIS DER

A.

=

Abdr.

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Anm. Art. ASt

Aug.

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Bd. BdMinPräs. Bl. CDU ChE CSU

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Kl. Erw.

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Kurzprot.

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KZ

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MilReg.

MinPräs.

Artikel Außenstelle

August Ausfertigung Bayerisches Hauptstaatsarchiv Büro der

=

MdL MdR

Abgeordneter Anmerkung

Band

Dok.

HptA Hrsg.

Abdruck

=

Dez. DP DPD

Auflage

=

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=

=

=

=

ABKÜRZUNGEN

Ministerpräsidenten

Blatt Christlich Demokratische Union Deutschlands Chiemseer Entwurf Christlich-Soziale Union Dezember Dokument Deutsche Partei Deutscher Pressedienst Drucksache Freie Demokratische Partei Februar

Friedrich-Ebert-Stihung Grundgesetz Gesetz-Sammlung für die

Preußischen Staaten

handschriftlich

Hauptausschuß Herausgeber, herausgegeben Institut für Zeitgeschichte

Januar

Jahrgang Kleine Erwerbung

Kommunistische Partei Deutschlands

Kurzprotokoll Konzentrationslager Mitglied des Landtages Mitglied des Reichstages Militärregierung Ministerpräsident(en)

Verzeichnis der NDB NL Nov. Nr. o. Bl. o. O. Okt. OMGUS PA

Pari. Präs. RG S. SAPMO SBZ SED

Sept. SMAD STBKAH steliv.

Stenogr. TOP Umdr.

undat. ungez. vervielf.

Abkürzungen = = =

=

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VfZ

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=

Vizepräs. VO Vol. Vors. VWG

Wortprot. WRV Z

710

=

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=

=

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=

Neue Deutsche

Nachlaß November

Biographie

Nummer

ohne Blattzählung ohne Ort Oktober Office of Military Government United States Parlamentsarchiv Parlamentarisch Präsident Record Group Seite Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv

Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands September Sowjetische Militäradministration Stihung Bundeskanzler-Adenauer-Haus stellvertretender

Stenografisch Tagesordnungspunkt Umdruck undatiert

ungezeichnet vervielfältigt Vierteljahrshefte Vergleiche Vizepräsident Verordnung

für

Zeitgeschichte

Volume Vorsitzender

Vereinigtes Wirtschahsgebiet

Wortprotokoll Weimarer Zentrum

Reichsverfassung

VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN

QUELLEN

Bundesarchiv, Hauptdienststelle Koblenz Parlamentarischer Rat (Z 5) Büro der Ministerpräsidenten des amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebietes (Z 12) Office of Military Government OMGUS, Mikrofiches aus der RG 260, National Archives Washington DC (Z 45 F) Kleine Erwerbung 792: Kopien aus dem Public Record Office (FO 371/76658-76660, 76687 und FO 1083/85-87) NL Blankenborn NL Heuss NL Jellinek B 122 Bundespräsidialamt, Amtszeit Heuss

Archiv der Parteien und

Massenorganisationen der

DDR im Bundesarchiv

(SAPMO) NY 4230

(NL Reimann)

Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bonn (PA) Parlamentarischer Rat (Bestand 5)

Stihung Bundeskanzler-Adenauer-Haus,

Bad Honnef-Rhöndorf (BKAH)

NL Konrad Adenauer

Friedrich Ebert-Stihung, Archiv der sozialen Demokratie (FEST) NL Carlo Schmid NL Menzel Public Record Office, Kew/London Foreign Office (FO 371)

711

VERZEICHNIS DER GEDRUCKTEN

1,

QUELLEN UND DER LITERATUR

DOKUMENTATIONEN, DOKUMENTENSAMMLUNGEN

Adenauer, Konrad: Briefe 1945-1947; 1947-1949. Bearb. von Hans sing. Berlin 1983, 1984. (Zitiert Mensing: Adenauer, Briefe).

Peter Men-

Akten

zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949. Herausgegeben von Bundesarchiv und Institut für Zeitgeschichte. (Zitiert Akten zur Vorgeschichte Bd. 1 ff.). Bd. 1: Sept. 1945-Dez. 1946 bearb. von Walter Vogel und Christoph Weisz.

München, Wien

1976.

Bd. 2: Jan.-Juni 1947 bearb. von Wolfram Werner. München, Wien 1979. Bd. 3: Juni-Dez. 1947 bearb. von Günter Plum. München, Wien 1982. Bd. 4: Jan.-Dez. 1948 bearb. von Christoph Weisz, Hans-Dieter Kreikamp und Bernd Steger. München, Wien 1983. Bd. 5: Jan.-Sept. 1949 bearb. von Hans-Dieter Kreikamp. München, Wien 1981.

Benz, Wolfgang (Hrsg.): „Bewegt

von der Hoffnung aller Deutschen." Zur Geschichte des Grundgesetzes. Entwürfe und Diskussionen 1941-1949. München 1979. (Zitiert Benz: Zur Geschichte des Grundgesetzes). Senat von Berlin (Hrsg.): Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung 1946— 1948. Berlin 1959. Brommer, Peter (Bearb.): Quellen zur Geschichte von Rheinland-Pfalz während der französischen Besatzung März 1945-August 1949. Mainz 1985. Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz Bd. 6. Bucher, Peter (Hrsg.): Adolf Süsterhenn. Schrihen zum Natur-, Staats- und

Verfassungsrecht.

Mainz 1991.

Civil Administration Division, Office of Military Government for Germany (US), (Hrsg.): Bundesstaatliche Verfassungen, [o. O.] Sept. 1948. Documents on the creation of the German Federal Constitution. Prepared by Civil Administration Division, Office of Military Government for Germany (US). Berlin 1949. Foreign Relations of the United States. Diplomatic Papers. 1948, Vol. H: Germany and Austria. Washington 1973. Höroldt, Dietrich: 25 Jahre Bundeshauptstadt Bonn. Eine Dokumentation. Bonn 1974.

Kaff, Brigitte (Bearb.): Die Unionsparteien

1946-1950. Protokolle der Arbeitsgemeinschah der CDU/CSU Deutschlands und der Konferenzen der Landesvorsitzenden. Düsseldorf 1991. Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 17. (Zitiert Kaff: Die Unionsparteien 1946-1950).

713

Verzeichnis der gedruckten

Quellen und der Literatur

Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv. (Zitiert Der Pari. Rat Bd. 1 ff.) Bd. 1: Vorgeschichte. Bearb. von Johannes Volker Wagner. Boppard 1975. Bd. 2: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee. Bearb. von Peter Bucher. Boppard 1981. Bd. 3: Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung. Bearb. von Wolfram Werner.

Boppard

1986.

Bd. 4: Ausschuß für das

Boppard

Besatzungsstatut. Bearb.

von

Wolfram Werner.

1988.

Bd. 5/1 und II: Ausschuß für Grundsatzhagen. Bearb. von Eberhard Pikart und Wolfram Werner. Boppard 1993. Bd. 6: Ausschuß für Wahlrechtshagen. Bearb. von Harald Rosenbach. Bop-

pard

1994.

Bd. 7: Entwürfe

zum

Grundgesetz.

Bearb.

von

Michael Hollmann.

Boppard

1995. Bd. 8: Die

Beziehungen des Parlamentarischen Rates zu den Militärregierungen. Bearb. von Michael F. Feldkamp. Boppard 1995. Bd. 10; Ältestenrat, Geschähsordnungsausschuß, Überleitungsausschuß. Bearb. von Michael F. Feldkamp. [Im Druck, 1996]. Parlamentarischer Rat. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe). Formulierungen der Fachausschüsse, des Allgemeinen Redaktionsausschusses, des Hauptausschusses und des Plenums. Bonn 1948/49. (Zitiert

Entwürfe).

Parlamentarischer Rat. Stenographische Berichte über die Plenarsitzungen. Bonn 1948/49. (Zitiert Stenogr. Berichte). Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses. Bonn 1948/49.

(Zitiert Verhandlungen).

Parlamentarischer Rat. Fundstellenverzeichnis zum Grundgesetz. Bonn 1949. Parlamentarischer Rat. Schrihlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn [1950]. Pfetsch, Frank R. (Hrsg.): Verfassungsreden und Verfassungsentwürfe, Länderverfassungen 1946-1953. Frankfurt, Bern, New York 1986. Pommerin, Reiner: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Porträtskizzen des britischen Verbindungsoffiziers Chaput de Saintonge, in: VfZ 36 (1988), S. 557-588. (Zitiert Pommerin: Die Mitglieder des Pari. Rates). Salzmann, Rainer (Bearb.): Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionshaktion. Stuttgart 1981. (Zitiert Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat). Smith, Jean Edward (Bearb.): The papers of General Lucius D. Clay. Germany 1945-1949, 2 Vol. Bloomington-London 1974. (Zitiert Smith: Clay Pa-

pers).

Der Zonenbeirat

714

zur

Verfassungspolitik. Hamburg

1948.

Verzeichnis der 2. AMTS- UND

gedruckten Quellen und der Literatur

GESETZBLÄTTER

Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats in Deutschland. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt. Gesetz-Sammlung für die Preußischen Staaten.

Reichsgesetzblatt. Sammlung der Länderratsgesetzgebung.

3. MEMOIREN UND DARSTELLUNGEN

Abraham,

J. [.

Hans

sammlung

in

.

.] (Hrsg.): Kommentar zum Bonner Grundgesetz. LoseblattOrdnern [„Bonner Kommentar"]. Hamburg 1950 ff.

neun

Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953. Stuttgart 1965. Altrichter, Helmut: Die verhinderte Neuordnung? Sozialisierungsforderungen

und Parteipolitik in den Westzonen 1945-1948, in: Geschichte in Wissenschah und Unterricht 35 (1984), S. 351-364. Anschütz, Gerhard: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 1. A. 1921, 14. A. Berlin 1933, Nachdruck der 14. A. Bad Homburg v. d. H. [. .] 1968. (Zitiert nach 14. A., G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches). Antoni, Michael: Sozialdemokratie und Grundgesetz. Bd. 1, Berlin 1991; Bd. 2, Berlin 1992. Bender, Klaus: Deutschland, einig Vaterland? Die Volkskongreßbewegung für deutsche Einheit und einen gerechten Frieden in der Deutschlandpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Frankfurt/Main [. .] 1992. Europäische Hochschulschrihen Reihe III Bd. 509. Benz, Wolfgang: Von der Besatzungsherrschah zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946-1949. Frankfurt a. M. 1984. Ders.: Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone zum souveränen Staat. München 1984. Birke, Adolf M.: Großbritannien und der Parlamentarische Rat. VfZ 42 (1994), .

.

S. 313-359. Bettina: Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik. Zur Auseinandersetzung um die Frankfurter Dokumente im Juli 1948.

Blank,

München 1995. Studien

zur

Zeitgeschichte,

Bd. 44.

Böhler, Wilhelm: Elternrecht, Schulhagen und Reichskonkordat im Parlamenta-

rischen Rat und in der Geschichte der deutschen Bundesrepublik und der Länder, in Hanns Seidel (Hrsg.): Festschrift zum 70. Geburtstag von Dr. Hans Ehard. München o. J. S. 178-191. Braas, Gerhard: Die Entstehung der Länderverfassungen in der Sowjetischen Besatzungszone 1946/1947. Mannheimer Untersuchungen zur Politik und Geschichte der DDR, Bd. 4. Köln 1987. Bracher, Karl Dietrich: Theodor Heuss und die Wiederbegründung der Demokratie in Deutschland. Tübingen 1965. 715

Verzeichnis der

gedruckten Quellen und der Literatur

Brentano, Heinrich

Betrachtungen zum Bonner Grundgesetz, Schlechte Voraussetzungen erträgliche Leistungen. In: Die Wandlung, August 1949, S. 647 ff. v.:

Conze, Werner: Jakob Kaiser, Politiker zwischen Ost und West -

1945-1949.

Stuttgart [. .] 1969. Diestelkamp, Reinhard: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Historische Betrachtungen zur Entstehung und Durchsetzung der Theorie vom Fortbestand des Deutschen Reiches als Staat nach 1945, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsge.

schichte Bd. 7 (1985), S. 181-207. Verfassungsgebung in den Westzonen nach 1945. Länderverfassungen und Grundgesetz. In: Zeitschrih für Neuere Rechtsgeschichte Bd. 11 (1989),

Ders.:

S. 168-183.

Doemming, Klaus-Berto

Füsslein, Rudolf Werner; Matz,

EntstehungsJahrbuch des öffentlichen Grundgesetzes, Rechts der Gegenwart. Neue Folge Bd. 1. Hrsg. von Gerhard Leibholz und Hermann v. Mangoldt, Tübingen 1951. (Zitiert v. Doemming, Füsslein, Matz: Entstehungsgeschichte). Dreher, Klaus: Ein Kampf um Bonn. München 1979. Eschenburg, Theodor: Jahre der Besatzung. Stuttgart 1983. Geschichte der Bundesrepublik Bd. 1. Friedrich, Carl J.: Rebuilding the German Constitution, in: The American Politigeschichte

v.;

der Artikel des

cal Science Review XLIII/3,

Werner:

in:

Juni

1949.

Fromme, Friedrich Karl: Von der Weimarer

Verfassung zum Bonner Grundgeverfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur. Tübingen

setz. Die aus

1960; 2. A. 1962.

Gimbel, John: Amerikanische Besatzungspolitik Frankfurt/Main 1971. Golay, John Ford: The founding of the Federal

in Deutschland 1945-1949.

Republic

of

Gemany. Chicago

1958.

Gotto, Klaus: Die katholische Kirche und die Entstehung des Grundgesetzes, in:

Kirche und Katholizismus 1945-1949, hrsg. von Anton Rauscher. München, Paderborn, Wien 1977. Grabbe, Hans-Jürgen: Die deutsch-alliierte Kontroverse um den Grundgesetzentwurf im Frühjahr 1949, in: VfZ 26 (1978), S. 393-418. Hirscher, Gerhard: Carlo Schmid und die Gründung der Bundesrepublik. Eine politische Biographie. Bochum 1986. Ders.: Sozialdemokratische Verfassungspolitik und die Entstehung des Bonner

Grundgesetzes.

Eine

biographietheoretische Untersuchung

zur

Bedeutung

Walter Menzel. Bochum 1989. Hollerbach Alexander: Zur Entstehungsgeschichte der staatskirchlichen Artikel des Grundgesetzes, in Dieter Blumenwitz [u. a.] Hrsg.: Konrad Adenauer und seine Zeit, Bd. II: Beiträge der Wissenschah. Stuttgart 1976, S. 367von

382.

Grundgesetz und Volksentscheid. Gründe und Reichweite der Entscheidung des Parlamentarischen Rats gegen Formen direkter Demokratie. Opladen 1994. (Zitiert Jung: Grundgesetz und Volksentscheid).

Jung,

716

Otmar:

Verzeichnis der

gedruckten Quellen und der Literatur

Kessel, Martina: Westeuropa und die deutsche Teilung. Englische und französische

1947.

Deutschlandpolitik München

auf den Außenministerkonferenzen

Kock, Peter Jakob: Bayerns Weg in die Bundesrepublik. Stuttgart Kock:

von

1945 bis

1989. 1983.

(Zitiert

Bayerns Weg).

Krieger, Wolfgang: General Lucius D. Clay und die amerikanische Deutschlandpolitik. Stuttgart 1987. (Zitiert Krieger: General Lucius D. Clay). Lange, Erhard: Wahlrecht und Innenpolitik, Entstehungsgeschichte und Analyse der Wahlgesetzgebung und Wahlrechtsdiskussion im westlichen Nachkriegsdeutschland. Meisenheim am Glan 1975. (Zitiert Lange: Wahlrecht). Ders.: Entstehung des Grundgesetzes und Öffentlichkeit. Zustimmung erst nach Jahren, in: Zeitschrih für Parlamentshagen 10 (1979), S. 378-404.

Ders.: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz. Heidelberg 1993. (Zitiert Lange: Der Pari. Rat). Ley, Richard: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Ihre Wahl, Zugehörigkeit zu Parlamenten und Regierungen. Eine Bilanz nach 25 Jahren, in: Zeitschrih für Parlamentsfragen 4 (1973), S. 373-391. Ders.: Organisation und Geschähsordnung des Parlamentarischen Rates, in: Zeitschrih für Parlamentshagen 6 (1975), S. 192-202. Ders.: Föderalismus-Diskussion innerhalb der CDU/CSU Von der Parteigrünbis des zur Mainz 1978. dung Verabschiedung Grundgesetzes. Litchfield, Edward H.: Emergence of German Governments, in: Governing Postwar Germany. New York 1953, S. 19-54. Maier, David Aaron: Managing the West Germans: The occupation statute of 1949 horn gestation to burial, 1945-1955. Ann Arbor/Michigan 1990. Marienfeld, Wolfgang: Konferenzen über Deutschland. Die alliierte Deutschlandplanung und -politik 1941-1949. Hannover 1963. Mayer, U. und Stuby, G. (Hrsg.): Die Entstehung des Grundgesetzes. Beiträge -

und Dokumente. Köln 1976.

Menzel, Walter: Die verfassungspolitischen Entscheidungen im Grundgesetz, in: Deutsche Verwaltung 2 (1949), S. 312-315. Merkl, Peter H.: Die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1965. 1963.

Original:

Morsey, Rudolf: 18

The

Origin

of the West German

Republic.

New York

Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat, in: VfZ

(1970), S.

62-94.

Entscheidung für den Westen. Die Rolle des Ministerpräsidenten in den drei Westzonen im Vorfeld der Bundesrepublik Deutschland 1947-1949, in: Westfälische Forschungen 26 (1974), S. 1-24. Ders.: Die Entstehung des Bundesrates im Parlamentarischen Rat, in: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Krah. Beiträge zum fünfundzwanzig] ährigen Bestehen des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Bundesrat. Bad Honnef-Darmstadt 1974, S. 63-77. Ders.: Konrad Adenauer und der Weg zur Bundesrepublik Deutschland 1946 bis 1949, in: Konrad Adenauer und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Rudolf Morsey. Stuttgart Zürich 1979, S. 9-39. Ders.:

-

717

Verzeichnis der

gedruckten Quellen und der Literatur

Ders.:

Verfassungsschöpfung unter Besatzungsherrschah Die Entstehung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat, in: Die Öffentliche Verwaltung 42 -

(1989), S. 471-482. Ders.: Die letzte Krise des Parlamentarischen Rates und ihre Bewältigung (März/April 1949), in: Staat, Kirche und Wissenschah in einer pluralistischen Gesellschah. Festschrih zum 65. Geburtstag von Paul Mikat. Hrsg. von Dieter Schwab u. a., Berlin 1989, S. 393-410. Neue Deutsche Biographie. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschahen. Bd. 1 ff., Berlin 1953 ff. (Zitiert NDB, Bd. 1 ff). Niclauß, Karlheinz: Demokratiegründung in Westdeutschland. Die Entstehung der Bundesrepublik 1945-1949. München 1974. Otto, Volker: Das Staats Verständnis des Parlamentarischen Rates. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Düsseldorf 1971. Der Parlamentarische Rat 1. September 1948-23. Mai 1949. Eine Ausstellung des Bundesarchivs. Koblenz 1988. Peschel, Kurt: Der stenografische Dienst im Parlamentarischen Rat, in: Neue Stenographische Praxis 1 (1953), S. 24-26. Pfeiffer, Anton: Vom Werden einer Verfassung, in: Die öffentliche Verwaltung, 1. Jhrg., Heh 2, November 1948. Pfetsch, Frank R.: Verfassungspolitik der Nachkriegszeit. Theorie und Praxis des bundesdeutschen Konstitutionalismus. Darmstadt 1985. Ders.: Die Gründergeneration der Bundesrepublik, Sozialprofil und politische Orientierung, in: Politische Vierteljahrsschrih 27 (1986), S. 215-251. Pommerin, Reiner: Von Berlin nach Bonn. Die Alliierten, die Deutschen und die Hauptstadtfrage nach 1945. Köln, Wien 1989. (Zitiert Pommerin: Von Berlin nach Bonn). Rengel, Jürg: Berlin nach 1945. Politisch-rechtliche Untersuchungen zur Lage der Stadt im geteilten Deutschland. Frankfurt [. .] 1993. Reuter, Christiane: „Graue Eminenz der bayerischen Politik". Eine politische Biographie Anton Pfeiffers 1888-1957. München 1987. Miscellanea Bavarica Monacensia, Bd. 117. Schewick, Burkhard van: Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950. Mainz 1980. Schlegelmilch, Arthur: Hauptstadt im Zonendeutschland. Die Entstehung der Berliner Nachkriegsdemokratie 1945-1949. Berlin 1993. Schriften der Historischen Kommission zu Berlin Bd. 4. (Zitiert Schlegelmilch: Haupt.

stadt).

Schmid, Carlo: Erinnerungen. Bern 1979. Schockenhoff, Volker: Wirtschahsverfassung und Grundgesetz. Die Auseinandersetzungen in den Verfassungsberatungen 1945-1949. Frankfurt/Main 1986.

Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer in der Zeit des Nationalsozialismus. 3. A., Düsseldorf 1994. (Zi-

Schumacher, Martin (Hrsg.): M.d.R.;

Republik

tiert Schumacher: 718

M.d.R.).

Verzeichnis der gedruckten Quellen und der Literatur Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Wideraußenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherr-

Schwarz, Hans-Peter: streit der

schah 1945-1949. Neuwied, Berlin 1966. Ders.: Adenauer. Der

Adenauer).

Aufstieg:

1876-1952.

Stuttgart

1986.

(Zitiert Schwarz:

Simons, Hans: The Bonn Constitution and its Government, in: Hans J. Morgenthau

(Hrsg.): Germany and the Future of Europe. Chicago 1951. Werner: Konsensus und Interessen. Eine Studie zur Entstehung des

Sörgel, Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1969. Stern, Klaus (Hrsg.): 40 Jahre Grundgesetz. Entstehung, Bewährung und tionale Ausstrahlung. München 1990.

interna-

Strauß, Walter: Die Arbeit des Parlamentarischen Rates, in: Politisches Jahrbuch der CDU/CSU. 1 (1950). Hrsg. vom Generalsekretariat der Arbeitsgemeinschah der CDU/CSU für Deutschland, S. 157-173.

Vogel, Walter: Westdeutschland 1949-1950. Der Aufbau von Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen, Teil I, Koblenz 1956, Teil II, Boppard 1964, Teil III, Boppard 1983. (Zitiert Vogel: Westdeutschland 1949-1950). Wehner, Gerd: Die Westalliierten und das Grundgesetz 1948-1949. Die Londoner Sechsmächtekonferenz. Freiburg 1994. Wengst, Udo: Staatsaufbau und Regierungspraxis 1948-1953. Zur Geschichte der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland. Düsseldorf 1984. Werner, Wolfram: Quellen zur Geschichte des Grundgesetzes. Ein Überblick, in: Aus der Arbeit der Archive. Festschrih für Hans Booms. Hrsg. von Friedrich P. Kahlenberg. Boppard 1989, S. 646-661.

719

PERSONENINDEX1)

Abs, Hermann Josef 513 Acheson, Dean G. 603, 628 Adenauer, Konrad, Dr. IX-XII, XIV,

XVIIXIX, XXII, XXIV, XXVI, XXX f., XXXIV f., XXXVII, 4 f., 12, 18, 66, 132,

147, 150

f.,

156

f.,

159

f.,

163

f., 167,

169, 174, 178, 248, 274, 318, 320, 327, 333, 335, 339, 345-348, 352, 360, 362, 366, 369, 373 f., 376, 379 f., 382, 389, 391, 394-410, 412-429, 432, 444-453, 455-470, 472-474, 476, 479, 482, 484489, 491-495, 497 f., 500 f., 504-507, 512, 516 f., 520, 533, 538, 543, 545547, 549-552, 570 f., 576 f., 580, 582, 584-586, 589-600, 603, 605-607, 612614, 616 f., 619 f., 622 f., 625 f., 631633, 641, 645-647, 650-653, 655 f., 658, 660, 662, 665, 667 f., 670, 672-675, 677, 679-687, 690 f., 694-696, 698, 703 persönliche Bemerkung 552, 570 Schlußworte 626-630, 699 f. Altmeier, Peter 113 Amelunxen, Rudolf, Dr. 582 Amery, Leopold Stennet 642 Anschütz, Gerhard 61 Aquin, Thomas von 47 Arndt, Gerhard 321 Arnold, Karl 1 f., 17, 504, 582 -

-

647, 650 f., 653 f., 657, 670, 686 f., 695, 703

Wahlrechtsfragen 292-298 Wahlgesetz 320-327, 391-395 Bergsträsser, Ludwig, Prof. Dr. VII, zu

-

zum

-

XXXIX, 4, 14, 502, 558, 587, 617, 695, 703 zu

den Bundesfarben 588 f.

Bernadotte, Graf Folke XXXI, 169,

-

Bethmann

479, 481, 486, 501, 617, 663, 695, 703

zu Finanzfragen Bishop, W. Henry

703

Blücher,

Friedrich

Brentano, Heinrich von, XXIII, XXVIII, 4, 320, 349, 351, 362 f., 381, 407 f., 433 f., 450, 456

von

541

Dr. VII, IX, XX, 333, 335, 338, 384, 391 f., 395,

f., 462, 472, 487, 493, 496, 502, 574, 595-598, 605, 617, 642, 652, 674, 677, 681 f., 686-690, 695, 703 zum

Brings,

Wahlgesetz

327-332

Abschluß der Hubert 693

Beratungen

600-603

Brockmann, Johannes X-XII, XVI, XIX f., 541

Bassermann, Friedrich Daniel 337 Bauer, Hans-Heinz 4, 617, 695, 703 Bauer, Otto 383 Bäumer, Gertrud, Dr. 513

Baumgartner, Josef,

Dr. 378, 534 Dr. X, XXIX, 4, 19, 301, 311, 319, 332, 354, 357, 360, f., 366, 378, 385 f., 396 f., 399 f., 406-408, 413 f., 419 f., 425, 428, 497, 502, 591, 617, 639, 641, 645,

Becker, Max, 362

Franz XIX, XXXV

Bodelschwingh,

-

402, 492,

263-267

Alexander 353, 694 Bismarck, Otto Fürst von 533, 619 Blankenborn, Herbert 428, 507, 513 Blomeyer, Adolf 4, 617, 649, 657, 695,

-

zum

303,

199

Theobald 588

Bevin, Ernest 177 Binder, Paul, Dr. 4, 257, 259, 273, 319,

-

Barth, Karl

Hollweg,

-

-

-

-

4, 12, 20, 119, 149, 167, 208, 210, 258, 298, 312, 331, 350, 352, 355, 369, 419, 428, 447, 452, 462, 469, 471, 494, 499, 501 f., 557, 573, 576, 592 f., 605 f., 617, 625, 685, 695, 703 zur Aufgabe des Pari. Rates 143-148 zur Lage in Berlin und zum Urteil eines russ. Militärgerichts 163 f. zur Länderkammer 243-248 zum Wahlgesetz 343-345, 379 f. zu den Grundrechten 580-583

-

1) Die offiziellen Redebeiträge der Abgeordneten wurden

im Rahmen dieses Indexes in

chronologischer Reihenfolge aufgeführt.

721

Personenindex

Brüning, Heinrich,

Faulhaber, Michael von 527 Fechner, Max 509 Fecht, Hermann, Dr. VIII, 4, 430, 704 Finck, Albert, Dr. 4, 178, 248, 318, 409,

Dr. 290, 308

Bühler, Ottmar, Dr. 522 Burckhardt, Jacob 115

502, 605, 617, 640, 695, 704 zu den Grundrechten 572-577 Franco, Francisco 576

-

Paul de, Dr. VII, XX, 4, 14, 367, 418 f., 480-483, 502, 617, 695, 703

Chapeaurouge,

Geschäftsordnung

zur

170-174

Todesstrafe 478 f. de Saintonge, Rolland 427-430, 533, 626, 678 Churchill, Winston Spencer, Sir 7, 186,

-

zur

Chaput

-

Frank, Ludwig 541 Franklin, Benjamin 121 Friedensburg, Ferdinand, Dr. Friedrich, Carl Joachim, Prof.

133 49

Frings, Josef, Kardinal XXXV, 350, 387, 536, 581, 583, 694

311

Lucius

Clay,

D. XIX,

2,

4,

f., 273, 276, 375, 429 f., Clemenceau, Georges 553, 570 265

d'Hondt,

152,

156,

626

Victor 237

Dehler, Thomas, Dr. XXIII f., 4, 137, 231, 240, 404 f., 407, 446, 455, 461, 471, 474-477, 499 f., 502, 573, 589, 596, 598, 600, 608, 612, 615, 617, 619 f., -

-

690, 695, 703 zur Länderkammer 224-229 zum Abschluß der Beratungen 604-607

persönliche Erklärung

692

Garbe, Karl Ernst 80 Garibaldi, Guiseppe 155 Gayk, Andreas 4 f., 169, 178, 248, 357, 360, 617, 664 f., 695, 704 Geibel, Emanuel 118 Geiler, Karl, Prof. 377 Gereke, Günther 253 Gladstone, William Edward 330 Göbel, Georg 640 Goethe, Johann Wolfgang von 196 f. Görres, Johann Joseph 510, 537 Gottwald, Klement 515 Grève, Otto Heinrich, Dr. XXXVIII, 4, 270, 287, 290, 308, 332, 356 f., 359 f., 396 f., 412 f., 418 f., 421, 446, 449, 487, 490 f., 502, 540, 581, 586, 590, 612, 617, 631, 635 f., 638 f., 642, 678, 704

Diederichs, Georg, Dr. XXVII, XXIX, 4, 286 f., 291, 296 f., 299 f., 302 f., 391, -

396, 414, 417, 419, 425, 502, 555, 617, 632, 647, 655, 662, 665, 667, 670-675, 695, 703

Finanzfragen

257-263

Wahlrechtsfragen 278-284 Wahlgesetz 362-366

zu -

zu

Grotewohl, Otto 509 Guardini, Romano 606

-

zum

Dudek, Walter

-

Duesterberg,

252

Theodor 66

Haagen, Dr., Stenograf 176, Hagen, Louis 550 Hamilton, Alexander 108 Harnack, Karl Gustav Adolf

Eberhard, Fritz, Dr. 4, 617, 695, 704 Ebert, Friedrich 114 Eckhardt, Felix von 17 Ehard, Hans, Dr. 513, 532, 535, 596, Ehlers, Adolf VIII, 4, 617, 695, 704 Ehren, Hermann 367

Epp,

Franz Xaver Ritter

Ernst

Erzberger, 276

722

von

von

von

Hartmann, Alfred 249, 251, 260, Hausmann, Conrad 111

Hegel, Georg 696

541 272

Wilhelm Friedrich 115

Heiland, Rudolf 4, 426, 617, 695, 704 Heile, Wilhelm VII, XXIV, 4, 151, 178, 230, 304, 319, 356, 502, 565, 598, 617, 662, 695, 704

91

Hannover 129 Matthias 107, 255, 259, 262,

August, König

318

-

zu Wahlrechtsfragen 298-303 Erklärung zur Abstimmung 618-623

Heine, Heinrich 530,

-

Hellwege,

613

Heinrich 235

Personenindex Helmert, Raymund 549 Hermans, Hubert 430, 502, 617, 653, 668, 695, 704

Kaisen, Wilhelm 156 Kaiser, Jakob VII, XXIV, XXXII, 6, 133, 178,

Hermes, Andreas, Dr. 513

Herrgesell, Stenograf

70, 150, 176, 217,

429, 504, 631 Heuss, Theodor, Dr. VII, X, XII, XIV, XVI f., XXI, XXVIII f., XXXV, XXXVIII, 4 f., 12, 20, 34, 39, 44, 125, 128, 145, 167, 208, 210 f., 234, 298, 329, 355,

f., 390, 394, 449, 566, 569, 572, 574, 576, 581, 599, 602, 607, 609, 617, 634, 674, 688, 690, 695, 699, 704 zur Aufgabe des Pari. Rates 103-119 zur Lage in Berlin und zum Urteil eines 384

-

-

-

-

Militärgerichts

Hilbert, Anton 430, 502, 617, 695,

-

Hilger, Ewald 305 Hilpert, Werner, Dr. 252, Hindenburg, Paul von 66

Lage

russ.

509

in Berlin und

Militärgerichts Einladung des

zum

419, 704

Urteil eines

164-167

Dt. Volksrates 507-

Kant, Immanuel 40 Kastert, Bertram 550 Kather, Linus 640 Katz, Rudolf, Dr. VIII, 4, 238, 242, 304 f., 418, 654 zur

434,

502,

f., 664, 695,

533, 617, 646, 651,

704 Länderkammer 229-233

376,

380,

392-394,

399,

401,

409,

f., 415, 426, 502, 570, 595, 598, 600, 617, 647 f., 692, 705

411 704

zum

264

Wahlgesetz

354-361

Abschluß der Beratungen 612-614 Ketteier, Wilhelm Emmanuel von, Freiherr 541, 572 Kleindinst, Ferdinand, Dr. 4, 599, 616 f., 695, 705 -

zum

-

Hitze, Franz 541 Hoch, Fritz, Dr. 4, 502, 617, 695,

Peter 551 4, 626 Dr. 649 Heinrich, Dr. 252, 505, 692

Klöckner,

704

Hoffmann, Adolf 539 f. Hoffmann, Hans, Dr. 252 Hoffmann, Josef 549 Hofmeister, Werner, Dr. VIII, 319, 502, 617, 674, 695, 704 Högner, Wilhelm 106 Hölderlin, Friedrich 105

Koenig, Pierre Kogon, Eugen, Köhler,

Kolping,

Adolf 540, 572

Konen, Heinrich-Michael, Prof. Dr.

Kopf, Hinrich Wilhelm Koppert, Vinzenz, Dr.

Höpker Aschoff, Hermann,

409-411,

-

Hitler, Adolf 54, 66, 91, 116, 118, 126, 140 f., 162, 192, 204 f., 242, 306 f., 309, 329 f., 350, 373, 386, 480, 605, 680, 684

Dr. VII, 4

f.,

276 f., 433 f., 448, 450, 454, 456, 477, 485 f., 502, 542, 581, 617, 695, 704 zu Finanzfragen 249-257 Horlacher, Michael 696 Huber, Kurt, Prof. 361 Hundhammer, Aloys 177, 210

258

375,

zur

zur -

372,

f., 429, 502, 512, 601, 625, 695,

Kaufmann, Theophil IX, XXIV, 4, 176, 318, 328, 364 f., 368, 370, 372-374,

157-159 zur Präambel 192-196 zum Wahlgesetz 335-339 zum GG, 3. Lesung 531-543

russ.

-

248,

424

f., 261-263, 265, 272,

374

429

18, 70, 150, 169, 176, 217, 318, 429, 504, 631, 692

Kraus, Johann-Georg, Dr. 252 Kriedemann, Herbert 202 Kroll, Gerhard, Dr. 4, 296, 307, 311 f., 336, 350, 362 f., 390 f., 393, 447, 616 f., 623, 642, 649, 695, 705

-

-

zu

Wahlrechtsfragen

zum

Krupp

Wahlgesetz

-

von

284-292 382-389

Bohlen und Halbach, Gustav,

Dr. 42, 137 Kühl, Dr. XXXI

Jackson, Andrew 339 Jellinek, Walter, Prof. Dr. 365, Jonuschat, Hans, Dr. 318 Joos,

Henri

Joseph

Kühn, Adolf 319, 617, 695, 705 Kuhn, Karl 4, 617, 695, 705 394 f.

150

Kahl, Wilhelm, Dr. 197, Kahr, Gustav Ritter von

480 f. 108

Laforet, Wilhelm, Prof. Dr. 4, 434, 473 f., 502, 616 f., 695, 705 Lasaulx, Ernst von 115 Lassalle, Ferdinand 103, 549

462

f.,

723

Personenindex Lehr, Robert, Dr. VII, IX, XXI, XXIII, 4, 226, 237, 240 f., 244, 247, 350, 434, 474, 484, 489, 502, 523, 533, 569, 587, 591, 594 f., 617, 695, 705 zur Länderkammer 217-224 zum GG, 3. Lesung 517-520 Leisewitz, Georg, Heinz Albert, Dr. 150,. -

-

176, 427 Lambert 4, 617, 695, 705

Lensing,

Lilje,

Hanns 121

Montesquieu,

Charles de 57, 93 f., 225,

385

Montgelas, Maximilian Joseph Morgenthau, Henry 68 Mosley, Oswald, Sir 386

535

Dr. VIII, 4, 362, 388, 402, 502, 617, 655, 658, 661, 666 f., 695, 705 zum Wahlgesetz 380 f. Müller, Gebhard, Dr. 429 Müller-Franken, Hermann 309 Murphy, Robert 2, 156, 513 Mussolini, Benito 54 Muth, Carl 305

Mücke, Willibald, 398,

-

Edward H. XIX

Litchfield, Lobe, Paul VII, XII, XXIV, XXVI, XXXIX, 6, 14 f., 40, 46, 76, 148, 169, 301, 303, 315, 319, 510, 512, 558 f., 598, 623, 626, 629, 655 f., 661, 665 f., 675, 695, 705 zur Abstimmung 624 f. Dankesworte 698 Loth, Emil Walter, Dr. 491 Löwenthal, Fritz, Dr. VII, 4, 430, 536, 617, 668, 684, 695, 705

Erklärung

-

-

Wahlrechtsfragen 313-317 Lüdemann, Hermann 427, 504 Ludendorff, Erich 66 Luther, Hans, Dr. 290, 292, 294, 306, 320 Luther, Martin 526, 539 Luxemburg, Rosa 611 zu

-

Maier, Friedrich 4, 502, 617, 695,

Nadig,

Friederike 4, 617, 695, 705 den Grundrechten 584 f. Nadolny, Rudolf XXXVII, 513 zu

-

Napoleon

126

Natonek, Wolfgang XXXI

Naumann, Friedrich 108, 114, 337, Nawiasky, Hans, Prof. Dr. 91

Nölting,

690

Erik 138, 306 f.

Nuschke, Otto XXXVII,

505

Ollenhauer, Erich 210, 692, 695,

705

705

Mangoldt,

Hermann von, Prof. Dr. 4, 178, 192, 248, 434, 451, 471, 617, 695, 705 Markgraf, Paul 154, 160, 205, 213 f., 649

Masaryk, Jan

514

Maßmann, Hans Ferdinand XXVI Mauthner, Erik 700 f.

Mayer,

13-16, 20, 79, 149, 151, 158, 165, 174, 177, 706 zur Lage in Berlin und zum Urteil eines

Ernst XXXV

Mayhew, Christopher 177 Mayr, Karl Sigmund 4, 617,

695, 705

-

Mazzini, Guiseppe 155, 510 Meidinger, Max, Dr. 318, 429, 504, 631 Meißner, Otto 246 Menzel, Walter, Dr. VII f., X, XII, XIV f., XXI, 4, 12, 20, 34, 148, 176, 210, 221, 241, 420, 532, 599,

244, 246, 265, 306, 310, 422-424, 430, 434, 460, 543, 555 f., 572, 574 f., 609, 612-614, 617, 652,

405, 502, 579, 659,

705 zur

Aufgabe GG,

des Pari. Rates 70-89

Lesung 521-531 Mindszenty, Jozsef, Kardinal 575

-

zum

3.

-

Mommsen, Konrad 724

Pabsch, Anthony F. 177 Paul, Hugo VII, IX, XVI, XXXII, XXXVI, 4,

281

416, 520, 581, 695,

Militärgerichts 159-163 Aufgabe des Pari. Rates 131-143

russ. zur

Dr. 1, 18, 70, 150, 318, 429, 504, 631, 692 Pfeiffer, Anton, Dr. VII, XII, XX, XXXVIII, 4 f., 8, 12, 20, 90, 93, 133, 158, 167, 415, 500, 502, 532 f., 601, 605, 616 f., 645 f., 695, 706 zur Lage in Berlin und zum Urteil eines russ. Militärgerichts 153 f. Pferdmenges, Robert 205, 351, 551 Pistorius, Theodor von 256 Piaton 288, 386 Preuß, Hugo 61, 114, 199 Prittwitz und Gaffron, Wilhelm von 513

Peschel, Kurt, -

-

Personenindex

Prugger,

Schacht, Hjalmar 137, 142, 458, 648, 686 Schäfer, Hermann, Dr. X, 4 f., 14, 257,

Alexander 249, 252

Pünder, Hermann,

Dr. 513

420, 502, 617, 681, 695, 706 -

zum zum

Überleitungsausschuß Sitz der

Reger,

Henri 335, 389

706

Dr. 6, 290, 502, 516, 626, 676,

688, 695, 706 Reimann, Max XI f., XXII, 4-7, 10-12, 14, 17, 54, 319, 353, 375, 433, 445, 500, 507 f., 569 f., 597, 691, 694 f., 701, 706 zum -

zum

Scheuenmann, Wolfgang 152 Schiller, Friedrich 542 f. Schleiermacher, Friedrich 541 Schlör, Kaspar Gottfried 4, 485, 617, 695,

Erik 26

Reif, Hans,

XXXII-XXXVI, 62, 169, 248, 448, 470, 473, 617, 632, 635,

Überleitungsausschuß

GG,

3.

Lesung

432

543-552

Renans, Ernest 608 Renner, Heinz VIII, X-XII, XVII, XX, XXVIII, XXXII-XXXVII, 177, 212-214, 230, 238, 245-247, 267, 288, 313-316, 355 f., 362, 382, 384 f., 387, 400, 404, 406, 409 f., 412 f., 415, 418, 420 f., 423-425, 444, 449 f., 453 f., 459, 466, 469 f., 472, 494, 497 f., 502, 508-514, 534, 537 f., 545 f., 569, 571 f., 585 f.,

Schmid, Karl (Carlo), Prof. Dr. VII-X, XII, XIV, XVI-XVII, XIX, XXIII-XXIV, XXXIII-XXXVII, 4, 6, 12, 18, 70, 72, 9094, 99, 125 f., 129, 134, 148 f., 159, 161, 167, 176, 178, 185 f., 188, 191 f., 194, 202 f., 205, 207, 225-227, 240 f., 244-247, 275, 297, 309, 329, 352 f., 361, 368-372, 382, 403, 412 f., 416, 424, 426, 428, 448, 455, 459 f., 473 f.,

-

598, 608, 617, 625, 627, f., 637, 641, 647 f., 650-652, 655, 658, 662, 675, 682, 684 f., 691, 695, 698, 701, 706 zur Präambel 200-208 zur Länderkammer 239-243 629

-

-

-

-

Finanzfragen 273-276 Wahlrechtsfragen 303-310 zum Wahlgesetz 345-354, 369-378 zu

zu

-

zur

-

zur

-

507

Todesstrafe 482-484 Einladung des Dt. Volksrates 504-

den Grundrechten 583f zum Sitz der Bundesorgane 679-681 Reuter, Ernst, Dr. XVII, 6, 156, 167, 274, 319, 411, 504, 626, 631, 695, 698, 706 zur Präambel 212-215 Reynitz, Ewald, Dr. 18, 70, 150, 169, 176, 217, 504 Ritsehl, Albrecht 541 Robertson, Brian Hubert, Sir XVIII, 2, 429 Roegele, Otto B. 537 f. Rönneburg, Heinrich VII, 4, 139, 319, 706 Roosevelt, Franklin Delano 7, 186 Rosshaupter, Albert 177, 617, 695, 706 Rougemont, Denis de 82 Rousseau, Jean Jacques 225, 385, 389 Runge, Hermann 4, 617, 695, 706 zu

-

-

-

431 f. 677 f.

Wilhelm 551

Schepmann,

-

Queuille,

Bundesorgane

-

-

494, 497, 502, 505, 543, 548, 552, 566, 575 f., 578, 580, 592, 594 f., 597 f., 600 f., 604, 613, 617, 638 f., 649, 651, 661, 673-675, 677, 695, 698, 700, 706 zur Aufgabe des Pari. Rates 20-45 zur Lage in Berlin und zum Urteil eines russ.

Militärgerichts

154-157

GG,

434-444

Präambel 179-183 zum Wahlgesetz 333-335, 389-391 zur

-

-

-

-

zum zur

516 -

zum

2.

Lesung

Einladung

des Dt. Volksrates 509-

Abschluß der

Beratungen

608-612

Schmitt, Carl 67 Scholl, Hans u. Sophie 361 Scholz, Arno 315 Schönfelder, Adolf X, XVII, 1, 4 f., 8, 10 f., 14, 18, 46, 68, 70, 89, 92, 103, 119 f., 131, 143, 148 f., 176 f., 183, 191, 200, 205-208, 212, 215, 217, 224, 229, 233, 239, 243, 248, 263, 267, 276-278, 284, 292, 298, 303, 310, 315, 317, 369, 404, 418, 421-423, 552 f., 559, 564, 569-571, 617, 694 f.,

196, 227, 273, 313, 706

Schräge, Josef

4, 617, 695, 706

Schreiber, Ottomar, Dr. 513 Schröter, Carl XXIX, 4, 178, 248, 328, 362, 653 706

f.,

367, 617, 633, 644, 647, 650, 658 f., 662, 664 f., 672, 689, 695,

Schumacher, Kurt, 204,

512,

536,

Dr. IX, XV, XXI, 129, 545, 547, 613, 683,

692

Schuman, Robert Schurz, Carl 339

629

725

Personenindex Dr. VIII, XVI, XXIV, XXXVI, 4, 20, 140, 230, 404, 445, 463,

Schwalber, Josef,

598, 617, 695, 706 zur Aufgabe des Pari. Rates 89-102 zum Abschluß der Beratungen 615 f. Schwend, Karl 532 Schwennicke, Carl Hubert 167 Seebohm, Hans-Christoph, Dr. X, XII, XVI, XX, XXII, 4, 12, 14, 20, 62, 149, 151, 378, 387, 399, 401-403, 405-407, 414, 417 f., 420 f., 423 f., 426, 434, 445-447, 451-456, 458, 462 f., 465, 467, 469 f., 473, 485 f., 488, 490-493, 495, 501 f., 559 f., 565, 605, 617, 625, 652, 656, 660, 662 f., 670-673, 695, 707 zur Aufgabe des Pari. Rates 120-131 zur Präambel 196-200 zur Länderkammer 233-239

Suphan,

-

-

-

-

Finanzfragen Wahlgesetz

267-273 339-343 zum GG, 3. Lesung 559-569 Seibold, Kaspar, Dr. 3 f., 14, 178, 248, 502, 605 f., 616 f., 695, 707 Seifried, Josef 4, 151, 177, 707 Seibert, Elisabeth, Dr. 4, 18, 178, 617, 695, 707

-

-

zu

zum

-

Bernhard 542

Dr. VII-IX, XV, XVII, 4, 18, 20, 70, 73 f., 79, 82, 85, 89, 141 f., 169, 195, 209, 248, 352, 430, 536 f., 573, 707 zur Aufgabe des Pari. Rates 46-68 zur Präambel 183-191

Süsterhenn, Adolf,

-

-

Teusch, Christine 309 Thälmann, Ernst 66 Tholuk, Friedrich 541 Thoma, Richard, Prof. Dr. 320, 323, 365, 642

Thöt, Karl 217,

Thyssen,

504 Fritz 137, 551, 648

Treitschke, Heinrich

von

254

Trossmann, Hans 683 Tulpanow, Sergej I. 505, 514

-

Semjonow, XXXVI,

Wladimir

Seydlitz-Kurzbach,

599

Walther

von

162, 203,

207, 214

Fornier de

Clausonne, François

Wilhelm VII, XX, 4, 422, 434, 465, 483 f., 502, 572, 617, 638, 695, 707 zur Todesstrafe 479-482

Wagner, Friedrich

177

Silverberg,

Paul 178, 550

Simons, Hans, Dr. XII, XIX, 45, 149, 177, 257

Solon 532

Stalin, Josef W. 7, 347 Steel, Sir Christopher Eden 429, Stein, Lorenz von 254

626

Steiner, Rudolf 234 Steltzer, Theodor 513

Sternberger, Dolf, Dr. 280 Stock, Christian 2, 113 Stock, Jean X, XXIV, 4, 19, 362, 404, 407 f., 420, 429, 502, 504, 598, 617,

Waitz, Georg 254 Wallot, Paul 148 Walter, Felix 4, 318 f.,

-

Wahlgesetz

369, 379, 502, 617, 695, 707 zu den Grundrechten 577-580 Weitz, Heinrich, Dr. 250, 252 Wenger, Paul Wilhelm 324, 537 Wessel, Helene X f., XVIII, XXII, XXIV, 4, 14, 18 f., 343, 356, 362, 384, 387, 502, 579, 598, 600, 603, 617, 623, 695,

-

zum

-

726

707

376-379

Abschluß der Beratungen 616 f. Sträter, Artur, Dr. 367 Strauß, Walter, Dr. 4, 261, 318, 353, 361, 423, 465, 476, 502, 524, 617, 695, 707 Stresemann, Gustav 337 Suhr, Otto, Dr. VIII, X, 6, 71, 176, 178, 248, 409, 425 f., 502, 504, 626, 631, 695, 698, 707

-

707

Walz, Hans 700 Weber, Helene, Dr. h.c. VII, X, 4, 19, 367,

683, 687, 695, 697, 707 zum

392 f.

505

Severing, Carl 135,

Seydoux,

Ulrich, Fritz 331,

Semjonowitsch

zur -

-

-

-

-

Präambel 208-212

Finanzfragen 276 f. zu Wahlrechtsfragen 310-313 zum Wahlgesetz 366-369 zum GG, 3. Lesung 553-559 zu

zu

den Grundrechten 585 f.

Weymar,

-

Paul 538

Wichern, Johann Hinrich

Wilhelm I. 155

541

Personenindex Wilhelm II. 303

Windthorst, Ludwig 144,

305 Wirmer, Emst 4, 617, 692, 707 Wohleb, Leo, Dr. 113 Wolff, Friedrich, Dr. 3 f., 617, 695, 707 Wolkersdorf, Lorenz, Dr. 260 Wunderlich, Hans 4, 617, 695, 707

Zeigner, Erich

108

Zimmermann, Gustav 4, 14, 502, 617, 695, 707

Zinn, August, Dr. h.c. VIII, 4, 264 f., 331, 407, 427, 434, 450 f., 457, 464, 468, 502, 594, 617, 686 f., 695, 707

Zörgiebel,

Karl 160

727

SACHINDEX

Abgeordnete des Pari. Rates Aegidienberg/Siebengebirge

siehe Pari. Rat 551

-

Alliierter Kontrollrat XXII, 132, 348, 545 Auflösung Preußens 113 Direktive Nr. 24 406 -

-

-

-

Paris XVIII, XXV, 429, 504 f., 511, 552, 611, 627, 630, 680 f., 692 Warschau 274

Washington

XVIII

Australien 291 -

Auswärtiges Amt, Angehörige

Gesetz Nr. 10 79 Gesetz Nr. 12 257

Ältestenrat siehe Pari. Rat Apotheker, Selbstverwaltungsrecht

118

-

469

Arbeitsgemeinschaft für eine gesamtdeutsche Verfassung XXXII, 459 Arbeitsrecht, Bundesgericht für siehe Bundesgericht Ärzte, Selbstverwaltungsrecht 469 -

Atlantik-Charta 186, 625 Atlantikpakt 546, 561

Auftragsverwaltung 98 Aufwertungspartei 297, 384, 676 Ausführung der Bundesgesetze 98 Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung, Abschnitt des GG -

2. 3.

Lesung Lesung

Auslieferung

-

-

schäftsordnungsausschuß

Verfassung 73 -Art. 178 26, 97 -

-

Bayernpartei XXI, 371, 534, 617, 675 Beamte, passives Wahlrecht, siehe Wähl-

476

Beamten

84 f. Wahlrecht 296 Berlin (siehe auch Großberlin) als Hauptstadt XXV, 679 f. Blockade (Berlin-Krise) XVffl-XXX, XXXIII, 46, 50, 156, 166, 347, 429 f., 504 f., 509,

Belgien, -

-

Entschließung -

-

-

-

Ausschuß für Wahlrechtsfragen XXVII f., 278 f., 286, 290-292, 320 f., 327, 355 f., 363 f., 368, 377, 380, 391-394, 398, 407, 410, 427, 641, 644 Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung

-

-

-

109

52

Außenminister Botschaft vom 10. April 1949 627 f. Dank an 628 Außenministerkonferenzen Moskau 511

-

von

629

Ausschuß für Grundsatzfragen XVII, 35, 149, 192, 200, 352, 578 f. Ausschuß für Organisation des Bundes 217, 230 Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und

-

524, 535, 605, 616 Annahme des GG 535, 596, 606, 696 Senat 60

Beamtenrecht, Zuständigkeit für

Ausschuß für das Besatzungsstatut 149 Ausschuß für Finanzfragen 249-252, 257, 260, 263, 265 Ausschuß für Geschäftsordnung siehe Ge-

Außenhandel, Wiederherstellung

696

Verfassung, Art. 52 26 Bayerische Volkspartei 378 Bayern 86, 91, 134, 377, 418, Badische

barkeit

472-474 593 457 f.

Rechtspflege

Baden, Annahme des GG

-

-

168

zur

Lage

in

XXX, 150-

Ostsektor 315, 424 Sowjetisches Ehrenmal 152

Stadtverordnetenversammlung

152

f., 212,

410

Teilnahme am Bund 346 Teilnahme am Pari. Rat VII, 6, 15 f., 32, 46, 182, 212, 624 Urteil eines russischen Militärgerichts 152-154, 164 f. Wahlen XVII, 176 Wahlkreise für den Bundestag 409-413, 424

Abgeordnete, Erklärung zur Abstimmung über das GG XXIV, 625 f.

Berliner

Erklärung 190, 434, 545, 560 Besatzungskosten 265-267, 269, 273, 275 Berliner

f.

-

729

Sachindex

Zuständigkeit

-

251, 256, 261, 265, 277,

486, 524

Besatzungsmächte (siehe

auch

Militärgou-

verneure) XVIII, 129, 133, 534, 609 Verbindungsstäbe XII, 6, 354, 628

Besatzungsstatut XV, XVIII, 3, 20, 30,

56, 118, 129-131, 134, 318, 345, 347, 354, 369, 428, 443, 529, 532, 545, 547, 560562, 603 f., 610, 629, 679 Leitsätze 51 f. Biersteuer 86, 249-251, 486 Bill of Rights 38, 55 Bodenreform XVII, 81, 142, 546, 627 Bonn

-

-

-

-

Königshof 532 Museum Koenig 1 f., 12, 233 Pädagogische Akademie XII, 692

Bundeshauptstadt Bevölkerung und Braunschweig 490 f.

Aussprache

-

-3.

590

-

99, 219 f., 242 f.,

440, 519

Menzel-Ehard 532 f.

240 f. Bundesrat vor 1918 229, 232 Bundesrecht bricht Landesrecht 97, 439, 464, 558 Bundesregierung, Abschnitt des GG 2. Lesung 441, 467 f. 3. Lesung 520, 592

Zusammensetzung 220-229,

-

Pari. Rat 67 f.

-

Bremen 379

Bundesrepublik Deutschland, Bezeichnung

-

Annahme des GG 696 Steueraufkommen 256 Wahlrecht 407 Bremer Klausel (siehe auch richt) 495, 566, 574 Britische Zone

XVI f., 34, 107, 188-190, 437, 622 Bundessitz, vorläufiger siehe Bundeshaupt-

-

stadt

-

-

Religionsunter-

Bundestag (Volkstag)

Lesung 465 f. Lesung 590 Bezeichnung 465 f., 533 Bundestagsabgeordnete, Anzahl

-2. -3.

405

Länder 28 Richter und Staatsanwälte 80 Buchenwald (siehe auch Konzentrationsla-

-

-

-

ger) 515 Bulgarien 575

662

dent, Wahl

-

-

53,

60,

87, 219, 272, 439 f. Bundesfarben 35, 587 f.

Bundesfinanzverwaltung (siehe auch Finanzverwaltung) 252 f., 271, 276 f., 525 Bundesflagge XXIII, 35, 463, 587-589 Bundesgebiet, territoriale Gliederung siehe Länderneugliederung Bundesgericht für Arbeitsrecht 81 f. Bundesgericht, Oberstes, Errichtung 442,

Bundesverwaltungsgerichtshof 101 Bundeszwang siehe Bundesexekution

Care-Pakete 316 CDU, Ostzone 508 f. CDU, Vertretung im Pari. Rat VII CDU/CSU als Partei im Wahlrecht XXVII, 414-416

474-476

Bundesgerichtshof 475 Bundeshauptstadt (vorl. Sitz der Bundesorgane), Wahl XXV, 631, 677-685 Bundeskanzler, Stellung 440 f., 520, 558 Bundespräsident 32, 65 f., 76, 109, 128, 234, 295, 440 f., 519, 558

72, 338, 351, 359-361, 376 f., 391, 412, 652 f.,

Bundesverfassungsgericht (siehe auch Bundesgericht) 442 Bundesversammlung siehe Bundespräsi-

Bund und Länder, Abschnitt des GG 2. Lesung 441, 461-465 3. Lesung 587-590 Bundeseigene Verwaltung 98 Bundesexekution (Bundeszwang)

146, 449, 523

Abschnitt des GG

-

-

-

Einigung im Pari. Rat 535 Verfassungsentwürfe XIV

Charta der UN 539 Chiemseer Entwurf VII, XIV, 20, 49, 58, 60, 71, 75, 83 f., 86, 90, 95 f., 102, 110 f., 250, 271, 278, 436, 478 Abschnitt XI 249

-

-

730

Lesung

Befugnisse XXIV, Kompromiß

-

Entnazifizierung

217-248

Abschnitt des GG -2. Lesung 440, 466 -

-

Universität 374 Wahl zum vorläufigen Bundessitz siehe

Bonner

-

-

-

-

Abschnitt des GG, 2. Lesung 467 Abschnitt des GG, 3. Lesung 590 Wahl (Bundesversammlung) 66, 227, 295, 440, 492, 591 Bundesrat (Länderkammer, siehe auch Senatsprinzip) XV, XVIII, 60-65, 74 f., 95, 110 f., 128, 147, 215, 217-248, 440, 518 f., 523, 557

-

Sachindex Art. 29 102 Art. 30 98 Art. 37 99 Art. 42 Abs. 3 98 Art. 45 72 Art. 65 219 Art. 147 74 Grundrechte 115 Christliche Parteien, Begriff 537 f.

-

-

-

-

-

-

-

-

Christliche

Staatsauffassung

CSU, Erklärung

zum

616

GG in 2.

Lesung

500 f.

Erklärung -

zum

GG in 3. Lesung 615 f. Rat VII

Vertretung im Pari.

-

d'Hondtsches Verfahren 237, 421

Demontagepolitik XXVI, 68, 694 Dentisten, Selbstverwaltungsrecht

469

Deutsche Einheit siehe Einheit Deutsche Volkszugehörigkeit, Definition für Wahlen 398 f., 402 f. Deutsche Wählergesellschaft 280, 285 f., 320, 331, 364, 395, 689 Deutscher Katholikentag 1948 1 Deutscher Volkskongreß 20, 508 Deutscher Volksrat 505, 544 Einladung XX, XXXII, 8, 502-517 Richtlinien für die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik XIV, XXXVI f., 16, 20, 37, 57, 59, 93 f., 138, 205, 372 Deutscher Zollverein 249 Deutsches Reich, Bezeichnung 182, 189 f., 195, 200, 437, 445 Deutschhannoversche Partei 127 Deutschlandlied XXVI, 700 -

-

Dolchstoßlegende 104 DP, Erklärung zur 2. Lesung des GG 501 Erklärung zur Abstimmung über das GG -

618-622

Präambel-Entwurf 200 -

Verfassungsvorschlag XIV, XVI, XXII,

122, 233, 235, 567 im Pari. Rat VII Drittes Reich siehe Nationalsozialismus Drucksachen des Pari. Rates1) Nr. 2 1 Nr. 4 5 Nr. 7 1 -

Vertretung

-

-

-

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

9 5 11 170 12 46 13 18 20 4 21 4, 703 22 168, 529 27 20 28 151 f. 30 151 f. 37 46 47 170 49 171 60 170 65 170, 174 75 170 80 170 157 157, 425 167 367 190 177 200 178 203 267 207 178 264a 391 288 170 369 392 461 53 462 53 468 53 469 53 476 53 480 53 486 386 543 372 604 444 606 391 607 444 614 401 616 345, 529 621 327, 414 624 319, 327, 395 f., 399, 410 624a 378 625 319 626 397, 404, 416 626a 397, 401, 408 628 361, 376, 409 675 444 752 448 758 352, 451 759 459, 461 760 462 763 445

-

) Kursiv gesetzte Fundstellen weisen auf den Abdruck oder Teilabdruck einer Drucksache hin.

731

Sachindex Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. 732

764 765 768 770 771 772 774 775 777 779 780 781 782 787 788 789 790 791 792 796 797 798 800 801 802 803 806 808 809 814 825 836 845 850 850a

f.

445 447

-

451, 453 454 456 457 458 462 465 467 469 470 473 487 489 490 490 492 493 486 485 473 496 464 468 469 468 485 471 465 466 450 590

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

f. /.

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

f.

-

-

-

-

-

-

-

-

433, 437, 444, 474 433

-

-

850b 433, 468 853 854 855 856 857 858 859 860 861 863 864 865 866 867 868 871 872 873 874 875

-

-

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

877 878 879 880 881 882 883 887 888 889 892 893 894 895 897 898 900 901 902 904 905 906 907 908 909 911 912 913 914 915 916 918 921 924 925 928

Duisburg

487

-

448 444 434 465

431, 502 502, 504 517 587 594 594

543, 587 594 621 587 587 595 595 592 590 668 636

f.

632, 645, 685 653, 667 667 670 646 652 667 645 647

f. f.

645, 646, 650 646, 650 631 690 691 690 79

f.

433, 444, 461, 474, 477 451 493

f.

471, 592 498 462 450 488 456 454 489 475

f.,

580

'

f.

478, 484 489 464 492 463 464 470

Ehe und Familie, Schutz 556, 578 Eigentum, Schutz 130 Einheit Deutschlands (deutsche Einheit) XXXVII, 3, 13, 16 f., 50, 97, 133, 141, 144, 162, 348, 374, 411, 502, 507, 509, 511, 544, 546 f., 568, 608, 627, 679 f. Einkommensteuer, Zuständigkeit 250, 263

Elberfeld-Wuppertal 307 Ellwanger Kreis XIV f.

Elternrecht XVI, XXI, XXIII f., 53, 117, 145 f., 210, 450, 452, 494 f., 499, 526, 538-540, 565 f., 572, 574, 576, 580-583, 585, 605 Volksentscheid XVIII, 211, 452, 471 f., 576 f., 582, 623, 685

-

Sachindex 49, 59, 80, 125 f., 339, 347, 386, 549 Wahlrecht 110, 281, 285-287, 289, 291, 293, 297, 306 f., 311, 323, 335, 377, 383, 385, 642, 672, 675

England -

Englische Wählergesellschaft 642 Enteignung 206, 213, 454-456, 566

-

der

Kriegsverbrecher 459 Entmilitarisierung XVII, 207, 546 Entnazifizierte, passives Wahlrecht

-

-

-

für -, siehe Wählbarkeit Entnazifizierung 129, 142, 220, 488, 649

Erbschaftssteuer, Zuständigkeit

251 218, 309, 350

Ermächtigungsgesetz Erzbergersche Finanzreform

Frankfurter Nationalversammlung (18481849) 61, 111, 254, 572, 588 Frankreich 42, 49, 59, 66, 109, 221, 230, 285, 347, 389, 549 Résistance 27 Verfassung von 1791 36, 55 Verständigung mit 607, 625 Wahlsystem 110, 323, 335 Französische Revolution 56, 460, 510 Französische Zone 46, 50

-

-

107, 255, 259, in

Europa (Union, Zusammenarbeit XVI f.,

-)

XVIII, XXI-XXIII, XXXVII f., 49 f., 53 f., 112, 127, 148, 183, 239, 443 f., 510, 527, 544, 561, 569, 580,

Frauen und Wahlrecht XXVIII, 282, 312, 337 f., 342, 344 f., 358 f., 366 f., 386 f., 644 Freie Wahlen, Forderung XXXIII, 142, 213, 509, 512 Freiheit der Wissenschaft, Lehre und Forschung 448 f., 559 Freiheitliche Grundordnung 38 Friedensangebot von Stalin 347

603, 607, 611 f., 620, 629, 700 Parlamentarische Union 150

Friedensvertrag XVI, XXXVII,

131, 133, 163, 203, 274, 502, 505 f., 610, 625

Europäische

Gebietsforderungen

FDP, Vertretung im Pari. Rat VII, X 251

f., 256, 270,

524

Finanzausschuß siehe Ausschuß .

615

Finanzhoheit 85 f., 140 f., 243, 247, 249, 260, 276 Finanzverwaltung (siehe auch Bundesfinanzverwaltung) 87, 100, 253, 260,

-

264 f., 271 Finanzwesen, Abschnitt des GG

Lesung Lesung Flaggenfrage

-

2. 3.

485-486 593

siehe Bundesflagge Flüchtlinge und Vertriebene 25, 145, 332, 388, 637 f. Verteilung 524, 638, 664 Vertretung im Pari. Rat IX f. Flüchtlingswahlkreise siehe Wahlkreise für

-

-

Föderalismus (föderative Idee) 42 f., 48 f., 83, 89, 107 f., 112, 128, 144, 195, 219, 244, 522, 533 f., 557, 613 f. Frankfurt/Main, Wahl zum vorläufigen Bundessitz XXV, 632, 678 f., 683 Frankfurter Dokumente 12, 544 Nr. I VII, 9, 29, 46, 48 f., 51, 89 f., 105, 188, 436, 520 f., 529 Nr. II 33, 44, 113, 119, 524 Nr. III 29 f., 51, 130 f., 189

-

-

-

Deutschland 42,

Gemeineigentum (siehe auch Sozialisierung)

528, 557 Gemeinschaftsschule (siehe auch Konfessionsschule) 526, 539, 554, 574 f. Gemeinwirtschaft 528 Geschäftsordnung X f., 5, 11, 170-175, 422, 425, 569 Ergänzung 631 f.

Geschäftsordnungsausschuß XI,

-

XXXVIII,

14, 18, 170-174

Gesetzgebung

ausschließliche 84, 96, 441 konkurrierende 84, 96, 441 Zuständigkeit 72, 83, 95 f. Gesetzgebung des Bundes, Abschnitt des GG

-

-

-

-

Flüchtlinge

an

127, 567

.

Finanzfragen XVIII, XXIV, 99 f., 442, allgemeine Aussprache 249-277 .

24

-

262, 525 Essen 307

Finanzausgleich

Eisenbahnvermögen Flüchtlinge 86

-

2. 3.

Lesung Lesung

468-472 592-593

als Prinzip 36 f., 53, 57, 73, 93, 138 f., 213, 233, 236, 518, 548,

Gewaltenteilung

-

557

Gewerkschaften 260, 460

Gleichberechtigung

von Mann und Frau 369, 373, 387, 555, 565, 579, 584 Gott, Anrufung siehe Invocatio Dei Grenzen siehe Gebietsforderungen Groß-Berlin, Annahme des GG 698 Teilnahme am Bund 424, 438, 444 -

733

Sachindex

Wahlkreiseinteilung siehe Berlin England Grundgesetz (siehe auch Präambel sowie die Bezeichnungen der einzelnen AbGroßbritannien siehe

-

-

-

schnitte des GG) als Provisorium XV, XXI, XXIII f., 3032, 34, 50, 62, 106, 134, 183, 189, 194, 198, 436, 521, 562, 597, 608 f., 633 1. Lesung XIII 2.

Lesung

433-502

Hauptausschuß IX, XIII, Sitzung 584 Sitzung 538, 584 Sitzung 376, 483, Sitzung 584 Sitzung 640 Sitzung 338, 342, Sitzung 335, 342, Sitzung 335 Sitzung 500 Sitzung 450, 453,

-17. 21. 42. 43. 51. 52. 53. 54. 55. 57. -

-

-

-

-

-

-

-

Annahme durch die Landtage 188, 596, 602, 627, 696 Annahme durch Volksabstimmung XX, XXII f., 188, 201, 496-498, 595-598, 602

Annahme, Ausfertigung, Verkündigung XXVI, 693-698 Bezeichnung XV, 21-23, 201, 436 Geltungsbereich 182 f., 438, 608 f.

Prüfung

durch

Militärgouvemeure

30,

346, 626, 696

-

-

429, 597 schriftlicher Bericht zum Entwurf XL, 433 Stellungnahme der Alliierten siehe Mili-

tärgouverneure Termin der 2.

-

-

-

Überschrift,

-

-

-

-

2.

Lesung Lesung

Sitzung 437 Sitzung 358, f., 657, um

484, 633, 639, 648,

660

Ruhrstatut XXXI

Öffentlichkeit

230

Hauptstadt siehe Bundeshauptstadt Heidelberg, Universität 394

-

Heimat, Recht auf (Bekenntnis

zur -) 122, 145, 447, 565 Herrenchiemsee siehe Chiemseer Entwurf

Hessen Annahme des GG 696 -

-

Betriebsrätegesetz 137 Sozialisierung 137

Wählbarkeit von Entnazifizierten 379 Hildesheim XXXV, 304 Hitlerzeit siehe Nationalsozialismus Holland 42

-

Gebietsforderungen

567

Urschrift XXVI, 694 f.

Verkündung

697

Lesung 446-461 Lesung 572-586 Ergänzung in Jahresfrist

-2. -3.

-

f., 460, 469,

318 445

Grundrechte 37 f., 114, 121, 437, 459461, 525 Abschnitt des GG

-

58. 59. 649

Debatte -

455

478, 637

-

-

-

399, 405, 637

-

Ratifizierung -

637

-

-

-

579

-

-

-Erklärung der CSU 500 f. -Erklärung der DP 501 -Erklärung des Zentrums 501 -Schlußabstimmung 500-502 3. Lesung, Allgemeine Aussprache 517570 -Einzelberatung 571-600 -Schlußabstimmung 617 -

-

437

499

Interfraktioneller Ausschuß XIX, 20, 359 Internationale Verträge, Fortgeltung 487 Invocatio Dei 185 f., 196, 199, 606 Irland 125 Italien 54, 225, 285 Wahlrecht 329 -

soziale (Lebensordnungen) XX, XXVIII, 37, 116, 459-461, 547, 557

Jalta, Konferenz XXXII, 7, 132, 267, 510, 522

Haager Landkriegsordnung

Hamburg -

-

Japan 27, 105

JEIA

129 130

309

Annahme des GG 696 Steueraufkommen 256 Wahlrecht 407

Hannover 305 Provinz 490 Staat 126

-

-

-

734

Kanada 291 Mai 1945) XX f., 23, 434, 521, 542, 600, 612

Kapitulation (8.

Sachindex Karlshorst 515

Kartoffelkrieg

244

Kassel, Wahl zur Bundeshauptstadt 678 Kirche, Stellung im öffentl. Leben 540, 566

Kirchenpolitische Artikel 52, Köln, Kasinogesellschaft 550 Kompetenz-Kompetenz 83, Konfessionsschule

(siehe

schaftsschule} XXVIII,

573

mächte)

96, 220 auch Gemein53, 117, 352,

373, 574 f.

Königgrätz

605

263

vom

15.

162 f.

Vertretung

Sept.

-

an

Dank

1948

des

Plenarsitzungen

Ministerpräsidenten

GG 346, XIII

74

2, 34, 114

12

an

Ministerpräsidentenkonferenzen

-

-

Koblenz 51

-

-

Gegenresolution

an

Genehmigung (Prüfung) 354, 626 Teilnahme

318,

609 628

Minister, Vereidigung

KPD XXXI-XXXVIII Antrag auf Einstellung der Arbeit des Pari. Rates 7-10

-

Interventionen 150,

f., 529,

-

im Dritten Reich 575 in der Ostzone (siehe auch Buchenwald) XXXXIV, 204 f., 213, 505, 508, 512, 515

Körperschaftssteuer

345

Dank -

Konzentationslager -

Auflagen, -

-

Konsultativrat 692 Kontrollrat siehe Alliierter Kontrollrat

-

Marinejustiz bis 1945 80 Marshall-Plan 347 Mehrheitswahlrecht siehe Wahlrecht Menschenrechte der UN 56, 452, 566 Militärgouverneure (siehe auch Besatzungs-

-

Königstein

XXIX

München 133

Mißtrauensvotum, konstruktives

-

73

290, 441, 520, 523, 558 Moskauer Außenministerkonferenz Außenministerkonferenzen

f., 230, siehe

im Pari. Rat VII

Kriegsächtung 41, 528, 546 Kriegsdienstverweigerung 448, 555 Kriegsfolgelasten, Zuständigkeit 251,

-

269, 486, 524

Kriegsgefangene Krupp,

256,

XXV f., 630, 700

Firma 160

Kulturhoheit, deutsche XV,

52

33, 44, 47, 113 f., 119, 170, 524 Länderrat der US-Zone 64 Länderrat Frankurt 64 Länderverfassungen 26, 28, 37, 40, 102, 439, 523 Ländervertretung siehe Bundesrat Landsmannschaften 321, 394, 666 Landwirtschaft, Einheitswerte 253 Lastenausgleich, Zuständigkeit 86, 253,

Länderneugliederung

262

Lebensordnungen

Nationalsozialismus (Hitlerzeit, Drittes Reich) VIII, XI, 25, 91 f., 108, 132, 186, 190, 192, 203, 329, 350, 358, 437, 475, 480, 483, 516, 521, 554, 558, 579 Nationalsozialisten siehe Wählbarkeit Naturrecht 48, 52 f., 55, 103, 145, 185, 209 f., 446, 526, 528, 539, 557, 578, 580, 583, 585 Neue Zeitung 80, 152, 177, 265, 317, 507 Neugliederung des Bundesgebietes siehe

Länderneugliederung

Neustadt/Haardt 574 Neutralisierung Deutschlands XXXVII, 41 Niedersachsen 491 Annahme des GG 696 Kommunalwahlen 364 Steueraufkommen 256 Wahlrecht 671 Norddeutscher Bund 192, 197 Nordrhein-Westfalen XI, 73, 87, 132, 171, 206, 306, 310, 344, 469, 490, 551, 581 Annahme des GG 696 Bodenreform 206 -

-

-

-

siehe Grundrechte, sozia-

le

von Studenten XXXI Liberal-Demokratische Partei, Ostzone 509 Lippe, Land 490 Listenwahl siehe Wahlrecht Londoner Empfehlungen 7, 130-132, 182, 202, 432, 435, 438, 521, 544, 547, 560, 562, 597, 681 Londoner Konferenz 46, 693

Leipzig, Verhaftung

-

-

Gemeindeordnung

241

Kommunalwahlen 275 Sozialisierung 135 f. Vorbereitungen für den Pari. Rat 12 Wahlrecht 307, 310, 366 f. Notverordnungen von Brüning 308 f.

-

-

-

-

-

735

Sachindex

Notverordnungsrecht

38,

77,

130,

-

NSDAP-Mitglieder

siehe Wählbarkeit Ent-

nazifizierter

Nürnberger

gesamtdeutsches Organ XXX,

234,

523

Konstituierung 1,

-

Prozesse 25

155, 187

-

-Sitzplan

-

-

-

-

-

-

Aufrüstung XXXIV, 162 Entschließung des Pari.

Rates

zur

Lage

-

-

Protokollierung

-

-

-

-

314 Uranbergwerke XXXIV, 239, 512, 515 Volkspolizei 515

12

Präsident 171 Präsidium X, 5

-

-

Sowjetische Aktiengesellschaften

3 f., 9-11 f., XXXII,

XXXVIII f., 173 f. Redaktionsausschuß 176 und Länder 172 Wahlen zum VII, 47 Persönlichkeitswahl siehe Wahlrecht Polen 625 Politische Parteien 39 f., 72, 123 f., 462, 523, 543, 559 Polizei, Zuständigkeit für 84 f., 97 Potsdamer Konferenz (Abkommen, Erklärung) XXII, XXXII, 7, 24, 132, 191, 203, 207, 348, 403, 434, 510, 545-547, 551 Präambel XVII, 35, 437, 544

-

152-168

Länder 38, 51, 141 f. siehe auch Konzentrationslager

34,

8 f., 13, 33, 47, 106, 134, 143, 182, 192, 199, 202, 212, 215, 436, 544 Plenum, Schriftführer X, 19 f.

XIV

Legitimation

-

Oder-Neiße-Linie XXIV, 203, 521, 630 Oldenburg 490 f. Organisationsausschuß siehe Ausschuß für Organisation des Bundes Osten, deutscher 567 Osterreich 445 Österreich-Ungarn 26, 126 Ostzone (Sowjetische Besatzungszone, Mitteldeutschland) XVII, XXV, XXXIII, 50, 54, 139, 177, 198, 208, 213, 215, 305, 314-317, 374 f., 507-509, 516, 521, 545, 624, 627, 629

2,

-

-

Lesung 446 Lesung 572 Aussprache 178-215 2. 3.

Entwurf der DP XVII, Fassung Heuss 194 f.

Präsidialsystem

-

386

Preissteigerungen Preußen 63,

200

103,

XXXI 254,

306,

533,

538,

549

Paderborn, Generalvikariat

540

-

Pariser Außenministerkonferenz siehe Au-

ßenministerkonferenz Pari. Rat (siehe auch Ausschuß für

Hauptausschuß) Abgeordnete 703-707 -Bezahlung XI f. -Bezeichnung 18 f.

-

Auflösung durch den Alliierten Kontrollrat 113 Dreiklassenwahlrecht 303 f., 314, 662 Verfassung

von

1850 197

Pützchen/Bonn 536

-

-

-

-

-

-

Herkunft VII-IX Modalitäten XI, 19 Ältestenrat XI, XX, XXI, 3, 14, 18, 68, 119, 148, 151, 170, 172, 178, 191, 243, 354, 369, 428, 432, 500, 506, 571, 582, 591, 631 f., 685 Anteilnahme der Öffentlichkeit 67 f., 176, 179, 187, 196, 200, 229 f., 292

Abstimmungen,

-

Ausschüsse, Bildung 148 -Zusammensetzung 168 Befugnisse (siehe auch XXX f., 150, 155, 169 Beifall, Bekundung XI, 19

-

Wahlgesetz)

-

-

-

Beteiligung des Publikums XII, Eingaben, Behandlung 173

-

736

19

Rapallo, Vertrag von 513 Rechtspflege 78, 81, 101 f. Rechtsprechung, Abschnitt des -

2. 3.

Lesung Lesung

GG

474-485 593

Reich siehe Deutsches Reich Reichsgedanke 195, 568

-

Reichsgründung

1870/1871 106 Reichskonkordat 487, 528, 540 Reichsrat, Weimarer 61, 63 f., 75, 218, 229, 236 Reichsreform 93, 290 Reichstag, Gebäude 148 Reichsverfassung (siehe auch Weimarer

Reichsverfassung)

Sachindex 1849 192, 197, 225, 518 1871 61, 192, 197, 323, 478 Reichswehr 513 Reichswirtschaftsrat 76 Religionsfreiheit 146 von

-

von

-

-

-

-

-

Religionsunterricht (siehe Klausel)

450

auch Bremer 453 f., 493-495, 539,

f.,

574

-

-

Rheinischer Katholizismus 537 Rheinischer Merkur XXI, 61, 324, 537, 572

-

-

-

Rheinischer

Separatismus

siehe

Separatis-

mus

-

-

Rheinland-Pfalz, Annahme des GG Richter in der Weimarer -

-

484

696

-

-

Republik

37, 78, 80 f.,

-

-

Unabhängigkeit

78, 80, 558 und Nationalsozialismus 484 Ruhrgebiet 130, 275 Ruhrkontrolle (Ruhrstatut) XXXI, 53, 347, 512, 529, 545, 561 f., 604, 610 Rußland (siehe auch Sowjetunion) 140, 483, 513 -

-

-

-

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

S S S S S S S S S S S S S S S S S S S

20 529 34 505 34a 506 38 531 45 323, 642 53 427, 444 57 603 62 430 65 479 67 504 68 615 71 696 73 626 74 692 75 692 77 693 94 678 95 434 96 434

Selbstverwaltung 85, 99, 557, 614 Semjonow-Plan XXXVI f., 374 f. Senatsprinzip (Senatoren, siehe auch

-

desrat) 218, 221,

226

Bun-

f., 232, 242, 244,

295, 518 f.

Separatismus (separater Weststaat) XXXIV, 7, 16, 50, 161, 239, 549, 551, 681 Rheinischer XXXIV, 549-553, 570, 682 Sicherheit, kollektive 41, 443 Sicherheitsamt 529, 561 Simultanschule siehe Gemeinschaftsschule Sowjetische Aktiengesellschaften siehe Ost-

-

Saargebiet

112, 304

Sachsen, Enteignung

f., 567, 625 137

SBZ siehe Ostzone

Schaumburg-Lippe

490

Schlesien 624

Schleswig-Holstein

291, 418, 654, 689, Annahme des GG 696 Flüchtlinge 86, 141, 524, 637, 664 Steueraufkommen 256 Wahlrecht 287, 291, 367 Schlichtungswesen XXXI Schriftlicher Bericht zum Entwurf des GG siehe Grundgesetz Schulkompromiß, Weimarer 116, 540 Schutz des keimenden Lebens 555, 565,

zone

Sowjetische Besatzungszone, siehe Ostzone Sowjetische Militäradministration 315 Sowjetunion (siehe auch Rußland, Semjonow-Plan) XIX, 162, 274, 347, 429, 483,

-

566, 580, 618, 625, 680

-

-

Sozialisierung XVII, XXI, 528

-

578

Schwarz-Rot-Gold (siehe auch Bundesfarben) XXIII, 35, 587, Schweden, Wahlrecht 329, 335 Schweiz 41, 62, 65, 109, 197, 226, 255

Volksbegehren

-

-

-

Nr. S 1 346 Nr. S 3 529 Nr. S 4 529

456,

des Bergbaus 207, 275 f. in Hessen 137 in Nordrhein-Westfalen 136

Sozialversicherung Spanien 575 f.

251

Wahlrecht 329

SPD

-

Beschlüsse -

-

-

-

-

-

vom

20.

610

Entwurf des GG XXI

Parteitag

-

-

XXXIII,

566

-

111

Wahlrecht 296, 329, 335 SED XXXIII, 72, 305, 374, 508 f. Sedan 605 Sekretariatsumdrucke

-

-

f., 548,

April vom

1949 531, 548,

April

1949

April

1949

20.

1948 69, 207

Parteivorstandssitzung

11.

561

Verbot in der Ostzone 142 Vertretung im Pari. Rat IX f. Wahlrecht XXVII

-

737

Sachindex

Staatsgerichtshof (siehe gerichtshof) 66 f. Staatssymbole 35 Stalingrad 605 Steuergesetzgebung 270

auch

Verfassungs-

Steuerhoheit 85 f. Steuermoral 268, 273 Streikrecht für den öffentlichen Dienst 548

Studenten, Eingabe

zum

Wahlrecht 294,

368

Stuttgart, Wahl zur Bundeshauptstadt Subsidiaritätsprinzip 145

Staats-

Verfassung Verhältniswahlrecht siehe Wahlrecht Vertriebene siehe Flüchtlinge und Vertriebene Völkerrecht, Regeln 40, 141, 443 Volksabstimmung über das GG siehe

Grundgesetz Volksbegehren (Volksentscheide), Allgemein 77, 111, 211, 471 in der Ostzone XXIII

678

Südafrika 291 Sudetendeutsche 403 Sudetenland XXIV, 624

Tierärzte,

Verfassungsgerichtshof (siehe auch gerichtshof) 82, 121 Verfassungstreue siehe Treue zur

f., 559,

592 f.

über Elternrecht siehe Elternrecht Volksdeutsche siehe Wahlrecht -

-

Volksgerichtshof 79 Volkskongreß siehe Deutscher Volkskongreß Volkswagen-Anzahlungspartei 297

Selbstverwaltungsrecht

469

Todesstrafe, Abschaffung XX, 460,

478-

484, 555, 565 Treue zur Verfassung 448 f., 559 Tschechoslowakei XXXVII, 403, 429, 507 Turin, Unglück der Fußballmanschaft XXXI

Wahlalter 372 f., 646 Wählbarkeit von Beamten

-

(siehe auch Wahlrecht, passives) 327 f., 595, 598 f. von Nazis (Entnazifizierten) 378 f., 397, 404-408, 423 f., 645-650, 667, 685-687

Wahlgesetz, allgemein XXVII-XXX Zuständigkeit des Pari. Rates XXXVII, -

Übergangs-

und

Schlußbestimmungen

443 f.

Abschnitt des GG, 2. Lesung 486-500 -3.

Lesung

593-600 547 Befugnisse 691 Einsetzung 431 Mitglieder 502 Umsatzsteuer 251, 263

-

Überleitungsausschuß

29, 39, 59, 427, 633, 690 der Bundesrepublik Deutschland XXVII-XXIX

Wahlgesetz -

1. Lesung, 395

Allgemeine Aussprache

-Einzelberatung 395-422 2. und 3. Lesung 422-428 Wahlgesetz zum Deutschen Bundestag -

-

-

-

-

-

Uneheliche Kinder, Rechtstellung XXIII, 450 f., 528, 555 f., 579, 583-586 Ungarn, Wahlrecht 329 UNO 56 Uranbergwerke siehe Ostzone USA (Amerika) 56, 62, 64 f., 94, 197, 252, 255 f., 347, 358 Wahlrecht 110, 289, 311, 323, 377, 383 -

1. 2. 3.

Lesung Lesung Lesung

XXIX f.

632-677 685-690

Wahlkreise für Flüchtlinge (siehe auch Wahlrecht für Flüchtlinge) XXIX, 636640, 643 f., 653-670 Wahlrecht XVIII, 39, 59, 110, 124, 147 aktives 72 -

-

-

-

-

-

-

allgemeine Aussprache

Einparteiensystem

307

Fünfprozent-Klausel XXX für Flüchtlinge und Vertriebene (siehe

auch Wahlkreise .) 342, 344, 358 f., 367, 380 f., 388, 402 für Untersuchungsgefangene 399 f. für Volksdeutsche 399 Listenverbindungen 351, 415 f., 673 f. .

Verbrauchs- und Verkehrssteuern, Gesetz-

435

-

-

738

278-317

Dreiklassenwahlrecht 303 f., 314, 662

.

gebungszuständigkeit 249 Vereinigtes Wirtschaftsgebiet

319-

Sachindex

-

-

-

-

Listenwahl 279, 281 f., 286 f., 300, 302, 328 f., 332, 336, 363, 395, 427 Mehrheitswahlrecht XXVII f., 59, 110, 139, 279-282, 285-287, 289-291, 293, 300, 312, 323-327, 329, 331-336, 341 f., 344, 349, 352, 355-358, 361, 363 f., 366-369, 377, 380-383, 386-394, 427, 634, 638, 641-643, 653, 655, 662 f., 671, 674, 676 f., 689 passives (siehe auch Wählbarkeit von Beamten) 72, 645-652, 667 f., 685 f. Persönlichkeitswahl 281, 283, 286, 309311, 325, 336, 341 f., 344, 355, 364, 373, 427, 689

Sperrklausel

-

-

-

372

Verhältniswahlrecht XXVII f., 297, 311, 323, 326, 328-332, 349, 352, 355 f., 358, 361, 370, 377, 383 f., 387-394, 634, 636, 665, 676 Wahlpflicht 327, 340

240, 295335, 340, 363-365, 420, 427,

290, 349

294,

306,

308,

311,

f., 368, 441, 577, 588,

siehe auch Richter Weimarer Schulkompromiß

-

323,

340,

635

siehe Schul-

kompromiß Westeuropäische Union siehe Europa Wiedergutmachung 52 Wiedervereinigung (siehe auch Einheit Deutschlands)

700

Kongreß 522 Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung Wiener

384

Wirtschaftliche Grundrechte siehe Grundrechte Wirtschaftsrat Frankfurt X, 54, 65, 88, 172, 245, 371, 506, 692, 694

Wuppertal

308

Würde des Menschen 120 Württemberg, Wahlrecht 296 Württemberg-Baden, Annahme des GG 696 Württemberg-Hohenzollern, Annahme des GG 696

Zweiparteiensystem XXXVIII, 147, 280,

-

285-289, 292, 294, 297, 307, 311, 324327, 335 f., 338, 368, 542, 689 Wahlrechtsausschuß siehe Ausschuß für Wahlsystem 72, 634, 677 Weimarer Nationalversammlung 61, 197 Weimarer Reichsverfassung 20, 32 f., 61, 79 f., 92 f., 96, 104, 108, 112, 135 f., 206, 208, 218, 230, 236, 250 f., 440, 454, 467, 478, 519-521, 548, 553, 566 f., 573, 621 Art. 6 84 Art. 14 98 Art. 25 440 Art. 48 87, 240, 242, 440, 523 Art. 120 210 Art. 146 116 Grundrechte 37, 115, 206, 437, 459 Präambel 193 Weimarer Republik (-Demokratie, -Zeit) XXXIX, 36, 59, 66, 78, 81, 109, 135 f., 157, 190, 199, 225, 232, 251, 287 f., ...

-

-

-

-

-

-

-

-

Zahnärzte, Selbstverwaltungsrecht

469

Zentralamt für Finanzen 86 Zentrum Erklärung zur 2. Lesung des GG 501 Erklärung zur Abstimmung über das GG 621 f. Verfassungsvorschläge XIV Vertretung im Pari. Rat VII

-

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-

Zölle, Gesetzgebung

-

249

Zonenbeirat der britischen Zone XIV, 20, 57, 66, 83, 94-96, 99, 233, 235 Bund-Länder Zuständigkeitsabgrenzung (siehe auch Kompetenz-Kompetenz) XVI, 43 f., 82-85, 89-103, 439, 441 Zuständigkeitsausschuß siehe Ausschuß für Zweikammersystem 62, 219, 237, 533 Zweiparteiensystem siehe Wahlrecht .

.

.

739