Der Parlamentarische Rat 1948-1949: BAND 5 Ausschuß für Grundsatzfragen 9783486702347, 9783486419252


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German Pages 1160 [1150] Year 1996

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Der Parlamentarische Rat 1948-1949: BAND 5 Ausschuß für Grundsatzfragen
 9783486702347, 9783486419252

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Mit der Edition „Der Parlamentarische Rat" sollen vornehmlich die

Wortprotokolle der Ausschüsse dieses Gremiums, das in den Jahren 1948/1949 das Grundgesetz für Bundesrepublik schuf, versehen

die

mit Anmer-

einem historisch-kritischen kungsapparat der interessierten Öf-

fentlichkeit

werden.

zugänglich

gemacht

Band fünf dieser Reihe dokumenTätigkeit des Ausschusses für Grundsatzfragen, der in insgesamt 36 Sitzungen einige der wichtigsten Teile des Grundgesetzes beriet: Die Präambel, die Grundrechte und einige Abschnitte aus dem Bereich Bund und Länder wie z.B. die Bestimmungen über die Neugliederung des Bundesgebietes. Mit Carlo Schmidt, Georg August Zinn, Herman von Mangoldt und Theodor Heuss wirkten hier einige der herausragenden Persönlichkeiten des Parlamentarischen Rates mit. tiert die

Manche der damals beratenen Franur während des Entstehungsprozesses des Grundgegen wurden nicht

setzes

diskutiert,

sie

bestimmten

und bestimmen vielmehr bis heute die politische und öffentliche Auseinandersetzung, etwa die Artikel zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, zum Recht der Kriegsdienstverweigerung oder zum Asyl. In einer Zeil, in der nach der Wiedervereinigung eine umfassende Diskussion über eine Revision des Grundgesetzes stattfindet, liaben diese nunmehr bereits mehr als vierzig Jahre alten Dokumente auch einen aktuellen Wert; zeigen sie doch eindrucksvoll und anschau-

lich, in welchem historischen Kon-

text die

Verfassungsschöpfung

Parlamentarischen Rat stattfand.

HARALD BOLDT VERLAG BOPPARD AM RHEIN

im

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle

Band 5/1 Ausschuß für Grundsatzfragen

HARALD BOLDT VERLAG



BOPPARD AM RHEIN

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Band 5/1

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle

vom

herausgegeben Deutschen Bundestag

und

vom

unter

Bundesarchiv

Leitung

von

Rupert Schick und Friedrich

P.

Kahlenberg

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle

Band 5/1

Ausschuß für

Grundsatzfragen

bearbeitet von

Eberhard Pikart und Wolfram Werner

© HARALD BOLDT VERLAG



BOPPARD AM RHEIN

CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Bibliothek —

Deutschland (Gebiet unter Alliierter Besatzung) / Parlamentarischer Rat: Der Parlamentarische Rat : 1948—1949 ; Akten und Protokolle / hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv unter Leitung von Rupert Schick und Friedrich P. Kahlenberg. Boppard am Rhein : Boldt. Bis Bd. 4 hrsg. unter Leitung von Kurt G. Wernicke und Hans Booms —

NE: Wernicke, Kurt

Bd. 5. Ausschuss für

Georg [Hrsg.]; Schick, Rupert [Hrsg.];

Grundsatzfragen

/ bearb. und Wolfram Werner.

von

HST

Eberhard Pikart

1993

1.

ISBN 3-7646-1925-2 (Teil 5,1 und 5,2) NE: Pikart, Eberhard [Bearb.] -

ISBN 3-7646-1925-2 1993

© Harald Boldt Verlag Boppard Alle Rechte, auch die des Nachdrucks •

der

am

von

Rhein

Auszügen,

photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Printed in Germany Herstellung: boldt druck boppard •

INHALTSVERZEICHNIS

ERSTER TEIL

Seite Vorwort der

Herausgeber

.

VII

Einleitung.

IX

I.

Vorbemerkung.

IX

II.

Errichtung des Ausschusses für Grundsatzfragen und seine personelle Zusammensetzung.

X

III.

Tätigkeit des Ausschusses für Grundsatzfragen. 1. Zur Aufgabenstellung des Ausschusses und zur Methodik der Beratung

.

Behandlung der Eingaben 3. Einzelne Beratungsgegenstände

2.

.

.

a) Überschrift und Präambel b) Einzelne Grundrechte.

.

Allgemeines -

.

Gleichberechtigung von Mann und Frau Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Elternrechte und andere Forderungen der Kirchen Auslieferung und Asylrecht.

.

-

-

....

-

c) Themen -

aus

dem Bereich „der Bund und die Länder"

.

.

.

Bundesflagge (Bundesfarben). Neugliederung des Bundesgebietes, Änderung im Gebiets-

Die -

XXI XXI

XXVI XXVII XXVII XXXII XXXII XXXVII XL XLI XLVI XLVIII XLVIII

bestand der Länder.

LI

Einrichtung.

LUI

Verzeichnis der Dokumente.

LIX

-

IV. Auswahl der Dokumente und ihre

Dokumente (Nr. 1-24)

.

1

V

Inhaltsverzeichnis ZWEITER TEIL

Dokumente (Nr. 25-48).

521

Verzeichnis der

Abkürzungen.

1049

Verzeichnis der

ungedruckten Quellen.

1051

gedruckten Quellen und der Literatur. 1. Dokumentationen, Dokumentensammlungen

1053

.

1053

und Gesetzblätter.

1054

Verzeichnis der

2. Amts-

und

Darstellungen.

1055

.

1059

Sachindex.

1065

3. Memoiren

Personenindex

VI

VORWORT DER HERAUSGEBER

Mit dem Ausschuß für Grundsatzfragen liegt nunmehr der fünfte Band in der gemeinsam vom Deutschen Bundestag und Bundesarchiv herausgegebenen Editionsreihe „Parlamentarischer Rat 1948—1949, Akten und Protokolle" vor. Die Antworten, die die Mitglieder des Parlamentarischen Rates der Jahre 1948/1949 auf die verfassungsrechtlichen Fragen ihrer Zeit gegeben haben, können in der heutigen Diskussion um die Verfassungsreform sicher nicht mehr in allen Facetten die gleichen sein. Auch Verfassungsrecht hat eine geschichtliche Dimension. Dennoch sind die Diskussionen und Beratungen, die zum Grundgesetz des Jahres 1949 geführt haben, für jeden, der dessen Genese verstehen möchte oder an die Neugestaltung der Verfassung herangeht, sicher eine lohnende und spannende Lektüre. In der historischen Dimension sind ja ohnehin nicht nur die Ergebnisse der Verfassungsdiskussion von Interesse, also das Produkt im Gefüge des Grundgesetzes, sondern in gleichem Maße der Fortgang der Diskussion mit der Fülle der Argumente, die in den Gestaltungsprozeß mit eingeflossen sind, wenn sie auch nicht Mehrheiten gewinnen konnten. Manche der hier edierten Texte lesen sich heute nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten anders als in den siebziger und achtziger Jahren, als es gleichsam eine opinio communis zu werden schien, daß mit einer Wiedervereinigung auf absehbare Zeit nicht mehr zu rechnen sei. Die Aktualität der Verfassungsdiskussionen von 1948/1949 zu einer Zeit, da eine gemeinsame Verfassungskommision von Bundestag und Bundesrat ihre Arbeit aufgenommen hat, um die aufgrund der Wiedervereinigung erforderlichen Anpassungen des Grundgesetzes vorzunehmen, ist offensichtlich. Die Herausgeber bedauern das langsame Fortschreiten der Editionsreihe lebhaft. Die Gründe dafür liegen vor allem in der Tatsache, daß die am Ende der siebziger Jahre gewonnenen Bearbeiter für die einzelnen Ausschußbände ihre Arbeit nebenberuflich zu bewältigen hofften. Die Erfahrungen über viele Jahre hinweg haben gezeigt, daß sich diese Hoffnungen nur in seltenen Fällen erfüllten. Als Konsequenz sind nunmehr für die Edition zunächst zwei Mitarbeiter eingestellt worden, die hauptberuflich den Ausschuß für Finanzfragen und den Ausschuß für Wahlrechtsfragen bearbeiten werden. Auch die weiteren geplanten Bände sind mit neuen Mitarbeitern besetzt worden, so daß zu hoffen ist, daß die Reihe nunmehr zügiger voranschreiten wird. Die Erarbeitung des vorliegenden Bandes stand unter keinem glücklichen Stern. Ein Manuskript von Eberhard Pikart, das dieser seit den frühen achtziger Jahren in Arbeit hatte und wegen seiner dienstlichen Verpflichtungen nicht zum Abschluß bringen konnte, wurde auf Wunsch der Herausgeber von Wolfram Werner, der bereits die Bände drei und vier dieser Reihe bearbeitet hat, unter Heranziehung weiterer Bestände, insbesondere auch von Nachlässen, in den Jahren VII

Vorbemerkung

des

Herausgebers

1991/1992 inhaltlich und formal überarbeitet und auf den Stand

gebracht, den die bisherige Editionsreihe aufweist. Mit diesem Band treten für den Deutschen Bundestag und für das Bundesarchiv neue Herausgeber in die Verantwortung für die Reihe, nachdem Kurt G. Wernicke und Hans Booms in den Ruhestand getreten sind. Ihnen, denen die Begründung dieser Edition zu verdanken ist, sei hier noch einmal ausdrücklich für ihr großes Engagement und die geleistete Arbeit gedankt. Bonn/Koblenz, im Winter

1992

Rupert Schick Friedrich P.

VIII

Kahlenberg

EINLEITUNG

I. VORBEMERKUNG

Es kann nicht Aufgabe der Einleitung zu diesem Band sein, die vom Ausschuß für Grundsatzfragen behandelten Grundgesetzartikel in ihrer Entwicklung nachzuzeichnen oder ihre Diskussion im Ausschuß in allen ihren Facetten wiederzu-

geben. Ziel des Editionsvorhabens des Deutschen Bundestages und des Bundesarchivs ist es, den Wortlaut der Beratungen über das Grundgesetz auf der Ebene der Ausschüsse zu präsentieren. Die Entstehungsgeschichte der einzelnen Artikel der Öffentlichkeit wissenschaftlich aufbereitet zugänglich zu machen, beabsichtigt Professor Dr. Hans-Peter Schneider mit dem von ihm initiierten, umfassend angelegten Editionsprojekt des Instituts für Förderaiismusforschung e. V., (vormals Forschungsstelle für Zeitgeschichte des Verfassungsrechtes, Hannover), dessen Ergebnisse in den nächsten Jahren erscheinen werden. Wie an anderer Stelle dargelegt1) war der Ausschuß für Grundsatzfragen nur eine von mehreren Gesprächs- und Diskussionsebenen des Parlamentarischen Rates. Wer sich über die Genese einzelner Artikel informieren will, wird zur Zeit noch die Kommentare zum Grundgesetz2) und das zeitgenössische Werk über die Entstehungsgeschichte3) heranziehen müssen, wenn auch zu vielen Artikeln und Themenbereichen mittlerweile Monographien vorliegen. Nicht zu vernachlässigen ist dabei die zeitgenössische Berichterstattung des Vorsitzenden des Ausschusses für Grundsatzfragen, Hermann von Mangoldt, der sich mehrfach zur Entstehungsgeschichte einzelner Artikel oder Teile des Grundgesetzes geäußert hat und der auch der Verfasser eines der ersten großen

Grundgesetz wurde4). Aufgabe dieser Einleitung ist es vor allem, den Leser in den Rahmen der Beratungen des Ausschusses einzuführen, die beteiligten Personen vorzustellen und einige der wichtigsten Beratungskomplexe kurz zu beschreiben. Dies kann Kommentare

zum

1) Vgl. S. XXIV. 2) Maunz/Dürig: Grundgesetz. Kommentar. Loseblattsammlung

in vier Ordnern. 6. Auflage. München 1987; Kommentar zum Grundgesetz („Bonner Kommentar"), Loseblattsammlung in neun Ordnern. Hamburg 1987. Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. Begründet von Hermann von Mangoldt, fortgeführt von Friedrich Klein. 3. vollständig neu

bearb.

Auflage.

München 1985.

3) Doemming, Füsslein, Matz; Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, vgl. Literaturverzeichnis.

4) Vgl. die im Literaturverzeichnis unter dem Namen von Mangoldt angegebenen Titel; ferseinen Beitrag über die Grundrechte im Schriftlichen Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Anlage zum stenographischen Bericht der 9. Sitzung des Plenums des Pari. Rates am 6. Mai 1949, S. 5—13. ner

IX

Einleitung jedoch nur in Form einer abrißartigen Hinführung erfolgen unter Verzicht auf eine verfassungsrechtliche oder ideengeschichtliche Interpretation. Den Zugang zu den einzelnen, vom Ausschuß behandelten, Materien ermöglichen die Indices.

IL ERRICHTUNG DES AUSSCHUSSES FÜR GRUNDSATZFRAGEN UND SEINE PERSONELLE ZUSAMMENSETZUNG

Die Quellen zur Errichtung und personellen Besetzung der Ausschüsse des Parlamentarischen Rates durch die Fraktionen sind dürftig; es fehlen weitgehend sowohl Dokumente, die den Entscheidungsprozeß in den Parteien widerspiegeln, als auch ausführlichere Informationen über die interfraktionellen Gespräche zur Schaffung der Ausschüsse und der Verteilung der Vorsitzenden auf die Fraktionen. In einer interfraktionellen Besprechung vom 1. September 1948 im Zimmer des Präsidenten des Parlamentarischen Rates wurden Anzahl der Ausschüsse und Zahl ihrer Mitglieder festgelegt5); formell beschlossen wurden die Ergebnisse, nachdem Beratungen im Ältestenrat am 8. und 9. Sept. 1948 diese bestätigt hatten6), auf der dritten Plenarsitzung am 9. September 19487). Demnach sollte der so wurde er dort noch be„Ausschuß für Grundsatzfragen und Grundrechte" nannt, während er später zumeist als Ausschuß für Grundsatzfragen oder Grundsatzausschuß firmierte 12 stimmberechtigte Mitglieder haben, die wie folgt unter den Fraktionen aufgeteilt wurden: CDU/CSU und SPD je fünf Abgeordnete, FDP ein Abgeordneter, und die kleinen Parteien DP, KPD und Zentrum eine gemeinsame Stimme. Dabei sollten diejenigen von den kleineren Parteien, die in einem Fachausschuß nicht stimmberechtigt vertreten waren, einen Vertreter entsenden können, der Rede- und Antragsrecht hatte, aber nicht über ein Stimmrecht verfügte. Im Falle des Ausschusses für Grundsatzfragen lag das Stimmrecht bei der DP. Mit 12 stimmberechtigten Mitgliedern war dieser Auswie auch der Ausschuß für das Besatzungsstatut stärker besetzt als schuß die sonstigen Fachausschüsse, die nur über 10 stimmberechtigte Mitglieder ver—







fügten.

Besprechungen war auch die Verteilung der Ausschußvorsitze bereits abgesprochen worden; demnach würde die CDU/CSU den Vorsitz im Ausschuß für Grundsatzfragen erhalten, nachdem der Hauptausschuß an die SPD gegangen war8). Daß dem Ausschuß für Grundsatzfragen eine hohe Bedeutung zugemessen wurde, zeigt die personelle Besetzung des Ausschusses Im Rahmen interfraktioneller

5) 6) 7) 8) X

BayHStA, NL Pfeiffer/72. Vereinbarung im Ältestenausschuß, Sitzungen vom

8. und 9. Sept. 1948, Drucks. Nr. 16. Sten. Berichte, S. 57, beschlossen wurde dort die Drucks. Nr. 19. Vgl. die ungez. und undat. Aufzeichnung „Vorsitz in den Ausschüssen" in: BayHStA, NL

Pfeiffer/175.

Einleitung durch die Fraktionen, die in diesen Ausschuß ordneten entsandten9).

Die CDU/CSU benannte Dr. Hermann

Prof.

von

einige ihrer prominentesten Abge-

folgende Mitglieder:

Mangoldt (1895-1953)10)

CDU, Schleswig-Holstein Nach Schulbesuch in Aachen und Danzig im März 1914 Reifeprüfung; Teilnahme am 1. Weltkrieg, zuletzt als Kommandant eines Torpedobootes; 1919 Beginn eines Studiums des Bauingenieurwesens an der TH Danzig; Mai 1919 Eintritt in die Haff- und Flußflottille des ostpreußischen Freiwilligenkorps, von dort Übernahme in den Reichswasserschutz, dem er bis zum 1. April 1926, zuletzt als Polizei- und Personalreferent angehörte; ab 1921 Aufnahme eines rechtswissenschaftlichen Studiums in Königsberg, 1926 Referendarexamen; Febr. 1928 ebendort Promotion, 1930 Assessorexamen. 1931 Habilitierung für öffentliches Recht und Luftrecht, 1935 Ernennung zum apl. Professor. Ab Wintersemester 1935/1936 Vertretungsprofessur in Tübingen, April 1936 planmäßiger außerordentlicher Prof., April 1939 ordentlicher Prof.; ab l.Jan. 1941 ordentlicher Prof. in Jena, ab 1. April 1943 in Kiel und zugleich Direktor des Instituts für internationales Recht. 1939—1943 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, zuletzt als Admiralstabsoffizier im Range eines Korvettenkapitäns beim Stab der Sicherungsstreitkräfte West. 1944 aus Gesundheitsgründen entlassen. Ab Wintersemester 1945/1946 Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit an der Universität Kiel, zugleich Dekan seiner Fakultät, 1947/1948 Rektor; als Vertreter der Universität Mitglied des ersten ernannten Landtages von Schleswig-Holstein; 1946/1947 Innenminister.

Weitere Funktionen im Pari. Rat:

Mitglied

des

gemeinen Redaktionsausschusses (erst ab April v.

Hauptausschusses und des All1949 nach dem Rücktritt

von

Brentano), stellv. Mitglied des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und

Rechtspflege. Spätere Tätigkeit: men;

Ab 1952 Richter am Staatsgerichtshof der Hansestadt BreVerfasser eines Kommentars zum Grundgesetz11).

9) Die folgenden biographischen Angaben aufgrund folgender Unterlagen: Z 5 Anhang/1, Angaben zu den Lebensläufen der Mitglieder des Pari. Rates, die im Rahmen der geplan-

von Pfeiffer in den Jahren 1955/1956 zusammengestellt Pfeiffer hatte hierfür einen Fragebogen entwickelt und diesen an die Mitglieder des Pari. Rates versandt. Zeitgenössische biographische Angaben in den Drucksachen Nr. 22 c bis f. sowie in der Publikation ..Documents on the Creation of the German Federal Constitution", S. 50 —61 ; Pommerin: Die Mitglieder des Pari. Rates. Porträtskizzen des britischen Verbindungsoffiziers Chaput de Saintonge, in: VfZ 36 (1988), S. 557-588. 10) Hermann von Mangoldt: Reden zu seinem Gedächtnis. Kiel 1953. 11) Vgl. Literaturverzeichnis; Einzelne Korrespondenz zur Interpretation einzelner Fragen des Grundgesetzes, auch im Zusammenhang mit seinem Kommentar, in seinem Nachlaß im Bundesarchiv, Koblenz.

ten Geschichte des Pari. Rates

worden

waren.

XI

Einleitung Karl

Sigmund Mayr (1906-1978)

CSU, Bayern Nach dem Besuch einer Oberrealschule in Nürnberg studierte Mayr an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg und an der Universität Tübingen; 1932 Examen als Diplom-Volkswirt. Ab 1932 Steuerberater und Bücherrevisor; Teilnahme am Zweiten Weltkrieg. 1946 Eintritt in die CSU, Juni 1946 in die Verfassungsgebende Landesversammlung Bayerns gewählt für den Wahlkreis Fürth Stadt und Land. Weitere Funktionen im Pari. Rat: Mitglied im Finanzausschuß; stellv. Mitglied im Ausschuß für Wahlrechtsfragen. Spätere Tätigkeit: Nach Abschluß der Arbeit des Pari. Rates Ausscheiden aus der aktiven Politik. Er hatte, anders als die CSU, für die Annahme des Grundgesetzes gestimmt. 1954 legte er alle Ämter in der CSU nieder. Dr. Anton

Pfeiffer (1888-1957)12)

CSU Bayern Besuch eines Gymnasiums in Speyer; anschließend Studium der neueren Philologie, Philosophie und Volkswirtschaft in München und Erlangen; 1912 Staatsexamen, 1913 Promotion. Lehrtätigkeit an höheren Lehranstalten. 1918 Generalsekretär der Bayerischen Volkspartei, 1927—1933 Mitglied des Bayerischen Landtages; 1933 verhaftet, vom Dienst suspendiert, dann strafversetzt. 1945 Staatsrat in der Bayerischen Staatskanzlei und später deren Leiter; 1946 Mitglied der Verfassungsgebenden Landesversammlung und danach Mitglied des Landtages, Staatssekretär im Bayerischen Ministerpräsidium, Minister für die Entnazifizierung. Weitere Funktionen im Pari. Rat: Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, Mitglied *" im Ältestenrat und im Hauptausschuß. 1949 Spätere Tätigkeit: Vertretung Bayerns im Bundesrat, 1950 Generalkonsul und 1951 Botschafter in Brüssel, 1955

Versetzung

in den Ruhestand.

Josef Schräge (1881-1953) CDU, Nordrhein-Westfalen Im

Jahre

1918 Eintritt in die

Gewerkschaftsbewegung

und in die

Kommunalpo-

litik, Leiter des Arbeitsamtes Olpe; bis 1933 für das Zentrum im Provinziallandtag; 1933 Entlassung aus dem öffentlichen Dienst, Tätigkeit als Journalist; 1945

Bürgermeister der Stadt Olpe,

1946 Landrat des Kreises Olpe. Weitere Funktionen im Pari. Rat: Stellv. Mitglied im Ausschuß für die tion des Bundes; Mitglied im Auschuß für Wahlrechtsfragen.

Spätere Tätigkeit: Mitglied des Landtages

von

Organisa-

Nordrhein-Westfalen, Vorsitzen-

der der CDU-Fraktion.

Reuter: „Graue Eminenz der bayerischen Politik." Eine Anton Pfeiffers 1888-1957. München 1987.

12) Christiane XII

politische Biographie

Einleitung c. Helene Weber (1881-1962)13) CDU, Nordrhein-Westfalen

Dr. h.

Nach Ausbildung für den Volksschuldienst Lehrerin von 1900—1905, dann Studium in Geschichte, Französisch und Philosophie in Bonn und Grenoble, Studienrätin in Bochum und Köln bis 1916; 1917 Gründung einer Wohlfahrtsschule der katholischen Deutschen Frauenliga in Köln—Aachen; 1920 Referentin (Ministerialrätin) im Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt; bis 1933 für das Zentrum im Reichstag und zeitweise im Preußischen Landtag; 1933—1945 in der privaten Fürsorge tätig; 1946 Mitglied des Landtages von NordrheinWestfalen, Mitglied des Zonenbeirates. Weitere Funktionen Im Pari. Rat: Stellv. Mitglied im Hauptausschuß und im Wahlrechtsausschuß. Spätere Tätigkeit: Mitglied des ersten bis vierten Deutschen Bundestages und des Europa-Rates. Als stellvertretende

Mitglieder

waren von

der CDU/CSU benannt worden:

Theophil Kaufmann (1888-1961), Württemberg-Baden Lambert Lensing (1889—1965), Nordrhein-Westfalen Dr. Kaspar Seibold (1914), Bayern Dr. Adolf Süsterhenn (1905-1974), Rheinland-Pfalz Ernst Wirmer (1910—1981), Niedersachsen

Von der SPD waren in den entsandt worden: Dr. Ludwig SPD, Hessen

Prof.

Ausschuß für Grundsatzfragen folgende Abgeordnete

Bergsträsser (1883-1960)14)

Bergsträsser besuchte in Colmar das Gymnasium, studierte Geschichte in Heidelberg, München, Leipzig und Paris und wurde an der Universität Heidelberg promoviert. 1910 Privatdozent für Geschichte an der Universität Greifswald. 1915-1918 tätig in der Verwaltung der besetzten Ostgebiete. 1918-1920 Professor an der TH Charlottenburg. 1920 Berufung an die Forschungsabteilung des Reichsarchivs in Potsdam, gleichzeitig Dozent an der Handelshochschule Berlin und Frankfurt/Main. 1921 Veröffentlichung des Standardwerkes „Geschichte der politischen Parteien in Deutschland"; 1924-1928 MdR für die DDP, 1928 Versetzung

an

die Außenstelle Frankfurt des Reichsarchivs,

eine Geschichte der zur

SPD;

1933

Nationalversammlung Entlassung als Oberarchivrat aufgrund

1848/1849

zu

um

Vorarbeiten für

leisten;

1930

des Gesetzes

zur

Übertritt Wieder-

in: Zeitgeschichte in Lebensbildern Bd. 3. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Jürgen Arez, Rudolf Morsey, Anton Rauscher. Mainz 1979, S. 223-234. Vgl. Ludwig Bergsträsser: Befreiung, Besatzung, Neubeginn. Tagebuch des Darmstädter Regierungspräsidenten 1945—1948. Hrsg. von Walter Mühlhausen. München 1987.

13) Rudolf Morsey: Helene Weber (1881-1962), 14)

XIII

Einleitung des Berufsbeamtentums; Umzug nach Darmstadt, 1935—1939 Reisen nach Paris und London, 1945 Honorarprofessor für Politik an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt, Verbindungsmann zwischen Bürgermeister von Darmstadt und Militärregierung und Verwaltungschef der deutschen Regierung der Provinz Starkenburg, bis August 1948 Regierungspräsident in Darmstadt; 1946—1949 Mitglied des Hessischen Landtages, u. a. Vorsitzender des Verfassungsausschusses. Weitere Funktionen im Pari. Rat: Stellv. Mitglied im Hauptausschuß. Spätere Tätigkeit: Mitglied des ersten und zweiten Deutschen Bundestages.

herstellung

Friederike

Nadig (1897-1970) SPD, Nordrhein-Westfalen Nach dem Staatsexamen für Wohlfahrtspflege im Jahre 1922 tätig als Jugendfürsorgerin in der Stadtverwaltung Bielefeld; 1929—1933 Mitglied des Westfälischen Provinziallandtages. 1946 Bezirkssekretärin für Arbeiterwohlfahrt, Mitglied des Zonenbeirates. 1946—1950 Mitglied des Landtages von Nordrhein-West-

falen.

Weitere Funktionen im Pari. Rat:

Mitglied

im Ausschuß für

Bundes, stellv. Mitglied im Ausschuß für

Spätere Tätigkeit: Mitglied des

ersten

Organisation des

Zuständigkeitsabgrenzung. bis dritten Deutschen Bundestages.

Prof. Dr. Karl (Carlo) Schmid (1896-1979)15) SPD, Württemberg-Hohenzollern Besuch des Stuttgarter Karlsgymnasiums und Studium in Tübingen, wo er den Sozialistischen Studentenbund gründete. Nach der juristischen Staatsprüfung tätig als Rechtsanwalt, Richter, später Referent am Kaiser Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin. 1929 Habilitation an der juristischen Fakultät der Universität Tübingen. Ab 1940 Tätigkeit beim Chef der Militärverwaltung für Belgien und Nordfrankreich. Am 13. Juni 1945 zum Landesdirektor für Kultus, Unterricht und Kunst in Württemberg-Baden ernannt, Landesvorsitzender der SPD; 1946 ordentlicher Professor in Tübingen, Präsident des Landesdirektoriums für Württemberg-Hohenzollern zugleich Staatsrat in der Stuttgarter Regierung mit dem Recht auf Teilnahme an Kabinettssitzungen; nach der Umbildung der Württemberg-Hohenzollernschen Regierung vom Dez. 1946 übernahm er das Präsidium des Staatssekretariates sowie das Ressort

Justiz. Weitere Funktionen im Pari. Rat: Fraktionsvorsitzender der SPD, Mitglied des Vorsitzender des Hauptausschusses, Vorsitzender des Ausschusses

Ältestenrates, für das

Besatzungsstatut.

Spätere Tätigkeit: Von 1949—1972

Mitglied

1948-1973

Mitglied des Parteivorstandes der SPD, von Bundestages, zeitweise dessen Vizepräsi-

des Deutschen

15) Carlo Schmid: Erinnerungen. Bern, München, Wien Schmid und die 1986.

XIV

Gründung

der

Bundesrepublik.

Eine

1979. Gerhard Hirscher: Carlo

politische Biographie. Bochum

Einleitung dent;

1966

Bundesminister für

der.

Angelegenheiten

des Bundesrates und der Län-

Hans Wunderlich (1899-1977)

SPD, Niedersachsen Besuch der Real- und Oberrealschule in München, 1917 Teilnahme am Ersten Weltkrieg an der Westfront bis Kriegsende; 1920 Redaktionsvolontär beim „Einbecker Tageblatt", Redakteur bei der „Einbecker Volksstimme" der SPD und 1924 bei der „Freien Presse" Osnabrück; nach 1933 im Gartenbau und in der Landwirtschaft tätig in Lingen (Tecklenburg), 1946 Redakteur bei einer Zeitung der Militärregierung in Osnabrück, später Herausgeber der „Nordwestdeutschen Rundschau" in Wilhelmshaven, dann Ressortleiter der politischen Redaktion bei der „Westfälischen Rundschau". Weitere Funktionen im Pari. Rat: Keine. Spätere Tätigkeit: Nach 1949 nur noch journalistische Tätigkeit. Dr. h.

c.

August Zinn (1901-1976)

SPD, Hessen

Nach dem Besuch

Schulen in Frankfurt/Main, Bielefeld und Hamburg Rei1920—1931 Kommunalbeamter bei der Stadt Kassel, feprüfung 1923—1926 beurlaubt für Studien der Rechts- und Staatswissenschaften in Göttingen und Berlin, Okt. 1931 große juristische Staatsprüfung in Berlin; 1931—1945 Rechtsanwalt bei dem Amts- und Landgericht in Kassel mit Unterbrechung durch Schutzhaft im Juli 1933 und kurze Teilnahme am Krieg; Juni 1945 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen; Okt. 1945 Landgerichtsdirektor bei dem Landgericht in Kassel, Okt. 1945—Okt. 1949 Minister der Justiz in Hessen, von Okt. 1946—Okt. 1949 zugleich Direktor des Landespersonalamtes in Hessen, vom Juni—Sept. 1947 Vizepräs, und Mitglied des Wirtschaftsrates. Weitere Funktionen im Pari. Rat: Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsgerichtsbarkeit und Rechtspflege, Mitglied des Allgemeinen Redaktionsausschusses, stellv. Mitglied im Hauptausschuß. Spätere Tätigkeit: 1949—1951 Mitglied des Deutschen Bundestages, ab Dez. 1956 bis Okt. 1969 Ministerpräsident des Landes Hessen. in

von

Kassel;

Als stellvertretende

Mitglieder benannte die SPD: Eberhard (1896-1982), Württemberg-Baden

Dr. Fritz Dr. Elisabeth Seibert (1896-1986), Niedersachsen Hermann Runge (1902-1975), Nordrhein-Westfalen Dr. Willibald Mücke (1902-1984), Bayern

Rudolf Heiland (1910-1965), Nordrhein-Westfalen

XV

Einleitung Für die FDP

war

im

Ausschuß tätig:

Prof. Dr. Theodor Heuss (1884-1963)16) FDP, Württemberg-Baden Nach dem Besuch des Gymnasiums in Heilbronn studierte er in Berlin und München Kunstgeschichte und Staatswissenschaften, 1905 Promotion bei Lujo Brentano; seit 1905 Redakteur der von Friedrich Naumann herausgegebenen Zeitschrift „Die Hilfe". 1912—1918 Chefredakteur der „Neckarzeitung" in Heilbronn und der Zeitschrift „März". Seit l.Jan. 1918 Rückkehr nach Berlin als Mitgeschäftsführer des „Deutschen Werkbundes" und innenpolitischer Redakteur der Wochenschrift „Deutsche Politik", dann Hauptredakteur der Zeitschrift „Deutsche Nation". Ab 1920 Dozent der Deutschen Hochschule für Politik; 1924-1928, 1930-1932, 1933 MdR für die DDP, ab 1930 Deutsche Staatspartei; ab 1933 als freier Publizist tätig, ab 1941 unter Pseudonym wegen Verbots, mit festem Mitarbeiterverhältnis zur Frankfurter Zeitung. Sommer 1945 Lizenz für die „Rhein-Neckar-Zeitung", Mitbegründer der FDP/DVP, zu deren ersten Vorsitzenden in der US-Zone er 1946 gewählt wurde. Sept. 1945-Dez. 1946 Kultminister in Württemberg-Baden, Mitarbeit an der Landesverfassung; Dez. 1948 Erster Vorsitzender der Westdeutschen FDP. Weitere Funktionen im Pari. Rat: Fraktionsvorsitzender der FDP, Mitglied im

Ältestenrat, Mitglied im Hauptausschuß. Spätere Tätigkeit: 1949—1959 Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Ein stellvertretendes

Für die DP

war

Mitglied

in den

hatte die FDP nicht benannt.

Ausschuß

entsandt worden:

Wilhelm Heile (1881-1969)17) DP, Niedersachsen Nach Besuch des Gymnasiums in Bremen und Emden und praktischer Arbeit auf einer Schiffswerft und auf See Studium des Schiffsbaus an der TH Hannover; wegen Führerschaft im Kampf um die akademische Freiheit 1905 relegiert, bis 1908 Herausgeber der Zeitschrift des Verbandes Deutscher Hochschulen Berlin, Mitarbeiter unter Friedrich Naumann, 1919 nach dessen Tod Herausgeber der Wochenschrift „Deutsche Hilfe" ; Teilnahme am 1. Weltkrieg ; als Mitglied der DDP in der Nationalversammlung und MdR; Präsident der von ihm

la) Unter der zahlreichen Literatur über Heuss vgl. K. D. Bracher: Theodor Heuss und die

Wiederbegründung der Demokratie in Deutschland. Tübingen 1965; Ingrid Wurtzbacher-Rundholz: Verfassungsgeschichte und Kulturpolitik bei Dr. Theodor Heuss bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland durch den Parlamentarischen Rat 1948/49. Frankfurt, Bern

1980 sowie zuletzt Theodor

Heuss, Politiker und Publizist, Aufsätze und

Ausgewählt und kommentiert von Martin Vogt. Tübingen 1984. 17) Ludwig Luckemeyer: Wilhelm Heile 1881-1891. Wiesbaden 1981. Reden.

XVI

Einleitung der liberalen und demokratischen Parteien sowie des Deutschen und Internationalen Bundes für Europäische Union, Vizepräsident des Österreichisch-Deutschen Volksbundes; 1933 aus allen Ämtern entlassen. Nach 1945 Mitbegründer und erster Präsident der LDP, Gründer der Europa-Union; 1945-1946 Landrat des Kreises Grafschaft Hoya; 1946 MdL in Niedersachsen und Übertritt zur Niedersächsischen Landespartei (DP); im ersten Kabinett Kopf stellv. Ministerpräsident, ab Sept. 1946 Minister für Verkehr; Mitglied des Zonenbeirates. Weitere Funktionen im Pari. Rat: Mitglied des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, stellv. Mitglied im Hauptausschuß. Spätere Tätigkeit: Bis 1951 Mitglied des Landtages in Niedersachsen.

mitbegründeten Vereinigung

Als stellvertretendes Mitglied war zwar Dr. Hans-Christoph Seebohm (1903—1967) von seiner Fraktion unter dem 13. Sept. 1948 dem Sekretariat des Pari. Rates gemeldet worden; in der offiziellen Aufstellung der Mitglieder des Ausschusses18) war ein Stellvertreter für Heile jedoch nicht aufgeführt. Die SPD meldete für den Ausschuß als Berliner Delegierten, der mit beratender Stimme teilnehmen sollte, den Abgeordneten Otto Suhr und als dessen Vertreter Paul Loebe19). Aus der Aufstellung auf den folgenden Seiten läßt sich erkennen, welche Mitglieder des Ausschusses an den einzelnen Sitzungen teilgenommen haben. Freilich sollte man aus einem Fehlen bei Sitzungen nicht auf ein mangelndes Engagement an der Arbeit des Ausschusses oder des Pari. Rates schließen; offensichtlich waren einige Mitglieder durch die Arbeit in anderen Ausschüssen des Pari. Rates oder durch ihr Wirken in anderen Funktionen zeitweise so absorbiert, daß sie nur noch selten Sitzungen aufsuchen konnten. Dies gilt sicherlich unter anderem für Carlo Schmid, der in der Anfangsphase an der Arbeit des Ausschusses regelmäßig und intensiv Anteil nahm, später dann jedoch durch die Arbeit als Fraktionsvorsitzender der SPD und als Vorsitzender des Hauptausschusses vermutlich so überlastet war, daß er diesen Ausschuß vernachlässigen mußte. Auch Pfeiffer, der Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU war, und Zinn, der Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsgerichtsbarkeit und Rechtspflege und Mitglied im Allgemeinen Redaktionsausschuß war, besuchten im Verlaufe der Arbeit des Parlamentarischen Rates die Sitzungen dieses Ausschusses nur noch selten. Verständlich, daß die Funktionsträger des Ausschusses, der Vorsitzende von Mangoldt, sein Stellvertreter Bergsträsser und der Schriftführer Heuss regelmäßig anwesend waren. Von Mangoldt fehlte nur ein einziges Mal, Heuss fünfmal, während Bergsträsser keine Sitzung versäumte. Von den als Vertreter benannten Abgeordneten war Fritz Eberhard (SPD) besonders häufig anwesend; er versäumte lediglich die 15. und 18. Sitzung und arbeitete mit einer Intensität mit, daß man nur formal von einer Vertreterrolle sprechen kann. Als Leiter des Deutschen Büros für Friedensfragen brachte er in 18) Vgl. Drucks. Nr. 51 d. 19) Schreiben der SPD-Fraktion

BayHStA

an

das Sekretariat des Pari. Rates

vom

16.

Sept.

1948.

NL Pfeiffer/175.

XVII

Einleitung ANWESENHEIT DER ORDENTLICHEN MITGLIEDER DES AUSSCHUSSES FÜR GRUNDSATZFRAGEN

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XIX

Einleitung einigen Fragen des Völkerrechts die Sachkenntnis von Mitarbeitern seines Instituts in die Beratungen mit ein20). Lambert Lensing (CDU) besuchte als Vertreter 16 Sitzungen; die weiteren offiziellen Vertreter waren hingegen nur selten an-

wesend:

Ernst Wirmer (3., 16., 34., 35. Sitzung) Theophil Kaufmann (8., 10., 18. Sitzung) Dr. Adolf Süsterhenn (24., 29., 32. Sitzung) Dr. Willibald Mücke (1., 26. Sitzung) Dr. Kaspar Seibold (1. Sitzung) Dr. Elisabeth Seibert (21. Sitzung)

Außer den in den Ausschuß entsandten Abgeordneten und ihren Vertretern besuchten zahlreiche weitere Parlamentarier einzelne Sitzungen, diskutierten in Ausnahmefällen auch mit, ohne daß sie allerdings die Beratungen des Ausschusses wesentlich beeinflußten. Der Vollständigkeit halber seien sie in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt:

Hans-Heinz Bauer (SPD): 24., 25., 27. Sitzung Adolf Blomeyer (CDU): 3., 23., 29. Sitzung Dr. Thomas Dehler (FDP): 22., 30. Sitzung Dr. Georg Diederichs (SPD): 13., 15. Sitzung Adolf Ehlers (SPD): 13. Sitzung Dr. Hermann Fecht (CDU): 19., 22., 29. Sitzung Dr. Albert Finck (CDU): 30. Sitzung Dr. Otto Heinrich Grève (SPD): 17., 29., 35. Sitzung Jakob Kaiser (CDU): 2., 5., 7.-9., 32. Sitzung Dr. Ferdinand Kleindinst (CSU): 13., 15., 20., 21. Sitzung Dr. Gerhard Kroll (CSU): 2., 8. Sitzung Karl Kuhn (SPD): 13., 30. Sitzung Dr. Wilhelm Laforet (CSU): 35. Sitzung Friedrich Maier (SPD): 10., 14., 20., 30. Sitzung Dr. Walter Menzel (SPD): 29. Sitzung Hugo Paul (KPD): 3., 5. Sitzung Dr. Hans Reif (FDP): 16., 18., 28., 34. Sitzung Heinz Renner (KPD): 10., 13. Sitzung Ernst Reuter (SPD): 13.

Sitzung

Albert Rosshaupter (SPD): 18., 21. Sitzung Kaspar Gottfried Schioer (CSU): 13., 14., 25., 26. Sitzung Jean Stock (SPD): 18. Sitzung Dr. Otto Suhr (SPD): 1., 9.-11., 14., 20. Sitzung Felix Walter (CDU): 16., 30. Sitzung Gustav Zimmermann (SPD): 8., 11., 17., 19., 20.

20) Vgl. S. 103 f., XX

315

f., S.

548.

Sitzung

Einleitung Nicht wenige der im Ausschuß vertretenen Abgeordneten hatten bereits eine beachtliche langjährige politische Karriere in der Weimarer Zeit hinter sich. So nimmt es nicht wunder, daß die erlebte Erfahrung des politischen Lebens der Weimarer Republik in den Diskussionen immer wieder beschworen wurde. Dies gilt insbesondere für Theodor Heuss, der wie kein anderer das kulturelle und politische Leben der Republik von Weimar verkörperte. Aber auch Bergsträsser, Frau Weber und Heile waren bereits Abgeordnete des Reichstages in der Zeit bis zur Machtergreifung durch die NSDAP gewesen21). Die führenden Köpfe des Ausschusses verfügten darüber hinaus über reiche Erfahrungen aus der Arbeit an den Verfassungen der Länder, aus denen sie kamen: Bergsträsser war Vorsitzender des hessischen Verfassungsausschusses gewesen, Pfeiffer war an der Gestaltung der Bayerischen Verfassung beteiligt, Carlo Schmid und Heuss an der Verfassung von Württemberg-Baden. Daher ist verständlich, daß auf die Verfassungen von Hessen und Württemberg-Baden, die ein bis zwei Jahre zuvor unter Mitwirkung dieser Abgeordneten erarbeitet worden waren, besonders häufig verwiesen wurde. III. TÄTIGKEIT DES AUSSCHUSSES FÜR GRUNDSATZFRAGEN

l.Zur

Aufgabenstellung

des Ausschusses und

zur

Methodik der

Beratung

Zwei Wochen nach der Konstitutierung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 in seiner ersten Plenarsitzung trat am 15. September der Ausschuß für Grundsatzfragen zu seiner ersten von insgesamt 36 Sitzungen zusammen, wählte den Abgeordneten von Mangoldt (CDU) zu seinem Vorsitzenden, Zinn (SPD) zum stellv. Vorsitzenden und Heuss (FDP) zum Schriftführer22). Die eigentliche Arbeit des Ausschusses begann am folgenden Tage mit einführenden Referaten über die Beratungen in Herrenchiemsee durch Pfeiffer und Carlo

Schmid, die beide bereits wesentliche Mitgestalter des Chiemseer Entwurfs

ge-

waren23). Beide Berichterstatter sahen es offensichtlich als fast selbstverständlich an, den Bericht von Herrenchiemsee als eine Art Leitfaden für die

wesen

Beratungen des Ausschusses

zu empfehlen24). Nach der Einteilung des Entwurfs Herrenchiemsee würde der Ausschuß den Abschnitt I (Grundrechte), den Abschnitt II (Völkerrechtliche Verhältnisse des Bundes) vollständig und aus dem Abschnitt III (Bund und Länder) die Artikel 27—29 zu bearbeiten haben. Grundsätzlich wurden die im Ausschuß beratenen Themen jeweils durch einen Unterausschuß, gelegentlich auch interner Redaktionsausschuß benannt, vorbevon

21) Zum Gesamtproblem des Verhältnisses der WRV

zum Grundgesetz vgl. Friedrich Karl Fromme: Von der Weimarer Republik zum Bonner Grundgesetz. Carlo Schmid charakterisierte das Wirken von Heuss im Pari. Rat u. a. mit den Worten: „Berichte über seine Erfahrungen in Zeiten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik haben manche theoretische Frage als zurechtfrisiertes Scheinproblem entlarvt" (Erinnerungen, S. 406). 22) Dok. Nr. 1. 23) Dok. Nr. 2, TOP 1. 24) Vgl. Pfeiffers Äußerung auf S. 5, Schmids Stellungnahme auf S. 6.

XXI

Einleitung reitet, dieses inoffizielle Gremium in wechselnder Zusammensetzung, jedoch

immer mit dem Vorsitzenden von Mangoldt, dem Schriftführer Heuss und Bergsträsser besetzt, bereitete die Themen der offiziellen Sitzungen des Ausschusses vor. Im internen Redaktionsausschuß wurde in der Regel auch die erste Formu-

lierungsarbeit

für die einzelnen Artikel

geleistet.

Die Zusammenkünfte und die Zusammensetzung dieser Gruppe wurden ebenso locker gehandhabt wie die Teilnahme an den Ausschußsitzungen selbst. Gele-

gentlich war fast der komplette Ausschuß bei der Vorbereitung der offiziellen Sitzung anwesend25). Über diese Besprechungen im internen Redaktionsausschuß liegen Protokolle nicht vor; allerdings wurde über die dort geführten Diskussionen hin und wieder in den Ausschußsitzungen bei der Vorlage und Beratung der ausgearbeiteten Formulierungsvorschläge berichtet. Die Verhandlungen des Ausschusses für Grundsatzfragen spielten sich durchweg in einer guten und konstruktiven Atmosphäre ab; sie waren fast völlig frei m persönlicher und politischer Polemik. Unter der souveränen Gesprächsführung durch von Mangoldt, der bei Abschweifungen in den Diskussionen die Debatte immer wieder auf das Thema zurückzubringen wußte, entstand gelegentlich fast so etwas wie eine heitere, akademische Atmosphäre. Die Diskussionen wurden allerdings auch im wesentlichen durch akademisch geprägte Mitglieder des Ausschusses bestimmt. Der Ausschußvorsitzende von Mangoldt war noch 1945/1946 Dekan der juristi*'

schen Fakultät von Kiel, 1947/1948 dann Rektor der Universität Kiel gewesen. Carlo Schmid war seit 1946 unter anderem Professor für öffentliches Recht in Tübingen, und auch Bergsträsser hatte Beziehungen zur Universität. Er gab sich, wie ein englischer Verbindungsoffizier schrieb, „möglicherweise bewußt als typischer Universitätsprofessor in seiner Erscheinung und in seiner Art"26). Zu dem Eindruck einer „akademisch-wissenschaftlichen" Atmosphäre trug auch Heuss mit seinen sehr abgewogenen und doch pointierten Beiträgen bei, die er gelegentlich mit deftigen Ausdrücken seines schwäbischen Idioms würzte: Da charakterisierte er Dinge mehrfach als „saumäßig" und „saudumm", sprach von „Saugeld", „Sauunfug" und „Saudeutsch"27). Im Bemühen um eine sprachlich ak25) Vgl. S. 156. 26) Pommerin: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. VfZ 36 (1988), S. 557-588; Zitat

auf S. 563 f ; im übrigen wurde Bergsträsser bescheinigt, sein akademisches Wissen und die langjährigen Erfahrungen als Beamter seien für die Formulierung der Grundrechte im Grundgesetz von beträchtlichem Wert gewesen. 27) Carlo Schmid beschrieb die Rolle von Theodor Heuss in seiner „Parlamentarischen Elegie" vom Jan. 1949 (NL Heuss/418) mit den Versen: „Wallend weht ihm das Haar im Silberschimmer der Weisheit, Und seines Basses Gewalt gibt ein dreifaches Gewicht Jeglichem Wort; so erdrückt es den Kampf mut des wildesten Streithahns, Selbst Held Süsterhenn senkt müd sein geschlagenes Haupt. Weise verteilet der Heuss seine Gaben, das Ja und das Nein, daß Keinem schwelle der Kamm, und bis zum letzten Tag Zucke das Zünglein der Waage und jeglicher merke: es siege Schließlich der, dem der Baß Theodors endlich sich neigt. Traun, das wird dann ein Fest sein im Zelte des Siegers: Doch Theodor

XXII

Einleitung zeptable Fassung engagierten

sich vor allem Heuss, Bergsträsser und Pfeiffer. Pfeiffer beschrieb dieses Ringen einmal in einem privaten Schreiben mit folgenden Worten: „Im Parlamentarischen Rat bin ich auch im Ausschuß für Grundsatzfragen Mitglied. Da ist es manchmal recht lustig, wenn am Ende der großen sachlichen Diskussionen die Artikel formuliert werden müssen. Das führt dann gerne zu einem Philologenkrieg innerhalb der Verfassungsberatungen. Theodor Heuss (FDP), Bergsträsser (SPD) und ich (CSU), wir Drei sind einige der Nichtstaatsrechtler in diesem Ausschuß und uns fällt dann die Aufgabe zu, die sachliche Ausarbeitung, die normalerweie auf das Konto der Staatsrechtler zu setzen ist, für den kommenden politischen Normalverbraucher leserlich und verständlich zu machen und wir ziehen dann mit Geschrei vom Leder, wenn jemand von einem ,am 1. 9. zusammengetretenen Parlamentarischen Rat' redet oder von der .gestern stattgefundenen Aussprache'. Kein Komma ist vor uns Dreien sicher, daß es nicht gesetzt oder gestrichen wird28)." Zu der ungezwungenen Atmosphäre trug sicherlich auch der Umstand bei, daß anders als in in diesem Ausschuß von wenigen Ausnahmen abgesehen29) anderen Ausschüssen bei Meinungsverschiedenheiten nicht abgestimmt wurde; bei nicht zu lösenden Differenzen wurden zu einem Artikel oder einem Satz zwei Versionen ausgearbeitet und dem Hauptausschuß zur Entscheidung vorge—



legt30).

Selbst Themen, wie Elternrecht, die die

B. die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder das Bevölkerung stark bewegten und die im bevorstehenden Wahlkampf zum ersten Deutschen Bundestag eine Rolle spielen konnten, wurden ohne parteipolitische Polemik behandelt. Die Sitzungen des Ausschusses waren, anders als die des Plenums und des Hauptausschusses, auch nicht öffentlich, so daß ohne Rücksicht auf ein publizistisches Echo gesprochen werden z.

konnte31). Als Leistungsträger des Ausschusses hervorzuheben sind vor allem die Abgeordneten von Mangoldt, Heuss und Bergsträsser. In den Anfängen der Arbeit, als die Themen des Ausschusses grundsätzlich beraten wurden, auch Zinn, Pfeiffer und Schmid. Der größte Einfluß auf die konkrete Ausgestaltung und Formulierung der vom Ausschuß bearbeiteten Artikel wird man jedoch dem Vorsitzenden, von Mangoldt, zuschreiben können. Als Staatsrechtler hatte er für seine Funktion auch die besten Voraussetzungen32).

28) 29) 30) 31)

32)

Gehet zu dem der verlor, und sein spendendes Wort Lehrt ihn, daß alles auf Erden ja wechsle, daß morgen ein Tag sei, vielleicht." Der, was sich heute versagt, bringen könnte Pfeiffer an Hans Ferber vom 19. Okt. 1948 in: BayHStA, NL Pfeiffer/360. S. 193 und 210. Vgl. den Vorschlag zu den Bundesfarben (S. 552). Vgl. die kritischen Äußerungen zu den Folgen der Öffentlichkeit der Sitzungen des Hauptausschusses durch von Mangoldt in seinem Grundgesetz-Kommentar, S. 17. Die Rechtskenntnisse von Mangoldts seien für die Arbeit des AfG von unschätzbarem Wert gewesen, betonte der britische Verbindungsoffizier Chaput de Saintonge in seinem Bericht über die Abgeordneten des Pari. Rates (vgl. Pommerin: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, VfZ 36 [1988], S. 576). —

XXIII

Einleitung Der impulsivste Debattenredner war zweifellos Carlo Schmid, der seine Ausführungen mit einer souveränen Fülle von historischen Assoziationen und Beispielen zu illuminieren und mit seinem kulturgeschichtlichen und akademischen Wissen zu brillieren wußte; sein Parteifreund Bergsträsser hatte nach seiner Begegnung mit ihm im Verfassungsausschuß des Stuttgarter Länderrates in seinem Tagebuch notiert: „Schmid hat doch einen stark romantischen Einschlag, verbunden mit Pathos33)." Mit 36 Sitzungen tagte der Ausschuß für Grundsatzfragen am häufigsten von allen Fachausschüssen34). Wie die als Drucksachen des Sekretariates herausgegebenen Sitzungspläne zeigen, kam er zumeist im Zimmer 178 auf dem II. Stock der Pädagogischen Akademie, das auch „Ausschußzimmer III" genannt wurde, zusammen; gelegentlich aber auch in Zimmer 81 im Erdgeschoß und einmal, am 16. Sept. 1948, auch in der Bibliothek. Bis zum 16. September 1948 hatte der Ausschuß bereits in 31 seiner 36 Sitzungen den wesentlichen Teil seiner Arbeit geleistet, indem er die für ihn einschlägigen Artikel in zwei Lesungen beraten und verabschiedet hatte; die restlichen fünf Sitzungen im Verlaufe des Januars 1949 befaßten sich noch mit Redaktionsarbeiten an der Präambel und an den Grundrechten, nachdem der Hauptausschuß sie in erster Lesung behandelt hatte, sowie mit den schwierigen Bestimmungen über die Neugliederung des Bundesgebietes und die Änderung im Gebietsstand der Länder. Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, daß die Beratungen im Ausschuß für Grundsatzfragen nur eine von mehreren Diskussions- und Entscheidungsebenen im Parlamentarischen Rat waren. Zunächst wurden Positionen in den Fraktionen abgestimmt, von denen allerdings lediglich die CDU/CSU-Fraktion ihre Beratungen in Protokollen festhielt. Gelegentlich, wie etwa bei der Frage nach den Farben des Bundes, wurden die Beratungen im Ausschuß dadurch behindert, daß es in der CDU/CSU nicht oder nur mit großer Mühe gelang, eine Meinungsbildung herbeizuführen. Die Vorbesprechungen zu den im Ausschuß behandelten Themen im „internen Redaktionsausschuß" oder Unterausschuß wurden bereits zu Beginn dieses Abschnittes erwähnt. Die im Ausschuß für Grundsatzfragen gewonnenen Ergebnisse wurden dann, wie auch die Ergebnisse der anderen Fachausschüsse, von einem „Allgemeinen Redaktionsausschuß" redigiert und im Hauptausschuß behandelt, wobei im Hauptausschuß verständlicherweise die im Fachausschuß geführte Diskussion sich häufig in ähnlicher Form, wenn auch meist nicht so ausführlich, noch einmal wiederholte. Über einige zentrale Themenbereiche, über die eine Einigung nicht zu erzielen war, fanden dann noch interfraktionelle Gespräche statt. Dieses Geflecht an Beratun-

') Ludwig Bergsträsser: Befreiung, Besatzung, Neubeginn, S.

123. Vgl. auch die CharakteriChaput de Saintonge; bei aller Anerkennung der großen Verdienste um das Grundgesetz sei Schmid etwas pompös und empfänglich für Schmeicheleien (Pommerin: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, VfZ 36 [1988], S. 580). ') Der Ausschuß für Organisation des Bundes brachte es auf 32 Sitzungen, der Ausschuß für Zuständigkeitsfragen auf 21, der Finanzausschuß auf 20, der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege auf 22; der Hauptausschuß tagte 59, das Plenum

stik

von

12mal.

XXIV

Einleitung gen und Gesprächen müßte zum vollen Verständnis der Genese der einzelnen Artikel des Grundgesetzes eigentlich synchron verfügbar sein. Die Gegebenheiten der historischen Situation der Jahre 1948/1949, in denen die Beratungen des Pari. Rates sich abspielten, sollten dem heutigen Leser bewußt sein, selbst wenn sie bei der Besprechung der einzelnen Detailfragen nicht immer in aller Deutlichkeit ausgesprochen oder berührt wurden35). Bestimmend waren die Erfahrungen des totalitären Dritten Reiches und dessen Zusammenbruch im Mai 1945, der Zerfall Deutschlands in Besatzungszonen, die Eskalation des Ost-West-Konfliktes seit dem Scheitern der Moskauer Außenministerkonferenz im Sommer 1947 und die Berlin-Krise, durch die die westlichen Besatzungs- und Siegermächte zu Schutzmächten wurden; ferner die politische Entwicklung in der SBZ, in der mit der Schaffung der Volksfront, der Zwangsvereinigung von KPD und SPD eine zunehmende Entfernung von den politischen Zielen und Werten der westlichen Demokratien erfolgte. Die zahlreichen Anspielungen auf Gegebenheiten in der Ostzone machen deutlich, wie bewußt den Parlamentariern diese sich schnell vertiefende Kluft war36). Die Kriegsgefahr zwischen West und Ost erschien in den Monaten der Beratung des Grundgesetzes zeitweise als so real, daß Adenauer zur Beilegung von Kontroversen innerhalb der CDU/CSU gelegentlich darauf verwies, daß man zu Ergebnissen kommen müsse, weil im Frühjahr 1949 mit einem Krieg zu rechnen sei37). Bezeichnend für die Zeit vier Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus dürfte andererseits sein, daß einzelne Abgeordnete in ihren Beiträgen gelegentlich noch nationalsozialistisch besetzte Begriffe, offensichtlich versehentlich, verwendeten, die sie dann im Zuge der Korrekturen ihrer Beiträge eliminierten. So sprach der Abgeordnete Paul (KPD) im Zusammenhang mit der Auswanderung von „Lebensraum" und korrigierte den Begriff dann in „Lebensmöglichkeit"38). Auch Begriffe wie „Großdeutsch"39) und „Reich"40) fielen gelegentlich. Im Ringen um die sprachliche Fassung des Grundgesetzes wies Carlo Schmid darauf hin, die Nazis hätten „eine ganze Menge guter Vokabeln mißbraucht"41). —



35) Aus der zahlreichen

Literatur zu den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland sei hier verwiesen auf Wolfgang Benz; Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946—1949. Frankfurt a. M. 1984. Vgl. die Erwähnungen zur „Ostzone" im Sachindex dieses Bandes. Die Verfassungsberatungen des Deutschen Volksrates führten zu gegenseitigen propagandistischen Angriffen. Otto Grotewohl bezeichnete beispielsweise den Pari. Rat in einem Referat vor dem Deutschen Volksrat im Okt. 1948 als den „Ausdruck der vollendeten Kapitulation deutscher Menschen vor den Annektionsgelüsten der westlichen Besatzungsmächte". Die Taktik dieser Mächte werde in der Verfassungsfrage dadurch gekennzeichnet, daß das ganze Wirtschaftsproblem aus der Staats- und Verfassungsdiskussion herausgelöst werde (Informationsdienst des Pari. Rates, Z 12/53, Bl. 52). Ungez. Vermerk vom 12. Dez. 1948 „Bemerkungen zur Lage in Bonn", in: BayHStA, NL Pfeiffer/213. Bezeichnend dafür ist, daß Adenauer sich bei den Amerikanern nach seiner persönlichen Sicherheit im Falle einer russischen Invasion erkundigte (Foreign Relation of the United States, 1949, Vol III, S. 225). Dok. Nr. 6, Anm. 17. Dok. Nr. 37, Anm. 10. Dok. Nr. 38, Anm. 43. S. 64. nur

36)

37)

38) 39) 40) 41)

XXV

Einleitung Behandlung Ausschuß für Grundsatzfragen war 2.

der

Eingaben

für eine Reihe von Themen zuständig, die in besonderem Maße das Interesse der Bevölkerung weckten. Dies hatte zur Folge, daß aus allen Kreisen der Bevölkerung eine Fülle von Zuschriften an den Pari. Rat gerichtet wurden, die vom Ausschuß behandelt wurden. Hervorzuheben sind insbesondere die Flaggenfrage42), einzelne Grundrechte, wie die Kriegsdienstverweigerung, die Gleichberechtigung von Mann und Frau und schließlich das Elternrecht. Als der Ausschuß am 5. Oktober 1948 erstmals über die Behandlung der eingehenden Eingaben sprach, und von Mangoldt die Einsetzung eines Unterausschusses empfahl, der sie sichten sollte, äußerte sich Heuss sehr skeptisch über das „wertvolle Material" unter Bezugnahme auf seine Erfahrungen im Petitionsausschuß des Reichstages43). Bei anderer Gelegenheit warnte er davor, der Presse mitzuteilen, wieviel Eingaben aus der Bevölkerung eingegangen seien: „Tun Sie das bloß nicht. Dann wird das mitgeteilt und alle Leute sehen ein, daß sie bis jetzt etwas versäumt haben44)." Der Ausschuß beschloß dennoch, einen Unterausschuß zu bilden und benannte hierfür die Abgeordneten Frau Weber und Eberhard. In der Folgezeit wurden in mehreren Sitzungen alle Eingaben, die in die Zuständigkeit des Ausschusses fielen, zumindest kurz behandelt; einige wurden auch verlesen und besproDer

chen45). Von Mangoldt erwog, den Einsendern von Eingaben zur Kriegsdienstverweigerung auch inhaltliche Auskünfte über das Schicksal ihrer Eingaben zu geben46). Heuss wandte sich vehement dagegen: „Man darf keine endgültige Antwort geben. Die Leute veröffentlichen das in den Zeitungen, dann geht es los. Richtig ist, man dankt den Leuten für ihr Interesse und sagt, man hat es als Material für die Beratungen genommen47)." Bei diesem Verfahren ist es dann offensicht-

lich auch

geblieben.

Trotz der hohen Zahl

von ca. 160 Eingaben von Privatpersonen, die der Ausschuß behandelte48), war der inhaltliche Einfluß der Zuschriften aus der Bevölkerung auf die Arbeit des Ausschusses recht gering. Viele Zuschriften spiegelten zwar den Zeitgeist der unmittelbaren Jahre nach dem Zusammenbruch wider, sie waren andererseits in ihrem Gehalt häufig skurril und kaum faßbar, handelte es sich doch um individuelle Bekenntnisse und allgemeine Appelle zum Frieden, zum Christentum als Fundament eines künftigen neuen Staates. Derlei individuelle, weltanschauliche Bekundungen waren für die Arbeit am Grundgesetz kaum verwertbar. zwar einige Eingaben zur Frage der Bundesfarben und zur Gestaltung der Flagge besprochen, ein eigener Unterausschuß zur Behandlung dieser Eingaben wurde jedoch vom Hauptausschuß errichtet. Vgl. Dok. Nr. 39, Anm. 51. S. 147. S. 484. Vgl. Dok. Nr. 20, TOP 1 ; Dok. Nr. 22, TOP 3 und Dok. Nr. 41, TOP 1. S. 418. Ebenda. In dieser Zahl sind die Eingaben, die im Verlauf des Jahres 1949 noch im Rahmen von Kampagnen zum Elternrecht den Pari. Rat erreichten, nicht enthalten.

42) Im AfG wurden

43) 44) 45) 46) 47) 4B)

XXVI

Einleitung Eine

gewisse Wirkung zeigten allerdings Eingaben

zur

sprachlichen Gestaltung

der Grundrechte von einem Studienrat und Vikar Mahnert49) sowie vom Deutschen Sprachverein50). Anhand von Eingaben zur Kriegsdienstverweigerung entzündete sich in der 15. Sitzung51) eine grundsätzliche Debatte über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, die bereits die späteren Ergebnisse vorwegnahm. Einzelne Zuschriften wurden in Ausnahmefällen auch als Drucksachen des Pari. Rates vervielfältigt und gewannen damit bereits, indem sie an alle Mitglieder des Parlamentarischen Rates gelangten, eine gewisse Bedeutung52). Herausragend in ihrer Wirkung war eine Eingabe von Prof. Thoma zu der Fassung der Grundrechte nach der ersten Lesung im Ausschuß. Sie erfuhr eine sehr eingehende Beratung durch den Ausschuß in der zweiten Lesung der Grundrechte und wurde hier als Dok. Nr. 18 abgedruckt53). Daß im übrigen die Eingaben von Gewerkschaften, Organisationen und Verbänden eine größere Beachtung geschenkt wurde als den Eingaben von Privatleuten, liegt auf der Hand. Erstere wurden demgemäß auch häufiger als Drucksachen vervielfältigt. Als sich eine Flut von gleichförmigen Eingaben im Rahmen einer durch Organe der katholischen Kirche gesteuerten Kampagne zur Frage des Elternrechts auf den Parlamentarischen Rat ergoß, hatte der Ausschuß seine Tätigkeit bereits so gut wie beendet54). Vom Sekretariat wurden die Eingaben, nach Ausschüssen getrennt, in eigenen Bänden zusammengefaßt. Es sind nicht alle Zuschriften in den Akten des Parlamentarischen Rates erhalten, schwerwiegend sind die Lükken allerdings nicht. 3.

Einzelne

a) Die

Beratungsgegenstände

Überschrift

und Präambel

Überschrift „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland" wurde

erst

eingehender Diskussion gefunden und angenommen. Während die Bezeichnung „Grundgesetz" aus der Vorgeschichte des Pari. Rates ein nicht mehr zu diskutierender Begriff war55), galt es für den Ausschuß für Grundsatzfragen, darüber zu befinden, wie das zu schaffende staatliche Gebilde zu benennen sein würde. In dem Bewußtsein, daß der Begriff „Reich" aus psychologischen Gründen für das Ausland nicht akzeptabel sein würde56), obwohl er von der Jugend nach Meinung von Mangoldts angestrebt würde57), hatte der Chiemseer Entwurf noch die sehr förderalistische Bezeichnung „Bund deutscher nach sehr

49) 50) 51) 52) 53)

S. 727,--

Vgl. Sachindex unter Deutscher Sprachverein.

Dok. Nr. 20, TOPl. Drucks. Nr. 121, Drucks. Nr. 233 und Drucks. Nr. 286. Die Eingabe wurde vom Ausschuß im Rahmen der zweiten Lesung der Grundrechte eingehend behandelt in den Dokumenten Nr. 29—33. 54) Dok. Nr. 41, Anm. 55. 55) Der Pari. Rat 1, S. XXIII ff. 56) Vgl. Carlo Schmid, S. 169.

57) S. 170.

XXVII

Einleitung Reich einen herauszufordern, die „wieder nach dem Reich ruft", wurden zunächst mit dem Hinweis abgetan, man mache keine endgültige Verfassung56). Es sei eine Aufgabe, dem Wort „Republik" eine Weihe zu verleihen. Heuss, der später die Wortschöpfung „Bundesrepublik Deutschland" für sich reklamierte59), wies darauf hin, daß dieser Begriff bereits in den Ellwanger Vorschlägen verwendet worden sei. Mit dem Worte „Deutschland" gäbe man dem Ganzen ein gewisses Pathos60). Zinn schlug in der folgenden Sitzung dann vor, nur von „deutscher Republik" zu sprechen61). Eine Mehrheit schien jedoch die Kaiser'sche Auffassung zu gewinnen, mit Rücksicht auf den Osten das förderalistische Suffix „Bund" zu vermeiden und von „Republik Deutschland" zu sprechen62). Heuss verhinderte mit seiner Intervention in dieser Sitzung einen Entschluß. Er war zwar überzeugt, daß in seiner Fraktion alle für Republik Deutschland sein würden. Man solle aber Rücksicht auf bayerische und andere Stimmen nehmen63). In der 10. Sitzung wurde die Diskussion noch einmal grundsätzlich aufgenommen64). Mittlerweile hatte die CDU/CSU-Fraktion mehrheitlich beschlossen, die Bezeichnung „Bundesstaat" zu wählen65); jedoch lassen die Rednerbeiträge erkennen, daß die Bezeichnung .Bundesrepublik Deutschland' als allgemein annehmbare Kompromißformel wohl bereits intern abgesprochen worden war. Heuss erklärte dabei seine Haltung noch einmal zusammenfassend mit den Worten: „Ich habe mich immer für .Bundesrepublik' ausgesprochen, um die politisch-psychologische Situation in Randgebieten wie Bayern nicht zu erschweren. Ich halte die Bezeichnung .Bundesstaat' für unmöglich. [. .] Ich halte den Begriff .Republik' im Hinblick auf seine inhaltliche Erfülltheit für unerläßlich. Die Leute werden sich bald daran gewöhnt haben"66). Bei dieser Bezeichnung blieb es schließlich trotz späterer Vorschläge zugunsten der Bezeichnung „Reich" von Seebohm im Hauptausschuß67) und Plenum68). Die Ausarbeitung der Präambel war eine der langwierigsten Aufgaben des Ausschusses. Sie zog sich über viele Stunden und Sitzungen hin. Selbst als der Ausschuß schließlich Klarheit darüber gewonnen hatte, was inhaltlich in die Präambel aufgenommen werden sollte, bereitete die stilistische Ausformung erund dabei hebliche Schwierigkeiten. Einerseits sollte der Text gut lesbar sein anzu verfallen die Leitartikel in Stil man in den Gefahr, politischer geriet

empfohlen. Bedenken von Jakob Kaiser, mit dem Begriff bedeutenden Grundsatz aufzugeben und im Volk eine Bewegung Länder"

.





58) 59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68)

Ebenda. Dok. Nr. 8, Anm. 22. S. 171. S. 173. S. 174 f. S. 176. S. 277. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 75. S. 281. Drucks. Nr. 763 vom 2. Mai 1949. Plenum, 6. Sitzung vom 20. Okt. 1948, Sten. Berichte, S. 77.

XXVIII

Einleitung dererseits sollte der Text eine gewisse „Magie" und Feierlichkeit ausstrahlen69). Obwohl von den Vorschlägen des Ausschusses für Grundsatzfragen für die Präder Allgeambel letztlich nur Teile in das Grundgesetz übernommen wurden meine Redaktionsauschuß plädierte für eine kurze und knappe Fassung und sind die Diskussionen über sie für setzte sich damit schließlich auch durch den Historiker mit die interessantesten, die im Ausschuß für Grundsatzfragen geführt worden sind. Sie bieten in besonderem Maße Aufschluß über das Selbstverständnis der Abgeordneten, ihre Legitimation, die Bewertung ihrer Aufgabe im Kontext deutscher Geschichte. Schon in der zweiten Sitzung im Rahmen des Überblicks über die Arbeiten des Chiemseer Entwurfs wies Carlo Schmid auf die Bedeutung der Präambel hin70). Sie müsse auf die entscheidende Frage, wo die Quelle der Hoheitsgewalt sei, die im Pari. Rat ausgeübt werde, eine Antwort geben. Lag sie beim Deutschen Volk oder bei den Ländern? Schmid betonte im übrigen, die Präambel könne nicht nur „ein illustrierender oder dekorierender Vorspruch" sein, sondern „etwas wie das Zeichen auf dem Notenblatt, das die Tonart des Stückes bestimmt"71). In der für ihn typischen Art der Pointierung meinte er, die Präambel enthalte alles Entscheidende; demgegenüber sei alles andere sekundär72). Eine nach kurzer Vorberatung in der Generalaussprache über die Präambel fand in der siebten und achten Sitzung statt74). Hierfür hatten sechsten Sitzung73) Zinn und Heuss bereits konkrete Entwürfe erabeitet, anhand deren eine erste Klärung über die aufzunehmenden Punkte erreicht wurde75). Am Schluß dieser Aussprache wurde ein Redaktionsausschuß eingesetzt, dem die Abgeordneten Schmid, Heuss, Kroll, Weber, Kaiser, Zinn und von Mangoldt angehörten76). Den von diesem Ausschuß erarbeiteten Entwurf stellte Carlo Schmid in der neunten Sitzung des Ausschusses vor77). Dabei rekapitulierte er, welche Fragen in der Präambel angesprochen und welche Aussagen gemacht werden sollten: 1. Die Zielsetzung des Grundgesetzes: Was durch das Grundgesetz bewirkt werden soll und was nicht. 2. Eine Aussage zur Fortexistenz Deutschlands als staatliches Gebilde. Ob Deutschland noch existiert, oder aber neu geschaffen werden muß, ob der Pari. Rat also konstitutiv oder nur organisatorisch tätig ist. 3. Eine Aussage, wo die Quelle der deutschen Staatsgewalt liegt, ob sie durch ein deutsches Staatsvolk oder sonstwie geltend gemacht wird. zeitlich gesehen Provisorische, also der Über4. Soll in der Präambel das gangscharakter des Grundgesetzes zum Ausdruck kommen. —











69) Vgl. Heuss auf S. 183, Pfeiffer auf S.

263.

70) S. 8. 71) 72) 73) 74) 75) 76) 77)

Ebenda. S. 14. S. 154. Dok. Nr. 8 und 9. Vorschlag Zinn: S. 157, S. 185. S. 229 ff.

Vorschlag

Heuss: S. 158.

XXIX

Einleitung 5. Sollte in einer Art

„kurzer Geschichtserzählung" dargetan werden,

warum und für noch existierende Redie Notwendigkeit gekommen ist, publik eine neue Organisationsform zu schaffen, die jedoch in ihrer Anwendung auf einen Teil des Gebietes der deutschen Republik limitiert ist. 6. Sollte die Präambel zum Ausdruck bringen, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates zwar nur von einem Teil des deutschen Volkes gewählt wurden, daß sie aber gleichwohl das Recht haben anzunehmen, daß sie auch von den Deutschen, die nicht haben wählen können, innerlich legitimiert sind, das, was sie hier schaffen, trotz seiner territorialen Begrenzung als im deutschen Gesamtauftrag geschehen zu betrachten, daß sie also stellvertretend für das Ganze handeln. 7. In einem Schlußsatz solle die Präambel zum Ausdruck bringen, daß nach wie vor das deutsche Volk aufgefordert bleibt, an dem Tage, an dem ihm das möglich sein wird, in seiner Gesamtheit und in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die bestehende nationale Einheit und die zu schaffende Freiheit neu zu begründen, d. h. in neue Formen zu bringen. Die anschließend von Schmid erläuterte Fassung der Präambel wurde insbesondere von Suhr als für den normalen Bürger nicht verständlich kritisiert78); auch die Beteiligung Berlins sei unbefriedigend ausgedrückt79). Nicht einigen konnte sich der Ausschuß u. a. in der Frage, ob man die durch die Besatzungsmächte gegebenen Einschränkungen erwähnen solle. Kaiser lehnte den Begriff „Fremdherrschaft" in bezug auf die Besatzungsmächte angesichts der Lage in Berlin strikt ab80). Die in der 9. Sitzung gewonnene Fassung81) enthielt zwar bereits wesentliche Elemente der Schlußfassung des Ausschusses; die Diskussionen gingen jedoch weiter, insbesondere auch die sprachliche Fassung wurde immer wieder infrage gestellt. Der in der 9. Sitzung entstandene Entwurf wurde versehentlich als „in erster Lesung verabschiedet" bezeichnet und als solcher von der Presse mit recht kritischen Kommentaren versehen veröffentlicht82). Als Suhr am folgenden nach seiner Ansicht Tag eine sprachlich verbesserte Version vorlegte83), mußte er bald einsehen, daß sie inhaltlich nicht akzeptabel war. Zugleich brachte Pfeiffer die Kritik der CDU/CSU vor, die am Tag zuvor über den Präambelentwurf beraten hatte84). Man habe den Wortlaut als „unübersichtlich und stilistisch mangelhaft" empfunden; der Entwurf sei nicht aus einem Guß und entbehre der notwendigen „Feierlichkeit". Auch inhaltlich seien Bedenken laut geworden, etwa gegen die Bezugnahme auf die „nationalsozialistische Zwingherrschaft". Kaufmann (CDU/CSU) meinte hierzu, je weniger man von diesen Dingen sehe und höre, desto besser sei es; ihm wurde von Schmid und Frau

wieso

es zu

der



7B) 79) 80) 81) 82) 83) 84) XXX

S. S. S. S.

235. 237. 182. 251.

Ebenda, ferner S. 266. S. 260. S. 263 f.



Einleitung Weber sehr deutlich widersprochen85). Als von Mangoldt darauf verwies, man habe sich doch auf gewisse Essentials geeinigt und diese noch einmal aufführte, lenkte Pfeiffer insofern ein, als er sich mit den aufzunehmenden Inhalten einverstanden erklärte. Das Ringen um die Formulierung und einzelne Wendungen läßt den eigentlichen Entscheidungsprozeß kaum noch erkennbar werden. Wie Pfeiffer feststellte, lagen die Vorschläge so nahe beieinander, daß man sie kaum auseinanderhalten konnte86). Nach einer Beratungspause, in der Carlo Schmid, Zinn und Kaufmann ihre Vorschläge noch einmal schriftlich fixierten, wurden in einer weiteren Diskussion als Ergebnis der ersten Lesung durch den Ausschuß zwei „inhaltlich sehr wenig voneinander abweichende" Entwürfe beschlossen, eine Version als Fassung des Redaktionsausschusses benannt und eine „Version Zinn"87). Über die endgültige Fassung sollte dann in der zweiten Lesung entschieden werden88). Eine Woche später fand dann im Plenum des Parlamentarischen Rates eine eingehende Aussprache über die Präambel statt, in der die bisherigen Diskussionen bis zu einem gewissen Grade noch einmal wiederholt wurden, ohne daß dabei Beschlüsse zum Wortlaut gefaßt wurden89). Die zweite Lesung der Präambel90) stand unter dem Eindruck, daß die bisherige Fassung in weiten Kreisen der Öffentlichkeit und auch von Mitgliedern aller Parteien heftig kritisiert worden war91). Zunächst wurde ein mittlerweile von Bayern eingegangener, sehr kurzer Vorschlag besprochen92) und verworfen, der wie Bergsträsser meinte klinge, „als wenn eine neue Handelsgesellschaft und in den gegründet Zeitungen veröffentlicht" werde93). Während in ihm von einem zu gründenden „Bund deutscher Länder" die Rede war, sprach ein von der DP formulierter Vorschlag von einem „Grundgesetz zur Erneuerung des Deutschen Reiches"94). Die erneute Diskussion auf der Grundlage eines Entwurfes von Mangoldts ging u. a. auch über die Frage, wie man eine Invocatio Dei einfügen könnte, auf die sowohl CDU/CSU als auch DP Wert legten95). Weitere Streitpunkte waren wiederum: Sollte man die durch die Alliierten gegebenen Beschränkungen aufnehmen96) und sollte man den Nationalsozialismus erwähnen97)? —

85) 86) 87) 8f>) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96) 97)



S. 276. S. 270. Vgl. S. 287, Anm. 26. S. 287. 6. Sitzung vom 20. Okt. 1948, Sten. Berichte, S. 69 ff. Dok. Nr. 24, TOP 1. S. 497. Vgl. auch Heuss im Plenum: „Bei meinen Fraktionsfreunden ist unsere Präambel furchtbar durchgefallen" (6. Sitzung des Plenums vom 20. Okt. 1948, Sten. Berichte, S. 75). S. 498. S. 499. S. 501. S. 519, ferner Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 52. S. 513. S. 514.

XXXI

Einleitung Formulierungsarbeit wurde dann in der 21. Sitzung98) geleistet unter Zugrundelegung einer durch von Mangoldt erstellten Fassung99). Wesentlich an der Diskussion beteiligt waren von Mangoldt, Heuss, Bergsträsser und der „beKonkrete

ste Grammatiker des

Ausschusses", Pfeiffer100). Die neue Fassung enthielt eine Fassung I hatte „das deutsche Volk in den Ländern ." die nach der Fassung II hatten „die deutschen Länder. ." entsandt, Abgeordneten Abgeordnete entsandt101). Der Hauptausschuß beriet in erster Lesung102) über Variante. Nach der

.

.

.

die Präambel anhand der Vorlage des Ausschusses für Grundsatzfragen aus der 21. Sitzung. Dabei ging es vornehmlich um die Frage, welche der zwei oben genannten Varianten gewählt werden sollte. Fassung I wurde schließlich mit einer Mehrheit von 14 gegen 7 Stimmen angenommen103). Nur drei Tage später kam der Allgemeine Redaktionsausschuß mit einer sehr veränderten Fassung der Präambel heraus, der die bisherige Arbeit des Ausschusses für Grundsatzfragen weitgehend außer acht ließ104). Die Begründung, eine Präambel solle nur wenige markante, den Wesensgehalt einer Verfassung kennzeichnende Gedanken, in einer jedermann einprägsamen Form enthalten, wurde vom Ausschuß für Grundsatzfragen denn auch nicht akzeptiert. Er beharrte in seiner 33. Sitzung105) einmütig auf seinen Vorschlägen und überarbeitete seine, vom Hauptauschuß in erster Lesung bereits angenommene, wesentlich umfangreichere Fassung noch einmal stilistisch106). Im weiteren Verlauf der Beratungen des Grundgesetzes setzte sich dann allerdings doch noch die kurze Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses durch, obwohl sich auch noch der Fünferausschuß dem Vorschlag des Ausschusses für Grundsatzfragen angeschlossen hatte107). b) Einzelne Grundrechte

Allgemeines Der Ausschuß für Grundsatzfragen war sich zu Beginn seiner Arbeit nicht ob er mit der Formulierung der Präambel wie dies Carlo Schmid den Grundrechten seine Arbeit beginnen solzunächst vorschlug oder mit dann den mit le108). Man begann Grundrechten, über deren historische Entwickanhand ihm erstellten Aufstellung auf der dritten von einer lung Bergsträsser

schlüssig,





9B) 99) 10°) 101) 102) 103) 104) 105) 10B) io7)

10B)

Dok. Nr. 27. Dok. Nr. 27, Anm. 6. So Bergsträsser über Pfeiffer in der 24. Sitzung (S. 623). S. 576, Anm. 21. 26. Sitzung vom 10. Dez. 1948, Verhandlungen S. 307 ff. Ebenda, S. 310. Dok. Nr. 40. Dok. Nr. 44. Dok. Nr. 45, Anm. 7.

vgl

v

Doemming, Füsslein, Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes,

S. 40 f. Vgl. S. 9 ff.

XXXII

Einleitung Sitzung des Ausschusses referierte109). Bereits in der zweiten Sitzung, auf der allem über die Abgrenzung des Stoffes während der Chiemseer Beratungen gesprochen wurde, zeichneten sich ohne längere Diskussionen einige wichtige Vorentscheidungen ab: 1. „Echte" und „klassische Grundrechte" sollten in das Grundgesetz aufgenommen werden, 2. in ihrer Fassung sollten sie von den übrigen Bestimmungen der Verfassung verhältnismäßig unabhängig sein; die Tatsache, daß manche Bestimmung unter der Besatzungsherrschaft nicht gleich zu realisieren sein würde, sollte nicht berücksichtigt werden, 3. die Grundrechte nicht als Deklarationen, sollten anders als in der Weimarer Verfassung vor

sondern als unmittelbar anwendbares Recht gefaßt werden110). Bergsträsser griff bei seinem Katalog der Grundrechte, mit dem er den Ausschuß mit der Problematik vertraut machen wollte111), vornehmlich auf drei Quellen, bzw. Dokumente zurück: l.Die Vorentwürfe zur Erklärung der Menschenrechte, die Ende 1947 erstmals von vorbereitenden Gremien der UNO veröffentlicht und danach auch in Deutschland publiziert worden waren112), 2. die hessische Verfassung vom 1. Dezember 1946, an der er als Vorsitzender des Verfassungsausschusses mitgewirkt hatte und 3. den Entwurf von Herrenchiem—



see.

Zinn lieferte als Korreferent in der dritten Sitzung eine staatsrechtliche Analyse der Grundrechtsproblematik113). Dabei räumte er ein, daß Grundrechte an sich nicht ohne weiteres Kennzeichen der Verfassung eines modernen Staates seien114). Nach den Erfahrungen mit den Exzessen der staatlichen Macht während des Dritten Reiches hätten die klassischen Grundrechte aber eine neue Bedeutung erlangt115). Die sich daran anschließende Diskussion bekräftigte und erwei-

terte die bereits gefaßten grundsätzlichen Beschlüsse über die Ausgestaltung der Grundrechte: 1. Grundrechte gehören in die „Bundesverfassung", 2. im Hinblick

auf die Erfahrungen der letzten Vergangenheit sollen die vorverfassungsmäßigen Grundrechte in die Verfassung aufgenommen werden, 3. die Grundrechte sollten soweit wie möglich konkretisiert werden; sie sollten nicht in der weiten und rechtlich unbestimmten Fassung von Weimar aufgenommen werden, 4. die Grundrechte sollten in einem besonderen Teil der Verfassung dargestellt werden, 5. die Grundrechte sollten nicht nur Verwaltung und Rechtsprechung, sondern auch den Gesetzgeber binden116). Bereits in der vierten Sitzung des Ausschusses am 23. September 1948, gut eine Woche nach seiner Konstituierung, wurde mit der praktischen Arbeit an den Formulierungen der Grundrechtsartikel begonnen117). Die folgenden vier Sitzun-

109) no) m) 112) 113) 114) 115) 116) 117)

Abdruck seines Katalogs als Dok. Nr. 3, sein Referat S. 28 ff. Vgl. S. 9 ff., ferner die Zusammenfassung der Beschlüsse von Bergsträsser, S. 15. Dok. Nr. 3. Abdruck als Dok. Nr. 10. Dok. Nr. 4, TOP 2. S. 33. S. 34. Vgl. die Zusammenfassung der Beschlüsse im Dok. Nr. 5.

Kurzprot. (Drucks. Nr. 73). XXXIII

Einleitung 4.-7. Sitzung befaßten sich dann ausschließlich mit der Gestaltung gen dieser Artikel118). Eine zentrale politische Frage bei der Ausgestaltung der Grundrechte wurde im Verlauf der Beratungen mehrfach am Rande thematisiert bis sie endgültig entschieden wurde: Inwieweit sollten Bestimmungen aus dem sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich mit aufgenommen werden? Carlo Schmid meinte beiläufig in der zweiten Sitzung, es sei nicht notwendig, die „Lebensordnunso wurden die kulturellen und sozialen Grundrechte anfangs bezeichgen" in der Verfassung, die nur ein Notdach sei, zu berücksichtigen119); Zinn net sprach dieses Thema im Rahmen seiner staatsrechtlichen Betrachtung der Grundrechte bereits etwas eingehender an: Die Zeit sei für die Klärung nicht reif. Man habe nicht genügend Zeit und ein solcher Versuch würde genau wie 1918 leicht dazu führen, daß die Grundrechte einen höchst heterogenen Niederschlag verschiedener Parteiprogramme darstellen, ohne daß sich eine einheitliche Auffassung über die Substanz des neuen Staates oder der neuen Gesell—







schaft herausbilde120). Sept. 1948 hatte die CDU/CSU-Fraktion offiziell beschlossen, in das Grundgesetz nur die „klassischen Grundrechte" aufzunehmen121). Auch die SPD war inzwischen zu einem entsprechenden Beschluß gekommen; Carlo Schmid gab am 7. Okt. 1948 dafür eine eingehende Begründung122): „Wir als sozialdemokratische Fraktion wollen nicht, daß zu den klassischen Grundrechten noch die sogenannten Lebensordnungen genommen werden, und zwar aus verschiedenen Gründen; [. ..] Unser erster Grund ist, Rechtssätze, in denen die Inhalte unseres Gemeinschaftslebens verfaßt werden sollen, können nicht von uns in Stellvertretung für das Ganze aufgestellt und geformt werden. Hier brauchen wir, um etwas Gültiges zu schaffen, das Wort unserer Brüder im Osten. Außerdem: Lebensordnungen dort schaffen, wo man nur ein Provisorium machen will, das geht nicht. Man sollte sich darauf beschränken, hier die individuellen Grundsätze festzulegen, das heißt Rechtssätze zu schaffen, die dem einzelnen die Möglichkeiten geben, vor den Gerichten den Anspruch auf einen bestimmten Mindeststandard an Freiheits- und Bürgerrechten zu vertreten. Der zweite Grund ist schon angegeben: Wir würden ins Uferlose kommen. Ich denke dabei an die Sozialisierung und die Wirtschaftsverfassung; auf alle Fälle würden wir, fürchte ich, sehr lange brauchen, um einen Ort zu finden, an dem unsere Gegensätze sich in einer neuen Konzeption aufheben könnten. Man sollte dar-

Am 28.

Nr. 9, Anm. 56; Abdruck im Rahmen von Dok. Nr. 16. 119) S. 10. 12°) S. 36 f.; ähnlich äußerte sich Carlo Schmid in der fünften Sitzung (S. 116) in einer Auseinandersetzung mit dem Abg. Paul von der KPD, die eine Eingabe zur Aufnahme sozialer und wirtschaftlicher Grundrechte (vgl. Dok. Nr. 12) gemacht hatte: „Wenn man auch der Substanz nach etwas Provisorisches und Fragmentarisches schaffen will, dann hat es keinen Sinn, uns über Lebensordnungen usw. zu unterhalten". 121) S. 42, Anm. 36. 122) S. 217. Zur Diskussion innerhalb der SPD vgl. auch Volker Otto: Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, S. 76 ff.

11B) Ergebnisse als Drucks. Nr. 143, Dok.

XXXIV

Einleitung diese Dinge weglassen." Dem fügte von Mangoldt (CDU/CSU) hinzu: „Aus genau den gleichen Gründen sind wir zu demselben Schluß gekommen"123). Dieser Kompromiß, der eine Fülle von möglichen Konfliktfeldern ausklammerte, war für die weitere Gestaltung der Grundrechte äußerst wichtig; einerseits um

drängten die Gewerkschaften auf Berücksichtigung ihrer Vorstellungen bei der Gestaltung der Grundrechte, denn sie sahen sich propagandistisch bedrängt von der KPD, die einen umfangreichen Katalog sozialer und wirtschaftlicher Grundrechte erstellt hatte. Sie brachte diese Forderungen einmal als Eingabe an den Ausschuß für Grundsatzfragen ein und dann noch einmal gegen Ende der Bera-

tungen des Pari. Rates als Antrag124). Auch die Kirchen sahen sich, als sie ihre Forderungen auf Übernahme des Elternrechts erhoben, an den Grenzen dieses Kompromisses, denn sofort wurde ihnen entgegengehalten, ein Eingehen auf ihre Wünsche würde es notwendig machen, auch die Forderungen der Gewerkusw. zu berücksichtigen125). Vorstellung, unter den Bedingungen der Besatzungsherrschaft ggf. doch nur Organisationsstatut als Provisorium zu schaffen, blieb bei Teilen der SPD

schaften Die ein

letztlich virulent und bot sich bei Krisen in der Arbeit des Pari. Rates als scheinbarer Ausweg an. Noch Mitte Dezember 1948, als der Ausschuß für Grundsatzfragen mit seiner Arbeit schon weitgehend fertig war, erörterte Menzel in einem Schreiben an den Parteivorstand dieses Lösungsmodell126): Woher solle man das Mandat nehmen, die schwierigen, in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gelösten Probleme jetzt in gedrängter Zeit zu entscheiden? Die Bevölkerung interessiere momentan letztlich nur, daß möglichst schnell ein funktionierender Verwaltungsapparat für die Trizone entsteht. Die Gefahr, daß am Schluß eine der großen Parteien nicht in der Lage sei, dem Grundgesetz zuzustimmen, sei zu groß, wenn man Fragen, die die Lebensordnung berührten, behandeln würde. Am 15. Dezember, als sich die Auseinandersetzungen um die Forderungen der Kirchen nach Aufnahme des Elternrechts abzeichneten und damit sich neue Konfliktfelder zu eröffnen schienen, hatten Schmid und Menzel in einem Gespräch bei Adenauer den Vorschlag gemacht, alle kulturellen und sozialen Grandrechte herauszulassen. Menzel hatte vorgeschlagen, nur die im Frankfurter Dokument I vorgesehenen Grundrechte in möglichst knapper Form mit dem Zusatz, daß sie zu klagbaren Ansprüchen ausgestaltet werden sollten, aufzunehmen. Ferner sollten nur die Vorschriften über den Bundestag, die Bundesregierung usw. hineingenommen werden. Das Grundgesetz sollte al-

123) S. 217. Mangoldt hat auch im Nachhinein diese Begründung gegeben: „Auf die Aufstel-

lung von Grundsätzen für die kulturelle und soziale Lebensordnung ist mit Rücksicht auf die gegenwärtige Ungewißheit über alle künftige wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung zunächst bewußt verzichtet worden. Dazu hat auch der Wunsch beigetragen, das Grundgesetz mit großer Mehrheit angenommen zu sehen" (Die Grundrechte, in: Die öffentliche Verwaltung 1949, S. 261).

124) S. 253, Anm. 1. 125) S. 806. 126) FESt, NL Carlo Schmid/1162. XXXV

Einleitung mit dem Inhalt versehen werden, wie es im wesentlichen auch die deutsche Verfassung von 1871 aufwies127). Diese Vorstellungen begegneten wieder in der Krise vom April 1949, als der Parteivorstand der SPD im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Forderungen der Alliierten am 20. April 1949 in Hannover beschloß, nur einem so nur

wesentlich verkürzten und auf das Notwendigste beschränkten Grundgesetz zuzustimmen und einen entsprechenden Entwurf vorlegte128). Die CDU /CSU reagierte daraufhin in ihrer Propaganda mit Schlagzeilen wie „Die SPD gegen die

Menschenrechte"129).

Heuss skizzierte diese Haltung der SPD, bezogen auf die Arbeit an den Menschenrechten, im Rückblick in dem von ihm verfaßten „ABC des Parlamentarischen Rates" mit den ironischen Versen unter „M":

„Der Mangoldt macht die Menschenrechte,

Der Menzel meint, sie sei'n nicht schlechte, doch muß man mager sie massieren, damit sie auch bei Kurt130) passieren"131). im Grundgewie in der Weimarer Reichsverfassung Im übrigen wurden berührenden alle die Grundrechte in seiner nicht verabschiedeten Fassung setz des im Grundrechtsteil Grundgesetzes (Art. 1—19) zusammengefaßt. Für Fragen die Gewährleistung der Freiheit der Person wichtige Rechte wurden insbesondere in den Artikeln über die Rechtspflege (Art. 101, 103, 104) geregelt. Auch Art. 33 (Gleicher Zutritt zu allen öffentlichen Ämtern), Art. 20, Abs. 3 (Gesetzmäßigkeit der Verwaltung), Art. 140 (Weitergeltung der Artikel über Religion und Religionsgemeinschaften der WRV) ist anzuführen. Daß die sprachliche Fassung der Grundrechte wie sie in der Weimarer Verfassung Gestalt gewonnen hatte, soweit möglich zum Vorbild genommen wurde, —



127) Ebenda; Hans Simons (OMGUS), berichtete in seiner Analyse des Grundgesetz-Ent-

128)

129) 130) 131)

wurfs vom 13. Febr. 1949, in der SPD, vor allem in Hannover und im Ruhrgebiet, gäbe es starke Tendenzen, die gerne die Unterstützung des Grundgesetzes aufkündigen würden. Für einen Positionswechsel sei es aber zu spät, zumal die Bonner Fraktion fest zum Grundgesetz-Entwurf stehe. Änderungen, die die interfraktionelle Übereinkunft aufheben würde, könnten von der SPD zum Vorwand genommen werden, eine neue Position zu beziehen, die „nationalen Widerstand" gegen eine aufgezwungene Lösung bedeute (Z45 F/Polad455, folder 35). Vgl. auch Adenauer auf der Fraktionssitzung der CDU/ CSU vom 4. Jan. 1949: Die Frage sei, ob das Grundgesetz von der CDU/CSU zustande gebracht werden könne, zumal, wenn die SPD, worauf einiges hindeute, darauf ausgehe, die Sache hier zum Platzen zu bringen. Es sei ein Antrag zu erwarten, daß alle überflüssigen Artikel aus der Verfassung entfernt werden sollten (Leusser an Ehard vom 4. Jan. 1949 in: BayHStA, NL Pfeiffer/213 sowie Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 312). Sammelanträge der SPD vom April 1949 (Drucks. Nr. 715-725). Weitere Fassung in: NL Kaiser/477, Bl. 56—99. Zu den Hintergründen und Zusammenhängen der Krise vgl. Rudolf Morsey: Die letzte Krise des Parlamentarischen Rates und ihre Bewältigung (März/ April 1949). NL Kaiser/477, Bl. 48. „Kurt" war Kurt Schumacher, der Parteivorsitzende der SPD gemeint. Das ABC des Parlamentarischen Rates, 23. Mai 1949, NL Heuss/418.

XXXVI

Einleitung versteht sich

von

selbst132). Der Vorwurf

an

den Ausschuß,

man

ahme die Wei-

Reichsverfassung zu sehr nach, wurde zwar erhoben, jedoch vom Ausschuß nicht akzeptiert133). Einige der vom Ausschuß behandelten Grundrechtsaspekte waren in besonderem Maße zeitbedingt; etwa eine Anregung von Paul Wilhelm Wenger, ein Grundrecht vorzusehen, das den Zwang zur Selbstbezichtigung verbieten sollte. Der Hintergrund dieses Vorschlags waren die im Rahmen der Entnazifizierung geforderten Fragebogen134). Im folgenden wird die Behandlung einiger Grundmarer

rechte skizziert, um die im Pari. Rat in besonderem Maße gerungen wurde oder die im Verlaufe der späteren politischen Entwicklung der Bundesrepublik eine besondere Bedeutung gewannen.

Gleichberechtigung

von

Männern und Frauen

Der Gleichheitsartikel, der in Art. 3, Satz zwei die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau betraf, gehörte zu den publizistisch wirkungsvollen und im Hinblick auf die Profilierung der Parteien für den kommenden Wahlkampf zum ersten Deutschen Bundestag besonders umstrittenen Artikeln des Grundgesetzes.

Der Redaktionsausschuß des Ausschusses für Grundsatzfragen hatte für die sechste Sitzung folgende Fassung beschlossen135); „Art. 17 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich. (2) Alle Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden." Als Berichterstatter erläuterte Bergsträsser136), der erste Absatz gleiche dem entsprechenden Satz im Chiemseer Entwurf. Man habe lediglich statt „alle": „alle Menschen" formuliert, weil dies voller und klarer klinge. Der Satz zwei stamme aus der Weimarer Reichsverfassung, jedoch sei das Wort „grundsätzlich" weggelassen worden, weil es im Staatsrecht gerade das bedeute, was der normale Mensch darunter nicht vermute. Bei Satz 3 habe man im Hinblick auf die Erfahrungen der Vergangenheit noch einmal hervorheben wollen, daß niemand seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. Von Mangoldt wies darauf hin, daß die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz in Art. 1 Abs. 3 enthalten sei. Die weitere Diskussion ging vor allem um die Frage, ob man noch einen weiteren Satz aufnehmen solle: „Frauen und Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit

132) 133) 134) 135) 136)

S. S. S. S. S.

130. 980. 871 f.

117, Anm. 2. 142.

XXXVII

Einleitung gleiche Leistung Anspruch auf gleiche Löhne"137). Hiergegen wandte von Mangoldt ein, eine derartige Konkretisierung des Gleichheitssatzes würde zu und

Wünschen von anderer Seite führen und man gerate in Fragen der sozialen und kulturellen Ordnung, von denen man sich fernhalten wolle138). Heuss machte darauf aufmerksam, daß eine derartige Vorschrift die Anstellungs-Chancen von Jugendlichen nur schmälern könne. Frau Nadig empfahl hingegen die Aufnahme des Satzes, da man damit einen grundsätzlichen Wandel in der Stellung der Frau herbeiführen könne. Eine Entscheidung hierüber wurde schließlich vertagt, Satz 1—3 wurden hingegen in der ursprünglichen Form angenom-

men139).

Mit dieser Formulierung des Ausschusses setzte sich Prof. Thoma in seiner „kritischen Würdigung"140) auseinander und schlug folgende abweichende Fassung vor:

„(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich. (2) Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Weltanschauung oder seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse wegen bevorrechtigt oder benachteiligt werden. (4) Im übrigen ist es Aufgabe der Gesetzgebung, im Streben nach Gerechtigkeit und im Dienste des Gemeinwohls Gleiches gleich, Ungleiches verschieden zu behandeln." Dazu bemerkte er, die verbreitete, auch in die Denkschrift des Chiemseer Entwurfs eingedrungene Irrlehre, der Satz „alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", verpflichte auch den Gesetzgeber selbst dazu, allen Menschen gleiche Rechte und Pflichten zuzuteilen, sei offensichtlich falsch. Der Allgemeine Redaktionsausschuß legte als Art. 1 b unter dem 16. Nov.

1948141) folgende Fassung

vor:

„(1) Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich, Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. (3) Jedoch darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft, seiner religiösen und politischen Anschauung bevorrechtigt oder benachteiligt werden." Als der Ausschuß den Artikel in zweiter Lesung behandelte142), lagen zusätzlich noch Anträge von CDU/CSU und SPD vor. Die SPD beantragte, den Satz aufzunehmen „Männer und Frauen sind gleichberechtigt"143); die CDU/CSU wollte vorschlagen „Männer und Frauen stehen bei der Wahl und Ausübung des Be-

137) 138) 139) 140) i«) 142) 143)

Ebenda. S. 143. S. 146, Anm. 46. Vgl. Dok. Nr. 18. Vgl. Dok. Nr. 28. S. 738 ff. S. 738, Anm. 49.

XXXVIII

Einleitung rufs

gleich, verrichten Entlohnung"144).

sie

gleiche Arbeit,

so

haben sie

Anspruch

auf

gleiche

Beraten wurde zunächst über die Anregung von Prof. Thoma und die Neufassung durch den Allgemeinen Redaktionsausschuß. Der Vorsitzende von Man-

hielt die Argumente von Thoma für richtig, bezweifelte aber, ob man den ihm vorgeschlagenen Weg gehen könne. Unter Bezugnahme auf Grundgedanken des amerikanischen Rechts, nach denen allen Menschen ein „minimum standard of free society" zu gewährleisten sei, würden bestimmte Rechte und Pflichten vom Gesetzgeber auf Grund von gegebenen Verschiedenheiten doch unterschiedlich zu behandeln sein. Die Sätze der persönlichen Freiheit, Schutz des Lebens, Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung seien „minimum standard" und müßten für alle gleich gelten145). In einem äußerst mühsamen Prozeß der Formulierung wurde dann folgende Version gefunden: „(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden." Insbesondere Frau Nadig (SPD) wollte als Satz zwei einbringen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt"146); damit wären allerdings Teile des Familienrechmit Erlaß der Verfassung worauf insbesondere Dehler (FDP) hinwies tes verfassungswidrig geworden. Es blieb jedoch zunächst bei dem Satz „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten." Das Verbot der Diskriminierung der Frauen sollte in Abs. 3 aufgenommen werden: „Niemand darf seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden"147). Es wurde dann noch darüber diskutiert, ob der o.g. Antrag der CDU/CSU zur Wahl und Ausübung des Berufs sowie auf gleichen Lohn von Mann und Frau in der gewonnenen Fassung mit enthalten sei. Während Dehler das bezweifelte, sah von Mangoldt es als gegeben an. Auf Bitten von Frau Nadig sollte zu Protokoll genommen werden, daß dieses die Ansicht des Ausschusses sei. In der weiteren Beratung des Artikels brachte die erste Lesung im Hauptausschuß keine Änderungen148), obwohl die SPD-Fraktion für Abs. 2 nochmals den Wortlaut „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" vorschlug. Frau Seibert, die den Antrag der SPD vortrug, meinte mit großem Engagement, sie könne sich vorstellen, daß die Frauen überhaupt das Grundgesetz ablehnen würden, wenn diese Bestimmung nicht angenommen würde149). Der Antrag wurde jedoch mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt150). Die vom Allgemeinen Redaktions-

goldt

von





144) 145) 146) 147) 148) 149)

S. S. S. S.

738, Anm. 48.

740. 745 ff. 750. 17. Sitzung

des HptA vom 3. Dez. 1948, Verhandlungen, S. 206 ff. Birgit Meyer: Elisabeth Seibert (1896-1986), „Gleichberechtigung ohne Wenn und Aber"; in: Kritische Justiz (Hrsg.): Streitbare Juristen. Baden-Baden, S. 427—439. 15°) Vgl. Anm. 146, S. 208.

XXXIX

Einleitung ausschuß

folgt:

wie

vorgeschlagene Fassung

vom

13. Dez.

1948151) verkürzte den Artikel

„(1) Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. (2) Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden." Der Ausschuß für Grundsatzfragen blieb, als er am 11. Januar 1949 in zweiter Lesung beriet, bei seiner Fassung152) und veränderte lediglich ein Wort aus stilistischen Gründen153). Damit war die Behandlung dieses, die Öffentlichkeit in besonderem Maße interessierenden Artikels, im Ausschuß für Grundsatzfragen abgeschlossen. Die Auseinandersetzungen wurden in einer weiteren, sehr ausführlichen Aussprache in der zweiten Lesung des Hauptausschusses154) fortgesetzt, wobei mehrere Redner betonten, die Aufregung in der Öffentlichkeit, die zu einer Fülle von Eingaben an den Pari. Rat geführt hätten, sei gekünstelt, da man im Ziel, die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu verwirklichen, ei-

nig gewesen

sei. Die

endgültige Fassung

SPD und CDU/CSU, der

von

sung

vom

war

ein

Kompromiß

Fünferausschuß noch

gekürzt wurde155).

Recht

zur

Vorschlägen endgültigen Fas-

von

auf Kriegsdienstverweigerung

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wurde im Ausschuß für Grundsatzfragen erstmals bei der Behandlung von Eingaben aus der Bevölkerung eingehender durchdiskutiert156). Daß diese Frage vier Jahre nach dem totalen Zusammenbruch von 1945 und der Entmilitarisierung Deutschlands, die schließlich eines der Kriegsziele der Alliierten gewesen war, das deutsche Volk in besonderem Maße bewegte, bedarf keiner Erklärung. Schließlich lag Deutschland noch in Trümmern, die Kriegsgefangenen waren noch nicht zurückgekehrt, kaum eine Familie war von den Folgen des Krieges unberührt geblieben. Viele Eingaben enthielten Aufrufe und Appelle an den Frieden und Forderungen, den Krieg und Handlungen zu seiner Vorbereitung zu verbieten, aber auch die Forderung, Kriegsdienstverweigerung als Individualrecht in das Grundgesetz aufzuneh-

men157).

Schon bei der ersten, gleichsam inoffiziellen Beratung dieses Themas zeigten sich unter den Mitgliedern des Ausschusses sehr unterschiedliche Positionen.

151) Dok. Nr. 40. 152) S. 928. 153) Dok. Nr. 43. Die Auseinandersetzung mit den Vorschlägen des Allgemeinen Redaktionsausschusses führte v. Mangoldt in der 2. Lesung des HptA am 18. Jan. 1949, Verhandlungen, S. 538.

154) 42. Sitzung des HptA vom 18. Jan. 1949, Verhandlungen, S. 538-544. 155) vgl von Doemming, Füsslein, Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes

S. 72.

156) S. 417 f. 157) Eingaben der für den AfG einschlägigen Sammlung in: Z XL

5/107—115.

Einleitung Heuss lehnte die Aufnahme eines entsprechenden Passus prononciert und grundsätzlich ab. Nach seiner geschichtlichen Kenntnis sei der Kriegsdienst auch eine Pflicht in der Demokratie. Es sei unglücklich, in eine demokratische Verfassung grundsätzlich hineinzuschreiben, daß jeder sich drücken dürfe, auch wenn es sich um einen Verteidigungskrieg handele158). Von Mangoldt sah Schwierigkeiten beim Aufbau einer Polizei, die ggf. auch bei „irgendwelchen Einfällen von außen" eine Rolle spielen könne und die man kaum werde unterhalten können, wenn es ein Recht zur Verweigerung des Dienstes mit der Waffe gebe159). Wunder und Zinn hingegen sprachen sich für eine Möglichkeit aus, die Kriegsdienstpflicht aus innerster Überzeugung abzulehnen160). Zinn sah es als möglich an, einen Passus aufzunehmen, der etwa lauten würde: „Das Recht der Kriegsdienstverweigerung ist durch Bundesgesetz zu regeln"; damit sei eine

grundsätzliche Anerkennung gegeben.

Als in der 17. Sitzung noch einmal eingegangene Eingaben behandelt wurden, wurden die Standpunkte noch einmal ausgetauscht161); auf die Bitte von Frau Nadig, noch einmal auf die Einfügung eines Artikels über die Kriegsdienstverweigerung zurückzukommen, wurde nicht eingegangen. Erst im Rahmen der zweiten Lesung der Grundrechte im Ausschuß wurde für die SPD, wiederum von Frau Nadig, eine Tischvorlage eingebracht, die folgendes forderte: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz"162). Inhaltlich wurde hierüber kaum noch diskutiert, vielmehr ging es im wesentlichen um die Frage der Positionierung dieser Bestimmung. Er wurde als Antrag der SPD-Fraktion im Artikel 5, der über Freiheit des Glaubens und des Gewissens handelte, als Abs. 5 angefügt163). Im Rahmen der zweiten Lesung im Hauptausschuß wurde die Debatte mit praktisch den gleichen Argumenten noch einmal geführt, nachdem Heuss die Streichung des Absatzes gefordert hatte, was jedoch mit 15 gegen zwei Stimmen

abgelehnt wurde164).

Elternrechte und andere

Forderungen der

Kirchen

Frage der Elternrechte, insbesondere in ihren Konsequenzen für das Schuleine der am heftigsten umstrittenen Themen im Parlamentarischen Rat. Sie wurde im Kontext mit einer Reihe weiterer Forderungen beraten, die Die

wesen war

die Kirchen an den Parlamentarischen Rat stellten. In der Arbeit von van Schewick165) wurden die Bemühungen der katholischen Kirche, ihre Vorstellungen in den Parlamentarischen Rat einzubringen und

15°) 159) 180) 161) 182) 163) 164) 165)

S. 419. Ebenda. S. 419 f. S. 473 f. S. 760, Anm. 78.

Dok. Nr.

35.

des HptA vom 18. Jan. 1949, Verhandlungen, S. 545 f. Burkhard van Schewick: Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950. Mainz 1980. 43.

Sitzung

XLI

Einleitung durchzusetzen, bereits unter intensiver Auswertung der Quellen aus dem kirchlichen Bereich eingehend untersucht. Dabei wurden auch die Aktivitäten des Kölner Domkapitulars und Prälaten Wilhelm Böhler, der die Interessen der katholischen Kirche beim Pari. Rat vertrat, eindrucksvoll dargestellt und belegt. Die Protokolle des Ausschusss für Grundsatzfragen sind demgegenüber in ihrer Aussage im Kontext der Gesamtdiskussion dieser Fragen verhältnismäßig begrenzt. Sie zeigen lediglich das Agieren und die Argumentation derjenigen Abgeordneten, die sich für die Anliegen der katholischen Kirche in besonderem Maße einsetzten: Dies waren Frau Weber (CDU) und der Abgeordnete Süsterhenn (CDU). Letzterer hatte bereits bei der Erarbeitung der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz eine ähnliche, dort allerdings erfolgreichere, Rolle gespielt186). Abgeordnete des Zentrums (Brockmann und Wessel) waren im Ausschuß für Grundsatzfragen nicht vertreten167). Auf der anderen Seite war der intellektuelle Gegenspieler in dieser Auseinandersetzung im Rahmen des Ausschusses für Grundsatzfragen Theodor Heuss. In der Grundrechtsfassung der ersten Lesung des Ausschusses war nur eine Bestimmung über die Freiheit des Glaubens und die ungestörte Religionsausübung vorgesehen168). Das Elternrecht als Grundrecht sprach Frau Weber in der achten Sitzung des Ausschusss am 7. Oktober 1948 an169). Sie hatte am Tage zuvor in einer Sitzung der CDU/CSU-Fraktion, bei der unter anderem auch über die „präzise Erwähnung der christlichen Grundsätze in der Verfassung" diskutiert wurde, vorgeschlagen, „auf jeden Fall noch das Elternrecht in das Grundgesetz mit aufzunehmen" und dafür die Mehrheit der Fraktion gefunden170). Frau Weber teilte dem Ausschuß für Grundsatzfragen diesen Beschluß der CDU/CSU-Fraktion mit und bat, diese Forderung in der zweiten Lesung zu berücksichtigen, worauf Schmid einwarf: „Wenn wir das tun, müssen wir andere Rechte auch hineinbringen"171). Auch Heuss widersprach sofort heftig. Das Schulgesetzgefüge der in Entstehung befindlichen Länder werde möglicherweise gesprengt, und er stellte die rhetorische Frage „Was heißt denn das Eltern166)

187) 168) 169) 17°) 171) XLII

peter Brammer: Kirche und

Verfassung. Zum rheinland-pfälzischen Verfassungsentwurf

Süsterhenns aus dem Jahre 1946. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 16 (1990), S. 429—519. Süsterhenn wurde in einem so hohen Maße identifiziert mit den Interessen der katholischen Kirche, daß sein Autounfall am Tag nach seiner Zustimmung zu einem Kompromiß in Fragen der religiösen Erziehung von vielen Katholiken als Strafe Gottes angesehen wurde (Pommerin: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, VfZ 36 [1988], S. 585). Er gehörte auch zu den publizistisch besonders aktiven Abgeordneten. Vgl. seine Schrift „Wir Christen und die Erneuerung des staatlichen Lebens" 1948 (Abdr. bei Peter Bucher: Adolf Süsterhenn, S. 227—245); unter zahlreichen Zeitungsartikeln seien lediglich genannt: „Die Kulturfreiheit im Staatsgrundgesetz", in: Rheinischer Merkur vom 13. Nov. 1948; „Keine Verfassung ohne Gott", in: Rheinische Post vom 4. Dez. 1948. Unterlagen über die Aktivitäten von Brockmann im Pari. Rat im NL Brockmann im BArch. Vgl. Dok. Nr. 16, Art. 7. S. 218. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 55. S. 218.

Einleitung Kinder zu kriegen! Was denn sonst"172)? Von Manrecht als Grundrecht? brach die Diskussion schließlich mit dem Hinweis ab, es gebe keinen forgoldt mulierten Antrag. Frau Weber griff das Thema in der Fraktionssitzung der CDU/CSU vom 12. Oktober noch einmal auf und führte erneut den Beschluß herbei, zu versuchen, die Aufnahme des Elternrechtes in die Grundrechte zu erreichen. Sie schlug folgende Fassung vor: „Die Erziehung der Kinder ist das natürliche Recht und die oberste Pflicht der Eltern"173). Die Wünsche der katholischen und evangelischen Kirchen waren jedoch wesentlich komplexer. Sie wurden in einer ersten Runde in der CDU/CSU-Fraktion am 3. November beraten174). Laforet und Pfeiffer verhinderten dabei Entschlüsse, weil sie föderalistische Interessen gefährdet sahen und beim Kardinal in München Rücksprache halten wollten175). Eine Woche später faßte die CDU/CSU dann Entschlüsse, die erhebliche Konsequenzen haben mußten. Sie wollte nun nicht mehr nur einen Satz zum Elternrecht in das Grundgesetz einbringen, sondern eine Reihe von neuen Grundrechtsartikeln: Zum Recht auf Leben, zum Schutz der Ehe, zum Verhältnis von Staat und Kirchen176). Diese Forderungen der Kirchen waren nicht nur über interne Kanäle, sondern auch in einer Reihe offizieller Eingaben an den Pari. Rat herangetragen worden: Josef Kardinal Frings hatte sich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz unter dem 20. November 1948 an den Pari. Rat gewandt177), die Konferenz der (evangelischen) Kirchen der britischen Zone178), Bischof Dr. Theophil Wurm als Vorsitzender des Rates der EKD179) und die Bischöfe beider Konfessionen aus Niedersachsen hatten sich schriftlich geäußert und ihre Forderungen erhoben180). Heuss kommentierte diese Aktivitäten mit den Worten, beide Kirchen seien in ihrer Angst, irgend etwas zu verhindern, was als eine Beeinträchtigung der kirchlichen Interessen erscheinen könnte, von einer Wichtigtuerei, die weit über das Maß hinausgehe181). Im Ausschuß für Grundsatzfragen wurde der Fragenkomplex im Rahmen der zweiten Lesung der Grandrechtsartikel behandelt182). Dieses Mal war es der Ab—

172) Ebenda. Heuss ironisierte seine Erfahrungen mit den Auseinandersetzungen um das Elternrecht in seinem „ABC des Parlamentarischen Rates" vom 23. Mai 1949 (NL Heuss/ 418) unter „E" mit den Versen: „Das Elternrecht, Vermessener, rühr es doch nicht an, ein ganzes Erzkapitel rückt heran und hinter ihm, elementar erregt, und schon erprobt, die alte Einsatzschar, ergib dich, Elender, eh du verdammt, dein kecker Kahn vom dunklen Schiff gerammt." 173) Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 73. 174) Ebenda, S. 118 f.

175) 176) 177) 178) 179) 18°) 181) 182)

Ebenda, S. Ebenda, S.

120. 152.

Abdr. auf S. 903, Anm. 75. Zur Aufnahme dieser Abdr. auf S. 633, Anm. 24. Teilabdruck auf S. 634, Anm. 27. Vgl. S. 633, Anm. 25. S. 764. S. 621 ff.

Eingabe durch

den AfG siehe S. 904.

XLIII

Einleitung geordnete Süsterhenn, der die Wünsche der CDU/CSU vortrug und begründete183). Ein Antrag der CDU/CSU, dessen präziser Wortlaut allerdings noch nicht

beschlossen

war,

sollte den Schutz der Ehe und Familie, Elternrecht und Erzie-

hung betreffen184), ein Antrag der DP, der im gleichen Kontext behandelt wurde, bezog sich auf die Stellung der Kirchen185). Süsterhenn gelang es anfangs kaum, seine Argumente vorzubringen. Ihm wurde sofort mit dem sehr grundsätzlichen Hinweis widersprochen, man dürfe in die Grundrechte nur die „subjektiven Rechte mit ihren Konsequenzen" hineinnehmen186); es handele sich um Angelegenheiten der Länder, man könne nicht alles zur Bundesangelegenheit machen187). Heuss wies auf die Übereinkunft hin, auf die Regelung der „Lebensordnungen" zu verzichten. Insbesondere sei die Kulturhoheit der Länder beeinträchtigt. „Wir sollten uns davor hüten, die Schleusen zu öffnen und in ein paar Sätzen die kommende Schulordnung und die Kirchenproblematik festzulegen. Wenn wir die Schleusen aufmachen, dann weiß ich nicht, ob nicht die SPD ihrerseits mit einem Katalog von Lebensordnungen anmarschieren

wird"188).

Süsterhenn antwortete

diplomatisch, man könne sich darauf verständigen, einiHauptgesichtspunkte in komprimierter Form als Leitsätze hineinzuarbeiten189). Nachdem der Fragenkreis andiskutiert worden war, wurde eine Vertagung beschlossen bis der endgültige Wortlaut des CDU/CSU-Vorschlags vorliegen würge

de190).

Zwischenzeitlich gab es am 30. November 1948 ein Sondierungsgespräch zwischen Adendauer, Süsterhenn, Heuss und Dehler, bei dem die FDP eine gewisse Konzilianz andeutete, falls man ihr in der Wahlrechtsfrage, die für sie existentiell sein würde, entgegenkäme191). Allerdings war von Kompromißmöglichkeiten in der Debatte im Ausschuß für Grundsatzfragen am 4. Dezember 1948 noch nicht viel zu spüren. Die Fronten standen sich unversöhnlich gegenüber. Die SPD, für die Menzel sprach, verwies wiederum auf die grundsätzliche Übereinkunft, sich auf die klassischen Grundrechte zu beschränken und die „Lebensordnungen" aus dem Grundgesetz, das keine Vollverfassung werden solle, herauszulassen. Ferner wurde wiederum das Argument des Föderalismus in den Vordergrund gestellt192). Besonders kontrovers wurde die Diskussion jedoch, als sie sich auf die Elternrechte und die Bekenntnisschule erstreckte193). Süsterhenn machte deutlich, daß in dieser Frage für die CDU/CSU die Möglichkeit 635. Zur Diskussion in der CDU/CSU vgl. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 118 f. 184) S. 634, Anm. 28. 185) S. 635, Anm. 29. 186) Vgl. Bergsträsser, S. 635. 187) Ebenda. 18B) S. 636 f. 189) S. 637. 190) S. 647. 191) Burkhard van Schewick: Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950, S. 89. 192) Dok. Nr. 38, TOP 2. 193) S. 806 ff.

183) S.

XLIV

Einleitung eines Kompromisses nicht gegeben sei194), und mußte sich von Menzel fragen lassen, warum dann diese Forderung zu einem so späten Zeitpunkt erhoben soweit es sich wurde195). Heuss machte seinerseits klar, daß beim Elternrecht auf die Konfessionsschule bezog eine Kompromißformel eine „Selbstbelügung" wäre196). Auch praktische Argumente wurden in der Diskussion vorgebracht: Bekenntnisschulen würden zu Zwergschulen führen, die nicht finanzier—



bar seien. Bereitschaft zur Verständigung wurde hingegen deutlich für einen Artikel über den Schutz der Ehe und der Familie, wobei Heuss einen ergänzenden Vorschlag zum Mutterschutz und zum Schutz des unehelichen Kindes einbrachte, der von den Vertretern der SPD (Eberhard und Menzel) begrüßt wurde197). Ferner zeigte sich Kompromißbereitschaft für einige Sätze über Pflege und Erziehung der eigenen Kinder als natürliches Recht der Eltern198). Hinsichtlich der Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche199)ergab sich im Ausschuß keine klare Linie. Nach längerer Diskussion stellt von Mangoldt fest, eine Hälfte des Ausschusses plädiere für eine Aufnahme, die andere habe dagegen gesprochen200). Offenbar stand von Mangoldt persönlich nur bedingt hinter der Forderung der CDU /CSU nach dem Elternrecht, sofern es Konsequenzen für die Schulen hatte. Unter Berufung auf die Lage in Schleswig-Holstein, wo die katholischen Flüchtlinge dann Konfessionsschulen verlangen würden, und mit dem Hinweis, die evangelische Kirche stünde nicht hinter dem Vorschlag, lehnte er es ab, ihn in der bevorstehenden Hauptausschußsitzung zu vertreten. Die Fraktion beschloß daher, daß Pfeiffer als Fraktionsvorsitzender für die CDU/CSU sprechen solle, weil diese Dinge zu den fundamentalsten Problemen der Verfassung gehören würden201). Die sehr engagierte und ausgiebige Diskussion im Hauptausschuß in der 21. und 22. Sitzung wiederholte in zugespitzter Form im wesentlichen die Argumente, wie sie im Ausschuß für Grundsatzfragen bereits gefallen waren, bereichert durch Beiträge von Renner (KPD) und Frau Wessel (Zen-

trum)202).

Die Auseinandersetzungen um diese Bestimmungen, die schließlich zu den Artikeln 6 (Ehe und Familie, uneheliche Kinder), 7 (Schulwesen), 140 (Religion und Religionsgesellschaften) und Art. 141 („Bremer Klausel" hinsichtlich des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen) führten, wurden unter beträchtlicher Anteilnahme der Öffentlichkeit bis zum Ende der Arbeit des Parlamentarischen Rates mit großem Engagement geführt. Das Forum der Auseinandersetzung war

194) 195) 196) 197) 198) 199) 20°) 201) 202)

S. 815.

Ebenda. S. S. S. S. S.

835. 822. 823. 835 ff. 839 f.

Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 258 f. 21. Sitzung des HptA vom 7. Dez. 1948, Verhandlungen, S. 239 ff.; 22. Sitzung 8. Dez. 1948, Verhandlungen, S. 255 ff.

vom

XLV

Einleitung aber nicht mehr der zuständige Fachausschuß, der Ausschuß für Grundsatzfragen. Als die von katholischen Organisationen initiierten Kampagnen den Pari. Rat mit Eingaben überschwemmten, hatte der Ausschuß seine Arbeit schon ein-

gestellt203). Auslieferung und Asylrecht Auslieferung und Asylrecht wurden im Ausschuß für Grundsatzfragen in engster Verbindung miteinander behandelt. Erstmals geschah dies im Rahmen der Besprechung des Katalogs der Grundrechte, den Bergsträsser verfaßt hatte204). Als Art. 14 seines Grundrechtskatalogs hatte er formuliert: „Fremde genießen den Schutz vor Auslieferung und Ausweisung, wenn sie unter Verletzung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach dem Geltungsbereich dieses Grundgesetzes geflohen sind." Als Art. 15 a seines Kataloges hatte er eine Bestimmung aus dem Entwurf zu den Menschen-

rechten der UN übernommen, die ziemlich undeutlich übersetzt lautete: „Kein Fremder, der gesetzlich in das Gebiet zugelassen wurde, darf ausgewiesen werden, außer in Verfolg einer gerichtlichen Entscheidung oder Empfehlung als Strafe für Vergehen, die im Gesetz als solche bezeichnet sind, die diese Maßnahme rechtfertigen." Er hatte in seinem Kommentar hinzugefügt, er halte es für richtig, den Satz zu auch gerade Deutübernehmen, da die Erfahrung, die viele Emigranten sche gemacht hätten, zeige, daß nichts mehr auf dem laste, der in einem fremden Lande wohnt, als das Gefühl ständiger Unsicherheit, daß man willkürlichen Entscheidungen der Verwaltungsorgane unterliege. Eine solche Bestimmung würde auch unmöglich machen, daß bei einem Regierungswechsel etwa Ausweisungen aus rein politischen Gründen vorgenommen würden205). Im Rahmen der Besprechung des Katalogs durch den Ausschuß kommentierte lediglich Heuss diese Bestimmung mit der Bemerkung: „Ich halte diese Formulierung für sehr nebulos; sie muß von einem Manne stammen, der nichts von den Dingen versteht"206). Der Redaktionsausschuß des Ausschusses schlug als Wortlaut vor: „Kein Deutscher darf ins Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts"207). Zinn (SPD) erläuterte zu Satzl, man habe die Formulierung „ins Ausland" gewählt, um die beiden Ausdrücke „Regierung" und „Macht" zu vermeiden, welche in der Weimarer Reichsverfassung, in der hessischen Verfassung und im Chiemseer Entwurf verwendet worden waren. Hinsichtlich des Asylrechts betonte er, der „politisch verfolgte Ausländer" solle Asylrecht haben. Der Begriff des Asylrechts sei fest umrissen durch das allgemeine Völkerrecht208). —







203) 204) 205) 206) 207) 208)

Angaben hierzu

auf S. 902, Anm. 55. Dok. Nr. 3. S. 21. S. 53. Vgl. S. 83, Wortlaut im Kurzprot. der Sitzung des AfG S. 83 ff.

XLVI

vom

23.

Sept. 1948, Drucks. Nr. 79.

Einleitung wies darauf hin, der Begriff „politisches Delikt" sei sehr umstritsei bei der Formulierung davon ausgegangen, daß man nicht mehr vorsehen dürfe, als das allgemeine Völkerrecht vorschreibe. „Wir sind eine schwache Nation, und ohne die Mittel, weitergehenden Schutz zu gewähren, können wir nicht etwas tun, wofür wir selbst nicht die entsprechenden Mittel zur Hand haben, um es zu gewährleisten"209). In den Mittelpunkt der weiteren Diskusson geriet dann die Frage des Rechtshilfeverkehrs zwischen den Ländern und den Besatzungszonen. Was solle etwa geschehen, wenn wie Carlo Schmid bemerkte in der Ostzone aktiver Widerstand geleistet würde? Von Mangoldt meinte, die Dinge seien so prekär, daß man sie in der Öffentlichkeit nicht behandeln könne; es empfehle sich eine kurze Formulierung, die die Möglichkeit gewähre, solchen Leuten unter allen Umständen Schutz zu gewähren. Man solle vermeiden, daß zu diesem Artikel eine Diskussion über innerdeutsche Fragen entsteht, die gefährlich werden könnte210). Beschlossen wurde die Einschränkung „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts" zu streichen, weil die allgemeinen Sätze des Völkerrechts ohnehin Bestandteil der Bundesrechte werden sollten. Es ergab sich demnach folgende Fassung: „Kein Deutscher darf ins Ausland ausgeliefert werden. Politisch Ver-

Von ten;

Mangoldt man





folgte genießen Asylrecht"211).'

Diese Fassung war zwar bereits praktisch die Schlußfassung; jedoch wurde insbesondere noch über das Ausmaß des zu gewährenden Asyls diskutiert. Prof. Thoma hatte in seiner „kritischen Würdigung" vorgeschlagen zu sagen: „Kein Deutscher darf ans Ausland ausgeliefert werden. Ausländer, welche wegen ihres Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden politisch verfolgt werden, genießen im Bundesgebiet Asyl"212). In der Begründung hieß es: „Gegen den zweiten Satz des Art. 4 spricht das Bedenken, daß danach auch solchen Ausländern Asyl gewährt werden müßte, welche wegen kommunistischer oder faschistischer Wühlereien gegen eine befreundete Demokratie verfolgt werden"213). Der Allgemeine Redaktionsausschuß schlug hingegen folgende Fassung vor: „(1) Kein Deutscher und kein politisch verfolgter Ausländer darf ausgeliefert werden. (2) Jeder Deutsche, der wegen seines Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden verfolgt wird, genießt im Bundesgebiet Asylrecht"214). Die Begründung wies darauf hin, daß die Streichung „ins Ausland" notwendig sei, um politisch verfolgte Ausländer auch vor der Auslieferung in die SBZ zu schützen. Andererseits erscheine die Gewährung des Asylrechts für politisch verfolgte Ausländer als zu weitgehend, da sie möglicherweise die Verpflichtung zur Aufnahme, Versorgung usw. in sich schließe.

209) 21°) 211) 212) 213) 214)

S. S. S. S. S. S.

84. 85.

86, Anm. 41. 378. 366. 579.

XLVII

Einleitung In der zweiten Lesung durch den Ausschuß für Grundsatzfragen setzte sich von Mangoldt mit den o.g. Vorschlägen auseinander215); ferner hatte die KPD mittlerweile noch einen Änderungsvorschlag eingebracht, der lautete: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, wenn sie ihr eigenes oder ein anderes Land wegen antifaschistischer oder antimilitaristischer Betätigung verlassen mußten"216). Von Mangoldt plädierte für die Beibehaltung der ursprünglichen Fassung: Man habe diese Bestimmung bewußt weit gefaßt, um einem politisch Verfolgten die Möglichkeit des Verbleibs im Bundesgebiet zu belassen. Einschränkungen wie sie Thoma oder auch in entgegengesetztem Sinne die KPD wolle, wurden von ihm abgelehnt. Nehme man eine solche Beschränkung auf, dann könne die Polizei an der Grenze machen, was sie wolle. Es sei dann erst eine Prüfung notwendig, ob die verfassungsmäßigen Voraussetzungen des Asylrechts vorliegen würden oder nicht. Diese Prüfung liege in Händen der Grenzpolizei. Damit würde das Asylrecht vollkommen unwirksam. „Wir haben dafür Erfahrungen aus dem letzten Krieg, namentlich von der Schweiz her. Man kann das Asylrecht nur halten, wenn man die Bestimmung ganz einfach und schlicht faßt:

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht"217). In der ersten Lesung des Hauptausschusses wurde die Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen angenommen218). Dennoch beharrte der Allgemeine Redaktionsausschuß in seinen Vorschlägen vom 13. Dez. 1948 (Dok. Nr. 40) weitgehend auf seiner Fassung vom 16. November 1948219) mit dem Argument, man solle das Asylrecht nicht auf politisch verfolgte Ausländer ausdehnen, die möglicherweise wegen aktiver Betätigung gegen die Demokratie geflüchtet

seien220).

es in der zweiten Lesung des Hauptausschusses noch einmal zu einer grundsätzlichen Debatte unter wesentlicher Beteiligung von Abgeordneten, die die Zeit des Nationalsozialismus in der Emigration verbracht hatten221). Es verblieb allerdings bei dem bereits zu Beginn der Beratungen durch den Ausschuß für Grundsatzfragen erarbeiteten Wortlaut, der im Rahmen der redaktionellen Schlußarbeiten im Art. 16, Abs. 2 zusammengefaßt wurde.

Hierüber kam

c) Themen Die

aus

dem Bereich „der Bund und die Länder"

Bundesflagge (Bundesfarben) der Ausschuß für Grundsatzfragen

Als in seiner 11. Sitzung222) erstmals über die Bundesfarben sprach, wurde von Carlo Schmid behauptet, man habe auf Herrenchiemsee den „gordischen Knoten" durchgehauen, und er schlug demgemäß

215) 216) 217) 218) 219) 22°) 221) 222)

S. 611 ff. S. 612, Anm. 18. S. 612. 18. Sitzung des HptA vom 4. Dez. 1948, Dok. Nr. 40, Art. 17 (S. 884). Dok. Nr. 28, S. 579. 44. Sitzung des HptA vom 19 Jan. 1949, S. 300 ff.

XLVIII

Verhandlungen,

S. 327 f.

Verhandlungen

S. 582 ff.

Einleitung vor:

„Wir deklarieren, daß die Farben, die geführt werden, die der deutschen

Republik sind, wobei wir davon ausgehen, daß diese Farben der deutschen Republik nicht schlechthin jene der Verfassung von Weimar sind, sondern die Farben der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung"223). Aber bereits im Verfassungskonvent von Herrenchiemsee hatte es ein Minderheits- und ein Mehrheitsvotum gegeben224). In den Vordergrund der Diskussion geriet dann jedoch die Frage, ob der Pari. Rat überhaupt über die Bundesflagge endgültig entscheiden solle oder ob dies nicht vielmehr einer unmittelbar gewählten Volksvertretung vorbehalten werden solle. Von Mangoldt vertrat dabei die Auffassung, der Pari. Rat solle die Farben Schwarz-Rot-Gold für die Übergangszeit bis zur Entscheidung durch das Bundesparlament bestimmen225). Vor allem Heuss wies jedoch mit Entschiedenheit

darauf hin, daß Schwarz-Rot-Gold in der Ostzone vom Volksrat bereits als Farben des künftigen Deutschlands deklariert worden waren und daher eine baldige Entscheidung erforderlich sei. „Wenn wir nun die Entscheidung über die Farben hinausschieben, dann geben wir den Propagandisten der Ostzone ein sehr billiges Argument in die Hand, daß wir eben doch nur verkappte Faschisten sind. Ich möchte soweit gehen, zu sagen, wir müssen trotz der ganzen Sauerei im Osten die gleiche Flagge haben"226). Als man in der 12. Sitzung des Ausschusses am folgenden Tag das Thema wiederum aufnahm, bat die CDU/CSU um Aufschub, da die Fraktion darüber noch einmal sprechen wolle227). Carlo Schmid und Heuss betonten im übrigen noch einmal, daß angesichts der durch den Volksrat geschaffenen Lage eine endgültige Entscheidung vordringlich sei228). Eine weiterführende Diskussion war am 20. Oktober 1948, als man das Thema wieder aufnahm, immer noch nicht möglich, weil die Fraktion der CDU/CSU noch nicht beraten hatte229). Bergsträsser betonte, die SPD sei in dieser Frage gegen jede Unentschiedenheit und Unbestimmtheit. Man trete für die Farben ohne die Gösch der Weimarer Republik230). Reuter, Schwarz-Rot-Gold ein der dieser Sitzung beiwohnte, konstatierte aus Berliner Sicht fast apodiktisch: „Es geht gar nicht anders, als daß die Farben der Bundesrepublik im Grundgesetz festgelegt werden. Die Farben sind Schwarz-Rot-Gold, eine andere Entscheidung gibt es wohl kaum, und irgend etwas anderes gehört auch nicht in die Verfassung hinein [. .] Jedes Zögern würde nur schlechten Eindruck ma—

.

chen"231).

223) 224) 225) 226) 227) 22B) 229) 23°) 231)

S. 300. Art. 23 ChE, S. 302. Ebenda. S. 314. S. 315. S. 341 ff. Ebenda. Ebenda.

vgl.

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 583.

XLIX

Einleitung Eingaben aus der Bevölkerung lösten eine Woche später erneute Diskussionen aus232). Anklang fand vor allem ein Vorschlag des Malers und Graphikers Wack, der die Farben Schwarz-Rot-Gold in eine neue Zusammenstellung in Form eines Kreuzes gebracht hatte. Vorschläge von Redslob, der bis 1933 Reichskunstwart gewesen war und in dieser Funktion die Formgebung und Gestaltung der Staatssymbolik der Weimarer Republik wesentlich mitbestimmt hatte, fanden hingegen wenig Zustimmung233). Einige der Eingaben sollten in einem Schaukasten vor dem Restaurant des Parlamentarischen Rates ausgestellt werden. Am 3. November 1948 konnte der Ausschuß die Flaggenfrage inhaltlich diskutieren, nachdem die CDU/CSU darüber beraten hatte. Von Mangoldt berichtete über Beschlüsse seiner Fraktion234): Die Regelung solle nicht hinausgeschoben, sondern im Grundgesetz erfolgen. Über die Zusammenstellung der Farben Schwarz-Rot-Gold sei aber noch nicht endgültig entschieden worden; gegen die reine Trikolore gäbe es aus den verschiedensten Gründen noch gewisse Widerstände, einmal aus der schlechten Erkennbarkeit, zweitens aus dem Grunde, daß etwas Neues geschaffen werden sollte, da die alte Trikolore aus den geschichtlichen Zusammenhängen heraus in ziemlich breiten Kreisen gewisse Widerstände fände. Der Abgeordnete Mayr brachte als neue Lösung eine Aufteilung der Farben in der Form eines liegenden Kreuzes in die Debatte ein235). Nachdem das Argument der besseren Sichtbarkeit auf hoher See allgemein von Abgeordneten, die auf Erfahrungen in der Schiffahrt zurückschauen konnten, abgelehnt worden war236), schlug Heuss vor, im Grundgesetz die endgültige Ausgestaltung auszulassen und lediglich zu sagen: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rotgold"237). Diese Fassung wurde dann angenommen. Zwei Tage später wurde die Frage jedoch nochmals aufgerollt, nachdem die CDU/CSU-Fraktion inzwischen ihre Vorstellungen präzisiert hatte236). Ihr Vorschlag lautete: „Die Flagge des Bundes zeigt auf rotem Grund ein schwarzes liegendes Kreuz und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz." Damit sei etwas geschaffen, welches die Tradition der demokratischen Entwicklung und der demokratischen Ideale in Deutschland hochhält und was nicht mit Gegensätzlichkeiten aus der Vergangenheit belastet sei. Dieser Beschluß war mit dem Wunsch der SPD, die Farben Schwarz-Rot-Gold wieder einzuführen, nicht in Einklang zu bringen, wobei noch offen war, ob die Farben quer oder längs angeordnet werden sollten. Heuss kritisierte den CDU/CSU-Entwurf vor allem nach ästhetischen Kategorien: Es handele sich um „Kunstgewerbe", die Symbolgewalt des Kreuzes komme nicht zur Geltung; es sei eine „geometrisch-graphi-

232) 233) 234) 235) 236) 237) 238) L

S. S, S. S.

ff. 415, Anm. 7. 465 ff. 414

467.

Ebenda. S. 469. S. 485.

Einleitung sehe Angelegenheit"239). In der sich anschließenden grundsätzlichen Diskussion wurde deutlich, daß die CDU/CSU ihre Entscheidung mit Rücksicht auf Kreise der Bevölkerung gefällt hatte, die die Farben Schwarz-Rot-Gold nicht akzeptieren würden240). Man fürchtete ein Wiederaufleben des Weimarer Flaggenstreites und nationalistische Auseinandersetzungen241). Leitlinie der CDU/CSU war, je deutlicher der Symbolcharakter des Kreuzes zum Ausdruck komme, desto lieber wäre es ihr. Für die SPD verband sich mit Schwarz-Rot-Gold als „Trikolore" hingegen die Tradition der „alten Demokraten"242). Im übrigen hatte der Parlamentarische Rat, was auch für die Öffentlichkeit durch Artikel in Zeitungen deutlich wurde, bereits unter der Flagge Schwarz-Rot-Gold getagt243). Die eingehende Aussprache, bei der Heuss auch noch die historischen Dimenund dabei die sionen der Entwicklung der Flagge in Deutschland ansprach charakterisierte führte letztLichte besehen Rindviecher" als Heraldiker „bei lich zu keiner klaren Mehrheitsbildung. Das Argument der CDU/CSU, ihr Entwurf mit dem Kreuz beruhe auf Vorarbeiten aus Kreisen des 20. Juli244) vermochte die Anhänger der Lösung „Schwarz-Rot-Gold" ohne Zusätze auch nicht umzustimmen. Beschlossen wurde als Variante I vorzuschlagen: „Die Farben des Bundes sind Schwarz-Rot-Gold" und als Variante II: „Die Flagge des Bundes zeigt auf rotem Grunde ein schwarz liegendes Kreuz und auf dieses aufgelegt —



ein goldenes Kreuz"245). Im Ausschuß für Grundsatzfragen wurde die Diskussion in der zweiten Lesung nicht noch einmal aufgenommen246), vielmehr wurde sie im Hauptausschuß mit den aufgeführten Argumenten fortgeführt, wo schließlich bestimmt wurde, die Frage im Plenum zu beschließen247). Die Bevölkerung hatte an dieser Frage einen regen Anteil genommen und eine Fülle von Vorschlägen eingesandt, von denen, wie Bergsträsser in einem Bericht für den Hauptausschuß formulierte, viele „ihrer Art nach nur aus dem Hirn des betreffenden Verfassers entsprungen" sein konnten248).

Neugliederung des Bundesgebietes, Änderung im Gebietsbestand der Länder Angesichts der ungemein schwierigen, komplexen und hochpolitischen Materie, über die es in Herrenchiemsee bereits nicht zu einvernehmlichen Vorschlägen gekommen war, verwundert es nicht, daß der Ausschuß für Grundsatzfragen sich in mehreren langwierigen Sitzungen ausschließlich mit den Bestimmungen 239) 24°) 2«) 242) 243) 244) 245) 246) 247) 248)

S. S. S. S. S. S. S. S.

486. 487 f. 490. 492.

489, Anm. 11. 492. 494.

541. 22. Sitzung des HptA vom 8. Dez. 1948, Verhandlungen S. 265 f.; im der 10. Sitzung am 8. Mai 1949 darüber beraten und beschlossen; S. 226 f. Abdr. des Berichts auf S. 873, Anm. 51.

Plenum wurde in

Stenogr. Bericht,

LI

Einleitung Neugliederung des Bundesgebietes und zur Änderung des Gebietsbestandes der Länder befaßte249). Als der Pari. Rat seine Arbeit aufnahm, stand noch ein Auftrag der Militärgouverneure an die Ministerpräsidenten im Raum, Vorschläge für eine Neugliederung der Länder zu unterbreiten. Der aufgrund des Frankfurter Dokuments Nr. II errichtete Ausschuß der Ministerpräsidenten, auch „Lüdemann-Ausschuß" genannt, scheiterte jedoch trotz Verlängerung der Fristen bei der Erarbeitung von konkreten Vorschlägen250); lediglich für eine Zusammenfassung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern hatte er sich ausgezur

sprochen. Teil willkürlich durch die Zonengrenzen bestimmte Zuschnitt einzelner Länder, insbesondere im Südwesten, konnte als Dauerlösung nicht infrage kommen. Andererseits waren Lösungen, die die Länder der SBZ nicht einbeziehen konnten, aus damaliger Perspektive allerdings ebenfalls fragwürdig251). Der Ausschuß steuerte daher eine Regelung an, nach der zum einen die Modalitäten einer generellen Bereinigung der Länder in einer zu bestimmenden Frist festgelegt werden sollten; zum anderen waren Bestimmungen zu finden, nach denen dann weitere Änderungen im Gebietsstand der Länder ermöglicht werden sollDer

zum

ten.

Eine erste Grundsatzdebatte zur Neugliederung führte der Ausschuß in der 13. Sitzung252) in Abwesenheit des Vorsitzenden von Mangoldt, aber mit engagierter Beteiligung von Reuter. Beherrscht wurde die Diskussion von folgenden Fragen, die auch in den weiteren Sitzungen im Vordergrund standen: 1. Termin der generellen Neugliederung, 2. Wer soll entscheiden, 3. Wer soll initiativ werden können und wie soll das Abstimmungsgebiet festgelegt werden, 4. Wer ist stimmberechtigt, 5. Wer soll bei vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen

entscheiden? Es ist hier nicht der Flaunt, die Entwicklung der inhaltlichen Diskussion zu diesen Einzelfragen nachzuzeichnen. Der formale Weg der Beratung im Ausschuß lief wie folgt ab: Ein Redaktionsausschuß, bestehend aus von Mangoldt, Frau Weber und Zinn, legte in der 14. Sitzung des Ausschusses einen noch unvollendeten Entwurf für einen Art. 24 und 25 vor253). Die eingehende Beratung führte zu einem modifizierten Entwurf für die 16. Sitzung254), der nach eingehender Beratung in die in zweiter Lesung angenommene Fassung der „Allgemeinen Bestimmungen" Eingang fand255). Diese Fassung wurde Grundlage der Beratungen der ersten Lesung im Hauptausschuß256). Nachdem der Allgemeine Redaktionsausschuß in seinem Vorschlag vom 13./16. Dez. 1948 empfohlen hatte, den Artikel über die Neugliederung des

24°) 25°) 251) 252) 253) 254) 255) 256) LH

Dok. Nr. 17, TOP 2; Dok. Nr. 19; Dok. Nr. 25; Dok. Nr. 45; Dok. Nr. 46. S. 343, Anm. 11. S. 343. S. 343 ff. S. 380. S. 427. S. 550. 4.

Sitzung des HptA vom

17. Nov. 1948,

Verhandlungen,

S. 53 ff.

Einleitung Bundes als Art. 138 aa in den Abschnitt „Übergangsbestimmungen" zu setzen257), fiel die Materie in die Zuständigkeit des Organisationsausschusses. In der zweiten Lesung des Hauptausschusses wurde von der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses ausgegangen258). Der Ausschuß für Grundsatzfragen erörterte in seiner 34. Sitzung259) nochmals das Recht der Bevölkerung von Gebietsteilen, die nach dem 8. Mai 1945 ihre Landeszugehörigkeit geändert hatten, zur Initiative bei den Neugliederungen und schlug eine Ergänzung des §138aa vor260). Dabei wurde ein Vorschlag von Wirmer, in allen Gebietsteilen, die seit 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit geändert hatten, ohne Volksbegehren eine Volksentscheidung durchzuführen, abgelehnt261). Ferner wurden die Modalitäten eines Volksbegehrens diskutiert: 1. Begriff des Gebietsteiles, der nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung seine Landeszugehörigkeit geändert hat, 2. Prozentsatz, 3. Wer ist stimmberechtigt? 4. Wie sollte die Fragestellung bei einer Abstimmung lauten. In der 35. Sitzung des Ausschusses wurde ein Antrag von Laforet behandelt, der zum Ziele hatte, „daß zunächst der Wille der Bevölkerung zum Ausdruck kommen muß und dann die Bundesregierung einzutreten" hätte262). Es sei für denjenigen, der von der Staatlichkeit der Länder ausgehe, eine schwere Sache, sich zu entschließen, daß gegen den Willen eines Landes und gegen den Willen der Bevölkerung durch Bundesgesetz eine Regelung erfolgen solle263). Der Vorschlag von Laforet fand jedoch nicht die Zustimmung des Ausschusses, denn das von Laforet geforderte Drittel der Stimmen für ein Volksbegehren wurde als eine zu große Hürde an-

gesehen264).

IV. AUSWAHL DER DOKUMENTE UND IHRE EINRICHTUNG

Die Auswahl der in diesem Band abzudruckenden Dokumente ergab sich aus der Zielsetzung der Editionsreihe, die Protokolle der Ausschüsse des Parlamentarischen Rates mit historisch-kritischem Kommentar versehen zu edieren und darüber hinaus die jeweils gewonnenen Arbeitsergebnisse, wie sie sich in der Regel in den Drucksachen des Pari. Rates darstellen, mit zu präsentieren; sei es in den Anmerkungen, sei es durch den Abdruck als eigenständige Dokumente.

Der Ausschuß tagte insgesamt 36mal, bzw. etwa 77 zungen, abgesehen von der konstituierenden ersten

257) 258) 259) 26°) 261) 262) 263) 264) 265)

S. 875. 39. Sitzung des S. 981 ff.

HptA vom

14.

Stunden265).

Von allen Sit-

Sitzung, liegen Wortproto-

Jan. 1949, Verhandlungen, S. 483 ff.

Ebenda. Ebenda. S. 1008, Anm. 2. S. 1015. S. 1026. Die Angabe ist nicht

präzise, weil von einer Sitzung die Dauer nicht feststellbar ist und auch die Länge einiger Pausen nicht erkennbar war. LUI

Einleitung kolle vor, so daß damit eine solide Basis für die Edition gegeben war. Zugrunde gelegt wurde die vom Sekretariat des Parlamentarischen Rates angelegte Sammlung der Protokolle im Bundesarchiv-Bestand Z 5 (Parlamentarischer Rat)286); die Parallelüberlieferungen der Wortprotokolle in einigen Nachlässen konnten unberücksichtigt bleiben, da die Sekretariatsüberlieferung die umfassendste und auch alle Korrekturen enthaltende Fassung darstellt. Als Stenografen waren für den Ausschuß fast alle Mitarbeiter des stenografischen Dienstes im Pari. Rat tätig267). Zwölf und somit die meisten Sitzungen des Ausschusses nahm der Leiter des stenografischen Dienstes, Dr. Vinzenz Koppert, auf268). Beteiligt waren ferner die Stenografen Amtsgerichtsrat a. D. Herrgesell neun Sitzungen269), Ewald Reynitz vier Sitzungen270), Dr. Hans Jonuschat drei Sitzungen271), Dr. Max Meidinger zwei Sitzungen272), Kurt Peschel zwei Sitzungen273), Erich Senz zwei Sitzungen274) und Karl Thöt eine Sitzung275). In der formalen Gestaltung der Protokolle läßt sich folgende Differenzierung erkennen: Die Stenografen Dr. Reynitz, Thöt, Herrgesell, Peschel beendeten ihre Protokolle mit einer Zeichnungsleiste, in der sie unter dem Datum der Ausfertigung des stenografischen Berichts unterschrieben und die Verfügung für den Schriftführer des Ausschusses vorsahen „Gelesen und zu den Akten genommen". Diese Verfügung wurde allerdings von dem Schriftführer nicht in einem einzigen Fall unterschrieben. Die anderen Stenografen (Dr. Koppert, Dr. Meidinger, Dr. Jonuschat und Senz) unterzeichneten ihre Protokolle nicht und sahen eine entsprechende Verfügung für den Schriftführer auch nicht vor. Nicht ganz klar läßt sich erkennen, ob die Sitzungen des Ausschusses für Grundsatzfragen immer vollständig vom Stenografen aufgezeichnet worden sind. Hinter Sätzen wie „Der Ausschußvorsitzende eröffnet die Sitzung" oder er schließt die Sitzung" können sich theoretisch längere Ausführungen verbergen, die der Protokollant, aus welchen Gründen auch immer, nicht mit erfaßt hat. Im Kurzprotokoll zur 28. Sitzung (Dok. Nr. 36) wurde ein Tagesordnungspunkt 6 festgehalten (Ermächtigung des Vorsitzenden des AfG zu einem Schreiben an den Hauptausschuß), der im stenografischen Protokoll nicht begegnet276). Dies dürfte jedoch eine Ausnahme gewesen sein, und man wird davon ausgehen können, daß in der Regel die Protokollierung vollständig war. Die transskribierten Stenogramme wurden den Abgeordneten zur Korrektur übersandt und die Seiten, bei denen die Korrekturen zu unleserlichen Fassun„.

..

266) Vgl. das in der Reihe der Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs als Bd. 35 erschienene Verzeichnis, bearb. von Wolfram Werner. Koblenz 1989. 267) Kurt Peschel: Der stenografische Dienst im Parlamentarischen Rat. Neue Stenographi-

268) 269) 27°) 271) 272) 273) 274) 275) 276) LIV

sche Praxis 1 (1953), S. 24-26. Dok. Nr. 2, 4-6, 13-15, 17, 22, 30, 31, 45 teilweise. Dok. Nr. 20, 21, 24, 25, 29, 32, 33, 36, 41. Dok. Nr. 7-9, 27. Dok. Nr. 44, 45, 46 teilweise. Dok. Nr. 34, 42. Dok. Nr. 22, 23. Dok. Nr. 38, 39. Dok. Nr. 19. Ermächtigung des Vorsitzenden des AfG zu einem Schreiben

Vgl.

an

den

Hauptausschuß.

Einleitung führten, noch einmal

geschrieben. Die korrigierten Seiten wurden geheftet. Da diese Seiten letztlich zur originären Protokollfassung mit gehören, wurden sie in der Dokumentenbeschreibung mit aufgeführt und auch überprüft, ob Korrekturen in ihnen anzumerken waren. Inwieweit alle ausgetauschten Seiten erhalten sind, bleibt undeutlich. Einige Protokolle haben keine Austauschseiten und es könnte sein, daß sie verlorengegangen sind. Gelegentlich wurden die korrigierten Seiten mit einer Paraphe gen

dann

neu

das Ende des Protokolls

an

so z. B. einmal von Heuss277) und einmal von Eberhard278). Wesentlichere inhaltliche Änderungen, wie z. B. die Abschwächung pointierter Äußerungen, wurden in den Anmerkungen wiedergegeben. Die meisten Korrekturen ergaben sich allerdings aus dem Prozeß der Umformung vom gesprochenen zum

versehen,

geschriebenen Wort. Wortprotokollen wurden weitere 12 Dokumente als Hauptdokumente aufgenommen, in denen sich die Entwicklung der Arbeit des Ausschusses widerspiegelt oder die in zentraler Weise seine Arbeit beeinflußten. In der Regel

Außer den

dies „Drucksachen" des Parlamentarischen Rates; sofern Drucksachen oder auch sonstige Vorlagen von ihrem Umfang her in Anmerkungen sinnvoll unterzubringen waren, wurden sie dort präsentiert. In den Anmerkungen wiedergegeben wurden auch zahlreiche Eingaben, vor allem wenn sie ganz oder in Teilen vorgelesen wurden ohne daß sie mitstenografiert wurden. Als Hauptdokumente abgedruckt wurde die Eingabe der KPD zu den Grundrechten279) und die „Kritische Würdigung des vom Grundsatzausschuß beschlossenen Grundrechtskatalogs" von Prof. Thoma280). Aus diesem Rahmen fällt ein wenig der Abdruck des Entwurfs der Erklärung der Menschenrechte281); die Entwürfe zu diesem Dokument waren so stark im Zentrum der Diskussion, daß es ratsam erschien, diejenige Version abzudrukken, die den Mitgliedern des Pari. Rates als Drucksache bekannt gemacht wurde, so mangelhaft die Übersetzung aus der Neuen Zeitung auch war. Notwendig war auch die Aufnahme von Fassungen der Grundrechtsbestimmungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses282) und des Hauptausschusses283), da anders eine sinnvolle Kommentierung der Diskussionen im Ausschuß für Grundsatzfragen über diese Fassungen nicht zu bewerkstelligen war. Die Kurzprotokolle des Ausschusss für Grundsatzfragen wurden in der Dokumentenbeschreibung jeweils mit Fundstelle angegeben. Sie informieren in ihrer Konzentrierung auf die Ergebnisse der Diskussion häufig übersichtlicher und klarer, wenn sie den Inhalt der Diskussionen auch gelegentlich recht verkürzt und in abstrahierter Form wiedergeben. Die meisten der Kurzprotokolle, 25 der 36, wurden von Kurt. G. Wernicke verfaßt, der seit der 10. Sitzung fast regelmäwaren



.

.

.

277) 278) 279) 28°) 281) 282) 283)

Dok. Dok. Dok. Dok. Dok. Dok. Dok.

Nr. 6, TOP Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1.

7, TOP 1 h. 12. 18. 10. 28 und 40. 37.

LV

Einleitung als Protokollant zeichnete. Bis dahin wechselten die Namen der Bearbeiter recht häufig. Anders als die Stenografischen Protokolle wurden die Kurzprotokolle vom Schriftführer (Heuss) oder einem seiner Vertreter unterzeichnet. Man kann davon ausgehen, daß die Gremien, die die Ergebnisse des Ausschusses für Grundsatzfragen weiter verarbeiteten, dies vor allem mit Hilfe der als Drucksachen des Pari. Rates verbreiteten Kurzprotokolle taten. Die Bezeichnung der Redner wurde im Rahmen der Edition vereinheitlicht. In der Vorlage findet sich für von Mangoldt fast durchgängig nur seine Funktion „der Vorsitzende"; die anderen Sprecher wurden mal mit dem Zusatz „Abgeordneter", mal ohne aufgeführt. Die vielfältigen Schreibweisen des Namens Bergsträsser (Bergstraeßer, Bergstraesser, Bergsträßer) wurden stillschweigend normalisiert. Die akademischen Titel wurden in der Form belassen, wie sie in der Vorlage erscheinen; selbst wenn das zu Unregelmäßigkeiten führte, wie z. B. bei Zinn, der gelegentlich mit Doktortitel, zumeist jedoch ohne aufgeführt wurde. Auch die unterschiedliche Bezeichnung für weibliche Abgeordnete, die gelegentlich als Redner mit dem Zusatz „Frau" versehen wurden, wurde beibehalten. Veränderungen in der Orthographie und der Zeichensetzung wurden nur sehr behutsam vorgenommen, falls dies aus Gründen des Verständnisses erforderlich war. Gelegentliche, aus heutiger Sicht eigenwillige Schreibweisen, wurden daher belassen. Offensichtliche Tippfehler wurden allerdings stillschwei-

ßig

gend bereinigt. Einwürfe, die

von den Stenografen als solche durch Hinzufügung runder Klamund durch Einrücken bezeichnet wurden, wurden beibehalten, obwohl die einzelnen Stenografen die Zwischenbemerkungen wohl unterschiedlich dicht berücksichtigt haben. Der Stenograf K. Peschel berichtete 1953 über die Protokollführung: „Von einer geordneten Verhandlungsführung war vielfach keine zum Schrecken der Stenografen Rede, vielmehr spielte sich die Verhandlung in Form oft dauernder Wechselreden ab, die zuweilen in eine reine Untermehreren zu haltung übergingen"284). Wie auch die stenografischen Protokolle der anderen Ausschüsse sind diese ungegliedert ohne Überschriften und Tagesordnungspunkte. Die Tagesordnungspunkte wurden mit eckigen Klammern versehen in den Text eingefügt. Gewonnen wurden die Überschriften zumeist aus den Kurzprotokollen. Wegen weiterer Einzelheiten zum Editionsverfahren vgl. die Ausführungen in Bd. 1, S. LXXIIff. dieser Reihe. Quellenangaben beginnen mit der Angabe des Archivs; fehlt diese, so handelt es sich um einen Bestand aus dem Bundesarchiv, Hauptdienststelle Koblenz. Die Drucksachen des Pari. Rates, die im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages und im Bundesarchiv (Bestand Z 5) in einer numerischen Reihe vorliegen, wurden lediglich in ihrer Nummer zitiert, da damit ein eindeutiger Nachweis gegeben ist. Nur bei den Drucksachen, in denen sich die Kurzprotokolle des Ausschusses niederschlagen, wurde die Archivsignatur einschließlich der Blattangabe im Rahmen der Dokumentenbeschreibung mit benannt. mern





284) Peschel, Anm. 263, S. 25. LVI

Einleitung Dank zu sagen ist zahlreichen archivarischen Kolleginnen und Kollegen, die mir sowohl bei schriftlichen Aufragen als auch bei Archivbesuchen mit Rat und Tat geholfen haben. Frau Kristine Werner (Landeshauptarchiv Koblenz) war mir vor allem eine Hilfe beim Einsatz der EDV und meines PC; ohne ihren Beistand wäre der bei einer Edition solchen Umfangs ohnehin unvermeidliche Frust über das Mißverhältnis zwischen zu leistender Arbeit und vorhandener „Freizeit" wohl ins Unerträgliche gestiegen.

Koblenz,

im

Frühjahr

1992

Wolfram Werner

LVII

VERZEICHNIS DER DOKUMENTE

Nr. 1

Titel des Dokuments und Inhalt

Erste, konstituierende Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 15.

2

Seite

Sept.

1948

.

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

Zweite

16. Sept. 1948 1. Bericht über die in Herrenchiemsee erfolgte Abgrenzung des Stoffes von Dr. Pfeiffer und Dr. Carlo Schmid. 2. Festsetzung der Beratungsthemen für die nächste Sitzung .

...

3

der Grundrechte, richterstatter.

Katalog 21.

4

Sept.

Dritte

1948

Anregungen

von

Dr.

Bergsträsser als

3 9

Be-

.

15

.

28

Überblick über die Entwicklung der Grundrechte.

Berichterstatter Dr. Bergsträsser. 2. Staatsrechtliche Betrachtung der Grundrechte. Berichterstatter Dr. Zinn. 3. Diskussion von Einzelfragen: Umfang der aufzunehmenden Grundrechte, Prinzip: Grundrechte sollen unmittelbares Recht

28

sein, Grundpflichten. Katalog der Grundrechte von Dr. Bergsträsser.

38 50

4.

Vierte

33

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

23. Sept. 1948 1. Erörterung der

.

Redaktionsausschuß des Ausschusses für Grundsatzfragen formulierten Artikel 1—4. a. Würde des Menschen (Art. 1). b. „Der Mensch ist frei" (Art. 2) c. Persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Person (Art. 3) d. Auslieferung, Asylrecht (Art. 4).

62

vom

.

.

6

3

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

21. Sept. 1948 1. Historischer

5

1

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. Sept. 1948

.

62 62 75 78 83

Fünfte 29.

.

88

LIX

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

Redaktionsausschuß des Ausschusses für formulierten Artikel 5—9. Grundsatzfragen a. Freizügigkeit (Art. 5). b. Auswanderungsrecht (Art. 6) c. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 7). d. Freiheit des Glaubens (Art. 8). e. Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 9). 2. Organisation der weiteren Arbeit des Ausschusses für Grundsatz1.

Erörterung der

vom

.

fragen

7

.

Sechste Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. Okt. 1948 1. Erörterung der vom Redaktionsausschuß des Ausschusses für Grundsatzfragen formulierten Artikel 9—17. a. Briefgeheimnis (Art. 9). b. Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Forschung (Art. 10) c. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11 und 12) d. Landes- und Bundeszugehörigkeit (Art. 13) e. Freiheit der Wahl (Art. 14). f. Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 15). g. Beschwerderecht (Art. 16) h. Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 17). 2. Errichtung eines Unterausschusses für Eingaben. 3. Besprechung des weiteren Arbeitsprogramms 4. Tagesordnung für die nächste Sitzung. 5.

.

.

.

.

.

.

.

.

8

Siebente Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. Okt. 1948 1. Beratung der Präambel. 6.

.

a.

Vorschlag

Zinn.

b. Vorschlag Heuss. c. Diskussion, auch über die Bezeichnung des künftigen Staates

.

9

Achte Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 7. Okt. 1948 1. Beratung der Präambel, Fortsetzung. 2. Bildung eines Redaktionsausschusses für die Präambel 3. Aufhebung von Grundrechten durch Notverordnungsrecht (Art. 111). 4. Landes- und Bundeszugehörigkeit (Art. 13).

.

....

5.

Eigentumsrecht, Enteignung, Überführung

in

LX

17

115

117 117 119 120 121 129 132 135 137 142 146 147 154

156 156 156 158 159

172 172 185 185 193

Gemeineigentum

und 18). 6. Gleichheitsgrundsatz (Art. 19). 7. Unantastbarkeit der Grundrechte (Art. 20).

(Art.

88 88 101 105 109 111

197 214 214

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Seite

Titel des Dokuments und Inhalt

8.

Erweiterung der Grundrechte durch Grundregeln für das schaftliche und kulturelle Leben?

10

Erklärung der Menschenrechte, 7.

11

Okt. 1948

wirt.215

Entwurf.

.

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

Neunte

12. Okt. 1948 1. Verfassungsdurchbrechung (Art. 106, Abs. 2 ChE). 2. Unverbrüchlichkeit der Verfassung (Art. 108 ChE). 3. Präambel, Bericht von Carlo Schmid über den Entwurf des Re-

226 226 228

daktionsausschusses des Ausschusses für Grundsatzfragen Diskussion über die Präambel.

229 233

.

.

4.

12

.

.

der KPD-Fraktion Okt. 1948

Eingabe 12.

13

220

zu

den Grundrechten.

.

253

Zehnte Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 260 13. Okt. 1948 1. Abschließende Beratung über die Präambel, einschließlich Bezeichnung des künftigen Staates (1. Lesung).260 .

14

11.

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

14. Okt. 1948 1. Grundsätzliches über

.

288

den staatlichen Aufbau (Art. 21), Bundesgebiet (Art. 22), Beitritt zur Bundesrepublik, bzw. Aufnahme anderer Länder, Berlin (Art. 23), Bundesfarben, Normativbestimmungen .288 300 2. Neugliederung der Länder (Art. 24). 3. Bundesfarben (später Art. 27). 300 4. Normativbestimmungen, Verfassungen der Länder und Grundgesetz 5.

(Art. 25).

Gewährleistung

der

Verfassungsmäßigkeit

303

des staatlichen Lebens

der Länder (Art. 26).312 15

12. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 15. Okt. 1948 1. Inhalt der Selbstverwaltung (Art. 25, Abs. IV, Satz 2). 2. Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der Länder (Art. 26) 3. Bundesfarben, Flaggenfrage (Art. 27) 4. Regeln des Völkerrechts und Grundgesetz (Art. 22 ChE) .

.

...

5.

Übertragung

Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrich-

ChE).

322

Gebietsabtretungen, Grenzfragen (Art. 30, Art. 25 ChE) Störungen des Völkerfriedens (Art. 31, Art. 26 ChE).

328 331

tungen (Art. 6. 7.

von

313 313 314 314 315

24

....

LXI

Verzeichnis der Dokumente Nr.

16

Seite

Titel des Dokuments und Inhalt

Überschrift, Präambel, Art. 1—32. Vom Ausschuß für GrundsatzfraLesung angenommene Fassung.

gen in erster

[18. Okt. 1948].333 17

13. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 20. Okt. 1948 1. Bundesfarben, Fortsetzung (Art. 27). 2. Neugliederung der Länder, Fortsetzung (Art. 24)

.

.

18

341 341 343

Prof. Richard Thoma: Kritische Würdigung des vom Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates beschlossenen und veröffentlichten Grundrechtskatalog. 361 25. Okt. 1948 I. Bemerkungen zu den zwanzig einzelnen Artikeln.361 II. Gliederung und Reihenfolge der Artikel.374 III. Wortlaut der vorgeschlagenen Artikel.374 .

19

14.

Sitzung des Ausschusses für Grandsatzfragen.

26. Okt. 1948 1. Neugliederung

(Art. 20

15.

25

.

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

27. Okt. 1948 1. Diskussion und Beschlußfassung über 2. Arbeitsprogramm des Ausschusses für

.

21

380

(Art. 24), Änderung im Gebietsbestand der Länder neu).380

414

Eingaben .414 425 Grandsatzfragen ....

16. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 427 29. Okt. 1948 1. Neugliederung des Bundesgebietes, Änderungen im Gebietsbestand der Länder (Art. 24 und 25 neu).427 .

22

17. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 3. Nov. 1948 465 1. Bundesfarben (Art. 27), 1. Lesung .465 471 2. Arbeitsprogramm des Ausschusses für Grundsatzfragen .

....

3. Diskussion und

23

Beschlußfassung über Eingaben

18. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 5. Nov. 1948 1. Bundesfarben, Flaggenfrage (Art. 27)

.472

.

.

LXII

485 485

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

24

19.

Seite

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

9. Nov. 1948

.

496

Bayerischer Vorschlag, Entwurf der Lesung DP, Vorschläge Heuss, Kroll, v. Mangoldt.496 der Präambel:

1. Zweite

ZWEITER TEIL

25

20. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 10. Nov. 1948 1. Allgemeine Bestimmungen (Art. 21-32), 2. Lesung

.

.

a. Staatlicher Aufbau (Art. 21). b. Bundesgebiet (Art. 22). c. Mitwirkung Berlins (Art. 23). d. Neugliederung und Änderungen im Gebietsbestand (Art. 24 und 25). e. Verfassungen der Länder, Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der Länder (Normativbestimmungen) (Art. 25a und 26) f. Bundesfarben, Flaggenfrage (Art. 27, 28 neu). g. Regeln des Völkerrechts und Grundgesetz (Art. 28, Art. 29 neu) h. Friedensverpflichtung (Art. 29, Art. 30 neu). i. Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Ein-

richtungen (Art. 30). j. Friedliches Zusammenleben der Völker, Verbot von zur Kriegführung bestimmter Waffen (Art. 30, neu 31 und 32) ...

26

533 536 541 541

542 544

546

Vom Ausschuß für

Grundsatzfragen in zweiter Lesung angenommeFassung der „Allgemeinen Bestimmungen" (Art. 21—32).

ne

10. Nov. 1948

27

.

521 521 521 530 533

.

550

21. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 554 16. Nov. 1948 1. Präambel, zweite Lesung.554 576 2. Vorbereitung der zweiten Lesung der Grundrechtsartikel .

...

28

Art. 1—20 in der

Lesung

16. Nov. 1948

29

22.

vom

formulierten

Allgemeinen Redaktionsausschuß

in erster

Fassung.

.

578

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

18. Nov. 1948 1, Grundrechtsartikel, zweite

.

584

Berücksichtigung der Neufassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses, der Eingabe von Prof. Thoma und der Stellungnahmen der Fraktionen: AllgeLesung

unter

meines, Würde des Menschen (Art. 1).584 LXIII

Verzeichnis der Dokumente Seite

Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

30

23. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 19. Nov. 1948 1. Zweite Lesung der Grundrechtsartikel (Art. 1—6

.

a), Fortsetzung a. Würde des Menschen (Art. 1). b. Freiheit des Menschen, freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2). c. Freiheit der Person (Art. 3). d. Auslieferung und Asylrecht (Art. 4). e. Freizügigkeit (Art. 5) f. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6 neu). g. Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl, Zwangsarbeit (Art. 6 a) .

.

31

24. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 23. Nov. 1948 .-. 1. Zweite Lesung der Grundrechtsartikel, Fortsetzung: Freiheit des

621

Glaubens und des Gewissens (Art. 7). Eingaben der Kirchen: Aufnahme weiterer kirchenrechtlicher Bestimmungen; Schutz von Ehe und Familie, Elternrecht

25. Sitzung des 24. Nov. 1948 1. Zweite

Ausschusses für

621

633

Grundsatzfragen.

.

Lesung der Grundrechtsartikel, Fortsetzung (Art. 8-14)

.

Meinungsäußerung, Pressefreiheit (Art. 8) von Einzelanträgen zu den Grundrechten c. Postgeheimnis (Art. 9). d. Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Forschung (Art. 10) e. Versammlungsfreiheit (Art. 11). f. Vereinigungsfreiheit (Art. 12) g. Staatsangehörigkeit, „Deutscher", Wechsel der Staatsangehörig-

a. Freiheit der b. Behandlung

...

.

.

.

.

.

.

keit (Art. 13). h. Wahlfreiheit (Art. 14). 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 30. Nov. 1948 1. Zweite Lesung der Grundrechtsartikel, Fortsetzung

.

(Art. 13 a-20)

Wahlfreiheit, insbes. Wahlberechtigung (Art. 14), Fortsetzung b. Staatsangehörigkeit (Art. 13 a), Fortsetzung c. Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 15). a.

.

.

d. Petitionsrecht (Art. 16). e. Gewährleistung und Verpflichtung des Eigentums (Art. 17) f. Sozialisierung (Art. 18). g. Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 19). h. Unantastbarkeit des Wesensgehalts der Grundrechte, „Grundrechtsgarantie" (Art. 20). .

LXIV

611 613 615 617

....

33

604 610

.

2.

32

603 603 603

.

648 648 648 675 676 680 683 685 704 706

712

712 712 714 720 723 724 737 738 754

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Seite

Titel des Dokuments und Inhalt

Kriegsdienstverweigerung (Art.

i.

7, Abs. V).

j. Ungestörte öffentliche Religionsausübung. 2. Reihenfolge, Gliederung und Umnumerierung der Grundrechtsartikel

3. 4. 5.

34

.

Antrag zur Pressefreiheit. Umnumerierung der Grundrechtsartikel, Fortsetzung. Verschiedenes

27.

764 766 769 769

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen.

1, Dez. 1948 1.

.

760 762

.

Gleichheitsgrundsatz Anwendung :

für

juristische

771

Personen (zu

Art. 4) .'.771 2. Verbot eines Zwanges zur Offenbarung der politischen Überzeugung (zu Art. 3).772 3. Recht auf soziale Sicherheit, Recht auf Nahrung und auf Arbeit (Art. 20 und 21 der UN-Menschenrechtserklärung) in Verbindung mit der Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau 776 .

.

.

.

.

35

Art. 1—21 in der vom Ausschuß für Grundsatzfragen in zweiter Lesung angenommenen Fassung. .784 [1. Dez. 1948]

36

28. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 3. Dez. 1948 1. Juristische Personen und Grundrechte (Art. 21, Abs. III) 2. Garantie des Berufsbeamtentums (Art. 20 a, Abs. II), Beamtenhaf.

....

tung 3.

37

.

Freiheit der Berufswahl (zu Art. 12).

Hauptausschuß in erster Lesung Grundrechtsbestimmungen (Art. 1—9).

Vom

angenommene

29. Sitzung des 4. Dez. 1948 1. Besprechung

Ausschusses für

790 801

Fassung der

3. Dez. 1948. 38

789 789

802

Grundsatzfragen.

.

des weiteren Verlaufs der Arbeiten. 2. Schutz der Ehe und Familie, uneheliche Kinder, Elternrechte 3. Antrag der CDU/CSU, Zentrum und DP betr. Staat und Kirche 4. Übernahme von Ehrenämtern durch im Arbeits- bzw. im Beamtenverhältnis stehende Personen (zu Art. 18). 5. Freizügigkeit und Recht auf freie Wahl der Arbeits- und Ausbildungsstätte (Übergangsbestimmungen zu Art. 11 und 12) .

.

.

...

805 805 806 835 840 843

LXV

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

39

30. Sitzung des Ausschusses für 6. Dez. 1948

Seite

Grundsatzfragen.

.

846

Freizügigkeit und Recht auf freie Berufswahl (neu Art. 139 d), Fortsetzung.846 2. Antrag Dr. Löwenthal (SPD) zu Art. 16 (138 b): Wiedereinbürgerung der im Dritten Reich Ausgebürgerten.848 1.

Überweisung

von Art. 138 a und 138 b (Definition des „Deutden Ausschuß für Organisationsfragen.849 4. Garantie des Berufsbeamtentums.851 5. Verfassungswidrigkeit von Handlungen, die die Führung eines 852 Krieges vorbereiten, Verbot von Waffen (Art. 29 b und 29 c) 6. Gewerbefreiheit und Berufsfreiheit.854 7. Antrag der DP vom 19. Nov. 1948, Drucks. Nr. 298 betr. unter anderem die Grundrechte.855 8. Antrag der KPD betr. soziale Grundrechte (Eingabe Nr. 98) 868 9. Artikel aus dem Rheinischen Merkur vom 30. Okt. 1948 zum

3.

schen")

an

.

.

.

„Fragebogen-Problem".871 Eingabe von Studenten zur Ausbildung, Freiheit der Berufswahl und Zuständigkeit des Bundes.872 11. Weitere Behandlung von Eingaben an den Ausschuß für Grundsatzfragen, Allgemeines.873 10.

40

Art. 1—29

c

in der

ten Fassung. 13. Dez. 1948 41

42

vom

Allgemeinen Redaktionsausschuß redigier-

.

31. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 16. Dez. 1948 I. Behandlung von Eingaben aus der Bevölkerung 32. Sitzung des II. Jan. 1949 1. Grundrechte.

Ausschusses für

.892

Grundsatzfragen.

.

Vergleichende Durchsicht der Formulierungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses, des Hauptausschusses (1. Lesung) und der neuen Fassung von Mangoldt. a.

b. c.

d. e.

f. g.

LXVI

875

910

910

Würde des Menschen (Art. 1). 910 918 Recht auf Leben, Freiheit der Person (Art. 2) Unverletzlichkeit der Freiheit der Person (Art. 3). 927 Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz (Art. 4). 928 Freiheit des Glaubens, des Gewissens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Art. 5). 928 Freiheit der Meinungsbildung, Presse, Rundfunk, Film (Art. 6) 929 Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 7).934 .

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

h. Ehe als

rechtmäßige

Seite

Form der

Lebensgemeinschaft (Art.

Elternrecht, Religionsunterricht (Art.

i.

7

7

a)

b).

.

935 936

j. Demonstrations- und Versammlungsrecht, Vereine und Verei-

nigungen (Art.

8 und

9). k. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13). 1. Freizügigkeit (Art. 11). m. Berufswahl (Art. 12). n. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13), Fortsetzung o. Gewährleistung des Eigentums und des Erbrechtes (Art. 14) p. Überführung von Grund und Boden... in Gemeineigentum

939 940 941 942 942 943

(Art. 15).

944 945

.

.

.

.

q. r. s.

t.

Bundesangehörigkeit, Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16) Verbot der Auslieferung, Asylrecht (Art. 17). Wahlfreiheit, Gewährleistung des Wahlgeheimnisses (Art. 18) Zugang zu öffentlichen Ämtern, Ausübung öffentlicher Ehrenämter (Art. 19).

u. v.

Petitionsrecht (Art. 20)

w.

43

usw.

(Art.

Einschränkung

.

.

Jan.

1949

.

.

.

.

für

45

950

zur

954

Grundsatzfragen.

.

ausschusses

949

des

.

33. Sitzung des Ausschusses 12. Jan. 1949 1. Präambel, Durchsicht der

948 949

.,

20

Abänderungsvorschläge des Ausschusses für Grundsatzfragen Fassung der Grundrechtsbestimmungen der Ersten Lesung Hauptausschusses. 11.

44

Geltung für Körperschaften, Anstala). der Grundrechte (Art. 20 b und 20 c)

Gleichheitsgrundsatz ten

.

948 948

Fassung

aus

der 1.

965

Lesung des Haupt-

.

965

34. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 979 26. Jan. 1949 1. Präambel. 979 2. Neugliederung des Bundesgebietes, Änderung im Gebietsbestand der Länder (Art. 25 und 26, neu 138 aa). 981 3. Weitere Arbeit des Ausschusses. 1007 .

46

35. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 1008 27. Jan. 1949 1. Neugliederung des Bundesgebietes, im Gebietsbestand der Länder, Fortsetzung. 1008 .

Änderung

LXVII

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

47

36. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. 27. Jan. 1949 1038 1. Diskussion der Tagesordnung.1038 2. Freizügigkeit (zu Art. 11).1038

Seite

.

48

LXVIII

Neugliederung des Bundesgebietes, Änderung im Gebietsbestand der Länder (Art. 25—26), Vorschläge des Ausschusses für Grundsatzfragen für die dritte Lesung des Hauptausschusses. [27. Jan. 1949].1046

Erste

Sitzung

15.

September 1948

Nr. 1

Nr. 1

Erste, konstituierende Sitzung des Ausschusses für 15. Z 12/45, B. 69. Als Drucks. Nr. 55

September

vervielf., undat.,

Grundsatzfragen

1948 von

Heuss gez.

Prot.1)

Anwesend: CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Schräge, Seibold, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Mücke, Wunderlich FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Suhr (SPD)2) Protokollführer: Füsslein Dauer: 15.00-3)

TAGESORDNUNG4) 1. 2.

Eröffnung durch den Alters-Vorsitzenden

6.

Arbeitsplan.

Wahl 3. Wahl 4. Wahl 5. Wahl

des des des des

Vorsitzenden Stellvertretenden Vorsitzenden Schriftführers Berichterstatters

ERLEDIGUNG DER TAGESORDNUNG

Frau Dr. Weber (CDU) eröffnet als Alters-Vorsitzende die Sitzung. Als Vorsitzender wird Dr. v. Mangoldt (CDU) einstimmig gewählt5). Als Stellvertretender Vorsitzender wird Abg. Zinn (SPD) einstimmig gewählt. Als Schriftführer wird Dr. Heuss (FDP) einstimmig gewählt. 4. 5. Dr. v. Mangoldt (CDU) schlägt vor, zunächst keinen allgemeinen Berichterstatter zu wählen, sondern jeweils für Einzelfragen Berichterstatter zu bestim1. 2. 3.

1) Von der konstituierenden Sitzung wurde ein Wortprot. nicht erstellt. 2) Zur Teilnahme der Berliner Abgeordneten an den Ausschußsitzungen vgl. Der Pari. Rat Bd. 3, S. 1, Anm. 3.

aus der Einladung erschließen (Z 5/10), die Dauer war nicht belegbar. 4) Zur Vorbereitung dieser ersten Sitzung ließ sich lediglich ein Blatt mit einer „Notiz", vermutlich vom Sekretariat erstellt, ermitteln: „Vorläufige Tagesordnung für die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 15. September 1948. Notiz. Der Entwurf der Geschäftsordnung für den Parlamentarischen Rat sieht in § 17 für die Ausschüsse die Wahl eines Vorsitzenden, eines Stellvertretenden Vorsitzenden, eines Schriftführers und eines Berichterstatters vor" (BVerfG Z 150/1,4 Pari. Rat, Grundsatz-

3) Der Beginn der Sitzung ließ sich

ausschuß, Kurzprotokolle). 5) Zur Verteilung der Ausschußvorsitzenden auf die Parteien vgl. die Einleitung, S. X f.

1

Nr. 1

Erste

Sitzung

15.

September 1948

Dr. Eberhard (SPD) schlägt vor, die Berichterstattung für die Präambel und für die Grundrechte zu trennen. Dr. Suhr (SPD) gibt zu erwägen, in das Grundgesetz Bedingungen für die Länderverfassungen aufzunehmen. Der Ausschuß beschließt einstimmig, die Wahl eines Berichterstatters zunächst zurückzustellen. Die Wahl eines Berichterstatters wird unter Zustimmung aller Ausschußmitglieder zurückgestellt. 6. Dr. v. Mangoldt (CDU) übernimmt den Vorsitz und erörtert den Arbeitsplan. Auch er halte eine Zweiteilung der Ausschußarbeit für notwendig, wobei zunächst die Präambel und der Name des Staatsgebildes zu erörtern seien, die Grundrechte erst später. Die erste Aufgabe der Berichterstatter sei die Umgrenzung der Aufgaben des Ausschusses. Wunderlich (SPD) schlägt vor, zuerst Dr. Schmid als Berichterstatter zu hören, weil dieser an den Beratungen in Herrenchiemsee führend beteiligt gewesen men.

sei. Der Vorsitzende erklärt dazu, für diese Berichterstattung sei Abg. Zinn (SPD) vorgesehen gewesen und dieser habe auch bereits zugestimmt (Abg. Zinn war bei dieser Erörterung noch nicht zugegen). Wunderlich (SPD) erklärt, man möge darüber zunächst noch eine Vorbesprechung in der Fraktion der SPD abwarten6). Der Ausschuß beschließt, am 16. 9. 48 die nächste Sitzung abzuhalten. Tages-

ordnung:

1.

Vorläufige Umgrenzung der Arbeit des Ausschusses, Feststellung der Sachgebiete, über die sie

der Berichterstatter, 3. len.

2.

Bestimmung

referieren sol-

') Unterlagen über die Besprechung in der Fraktion der SPD ließen sich nicht ermitteln. Zur 2

Klärung der Frage der Berichterstattung siehe jedoch Dok.

Nr. 2, TOP 2.

Zweite

Sitzung

16.

September 1948

Nr. 2

Nr. 2 Zweite

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 16.

September

1948

Bl. 203-2241). Stenogr. Wortprot., undat. und ungez. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 67-68. Drucks. Nr. 54 Z 5/29,

Anwesend2) :

CDU/CSU: Kaiser, Kroll, v. Mangoldt (Vors.), Pfeiffer, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Schmid, Wunderlich, Zinn FDP: Heuss Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 11.00-12.35 Uhr

[1. BERICHT ÜBER DIE IN HERRENCHIEMSEE ERFOLGTE ABGRENZUNG DES STOFFES VON DR. PFEIFFER UND DR. CARLO SCHMID] Vors. Dr.

von

Mangoldt:

sammengekommen,

um

Meine Damen und Herren! Der Ausschuß ist heute zuvon Mitgliedern des Verfassungskonvents in Herren-

chiemsee einen Bericht über die Erfahrungen entgegenzunehmen, die man dort hinsichtlich der Umgrenzung des Stoffes gesammelt hat. Nach den Referaten der Herren Dr. Pfeiffer3) und Dr. Schmid4) werden wir Klarheit darüber zu gewinnen versuchen, wie wir unsere Arbeit am besten ordnen und welche Fragengruppen wir zweckmäßig an den Anfang unserer Beratung stellen. Aufgabenkreis und Arbeitsergebnisse des Grundsatzfragen-Ausschusses sind auf den Seiten 7 bis 11 des Berichts vom Herrenchiemsee zusammengefaßt5). Dr. Pfeiffer: Herr Dr. Schmid wird mit mir in der Auffassung übereinstimmen, daß das Studium des stenographischen Berichts über die allgemeine Aussprache im Plenum des Parlamentarischen Rates der beste Weg ist, um in den Fragenkomplex einzudringen6). Wenn man dazu noch den Bericht des Verfassungskonvents vom Herrenchiemsee heranzieht, so ist das die zweckmäßigste und kürzeste Vorbereitung und Einführung in die Materie7). Unabhängig davon ist die 225—226 (S. 6—7 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Zum Anteil von Anton Pfeiffer (1888—1957) an den Beratungen in Herrenchiemsee vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, S. XI ff., ferner: Christiane Reuter: „Graue Eminenz der Bayerischen Politik". Eine politische Biographie Anton Pfeiffers (1888—1957). München 1957, S. 175 ff. Über die Rolle von Carlo Schmid bei den Beratungen in Herrenchiemsee vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, S. XXI ff.; ferner: Gerhard Hirscher: Carlo Schmid und die Gründung der Bundesrepublik. Bochum 1986, S. 148 ff. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 2, S. 511-516. Vgl. die erste Generalaussprache im Plenum vom 8. und 9. Sept. 1948; Sten. Berichte, S. 7 ff. Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 2, S. 504 ff.

!) Bl.

2) 3)

4) 5) 6) 7)

3

Nr. 2

Zweite

Sitzung

16.

September 1948

praktisch-politische Stellungnahme,

der bei unseren Beratungen ein gewisser Raum zukommt. Die Beratungen in Herrenchiemsee hatten den großen Vorzug, daß 28 Fachleute vereinigt waren, von denen jeder ein oder mehrere Sachgebiete beherrschte, von denen keiner sich in Phrasen erging. So gab es in diesem Kreise keinerlei Diskussionen politischer Art. Solche Auseinandersetzungen wurden vielmehr dem Parlamentarischen Rat vorbehalten. Der Parlamentarische Rat ist nicht nur ein sachliches, sondern auch ein politisches Gremium; daher werden seine Beratungen notwendigerweise ein anderes Gesicht haben als die Verhandlungen von Herrenchiemsee. Das Verfahren von Herrenchiemsee war in kurzem Umriß folgendes: Zunächst erstatteten die Herren Dr. Schmid und der Münchener Universitätsprofessor Dr. Nawiasky einführende Referate8). So gewann man sehr rasch eine Disposition über die einzelnen Fragenkomplexe. Sie finden diese in dem bayerischen Bericht9). Es gelang, den umfassenden Stoff in acht Sitzungen durchzuarbeiten. Geht man davon aus, daß unser Ausschuß hier neben den technischen auch politische Diskussionen pflegen wird, so wird man für unser Gremium mit zwölf bis sechzehn Sitzungen zu rechnen haben. Die Diskussion über die Grundrechte kann nicht ebenso wie über andere Fragenkomplexe in einer Art von technischem Leitfaden abrollen. Die Aussprache wird notwendigerweise über das rein

Fachliche hinausgreifen und andere Möglichkeiten der Lösung anschneiden. Vermutlich werden politische Gesichtspunkte die ganze Debatte wesentlich beeinflussen. Unter diesen Umständen wird der Ausschuß das Ergebnis seiner Beratungen kaum in einer ähnlichen Form niederlegen können, wie es in Herrenchiemsee geschehen ist. Sie finden in dem Bericht von Herrenchiemsee an verschiedenen Stellen Varianten zitiert und Formulierungen von Minderheiten festgelegt. Wiederholt werden zwei verschiedene Formulierungen vorgetragen. Dieses Verfahren rührt daher, daß man dort nicht abgestimmt hat. Vielmehr hat man nach der Diskussion die verschiedenen Meinungen festgestellt und zugleich klargelegt, wie sich die einzelnen Sachverständigen jeweils dazu stellten. Jeder Ausschuß des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee umfaßte 11 Delegierte. Dazu kam noch der Vertreter Berlins10), dem die mühsame Aufgabe oblag, zwischen den verschiedenen Ausschüssen umherzupendeln und jeweils bei den wichtigsten Entscheidungen zugegen zu sein. Stimmberechtigt waren die 11 Delegationen. Da es eine Majorisierung nicht gab, schlug man folgendes objektive Verfahren ein. Standen sich beispielsweise 6 und 5 Stimmen gegenüber, so wählte man im allgemeinen zwei Formulierungen. War das Stimmenverhältnis 7:4, gab man das Minderheitsvotum in ziemlicher Ausführlichkeit wieder. War das Stimmverhältnis etwa 8:3 oder 9:2, dann begnügte man sich, 8) Die Referate wurden in Der Pari. Rat Bd. 2 nicht abgedruckt. Vgl. jedoch die Hinweise in den Anmerkungen zum Bericht des Unterausschusses I, S. 189 ff., die darauf zum Teil

eingehen.

9) Vgl. Anm. 7. 10) Vertreter Berlins 4

in Herrenchiemsee

war

Dr. Otto Suhr (1894—1957), SPD.

Zweite

Sitzung

16.

September 1948

Nr. 2

die Auffassung der Minderheit zu vermerken. Grundsätzlich beschränkte man sich auf Feststellungen. Man vermied im übrigen alles, was nach einer politischen Entscheidung aussehen konnte. Um die Gefahr zu vermeiden, daß die Arbeit unseres Ausschusses zerflattert und sich ins Uferlose verliert, empfiehlt es sich, eine Besprechungsgrundlage zu nehmen. Ich glaube, daß der Bericht vom Herrenchiemsee im Hinblick auf die nüchterne, rein sachliche Verhandlungsform und die vollkommen objektive Art der Darstellung sich uns als eine durchaus zweckmäßige Beratungsgrundlage anbietet. Daneben gibt es noch die Ausarbeitung von Dr. Menzel11), die mir bisher leider noch nicht zur Verfügung stand. Es gibt ferner die Richtlinien des Volksrates12) und die Denkschrift des Zonenbeirates13). Grundsätzlich empfiehlt es sich, eine der vorliegenden Ausarbeitungen als Grundlage zu nehmen. Dabei wird es keine Mühe machen, zur Beratung der einen oder anderen Frage noch diese oder jene weitere Ausarbeitung heranzuziehen. So wird man, hoffe ich, bald zu einer Eingruppierung des Stoffgebiets kommen, mit dem unser Ausschuß sich zu beschäftigen hat. Den Mitarbeitern von Herrenchiemsee, die zugleich Mitglieder des Parlamentarischen Rates sind, liegt es völlig fern, sich hier als Praeceptores Germaniae aufzuspielen und Ihnen die Ergebnisse, die man dort in sachlicher, redlicher ») Zum Entwurf Menzel s. Der Pari. Rat Bd. 2, S. XXXVII. Abdr. bei W. Benz: Zur Geschichdes teilt. te

Grundgesetzes,

S. 391—410. Im Pari. Rat wurde der Entwurf als Drucks. Nr. 53

ver-

12) Zur Entstehung des Verfassungsentwurfs des Deutschen Volksrates s. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 210, Anm. 71; ferner Jens Hacker: Vom „deutschen Volk" zum „Volk der DDR", in: Das Parlament Nr. 16/17, 14./21. April 1989. Eine unkritische Darstellung bei G. N. Goroschkowa: Die deutsche Volkskongreßbewegung für Einheit und gerechten Frieden 1947-1949. Berlin (Ost) 1962, die Verfassungsdebatte ebenda, S. 90-95. Vgl. in kritischer Zusammenfassung M. Broszat, Hermann Weber: SBZ-Handbuch. München 1990, S. 366 ff. In aller Kürze läßt sich die Entwicklung folgendermaßen darstellen: Der erste Deutsche Volkskongreß, der sich am 6. Dez. 1947 als gesamtdeutsches Quasi-Parlament konstituiert hatte, setzte am 12. Dez. 1947 einen „Ständigen Ausschuß" ein und lud auf Vorschlag der SED für den 18. März 1948, den 100. Jahrestag der Revolution von 1848, den 2. Deutschen Volkskongreß ein. Der 2. Dt. Volkskongreß wählte als „gesamtdeutsche Repräsentation" einen aus 400 Mitgliedern bestehenden Deutschen Volksrat und etablierte am 19. März 1948 einen Verfassungsausschuß unter Leitung Otto Grotewohls mit dem Auftrag, einen Verfassungsvorschlag für Gesamtdeutschland zu formulieren. In diesem Ausschuß verfügte die SED über eine überwältigende Mehrheit, da ihr auch die Mehrzahl der Repräsentanten der gesellschaftlichen Organisationen angehörte. Er erarbeitete von Mitte April bis August 1948 die Richtlinien für die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik auf der Arbeitsgrundlage des von der SED bereits am 14. Nov. 1946 vorgelegten Entwurfs. Dieser Entwurf wurde auf der 5. Tagung des Volksrates am 22.-24. Okt. 1948 zur Diskussion im deutschen Volk angenommen. Die Richtlinien für die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik erschienen in einem vom Deutschen Volksrat hrsg. Informationsdienst, l.Jhrg. Aug. 1947, Nr. 3, S. 3-7 (B 120/228), der Entwurf der Verfassung in Nr. 6 (Exemplar in: FEST NL C. Schmid/1161), ferner in Einzelveröffentlichungen, u. a. Potsdam 1948. In Sachsen wurden 10000 Exemplare verteilt (vgl. Goroschkowa s. o., S. 96). Der Pari. Rat wurde durch einen Beitrag im Informationsdienst vom 23. Okt. 1948 summarisch über „Einzelheiten aus

dem

Verfassungsentwurf des Deutschen Volksrates" informiert (Z zur Verfassungspolitik. Hamburg 1948.

13) Der Zonenbeirat

12/53, Bl. 51).

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Arbeit gewonnen hat, aufzudrängen. Dies wäre eine Rolle, die wir weit von uns weisen, ja geradezu verabscheuen würden. Wir vermessen uns nicht, Ihnen das, was wir in intensiver Arbeit geschöpft haben, als einen Vorschlag oder Rat zu empfehlen. Dabei bleibt natürlich jedem, der am Verfassungskonvent am Herrenchiemsee teilgenommen hat, unbenommen, hier das zu sagen, was unseres Amtes ist. Ich bitte den Ausschuß, diese meine Anregungen zu prüfen, und zwar in demselben Geiste, in dem sie gegeben wurden: objektiv, zurückhaltend und sachlich. Dr. Schmid: Ich bin mit den Darlegungen des Herrn Dr. Pfeiffer weithin einverstanden. Auch ich glaube, wir brauchen für unsere Arbeit eine Art Leitfaden, sei es auch nur als Disposition für die einzelnen Kapitel unserer Beratung. Zu diesem Zweck scheint mir das Memorandum von Herrenchiemsee nicht ungeeignet zu sein. Dieses Memorandum ist, darüber sind wir uns alle klar, keine Vorlage; es hat überhaupt keinen offiziellen Charakter. Es ist eine Arbeitshilfe, nicht mehr. Naturgemäß wird es sich empfehlen, ja sogar notwendig sein, für unsere Arbeiten heranzuziehen, was die einzelnen Ausschußmitglieder noch beizubringen haben, mag es sich dabei um Entwürfe handeln, die die eine oder andere Partei ausgearbeitet hat, oder um Vorschläge Einzelner, oder um Vorgänge geschichtlicher Art. Der Entscheidung des Ausschusses wird es vorbehalten bleiben, zu beschließen, welches Material er zur Grundlage seiner Arbeit macht, wofür also eine Art von „Einlassungspflicht" bestehen soll. Ehe wir mit der Arbeit beginnen, sollten wir uns auch darüber schlüssig werden, wie weit wir den Rahmen unserer Arbeit ziehen und wie wir sie einteilen wollen. Dabei können wir uns weitgehend an das Herrenchiemseer Modell halten. Auch damals hat man, ehe man mit der Einzelberatung begann, einen Beschluß darüber gefaßt, welche Stücke aus dem ganzen Problemkreis auf die einzelnen Ausschüsse entfallen sollten. Unser Ausschuß führt den Namen Ausschuß für Grundsatzfragen. Ich glaube, sein Arbeitsgebiet deckt sich mit dem Aufgabenbereich der Herrenchiemseer Kommission für Grundsatzfragen. Der Problemkreis ist in dem Herrenchiemseer Bericht Seite 17 bis 23 umrissen14). Es sind die Fragen, die nicht den Aufbau der Organe, die Verteilung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, nicht technische Einzelheiten des hoheitlichen Apparats betreffen. Vielmehr handelt es sich zunächst um die Grundrechte als Gesamtkomplex. Weiter haben wir uns mit dem zu beschäftigen, was ich mit dem Samrnelwort Grundlagen zusammenfassen möchte. Hier handelt es sich zunächst um die Klärung der Merkmale des Gebildes, das wir schaffen wollen. Dabei müssen wir uns zunächst darüber schlüssig werden: Welches ist die rechtliche Lage Deutschlands? Was ist das Spezifikum dessen, was wir nach unserem Auftrage in diesem Teile Deutschlands unter den uns gesetzten Umständen zu tun haben? Ohne eine klare, präzise Entscheidung über diese Frage hat es keinen Sinn, weiterzugehen. Wir würden sonst in einen Pragmatismus hineingeraten, 14) Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 2, S. 6

511-516.

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der sich bald

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einem Opportunismus weiterentwickeln würde. Ein solcher zwar recht bequem, um grundsätzlichen Entscheidungen auszuweichen, müßte aber letztlich in des Teufels Küche führen. Wir müssen uns darüber klar sein, ob über Geschmacksfragen hinaus echte Meinungsverschiedenheiten bestehen. Bestehen sie, dann sollten sie politisch ausgetragen werden, und sie müssen es, sonst werden wir nicht weiterkommen. Aufgabe des Plenums wird es sein, in solchen Fragen Beschlüsse zu fassen. Von unseren Vorschlägen wird es auch weitgehend abhängen, was die anderen Ausschüsse an technischer Arbeit zu bewältigen haben werden. Grundsätzliche Entscheidungen wirken sich ja auch immer auf den technischen Unterbau aus. Schließlich müssen wir uns darüber schlüssig werden, was wir auf der uns nun einmal vorgegebenen Grundlage nun eigentlich schaffen wollen. Machen wir eine Verfassung? Schaffen wir eine provisorische Verfassung? Was heißt „Provisorische Verfassung"? Im Gegensatz zu „Verfassung"? Oder machen wir etwas anderes? Man spricht von einem „Grundgesetz". Soll dieser Begriff nur ein anderes Wort für das sein, was andere „Verfassung" nennen? Oder soll mit diesem Wort zum Ausdruck kommen, daß wir etwas anderes schaffen wollen? Mit anderen Worten: Was soll die Natur des Gebildes sein, das wir hier schaffen

Opportunismus

zu

ist

sollen?

Vorfrage müssen wir vollkommen eindeutig klären. Auf Herrenchiemsee hatte ich mit Herrn Dr. Süsterhenn darüber eine Kontroverse15). Er meinte, wir sollten die Entscheidung den Historikern überlassen. Das ist eine falsche Perspektive. Zu allererst müssen wir wissen, was wir wollen. Wenn wir nicht in die Irre gehen wollen, wenn wir nicht liederlich im Denken werden wollen, müssen wir diese Grundfrage klar herausdebattieren, so daß wir Ja oder Nein sagen können. Würden wir weder Ja noch Nein, sondern etwa nur „Beinahe" sagen, so wäre das das Schlimmste, was es gibt. In der Tat, es ist das Verhängnisvollste, sich bei Klärung von Grundfragen mit einer „Beinahe"-Lösung abzufinden. Klargestellt werden müßte das nicht aus theoretischen, sondern aus praktischpolitischen Gründen. Da ist zunächst die, ich möchte sagen, existenziell entscheidende Frage: Wo liegt die Quelle der Hoheitsgewalt, die in unserem Raum ausgeübt werden soll? Unsere Antwort darauf wird sich vielleicht nicht im technischen Teil, in dieser oder jener besonderen Rechtsfigur, sondern nur in der Präambel auswirken. Aber: Wie die Präambel das ganze Werk charakterisieren und qualifizieren wird, scheint mir von größter juristischer und politischer Wichtigkeit zu sein. Klarheit muß auch geschaffen werden bezüglich des Namens? Soll unser Kind einen „Namen" erhalten oder nur eine „Bezeichnung"? Zwischen Name und Bezeichnung besteht ein entscheidender Unterschied. Und wenn wir einen Namen wählen, welchen sollen wir dann wählen? Auch diese Frage ist von äußerster Diese

5)

Zur verfassungspolitischen Position von Süsterhenn in Herrenchiemsee vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, S. XVII—XIX und passim. Süsterhenn sprach sich schon seit 1946 für die Gründung eines föderalistisch ausgerichteten Weststaates ohne Einbeziehung der SBZ aus

(ebenda S. XIX).

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Antworten auf diese Fragen werden in die Präambel kommen müsSchon daraus sen. ergibt sich, daß die Präambel nicht nur ein illustrierender oder dekorierender Vorspruch sein kann, sondern etwas wie das Zeichen auf dem Notenblatt, das die Tonart des Stückes bestimmt. Wichtig ist ferner die Frage nach dem Gebiet, auf dem das Grundgesetz gelten soll; ferner die Frage, in welcher Weise Berlin angeschlossen werden soll. Wie soll Berlin in das Grundgesetz hinein „konstitutionalisiert" werden? Geklärt werden muß ferner die Frage der Möglichkeiten eines Beitritts anderer deutscher Gebietsteile. Das sind äußerst wichtige Probleme, über die wir wahrscheinlich lange diskutieren müssen. Dazu gehört ferner die territoriale Gliederung des Gebietes selbst. Wollen wir ein für alle Mal von dem Gebiet ausgehen, wie es am Stichtag des 1. Dezember 1948 oder des 1. Januar 1949 gegliedert sein wird? Oder soll die Möglichkeit geschaffen werden, das Gebiet des westlichen Deutschlands territorial neu zu gliedern? Wie soll das dann geschehen? Diese Grundfragen müssen wir Stück für Stück untersuchen. Schließlich müssen wir auch das Verhältnis der Rechtsordnungen zueinander bestimmen. Da ist zunächst das Verhältnis zum Völkerrecht, das von allgemeiner Bedeutung ist. Hierher gehört ferner die Frage einer etwaigen Abtretung deutscher Hoheitsrechte an internationale Institutionen, weiter die Frage der Kriegsverhütung, des Rechts auf Sicherheit. Denn die einzige Waffe, die dem Schwachen und Entmachteten zu Gebote steht, ist die Berufung auf das Recht, nicht im pathetisch-sentimentalen Sinn, sondern im schöpferischen Sinn. In welchem Verhältnis soll ferner das Recht des Bundes zum Recht des einzelnen Landes stehen? Weiter: sollen Anforderungen an die Länderverfassungen gestellt werden, in welchem Umfang, formal und inhaltlich? Schließlich müssen wir uns auch den Kopf darüber zerbrechen, welche Rolle den Parteien im System des Grundgesetzes zukommen soll. Auch diese Frage, die bisher kaum noch behandelt ist, gehört in den Rahmen unserer Arbeit. Soll man die Parteien in dem Grundgesetz überhaupt erwähnen? Ich würde es bedauern, täte man es nicht. Erwähnt man sie aber, so sollte man erwägen, ob man nicht gewisse Mindesterfordernisse für die Legalität einer Partei aufstellen sollte. Ich halte es für einen grundsätzlichen Fehler der meisten unserer Verfassungen, daß sie so tun, als seien die Parteien Erscheinungen nur so am Rande, nicht aber ausschlaggebende Faktoren unserer staatlichen Wirklichkeit. Wenn sie das aber sind und wenn sie mit Mitteln des Rechts zu definieren sind, dann sollten wir auch im Grundgesetz einiges über sie sagen. In den Kreis unserer Betrachtungen gehört auch eine Reihe technischer Fragen. Da sind zunächst die Bestimmungen, die die Möglichkeit schaffen, in der heutigen besonderen Notzeit die Grundrechte zu durchlöchern. Hierher gehört auch eine Bestimmung über die sachliche Legalität unseres Verfahrens. Entscheidend wichtig ist schließlich eine Bestimmung darüber, daß das Grundgesetz selber seine Dauer befristet auf einen dies certus an, incertus quando16).

Wichtigkeit.

16) „Der Tag kommt bestimmt, 8

wann

ist

ungewiß".

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Jedenfalls brauchen

wir einen Arbeitsplan. Er kann auch anders gestaltet sein, hier vorgeschlagen wurde. Aber ohne eine Planung unserer Arbeit kommen wir nicht recht weiter. Es hat wenig Sinn, daß wir im Zickzack vorgehen. Wir sollten uns jeweils ganz bestimmte Fragen vornehmen. So möchte ich vorschlagen, daß wir nach dem Gesichtspunkt der logischen Priorität die einzelnen Beratungsstiicke herauspräparieren und erledigen, ehe wir weiterschreiten.

als

er

[2. FESTSETZUNG DER BERATUNGSTHEMEN FÜR DIE NÄCHSTE SITZUNG] Vors. Dr. von Mangoldt: Die Berichte ergeben, daß die Arbeit, die unser Ausschuß zu leisten hat, ziemlich umfangreich sein wird. Ich stimme Herrn Dr. Schmid vollkommen bei, daß wir zunächst bestimmte Punkte herausgreifen und nach einem Programm einen Punkt nach dem andern behandeln. Daher sollten wir schon heute einen Beratungsgegenstand festlegen, den wir am nächsten Dienstag zu behandeln gedenken. Dr. Schmid: Ich möchte anregen, daß wir uns dem Kapitel zuwenden, dem das logische Prius zukommt: den Grundrechten. Sie dürften nur geringe Kontroversen hervorrufen. Dr. Heuss: Zunächst wäre die Vorfrage zu klären: Sollen die Grundrechte einen deklaratorischen oder aber einen juristisch verbindlichen Charakter haben? Darüber müßte man sich von Anfang an klar sein. Die Frage ist: Soll es sich bei den Grundrechten um Bekenntnisse handeln, zu denen wir uns hier zusammenfinden, oder wollen wir dem Staatsbürger im bürgerlichen Leben praktisch-juristische Handhaben geben, die einklagbar sind? Zinn: Ich meine, man sollte von allem absehen, was deklaratorischen Charakter, was den Charakter eines Bekenntnisses hat. Wir sollten uns darauf beschränken, nur jene Grundrechte aufzuführen, die reale Bedeutung haben. Auf diese Weise kommen wir am schnellsten voran. Vors. Dr. von Mangoldt: Es fragt sich, ob es sich angesichts der kurzen Frist bis zum kommenden Dienstag empfiehlt, gleich die Grundrechte in Angriff zu nehmen. Die Grundrechte bedürfen einer eingehenderen Vorbereitung, und daher ist vielleicht die Vorbereitung eines umfassenden Referats bis Dienstag nicht möglich. Zunächst müssen wir uns über den Umfang der Grundrechte klar werden. Sollen wir uns auf einen kurzgefaßten Katalog beschränken? Sollen wir nur gewisse Grundsätze in die Präambel aufnehmen? Oder sollen wir einen besonderen Grundrechtsteil schaffen? Man kann darüber streiten. Die einzelnen Grundrechte haben eine lange Geschichte, und man wird bei dem einen oder anderen Grundrecht wohl auf Einzelheiten eingehen müssen. Dr. Bergsträsser: Über die personellen klassischen Grundrechte liegt viel Material vor, das einer unmittelbaren Bearbeitung durchaus zugänglich ist. Man denke an das Recht auf Freiheit und Gleichheit. Außerdem liegt uns der Herrenchiemseer Bericht als Leitfaden17) vor. Ferner haben wir die übrigen Verfassun-

17) Abdr.

in: Der Pari. Rat Bd. 2, S. 504-630.

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zur Hand, neuerdings auch den Entwurf der UNO18). Die Formulierungen dürften zum großen Teil nicht strittig sein. Überdies sind die personellen Grundrechte mit den übrigen Fragen der Verfassung nicht unmittelbar verzahnt, dürften also schnell klärungsreif sein. Vielleicht bedarf es dazu gar nicht eines einleitenden Referats. Vielleicht genügt es, wenn die einzelnen Mitglieder des Ausschusses von sich aus Kataloge aufstellen, die man dann miteinander vergleichen und aufeinander abstimmen kann. Dr. Schmid: Auch ich halte es für unnötig, über die Frage der Grundrechte umfassende Vorbesprechungen zu pflegen. Es tritt ja einigermaßen klar zutage, wo es sich im einzelnen Falle um ein echtes Grundrecht handelt, also um ein konkretes Recht, oder nur um eine Deklamation. Ich halte es überhaupt für sinnwidrig, Deklamationen und Deklarationen in die Verfassung aufzunehmen. Wohl aber ist es praktisch notwendig, einen Katalog jener Grundrechte aufzustellen, die bindendes Recht für die Gerichte sind und auf die sich der einzelne Bürger berufen kann, um einen konkreten Rechtsanspruch einzuklagen oder umgekehrt einen Eingriff des Staates in seine Freiheitssphäre abzuwehren. Man kann sich auch darüber verständigen, ob es sich verlohnt, die sogenannten Lebensordnungen, diese „unechten" Grundrechte in den Katalog aufzunehmen. Ich meine, für unsere Verfassung ist das nicht notwendig. Sie ist nur ein Notdach, und zudem ist ein Drittel des Volkes zur Bestimmung dieser Lebensordnungen noch nicht zugelassen. Daher könnte man technisch sehr wohl schon am Dienstag mit der Erörterung der Grundrechte beginnen. Die anderen Fragen, von denen ich sprach, sind schon schwieriger zu behandeln, und es ist notwendig, daß der einzelne sich in ihre Problematik vertieft19) Vors. Dr. von Mangoldt: So einfach liegt die Frage doch nicht. Wenn man von den Grundrechten spricht, dann ist die Garantie der Grundrechte in diesem unserem Staatswesen von wesentlicher Bedeutung. Sofort erhebt sich die Frage: Inwieweit können wir in diesem Staat die Grundrechte überhaupt garantieren? Diese Frage hängt mit der Staatsform unmittelbar zusammen. Es besteht die Gefahr, daß der Vorwurf, den man wegen der Festlegung der Grundrechte in den Verfassungen der süddeutschen Länder erhoben hat, in gleicher Weise uns gegenüber auftauchen wird, daß Freiheiten festgelegt werden, die praktisch nicht durchführbar sind, weil sie von der Stellungnahme der Besatzungsmacht abhängen. Vielleicht wäre es sogar zweckmäßig, besonders zu erklären, daß die Garantie der im Katalog aufgeführten Grundrechte weitgehend von dem Ermessen der Besatzungsmächte abhängig ist. Es gibt ja nichts Schlimmeres in unserer ganzen Entwicklung, als wenn man den Mangel an Vertrauen in das neue Recht noch verschärft. Dr. Schmid: Das ist alles richtig. Ich glaube aber, wir können diese Dinge mit der Größe x einsetzen. Wir können den Grundrechtskatalog als Mindeststandard dessen, was wir haben wollen, schaffen. Sollte sich herausstellen, daß das Besatzungsstatut uns diesen Mindeststandard effektiv nicht garantiert, dann hal-

gen

18) Vgl. Dok. Nr. 10. 19) Folgt gestrichen: „Man sollte also zunächst mit den Grundrechten beginnen.". 10

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schaffen. Dann gehe ich nach den Arbeiten des Parlamentarischen Rates. Ohne einen gewissen Mindeststandard von Grundrechten können wir nicht leben und dürfen wir nicht leben wollen. Wenn die Fremdherrschaft uns daran hindert, diesen Standard zu verwirklichen, dann müssen wir es ablehnen, ein Grundgesetz zu schaffen, dann mögen die Besatzungsmächte durch ein Fait de prince die Ordnung, in der wir zu leben haben, schaffen und die Folgen auf ihr eigenes Risiko nehmen. Vors. Dr. von Mangoldt: Bei der Behandlung der Grundrechte taucht noch eine andere wichtige Frage auf: Sollen sie nur eine Sicherung des Einzelnen gegenüber der Verwaltung sein? Oder ist auch der Gesetzgeber daran gebunden? Diese Fragen hängen eng mit der Staatsform zusammen. Sie beeinflussen den Charakter des Staates, seine Natur. Ich wollte das nur herausstellen, um zu zeigen, daß man die Dinge verschieden sehen kann. Frau Dr. Weber: Ich halte es für ausgeschlossen, daß wir hier nur festlegen, was den Besatzungsmächten gefällt. Eswas Derartiges zu formulieren, müßten wir ablehnen. Dr. Heuss: Wenn wir ganz vorsichtig agieren und nur das tun wollten, was bei den Besatzungsmächten keinen Anstoß erregt, so würden wir bestimmt beim Volk mit unserer Zurückhaltung Anstoß erregen, weil eine ganz komische Situation entstände. Das erkennt man oft in den Unterhaltungen mit Amerikanern, die uns ihre Form von Demokratie anpreisen, eine Demokratie, die geschichtlich etwas ganz anderes ist, als die unsrige sein kann. Man hört von amerikanischer Seite oft den Einwand, wir seien so entsetzlich traditionsgebunden, reaktionär usw. Wir müssen einen Grundrechtskatalog schaffen, der, auch wenn er in einer gewissen Distanz oder Paradoxie zur Gegenwart steht, doch die Fundamentierung eines deutschen Dauerwillens enthält. Wir brauchen gar kein Pathos hereinzulegen; wohl aber können wir unsere Rechtsüberzeugung präzisieren. Denn in der Aufführung der Grundrechte steckt zugleich ein Erziehungselement. Wir müssen den Grundrechtskatalog so formen, als ob die Besatzungsmächte nicht vorhanden wären, als einen Anspruch, den wir den Deutschen geben, den wir an unser Volksschicksal selbst stellen. Dann wird es darauf ankommen, wie die Besatzungsmächte reagieren. Sie werden die Grundrechte nicht stürzen; denn sie haben in ihrer Tradition einen bestimmten Grundrechtskatalog. Wir brauchen eine Diskussion über den Charakter des Staates nicht zu fürchten. Wir müssen dem Gedanken der Volkssouveränität irgendwie Ausdruck geben. Keineswegs dürfen wir den provisorischen Charakter des Grundgesetzes auf die Qualität unserer Arbeit übergreifen lassen. Wir müssen die geographische und politische Begrenztheit des Gebietes, das wir erfassen, hinnehmen; aber grundsätzlich müssen wir davon ausgehen, daß wir etwas schaffen, was für die deutsche Geschichte von Bedeutung ist. Dr. Bergsträsser: Ich möchte die Darlegungen des Herrn Dr. Heuss unterstreichen. Die Formulierung der personellen Grundrechte im einzelnen ist völlig unabhängig von der Staatsform und sollte auch unabhängig davon sein, wie die Besatzungsmächte sich dazu stellen. Übrigens haben die personellen Grundrechte einen doppelten Charakter. Zunächst sollen sie die deutschen Behörden, den te ich

es

für

überflüssig,

dieses

Grundgesetz

Hause, dann beteilige ich mich nicht weiter

zu

an

11

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gegenüber dem einzelnen Staatsbürger binden. Das ist die ursprüngliche Bedeutung der Grundrechte. Diese Funktion ist völlig unabhängig davon, wie die Besatzungsmächte sich zu den Grundrechten stellen. Mir scheint, die Verfassungen der süddeutschen Länder hatten auch in Beziehung auf die Besatzungsmächte eine gewisse Bedeutung. Sie waren der zum Teil geglückte Versuch nicht nur der Abgrenzung, sondern der Erweiterung des Territoriums und der Erweiterung der Selbständigkeit der deutschen Regierungen. Dieser Weg ist lang, aber er muß auch auf der höheren Ebene der drei Zonen gegangen werden, und zwar auch bezüglich der Grundrechte. Die Grundrechte entspringen englischem, amerikanischem und französischem Gedankengut. Unser Grundrechtskatalog kommt diesen Auffassungen entgegen. Ich halte es für zweckmäßig, die Beratung mit den Grundrechten zu beginnen. Es empfiehlt sich, wenn jeder von uns sich seinen Katalog von Grundrechten aufstellt. Auf diese Weise sammelt sich Material an, und auf dieser Grundlage deutschen Staat

man die Formulierungen versuchen. Pfeiffer: Zweifellos dürfen einzelne Umstände keinen Einfluß auf die Qualität der von uns zu leistenden Arbeit haben. Der provisorische Charakter des Grund-

kann Dr.

nicht davon abhalten, unser Bestes zu leisten. Auch bei den sollten wir uns keinerlei Beschränkungen auferlegen, sondern Grundrechten hundertprozentig hineinsteigen, ohne Rücksicht darauf, welche Stellung die Besatzungsmächte im einzelnen einnehmen. Die Arbeit von Herrenchiemsee war eine Vorstufe dessen, was wir hier zu schaffen haben. Unsere Arbeit hier ist ein weiterer, bedeutsamer Schritt auf dem Weg zu einer endgültigen, für ganz Deutschland geltenden Verfassung. Die Gedanken, die wir hier vordenken, werden in die kommende endgültige Verfassung übergehen. Ich denke, wir sollten ohne jede Begrenzung unsere Aufgabe anpacken, lieber zwei oder drei Sitzungen mehr darauf verwenden, den Problemkreis aber erschöpfend durcharbeiten. Die heutige Aussprache hat gezeigt, daß wir sehr wohl schon am nächsten Dienstag in die sachliche Beratung eintreten können. Der Fortschritt unserer Arbeit wird wesentlich davon abhängen, welche Herren die Referate übernehmen. In unserem Ausschuß sitzen Herren, die sich mit der Materie schon seit langem befaßt haben; andere müssen sich erst in die Problematik und Systematik einarbeiten. Da wird es zweckmäßig sein, wenn sie zunächst einige grundlegende Referate anhören können. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Anregung geben, die sich auf Herrenchiemsee als wertvoll erwiesen hat. Sie geht dahin, in unserem engen Kreis alle Bindungen hinter sich zu lassen und sich nicht zu genieren, weil man vielleicht am Schluß der Aussprache gescheiter ist als am Anfang. Dr. Schmid: Dafür gibt es in Württemberg ein Wort: „Was geht mich mein saudummes Geschwätz von gestern an!" Dr. Pfeiffer: Ich halte es auch für sehr gut, wenn jene Mitglieder des Ausschusses, denen die Materie noch neu ist, sich an der Beratung beteiligen. Sie alle haben die Ausführungen des Herrn Dr. Schmid im Plenum gehört20). Vielleicht

gesetzes darf

20) 12

2.

uns

Sitzung des Plenums; Sten. Berichte, S.

8-17.

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die Herren Dr. Schmid und Dr. Bergsträsser zunächst über die referieren. Grundrechte Dr. Schmid: Das hat den Vorteil, daß wir uns am wenigsten verzappeln. Es schafft vielleicht auch die Atmosphäre, die den eigentlichen politischen Entscheidungen zum Vorteil gereicht. Vors. Dr. von Mangoldt: Ich begrüße den Vorschlag Dr. Pfeiffers; auf diese Weise kommen wir gleich mitten in die Beratung hinein. Dr. Eberhard: Ich darf hier ein skeptisches Wort anfügen: Dr. Schmid schlug vor, zunächst einige Grundfragen zu behandeln, und er begründete diesen Vorschlag auch. Dann machte er, und das hat wohl manche überrascht, den Vorschlag, zunächst die Grundrechte zu verhandeln. Wird das gehen? Die Diskussion, die sich inzwischen entsponnen hat, macht mich doch etwas skeptisch; vielleicht müssen wir doch etwas zurückgreifen. Herr Dr. Heuss wies auf die geographische Begrenzung hin. Neben der geographischen Begrenzung steht die Begrenzung unserer Hoheitsbefugnisse. Wenn wir mit den Grundrechten beginnen, bleibt die Frage im Hintergrund, ob wir ein Grundgesetz oder eine Verfassung schaffen wollen, ferner die Frage nach unserer rechtlichen Lage und schließlich die Frage, wo die Quelle der Hoheitsgewalt liegt. Es dürfte zweckmäßig sein, diese drei Fragen zu erörtern, ehe man die Behandlung der Grundrechte beginnt. Frau Dr. Weber: Ich meine doch; man kann die Grundrechte auch erörtern, ohne daß man die anderen Fragen vorher behandelt. Immerhin erscheint es wichtig, einige Grundfragen vorher zu klären, und ich bin nicht ganz davon überzeugt, ob es richtig ist, mit den Grundrechten zu beginnen. Dr. Pfeiffer: Ich möchte doch glauben, daß die erste Erörterung der Grundrechte sich wesentlich im Bereich der Gedanken abspielt. Welche anderen Probleme darauf Einfluß haben, wird sich ergeben. Zinn: Die Tatsache, daß unsere Hoheitsbefugnisse begrenzt sind, muß auch für die Grundrechte gelten. Entscheidend wird sein, daß wir vermeiden, Fiktionen in die Grundrechte hineinzupacken. Solche Vorbehalte gehören in die Präambel. Wir können ruhig in die Erörterung der Grundrechte hineinsteigen, auch wenn wir die uns durch die Besatzungsmächte gesetzten Grenzen nicht kenist

es

gut,

wenn

nen.

Vors. Dr.

von

Mangoldt:

Ich stelle als

überwiegende Auffassung

des Ausschus-

ses fest, daß wir trotz einiger Bedenken zunächst die Grundrechte behandeln sollten. Sollten im Laufe der Debatte Hemmungen auftauchen, so müßten wir sie vorher beseitigen. Sonst würden wir unrationell arbeiten. Vielleicht ist Herr Dr. Bergsträsser bereit, in dem eben angedeuteten Sinn das Referat zu übernehmen. Gut wäre es auch, wenn wir schon in die Erörterung einzelner Grundrechte eintreten könnten. Dr. Schmid: Ich möchte vorschlagen, einen Juristen heranzuziehen, der das Korreferat übernehmen könnte. Manchmal ist es nicht ganz überflüssig, einen Juri-

sten

zu

hören.

festzustellen, ob die Mehrheit des Ausschusses wirklich für die sofortige Erörterung der Grundrechte ist. Die Debatte hat immerhin klargestellt, daß Meinungsverschiedenheiten über die Rechtslage und über die Frage Kaiser: Ich bitte,

13

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bestehen, ob wir eine Verfassung oder ein Provisorium schaffen sollen. Über

wichtigen Vorfragen sollten wir zunächst Klarheit schaffen. Dr. Heuss: Jedenfalls kommen wir, wenn wir mit den Grundrechten beginnen, mitten in die Arbeit hinein. Die anderen Probleme, Provisorium, Legitimität usw. werden zur rechten Zeit auftauchen. Die Situation wird im Laufe der nächsten acht bis vierzehn Tage deutlicher werden. Ich fürchte, wenn wir in eine Diskussion über den Begriff des Provisoriums eintreten, kommen wir nicht weiter und verlieren wir einen Tag. Daher sollten wir mit den Grundrechten beginnen. Wir werden uns auch Gedanken über Form und Inhalt der Präambel diese

machen müssen, ferner über das Verhältnis zwischen Bundesverfassungen und Länderverfassungen, über die Stellung zum Völkerrecht usw. Dr. Schmid: Beträchtliche Schwierigkeiten wird uns die Präambel machen. Die Präambel enthält alles Entscheidende; demgegenüber ist alles andere sekundär. Dr. Heuss: Die Präambel pflegt man am Schluß der Arbeit zu machen. Dr. Schmid: Ich möchte sie am Anfang machen. Sie schafft Klarheit auch für andere Fragen. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Auffassung des Herrn Kaiser, nicht mit den Grundrechten zu beginnen, hat manches für sich, und auch ich neige zu ihr. Man sollte die Präambel zuerst behandeln. In der Präambel müßte auch über die Grundrechte etwas gesagt werden. Die Präambel gibt uns auch die Möglichkeit zu einem Bekenntnis zur deutschen Lage, das wir nicht in Paragraphen fassen können. Dr. Eberhard: Ich war anfänglich etwas skeptisch, ob man mit den Grundrechten beginnen sollte. Aber um das Gespräch überhaupt in Gang zu bringen, ist es recht gut, mit den Grundrechten anzufangen. Dr. Pfeiffer: In acht Tagen wird es gleichgültig sein, mit welchem Problemkreis wir angefangen haben. Wichtig ist, daß wir zunächst überhaupt ins Gespräch kommen. Im übrigen empfiehlt es sich kaum, schon am Anfang die Präambel zu formulieren. Es ist gut, vorher die Materie zu kennen. Beschluß 21): Der Ausschuß beschließt, in der nächsten Sitzung mit der Behandlung der Grundrechte zu beginnen. Dr. Bergsträsser wird das Referat, die Herren Zinn und Dr. von Mangoldt werden das Korreferat übernehmen. .

.

21) Nach dem Kurzprot. len

14

gegebenenfalls

ferner beschlossen worden: „Weitere Einzelthemen sprechen."

war

zu

Ausschußmitglieder sol-

Katalog

der Grundrechte 21.

September 1948

Nr. 3

Nr. 3

Katalog der Grundrechte, Anregungen

von

als Berichterstatter

21.

Bayer. HStA,

NL Pfeiffer/180. 12 S.,

September

Dr.

Bergsträsser

1948

undat, ungez., maschinenschr. vervielf. Ausf.1)

[Einleitung] Der Ausschuß war sich in seiner Sitzung2) darüber einig, 1. daß die echten oder klassischen Grundrechte zu dem Grundgesetz der Verfassung gehören, 2. daß diese in ihrer Fassung von den übrigen Bestimmungen der Verfassung verhältnismäßig unabhängig sind, 3. darüber, daß die Grundrechte keine Deklarationen sein sollen, sondern unmittelbar anwendbares Recht. Daraus folgere ich, daß mein Bericht keine weitgehende Aufgabe hat, sondern nur die, innerhalb dieses Rahmens zusammenzustellen, was als echte Grundrechte aufzunehmen ist, also einen möglichst vollständigen Katalog aufzustellen und zugleich möglichst aus dem vorhandenen Material die Formulierungen mitzuteilen, die die besten zu sein scheinen. Der Bericht soll also nicht theoretische Ausführungen bringen, sondern mehr oder minder ein Leitfaden für die

Einzelberatungen

sein.

Falls der Ausschuß zu der Auffassung kommen sollte, daß er doch die theoretischen, d. h. die naturrechtlichen Grundlagen der Grundrechte etwa als eine Einleitung formuliert festlegen sollte, so könnte dies etwa in einer besonderen Präambel zu den Grundrechten geschehen, von der abzusehen allerdings, soviel der Berichterstatter sich erinnert, die Auffassung der Mehrheit des Ausschusses gewesen ist. Die klassichen Grundrechte enthalten in der ersten europäischen Formulierung, der der großen französischen Revolution, die leitenden Grundgedanken der Gleichheit und der Freiheit. Meine Aufstellung beginnt mit der Gleichheit als dem kleineren Teil, sie geht dann über zu den Freiheitsrechten. Hier ist das Recht der persönlichen Freiheit 1) Ein Entwurf hierzu im NL Bergsträsser (UB Marburg, NL Bergsträsser, Grundgesetz 10), der nur unwesentlich von dieser, dem Ausschuß vorgelegten Fassung abwich und offen-

sichtlich als Vorlage für eine erneute Abschrift gedient hat, die zu der hier abgedr. Fassung führte. Auf ihm ist handschr. vermerkt, daß er 16mal zu vervielfältigen sei. Inhaltlich wurde der Entwurf in der dritten Sitzung des AfG behandelt (Dok. 4, TOP 4), wobei Bergsträsser auf Fehler in der Abschrift hinwies. Dies bezog sich sicherlich auf die falsche Positionierung von Art. 15 a und 16 a. Die Schreibkraft hatte offensichtlich seine Anweisungen nicht befolgt und Art. 15 a und 16 a infolgedessen auf eine Extraseite geschrieben; einen Art. 15 gab es nicht, Art. 5 und 13 sind weitgehend gleichlautend. Im Abdr. wurden diese Artikel an die Stelle gesetzt, wo sie Bergsträsser im Entwurf positioniert hatte. Auf Bl. 1 der hier abgedr. Fassung stand links unten folgende, im Entwurf nicht aufgeführte Bemerkung: „Nicht benützt sind die Artikel 16, 17, 18 des ChiemseeEntwurfs." Auch die Überschrift „Einleitung" war in der Abschrift vergessen worden. 2) Vgl. Dok. Nr. 2. 15

Nr. 3

Katalog der Grundrechte

vorangestellt,

dann

folgt das

21.

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Recht der freien

Meinung einschließlich Petitions-

rechts, darauf das Recht der Vereinigung und Versammlung, dann einige besondere Rechte, deren Aufnahme in den Katalog dem Berichterstatter zweifelhaft erscheint. Den Schluß machen allgemeine schränkungen der Grundrechte.

Bestimmungen über Gewähr und

Ein-

Gleichheit

Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich, ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und der politischen Überzeugung. Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung wegen bevorzugt oder benachteiligt werden. Alle öffentlichen Ämter sind jedermann gleich zugänglich (vgl. Art. 31 des UN-

Entwurfes)3). Frauen und Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn. Der Grundsatz der Gleichheit bindet auch den Gesetzgeber. Nach den Erfahrungen der Hitlerzeit erscheint es notwendig, den Grundsatz der Gleichheit ausdrücklich auszusprechen. Es ist auch wohl richtig, die staatsbürgerliche Gleichheit der Frauen mit den Männern besonders hervorzuheben, da es noch eine ganze Reihe von Gesetzesbestimmungen und Gewohnheitsrechten gibt, die die Folgerung aus dem Grundsatz längst nicht gezogen haben. Deswegen ist auch die gleiche Zugänglichkeit der Ämter aufgenommen worden und die Bestimmung über den gleichen Lohn, die sich in den meisten neuen deutschen Verfassungen finden. Die Formulierung des ersten Satzes stammt aus der hessischen Verfassung4), die Formulierung der zweiten und dritten aus der südbadischen5). Der dritte Satz könnte als überflüssig angesehen werden, da er im Grunde genommen den ersten Satz nur erläutert. Er ist mit aufgenommen worden, da die Verfasser der südbadischen Verfassung es offenbar für nötig hielten, die Konsequenz der allgemeinen Gleichheit noch besonders hervorzuheben. Der vierte Satz ist im Wortlaut vom Berichterstatter formuliert. Der fünfte Satz ist der hessischen Verfassung Art. 33 entnommen. Der Berichterstatter ist der Meinung, daß dieser Satz nicht zur Regelung des Soziallebens gehört, sondern eine direkte Folgerung aus dem Grundsatz der Gleichstellung darstellt, also in die personellen Grundrechte aufgenommen werden muß.

3) Abdr. des Entwurfs der Menschenrechtserklärung der UN als Dok. Nr. 4) Art. 1 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946. 5) Art. 2 der Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947. 16

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Freiheit Art. 1 : Der Mensch ist frei. Er darf tun und

letzt oder die

lassen,

verfassungsmäßige Ordnung

was die Rechte anderer nicht verdes Gemeindewesens nicht beein-

trächtigt.

Niemand kann zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung gezwungen werden, wenn nicht ein Gesetz oder eine auf Gesetz beruhende Bestimmung oder ein Gewohnheitsrecht es verlangt oder zuläßt. Glaubt jemand, durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt zu sein, so steht ihm der Rechtsweg offen. Die Begrenzung der Rechte findet sich genau so in dem Entwurf der Kommission der UN6), wo es heißt: „ist beschränkt durch die Rechte anderer und die gerechtfertigten Erfordernisse des Staates und der UN!" Es wäre zu erörtern, ob gerade hier die Auffassung, daß die Freiheitsrechte vor den staatlichen Rechten entstanden und über ihnen stehen, besonders ausgedrückt werden soll. Ein Beispiel dafür wäre Art. 68 der türkischen Verfassung: „Jeder Türke ist frei geboren und lebt frei." Freiheit besteht in jeder Handlung, die niemandem anderen schädlich ist. Die Grenzen der Freiheit eines einzelnen, die sein natürliches Recht ist, gehen nur bis zu dem Punkt, wo sie die Freiheiten seines Mitbürgers beeinträchtigen. Die erwähnten Grenzen werden ausschließlich von dem Gesetz

festgelegt." Die Formulierung des Chiemseer Entwurfs7) enthält noch „Schranken der guten Sitten". Diese Formulierung ist ausdrücklich nicht mit aufgenommen worden, da der Berichterstatter der Meinung ist, daß der Begriff „Gute Sitten" überaus dehnbar sei und deshalb im Verwaltungswege leicht dazu führen könne, daß das Grundrecht der Freiheit beeinträchtigt werden, ganz abgesehen davon, daß bei der Vielgestaltigkeit der kulturellen Entwicklung in Deutschland in einem Gebiet als den guten Sitten entsprechend angesehen werden könnte, was im andern Gebiet verworfen wird. Die Formulierung des Artikels ist der hessischen Verfassung8) entnommen. Im Satz 2 ist auf Anregung von Herrn Zinn gegenüber der hessischen Verfassung „oder ein Gewohnheitsrecht" hinzugefügt worden. Art. 2: Die Freiheit der Person ist unantastbar. Diese Formulierung ist aus der hessischen Verfassung entnommen9). Sie scheint deutlicher zu sein als die Formulierung von Chiemsee „unverletzlich". Der Entwurf der UN10) sagt, „jedermann hat das Recht auf persönli-

6) Abdr. als Dok. Nr. 10. 7) Art. 2, Abs. 2 ChE; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580. 8) Art. 2 Satz 3 der Verfassung des Landes Hessen 9) Ebenda, Art. 5. 10) Vgl. Anm. 3.

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che Freiheit." Eine ganze Reihe von einzelnen Verfassungen formulieren, daß die persönliche Freiheit garantiert sei. Auch diese Formulierungen scheinen der der hessischen Verfassung gegenüber Abschwächungen zu sein. Die folgenden Artikel beschäftigen sich mit dem auf Grund des Gesetzes möglichen Freiheitsentzug. Und zwar zunächst betreffend Personen, die infolge ihres geistigen Zustandes gemeingefährlich sind. Art. 3:

Gefährdet ein geistig oder körperlich Kranker durch seinen Zustand seine Mitmenschen erheblich, so kann er in eine Anstalt eingewiesen werden. Er hat das Recht, gegen diese Maßnahme den Richter anzurufen. Das Nähere bestimmt das Gesetz. Auch dieser Artikel ist der hessischen Verfassung entnommen"). Ich habe ihn in keiner anderen Verfassung gefunden. Doch schien er den Juristen gegenüber der allgemeinen Formulierung des vorigen Artikels, wenn nicht nötig, wenigstens wünschenswert. Art. 4:

Niemand soll seiner persönlichen Freiheit beraubt werden, außer durch Urteil eines Gerichts in Übereinstimmung mit dem Gesetz und nach einer gerechten öffentlichen Verhandlung, bei der er die Gelegenheit hatte, voll gehört zu werden oder während des Verfahrens, das in vernünftiger Zeit nach seiner Verhaftung stattfinden muß. Haft auf bloßen Befehl der Exekutive ist ungesetzlich außer in einer Zeit nationalen Notstandes. (Übersetzung von Art. 6 des Entwurfes

der UN.)12)

Art. 5: Bei dringendem Verdacht einer strafbaren

Handlung kann der Richter die Untersuchungshaft, die Haussuchung und Eingriffe in das Postgeheimnis anordnen. Die Haussuchung kann auch nachträglich genehmigt werden, wenn die Verfolgung des Täters zu sofortigem Handeln gezwungen hat. Jeder Festgenommene ist binnen 24 Stunden unverzüglich seinem Richter zuzuführen, der ihn zu vernehmen, über die Entlassung oder Verhaftung zu befinden und im Falle der Verhaftung bis zur endgültigen richterlichen Entscheidung von Monat zu Monat neu zu prüfen hat, ob weitere Haft gerechtfertigt ist. Der Grund der Verhaftung ist dem Festgenommenen sofort und auf seinen Wunsch seinen nächsten Angehörigen innerhalb weiterer 24 Stunden nach der richterlichen Entscheidung mitzuteilen. Die Formulierung des Art. 3 des Chiemsee-Entwurfes13) enthält die Worte, „auf Verlangen". Sie sind absichtlich nicht mit übernommen, um Personen, die gar nicht wissen, daß sie einen Antrag stellen können bzw. müssen, vor den Folgen der Unkenntnis gesetzlicher Bestimmungen zu schützen.

n) Art. 23 der Verfassung des Landes 12) Vgl. Anm. 3. 13) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580. 18

Hessen

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Art. 6:

Auf Grund

von gesetzlichen Vorschriften festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. Die Bestimmung stammt aus Art. 3 der Chiemseer Verfassung14), ist nur po-

sitiver gefaßt. Die folgenden 4 Art. sind aus der hessischen Verfassung übernommen15). Sie schienen notwendig gerade in Bezug auf die jüngste Vergangenheit und auch in Bezug darauf, daß vermieden werden muß, die ordentliche Rechtspflege dadurch zu gefährden, daß die Bestimmungen der Grundrechte so allgemein gefaßt werden, daß die besonderen Ausnahmen, die an sich selbstverständlich sind, durch eine zu allgemeine Auslegung als gesetzeswidrig erscheinen könnten. Die Artikel 7—9 sind auch in dem Entwurf der UN als Art. 26 und 27 enthalten16).

Art. 7:

Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahme- und Sonderstrafgerichte sind unstatthaft. Jeder gilt als unschuldig, bis er durch rechtskräftiges Urteil eines ordentlichen Gerichts für schuldig befunden ist. Das Recht, sich jederzeit durch einen Rechtsbeistand verteidigen zu lassen, darf nicht beschränkt werden. Art. 8: Ist jemand einer strafbaren

Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm auf Grund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden. Die Strafe richtet sich nach der Schwere der Tat. Alle Gefangenen sind menschlich zu behandeln. Art. 9: Kein Strafgesetz hat rückwirkende Kraft, es sei denn, daß stiger ist als das zur Zeit der Tat in Geltung gewesene

es

für den Täter günNiemand

Strafgesetz.

darf für Handlungen oder Unterlassungen leiden oder strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, die ihm nicht persönlich zur Last fallen. Niemand kann wegen derselben Tat mehr als einmal bestraft werden. Art. 10:

Sonstige Beschränkungen der persönlichen Freiheit sind nur im Rahmen der Gesetze und nur insoweit zulässig, als sie nötig sind, um das Erscheinen Geladener vor Gericht, die Zeugnispflicht, die gerichtliche Sitzungspolizei, die Vollstreckung gerichtlicher Urteile und den Vollzug gesetzmäßiger Verwaltungsan-

ordnungen

zu

sichern.

14) Ebenda. 15I Vgl. die Art. 20-22, 16) Vgl. Anm. 3.

24 der

Verfassung

des Landes Hessen

vom

1. Dez. 1946.

19

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1) Persönliche Freiheit Art. 11:

Jedermann ist frei, sich aufzuhalten und niederzulassen,

wo er

will.

gleichlautend mit dem Art. 6 der hess. Verfassung. Die Freiheit der Niederlassung fehlt im Chiemsee-Entwurf, vermutlich weil im Augenblick wegen der Überbevölkerung und der Flüchtlinge Schwierigkeiten bestehen, ihn durchzuführen. Es erscheint aber trotzdem notwendig, ihn Dieser Art. ist

er allein Schutz gegen völlig willkürliche Maßnahmen Abschließungsbestrebungen einzelner Gebiete oder Gebietsteile gibt. Man wird natürlich entweder in diesen Paragraphen selbst oder in die Bestimmung über die Grenzen der Menschenrechte eine die augenblicklichen Verhältnisse berücksichtigende Einschränkung einfügen müssen. Vielleicht käme die Formulierung des UN-Entwurfs17) in Betracht: „Soweit nicht allgemeine Gesetze entgegenstehen, die im Interesse der nationalen Wohlfahrt oder Sicherheit erlassen werden". „Subject to any general law adopted in the interest of national welfare or security", wobei nach der Auffassung des Berichterstatters die „Sicherheit" besser wegfiele, weil sie die Grundlage für willkürliche Maßnahmen geben könnte. Es wäre höchstens zu erwägen, ob das allgemeine Grundrecht für den Fall des Staatsnotstandes durch Sicherheitsmaßnahmen eingeschränkt werden solle.

aufzunehmen, da

und

Art. 12: Die Wohnung ist für jedermann eine Freistätte und unverletzlich. Beschlagnahmung von Wohnräumen und Durchsuchungen sind nur in den vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen und Formen zulässig. (Art. 5 des Chiemsee-Entwurfs)18). Das Wort „ausdrücklich" ist vom Berichterstatter hinzugesetzt. Art. 13: Bei dringendem Verdacht einer strafbaren

Handlung kann der Richter die UnEingriffe in das Postgeheimnis anordnen. tersuchungshaft, die Haussuchung auch Die Haussuchung kann nachträglich genehmigt werden, wenn die Verfoldes zu Täters sofortigem Handeln gezwungen hat. gung Der Art. ist aus der hess. Verfassung Art. 19 entnommen. Es ist fraglich, ob und

hier oder in einem Schlußabschnitt über die Grenzen der Menschenrechte seinen Platz finden soll. Zu erwägen wäre vielleicht auch, ob die nachträgliche Genehmigung der Haussuchung auf den Fall beschränkt werden soll, daß der Täter auf frischer Tat ertappt und anschließend verfolgt wurde. er

17) Ebenda. 18) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580. 20

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Art. 14: Fremde

genießen den Schutz vor Auslieferung und Ausweisung, wenn sie unter Verletzung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach dem Geltungsbereich dieses Grundgesetzes geflohen sind.

Im Chiemsee-Entwurf Art. 4 Abs.

219) heißt

zung" scheint dem Berichterstatter klarer

es

„Nichtbeachtung". „Verlet-

sein. Nach den Erfahrungen in die wo diesem aus Hessen, Artikel des Asylrechts folgerte, Militärregierung daß die Regierung die Pflicht habe, aus der Tschechoslowakei nach dem politischen Umsturz geflohene Politiker nicht nur aufzunehmen sondern auch für ihren Unterhalt aufzukommen, wäre vielleicht ein Zusatz richtig, der etwa so lauten könnte: „Das Asylrecht beschränkt sich auf die Möglichkeit des Aufenthalts unter den gleichen äußeren Bedingungen, unter denen die Staatsangehörigen leben". Damit soll gesagt sein, daß solchen Personen Lebensmittelkarten und ein Anspruch auf den entsprechenden Wohnraum zustehen, aber keine Unterstützung. zu

Art. 15 a: Kein Fremder, der gesetzlich in das Gebiet zugelassen wurde, darf ausgewiesen werden, außer in Verfolg einer gerichtlichen Entscheidung oder Empfehlung als Strafe für Vergehen, die im Gesetz als solche bezeichnet sind, die diese Maßnahme rechtfertigen. „No alien who has been legally admitted to the territory of a State may be expelled therefrom except in persuance of a judical decision or recommondation as a punishment for offences laid down by law as warranting expulsion." Dieser Art. ist dem Entwurf der UN20) entnommen. Der Berichterstatter hält es für richtig, ihn zu übernehmen, da die Erfahrung, die viele auch gerade Deutsche Emigranten gemacht haben, zeigt, daß nichts mehr auf dem lastet, der in einem fremden Land wohnt, als das Gefühl ständiger Unsicherheit, das dadurch hervorgerufen wird, daß man willkürlichen Entscheidungen der Verwaltungsorgane unterliegt. Eine solche Bestimmung würde auch unmöglich machen, daß bei einem Regierungswechsel etwa Ausweisungen aus rein politischen Gründen vorgenommen werden. —



2)

Meinungsfreiheit

Art. 16:

Glaube, Gewissen und Der Staat

gewährleistet

w) Ebenda. 20) Vgl. Anm.

Überzeugung

sind frei. die ungestörte Religionsausübung.

3.

21

Katalog der Grundrechte

Nr. 3

21.

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Chiemsee Art. 621). Der entsprechende Art. des UN-Entwurfs22) enthält den „private und öffentliche" bei Religionsausübung. Es ist die Frage, ob das übernommen werden soll. Die ungehinderte öffentliche Religionsausübung würde das Recht jedweder kirchlichen Veranstaltung in der Öffentlichkeit, d. h. auf Straßen und Plätzen einschließen, also auch das Recht, überall Prozessionen abzuhalten. In sehr vielen Ländern ist dieses Recht auf Orte beschränkt, wo eine Religionsgesellschaft in der Majorität ist oder wie in Frankreich durch die Napoleonische Gesetzgebung auf Orte, in denen keine Kirche einer andern Konfession besteht. Die Frage wird jetzt um so bedeutungsvoller, da durch die Einwanderung der Flüchtlinge bisher einheitliche Konfessionsverhältnisse vielfach verändert worden sind. Der Berichterstatter fühlt sich verpflichtet, hierauf aufmerksam zu machen. Seine persönliche Meinung geht dahin, jedwede öffentliche ReligionsausZusatz

übung Art. 16

zu

gestatten.

a:

Niemand darf gezwungen oder gehindert werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. Diese Bestimmung hess. Verf. Art. 48 Satz 2 scheint gerade im Hinblick auf die Praktiken des Nationalsozialismus unentbehrlich zu sein23).

Art. 17:

Jedermann hat das Recht,

seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Dieses Recht darf auch durch ein Dienstverhältnis nicht beschränkt werden und niemand darf ein Nachteil widerfahren, wenn er es ausübt. Nur wenn die vereinbarte Tätigkeit einer bestimmten politischen, religiösen oder weltanschaulichen Richtung dienen soll, kann, falls ein Beteiligter davon abweicht, das Dienstverhältnis gelöst werden. Zensur ist unstatthaft. Der Art. ist teils aus der hess. Verfassung24), teils aus dem Chiemsee-Entwurf25) entnommen. Es scheint dem Berichterstatter richtig, ausdrücklich eine Bestimmung in die Grundrechte zu bringen, die die Meinungsäußerung auch im privaten Dienstverhältnis schützt, d. h. es unmöglich macht, ein privates Dienstverhältnis zur Unterdrückung der Gesinnung zu benutzen.

21) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580. 22) Vgl. Anm. 3. 23) Im Entwurf (vgl. Anm. 1) folgte hier als handschr. Zusatz: „Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte oder Pflichten

abhängen

oder

wenn

eine

gesetzlich angeordnete statistische Erhebung

24) Art. 11 der Verfassung des Landes Hessen 25) Art. 7 ChE; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580. 22

vom

1. Dez. 1946.

es

erfordert."

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Art. 18:

Jedermann hat das Recht, sich auf allen Gebieten des Wissens, der Erfahrung oder der Meinung aller Informationsquellen zu bedienen, einerlei, ob es inlän-

dische oder ausländische seien. Der Art. ist eine Kombination aus hess. Verf. Art. 13 und UN-Entwurf Art. 16. Es erschien nach den Erfahrungen der Vergangenheit richtig, die Information aus ausländischen Quellen ausdrücklich zu erwähnen. Nach dieser Fassung scheint mir der zweite Satz des Art. 7 des Chiemsee-Entwurfs26) „Beschränkung des Rundfunkempfangs und des Bezugs von Druckerzeugnissen sind unzulässig" wegfallen zu können.

Art.

19:

Die

Meinungsfreiheit

ist

begrenzt durch das

Recht

jedes einzelnen auf

seine

Ehre.

diesem Artikel stammt aus dem Entwurf der UN27) zur es ausdrücklich heißt: .Subject only to the laws Meinungsfreiheit, and there shall be freedom.' slander libel, governing Gerade die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß in Deutschland etwas geschehen muß, um die Ehre besonders der im öffentlichen Leben stehenden Personen wirksam zu schützen. Die

Anregung

zu

in dem

Art. 20: Die Presse hat die

Aufgabe und das Recht, über Vorgänge, Zustände, Einrichtungen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wahrheitsgemäß zu berichten. Dieser Absatz 2 des Art. 7 des Chiemsee-Entwurfs28) entspringt ähnlichen Gedanken wie der vom Berichterstatter formulierte vorhergehende Artikel. Seine Fassung allerdings scheint mehr deklaratorisch als konkret. Derselbe Gedanke ist im Entwurf der UN29) in folgendem Satz ausgedrückt: .There exists a duty towards society to present information in a fair and impartial manner.' (Es besteht die Pflicht gegenüber der Allgemeinheit, Informationen

und Nachrichten fair und

unparteiisch

zu

geben.)

Art. 21 : Zum Schutz des menschlichen Zusammenlebens kann durch Gesetz die Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen unter staat-

liche Aufsicht gestellt, beschränkt oder untersagt werden. Der erste Absatz des Entwurfs Chiemsee Art. 1530): ,Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.' ist absichtlich nicht aufgenommen worden, denn er fällt unter die allgemeine Formulierung des Paragraphen von der 26) 27) 28) 29) 30)

Ebenda, S.

581.

Vgl. Vgl. Vgl.

Anm. 3. Anm. 26. Anm. 3. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581. 23

Nr. 3

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Würde man ausdrücklich sagen, die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei, so könnten Vertreter der Wissenschaft daraus folgern, daß sie das Recht haben, nicht nur ihre Bücher, sondern auch ihre Vorträge und Vorlesungen, d. h. also auch ihre amtliche Tätigkeit dazu zu benutzen, staatliche Institutionen und die Grundlagen des demokratischen Staates anzugreifen und zu unterhöhlen, wie das in der Zeit der Weimarer Republik von manchen Universitätsprofessoren geradezu gewerbsmäßig getan wurde und wie das jetzt auch wieder vielfach geschieht. Im Interesse des Staates also muß diese Bestimmung wegfallen.

Meinungsfreiheit.

Art. 22: Das Brief-, Post- und

Fernmeldegeheimnis ist unverletzlich. Ausnahmen sind nur in einem Gerichtsverfahren in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen und Formen zulässig. Chiemsee Art. II31). Die Fassung ist, weil sie in die Einzelheiten geht, den anderen bisherigen Fassungen vorzuziehen. Art. 23:

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Verbindung mit anderen schriftlich mit Anträgen oder Beschwerden an Behörden, an die gesetzgebenden Körperschaften und an überstaatliche Organisationen zu wenden. Art. 10 Chiemsee32). Es schien richtig, diesen Artikel des Chiemsee-Entwurfes zu ergänzen, indem ausdrücklich gesagt wird, daß nicht nur einzelne, sondern auch Gruppen, d. h. also Organisationen aller Art dieses Recht zusteht. Ebenso schien es richtig, das Recht festzulegen, sich an internationale Organisationen zu wenden. Die Anregung hierzu entnimmt der Berichterstatter aus der Formulierung des UN-Entwurfes33), wo allerdings nur die UN als solche Organisation genannt ist. Doch hält der Berichterstatter dafür, daß eine weitere Fassung besser sei, um z. B. Gewerkschaften das ausdrückliche Recht zu geben, sich an das Internationale Arbeitsamt oder wissenschaftlichen Körperschaften, sich an die Unesco zu wenden. Dies nur als Beispiel.

Art. 24:

Wahl- und Stimmrecht der Staatsbürger wird gewährleistet. Chiemsee Art. 1234). Der Art. scheint dem Berichterstatter zu eng gefaßt zu sein. Er schlägt vor, die Fassung der UN einzuarbeiten, die folgendermaßen lautet: Jedermann hat das Recht, wirksam Anteil zu nehmen an der Regierung des Staates. Der Staat hat die Pflicht, den vom Volke durch Wahlen ausgesprochenen Wünschen zu entsprechen. Wahlen sollen periodisch, frei

31) 32) 33) 34) 24

Ebenda. Ebenda.

Vgl. Vgl.

Anm. 3. Anm. 30.

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und unparteiisch sein. Art. 30 der UN35). .Every one has the right to take an offective part in the government of the State of which he is a citizen. The State has a duty to conform to the wishes of the people as manifested by democratic elections. Elections shall be periodic, free and fair.' Art. 25:

Alle haben das Recht, sich ohne vorherige Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Chiemsee Art. 836). Es ist die Frage, ob der Zusatz anderer Verfassungen z. B. der hessischen, daß Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz anmeldepflichtig gemacht werden können37), nicht doch aufzunehmen wäre. Der Berichterstatter empfiehlt es, da es sonst in Zeiten politischer oder sozialer Spannungen dazu kommen könnte, daß sich entgegenstehende Gruppen Versammlungen unter freiem Himmel nahe beieinander abhalten und es dadurch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt.

Art, 26: Alle haben das Recht, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Vereinigungen, die rechtswidrige Zwecke verfolgen oder die Demokratie oder

Völkerverständigung bekämpfen oder die Anwendung von Gewalt bei der Durchsetzung ihrer Ziele nicht ablehnen, sind verboten. Satz 1 ist wörtlich gleich Art. 9 des Chiemsee-Entwurfes38). In Satz 2 sind die .sittenwidrigen' Zwecke bewußt nicht übernommen aus denselben die

Gründen, die in einem früheren Artikel schon erwähnt wurden. Das Wort

wie dem Berichterstatdes Chiemsee-Entwurfs ist durch das klarere und engere Wort .bekämpfen' ersetzt worden. Der Berichterstatter hat den Art. ergänzt durch eine Bestimmung über die Anwendung von Gewalt und ist dabei ausgegangen von den Erfahrungen der Nazizeit und der Vornazizeit, um schon die Möglichkeit zu unterbinden, daß solche Vereinigungen systematisch Versammlungen sprengen und dadurch andere Vereinigungen daran hindern, ihre Ziele in der Öffentlichkeit friedlich zu verfolgen.

.gefährden'



ter scheint



Art. 27:

Jedermann hat das Recht auf Rechtspersönlichkeit.

Niemand soll in der Ausübung seiner bürgerlichen Rechte behindert werden, außer aus Gründen des Alters, des geistigen Zustandes oder als Strafe für Verbrechen. Dies ist Art. 12 des Entw. der UN39). Er wird hier nur zur Diskussion gestellt. Sein englischer Wortlaut ist folgender: .Every one has the right to a

35) 36) 37) 38) 39)

Vgl. Anm. 3. Vgl. Anm. 30.

Art. 14 der Verfassung des Landes Hessen Vgl. Anm. 30. Vgl. Anm. 3.

vom

1. Dez. 1946.

25

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Katalog der Grundrechte

a

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shall be restricted in the exercise of his civil based on age or mental condition or as pucriminal offense.'

legal personality. rights except for

nishment for Gleiches gilt für

21.

No

one

reasons

Art. 28:

Jedermann hat das Recht, einzeln oder drückung und der Tyrannei Widerstand

Verbindung

in zu

mit andern der Unter-

leisten.

UN40). Englischer Text: .Every one has the right, either individually or with others, to resist oppression and tyranny.' Der folgende Artikel, dessen Aufnahme der Berichterstatter auch anheim-

Art. 29 Entwurf der

stellt, ist dem Entwurf des franz. Vertreters in dem Grundrechtsausschuß der UN entnommen.

Art. 29:

Jeder hat das Recht auf das Leben und auf die Unverletzlichkeit

seines Kör-

pers.

wenn er eines Verbrechens schuldig ist, darf gefoltert oder anderen grausamen Strafen und entwürdigenden Behandlungen ausgesetzt werden. Nach der Zeit der Konzentrationslager wäre es wohl angemessen, einen derartigen Artikel aufzunehmen.

Niemand, selbst

Einschränkungen und Gewähr der Grundrechte Art. 30:

Jeder hat die Pflicht der Gesetze

zu

achten und

Treue gegen die

zu

Verfassung und hat Verfassung und

befolgen (Art. 19 Chiemsee)41).

Art. 31 : Wer die Grundrechte der Freiheit der

Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Versammlungs- oder der Vereinigungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf diese Grundrechte zu berufen. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet auf Beschwerde das Bundesverfas-

sungsgericht.

Art. 20 des Chiemsee-Entwurfs42). Die hess. Verf. enthält noch eine Bestimmung, daß sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung und der Ver-

breitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke nicht berufen kann, wer

Gesetze

zum

Schutz der

40) Vgl. Anm. 3. 41) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. 42) Ebenda. 26

Tugend [!]

verletzt.

Katalog der Grundrechte

21.

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Nr. 3

Art. 32:

Jedermann hat nach Maßgabe der Gesetze die Pflicht, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen und persönliche Dienste für den Staat und die Gemeinde zu

leisten.

Steht er in einem Dienstverhältnis, so ist ihm die erforderliche freie Zeit zu gewähren. Näheres bestimmt das Gesetz. Art. 25 der hess. Verf., der als eine allgemeine Regelung für die Übernahme von Ehrenämtern wohl schon deshalb nicht fehlen darf, weil damit Staatsbürger, die solche Pflichten übernehmen wollen, die Sicherheit bekommen, sie übernehmen zu können. Art. 33: Die Grundrechte dürfen nicht beseitigt werden. Auf ein solches Ziel gerichtete Anträge sind unzulässig. Die Grundrechte binden den Gesetzgeber, den Richter und die

Verwaltung

un-

mittelbar. Chiemsee Art. 2143). Aus den hessischen Erfahrungen scheint es dem Berichterstatter richtig, einen Zusatz zu machen, daß Gesetze und Verordnungen, also auch Polizeivorschriften, die im Widerspruch mit diesen Grundrechten stehen, als aufgehoben gelten oder in bestimmter Frist aufgehoben werden müssen. Art. 34: Eine Einschränkung der Grundrechte ist

aussetzung zulässig, daß heit

zwingend

es

nur durch Gesetz und unter der Vordie öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesund-

erfordert.

Dieser Satz 4 Chiemsee-Entwurf Art. 21 scheint dem Berichterstatter

un-

zweckmäßig zu sein, da er die Autorität der Grundrechte erschüttern und ihrer Durchlöcherung Vorschub leisten würde. Die Frage, ob die Grundrechte im Falle eines Staatsnotstandes zeitweise außer Kraft gesetzt werden können und in welcher Form, hat der Berichterstatter absichtlich nicht behandelt. Er ist der Meinung, dies könne erst in einem späteren Zeitpunkt geschehen, wenn der zuständige Ausschuß die Bestimmungen über den Staatsnotstand ausgearbeitet hat. Die Bestimmungen hierüber endgültig zu treffen, wäre Sache des Hauptausschusses.

43) Ebenda. 27

Nr. 4

Dritte

Sitzung

Dritte

21.

September 1948

Sitzung

Nr. 4 des Ausschusses für 21.

September

Grundsatzfragen

1948

Z 5/29, Bl. 118-1791). Stenogr. Wortprot, undat. und ungez. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 122-124. Drucks. Nr. 73

Anwesend2) : CDU/CSU: Blomeyer, v. Mangoldt (Vors.), Pfeiffer, Schräge, SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich, Zinn

Wirmer

FDP: Heuss DP: Heile Mit beratender Stimme: Paul (KPD) Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 15.00-18.20 Uhr

[1. HISTORISCHER ÜBERBLICK ÜBER DIE ENTWICKLUNG DER GRUNDRECHTE. BERICHTERSTATTER DR. BERGSTRÄSSER]

Ich darf zu Beginn unserer heutigen Sitzung folgendes hatte heute feststellen: Ich morgen mit dem Berichterstatter Dr. Bergsträsser eikurze ne Besprechung über die Gestaltung der heutigen Tagesordnung. Dabei kamen wir überein, daß es sich empfehlen dürfte, von dem in unserer letzten Sitzung vereinbarten Plan etwas abzuweichen. Wir hielten es für gut und nützlich, wenn Herr Dr. Bergsträsser die Mitglieder des Ausschusses in einem einleitenden Vortrag über das Wesen und das Werden der Grundrechte unterrichtete. Dies wird dazu beitragen, daß wir bald ein Programm unserer Ausschußarbeit aufstellen können. Wir werden auch bald Klarheit darüber gewinnen können, ob wir uns an den Katalog des Entwurfs von Herrenchiemsee anschließen sollen3). Herr Dr. Bergsträsser wird untersuchen, inwieweit dieser Katalog vollständig ist, ob er noch der Ergänzung bedarf. Im Anschluß daran wird Herr Dr. Zinn die rechtlichen Schwierigkeiten beleuchten, die bei der Behandlung der Grundrechte auftauchen, vor allem im Verhältnis zu den Besatzungsmächten und im Hinblick auf die Gestaltung der Präambel. Unsere erste Aufgabe wird sodann sein, Klarheit darüber zu gewinnen, welche Grundrechte wir in unseren Verfassungsentwurf überhaupt aufnehmen wollen. Hierüber werden die Auffassungen zweifellos auseinandergehen. Aufgabe der Berichterstatter wird es ferner sein, dem Ausschuß jeweils formulierte Vorschläge zu den einzelnen Grundrechten vorzulegen, die die Grundlage für die weitere Behandlung darstellen sollen. Vors. Dr.

von

Mangoldt:

!) Bl. 180-226 (S. 10-19, 24-27, 33-35, 39, 41-43, 56 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und

neu

geschrieben.

2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580 ff. ?.ti

Dritte

Sitzung

21.

September 1948

Nr. 4

Dr. Bergsträsser: Ich hatte ursprünglich im Auge, einen Katalog der Grundrechte zusammenzustellen, einschließlich der Formulierungen, die mir als die taug-

lichsten erschienen. Nun sind wir heute mit dem Herrn Vorsitzenden übereingekommen, daß es sich empfiehlt, wenn ich zunächst eine Übersicht über die Entstehung und Entwicklung der Grundrechte gebe4). Die Grundrechte sind aus der Idee entstanden, die Einzelpersönlichkeit gegen den Staat abzugrenzen, also aus der Idee der Freiheit heraus. Man führt sie manchmal zurück bis auf die Magna Charta5) und das Mittelalter. Das ist wohl nicht ganz richtig. Zwar kennt schon das Mittelalter Abgrenzungen dieser Art, aber nicht so sehr für die einzelne Persönlichkeit, als für die Korporation, für den Stand. Die moderne Entwicklung der Grundrechte beginnt mit der Petition of Rights in England6), 1628, wo schon der Schutz gegen willkürliche Verhaftung und ähnliches enthalten ist. Die eigentliche Entwicklung der Grundrechte setzt erst ein mit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, besser gesagt mit der Bill of Rights des Staates Virginia7). In dieser Erklärung finden wir zum ersten Mal eine Begründung der Grundrechte, und zwar die Theorie, daß es sich hierbei nicht um Rechte innerhalb des bestehenden Staates, sondern um Rechte des einzelnen Menschen handele, die vorstaatlichen Charakters seien; Rechte, die mit uns geboren sind. Die französische Revolution nimmt diesen Gedanken wieder auf. Diese vorstaatlichen Rechte könnte man auf zwei verschiedene Quellen zurückführen. Die eine ist das Naturrecht des Mittelalters, das auf Aristoteles zurückgeht; die andere ist das moderne Naturrecht der Aufklärung. Beide Quellen verzahnen und entsprechen sich in vielem. Die Grundrechte der französischen Revolution von 17898) und der Bill of Rights von Virginia unterscheiden sich wohl darin: Die Bill of Rights geht aus von einem neuen Staat und neuen, noch nicht gefestigten Verhältnissen; die französische Revolution hingegen ist die Auseinandersetzung mit einem bestehenden Staat und einem gegebenen Rechtszustand; sie will etwas Neues an die Stelle des Bestehenden setzen und hat ei4) Vgl. hierzu Gerhard Oestreich: Die Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Eine historische

5) 6) 7)

8)

Einführung. In: Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte. Hrsg. von Karl August Bettermann, Franz L. Neumann, Hans-Carl Nipperdey, Berlin 1966, Bd. 1/1. Ebenda (S. 105—123) eine umfangreiche Bibliographie zum Gesamtkomplex der historischen Entwicklung sowie zu einzelnen Rechten. Ein zeitgenössischer Beitrag von Gerhard Ritter: Ursprung und Wesen der Menschenrechte. Historische Zeitschrift 169, 1949, S. 233-263. Als Quellenedition vgl. Fritz Härtung: Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart. Göttingen, 2. A. 1954, 3. A. 1964. Wolfgang Heidelmeyer (Hrsg.): Die Menschenrechte. Erklärungen, Verfassungsartikel, Internationale Abkommen. Paderborn 1972. Magna Charta von 1215. Abdr. bei Heidelmeyer (Anm. 4), S. 47—49. Die Petition of Rights von 1628 sicherte allen Engländern gewisse Rechte, z. B. den Schutz gegen Erhebung eigenmächtig ausgeschriebener Steuern, gegen willkürliche Verhaftung, Schutz des Eigentums. Bill of Rights des Staates Virginia vom 12. Juni 1776, Abdr. bei Heidelmeyer (Anm. 4), S. 51-53. Vgl. Heidelmeyer (Anm. 4), S. 56 ff. sowie G. Oestreich (ebenda), S. 57 ff. 29

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andere Grundtendenz. Diese Grundtendenz sehe ich darin, daß die Grundrechte der französischen Revolution den einzelnen Staatsbürger vor der Willkür des absolutistischen Systems schützen sollen hier zeigt sich die rein bürgerliche Tendenz der Ziele des Tiers état. Jeder einzelne soll gleiche Rechte haben. Die französische Revolution ist eine Auseinandersetzung mit dem Bestehenden, eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Durch sie erst kommt die Gleichheit in den Katalog der Grandrechte. Sie erst gibt dem Bürger die Freiheit, als ein Loslösungsprozeß, als eine Auseinandersetzung mit dem Bestehenden. Schon in der Bill of Rights des Staates Virginia werden die Grundrechte zurückgeführt, und zwar staatsrechtlich und prinzipiell, auch auf die Theorie von der Volkssouveränität, die in der französischen Revolution zu einem der entscheidenden Punkte des Verfassungslebens wird. Im Gegensatz zur späteren Entwicklung tragen, was zu beachten ist, die Freiheitsrechte der französischen Revolution noch durchaus den Charakter einer bürgerlichen Entwicklung, etwa in den Eigentumsbestimmungen, wie ja überhaupt die ganze Staats- und verfassungsrechtliche Entwicklung noch bürgerlichen Charakter trägt, was zum Beispiel beim Wahlrecht zum Ausdruck kommt. So beschränkt sich im Grunde genommen diese erste kontinentale Erklärung der Menschenrechte auf den Schutz des einzelnen in rein politischer Beziehung, das heißt auf den Schutz gegenüber der Verwaltung. Diese Entwicklung zeichnet sich später im deutschen Verfassungsleben bis zum Jahr 1848 ab. Auch bei der Vorbereitung der Frankfurter Verfassung wurden die Grundrechte beraten und zunächst unabhängig von der Verfassung im Reichsgesetzblatt veröffentlicht9). Die Frankfurter Grundrechte sind zu einem großen Teil eigentlich noch einmal eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit den ziemlich bedeutenden Resten des Feudalstaates, die damals noch bestanden und in gewissem Sinne selbst in die Gegenwart hineinreichen. So wurde mir mitgeteilt, ein Paragraph der bayerischen Verfassung habe das Recht auf das Sammeln von Beeren und Pilzen im Walde festgelegt, wegen der Vorbehalte grundherrlicher Rechte10). Ich weiß nicht, ob dies zutrifft, ich kann es nicht nachprüfen. Jedenfalls ist die Verfassung von 1848 zu einem wesentlichen Teil von der Auseinandersetzung mit dem Feudalstaat bestimmt; zu einem anderen Teil enthält sie die alten personellen Rechte, zu einem dritten Teil geht sie über zu neuen Rechten, indem sie die Grundprinzipien für die Kirchen und Schulen festlegt und auch schon auf einzelne soziale Fragen, Gewerbefreiheit und dergleichen, eingeht. Dabei ist sie durch die Vorgänge in Frankreich beeinflußt. Die Revolution von 1848 in Frankreich ist ja die erste soziale Revolution auf dem Kontinent. In einer Deklaration, die übrigens später nur ziemlich verschwommen in ne



') Reichs-Gesetz-Blatt vom 28. Dez. 1848, Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes, später Abschnitt VI der nicht in Kraft getretenen Verfassung des Deut-

schen Reiches vom 28. März 1849. Bergsträsser hatte über die Verfassung von 1848 wissenschaftlich gearbeitet. Vgl. seine Publikation: „Das schwarz-rot-goldene Parlament und sein Verfassungswerk. Berlin (1919); Das Frankfurter Parlament in Briefen und Tagebüchern. Ambrosch, Rümelin, Hallbauer, Blum. Frankfurt 1929. ') Weder in der Bayerischen Verfassung vom 1. Mai 1808 noch in der vom 26. Mai 1818 ist ein Recht auf das Sammeln von Beeren und Pilzen eiwähnt. 30

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die Grundrechte dieser Verfassung aufgenommen wurde, vom März 1848, wird Beispiel das Recht auf Arbeit, das Recht auf Lebensunterhalt für jene, die nicht mehr arbeiten können, stipuliert. Die deutsche Entwicklung ist unterbrochen worden durch 1867 und 1871. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes und die Verfassung des Deutschen Reichs enthalten beide keine Grundrechte, und zwar zum Teil nur deshalb, weil man die Grundrechte damals für etwas Selbstverständliches hielt, zu einem anderen Teil deswegen, weil die Grundrechte, wie sie gerade in der Frankfurter Verfassung ausgearbeitet waren, sich wesentlich auf Kirche, Schule und andere Gegenstände beziehen, die der Verfassung des Norddeutschen Bundes wie des Deutschen Reichs 1871 den Ländern vorbehalten waren und Bismarck eine Ausdehnung, auch nur eine indirekte Ausdehnung der Kompetenz des Reichs nicht wollte. Wir kennen den Antrag der damaligen Zentrumspartei, 1870/71, die Bestimmungen der Preußischen Verfassung, die die Freiheit der Kirche betreffen, in die Reichsverfassung zu übernehmen, was abgelehnt wurde und was wenn nicht der Grand, so wenigstens der Anlaß dafür gewesen ist, daß Bismarck und die Zentrumspartei in einen so scharfen Gegensatz zueinander geraten sind11). Die französische Verfassung von 187[5] hat keine Grundrechte aufgenommen, aus dem einfachen Grunde das ist die übereinstimmende Meinung aller Staatsrechtslehrer gewesen —, daß die Grundrechte von 1789 noch in Geltung seien. Dabei ist nun ein Zweites zu beachten: daß die Grundrechte zunächst ganz allgemein als Deklarationen oder Proklamationen gefaßt waren. Erst später, als die Grundrechts-Ausarbeitungen mehr in die Einzelheiten gingen, wurden sie mehr unmittelbar anwendbares oder klagbares Recht. Es gehen also zwei Entwicklungslinien nebeneinander her, die in der Verfassung von Weimar zusammenfließen. Die Weimarer Verfassung ist in ihren Formulierungen sehr stark deklaratorisch. Sie ist im übrigen in ihren Grundrechten über die Entwicklung in Frankreich von 1848 hinausgegangen, indem sie ganze Teile auch des sozialen Rechtes und des Rechtes der gesellschaftlichen Vereinigungen mit behandelt hat. Die Grundrechte der Verfassung von Weimar sind in ihrer Fassung deshalb so allgemein geworden, weil etwas geschehen sollte, man sich aber über das Wie im allgemeinen nicht einigen konnte und deswegen des Kompromisses wegen zu allgemeinen Formulierungen kam, die sehr oft auslegbar waren, Formulierungen, die in schlechtem Sinne dem entsprachen, was Bismarck in einer Anweisung an den Minister von Keudell12) gesagt hat: man solle sich weitläufiger, allgemeiner und dehnbarer Ausdrücke bedienen. Die Ausdrücke, die die Weimarer Verfassung wählte, sind in vielem allzu dehnbar und allzu wenig konkret. Sie alle kennen die Weimarer Verfassung; ich kann es mir daher ersparen, auf Einzelheiten einzugehen. zum



11) Der Antrag von Peter Reichensperger wollte bewirken, die grundrechtlichen Artikel und

damit auch die Art. 15 und 18 der preußischen Verfassung, welche die Freiheit der Kirche gewährleisteten, in die Reichsverfassung aufzunehmen. Vgl. Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei, Bd. 3. Köln 1927, S. 198. 12) Walter von Keudell (1884-1973), Reichsminister des Innern a. D„ DNVP. 31

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Nun stellt sich für

uns heute das Problem: Wie sollen wir prozedieren? Wenn verstanden habe, so sind wir uns in unserer letzten Sitzung zwar ohrichtig ne Abstimmung, aber doch stillschweigend darüber einig gewesen, daß wir uns zunächst darauf beschränken wollten, die sogenannten echten oder klassischen Grundrechte zu behandeln, also die Grundrechte, die sich darauf beschränken, das Verhältnis der Einzelpersönlichkeit zum Staate festzulegen. Dabei wird für uns bestimmend sein müssen, was wir inzwischen erlebt haben, daß auch diese schon traditionell gewordenen Rechtssätze in der Anschauung der Menschen doch nicht so gefestigt sind, wie man es 1919 vielleicht noch angenommen hat. Denn alle diese Grundrechte sind in der Entwicklung der 12 Jahre des Naziregimes unbeachtet geblieben; man hat nicht nur ohne sie, sondern gegen sie gehandelt. So gewinnt die Idee, personelle Grundrechte aufzustellen, auch von dieser ganz allgemeinen Auffassung her Bedeutung, indem sie eben wieder die Rechtsgrundlage formulieren und für die Verfassung als maßgebend hinstellen wollen. Dabei erhebt sich wiederum die Frage: soll das in allgemeineren Formulierungen oder in konkreten Sätzen geschehen? Die Auffassung in der letzten Sitzung ging wohl überwiegend dahin, daß sie möglichst konkret gefaßt werden müßten. Ich hatte den Bericht, den ich dem Ausschuß erstatten sollte, eigentlich so aufgefaßt, daß ich eine Zusammenstellung über die Grundrechte machen sollte, aber Formulierungen nicht selbst bringen sollte, sondern mich darauf beschränken dürfte, das weitschichtige Material zusammenzustellen, das in den Verfassungen vorliegt. Das habe ich getan, und ich werde mir nachher erlauben, den Mitgliedern des Ausschusses meinen Katalog vorzulegen13), der nichts anderes ist als ein Leitfaden für die Beratung im einzelnen. Mein Bericht verzichtet mit Absicht darauf, theoretische Ausführungen zu bringen. Ich habe mich ferner bemüht, aus dem vorhandenen Material die Formulierungen mitzuteilen, die mir die besten zu sein scheinen. Zunächst handelt es sich nur darum, die personellen Grundrechte durchzuarbeiten, die Formulierungen möglichst so zu gestalten, daß sie unmittelbar anwendbares Recht sein können. Ich habe mich ferner bemüht, in den Katalog hineinzunehmen, was sich in den verschiedenen Verfassungen an Material findet14). Vors. Dr. von Mangoldt: Ich danke Herrn Dr. Bergsträsser für seinen sehr aufklärenden Bericht und für die mühevolle Arbeit, die er sich gemacht hat. Seine Zusammenstellung wird uns sicher von Nutzen sein. Ich bitte nun Herrn Zinn, sein Korreferat zu erstatten. Dann werden wir an die praktische Arbeit gehen können.

ich

13) Abdr. als Dok. Nr. 3. 14) Folgt gestrichen: „Mein Kollege Zinn wird das Verhältnis der Grundrechte zum Staatsrecht behandeln, also eine Aufgabe, die mir als Nichtjuristen nicht zukommt." 32

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STAATSRECHTLICHE BETRACHTUNG DER GRUNDRECHTE. BERICHTERSTATTER DR. ZINN

Zinn: Es scheint mir im gegenwärtigen Augenblick noch nicht unsere Aufgabe zu sein, zu einzelnen Grundrechten unter staatsrechtlichen und juristisch-technischen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen. Das kann man erst, sobald einigermaßen zu übersehen ist, in welchem Umfang Grundrechte in das Staatsgrundgesetz aufgenommen werden sollen und sobald gewisse Formulierungen vorliegen, an denen man ihre juristisch technische oder sachliche Bedeutung ermessen und überprüfen kann. Im gegenwärtigen Zeitpunkt kommt es nur darauf an, sich unter staatsrechtlichen und juristisch-technischen Gesichtspunkten klarzumachen, ob und in welchem Umfang es überhaupt zweckmäßig erscheint, Grundrechte in das Staatsgrundgesetz aufzunehmen. Dabei möchte ich völlig dahingestellt sein lassen, ob dies deshalb notwendig ist, weil Dokument I uns die Auflage macht, in gewissem Umfang Grundrechte in dem Staatsgrundgesetz zu verankern15). Ob wir dieser Auflage nachkommen, sollte zunächst ganz davon abhängen, inwieweit wir ihr unter staatsrechüichen Gesichtspunkten nachkommen wollen. Zunächst möchte ich feststellen, daß Grundrechte an sich nicht ohne weiteres Kennzeichen der Verfassung eines modernen Staates sind. So enthielt die Reichsverfassung vom 6. April 1871, die Bismarck'sche Verfassung, keinerlei Grundrechte. Auch die Verfassungsgesetze der dritten französischen Republik vom 24. und 25. Februar 1875 und vom 16. Juli 1875 enthalten keine Grundrechte, ja die dritte französische Republik besaß überhaupt keine eigentliche Verfassungsurkunde. Trotz der wechselvollen staatsrechtlichen und politischen Entwicklung Frankreichs, das zeitweise eine monarchische Verfassung besaß, nahm man an, daß die Grundrechte der Erklärung von 1789 weiterhin geltendes Recht sind. Dieser staatsrechtlichen Auffassung folgt heute noch die Verfassung vom 28. Oktober 194616). Auch sie enthält keinen eigentlichen Grundrechtsteil. Die Grundrechte sind also nicht ohne weiteres Kennzeichen der Verfassung eines modernen Staates. Auch Hugo Preuß17) hat zunächst davon abge-

15) Nr. I der Frankfurter Dokumente sprach von einer zu schaffenden demokratischen Verfassung, die „Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält" (Der Pari. Rat Bd. 1, S. 31).

16) Die französische verfassunggebende Versammlung von 1945 hatte eine Neuformulierung der Menschenrechte versucht, war aber gescheitert, da dessen Verfassungsentwurf

einer Volksabstimmung keine Mehrheit fand. Vgl. Maurice Duverger: Les Constitutions de la France. 8. A. Paris 1964, S. 104 ff. Abdr. der Präambel der franz. Verfassung vom 13., bzw. 27. Okt. 1946 bei F. Härtung: Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte, S. 100—104. Sie war auch abgedr. in dem für die Mitglieder des Pari. Rates von der Civil Administration Division von OMGUS hrsg. Werk „Bundesstaatliche Verfassungen"; vgl. Literaturverzeichnis. 17) Hugo Preuß (1860-1925), seit 1906 Prof. an der Handelshochschule Berlin, 1918 Staatssekretär des Innern, 1919 Reichsminister des Innern, wesentlicher Mitgestalter der WRV. Vgl. Jasper Mauersberg: Ideen und Konzeption Hugo Preuß' für die Verfassung der deutschen Republik 1919 und ihre Durchsetzung im Verfassungswerk von Weimar. Frankfurt [. .] 1991. Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft Bd. 1145.

insgesamt bei

.

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sehen, in seinen Entwurf für die Weimarer Nationalversammlung Grundrechte

aufzunehmen. Erst auf Anregung des vorläufigen Staatenausschusses und Eberts er zwölf Artikel entworfen, in denen im wesentlichen die klassischen Grundrechte aufgeführt sind. Auf Anregung Friedrich Naumanns18) ist man dann dazu übergegangen, eine Neuschöpfung der Grundrechte zu versuchen. Man hat also zunächst geglaubt, ohne formulierte Grundrechte auskommen zu können. Das wäre jedenfalls dann möglich, wenn man die Grundrechte, die als klassische gelten und sich neuerdings zu einem völkerrechtlich anerkannten Recht zu entwickeln beginnen, als vorverfassungsmäßiges Recht ansieht. Sie kennen die Leitsätze des Sozialrats der UN, die zur Entwicklung nicht mehr nur verfassungsrechtlich, sondern völkerrechtlich anerkannter Grundrechte führen19). Auch in der deutschen Staatsrechtslehre wird anerkannt, daß es Grundrechte gibt, die nicht gesetzliches Recht oder zumindest nicht im Grundrechtsteil der Verfassung enthalten sind. Ich erinnere an das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Auch das Schweizer Bundesgericht hat wiederholt ausgesprochen, daß gewisse Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat Grundrechtscharakter tragen. Sie erlangen diesen Charakter nicht erst dadurch, daß sie in die Verfassung aufgenommen werden, sondern daß sie irgendwie anerkannten Rechts, insbesondere in einem gewöhnlichen Gesetz geregelt sind. Ein solches Gesetz hat dann nur die Bedeutung einer legislatorischen Deklaration, die einen allgemeinen vorverfassungsmäßigen Rechtssatz näher konkretisieren soll. Für uns taucht daher die Frage auf, ob man Grundrechte, soweit es sich um klassische, insbesondere vorverfassungsmäßige Grundrechte handelt, überhaupt in das Grundgesetz aufnehmen soll. Friedrich Naumann hat sie seinerzeit als antiquierte Museumsstücke bezeichnet20). Ich glaube, den Standpunkt vertreten zu dürfen, daß man sie trotzdem in einem gewissen Umfang in das Staatsgrundgesetz aufnehmen soll, wenn man sie als vorverfassungsmäßiges Recht ansieht. Nach den Exzessen der staatlichen Macht in den vergangenen 12 Jahren haben auch die klassischen Grundrechte wieder eine evidente Bedeutung erlangt. Hinzu kommt noch ein anderer Gesichtspunkt: Es besteht die Notwendigkeit, die Grundrechte im einzelnen zu konkretisieren. Mit allgemeinen Rechtssätzen vorverfassungsrechtlicher Art kann die Rechtspraxis nichts anfangen. Eine nähere verfassungsgesetzliche Umschulung erscheint mir deshalb unerläßlich. hat

18) Friedrich

19) 20) 34

Naumann (1860—1919), Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei. Zu seinem Einfluß auf die Entstehung der Grundrechte in der WRV vgl. W. Apelt: Geschichte der Weimarer Reichsverfassung. München 1946, S. 295, 2. A. 1964; ferner G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 4. Bearbeitung, 14. A. Berlin 1933, S. 509. Nach der Drucks. Nr. 44 des Pari. Rates verfügte die Bibliothek über die 13. Auflage aus dem Jahre 1930. Die 14. Auflage 1933 war als über das juristische Seminar der Universität Bonn beschaffbar aufgeführt. Vgl. auch Theodor Heuss: Friedrich Naumann, der Mann, das Werk, die Zeit. Stuttgart, Berlin 1937, S. 612-616. 2. A. Stuttgart, Tübingen 1949. Zur Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen vgl. Dok. Nr. 10. Anm. 18.

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Dabei kann es sich allerdings nur um einen beschränkten Kreis von Grundrechten, um die sogenannten klassischen Grundrechte handeln: das allgemeine Freiheitsrecht, das Recht der persönlichen Freiheit, das Recht der Meinungsfreiheit, das Recht der Pressefreiheit, das Recht der Gewissens- und Glaubensfreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, alles Rechte, die seither allgemeine Anerkennung gefunden haben. Schließlich sollten die Grundrechte als aktuelles Recht und nicht als Rechtsgrundsätze, die zu ihrer Ausführung erst noch besonderer Durchführungsgesetze bedürfen, ausgestaltet werden. Weiterhin wäre zu untersuchen, welchen Wirkungsgrad man den einzelnen Grundrechten zubilligen soll. Ich möchte der Einteilung von Thoma folgen, die dieser in einer Abhandlung in der Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum des Preußischen Oberverwaltungsgerichts gegeben hat21). Er spricht zunächst von sogenannten reichsverfassungskräftigen Grundrechten ersten Grades; das sind solche, in die nur durch verfassungsänderndes Gesetz und auch nicht im Ausnahmezustand eingegriffen werden kann. Die zweite Gruppe umfaßt die verfassungskräftigen Grundrechte zweiten Grades: Dies sind solche, die zwar normalerweise nur durch verfassungsänderndes Gesetz geändert werden können, aber im Ausnahmezustand auch durch Notverordnungen beschränkbar sind. Die dritte Gruppe umfaßt jene Grundrechte, die lediglich reichsgesetzeskräftig sind, in die also durch ein Reichsgesetz oder durch ein reichsgesetzlich ermächtigtes Landesgesetz, nicht aber durch ein einfaches Landesgesetz eingegriffen werden kann. Schließlich erwähnt Thoma noch solche Gesetze, die nur allgemeine rechtsstaatliche Prinzipien aufstellen und im Grunde überflüssig sind. Wenn wir die einzelnen Grundrechte unter diesem Gesichtspunkt näher betrachten, sollten wir uns möglichst auf bundesverfassungskräftige Grundrechte beschränken, also solche, die nur durch verfassungsänderndes Gesetz geändert werden können. Dagegen sollte man sich möglichste Beschränkung bei der Aufnahme von Grundrechten auferlegen, die ihrer Natur nach höchstens bundesgesetzeskräftig sein können, also durch Bundesgesetz oder durch ein bundesgesetzlich ermächtigtes Landesgesetz beschränk[bar] sind. Wir haben bei der Schaffung der Länderverfassungen, die zum Teil weit ausholend Grundrechte aller Art in ihren Katalog aufgenommen haben, erlebt, daß Verfassung und Verfassungswirklichkeit in einem ungewöhnlichen Maß auseinanderklaffen. Auch in der Weimarer Verfassung waren die Grundrechtsvorschriften teilweise nur ein Stück Literatur. Zur Zeit haben die Besatzungsmächte einen wesentlichen Teil der Regierungsgewalt, der Souveränität, die eigentlich dem deutschen Reich zusteht oder von dem deutschen Volk ausgeht, in den Händen. Wir müssen ferner berücksichtigen, daß wir wahrscheinlich für Jahre in einem wirtschaftlichen und sozialen Ausnahmezustand, vielleicht für die Dauer einer Generation leben. Gerade dieser zwiefache Ausnahmezustand ) Richard Thoma: Grundrechte und Polizeigewalt, in: Verwaltungsrechtliche Abhandlungen. Festgabe zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, 1925, S. 183-223. Zu Richard Thoma s. Dok. Nr. 18, Anm. 1. 35

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zu besonderer Beschränkung. Der Herrenchiemseer Entwurf erwähnt das Grundrecht der Freizügigkeit nicht mehr. Offenbar sagte man sich, daß dieses Recht in absehbarer Zeit, vielleicht für die Dauer einer Generation, nicht realisierbar sein werde. In der Tat, angesichts der Flüchtlingsfrage und im Hinblick auf die Wohnungsnot wird das Recht der Freizügigkeit für lange Jahre auf dem Papier stehenbleiben. Es hilft auch nichts, in den Übergangsvorschriften eine zeitlich begrenzte Suspension vorzusehen. Man kann die Entwicklung insoweit überhaupt nicht übersehen. Daher ist es vielleicht auch verfehlt, wenn im Entwurf von Herrenchiemsee jedem Deutschen die freie Wahl des Arbeitsplatzes zugesichert wird22). Auch mittelbar wird die Freizügigkeit eingeschränkt, zum Beispiel dadurch, daß in manchen Ländern die Arbeitsverpflichtung eingeführt ist, die den einzelnen oft zwingt, seinen Wohnort zu wechseln, wenn ihm ein bestimmter Arbeitsplatz zugewiesen wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Art. 98 der Bayerischen Verfassung hinweisen, der im Hinblick auf die Lage auf dem Wohnungsmarkt zwar die Unverletzlichkeit der Wohnung festlegt, aber hinzufügt, daß Einschränkungen durch Gesetz zulässig sind, wenn dies erforderlich erscheint. Der Gesetzgeber kann also jederzeit das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung beseitigen. Man sollte es also vermeiden, ein Grundrecht in die Verfassung aufzunehmen, wenn angesichts des gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Ausnahmezustandes auf lange Zeit hinaus mit weitgehenden Einschränkungen zu rechnen

zwingt

ist.

Darüber hinaus wird es sich empfehlen, in die Präambel einen Hinweis aufzunehmen, daß auch die echten, klassischen Grundrechte, die wir aufnehmen wollen, einer Beschränkung durch die Tatsache der Besatzung unterliegen. Der Herrenchiemseer Entwurf enthält eine ganze Reihe von Bestimmungen, die überhaupt nicht im vollen Umfang aktualisiert werden können, weil wir von den Besatzungsmächten abhängig sind. Eine moderne Verfassung gewinnt eigentlich erst durch die Grundrechte ihren typischen Charakter. Darauf hat besonders Friedrich Naumann hingewiesen23). Er brachte mit Recht zum Ausdruck, daß das Zeitalter des reinen liberalen Staates hinter uns liege, daß die Epoche des einzellebenden Individuums vorüber sei und wir in der Periode des sozialisierten Menschen, des Verbandsstaates leben. Gerade deshalb regte er an, eine Neuschöpfung der Grundrechte zu versuchen. Er schlug vor, in Gestalt der Grundrechte eine Erklärung des deutschen Volkes zustandezubringen, die die Grundlage für eine Gesellschaftsform schaffe, welche zwischen dem westlichen Kapitalismus und dem östlichen Kommunismus stehe. Damit gelangt er zu Grundrechten, die einen anderen Charakter tragen als die klassischen Grundrechte; denn sie sehen den Menschen nicht nur als Individuum, sondern auch als ein Wesen, das einer Gemeinschaft angehört. Ob wir derartige Grundrechte aufnehmen sollen, ist eine besondere Frage. Ich möchte sagen, die Zeit ist dazu nicht reif. Unsere Auffassungen sind darüber noch ebensowenig geklärt, wie sie es 1918 waren. Abgesehen davon, daß

22) Art. 16 ChE, s. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581 f. 23) Zur Arbeit von Friedrich Naumann an der WRV vgl. Anm. 36

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wir nicht

genügend Zeit haben, würde ein solcher Versuch genau wie 1918 leicht dazu führen, daß die Grundrechte einen höchst heterogenen Niederschlag verschiedener Parteiprogramme darstellen, ohne daß sich eine einheitliche Auffassung über die Substanz des neuen Staates oder der neuen Gesellschaft herausbildet. Von einem solchen Versuch möchte ich zur Zeit abraten. Das ist wohl auch die allgemeine Auffassung des Ausschusses. Ich möchte nur zur Erwägung stellen, ob gewisse Rechte wirtschafts- oder sozialpolitischer Art in der Weise berücksichtigt werden, indem man sie nicht als Grundrechte formt, sondern in einem anderen Teil der Verfassung, etwa in dem Abschnitt über die Gesetzgebung oder die Zuständigkeiten als Mindestauflagen oder als Beschränkungen für den Gesetzgeber aufnimmt. Man wird um eine solche Regelung schon mit Rücksicht auf gewisse Verfassungsartikel der Länderverfassungen nicht herumkommen. Ich denke an das hessische Betriebsrätegesetz, dessen Schicksal nach Auffassung der Militärregierung von der Regelung im Staatsgrundgesetz abhängig ist24). Durch eine solche Regelung käme der fragmentarische Charakter des Ganzen zum Ausdruck. Das Verhältnis von Grundrechtsteil und organisatorischem Teil der Verfassung wird ein anderes sein, wenn man sich auf die klassischen Grundrechte beschränkt oder eine umfassende Neuschöpfung der Grundrechte versucht. Wenn man einen deutlich nuancierten Staatstyp schafft, würde man sagen müssen, daß der materiellrechtliche Teil der Grundrechte dem organisatorischen Teil vorgeht. Wenn man dagegen nur wenige klassische Grundrechte in das Staatsgrundgesetz aufnimmt, dann werden diese Grundrechte keine andere Bedeutung haben als eine Beschränkung der Staatsgewalt. Sie würden den organisatorischen Teil der Verfassung in seiner Wirksamkeit einschränken. Ich glaube, daß man nach den gemachten Erfahrungen versuchen muß, Verfassung und Verfassungswirklichkeit einigermaßen in Übereinstimmung zu bringen. Allerdings wird auch dieses Ziel kaum in vollem Umfang erreicht werden. Bei der Betrachtung der einzelnen Grundrechte wird man an den Erfahrungen der Weimarer Zeit nicht vorübergehen können. Staatsrechtslehre und Rechtssprechung sind damals oft recht unerwünschte Wege gegangen. Wir müssen daraus die notwendigen Folgerungen ziehen. Ich erinnere hier an die Handhabung des Art. 114 der Weimarer Verfassung, der die Unantastbarkeit der persönlichen Freiheit garantiert. In dieser Vorschrift heißt es, daß die persönliche Freiheit nur auf Grund von Gesetzen eingeschränkt werden kann. Nun hätte es nahegelegen, anzunehmen, daß eine solche Einschränkung nur durch formelles Gesetz erfolgen könne. Aber es hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß „Gesetz" nicht in formellem Sinne zu verstehen sei, sondern jede Verordnung und auch das Gewohnheitsrecht umfasse. So ist diese Verfassungsbestimmung prak-

24) Das Hessische Betriebsrätegesetz wurde

am 26. Mai 1948 vom Hessischen Landtag beschlossen und trat am 1. Okt. 1948 in Kraft. Die US-Militärregierung suspendierte jedoch einzelne Bestimmungen zum Mitbestimmungsrecht. Vgl. Herbert Engler (Hrsg.) unter Mitarbeit von Kurt Thon und Bertold Brüning: Kommentar zum Betriebsrätegesetz für das Land Hessen, Offenbach/Bad Dürkheim 1949.

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ausgehöhlt worden. §10 II, 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts25) damit die Möglichkeit, in die persönliche Freiheit des einzelnen einzugreifen. Auch die Gesetzgebung der Länder hat sich dieses Recht angemaßt. So gab das preußische Polizeiverwaltungsgesetz die Möglichkeit der Inschutzhaftnahme2B). Der Herrenchiemseer Entwurf übersieht dies. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit sollte man darauf achten, daß eine Beschränkung der persönlichen Freiheit nur auf Grund eines formellen Gesetzes und nur kraft einer richterlichen Anordnung erfolgen kann. Das sind die wesentlichen Gesichtspunkte, die wir bei der Gestaltung der Grundrechte erwägen müssen. gab

[3. DISKUSSION VON EINZELFRAGEN: UMFANG DER AUFZUNEHMENDEN GRUNDRECHTE, PRINZIP: GRUNDRECHTE SOLLEN UNMITTELBARES RECHT SEIN,

GRUNDPFLICHTEN] Vors. Dr. von Mangoldt: Ich danke Herrn Zinn für seine Darlegungen, die uns einen zuverlässigen Überblick gegeben haben. Aus den beiden Referaten ergibt sich eine solche Fülle von Fragen, daß es

wohl zweckmäßig ist, die Probleme einzeln herauszugreifen und zu diskutieren. Vielleicht haben die Mitglieder des Ausschusses noch Fragen an die Berichterstatter. Für diesen Fall wäre es gut, sie gleich zu stellen und zu klären. Ich möchte nur vermeiden, daß die Debatte sich ins Uferlose verliert. Damit die Fragen zur Klärung beitragen können, empfiehlt es sich, sie zu präzisieren und zu formulieren. Heile: Wir sollten uns von vornherein darüber klar werden, ob wir uns nach dem Vorschlag der beiden Berichterstatter auf die echten Grundrechte beschränken oder aber einen ausführlichen Entwurf der Grundrechte vorlegen wollen. Zu meiner Freude hat Herr Zinn meinen alten und verehrten Lehrmeister Friedrich Naumann zitiert, mit dem ich bei der Schaffung der Weimarer Verfassung eng zusammen gearbeitet habe27). Ich meine, wir könnten uns die Auffassung Naumans durchaus zu eigen machen, daß die Verfassung, die wir auszuarbeiten haben, nicht bloß etwa im Sinne von Lassalle28) das Ergebnis eines Kampfes ist, eine fertige Machttatsache, die man nachträglich in Paragraphen faßt, sondern auch ein Instrument der staatsbürgerlichen Erziehung. Indem wir Grundrechte ausarbeiten und festlegen, geben wir zwar auch in besonders intensiver und eindrucksvoller Form den Lesern der Verfassung ein Bild vom Ineinandergreifen der Organe und Gewalten im Staate. Naumanns Idee 17 des Allgemeinen Preußischen Landrechts lautete: „Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung sowie zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren zu treffen, ist das Amt der Polizei." ;) Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 (GS, S. 77). ') Heile war während seines Studiums an der TH Hannover bereits Mitglied in dem von Friedrich Naumann gegründeten Verein Deutscher Studenten, später wirkte er in Berlin

') § 10 II,

im „Naumann-Kreis" mit. ') Ferdinand Lassalle, sozialdemokratischer Politiker (1825—1864). 38

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aber war es, die Verfassung so volksverständlich abzufassen, daß sie jedem Menschen in die Hand gegeben werden könnte. Er schlug vor, jeder Schüler sollte beim Abgang von der Schule ein Exemplar der Verfassung mit auf den Lebensweg bekommen, nachdem er vorher schon einen guten staatsbürgerlichen Unterricht genossen hatte, der ihn in den Stand setzte, die Verfassung auch zu verstehen. Er legte auf die Volksverständlichkeit der Grundrechte großes Gewicht. Ich meine im gleichen Sinne, wir sollten uns nicht auf die paar klassischen Sätze über die Freiheit des Bürgers usw. beschränken und sie noch einmal neu formulieren, sondern Grundrechte ausarbeiten, die unser so kompliziert gewordenes heutiges Leben umfassen. Schräge: Auch ich bin der Auffassung, daß man unter den heutigen Verhältnissen auf die Festlegung der Grundrechte in der Verfassung nicht verzichten kann. Die Grundrechte haben ihren Ursprung in der Freiheit der Persönlichkeit und in dem Schutz dieser Freiheit gegen den Eingriff des Staates und seiner Verwaltung. Wir wissen es ja: In der Zeit, die hinter uns liegt, hat man die Grundrechte nicht beachtet, und man ist über sie einfach hinweggegangen. Die Persönlichkeit und die Würde des Menschen bedeuteten eben nichts mehr. Daher sollte man heute in der Erinnerung an jene dunkle Zeit die Grundrechte in der Verfassung wieder verankern, und zwar mit der nötigen Betonung. Richtig ist aber auch, daß wir in einer anormalen Zeit leben. Wir sind ein armes Volk. Unsere wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Unter solchen Bedingungen kann man in die Verfassung keine Rechte aufnehmen, die schließlich nur zu Illusionen verleiten. Ich erinnere mich an eine ganz heftige Auseinandersetzung, die ich in den 20er Jahren, als wir von einer Krise in die andere taumelten, über die Auslegung des Grundrechtes des Schutzes der Familie führte. Ich entsinne mich des Wortlautes der einschlägigen Bestimmung der Weimarer Verfassung nicht mehr, aber jedenfalls wurde behauptet, daß der Lebensunterhalt der Familie vom Staate gesichert sei29); der Staat habe in erster Linie die Pflicht, den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen. Da gab es Menschen, die daraus den Schluß zogen, der Staat müsse für den Unterhalt der Familie sorgen, auch wenn der Familienvater sich nicht restlos für sie einsetze. Man sollte also keine Grundrechte festlegen, die unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen falsche Hoffnungen erwecken und zu falschen Schlußfolgerungen verlocken. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Erörterung hat schon zu einem Punkt geführt, der praktisch in einem späteren Stadium behandelt werden sollte. Vielleicht nimmt Herr Blomeyer noch zu den grundsätzlichen Fragen Stellung. Blomeyer: Ich möchte zu den beiden F.eferaten nur das eine sagen: Der Gesichtspunkt, daß die Grundrechte zum Teil noch nicht, zum Teil noch nicht voll verwirklicht werden können, sollte uns nicht daran hindern, sie trotzdem in die Verfassung aufzunehmen. Dies gilt besonders für unser Verhältnis zu den Besatzungsmächten. Da kann es nur zweckmäßig sein, auch in der Verfassung unse-

29) Gemeint ist WRV, Art. 119:.Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge." 39

Nr. 4 re

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Forderungen, zu

stellen.

21.

unsere

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unabdingbaren

Rechte den

Besatzungsmächten

vor

gen Vors. Dr.

Au-

von Mangoldt: Damit wir bald zu festen Beschlüssen kommen, möchte ich einige der wichtigeren Fragen präzisieren. Wir haben vorhin gehört: Bismarck hatte die Auffassung, man solle die Aufnahme der Grundrechte in die Verfassung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs unterlassen; diese solle den Ländern überlassen bleiben. Dies ist eine Frage, die eine grundsätzliche Entscheidung erfordert. Ich glaube als Auffassung des Ausschusses annehmen zu können, daß die Grundrechte gerade in das Grundgesetz des Bundes gehören. Dr. Heuss: Das wollte auch ich feststellen. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir können also folgenden ersten Beschluß fassen: Der Ausschuß hält es für grundsätzlich erforderlich, daß die Grundrechte in das Grundgesetz des Bundes kommen und nicht nur in die Verfassungen der Länder. Eine ausführliche Begründung dazu ist nicht notwendig; die Erfahrungen der Vergangenheit sprechen dafür. Weiter ist richtig ausgeführt worden, daß die Grundrechte vielfach als Rechte anzusehen sind, die vor der Verfassung stehen. In der allgemeinen Aussprache im Plenum wurde wiederholt gefordert, daß wir zum Naturrecht zurück müßten30). Dieser Ruf: Zurück zum Naturrecht! besagt: Vor dem geschriebenen Gesetz gibt es Rechtssätze, die, ohne geschrieben zu sein, allgemein bindenden Charakter haben. Vielfach hat man die Grundrechte nicht in die Verfassungen aufgenommen, weil man sagte, diese ungeschriebenen Rechtssätze lebten unmittelbar im Volke, im Volksbewußtsein, seien Allgemeingut, und deshalb brauche man sie nicht zu fixieren. Gerade die jüngere Vergangenheit hat uns aber gezeigt, wie notwendig es ist, solche Grundrechte dem Volke ins Gedächtnis zurückzurufen, indem man sie in der Verfassung verankert. Man hat in der allgemeinen Aussprache im Plenum mehrfach gesagt, in den Grundrechten sei etwas festgelegt, was dem Naturrecht angehöre; damit verankre man etwas, was vorverfassungsrechtlich sei. Ich möchte nun gern die Auffassung des Ausschusses feststellen, ob es sich empfiehlt, die vorverfassungsrechtlichen Grundrechte von den anderen zu trennen. Eine solche Trennung ist schwierig. Vielleicht kann man in Anlehnung an die Festlegung der Weistümer des Mittelalters sagen: der Verfassungsgesetzgeber stellt hier Sätze auf, die nichts weiter als den Gehalt dieses vorverfassungsrechtlichen Rechts wiedergeben, aber in Zukunft eine wirksamere Bindung für den einfachen Gesetzgeber darstellen, indem diese Sätze nur in der Form eines Zweidrittelmehrheit-Beschlusses der gesetzgebenden Versammlung geändert werden können. Wir müssen uns nun entscheiden, ob wir im Hinblick auf die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit solche vorverfassungsrechtlichen Sätze aufnehmen wollen. Ich würde die Frage bejahen und in dieser Richtung keine Schranke annehmen. Erhebt sich Widerspruch? Dann darf ich das als zweiten Beschluß des Ausschusses feststellen. —

30) Vgl. die 40

3.

Sitzung des Plenums vom

9.

Sept. 1948; Sten. Berichte, S. 40-57.

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Nun hat Herr Zinn mit Recht betont, diese vorverfassungsrechtlichen Sätze seien so allgemein gehalten, daß sie verhältnismäßig wertlos sind, weil sie wegen der Weite ihrer Fassung für den konkreten Fall nicht faßbar sind. Diese Feststellung muß sich dann wie folgt auswirken: Sie bringt für uns die Notwendigkeit mit sich, diese Sätze zu konkretisieren, schärfer zu fassen, klarer zu präzisieren, was wir schützen wollen. Ich erinnere an die Forderungen nach Freiheit, Gleichheit, Sicherheit. Art. 21 des Herrenchiemseer Entwurfs31) kommt zu dem Ergebnis, daß diese Freiheitsrechte ihre Grenze in den Notwendigkeiten der Gemeinschaft haben. Für den Juristen, besonders den Verwaltungsjuristen erhebt sich da sofort die Frage, ob damit diese Freiheitsrechte nicht schon in ihrer absoluten Geltung und allgemeinen Wirkung von Grund aus angegriffen sind. Wir Juristen denken dabei sofort an den Begriff der „Polizei". Ohne Polizei ist ein geordnetes staatliches Leben nicht möglich. Wenn wir nur solche allgemeinen Sätze aufstellen, müssen wir also gleichzeitig sagen, daß von den damit gewährten Rechten nur im Rahmen des Gesetzes Gebrauch gemacht werden kann. Nun kenne ich die allgemeine Abneigung, etwas Derartiges zu tun. Man sagt, die Grundrechte, die da aufgestellt werden, werden auf diese Weise vollkommen wertlos. Aus dieser Schwierigkeit führt nach der Staatsrechtslehre nur eine

Möglichkeit

heraus: indem

man

auf den einzelnen Gebieten die Freiheitsrechte

konkretisiert, also als besondere Freiheiten Freiheit der Meinungsäußerung, Freiheit der Religionsausübung usw. gewährt. So haben die Bills of Rights32) die Freiheitsrechte konkretisiert. Eine Festlegung allgemeiner Freiheitsrechte nützt uns nichts; wir müssen also, um zu einer wirklichen Sicherung des einzelnen Staatsbürgers zu kommen, die Freiheitsrechte aufgliedern, konkretisieren. Wir müssen in die Einzelheiten hineingehen, also einen Katalog aufstellen. Darin liegt auf der anderen Seite eine gewisse Gefahr. Und hier ist gleich noch auf einen anderen Punkt einzugehen, der zeigt, wie sehr die Aufstellung der Grundrechte mit der Frage der Vorläufigkeit und Endgültigkeit der Verfassung zusammenhängt. Die Sätze, die wir niederlegen, sollen natürlich dauernd sein. Ich erinnere in dem Zusammenhang an das Wort, das Herr Dr. Heuss im Plenum gesagt hat33). Andererseits wird das Grundgesetz, das wir schaffen, insofern provisorisch sein, als es sich nicht das Ziel setzen wird, einen Grundrechtskatalog in der ausgebauten Form zu geben, wie ihn eine Vollverfassung machen würde. Das scheint mir im Augenblick nicht unsere Aufgabe zu sein. Wir müssen also zu der Frage, ob das, was wir machen, etwas Provisorisches ist, Stellung nehmen. Das bedeutet, daß wir es nicht als unsere Aufgabe ansehen, einen Grundrechtskatalog aufzustellen, wie ihn eine Nationalversammlung bei der Schaffung einer vollausgebauten Verfassung machen

31) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. 32) Bill of Rights vgl. Anm. 7. 33) 3. Sitzung des Plenums vom

9.

Sept. 1948; Sten. Berichte S. 41 : „Wir weichen dabei dem

.Verfassung' aus und wir sagen sehr oft zu dem, was wir machen wollen, .provisorisch', weil wir spüren, zum einen, daß uns das Pathos der freien Entscheidung mangelt, und weil wir zum anderen nur ein Teil-Deutschland personell in unseren Reihen, an unseren Verantwortungen beteiligt fühlen." Wort

41

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würde. Auch das würden wir in der Form eines Beschlusses festzulegen haben. Ich möchte anregen, daß sich bis zur nächsten Sitzung zwei oder drei Herren zusammensetzen und uns Formulierungen vorlegen, zu denen der Ausschuß Stellung nehmen kann. Wir wollen also davon absehen, jene Grundrechte, die man als vorverfassungsrechtlich auffassen kann, gesondert zu behandeln. Allerdings laufen wir damit eine gewisse Gefahr, zu große Allgemeinheiten zu sagen. Dem müssen wir dadurch abhelfen, daß wir die gewährleisteten Rechte in ihren Auswirkungen näher zu umschreiben, sie zu konkretisieren suchen. Zinn: Wir können das nicht in der Form machen, wie es im Herrenchiemseer Entwurf geschieht, der in seinem Art. 21 Abs. 3 sagt: Die Grundrechte sind, soweit sich aus ihrem Inhalt nichts anderes ergibt, im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen. Eine ähnliche Einschränkung in der Weimarer Verfassung in Art. 118 hat 1927 zu einer lebhaften Diskussion auf einer Tagung der Staatsrechtslehrer geführt34). In den Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung fallen Strafgesetze, Polizeigesetze, Pressegesetze, Gewerbeordnung usw. Man kann also mit jedem Gesetz die Grundrechte aus den Angeln heben und aushöhlen. Es ist ein falscher Weg der Konkretisierung, wenn man auf Gesetze verweist, die jeder Gesetzgeber nach eigenem Ermessen erlassen kann. Heile: Wenn wir bloß feststellen wollen, was zur Zeit praktisch rechtens ist, dann brauchen wir unsere Arbeit überhaupt nicht zu beginnen. Was wir vielmehr tun können und sollen, ist, daß wir uns auf eine Ideologie einigen. Die Frage ist: Was soll rechtens sein? Wir können uns nicht damit begnügen, festzustellen, was rechtens ist, sondern wir müssen sagen, was wir wünschen, daß rechtens werden soll. Zu diesem Zweck müssen wir einen Katalog aufstellen. Wir müssen ein Ideal aufstellen, das allen Menschen vor Augen gehalten werden kann, damit sie sich bemühen, ihr Leben danach zu gestalten. Dr. Eberhard: Ein gutes Beispiel für eine Konkretisierung scheint mir Art. 3 Abs. 2 und 3 des Herrenchiemseer Entwurfs zu geben35). Wenn wir schon zu einem umfangreichen Katalog kommen wollen, dann bin ich sehr für ein systematisches Vorgehen. Vors. Dr. von Mangoldt: Ehe wir uns darüber schlüssig werden, welche Grundrechte wir in die Verfassung aufnehmen wollen, müssen wir die Begriffe klären. Was sind klassische Grundrechte36)? Wir müssen zuerst klarstellen, was wir darunter verstehen.

34) Veröffentlichungen der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 4:

Das Recht der freien MeiGesetzes in der Reichsverfassung. Berichte von Rothenbücher, Rudolf Smend, Hermann Heller und Max Wenzel. Verhandlungen der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu München am 24. und 25. März 1927. Berlin und

nungsäußerung,

der

Begriff des

Leipzig 1928. 35) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580. Bei den benannten Paragraphen des ChE ging es um die Verhaftung und die Vorführung von Verhafteten vor einen Richter. 36) In der Fraktionssitzung der CDU/CSU vom 28. Sept. 1948 wurde nach einem Bericht durch v. Mangoldt über die Arbeit des AfG gebilligt, „daß in das Grundgesetz nur die klassischen Grundrechte aufgenommen werden sollen" (vgl. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 31).

42

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Ich darf vorher aber noch eine Frage allgemeiner Natur anschneiden: Sollen wir die Grundrechte in einen besonderen ersten Teil nach dem Vorbild des Herrenchiemseer Entwurfs festlegen? Oder sollen wir in der Form vorgehen wie die französische Verfassung von 1946, welche die Grundrechte nur in die Präambel aufnahm37)? Diese Folge ist praktisch schon entschieden. Wir dürfen nicht einfach vorverfassungsrechtliche Normen aufstellen, sondern wir müssen sie konkretisieren. Wenn wir sie aber konkretisieren, dann würde die Präambel so groß und umfangreich werden, daß sie Gefahr liefe, auseinanderzufallen. Entsprechend unserem ersten Beschluß müssen wir also wie der Herrenchiemseer Entwurf für die Grundrechte in unserem Verfassungswerk einen besonderen Teil vorsehen, über dessen Stellung im System des Ganzen man später

noch reden und entscheiden kann. Im Zusammenhang damit taucht ein anderes sehr wichtiges Problem auf. Es ist die Frage, die praktisch schon entschieden ist, aber noch besonders festgelegt werden sollte: Sollen die Grundrechte unmittelbar geltendes Recht sein oder sollen sie nach der Anregung des Herrn Heile nur ein Programm sein? Heile: Sie sollen unmittelbar geltendes Recht sein. Das heißt, sowohl der Gesetzgeber wie der Richter wie die Verwaltung sollen an dieses Recht gebunden sein, und der einzelne Betroffene soll wegen eines solchen Rechtes auch einen Prozeß führen können. Vors. Dr. von Mangoldt: Ich kann also die Auffassung des Ausschusses in folgender Form festlegen: Die Grundrechte sollen unmittelbar geltendes Recht sein. Sie sollen nicht nur die Verwaltung und Rechtsprechung, sondern auch den Gesetzgeber binden. Das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen. Ursprünglich war bloß an eine Bindung der Verwaltung und der Rechtsprechung gedacht worden. Wenn nun auch an eine Bindung des Gesetzgebers gedacht wird, so ergibt sich daraus für uns die Notwendigkeit, auf die Formulierung besondere Aufmerksamkeit zu verwenden. Über diese Vorfragen müssen wir uns völlig klar sein, ehe wir in unserer Arbeit fortfahren. Wir legen also als 5. Beschluß fest: Die Grundrechte sollen nicht nur die Verwaltung und Rechtsprechung, sondern auch den Gesetzgeber binden. Dr. Heuss: Ich möchte ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen. In die Präambel kann man die Grundrechte nicht hineinnehmen. Man kann das Beispiel der französischen Verfassung von 1946 nicht nachahmen, weil wir auf die Gesetzgebung der Länder Rücksicht zu nehmen haben. Dieser Umstand hat schon den Katalog von Frankfurt38) entscheidend charakterisiert. Wir brauchen eine Anweisung nicht bloß an Bundesgesetze, sondern auch an die Länderge-

setzgebung.

von Mangoldt hat vorhin gemeint, wir müßten irgendwie den provisorischen Charakter des Grundgesetzes, das wir schaffen, anerkennen. Nun, ich glaube, das können wir nicht. Wir können das Werk in seiner Totalität als provisorisch ansehen, wobei ich den Ausdruck „provisorisch" als eine geographische Angelegenheit betrachten möchte. Aber man kann die Grundrechte nicht

Herr Dr.

37) Vgl. 38) Vgl.

Anm. 16. Anm. 9. 43

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als

provisorisch ansehen, sondern diese müssen den Ewigkeitsgehalt irgendwie tragen, um überhaupt eine innere Rechtfertigung zu haben. Heute von Freizügigkeit zu sprechen, ist nicht angemessen. Aber wenn man über Grundrechte spricht, dann muß man ihnen schon das Pathos des Dauernden geben. Man hat heute viel vom Vorverfassungsrecht, von Naturrecht gesprochen. Wir in sich

sollten das nicht allzu stark betonen. Ich habe vor dem Naturrecht allen ihm gebührenden Respekt. Aber das Naturrecht ist wohl mehr eine moralisch-pädagogische These. Man kann ein Naturrecht nicht einklagen. Man muß auch die naturrechtlichen Grundpositionen in eine Form bringen, die zwar nicht die Enge, wohl aber die Klarheit des Juristischen hat. Wir werden bei zahllosen Formulierungen vor der Frage stehen, wie die Ordnung im einzelnen zu gestalten ist. Wir werden die Juristen, den Gesetzgeber, die Rechtsprechung und die Verwaltung ansprechen; gleichzeitig wollen wir aber auch den Bürger als solchen ansprechen. Wir stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen juristischer Formulierung und moralisch-politischer Deklaration. Es gilt, die Dinge zu konkretisieren. Herr Dr. Eberhard hat die Fassung des Art. 3 Abs. 339) des Herrenchiemseer Entwurfs als ein Musterbeispiel der Konkretisierung angesehen. Ich möchte vorschlagen, die Konkretisierung zwar in die Verfassung aufzunehmen, sie aber nicht in den Abschnitt der Grundrechte zu stellen. Es hat mich bei der Lektüre zahlreicher Verfassungen immer wieder gekränkt, daß da von der Freiheit der Person gesprochen wird, und unmittelbar dahinter wird bestimmt, daß ein Verhafteter 24 oder 48 Stunden später dem zuständigen Richter vorzuführen ist, und dergleichen mehr. Diese Bestimmungen stammen aus dem Widerstand gegen die Praxis des Hauses Stuart in England. Ich bitte dringend darum, das Deklaratorische und Rechtsverbindliche in der Darstellung der Grundrechte nicht durch die Anführung technischer Details abzuschwächen. Diese Details sollte man an anderer Stelle bringen. Kurz, ich möchte den Bekenntnischarakter des Grundrechtsteils möglichst rein gewahrt wissen. Es ist meine Impression, daß wir uns bei unserer Arbeit vielleicht allzu sehr von anderen Faktoren abhängig machen. Wir sollten uns davon möglichst frei halten. Ich finde, der Herrenchiemseer Entwurf tut gar nicht klug daran, wenn er die Freizügigkeit wegläßt, wenn er die Auswanderungsfreiheit nicht erwähnt. Die Auswanderergesetze, die Freizügigkeitsgesetze haben ihren Ursprung in der Bindung an den Boden, im Kampf um das Recht, weggehen, auswandern zu dürfen, ein Recht, das der Grundherr gewähren mußte, für dessen Erteilung man ihm sogar Abgaben zahlen mußte. Der Kampf um die Zuzugsgenehmigung war damals kein Motiv. Diese Rechte wollen wir heute anerkennen mit dem Anspruch und der Festlegung der Freizügigkeit und der Auswanderungsfreiheit. Diesen Anspruch wollen wir dem Bürger geben gegenüber der Allmacht der staatlichen Organisation. Wenn wir damit auch nicht ein einklagbares Recht schaffen, so wollen wir doch einen Anspruch schaffen, der im Grundgesetz steht und dort seine Begründung findet.

39) Vgl. Anm. 44

35.

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Wir werden in der Diskussion sicher noch näher auf die klassischen Grundrechte eingehen. Es ist immerhin interessant, daß die Herren Dr. Bergsträsser und Zinn sich auf die klassischen Grundrechte zurückgezogen haben. Ich habe vor dem Naumannschen Versuch die größte Hochachtung. Es ist der Versuch einer geschichtlichen Deutung der Lage, in der er damals Deutschland und Europa sah. Ein Mann mit seiner Phantasie und Schau konnte das machen. Wenn man aber seinen Versuch isoliert betrachtet, dann war er eben bloß eine Deutung der geschichtlichen Entwicklung, um so das deutsche Volk unmittelbar anzusprechen. Heute haben wir die furchtbaren Erfahrungen der Vergangenheit, daß man in diesen Dingen nicht weitergekommen ist. Die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge sind undurchsichtig, die seelischen Faktoren sind so verwirrt40), daß wir Gefahr laufen, mit Wortgespinsten hinter einem Schicksal herzulaufen. Ich bin sehr dafür, daß wir in diesen Fragen bescheiden sind. Es wird kritische Auseinandersetzungen geben. Ich sehe große rechtspolitische Schwierigkeiten. Die Länderverfassungen wurden geschaffen. Ich habe mich gegen ihr Ausmaß gesträubt. Aber die Leute konnten nicht genug große Verfassungen machen. Ich hatte das Gefühl, daß der Augenblick gar nicht die Voraussetzungen für eine innere gesetzgeberische Kraft mitbrachte. Wir waren gezwungen und sind es auch heute noch. Wir müssen mit der Denkfaulheit, der inneren Verschleimung, der moralischen Gleichgültigkeit rechnen, die das Naziregime den Menschen gebracht hat. Wir müssen die Individualrechte, die Verbandsrechte in die Verfassung hineinnehmen; die Verbandsrechte am besten unter die Vereinigungsfreiheit. Man kann in eine Verfassung ganze Parteiprogramme hineinlegen. Die hessische Verfassung ist wunderbar41); sie ist eine Rededisposition42) für Leute, denen selber nichts einfällt. Auf dem Wege kommen wir nicht weiter. Ich neige dazu, einen Katalog der klassischen Grundrechte aufzustellen. Ich möchte aber dringend wünschen, Probleme wie Bodenreform und Recht auf Heimstätte aus den Grundrechten herauszulassen43), denn wir schaffen dafür heute nicht die rechtsverbindliche Form. Die muß in der Sondergesetzgebung erarbeitet werden. Vors. Dr. von Mangoldt: Es wird gut sein, daß wir klarstellen, wo die Meinungen auseinanderzugehen scheinen. Was den provisorischen Charakter des Grundgesetzes angeht, so bin auch ich der Auffassung, daß das, war wir als klassische Grundrechte bezeichnen, unbedingt in die Verfassung hinein muß. Andererseits müssen wir aber auch wieder, wie richtig ausgeführt wurde, bescheiden sein in dem, was wir aufnehmen. Gerade darin liegt das Provisorische unserer Arbeit an dem Verfassungswerk. Manche Entwicklungen können wir heute noch gar nicht übersehen, und insoweit wäre es falsch, uns in allgemeinen Sätzen für die Zukunft festzulegen. Das wäre übrigens auch ganz unmög-

lich. 40) 41) 42) 43)

Handschr.

Verfassung

korrigiert

aus

„unmittelbar".

des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946. Handschr. korrigiert aus „etwas". Das Folgende handschr. hinzugefügt von Heuss. 45

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wichtige Frage ist ferner das Verhältnis der Bundesverfassung zum Verfassungsrecht der Länder. Das Verfassungsrecht der Länder bindet die gesetzgebende Versammlung des Bundes nicht. Die Dinge sind aber im Augenblick noch nicht reif. Wir könnten einen Grundrechtskatalog wie den von Weimar gar nicht erarbeiten. Was das Verhältnis zum Verfassungsrecht der Länder angeht, so steht fest, daß das Verfassungsrecht der Länder den Bund nicht bindet, auch die gesetzgebende Versammlung des Bundes nicht. Wir tun im übrigen nicht schlecht daran, wenn wir für die gesetzgebende Versammlung eine gewisse Vorarbeit für die Feststellung eines endgültigen erweiterten Grundrechtskatalogs leisten. Der gesetzgebenden Versammlung bleiben damit immer noch alle Möglichkeiten offen, einen endgültigen Grundrechtskatalog aufzustellen. Es ist nun ausgeführt worden, praktisch sei das, was wir in den Grundrechtskatalog aufnähmen, noch keine eigentliche Entscheidung über den Inhalt der Verfassung. In gewissem Sinn ist es aber doch eine Entscheidung, die Entscheidung für ein freiheitlich gestaltetes, Schutz und Förderung der Persönlichkeit dienenEine

des Staatswesen, in dem der Inhalt jener Gedanken von Freiheit, Gleichheit und Sicherheit die ganze Staatsform bestimmt, ihr seinen Stempel aufprägt. Wie gesagt, wir müssen bescheiden sein, und Herr Zinn sagte mit Recht, es handle sich hier wohl noch nicht um eine endgültige Entscheidung. Einen Grandrechtskatalog für die zukünftige Ausgestaltung der kulturellen und wirtschaftlichen Lebensordnungen können wir z. Zt. noch nicht schaffen. Es wäre gut, festzustellen, ob in dieser Hinsicht im Ausschuß Übereinstimmung be-

steht. Heile: Ich will nur ein konkretes Beispiel herausgreifen: Das Grundrecht der Freizügigkeit. Darauf können wir nicht verzichten, bei aller Kümmerlichkeit, in der wir leben. Das ist das A und O dessen, was notwendig ist. Vors. Dr. von Mangoldt: Zunächst handelt es sich um die Grundsätze über die Organisation der Wirtschaft, und da sehen wir in einer Festlegung im Grundgesetz heute eine Gefahr. Es ist zweifelhaft, ob wir überhaupt zu der überwältigenden Mehrheit kommen, die wir für unsere provisorische Verfassung unbedingt brauchen. Heile: Von deutscher Seite aus jedenfalls dürfen wir die Freizügigkeit nicht unterbinden; wir müssen vielmehr für sie eintreten. Die Frage ist lediglich, ob wir das Grundrecht der Freizügigkeit gegenüber Gewaltakten von außen her durchsetzen können. Paul: Bei aller Bescheidenheit, die wir bei der Abfassung der Grundrechte walten lassen, müssen wir doch nach den Lehren der Vergangenheit einige wichtige Grundsätze beachten. Ich denke doch, daß die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit nicht ganz spurlos an uns vorübergegangen sind. Niemals sollten wir außer acht lassen, daß die Hitlerdiktatur der Ausfluß des Machtstrebens bestimmter Gruppen in Deutschland war, nämlich jener Gruppen, die ihre Organisationsform in den deutschen Monopolen und Trusts fanden. Daher müßten wir in der Verfassung trotz der Ungeklärtheit der wirtschaftlichen Situation zu solchen Organisationen Stellung nehmen. Dies bedeutet, daß wir auch in der Verfassung ganz klar und eindeutig festlegen: Monopole und Trusts werden nicht mehr geduldet, und Organisationen dieser Art müssen verboten sein. 46

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Wenn wir die

politischen Freiheitsrechte und den schönen Satz, daß alle Menschen gleich sind, proklamieren, dürfen wir doch nicht vergessen, daß wirtschaftliche Macht einen sehr starken Einfluß auf die politischen Rechte und Freiheiten der Menschen ausübt. Ich denke, wir können nicht auf die Aufnahme bestimmter Rechte der breiten Massen der Bevölkerung verzichten, z. B. des Mitbestimmungsrechts der Schaffenden durch die Betriebsräte und Gewerkschaften. Man hat gesagt, die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Wirtschaft solle eine Angelegenheit des Bundes sein. Wenn wir nach einer Rechtsgleichheit streben, so sollte man doch den Versuch machen, sie auch herzustellen. Bei aller Bescheidung sollte man das Recht der Arbeiter auf Mitbestimmung in der Wirtschaft in der Verfassung verankern; sonst bleibt diese weit hinter der Weimarer Verfassung zurück. Es ist für den Ausschuß eine grundsätzliche Entscheidung, ob wir noch hinter der Weimarer Verfassung zurückbleiben wollen, oder aus den bitteren Erfahrungen in der Vergangenheit Notwendigkeiten ziehen. Bei aller Armut und Beschränktheit in unserem Tun und Lassen kann man es nicht zulassen, die Freizügigkeit des Arbeiters in der Wahl seines Berufs und seines Arbeitsplatzes zu beschneiden. Gewiß, wir kennen die Beschränkungen in der Freizügigkeit und wir kennen die Hemmungen, die der Durchsetzung des Grundsatzes des Rechtes auf Wohnung entgegenstehen. Trotzdem sollte man in der Verfassung festlegen, daß diese Rechte unverletzbar und unabänderlich sind. Im übrigen darf man die Verfassung nicht bloß nach ihrem gegenwärtigen zeitlichen Standort messen. Wir müssen in der Verfassung Ziel und Richtung weisen. Eine Verfassung, die nur deklaratorischen Charakter hat, wird keinen Widerhall im Volke finden und vom Volke nur als mehr oder weniger schöne Literatur empfunden. Die Verfassung soll neue Gedanken enthalten und nicht nur das festhalten, was bereits ist. Wir dürfen nicht einfach bei den alten überlebten Anschauungen bleiben. Es wäre noch viel zum Herrenchiemseer Entwurf zu sagen. Wir sollten vielmehr über den Tag hinaus arbeiten. Um Mißgriffe bei der Auslegung der Verfassung zu vermeiden, müssen wir uns den Text genau ansehen und nach sehr scharfen und guten Formulierungen suchen. Ich wiederhole: Bei aller Not, Unsicherheit und Zerrissenheit sollten wir die Verfassung fortschrittlich gestalten. Keine Verfassung hat Ewigkeitswert, und jede Verfassung hat nur innerhalb einer bestimmten gesellschaftlichen Periode

Gültigkeit.

Dr. Heuss: Die amerikanische

Verfassung funktioniert seit 180 Jahren. Paul: England hat überhaupt keine Verfassung, sondern nur Gesetze. Es kennt keine geschriebene Verfassung wie wir in Deutschland. Wir sollten uns darüber klar sein, daß man eine Verfassung nach der jeweiligen gesellschaftlichen Situation und von dem richtigen geistigen Standort aus anlegen und entwickeln muß. Unser heutiger Standort ist nicht mehr der des Jahres 1918. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Debatte zeigt immer mehr, daß einer der wichtigsten Punkte, über den wir zu entscheiden haben, der ist, wieweit wir den Umkreis der Grundrechte ziehen wollen. Hier müssen wir unbedingt ins Konkrete gehen. Wo Zweifel auftauchen, empfiehlt es sich wohl, daß sich die Fraktionen 47

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einschalten, nachdem wir uns über unsere Auffassungen auseinandergesetzt haben. Erst dann können wir mit unserer Ausschußarbeit fortschreiten. Zunächst müssen wir uns klar werden über die Grundrechte, die wir in das Grundgesetz aufnehmen wollen. Erst wenn Klarheit darüber besteht, können wir sie formulieren. In der Frage der Konkretisierung ergab sich ein gewisser Zwiespalt; in mancher Hinsicht zeigten unsere Auseinandersetzungen auch einen gewissen Zug zu zu starker Verallgemeinerung. Gegen sie bestehen nun starke juristische Bedenken. Wenn wir bei Formulierung der Grundsätze zu sehr im allgemeinen stecken bleiben, kommen wir nicht darum herum zu sagen, daß die gewährten Rechte nur im Rahmen des Gesetzes uns zustehen. Es ist unbedingt erwünscht, die Auswanderungsfreiheit und die Freizügigkeit in die Verfassung aufzunehmen. Es gibt da nur einen Weg, der aus den Schwierigkeiten herausführt: daß man in der Präambel den Geist dieses Verfassungswerks durch einen Hinweis auf die von ihm gewährleisteten Grundrechte der Freiheit, Gleichheit und des Eigentums ganz allgemein kennzeichnet, in dem besonderen Grundrechtsteil dann aber diese Rechte mehr konkretisiert. Dr. Pfeiffer: Wir sollten noch einmal klarstellen, über welche Grundrechte wir uns einig sind. Es besteht Klarheit darüber, daß sie nicht in die Präambel kommen sollen; vielmehr gehen wir davon aus, daß die Grundrechte unmittelbar geltendes und anwendbares Recht sind; sie sollen auch den Gesetzgeber binden. Dagegen sollten wir es der weiteren Aussprache und der Detailberatung überlassen, wie weit wir konkretisieren müssen, wie weit der Katalog vollständig werden kann und wo wir aufhören müssen. Jedenfalls müssen wir von dem Gedanken ausgehen, daß wir das Bestmögliche schaffen sollen und wollen. Die Begrenzungen werden sich von selbst ergeben. Einen Beschluß darüber, daß wir konkretisieren müssen, brauchen wir gar nicht. Wir sollten uns an einen Katalog halten, wie Herr Dr. Bergsträsser ihn uns angeboten hat. Zum Herrenchiemseer Entwurf folgendes: Dieser Abschnitt war der schwierigste Teil unserer Arbeit. Es brannten uns sehr viele konkrete Fragen auf den Nägeln, und die Zeit, die wir zur Verfügung hatten, war sehr knapp. Gerade auf diesem Gebiet war man sich bewußt, daß man eine Grundlage schaffen und auf den Tisch legen müsse, an der die Kritik sich entzünden kann. Ich habe schon einmal darauf hingewiesen, daß die Auseinandersetzung über diese Dinge in Herrenchiemsee nicht abgeschlossen werden konnte. Die Aussprache darüber wird weiter gehen als in Herrenchiemsee. Ich bin überzeugt, unsere Beratungen hier werden noch wertvollere Ergebnisse zeitigen als die Arbeit von Herrenchiemsee. Die Autoren von Herrenchiemsee wollten nur etwas hinlegen, weil sie selber sahen, daß in den paar Tagen, die man dort zur Verfügung hatte und die noch dazu kalendermäßig unmittelbar aufeinanderfielen, kein Mensch imstande war, dem Stoff gerecht zu werden, zumal die Beratungen oft nur durch wenige Stunden getrennt waren. Blomeyer: Herr Dr. Bergsträsser hat uns vorhin über die historische Entwicklung der Grundrechte berichtet. Wir sind uns klar darüber, daß die historische Entwicklung heute weiter ist als 1918. Der Mensch steht heute nicht nur dem 48

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sondern auch den Bedingtheiten der wirtschaftlichen Entwickdenen er unterworfen ist. Aus dieser erweiterten Situation ergeben sich soziale und wirtschaftliche Rechte und Pflichten, die wir zweckmäßig formulieren sollten, ohne damit ein Programm auszusprechen. Mit einem Programm würden wir uns auf ein zu schwieriges Gebiet begeben. Unsere Fassung soll einen deklaratorischen Wert haben, der den Gegebenheiten entspricht. Zinn: Die Freizügigkeit ist ein ausgesprochen klassisches Grundrecht. Es ist aber, wie ich vorhin schon sagte, auf Generationen hinaus praktisch kaum realisierbar. Man sollte bei jedem klassischen Grundrecht untersuchen, wie weit es sich realisieren läßt. Es ist auch richtig und damit knüpfe ich an das an, was Friedrich Naumann gesagt hat : Wir leben nicht mehr in einem rein liberalistischen Staat; wir betrachten den Menschen nicht mehr nur als Individuum, sondern zugleich als Teil einer Gemeinschaft. Der Kulturmensch wäre nicht möglich, wenn er sich nicht in einer Gemeinschaft entwickelt hätte. Deshalb kommen wir auch um die Regelung gewisser Fragen nicht herum, die das Bild der Wirtschaft bestimmen. Ich denke da an das Verbot wirtschaftlicher „Macht"-Zusammenballungen. Wir müssen uns auseinandersetzen mit der Frage der Sozialisierung des Ruhrbergbaus44). Wir können unseren Bau nicht in die Luft hineinkonstruieren. Es gibt auf diesem Gebiet ganz bestimmte konkrete Fragen. Zuzugeben ist, daß die Stellung des Arbeitnehmers heute ganz anders ist als früher. Es ist insoweit eine Verschiebung eingetreten. Man kann und darf das alles aber nicht in einen Grundrechtskatalog einbauen. Dr. Heuss: In Weimar war von Grundrechten und Grundpflichten die Rede. Bei den Grundpflichten taucht das Problem der Stellung des einzelnen in der Gemeinschaft auf. Vors. Dr. von Mangoldt: Diese Grundpflichten sind zum ersten Mal in der französischen Verfassung von 1795 aufgetaucht45). Es ist die Frage, ob wir uns überhaupt darauf einlassen sollen, sie aufzunehmen. Ich befürchte da große Schwierigkeiten. Vielleicht sollten wir den Ausdruck „Grundpflichten" überhaupt vermeiden. Beim Eigentum insbesondere taucht die Frage der Verpflichtung des Eigentümers auf, sich bei der Benutzung des Eigentums entsprechend den Bedürfnissen der Gemeinschaft zu verhalten, ein Satz, den man wohl wieder aussprechen müßte. Paul: Wir haben doch gesehen, wie sehr das Eigentum in den letzten Jahrzehnten mißbraucht worden ist. Zinn: Der Begriff des Eigentums ist im Laufe der Zeit einem Bedeutungswandel unterworfen. Paul: Wie steht es mit dem Recht auf Arbeit? Hat jeder Bürger ein Recht auf Arbeit? Ich denke doch! Staat

gegenüber,

lung,





44) Zur Sozialisierungsfrage des Ruhrbergbaus vgl. W. Krieger: General Lucius D. Clay, S. 435 ff.; R. Steininger (Bearb.): Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1988,

Vorbemerkung

S. 102 ff.

45) ..Declaration des devoirs", Zur französischen Verfassung des Jahres III (1795) s. Peter Claus Hartmann: Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 1450—1980, Darmstadt 1985, S. 58.

49

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Vors. Dr. von Mangoldt: Wie ist die Stellung des Ausschusses zu der Frage, ob wir die Grundpflichten besonders aufführen sollten? Dr. Heuss: Ich neige dazu, sie zuächst zu belassen. Ich denke an die Erfahrung unter der Naziherrschaft. Die Verfassung hat das Individuum, die einzelne Gruppe gegen die Vermachtung zu schützen. Der Herrenchiemseer Entwurf ist an den Beamten vorbeigegangen. Ich möchte nicht gern, daß eine Diskussion darüber beginnt, wie wir einen Staat aufbauen, in dem wir den Bürger aus den

Pflichten entlassen.

Vors. Dr. von Mangoldt: Es besteht bezüglich der Auslegung kein Zweifel darüber, daß die Grundrechte, die dem einzelnen zustehen, nur im Rahmen der

Gemeinschaft zulässig sind. Diese Auffassung hat sich seit Weimar durchgesetzt. Dies wird vielleicht dazu führen, daß wir bei den einzelnen Artikeln dazu

kommen, auch die Begrenzungen in der Ausübung der Grundrechte und die dem einzelnen obliegenden Pflichten zu zeigen.

Vielleicht lassen wir diese Frage zunächst offen. Wenn wir zu endgültigen Formulierungen gekommen sind, können wir immer noch bei der Titulierang des Abschnittes über die Grundrechte etwas über die Grundpflichten sagen. Damit können wir, glaube ich, die allgemeine Erörterung abschließen und an die Prüfung der Frage herangehen, was wir unbedingt in den Grundrechtsteil aufnehmen wollen. Da gilt es, daß wir uns zunächst über die klassischen Grundrechte klar werden. Es ist auch für die Fraktionsbesprechungen von wesentlicher Bedeutung zu wissen, was wir in den Grundrechtsteil aufnehmen wollen. Herr Bergsträsser gibt uns vielleicht einen Überblick darüber, was nach seiner Auffassung zu den klassischen Grundrechten zu rechnen ist. Bei der Gelegenheit empfiehlt es sich, daß wir die entsprechenden Artikel des Entwurfs von Herrenchiemsee abhaken. Dann sehen wir sofort, was übrigbleibt, und dann können wir uns auch darüber klar werden, was wir zusätzlich in das Grundgesetz aufnehmen wollen. Auf diese Weise gewinnen wir ein Programm, das als Grundlage für die Beratungen in den Fraktionen dienen kann. 4. KATALOG DER GRUNDRECHTE VON DR.

Dr.

Bergsträsser: Ich habe

Ich bitte

ist46).

um

einen

Entschuldigung,

daß

BERGSTRÄSSER

Katalog der Grundrechte zusammengestellt. nicht ganz richtig abgeschrieben worden

er

Aufstellung beginnt mit der Gleichheit als dem kleineren Teil. Sie geht dann über zu den Freiheitsrechten. Die Gleichheit sehe ich in folgendem: Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und der politischen ÜberMeine

zeugung. Männer und Frauen haben dieselben ten.

46) Abdr. des Entwurfs als Dok. 50

Nr. 3.

staatsbürgerlichen

Rechte und Pflich-

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Nr. 4

Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung wegen bevorzugt oder benachteiligt werden. Alle öffentlichen Ämter sind jedermann gleich zugänglich. Frauen und Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn. Der Grundsatz der Gleichheit bindet auch den Gesetzgeber. Dr. Heuss: Die Bestimmung, wonach Frauen und Jugendliche für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn haben, erscheint mir etwas mißverständlich. Man ist geneigt daraus zu schließen, daß Frauen und Jugendliche unter sich gleich behandelt werden sollen, nicht aber im Verhältnis zu den Männern, was offenbar gemeint ist. Dr. Bergsträsser: Nach den Erfahrungen der Hitler-Zeit erscheint es notwendig, den Grundsatz der Gleichheit ausdrücklich auszusprechen. Es ist wohl auch richtig, die staatsbürgerliche Gleichheit der Frauen mit den Männern besonders hervorzuheben, da es noch eine ganze Reihe von Gesetzesbestimmungen und Gewohnheitsrechten gibt, die die Folgerung aus diesem Grundsatz längst nicht gezogen haben. Deswegen ist auch die gleiche Zugänglichkeit der Ämter und die Bestimmung über den gleichen Lohn notwendig. Vorschriften, die sich in den meisten neuen deutschen Verfassungen finden. Die Formulierung des ersten Satzes stammt aus der hessischen Verfassung47), die Formulierung des zweiten und dritten aus der südbadischen48). Der dritte Satz könnte als überflüssig angesehen werden, da er im Grunde genommen den ersten Satz nur erläutert. Er ist mit aufgenommen worden, da die Verfasser der südbadischen Verfassung es offenbar für nötig hielten, die Konsequenz der allgemeinen Gleichheit noch besonders hervorzuheben. Den Wortlaut des vierten Satzes habe ich selbst formuliert. Der fünfte Satz ist der hessischen Verfassung, Art. 33, entnommen. Ich glaube, dieser Satz gehört nicht zur Regelung des Soziallebens, sondern stellt eine direkte Folgerung aus dem Grundsatz der Gleichstellung dar, muß also in die personellen Grundrechte aufgenommen werden. Ich komme zu den Freiheitsrechten. Ich darf mich hier im einzelnen auf die Ausarbeitung beziehen, die in den Händen der Ausschußmitglieder ist. Art. 1 bringt die allgemeine Formulierung ; Art. 2 die Freiheit der Person, Art. 3 behandelt die Entziehung der Freiheit durch Einweisung in eine Anstalt, wenn ein geistig oder körperlich Kranker durch seinen Zustand seine Mitmenschen erheblich gefährdet. Er hat das Recht, gegen diese Maßnahme den Richter anzurufen. Näheres soll das Gesetz bestimmen. Dieser Artikel ist der hessischen Verfassung entnommen49). Ich habe ihn in keiner anderen Verfassung gefunden.

47) Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946, Art. 1. 48) Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947, Art. 2. 49) Art. 23 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946. 51

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Art. 4 ist im wesentlichen eine Übersetzung des Art. 6 des Entwurfs der UN50). Art. 4 bringt die Voraussetzungen, unter denen jemand seiner persönlichen Freiheiten beraubt werden darf. Dabei ist ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Haft auf bloßen Befehl der Exekutive ungesetzlich ist, außer in einer Zeit natio-

nalen Notstandes. regelt die Untersuchungshaft. bestimmt, daß die Untersuchungshaft nicht zu körperlichen oder seelischen Mißhandlungen mißbraucht werden darf. Art. 7 bringt die Bestimmung, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Ausnahme- und Sonderstrafgerichte sind unstatthaft. Art. 8 behandelt die Entziehung der Freiheit durch richterliches Urteil und die Entziehung oder Beschränkung der bürgerlichen Ehrenrechte. Art. 9 enthält den Grundsatz: Keine Strafverfolgung ohne Strafgesetz: Nulla poena sine lege poenali. Ich komme zur persönlichen Freiheit. Ich bin der Ansicht, wir müssen die Formulierungen losgelöst von den augenblicklichen Verhältnissen wählen. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Artikel 2 und 3 des Herrenchiemseer Entwurfs enthalten die entsprechenden Bestimmungen51). Dr. Bergsträsser: Ich habe in meinen Vorschlägen jeweils die Quelle angegeben. Vors. Dr. von Mangoldt: Heute morgen tauchte die Frage auf nach der Menschenwürde, die in Art. 1 des Herrenchiemseer Entwurfs behandelt ist. Dabei ist Herrn Zinn und mir der Gedanke gekommen, man könne sie schlecht so formulieren, wie Art. 1 Abs. 2.52). Dr. Heuss: Ich habe mir als Art. 1 ausgedacht: Die Würde des menschlichen Wesens steht unter dem Schutz staatlicher Art. 5 Art. 6

Ordnung. Das ist Proklamation, Deklaration und Rechtssatz. Für den Fall, daß wir nicht gleich mit der Aufzählung der einzelnen Persönlichkeitsrechte beginnen, wollte ich ähnlich wie der Herrenchiemseer Entwurf eine bekenntnishafte Erklärung an

die

Spitze stellen. von Mangoldt:

Die Bezugnahme auf die Menschenwürde erscheint mir nach dem, was wir in der Nazizeit erlebt haben, unerläßlich. Es fragt sich nur, ob wir sie in einem besonderen Artikel oder aber in den Bestimmungen über die Freiheit unterbringen. Jedenfalls darf ich als Meinung des Ausschusses feststellen, daß der Schutz der Menschenwürde als einer unserer wichtigsten Anliegen an einer Stelle des Grundgesetzes geregelt werden muß. Vors. Dr.

50) Abdr. des UNO-Entwurfs als Dok. Nr. 10. 51) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580. 52) Art. 1 ChE lautete: „1) Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch

um

des Staates willen. 2) Die Würde der menschlichen Persönlichkeit ist unantastbar. Die öffentliche Gewalt ist in allen ihren Erscheinungsformen verpflichtet, die Menschenwürde zu achten und zu schützen" (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580). 52

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Dr. Heuss: Der Herrenchiemseer Entwurf spricht von der öffentlichen Gewalt „in allen ihren Erscheinungsformen". Es ist unmöglich, ein derartiges Papierdeutsch in die Verfassung herein zu bringen. Dr. Bergsträsser: Art. 12 meines Vorschlags behandelt die Wohnung, Art. 13 normiert die Beschränkungen für den Richter. Dieser Artikel gehört vielleicht an eine andere Stelle; ich habe ihn der Vollständigkeit wegen hier aufgenommen.

Art. 14 behandelt das Asylrecht. Vors. Dr. von Mangoldt: Einschlägig ist hier Art. 5 des Herrenchiemseer Entwurfs. Man wird das spezieller fassen müssen, vielleicht durch den Ausdruck: „Unverletzlichkeit der Wohnung". Die Aufenthalts- und Niederlassungsfreiheit ist im Herrenchiemseer Entwurf, soviel ich sehe, überhaupt nicht enthalten. Sie ist aber sehr wichtig. Zu Art. 13 erbitte ich die Unterstützung des Herrn Zinn. Das Postgeheimnis haben wir an anderer Stelle. Dr. Bergsträsser: Ich komme zu Art. 15 a, Seite 6 a meines Entwurfs. Die Bestimmung besagt, daß kein Fremder, der gesetzlich in das Bundesgebiet zugelassen wurde, ausgewiesen werden darf, sondern nur durch gerichtliches Urteil ausgewiesen werden kann. Ich habe hier auch den Text der UN

angefügt.

Dr. Heuss: Ich halte diese Formulierung für sehr nebulos; sie muß von einem Manne stammen, der nichts von den Dingen versteht. Dr. Bergsträsser: Art. 16 behandelt die Meinungsfreiheit. Er entspricht dem Art. 6

des Chiemseer Entwurfs. Art. 17 enthält das Recht der freien Meinungsäußerung. Dieses Recht darf auch durch ein Dienstverhältnis nicht beschränkt werden, und niemand darf ein Nachteil widerfahren, wenn er es ausübt. Ein Beispiel: Wenn ein Mann von der Parteileitung der CDU angestellt wird und Kommunist ist, dann ist das natürlich ein Grund zur Lösung des Vertragsverhältnisses. Vors. Dr. von Mangoldt: Nach Art. 4 Abs. 1 des Herrenchiemseer Entwurfs darf kein Deutscher einer fremden Macht ausgeliefert werden. Dieses Grundrecht ist in dem Vorschlag des Herrn Dr. Bergsträsser nicht enthalten. Es entspricht aber durchaus kontinentalem Rechtsdenken. Wir sollten es wieder aufnehmen, vielleicht bringt man es in dem gleichen Artikel wie das Asylrecht. Dr. Bergsträsser: Nach Art. 18 soll jedermann das Recht haben, sich auf allen Gebieten des Wissens, der Erfahrung oder der Meinung aller Informationsquellen zu bedienen, einerlei, ob es inländische oder ausländische seien. Vors. Dr. von Mangoldt: Das ist das Gegenstück zur freien Meinungsäußerung. Man könnte es das Recht auf freie Meinungsbeschaffung nennen. Dies fehlt dem Entwurf von Herrenchiemsee. Dr. Heuss: Vielleicht könnte man Art. 17 und Art. 18 zusammenfassen: Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern und sich über die Meinung anderer

Beschränkung des Rundfunkempfangs und des Bezugs Druckerzeugnissen ist unzulässig. Dr. Bergsträsser: Ich habe die Bestimmung viel allgemeiner gefaßt. zu

unterrichten.

von

53

Nr. 4

Art. 16

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Niemand darf gezwungen oder gehindert werden, an einer kirchlichen oder religiösen Übung teilzunehmen oder eine reliDas ist neu; erscheint aber im Hinblick auf giöse Eidesformel zu benutzen. die Praktiken des Nationalsozialismus unentbehrlich. Art. 19: Die Meinungsfreiheit ist begrenzt durch das Recht jedes einzelnen auf seine Ehre. Das ist eine problematische Angelegenheit, ich verkenne das nicht. Die Fassung verdankt ihre Anregung dem Entwurf der UN53). Nach den Erfahrungen der letzten Jahre halte ich es für notwendig, eine Bestimmung einzufügen, daß vor allem Personen, die im öffentlichen Leben stehen, vor den wilden und wüsten Angriffen geschützt werden, wie wir sie heute immer wieder erleben. Art. 20: Die Presse hat die Aufgabe und das Recht, über Vorgänge, Zustände, Einrichtungen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wahrheitsgemäß zu berichten. Wunderlich: Wir Journalisten haben bittere Erfahrungen auf diesem Gebiet. Wir sollten da die Entwürfe von Presse- und Verlegerverbänden heranziehen. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir müssen uns darüber klar werden, ob wir eine derartige Bestimmung aufnehmen sollen. Heile: Es wäre uns sehr nützlich, wenn es gelänge, einen guten Satz über das Recht des einzelnen auf Schutz seiner Ehre festzulegen. Dr. Bergsträsser: Ich habe das nur aufgenommen, um eine Diskussion darüber auszulösen. Heile: Wir erleben es immer wieder, wie drauf los verleumdet wird. Kein Gericht gibt sich die Mühe, den Angegriffenen zu schützen. Dr. Heuss: Die Würde und die Ehre des Menschenwesens stehen unter dem Schutz des Staates. Wir wollen nur nicht die Presse darauf hetzen. Das Presserecht muß den Schutz der persönlichen Ehre stark herausarbeiten. Wir haben im Länderrat eingehende Verhandlungen über diese Frage, über wahrheitsgemäße Berichte und Berichtigungen geführt54). Vors. Dr. von Mangoldt: Jedenfalls muß man diese Frage sehr vorsichtig behandeln. Dr. Bergsträsser: Ich habe den Art. 20 mit einem gewissen inneren Widerstreben aufgenommen. Ich stehe einer solchen Regelung skeptisch gegenüber, weil ich nicht sehe, wie man das erzwingen kann. Aber als Diskussionsbasis mag die Formulierung Dienste leisten. Art. 21 : Zum Schutz des menschlichen Zusammenlebens kann durch Gesetz die Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen unter staatliche Aufsicht gestellt, beschränkt oder untersagt werden. Diese Fassung entspricht dem Art. 15 des Herrenchiemseer Entwurfs55). Nicht aufgenommen habe ich den ersten Absatz dieser Bestimmung: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei". Dies fällt bereits unter die allgemeine Formulierung der Meinungsfreiheit. Es könnte daraus ein Sonderrecht für die a:

Handlung oder Feierlichkeit





53) Vgl. Dok. Nr. 10. 54) Vgl. Akten zur Vorgeschichte Bd. 1, S. 55) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581. 54

646 f.

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Herren Professoren hergeleitet werden, um den Staat zu unterhöhlen. Mancher Universitätslehrer hat das früher in seinen Vorlesungen mit besonderer Freude getan. Es sind mir Fälle bekannt, wo sie es bereits wieder tun. Blomeyer: Würde es nicht eine zweckmäßige Begrenzung sein, wenn man sagte, daß jeder seine Meinung im Rahmen der menschlichen Gemeinschaft frei äußern darf? Dr. Bergsträsser: Es ist möglich, daß ein Universitätslehrer seine Vorlesungen dazu benutzt, unter dem Mäntelchen der Wissenschaft den Staat, Organe des Staates und führende Personen des Staates anzugreifen. Bestimmt man in der Verfassung, daß die Wissenschaft, die Kunst und ihre Lehre frei sind, kann man sich darauf stützen. Blomeyer: Man muß immer davon ausgehen, daß die Grundrechte nur im Rahmen der staatlichen Gemeinschaft wirksam sind. Vors. Dr. von Mangoldt: Es ist mir zweifelhaft, ob man auf den Grundsatz verzichten kann, daß die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre frei sind. Lehre und Forschung sind nicht voneinander zu trennen. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, Wahrheitserkenntnisse zu vermitteln. Entgleisungen und andere Machenschaften von Personen, die die Wissenschaft für dunkle Zwecke benutzen wollen, müssen auf anderem Wege verhindert werden. Ich denke, man kann unmöglich auf den Schutz der Freiheit von Kunst und Wissenschaft verzichten. Sonst kommen wir wieder zu einer Knechtung der Wissenschaft, wie wir sie gerade unter der Naziherrschaft erlebt haben. Zinn: Art. 20 schränkt den Mißbrauch der Meinungsfreiheit ein. Heile: Wenn ein Professor irgendwelche Zustände im Staat kritisiert, so soll er das können, falls die Kritik angebracht ist. Er soll seine Überzeugung sagen dürfen. Vors. Dr. von Mangoldt: Jedenfalls müssen wir über den Schutz der Freiheit der Wissenschaft noch sprechen. Dr. Bergsträsser: Es muß über alle Punkte noch gesprochen werden. Meine Formulierungen sind freibleibend; sie sollen Grundlage für die weiteren Beratungen sein. Ich habe zu begründen versucht, warum ich den Schutz der Freiheit von Kunst und Wissenschaft und ihre Lehre weggelassen habe. Art. 22: Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist unverletzlich. Diese Bestimmung entspricht dem Art. 11 des Herrenchiemseer Entwurfs56). Art. 23: Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Verbindung mit anderen schriftlich mit Anträgen oder Beschwerden an Behörden, an die gesetzgebenden Körperschaften und an überstaatliche Organisationen zu wenden. Man sollte auch niemand verbieten, sich an internationale Körperschaften, etwa das Internationale Arbeitsamt, zu wenden. Nach den Erfahrungen in der Hitlerzeit erscheint eine solche Festlegung nicht überflüssig. Zinn: Ich habe das meinen Richtern verboten. Vors. Dr. von Mangoldt: Das läßt sich vielleicht noch bei der Einzelbehandlung regeln. Hier handelt es sich besonders um das Petitionsrecht.

56) Ebenda. 55

Nr. 4

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Dr. Bergsträsser: Art. 24 : Wahl- und Stimmrecht der Staatsbürger wird gewährleistet. Die Bestimmung entspricht dem Art. 12 des Chiemseer Entwurfs57). Nach Art. 30 des Entwurfs der UN58) soll jedermann das Recht haben, an der Regierung des Staates, dessen Bürger er ist, wirksamen Anteil zu nehmen. Vors. Dr. von Mangoldt: Art. 12 des Entwurfs von Herrenchiemsee ist unklar. Er spricht vom Wahl- und Stimmrecht des Staatsbürgers. Wer ist Staatsbürger? Das ist die Frage. Diese Dinge müssen wir bei der Einzelausgestaltung berück-

sichtigen.

Dr. Heuss: Man sollte

von

Stimmberechtigung

oder

Wahlberechtigung

spre-

chen. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir sind uns darüber klar, daß über den status activus im Grundgesetz etwas gesagt werden muß. Dr. Bergsträsser: Art. 25: Alle haben das Recht, sich ohne vorherige Anmeldung

oder Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Die Bestimmung entspricht dem Art. 8 des Chiemseer Entwurfs. Die Frage ist, ob man nicht Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz anmeldepflichtig machen sollte. In Zeiten politischer und sozialer Spannungen wäre das vielleicht nicht unzweckmäßig, um die Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen zu vermeiden. Art. 26: Alle haben das Recht, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Vereinigungen, die rechtswidrige Zwecke verfolgen oder die Demokratie oder die Völkerverständigung bekämpfen oder die Anwendung von Gewalt bei der Durchsetzung ihrer Ziele nicht ablehnen, sind verboten. Satz 1 entspricht wörtlich dem Art. 9 des Herrenchiemseer Entwurfs59). In Satz 2 sind die „sittenwidrigen" Zwecke bewußt nicht übernommen. Art. 27: Jedermann hat das Recht auf Rechtspersönlichkeit. Niemand soll in der Ausübung seiner bürgerlichen Rechte behindert werden, außer aus Gründen des Alters, des geistigen Zustandes oder als Strafe für Verbrechen. Ich stelle diese Bestimmung zur Diskussion. Sie entspricht dem Art. 12 des Entwurfs der UN60). Dr. Heuss: Statt „behindert" sollte man besser „beschränkt" sagen. Dr. Bergsträsser: Art. 28: Jedermann hat das Recht, einzeln oder in Verbindung mit anderen der Unterdrückung und der Tyrannei Widerstand zu leisten. Diese Bestimmung entspricht Art. 29 des Entwurfs der UN. Vors. Dr. von Mangoldt: Hier taucht das Widerstandsrecht auf. Dieses Recht hat früher eine große Rolle gespielt, namentlich in Frankreich. Die Jacobiner haben es

gestrichen.

Bergsträsser: Art. 29: Jeder hat das Recht auf das Leben und auf die Unverletzlichkeit seines Körpers. Niemand, selbst wenn er eines Verbrechens darf oder anderen grausamen Strafen und entwürdigengefoltert schuldig ist, den Behandlungen ausgesetzt werden. Dr.



57) 58) 59) 60) 56

Ebenda. Dok. Nr. 10. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581. Dok. Nr. 10.

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zur Diskussion. Nach der Zeit der Konzentrationslager erscheint es angemessen, eine derartige Bestimmung aufzunehmen. Dr. Heuss: Ich würde gern darauf verzichten. Ich sehe darin eine Heroisierung

Ich stelle dieses Grundrecht

der Widerstandsbewegungen. Dr. Bergsträsser: Es handelt sich hier um eine Pflicht, wie sie die Herren Heile und Dr. Heuss gefordert haben. Gibt es nicht eine Pflicht zum Widerstand gegen den Versuch, die demokratische Staatsform umzustürzen? Wir haben eine solche Bestimmung in der Hessischen Verfassung61). Heile: Ich bin sehr dafür. Dr. Bergsträsser: Eine solche Bestimmung hat Bedeutung etwa für einen Beamten, der einem Umsturzversuch nicht Widerstand geleistet hat. Denken Sie daran, daß man dem Kapitänleutnant Erhardt62) nach dem Kapp-Putsch eine PenArt. 29 ist, soviel ich weiß, auch im Entwurf der UN sion zugesprochen hat. —

enthalten63).

Art. 30 ff. bringen Einschränkungen und Gewähr der Grundrechte. Nach Art. 30 hat jeder die Pflicht der Treue gegen die Verfassung und hat Verfassung und Gesetze zu achten und zu befolgen. Die Vorschrift entspricht dem Art. 19 des

Chiemseer Entwurfs64). Art. 31 behandelt die Verwirkung der Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Versammlungs- oder der Vereinigungsfreiheit, wenn sie mißbraucht werden zum Kampf gegen die freiheitliche und demokra-

tische

Grundordnung.

Art. 32 normiert die Pflicht zur ehrenamtlichen Tätigkeit. Vors. Dr. von Mangoldt: Vielleicht wäre es zweckmäßig, diese Pflicht mit dem status activus zu verbinden. Damit zusammen hängt auch die Frage des Rechts auf ein Amt. Heile: Man sollte von einer Pflicht zur Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte sprechen. Wir dürfen es nicht mehr hingehen lassen, daß jeder Feigling und Drückeberger zu Hause bleibt, nach dem Motto: Wer die meiste Angst hat,

bleibt weg. Dr. Heuss: Das ist die Normierung einer Art Wahlpflicht. Heile: Ja! Die Wahlpflicht ist die wichtigste Pflicht. Der Staat muß wissen, wie die Bevölkerung denkt. Der Feigling und Drückeberger muß hart angefaßt wer-

den. Dr. Bergsträsser: Wie können Sie wirkungsvoll einen solchen Drückeberger zwingen, zur Wahlurne zu gehen und einen Stimmzettel einzuwerfen? Ich

fürchte, das kann

man

nicht.

61) Art. 146 und 147 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946. 62) Hermann Erhardt (1881—1971), Freikorpsführer, der sich mit seiner Brigade dem Putschisten Kapp zur Verfügung stellte. Später gründete er in Bayern die Organisation Consul, die maßgeblich an der Ermordung von Erzberger und Rathenau briele Krüger: Die Brigade Erhardt. Hamburg 1971. 63) Dok. Nr. 10. 64) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582.

beteiligt

war.

Vgl.

Ga-

57

Nr. 4

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Heile: Man braucht

21.

nur z.

September 1948 B.

bestimmen, daß der, der seiner Wahlpflicht nicht

besten gleich doppelte Einkommensteuer zu zahlen hat. Das wäre ein heilsamer und wirksamer Zwang. Wir wissen doch, wie die Dinge liegen. Heute schon gibt es Leute, die sagen: „Ich denke nicht daran, mich mit Politik zu befassen. Wenn morgen die Bolschewisten da sind, will ich von ihnen nicht aufgehängt werden." Auf Dr. Bergsträsser: Art. 33: Die Grundrechte dürfen nicht beseitigt werden. Die Grundrechte binden ein solches Ziel gerichtete Anträge sind unzulässig. den Gesetzgeber, den Richter und die Verwaltung unmittelbar. Die Bestimmung entspricht dem Art. 21 des Chiemseer Entwurfs65). Art. 34: Eine Einschränkung der Grundrechte ist nur durch Gesetz und unter der Voraussetzung zulässig, daß es die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesundheit zwingend erfordert. Hier ist einschlägig Art. 21 des Chiemseer Entwurfs. Ich habe absichtlich nichts gesagt über Notverordnungen und Notstand, weil darüber erst noch mit dem zuständigen Ausschuß66) verhandelt werden muß. Im übrigen habe ich mich streng an die allgemeinen Grundrechte gehal-

nachgekommen ist, höhere,

am

-

-

ten.

Dr. Heuss: Das Eigentum läuft unter den Individualrechten. Zinn: Dieses Grundrecht ist verhältnismäßig spät aufgetaucht, etwa 1726. Es stammt wohl von den Puritanern, die sich ihre Eigentumsrechte gegen Konfis-

kation sichern wollten. von Mangoldt: Rechtshistorisch kann man feststellen, daß es vor der Rights des Staates Virginia67) praktisch überhaupt keine allgemeine Verbürgung von Rechten gegeben hat. Zinn: Die Unverletzlichkeit des Eigentums ist in England nicht anerkannt. Dieses Recht hat sich erst bei den Kämpfen in Amerika entwickelt. Die Unverletzlichkeit des Eigentums ist erst im Mayflower-Konflikt erwähnt. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Gewährleistung des Eigentums erscheint wichtig

Vors. Dr.

Bill of

und muß unter allen Umständen erörtert werden. Zinn: Der Herrenchiemseer Entwurf erwähnt noch die Enteignung, die Überführung der Bodenschätze in Gemeineigentum, Art. 17 und 18. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Überführung der Bodenschätze in Gemeineigentum könnte man an anderer Stelle unterbringen. Dr. Bergsträsser: Art. 18 des Herrenchiemseer Entwurfs enthält das Recht auf freie Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes. Das ist ein sehr prekäres Problem; wir müssen es noch diskutieren. Dr. Eberhard: Art. 14 Abs. 3 des Chiemseer Entwurfs, wonach jeder Anspruch auf gleiche wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeit hat, muß auch noch übernommen werden. Dr. Bergsträsser: Das habe ich als zu deklaratorisch herausgelassen. 65) Ebenda, S. 582. 66) Zuständig war der Organisationsausschuß, der in seiner

14. und 15. Sitzung das Notstandsrecht behandelte. Wortprotokolle in: Z 5/74. Auch im Ausschuß für das Besatzungsstatut wurden Fragen des Notstandsrechts beraten (Der Pari. Rat Bd. 4, passim). 67) Bill of Rights, vgl. Anm. 7.

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Privateigentum sagt der Entwurf der UN68): Jeder hat ein Recht auf persönliches Eigentum, sein Recht, Anteile an industriellen, kommerziellen und anderen profitmachenden Unternehmungen, ist beherrscht durch die Gesetze des Staates, in dem solche Unternehmungen sich befinden. Der Staat mag den Erwerb und Gebrauch von Privateigentum reglementieren und die Bedingungen festlegen. Niemand soll seines Eigentums beraubt werden ohne gerechte EntZum

schädigung.

Vors. Dr. von Mangoldt: derungsfreiheit.

Es fehlt auch das Recht der

Freizügigkeit und

Auswan-

Bergsträsser: Das Recht auf Freizügigkeit ist in Art. 11 meines Vorschlags enthalten. Es fehlt im Chiemseer Entwurf. Vors. Dr. von Mangoldt: Art. 14 Abs. 3 des Herrenchiemseer Entwurfs entspricht wohl einem Gedanken, der die Angelsachsen stark beherrscht, daß der einzelne gleiche Chancen und gleiche Möglichkeiten haben soll. Das dürfte aber im Grundrecht der Gleichheit enthalten sein. Zinn: Die Konsequenz wäre, daß jedes andere Land die in Hessen eingeführte Schulgeldfreiheit übernehmen müßte69). Vors. Dr. von Mangoldt: Jeder hat Anspruch auf gleiche wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungmöglichkeiten, sagt Art. 14 Abs. 3 des Chiemseer Entwurfs. Abschließend werden wir uns heute noch nicht darüber äußern können, was wir in unseren Grundrechtskatalog aufnehmen müssen. Wir werden anhand des Katalogs, den wir aufstellen, innerhalb der Fraktionen Besprechungen führen müssen. Vielleicht werden dann da und dort noch Ergänzungen notwendig werden. Damit wir in der nächsten Sitzung vorankommen, müßten wir jetzt aber schon an gewisse Formulierungen gehen, zunächst bei unstrittigen Artikeln. Nebenher würde die Klärung innerhalb der Fraktionen laufen70). Dann wird klar werden, was noch umstritten ist und der späteren Formulierung bedarf. Auf solche Weise werden wir bei unserer Arbeit nicht aufgehalten werden. Dr. Pfeiffer: Wir haben die Dinge bisher nur sehr flüchtig behandelt. Wir wissen ungefähr, mit welchem Stoff wir es zu tun haben. Wir können ruhig jetzt schon in eine Aussprache Artikel um Artikel eintreten. Die Besprechung in den Fraktionen kann später stattfinden. Die Fraktionen sind vorerst ohnehin genug belastet. Dr. Bergsträsser: Ich glaube, was in meinem Katalog steht, muß unbestritten in die Grundrechte hinein. Die Fraktionen können erst Stellung nehmen, wenn wir Formulierungen ausgearbeitet haben. Dr.

6B) Dok. Nr. 10. 69) In Hessen war die Schulgeldfreiheit durch Art.

59 der Verfassung festgeschrieben worden. 70) Nach den Protokollen wurde in der CDU/CSU-Fraktion erst eine Woche später, am 28. Sept. 1948, über die Arbeit im Grundsatzausschuß gesprochen. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits vier Sitzungen stattgefunden. Vgl. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat,

S. 30 f.

59

Nr. 4

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Dr. Heuss: In den Fraktionen kann

geklärt werden, ob das eine oder andere Recht noch aufgenommen werden soll; etwa das Problem der Beamten, Fragen der Bildung, der Schulpflicht bis zum 14. Lebensjahr [und desgleichen]. Es ist hier nicht meine Absicht, einen Kampf um die Zuständigkeit auf dem Gebiet der Schulgesetzgebung auszulösen. Ich erinnere mich noch gut an die schrecklichen Weimarer Schulkompromisse71). Wir haben in Deutschland verschiedene Schularten und Schulgesetze. Es war in Württemberg ein großer Kampf, bis wir das achte Volksschuljahr durchgesetzt hatten. Unbeschadet der Zuständigkeit der Länder beim Aufbau des Schulwesens Vorkehrungen zu treffen, sollte man doch auch eine gewisse Einheitlichkeit pflegen. Ich sehe darin eine ungeheure Gefahr in unserer gegenwärtigen Situation: die Gefahr des Auseinanderlebens. Die Einheitlichkeit im Aufbau des Fachschulwesens sollte von Bundesseite her jedenfalls gesichert werden. Wenn wir mit der Ostzone zusammenkommen, wird das ein ungeheures Problem sein, weil dort die Fachbildung usw. ganz anders läuft. Ohne eine gewisse Zuständigkeit des Bundes gibt es da wohl kaum eine Lösung. Diese Frage sollte in den Fraktionen besprochen werden. Wir wünschen keine Wiederholung des Weimarer Schulkompromisses über Elternrecht, Religionsunterricht usw. Damit kommen wir nicht zu Rande. Aber in einem gewissen Umfang brauchen wir die Einheit der deutschen Bildung. Das geschieht am besten durch Vereinbarungen. Das hat es schon früher gegeben, schon in der Bismarckischen Zeit; damals waren die Länder in Schulfragen zusammen und verständigten sich über das Abitur usw. Man denke an einen Beamten, der in ein anderes deutsches Land versetzt wird und dessen Kinder die Schule wechseln müssen. Jedenfalls paßt heute im Schulwesen der Deutschen nichts mehr recht aufeinander. Vors. Dr. von Mangoldt: Das ist bei den Fakultäten der Universitäten genau so

grundlegend.

Dr. Bergsträsser: Wichtig ist die Anerkennung des Abiturs in einem Land in anderen Ländern. Das wird Schwierigkeiten geben. Man denke an die Arbeiterstudenten der Ostzone. Dr. Heuss: Diese Probleme haben einen Rang auch der Welt gegenüber. Man soll das nicht unterschätzen. Eine Klärung über diese Frage in den Fraktionen ist notwendig, nicht um etwas zu erzwingen, sondern um festzulegen, wie weit man sich bereitfindet, etwas derartiges in die Bundeszuständigkeit hineinzunehmen, etwa in Form von Anweisungen an die Länderregierungen. Zinn: Auch mir scheint das notwendig zu sein. Selbst wenn wir diese Probleme nicht unterbringen können, müssen wir unsere Anregungen an andere zuständige Ausschüsse weitergeben. Dr. Heuss: Wir wollen nicht in den Zuständigkeitskatalog eingreifen. Das Schulwesen bleibt Länderangelegenheit, und zwar nicht nur verwaltungsmäßig,

71) Zum Weimarer Schulkompromiß (Art. 146 WRV) vgl. G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 677—682. Christoph Führ: Zur Schulpolitik der Weimarer Repu-

blik. Die Zusammenarbeit von Reich und Ländern im Reichsschulausschuß 1919—1923 und im Ausschuß für das Unterrichtswesen 1924—1933. Darstellung und Quellen. Weinheim [. .] 1970. .

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Gesetzgebung. Das hat auch seine Vorzüge. Die übertriebenachteilig gewesen, vor allem bei den Universitäten; da hat sie alle Konkurrenz zwischen den Kulturverwaltungen ausgeschaltet. Die Zuständigkeit der Länder auf dem Gebiet des Schulwesens ist zweifellos auch ein positiver Vorteil und gewinnt; aber das Eigenleben muß gezügelt sein; es muß ein gewisses Einheitsbewußtsein gegeben sein. Wenn wir diese Dinge durch die Bundesgesetzgebung regeln, dann werden viele Länder protestieren, vor allem Bayern, Südbaden usw. Ich wäre sehr froh, wenn es gelänge, einen Mittelweg zu finden. Im Augenblick möchte ich nur die Frage aufwerfen, damit sondern auch in der

ne

Zentralisierung

ist

die Herren diese Dinge innerhalb der Fraktionen durchdenken und erwägen, inwieweit man den von mir vorgeschlagenen Weg gehen kann, den ich durchaus nicht als eine Ankündigung, als eine Outrierung der von mir aufgeworfenen

Gesichtspunkte angesehen haben möchte. Vors. Dr. von Mangoldt: Diese Fragen müssen in den Fraktionen eingehend vorbesprochen werden. Wir können uns da in keiner Weise festlegen. Nun tritt eine weitere Schwierigkeit auf, die ich schon in der vorigen Woche zu sehen glaubte. Unsere nächste Sitzung sollte schon morgen sein. Ich kann mir das aber technisch nicht recht vorstellen. Ich sehe nicht, wie wir morgen schon zu Beschlüssen kommen sollen. Die Berichterstatter müssen eine gewisse Zeit haben, um ihre Vorarbeit zu leisten. Das ist aber bis morgen um 10 Uhr nicht möglich. Wir brauchen kleine Gremien, die die Formulierungen vorbereiten. Vielleicht würde es sich empfehlen, heute Berichterstatter für 2 oder 3 Artikel zu ernennen. Wir würden dann die nächste Sitzung am Donnerstag, 10 Uhr abhalten. Bis dahin können die Berichterstatter Vorbereitungsarbeit leisten. Dr. Pfeiffer: Eine gute Vorbereitung wird unsere Arbeit sehr fördern. Wir werden dann am Donnerstag genau soviel leisten wie sonst in zwei Sitzungen. Vors. Dr. von Mangoldt: Es besteht Übereinstimmung, daß die Herren Dr. Bergsträsser, Zinn und ich uns zusammensetzen und das Material für die Sitzung am Donnerstag vorbereiten werden72).

72) Nach dem Kurzprot. lautete der Auftrag

an

die benannten

Abgeordneten, „für die näch-

einen Bericht über die Freiheitsrechte auszuarbeiten und Formulierungen gewisser unumstrittener Artikel vorzubereiten." Der Ausschuß hatte zunächst vorgehabt, für den nächsten Tag eine Sitzung abzuhalten. Man ließ sie jedoch ausfallen, um den Berichterstattern Zeit zu geben, sich für die Sitzung am 23. September eingehend vorzubereiten. Vgl. Vermerk vom 21. Sept. 1948 in: Z 5/10 im Zusammenhang mit der Planung ste

Sitzung

der

Zimmerverteilung.

61

Nr. 5

Vierte

Sitzung

Vierte

23.

September 1948

Sitzung

Nr. 5 des Ausschusses für 23.

Z 5/29, Bl

Kurzprot:

September

Grundsatzfragen

1948

70-110.1) Stenogr. Wortprot, undat. und

ungez.

Z 12/45, Bl. 117-120. Drucks. Nr. 79

Anwesend2):

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Pfeiffer, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Nadig, Schmid, Wunderlich, Zinn FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Kaiser (CDU), Mücke (SPD), Eberhard (SPD zeitweise) Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 10.00-12.50 Uhr

[1. ERÖRTERUNG DER VOM REDAKTIONSAUSSCHUSS DES AFG FORMULIERTEN ARTIKEL 1-4]

[a. Würde des Menschen (Art. 1)] Vors. Dr.

von

Mangoldt:

gestern getagt und die !) Bl.

Ich eröffne die

heutige Sitzung.

ersten vier Artikel

Der Unterausschuß hat

formuliert3). Es wird notwendig sein,

112-116 (S. 4, 5, 14, 28, 30, 41 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot.; Eberhard wurde dort nicht erwähnt, jedoch in einer Berichtigung des Kurzprot. (Z 12/45, Bl. 116); demnach dürfte er nur zeitweise anwesend gewesen sein. Gegen Ende der Sitzung ergriff er das Wort. 3) Beraten wurde anhand einer „Unterlage für den Ausschuß für Grundsatzfragen" vom 22. Sept. 1948, die allerdings nur drei Artikel umfaßte. Drucks. Nr. 66: „Art. 1 : Die Würde des Menschen ruht auf ewigen, einem Jeden von Natur aus eigenen Rechten. Das deutsche Volk erkennt sie erneut als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaften an. Deshalb werden Grundrechte gewährleistet, die Gesetzgebung, Verwaltungs- und Rechtspflege auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht binden. Art. 2 : Der Mensch ist frei. Er darf tun und lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt oder die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens nicht beeinträchtigt. In diese Freiheit darf die Verwaltung nur im Rahmen der Rechtsordnung eingreifen. Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Art. 3: Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Nur in den Fällen, die ein formales Gesetz bestimmt, und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen, darf jemand verfolgt, festgehalten, vorläufig festgenommen oder in Haft gehalten werden. Jeder vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach dem Ergreifen dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen, ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben und eine Person seines Vertrauens von der Festnahme zu verständigen hat. Der Richter hat unverzüglich entweder durch schriftlichen Haftbefehl seine Verhaftung anzuordnen oder ihn in Freiheit zu setzen.

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welcher Überlegungen der Unterausschuß zu ist. Wir hatten uns im Unterausschuß dahin geeinigt, daß Herr Dr. Bergsträsser über Art. 1, ich über Art. 2 und Herr Zinn über die Art. 3 und 4 berichten werden. Wir wollen vermeiden, daß die Arbeit in den Unterausschüssen zu einseitig wird, und diese Gefahr besteht, wenn immer nur drei Ausschußmitglieder miteinander beraten. Es wäre daher erwünscht, wenn zu der Beratung der kommenden Artikel noch ein oder zwei an der Materie jeweils besonders interessierte Mitglieder entsandt würden. Dr. Bergsträsser: Wir sind im Laufe unserer Diskussionen darauf gekommen, daß es doch wohl richtig wäre, an die Spitze der Grundrechte einige Sätze zu stellen, die Absicht, Sinn und Grund der Grundrechte ganz kurz4) deutlich machen. Das haben wir mit unserer Formulierung zu Art. 1 versucht, die wir Ihnen vorschlagen. Im Abs. 1 wird ausgedrückt, daß die Grundrechte auf vorstaatlichen Rechten beruhen, die von Natur aus gegeben sind. Im Abs. 2 haben wir absichtlich erklärt, daß das deutsche Volk sich nach den bitteren Erfahrungen in der Nazi-Zeit erneut zu ihnen als der Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft bekennt. Wir wollen damit den Gegensatz gegen die zwölf Jahre Willkürherrschaft deutlich herausstellen. Abs. 3 bestimmt, daß sie für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege unmittelbar geltendes Recht sein sollen. Die Artikel sind also so zu fassen, daß sie als unmittelbar geltendes Recht anerkannt werden können. Wir haben uns dabei auch überlegt, wie wir es ausdrücken sollen, daß diese Grundrechte auch in den Ländern ebenso wie in der kommenden Gesamtorganisation gelten. Wir sind dazu gekommen, nur zu sagen, daß sie auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht binden. Wir haben noch keine Bezeichnung für den Organismus, den wir schaffen; diese wird noch emsig gesucht. Im übrigen haben wir Wert darauf gelegt, die Artikel so zu formulieren, daß sie eine gewisse Wirkung haben, gut klingen, aber auch die ethische Grundlage des neuen Gebildes klar herausstellen. Vors. Dr. von Mangoldt: In Abs. 3 fehlt das Wort „unabänderlich". Die Grundrechte sollen unabänderlich binden. Zinn: Jawohl; so hatten wir es formuliert. Dr. Schmid: Statt „unabänderlich" schlage ich „unabdingbar" vor. Dr. Pfeiffer: Dieser Ausdruck wird ziemlich mißbraucht. Dr. Schmid: Das ist ein ziemlich präziser Ausdruck. Er bedeutet, daß das Individuum darauf nicht verzichten kann. Er bedeutet, daß etwas der Verfügung entzogen ist. „Unabänderlich" ist nur eine Anweisung an Dritte. „Unabdingbar" ist stärker. Dieser Ausdruck kommt aus dem Arbeitsrecht. Der einzelne Arbeitnehmer kann auf gewisse Rechte des Tarifvertrags nicht verzichten.

zunächst klar seinen

zu legen, auf Grund Formulierungen gekommen

Bei jeder anderen Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine gerichtliche Entscheidung über ihre Fortdauer herbeizuführen. Die Polizei darf niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen festhalten. Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden." 4) Folgt gestrichen: „und klar."

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Zinn: Das geht unter Umständen zu weit. Dr. Schmid: Der Abgeordnete kann auf seine Immunität nicht verzichten; sie ist

unverzichtbar.

Frau Dr. Weber: „Unabdingbar" ist mehr als „unabänderlich". Vors. Dr. von Mangoldt: Ich stoße mich etwas an dem Ausdruck „unabdingbar". Vielleicht ersetzen wir ihn durch „unabänderlich". Dr. Schmid: Die Nazis haben eine ganze Menge guter Vokabeln mißbraucht. Wir werden auch den Ausdruck „Vorsehung" nicht ablehnen und uns seiner nicht entledigen, obwohl sie von Hitler doch so sehr mißbraucht wurde. Zinn: Wenn Sie von „unabdingbar" sprechen, so bezieht sich das auf den Be-

rechtigten. Dr. Bergsträsser:

Ich sehe noch in anderer Hinsicht einen Widerspruch. Wir sadie Grundrechte soll sich nicht berufen können, wer gewillt ist, auf gen später, sie zu mißbrauchen. Dr. Schmid: Man kann sie verwirken. Aber ich stelle keinen formellen Antrag, „unabänderlich" durch „unabdingbar" zu ersetzen. Vors. Dr. von Mangoldt: Ich möchte nach der juristischen Seite hin nur noch folgendes sagen: Wir wollten dem Art. 1 eine Fassung geben, mit der auf dem Naturrecht aufgebaut wird. Nur schien uns das Naturrecht in seinen einzelnen Sätzen noch zu unbestimmt, als daß man es mit der einfachen Anführung der Naturrechtsätze hätte bewenden lassen können. Die Sätze des Naturrechts wurden daher in den auf Art. 1 folgenden Grundrechtsartikeln, auf die Abs. 3 verweist, aufgezeichnet und in die für die unmittelbare Rechtsanwendung erfores ist derliche Form gebracht. Diese Verweisung stellt für die Auslegung fest auf dem die machen Grundrechte —, daß wichtig, sich das klar zu folgenden diesen die ruhen des und Naturrechts Rechtsprechung Untergrund Untergrund des Naturrechts bei der Auslegung heranziehen kann. Das führt zu einer gewissen Beweglichkeit der Grundrechtssätze, soweit die in den einzelnen Artikeln gewählte Formulierung diese ermöglicht. Denn das Naturrecht ist in unserem Sinne nicht etwas für alle Zeiten ewig Gleiches, sondern etwas Fluktuierendes. So besteht die Möglichkeit, die naturrechtlichen Auffassungen in die Grundrechte, wie sie hier gefaßt worden sind, stets neu hinein zu interpretieren. Mit unserer Fassung haben wir versucht, beide Gedanken miteinander zu verbinden, wobei die Frage offen bleibt, wie weit diesen Grundrechten überhaupt unabänderlicher Charakter zugesichert werden kann. Für alle Grundrechte wird das kaum möglich sein. Der Verfassunggeber wird die Möglichkeit haben müssen, bei manchen Grundrechten die Formulierungen mit verfassungsändernder Mehrheit abzuändern. Art. 1 gibt die Möglichkeit, auf Grund der Verweisung auf das Naturrecht die Grundrechte den Erfordernissen und Bedürfnissen der —

Zeit anzupassen. Dr. Schmid: Die Fassung des Art. 1 muß wohl überlegt werden; er stellt gewissermaßen die Generalklausel für den ganzen Grundrechtskatalog auf. In seiner systematischen Bedeutung ist er der eigentliche Schlüssel für das Ganze. Nun ist Abs. 1 schon eine bedenkliche Sache. Ich sage nicht, daß ich ihm nicht zustimme; aber man müßte recht wohl bedenken: Nicht zu allen Zeiten hat man an Rechte, die einem von Natur zustehen, so geglaubt, wie heute. Ich er64

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an den Satz des erstaunlichen Burke5), der im Gegenstoß gegen die französische Revolution das Wort sagte, „von Natur aus" habe der Mensch überhaupt keine Rechte; was als konkrete Rechte der Menschen in Erscheinung trete, seien Dinge, die dem Menschen geschichtlich zugewachsen sind, Produkte von Dezisionen, Institutionen im Lauf seiner Geschichte. Die große Begeisterung für das Naturrecht, die sich heutzutage überall manifestiert, ist eine Gegenbewegung gegen die absolute Abneigung des deutschen juristischen Positivismus gegen das Naturrecht, den man für die Rechtsverleugnung unter dem Naziregime überhaupt verantwortlich macht, wobei ich mir nicht versagen möchte, darauf hinzuweisen, daß die nazistische Rechtstheorie auch auf dem „Naturrecht" beruhte, allerdings auf einem, das nicht von dem Begriff des Menschen bei Lamettrie6) ausging, sondern von dem Darwins7). Naturrecht absolut zu setzen, ist eine gefährliche Sache. Ich empfehle da jedem, Kant8) zu lesen und seinen Nachweis darüber, daß im allgemeinen jeder das Naturrecht zu bekunden pflegt, das ihm für seine Lebenswünsche am bekömmlichsten erscheint. Wenn wir an dem Satz von dem naturgegebenen Recht festhalten, müssen wir uns darüber klar sein, daß wir damit jedermann freistellen, zu sagen. Naturrecht, wie ich es auffasse. Man muß enumerativ vorgehen und so eine zu willkürliche Ausdehnung ausschließen. Es hat keinen Sinn, hier eine Staatsphilosophie aufzustellen und das Wesen des Menschen, das Wesen des Staates usw. zu definieren. Ich würde kühler vorgehen und sagen: Alle diese Dinge, Staat usw. sind, um mit Plato zu sprechen, thesei, sie sind nicht von Natur physei, sondern vom Menschen her. Deshalb kann der Mensch es jeweils so und anders machen. Wir wollen unter „Staat" etwas verstehen, das zu dienen hat und nicht von sich aus da ist. Vor dem Staat soll der Mensch kommen. Wir vindizieren dem Menschen Rechte, die er für sich beansprucht, ehe er anfängt, dem Staat andere Rechte zuzuerkennen. Vielleicht könnte man diesem Gedanken in der Formulierung des Art. 1 Ausdruck verleihen. Das Zweite wäre folgendes: Nach Art. 1 Abs. 2 erkennt das deutsche Volk die naturgegebenen Rechte „erneut als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft an". Diese Diktion macht mir ein bißchen den Eindruck eines Pater peccavi. Für diesen stylus Chartae et Constitutionis besteht in unserem Grundgesetz kein zureichender Grund. Abs. 3 sagt: „Deshalb werden Grundrechte gewährleistet". Das ist wohl so zu verstehen, daß das Folgende als ein Ausschließlichkeitskatalog gelten soll, der genau bestimmt, was im Sinne der Grundrechte zu verstehen ist. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich weiß nicht, ob man das schon jetzt übersehen kann.

innere da

5) Edmund Burke (1729-1797), britischer Politiker und Publizist. 6) Julie Offray de Lammetrie (1709—1751), Verfasser des Buches „L'homme machine". Leiden 1748, in dem er den Menschen als Mechanismus, bzw. Automaten darstellt. 7) Charles Robert Darwin (1809—1882), Begründer der Selektionstheorie. 8) Immanuel Kant (1724-1804), Philosoph. 65

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Dr. Schmid: Dann kann keiner kommen und sagen: Der Katalog der Grundrechvollständig; nach meinem Begriff von den Grundrechten muß es die Grundrechte XY und Z geben. Man müßte sich darüber klar sein, wie das zu verstehen ist. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir wollten durch diese Überleitung des Abs. 3 die natürlichen Grundrechte in einer faßbaren Form ankündigen. Dr. Schmid: Aber limitativ! Vors. Dr. von Mangoldt: Das war zunächst nicht unsere Absicht. Zu diesen Fragen können wir uns abschließend erst äußern, wenn wir den Umfang der te ist nicht

Grundrechte kennen. Dr. Schmid: Ich meine, limitativ im Hinblick auf die Anwendung des Grundgesetzes, daß man sich also auf das Grundgesetz und auf die Naturrechtsklausel des Art. 1 Abs. 3 berufen könne. Es mag jedem freistehen, nach seiner Philosophie und seinem Geschmack einige Sonderrechte hinzuzunehmen; für die praktische Anwendung der Grundrechte aber müßte ein limitativer Katalog vorhanden sein. Zinn: Es ist an sich richtig, die Betonung der Vorverfassungsmäßigkeit der Grundrechte führt zu einer gewissen Uferlosigkeit. Die Rückkehr zum Naturrecht, die wir heute erleben, ist die Reaktion auf einen falsch verstandenen Rechtspositivismus. Nach meiner Auffassung ist das, was man vorverfassungsmäßige Grundrechte nennt, kein unmittelbar anwendbares Recht. Wenn man in neuerer Zeit davon gesprochen hat, daß es neben gesetzlichem Unrecht ungesetzliches Recht gebe, so soll diese Betrachtungsweise ermöglichen, das geschriebene Recht auf seinen möglichen Unrechtsgehalt zu untersuchen. Darin liegt eine Reaktion gegen den Mißbrauch des Gesetzes als äußerer Rechtsform. Ich bin auch der Auffassung, daß man keine Naturrechtssätze unmittelbar anwenden kann. Bei der Regelung der Grundrechte muß man irgendwie an die menschliche Würde als Ausgangspunkt anknüpfen. Dr. Schmid: Es handelt sich um eine Entscheidung, das staatliche Leben nach einer gewissen Richtung hin zu formen. Diese Entscheidung kann der Parlamentarische Rat treffen. Was ist die Menschenwürde? Das müßte definiert werden. Die Verfassung von Württemberg-Baden hat eine solche Definition zu geben versucht9). Zinn: Art. 1 Abs. 3 spricht von Grundrechten, die konkrete Rechtssätze und als solche unmittelbar anwendbares Recht sind. Das nennen wir Grundrechte. Dr. Schmid: Ich würde darüber hinaus sagen: Wenn der Richter ein Gesetz interpretiert, so kann er dabei von der Naturrechtskonzeption ausgehen, die dem positiven Recht des Grundrechtskatalogs zugrunde liegt. Zinn: Der Richter hat die Möglichkeit, unter Umständen zu sagen, daß ein Gesetz, das formell Recht ist, einen Unrechtsgehalt gemessen an den Grundrechten hat. Dr. Schmid: Der Grundrechtskatalog zeigt an, daß der Verfassungsgeber von ei-

9) Vgl. 66

Art. 1 und 2 der

Verfassung von Württemberg-Baden vom

28. Nov. 1946.

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bestimmten Menschenbild ausgegangen ist10). Die Rechtsordnung ist nichts anderes als der Rahmen, in dem sich dieses Menschenbild entfalten kann. Bei der Anwendung eines Gesetzes kann die Realisierbarkeit dieses Menschenbildes gefährdet werden. Der Richter kann gegen ein solches Gesetz sein Veto einlegen und sagen, der Gesetzgeber habe nicht nach der Verfassung gehandelt. Zinn: Dieses Nachprüfungsrecht darf aber nicht ins Uferlose gehen. Dr. Schmid: Mir liegt daran, folgendes klarzulegen. Es handelt sich nicht darum, daß wir, von einem philosophischen Naturrechtsdenken ausgehend, sagen: da der Mensch wesensmäßig durch das und das determiniert ist, ergeben sich daraus die und die natürlichen Rechte. Vielmehr müssen wir von einem historischen Naturrechtsbegriff, der nur scheinbar eine contradictio in adjecto ist, ausgehen und sagen: In dieser Sphäre der geschichtlichen Entwicklung sind wir Deutsche nicht bereit, unterhalb eines Freiheitsstandards zu leben, der den Menschen die und die und die Freiheiten als vom Staate nicht betreffbar ganem

rantiert. Zinn: Wir müssen uns darüber klar sein, daß der Grundrechtskatalog ein Mindestkatalog ist. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir wollten auch nur einen Mindestkatalog aufstel-

len. Zinn: Einzelne Rechte können weitergehend ausgestaltet werden. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir haben Gewicht darauf gelegt, die Fassung möglichst kurz zu halten, wegen der vielen Zweifelsfragen, die auftauchen können, aber doch einen Mindeststandard von Grundrechten festzulegen. Dr. Heuss: Ich habe vor mir selbst eine innere Sorge, am Beginn eines Grundgesetzes mit einer vorstaatlichen Deklaration zu beginnen. In der Determinierung, daß jeder Mensch von Natur aus eigene Rechte besitze, ist mir bei aller Wertschätzung des Naturrechtlichen ein Satz ausgesprochen, der in der Interpretation vollkommen freibleibend ist. Nun gibt es aber Dinge der gesellschaftlichen Organisation, wie etwa die Sozialorganisation, die mit der Natur keine

Vergleichbarkeit

mehr haben.

war es Herr Paul, der forderte, das Recht auf Arbeit in den Grundrechtskatalog aufzunehmen11). Da frage ich: Kann man das Recht auf Arbeit in dem modernen, sozialen Sinn als ein Naturrecht ansehen? Mir geht das nicht ein. Ein solches Recht hat mit naturrechtlichen Dingen nichts zu tun. Dr. Schmid: Man könnte es ein zivilisatorisches Recht nennen. Dr. Heuss: Der erste Satz muß sozusagen das Ganze decken. Ich habe da vor mir selber ein Gefühl der Unsicherheit. Ich möchte bei der Formung des ersten Absatzes von der Menschenwürde ausgehen, die der Eine theologisch, der Andere philosophisch, der Dritte ethisch auffassen kann. Ich bin so zu folgender

Wenn ich nicht irre,

Fassung gekommen:

Die Würde des menschlichen Wesens steht im Schutze der staatlichen

Ordnung. 10) Zur Frage des Menschenbildes des Grundgesetzes vgl. zuletzt Andreas Pawlas: Grundgesetz und Menschenbild. Aus Politik und 3.

«) Vgl. Dok. 4, TOP

Zeitgeschichte B 49/91,19. Nov. 1991, S. 37 ff.

67

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etwas zu dünn. Ich wollte mich mit dieser kurFormel begnügen. Allerdings fehlt dann eine Überleitung zu den Grundrechten. Aber ich glaube nicht an die von Natur aus eigenen Rechte. Für unmöglich halte ich es aber, im Abs. 2 zu sagen, daß das deutsche Volk sie erneut als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaften anerkennt. Nein, wir können die Geschichte nicht nur als eine Pointierung gegen den Nationalsozialismus auffassen. Wir unterliegen vielfach dieser Gefahr. Die Geschichte ist aus dem deutschen Wesen, aus der deutschen Entwicklung herausgewachsen. Dieses „erneut" darf nicht drin sein. Dr. Schmid: Es handelt sich nicht darum, etwas gegen den Nationalsozialismus zu pointieren. Eine Verfassung ist sehr häufig eine metanoia, eine Umkehr im Denken, im Fühlen. Ich hätte gar nichts dagegen, wenn das Grundgesetz zum Ausdruck brächte, daß es anders gesehen werden will, als es die doch mehr oder weniger staatsverabsolutierenden Verfassungen von vor 1933, im Gefolge Hegels12), oder vielmehr seiner Nutznießer, wollten. Dr. Heuss: Ich wende mich gegen den Ausdruck „erneut". Wenn man schon eine Pointierung will, dann ist diese Pointierung denn doch zu flach. Ich würde auch die Worte „unabänderlich" oder „unabdingbar" fortlassen, weil der Akzent sich völlig auf diese Begriffe verlegt, während der wahre Sachverhalt die Bindung von Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung sein soll. Hier kommt eine Angstvorstellung zum Ausdruck, und das scheint mir falsch zu sein. Es ist ein falscher Ton darauf. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir hielten es für gut und nützlich, aus unserem Grundgesetz den Augenblickszustand hervorleuchten zu lassen. Angesichts der Intensität und Stärke, mit der das Naturrecht heute betont wird, hielten wir es zumindest für zweckmäßig, das Naturrecht nicht unberücksichtigt zu lassen. Nun wissen wir, daß mit dem Naturrecht allein, auch mit einem Satz, wie ihn Herr Dr. Heuss soeben vorgetragen hat, bei der praktischen Verwirklichung der Rechte des einzelnen sehr wenig anzufangen ist. Vielmehr muß man die Grundrechte genauer formulieren und klarer umreißen, damit sie zu bindenden Rechtssätzen werden können. Unsere Absicht war, in den Art. 2 ff. die vorstaatlichen Rechte so aufzuführen, wie sie die Gegenwart sieht. Damit wäre festgelegt, daß das den Grundrechten zugrundeliegende Naturrecht zur Auslegung der so formulierten Grundrechte herangezogen, darüber hinaus aber nicht der Anspruch erhoben werden könnte, daß in der Verfassung noch andere Grundrechte hineinzuinterpretieren sind. Frau Dr. Weber: Auch ich bin der Meinung, daß in der Verfassung nur Grundrechte und Grundsätze einen Sinn haben, die der geschichtlichen Stunde entsprechen. Man kann nicht alles aus dem Naturrecht ableiten. Aber das Naturrecht ist gleichwohl wichtigste Grundlage. Der Sozialismus, aber auch andere Strömungen der Zeit, gehen nicht von der Würde des Menschen aus, sondern unmittelbar vom Staat und stellen den Menschen unter den Staat, geben ihm keine Rechte vor dem Staat.

„Würde des Menschen" ist mir

zen

12) Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), Philosoph. 68

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Daher finde ich den Satz, der von der Würde des Menschen ausgeht, außerordentlich wichtig und richtig. Es bleibt dem Einzelnen unbenommen, ob er von religiösen, philosophischen, ethischen oder geschichtlichen Einsichten ausgeht. Aber daß wir in dieser geschichtlichen Stunde die Würde des Menschen an den Anfang der Verfassung stellen, halte ich für sehr bedeutsam. Zweitens glaube ich, daß man den Grundrechtskatalog nicht zu umfangreich gestalten [darf]. Denn es gibt eine Reihe von Rechten, die aus der geschichtlichen Entwicklung hervorgehen und nicht unbedingt der Würde des Menschen

entspringen.

Drittens: Auch ich wünsche, daß das Wort „erneut" in Abs. 2 fällt. Ich sehe darin eine unerwünschte Hervorhebung, und wir können uns nicht darauf berufen, daß man die Grundrechte in allen Perioden der deutschen Geschichte beachtet

hat. Schließlich ist notwendig, daß Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung die Grundrechte, auf denen die Würde des Menschen beruht, als unmittelbar verpflichtendes Recht anerkennen. Weder Gesetzgebung noch Verwaltung noch Rechtspflege haben ein Recht, von sich aus die Würde des Menschen zu beschneiden. Wir wollen die Grundrechte in der Verfassung garantieren; daher müssen wir Vorsorge dagegen treffen, daß sie den Menschen in einer viel zu leichten Weise wieder abgesprochen werden können. Wir wissen aus Erfahrung, wie schnell man durch verfassungsänderndes Gesetz oder gar auf dem Verordnungswege die Grundrechte beseitigt und unwirksam machte. Keine Zeit hat mehr Grund, darauf zu achten, wie die unsrige. Zinn: Es ist interessant, daß sowohl die Erklärung der Menschenrechte13) wie die Bill of Rights von Virginia14) von Rechten sprechen, die den Menschen von Natur aus zustehen. Auch die französische Verfassung von 1946 erklärt, daß das französische Volk erneut und feierlich die Droits de l'homme bestätigt15). Was wir im Auge haben, sind gar nicht Grundrechte im weiten Sinne, sondern eng umrissene Menschenrechte, die ursprünglich aus dem Versuch des Individuums entstanden sind, sich gegen die Übergriffe der staatlichen Allmacht zu wehren. Diese Menschenrechte waren nur einseitig eine Reaktion auf die staatliche Willkür. Dann entwickelte sich die Erkenntnis, daß der Mensch nicht nur ein Individuum, sondern ein Gemeinschaftswesen ist. Aus dieser letzten Erkenntnis heraus erfolgte der Umschlag, der zur Gestaltung der Lebensordnungen führte und schließlich zu einer Überbetonung der menschlichen Gemeinschaft geführt hat. Wir müssen also streng genommen von Menschenrechten sprechen. Es ist vielleicht ganz gut16), auf vorverfassungsmäßige Rechte hinzuweisen und ausdrücklich zu erklären, daß es darüber hinaus noch Rechte gibt, die zwar auch einen besonderen Verfassungsschutz genießen sollen, die man aber nicht schlechthin als Grundrechte bezeichnen kann.

13) 14) 15) 16)

Dok. Nr. 10. Dok. Nr. 4, Anm. 7. Dok. Nr. 4, Anm. 16.

Folgt gestrichen: „in

der

heutigen zivilisierten

Menschheit". 69

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Ich auf die das

habe mir auch überlegt, ob man zunächst im wesentlichen nur das Recht Freiheit und Gleichheit regelt, und in einem zweiten Teil die Grundrechte, etwas abseits liegen, die wir aber trotzdem aufnehmen wollen, wie etwa Recht auf Arbeit. Dr. Schmid: Freiheitsdeklarationen sind i. a. entstanden aus dem religiösen Pathos der Minoritäten, die sich vor dem Aufgefressenwerden durch den Leviathan der Staatsallmacht schützen wollten. Deswegen hielt man es für nötig, einen Staatsbegriff zu schaffen, der dem Menschen den Primat zuerkennt und den Staat nur als sekundäres Produkt menschlichen Willens erscheinen läßt. Der Mensch bringt im Wege einer vertraglichen Verpflichtung in den Staat etwas ein. In diesem Augenblick haben die Menschen sich bis auf die Vorbehalte, die sie machten, ihrer absoluten individualen Rechte begeben. An die Stelle der volonté de tous tritt die volonté générale. Der Mensch ist nach Aristoteles ein zoon politikon. Das heißt nicht: Der Mensch ist ein Gesellschaftswesen, sondern der Mensch ist etwas, das vom Staat her bestimmt wird. Die Sophisten sagten dagegen: Der Staat ist thesei, ist Menschenwerk; deshalb hat der Staat nur Anspruch auf das, was der Mensch ihm gibt. Ich würde das Ganze dezisionistisch-voluntativ fassen: Wir, die wir hier sind, erklären, daß wir unterhalb eines bestimmten Standards von Freiheiten und Rechten des Einzelmenschen kein staaüiches Leben führen wollen. Ich habe folgende, primitive, Formulierung vorzuschlagen, die den Gefahren der vorhandenen Formulierungen aus dem Wege geht: Die Würde menschlichen Lebens wird vom Staate geschützt. Sie ist begründet in Rechten, die dem Menschen jedermann gegenüber Schutz gewähren. Deshalb werden Grundrechte gewährleistet, die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht binden. Den Abs. 2 des Art. 1 würde ich in die Präambel nehmen. Diese Fassung besagt zunächst: Die Würde des menschlichen Lebens ist ein primäres Element; der Staat ist das Gehäuse, das sie hegt. Worin liegt die Würde begründet, worauf ruht sie? Auf Rechten, die den Menschen jedermann gegenüber Schutz bieten, Menschen und Obrigkeiten. Damit ist der Mindeststandard charakterisiert, von dem wir ausgehen wollen, die absolute Schranke, die gegenüber der Staatsraison aufgerichtet ist. Die von niemand bestrittene notwendige Staatsraison muß an einer bestimmten Barriere halt machen. Der Staat muß gelegentlich opportunistisch handeln, aber irgendwo muß er auf seinen Vorteil verzichten können, wenn er sieht, daß er sonst bestimmte Rechte des Menschen mit Füßen treten müßte. Hier spielen die Lehren der Nominalisten herein und die Linie der bösen Entwicklung geht über Marsilius von Padua") und Hobbes18) zu den totalitären Ideologen unserer Zeit. Dr. Heuss: Ich schlage folgende Fassung als ersten Satz vor: Die Würde des menschlichen Wesens steht im Schutze der staatlichen

Ordnung. ") Marsilius von Padua (1280-1342/43), Staatstheoretiker. 18) Thomas Hobbes (1588-1679), englischer Philosoph. 70

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Der Begriff „staatliche Ordnung" sagt schon etwas aus. Der Staat ist nicht bloß böse, sondern er ist der Domestizierer des Menschen, der Befrieder. Er ist nicht

der Böse. Dr. Bergsträsser: Gegenüber der Kritik des Herrn Dr. Schmid an dem Wort „erneut" möchte ich sagen: Dieses „erneut" soll die Menschenwürde abgrenzen gegen eine übertriebene Staatsräson, nicht nur nach außen, sondern nach innen. Der Staat muß bestimmte Rechte des Menschen anerkennen, einerlei, ob ihre Außerachtlassung für einen augenblicklichen staatlichen Zweck nützlich wäre oder nicht. Von diesem Staatsräson-Utilitarismus wollen wir loskommen. Das „erneut" soll kein Sündenbekenntnis ausdrücken, sondern eine Abgrenzung. Wenn wir von der Würde des Menschen sprechen, so sind wir uns im Unterausschuß darüber klar gewesen, daß wir nicht einen Katalog allgemeinster Grundrechte, auch sozialer Grundrechte, sondern nur einen Katalog echter Grundrechte schaffen wollten. Unter diesem Gesichtspunkt muß man den Art. 1 doch etwas anders ansehen. Zu dem Vorschlag des Herrn Dr. Schmid folgendes: Es ist der einzelne Mensch, dessen Würde geschützt werden soll. Wenn wir vom menschlichen Leben sprechen, dann wird das mit einer Reihe anderer Artikel kollidieren. Dr. Heuss: In dem Vorschlag des Herrn Dr. Schmid stößt mich das Wort „jedermann" ab. Dr. Schmid: „Jedermann" bedeutet: quiscumque. „Jedermann" ist jeder, der im Verhältnis zu mir ein „du" ist. Dr. Heuss: „Jedermann" ist ein zu flaches Wort. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Meinungen über den Art. 1 gehen inhaltlich nicht weit auseinander; es handelt sich eigentlich mehr um Formulierungsfragen. Wir wollten mit der Fassung des Art. 1 insbesondere auch den Gegensatz zu dem ausdrücken, was wir in der unmittelbaren Vergangenheit erlebt haben. Die Verletzung der Menschenwürde hat unter dem Nazi-Regime eine große Rolle gespielt. Worin hat sie bestanden? Sie hat gelegen in der Verletzung der Rechtspersönlichkeit des Menschen, in der Verletzung des Mindeststandards an Rechten, die die Rechtspersönlichkeit ausmachen. Den gleichen Gedanken wollte Herr Dr. Schmid wohl auch zum Ausdruck bringen, lediglich mit anderen Worten. Dr. Bergsträsser: Wir lehnen die Vergottung des Staates ab, wie wir sie unter dem Nazi-Regime erlebt haben. Dr. Schmid: Ich finde „jedermann" sehr klar. Warum wollen wir dem Wort nicht eine neue Dignität geben? Dr. Heuss: Ich darf meine Formulierung wiederholen: Die Würde des menschlichen Wesens steht im Schutze der staatlichen nur

Ordnung. Sie ist begründet

in ewigen Rechten, die das deutsche Volk als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaften anerkennt. Frau Nadig: Mir scheint die Formulierung, die Herr Dr. Heuss zuerst vorgetragen hat, die richtige zu sein. Das menschliche Wesen ist der weitere Begriff; es ist eingebaut in die staatliche Ordnung. Damit ist alles gesagt. Kaiser: Ich konnte der Beratung leider nicht von Anfang an beiwohnen. Ich möchte aber an die Herren Dr. Heuss und Dr. Schmid die Frage richten, warum 71

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nicht mit den ewigen Rechten beginnt und dann den Staat, der sie schützt, folgen läßt. Der gemeine Mensch, mit dem ich rechne und der in man

Staatsdingen

nicht

Dr. Schmid: Die

so geschult ist, würde diese Reihenfolge besser verstehen. Formulierung beginnt sehr zweckmäßig mit der Würde, eine

Eigenschaft, die bestimmend für den Menschen ist und den Menschen von anGeschöpfen unterscheidet. Der Mensch ist innerhalb der Schöpfungsordnung ein Wesen, dem seine spezifische Würde zukommt. Dann wird gesagt: deren

Die Würde, dieses Attribut des Menschen, steht im Schutze der staatlichen Ordnung. Die Würde ist das Primäre, der Schutz durch die staatliche Ordnung das Sekundäre. Die Reihenfolge ist also richtig. Dr. Heuss: Ich habe vorhin schon betont: Ich möchte das Naturrecht als Katavon Rechtsverbindlichkeiten nicht nehmen, sondern das Naturrecht nur als Basis und Mittel einer moralischen Überprüfung ansehen. Die Formulierung „von Natur aus eigenen Rechten" erscheint mir wegen der Mißverständlichkeit der Konsequenzen nicht zweckmäßig. In meinem Vorschlag steht die „Würde des menschlichen Wesens" als nicht interpretierte These. Deshalb sage ich nicht, daß sie vom Staate geschützt wird, sondern daß sie im Schutze der staatlichen Ordnung steht. Ich sehe darin schon eine Abwendung vom Staat als Machtapparatur. Auch hier gilt der Satz: Homo homini lupus. Ich wollte die ewigen Rechte zunächst auch als These aussprechen, die ihre Interpretation in den Art. 2, 3, 4, 5 erhält. Die Wendung „im Schutze der staatlichen Ordnung" hat auch eine schöne[re] Kadenz als der Ausdruck „vom Staate geschützt", weil der Staat in seine Rechtssphäre, nicht in die Machtsphäre gestellt ist. Dr. Bergsträsser: Warum wollen wir eigentlich „das menschliche Wesen" statt „der Mensch" sagen? Ich finde den letzteren Ausdruck viel anschaulicher als den Begriff „Wesen", das einen gewissen Dunstkreis um sich hat. Dr. Schmid: Ich würde sagen: „Die Würde des menschlichen Daseins steht im Schutze des Staates". Ich erinnere an das schöne Gleichnis des Epiktet19) von dem an seine Bank angeschmiedeten Galeerensklaven, der immer noch seine immanente Menschenwürde bewahrt. Wenn ich von der „Würde des menschlichen Daseins" ausgehe, ist dieses Attribut des Menschen als auszeichnend aner-

log

kannt. Dr. Heuss: „Dasein" ist etwas Vegetativ-Biologisches; es betrifft die physischvegetative Existenz. Ich bin zu meiner Formulierung gekommen, um die Herren-

chiemseer Fassung

zu

konkretisieren. Die Würde des Menschen ruht in ihm sel-

ber; aber ihre Anerkennung innerhalb der sozialen Gemeinschaft setzt einen anderen voraus. Dieser Andere ist der organisierte Andere, der Träger des Gemeinschaftslebens. Das „Dasein" bringt die Sache in eine andere Ebene. Dr. Schmid: Bewußt! Das ist die Absicht. Dr. Heuss: Für die Lebensordnung ist das Dasein das Beziehungsvollere. Die Gleichheit ist von uns doch nur als rechtliche Option zu begreifen. Jeder weiß, daß die Menschen ungleich sind. Mit dem Begriff der Gleichheit verbinden wir ein demokratisches Pathos, nicht eine Nivellierung. 19) Epiktet (ca. 72

50-140

n.

Chr.), Philosoph, Stoiker.

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Vors. Dr. von Mangoldt: Ich möchte anregen, die Diskussion nunmehr zu beenden. Es empfiehlt sich, die einzelnen Formulierungsvorschläge einander gegenüberzustellen und uns zu entscheiden, für welche Fassung wir uns einsetzen wollen. Das letzte Wort können wir in der zweiten Lesung und dann noch im Hauptausschuß sprechen. Zunächst gilt es, voranzukommen. Dr. Bergsträsser: Wenn man sagt, die Würde könne nur vom Menschen selbst vertreten werden, so gibt es doch staatliche Zustände, in denen der Mensch nicht mehr in der Lage ist, zwischen seiner Würde und seiner Existenz zu optieren. Da scheint es mir nun wichtig zu sein, daß der Mensch vor diese Entscheidung nicht gestellt werden soll. Schräge: Um zu unterstreichen, was Herr Dr. Heuss gesagt hat: Viele unter uns und Tausende andere haben die Würde in der Nazizeit hochgehalten, haben dafür Opfer gebracht und sind dafür in den Tod gegangen. Aber die Würde wurde getreten, wie es schlimmer nicht möglich war. Diese Würde sollte der Einzelne hochhalten, auch wenn er diskriminiert wird. Dr. Schmid: Das ist genau das, was ich meine. Man muß unterscheiden zwischen der Würde des Menschen, die immanent ist und über die der Einzelne allein Hüter ist, und der Möglichkeit, die ihm gegeben ist, in Würde zu leben. Dr. Pfeiffer: Die Formulierung „Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung" erscheint mir erstens lapidar, zweitens klar, drittens würdig, viertens löst sie beim einfachen Mann des Volkes, der sich nicht in philosophischen Gedankengängen zu bewegen pflegt, eine gewisse erhebende Wirkung aus. Daß die Formulierung auf die staatliche Ordnung abhebt, gibt dem Begriff „Staat" etwas Väterliches. Darum spreche ich mich für diese Formulie-

rung aus. Vors. Dr. von Mangoldt: Die übereinstimmende Auffassung des Ausschusses scheint zu sein, daß die Formulierung des Herrn Dr. Heuss als erster Absatz des Art. 1 übernommen werden soll. Zu entscheiden bleibt lediglich noch die offene Frage, ob man „Würde des Menschen" oder „Würde des menschlichen Wesens" sagen soll. Dr. Heuss: Ich plädiere für „Würde des menschlichen Wesens", weil dieser Ausdruck eine überphysische Atmosphäre hat, aber auch aus Gründen der sprachlichen Kadenz. Der Satz wird dadurch melodischer, rhythmischer; er klingt besser. Dr. Pfeiffer: Ich meine, „Würde des Menschen" ist klarer, präziser, akzentuierter, schärfer, besser. Frau Dr. Weber: Auch ich möchte mich für „Würde des Menschen" einsetzen. Dieser Begriff umfaßt alles und hebt weder das rein Biologische noch das rein Geistige hervor. Kurz, er ist erschöpfend. Vors. Dr. von Mangoldt: Nach dem Verlauf der Aussprache darf ich die Formu-

lierung festlegen: Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. Ich stelle die Zustimmung des Ausschusses zu dieser Fassung fest. Wir kommen nun zu dem zweiten Satz. Hierzu schlägt Herr Dr. Heuss vor:



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Sie ist begründet in ewigen Rechten, die das deutsche Volk als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaften anerkennt. Zunächst darf ich die Übereinstimmung des Ausschusses annehmen, daß das Wort „erneut" wegfallen soll. Dr. Schmid: Es fragt sich noch, ob man von „ewigen Rechten" sprechen soll. Das Postgeheimnis etwa ist doch kein ewiges Recht; auch nicht die Bestimmung, daß ein Verhafteter innerhalb von 24 Stunden dem zuständigen Richter vorgeführt werden muß. Ich würde sagen „unverzichtbar" oder „unabdingbar". Diese Rechte sollten in der Tat unverzichtbare, unabdingbare Rechte sein. Ich möchte damit den Absolutheitscharakter betonen. Kaiser: „Ewig" besagt dasselbe. Dr. Schmid: „Ewig" ist anfanglos und endlos. Frau Dr. Weber: Das Postgeheimnis usw. hängt doch mit der Freiheit des Menschen zusammen. Ich selbst möchte mich für „ewig" aussprechen, weil dieser Ausdruck das bezeichnet, was für alle Zeiten mit dem Wesen des Menschen verbunden sein soll, mag es auch in gewissen geschichtlichen Perioden nicht anerkannt worden sein. Vom Postgeheimnis kann man das nicht sagen; es ist sicherlich erst zu einem gewissen Zeitpunkt aufgetreten und aktuell geworden, aber nicht ewig. In dem Wort „ewig" liegt etwas Sakrales, Feierliches. Ich finde keinen besseren Ausdruck. Das Dritte Reich hat allerdings auch dieses Wort versäkularisiert. Das kann uns nicht hindern, es wieder in seine wahren Rechte einzusetzen. Dr. Pfeiffer: Das Wort „ewig" zwingt uns zu einer Begrenzung des Grundrechtskatalogs. Ich möchte anregen, es zunächst bei „ewig" zu belassen, damit wir vorwärts kommen. Wir werden später wohl zu Dingen kommen, die bei aller Wichtigkeit doch nicht mehr auf der absoluten Höhe stehen, daß man sie als ewig bezeichnen könnte. Vors. Dr. von Mangoldt: Diese Frage werden wir endgültig erst später klären können. Zunächst sollten wir entscheiden, ob wir die Worte „unabänderlich" und „unabdingbar" einsetzen oder weglassen sollen. Dr. Pfeiffer: Der Klärung bedarf es auch, ob wir „Gemeinschaft" oder „Gemeinschaften" sagen wollen. Ich persönlich halte „Gemeinschaft" für feierlicher, erhabener; der Plural „Gemeinschaften" hat einen gewissen enumerativen Cha-

rakter. Dr. Schmid: Auch ich möchte mich für den Singular aussprechen; er drückt das Universelle aus. Vors. Dr. von Mangoldt: Der Ausschuß entscheidet sich also für „Gemein-

schaft"20).

Frage offen, ob wir die Ausdrücke „unabänderlich", „unabdingbar" hineinnehmen oder streichen wollen. Dr. Heuss: Ich möchte sie weglassen, weil sie beim Lesen die eigentliche Sinngebung stören und etwas überladen. Nun bleibt noch die

20) In der Vorlage korrigiert aus Gemeinschaften. Das Kurzprot. führte auch den Plural „Gemeinschaften" auf, wurde dann jedoch durch eine gesonderte Mitteilung korrigiert (Z 12/45, Bl. 116). 74

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Dr. Schmidt: Das Verbum ist so voll, daß man kein Adjektiv mehr braucht. Vors. Dr. von Mangoldt: Ich darf also folgenden Beschluß des Ausschusses

zu

Protokoll nehmen: Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. Sie ist begründet in ewigen Rechten, die das deutsche Volk als Grundlage aller menschlicher Gemeinschaft anerkennt. Deshalb werden Grundrechte gewährleistet, die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht binden.

[b. „Der Mensch ist frei" (Art. 2)] Wir gehen nun zu Art. 2 über. Als Berichterstatter habe ich dazu verhältnismäßig wenig zur Erläuterung zu sagen. Abs. 1 schließt sich dem Entwurf von Herrenchiemsee an. Dagegen haben wir geglaubt, dem Abs. 2 dieses Entwurfs nicht folgen zu können, weil der Zusatz „innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten" zu Zweifeln Anlaß geben kann. Wir haben uns der Formulierung der hessischen Verfassung angeschlossen21). Weiter haben wir gemeint, auch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit in Verbindung mit der Freiheit festlegen zu sollen. Denn die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung stellt einen wesentlichen Schutz der menschlichen Freiheit dar. Daher schlagen wir vor: In diese Freiheit darf die Verwaltung nur im Rahmen der Rechtsordnung

eingreifen.

Wir haben die Worte „im Rahmen der

Rechtsordnung" bewußt gewählt, da auch das Gewohnheitsrecht die Möglichkeit zu Eingriffen geben kann und muß. Die Fassung der französischen Revolution von 178922) bringt eine zu starke Beschränkung der Verwaltung; daher haben wir uns an die hessische Verfassung angelehnt. Der letzte Absatz sieht die allgemeine Verfolgbarkeit von Eingriffen in die Freivor. Wir hielten es für wichtig, diesen Grundsatz aufzunehmen. Unter „Rechtsweg" ist dabei sowohl das Verfahren vor den ordentlichen wie vor den Verwaltungsgerichten zu verstehen. Damit wäre auch eine Generalklausel für die Länder gegeben. Die allgemeine verfassungsrechtliche Vorschrift ist, daß in allen Fällen, in denen in Freiheitsrechte eingegriffen wird, die Möglichkeit zu einer Klage im Verwaltungsstreitverfahren gegeben sein muß. Dr. Schmid: Ich bin mit Art. 2 in seiner ersten Fassung durchaus einverstanden. Nur scheint mir Abs. 2 Satz 2 zu eng gefaßt zu sein. Danach darf in diese Frei-

heit

21) Art. 2 der Verfassung vom 1.

Dez. 1946: „Der Mensch ist frei. Er darf tun und lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt oder die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens nicht beeinträchtigt. Niemand kann zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung gezwungen werden, wenn nicht ein Gesetz oder eine auf Gesetz beruhende Bestimmung es verlangt oder zuläßt. Glaubt jemand, durch die öffenüiche Gewalt in seinen Rechten verletzt zu sein, so steht ihm der Rechtsweg offen." 22) Dok. Nr. 4, Anm. 8. 75

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Verwaltung nur im Rahmen der Rechtsordnung eingreifen. Das ist mir etwas zu eng. Man kann damit viel Unheil anrichten. Wir haben das schon erlebt. Man kann entsprechende Gesetze erlassen, die einer differenziellen Behandlung Tür und Tor öffnen. Es könnte sein, daß die Verwaltung sagt: „Ich verbiete, weil du mir nicht gefällst!" Ich möchte nun die Möglichkeit, etwas zu verbieten, umschränken durch den Zusatz „innerhalb des für alle gleichen Gesetzes". Es darf kein Verbot geben, das nur auf einzelne oder Gruppen von einzelnen gerichtet ist. Vors. Dr. von Mangoldt: Diese Frage wird wohl im Grundrecht der Gleichheit heit die

geregelt

werden.

Dr. Schmid: Die Verwaltung muß schon gesetzlich ermächtigt sein. Ein Gesetz ist Ausfluß der volonté générale und nicht bloßer Ausfluß des Willens der Exekutive. Mit dem Gewohnheitsrecht ist es eine gefährliche Sache. Im Polizeirecht ist mancher Abusus Usus geworden. Ich möchte sowohl das Recht der Ingerenz des Staates als auch die Notwendigkeit klarstellen, daß der Staat zu einem Eingriff einer demokratisch zustandegekommenen gesetzlichen Ermächtigung be-

darf.

Vors. Dr. von Mangoldt: Die Verwaltung hat gewohnheitsrechtliche Normen in weitem Umfang ausgebildet. Erst die Rechtssprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts hat eigentlich die Abgrenzung der Rechte geschaffen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wirkt stark in der Richtung, daß die Rolle des Gewohnheitsrechts immer mehr eingeschränkt und schließlich beseitigt wird. Dr. Schmid: Ich halte meinen Antrag aufrecht, statt „im Rahmen der Rechtsordnung" zu sagen „innerhalb der Schranken des für alle gleichen Gesetzes". Vors. Dr. von Mangoldt: Das nimmt zum Teil das vorweg, was wir zum Gleich-

heitssatz sagen wollten. Dr. Schmid: Ich halte meinen Vorschlag für wichtig. Wenn der Zusatz „innerhalb der Schranken des für alle gleichen Gesetzes" hier steht, muß jede Eingriffsmöglichkeit des Staates bewiesen werden. Zum Schutz bedarf es keiner Rechte. Vors. Dr. von Mangoldt: Ich sehe in dieser Formulierung eine gewisse Gefahr. Im übrigen könnte auch bei dieser Fassung ein Eingriff auf Gewohnheitsrecht gestützt werden. Zinn: Unter „Gesetz" versteht man nicht immer nur Gesetzesrecht, sondern auch Verordnungsrecht, auch Gewohnheitsrecht. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Anwendung von Gewohnheitsrecht scheint mir ganz unumgänglich nötig zu sein. Dr. Schmid: Wir müssen mit einer erheblichen Wandlung im Gefüge unseres Verwaitungsapparates rechnen. Die gewählten Landräte sind ja etwas sehr Schönes, aber auf alle Fälle etwas, das die Rechte des Individuums gefährden kann. Wir wissen aus Erfahrung, daß der gewählte Mann, der nicht in der strengen Schule des an Reglements gebundenen und von vorgesetzten Gerichten gelegentlich zurechtgewiesenen Beamten aufgewachsen ist, sehr viel freudiger im Ausweiten der staatlichen Macht ist, als der fachlich geschulte und „erzogene" Beamte. Es ist ein Irrtum, zu glauben, der gewählte Mann sei weniger machtlüstern als der Berufsbeamte. 76

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Vors. Dr. von Mangoldt: Die Worte „innerhalb der Schranken des für alle gleichen Gesetzes" werden auf den letzten Absatz bezogen, wo die Gefahr von Eingriffen größer ist, weil die Erfahrung nicht vorliegt. Dr. Schmid: „Schranken" drücken etwas anderes aus als ein Rahmen. Ein Rahmen ist etwas Passives, eine Schranke ist schon aktiv, etwas Gegenschlagendes. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir haben uns gestern gerade auch über diese Frage unterhalten. Wir haben uns für „Rahmen" entschieden, weil es uns gefährlich erschien, die Verwaltung allzu sehr einzuschränken. Die Verwaltung ist dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit unterworfen. Aber im liberalen Rechtsstaat ist man zweifelhaft geworden, ob man mit diesem Wort genügend sichern kann, daß auch die Verwaltung Gemeinschaftsinteressen wahrnehmen kann. Jedenfalls kann die Verwaltung nicht nur auf Grund gesetzlicher Vorschrift tätig werden. Nicht jeder Verwaltungsakt beruht unmittelbar auf einem Befehl des Gesetzgebers. Vielmehr muß die Verwaltung in vielen Fällen die Möglichkeit zu aktiver Tätigkeit haben, wo nicht eine unmittelbar befehlende Norm dafür vorliegt. Darin liegt die Schwierigkeit. Die Verbotsnorm läßt sich zwar allgemein fassen; es besteht aber die Schwierigkeit bezüglich der Ermächtigungen zu Ein-

griffen.

Zinn: Die Vielfalt

Lebens zwingt die Verwaltung zu Maßnahmen, die schnell gesetzlich geregelt werden können. Denken Sie an die Unvon die Flüchtlingen, plötzlich in einem Verwaltungsbezirk eintrefterbringung fen. Da muß die Verwaltung auch ohne gesetzliche Ermächtigung handeln können. Bei der heutigen Situation ist es vielfach gänzlich ausgeschlossen, eine förmliche gesetzliche Grundlage für eine plötzlich notwendig werdende Maßnahme zu schaffen. Man hat sich mit unsinnigen Behelfskonstruktionen geholfen, z. B. durch Anwendung des Reichsleistungsgesetzes23), bei dem durchaus zweifelhaft ist, ob es überhaupt noch in Kraft ist und Anwendung finden kann. Dr. Schmid: Es ist nichts leichter für den Staat, als zu erklären, er sei in einem Notstand. Das hat er in der Vergangenheit oft genug getan. Ich halte das für eine gefährliche Sache. Man sollte das Regieren nicht so leicht machen. Ich bin fürs Erschweren. Zinn: Eine gewisse Beweglichkeit muß man der Verwaltung lassen; darüber hinaus aber müssen Ermächtigungen durch Gesetz vorliegen. Vors. Dr. von Mangoldt: Die Frage bedarf noch eingehender Untersuchung und Der Klärung. Ich schlage vor, wir stellen beide Eventualitäten zur Wahl. Ausschuß ist damit einverstanden. unseres

gar nicht

so



Die eine Variante ist: In diese Freiheit darf die

Verwaltung

im Rahmen der

nur

eingreifen.

Die andere Variante ist: In diese Freiheit darf die Verwaltung alle gleichen Gesetzes eingreifen.

nur

23) Gesetz über Sachleistungen für Sachaufgaben

Rechtsordnung

innerhalb der Schranken des für

vom

1.

Sept.

1939

(RGBl. I, S. 1645). 77

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[c. Persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Person (Art. 3)] Wir kommen zu Art. 3. Zinn: Art. 3 handelt von dem Recht der

persönlichen Freiheit. Sie ist ein Teil der menschlichen Freiheit schlechthin. Sowohl die Weimarer Verfassung24) wie der Entwurf von Herrenchiemsee25) kennen diese Bestimmung. Wir haben uns überlegt, ob wir sagen sollen: Die Freiheit der Person ist unantastbar. Wir haben uns dafür entschieden, den Ausdruck „unverletzlich" beizubehalten. Dagegen kann man z. B. sagen, das Postgeheimnis ist „unantastbar". Weiter haben wir geregelt, in welchen Fällen in das Recht der persönlichen Freiheit eingegriffen werden darf. Das Recht der persönlichen Freiheit umfaßt das Recht der Verfügung über den eigenen Körper, insbesondere der Bewegungsfreiheit. Abweichend von der Fassung der Weimarer Verfassung haben wir uns für folgende Formulierung entschieden: Nur in den Fällen, die ein förmliches Gesetz bestimmt, und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen darf jemand verfolgt, festgenommen, in Haft gehalten oder sonst in seiner persönlichen Freiheit beschränkt werden. Wir wollen aus den Erfahrungen der Staatspraxis in der Weimarer Zeit lernen und die Folgerungen daraus ziehen. Art. 114 der Weimarer Verfassung spricht von „Gesetzen", die solche Eingriffe zulassen26). Man konnte zunächst annehmen, unter „Gesetzen" seien förmliche Gesetze zu verstehen. Dazu gab Art. 48, Abs. 2 [WRV] Anlaß, nach dem ausnahmsweise Grundrechte durch Notverordnungen außer Kraft gesetzt werden konnten27). Die Praxis ging jedoch weiter. Sie ließ derartige Eingriffe sogar gewohnheitsrechtlich zu. So konnte man schließlich mit §10 II 17 A. L.28) oder dem preußischen Polizeiverwaltungsgesetz29) ungefähr alles machen, insbesondere die Schutzhaft ermöglichen, obwohl die Weimarer Verfassung von „Gesetz" spricht. Wir sehen also, daß der Ausdruck „Gesetz" keinen ausreichenden Schutz darstellt. Deshalb stellen wir auf ein „förmliches Gesetz" ab. Nur ein förmliches Gesetz soll die Ermächtigung geben, in die persönliche Freiheit des Einzelnen

einzugreifen.

von Herrenchiemsee haben wir noch die besonders die Strafverfolgung. Diese soll nur dann Verfolgung aufgenommen, zulässig sein, wenn ein förmliches Gesetz sie zuläßt, und auch dann nur in der

In

Übereinstimmung

mit dem Entwurf

24) Art. 114 WRV. 25) Art. 3 ChE. 26) WRV, Art. 114, Abs. 1 lautete: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

Eine Beeinträch-

tigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig." 27) Art. 48, Abs. 2 WRV lautete: „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zweck darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 153 oder zum Teil außer Kraft setzen." 28) Dok. Nr. 4, Anm. 25. 29) Dok. Nr. 4, Anm. 26. 78

festgesetzten

Grundrechte ganz

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diesem förmlichen Gesetz vorgeschriebenen Form. Wir erläutern den Begriff der Freiheitsentziehung näher und sprechen von Verfolgung, Festhaltung, vorläufige Festnahme, Inhafthaltung und von sonstiger Beschränkung der pervon

sönlichen Freiheit. Absatz 3 des Artikel 3 ist in mehr oder

weniger gleicher Fassung in den meisten Er regelt das Verfahren nach der vorläufigen Festnahme. Man denkt dabei meist an die Festnahme im Rahmen eines Strafverfahrens. Das ist ungenügend und bedarf der Erweiterung. Eine Freiheitsentziehung ganz gleich, welcher Art, sollte man auf die Dauer nur aufgrund richterli-

Länderverfassungen enthalten.

cher

Anordnung oder Bestätigung zulassen. Neben den Freiheitsentziehungen der Strafgesetze kennt man die vorläufige Festnahme, die z.B. im §127 der Strafrechtspflegeordnung30) für die amerikanische Zone geregelt ist. Die vorläufige Festnahme, die unter gewissen Voraussetzungen vorgenommen werden kann,

darf eine gewisse Zeitdauer nicht überschreiten und muß dazu führen, daß der Richter tätig wird. Wir sehen davon ab, vorzuschlagen, daß der vorläufig Festgenommene binnen 24 Stunden dem Richter vorzuführen ist, sondern schlagen vor, vorzusehen, daß in Übereinstimmung mit der Strafprozeßordnung die Vorführung spätestens am Tage nach der Ergreifung zu erfolgen hat. Der Richter hat dem Festgenommenen die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen, ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben und eine Person seines Vertrauens von der Festnahme zu verständigen. Der Richter soll dann unverzüglich entweder durch schrifüichen Haftbefehl seine Verhaftung anordnen oder ihn in Freiheit setzen. „Unverzüglich" heißt: ohne schuldhaftes Zögern. In der Praxis sind hier oft Schwierigkeiten aufgetreten. Der Schwerverbrecher, der ein schwierig aufzuklärendes Verbrechen begangen hat, muß nach manchen Verfassungen binnen 24 Stunden nach der Festnahme dem Richter vorgeführt werden, und der Richter muß über den Erlaß eines Haftbefehls entscheiden, obwohl die ErmitÜungen noch gar nicht so weit gediehen sein können, um festzustellen, ob dringender Tatverdacht vorliegt oder nicht. Das führt in der Praxis zu unerwünschten Ergebnissen. Entweder läßt ihn der Richter frei, muß ihn freilassen, weil er bei sorgfältiger Prüfung zu der Überzeugung kommt, daß zur Stunde noch kein dringender Tatverdacht vorliegt, oder aber der Richter prüft das Vorliegen des dringenden Tatverdachtes nicht mit der gebotenen Sorgfalt. Ich erinnere an den Fall Grzymek31). Die Polizei führte wenige Minuten vor Ablauf der 24 Stunden den Festgenommenen dem Richter vor, behauptete, sie habe monatelang Ermittlungen angestellt, die aber tatsächlich unzurei30) Straf rechtspflegeordnung und die

1946 umfaßte das StrafgerichtsVerfassungsgesetz 1946 1946. Abdr. in: LRGS, S. 15 ff. Der § 127 lautete: „1) Wird

von

Strafprozeßordnung

jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt,

so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn ohne richterlichen Befehl vorläufig festzunehmen. 2) Die Staatsanwaltschaft und die Polizeibeamten sind auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzung eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen und Gefahr im Verzug obwaltet. 3) Bei strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist die vorläufige Festnahme von der Stellung eines solchen Antrags nicht abhängig." 31) Fall Grzymek: Einschlägiges ließ sich nicht ermitteln.

79

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chend waren, eine schnelle

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daß der Vernommene erklärte,

Aufklärung Bewegungsfreiheit haben.

zu

er bleibe freiwillig in Haft, um Der Richter muß also eine gewisse

ermöglichen. „unverzüglich" entscheiden,

Er muß

d. h. ohne schuldhaftes Zögern. Die Strafverfahrensvorschriften können weitere Sicherungen vorsehen, z. B. regelmäßige Haftprüfungen. Abs. 4: Bei jeder anderen nicht auf richterliche Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine gerichtliche Entscheidung über ihre Fortdauer herbeizuführen. Hier wird wie bisher in keiner Verfassung deutlich gesagt, daß niemand längere Zeit auf Grund einer behördlichen Anordnung ganz gleich welcher Art, gleichgültig, ob es sich etwa um vorläufige Fürsorgeerziehung oder um die Einweisung eines Geisteskranken in eine Anstalt, die Festhaltung eines geschlechtskranken Mädchens handelt, in Haft gehalten werden darf; vielmehr ist unverzüglich eine gerichtliche Bestätigung der Fortdauer der Haft herbeizuführen. Wir haben hier bewußt davon abgesehen, die Haftprüfung binnen einer festen Frist, etwa von 24 Stunden vorzusehen. Man muß da einen größeren Spielraum lassen. Bei einem Geisteskranken ist eine Untersuchung notwendig, bei einem Fürsorgezögling muß seine Lebensführung geprüft werden. Vors. Dr. von Mangoldt: Ich darf ergänzend bemerken; Unter „gerichtlicher Entscheidung" sind sowohl Entscheidungen der ordentlichen Gerichte wie der Verwaltungsgerichte zu verstehen. Darüber besteht Klarheit. Das gilt auch für Finanzgerichte, ArbeitsgeZinn: richte. Dr. Schmid: Wie steht es mit der Polizeistrafverfügung? Zinn: Die Polizeistrafverfügung ist nicht mehr zulässig. Es heißt ausdrücklich: „Bei jeder anderen nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung". Frau Dr. Weber: Die Bestimmung gilt also auch für Jugendliche, die man auf—

greift, geschlechtskranke Mädchen,

u.

dgl.

Zinn: Auch für die. Dr. Heuss: Es besteht da allerdings die Möglichkeit, daß für diese Leute kein Unterbringungsraum da ist. Zinn: Kurz: Wir wollen mit dieser Formulierung eine umfassende Sicherung: Keinerlei Freiheitsentziehung auf die Dauer ohne Tätigwerden eines Richters. Wir gehen da also viel weiter als andere Verfassungen, die nur die wegen eines Delikts Verfolgten und Festgenommenen im Auge haben. Abs. 5: Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. Wir halten diese Fassung für besser als die des Herrenchiemseer

Entwurfs, die dem Festgehaltenen Mißhandlung gewährleisten will32).

Sicherheit

vor

körperlicher

und seelischer

Es taucht die Frage auf, ob man die Vorschriften über die Beeinträchtigung der Freiheit hier bringen soll. Man könnte auch daran denken, sie in dem Abschnitt über die Rechtspflege unterzubringen. Aber das, was hier geregelt wird, geht über den Rahmen der eigentlichen Rechtspflege hinaus. ) ChE, Art. 3, Abs. 4: „Den aufgrund von gesetzlichen Vorschriften festgehaltenen Personen wird Sicherheit vor körperlicher und seelischer Mißhandlung gewährleistet." 80

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Dr. Schmid: Es ist mehr als ein Akzidens der Rechtspflege. Zinn: Wesentlich ist, daß wir jede Ermächtigung zum Eingriff von förmlichen Gesetzen abhängig machen. Dr. Heuss: Ich bin mit Inhalt und Form dieses Art. 3 einverstanden. Aber ich hatte schon in der zweiten Sitzung unseres Ausschusses gesagt, wie sehr es mich bei allen Grundrechtskatalogen immer gestört hat, daß neben den erhabenen allgemeinen Rechtssätzen plötzlich ein so minutiöses polizeitechnisches Verfahren beschrieben wird33). Das ist freilich historisch zu verstehen aus dem Kampf gegen die Sternkammer34). Auf die Deklaration der Unverletzlichkeit mit ihrem Pathos folgt plötzlich eine nüchterne Gebrauchsanweisung, die die These von der Unverletzlichkeit einschränkt. Ist es nicht doch denkbar, diese technischen Dinge in dem Abschnitt unter die Rechtspflege unterzubringen? Oder kann man die Einschränkungen bezüglich der Grundrechte nicht in einem besonderen Abschnitt bringen? Ich bitte zu verstehen, warum ich diese technischen Dinge nicht an die Grundrechte angeschlossen sehen möchte: Sie heben die ganze Wirkung, das ganze Pathos auf. Mein ästethisches Empfinden sträubt sich dagegen. Dr. Schmid: Herr Dr. Heuss hat vollkommen recht. Ästhetisch, vom Pathos her ist das zweifellos ein störendes Element. Andrerseits muß auch die Korrektur dieses sehr absoluten Satzes: Die Freiheit der Person ist unverletzlich, zum Ausdruck kommen. Die Gemeinschaft hat unter Umständen ein Recht, das Grundrecht der Freiheit zu verletzen. Und das muß hier ausgesprochen werden. Es muß niedergelegt sein, unter welchen Umständen, unter Wahrung welcher Formen und unter welchen Einschränkungen des Ermessens der Staatsräson die Gemeinschaft diesen ihren Anspruch geltend machen kann, der eine Beschränkung, eine Verletzung des absoluten Freiheitsrechtes beinhaltet. Dr. Heuss: Den Abs. 2 würde ich stehen lassen. Das andere ist aber nur die Auswertung, der das ganze Pathos zerstört. Dr. Schmid: Das muß man aber verfassungsmäßig festhalten; denn es ist kein Akzidens der Rechtspflege, sondern etwas sehr Absolutes. Es sind Dinge, in denen dem Menschen sein Freiheitsrecht sinnfällig wird, die es plastisch zum Ausdruck bringen. Daher sollte man diese Bestimmungen an ihrem Platz belassen.

angeht, wonach festgehaltene Personen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden dürfen, so hätte ich noch vor 15 Jahren gesagt, eine solche Bestimmung braucht man nicht: non nostri saeculi est. Aber wir haben die Erfahrung gemacht und wissen es, daß die Folter eine ordentlinur mit geringeren che Institution unseres Rechtsverfahrens geworden war das Mittelalter kannte. Einschränkungen, als sie

Was den letzten Absatz



33) Vgl. den Redebeitrag von Heuss in: Dok. Nr. 3, TOP 3. 34) „Star Chamber Proceedings" wird im allgemeinen mit der Verletzung politischer oder

s. Ernst Frankel: Das amerikanische RegierungsA., Frankfurt 1976, S. 25; ferner Gladys Bradford (Hrsg.): Proceedings in the Court of the Star Chamber in the Reigns of Henry VII. and Henry VIII. 1911 ; insbes. die

sonstiger Freiheitsrechte gleichgesetzt, system.

3.

Einleitung. 81

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Auch die Habeas-corpus-Bestimmung des Abs. 4 ist notwendig. Sie erinnert an das Haro-Gerufe35) des altgermanischen Rechts. Ich würde sie hier lassen. Überhaupt sollten wir gerade in diesen Katalog nicht bloß das Deklaratorische, nicht bloß das in Erz zu Grabende aufnehmen, sondern durchaus auch jene Bestimmungen, in denen ganz sinnfällig wird, was es heißt, ein Recht auf persönliche Freiheit zu haben. Vors. Dr. von Mangoldt: Über diese Frage haben wir uns schon im Unterausschuß unterhalten. Wenn wir von dem Grundsatz ausgehen, daß die Grundrechte unmittelbar geltendes Recht sein sollen, müssen wir auch die Bedingungen normieren, unter denen die Möglichkeit zur Freiheitsentziehung gegeben sein soll. Sonst kommen wir zu einer Art Generalklausel, wie wir sie im Herrenchiemseer Entwurf vorfinden, der Eingriffe in allen den Fällen zuläßt, die das Gesetz bestimmt, und in den durch das Gesetz vorgeschriebenen Formen. Aber gerade das wollen wir vermeiden. Ich glaube, wir können bei der Formul'rrung der Grundrechte auf diese Klausel „im Rahmen der Gesetze" verzichten. Wir würden damit einen großen Vorteil gewinnen und gleichzeitig auch für die richterliche Auslegung eine feste Grundlage geben. Dr. Mücke: Wie steht es mit der polizeilichen Hausdurchsuchung? Dr. Heuss: Die kommt an anderer Stelle. Sie ist notwendig, und es ist nicht so, als ob ich sie heraushaben wollte. Der Grundsatz, daß festgehaltene Personen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden dürfen, ist wichtig und gehört nach den Erfahrungen in der Nazizeit in die Verfassung. Aber sie paßt nicht hierher. Sie stellt eine etwas gequälte Detailinterpretation dar. Ich bin durchaus damit einverstanden, daß solche Dinge ins Bewußtsein der Menschen treten sollen. Ich habe aber einen Widerwillen dagegen, mit solchen Detailbestimmungen den pathetischen Charakter des ganzen Abschnitts aufzuheben. Es handelt sich hier um ein rein polizeitechnisches Verfahren. Ich melde erneut meinen Einspruch an. Dr. Bergsträsser: Es gibt zwei Möglichkeiten der Lösung: Entweder man fügt einen zweiten Teil an, der die Begrenzungen der Grundrechte enthält, wie es die hessische Verfassung macht36); oder aber man nimmt diese Einzelheiten in den Abschnitt über die Rechtspflege hinein. Aber dadurch wird der Schlüssel zur Sicherung der Rechte wieder auseinandergerissen. Vors. Dr. von Mangoldt: Im Ausschuß herrscht Übereinstimmung darüber, daß diese drei Absätze unbedingt aufgenommen werden sollen.

35) Haro-Gerufe, in der Vorlage korrigiert aus Harro-Geschrei. Vgl. Zedlers Universallexikon („Großes Universal Lexicon aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden"), XII. Bd.: H He,

Verlag Johann Heinrich Zedlers. Halle und Leipzig 1735, S. 594: Ein insbes. in der Normandie eingeführter Brauch, daß ein Beklagter, über den man Haro oder Haron „schreyet", dem Kläger vor den Richter folgen muß. 36) Der I. Abschnitt der „Rechte des Menschen" in der Verfassung des Landes Hessen vom im



war überschrieben „Gleichheit und Freiheit" (Art. 17—26), ein II. Abschnitt „Grenzen und Sicherung der Menschenrechte".

1. Dez. 1946

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Ich möchte vorschlagen, die Frage, an welcher Stelle sie im Grundgesetz erscheinen sollen, zurückzustellen und am Rande zu vermerken: Ort der Einreihung vorläufig zurückgestellt. Wenn wir ein präzises Bild von den gesamten Grundrechten und den übrigen Teilen gewonnen haben werden, wird diese Frage sich wahrscheinlich leicht entscheiden lassen. Ich wiederhole: Wir behalten uns die endgültige Stellungnahme hierzu vor.

[d. Auslieferung, Asylrecht (Art. 4)] Wir kommen nunmehr zu Art. 4. Zinn: Art. 4 Abs. 1 spricht aus: Kein Deutscher darf ins Ausland ausgeliefert werden. Der Entwurf von Herrenchiemsee besagt: Kein Deutscher darf einer fremden Macht ausgeliefert werden. Die hessische und die Weimarer Verfassung bestimmen37), kein Deutscher darf an eine fremde Regierung ausgeliefert werden. Wir wollen beide Ausdrücke, Regierung und Macht vermeiden und einfach sagen: Kein Deutscher darf ins Ausland ausgeliefert werden. Dr. Eberhard: Ich habe gegen die Fassung einige Bedenken, namentlich im Hinblick auf die Situation in Berlin. In Berlin haben wir Sektoren, die den einzelnen Besatzungsmächten unterstellt sind. Bei einem Sektor kann man aber kaum von

„Ausland" sprechen.

Zinn: Bei Abs. 2 tauchen zwei Probleme auf. Zunächst die Auslieferung von Fremden. Ein Beispiel: ein Franzose kommt nach Deutschland. Nach bestehenden internationalen Verträgen sei er vielleicht auszuliefern, wenn er gegen das

Auslieferung soll aber niemals erfolgen, wenn der Mann ein politisch Verfolgter ist. Also: der politisch Verfolgte Ausländer soll Asylrecht bei uns haben. Der Begriff des Asylrechts ist fest umrissen durch das allgemeine Völkerrecht. allgemeine Strafgesetz

Dr. Schmid: In

Vorliegen

der

verstoßen hat. Die

einigen Rechten, z. B. in Skandinavien, ist es so, daß über das Voraussetzungen für eine Auslieferung ein Gericht entscheidet.

Regierung kann da nicht sagen, Venezuela reklamiere Herrn Gomez; ich liefere ihn aus, sondern sie muß sich zuerst an das zuständige Gericht wenden. Erst wenn dieses feststellt, der Mann sei kein politisch Verfolgter, habe also keinen Anspruch auf das Asylrecht, steht es im Ermessen der Regierung, den Mann auszuliefern. Stellt das Gericht fest, der Mann ist von der Auslieferungspflicht nicht betroffen, dann kann die Regierung ihn überhaupt nicht ausliefern. Ich meine, man sollte doch an Zeiten denken, wo man sich von Regierung zu Die

Regierung Gefälligkeiten

erweist. Vors. Dr. von Mangoldt: Was das Asylrecht der politisch Verfolgten betrifft, so müssen wir uns wohl an den allgemeinen Rahmen des Völkerrechts halten. Was ein politisches Delikt ist, ist in der Völkerrechtslehre sehr umstritten. Ich

Art. 112, Abs. 3: „Kein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert werden." In der Hessischen Verfassung vom 1. Dez. 1946 bestimmte Art. 7, Satz 1: „Kein Deutscher darf einer fremden Macht ausgeliefert werden."

37) WRV,

83

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habe in demnächst erscheinenden

eingehend dargelegt,

1948

Ausführungen

über das

Kriegsverbrechen

wie umstritten der Begriff des politischen Delikts ist38). Wir sind bei unserer Formulierung weiter davon ausgegangen, daß wir nicht mehr vorsehen dürfen, als das allgemeine Völkerrecht vorschreibt. Wir sind ei-

schwache Nation, und ohne die Mittel, weitergehenden Schutz zu gewähren, können wir nicht etwas tun, wofür wir selbst nicht die entsprechenden Mittel zur Hand haben, um es zu gewährleisten. Dr. Schmid: Nach dem Völkerrecht ist es so: Keine Regierung braucht auszuliefern, es sei denn, daß das politische Delikt mit einem Attentat verbunden ist. Wenn einer nach Deutschland flieht, weil er versucht hat, die Regierung seines Heimatlandes zu stürzen, so braucht er, auch wenn er sich des Hochverrats schuldig gemacht hat, nicht ausgeliefert zu werden. Deutschland macht sich dann völkerrechtlich weder schadensersatzpflichtig, noch setzt es den Anlaß zu einer Repressalie. Wenn dieser Mann aber geschossen hat, muß man ihn ausliefern. Das ist communis opinio. Nun ist aber ein anderer Fall denkbar. Ich denke da an die berühmten Methoden des Warren Hastings39) in Indien, der, wenn er einen ihm unbequemen Maharadscha unschädlich machen oder beseitigen wollte, ihn nicht wegen Hochverrats verfolgte, sondern wegen Verführung Minderjähriger. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir müssen ausgehen davon, daß innerhalb der deutschen Länder weiter ausgeliefert werden muß. Das ist ein unentbehrlicher Grundsatz. Es muß ausgeschlossen sein, daß etwa Bayern einen Verbrecher nach Nordrhein-Westfalen nicht ausliefert. Daher haben wir mit Absicht eingefügt: „ins Ausland". Andererseits soll dieser Grundsatz für politisch Verfolgte nicht gelten. Die Frage ist: Können wir diesen Satz in deutschen Ländern etwa Bewohnern der russischen Zone gegenüber anwenden? Zinn: Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das Reich noch existiert. Das ergibt sich auch daraus, daß die Behörden der Ostzone und der westlichen Zonen einander Rechtshilfe leisten. Diesen Rechtshilfeverkehr wollen wir nicht unterbrechen. Beruft sich einer aber darauf, daß er formell zwar wegen eines gewöhnlichen Vergehens verfolgt, in Wahrheit aber aus politischen Gründen gesucht wird, dann soll der Richter in den Westzonen sagen: hier prüfe ich nach. So wird es auch praktisch gehandhabt. Wenn ein derartiges Ersuchen gestellt wird, sieht der Richter die Akten ein, vernimmt den Mann und vollstreckt keineswegs sofort den Haftbefehl. Um zu vermeiden, daß die russische Besatzungsmacht bei den Amerikanern Beschwerde führt, daß deutsche Behörden die Rechtshilfe verweigern, schaltet sich bei uns die amerikanische Militärregierung ein und entscheidet, ob sie Bedenken habe oder nicht. Handelt es sich um einen politisch Verfolgten, so kann der Richter in sinngemäßer Anwendung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts und in Auslegung des Begriffs des Asylrechts sagen: ich liefere nicht aus. ne

v. Mangoldt: Das Kriegsverbrechen und seine Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart, in: Jahrbuch für Internationales und Ausländisches Öffentliches Recht, Bd. II/III, 1948, S. 283 ff. ') Warren Hastings (1732—1818), erster Britischer Generalgouverneur von Indien.

') Hermann

84

Vierte

Sitzung

23.

September 1948

Nr. 5

Dr. Schmid: Ich sehe die Zeit kommen, wo in der Ostzone Maquis-Erscheinungen auftreten werden. Die Bevölkerung wird dann, um sich Luft zu machen, zu Akten übergehen, die, sagen wir einmal, die Attentatsklausel streifen. Wollen wir einen Deutschen, der so etwas gemacht hat und deswegen zu uns geflohen

ist, ausliefern? Ich bringe dieses Beispiel, um anzuregen, daß unsere Formulierung auch solche Dinge decken sollte. Gesetzt, ein junger Mensch hat eine

Sowjet-Fahne heruntergerissen oder einen Markgraf-Polizisten40) mit Steinen beworfen. An sich müßte gegen ihn das Verfahren wegen Landfriedensbruch eröffnet werden. Der Mann ist hierher geflüchtet. Sollen wir den Mann ausliefern? Das geht doch nicht. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir sind von der Erwägung ausgegangen, diese Dinge sind so prekär, daß wir sie in der Öffentlichkeit nicht behandeln können. Es empfiehlt sich also eine kurze Formulierung, die aber die Möglichkeit gewährt, solchen Leuten unter allen Umständen Schutz zu gewähren. Andererseits sollten wir vermeiden, daß zu diesem Artikel eine Diskussion über innerdeutsche Fragen entsteht, die gefährlich werden könnte. Zinn: An sich können sich die Stellen der Ostzone nicht auf die Auslieferung berufen, und umgekehrt. Die russischen Behörden können sagen: Bitte, der Mann, den ihr sucht, ist hier und wir urteilen ihn ab. Wir haben solche Fälle gehabt. Ein Mann wurde auf Grund Haftbefehls gesucht, und es kam das Ersuchen, ihn auszuliefern. Unsere Antwort war: Schickt uns die Akten ein; wir verhaften ihn und urteilen ihn ab. Dr. Bergsträsser: Die Klausel „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts" hat noch andere Bedeutung. In Hessen hat die Militärregierung gefordert, daß wir Tschechen, die zu uns geflohen waren, nicht nur aufzunehmen, sondern ihnen auch Unterhalt zu gewähren hätten. Dr. Schmid: Das ist eine groteske Auslegung. Dr. Heuss: Was heißt überhaupt: „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts"? Vielleicht sagt man besser: „nach den Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechts". Dr. Schmid: Fassen wir doch die Bestimmung so: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Der Rest „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts" bleibt weg. Wir werden uns später mit der Bestimmung zu befassen haben, daß die allgemeinen Sätze des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir sind uns also darüber klar, daß wir die Worte „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts" streichen, weil später eine allgemeine Bestimmung kommt, wonach die allgemeinen Sätze des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. 40) Paul Markgraf (geb. 1910), Polizeipräsident

von

Ostberlin und

an

dem Aufbau der

sowjetzonalen Volkspolizei führend beteiligt. Schmid spielte hier auf Zwischenfälle an, die sich am 6. Sept. 1948 bei antikommunistischen Demonstrationen in Berlin abspielten,

und bei denen Schüsse seitens der Ostberliner Polizei fielen, nachdem ein Jeep mit sowjetischen Soldaten auf dem Weg zum sowjetischen Ehrenmal von Demonstranten mit Steinen beworfen worden war. Dabei wurde auch die sowjetische Flagge vom Brandenburger Tor heruntergerissen. Vgl. New York Times vom 10. Sept. 1948, Abschrift in: Z 45 F 5/26-3/8.

85

Nr. 5

Vierte

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September 1948

Dr. Heuss: Unter den Menschen, die aus der Ostzone zu uns kommen, um hier eine Stellung zu finden, ist keiner, der nicht erklärt, er sei politisch Verfolgter. Vors. Dr. von Mangoldt: Wir streichen also die Worte „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts". Die Verweisung auf die allgemeinen Sätze des Völkerrechts, die Bestandteil des Bundesrechts sind, folgt später. Nun müssen wir uns über unsere weitere Arbeit klar werden. Ich hatte schon zu Beginn der Sitzung angeregt, an den Beratungen der Unterausschüsse auch Mitglieder zu beteiligen, die nicht Juristen sind. Dr. Heuss: Wir werden von den Presseleuten mit Fragen belagert werden, was wir im Ausschuß beschlossen haben41). Es wäre zweckmäßig, darüber eine gewisse Einheitlichkeit herzustellen. Vors. Dr. von Mangoldt: Diese EinheiÜichkeit ist auch schon interfraktionell vereinbart. Pressekonferenzen, in denen die Vorsitzenden der Ausschüsse berichten, sollen täglich um 17 Uhr stattfinden. Es kann keinem Ausschußmitglied verboten werden, sich zu den Fragen zu äußern. Aber es wäre zweckmäßig, zu verhüten, daß verschiedene Auffassungen zutage treten.

41) Das Kurzprot. enthielt als Anlage die

vom

Ausschuß beschlossene Fassung der Artikel

1-4:

„Artikel 1 : Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. Sie ist begründet in ewigen [in der Vorlage hier Anm. 1 : .über den Ausdruck ,ewig' wird der Ausschuß später noch einmal beraten.'] Rechten, die das deutsche Volk als Grundla-

ge aller menschlichen Gemeinschaft anerkennt.

Deshalb werden Grundrechte gewährleistet, die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht binden. Artikel 2 : Der Mensch ist frei. Er darf tun und lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt oder die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens nicht beeinträchtigt. In diese Freiheit darf die Verwaltung nur im Rahmen der Rechtsordnung eingreifen,

(vergleiche 2. Fassung) jemand durch die

Wird

öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt,

so

steht ihm der

Rechtsweg offen. 2. Fassung des Absatz 3 des Artikel 2: In diese Freiheit darf die Verwaltung nur innerhalb der Schranken des für alle gleichen Gesetzes eingreifen. Artikel 3 [in der Vorlage hier Anm. 2 : .über den örtlichen Einbau wird später entschieden

werden.'] Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Nur in den Fällen, die ein förmliches Gesetz bestimmt, und nur unter Beachtung der dar-

vorgeschriebenen Formen, darf jemand verfolgt, festgehalten, vorläufig festgenomHaft gehalten oder sonst in seiner persönlichen Freiheit beschränkt werden. Jeder vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach dem Ergreifen dem Richter in

men, in

vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen, ihm Ge-

zu Einwendungen zu geben und eine Person seines Vertrauens von der Festnahme zu verständigen hat. Der Richter hat unverzüglich entweder durch schriftlichen Haftbefehl seine Verhaftung anzuordnen oder ihn in Freiheit zu setzen. Bei jeder anderen nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine gerichüiche Entscheidung über ihre Fortdauer herbeizuführen. Die Polizei darf niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen festhalten. Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. Artikel 4: Kein Deutscher darf ins Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."

legenheit

86

Vierte

Sitzung

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Nr. 5

Wunderlich: Das wird sich praktisch nicht verhindern lassen. von Mangoldt: Nun zu den weiteren Dispositionen. Die nächsten Grundrechte, die wir zu behandeln haben, sind: Aufenthalts- und Niederlassungsfreiheit. An diesen Beratungen bitte ich Herrn Schräge teilzunehmen. Au den Beratungen über das Grundrecht der Gewissensfreiheit wird Frau Dr. Weber teilnehmen. Vielleicht schaltet sich auch Herr Dr. Heuss ein. Zu den Diskussionen über die freie Meinungsäußerung und freie Meinungsbeschaffung wird Herr Wunderlich, unterstützt von Herrn Dr. Heuss, erscheinen; zu der Arbeit an dem Grundrecht der freien Religionsausübung Frau Dr. Weber und Frau Nadig. Vors. Dr.

87

Nr. 6

Fünfte

Sitzung

29.

September 1948 Nr. 6

Fünfte

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 29. September 1948

2-55.*] Stenogr. Wortprot, undat. und Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 112-115. Drucks. Nr. 155 Z 5/29, Bl.

ungez.

Anwesend2):

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Seibold, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Nadig, Schmid, Wunderlich, Zinn FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Eberhard (SPD), Paul (KPD) Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 10.00-12.33 Uhr

[1. ERÖRTERUNG DER VOM REDAKTIONSAUSSCHUSS DES AFG FORMULIERTEN ARTIKEL 5-9]

[a. Freizügigkeit (Art. 5)] Vors. Dr. von Mangoldt: Ich eröffne die Sitzung. Zunächst muß ich darauf hinweisen, daß die Formulierungen der Art. 5 bis 9, die Ihnen in Abdrucken vorliegen3), einige Fehler enthalten. Um Mißverständnisse zu vermeiden, bitte ich Sie, sie zu berichtigen.

56-68 (S. 3, 4, 6, 17, 18, 28, 30, 32, 36, 138 der ursprünglichen Zählung) wurden gen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und

!) Bl.

weneu

geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Die Vorlage ließ sich nicht ermitteln. Für die Art.

5—7 dürfte

es

sich

um

die Drucks.

Nr. 88 handeln: „In der

Sitzung des Redaktions-Komitees des Ausschusses für Grundsatzfragen am 24. Sept. 1948 ausgearbeitete Fassung der Artikel 5 bis 7: „Art. 5: Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Jeder Bundesangehörige hat das Recht, an jedem Ort des Bundesstaates seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen sowie seinen Beruf und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen. Dem Gesetzgeber bleibt es vorbehalten, die Berufsbildung zu regeln. Niemand darf

zu

einer bestimmten Arbeit gezwungen

werden, außer im Rahmen einer

allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur im Vollzug einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. Art. 6: Jeder Deutsche ist berechtigt auszuwandern. Die Ausübung dieses P.echts wird durch Gesetze geregelt. Art. 7: Die Wohnung ist unverletzlich. Durchsuchungen können nur durch den Richter,

bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen über das Strafverfahren vorgesehenen Organe angeordnet und in der dort vorgesehenen Form durchgeführt werden. Im Interesse des gemeinen Wohles, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, zum Schutze gefährdeter Jugendlicher können auch die Verwaltungsbehörden durch Gesetze zu Eingriffen und zu Beschränkungen ermächtigt werden". Zum Wortlaut von Art. 8 vgl. Anm. 22, von Art, 9 vgl. Anm. 25. 88

Fünfte Sitzung 29. In Art. 5, Zeile 2/3 muß es statt Zeile 5 ist das Wort „Gesetzgeber"

bildung" muß

es

heißen

September 1948

Nr. 6

„Bundesstaates" heißen „Bundesgebietes". In zu ersetzen durch „Gesetz"; statt „Berufsaus-

„Berufsausübung".

In Art. 7 ist statt „in der dort vorgesehenen Form" zu setzen „in den dort vorgesehenen Formen". In Art. 7 Abs. 2, 3. Zeile ist statt „Gesetze" „Gesetz" zu setzen.

In Art. 8 ist das letzte Wort „erfordern" durch „erfordert" zu ersetzen. Ich bitte nunmehr Herrn Zinn, über die Art. 5 bis 7 zu berichten. Zinn: Art. 5 regelt einen Sonderanwendungsfall des Grundrechtes der Freiheit, das sogenannte Recht der Freizügigkeit. In ähnlicher Weise hatte Art. 111 der Weimarer Verfassung4) ein solches Recht vorgesehen. Der Entwurf von Herrenchiemsee hat das Recht auf Freizügigkeit in den Katalog der Grundrechte nicht aufgenommen. Man ging dabei offenbar von der Erwägung aus, daß dieses Recht heute praktisch durch die Lage der Flüchtlinge und die Situation auf dem Wohnungsmarkt derart beschränkt sei, daß man von einer Freizügigkeit kaum noch sprechen könne. Satz 2 umschreibt das Recht näher: Jeder Bundesangehörige hat das Recht, an jedem Ort des Bundesgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen sowie seinen Beruf und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen. Von Freizügigkeit kann nur dann die Rede sein, wenn jeder in der Lage ist, seinen Arbeitsplatz frei zu wählen. Art. 111 der Weimarer Verfassung enthielt eine ähnliche Regelung; er sprach allerdings davon, daß jeder das Recht habe, jeden Nahrungszweig zu betreiben. Das ist identisch mit der freien Berufswahl und mit der freien Wahl des Arbeitsplatzes. Abs. 1 Satz 3 enthält einen Gesetzesvorbehalt: Dem Gesetz soll es vorbehalten bleiben, die Berufsausübung zu regeln. Diese Bestimmung ist notwendig, weil die Ausübung eines Berufs unter Umständen von der Erfüllung gewisser Voraussetzungen abhängig ist. Art. 5 Abs. 2 nimmt dann zur Frage des Arbeitszwangs und der Zwangsarbeit schlechthin Stellung. Der Arbeitszwang, wie ihn die Arbeitsverpflichtungsgesetze verschiedener Länder der amerikanischen Zone kennen und wie er auch in der Ostzone besteht5), bedeutet praktisch mindestens mittelbar eine Beschränkung der Freizügigkeit. Die Ausübung von Arbeitszwang soll gesetzlich beschränkt werden. Solche Beschränkungen sind natürlich nur in einem gewissen Umfang möglich. Die Gemeinden können auf Hand- und Spanndienste, auf den Feuerwehrdienst und dgl. nicht verzichten. Solche Dienste wird man zulassen müssen, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Dienstleistung auf einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Verpflichtung beruht. Art. 16 des

4) WRV, Art. 111: „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Reiche. Jeder hat das Recht, sich an einem beliebigen Orte des Reiches aufzuhalten und niederzulassen, Grundstücke dürfen eines 5) Vom Redner

erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben. Einschränkungen beReichsgesetzes." korrigiert aus „in Rußland herrscht." zu

89

Nr. 6

Fünfte

Sitzung

29.

September 1948

Herrenchiemseer Entwurfs6)

spricht

aus,

daß die

Zwangsarbeit grundsätzlich

un-

ist. Er sagt: „Zwangsarbeit in jeder Form ist unzulässig, außer auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung". Wir haben diese Formulierung nicht übernommen, sondern gesagt: „Zwangsarbeit ist nur in Vollzug einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig." Bei der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wird in der Regel noch nicht zum Ausdruck gebracht, daß damit die Verpflichtung zur Arbeitsleistung während der Strafvollstreckung verbunden ist. An sich erscheint es aber schon aus erziehlichen Gründen während der Vollziehung einer Freiheitsstrafe notwendig, einen Häftling zur Arbeit anzuhalten. Daher soll Zwangsarbeit auf Grund einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig sein. Art. 5 wird mit Rücksicht auf den Wohnungsmangel in den Übergangsvorschriften auf absehbare Zeit außer Kraft gesetzt werden müssen. Das Gleiche gilt für das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Weimarer Verfassung anerkannte auch das Recht des freien Grundstückserwerbs. In Art. Ill [WRV] waren allerdings Einschränkungen dieses Rechts durch Gesetz vorgesehen. Der Grundstückserwerb ist heute vielfach beträchtlichen Beschränkungen unterworfen; daher haben wir dieses Recht weggelassen. Dr. Schmid: Die Formulierung des Art. 5 entspricht im wesentlichen den klassischen Fassungen. Dem Gesetz soll es vorbehalten bleiben, die Berufsausübung zu regeln. Ist hier nur daran gedacht, daß etwa die Ausübung des Ärzteberufs an eine Approbation gebunden wird oder daß man nur Rechtsanwalt werden kann, wenn man bestimmte Examina abgelegt hat, oder hat man weitergehende Beschränkungen im Auge, etwa den numerus clausus und dgb? Ich für meinen Teil würde es bedauern, wenn man in diesem Punkte nicht alles Pathos des echten, humanistischen Liberalismus zum Ausdruck brächte; nämlich das Recht wirklicher freier Berufswahl und freier Berufsausübung mit Mindestanforderungen an die Art und Weise der Ausübung. Gegen die Möglichkeit etwa einen numerus clausus einzurichten, hätte ich große Bedenken. Man sollte diese Dinge den zuständigen Stellen nicht zu bequem machen, indem man ihnen die Möglichkeit gibt, zeitbedingten Stockungen und Stauungen mit dem numerus clausus abzuhelfen. Nein, man sollte jeweilig dem Übel an die Wurzel gehen. Gegen den Satz 1 des Abs. 2 in der jetzigen Fassung habe ich Bedenken. Es heißt da: Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Diese Bestimmung würde es, fürchte ich, nicht ausschließen, daß etwa ein Dienstleistungsgesetz praktisch die Zwangsarbeit einführt, zum mindesten aber eine sehr weitgehende Arbeitsverpf lieh lung. Ein solches Gesetz wird vielleicht den Ausdruck „Zwangsarbeit" nicht gebrauchen, aber es käme der Sache nach vielleicht im Wesen auf dasselbe hinaus. Ich kann mir vorstellen, daß heute schon bestimmte Gesetze in der Ostzone, in denen das Wort „Zwangsarbeit" nicht vorkommt, es möglich machen, junge Leute abzufangen und in die

zulässig

6) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 90

581.

Fünfte

Uranbergwerke

zu

bringen7).

Sitzung

29.

Wir sollten daher eine

September 1948

Nr. 6

Verfassungsbestimmung

vorsehen, die derartige Praktiken als verfassungswidrig stempelt. Sicherlich wird man nicht ohne die Möglichkeit auskommen, in Katastrophenfällen ein zur Dienstleistung und zur Beseitigung unmittelbarer Geerlassen. Ich denke da etwa an eine Überschwemmung, die eine Talsperre in Trümmer reißt, oder an Feuersnot. In solchen Notfällen wäre eine Arbeitsverpflichtung durch Gesetz festzulegen. Aber wir wissen, was man unter dem Schlagwort der Dienstverpflichtung in der Nazizeit sich alles geleistet hat. Die Abgrenzung wird schwierig sein; gleichwohl sollte man sich bemühen, eine klare Formulierung zu finden. Schon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gab es ein Dienstleistungsgesetz: das karolinische Feuerwehrrecht, das die Menschen verpflichtete, in Feuersnot einander zu Hilfe zu eilen. Das ist Nachbarschaftshilfe im weitesten Sinne des Wortes, und daran ist etwas Gesundes und Richtiges. Vors. [Dr. von Mangoldt]: Fälle wie den numerus clausus und Sonderbestimmungen über die Zulassung zu einem Beruf, etwa zu dem der Ärzte und Rechtsanwälte, die eine entsprechende Berufsausbildung fordern, sucht der letzte Satz des Abs. 1 zu treffen. Danach bleibt es dem Gesetz vorbehalten, die Berufsausübung zu regeln. Wir wollten eine Ermächtigung zu Beschränkungen in der Zulassung grundsätzlich vermeiden; vielmehr dem Gesetzgeber nur die Möglichkeit geben, im Einzelfall Bestimmungen zu erlassen, entsprechend etwa der Rechtssprechung, die sich zum Gewerberecht herausgebildet hat. Sie stellte fest: Die Zulassung solle nach dem Willen des Gesetzes vollkommen frei, aber die Berufsausübung an bestimmte Voraussetzungen gebunden sein. Insoweit wird Art. 5 einer Ergänzung bedürfen, indem man etwa sagt: Jeder Bundesangehörige hat das Recht, an jedem Ort des Bundesgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, sowie einen seiner Vorbildung entsprechenden Beruf und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen. Einen derartigen Zusatz müssen wir noch schaffen. Dr. Schmid: Das habe ich an sich nicht vermißt, sondern ich wollte nur wissen, ob der letzte Satz des Abs. 1 sich auf Maßnahmen beschränkt, die richtig und notwendig sind, oder aber, ob dieser Satz auch ein Roboter-System mit Hilfe des für alle gleichen Gesetzes zuläßt. Das möchte ich vermieden sehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Absicht des letzten Satzes des Abs. 1 geht dahin, in Fortführung der Rechtssprechung zum Gewerberecht nur die Berufsausübung zu regeln. Es muß die Möglichkeit gegeben sein, Gefahren, die in der Ausübung eines bestimmten Berufs liegen können, durch entsprechende gesetzliche Vorschriften zu beschränken. Dies ist die Tendenz der Rechtssprechung zum Gewerberecht. Unter keinen Umständen sollen aber Schranken für die Zulassung zu einem Beruf oder Gewerbe errichtet werden. Daher haben wir die Fassung gewählt, daß es dem Gesetz vorbehalten bleiben soll, die Berufsausübung zu re-

allgemeines Aufgebot fahr

zu

geln.

7) Zum Uranbergbau

in der SBZ

vgl.

Dok. Nr. 30, Anm. 31. 91

Nr. 6

Fünfte

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29.

September 1948

Dr. Schmid: Ich denke nicht an die Ausübung eines selbständigen Gewerbes, sondern an einen Arbeiter, einen Angestellten, kurz, einen Mann in abhängiger Stellung, der durch ein Gesetz unter Umständen derart eingeschränkt werden könnte, daß er zwangsläufig auf bestimmte Berufe hingelenkt wird, während andere Berufe ihm verschlossen bleiben, mit der Wirkung, daß es ihm unmöglich gemacht wird, an der Stelle und in dem Beruf tätig zu sein, wo er gerne arbeiten möchte. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Das würde nicht unter den Begriff der Regelung der Ausübung des Berufs fallen. Auf der anderen Seite fragt es sich, ob die Fassung, wonach jeder Bundesangehörige das Recht hat, seinen Beruf und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, nicht etwas zu weit ist. Der Entwurf der UN spricht hier von einem „seinen Anlagen und seiner Vorbildung entsprechenden Beruf8)". Die Möglichkeit einer solchen Einschränkung ist durchaus zu erwägen, weil sonst Rechte daraus hergeleitet werden können, die niemand zu billigen

vermag.

Schräge: Wir haben heute eine ähnliche Einrichtung, die es mit der Berufslenkung zu tun hat. Ich denke an die Berufsberatung bei den Arbeitsämtern. Man hört die jungen Leute und versucht, ihre Eignung für bestimmte Berufe zu ergründen. Darin liegt eine gewisse Lenkung des Arbeitsmarktes. Eine solche Lenkung kann man doch wohl nicht ohne weiteres abschaffen wollen. Dr. Schmid: Das ist auch nicht meine Absicht. Was ich dagegen verhindern möchte, ist, daß man mit gesetzlichen Zwangsmitteln jemand auf einen bestimmten Beruf hinzwingt9) oder von einem bestimmten Beruf abzulenken versucht; weiter, daß man mit gesetzlichem Zwang jemand daran hindert, seinen Beruf dort auszuüben, wo er es für richtig hält. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Das sagt Abs. 2 mit dem einfachen Satz: Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Dann folgt die Ausnahme, und da muß ich allerdings die Bedenken des Herrn Dr. Schmid wenigstens zum Teil anerkennen. Es wird sehr schwierig sein, eine Formulierung zu finden, die diese Bedenken ausräumt. Denn es gibt öffentliche Dienstleistungspflichten wie

Hand- und Spanndienste in den Gemeinden, Feuerwehr, Deichschutz und ähnliche Dinge, ohne die man nicht auskommen kann. Es muß sich aber um eine Arbeit „im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht" handeln. Über die Formulierung müssen wir noch sprechen. Dr. Schmid: Ich denke an Arbeiten zur Abwehr von Gefahren, die das Gemeinwohl bedrohen. Wunderlich: Das gilt auch für Wegebauten, die in den Gemeinden nur durch Spanndienste erledigt werden können. Zinn: Wie steht es mit der VerpflichLung, die Straße zu reinigen? Dr. Schmid: Das ist allgemeines Polizeirecht. Zinn: Das wollen wir ausschließen. Schließlich kann man niemand dazu zwingen, dafür zu sorgen, daß das Pflaster sauber ist.

8) Dok. Nr. 10. 9) Korrigiert aus „hinlenkt". 92

Fünfte Sitzung 29. September 1948

Nr. 6

Dr. Heuss: Wir unterhalten uns über die Frage, ob für die Zulassung für einen Beruf eine bestimmte Anlage oder Vorbildung notwendig sei. Ich habe mich bisher entschieden dagegen ausgesprochen, weil viele Leute ihre Anlagen erst später entdecken und erst später zur Entfaltung ihres Könnens in einem anderen Beruf kommen. Das darf man niemals außer acht lassen. Bei aller Anerkennung des guten Willens der Verfasser des Entwurfs der UN10) können wir ihrem Beispiel nicht folgen. Das dürfen wir nicht machen. Ich denke da besonders an die Journalisten, und wir haben in den letzten Jahren die grausame Erfahrung gemacht, daß man den Journalistenberuf nicht lernen kann, wenn man die Eignung dazu nicht mitbringt. Es gibt viele Leute, die irgend etwas gelernt haben, nach kurzer Zeit aber Kaufleute geworden sind. Bei der Berufswahl handelt es sich mehr um die innere Freizügigkeit. Sie muß geschützt werden. Der Begriff der Berufsausübung ist bereits eine gesetzlich umschriebene Vorstellung geworden. Ich glaube, wir können das in der Fassung selbst gar nicht so deutlich machen, sondern das muß in den Motiven, in dem Bericht, den wir erstatten werden, deutlich zum Ausdruck kommen, Das, was Herr Dr. Schmid angemeldet hat, muß bei der Interpretation berücksichtigt werden. Ich denke da an öffentlich-rechtliche Dienstleistungspflichten, an Feuerwehr, Hand- und Spanndienste, Deichschutz u. dgl. Dies alles müssen wir in unserem Bericht an das Plenum aufführen, damit der Gesetzgeber die Motive des Verfassunggebers kennenlernt und berücksichtigt. Wir haben uns über diese Dinge hin und her besonnen. Wir müssen irgend etwas über die Anerkennung althergebrachter öffentlicher Dienstleistungspflichten sagen. Es handelt sich hier um eine Art sozialer Gemeinschaftsverpflichtung, die den Menschen nahegebracht werden muß. Aber mit dem Hinweis auf das Gemeinwohl ist es auch nicht getan; denn schließlich kann man die Zwangsarbeit beim Bau von Kanälen auch mit dem Hinweis auf das Gemeinwohl begründen. Dr. Schmid: Die Grenze ist im Einzelfall nicht immer klar zu bestimmen. Es handelt sich im wesentlichen um eine Relation zwischen dem Nutzeffekt und dem Opfer, das der einzelne dabei zu bringen hat. Der Bau eines Kanals kann eine sehr schöne Sache sein; wenn er aber Hunderttausende von Leichen fordert, ist er eine teuflische Sache. Dr. Heuss: Wir sind uns darüber einig; Solche Dinge kann man nicht mehr unter den Begriff des Gemeinwohls fassen; sie gehen darüber hinweg. Dr. Schmid: Die Geschichte kennt solche Überspannungen des Begriffs des Gemeinwohls; sie müssen durch die Verfassung ausgeschlossen sein. Paul: Ich habe Bedenken gegen den Satz, daß es dem Gesetz vorbehalten bleiben soll, die Berufsausübung zu regeln. Ich bin der Meinung, daß in der Berufsausübung volle Freizügigkeit gewahrt werden muß. Ich bin auch nicht dafür, an die Berufsausübung bestimmte Vorkenntnisse zu knüpfen. Tatsache ist, daß sehr viele Menschen einen anderen Beruf ausüben, als den, den sie ursprünglich erlernt haben. Ich sehe in dieser Formulierung eine Beschränkung des Rechts der freien Berufsausübung.

10) Dok. Nr.

10.

93

Nr. 6

Fünfte

Sitzung

29.

September 1948

Abs. 2 bestimmt, daß niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf. Was versteht man darunter? Das ist ein sehr dehnbarer Begriff. Schließlich muß jeder arbeiten, um leben zu können, um seinen Unterhalt sicherzustellen. Aber hier wird gesagt, daß niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf. Das ist ein sehr umstrittenes Gebiet. Dr. Heuss: Das soll eine Einschränkung sein, um staatliche Willkür auszuschalten.

Dr. Schmid: Man soll einem nicht sagen dürfen: Du mußt jetzt schippen! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man soll auch nicht sagen dürfen: Du erhältst keine Arbeitslosenunterstützung, wenn Du nicht schippst! Es handelt sich hier um ei-

ausdrückliche Schutzbestimmung. Nach Abs. 2 darf niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Hier hebt der Nachsatz von der Dienstleistungspflicht den Vordersatz auf. Eine Frage: Wie steht es mit der Schutträumungsaktion? Sollen da die Leute nur auf dem Wege der Freiwilligkeit herangezogen werden? Das wäre doch auch eine Art Zwangsarbeit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der britischen Zone wird Zwangsarbeit allgemein abgelehnt. Es besteht ein Verbot der Zwangsverpflichtung zu Schutträumungsarbeit. Wunderlich: In Wilhelmshaven besteht eine absolute Verpflichtung der Bevölkerung zu solchen Arbeiten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In Kiel ist sie aufgehoben worden. Wunderlich: Eine solche Verpflichtung ist zwar rechtlich nicht ganz haltbar; aber ich glaube nicht, daß wir solche Aufgaben nur im Wege der Freiwilligkeit lösen können. Nadig: Ausgeschlossen! Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Dr. Weber: In Essen herrscht kein Zwang. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der zweite Halbsatz soll ja gerade verhindern, daß eine allgemeine Dienstpflicht in solcher Form eingeführt wird. Er bezieht sich nur auf Verpflichtungen, die im Interesse der Allgemeinheit liegen: Hand- und Spanndienste, Hilfe in Feuersnot, Wassemot, Deichnot, Aktion gegen die Kartoffelkäfer u. dgl. Für solche Dienstleistungen müssen Möglichkeiten offen bleiben. Wenn wir die Bestimmung so weit fassen, daß wir einfach sagen, niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, und wenn wir von diesem Grundsatz überhaupt keine Ausnahmen zulassen, dann besteht für solche Arbeiten zur Abwehr drohender Gefahren und unmittelbarer Not überhaupt keine Handhabe mehr. Nadig: Sollte man den Satz: „Dem Gesetz bleibt es vorbehalten, die Berufsausübung zu regeln", nicht überhaupt streichen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist wohl ganz unmöglich und liegt auch nicht im allgemeinen polizeilichen Interesse. Läßt man eine gesetzliche Regelung der Berufsausübung nicht zu, dann kann man keine Bestimmungen mehr für gefährliche Betriebe erlassen, die im wesentlichen Schutzbestimmungen sind. Solche Bestimmungen sind unentbehrlich. Die Gewerbeordnung enthielt darüber eingehende Vorschriften. Die Rechtsprechung auf diesem Gebiet hat hier einen weitne

Nadig:

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Nr. 6

gehenden Schutz erreicht. In manchen Berufen ist die Arbeit gefährlich; da sind Unfallverhütungsvorschriften notwendig. Der Erlaß solcher Bestimmungen ist aber nicht mehr möglich, wenn die Berufsausübung in Gewerbebetrieben nicht mehr gesetzlich geregelt werden kann. Man kann solche Bestimmungen nicht als einen Eingriff in den Grundsatz der freien Berufsausübung ansehen; denn sie dienen zum Schutze der Arbeiter und der Allgemeinheit. Nur die Berufsausübung soll dem Gesetzgeber zur Regelung vorbehalten bleiben, nicht die Zulassung. Das kann nicht scharf genug betont werden. Nadig: Auch nicht die Berufsausbildung. Dr. Schmid: Könnte man statt „Berufsausübung" nicht ein anderes Wort setzen? Etwa „Ausübung eines Gewerbes"? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Gewerbeausübung ist nur die auf Erwerb gerichtete Tätigkeit. Die Frage ist nur, ob ein solcher Wortlaut ausreicht, um alle Fälle zu treffen. Dr. Heuss: Es handelt sich darum, ob etwa in einem Privathaus ein chemisches Laboratorium mit all den Dingen, die dazu gehören, eingerichtet werden darf. Dabei ist vielleicht der gewerbliche Charakter nicht so wesentlich wie der wissenschaftliche. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für einen solchen Fall genügen die allgemeinen feuerschutzpolizeilichen Bestimmungen. Es gibt auch Bestimmungen darüber, wie ein Schornstein zu bauen, eine Feuerschutzwand einzuziehen ist. Aber das ist eine Angelegenheit des allgemeinen Feuerschutzes und nicht der Berufs- oder Ge-

werbeausübung. Schräge: Wir sind

uns darüber einig, daß wir möglichst ohne Zwang auskomwollen. Aber die Debatte hat schon gezeigt, wie schwer es ist, das, was wir wollen, zu formulieren. Denken Sie nur daran, in welche Situation wir im Verfolg der Katastrophe auch auf wirtschaftlichem Gebiet geraten sind. Angesichts der Strukturwandlungen in der Produktion und auf dem Weltmarkt werden wir ohne eine gewisse Lenkung der Arbeitskräfte überhaupt nicht auskommen. Ich meine hier aber nur eine Lenkung, die möglichst ohne Druck auskommt. Ob sie ganz ohne Druck möglich ist, möchte ich bezweifeln. Bei uns auf dem Lande ist das Feuerschutzwesen auf völlig freiwilliger Basis aufgebaut, und es geht ganz gut. Darüber hinaus gibt es aber noch Fälle, in denen man ohne eine gewisse Dienstleistungspflicht nicht auskommen kann. Ich erinnere an die lange Trockenheitsperiode im verflossenen Jahr. Damals hörten die Waldbrände nicht auf; die Wälder entzündeten sich immer von Neuem. Schließlich sträubte sich auch die Feuerwehr; die Leute sagten: „Wir verbrennen uns jeden Tag die Schuhe." Nun konnten wir die Schuhe nicht liefern, obwohl wir großzügig waren und alles taten. Aber schließlich ging das auf Kosten der großen Masse. Wir setzten uns daraufhin zusammen und überlegten, was in dieser Situation zu tun sei. Wir haben alle möglichen einschlägigen Gesetzesbestimmungen herangezogen und eine allgemeine Leistungspflicht im Notstand angeordnet. So wurde die Polizei ermächtigt, jeden auf der Straße anzuhalten. Wir hatten keine Transportmittel, und so erhielt die Polizei die Vollmacht, Lastwagen, Omnibusse, Personenkraftwagen anzuhalten und einzuspannen. Dazu kommt noch ein anderer Gesichtspunkt: Wir sind konsequente Anmen

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Wir sagen: Alles, was in der Gemeinde selbst gekann, soll von der Gemeinde gemacht werden, und die Oberen sollen sich da nicht einmischen, soweit sie kein Aufsichtsrecht haben. Daraus ergibt sich, daß die Gemeinden in Zukunft noch mehr darauf angewiesen sein werden, nicht nur Hand- und Spanndienste, sondern alle möglichen anderen Dienste anzuordnen. Dafür ein interessantes Beispiel. Ich kenne eine Ortschaft, die unbedingt eine neue Wasserleitung braucht, weil die alten Rohre seit zig Jahren verkrustet sind. Der Ort kann auch im Hinblick auf seine Höhenlage mit Wasser nicht mehr versorgt werden. Da ist man nun auf die geniale Idee gekommen, ein Fest zu veranstalten, unter der Führung der Behörden. Alles, was dazu gehörte, wurde eingekauft. Auch die Besatzungsmacht nahm teil. Und wirklich, es hat geklappt. Man hat soviel Geld zusammenbekommen, daß tan werden

Selbstverwaltung.

...

die Arbeitslöhne zahlen konnte. Alles übrige soll durch freiwillige Arbeitsvollführt werden. Das ist kein übler Gedanke gewesen, sondern ein echt sozialer Gedanke, daß man hier von einer Gemeinschaftsverpflichtung ausging, die aufgebaut war auf der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Ein solches Vergehen entspricht auch den Grundsätzen einer echten Demokratie. Aus all diesen Erwägungen heraus scheint es mir sehr schwer zu sein, eine Formulierung zu finden, die von einem Zwang möglichst absieht, aber den Notwendigkeiten Rechnung trägt, selbst wenn man versucht, diese Notfälle einzeln anzuführen. Man weiß gar nicht, wo das aufhören soll. Es wird schwierig sein, das, was wir wollen, in eine gesetzliche Form zu gießen. Dr. Bergsträsser: Könnte man die Bedenken, die einer öffentlichen Dienstleistungspflicht entgegenstehen, nicht dadurch ausräumen, daß man sagt: „Im Rahmen einer für alle der gleichen Gemeinschaft dienenden bestehenden Dienstleistungspflicht"? Dr. Schmidt Quis judicabit? Wer entscheidet im Einzelfall? Was hindert dann festzulegen, daß die Arbeit im Uranbergbau und sonstige Zwangsarbeiten dem öffentlichen Wohl dienen? Man hat da keine andere Wahl als zu limitieren. Entweder muß man die Gefahr in Kauf nehmen, daß mit einer Generalklausel Mißbrauch getrieben wird, ober man muß, wenn man das nicht will, limitativ festsetzen: das und das darf und muß gemacht werden. Die Frage ist, ob man die Beschränkung in den Text bringt oder ob man den Motiven genügend Kraft zutraut. Auf alle Fälle möchte ich jedoch verhindern, daß in unserem Grundgesetz eine Bestimmung steht, die es erlaubt, unter anderem Namen effektiv Sklavenarbeit auf Zeit oder auf Dauer zu fordern. Ich meine dabei natürlich nicht die Beseitigung akuter Notstände, wie Hilfe bei Bränden, Deichschutz usw. Was ich meine, ist, der Mißbrauch des Menschen, seine Degradierung zu einem Mittel zu beliebigen Zwecken. Paul: Ich halte den Halbsatz „außer im Rahmen einer für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht" für überflüssig. Man sollte ihn streichen. In der Tat trifft diese Pflicht immer nur gewisse Schichten, aber nicht alle. Die Erfahrung ist doch die, daß viele sich drücken. Ein Fabrikant wird hier nicht gezwungen. Aber die Bevölkerung wird gezwungen. Man hat das schon erlebt. Man hat den Menschen die Unterstützung entzogen, die Lebensmittelkarten gesperrt. Daher behaupte ich jetzt schon: Diese Bestimmung wird sich zum größten Teil nur gegen die breiten Massen auswirken. man

leistung

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Dr. Heuss: Das ist vielleicht bei Euch so, bei uns nicht. Paul: Glauben Sie doch nicht, daß bei Ihnen andere Bedingungen wären! Wenn wir schon so eine Bestimmung hineinnehmen, dann muß man sie genau begrenzen und sagen, was damit gemeint ist. Was hier steht, ist nur eine Geneso oder so angewendet werden kann. übrigen bin ich mit Herrn Schräge der Auffassung, daß sich manche Dinge auf freiwilliger Basis viel besser regeln lassen als durch Maßnahmen der Polizei. Dies gilt vor allem für die Trümmerbeseitigung. Schräge: Deshalb möchte ich doch nicht, daß die Freizügigkeit eingeengt

ralklausel, die willkürlich Im

wird. Paul: Ich will keine Generalklausel, die der Willkür Tür und Tor öffnet und mit der man alles machen kann. Zinn: Man mag sagen, was man will, eine solche Bestimmung ist nicht zu entbehren. Nur darf eine derartige Dienstleistungspflicht nicht für bestimmte Gruppen, sondern muß für alle eingeführt werden. Daß da und dort Mißbrauch getrieben werden kann, ist nicht zu vermeiden. In einer Stadt in Hessen hat man einmal eine Anordnung erlassen, wonach jeder sich sechs Tage lang an der Trümmerbeseitigung beteiligen muß. Die Bevölkerung ist dieser Pflicht restlos nachgekommen; die Betriebe wurden geschlossen und haben vom Chef bis zum Lehrmädchen mitgeholfen, auch die Schulen. Wichtig ist dabei allerdings, daß ein common sense der Bevölkerung vorhanden ist; denn nur dann findet eine solche Vorschrift allgemeine Anerkennung. Es handelt sich hier um eine Pflicht des Staatsbürgers, die für alle gelten soll. Dr. Schmid: Im 20. Jahrhundert, wo der Begriff des totalen Einsatzes, der totalen Mobilmachung aufgekommen ist, wo alles total ist, genügt der common sense nicht mehr. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Ich habe den Eindruck, wir reden etwas aneinander vorbei. Gegenüber Herrn Paul möchte ich ausdrücklich bemerken, daß es sich nur um eine für alle gleiche Dienstleistungspflicht handeln kann. Zunächst wird der Grundsatz festgelegt, daß niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf, auch nicht etwa durch den Beschluß einer Stadtverordnetenversammlung. Die Ausnahme besagt ausdrücklich: „außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht." Dieser Zusatz gibt einem Gemeinderat, einer Stadtverordnetenversammlung erst die Möglichkeit, einen solchen Beschluß zu fassen. So muß die Bestimmung aufgefaßt werden. Wunderlich: Wäre nicht eine weitere Einschränkung möglich, indem man etwa sagen würde: „außer im Rahmen einer für alle gleichen herkömmlichen allgemeinen Dienstleistungspflicht"? Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Diesen Gedanken hatte ich schon zu Anfang. Ich sehe darin in der Tat eine Möglichkeit. Allerdings erhebt sich sofort die Schwierigkeit: wenn man „herkömmlich" sagt, dann kann eine notwendige Neuregelung

nicht durchgeführt werden. Wunderlich: Man könnte ergänzend hinzufügen: „zur Abwehr eines Notstandes", um näher an die Sache heranzukommen.

begrenzten 97

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Dr. Weber: Wir alle sind der Meinung, daß man die Freiheit möglichst nicht einschränken soll. Wir brauchen aber eine rechtliche Handhabe, um gewissen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Daher sollten wir in Form eines Kommentars, in Form von Motiven zum Ausdruck bringen, was der Ausschuß gemeint hat und was er nicht gemeint hat, damit der Gesetzgeber die Verfassung

richtig auslegen kann.

Dr. Schmid: Wenn der Text in sich klar ist, dann gibt es keine Auslegung anhand von Motiven, dann weichen die Motive. Die Motive sind nur dort wichtig und notwendig, wo der Text in sich selber zweideutig ist. Wie wäre es mit fol-

gender Formulierung:

„Niemand darf außer zur Behebung eines unmittelbaren Notstandes im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden"? Zinn: Das reicht nicht aus. In diesem Absatz wird unterschieden zwischen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistung und der Zwangsarbeit. Durch diese Unterscheidung wird der Gegensatz zwischen den beiden Arten von Arbeit hervorgehoben. Der Begriff „Zwangsarbeit" birgt in sich die Vorstellung von Sklavenarbeit. Indem wir zunächst von der Dienstleistungspflicht sprechen und getrennt davon die Zwangsarbeit behandeln, stellen wir den Gegensatz klar heraus. Jedenfalls hat die Zwangsarbeit etwas von Sklavenarbeit an sich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es hat uns im Unterausschuß viel Mühe und Arbeit gekostet, diesen Gegensatz so klar wie möglich herauszustellen. Das ist sehr schwierig; denn einerseits wollen wir Mißbräuche vermeiden, andererseits dürfen wir es den Gemeinden usw. nicht unmöglich machen, in besonderen Fällen eine Dienstleistungspflicht für alle anzuordnen. Wir dürfen nicht die Trägheit und Bequemlichkeit des Regierens und Verwaltens unterstützen, wie sie unter dem Naziregime11) in Übung gewesen sind, wo man, sobald eine Schwierigkeit auftauchte, sich mit Zwangsmitteln behalf. Man muß versuchen, auf andere Weise der Schwierigkeiten Herr zu werden. Das stellt freilich an die Stadtverwaltungen höhere Anforderungen als die Anwendung von Zwang. In unserem Ausschuß herrscht eine völlig einheitliche Auffassung darüber, daß die Gefahren, die mit Einschränkungen der Art, wie sie der zweite Halbsatz des Abs. 2 vorsieht, verbunden sind, unbedingt vermieden werden müssen, und daß es sich da im wesentlichen um eine Formulierungsfrage handelt. Andererseits besteht Einigkeit darüber, das darf ich wohl hervorheben, daß Möglichkeiten

gegeben

sein müssen, um zur Erfüllung herkömmlicher Aufgaben eine allgemeiund für alle gleiche öffentliche Dienstleistungspflicht anzuordnen. Damit wir weiter kommen, müssen wir uns zu einer Formulierung entschließen. Eine weitere grundsätzliche Aussprache hat wohl kaum noch Sinn; wir kommen damit nicht weiter. Ich darf noch einen Punkt zur Diskussion stellen. Es gibt gewisse Berufe, für deren Ausübung die Ablegung einer besonderen Prüfung unerläßlich ist. Ich ne

") Korrigiert 90

aus

„Totalitarismus".

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denke an die Laufbahnen der Richter, der Rechtsanwälte, der Ärzte. Wer einen solchen Beruf ergreifen will, muß gewisse Berufsvoraussetzungen erfüllen. Insofern ist der Satz, daß jeder das Recht hat, seinen Beruf frei zu wählen, zu weit

gefaßt.

Dr. Schmid: Wenn ich den Beruf eines Rechtsanwalts

erwähle, muß ich mich der Berufsausbildung unterwerfen, die für diesen Beruf festgesetzt ist. Das ist selbstverständlich. Wohl aber möchte ich ausgeschlossen wissen, daß man sagt: Es sind schon hundert Rechtsanwälte da, du darfst nicht den Beruf des Rechtsanwalts wählen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Grundsatz ist: Jeder hat die freie Entscheidung bei der Wahl eines bestimmten Berufszweigs. Ergibt sich daraus schon, daß er auch das Recht der Ausübung dieses Berufs hat? Das muß man verneinen; denn es sind unter Umständen gewisse zusätzliche Voraussetzungen zu erfüllen. Dann taucht die weitere Frage auf: Wenn einer die vorgesehene Berufsausbildung durchgemacht hat, kann dann die Ausübung des Berufs von einer besonderen Zulassung abhängig gemacht werden, z. B. als Anwalt? Dr. Schmid: Ich bin für die Freiheit. Zinn: Ich denke da an die Schornsteinfeger und ähnliche Berufe. Den Schornsteinfegern sind bestimmte Bezirke zugewiesen, und wenn alle Stellen besetzt sind, wird gesagt, es können nicht mehr Schornsteinfeger angestellt werden. Dr. Schmid: Das ist Unsinn, genau wie bei den Apothekern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich möchte vorschlagen, die Regelung dieser Frage zunächst offen zu lassen, indem man sagt, daß Zulassungsvorschriften nicht unter die Regelung der Berufsausübung fallen. Dr. Bergsträsser: Damit sanktioniert man aber die Zulassungsvorschriften allzu sehr und erkennt sie als richtig an. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, gerade nicht. Dr. Heuss: Wir sollten die Zulassungsvorschriften hier überhaupt weglassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vollkommen weglassen? Dann müßten wir im Bericht festlegen, daß der Ausschuß es nicht für notwendig hält, die Voraussetzungen für die Ausübung eines bestimmten Berufs wie Ablegung bestimmter Examina u. dgl. aufzunehmen. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich aber ohne weiteres daraus, daß für bestimmte Berufe eine gewisse Vorbildung erforderlich ist, so daß der einzelne in der Wahl eines bestimmten Berufs zwar frei ist, sich aber den Bestimmungen über die Voraussetzungen zur Ergreifung dieses Berufs unterwerfen muß. Der Ausschuß würde es also nicht für notwendig halten, diesen Gedanken in der Verfassung zu sichern. Das wäre natürlich eine wichtige Ent-

scheidung.

Zinn: Wenn ich Sie recht

verstehe, wollen Sie damit sagen,: Die Berufsausbeschränkt werden, sondern nur die Zulassung. übung darf niemals Dr. Schmid: Die Modalitäten einer Berufsausübung sind zu regeln. Das kann man anhand der bisherigen Rechtsprechung ohne Bedenken machen; die Rechtsprechung hat hier eine feste Tradition geschaffen. Aber die Frage der Zulassung zu einem Beruf ist schwierig. Zinn: Es wäre an sich nötig, zu sagen, bei bestimmten Berufen wird die Ausübung von der Zulassung abhängig gemacht. 99

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Beispiel: Ein Unternehmer, der sich mit dem Transport von Auswanderern beschäftigt. Dr. Schmid: Die Konzessionierung einiger weniger bestimmter Berufe ist eine Notwendigkeit zum Schutze des Publikums. Die Möglichkeit hierfür muß bestehen. Wer eine Agentur für Auswanderer aufmacht, braucht nicht bloß eine gewisse berufliche Befähigung, sondern auch eine moralische Qualifikation. Er muß zuverlässig sein. Aber fallen diese Dinge nicht in das Gewerberecht? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Den Schutz der Allgemeinheit vor minderwertigen Elementen gibt es schon. Zinn: Man könnte sagen: Dem Gesetz bleibt es vorbehalten, die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zu regeln. Dr. Schmid: Man könnte sagen: „Durch Gesetz kann die Ausübung eines Berufs an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist zu wenig. Dr. Schmid: Ich verstehe darunter gewisse Garantien und Schutzvorschriften. Zinn: Wollen wir den Nachsatz über die Berufsausübung nicht überhaupt weglassen? An sich wollen wir doch nur sagen: Jeder hat das Recht, seinen Beruf und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen. Dr. Schmid: Nun kommt aber die andere Frage: Kann man jeden Beruf unbeschränkt ausüben? Es bedeutet eine Einschränkung des allgemeinen Grundsatzes, wenn wir festlegen, daß die Ausübung bestimmter Berufe an besondere Voraussetzungen gebunden ist. Das bedeutet: Man darf einen solchen Beruf nur unter bestimmten Modalitäten ausüben. Zinn: Darum werden wir nicht herum kommen. Dr. Schmid: Wenn wir eine solche Einschränkung nicht in die

Verfassung

hin-

einnehmen, dann kann sich jeder auf das verfassungsmäßige Recht berufen,

seinen Beruf frei zu wählen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dadurch, daß die Ausübung eines Berufs durch gewisse Modalitäten beschränkt wird, wird einem praktisch die Möglichkeit genommen, diesen Beruf auszuüben. Ich denke da vor allem an einen Beruf, dessen Ausübung mit Gefahren verbunden ist. Dr. Schmid: Hilft uns hier nicht die Bestimmung des Art. 2 Abs 2: Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten zu tun, was anderen nicht schadet? Jeder hat das Recht, alles zu tun, was die Rechte anderer nicht verletzt und die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens nicht beeinträchtigt. Dr. Heuss: Sagen wir doch einfach: „Die Berufsausübung kann durch Gesetz an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden." Dr. Weber: Ich finde die jetzige Fassung viel besser. Dr. Bergsträsser: Sollte man nicht einfach sagen: Die Berufsausübung kann durch Gesetz an bestimmte Ausbildungsbedingungen geknüpft werden? Dr. Heuss: Das wollen wir gerade nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die jetzige Fassung fußt auf der Rechtsprechung der Gerichte. Die Gewerbeordnung legt solche Voraussetzungen fest, persönliche Zuverlässigkeit usw.. Solche Voraussetzungen fallen nach der Rechtssprechung unter die Regelung der allgemeinen Berufsausübung. 100

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Zulassungsbestimmungen. Mangoldt]: Die Erteilung der Erlaubnis für einen Gewerbebetrieb ist nichts anderes als eine Bescheinigung der Polizei, daß dieser Betrieb sich im Rahmen der allgemeinen Rechtsvorschriften hält. Die verwaltungsrechtliche Auslegung geht dahin, daß mit der Zulassung nicht ein neues Recht etwa in Form einer Lizenzierung verliehen wird, sondern daß die Polizei bescheinigt, Zinn: Das sind die Vors. [Dr.

v.

daß ein Betrieb sich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften hält. Wunderlich : Denken wir an die zahlreichen Flüchtlinge! Denen wird die Ergreifung eines Gewerbes vielfach unmöglich gemacht, indem man ihnen sagt, im Bezirk sind schon genug Gewerbetreibende dieser Art. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man stützt sich dabei etwa auf das EinzelhandelsSchutzgesetz. Aber der Wirtschaftsrat hat ein neues Gesetz beschlossen, das zu den alten Grundsätzen zurückkehrt. Nach diesem neuen Gesetz sind die alten Vorschriften und die alte Rechtsprechung wieder gültig. Dr. Schmid: Ich fürchte, daß eine Mauer nach der anderen aufgerichtet wird. Wenn man in die Motive deutlich hereinschriebe, was gemeint ist, insbesondere was nicht getroffen werden soll, so würde mir die Fassung genügen. Dr. Heuss: Die Hauptsache ist, daß alle Argumente in das Protokoll hereinkommen. In der zweiten Lesung werden wir uns dann vielleicht endlich schlüssig werden können. Einstweilen sollten wir es bei der Formulierung belassen.

[b. Auswanderungsrecht (Art. 6)] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir kommen zu Art. 6. Zinn: Art. 6 regelt das sogenannte Auswanderungsrecht. Die Bestimmung entspricht dem Art. 112 der Weimarer

Verfassung12). Jeder soll grundsätzlich berechtigt sein, auszuwandern. Zuzugeben ist, daß die Vorschrift der Weimarer Verfassung praktisch durch die Steuergesetzgebung eingeschränkt war. Das Naziregime hat von dieser Beschränkungsmöglichkeit dann in noch weiterem Umfang Gebrauch gemacht. Auch wir werden nicht darum herumkommen, steuerrechtliche Vorschriften einzuführen, die die Auswanderung von der vorherigen Erfüllung steuerrechtlicher Verpflichtungen abhängig macht. Daher haben wir einen zweiten Satz aufgenommen, nach dem die Ausübung dieses Rechts durch Gesetze geregelt werden soll. Dazu ist allerdings zu bemererst dann aktuell wird, wenn ein solches Gesetz erlassen wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ergänzend darf ich bemerken, daß Art. 112 bestimmt: Die Auswanderung kann nur durch Reichsgesetz beschränkt werden.

ken, daß das Recht, auszuwandern

112 lautete: „Jeder Deutsche ist berechtigt, nach außerdeutschen Ländern auszuwandern. Die Auswanderung kann nur durch Reichsgesetz beschränkt werden. Dem Ausland gegenüber haben alle Reichsangehörigen inner- und außerhalb des Reichsgebietes Anspruch auf den Schutz des Reiches. Kein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert werden."

12) WRV, Art.

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Dr. Eberhard: Zur sozialen Seite des

Auswanderungsrechts habe ich sehr große nicht die Wird hier Sorgen. Hoffnung erweckt, daß jeder auswandern kann? Wird die Ausübung des Rechts, auszuwandern, an steuerliche Voraussetzungen geknüpft werden? Ist daran gedacht, Wartefristen usw. festzusetzen? Zum Tatbestand selbst nur ein paar Worte. Der Altersaufbau des deutschen Volkes hat besonders nach diesem zweiten Weltkrieg starke Wandlungen erlitten. Namentlich die Altersklassen, die die arbeitsfähigen Arbeitskräfte umfassen, sind stark dezimiert worden. Das sind aber gerade jene Altersgruppen, aus denen heraus üblicherweise viele ausgewandert sind. Nun weiß ich, daß Alte und Kinder zu Verwandten ins Ausland gehen können, soweit sie dort aufgenommen werden. Aber diejenigen, die die größte Lust haben, auszuwandern, gehören den Altersklassen an, die schon durch den Krieg stark dezimiert sind. Wenn wir diese arbeitsfähigen Menschen auswandern lassen, dann wird sich die Zahl der Arbeitsfähigen noch mehr verringern und die sozialen Lasten, die die Verbleibenden zu tragen haben, werden noch größer werden. Die beste Abhilfe gegen Massenauswanderung ist eine Besserung der wirtschaftlichen Zustände in Deutschland; aber das liegt nicht in unserer Hand allein. Dr. Schmid: Ich möchte auf dieselben Bedenken aufmerksam machen. Ich fürchte, wir werden unter den Auswirkungen des letzten Krieges schwer zu leiden haben und das wird die Auswanderungslust steigern. Heute ist es aber nicht mehr so, wie um das Jahr 1900 herum, wo man froh war, wenn Leute ausgewandert sind und so die Überbevölkerung und den Bevölkerungsdruck minderten. Ich denke dabei an die Verhältnisse in Württemberg, wo noch in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen zahlreiche Menschen nach Amerika gingen. Das wirkt sich jetzt in Care-Paketen aus, die diese Leute nach der Heimat senden. Ich habe festgestellt, daß in einem rein bäuerlichen Dorf jede Woche etwa 50 Care-Pakete eintreffen. Ich möchte noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hinweisen. Noch mehr als früher leben wir in einer Schicksalsgemeinschaft. Soll man es da den Leuten ermöglichen, sich von der Mühsal, für die vergangenen 14 Jahre zahlen zu müssen, zu drücken, wenn sie die Möglichkeit dazu haben? Ich denke da an eine ganze Reihe mir persönlich bekannter Personen, die es durch geschicktes Verhalten fertig brachten, in der Schweiz, in anderen Ländern, ja sogar in Frankreich zu leben, und die das ausgesprochenermaßen zu dem Zweck tun, um nicht zum Lastenausgleich herangezogen zu werden, um nicht schwere Steuern zahlen zu müssen. Ein solches Verhalten finde ich unmoralisch. Ich glaube, hier muß das Freiheitsrecht des Menschen, sich den Ort zu wählen, wo es ihm am besten geht, der Verpflichtung gegenüber der Schicksalsgemeinschaft weichen. Wir alle haben eine Schuldverpflichtung zu übernehmen, die auf uns allen liegt. Es widerstrebt meinem moralischen Empfinden, wenn Leute sich um diese Pflicht herumzudrücken versuchen. Ob man das effektiv verhindern können wird, ist eine Frage für sich. Aber man könnte durch Gesetz jedem, der trotzdem auswandert, das Vermögen, das er in Deutschland hat, einer besonderen Besteuerung unterwerfen. Sagt man dagegen nur im Grundgesetz „jeder darf auswandern", dann hat man keine solche Handhabe. —



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es nicht für gut möglich, das Auswanderungsrecht zu streichen. Dr. Schmid: Man kann es aber an Voraussetzungen knüpfen. Dr. Heuss: An sich ist das Auswanderungsrecht entstanden, um aus gutsherrschaftlichen Bindungen herauszukommen und die Freiheit zu erringen. Der Strom der Auswanderer aus Deutschland wird vielleicht groß sein; aber die Aufnahmewilligkeit des Auslandes ist vielleicht nicht so stark. Bidault13) hat inzwischen den Vorschlag gemacht, daß deutsche Kriegsgefangene in Frankreich bleiben können. Eine Reihe unserer Leute bleiben drüben. Es geht ihnen ordentlich, und sie sind mit der Verpflegung und den Arbeitsbedingungen zufrieden. Ich meine, wir dürfen nicht überschätzen, was mengenmäßig ins Ausland

Dr. Heuss: Ich halte

geht.

Dr. Schmid: Wer aus den Altersklassen zwischen 20 und 30 Jahren hinaus geht, zählt zehn Ausländer14). Sein spezifisches Gewicht ist heute sehr viel größer als in Zeiten einer normalen Bevölkerungspyramide! Dr. Heuss: Die Auswanderer werden oft nicht von Lust getrieben, sondern sie stehen vor der Notwendigkeit, sich eine neue Existenz in einem anderen Lande aufzubauen. Für uns in Deutschland ist peinlich, daß wir die Schulausbildung dieser Leute gezahlt haben, die unter Umständen draußen eine scharfe Konkurrenz für Deutschland sind. Die Sache hat aber auch ihre gute Seite. Deutsche erhalten wieder die Möglichkeit, in die Welt hinaus zu kommen und die alten

und geschäftlicher Art wieder zu knüpfen. Ich glaube, wir dürfen das ganze Problem nicht allzu ängstlich sehen. Dr. Schmid: Wenn der Sohn eines deutschen Unternehmers auswandert, um im Ausland eine Filiale des väterlichen Unternehmens zu gründen, so mag das vorteilhaft auch für Deutschland sein. Wenn aber der Schlosser Müller oder der Dreher Meier auswandert, so ist der Mann für uns verloren. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Frage der Auswanderung taucht noch an anderer Stelle der Verfassung auf: Bei der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes. Mir ist der Gedanke gekommen und ich bin wiederholt gefragt worden, ob man das Recht auf Auswanderung überhaupt als Grundrecht so stark herausheben solle. Da auf die Auswanderung in der Verfassung an anderer Stelle bei der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern Bezug genommen wird, braucht man sie vielleicht unter den Grundrechten nicht zu erwähnen. Es mag genügen, daß das Recht, auszuwandern, nicht völlig gestrichen, sondern an anderer Stelle erwähnt ist. Ja, es ist wahrscheinlich sogar sehr zweckmäßig, es in der heutigen Zeit nicht ausdrücklich als Grundrecht zu formulieren. Dr. Schmid: Ich schließe mich dem an. Dr. Eberhard: Ich möchte nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen, den Herr Heuss hervorgehoben hat. Ich habe in meinem Büro15) umfangreiches Ma-

Verbindungen persönlicher

13) Georges Bidault (1899-1983),

von

Juni-Dez. 1946, Okt. 1949-Juni

1950 französischer

Ministerpräsident, mehrfach Außenminister. 14) Von Schmid korrigiert aus „zehn mal".

15) Gemeint ist das Deutsche Büro für Friedensfragen, das in der Erwartung gegründet wurde, die Deutschen würden an der Moskauer Außenministerkonferenz vom Sommer 1947 103

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terial über Auswanderungsprobleme gesammelt. Südamerikanische Staaten klagen schwer darüber, daß Frankreich und die anderen Besatzungsmächte einen Vorsprung haben bei dem Bestreben, jene jungen Leute heranzuholen, für die sie Bedarf haben. Ich glaube, sobald die Besatzungsmächte da keinen Riegel mehr vorschieben, wird eine ungeheure Propaganda von Seiten der südamerikanischen Staaten einsetzen, gerade hinsichtlich der Altersklassen, die voll arbeitsfähig sind. Es kann sich dabei um Millionen handeln. Zinn: Auch ich neige dazu, daß Auswanderungsrecht als Grundrecht wegzulassen. Der Gedanke der Schicksalsgemeinschaft tritt heute in der Tat in einem Umfang in den Vordergrund wie nie zuvor. Dr. Schmid: Man muß unterscheiden zwischen einem Auswanderer, der die Freiheit sucht, und einem Auswanderer, der sich drücken will. Zinn: Wenn man bei uns Freiheiten und Lebensmöglichkeiten schafft, besteht

kein Grund, auszuwandern.

Dr. Weber: Der Hinweis auf die Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes ist Aber ich halte es für völlig ausgeschlossen, daß wir auf einem Raum, der heute 70 Millionen Deutschen zur Verfügung steht, mit Hilfe des sozialen Lastenausgleichs dem Einzelnen das geben können, was ihm zukommt. Deshalb ich unterstreiche: leider! eine Auswanderung kommen. muß leider Dr. Schmid: Die Passivposten nimmt uns niemand ab. Dr. Weber: Ich sehe keine Möglichkeit, das Recht auf Auswanderung wesentlich einzuschränken. Unser Lebensraum ist viel zu klein. Das Recht als solches muß bestehen bleiben. Dabei ist es gleichgültig, ob es unter den Grundrechten oder an anderer Stelle aufgeführt wird. Paul: Wir müssen großen Wert darauf legen, in Deutschland solche sozialen Verhältnisse zu schaffen, daß die Menschen leben und arbeiten können. Im allgemeinen muß man aber, das Recht, auszuwandern, bejahen. Ob man dieses Recht aber als ein Grundrecht bezeichnen soll, ist eine andere Frage. Auch ich denke, daß man die Auswanderer an Vorschriften binden soll. Wer eine Familie zurückläßt, soll nicht auswandern dürfen. Das Kapital des Auswanderers ist einer gewissen Besteuerung zu unterwerfen, weil der Auswanderer das Kapital in Deutschland erworben hat16). Keiner von uns wird beglückt sein, wenn Hunderttausende Arbeiter auswandern. Aber wir werden das nicht hindern können. Die Lebensmöglichkeiten17) spielen eine große Rolle. Wenn wir unsere industrielle Produktion steigern und unsere Qualitätsware auf dem Weltmarkt absetzen können, dann werden wir unsere deutschen Menschen auch auf dem engen Raum ernähren können. Sonst müßten die Menschen in Holland und Belgien zum großen Teil auch auswandern, weil ihr Lebensraum zu eng ist.

richtig.





beteiligt werden. Vgl. Akten zur Vorgeschichte Bd. 2 passim. Heribert Piontkowitz: Anfänge westdeutscher Außenpolitik 1946—1949. Das Deutsche Büro für Friedensfragen. Stuttgart 1978. Manfred Overesch: Gesamtdeutsche Illusion und westdeutsche Realität. Von den Vorbereitungen für einen deutschen Friedensvertrag zur Gründung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik 1946—1949/50. Düsseldorf 1978. 16) Folgt gestrichen: „möchte ich nicht vorschreiben". 17) „Lebensmöglichkeiten" korrigiert aus „Lebensraum". 104

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geschieht auch; in Holland sogar sehr stark. Ich darf das Ergebnis der Beratungen zusammenfassen. Es besteht Einigkeit darüber, daß die Möglichkeit, auszuwandern, bestehen bleiben muß. Eine Auswanderung kann auch nicht verhindert werden. Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über das Auswanderungswesen. Es ist aber unzweckmäßig, das Recht, auszuwandern, mit dem Pathos herauszustellen, der für die Grundrechte kennzeichnend ist. Aus diesem Grund werden wir dazu kommen, den Art. 6 vorerst zu streichen. Ich stelle dazu die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit des Ausschusses fest.

[c. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 7)] Wir kommen zu Art. 7. Zinn: Die Regelung entspricht im wesentlichen dem Art. 115 der Weimarer Verfassung18) und dem Art. 5 des Herrenchiemseer Entwurfs19). Die Wohnung, der Friede des Hauses, soll unverletzlich sein. Unter „Wohnung" ist im Sinne der

seitherigen Interpretation nicht nur die eigentliche Wohnung zu verstehen, sondern dazu gehören auch die Geschäftsräume. Praktisch wird auch dieses Grundrecht auf absehbare Zeit ein leerlaufendes Grundrecht sein, weil die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu weitgehenden Eingriffen zwingt. Satz 2 des Abs. 1 regelt die Zulässigkeit von Durchsuchungen. Danach können Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen über das Strafverfahren vorgesehenen Organe angeordnet und in den dort vorgesehenen Formen durchgeführt werden. Es ist zweifelhaft, ob man mit dieser Fassung auskommen wird, denn Durchsuchungen gibt es nicht nur im Rahmen des Strafrechts, sondern darüber hinaus durch alle möglichen anderen Behörden. Abs. 2 ist in Anlehnung an eine Vorschrift der Württembergischen Verfassung20) aufgenommen worden. Danach können im Interesse des gemeinen Wohles, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, zum Schutze gefährdeter Jugendlicher auch die Verwaltungsbehörden durch Gesetz zu Eingriffen und zu Beschränkungen ermächtigt werden. Es gibt zahllose

115: „Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte und unverletzlich. Ausnahmen sind nur aufgrund von Gesetzen zulässig." ChE, Art. 5 : 1) Die Wohnung ist für jedermann eine Freistätte und unverletzlich. 2) Beschlagnahm[ung]en von Wohnräumen und Durchsuchungen sind nur in dem vom Gesetz vorgesehenen Fällen und Formen zulässig" (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 580). Art. 6 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946 lautete: „Die Wohnung ist unverletzlich. Durchsuchungen können nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug im Rahmen der Strafprozeßordnung auch durch die darin vorgesehenen Organe angeordnet werden. Zur Behebung der Wohnungsnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, zum Schutz gefährdeter Jugendlicher und zur Durchführung der Bewirtschaftung lebenswichtiger Güter können die Verwaltungsbehörden durch Gesetz zu Eingriffen und Einschränkungen ermächtigt werden."

18) WRV, Art.

19) 20)



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Fälle, in denen die Behörden eingreifen müssen. Hier wäre meines Erachtens überlegen, ob wir im Abs. 1 Satz 2 nicht statt „durch die in den Gesetzen über das Strafverfahren vorgesehenen Organe" sagen sollten: „durch die in den Gesetzen vorgesehenen Organe". Das müßte man noch einmal prü-

nur zu

fen. Abs. 2 macht meines Erachtens die Aufnahme einer Suspensionsvorschrift in den Übergangsbestimmungen überflüssig. Dr. Schmid: Man muß den Satz „Die Wohnung ist unverletzlich" recht verstehen. Gemeint ist die Wohnung, die ich effektiv innehabe. Wenn ich in meiner früheren Wohnung acht Zimmer bewohnte, jetzt aber nur noch zwei, dann sind die zwei Zimmer, die ich jetzt bewohne, unverletzlich. Es hat mich darin niemand in meinem Hausrecht zu stören. Zinn: Das stimmt nicht ganz. Sie können auch zum Wohnungstausch gezwungen werden. Dr. Schmid: Dann ist auch die Wohnung, die ich dann innehabe, unverletzlich. Das ist auch der Sinn des englischen Wortes: „my home, my castle". Die Wohnung, die ich nun einmal habe, ist unverletzlich. In sie darf niemand herein, den ich nicht freiwillig hereinlasse. Der Sheriff darf zur Durchsuchung nur herein, wenn bestimmte Tatbestände gegeben sind. Dieses Grundrecht ist heute noch dasselbe; es ist nur insoweit ein Wandel eingetreten, als ich nicht mehr so wie früher die Möglichkeit habe zu sagen: Das ist meine Wohnung, sondern jetzt muß ich mich dabei an bestimmte Voraussetzungen halten. Das Substrat hat sich verschoben, aber der Inhalt des Rechts ist geblieben. Zinn: Da ist ein ganz wesentlicher Wandel eingetreten. Dr. Schmid: Nur in dem Substrat ist ein erheblicher Wandel eingetreten. Zinn: Die Vorschrift, daß Durchsuchungen nur durch einen Richter angeordnet werden können, muß bleiben. Der Richter kann nur auf Grund Gesetzes vorgehen. Damit ist die Gesetzmäßigkeit von vornherein gegeben. Praktisch liegt die Durchführung der Durchsuchung in den Händen der Staatsanwaltschaft und der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft darf nur im Rahmen der Strafgesetze vorgehen. Das gilt auch für das Steuerstrafverfahren.

sind auch nötig zur Sicherstellung der BewirtLebensmitteln. Da braucht kein dringender Verdacht vorzuliegen, sondern der Prüfbeamte des Landwirtschaftsministeriums muß zum Zwecke einer allgemeinen Kontrolle die Möglichkeit haben, nachzuschauen. Nun hat sich bei uns folgendes ergeben: Der Prüfbeamte konnte zwar in den Scheunen und sonst auf dem Bauernhof nachsehen, durfte aber nicht in die Wohnung hereinkommen. Daher hängte man die halbe Sau im Schlafzimmer auf und nicht etwa in der Scheune oder einem anderen Teil des Hofes, der nicht als Wohnung zu bezeichnen war. Man wird ohne solche Maßnahmen nicht durchkommen, wenigstens auf die Dauer nicht. Bei uns haben vernünftige Bauern, ein klug geführter Bauernverband, in der letzten Woche den Beschluß gefaßt, daß solche Durchsuchungen zulässig sein müssen. Der anständige Bauer will sich selber vor Schmutzkonkurrenz schützen. Es gibt Bauern, die sehr ernsthaft darauf bedacht sind. Vielleicht sollte man doch die Möglichkeit offen Dr. Schmid:

schaftung

106

Durchsuchungen

von

Fünfte Sitzung 29. September 1948

Nr. 6

lassen, Durchsuchungen

zu solchen Zwecken zu gestatten. Die Formulierung dürfte allerdings schwierig sein21). Zinn: Vielleicht kann man auf den Satz 1 des Abs. 2 verzichten. Eine Durchsu-

chung

ist immer ein Eingriff. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die beiden Absätze des Art. 7

regeln

zwei ganz

ver-

schiedene Fragen. Unverletzlichkeit der Wohnung besagt, daß die öffentliche Gewalt in einer Wohnung grundsätzlich nichts zu suchen hat; sie darf in sie nicht eindringen. Ein Privater kann es sowieso nicht; sonst macht er sich des Hausfriedensbruchs schuldig. Aber auch die öffentliche Gewalt kann es nicht. Das Heraussetzen aus der Wohnung im Hinblick auf die Wohnraumnot ist etwas anderes. Dr. Schmid: Durchsuchung bedeutet, daß von Organen der Obrigkeit im Hause Schränke aufgemacht, Nachforschungen angeHandlungen vorgenommen, stellt werden, um einen bestimmten Sachverhalt festzustellen. Wenn aber ein Beamter des Wohnungsamtes kommt und in der Wohnung nachsieht, ob sie überbelegt oder unterbelegt ist, so ist das keine Durchsuchung. Wenn die Polizei Nachschau hält, ob ein Milchhändler gepanschte Milch in seinem Eisschrank hat, so ist das eine Durchsuchung. Zinn: Es gibt ein Gesetz über den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln. Auf Grund dieses Gesetzes hat die Polizei das Recht, Geschäftsräume zu betreten und Proben zu entnehmen. Leute, die wegen Nahrungsmittelfälschung vorbestraft sind, fallen zwangsläufig unter diese Kontrolle. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das gehört unter die Beschränkungen des Abs. 2. Zinn: In der Weimarer Verfassung heißt es: Ausnahmen sind auf Grund von Gesetzen zulässig. Dr. Schmid: Es sollte keinen allgemeinen Gesetzesvorbehalt geben. Glaubt man ihn nötig zu haben, sollte man lieber ein Grundrecht streichen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das war auch der Grund, weshalb wir unter keinen Umständen auf die Formulierung der Weimarer Verfassung zurückkommen wollten. Es handelt sich darum, die Eingriffsmöglichkeiten in ein Grundrecht —



möglichst

zu umgrenzen. Dr. Schmid: Die Eingriffsmöglichkeiten müssen limitiert sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es handelt sich im wesentlichen um eine Formulierungsfrage. Es scheint nicht ganz zu genügen, wenn wir nur von den in den Gesetzen über das Strafverfahren vorgesehenen Organen sprechen. Nun erhebt

21) Danach folgte gestrichen: „Ich erinnere mich da an ein Wort des 10 Gebote-Hoffmann, der einmal sagte: .Wenn ich an Gott glaubte, würde ich sagen: Ihr Wort in Gottes Ohr; weil ich aber Freidenker bin, sage ich: Das glaube ich nicht.'" Adolf Hoff mann (Pseudonym J. F. A. Volkmann), genannt „Zehn-Gebote-Hoffmann" (1858—1930), sozialistischer Politiker, schrieb eine Agitationsschrift „Die Zehn Gebote und die Besitzende Klasse" (1891, bis 1920 15 Auflagen). Er übernahm als Unabhängiger Sozialdemokrat zusammen mit dem Mehrheitssozialdemokraten K. Haenisch 1918 das Kultusministerium in Preußen. Aus der sozialistischen Überzeugung, Religion sei Privatsache, ließ er den Religionsunterricht in der Schule und die geistliche Schulaufsicht abschaffen. Wegen eines

folgenden „Kulturkampfes" mußten die Maßnahmen gangsregierung alsbald widerrufen werden. darauf

von

der

preußischen Über107

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sich aber die sehr schwierige Frage, wie man so etwas limitiert, so daß daraus nicht ein allgemeines Durchsuchungsrecht entsteht. Paul: Wie steht es mit dem Begriff „bei Gefahr im Verzug"? Das ist doch auch nur eine Ermessensfrage. Nehmen wir an, eine Behörde kommt zu der Auffassung, an einer bestimmten Stelle werden Dokumente verwahrt, der Verdacht eines Verrats militärischer Geheimnisse liegt nahe. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herrn Paul darf ich erwidern, daß die Strafprozeßordnung besondere Sicherungen kennt. Die Polizei darf solche Dokumente gar nicht durchsehen, sie kann sie nur im Ganzen beschlagnahmen. Die Prüfung obliegt allein dem Richter. Paul: Ich kann nur sagen, daß in der Weimarer Zeit vielfach Wohnungen durchsucht worden sind, weil man den Verdacht hatte, daß einer sich hochverräterisch betätigte. Solche Durchsuchungen standen allein im Ermessen der Polizei. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da wäre nur zu fragen, ob eine solche Durchsuchung auf Grand richterlicher Anordnung geschehen ist. War das der Fall, dann war sie zulässig. Der Richter muß jede Möglichkeit haben, einen strafbaren Tatbestand aufzuklären. Das geht gar nicht anders. Dr. Heuss: Nehmen wir an, es kommt Falschgeld in Umlauf. Es besteht der Verdacht, daß eine Falschmünzerwerkstatt am Ort ist. Niemand weiß, ob sie in diesem oder jenem Haus ist. Richter ist keiner am Ort. Da muß die Polizei in der Lage sein, in verschiedenen Häusern Feststellungen zu treffen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf das Ergebnis der Aussprache zusammenfassen. Im Grunde genommen besteht eine weitgehende Übereinstimmung des Ausschusses. Die Bestimmung bedarf noch der Ergänzung. Es bedarf aber noch sorgfältiger Überlegung, wie wir sie formulieren. Dr. Schmid: Ich würde den Gesichtspunkt der Sicherstellung der Bewirtschaftung hineinbringen. Die Bestimmung der Württembergischen Verfassung ist nicht schlecht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir werden den Gesichtspunkt der Sicherstellung der Bewirtschaftung noch vor der zweiten Lesung zu berücksichtigen versuchen. Soweit ich sehe, bestehen auch gegen Abs. 2 keine grundsätzlichen Bedenken, so daß dieser Artikel feststehen würde. Etwaige Umformulierungswünsche werden wir bei der zweiten Lesung noch berücksichtigen können. Paul: Der Satz, daß die Wohnung unverletzlich ist, bedeutet in Ihrem Sinne nur, daß kein Fremder in die Wohnung eindringen kann. Damit steht aber der Abs. 2 im Gegensatz, wonach zur Erhebung der Raumnot die Verwaltungsbehörden durch Gesetze zu Eingriffen und zu Beschränkungen ermächtigt werden können. Dr. Heuss: Das haben wir vorgesehen, damit die an sich vorhandene Paradoxie in den Augen des Volkes nicht noch weiter verstärkt wird. Auf der einen Seite heißt es, die Wohnung ist unverletzlich, auf der anderen Seite muß man auf Grund gesetzlicher Maßnahmen Einschränkungen in seiner Wohnung hinnehmen.

Mangoldt]: Auch das muß in der Verfassung geregelt sein; deshalb Trennung des Grundsatzes der Unverletzlichkeit der Wohnung von der Notwendigkeit gesetzlicher Eingriffe. Vors. [Dr.

die

108

v.

Fünfte Damit darf ich die

Aussprache

zu

Sitzung

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Nr. 6

Art. 7 abschließen.

[d. Freiheit des Glaubens (Art. 8)] Wir kommen

zu

Art. 8. Ich darf Frau Dr. Weber

bitten, darüber

zu

berichten22).

Dr. Weber: Art. 8 behandelt die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Sie ist unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet. Niemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesform zu benutzen. In der Weimarer Verfassung hieß es einfach: Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit23). Der Herrenchiemseer Entwurf enthält folgende Fassung: Glaube, Gewissen und Überzeugung sind frei. Der Staat gewährleistet die ungestörte Religionsausübung24). Wir haben folgende

Überzeugung.

Fassung vorgesehen:

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung ist unverletzlich. Wir wollten mit dieser Fassung auch moralische Grundsätze und Überzeugungen einbeziehen; die Beschränkung auf Glaube und Gewissen genügt nicht ganz.

Nach Abs. 2 wird die ungestörte Religionsausübung im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet. Die Weimarer Verfassung bestimmte: Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt. Wir haben zum Ausdruck bringen wollen, daß auch die Religionsausübung im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet wird. Weiter sagen wir, daß keiner gezwungen werden darf, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. In der Weimarer Verfassung heißt es: Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an einer religiösen Übung oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten gesagt: „oder religiösen Übungen." Dr. Weber: Die Weimarer Verfassung spricht weiter davon, daß niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben

22) Nach dem Kurzprot. hatte der RedA für Art. 8 folgende Fassung vorgeschlagen: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung ist unverletzlich. Die

ungestörte Religionsausübung wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleiNiemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesform zu benutzen. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erstet.

fordert."

23) WRV, Art. 135. 24) ChE, Art. 6; Der Pari.

Rat Bd. 2, S. 580.

109

Nr. 6 nur

Fünfte

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insoweit das

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Recht, nach der Zugehörigkeit

fragen, als davon

zu

einer

Religionsgesellschaft

Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert. Statt dessen haben wir folgende zu

Formulierung gewählt: Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen, oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf ergänzend darauf hinweisen, daß die Formulierung des Abs. 4 nur eine Umformulierung der Weimarer Verfassung bedeutet. Wir haben die Behörden herausgelassen. Niemand soll nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft fragen, es sei denn, daß davon Rechte und Pflichten abhängen, oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es

erfordert. Paul: Ich bin mir über die Formulierung noch nicht ganz klar. Dies gilt namentlich für die Benutzung der religiösen Eidesform. Man wurde oft in eine peinliche Situation gebracht, wenn der Richter einem die Eidesformel vorsprach und man ihn darauf aufmerksam machen mußte, daß man nicht daran denke, die religiöse Eidesform anzuwenden. Da trat manchmal eine sehr eigenartige Situation ein. Ich sah darin immer eine gewisse Diskriminierung. Die Formulierung lautet jetzt: „Niemand darf gezwungen werden, eine religiöse Eidesform zu benutzen." Man darf es dem Richter nicht freistellen, ob er die religiöse Eidesform anwenden will oder nicht. Man soll dem anderen, der die Benutzung dieser Eidesform ablehnt, genau so viel Recht zubilligen wie demjenigen, der sie benutzt. Dieses gleiche Recht sehe ich hier nicht verankert. Dr. Schmid: Wir haben uns damit nicht zu befassen. Die Strafprozeßordnung enthält eine Bestimmung, wonach der Eid in der religiösen oder in der weltlichen Form geleistet werden kann. Es ist Sache einer Dienstanweisung an den Richter, wie er das zu manchen hat. Bei uns ist der Richter angewiesen, vor der Vereidigung den Zeugen zu fragen, in welcher Form er den Eid leisten wolle. Der Zeuge wird vorgerufen. Der Richter sagt ihm: „Sie haben einen Eid zu leisten, wollen Sie ihn in der weltlichen oder in der religiösen Form leisten?" Aber diese Einzelheit gehört nicht in die Verfassung. Es handelt sich hier nur darum, eine Tradition abzuschneiden, die einmal bestanden hat. Niemand darf zur religiösen Eidesleistung gezwungen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auch hier ist es wieder so: Auf der einen Seite soll die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung sichergestellt werden. Damit wird freigestellt, wie der einzelne sich bei der Eidesleistung verhält. Das ist die positive Seite. Die negative Seite ist die, daß niemand zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden darf. Der Artikel ist in seiner Fassung genau so gestaltet wie die anderen Artikel. Paul: Es ist doch nicht das Gleiche, ob ich sage: Jeder kann den Eid in der Form leisten, die er will, oder ob ich sage: Niemand darf gezwungen werden, die religiöse Eidesform zu benutzen. In dieser letzteren Formel sehe ich das Ne-

gative. 110

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist doch das Gleiche. Jeder kann den Eid in der Form leisten, die er will. Paul: Ich sehe darin das Negative, nicht das Positive. Es wird hier den Zeugen nur das Recht eingeräumt, die religiöse Eidesform nicht zu benutzen. Man sollte bei der Neuformulierung dieser Bestimmung auch die Erfahrungen in den

letzten zehn Jahren benutzen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf fragen, ob dieses Bedenken von anderen Mitgliedern des Ausschusses geteilt wird. Das scheint nicht der Fall zu sein. Die Frage kann noch bei der zweiten Lesung aufgeworfen werden. Einstweilen bleibt es bei der vorliegenden Fassung. Wir kommen zu Art. 9. Ich bitte, Herrn Dr. Heuss, darüber zu berichten. —

[e. Freiheit der

Meinungsäußerung (Art. 9)] Dr. Heuss: Wir haben in Art. 9 die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild zusammengefaßt25). Wir sind dabei davon ausgegangen, daß man das Pressewesen nicht mehr isoliert ansehen kann, wie es die klassische Tradition war. Heute wenden sich Presse, Rundfunk und in gewissem Sinn sogar der Film in den Wochenschauen an die Allgemeinheit. Wir fanden es etwas töricht, wenn man die Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung als besonders unverletzlich ansieht, weil die private Meinungsäußerung unter Umständen gefährdet sein könnte. Daher haben wir den Begriff der öffentlichen

Meinungsäußerung weggelassen.

Weiter haben wir die Frage geprüft, ob der Begriff „Schrift" auch den Druck umfaßt. Die Weimarer Verfassung enthielt neben der Schrift auch noch den Druck. Wir gehen davon aus. daß Schrift gleich Druck ist. So sind wir zu der

Fassung gekommen:

Die Freiheit der

Meinungsäußerung

in Wort, Schrift und Bild ist unverletz-

lich. Im zweiten Absatz haben wir etwas

aufgenommen, was auch der HerrenchiemEntwurf anregt: daß nach den Erfahrungen der Nazi-Zeit nicht bloß das Selbstproduzieren von Meinungen, sondern auch das Aufnehmen von Meinungen oder Nachrichten als ein Crimen angesehen wurde. Wir haben es so formuliert, daß jede Beschränkung in der freien Unterrichtung und Meinungsbilseer

') Nach dem Kurzprot. lautete der Artikel 9 in der Fassung des Redaktionsausschusses: „Die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. Jede Beschränkung in der freien Unterrichtung und Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen insbesondere beim Rundfunkempfang oder dem Bezug von Druckerzeugnissen ist unstatthaft. Presse, Rundfunk und Film haben das Recht, ohne Behinderung durch Zensur über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse wahrheitsgetreu zu berichten und zu ihnen Stellung zu nehmen. Diese Rechte finden ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung, an den Vorschriften der Strafgesetze, an den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, insbesondere im Filmwesen und an dem Recht der persönlichen Ehre." 111

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dung aus allgemein zugänglichen Quellen insbesondere beim Rundfunkempfang oder beim Bezug von Druckerzeugnissen unstatthaft sein soll. In der Nazi-Zeit war das Lesen bestimmter Zeitungen als gefährlich verboten. Der Ausdruck „allgemein zugängliche Quellen" bezieht sich auf Bücher, Zeitungen usw., die im Ausland erschienen und allgemein zugänglich gemacht sind, mögen sie auch in Bolivien oder Haiti erschienen sein. Nun kommt die schwierigste Frage: Können wir das Pressewesen umschreiben, und inwieweit können wir es umschreiben? Wir haben in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone ein Pressegesetz, das der Länderrat in Stuttgart beschlossen hat26). Der Unterausschuß hat Presse, Rundfunk und Film zusammengenommen. Presse, Rundfunk und Film sollen das Recht haben, ohne Behinderung durch Zensur über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse wahrheitsgemäß zu berichten und zu ihnen Stellung zu nehmen. Der Entwurf von Herrenchiemsee bestimmt in Art. 7 Abs. 2, daß die Presse die Aufgabe und das Recht hat, über Vorgänge, Zustände, Einrichtungen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wahrheitsgemäß zu berichten27). Diese Aufgliederung ist an sich nicht schlecht; sie ist ein Versuch, um die verschiedenen Typen der Aufgaben zu umschreiben. Wir haben jedoch auf eine solche Umschreibung verzichtet und dafür einfach „Angelegenheiten von allgemeinem Interesse" gesetzt, wobei die Interpretation dessen, was „allgemeines Interesse" ist, offen bleibt. Diese Rechte finden aber ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung, an den Vorschriften der Strafgesetze, an den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend insbesondere im Filmwesen und an dem Recht der persönlichen Ehre. Art. 118 Abs. 2 der Weimarer Verfassung ließ zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zu28). Wir haben von einer solchen Anweisung an den Gesetzgeber mit Absicht abgesehen; wir kommen da in des Teufels Küche. Auf der anderen Seite sind wir uns darüber klar, daß beim Film eine gewisse Vorzensur nötig ist. Wir haben bei uns schon die Bestimmung, daß Jugendliche zum Besuch bestimmter Filme nicht zuzulassen sind. Das ist ein bei den Angelsachsen sehr wenig beliebtes Verfahren. Sie haben nicht diese Art Jugendschutz, sondern schalten eine Art von Selbstkontrolle durch die Gesellschaft ein, bei der vor allem die Frauenverbände ein gewichtiges Wort mitsprechen. Wir haben uns bewußt beschränkt auf den Hinweis auf die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen und dann davon abgesehen, näheres über die Durchführung

zu

sagen.

26) Zur Pressegesetzgebung in den Ländern der US-Zone, die im Länderrat der US-Zone beraten wurde, vgl. Akten zur Vorgeschichte 1 und 2 passim. 27) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581. 28) WRV, Art. 118, Abs. 2 : „Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch

Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. Auch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig."

112

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Schließlich hielten wir es für notwendig, daß Recht der persönlichen Ehre besonders aufzuführen. Verleumdung und falsche Berichterstattung über Menschen, ihr privates und öffentliches Leben sollen nicht zulässig sein. In den Erörterungen der letzten Zeit zu dieser Frage hat man vielfach gefordert, daß die Männer des öffentlichen Lebens in Sonderheit und im Interesse des Staates einen bestimmten Schutz gegen Verleumdung erhalten müßten. Wir haben bewußt darauf verzichtet, das näher zu umschreiben. Das riecht zunächst allzusehr nach Republikschutzgesetz29), und zum andern haben alle Menschen, gleichviel, ob sie im öffentlichen Leben stehen oder nicht, den gleichen Anspruch auf die Wahrung ihrer persönlichen Ehre. Aber wir wollten den Gedanken des Ehrenschutzes, des Rechtes des Einzelnen auf Wahrung seiner Ehre an der Stelle der Verfassung, die von dem Recht der freien Meinungsäußerung handelt, zum mindesten deklaratorisch zum Ausdruck gebracht sehen. Dies war im wesentlichen die Motivenreihe, die uns im Unterausschuß bei unseren Beratungen beschäftigt hat. Paul: Zur Freiheit der Meinungsäußerung eine Frage: Soll dieses Recht ohne

Einschränkung gelten?

Dr. Heuss: Ich darf noch

folgendes nachtragen: Von einer Seite war zwar nicht Erörterung gestellt, ob wir auf die Lizenzierung der Presse in der Verfassung Bezug nehmen sollten. Wir waren aber in der Mehrheit der Meinung, daß es sich nicht empfehle, so etwas in die Verfassung aufzunehmen, weil die Gefahr entsteht, daß die Lizenzierung zu parteipolitischen Urteilen ausgenützt und die Möglichkeiten zu freier Meinungsäußerung abgedrosselt werden. Auch der Gedanke des Wettbewerbs spielt hier herein. Die angeregt, wohl aber

zur

Presse soll in einem gewissen Wettbewerb um die Gunst des Lesers stehen. man kann in diesen Dingen verschiedener Meinung sein. Die Angelsachsen vertreten stark den Gedanken der Lizenzierung. Bei ihnen ist die Lizenzierung ein rein gewerbepolizeilicher Vorgang. In der amerikanischen Presse gibt es die großen, kapitalistisch fundierten Blätter, die Konzern-Zeitungen. Ich erinnere da nur an die Hearst-Presse30), die man mit unserer früheren HugenbergPresse31) in Paralelle setzen könnte. Wir sehen in der Lizenzierung von Zeitungen, Zeitschriften und Verlagen eine gewisse Gefahr der Verengung in der Entwicklung der deutschen Presse. Auch eine Gefährdung von Minderheiten erscheint nicht ausgeschlossen, und wir müssen uns davor hüten, daß das Recht der freien Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Film durch die Einschaltung eines staatlichen oder korporativen Lizenzwesens abgedrosselt wird. Paul: Die Freiheit der Meinungsäußerung kann nicht darin bestehen, daß jede Meinungsäußerung erlaubt und der Eingriff gegen eine solche Meinungsäußerung unzulässig ist. Wir erinnern uns da an manche Vorgänge in der Vergangenheit. Man sollte auch hier zum Ausdruck bringen, daß die Grundsätze des

Aber

29) Republikschutzgesetz vom 25. März 1930 (RGBl. I, S. 91). 30) Nach dem amerikanischen „Zeitungskönig" William Randolph Hearst (1863—1951) genannter Zeitungs- und Verlagskonzem. 31) Nach Alfred Hugenberg (1865—1951) benanntes Zeitungs- und Verlagsimperium in der Zeit der Weimarer Republik. 113

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allgemeines Völkerrechts zu beachten sind. Wir dürfen und können keine neue Völker- und Rassenhetze mehr dulden, wie wir sie in der Weimarer Republik so oft erleben mußten. Ich erinnere die Herren da nur an den „Stürmer"32), der nicht nur in der Nazizeit, sondern schon lange vorher eine wüste Rassenhetze getrieben hat. Dr. Heuss: Art. 9 Abs. 3 sagt ausdrücklich, daß diese Rechte ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung usw. finden. Dr. Bergsträsser: Nach Abs. 2 haben Presse, Rundfunk und Film nur das Recht, wahrheitsgetreu zu berichten. Paul: Das ist doch nur ein sehr relativer Begriff. Da bin ich schon der Auffassung, daß die Verfassung jede Völker- und Rassenhetze verbieten sollte. Das darf im deutschen Volke nicht wieder aufkommen, daß man einen Menschen einfach deshalb diffamiert, weil er farbig ist, und daß man auf diese Weise eine allgemeine Haßpropaganda entfacht, die nur den Kriegstreibern dient. Das kann man nicht nur mit dem Hinweis auf die Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung verhindern. Nein, wir sollten schon den Mut zu dem Bekenntnis haben, daß so etwas nicht wieder aufkommen darf. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Es besteht im Ausschuß die einmütige Auffassung, daß derartige Vorgänge zu unterbinden sind. Der Gesichtspunkt, den Herr Paul vorgebracht hat, kann zu Protokoll genommen und vorgemerkt werden. Wir müssen das auch von der Ausgestaltung der anderen Teile der Verfassung abhängig machen. Zunächst müssen wir das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung allgemein ausgestalten. Dies geschieht in Art. 9 Abs. 1, der besagt, daß die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild unverletzlich ist. Die Beschränkungen bringen wir in Abs. 4. Der Begriff „wahrheitsgetreu" bezieht sich nur auf Berichte der Presse, des Rundfunks und des Films und ihre Stellungnahme hierzu. Die Freiheit der Meinungsäußerung erleidet also insoweit eine Einschränkung, daß Presse, Rundfunk und Film wahrheitsgetreu zu berichten haben. Dr. Heuss: An sich kann man nur von Berichten sagen, daß sie wahrheitsgetreu sind und sein müssen. Von einer Stellungnahme zu bestimmten Vorgängen kann man jedoch nicht sagen, daß sie wahrheitsgetreu sei; sie ist immer subjektiv. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Aus dem gleichen Grunde darf die Wahrheitstreue nicht in Abs. 1 erscheinen. Die Meinungsäußerung ist immer eine Stellungnahme, nicht ein Bericht. Man kann Wahrheitstreue nur von Berichterstattung in

Presse, Rundfunk und Film verlangen. Dr. Heuss: Wenn Herr Paul eine andere Formulierung wünscht, dann soll er sich selber anstrengen und uns eine Fassung vorschlagen. Paul: Wir müssen doch auch der Welt gegenüber zum Ausdruck bringen, daß wir mit diesen verhängnisvollen Entwicklungen der Vergangenheit brechen wollen. ;) Der „Stürmer", ein

von Julius Streicher (1865-1946) krasser antisemitischer Tendenz.

114

herausgegebenes

Wochenblatt mit

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Mangoldt]: Wir müssen das beim Gleichheitssatz berücksichtigen. Übrigens läge in einem Verhalten, wie Herr Paul es brandmarkt, schon eine Verletzung der Treuepflicht gegenüber der Verfassung, eine Verletzung des Gleichheitssatzes. Wir müssen uns immer davor hüten, die Dinge doppelt zu sagen, weil der Leser dann die Frage stellt: „Warum sagt Ihr das noch einmal, was wollt Ihr damit noch besonders sagen?" Vors. [Dr.

v.

[2. ORGANISATION DER WEITEREN ARBEIT DES AFG] Damit können wir die sachliche Beratung für heute abschließen33). Nun wollen wir uns über die Dispositionen für die nächste Sitzung klar werden. Zunächst wären zu behandeln: Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Schutz des status activus und des passiven Wahlrechts, das Recht auf ein Amt, Ehrenamt, Freiheit der Wissenschaft, Brief- und Postgeheimnis, Petitionsrecht, Gewährleistung des Eigentums, allgemeine Gleichheit.

33) Das Kurzprot. der 5. Sitzung enthielt als Anlage die Art. 5, gebilligten Fassung :

7—9 in der

von

der Mehrheit

5 : Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Jeder Bundesangehörige hat das Recht, an jedem Ort des Bundesgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen sowie seinen Beruf und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen. Dem Gesetze bleibt es vorbehalten, die Berufsausübung zu regeln.

„Art.

Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur in

Vollzug einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. Art. 7: Die Wohnung ist unverletzlich. Durchsuchungen können nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen über das Strafverfahren vorgesehenen Organe angeordnet und in der dort vorgesehenen Form durchgeführt werden. Im Interesse des gemeinen Wohles, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, zum Schutze gefährdeter Jugendlicher können auch die Verwaltungsbehörden durch Gesetz zu Eingriffen und zu Beschränkungen ermächtigt werden.

Art. 8: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung ist unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet. Niemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesform zu benutzen. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es er-

fordert. Art. 9: Die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. Jede Beschränkung in der freien Unterrichtung und Meinungsbildung aus allgemein

gänglichen Quellen insbesondere erzeugnissen ist unstatthaft.

beim

Rundfunkempfang oder dem Bezug

von

zu-

Druck-

Presse, Rundfunk und Film haben das Recht, ohne

gelegenheiten von allgemeinem Stellung zu nehmen.

Interesse

Behinderung durch Zensur über Anwahrheitsgetreu zu berichten und zu ihnen

Diese Rechte finden ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung, an den Vorschriften der Strafgesetze, an den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend insbesondere im Filmwesen und an dem Recht der persönlichen Ehre." 115

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Paul: Ich kenne den Katalog der Grundrechte nicht. Wäre es nicht möglich, ihn schriftlich zu bekommen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zunächst wird es sich darum handeln, daß wir die unstreitigen Grundrechte festlegen. Dann werden wir uns darüber zu unterhalten haben, inwieweit der Katalog zu erweitern ist. Paul: Ich denke, wir müssen auch die Rechte aufnehmen, die auf sozial-politischem Gebiet wichtig sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist noch nicht entschieden. Zunächst müssen wir jedenfalls die unstreitigen klassischen Grundrechte behandeln; erst dann können wir uns darüber unterhalten, welche anderen Grundrechte wir noch in unseren Katalog aufnehmen. Wir haben ein sehr umfangreiches Programm vor uns. Nach den bisherigen Erfahrungen müssen die Dinge sehr genau überlegt werden. Die Aussprache hier im Ausschuß zeigt immer wieder, wie notwendig es ist, die einzelnen Probleme gründlich durchzusprechen, wie schwierig es ist, die Eingriffsbefugnisse der Exekutive so zu konkretisieren, daß sich daraus nicht ein wirklicher Einbruch in das einzelne Grundrecht ergibt. Dr. Heuss: Wir wollten in der nächsten Woche, wenn wir die Behandlung der klassischen Grundrechte abgeschlossen haben, die Präambel vornehmen. Da tauchen politische Fragen auf. Dr. Schmid: Die Debatte über die Präambel wird weitgehend mit der Frage gekoppelt sein, ob man ein Staatsfragment schaffen will oder nicht. Wenn man auch der Substanz nach etwas Provisorisches und Fragmentarisches schaffen will, dann hat es keinen Sinn, uns über die Lebensordnung usw. zu unterhalten. Dr. Heuss: Wir geraten überhaupt in eine etwas groteske Situation, wenn man die Bestimmungen in den Verfassungen der Länder betrachtet. Es ist die Gefahr vorhanden, daß durch die verschiedenen Verfassungen und ihre Interpretationen in Deutschland eine Sozialordnung mit großem Wechselgefälle entsteht. Dr. Schmid: Gestern waren die Vertreter der Gewerkschaften bei mir und haben dieselben Argumente vorgebracht34). Ich habe den Herren gesagt, auch der Föderalismus habe gewisse Vorteile, vor allem den Vorteil, daß man in gewissen Teilen des Landes vorprellen und Forderungen stellen und durchsetzen kann. Es gibt auch in diesen Dingen ein gewisses Grenznutzengesetz. das auch ein Grenzschadengesetz werden kann. Dr. Heuss: Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Unsere nächsten Dispositionen sind also: Der Unterausschuß35) tritt morgen, Donnerstag, um 9.30 Uhr, übermorgen, Freitag um 9 Uhr .

.

.

zusammen.

Die nächste

Ausschußsitzung Ich schließe die Sitzung.

ist

am

Dienstag,

5.

Oktober,

15

Uhr

festgesetzt.

34) Unterlagen zu diesem Besuch ließen sich nicht ermitteln. Zum Einfluß der Gewerkschaften auf die Arbeit des Pari. Rates Interessen, S. 201 ff.

vgl. zusammenfassend Werner Sörgel:

Konsensus und

35) Dem Unterausschuß, auch Redaktionsausschuß genannt, gehörten an: v. Mangoldt, Bergsträsser und Zinn; gemäß Kurzprot. wurde er „diesmal durch die Abgeordneten Dr. Weber, Wunderlich und Dr. Heuss erweitert." 116

Sechste

Sitzung

5.

Oktober 1948

Nr. 7

Nr. 7

Sechste

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 5.

Oktober 1948

Z 5/30, Bl. 236-311. Stenogr. Wortprot. vom 8. Oktober 1948, Kurzprot: Z 12/45, Bl. 109-111. Drucks. Nr. 148

von

Reynitz

gez.

Anwesend1):

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Pfeiffer, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Schmid, Wunderlich, Zinn FDP: Heuss Stenografischer Dienst: Reynitz Dauer: 15.15-17.42 Uhr

[1. ERÖRTERUNG DER VOM REDAKTIONSAUSSCHUSS DES AFG FORMULIERTEN ARTIKEL 9-17]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auf der Tagesordnung unserer heutigen Sitzung steht die Besprechung der Artikel 9 bis 17, wie sie Ihnen der Redaktionsausschuß in der Ihnen eben vorgelegten Fassung vorschlägt2). Wir werden die Dinge wieder

!) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Drucks. Nr. 110, Material für den AfG, Vorschläge des RedA:

„Art. 9: Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen können nur durch Gesetz, jedoch nicht zu politischen Zwecken angeordnet werden. Art. 10: Die Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre findet ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung. Art. 11: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Art. 12: Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Vereinigungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden und Maßnahmen, durch die dieses Recht eingeschränkt, behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll, sind nichtig. Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze anerkannt. Art. 13: Jeder Landesangehörige ist zugleich Bundesangehöriger. Jeder Bundesangehörige hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst. Art. 14: Die Freiheit des Rechts zu wählen oder abzustimmen sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Eine solche Beschränkung ist insbesondere gegeben, wenn die Wahlvorberei117

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so handhaben, daß einer der Teilnehmer an den Besprechungen des Redaktionsausschusses3) einen Überblick über den Inhalt der Besprechungen gibt, die

den einzelnen Artikeln und den mit ihnen zusammenhängenden Streitfragen stattgefunden haben. Die Diskussion würde sich dann am besten gleich an die einzelnen Artikel anschließen. Wir haben am Freitag den ganzen Vormittag über formuliert. Es ist dann der Wunsch laut geworden, die Formulierung des Artikels über die Gewährleistung des Eigentums noch zurückzustellen, damit der nicht anwesende Dr. Zinn sich an der Formulierung dieses Artikels beteiligen könne. Dieser Artikel wäre also als Art. 17 dazwischen zu schieben, und der Gleichheitssatz hätte ihm dann als Art. 18 zu folgen. Wir haben uns sehr eingehend überlegt, wie wir die Artikel aufeinander folgen lassen. Wir sind dann vom Herrenchiemseer Entwurf abgewichen, weil wir so in den gesamten Grundrechtsteil eine bessere Systematik zu bringen hofften. So gesehen hatte für uns der Artikel 9 über das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis die engste Verbindung zu der Freiheit der Meinungsäußerung. Deshalb ist der Artikel 9 unmittelbar hinter die Freiheit der Meinungsäußerung gesetzt worden. Daran schließt sich der Artikel von der Freiheit der Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihrer Lehre. Diese Freiheitsrechte stehen ja unmittelbar in Zusammenhang mit der Freiheit der zu

Meinungsäußerung. Es folgen die beiden Artikel über Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, bei die Versammlungsfreiheit als die weniger engere Bindung der engeren dung der Vereinigungsfreiheit vorangeht.

wo-

Bin-

Dann kommen die Artikel über den

sogenannten status activus, also die staatseinmal das Verhältnis von Bundes- und Landesdann das Wahlrecht, das Recht auf die öffentlichen Ämter und schließlich das Petitionsrecht zu behandeln. Daran würde sich dann als letzter dieser Freiheitsartikel der Eigentumsartikel schließen. Mit Fug und Recht kann wohl das Eigentum auch unter die Individualrechte gerechnet werden. Der Eigentumsartikel muß daher zwischengeschaltet werden

bürgerlichen Rechte. Hier angehörigkeit zueinander,

war

tungen oder das Wahlverfahren dem Wähler die freie Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteiengruppen unmöglich macht.

Jeder Deutsche hat zu jedem öffentlichen Amt im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung und nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen gleichen Zugang. Art. 16: Jeder hat das Recht, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen, sich mit Bitten Art. 15:

oder Beschwerden an die zuständigen Stellen, insbesondere an die Volksvertretung zu wenden. Art. 17: Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich. Alle Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden." 3) Zur Zusammensetzung des Unterausschusses, bzw. RedA s. Dok. Nr. 6, Anm. 35. 118

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und auf ihn dann der Artikel 18 mit der Gleichheit vor dem Gesetz folgen. Es fehlt dann noch ein wichtiger Grundsatz des Herrenchiemseer Entwurfs, der auch formuliert werden müßte, nämlich der Grundsatz, daß alle diese Grundrechte durch die durch Gesetz vorgesehenen Beschränkungen nicht in ihrer Substanz angegriffen werden dürfen. Das ist aus folgenden Gründen ein wichtiger Grundsatz. Wir haben die Grundrechte auf der einen Seite sehr weit gefaßt, zugleich in denselben Artikeln aber auch vorgesehen, daß und wie weit Gesetzgebung und Verwaltung sie im allgemeinen Interesse einschränken dürfen. Deshalb muß nun nachfolgen der Satz, daß die Grundrechte in ihrer Substanz nicht angegriffen werden dürfen. Noch etwas zum technischen Verfahren. Am Freitag ist vorgeschlagen worden, daß, um diesen letzten Rest der Arbeit zu erledigen, der Redaktionsausschuß morgen früh um 9.00 Uhr noch einmal zusammentreten sollte, damit wir dann für alle Grundrechte eine erste Formulierung haben, d. h. für die sogenannten klassischen Grundrechte, die dem Ausschuß dann um 10.30 Uhr zur endgültigen Verabschiedung in der ersten Lesung vorgelegt werden sollten. Wird hinsichtlich dieser Verfahrensfrage das Wort gewünscht? Dann werden wir also so verfahren, daß der Redaktionsausschuß, bestehend aus den Herren Dr. Bergwir hatten über die Besetzung schon gesprosträsser, Dr. Zinn, Dr. Heuss chen morgen früh um 9.00 Uhr zusammentritt, damit wir diese Frage erörtern können. Frau Dr. Weber, würden Sie auch um 9.00 Uhr kommen kön—





nen?

(Dr. Pfeiffer: Werden Sie denn bis 10.30 Uhr soweit sein?)

Es ist vielleicht —

richtiger,

wenn

wir sagen: bis 11 Uhr.

(Zustimmung.)

Wir werden

nun

in die

Erörterung der einzelnen Artikel eintreten. [a.

Briefgeheimnis (Art. 9)]

Zunächst Art. 9:

„Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich." Zu diesem Artikel sind wenig Ausführungen zu machen. Wir konnten uns hier an die Fassung früherer Verfassungen insbesondere der Weimarer, anschließen, wie das ja überhaupt ein Grundsatz des Redaktionsausschusses gewesen ist. Ich bitte, auch das einmal besonders bemerken zu dürfen. Die Grundrechte sind etwas, was in der Vergangenheit in den einzelnen Verfassungen seine feste Form gefunden hatte. Unter solchen Umständen wäre es natürlich unzweckmäßig, wenn nicht ganz erhebliche Gründe dafür bestehen, wenn sich nicht inzwischen Unzulänglichkeiten der Formulierung solcher Grundrechtsartikel ergeben haben, wesentlich von ihnen abzuweichen, weil dadurch eine neue Note hineingebracht wird, die eine vollkommene Verwirrung über den Inhalt dieser alther-gebrachten Rechte hervorrufen könnte. So haben wir also bei Art. 9 keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Nur im zweiten Satz ist von den bisherigen Fassungen abgewichen worden, indem ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daß Beschränkungen nicht zu politischen Zwekken angeordnet werden können. Ich darf eben mal in der Weimarer Verfassung 119

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und der Verfassung von 1849") nachschlagen, in denen das Briefgeheimnis ja auch schon gewährleistet ist. In der Weimarer Verfassung heißt es in Art. 117: „Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich." Und dann heißt es einfach: „Ausnahmen können nur durch Reichsgesetz zugelassen werden." Da schien es wichtig, den Zusatz, den wir in neueren Fassungen gefunden haben: „Beschränkungen dürfen jedoch nicht zu politischen Zwecken angeordnet werden", als weitere Sicherung aufzunehmen.

Falls das Wort zu diesem Artikel nicht weiter gewünscht wird, würden wir ihn also so in erster Lesung durchgehen lassen können. Wir werden in der zweiten Lesung ja sowieso noch einmal auf ihn zurückkommen. Dr. Eberhard: Hinter „politischen Zwecken" gehört ein Komma! Dr. Pfeiffer: Ich habe das Gefühl, daß wir da an einer sehr bedeutungsvollen Grenze inbezug auf die Sicherheit des Staates stehen, der ja auch durch die Verfassung geschützt werden soll; denn wo ist die Definition des Politischen? Wir wissen alle aus der Zeit vor 1933: es gibt Situationen, bei denen die Einhaltung der Verfassung Verletzungen der Verfassung nach sich zog und eine Gefährdung des demokratischen Staates. Ich habe die letzte Sitzung nicht mitmachen können und müßte mir das noch ein wenig überlegen, würde das also nur als vorläufige Annahme in der ersten Lesung auffassen können. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Diese Fassung findet ihr Vorbild in der württembergischen Verfassung vom 29. November 1946, worin es heißt: „Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich." Darauf folgt dort ein Katalog der Fälle, in denen durch Gesetz Ausnahmen angeordnet werden können5). Wir wollten auf die Einzelheiten so nicht eingehen, weil diese Kataloge immer ein Bedenken haben: man weiß nicht, ob man nicht eine Sache zu wenig aufzählt. Sagt man „insbesondere", so hat der Katalog keinen Sinn; sagt man das nicht, so hat man einen Katalog mit Ausschließlichkeitsanspruch, über den man nicht hinausgehen kann. Das veranlaßte uns dazu, diese Formulierung nicht aufzunehmen. Dann hieß es aber in der Württ. Verfassung weiter: „Ausnahmebestimmungen aus politischen Gründen sind unzulässig", und das ist hier nun in anderer Formulierung hineingekommen. Dr. Pfeiffer: Ich möchte jetzt keinen Einspruch gegen den Artikel erheben, möchte ihn nur noch etwas überdenken, ehe ich grundsätzlich zustimme. Wenn wir das als erste Lesung betrachten, können wir ruhig weitergehen.

[b. Freiheit Vors. [Dr. v. Wort geben.

von

Mangoldt]:

Kunst, Wissenschaft und Forschung (Art. 10)] Zu Art. 10 darf ich dann Herrn Dr.

Bergsträsser das

4) Reichsverfassung von 1849, § 142: „Das Briefgeheimnis ist gewährleistet. Die bei strafge-

5) 120

richtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen." Art. 7 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946.

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Dr. Bergsträsser: Der erste Satz von Art. 10 stammt aus dem Chiemseer wurf6), nur ist die Forschung ausdrücklich aufgenommen.

Ent-

Der zweite Satz ist das Ergebnis einer langen Besprechung, und zwar desweich stehe nicht an zu sagen, daß ich diese Seigen, weil von einer Seite aus sehr starke Bedenken geltend gemacht wurden gegen die te gewesen bin Freiheit der Lehre, und zwar aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit heraus, —



als vielfach Lehrstühle dazu benutzt worden sind, die Republik systematisch zu unterhöhlen. Dadurch sind wir dazu gekommen, eine Begrenzung dieser Freiheit der Lehre festzulegen in der folgenden Formulierung: Die Freiheit der Lehre findet ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung. Ich persönlich glaube immer noch, daß diese Formulierung etwas zu weitgehend ist. Sie ist eben eine Lösung aus den Gegensätzen heraus. Aber eine Erklärung für diesen zweiten Satz finden Sie in dem, was ich gesagt habe. Der erste Satz ist ja so vielfach in den verschiedensten Verfassungen vorhanden, daß über ihn nichts Besonderes bemerkt zu werden braucht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf ergänzend ausführen: wir sind zu dieser Formulierung des Absatzes 2 des Art. 10 gekommen auf Grund der Formulierung, die Abs. 4 des Art. 8 gefunden hat. Art. 8 behandelt in Abs. 1 die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Bild und Schrift. Sie soll unverletzlich sein. Er gibt dann in Abs. 3 die Bestimmungen über die Pressefreiheit. Wenn man nun in Art. 10 bei dem Grundsatz von der Freiheit der Lehre nicht einen ähnlichen Satz wie den des Art. 8, Abs. 4 aufnehmen würde, könnte man eventuell den Rückschluß machen: Zwar ist gesagt worden, die Freiheit der Meinungsäußerung findet ihre Grenze an der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung, aber bei der Freiheit der Lehre ist das nicht ausdrücklich gesagt worden, deshalb ist diese Grenze für die Freiheit der Lehre nicht gegeben, was ein sehr gefährlicher Schluß wäre. Auch aus diesem Grunde schien es uns angemessen, dem Satz 2 in Art. 10 die gleiche Fassung wie im ersten Teil des Abs. 4 des Art. 8 zu geben. Falls das Wort hierzu nicht weiter gewünscht wird, würde ich auch hier vorschlagen, daß wir diesen Artikel dann zunächst so in die zweite Lesung brin—

gen.

[c. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art.

11

und 12)]

Wir treten dann in die Beratung der Art. 11 und 12 ein. Ich darf Herrn Dr. Zinn bitten, das Wort zu Art. 11 zu nehmen. Zinn: Art. 11 enthält das Grundrecht der sogenannten Versammlungsfreiheit, Art. 12 die sogenannte Vereins- und Koalitionsfreiheit. Der Art. 11 erinnert in seiner Fassung sowohl an den Art. 8 des Herrenchiemseer Entwurfs7) als auch an den Art. 123 der Weimarer Verfassung8). Der Ent-

6) ChE, Art. 15, Abs. 1; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581. 7) ChE, Art. 8 lautete: „Alle haben das Recht, sich ohne vorherige Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und unbewaffnet

zu

versammeln.

121

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Herrenchiemsee billigt das Recht der Versammlungsfreiheit allerdings jedermann zu, während die von uns vorgelegte Fassung, ähnlich wie Art. 123 der Weimarer Verfassung, dieses Recht bedingungslos nur allen Deutschen einräumen will. Das bedeutet nicht etwa, daß nun Ausländer nicht das Recht der Versammlungsfreiheit haben sollen, es steht bei dem Ausländer nicht unter Verfassungsschutz und kann infolge dessen irgendwie administrativ oder sonstwie wurf

von

eingeschränkt werden9). Die Formulierung ist in dem vorliegenden Entwurf etwas anders gewählt. Wir haben das Wort „vorherige" Anmeldung, wie es im Herrenchiemseer Entwurf enthalten ist, weggelassen, weil es m. E. überflüssig ist, wir schlagen die Wendung „ohne Anmeldung" und „ohne Waffen" vor.

Der Abs. 2 enthält einen Gesetzesvorbehalt, wie er im Herrenchiemseer Entwurf nicht vorgesehen war. Der Art. 123 der Weimarer Verfassung enthielt in Abs. 2 einen Satz, nach dem Versammlungen unter freiem Himmel durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden können. Die hier vorliegende Fassung schränkt diese Regelung der Weimarer Verfassung noch etwas mehr ein. Es heißt hier: Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Das Gesetz kann also nicht nur vorschreiben, daß eine Versammlung unter freiem Himmel anmeldepflichtig ist, sondern kann darüber hinaus auch Beschränkungen vorsehen. Wir hielten diese Fassung für notwendig, weil es zweifelhaft war, ob zum Beispiel das Gesetz über die Schaffung von Bannmeilen beim Reichstag und Landtag verfassungsmäßig war, das schlechthin jede Versammlung innerhab der Bannmeile verbietet. Die Notwendigkeit einer solchen Beschränkung wird man aber nicht verneinen können. Der zweite Satz in Abs. 2 entspricht der Regelung in der Weimarer Verfassung, wonach bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung Versammlungen unter freiem Himmel jederzeit verboten werden können. Auch um eine solche Vorschrift wird man nicht herumkommen. Dr. Pfeiffer: In der Weimarer Verfassung hieß es: „können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht werden". Ist das hier absichtlich anders gewählt? Zinn: Ich würde empfehlen, es grundsätzlich zu vermeiden, in dem Grundrechtskatalog von Reichs- oder Bundesgesetzen zu sprechen. Das sollte man der

Zuständigkeitsregelung überlassen10). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hier, in diesem Fall, bei der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, ist im Zuständigkeitskatalog bei den Sätzen über den Vorrang bei der Gesetzgebung eine Regelung vorgesehen. Ich bitte, darauf zu achten, 123 lautete: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden." 9) Folgt gestrichen: „Das geht also über die Regelung, die sonst für den Inländer, den Deutschen zutrifft, hinaus." 10) Folgt gestrichen: „Das ist systematischer und es passieren weniger Fehler, wenn wir erst den Zuständigkeitskatalog überprüfen."

8) WRV, Art.

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daß ich das Wort „Vorranggesetzgebung" nicht gern gebrauche; es ist ein scheußliches Wort. Wir könnten ruhig „Vorrang bei der Gesetzgebung" sagen und könnten es dann den Abkürzungswiitigen überlassen, von Vorranggesetzgebung zu sprechen. Im Zuständigkeitskatalog ist also diese Materie erfaßt11). Es würde also die Möglichkeit bestehen, daß, wenn das Reich keine Gesetze erläßt, die Länder Gesetze auf diesem Gebiete erlassen. (Dr. Pfeiffer: Also eine „Vorranggesetzgebung"?!) Zinn: Art. 12 regelt in Abs. 1 und 2 einmal das sogenannte Recht der Vereinsfreiheit und in Abs. 3 und 4 das damit verwandte Koalitionsrecht. Abs. 1 entspricht der Fassung des Art. 124 der Weimarer Verfassung und auch sinngemäß dem Art. 9 Abs. 1 des Herrenchiemseer Entwurfs. Die Vorbehalte sind in einem besonderen Abs. 2 aufgenommen worden. Es ist klar, daß Vereinigungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen, verboten sein müssen. Wir haben diese seither bestehende Vorschrift dadurch erweitert, daß nunmehr auch Vereinigungen verboten sein sollen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Das brauchen keineswegs ohne weiteres Vereinigungen zu sein, die den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß es im Augenblick keine Hoch- und Landesverratsvorschriften mehr gibt. Die in Frage kommenden Vorschriften des Reichsstrafgesetzbuches sind durch ein Kontrollratsgesetz aufgehoben worden12). In Hessen haben wir deshalb entsprechende Strafbestimmungen in den Entwurf eines Staatsschutzgesetzes13) aufnehmen

müssen.

Unabhängig

von der Strafbarkeit muß eine Möglichkeit bestehen, Vereinigundie die gen, Aufhebung der verfassungsmäßigen Ordnung erstreben oder aber den Gedanken der Völkerverständigung zuwiderlaufen, zu verbieten. Das wäre zum Vereinsrecht zu sagen. Das Vereinsrecht umfaßt das Recht zur dauernden freiwilligen Verbindung bestimmter Personen oder Personengruppen zu freiwilligen Zwecken, im Gegensatz zu dem Versammlungsrecht, das das Recht von Augenblicksverbänden regelt. Wir haben in diesen Artikel gleichzeitig das sogenannte Koalitionsrecht aufgenommen, das mit dem Vereinsrecht verwandt ist, aber doch eigentlich ein Grundrecht eigener Art darstellt, weil die Vereinigung oder das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, über das bloße Vereinsrecht hinausgeht. Wir haben hier die Fassung der Weimarer Verfassung beibehalten mit dem auch in der Weimarer Verfassung bereits enthaltenen Zusatz, daß Abreden und Maßnahmen, durch die dieses Recht eingeschränkt oder behindert wird, nichtig sind. Ergänzt ist diese Fassung hier noch durch den Zusatz, daß auch ein Zwang zum Beitritt nichtig sein soll, gleichgültig, worin er liegt. Es kann also niemand gezwungen werden, —

«) Vgl.

Der Pari. Rat Bd. 3, S. 300. Nr. 55 des Alliierten Kontrollrates

12) Gesetz

vom 20. Juni 1947: Aufhebung von Vorschrifdem Gebiet des Strafrechts. Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats in Deutschland Nr. 16, S. 284 ff. 13) Welches Gesetzesvorhaben gemeint war, ließ sich nicht ermitteln.

ten auf

123

Nr. 7 einer

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derartigen Vereinigung,

z.

B. einer Gewerkschaft oder einem Unterneh-

merverband, beizutreten. Jedwede derartige Maßnahme, gleichgültig, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche, oder um eine private Willenserklärung oder ein privates Rechtsgeschäft handelt, sind nichtig. Die Besonderheit dieses

Vereinigungs- und Koalitionsrechts gegenüber dem allVereinsrecht liegt also vor allem darin, daß es sich nicht nur gegen gemeinen die öffentliche Gewalt, sondern gegen jedermann richtet. Es sind also z. B. private Abreden, die das Recht beschränken, kraft Verfassungsrecht nichtig. Die Weimarer Verfassung spricht in Art. 159 von der „Vereinigungsfreiheit", also der Freiheit, sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu Vereinigungen zusammenzuschließen14). In den Vorentwürfen zur Weimarer Verfassung war von der Koalitionsfreiheit gesprochen worden. Man war von diesem Ausdruck abgegangen, weil unter Koalitionsfreiheit herkömmlicherweise zugleich auch das Recht zum Streik verstanden wurde und man das Streikrecht damals noch nicht anerkennen wollte. Ich glaube, daß man heute über die Anerkennung des Streikrechts, die auch von den Gewerkschaften gefordert wird, nicht herumkommt. Es ist wohl auch in den meisten Länderverfassungen, wenigstens in einem Teil der süddeutschen Länderverfassungen anerkannt worden15). Art. 12 Abs. 3 und 4 umfassen also zusammengenommen das, was man seither schlechthin als Koalitionsrecht bezeichnet hat. Nun gewährleistet allerdings der Abs. 4 des Art. 12 das Streikrecht als einen Teil des Koalitionsrechts nicht schlechthin, sondern nur im Rahmen der Gesetze. Das Streikrecht kann also durch Gesetze eingeschränkt werden. Es kann also zum Beispiel bestimmt werden, daß es nicht für Beamte oder Angehörige des öffentlichen Dienstes gelten soll. Es kann dem Gesetz auch vorbehalten bleiben, das Streikrecht noch in anderer Weise zu modifizieren, indem es vorschreibt, daß der Streik nur dann nicht rechtswidrig ist, wenn er von einer Gewerkschaft erklärt wird. Auf diese Weise würden wilde Streiks einzelner Belegschaften oder rein politische Streiks den Charakter der Rechtswidrigkeit tragen. Die Anerkennung des Streikrechts liegt darin, daß eine Gewerkschaft, die zum Streik im Rahmen der verfassungsmäßigen Zwecke ausruft, wegen dieser Ausrufung nicht zivilrechtlich haftbar gemacht werden kann. (Dr. Heuss: Ich möchte mich jetzt nur belehren lassen: Ist das Assoziationsrecht damit auch umfaßt, also das Genossenschaftsrecht? Es klingt ja hier an: das Recht, sich zur Wahrung und Förderung von Wirtschaftsbedingun—

gen zu vereinigen.) Das Genossenschaftsrecht kann meines Erachtens sowohl unter Abs. 3 fal-



len, „Vereinigungen

zur

Förderung

von

Wirtschaftsbedingungen",

als auch unter

Art. 159: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abre-

14) WRV,

den und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig." 15) Vgl. Art. 97 der Verfassung von Württemberg-Hohenzollern vom 20. Mai 1947; ferner Art. 23, Abs. 3 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946. 124

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Art. 12 Abs. 1. Es wären Genossenschaften denkbar, die nicht rein wirtschaftliche Zwecke verfolgen. (Dr. Heuss: Es gibt ja auch Lieferstreiks. Findet die Vorschrift über das Streikrecht da auch Anwendung?) Nein, auf den Lieferstreik nicht, das ist kein echter Streik. (Dr. Heuss: Ist eine Abrede zulässig? Ich will gar nicht Ja oder Nein sagen, sondern möchte nur der theoretischen Klärung wegen den Fall anführen: ein Bauernverband beschließt, wegen dieser saumäßigen Milchpreise zunächst in einen Lieferstreik einzutreten. Darf er das?) Das hängt von den Bewirtschaftungsvorschriften ab. Wenn wir eine völlig freie Wirtschaft haben, paßt der Ausdruck Streik nicht ganz, weil für den Bauern dann keine Rechtspflicht zur Lieferung besteht. Sie würde erst dann bestehen, wenn wir keine freie Wirtschaft haben. Das Besondere beim Streik der Arbeitnehmer ist, daß er einen, allerdings erlaubten Vertragsbruch darstellt. (Dr. Heuss: Eine Milchgenossenschaft hat mit einer städtischen Milchzentrale auch laufende Verträge. Sie sind in ihren Bestimmungen von dem abhängig, was in Frankfurt16) beschlossen worden ist. Sie machen es nicht mehr, kommen nicht mehr auf ihre Gestehungskosten. Was dann? Wären sie durch eine solche Vorschrift gedeckt?) Nein, meines Erachtens nicht, das ist nicht der Sinn der Vorschrift. Sonst könnte sich eine Gruppe von Schuldnern gegen einen Gläubiger verabreden: Wir zahlen nicht mehr —, dann müßte man auch sagen, ein solcher Schuldnerstreik sei zulässig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im übrigen gibt es dafür diese gesetzlichen Ablieferungspflichten; da würde das ohne weiteres darunterfallen. Dr. Pfeiffer: Beim Lieferstreik ist das Wort Streik eigentlich für etwas angewendet, was unsprünglich nicht darunter subsumiert war. Aus dem, was Kollege Zinn ausgeführt hat, entnehme ich, daß hier also eine Überlegung angestellt wurde, ob eine Art besonderes Recht für besondere Vereinigungen wie zum Beispiel Gewerkschaften festgelegt werden soll, so daß daran gedacht werden könnte, daß zum Beispiel ein Streik nur dann zulässig ist, wenn er von einer Gewerkschaft angeordnet wird; ein Streik dagegen, der gegen die Leitung einer Gewerkschaft, sei es der örtlichen, sei es der im Betriebe, ausbricht, ein Streik, der unter den Betriebsmitgliedern vereinbart wird, unter Umständen als wilder Streik nicht den Schutz der Verfassung genießen würde. Das sind die Überlegungen. Wenn sich nun die Leitung der betreffenden Gewerkschaft, sei es für Einzelbetriebe, sei es für einen Einzelbereich, in Händen von Personen befinden würde, deren Ziele andere als wirtschaftlicher Art sind, dann würden neue Probleme auftauchen, ob zum Beispiel, sagen wir einmal, eine Gruppe von Betriebsangehörigen einer besonderen politischen Färbung das Recht haben soll, aus politischen Gründen und als politisches Mittel einen Streik anzuordnen, der von den Gewerkschaften offiziell nicht gebilligt würde. —





16)

Gemeint ist der Wirtschaftsrat für das

Verwaltung gebietes. die

für

Ernährung,

Vereinigte Wirtschaftsgebiet in Frankfurt, bzw. Vereinigten Wirtschafts-

Landwirtschaft und Forsten des

125

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Solche Erwägungen wären durch diese hier formulierten Sätze zur Seite gelegt; wird ganz grundsätzlich das allgemeine Recht anerkannt, die Arbeit zur Erreichung eines bestimmten Zieles einzustellen. Ich bin mit den Dingen nicht so vertraut. Habe ich so richtig verstanden? Zinn: Die Wendung „im Rahmen der Gesetze" ist verwendet worden, um das Streikrecht durch Gesetz in diesem Sinne regeln zu können. Man könnte also wilde Streiks durch gesetzliche Vorschriften ausschließen. (Dr. Heuss: Unter dem Zwangs- und Schlichtungswesen hieß es auch so.) Zinn: Wir hatten uns überlegt, ob wir nicht die hessische Fassung aufnehmen sollten, die lautet: „Das Streikrecht wird anerkannt, wenn die Gewerkschaften Danach würde ein wilder Streik oder ein von irgendden Streik erklären17)". welchen politischen Gruppen angezettelter Streik keinen Verfassungsschutz genießen. Soweit Sie daran denken, Herr Dr. Pfeiffer, daß Vereinigungen wie Gewerkschaften zu politischen Zwecken mißbraucht werden können, würden sie unter Umständen nicht unter Verfassungsschutz stehen, weil sie dann nicht mehr der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen. Der Obersatz von Art. 12 Abs. 2 würde auch gelten müssen für die in Abs. 3 erwähnten Vereinigungen. Das ist meines Erachtens selbstverständlich, und ich nehme auch an, daß jeder die Vorschriften so versteht: Soweit über die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen gebildet werden, die unter Umständen verfassungswidrige Ziele verfolgen, wären sie verboten. Das würde meines Erachtens durch den vorgelegten Entwurf nicht anders. Ich gebe zu, wir müssen die ganzen Grundrechtsartikel noch einmal sehr sorgfältig prüfen; ich haben schon manches zu beanstanden gefunden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Bezugnahme auf dieses Stehen unter dem Obersatz des Art. 12 ergibt sich ganz klar daraus, daß Vereinigungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen, verboten sind. Es wäre die Frage, ob man die Absätze umstellte, aber dann müßte das Streikrecht auch nach oben und dieser Absatz ganz am Schluß kommen. Dann reißt das die Sache auch wieder auseinander. Bei Satz 4 hatten wir zuerst eine andere Formulierung und haben uns nach einer ziemlich eingehenden Aussprache dahin geeinigt, daß wir irgendwelche Einzelheiten über das Streikrecht in die Verfassung nicht aufnehmen, sondern den Gesetzen überlassen wollen. Wir müssen uns klar darüber sein, daß wir immer nur einige wenige allgemeine Sätze mit der bindenden Kraft des Verfassungsrechts ausstatten können und es sehr gefährlich wäre, einen Teil der Streikrechtssätze verfassungsmäßig zu regeln, das übrige aber den Gesetzen zu überlassen. Dann sollte man die ganze Entwicklung der Regelung des Streikrechts überhaupt schon dem Bundesgesetz überlassen. Dr. Heuss: Wir haben doch die Gewerkschaften mit Bewußtheit draußen gelassen, weil wir sonst der Parität entsprechend auch ein Aussperrungsrecht der es



17) Vgl. die Verfassung des Landes Hessen 126

vom

1. Dez. 1946, Art. 29, Abs. 3.

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Unternehmer mit hereinnehmen müßten. Solche legitimen Kraftproben sind seit nicht mehr angewandt worden, aber nach der Jahrhundertwende war das ein sehr übliches und sehr böses Verfahren von beiden Seiten her. Ich glaube, den Gewerkschaften wird nicht damit gedient, wenn wir sie hier mit hereinnehmen. Wir rechnen vielmehr damit, daß für die ganze Problematik der Sozialkämpfe eine Ordnung geschaffen wird mit Schlichter, Verbindlichkeitserklärung und all den Dingen, die wir gehabt haben. Wenn man die Gewerkschaften als solche nimmt, so ist die Frage: Wer sind die Gewerkschaften? Ist das eine lokale Organisation? Die gibt es auch, lokal organisiert, und es wird sie immer neben den Gewerkschaften geben. Sie sind durch Gesetz nicht verboten. Wir können also jetzt nicht die privilegierte Gesamtgewerkschaft allein als Möglichkeit nehmen, da kommen wir in Teufels Küche. Wir können die Idee von strafgesetzlicher oder verfassungsmäßiger Ordnung nicht [irgendwie] gegen Gewerkschaften spielen lassen. Wenn auch politische Aktionen vielleicht einmal von einer Gruppe gemacht werden, so ist es sehr schwer, nachzuweisen, daß das gegen die verfassungsmäßige Ordnung ist, wenn es eben in einem legitimen Machtkampf von Parteien geschieht. Wir sollten es, glaube ich, so lassen, wie wir es damals gesagt haben, und die ganzen Geschichten der Spezialgesetzgebung anheimgeben. Dr. Pfeiffer: Dieses Gebiet wäre also wiederum Vorranggesetzgebung des Bundes, oder wie ist das zu deuten? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde vorschlagen, daß wir vom Ausschuß aus einen Beschluß fassen, den wir dem Zuständigkeitsausschuß zuleiten18). Wir können sagen, wir hätten einen Artikel aufgenommen: „Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze anerkannt", wir hätten uns aber einer Verfügung über die Zuständigkeit ausdrücklich enthalten. Er, der Zuständigkeitsausschuß, möge also prüfen, unter welche Ziffer des Zuständigkeitskataloges diese Frage passe, damit es da kein Unglück gibt. Dr. Pfeiffer: Ich verstehe also die ganzen Dinge dahin, daß hier ein Gebiet ist, bei dem sehr viel in Gesetzesform zu gießen sein wird, und zwar ziemlich bald, gerade in wirren Zeiten einer Wirtschaft, die allerlei Erschütterungen auf beiden Seiten durchmacht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben uns sehr überlegt, als wir diese Formulierung aufnahmen „Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze anerkannt", ob wir das Verbot des Beamtenstreiks und das Streikverbot für öffentliche Angestellte ausdrücklich anführen sollten. Es wird sehr überlegt werden müssen, ob man das zur Klarstellung aufnehmen müßte oder auch den Gesetzen überläßt. (Dr. Weber: Ich möchte es den Gesetzen überlassen. Das gehört nicht zu diesen Dingen.) Wir leiten es dem Zuständigkeitsausschuß zu. In den anderen Fragen ist das Problem ziemlich klar; aber hier ist es notwendig, so zu verfahren. Dr. Eberhard: Eine Bemerkung zu den beiden ersten Worten dieses Artikels, und damit komme ich noch einmal zurück auch zu den ersten beiden Worten

langem



1B) Das Streikrecht wurde im Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung nicht gesondert verhandelt, hingegen die Zuständigkeit für das Arbeitsrecht. Vgl. Der Pari. Rat Bd. 3 passim. 127

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des Art. 11. In einem anderen Gremium haben Herr Dr. Pfeiffer und ich über die sehr schwierige Lage der Deutschen im Auslande gesprochen. Dieser Absatz macht die Angelegenheit für uns sehr schwierig. Wir möchten, daß man etwa in China einen Verein zur Wahrung der deutschen Interessen soll bilden können. Ich frage mich: wenn wir so prononciert das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu gründen, in Abweichung vom Chiemseer Entwurf nur den Deutschen zubilligen, würde man denen draußen doch die Möglichkeit geben zu sagen: Die Chinesen in Deutschland haben das Recht kraft Verfassung nicht, warum sollen wir es den Deutschen in China geben? Zinn: Wir haben das getan, damit wir unter Umständen dieses Recht für Deutsche im Ausland einhandeln können. Wenn wir von vornherein erklären würden, daß jeder Ausländer das gleiche Recht habe, würden wir uns von vornherein die Möglichkeit nehmen, uns in Staatsverträgen für Deutsche im Ausland das gleiche Recht zu sichern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Denken Sie an bolschewistische Vereinigungen. Die würden doch jede Möglichkeit nach dieser Richtung ausnutzen, um das System zu

untergraben.

Dr. Eberhard: Ich möchte mir noch einmal

überlegen, welche Folgerungen aus dieser anderen Stellen entstehen könne, um so mehr als in prononcierten Stellungnahme Art. 17 gesagt wird: Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da hatte die Weimarer Verfassung sehr richtig formuliert. Diese Rechte der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit müssen auf die Deutschen beschränkt sein. Zinn: Wenn ich nicht irre, ist es auch in anderen Verfassungen immer auf die Landesangehörigen beschränkt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der belgischen Verfassung ausdrücklich19). Dr. Pfeiffer: Hier heißt es: „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden". Wäre nicht eine Bezugnahme auf die Vereinsgesetzgebung notwendig? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geschieht im Abs. 2. Da wird die Sache von der anderen Seite gesehen. Dr. Pfeiffer: Ich denke an folgenden Fall, der gegenwärtig in jedem Lande vorkommen kann: die displaced persons20), die also unter deutsches Recht gestellt werden sollen, wenn es hier heißen würde: Alle haben das Recht. Man würde ihnen unter Umständen das Recht geben, unkontrollierte Vereinigungen zu bilden, mit denen wir wahrscheinlich des öfteren nach dem, was wir auf diesem Gebiete bereits erlebt haben, schlechte Erfahrungen machen würden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber die displaced persons sind ja nicht Deutsche! (Dr. Pfeiffer: Deswegen sagte ich: Alle!) an

19) Vgl. Constitution Belge révisée (1831—1903), Art.

19: „Les Belges ont le droit de s'assempaisiblement. ." 20) Vgl. Wolfgang Jacobmeyer: Vom Zwangsarbeiter zum heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945—1951. Göttingen 1985.

bler

.

128

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Nr. 7

Wir haben dabei daran gedacht, daß wir hier den Leuten aus der Ostzone alle Möglichkeiten offenlassen sollten; wir wollten jedenfalls nicht verhindern, daß Deutsche aus der Ostzone auch Vereine bilden oder sich an Vereinen beteiligen können; denn das führt zu Schwierigkeiten im Verhältnis zu den ösüichen deutschen Ländern. Zinn : Die Frage ist nur, wieweit es unter Umständen notwendig wird, diesen Artikel zu ergänzen, wenn irgendwelche Auflagen für die politischen Parteien in die Verfassung aufgenommen werden, wie das ja anscheinend erwogen worden ist. Bisher sind ja die politischen Parteien in allen Fassungen eigentlich als nichtexistent betrachtet worden. Es ist von verschiedenen Seiten erwogen worden, etwas in die Verfassung aufzuneh-

die innerparteiliche Demokratie sichert, also gewisse Auflagen für die Bildung der Parteien usw. vorzusehen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Da müßte man wahrscheinlich sagen: denselben Gesetzen, die im Grundgesetz an anderer Stelle erwähnt werden. men, was

(Zinn: Das kann man natürlich sagen.) Man wird hier aber wohl kaum einer Verweisung bedürfen; denn der spezielle Satz, der sich in einem Teil findet, geht immer dem generellen Satz vor. Fraglich bleibt nur, ob diese Sätze über die Parteien auch für die Länder bindend sind. Das müßte man bei der Formulierung der Normativbestimmungen für die Verfassungen der Länder wissen, weil diese Normativbestimmungen gerade das enthalten, was im Grundrechtsteil nicht gesagt ist. Denn dieser Teil bindet die Länder doch nach Art. 1 unmittelbar. Die Parteienbildung wird nun aber im Grundgesetz nur für den Bund geregelt. Es wäre nun aber richtig, diese Bestimmungen für die Parteienbildung im Bunde gleichzeitig auch für die Länder gelten zu lassen. Wenn wir schon ein Parteiengesetz haben, muß es natürlich für Bund und Länder einheitlich sein, glaube ich. Darf ich fragen, ob hier dieselbe Meinung besteht, oder ob eine andere Auffassung herrscht? Mir scheint es, daß das so sein muß. Das müßte man dann in die Normativbe—



stimmung hineinnehmen.

Wenn das Wort sonst zu diesem Artikel nicht weiter gewünscht wird, dann schließe ich die Aussprache. Wir würden dann hinsichtlich der weiteren Behandlung in der gleichen Weise vorgehen wie bei den anderen Artikeln.

[d. Landes- und Bundeszugehörigkeit (Art. 13)] Wir kommen nun zu Art. 13. Ein Artikel dieses Inhalts fehlte im Herrenchiemseer Entwurf vollständig. Er ist aber von einer sehr starken Bedeutung. Diese seine starke Bedeutung hat sich auch unter der Weimarer Verfassung gezeigt. Die Weimarer Verfassung hatte folgenden Satz in Art. 110: „Die Staatsangehörigkeit im Reiche und in den Ländern wird nach den Bestimmungen eines Reichsgesetzes erworben und verloren." Wir haben das nicht aufgenommen, weil wir damit wieder in die Fragen des Kompetenzkataloges, der Zuständigkeiten, eingegriffen hätten; außerdem ist diese Frage ja auch eindeutig durch den Katalog der ausschließlichen Gesetzgebung geregelt. Darüber ist eine Einigung im Zuständigkeitsausschuß erzielt worden, daß die Staatsangehörigkeit im Bund und in den Ländern eine ausschließliche Angelegenheit der Gesetzgebung des Bundes ist, so daß also Erwerb und 129

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Verlust der Staatsangehörigkeit im Bundesdas ist damit gesagt worden recht geregelt wird21). Nun kommen aber die weiteren Sätze: Jeder Angehörige eines Landes ist zugleich Reichsangehöriger. Das ist als ein Grundrecht des Einzelnen festzulegen; es ist das ein ganz grundsätzlicher Satz für seine staatsrechtliche Stellung. Wir gehen jetzt über zu dem status activus, nämlich zu der öffentlich-rechtlichen Stellung, zu der Stellung des Einzelnen im öffentlich-rechtlichen Sektor, und da schließt sich dann der zweite Satz an: „Jeder Deutsche hat in jedem Lande des Reichs die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst." Dieser Satz ist unmittelbar aus der Weimarer Verfassung übernommen worden. Hier könnten sich vielleicht aus der heutigen Entwicklung da und dort Bedenken ergeben. Es hat uns aber geschienen, daß wir hier doch nicht die Verfassungsgestaltung hinter den status zurückdrehen können, der unter der Weimarer Verfassung erreicht worden war. So hat man nach langen Beratungen auch diesen Satz aufgenommen. Vielleicht kann ich hierzu auf den Anschütz'schen Kommentar zu diesem Artikel hinweisen22). Da wird, das wird Sie interessieren, ausdrücklich gesagt: „Abs. 2 findet nur Anwendung auf die Verhältnisse des öffentlichen Rechts" also dieser Satz, daß jeder Deutsche in jedem Lande des Reiches die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst hat, Rechte und Pflichten des Individuums gegenüber dem Staat, einschließlich der ihm organschaftlich eingegliederten Selbstverwaltungskörper, insbesondere der Gemeinden und anderen Kommunalverbände —, nicht auf solche des Privatrechts. Privatrechtliche Stiftungen und Anstalten, die ausschließlich oder vorzugsweise den Angehörigen eines bestimmten deutschen Landes gewidmet sind, sind daher nicht unzulässig. Das gleiche muß dann aber auch für solche Anstalten gelten, die, obgleich vom Staate oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts, z. B. einer Gemeinde, errichtet und verwaltet, doch ihrer Rechtsnatur nach der Sphäre des Privat-, nicht des öffentlichen Rechts angehören. Es heißt dann vorher noch: Die durch Abs. 2 geforderte Gleichstellung bezieht sich nur auf „Rechte und Pflichten". Folge: wo kein Recht, auch keine Pflicht vorhanden ist, es sich z. B. um Vorteile handelt, die der Staat nach Ermessen bewilligen oder versagen kann (Unterstützungen, Stipendium, Dispense, Begnadigungen), ist Abs. 2 nicht anwendbar. Nawiasky, Jellinek usw. wollen hieraus folgern, daß die Länder berechtigt seien, ihre Angehörigen bei der Anstellung im Staatsdienst die doch stets Sache freien Ermessens des Anstellungsorniemand ein Recht auf Anstellung habe indem gans sei, gegenüber lan—









21) Der Pari. Rat Bd. 3, passim. 22) G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 130

536—538.

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desfremden

Reichsangehörigen zu bevorzugen. Diese Folgerung ist m. E. was auch Nawiasky nicht verkennt, eine VerschlechteStellung der Landesfremden im Vergleich mit der alten RVerf.

abzulehnen, da sie,

rung der Art. 3 („zu öffentlichen Ämtern zuzulassen") bedeuten und insofern mit dem in jeder Hinsicht auf Verbesserung dieser Stellung bedachten Willen des Gesetzgebers des Art. 110 Abs. 2 in Widerspruch stehen würde. Es ist nun aber in der Anmerkung gesagt, daß diese Frage praktisch ohne Bedeutung ist insofern als in der Tat (worauf Nawiasky23) und W. Jellinek24) zutreffend hinweisen) niemand ein Recht auf Anstellung hat, die Landesregierungen also jedem, auch dem Landesangehörigen, die Anstellung ohne Angabe eines Grundes .

.

.

verweigern dürfen.

praktisch spielt diese ganze Streitfrage keine Rolle gerade hinsichtlich der Anstellung. Wichtig in unserem Zusammenhange wäre nur, sich einmal folgendes klarzumachen. Es ist hier darüber gesprochen worden, ob der aufgenommene Satz etwa bedeuten würde, daß die Hineinwachsungszeiten, wie ich sie einmal nenAlso

für Ämter in den Gemeinden und das Wahlrecht in den damit hinfällig würden. Dazu ist zu sagen: Das ist nicht der Fall, weil ja die Sätze auf die Landesangehörigen ebenfalls Anwendung finden. Ein Landesangehöriger erwirbt das Wahlrecht in einer Gemeinde nach den Wahlgesetzen erst, wenn er so und so lange in der Gemeinde ansässig ist. Infolgedessen gilt dieser Satz in gleicher Weise für den Deutschen, der nicht landeszugehörig ist. das bitte ich gleich zu vermerken —, ob man Es wäre nur noch zu prüfen zusätzlich noch einen Satz aus der Schweizer Verfassung übernimmt, der sich zu dieser Frage des Wahlrechts in Bund und Ländern äußert. In der Schweizer Verfassung steht, daß niemand politische Rechte in zwei Ländern fordern kann, daß er politische Rechte immer nur in einem Lande haben kann25). Das scheint mir richtig zu sein. Wenn einer zwei Wohnsitze hat, kann er nicht etwa die politischen Rechte an zwei Stellen geltend machen. Das kann zu Schwierigkeiten führen, müßte also noch einmal überlegt werden. (Dr. Bergsträsser: Früher war das aber so!) Ja, aber die Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung scheint mir zweifelhaft, und das Vorbild der Schweizer Verfassung scheint mir sehr erwägenswert. Also darüber müßte man noch sprechen, ob wir das etwa als dritten Absatz aufnehmen wollen. (Dr. Weber: Bedeutet das, was Sie aus dem Anschütz'schen Kommentar vorgelesen haben, daß ein Land sagen kann: wir nehmen nur Beamte aus nen

will, die

man

Wahlgesetzen vorgesehen hat,





23) Zu Nawiasky vgl. Dok. Nr. 24, Anm. 32. 24) Prof. Walter Jellinek (1885—1955), Prof. für Rechtswissenschaften, u. a. in Straßburg, Leipzig, Kiel, ab 1945 in Heidelberg. Er war u. a. an der Schaffung der Hessischen Ver-

fassung beteiligt, vgl. seinen Entwurf für die Grundrechte vom Mai 1946 in UB Marburg, NL Bergsträsser, Mappe Hessische Verfassung/1.

25) Art. 43 der Schweizer Verfassung

vom

31.

Jan.

1874.

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Lande? Oder bedeutet das, daß kein Land sagen kann: Wir stellen nur Beamte an, die aus unserem Lande sind?) Offiziell kann das Land das nicht sagen, aber es kann es stillschweigend machen. Es gibt keine Möglichkeit, das praktisch zu sichern. Das sagt der Kommentar von Anschütz ausdrücklich. Dann darf ich das vielleicht noch vermerken als eine Zweifelsfrage, die wir bei der zweiten Lesung noch regeln müssen, ob also diese öffentlichen Rechte nur in einem Lande geltend gemacht werden dürfen. Dr. Pfeiffer: Ich würde eine Vorkehrung dieses Inhalts begrüßen, die diese Schweizer Vorschrift in irgendeiner Form aufnimmt, schon um die Dinge als etwas Wertvolles zu zeigen, daß es etwas Wertvolles ist, wenn jemand die politischen Rechte ausüben kann, daß das anerkannt wird, nicht einfach so da hineinkommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es war bisher nur ein Vorschlag von mir. Wir könnten uns aber gleich dazu entschließen und dann das Redaktionskomitee beauftragen, diesen Absatz morgen gleich mit zu formulieren. Es besteht also Einigkeit darüber, daß uns das morgen in der Vollsitzung noch einmal berichtet wird, so daß der Artikel in diesem Sinne gleich vollständig wäre. Wenn kein Widerspruch gegen diesen Vorschlag erfolgt, würden wir das gleich für morgen mitübernehmen. unserem





[e. Freiheit der Wahl (Art. 14)] Wir würden dann

zu Art. 14 übergehen können. Ich darf Herrn Wunderlich bitten, hier die Berichterstattung zu übernehmen. Wunderlich: In der Weimarer Verfassung war in Art. 125 gesagt, daß die Wahlfreiheit und das Wahlgeheimnis gewährleistet sind; das Nähere bestimmen die Diese Fassung erschien dem Redaktionsausschuß nach den ErWahlgesetze. der fahrungen Vergangenheit als zu unbestimmt, insbesondere auch deshalb, weil der Begriff der Wahlfreiheit zu Zweifeln Anlaß geben kann darüber, ob damit die Freiheit des Rechtes zu wählen oder die Freiheit der Entscheidung gemeint ist. Wenn auch nach den Kommentaren im allgemeinen angenommen wird, daß damit die Freiheit der Entscheidung gemeint ist, so war der Redaktionsausschuß doch der Ansicht, daß das in den Bestimmungen ganz besonders zum Ausdruck gebracht werden müßte. Auch der Vorschlag von Herrenchiemsee: „Wahl- und Stimmrecht der Staatsbürger wird gewährleistet"26) schien in gleicher Weise zu eng gefaßt und zu unbestimmt. Es kommt darauf an, zwischen Wahl und Abstimmung zu unterscheiden. Darum haben wir den ersten Absatz so formuliert: Die Freiheit des Rechts zu wählen oder abzustimmen sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Darüber hinaus sollte besonders auf die Freiheit der Entscheidung hingewiesen werden, die jedem einzelnen bei der Wahl gesichert werden soll. Darum heißt es in Abs. 2 : —

26) ChE, 132

Art. 12.

Vgl.

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581.

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Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Wir haben dabei an die Vorgänge in der Vergangenheit sowohl bei uns wie auch an die Vorgänge in den totalitären Staaten gedacht und sind dabei dazu gekommen, diese Beschränkung noch näher zu beschreiben und darzustellen. Insbesondere kam es uns dabei auf die Frage der Blockpolitik27) an, die nach Möglichkeit ausgeschaltet werden sollte. Ein direkter Hinweis auf die Blockpolitik erschien uns aber deswegen nicht richtig, weil auch die Möglichkeit einer Blockpolitik bestehen kann, die uns als durchaus wichtig und notwendig erschien. Herr Prof. Mangoldt hat auf das Beispiel in Schleswig-Holstein hingewiesen. In Schleswig ist ein Block der deutschen Parteien gegen die Dänen gebildet worden, und etwas Derartiges wollten wir von vornherein also nicht ausgeschlossen haben. Wir waren aber der Meinung, daß wir die Einzelheiten der Rahmengesetzgebung bzw. den späteren Wahlgesetzen überlassen sollten, ebenso auch die Einzelheiten des Wahlverfahrens oder der Art der Abstimmung. Darum haben wir auf Details verzichtet. Nachdem wir zuerst eine For-

mulierung erörterten,

die das

gleiche

und

geheime Wahl- und Stimmrecht verzu folgender Formulierung

ankert, haben wir das wieder fallen lassen und sind

gekommen:

Beschränkung ist insbesondere dann gegeben, wenn die Wahlvorbereitungen oder das Wahlverfahren dem Wähler die freie Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen unmögEine solche

lich macht. Dabei war das Gewicht eben darauf zu legen, daß mindestens zwei durch verschiedene Programme oder verschiedene Anschauungen gekennzeichnete Parteien auf alle Fälle bei einer Wahlentscheidung auftreten müßten, damit eine Umgehung dieser Bestimmung durch getarnte Parteien unmöglich gemacht werden kann. Wir hatten auch diskutiert, ob wir die Frage der Wahlpflicht mit in diesen Entwurf aufnehmen sollten. Ganz abgesehen davon, daß die Mehrheit der Ausschußmitglieder gegen eine Wahlpflicht war, waren wir aber auch der Meinung, daß auch die Frage der Wahlpflicht der späteren Rahmengesetzgebung oder den einzelnen Wahlgesetzen überlassen werden sollte. Dr. Pfeiffer: Ich habe zu Art. 14 einen kleinen Vorschlag nach der stilistischen Seite. Es heißt hier: „Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung". Nun wird entweder der Wähler in seiner Freiheit beschränkt. Wenn er aber nicht genannt ist, ist kein Subjekt da; deswegen müßten wir sagen: jede Beschränkung der Entscheidung, denn der nächste Satz ist eine Interpretation zum vor-

27) Mit der „Blockpolitik" wollte die KPD, später SED, einen unkündbaren Block, bzw. eine Einheitsfront der „antifaschistischen demokratischen Parteien" schaffen. Vgl. Martin Broszat, Hermann Weber: SBZ Handbuch, München 1990, S. 595 ff.; Siegfried Suckut:

Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945—1949. Die frontausschusses. Quellenedition. Köln 1986.

Sitzungsprotokolle

des zentralen Einheits-

133

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hergehenden Satz. Ich glaube, wenn wir ihn hier beibehalten wollen, müssen wir ihn auch in Gesetzessprache gliedern und hier nicht die Form einer Erläuterung, einer Auslegung des vorher angeführten Satzes wählen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Würden Sie dann einen Vorschlag machen? Dr. Pfeiffer: Ich kann es jetzt im Augenblick nicht, weil ich selber die Schwierigkeiten erkenne. Aber wir müßten wohl die Diktion beibehalten, die wir von Anfang an in sämtlichen Artikeln angewandt haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mir ist hier ein Zweifel gekommen, ob die Fassung des zweiten Satzes richtig ist: wenn die Wahlvorbereitungen oder das Wahlverfahren dem Wähler die freie Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen unmöglich macht. Zunächst müßte man schon sagen: wenn die Wahlvorbereitungen usw. die Wir und von nehmen. sprechen Entscheidungsmöglichkeit Wahlvorbereitungen von Wahlverfahren, das ist schon die Mehrzahl, und das Verb in der Form der Einzahl paßt nicht, also hier „macht". Dr. Heuss: Ich würde sagen: „Insbesondere darf die Wahlvorbereitung oder das Wahlverfahren dem Wähler die freie Entscheidung nicht unmöglich machen." Dr. Eberhard: Ich habe zum letzten Satz eine Frage: Denken Sie doch an Gemeinden, wo nur ein Kandidat da ist und ein anderer gar nicht in Frage kommt! Darf ich da um Auskunft bitten, wie der Fall geregelt ist? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Über diese Frage haben wir ausdrücklich gesprochen. Wir wollen das unter keinen Umständen verbieten. In Schleswig-Holstein ist das z. B. nach der dort bestehenden Regelung nicht selten der Fall gewesen. Wenn in einer örtlichen Gemeinde nur soviel Kandidaten für den Gemeinderat aufgestellt werden, wie zu wählen sind, findet eine Wahl überhaupt nicht .

.

.

.

.

.

statt.

Außerdem müßte es hier wohl heißen: „Die Vorschriften für die Wahlvorbereitung und das Wahlverfahren dürfen dem Wähler die freie Entscheidungsmöglichkeit nicht nehmen." Dann können wir, wenn das Ihren Wünschen entsprechen würde, Herr Dr. Pfeiffer, wohl so formulieren: Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitung und das Wahlverfahren dem Wähler nicht die freie Entscheidungsmöglichkeit zwischen mehreren Kandidaten genommen werden. (Dr. Pfeiffer: Ja.) Dr. Heuss: „Genommen" ist schon zuviel! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die freie Entscheidung darf ihm nicht genommen werden. Es muß absolut sein: Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitung und das Wahlverfahren wir müssen „und" sagen, nicht „oder" dem Wähler nicht die freie Entscheidungsmöglichkeit zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteiengruppen genommen werden. Ich glaube, wir vom Redaktionsausschuß, die wir diese zwei Tage in dieser Anspannung gearbeitet haben, sind alle sehr dankbar, wenn durch das —





134



Sechste Sitzung Dazwischentreten eines Fremden

tano28)

in diesem Falle

schwierige Formulierung —

eine

uns

plötzlich

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war es Herr v. Brendurch seine Hilfe so er-

leichtert wurde. Dr. Heuss: Das „nicht" gehört nicht an diese Stelle. Plötzlich kommt ganz hinten die Negation. Das „nicht" muß richtiger vorne stehen. (Dr. Weber: Ja, das ist klarer.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber ich finde, es klingt sehr schlecht. Dr. Bergsträsser: Ich finde es furchtbar, wenn das „nicht" von dem „genomnicht genommen werden. men" getrennt wird. Es muß heißen: Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Wesentliche ist das „nicht nehmen", aber nicht das „nicht dürfen". Dr. Bergsträsser: Das „darf nicht" schwebt zunächst in der Luft. Dr. Heuss: Es ist ja ein alter Streit unter den Sprachwissenschaftlern. Man hört immer das, was man darf, nicht was man nicht darf. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für den Juristen klingt richtiger: es darf nicht genommen werden. (Dr. Heuss: Ich würde das „nicht" auch hinten lassen.) Wir würden jedenfalls das „nicht" in der Mitte streichen, so daß es heißt: nicht genommen werden. Wenn das Wort nicht weiter gewünscht wird, besteht in dieser ersten Lesung insoweit Einigkeit über diesen Artikel. —

.

.

.



.

.

.

[f. Zugang

zu

öffentlichen Ämtern (Art. 15)]

Wir können dann zu Art. 15 übergehen. Er enthält die Vorschriften über das Recht auf das Amt. Dabei ist unter dem öffentlichen Amt sowohl das Amt des Beamten wie das Amt des Ehrenbeamten verstanden. Hier lagen verschiedene Formulierungen vor. Wir hatten einmal die Formulierung von Herrenchiemsee: „Die öffentlichen Ämter stehen jedem nach Maßgabe seiner Befähigung und Es war nicht recht einzusehen, warum man hier abgewiEignung offen."29) von war der Formulierung in Art. 128 der Weimarer Verfassung, wo es chen —

hieß:

„Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und

entsprechend

ihrer

Ämtern zuzulassen."

Befähigung

und ihren

Leistungen

zu

den öffentlichen

Wir fanden aber diesen Artikel noch nicht gut genug formuliert und haben nach einer Formulierung gesucht, die uns über gewisse sprachliche Schwierigkeiten hinweghelfen würde. Wir haben nicht sagen wollen: „Alle Staatsbürger", weil der Begriff des Staatsbürgers uns für das ganze Verfassungsrecht nicht genügend festzustehen schien. Wir haben weiter nicht sagen wollen: „Jeder Deutsche ohne Unterschied", da uns das „ohne Unterschied" überflüssig schien. „Jeder Deutsche" schien uns zu genügen. „Jeder Deutsche hat zu jedem öffentli-

28) Heinrich v. Brentano (1904—1964), CDU, der dem AfG nicht angehörte, hatte offensichtlich

an

der

Sitzung des

29) Art. 13, ChE,

internen Redaktionskomitees Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581.

teilgenommen.

135

Nr. 7

Sechste Sitzung

5.

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chen Amt gleichen Zugang", darauf schien es uns anzukommen. Wir haben dann hinzugefügt: im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die VorbilEs schien uns erwünscht, an dung und nach seiner charakterlichen Eignung. dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß der Charakter bei den Beamten doch eine besondere Rolle spielen sollte. Eine Berücksichtigung auch der charakterlichen Eigenschaften ist bei der Anstellung von Beamten einfach Erfordernis. Schließlich kommen dann noch die Befähigung und die Leistungen. Der Artikel enthält so etwa das gleiche wie der Art. 128 der Weimarer Verfassung und der betreffenden Artikel der 1849er Verfassung30). Wir haben nicht aufgenommen die Vorschriften des Abs. 2 des Art. 128: Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt. Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses sind durch Reichsgesetz zu re—

geln,

und zwar Satz 1 deshalb nicht, weil die Gleichberechtigung der Frau ausdrücklich in Art. 17, dem späteren Art. 18 festgelegt wird und wir nicht alles doppelt sagen wollten, weil sich daraus immer wieder Fragen bei der Auslegung ergeben. Es heißt in Art. 17: Alle Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, und das Recht auf das Amt fällt natürlich ganz klar unter die staatsbürgerlichen Rechte. Den zweiten Satz haben wir nicht aufgenommen, weil wir hier wieder in die Zuständigkeitsregelung hineingekommen wären, und darüber ist ja, soviel ich weiß, im Zuständigkeitsausschuß ge-

sprochen worden31). Dr. Pfeiffer: Ich habe wieder einen kleinen Vorschlag im ren Akzentuierung. Es müßte heißen: „Jeder Deutsche"

Interesse einer schärfedas ist das Subjekt, dann kommen die Voraussetzungen, und dann kommt das Fundamentale: „hat zu jedem öffenüichen Amt gleichen Zugang". Da hätten wir die Betonung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde diese Umstellung besser finden. Erhebt sich Widerspruch dagegen? Ich finde es sprachlich besser. Ich habe nur ein Bedenken: wenn man einen Artikel des Grundgesetzes anguckt, fragt man zunächst, worauf es hier speziell ankommt, und dann sucht man vorn nach dem öffentlichen Amt, weil man es nicht gleich findet. Dr. Pfeiffer: Der Interessent wird es wohl zweimal lesen, wenn es darauf ankommt. Dr. Weber: Der Klarheit entspricht mehr unsere Fassung. Dr. Bergsträsser: Es entspricht mehr der Leichtigkeit, aber nicht der Klarheit. Klarer ist die von Herrn Pfeiffer vorgeschlagene Formulierung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir sollten nicht so lange dabei verweilen. In Kommentaren wird sowieso das öffentliche Amt an den Rand oder in die —



Überschrift gesetzt.

Also stellen wir nur um: Jeder Deutsche hat im Rahmen usw. zu jedem öffentliDamit sind wir tatsächlich in der Stellung der chen Amt gleichen Zugang. Worte der Weimarer Verfassung wieder näher gekommen. Dort steht das Wort „Amt" auch am Schluß. -

30) Reichsverfassung von 1849, § 31) Der Pari. Rat Bd. 3, passim. 136

137 Satz 6.

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[g. Beschwerderecht (Art. 16)] Es kommt dann der Art. 16, zu dem auch nicht viel zu sagen ist. Er behandelt die Frage des Petitionsrechtes: Jeder hat das Recht, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen, sich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen, insbesondere an die

Volksvertretung Dr. was

zu

wenden.

Wenn ich mich recht erinnere, haben wir das absichtlich etgehalten, weil wir nicht von uns aus entscheiden oder einengen

Bergsträsser:

allgemein

die

„zuständigen Stellen" sind. Mangoldtl: Es ist daran gedacht worden, daß man sich etwa über die eigenen Behörden hinweg auch an Weltorganisationen wenden könnte. Ursprünglich war ein Vorschlag gemacht worden, nach dem in diesem Artikel

wollten,

was nun

Vors. [Dr.

v.

ausdrücklich gesagt werden sollte, daß man sich auch an die Vereinten Nationen unmittelbar mit solchen Petitionen sollte wenden können. Als es darüber zur Diskussion kam, haben wir uns dann doch entschlossen, das nicht in dieser Deutlichkeit zu sagen, und zwar aus zwei Gründen. Einmal ist ja ein solches Petitionsrecht aller Staatsbürger aller Länder an die Vereinten Nationen eine Angelegenheit, die praktisch etwas auf dem Papier steht. Wenn man sich die Fülle der Anträge überlegt, die dann an die Vereinten Nationen gehen würden und dort behandelt werden müßten, so kann das nach dem Verfahrensrecht der Vereinten Nationen, glaube ich, in der Gegenwart nur in der Weise geschehen, daß eine Macht innerhalb der Vereinten Nationen eine solche Petition aufnimmt. Geschieht das nicht, so erfolgt tatsächlich nichts darauf. Wir wissen ja, wie der Katalog der Tagesordnungen bei den Vereinten Nationen schon overcrowded ist. Ich nehme dieses englische Wort, weil es so kennzeichnend für die Situation ist. Es erscheint mir ausgeschlossen, daß man mit der Aufnahme eines solchen Rechtes praktisch irgendeine Wirkung erzielen würde. Das ist eine reine Deklamation.

Auf der anderen Seite ergeben sich auch gewisse innerstaatliche Bedenken im Hinblick auf die Gewährleistung solcher Rechte nach außen. Nimmt man nur die Vereinten Nationen, so ergibt sich etwa die Frage, ob das Recht auch den

angeschlossenen Verbänden, Weltgewerkschaftsbund

usw.

gegenüber gegeben

sein soll. Da kann es zweifelhaft sein, wie weit das innerstaatlich im Verhältnis zu den eigenen Behörden tragbar ist und ob man sich damit nicht zu einer Gewährleistung versteht, die von keinem anderen Staat übernommen wird, mit der man allein dasteht. So sind hier die verschiedensten Schwierigkeiten zu erwägen. Wahrscheinlich würden dann Wünsche von soundsovielen Organisationen auftauchen, daß sie auch genannt werden, wenn die Vereinten Nationen genannt werden. Aus all diesen Gründen haben wir uns zu der vorsichtigen Fassung „an die zuständigen Stellen" entschlossen, weil wir sagen: wenn wir eine echte Weltorganisation bekommen, einen Weltstaat, dann ergibt es sich ohne weiteres, welches dann innerhalb des Weltstaates die zuständige Stelle ist, an die man sich und dann auch mit Aussicht auf Erfolg wenden kann. —



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Dr. Heuss: Ich würde es, verzeihen Sie, für ganz töricht halten, wenn wir irgendeine Weltorganisation oder so etwas mit hereinbringen würden. Aber ich frage mich und frage Sie: Kann das irgend einem verboten werden, einen Brief zu schreiben an die Vereinten Nationen, etwa des Inhalts, sie sollten den Wal-

für die Deutschen freigeben? Ich sehe nicht ein, warum man das so machen muß. Es hätte nur dann Sinn, wenn das von den Deutschen her bestraft werden sollte oder könnte. (Dr. Bergsträsser: Das halte ich für sehr möglich.) Diese Möglichkeit halte ich zunächst nicht für gegeben. Ich kann Briefe schreiben, an wen ich will. Vors. [Dr. v. Mangold]: Stellen Sie sich nur einmal einen Beamten vor: der Beamte beabsichtigt, sich über seine vorgesetzte Dienststelle bei den Vereinten Nationen zu beschweren. (Dr. Weber: Kann er nicht!) Das zu unterbinden, muß doch eine Möglichkeit gegeben sein. Dr. Heuss: Das können Sie als eine Verletzung des Treueverhältnisses auffassen. Aber wenn er nun etwas Gescheites und Ordentliches sagt? Ich würde das nicht hineinschreiben. Ich habe an sich etwas Bedenken gegen diese Fassung: die zuständigen Stellen und insbesondere an die Volksvertretung". Durch das „insbesondere" heben wir die Volksvertretung heraus, so daß wir also die Volksvertretung als eine zuständige Stelle bezeichnen. Das sind zwei verschiedene Dinge. Man kann sich an eine Behörde wenden, an eine Dienststelle oder so etwas, mit Anregungen und Beschwerden. Man kann sich an das Parlament wenden, aber das ist etwas anderes. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden wir auf die Fassung von Herrenchiemsee abkommen: .oder an die gesetzgebenden Körperschaften32)". Dr. Pfeiffer: Ich bin der Meinung wie Herr Kollege Heuss, daß man nicht die Volksvertretung wegläßt, sondern hier nennt. Aus meiner eigenen Erfahrung als Leiter der Bayerischen Staatskanzlei sind mir eine Reihe von Fällen in Erinnerung, in denen Behörden es übel genommen haben, daß ein Beamter sich entweder an den bayerischen Ministerpräsidenten gewendet hat das war in der Zeit, als es noch keinen bayerischen Landtag gab oder später an den Ministerpräsidenten oder an den Landtag. Der Ministerpräsident, also zuerst Hoegner33), Ehard34), und ich als Leiter der Staatskanzlei haben immer den hier niedergelegten Standpunkt eingenommen. Es ist zweckmäßig, das nun in der Verfassung festzulegen. Im Laufe der Zeit wird sich dabei schon eine gewisse Grenze herausentwickeln, wo das staatsbürgerliche Recht des Beamten und seine Pflicht, einen gewissen Weg einzuhalten, sich gegeneinander abgrenzen. Dann möchte ich aber über diesen Paragraphen von Herrenchiemsee noch etwas mitteilen. Dort ist der Gedanke angeschnitten und von einer Seite mit gro-

fang





„.

..



,



32) ChE, Art. 13, Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581. 33) Dr. Wilhelm Hoegner (1887-1980). Vgl. P. Kritzler: Wilhelm Hoegner. Politische Biogra-

phie eines bayerischen Sozialdemokraten. München

34) Dr. Hans Ehard (1887-1980), CSU. 138

1979.

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ßer Wärme vertreten worden35), man solle an irgendeiner Stelle bei den Grundrechten auch eine Art Grundrecht für das ganze deutsche Volk einstellen dahingehend, daß es sich zum Beispiel an den Kongreß der Vereinigten Staaten wenden kann, daß das deutsche Volk, die Volkskammer, der Bundestag, die Bundesversammlung oder die kommende Bundesregierung sich nicht an die Vereinten Nationen, sondern insbesondere an den Kongreß der Vereinigten Staaten wenden kann. Dabei wurde Bezug genommen auf einen Vorschlag, der später gedruckt worden ist, von Prof. Friedrich von der Harvard Universität36), der sehr vielen von Ihnen bekannt ist. Es war Kollege Baade37), der diesen Gedanken mit sehr großer Wärme in einer Reihe von Sitzungen immer wieder aufs Neue aufgegriffen und dabei auch eine Druckschrift übergeben hat, die inzwischen, glaube ich, oder habe ich sie nur zufälauch im Parlamentarischen Rat verteilt wurde36), ligerweise in meinen Materialien dabei Dieser Gedanke ist von Prof. Friedrich in dieser Druckschrift sehr stark ausgewalzt worden: das Bundesparlament oder die künftige Bundesregierung soll sich an den Kongreß der Vereinigten Staaten wenden mit dem Ersuchen, daß der Kongreß die Verteidigung der Grundrechte des deutschen Bürgers gegenüber der amerikanischen Besatzung übernehmen solle. Wie Sie aus dem Text von Herrenchiemsee wissen, ist man also dieser Anregung nicht weiter näher getreten. Aber in der jüngsten Zeit hat das eine sehr große Rolle gespielt. Es ist nämlich der Ministerpräsidentenkonferenz vorgeschlagen worden, in diesem Sinne eine Petition an den amerikanischen Kones handelte sich um die Demontage greß zu richten39), es lagen dafür schon Entwürfe vor, die im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz ernsthaft debattiert worden sind. Diese Frage wurde also eingehend studiert. Dann wurden zwei wichtige Amerikaner privat befragt. Der eine von ihnen sagte, es sei eine große Illusion; denn im amerikanischen Kongreß würden nur Dinge verhandelt, die von Abgeordneten des Kongresses zur Besprechung vorgeschlagen würden; das sei also eine große Illusion und Theorie. Von einem andern Herrn wurde ein derartiger Schritt wegen seines sensationellen Äußeren als geradezu gefährlich für die deutschen Interessen bezeichnet, und man hat infolgedessen davon abgesehen. Es wird aber was der Öffent—

—.







35) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 498-499. 36) Carl J. Friedrich war einer der wichtigsten Berater General Clays in Fragen der deutschen Verfassung. Zur Rolle Friedrichs s. Der Pari. Rat Bd. 2, S. CXXII, CXXVII; ferner

Wolfgang Krieger: General Lucius D. Clay 1945-1949. Stuttgart 1987, S. 429 ff.

und die amerikanische

Deutschlandpolitik

37) Fritz Baade (1893—1974), Direktor des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Delegierter zum Verfassungskonvent von Herrenchiemsee. 38) Im Pari. Rat wurde eine Schrift von Baade als Drucksache nicht verteilt. Es könnte sich um die Schrift handeln: Amerika und der deutsche Hunger. Dokumente aus USA vom

Morgenthau-

zum

Marshall-Plan.

Braunschweig

1948.

39) Zu der von den Ministerpräsidenten in Aussicht genommenen Petition der USA vgl. Akten zur Vorgeschichte Bd. 4, S. 831 f., S. 880, 905 f.

an

den

Kongreß 139

Nr. 7

Sechste Sitzung

Oktober 1948

5.

lichkeit, glaube ich, noch nicht bekannt ist: ich habe

es in den Zeitungen noch den der alliierten Mächte eine Denkschrift nicht gelesen drei Regierungen die Deutschen im werden, schon übergeben ausgearbeitet ist und wozu der Beauf Konferenz im der Jagdschloß Niederwald beschlossen wurde40). gleitbrief Also diese Petitionsmöglichkeit und die entsprechende Stellungnahme der heimischen Regierung zu solchen Versuchen von deutschen Staatsangehörigen gegenüber fremden Mächten ist gegenwärtig ein großer Unterhaltungsgegenstand. Trotzdem aber habe ich glauben Sie nicht, daß der wildgewordene Philologe wieder losbricht einen stilistischen Vorschlag. Es müßte heißen: Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen usw. an die zuständiDas „sich" muß nach der deutschen Grammatik gen Stellen usw. zu wenden. vorausgehen, wenn das „einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen" sich auf seine Tätigkeit bezieht. (Dr. Bergsträsser: Sie haben mir das Wort weggenommen!) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, dagegen, das „sich" nach vorn zu nehmen, erhebt sich kein Widerspruch. Ich darf sagen, wie das hineingekommen ist. Wir wollten uns so weit möglich, immer an das Vorbild anschließen; hier haben wir aber gegenüber der Weimarer Verfassung vereinfacht. Die Weimarer —







Verfassung sagt: Jeder Deutsche hat das Recht, sich schriftlich das „schriftlich" müßten wir bei uns noch hineinnehmen —

mit Bitten oder Beschwerden

vertretung

zu

an

die

zuständige

Behörde oder —

an

die Volks-

wenden41).

Wir würden also bei

uns

formulieren:

Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen Dr. Heuss: Über dieses „an die zuständigen Stellen" müssen wir noch sprechen. In der Weimarer Verfassung heißt es: Jeder Deutsche hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständige Behörde oder an die Volksvertretung zu wenden. Dieses Recht kann sowohl von einzelnen als auch von mehreren gemeinsam aus—

geübt

werden.

Diesen zweiten Satz haben wir zusammengezogen. Das

geht sehr gut, aber man macht es dadurch furchtbar schwerfällig. „Einzeln oder in Gemeinschaft" macht es nicht so schwerfällig. Dr. Bergsträsser: „Jeder hat das Recht, sich schriftlich, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen, mit Bitten oder Beschwerden" usw. ist sprachlich richtiger. Dr. Weber: Hier paßt das Wort „zuständige Stelle" gar nicht; man kann sich gar nichts darunter vorstellen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wollen wir im Moment bitte zurückstellen; ich wollte es gleich noch erklären. 40) Gemeint war vermutlich das Aide-Mémoire der Ministerpräsidenten zu den Erklärungen der

41) Art. 140

Militärgouverneure vom 126 WRV.

22.

Juli

1948. Der Pari. Rat Bd.

1, S. 270-272.

Sechste Sitzung

5.

Oktober 1948

Nr. 7

Mit dem Komma hinter schriftlich, wie es hier vorgeschlagen wird, bin ich nicht recht einverstanden. Das „sich" bezieht sich auf das „einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen". Da müßte man es schon zusammen lassen. Dr. Weber:.schriftlich mit Bitten oder Beschwerden", das wäre logischer. Vors. [Dr. v. Mangold]: Darf ich noch erklären wie „an die zuständigen Stellen" hereingekommen ist. Diese Formel gehört der angelsächsischen Terminologie an. Die Angelsachsen haben das sehr schillernde Wort der agency, das wir nur mit „Stelle" übersetzen können. Behörde ist zu wenig; wenn wir das sagen, kommen wir wieder nicht an die Stellen heran, die etwa eine internationale Rolle spielen. Deshalb ist der Begriff der Stelle weiter als der Begriff Behörde. Nun wirkt es aber merkwürdig, wenn man sagt: „an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung". (Dr. Weber: Das ist doch auch eine zuständige Stelle.) Ja, weil das ein so weiter Begriff ist, daß die Volksvertretung darunter fällt. Davon rührt dann das „insbesondere" her. Dr. Weber: Dann würde ich auch das „insbesondere" stehen lassen. Dr. Pfeiffer: Wenn wir „Stelle" als Übersetzung von agency nehmen, dann wäre zu sagen: die Volksvertretung ist keine agency. Dr. Heuss: Die Volksvertretung ist keine „Stelle". Bei uns denkt man da an Dienststelle, meinetwegen auch noch an ein Wirtschaftsbüro. Dr. Bergsträsser: Zum Beispiel das Internationale Arbeitsamt. Dr. Heuss: Mir ist das Wort „Stelle" zu dünn. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Bei den Angelsachsen ist der Begriff der agency weiter als der der Organisation; agency ist noch umfassender als Organisation. (Dr. Pfeiffer: Die Volksvertretung ist kein agency.) Es ist ja nur eine Formulierung: an die zuständigen Stellen. (Dr. Pfeiffer: Oder man müßte sagen: „oder an die Volksvertretung".) Das könnte man tun. Dr. Heuss: Aber wir können weder ausschließen noch zusammenfassen. Dr. Bergsträsser: Dann sagen wir doch: .sowie an die Volksvertretung." Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dann würden wir es vorläufig so lassen: .an die zuständigen Stellen sowie an die Volksvertretung". Wir haben auch noch überlegt, ob wir Volksvertretung oder Volksvertretungen sagen. Das letztere führt zu gewissen Schwierigkeiten. Es war zuerst der Vorschlag gemacht: an die eigene Volksvertretung. Nun können aber mehrere eigene vorhanden sein; damit werden also auch diese Zweifel nicht gelöst. Lassen wir es also stehen: an die Volksvertretung. (Dr. Heuss: Eben als Institution, als Idee.) Es bleibt also dabei: sowie an die Volksvertretung zu wenden". Das enthält alles. Dann würden wir die Diskussion über diesen Artikel damit vorläufig abschließen. Ich würde Dr. Bergsträsser bitten, das Wort zu Art. 17 zu nehmen. —





.

„.



.

141

Nr. 7

Sechste

Sitzung

5.

Oktober 1948

[h. Gleichheit Dr.

Bergsträsser:

Der erste Satz

dem Gesetz (Art. 17)]

vor

von

Art. 17 deckt sich mit Art. 14 des Chiem-

Entwurfs, ist aber anders formuliert. Dort heißt es: Vor dem Gesetz sind alle gleich. Wir haben gesagt: „Alle Menschen", weil das voller und klarer seer

klingt.



Der zweite Satz: Alle Männer und Frauen haben dieselben

staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten stammt in etwa aus der Weimarer Verfassung42). Das Wort „grundsätzlich" ist weggelassen, weil das im Staatsrecht gerade das bedeutet, was der normale Mensch nicht darunter vermutet. Bei Satz 3 schien es uns richtig, noch einmal hervorzuheben, daß niemand seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe, und zwar im Hinblick auf die Erfahrungen der Vergangenheit. Der Satz ist in seiner Formulierung, soviel ich mich erinnere, aus der südbadischen Verfassung43), mindestens aus einer der Länderverfassungen entnommen. Nun handelt es sich bei diesem Artikel noch um zwei Punkte, von denen der eine mir eben erst aufgefallen ist. Im Entwurf von Herrenchiemsee steht: Der Grundsatz der Gleichheit bindet auch den Gesetzgeber44). Ich vermag nicht zu sagen, warum wir das nicht aufgenommen haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Weil es in Art. 1 Abs. 3 steht, vor der Klammer.) aber das sollte dem Ausschuß unterbreiDann hatte ich noch vorgeschlagen hereinzunehmen Satz : einen weiteren tet werden —, Frauen und Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleiche Löhne. Dabei ist strittig, ob das zur Sozialordnung oder zur Gleichheit gehört. Ich persönlich bin der Meinung, es gehört einfach zur Gleichheit und ist ein Ausfluß der Gleichheit. Infolgedessen hatte ich angeregt, das in diesen Artikel aufzunehmen. Es ist der Entscheidung des Gesamtausschusses übergeben worden. (Dr. Weber: Ich würde es hier nicht aufnehmen, sondern in einen Paragraphen, wo von der Arbeit oder von dem Sozialaufbau gesprochen wird.) Die wollen wir ja nicht hereinnehmen. Es ist die Frage, ob das überhaupt aufgenommen werden soll. In meinen Formulierungen ist es in dem Absatz Gleichheit auf Seite 2. Ich habe es dort gebracht in der Auffassung, daß es eben wirklich zur Gleichheit und nicht zu den sozialen Dingen gehört, genau so wie die gleiche Zugangsmöglichkeit zu den Ämtern. Dr. Heuss: Brauchen wir in diesem Ausschußentwurf „alle" Männer und Frauen? Das Wort „alle" scheint mir unnötig zu sein. (Dr. Weber: „Männer und Frauen" ist besser.) —





Dieser —

Bergsträssersche Vorschlag:

42) WRV, Art. 109, Satz 2. 43) Art. 2, Satz 3 der badischen Verfassung vom 19. Mai 44) ChE, Art. 14, Abs. 2; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581. 142

1947.

Sechste

Sitzung

5.

Oktober 1948

Nr. 7

Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch gleichen Lohn wenn ich ist, richtig verstehe, von vornherein mißverständlich. Es muß doch heißen: den gleichen Lohn wie für die Leistung von Dritten, von Männern. Ich verstehe wohl den Sinn, aber die Formulierung ist mißverständlich. Frauen und Jugendliche sind hier für sich genommen als Gruppe, sind nebeneinander geFrauen und

auf

stellt. Dr.

Bergsträsser: Ich verstehe: nicht

nern

unter sich, sondern gegenüber den Mänoder wie die Männer. Ich verstehe Ihren Einwand. Man müßte vielleicht

sagen:

Gleiche

Tätigkeit

und

gleiche Leistung bedingt gleichen

Lohn.

(Dr. Heuss: Ich wollte ungefähr das Gleiche vorschlagen.) „Gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung bedingen gleichen Lohn", das wäre

eine allgemeine Formulierung; Dr. Weber: Ich schließe mich den Bedenken von Herrn Heuss an. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im Ausschuß ist eine andere Frage erörtert worden, die hier auch sehr zu überlegen ist. Es handelt sich um die Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach einer speziellen Richtung: die Gleichheit in der Lohnbemessung. Es wird nun befürchtet, daß wir, wenn wir anfangen, nach einer Richtung zu konkretisieren, mit Wünschen bestürmt werden, das nach anderen Richtungen genau so zu tun. Es taucht also die Frage auf: Weshalb ist gerade dieses besondere Kapitel hier herausgegriffen worden? Das führt auf der anderen Seite stark in die ganze Frage der sozialen Ordnungen herein. Wir sind eigentlich hier immer davon ausgegangen, daß wir uns doch von diesen Kapiteln der sozialen Ordnung und —

der kulturellen Ordnung fernhalten wollten, weil große Schwierigkeiten bestehen werden, hier in Kürze zu einer Einigung zu kommen, und weil dadurch überhaupt der ganze Grundrechtsteil in seiner Ausgestaltung gefährdet würde. Das steht damit in engstem Zusammenhang; deshalb dieser Vorschlag, diese Frage nach dieser Richtung hier im Ausschuß eingehend zu behandeln. Dr. Heuss: Wenn wir so etwas bringen, dürfen wir nicht „gleichen Lohn" sagen, sondern „gleiches Entgelt", falls das ein irgendwie brauchbares Wort ist. Aber ich habe sachlich von der Seite her Bedenken. Wenn wir das sozusagen verfassungsmäßig deklarieren, schaffen wir den merkwürdigen Zustand, daß theoretisch Aufrückungsmöglichkeiten in dem Sinne eigentlich nicht mehr gegeben sind. Ich denke da an den Umkreis, den ich etwas übersehe, von Presse und Journalisten. Da stellen wir Leute ein, die noch jung sind, 23 Jahre. Darüber gibt es auch bestimmte tarifliche Abmachungen mit Aufrückungsmöglichkeiten. Diese jungen Leute leisten aber soviel wie irgendein anderer, kriegen aber noch nicht das gleiche, weil sie noch unverheiratete Jugendliche sind. Sie haben aber an sich die Chance. Wenn wir nun von vornherein sozusagen feststellen, daß sie soviel kriegen, werden sie entweder nicht engagiert, oder wir gefährden ihre Existenz. Ich möchte hier nicht so verstanden werden, als ob ich für die Auspowerung von Jugendlichen wäre. Aber hier in der Verfassung ist mir die Konsequenz für die individuellen Lebensmöglichkeiten, die da gegeben sind, nicht sicher. Ich habe das selber mitgemacht, habe mit 21 Jahren eine 143

Nr. 7

Sechste Sitzung

5.

Oktober 1948

zu redigieren bekommen45). Ich hatte 150 Mark im Monat. Es wäre sinnlos gewesen, mir gleich 300 zu geben wie nach drei Jahren. Dr. Eberhard: Man wollte doch ausschalten, daß Frauen und Jugendliche nur deshalb, weil sie Frauen und Jugendliche sind, weniger bekommen. Wenn man so etwas hineinschreiben könnte, würde ich das sehr schön finden. Die vorliegende allgemeine Formulierung begegnet aber noch einem weiteren Bedenken. Wir haben doch in Tarifverträgen das Prinzip der Ortsklassen. Wenn ich in Berlin und in irgendeinem kleinen Dorf dieselbe Tätigkeit ausübe und dieselbe Leistung hervorbringe, ist doch normalerweise das Geldeinkommen nicht dasselbe. Dieses Gefälle können wir nicht beseitigen. Dr. Weber: Ich habe auch viel darüber nachgedacht und glaube nach allen Erwägungen: diese Bestimmung gehört nicht unbedingt zu den klassischen Grundrechten. Sie wäre vielmehr in den Zusammenhang sozialpolitischer Forderungen aufzunehmen. Nadig: Wenn man die Dinge schlechthin betrachtet, kann man der Überzeugung sein, daß es nicht unbedingt hier in die Verfassung hineingehört. Ich könnte mir aber denken, daß durch die Verankerung des gleichen Lohnanspruchs für Männer und Frauen doch der augenblicklichen Situation gewissermaßen Rechnung getragen wird. Wir haben das Gros der Frauen, die auf den Gebieten nicht zu ihrem Recht kommen, und eine solche Festlegung in der Verfassung könnte eine wirklich grundsätzliche Änderung bedeuten. Aus dem Grunde bitte ich, einmal zu überlegen, ob wir nicht zu einer Formulierung kommen können, die das ausdrückt, also nicht den sozialpolitischen Anspruch, sondern den Anspruch dieser Kreise, die da bisher nicht zu ihrem Recht kamen, diesen grundsätzlichen Anspruch von Frauen und Jugendlichen. Dr. Bergsträsser: Es gibt eine ganze Reihe von Tarifverträgen auch heute noch, in denen für Frauen bei vollkommen gleicher Arbeit ein minderer Lohn festgelegt ist. (Dr. Weber: Das stimmt!) Das war der Gesichtspunkt, von dem ich ausging: das widerspricht der Gleichheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das kann aber auch gesetzlich geregelt werden. Das braucht nicht durch Verfassung geregelt zu werden. Dr. Bergsträsser: Es kann vieles gesetzlich geregelt werden, was wir doch in die Verfassung hineinbringen. Mir scheint es wichtig im Sinne einer modernen Gestaltung und der Gleichberechtigung der Frau. Es wäre dieselbe Entwicklung, die wir sehen von der französischen Revolution bis zur Revolution von 1848, daß eben die mechanische Gleichheit vor dem Gesetz nicht genügt, sondern daß noch etwas anderes hinzukommt.

Zeitung

45) Theodor Heuss, geboren 1884, wurde im Juni 1905

von Friedrich Naumann in die Redaktion seiner Wochenschrift „Die Hilfe" geholt, von 1907—1912 führte er deren politische Redaktion. Von 1912—1918 war er dann Chefredakteur der „Neckar-Zeitung". Vgl. die Angaben von Heuss selbst in Z 5 Anhang/1, Bl. 85 aus dem Jahre 1956.

144

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Dr. Pfeiffer: Der Gesichtspunkt von Frau Nadig ist mir an sich sehr sympathisch. Es geht gewissermaßen darum, die Achtung vor der Frau wir ringen alle nach besten bezeichnen einem mit wir es am zu unAusdruck dem ja terstreichen und zu betonen. Ich habe aber große Zweifel, ob diese Stelle der richtige Platz ist, das einzureihen. Ich meine, wir sollten das zurückstellen, bis die andern angeschnittenen Probleme entschieden sind, und dann einen eigenen Abschnitt davon machen. Wir können ja auf diese Frage auch noch einmal zurückkommen, um zu sehen, wo der geeignete Platz ist. Dr. Eberhard: Ich würde auch sehr gern hereinnehmen, daß die Frau nicht deswegen, weil sie Frau ist, benachteiligt werden darf. Der geeignete Platz wäre der Abs. 3: Niemand darf seiner Abstammung, Rasse usw. und seines Geschlechts wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. Nadig: Ich glaube, das würde das doch nicht ganz treffen. Wunderlich: Die Betonung liegt meines Erachtens doch darauf: sie soll nicht wirtschaftlich benachteiligt werden. Das andere stellt ja nur die Gleichheit vor dem Gesetz fest. (Dr. Bergsträsser: Ein Tarifvertrag ist kein Gesetz.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf vielleicht zusammenfassen: diese ganze Frage hängt stark damit zusammen, ob wir diesen kulturellen und diesen wirtschaftlichen Teil, die wirtschaftliche und die kulturelle Lebensordnung aufnehmen wollen. Meiner Auffassung nach muß diese Frage sehr eingehend in den Fraktionen besprochen werden. Wir werden sie heute hier nicht endgültig lösen können, diese spezielle Frage der Stellung der Frau inbezug auf Lohn oder Entgelt. Bei den interfraktionellen Besprechungen würde sich später ergeben müssen, ob auf diese Angelegenheit bei Weglassung oder Aufnahme anderer Teile so starkes Gewicht gelegt wird, daß ein entsprechender Satz aufgenommen werden sollte. Ich glaube, dann wird es sich ganz leicht klären. Es wäre nur wichtig, daß diese Frage zunächst in den Fraktionen geklärt wird. Wir werden überhaupt zu einer Lösung in bezug auf den Umfang des Katalogs der Grundrechte nur kommen, wenn das vorher in den Fraktionen durchgesprochen und dort eine endgültige Einigung erreicht ist. In unserer Fraktion sollen diese Fragen in diesen Tagen besprochen werden. Darf ich fragen, ob wir diese Frage solange zurückstellen können, bis sich die Fraktionen darüber endgültig entschieden haben? Das scheint der Fall zu sein, und wir wären dann mit den übrigen drei Sätzen wohl durch. Es käme nur dieser vierte als Eventualsatz. Dr. Heuss: Hier müßte eine weniger mißverständliche Formulierung vorbereitet und das Wort „Lohn" weggelassen und durch „Entgelt" oder irgendein anderes ersetzt werden. Vielleicht könnten wir formulieren: Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich, insbesondere vor der Reichs—





besoldungsordnung. (Heiterkeit)

Dann wäre das Problem wohl wir uns mit dieser

gelöst; aber

so

können wir es leider nicht machen, obmachen würden.

Verfassung populär

145

Nr. 7

Sechste Sitzung

5.

Oktober 1948

v. Mangoldt]: Damit hätten wir das abgeschlossen, was in den bisheArbeiten des Redaktionsausschusses vorbereitet wurde46)

Vors. [Dr.

rigen

[2. ERRICHTUNG EINES UNTERAUSSCHUSSES FÜR EINGABEN] Bevor wir auf weitere Probleme eingehen, möchte ich noch eine andere Frage hier zur Erörterung stellen: es kommen jetzt allmählich eine große Anzahl von Eingaben von allen möglichen Stellen, zum Teil auch recht interessante, die zum Teil schnell behandelt werden können, zum Teil aber auch doch Grund-

4B) Das Ergebnis dieser Beratungen wurde in der Drucks. Nr. rechte in der

vom

Ausschuß für

Grundsatzfragen

am

5.

127

„Artikel

Okt. 1948

9—17 der Grund-

gebilligten Fassung"

zusammengefaßt : „Artikel 9: Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen können nur durch Gesetz, jedoch nicht zu politischen Zwecken angeordnet werden. Artikel 10: Die Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre findet ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung. Artikel 11 : Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann

dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Artikel 12 : Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Vereinigungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden und Maßnahmen, durch die dieses Recht eingeschränkt, behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll, sind nichtig. Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze anerkannt. Artikel 13 : Jeder Landesangehörige ist zugleich Bundesangehöriger. Jeder Bundesangehörige hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst. Niemand darf in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte ausüben und zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden. Artikel 14: Die Freiheit des Rechts zu wählen oder abzustimmen sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die freie Entscheidungsmöglichkeit zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteiengruppen nicht genommen werden. Artikel 15 : Jeder Deutsche hat im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung und nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang. Artikel 16: Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen sowie an die Volksvertretung zu wenden. Artikel 17 : Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden." 146

Sechste Sitzung

5.

Oktober 1948

Nr. 7

sätzliches zu den Fragen bringen, die wir hier behandeln. Ich würde mich da gern einem Vorschlag anschließen, der neulich im Redaktionsausschuß gemacht worden ist, einen kleinen Unterausschuß aus etwa drei Mitgliedern zu bilden, die alle diese Eingaben durchsehen, dem Ausschuß darüber berichten und einen Beschluß vorschlagen, damit wir in der Angelegenheit weiterkommen und auch die Antragsteller bescheiden können; jeder Antragsteller, damit er von vornherein sieht, daß seine Wünsche im Parlamentarischen Rat berücksichtigt werden, erhält zunächst von mir unterzeichnet ein kleines Schreiben, worin ihm gesagt wird, daß der Ausschuß seine Eingabe empfangen habe und ein Unterausschuß sich damit beschäftigen werde. Dr. Heuss: Ich kenne das „wertvolle Material" nicht, aber bei aller Wertschätzung der Demokratie kann ich doch sagen: Ich bin sehr lange im Petitionsausschuß des Reichstags gewesen. Da ist einem soviel Dreck ins Haus geschickt worden, daß ich keineswegs dafür sein würde, hier nun über jede Eingabe, die kommen wird, berichten zu lassen. Das müssen wir den Herren in dem Unterausschuß schon überlassen. Wir wollen doch nicht als Petitionsausschuß nebenher noch Querulanten ausbilden. (Vors. [Dr. v. Mangoldtj: So daß der Unterausschuß vorschlagen kann, über

gewisse Anträge

zur

Tagesordnung überzugehen.)

Er soll sie daraufhin prüfen, was dahinter steckt! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Büro hatte vorgeschlagen, jede dieser Eingaben zu vervielfältigen und jedem Mitgliede des Ausschusses zuzustellen. Ich habe von vornherein davon abgesehen, weil das zu unmöglichen Konsequenzen führen würde. Vielleicht könnten die Mitglieder, die nicht so stark im Redaktionsausschuß angespannt sind, einmal eine Aufgabe nach dieser Richtung überneh—

men.

Nach Vorschlägen aus der Mitte des Ausschusses wird ein Unterausschuß bestehend aus Frau Dr. Weber und Dr. Eberhard gebildet, die dem Ausschuß über die Eingaben berichten werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Damit ich auch etwas über das unterrichtet bin, was einläuft, würde ich bitten, daß die Eingaben erst mir übergeben werden; ich werde sie dann weiterleiten. Dann würde ich, wenn diese Eingaben hier zur Verhandlung kommen, schon ungefähr wissen, was darin enthalten ist47). [3. BESPRECHUNG DES WEITEREN ARBEITSPROGRAMMS]

Wir kämen

nun zur

Frage des weiteren Programms. Der Artikel über die Ge-

währleistung des Eigentums, der

uns noch fehlt, gehört doch wohl unbedingt hier herein. Ich darf annehmen, daß darüber kein Zweifel besteht. In Verbindung damit würde dann die Frage des Erbrechts stehen, Herr Dr. Zinn, die auch für uns wesentlich ist. (Zinn: Ob man das überhaupt noch aufnehmen soll, ist zweifelhaft.)

) Die Eingaben wurden dann zusammenfassend in späteren Sitzungen des Ausschusses behandelt. Siehe Dok. Nr. 20, TOP 1; Dok. Nr. 41. 147

Sechste Sitzung

Nr. 7

5.

Oktober 1948

Es ist aber

wichtig wegen des Auftrags an den Redaktionsausschuß. Damit nicht unnötige Arbeit machen, müßte erst ein Beschluß hier im Ausschuß gefaßt werden. Der Herrenchiemseer Entwurf sagt: „Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet40)", und die Länderverfassungen haben gewöhnlich einen besonderen Artikel für Eigentum und einen besonderen für Erbrecht49). Zinn: Ich würde das Erbrecht weglassen. (Dr. Heuss: Ich glaube, Sie müssen es hereinnehmen!) Es ist doch eine reine Deklaration. Auf der einen Seite wird es als Institution anerkannt, aber praktisch bleibt durch die Steuern nichts übrig. Dr. Heuss: Ich bin kein Jurist, aber bei komplizierten Familienverhältnissen im Hinblick auf Testamente ist doch irgendwie eine Rechtsunterlage gegeben, die der Staat in der Gesetzgebung dann näher umschreibt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der Weimarer Verfassung war die Gewährleistung des Erbrechts angehängt an die Gewährleistung des Eigentums: Art. 154, wo allerdings die Formulierung nicht sehr glücklich ist: „Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtes gewährleistet". Zinn: Man will die Institution des Erbrechtes verfassungsrechtlich anerkennen; aber damit ist noch nicht viel gewonnen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir würden wohl nicht sagen: nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtes, das wäre zu allgemein. Aber es ist sehr schwierig, das zu formulieren. Zinn: Wie wollen Sie anders formulieren? Zu einer vernünftigen Formulierung kommen wir nicht. Dr. Pfeiffer: Ich halte es für wichtig, daß wir das Erbrecht hier erwähnen. Es ist vielleicht heute für das Individuum nicht so bedeutend, kann aber in einigen ich denke da an Verwandte im Auslande wieder etwas bedeuten. Jahren Warum sollte man das nur wegen des augenblicklichen materiellen Standes des Besitzes nicht grundsätzlich anerkennen? Die Formulierungsschwierigkeiten werden unsere Juristen doch mühelos überwinden können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es gehört an sich an eine andere Stelle. Das Erbrecht dient der Erhaltung und dem Schutz der Familie. (Dr. Bergsträsser: Es gehört eigentlich in die soziale Ordnung.) Es gehört in die Lebensordnungen. Bei der Erhaltung der Familie spielt es die wesentliche Rolle. (Dr. Bergsträsser: Während das Eigentum unbestritten hier hereingehört.) Das Eigentum als Individualrecht. Im gleichen Sinne kann man das Erbrecht nicht zu den klassischen Grundrechten rechnen. Dr. Weber: Aber doch nicht nur im Familienrecht! Der einzelne hat doch auch ein Erbrecht. —

wir

uns











48) ChE, Art. 17. 49) In den Länderverfassungen gab

es

folgende Bestimmungen

zum

Eigentumsrecht: Bay-

Abs. 1 und 2, Art. 158-162, Art. 163; Württemberg-Baden, Art. 8; Hessen, Art. 39, 40, 42, 45; Württemberg-Hohenzollern, Art. 15; Baden, Art. 15, 16; RheinlandPfalz, Art. 60, 61, 64; Artikel zum Erbrecht: Bayern, Art. 103 Abs. 1; Württemberg-Baden, Art. 9; Württemberg-Hohenzollern, Art. 16; Baden, Art. 17. ern, Art. 103,

-

148

Sechste

(Dr. Bergsträsser: Aber

zu

Sitzung

nicht

Vors. [Dr.

v.

Nr. 7

Verfassung

kommt

es,

vor,

Mangoldt]:

In der

belgischen Verfassung

heitlich ist, steht

es

Bergsträsser: Eigentum.

In der französischen

Dr.

Oktober 1948

welchem Zweck?!)

Dr. Heuss: In der amerikanischen und französischen

glaube ich,

5.

von

1831, die

ja sehr frei-

nicht drin.

Dr. Heuss: Ist denn im Erbrecht

1789

steht auch

nur

die Testierfreiheit

begrifflich

mit ein-

Verfassung

juristisch

von

das

geschlossen?

In der VerNach Maßgabe der bürgerlichen Gesetze. auch findet sich das in den 1848 Frankreich von nicht Erbrecht fassung klassischen Grundrechten. Zinn: Als Institution, so war es wohl gedacht, sollte das Erbrecht dadurch anerkannt werden. Aber durch die Steuergesetzgebung ist de facto von der Institution nichts übrig geblieben. Aber auch die Institution selbst ist in ihrer Substanz praktisch beeinträchtigt worden zum Beispiel durch die Erbhofgesetzgebung. Es paßt also schon gar nicht mehr in die klassischen Grundrechte hinein; es ist auch in seiner Auswirkung so wandelbar. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist interessant: die französische Verfassung von 1849 hat es auch nicht. § 16450) sagt: Das Eigentum ist unverletzlich, und dann kommt Enteignung, geistiges Eigentum und etwas, was ins Erbrecht hineinspielt, aber in engster Verbindung mit dem Eigentum steht: Jeder Grundeigentümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden oder von Todes wegen ganz oder teilweise veräußern. Da ist es also im Eigentumsrecht verkörpert. (Dr. Bergsträsser: Das ergibt sich nur im Rückblick auf die andere Gesetzgebung, gegen die Fideikommisse und Ähnliches.) Die tauchen dann noch besonders auf. (Dr. Bergsträsser: Ich weiß, aber der Hauptgedanke ist: es stipuliert das französische Bodenerbrecht gegenüber dem früheren deutschen.) Die Frage des geistigen Eigentums wäre auf der andern Seite sehr zu erörVors. [Dr.

v.

Mangoldt]:



von



tern. Dr. Bergsträsser: Wenn wir das

Eigentum schon hereinbringen, wäre es richtig, irgendetwas über das geistige Eigentum sagen. Mangoldt]: Das geistige Eigentum taucht in anderen Verfassungen

daß wir auch Vors.

[Dr.

v.

auch auf.

(Dr. Bergsträsser: Auch in der Frankfurter51).)

Sollten wir auf diese Frage vielleicht auch erst noch in den Fraktionen einDann lassen wir das zunächst offen und reden zunächst über den gehen? Gesamtkomplex der Fragen, die eine Rolle spielen. Wir würden uns dann bei der endgültigen Fassung der Grundrechte miteinander in Verbindung setzen. Wir haben dann für morgen noch gewisse andere Fragen, einmal die des Art. 21 Abs. 1 des Herrenchiemseer Entwurfs: —



50) Gemeint war § 164 der Reichsverfassung von 1849. 51) Vgl. Art. IX, § 164, Abs. 3 der Reichsverfassung von

1849.

149

Nr. 7

Sechste Sitzung

5.

Oktober 1948

beseitigt werden. Auf ein solches Ziel gerichtete Anträge sind unzulässig. Das wäre also die Unabänderlichkeit dieser Grundrechte, die hier festzulegen ist. Soweit ich es im Augenblick übersehe, kann es zweifelhaft sein, ob das nötig ist, weil wir ja in Art. 1 sagen, daß es sich hier bei den Grundrechten um ewige Rechte handelt. (Dr. Bergsträsser: Das haben wir aber gestrichen!) Nein, vorläufig ist es noch drin. Wir haben überlegt, ob wir es streichen wollten, und haben es dann der zweiten Lesung überlassen. Unsere ganze Formulierung geht ja davon aus, nach Art. 1, daß eigentlich unsere Grundrechtsartikel, Art. 2 und folgende, nichts als eine schriftliche Niederlegung dieses Naturrechts sind. Wenn das der Fall ist, brauchten wir diesen Satz gar nicht noch einmal aufzunehmen. Es gibt ja gewisse Sätze, die wahrscheinlich in einem Schlußartikel auftauchen werden, wie etwa in der französischen Verfassung, wonach gewisse demokratische Einrichtungen auch durch verfassungsändernde Gesetze nicht angegriffen werden können52). Zinn: Man müßte nur eine Vorschrift aufnehmen. Wir haben ja gewisse Gesetzesvorbehalte vorgesehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darauf wollte ich gleich kommen; das ist der zweite Punkt, daß also die Substanz durch die gesetzlichen Regelungen nicht angegriffen werden darf. Die Vorschrift scheint mir unbedingt erforderlich. Wir haben immer in allen Artikeln gesagt: dieses Grundrecht steht im Rahmen der Gemeinschaftsinteressen, und zum Schutze der Gemeinschaftsinteressen ist nun in einer gewissen Konkretisierung die Möglichkeit gegeben, durch Gesetz in diese Freiheiten einzugreifen. Hier taucht natürlich die Frage auf, daß diese Gesetzgebung niemals so weit gehen darf, daß sie das Grundrecht als solches in seinem Bestand angreift. Das müßte natürlich in einer entsprechenden Formulierung zum Ausdruck gebracht das war das, was Sie werden. Das hat der Herrenchiemseer Entwurf auch Also meinten, Herr Dr. Zinn —, der das in Abs. 3 und 4 zu regeln versucht. darüber ist sich der Ausschuß wohl einig, daß eine Formulierung in dieser Beziehung unbedingt erfolgen müßte. Dann sind wir vielleicht dieser ersten Pflicht, einen Abs. 1 zu formulieren, vorläufig enthoben. Es wäre für uns ja auch sehr schwierig, diese Unabänderlichkeit der Grundrechte festzulegen. Vor allen Dingen eine Schwierigkeit würde nicht beseitigt werden: „Auf ein solches Ziel gerichtete Anträge sind unzulässig". Wenn sie nun aber doch gestellt und behandelt werden? Wie kann man das sichern? Also diese Proklamation nützt uns gar nichts. Wir können nicht den Verfassungsgerichtshof einschalten zur Überwachung der Tätigkeit des obersten Organs unseres Staatswesens, nämlich der gesetzgebenden Versammlung. Das können wir unter keinen Umständen, und rechtlich ist dieser Satz einfach nicht zu sichern. Aus diesem Grunde würde ich auch dafür sein, ihn doch vorläufig einmal herauszulassen. Wir müssen das aber noch eingehend überlegen. Die Grundrechte dürfen nicht







95 der Verfassung der Französischen Republik von 1946: „Die republikanische gierungsform kann nicht Gegenstand eines Revisionsvorschlages sein."

52) Art.

150

Re-

Sechste Sitzung 5. Oktober 1948

Nr. 7

Dann ist immer wieder die Frage der Grundpflichten aufgetaucht. Wir haben ja schon versucht, in die Formulierungen der Grundrechte die Beschränkungen durch diese Grundpflichten hineinzubringen. So taucht immer wieder die Treupflicht gegenüber der Verfassung auf. Es ist die Frage, ob wir uns etwa entdas kann ja auch bei der zweiten Lesung berücksichtigt schließen sollten der Überschrift zu sagen: Grundrechte und Grundpflichten. Im werden in Grunde genommen sind übrigens die Grundpflichten schon von uns anerkannt in den vielen von uns vorgesehenen Möglichkeiten zur Einschränkung der Grundrechte im Wege der Gesetzgebung, die eigentlich bei jedem Artikel vorgesehen sind, und in der Stellung des einzelnen in der Gemeinschaft, innerhalb derer er nur seine allgemeinen Rechte geltend machen kann. Die Weimarer Verfassung kennt auch einen solchen Satz. Art. 163 sagt etwas —



Derartiges: „Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche Pflicht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie es das

Wohl der Gesamtheit erfordert." Nehmen wir nun einen solchen Satz auf, so müssen wir uns sofort fragen: Wie steht es mit seiner Verwirklichung? Es heißt: alle diese Sätze, die wir in die Grundrechte aufnehmen, sollen unmittelbar geltendes Recht sein. Man könnte sich aber entschließen, als Überschrift über den ganzen Teil zu setzen: Grundrechte und Grundpflichten, und zu den Grundpflichten könnte man dann in einem Kommentar sagen, sie fänden ihren Ausdruck in den gesetzlichen Regelungen zur Beschränkung der Freiheit, die allerdings nur im allgemeinen Interesse erfolgen dürfe. Da steht nun ausdrücklich bei mehreren Grundrechten, bei denen das in Frage kommen kann, die Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung. Daß man die persönliche Freiheit in einer Weise benutzt, die die Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung verletzt, ist für mich kaum denkbar. An den Stellen, an denen die Möglichkeit einer Verletzung dieser Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung gegeben ist, haben wir das bisher doch immer in die einzelnen Artikel

aufgenommen.

(Dr. Weber: Aber nicht die Pflicht

zur

Arbeit.)

Frage taucht dann auf bei den einzelnen Rechten, die wir sehr genau durchsprechen müssen. Da ist nun auch wieder bei einem dieser Vorschläge, Die



die Sie in der Hand haben, der Wunsch nach Aufnahme des Grundrechtes zur Arbeit aufgetaucht. Dann soll daneben ein Grundrecht auf Gesundheit in der Verfassung verankert werden. Ich kann mir das nicht ganz vorstellen. Es steht bei den Vereinten Nationen53) und auch in der französischen Verfassung54), aber wenn einer nicht gesund ist, nützt ihm das ganze Grundrecht nichts. (Wunderlich: Es ist gemeint, die höchstmögliche Sicherung der Gesund-

heit.)

53) UN-Menschenrechtserklärung vgl. Dok. Nr. 10. 54) Art. 26 der Französischen Verfassung von 1946 lautete: „Tout homme a le devoir de travailler et le droit d'obtenir

un

emploi.

.."

151

Nr. 7

Die

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Formulierungen, die bisher darüber vorliegen, sind

so

unglücklich,

daß

sie als unmittelbares Recht ansieht, wie wir es machen, in die wir, größten Schwierigkeiten [kommen]. Dann müßten wir zu dem Ergebnis wie in England kommen, vollkommen freie Behandlung gewähren und die Ärzte verbeamten. Das sind die Folgen, die sich daraus ergeben. Ich glaube also, dann steht die Meinung des Ausschusses nach der Richtung fest. In den Vorschlägen ist dann noch das Widerstandsrecht aufgetaucht. Das wird ja mehr oder weniger in der Treuepflicht gegenüber der Verfassung mit erfaßt. Die Pflicht zur Treue zur Verfassung bedeutet ja praktisch, daß man Verletzungen der Verfassung Widerstand leisten muß. (Wunderlich: Ich weiß nicht, ob man das das herauslesen kann.) Auf der anderen Seite ist ein Widerstandsrecht juristisch eine sehr schwierige Angelegenheit. In der hessischen Verfassung ist es sehr stark ausgebildet55); ich begrüße das von in der bayerischen Verfassung ist es vorsichtigerweise ich weiß meinem Standpunkt aus denn nicht, wie es zur Verweggelassen; werden soll. wirklichung gebracht Dr. Bergsträsser: Zur Verwirklichung habe ich schon einmal darauf aufmerksam gemacht, daß es nur verwirklicht werden kann bei einem Putsch, bei dem die Regierung siegt. Der Gedanke, von dem wir damals in Hessen ausgegangen sind, war der, Dinge unmöglich zu machen, wie beim Kapp-Putsch 192056), als hochpreisliche Gerichte Herrn Erhard57) und Pabst58) Pensionen zuerkannten. Wunderlich: Vor allen Dingen, daß man nicht dem Mann, der die Verfassung verteidigt, ein Gerichtsverfahren wegen Landfriedonsbruch oder Aufruhr anhängt. Ich habe an meinem eigenen Leibe derartiges durchexerzieren müssen, habe ein solches Verfahren im Jahre 1922 am Halse gehabt59). Vors. [Dr. v. Mangold]: Ich verstehe diese Gesichtspunkte durchaus. Auf der anderen Seite muß man berücksichtigen, daß jeder Querulant dann dauernd vom Widerstandsrecht unter voller Berufung auf die Verfassung sprechen wird. Wenn wir auf der anderen Seite an den Mannesmut vor Königsthronen denken oder auch vor anderen behördlichen Organen, den wir in jüngster Vergangenheit erlebt haben, so wird wahrscheinlich im großen Durchschnitt aus diesem Widerstandsrecht doch nicht viel Vernünftiges herauswachsen, denn diese Krankheit hat sich nicht geändert. Dr. Bergsträsser: Es ist aber wichtig, so etwas zu formulieren, daß derartige geradezu staatsschädlichen Urteile nicht mehr möglich sind. —

wenn man







55) Verfassung des Landes Hessen

vom

1. Dez. 1946, Art. 147:

„Widerstand gegen verfas-

sungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht." 56) Der Kapp-Putsch vom März 1920 war ein gescheiterter Umsturzversuch von

W. Kapp Lüttwitz (1859-1942) und rechtsradikalen Politikern. Vgl. J. Erger: Der Kapp-Lüttwitz-Putsch. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1919/1920. Düs-

(1858-1922), General

v.

seldorf 1967.

57) Erhard vgl. Dok. Nr. 4, Anm. 62. 58) Major a. D. Waldemar Pabst (1880-1970), Teilnehmer am Kapp-Putsch. 59) Hans Wunderlich (1899-1977) war seit 1920-1933 und ab 1946 wieder hauptberuflich

Journalist

152

gewesen.

Vgl.

die

Ausführungen

zu

seiner

Biographie

in der

Einleitung.

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Nr. 7

Dr. Heuss: Das können Sie nicht in die Verfassung hineintun. Haben Sie darüber schon etwas vorgeschlagen? Dr. Bergsträsser: Wir haben so etwas in der hessischen Verfassung60). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Jedermann hat das Recht, Tyrannei Widerstand zu leisten", so heißt es in den Formulierungen von Dr. Bergsträsser. (Dr. Heuss: Dann müßten wir die Kontrollmächte zunächst streichen.) Herr Dr. Zinn, sehen Sie eine Möglichkeit zu einer Rechtsformulierung? Zinn: Ich gebe zu, daß es ein bißchen leer ist, dieses Widerstandsrecht, aber man könnte es zumindest in einer beschränkten Form aufnehmen, meinetwegen für alle, die irgendwie mit dem Staat zu tun haben, also daß wir es da beson—

.

..



ders betonen.

(Dr. Heuss: Eine Widerstandspflicht!) —

Ja, eine Widerstandspflicht der Beamten. Bergsträsser: Die steht auch in der hessischen Verfassung.

Dr. Dr. Heuss: Die

Widerstandspflicht

würde mir

angenehmer

sein als das Wider-

standsrecht, weil ich die Sorge habe, Querulanten können sich morgen darauf berufen, vielleicht sogar Nazis, wenn sie sich auf irgend so eine Interpretation

Verfassung stützen. Zinn: Darauf würde ich es auch beschränken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wie wird die Widerstandspflicht gewährleistet? Man kann doch jemand nicht mit staatlichen Mitteln zwingen, Widerstand zu leider

sten, sondern ihn nur, wenn er keinen Widerstand geleistet hat, deswegen hinterher bestrafen. Zinn: Wenn wir das drin hätten, wäre es schon etwas wert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde zu ähnlichen Ergebnissen führen wie die Entnazifizierungsverfahren. Alle die, die Widerstand leisten müßten, es aber nicht tun, müßten vor den Kadi. Bei der Fülle der Verfahren aber würden nur einige vor den Kadi kommen, die selbstverständlich die völlig falschen wären. Das führt zu unabsehbaren Konsequenzen. Dr. Weber: Wen wollte man etwa bestrafen? Den, der 1933 keinen Widerstand geleistet hat? Zinn: Die waren verpflichtet, Widerstand zu leisten. das ist ein Dr. Bergsträsser: Nehmen Sie die Stellung der Beamten 1920 wirklich typischer Fall und die Stellung, die die Justiz damals eingenommen hat! Zinn: Die Erfüllung dieser Pflicht schließt jede Strafbarkeit aus. Dr. Heuss: Im Jahre 1920 ist bei der Kapp-Putschaffäre zunächst Herr Lewald61) derjenige gewesen, der aus der Widerstandspflicht Konsequenzen gezogen hat. Man muß da zwei Dinge auseinanderhalten. Die obere Bürokratie hat Widerstand geleistet. —



60) Siehe Anm. 55. 61) Theodor Lewald (1860—1947), preußischer Unterstaatssekretär, erklärte nach dem KappPutsch seine Loyalität mit der Regierung Bauer. Vgl. Johannes Erger: Der Kapp-LüttwitzPutsch. Düsseldorf 1967, S. 208.

153

Sechste

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Es wird schwierig sein, diese Frage heute abzuschliebesser ßen. Deshalb wird sein, die Widerstandspflicht zunächst einmal in den Fraktionen zu besprechen. Wir können uns deshalb morgen noch nicht mit der Formulierung dieses Artikels befassen. Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]: es

[4. TAGESORDNUNG FÜR DIE NÄCHSTE SITZUNG]

Ich darf dann Ihr Einverständnis zur Tagesordnung der morgigen Sitzung einholen. Zunächst würde also der Eigentumsartikel formuliert werden müssen und jener Restartikel über die Sicherung der Substanz der Grundrechte. Damit würden wir uns morgen einmal beschäftigen und uns dann weiter darüber aussprechen, was überhaupt etwa an Sätzen aus dem Gebiete der Wirtschafts- und Kulturordnung in Frage kommen würde, damit die Fraktionen dann zu dieser so würde ich vorschlagen Stellung nehmen und dieser Fragenkreis Frage einmal in den Fraktionen bereinigt wird, so daß wir dann hier in Schnelligkeit und Kürze über diese Sache wegkommen. Es hat keinen Sinn, daß wir uns über jede einzelne dieser Fragen aussprechen. Meiner Meinung nach müssen sich jetzt die Fraktionen über die Ausweitung dieses Grundrechtsteiles klarwerden. Wir haben nun das Gerippe und den Kerngehalt erfaßt. Wenn wir dann sehen, daß wir noch dies oder das dazu haben wollen, können wir den Auftrag zur Formulierung wieder an den Redaktionsausschuß geben; denn wir müssen unter allen Umständen sehr sorgfältig formulieren. Ende dieser Woche können wir dann übersehen, wann wir den Grundrechtsteil in erster Lesung abschließen und einreichen können. —



(Dr. Heuss: Präambel!) In unmittelbarem Anschluß daran, das könnte schon morgen sein, könnten wir dann in diese Frage der Präambel hineinsteigen, wobei ich vorschlagen würde, zunächst die Einzelfragen herauszugreifen, um die es sich handelt, also Frage des Namens, Frage des Staatsfragments oder wie man das zum Ausdruck bringen will, Stellung des Besatzungsstatuts, überhaupt das Dasein der Besatzungsmächte im Verhältnis zur Gestaltung der gesamten Verfassung, dann etwa ein Bekenntnis zur gesamtdeutschen Einheit, was meiner Anschauung nach unbedingt in die Präambel hinein müßte, das Bekenntnis, daß dieser Bund, wie er hier gebildet wird, jedenfalls nicht vollkommen ist, usw. Das Bekenntnis zu Gesamtdeutschland würden wir hier in die Präambel hineinschreiben, an eine andere Stelle kann man es nicht gut nehmen. Wir könnten also zunächst über diese Fragen sprechen und dann nachher zu Einzelformulierungen kommen. Zinn: Ich habe schon einmal so einen Entwurf formuliert62). Dr. Schmid: Darüber müßten wir aber vorher noch einmal sprechen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müßten zu jedem einzelnen Punkt sprechen und dann eine Formulierung finden. —

62) Vgl. Dok. Nr. 8, TOP 154

la.

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Nr. 7

Dr. Heuss: Es sind ja zwei Vorschläge von Herrenchiemsee da63). Ich habe mir auch eine Formulierung überlegt und kann sie morgen vorlegen. Dann würden wir eine große grundsätzliche Debatte darüber haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Jawohl, gerade über diese Einzelfragen. Jede Frage für sich ist wichtig. Letzten Endes hängt auch wieder der Umfang der Grundrechte davon ab. Dann wäre weiter die Frage zu behandeln, wieweit die Frage der Vorläufigkeit der Verfassung zum Ausdruck kommen soll. Das müßte am besten auch in die Präambel hineinkommen. Sie soll ja auch einen Überblick über die Entstehung geben und den geschichtlichen Stand eines solchen Grundgesetzes überhaupt

darlegen.

Dann darf ich

annehmen, daß in diesem Sinne Einigkeit besteht: daß wir zunächst versuchen, den Grundrechtsteil mit den beiden Artikeln, die noch fehlen, abzuschließen. In der vorigen Woche waren nicht alle Mitglieder des Unterausschusses da; deshalb ist der etwas schwierige Eigentumsartikel zurückgestellt worden, der nun bis morgen 11 Uhr erledigt werden soll, so daß wir dann mit dem Kern fertig werden; dann soll sich unmittelbar die Generaldiskussion über die Präambel anschließen. Dr. Schmid: Ich glaube, daß diese Generaldiskussion über die Präambel notwendig ist, glaube aber auch, daß sie nicht allzu lang ausgedehnt zu werden braucht. Über die Bedeutung der Präambel ist man sich doch im allgemeinen in gleicher Weise klar: sie soll sagen, was ist und was nicht gewollt wurde; irgendwie müssen auch die konstitutiven Elemente doch erwähnt sein. Welche Punkte hier fragwürdig sind, weiß man. Ich glaube, man kann mit ganz wenigen Worten darüber hinwegkommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde vorschlagen, daß dann zunächst die Herren sprechen, die schon Entwürfe gemacht haben. Das gibt dann eine gute Grundlage. Dann würde sich an die einzelnen Punkte eine Generaldebatte anschließen. Es wäre dankenswert, wenn diese Entwürfe vervielfältigt und den Mitgliedern vorher zugestellt werden können. Dann schließe ich die heutige Sitzung.

63) Der Pari. Rat Bd. 2, S.

579.

155

Nr. 8

Siebente Sitzung 6. Oktober 1948

Siebente

Sitzung

Nr. 8 des Ausschusses für 6. Oktober 1948

Grundsatzfragen

Z 5/30, Bl. 182-218. Stenogr. Wortprot. vom 9. Okt. 1948, Kurzprot: Z 12/45, Bl. 107-108. Drucks. Nr. 141

von

Reynitz

gez.

Anwesend1) :

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Weber SPD: Bergsträsser, Nadig, Schmid, Wunderlich, Zinn FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Eberhard (SPD), Kaiser (CDU) Stenografischer Dienst: Reynitz Dauer: 12.00-13.05 Uhr

[1, BERATUNG DER PRÄAMBEL]

[a.

Vorschlag Zinn]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben die Sitzung unseres Redaktionsausschusses über 11 Uhr hinaus ausdehnen müssen. Infolgedessen haben zum Schluß beinahe alle Mitglieder unseres Vollausschusses an den Beratungen über die Formulierungen teilgenommen. Bei den Formulierungen zum Widerstandsrecht und zum Problem der Widerstandspflicht sind wir dabei eigenüich schon in das Thema unserer Vollsitzung hineingekommen. Ich darf noch einmal feststellen, daß wir uns dahin einig geworden sind, die Widerstandspflicht vorläufig herauszulassen. Dann darf ich unserem Programm gemäß Herrn Dr. Zinn zunächst einmal um eine Erläuterung seiner Vorschläge zur Präambel bitten2). Zinn: Meines Erachtens sollte in einer Verfassung darauf hingewiesen werden, daß das Recht der Selbstbestimmung, das wir ja in Anspruch nehmen, indem wir dieses Grundgesetz ausarbeiten, ein Recht ist, das bereits ein Teil des allgemeinen Rechts ist, und wir es nicht etwa nur ausüben, weil wir dazu durch die Militärgouverneure aufgefordert werden. Weiter sollte aber gleichzeitig darauf hingewiesen werden, daß wir, obwohl dieses Recht von einzelnen Völkern in die Charta der UN3) hineingebracht worden ist, nicht in der Lage sind, in allen Teilen Deutschlands frei entscheiden zu können. Es soll dabei gerade der Gegensatz betont werden, der insoweit zwischen dem Westen und dem Osten besteht. Wir haben demnach das Grundgesetz nur als räumlich, zeitlich und historisch befristet und darüber hinaus als Provisorium anzusehen.

1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Der Wortlaut wurde später von Zinn noch verlesen. 3) Charta der UN: Art. 1, Abs. 2; Art. 2, Abs. 4 und Art. 55. Zeitgenössischer Abdr. der Char-

Europa-Archiv 1947, S. 345-352. Leland M. Goodrich [. .]: Charter of the United Nations, Commentary and Documents. New York, London 1969.

ta in:

.

156

Siebente

Sitzung

6.

Oktober

1948

Nr. 8

Drittens müßte man schließlich auch zum Ausdruck bringen, daß, soweit überhier eine Unabhängigkeit einer deutschen staatlichen Institution möglich ist, diese Unabhängigkeit im Augenblick durch fremde Besatzungsmächte be-

haupt

schränkt wird und damit natürlich auch der Wirkungsbereich alles dessen, was hier in der Verfassung niedergelegt ist. Schließlich sollte man darauf hinweisen, daß für uns der Anspruch auf die Wiederherstellung, oder ich möchte umgekehrt sagen: auf die Unteilbarkeit des nach unserer Auffassung staatsrechtlich noch existenten Deutschlands unverzichtbar ist, jenes Deutschland, wie es eben durch die Weimarer Verfassung errichtet oder geschaffen worden ist. Am Schluß müßte dann noch der Übergangscharakter dieser Regelung, die wir heute treffen oder die der Parlamentarische Rat treffen soll, betont werden. Im Zusammenhang mit der Präambel steht dann die Frage des Namens. Ich habe dazu eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die Herren haben sie vor sich liegen. Ich habe nunmehr folgende Formulierung gewählt: Grundgesetz des Freien Deutschlands. (Dr. Schmid: Das erinnert an „Freies Deutschland4)!" Wir sind doch nicht frei in dem Sinne!) Ich komme noch darauf. Ich habe also formuliert: Kraft des unverlierbaren, in der Urkunde der Vereinten Nationen als allgemeine Regel des Völkerrechts von den friedliebenden Völkern der Erde anerkannten Rechtes der Selbstbestimmung haben die Deutschen, soweit sie in der Gegenwart frei entscheiden können, im Bewußtsein der Unverzichtbarkeit des Anspruches auf die Unteilbarkeit der durch die Verfassung von Weimar vom 11. August 1919 geschaffenen deutschen Republik, aber auch der derzeitigen Beschränkung ihrer Unabhängigkeit durch fremde Mächte, im Bestreben, ihre Freiheitsrechte zu schützen und (in den Ländern Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern) eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsbefugnisse zu schaffen, durch ihre verfassungsmäßigen und gesetzlichen Organe handelnd, das folgende Grundgesetz des Freien Deutschlands erlassen. Über den Namen müßte man sich also noch unterhalten. Dr. Schmid: Eine Sache ist völlig unmöglich dabei: in den Ländern usw. eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsbefugnisse zu schaffen —, und zwar auf dem Gebiet, das durch das Gebiet dieser Länder definiert wird, aber doch nicht in den Ländern Soundso. Zinn: Es müßte heißen: den Einzelheiten, in dem Rahmen. Dr. Schmid: „Das deutsche Volk" muß auch herein! —

4) Das Nationalkomitee „Freies Deutschland"

war eine in den Jahren 1943—1945 in der Sowjetunion gebildete Vereinigung kommunistischer deutscher Emigranten und Kriegsge-

fangener,

die u. a. eine gleichnamige Wochenzeitung Freies Deutschland, 2. A., München 1961.

herausgab. Vgl.

Bodo

Scheurig:

157

Nr. 8

Siebente

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[b. Vorschlag Heuss] Dr. Heuss: Ich will einmal meine Formulierung vorlesen. Sie ist sehr kurz. Ich habe die beiden Entwürfe, die da in Herrenchiemsee geschaffen sind5), vor mir gehabt und habe zum Teil gesucht, von beiden Parteien zu nehmen. Ich wollte es aber vor allem kurz und lesbar machen; denn der Mehrheitsvorschlag mit seinen Partizipial-Konstruktionen scheint mir doch eine etwas zu anstrengende Sache zu sein. Also: Das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern u. s. f. hat sich in diesem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die verfassungsmäßige Rechtsordnung seines staatlichen Lebens neu geschaffen. Es ist von dem Willen erfüllt, über die von der Notlage der Zeit erzwungene Teillösung hinaus an dem unverzichtbaren Recht auf die freie Gestaltung des nationalen Gesamtlebens festzuhalten. Das Volk in den übrigen deutschen Ländern bleibt aufgefordert, den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland zu vollziehen, um in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die nationale Einheit und Freiheit neu zu gründen. Zu kommentieren ist da nicht sehr viel. Mit dem Ausdruck „verfassungsmäßige Rechtsordnung" wollte ich dem Wort „Grundgesetz" eine etwas stärkere innere Haltung geben, als es nur mit diesem Wort umschrieben würde. Mit dem letzten Satz: .um in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die nationale Einheit und Freiheit neu zu gründen", wollte ich mit zum Ausdruck bringen, was dann auch in dem Wort „Teillösung" zum Ausdruck gekommen ist, daß also das ganze einer späteren umfassenden Gestaltung vorbehalten bleiben soll. Ich habe von mir aus an dieser Stelle sehr bewußt auf die Situation der Besatzungsmächte und des Provisoriums im engeren Sinne nicht abgehoben. Ich bin das geht allerdings schon in die Kritik des Vormir auch nicht ganz sicher hinein des Zinn —, ob es richtig ist, einen solchen Satz aus Kollegen schlags der Urkunde der UN mit heranzuziehen. Das ist wie ein Werfen mit der Wurst nach der Speckseite. (Zuruf: Wenn es nur Speck wäre!) Wir werden das Problem unserer Eingliederung in eine werdende Weltorganisation an irgend einer anderen Stelle ja sehr bewußt zum Ausdruck bringen wollen, aber an dieser Stelle würde ich es nicht machen, sondern würde unsere Quasi-Volkssouveränität als in sich ruhendes Recht ohne Bezugnahme auf diese allgemeinen völkerrechtlichen Deklarationen aussprechen. Ich würde das Wort von unserer Freiheit hier nicht als eine Gegebenheit zum Ausdruck bringen, denn da wehrt sich das Gefühl von soundsoviel Menschen. Infolgedessen habe ich das bei mir vermieden und habe das in die Zukunft verlegt: „um in gemeinsamer Entscheidung die Einheit und Freiheit neu zu gründen". Ich habe den Ausdruck „neu geschaffen" im Anfang gewählt, um so den Anschluß an bestimmte Traditionen, die in Weimar doch geschaffen waren, mit zum Ausdruck zu bringen. —

5) Der ChE hatte für die Präambel einen Mehrheits- und einen Minderheitsvorschlag ; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 579. 158

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[c. Diskussion, auch über die Bezeichnung des künftigen Staates] Zinn: Meines Erachtens kommt in dem Entwurf des Kollegen Heuss nicht erich glaube, das war die allgemein vorkennbar zum Ausdruck, daß wir alle herrschende Auffassung doch eigentlich der Ansicht sind, Deutschland sei staatlich noch existent, sei noch rechtsfähig, wenn auch nicht geschäftsfähig, daß infolgedessen der Kontrollrat nur als Treuhänder tätig ist; und soweit er das nicht ist oder die einzelnen Besatzungsmächte es nicht sind, wird nunmehr das deutsche Volk wieder selbsttätig und wird, wenn zunächst auch nur ein Teil als Treuhänder des ganzen; ferner, daß die Lösung, die wir nun im Westen suchen, eine Zwischenlösung darstellt, die ihre Souveränität ableitet von der noch bestehenden deutschen Republik, wie sie in Weimar geschaffen worden ist. Wenn Sie jetzt in Ihrer Fassung von einer Neuschöpfung sprechen, die dem vorausgeht, was das Verlorene einmal wiederschaffen soll, dann weichen Sie von dieser Grundauffassung ab. (Dr. Heuss: Ich teile Ihre Grundauffassung und würde sagen: neugeformt.) Die Engländer, in diesem Falle das Foreign Office, erklären in einem Rechtsstreit, der drüben in England geschwebt hat, erstatteten Gutachten, ganz offen: Deutschland existiert als Staat noch. Dr. Schmid: Man muß zum Ausdruck bringen: Es besteht als Staat weiter, ist aber desorganisiert. Das Wort „neu geformt" gefällt mir ganz gut. Da kommt zum Ausdruck, daß etwas, was der Substanz nach besteht, nunmehr in der Art, wie es in Erscheinung tritt, neue Gestalt erhalten soll. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich hätte überhaupt gegen diese Heuss'sche Formulierung deswegen nichts, weil es heißt: „die verfassungsmäßige Rechtsordnung neu geschaffen", also nur die Rechtsordnung; das Staatswesen ist bestehen geblieben. Dr. Heuss: Die Auffassung teile ich. Dr. Schmid: An der Heuss'schen Formel geht mir zu weit einmal die Behauptung, daß dieses Grundgesetz das der Bundesrepublik Deutschlands sei. Das ist es nicht, sondern was wir hier machen, ist lediglich die rechtliche Ordnung der Hoheitsbefugnisse auf einem Teil des deutschen Staatsgebietes, und zwar einer Ordnung, von der wir nicht behaupten, daß es die Ordnung des Ganzen sei, und von der wir nicht behaupten können, daß es die Ordnung vom Ganzen her —





.

.

.

sei. Der Ausdruck „staatliches Leben" ich weiß wohl, was Herr Heuss damit meint geht zu weit; denn wir sind uns ja wohl einig darüber, daß, was wir hier machen, kein Vollstaat ist, weil ihm ja ganz wesentliche Attribute der Staatlichkeit vorenthalten sind, und weil die Volkssouveränität von den Besatzungsmächten nur zum Teil zur Ausübung freigegeben wurde; das Produkt kann aber nur im Verhältnis des Teiles der freigegebenen Volkssouveränität zur ganzen möglichen Volkssouveränität entstehen. Wir haben in Herrenchiemsee bewußt statt „staatliche Ordnung" den Ausdruck „Odnung der Hoheitsbefugnisse" gewählt. Ich halte diesen Ausdruck für glücklich und würde mich freuen, wenn wir ihn hier hereinnehmen könnten. Das Wort „Teillösung" würde vielleicht doch räumlich aufgefaßt werden kön—



nen.

159

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(Dr. Heuss: Es soll sowohl als auch sein, beides!) Sie meinen also mehr als eine räumliche —

stanz

Teillösung, nämlich auch der Sub-

nach?

(Dr. Heuss: Beides.) Glauben Sie nicht, daß der Ausdruck „eine den Aufgaben der zeit dienende —

Ordnung

der

Übergangs-

Hoheitsbefugnisse" gleichzeitig präziser und damit

auch „ausfüllbarer" ist? Dann der Einwand gegen die Partizipialkonstruktionen in der Herrenchiemseer Präambel6). Ich verstehe die allgemeine Abneigung in Deutschland gegen die Partizipialkonstruktionen nicht. Sie stellen natürlich an die Konzentrationsfähigkeit des Lesers Anforderungen7). Ich halte sie aber nicht für eine undeutsche Form. Man hat sie sich nur abgewöhnt, weil sie schwieriger zu handhaben ist. (Dr. Heuss: Wer einmal den Cicero durchgemacht hat, hat es intus.) Das ist die entsetzliche Folge des deutschen Sprachunterrichts in den deutschen Schulen, durch die Sie und ich noch gegangen sind. Gutes Deutsch fand man im Preußischen Exerzier-Reglement, weil darin die berühmten „knappen" Sätze enthalten waren. Gewiß, der knappe Satz ist eine Stilform, aber die Periode ist auch eine Stilform. Ich möchte sagen, es ist die nobelere und eigentlich die humanere, weil sie die Möglichkeit gibt, einen Gedanken in all seinen Verästelungen in einem Satz zum Ausdruck zu bringen und so jedem einzelnen Satze die Dignität eines selbständigen gedanklichen Fortschritts zu geben. die man meinetwegen auflösen kann, Was in diesen Partizipialsätzen steht, wie man will, nämlich: die Feststellung der Legitimität des Prozesses, der Legalität des Prozesses, die Feststellung, daß es sich um etwas handelt, was die volle Bundesrepublik territorial und substantiell vorbereiten soll, etwas, was dazu dient, die Freiheitsrechte des einzelnen Deutschen neu zu stabilisieren und zu schützen; weiter der Gedanke, daß dieses ganze Grundgesetz gemacht wird, um auf einem beschränkten Gebiete des deutschen Staates, ein Provisorium im dreifachen Sinne zu schaffen, räumlich, zeitlich und substantiell, ein Provisorium, dessen einziger Zweck ist, die Hoheitsbefugnisse für die Übergangszeit zu ordnen. Die Legitimität unseres Tuns ist in dem Satz von dem unverzichtbaren Recht auf Gestaltung des nationalen Lebens ausgesprochen, die Legalität in dem Satz „durch seine verfassungsmäßigen und gesetzlichen Organe handelnd", die Kontinuität des deutschen Volkes als eines Staatsvolkes (nämlich nicht als eines bloß kulturellen oder sonstigen Begriffs) ist festgestellt in „Das deutsche Volk in den Ländern Baden" usw., worin weiter auch die Gliederung des deutschen Volkes in Länder zum Ausdruck kommt. Ich glaube, das alles gehört in die Präambel irgendwie hinein. Ich würde mich auch freuen, wenn man sie so zu formulieren vermöchte, daß sie auch von einem schlichten Leser im ersten Anlauf voll begriffen werden könnte, aber ich glaube, man sollte auf alle Fälle alles hineinnehmen, was hineingehört8). —





6) Ebenda. 7) Folgt gestrichen: „Man muß schon einen gewissen Bogen überwölben können." 8) Das Kurzprot. (S. 2) faßte die Aussagen von Schmid wie folgt zusammen: „Dr. Schmid (SPD) ist der Ansicht, daß der Ausdruck .staatliches Leben' zu weit gehe, da dem neuen 160

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Dr. Eberhard: Ich bin sehr dafür, etwas über die Kontinuität hereinzubringen, vielleicht in der Form eines Hinweises auf die Verfassung von Weimar, auf die Unteilbarkeit der deutschen Republik, oder in ähnlicher Form. Die Alliierten haben ja am 5. 6. 1945 bei der Gliederung in Besatzungszonen das deutsche Gebiet umschrieben: „Deutschland" ich übersetze aus dem Englischen „innerhalb der Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937 waren", wird soundso geteilt9). Wir sollten in unserem Rechtsanspruch sicher nicht hinter diese Feststellung zurückgehen. Es handelt sich da nicht nur um Ostdeutschland, es handelt sich da auch um die Saar, um Kehl, es handelt sich um die Benelux-Forderungen und gewisse Forderungen in bezug auf Schleswig-Holstein, die noch nicht in der Richtung auf Grenzänderungen gehen, aber einmal dahin gehen könnten. Wir müssen uns die Rechtsgrundlage, die meines Erachtens da ist, hier in der Präambel proklamatorisch sichern, von der ausgehend dann irgendwelche Verhandlungen über die deutschen Grenzen beginnen können. Dr. Schmid: Die Frage, inwieweit die Weimarer Verfassung noch gilt oder nicht, ist schwierig zu behandeln. Die Weimarer Verfassung gilt meines Erachtens nicht mehr in allen ihren Bestimmungen organisatorischen Charakters. Insoweit ist sie durch den Staatsstreich im Jahre 1933 beseitigt worden; Weiteres ist beseitigt worden durch die Maßnahmen der Militärregierung. Dagegen glaube ich, daß man nicht bloß sagen kann, sondern sagen muß: Die Weimarer Verfassung gilt insoweit weiter, als sie z. B. die Grenzen Deutschlands definiert; es gibt also noch ein deutsches Staatsgebiet, so wie es in der Weimarer Verfassung abgegrenzt worden ist. Soweit sie bestimmte Grundrechte aufstellt, brauchen wir nicht auszusprechen, daß sie weiter gelten, aber wenn es möglich wäre, eine Verweisung des von Kollegen Eberhard vorgeschlagenen Inhaltes zu finden, wäre mir das recht. Dr. Eberhard: Gerade im Hinblick auf die kommenden Sitzungen des Parlamentarischen Rates sollte man Bezug nehmen auf den Artikel der amerikanischen Zeitung „New York Times" vom August, worin gesagt wurde, ein Trumpf in den Händen der westlichen Alliierten sei das Militärabkommen vom 5. Juni 1945 mit der Bestimmung, daß die neuen Grenzen Deutschlands die Grenzen vom 31. Dezember 1937 sein sollen10). Hier sind also die Hitler'schen Grenzän—



Staatsleben die wesentlichen Attribute eines Vollstaates fehlten; auch wendet er ein, daß es sich um die rechtliche Ordnung der Hoheitsbefugnisse nur eines Teiles von Deutschland handele. Er bejaht den Ausdruck .Teillösung', da dieser sowohl räumlich als

auch in der Substanz nach zutreffend sei. Er hält bel notwendig:

folgende

Erfordernisse für eine Präam-

1. Legitimität 2. Legalität 3. Kontinuität des deutschen Volkes als Staatsvolk 4. Vorbereitung der vollen Bundesrepublik 5. Stabilisierung der Freiheitsrechte des einzelnen Deutschen."

9) Statement by the Governments of the United Kingdom, the United States, the USSR, and

the Provisional Government of the French Republic on Zones of Occupation in Germany, 5 June 1945, in: Beate Ruhm von Oppen (Hrsg.): Documents on Germany under Occupation. London [. .] 1955, S. 35. 10) Ebenda. .

161

Nr. 8

Siebente

Sitzung

6. Oktober 1948

in bezug auf das Sudetengebiet und das Memelgebiet ausgeschlossen. Eine solche Äußerung einer immerhin prominenten amerikanischen Zeitung, die gerade anläßlich der Sitzungen des Parlamentarischen Rates gemacht wurde, ist ein Beweis dafür, daß auch wir die Kontinuität in den Weimarer Grenzen beto-

derungen

nen

sollten.

Dr. Weber: Ich möchte mich auch dafür aussprechen, daß die Präambel nicht, wie hier im Minderheitsvorschlag11), mit den Ländern beginnt, also „die Länder

usw., sondern mit dem deutschen Volk. Ferner spreche ich mich auch für die Kontinuität aus, für den Gedanken, daß wir noch mit der Weimarer Verfassung in Verbindung stehen. Es ist natürlich eine Kunst, diesen Gedanken so zu formulieren, daß er stimmt. Deshalb müssen wir aber vermeiden, von unserer „Freiheit" zu sprechen. Ich glaube, darin läge ein Widerspruch; denn wir besitzen sie ja gar nicht. Vor allen Dingen müßte der Gedanke der neuen Ordnung so ausgedrückt werden, daß der Gedanke der Kontinuität nicht zerstört würde. Dr. Heuss: Zu Beginn schlug ich schon vor, statt „neu zu schaffen" „neu zu formen" zu sagen. Der Schlußsatz „um in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die nationale Einheit und Freiheit neu zu gründen" ist in diesem Falle sinnhaft gemeint, um einen Grund zu legen; es soll eine statische Grundlage sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es erscheint mir wichtig, daß wir einmal die Punkte zusammenstellen, die wir unbedingt in die Präambel aufgenommen haben möchten. Wenn wir festgestellt haben, welche Punkte wir in der Präambel verkörpert sehen wollen, müssen wir doch einen Redaktionsausschuß zusammensetzen, der die verschiedenen Meinungen zusammenbringt. Es ist unzweckmäßig, das in der großen Versammlung zu machen, es hält uns nur ungeheuer lange auf. Wie wir gesehen haben, müssen wir zweckmäßigerweise der großen Versammlung immer wieder formulierte Entwürfe vorlegen. Als ersten Punkt möchte ich das herausstellen, was Dr. Zinn an den Anfang gestellt hat. Ich weiß nicht, ob es nicht sehr zweckmäßig wäre, dieses Selbstbestimmungsrecht herauszustellen und als erste Frage zu erörtern. Dieser Gedanke des Selbstbestimmungsrechts ist ja schon in der Atlantikcharta12) aufgetaucht und spielt auch bei den Vereinten Nationen eine Rolle. Vielleicht sollte man das nun in dieser Verfassung niederlegen, es ausdrücklich betonen. Dr. Schmid: Das ist richtig; nur, glaube ich, müßte auch zum Ausdruck gebracht werden, daß wir nicht das volle Selbstbestimmungsrecht ausüben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darin würde schon etwas von der Vorläufigkeit begründet liegen. Ich würde nur nicht diese Verweisung auf die Lehren des Völkerrechts in diesem Maße bringen, wie sie Herr Dr. Zinn vorschlägt, weil das die ganze Präambel sehr schwerfällig macht. Es ist im übrigen überhaupt die Frage,

Baden, Bayern, Bremen, Hamburg"

") Gemeint ist der Minderheitenvorschlag im ChE, vgl. Anm. 5. 12) Atlantik-Charta vom 14. Aug. 1941, Abdr. bei F. Härtung: Die Entwicklung der Menschen- und

Bürgerrechte, S. 96—97; vgl. Hamburg 1948.

Vereinten Nationen.

162

auch Hermann

v.

Mangoldt: Die Kriegsziele der

Siebente Sitzung 6. Oktober 1948 ob

Nr. 8

zweckmäßig ist, uns nur auf die Charta der Vereinten Nationen13) zu stütEs handelt sich hier vielmehr um einen Grundsatz, der durch die ganze Entwicklung des Völkerrechts geht. Die Sowjetrussen haben in ihren Erklärungen von 194214) ausdrücklich dieses Selbstbestimmungsrecht der Völker gemeint, nicht das Selbstbestimmungsrecht, daß sie ihre Grenzen bestimmen, sondern in dem Sinne der inneren Ordnung. Darauf kommt es uns an. Selbstbestimmungsrecht heißt hier: Selbstbestimmung hinsichtlich der inneren Ordnung. Das müßten wir irgendwie zum Ausdruck bringen. Dr. Schmid: Da ist in dem Mehrheitsentwurf von Herrenchiemsee ein Ausdruck gefunden worden: „kraft seines unverzichtbaren Rechtes auf Gestaltung seines nationalen Lebens". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde das an den Anfang setzen: „Kraft seines unverzichtbaren Rechtes auf Gestaltung seines nationalen Lebens" usw., da hätten wir es schon. Es besteht also Einhelligkeit darüber, daß wir dieses Gestaltungsrecht in bezug auf die innere Ordnung irgendwie zum Ausdruck bringen. Damit haben wir schon eine sehr wertvolle Richtlinie für den Redaktionsausschuß. Wo wir diese Sätze über das Selbstbestimmungsrecht dann hinstellen, ist eine andere Frage. Dr. Schmid: Dann muß unbedingt herein, daß es zwar der Substanz nach unveres

zen.

zichtbar,

Vors. [Dr. v. Mangoldt:] aber zur Zeit irgendwie beschränkt ist. Dr. Schmid: Ja, in der Möglichkeit, ausgeübt zu werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Daß also in der Gegenwart eine gewisse Beschränkung -



gegeben ist,

es voll auszuüben. Schmid: Ins Unreine: „Nach (Dr.

oder

so

ähnlich.)

Maßgabe der derzeitigen Beschränkungen"

Ich weiß nicht, ob man das nicht in einem anderen Zusammenhang bringen sollte. Ich bin mir vollkommen darüber klar: wenn wir dieses unverzichtbare Recht auf Gestaltung der inneren Ordnung ausüben, dann kann nachträglich von den Besatzungsmächten gesagt werden: In den und den Teilen, die ihr festgelegt habt, können wir euch heute dieses Recht der Gestaltung und das Recht der Ausübung dieser Funktionen noch nicht voll gestatten. Wäre das nicht ein Schritt weiter? Weil wir nicht wissen, wie die Dinge fortschreiten, müssen wir ja zunächst vielleicht etwas mehr fordern an Ausübung von Hoheitsrechten, als uns gewährt werden wird. Wenn wir von vornherein sagen, wir sind in unserem Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der inneren Ordnung beschränkt, dann stellen wir nicht die volle Lebensordnung auf, die wir aufstellen müssen, um überhaupt als demokratisches Staatswesen anerkannt zu werden. Dr. Schmid: Das tun wir sowieso nicht. Wir stellen ja nur einen Teil der möglichen vollen Lebensordnung auf, der Substanz nach gesehen. Wir stellen keiner—



13) Charta der Vereinten Nationen vgl. Anm. 3. 14) Ernst Deuerlein: Die Einheit Deutschlands, Bd. 1, wie Martin Holch: Die Konferenz blanca. Diss. Köln 1967.

von

2.

A., Frankfurt/Main, Berlin 1961

Teheran 1943 und ihre

Vorgeschichte

so-

seit Casa-

163

Nr. 8

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6.

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lei Ordnungen auf für all das, was ein Staat nach außen hin zu tun vermag, für seine Möglichkeit und Fähigkeit zur Selbstbehauptung nach außen. Das ist uns

versagt.

Mangoldt]: Wir unterstellen doch die Möglichkeit völkerrechtlicher Beziehungen. Das ist im Kompetenzausschuß festgestellt, daß man das aufnehVors. [Dr.

v.

solle15), daßDr. Schmid: Aber das alles ist nur sehr vage. Das Entscheidende, das Durchsetzen und Sichbehaupten nach außen, ist uns ja genommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde ich vorschlagen, daß man das vielleicht in dem Sinne zum Ausdruck bringt: „In der Erkenntnis, daß die volle Verfügungsfreiheit noch nicht gegeben ist". In irgend einer Form muß es hereinkommen, darüber bin ich mir klar. Dr. Schmid: Ein Hinweis darauf, daß wir nicht die plenitudo supremitatis ausüben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wäre z. B. wichtig, in der Präambel zum Ausdruck zu bringen, daß die Grundrechte natürlich nur soweit gewährleistet werden können, wie das Besatzungsregime dazu die Möglichkeit gibt. (Dr. Schmid: Darüber sind wir wohl alle einig, daß das auch herein muß.) Einer der nächsten Punkte, die ich mir notiert habe, wäre vielleicht der wichtigste. Ich stimme mit Herrn Kollegen Schmid vollkommen darin überein: es muß irgendwie zum Ausdruck kommen, daß diese Ordnung nur die Ordnung für einen Teil Gesamtdeutschlands ist. Nach der Richtung bin ich der Auffassung, daß das eigentlich nur im Namen zum Ausdruck kommen kann. Ich habe Sie zum Teil so verstanden, daß der Begriff des Deutschen Reiches oder der deutschen Bundesrepublik praktisch von uns im Augenblick noch nicht verwendet werden kann, weil nur das geeinte Gesamtdeutschland auf diesen Namen Anspruch erheben kann. Das ist eine der schwierigsten Fragen. Dr. Schmid: Es sei denn, daß wir erklärten: Wir begründen hier die deutsche Republik und setzen sie von hieraus im Osten durch16). Das ist eine politische Entscheidung, bei der man wissen muß, welches Ausmaß von Risiko man einzubringen imstande ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich sehe das absolut als politische Entscheidung. Da würde es interessant sein, die Meinung von Herrn Kaiser zu hören. Vom Osten her gesehen würde ich diese Namensgebung so ansehen, daß dort leicht das Gefühl auftreten kann: Ihr wählt einen Namen, in dem ihr uns von vornherein ausschließt; ihr beansprucht einen Namen für euer neues Gebilde, das nur eiEs ist wesentlich, nem Staatswesen zukommt, in dem wir auch mitgehen. sich das klarzumachen. Kaiser: Wir haben über diese Angelegenheit in Berlin nicht nur viel nachgedacht, sondern auch viel gesprochen. Wir sind anderer Auffassung als Sie. Wir von Berlin und vom Osten aus wünschen ausdrücklich, daß das, was hier gestaltet wird, in seinem Kennwort und in seinem Inhalt Anspruch darauf erhebt, Deutschland zu sein. Wenn wir das nicht tun, sondern uns nur auf diese Gemen



15) Vgl. Der Pari. Rat Bd. 3, passim. 16) Korrigiert aus „Wir begründen es hier und führen von dort aus den eigenen Weg hinein. 164

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biete beschränken, entsteht die Gefahr, daß man drüben das Gegenteil macht, und die deutsche Republik mit dem Vorort Berlin begründet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin genau der gleichen Auffassung, daß wir in der Gestaltung den Anspruch erheben müssen, eine Ordnung zu schaffen, die von dem Ganzen ohne weiteres übernommen werden kann. Kaiser: Es war immer unsere größte Sorge, daß hier eine staatliche Ordnung geschaffen wird, die nur eine Ordnung für Westdeutschland ist.

(Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]: Nein!)

Aber Sie haben auf Grund der Verhältnisse zunächst nur Wirkungsmöglichkeit für den westdeutschen Raum. Die Ordnung muß so aufgebaut werden, daß sie für ganz Deutschland gelten kann. Das wünschen insbesondere auch unsere Menschen in der Ostzone, und wir sind von ihnen ausdrücklich autorisiert, als ihre Sprecher und Vertreter aufzutreten. Dr. Schmid: Ich bin an sich diesem Gedanken durchaus zugänglich. Ich sage nur: es geht dabei um eine politische Entscheidung. Man muß sich überlegen, was man für ein Risiko eingeht und eingehen will, wenn einen Sinn haben soll, was wir tun. Es bedeutet ja: wir richten nicht nur eine provisorische Ordnung im Fragment auf, sondern die volle Deutsche Bundesrepublik wird hier im Westen aufgerichtet. Wenn wir das tun, dann müssen wir jeden, der uns irgendwo in Deutschland das Recht bestreitet, für das Ganze zu stehen, als Hochverräter verfolgen, und dann muß jeder für uns, der drüben jenseits der Demarkationslinie Hoheitsrechte in Anspruch nimmt, die nicht von diesem Grundgesetz abgeleitet sind, ein Hochverräter sein und sofort vom Generalanwalt des Bundesgerichts verfolgt werden. Wenn wir da nicht den Mut zur Konsequenz hätten, wäre unser Anspruch eine leere Deklamation. (Dr. Heuss: Wenn wir hier sagten: „Das deutsche Volk in den Ländern Baden usw.", so gibt das sozusagen nur einen Tatbestand, und von dem aus gilt die Sache heute für uns. Aber der Anspruch als solcher ist moralischpolitischer Natur und steht außerhalb Ihres Generalanwalts!) Ich wollte noch hinzufügen: Wir müssen dann in die Präambel noch eine zusätzliche Begründung für die Legitimität unseres Tun hineinbringen, nämlich, daß wir uns nicht nur für legitimiert halten durch das deutsche Volk, das uns in den aufgezählten Ländern gewählt hat, sondern auch durch das deutsche zwar nicht legal im Sinne gesetzlicher Volk jenseits des eisernen Vorhangs Formen, aber legitim von der inneren Zustimmung und einem stummen Auftrag —





aus.

Innerhalb der unzähligen Entwürfe, die ich mir selber im Laufe der letzten Wochen für den Namen zurechtgemacht habe, ist folgender der von dem Mehrfür die vorläufige Ordheitsvorschlag in Herrenchiemsee ausgeht: .erläßt nung der Bundesrepublik Deutschland folgendes Grundgesetz", wobei die Vorläufigkeit sowohl zeitlich als auch räumlich als auch dem Gehalt nach verstanden werden kann. Damit hätten wir ausgesprochen, daß es sich bei unserem Werk um eine gesamtdeutsche Angelegenheit handelt, daß diese Angelegenheit aber vorläufig ihre Formung nicht vom gesamten deutschen Volke her, sondern nur von einem Teil bekommen kann, daß dieser Teil aber stellvertretend für das Ganze auftritt, von dem ein Teil noch nicht auftreten kann, und daß die —

...

165

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unmittelbare Anwendbarkeit dieses Grundgesetzes sich beschränkt auf das Gebiet, dessen Bevölkerung nicht nur legitimiert, sondern imstande ist, seinen Anspruch auf legale Weise zu erheben. So könnten wir es meines Erachtens machen. Wir haben dann nicht ein gesondertes politisches Gebilde gegründet, sonnämlich für den Teil des gesamdern lediglich für einen Teil des Gesamten eine vorten deutschen Staatsgebietes, dessen Bevölkerung sprechen kann etwa als nicht wir die als Ordnung gesamtdeutsche Ordnung, gesetzt, läufige eine separate Ordnung betrachten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin ganz Ihrer Auffassung. Ich glaube, darüber besteht, soviel ich sehe, Einigkeit im ganzen Ausschuß, daß unbedingt, wenn ich einmal so sagen darf, ein Bekenntnis zu Gesamtdeutschland hier hineingehört, und eine Präambel ist ja ein sehr geschickter Ort, um dieses Bekenntnis aufzunehmen. Ich würde dieses Bekenntnis schon darin sehen, daß man stärker als es der Herrenchiemseer Entwurf herausstellt, daß alle Teile Deutschlands in einer „Bundesrepublik Deutschland" zu einigen oder zu organisieren sind; auf der auch da stimme ich dem Kollegen Schmid vollkommen zu anderen Seite kann man eben diesen Begriff, der damit hier an die Stelle von „Bund deutscher Länder" oder von einer „vorläufigen Bundesrepublik Deutschland" gesetzt wird, noch nicht verwenden. Sie ist nämlich noch nicht da. Wir müssen zum Ausdruck bringen, daß unser ganzes Sinnen und Trachten darauf geht, dieses Grundgesetz aufzustellen als das, was diese zukünftige, einfach durch Erweiterung herzustellende Bundesrepublik Deutschland trägt, daß sie aber praktisch noch nicht da ist; denn sonst schließen wir die östlichen Länder praktisch aus. Das ist die Gefahr, die ich da politisch sehe. Dr. Schmid: Deutschland besteht auch staatlich weiter, braucht nicht neu konstituiert zu werden. Die Weimarer Republik besteht also noch, sie ist aber zu einem Teil neu zu organisieren, weil ihre Organisation zerstört ist. Diese Neuorganisation kann aber nur auf einem Teile Deutschlands und nur durch einen Teil des deutschen Staatsvolkes vorgenommen werden. Darum, und weil bestimmte Auflagen von den Besatzungsmächten gemacht worden sind, ist es notwendig, diese neue Organisation in ihrem notwendig fragmentarischen Charakter in Erscheinung treten zu lassen. Sie ist es im Raum, sie ist es in der Zeit, und sie ist es der Substanz nach. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber diese Neuorganisation erhebt den Ansprach, Nachfolgerin der alten Republik Deutschland zu sein. Dr. Schmid: Sie ist die Form, in der sich diese Republik auf einem bestimmten Gebiet heute allein darzustellen vermag, sie ist, möchte ich sagen, ihre heutige Erscheinungsform, und zwar eine Erscheinungsform unter sehr unnormalen Bedingungen. Wären die Bedingungen normal, wäre ihre Erscheinungsform anders, als wir sie uns heute leisten können, (Vors. [Dr. v. Mangoldt] : Die Formen der Hoheitsausübung in diesem Gebiet werden neu organisiert.) um „Eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsbefugnisse zu schaffen." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Und zwar, aus den Beschränkungen heraus, vorläufig nur in einem Teil. —









166

Siebente Sitzung 6. Oktober 1948 Zinn: Ich würde die Länder in einer Präambel gar nicht aufführen. (Kaiser: Wenn das gelänge, die Länder auszulassen, würde ich das

Nr. 8

begrü-

ßen.) in der Präambel ist ein Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht, das in Anspruch nehmen. Dann kann man weiter sagen: Dieses Grundgesetz gilt in dem Gebiet, in dem dieses Recht zur Zeit ausgeübt werden kann. Damit ist es doch in seinem Geltungsbereiche schon gekennzeichnet. In irgendeiner anderen Vorschrift der Verfassung kann man ersehen, daß es zunächst in

Nötig

wir für —

uns

den und den Ländern

gilt.

Damit wäre ich einverstanden, daß man die Länder aus Man muß sowieso noch einen Teil machen über die Präambel herausläßt. der hier nicht die berücksichtigt worden sind, in dem man etwas über die Dinge, Volkssouveränität sagt, allgemeine Sätze, in denen auch das Nötige über die Gliederung niedergelegt wird, die vorläufige Gliederung in Länder, und wo man gleichzeitig den Artikel über die Neugliederung der Länder im Sinne des Art. 18 Weimarer Verfassung unterbringt, so daß wir außer den Grundrechten, die wir an den Anfang stellen, noch einen solchen allgemeinen Teil haben vor dem Teil der eigentlichen Organisation. Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

(Zinn: Geltungsbereich!)

woran sich dann die völkerrechtliche Souveränität anschlösse. Ich würde auch die Sätze über die Neugliederung nicht erst so spät wie in Art. 18 Weimarer Verfassung dahintersetzen, sondern gleich auf die Grundrechte die Gliederung folgen lassen, dafür aber einiges darüber hier in der Präambel weglassen. Zinn: Wir müssen es abstellen auf das Gebiet, in dem das Recht der Selbstbestimmung zur Zeit ausgeübt werden kann. Schließlich müssen wir auch betonen, daß die deutsche Republik, die Weimarer Republik, als solche noch besteht. (Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Kontinuität!) Wir müssen vom Standpunkt des Kollegen Kaiser aus alles vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, als wenn wir durch Schaffung eines Staatsgrundgesetzes") den Staatszerfall billigen. Dr. Heuss: Ich habe ein bißchen Sorge, wenn wir an den Anfang eine Deklaration setzen: Wir sind die freien Deutschen, die anderen sind nicht frei. Wir müssen das vermeiden, damit wir nicht von Anfang an eine falsche Polemik hereinbekommen. Bei dem Zustand der Presse in den östlichen Ländern käme denen drüben das sehr gelegen. Ich bin mir infolgedessen nicht ganz klar, ob wir auf die Länderaufzählung verzichten sollen. Ich lege an sich keinen Wert darauf, aber wir müssen es hier ja geographisch sehen. Dr. Schmid: Ich habe mir auch etwas ausgedacht: „auf dem Teile Deutschlands, dessen Bevölkerung ihren Willen in Freiheit zum Ausdruck bringen kann." Das könnten wir tun. Wir sind zwar nicht frei, den ganzen Umfang des möglichen konstitutiven Gebildes selbst zu bestimmen, aber wir können unseren Willen und unsere Meinung in Freiheit zum Ausdruck bringen. Das wäre also eine

Ja, den Geltungsbereich,





17) Korrigiert

aus

„durch diese westliche Institution". 167

Nr. 8

Siebente

Sitzung

6.

geographische Limitierung,

Oktober 1948 die

vom

Politischen her

dargestellt werden

Dann brauchen wir die Länder nicht aufzuführen. (Dr. Heuss: Sie fangen dann aber die Präambel mit einer

mik an!) Soll es auch! Ich finde Spitze hat.

es

gut,

wenn

diese Präambel eine

könnte.

politischen Poleausgesprochene



Das haben uns der Volkskongreß und der Volksrat18) ja haben Sie erklärt, sie bestimmen frei die Verfassung Deutschlands, vorgemacht. haben zumindest den Versuch gemacht. Das wäre also beinahe so etwas wie eine Retourkutsche. Dr. Schmid: Eine Wahrheit nicht aussprechen, nur weil dies als eine Retourkutsche wirken kann, warum nicht? Dr. Heuss: Ich möchte nicht falsch verstanden werden, es wirkt ein bißchen journalistisch. Ich kann das sagen, da ich wohl selber hier als journalistisch abgestempelt bin. (Vors. [Dr. v. Mangoldt] : Also die Ländergliederung soll dann hereinkommen?) Ich verstehe den Einwand schon. Ich selber bin gar nicht so scharf darauf. Kollege Zinn hat ja auch Baden gleich weggelassen. Zinn: Doch, bei mir steht es drin!) (Heiterkeit. Nein, Sie haben es nicht drin! Dr. Schmid: Die Länder sind in dem Mehrheitsvorschlag von Herrenchiemsee zweimal erwähnt, aus zwei Gründen. Einmal mußte ja eine Basis für die Möglichkeit geschaffen werden, daß die Konstruktion: Was auftritt, ist das deutsche Volk und sind nicht die Länder, überhaupt durchging. Das war nicht ganz leicht. Wenn dies hier für überflüssig gehalten wird, bin ich der Erste, der sich freut, wenn man die Länder streicht. Zum zweiten bestand die Notwendigkeit, den Anwendungsbereich territorial eindeutig zu umschreiben. Wir hatten uns hinundher überlegt, wie man es besser machen könnte, fanden aber keine Lösung. Hier sind die Länder lediglich „Quadratkilometer", nicht etwa RechtsträVors. [Dr.

v.

Mangoldt]:









ger. Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Man kann ja auch nicht auf die Ordnung satzungsregime abstellen; das darf man nicht.

unter dem Be-

Dr. Schmid: Wir sollten auf keinen Fall die Zonen hereinnehmen und sie damit konstitutionalisieren. Wenn wir die Gleichung wagen wollen: Die Länder unter westlicher Besatzungshoheit sind Länder, in denen das Volk seinen Willen frei zum Ausdruck bringen kann, dann ist ja der Satz: „in dem Teil Deutschlands, dessen Bevölkerung seinen Willen in Freiheit zum Ausdruck bringen kann", eine zureichende geographische Bezeichnung. Dr. Heuss: Ich finde, das wäre eigentlich ein bißchen viel behauptet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist das Gebiet der Länder, aus denen diese repräsentative Versammlung entstanden ist. Wir werden doch praktisch als Verfassungsgeber tätig, sind entsandt als Repräsentanten von diesen Ländern. Damit würden wir das Gebiet fassen.

1B) Dok. Nr. 2, Anm. 168

12.

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Dr. Schmidt „Dem Gebiet Deutschlands, dessen Bevölkerung zu dem am soundsovielten in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat Vertreter entsandt hat", dann haben wir auch Berlin drin, denn es hat ja auch Vertreter ent-

sandt.

Kaiser: Uns müßte die hohe Kunst gelingen, die, die nicht da sind, mit anzuWir müßten sagen, daß die anderen „unerlösten Brüder" mit uns in

sprechen.

diesem Willen übereinstimmen. Ich meine, das kann Dr. Schmid: „Im Bewußtsein der

Übereinstimmung

gelingen.

mit allen freiheitsliebenden

Teilen des gesamten deutschen Volkes", oder so ähnlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden wir auch um diese Frage der Gebietsbestimmung herumkommen. Wir würden das einschließen, würden das Bekenntnis doppelt drin haben Dr. Schmid: Dann wären wir auch logisch berechtigt, am Schluß zu sagen: .erläßt für die vorläufige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland folgendes Grundgesetz". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann wäre noch die Frage des Namens, die man nicht dem Redaktionsausschuß überlassen kann; wir müßten ihm Richtlinien mitgeben. Es sind ja noch eine Reihe anderer Fragen zu behandeln, deren Besprechung wir morgen fortsetzen. Wenn wir aber dem Redaktionsausschuß gleich die Weisung mitgeben und das in dieser Woche noch zu Papier geben können, könnten wir das Anfang der nächsten Woche beschließen und hätten dann auch die Präambel fertig. Dr. Schmid: Ich glaube, es wird leicht gehen. Ich glaube, daß wir in bezug auf die Völkerrechtsbestimmungen die Herrenchiemseer Vorschläge glatt übernehmen können; außerdem die Bestimmungen über19) das automatische Außerkrafttreten.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es bliebe noch die Frage des Namens. Kaiser: Herr Dr. Schmid ist wohl der einzige Mann, der in Herrenchiemsee dabei war. Ist der Begriff „Deutsches Reich" überhaupt noch diskutiert worden? Dr. Schmid: Nein, der Begriff ist gar nicht besprochen worden. Man hat es

nicht bewußt unterlassen, aber es kam niemand darauf zu sprechen. (Dr. Weber: Darauf wäre ich sofort gekommen.) Nun gibt es Gründe psychologischer Art genug, die einen veranlassen könnten, auf diesen Namen bewußt zu verzichten. Das Wort „Reich" hat nun einmal bei den Völkern um uns herum einen aggressiven Akzent. Das Wort „Reich" wird von diesen Leuten gelesen als ein Anspruch auf Beherrschung. Dr. Heuss: Naumann20) hat im Jahre 1918 einen dahingehenden Zwischenvorschlag gemacht, auf den er dann verzichtet hat, weil er sagte: es wird dann übersetzt als empire im Englischen oder Empire im Französischen. Wir haben aber keinen Kaiser mehr. Er wollte auch auf diesen Bund zurückkommen. In der Zwischenzeit ist das Wort „Reich" zu einem Fremdwort in der Welt geworden, aber mit dem soupçon, von dem Sie sprechen; es hat den aggressiven Ton —

19) Folgt gestrichen: „die zeitliche Begrenzung, 20) Dok. Nr. 4 Anm. 18.

Dauer des Bundes".

169

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6.

Oktober 1948

bekommen, und das empire-Empire ist durch Abwesenheit eines Kaisers eigentlich ein bißchen überholt. Beim Englischen hat es sich wohl von der monarchischen Geschichte gelöst. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, gerade nicht. Es ist das rex-regnum, Reich! Dr. Heuss: Darum wollte Naumann die Republik nicht mehr „Deutsches Reich" nennen.

Volkspsychologisch schwingen in dem Wort „Reich" eine Reihe gefährliche Untertöne, ein Glaube an eteine Weltsendung im Sinne von „am deutschen Wesen soll dereinst

Dr. Schmid:

sehr schöner Untertöne mit, aber auch was

wie

die Welt genesen". Das alles ist in dieses Wort „das Reich" eingegangen. Erinnern Sie sich daran, wie die Romantik das Wort „Reich" gebrauchte, wie sie vom Reich in einem Sinne sprach, in dem vor allem der Wille zur Dienstbarkeit für die anderen begriffen war: „Die du wehrlos Rat gibst unter den Völund erinnern Sie sich, wie das dann in der Bismarckschen Zeit ankern", ders wurde, wie „Reich" zu einem Ding ausgesprochener Machtpolitik wurde, wie es für einen Machtanspruch stand, in den alle möglichen irrationalen Elemente eingeströmt sind, die sich dann, das reine Wollen von einst pervertierend, selbständig machten und die Deutschen der Kontrolle der Vernunft entvon der Kaiser-Geburtstagsfremdeten. Wenn man weiß, was daraus wurde Eloquenz der akademischen Stiftungsfeste bis zum Alldeutschen Verband und dann über die Jugendbewegung hinweg bis in den Nationalsozialismus hinein möchte es vielleicht doch geraten sein, dieses Wort fallen zu lassen und das nüchterne „die Deutsche Republik" zu wählen. In dem Wort Republik liegen auch eine ganze Menge Ansprüche und Inhalte, allerdings solche, die nach innen gehen, während „Reich" Ansprüche nach außen stellt, zumindest aber können sie daraus wie aus der Büchse Pandoras auffliegen! Vors. [Dr. v. Mangold]: Ich stimme dem vollkommen bei, vor allen Dingen deshalb, weil gerade in der Nazizeit der Begriff des Reiches eine solche Auslegung gefunden hat und später immer wieder in einer Art und Weise behandelt wurde, die am Ende das enthält, was Dr. Schmid eben ausgeführt hat. Wenn ich höre ich habe es von vielen Seiten gehört —, daß gerade in der Jugend nach dem Begriff „Deutsches Reich" gestrebt wird, dann liegt dem gerade das zugrunde, was wir eigentlich nicht wollen, nämlich dieses Machtstreben und dieser Satz: Am deutschen Wesen wird dereinst die Welt genesen. Kaiser: Ich meine nur, wir müssen wissen, was wir tun. Wir geben damit einen bedeutenden Grundsatz auf. Ich habe immer wieder gefunden, auch in der Ostzone, in Leipzig, Dresden usw., wie sich, wenn man den Gedanken vom Reich in gehaltener Sprache hat anklingen lassen, unser Volk bewegt in dieser trostlosen Zeit, in der wir sind. Meine größte Sorge ist es, daß wir, wenn wir den Begriff Reich aufgeben und zu nüchternen Formulierungen übergehen, in einer Reihe von Jahren in unserem Volke wieder eine Bewegung lebendig werden sehen, die wieder nach dem Reiche ruft. Wir müssen das bedenken und müssen darauf achten. Es ist ja merkwürdig, wie stark selbst den nüchternen Menschen, die hier im Parlamentarischen Rat sitzen, der Begriff Reich in Fleisch und Blut übergegangen ist, selbst unseren bayerischen Freunden. Immer wieder springt ihnen das Wort Reich in den Mund. Es ist eben ein schönes Wort. —









170

Siebente Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

gebung. Dr. Schmid: Vielleicht

he21)

zu

Nun machen wir

gelingt

es

nur

Sitzung

nicht die

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endgültige Verfassungs-

einmal, auch dem Wort Republik seine Wei-

geben.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wäre eine Aufgabe. Dr. Heuss: Die Sache mit der Bundesrepublik Deutschland stammt nicht von mir persönlich, sondern von einem meiner Freunde22). Das steht auch in den Ellwanger Vorschlägen23). Mit dem Worte „Deutschland" geben wir dem Ganzen ein gewisses Pathos, was „deutsche Länder", „Union" und was auch „Deutsche Republik" nicht hat. Das Wort „Deutschland", in sich ruhend, bekommt dann etwas Pathos sentimentaler und nicht machtpolitischer Art. Die Ausführungen über die Romantik usw. waren sehr schön, aber das ist bei den Deutschen verloren gegangen. Das sind noch ein paar katholische Literaten, aber bei den anderen ist der Bismarcksche Begriff in das Bewußtsein gegangen. Der alte Reichsgedanke, der auch ein Sorgegedanke für die anderen war, ein Herrschaftsgedanke verbunden mit Verpflichtungen, der ist mit dem kleindeutschen Reich zu Ende gewesen. Dr. Schmid: Er ist aber sehr wirksam wieder aufgelebt in der Jugendbewegung und dann von dort in pervertierter Form in das Dritte Reich getragen worden. Dr. Heuss: Dort ist er ja nur hereingeschwindelt. Dr. Schmid: Nicht bei denen, die damals wirklich geglaubt haben. Es gab ja 1933 durchaus Leute, die sich von etwas Großem getragen fühlten. Ich habe nie angestanden, das zu sagen. Dr. Heuss: Aber die Hitlersche Mystik hat weder mit diesen noch mit jenen eine

Übereinkunft.

Dr. Weber: Ich würde

fühl für die mer

es

wenn wir zu rational wären und kein Gehätten und für das, was in der großen Politik im-

bedauern,

Imponderabilien mitschwingt.

Dr. Schmid: Schaffen wir doch einmal auch nüchternen Dingen die Kraft von Imponderabilien ! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir müssen dieses Gespräch morgen noch fortsetzen. Ich hoffe, daß wir dann die Grundlage für die Formulierung festlegen können. Wir treffen uns also wieder morgen früh

um

9 Uhr.

21) Korrigiert aus „eine gewisse Weihe". 22) .persönlich, sondern von einem meiner Freunde" handschr. hinzugefügt. Einige Jahre später, im Jahre 1956, gab Heuss hierzu eine andere Version. Auf einem Fragebogen von Pfeiffer zur Vorbereitung seiner Geschichte des Pari. Rates notierte er: „Doch ist es, vom Historischen her, vielleicht interessant, daß der Namensvorschlag .Bundesrepublik Deutschland' von mir kommt und auch die .Bundesversammlung' meine .Erfindung' ist, die freilich aus einer Zeit stammt (und dem F.d.P-Vorstand vorgetragen wurde), als von dem Parlamentarischen Rat noch gar nicht die Rede war" (Z 5 Anhang/1, Bl. 85). 23) Abdr. bei W. Benz: Zur Geschichte des Grundgesetzes, S. 333 ff.; derselbe: Föderalistische Politik in der CDU/CSU. Die Verfassungsdiskussion im „Ellwanger Kreis" 1947/48. In: VfZ 25 (1977), S. 776-820. Im Pari. Rat wurden die Ellwanger Vorschläge als Drucks. Nr. 74 verteilt. 171

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Achte

Sitzung

des Ausschusses für 7.

Oktober 1948

Grundsatzfragen

Z 5/30, Bl.

49-1601). Stenogr. Wortprot. vom 12. Okt. 1948, Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 103-106. Druck. Nr. 172

von

Reynitz

gez.

Anwesend2) : CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Kaufmann, Kroll, Weber SPD: Bergsträsser, Schmid, Wunderlich, Zimmermann, Zinn FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Eberhard (SPD), Kaiser (CDU)

Stenografischer

Dienst: Dauer: 9.15-12.26 Uhr

Reynitz

[1. BERATUNG DER PRÄAMBEL, FORTSETZUNG]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich eröffne die heutige Sitzung und schlage vor, daß wir zunächst die Aussprache über die Präambel fortsetzen. Ich bedaure, daß Herr Dr. Pfeiffer noch nicht da ist3) er hat heute nur bis V2 11 Uhr Zeit —, aber wir müssen jetzt anfangen. Wir könnten dann den Abschluß der Beratung über die Grundrechte auf etwa 11 Uhr ansetzen, so daß wir heute in der zweiten Hälfte die Grundrechte abschließen können. Ich darf Ihr Einverständnis —

dazu annehmen. Wir müßten uns heute zunächst noch einmal über die Frage des Namens unterhalten. Dazu liegen zunächst die Vorschläge von Herrn Dr. Zinn vor4), und außerdem hat Herr Dr. Schmid vorgeschlagen, es solle in der Schlußformel der Präambel heißen „die vorläufige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland". Darf ich um Wortmeldungen zu dieser sehr wichtigen Frage bitten, denn der Redaktionsausschuß müßte hier ja von festen Grundlagen ausgehen können. Dr. Schmid: Aus politischen Gründen ist es wohl notwendig, dem Gebilde, das im Westen Deutschlands geschaffen werden soll, einen Namen zu geben. Es wird wohl nicht genügen, es lediglich mit einer „Bezeichnung" zu versehen. Nomina sunt omina. Wenn wir den Leuten im Osten nicht sagen können, daß wir irgendwie heißen, werden sie beim Blick zu uns herüber vielleicht das Gefühl haben, ins Leere zu blicken. —



!) Bl.

161-181

(S. 2, 3, 5, 18, 26, 38, 40, 41, 63, 67, 68, 74, 76-78, 91, 96, 107,

108

der

ur-

sprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben.

2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Dr. Pfeiffer ist soweit die Wortbeiträge erkennen lassen zung nicht mehr erschienen. —

auch im Verlaufe der Sit—

4) Als eigenständiges Papier ließen sich diese Vorschläge nicht ermitteln. Sie wurden im nachhinein von Zinn vorgetragen. 172

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Wie findet man einen Namen, der die Realität genau auswenig und nicht zuviel sagt? Ein Name, der irgendwie gedeutet werden könnte als Name für ein separates Gebilde, in dem auch nur das Wort „westdeutsch" vorkäme, wäre von vornherein ein Unglück. Es muß ein Name gewählt werden, bei dem das Gesamtdeutche in der Natur dieses Gebildes ganz klar zum Ausdruck kommt; aber dieser Name muß in einen Zusammenhang gestellt werden, aus dem sich klar ergibt, daß unser Werk nicht den Anspruch erhebt, Gesamtdeutschland zu sein. Es muß sichtbar werden, daß es nach wie vor die politische und konstitutionelle Realität „Deutsche Republik" gibt, und daß das Gebilde im Westen eine durch die Zeit bedingte, räumlich und substantiell beschränkte Erscheinungsform dieser Deutschen Republik ist. Ob man alles das durch einen adäquaten Namen decken kann, scheint mir zweifelhaft. Ich habe mir die redlichste Mühe gegeben schon in Herrenchiemsee —, einen einigermaßen tauglichen Namen zu finden. Ich muß gestehen: es ist mir sehr viel an möglichen Bezeichnungen eingefallen, aber keine einzige dieser Vokabeln konnte mich zufriedenstellen; ich habe sie alle miteinander wieder verworfen. So bin ich schließlich dabei hängengeblieben, nicht der Gebietskörperschaft als solcher einen neuen Namen zu geben, sondern den Namen „Die deutsche Bundesrepublik" als den Namen des Ganzen5) zu wählen und durch die Apposition Die

Frage

ist

nun:

drückt, der nicht

zu



zur Bezeichnung „Grundgesetz" zum Ausdruck zu bringen, was ausgedrückt werden soll, und inwieweit unser Werk kein „Vollwerk" ist sondern ein in sich limitiertes Werk Daher kam der Vorschlag, die Präambel so zu schließen: „Das deutsche Volk erläßt für die vorläufige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland folgendes Grundgesetz". (Dr. Heuss: Das ist sehr wichtig, weil Sie vorhin sagten „die deutsche Bundesrepublik" und jetzt „die Bundesrepublik Deutschland".) Entschuldigen Sie, ich habe mich versprochen. Daß es sich um etwas handelt, das sich nur auf einem Teilgebiet dieser Bundesrepublik realisiert, muß dann vorher stehen. Das wäre der Vorschlag, den ich zu machen habe, und die Begründung, die ich dafür geben möchte. Zinn: Ich würde vorschlagen, einfach von der Republik Deutschland zu reden, und zwar deshalb, weil wir ja ausgehen von der Auffassung, daß wir Deutschland als Staat, die Weimarer Republik als solche, als noch bestehende Institution, anerkennen wollen, weil außerdem an einer Stelle des Grundgesetzes die Bestimmung vorgesehen ist: „Die Farben des Bundes sind die Farben der deutschen Republik." Deshalb würde ich einfach bei dieser Bezeichnung bleiben. Dr. Bergsträsser: In der hessischen und württembergischen Verfassung steht: oder Württemberg Hessen ist ein Glied der deutschen Republik. Dr. Heuss: Ich bin in dem Falle für Bundesrepublik lediglich aus politischen Tagesüberlegungen. Den Leuten und auch mir fällt das im Augenblick erst ein, weil wir den sogenannten föderativen Typ machen wollen. Es wäre lächerlich, —



5) In der Vorlage korrigiert



aus

des Landes".

„. .

.

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wegen dieser Geschichten Auseinandersetzungen mit den Militärgouverneuren zu kriegen. Das könnte schief gehen. Ich würde aber mit Rücksicht gerade auf die bayerischen Meinungen und auch mit Rücksicht auf unsere Aufforderung an die Länder drüben das „Bundesrepublik" als Entgegenkommen, als politischfaktisches Entgegenkommen ansehen. Zimmermann: Man könnte ja sagen: .Mitglied der deutschen Bundesrepublik zu

werden".

Dr. Schmid: Dann müßte etwa Südbaden seinen Beitritt durch Verfassungsänderung erklären?! Dr. Heuss: Das ist eine scheußliche Geschichte6). Zinn: Gerade um den Anschein zu vermeiden, daß wir etwas Neues schaffen sollen, dem man beitreten kann, würde ich an die alten Sätze anknüpfen. Art. 1 der Weimarer Verfassung sagt: „Das Deutsche Reich ist eine Republik". Da haben wir einen Anknüpfungspunkt. Wir schaffen als Treuhänder des Volkes innerhalb der Republik, dieser desorganisierten Republik, jetzt eine neue staatli-

che

Ordnung.

(Dr. Bergsträsser: Der bundesstaatliche Charakter kommt aber besser zum Ausdruck in der ganzen Konstruktion in „Bundesrepublik Deutschland".) Das ergibt sich nachher schließlich aus der Konstruktion des neuen Gebildes selbst. (Zimmermann: Aus dem Namen wird der Inhalt schon gekennzeichnet.) Aber der Eindruck, daß die Kontinuität erhalten geblieben ist, wird beein—



trächtigt.

(Dr. Schmid: Das glaube ich nicht.) Kaiser: Ich möchte bitten, daß man mit Rücksicht auf den Osten nicht „Bund" braucht, denn die Menschen denken drüben anders. Es wäre am besten, wenn wir an die Gegebenheit von gestern anknüpfen: Republik Deutschland. Über „Bundesstaat" könnte man auch diskutieren. Wir hatten ja gestern abend noch eine Debatte darüber. Wollen wir wirklich ein Bund von Staaten werden? Gewiß, die süddeutschen Länder tragen Staatscharakter. Aber ich meine, wir stimmen doch wohl alle darin überein, daß die übrigen Länder, die Nachfolgeländer von Preußen, keine Staaten in altem Sinne werden sollen. Deswegen möchte ich, daß wir das nicht zu sehr betonen. Wenn also die Formulierung mit dem „Bund" fallen könnte, ohne daß wir damit großes Aufsehen erregen, wäre es gut. Vielleicht geht das auf dem Wege, den Herr Zinn vorgeschlagen hat.

Dr. Bergsträsser: Man könnte ja eventuell in einen anderen Teil der Verfassung hineinnehmen: Die deutsche Republik ist ein Bundesstaat. Dr. Schmid: Wir knüpfen an das an, was ist. Dr. Weber: Wenn es möglich ist, bin ich auch für das Wort Republik Deutschdas wird man ja nachher feststellen —, müßte land. Wenn es nicht geht man Bundesrepublik sagen. —

6) Art.

52 der

Verfassung von Baden vom 19. Mai 1947 bestimmte: „Das Verhältnis Badens

übrigen Ländern wird durch Gesetz geregelt. Die Zustimmung zu einer Bundesverfassung der deutschen Länder bedarf eines verfassungsändernden Gesetzes." zu

174

den

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann dürfen wir allgemein feststellen: Republik Das ist eine der wesentlichsten Richtlinien für den RedaktionsDeutschland. ausschuß. Ich darf dann rekapitulieren, worüber wir uns gestern geeinigt haben, damit wir die Fragen restlos durchsprechen und zu einem endgültigen Auftrag an den Redaktionsausschuß kommen. Ich darf doch feststellen, daß die Auffassung besteht, wir brauchen einen solchen Redaktionsausschuß unter allen Umständen, der die Dinge formuliert und dann das Ergebnis vorlegt. Das ist besser, als den Versuch zu machen, hier unmittelbar im größeren Gremium schon zu formulie—

ren. war das erste, worüber wir uns geeinigt hatten, der Gedanke des Selbstbestimmungsrechtes, daß also dieses Grundgesetz kraft des Selbstbestimmungsrechtes entworfen wird, daß dabei aber auch zum Ausdruck gebracht wird: dieses Selbstbestimmungsrecht kann heute infolge des Besatzungsregimes und der gesamten Lage noch nicht in voller Freiheit ausgeübt werden. Dr. Schmid: Nicht bloß nicht in voller Freiheit, sondern auch nicht in der ganzen Fülle. Es sind diese sehr wesentlichen Inhalte der plenitudo potestatis7), die das Charakteristikum des Staates ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Weiter war wesentlich, daß wir hier unter allen Umständen ein Bekenntnis zur Einheit Deutschlands bringen wollen. Dr. Schmid: Sollte dazu nicht noch zum Ausdruck kommen: Was wir hier tun, dient dazu, die volle Freiheit Deutschlands auch organisatorisch vorzubereiten? Daß es also nicht Spaltung bedeutet, sondern einen Schritt auf die Einheit zu? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also Bekenntnis zur Einheit und gleichzeitig die Beto-

Wenn ich mich recht erinnere,

nung, Dr. Schmid: daß unser Werk ein Schritt weiter auf die deutsche Einheit zu ist. Dr. Heuss: Ich habe mir inzwischen auch entworfen, worin ich den Begriff der —







Stellvertretung sehe,

(Dr. Eberhard: Als Treuhänder!) daß wir auch für die Leute, die nicht in unserer Mitte sind, stellvertretend handeln. Dr. Schmid: Die beste Lösung wäre das holländische Wort für repräsentieren:

vergegenwärtigen.

Dr. Heuss: Das hat aber bei uns schon Einschränkungen bekommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der nächste Punkt, über den wir Einigkeit erzielt hatten, war der, daß zum Ausdruck kommen sollte: Diese Ordnung, die wir für das gesamte Deutschland beabsichtigen, kann zur Zeit nur auf einen Teil beschränkt sein. Wir hatten uns, weil es sich ja hier um die Frage der gebietsmäßigen Umgrenzung des Raumes handelt, dahin geeinigt, dieses Gebiet in der Weise zu umgrenzen, daß wir sagen: Für das Gebiet, für das die Vertreter der Länder am

7) Folgt gestrichen: „und der plenitudo supremae potestatis". 175

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soundsovielten im Parlamentarischen Rat in Bonn zu dieser Arbeit zusammengeDas ist meiner Anschauung nach eine sehr schöne Formulierung, auch deshalb, weil damit gleichzeitig das geschichtliche Entstehen dieses Verfassungswerkes in der Präambel niedergelegt ist, und weil das ja eine wesentliche Aufgabe einer solchen Präambel ist. Damit in Verbindung steht unmittelbar die Frage des Namens, über die wir uns nun auch geeinigt haben mit dem Namen: Republik Deutschland. nicht gegen Dr. Heuss: „Geeinigt" ist übertrieben. Ich habe noch Vorbehalte das Wort, sondern aus der politischen Situation heraus —, ob wir Republik Deutschland oder Bundesrepublik Deutschland nehmen. Ich bin überzeugt, daß in meiner Fraktion alle für Republik Deutschland sein werden. Aber mein Tastgefühl sagt mir, daß ich das noch nicht ganz sicher sagen sollte mit Rücksicht auf die bayerischen Stimmen und andere. Dr. Schmid: Wäre es nicht auch angebracht, den Gedanken hineinzubringen, daß die Ordnung, die wir schaffen, nur eine Ordnung von Hoheitsbefugnissen, nicht etwa eine staatliche Ordnung in vollem Sinne des Wortes ist und daß diese Ordnung dazu bestimmt ist, den Aufgaben der Übergangszeit zu dienen? Das ist wichtig; es kommt dann klar zum Ausdruck, daß es ein Interim ist, ein transitorischer Zustand. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das waren Punkte, die ich noch auf meiner Liste stehen hatte. Die nächste Frage, die, soviel ich weiß, behandelt worden war, war die Frage der Kontinuität. Das stand ja auch im Mittelpunkt. In der Präambel sollte also diese Kontinuität des neuen Bundesstaates im Verhältnis zur Weimarer Republik und zum bisherigen deutschen Reich zum Ausdruck gebracht werden. Dieser grundlegende Verfassungssatz sollte unbedingt aufgenommen werden; darüber bestand wohl Einverständnis. In Verbindung damit hatten wir noch einen Beschluß gefaßt, daß die Gliederung des neuen Bundes in einem allgemeinen Kapitel hinter dem Grundrechtsteil erscheinen sollte. Nun ist die Frage, die sich weiter ergibt und die ich hier stellen möchte: Müssen wir in die Präambel, wie die Herrenchiemseer Fassung es schon enthält, nicht auch gleich einen Hinweis auf die Möglichkeit der Erweiterung aufnehmen? Dr. Schmid: Also das Offensein. (Dr. Weber: Unter allen Umständen!) Das ist die Geschlossenheit des Staatsgebietes, ein wesentliches Staatselement; durch das Erklären des Offenseins des Gebietes betonen wir das Fragmentarische. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dabei müßte dann natürlich die Möglichkeit der Erweiterung der Mitgliederzahl dieses Bundesstaates noch einmal im allgemeinen Teil hinter den Grundrechten erscheinen. (Dr. Schmid: Wollen wir von „Mitgliedern" sprechen?) Nein, das war ein Fehlgriff in der Bezeichnung. Dr. Schmid: Also nicht Erweiterung des Gebiets der Deutschen, sondern nur Erweiterung des Anwendungsgebietes dieser vorläufigen Ordnung. Der „organisierte Teil" wird größer, während das „konstituierte" Ganze ja mit sich identisch bleibt. treten sind.









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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei diesem Punkt, den ich hier noch vergessen hatte, ist zugleich zugrunde gelegt, daß das alte deutsche Reich fortexistiert. Das muß ja in den Gedanken der Kontinuität mit eingebaut werden, beide Gedanken: Fortexistenz des alten Reiches und Kontinuität im neuen. (Dr. Schmid: Kontinuität quoad substantiam oder deutsche Kontinuität

quoad ordinem.) Es käme dann weiter darauf

das wäre ein weiterer Punkt, den ich an möchte das zum Ausdruck zu bringen, was Sie, Diskussion stellen —, Herr Dr. Schmid mit den folgenden Worten bezeichnet haben, daß nämlich dieses Grundgesetz die Aufgabe hat, die Ordnung des staatlichen Lebens für die Übergangszeit zu schaffen. (Dr. Schmid: Für die Aufgaben der Übergangszeit; also ein reines Zweckgehier —



zur

bilde.) Darin würde das Provisorische

zum Ausdruck kommen, also nur nach der und vielleicht auch nur in den Worten, die Sie vorgeschlagen hatten. Darüber müßten wir uns jetzt Klarheit verschaffen. Sie wollten sagen: Für die vorläufige Ordnung der Republik Deutschland. Dr. Schmid: .erläßt für die vorläufige Ordnung der Republik Deutschland folgendes Gesetz." Man müßte etwas ähnliches sagen können wie im Französischen mit „attendu que". Es wird sehr schwer sein, diesen Satz zu bauen; er muß einen großen Atembogen haben. Dr. Heuss: Das schaffen wir nicht! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin der Meinung von Dr. Heuss: wir müssen suchen, zu unterteilen. Dr. Schmid: Dann müssen wir mit einem „deshalb" oder „darum" arbeiten. Dr. Heuss: Die Leute müssen dem Gedanken logisch folgen können, ohne daß sie Atembeschwerden kriegen. Dr. Schmid: Sie sind zu ängstlich, Herr Heuss. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wird zu dieser Frage, ob das also eine Lösung für die Aufgaben der Übergangszeit sein soll, noch das Wort gewünscht? Dr. Kroll: Auf der einen Seite sagen wir Aufgaben der Übergangszeit, auf der anderen Seite fordern wir Zweidrittelmehrheit für jede Verfassungsänderung! Dr. Schmid: Das steht ja noch nicht fest! Dr. Heuss: Dem kann ausgewichen werden, indem wir wie wir es in Würtin den Übertemberg-Baden im Unterschied zu Südbaden gemacht haben gangsbestimmungen die Abänderungen des Territoriums mit einfacher gesetzlicher Mehrheit erfolgen lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich sehe die Schwierigkeit noch nicht. Dr. Schmid: Herr Kroll meint folgendes: Auf der einen Seite sagen wir „Aufgaben der Übergangszeit", auf der anderen Seite packen wir nach Dokument I8) in die Schlußbestimmung dieses Grundgesetzes erschwerende Voraussetzungen9) für Verfassungsänderungen ein.

Richtung hin —





8) Dok. Nr. I der Frankfurter Dokumente, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 9) Folgt gestrichen: „noch und noch".

30-31.

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Zinn: Auf der anderen Seite hat der Chiemseer Entwurf vorgesehen, daß dieses Gesetz automatisch außer Kraft tritt, wenn einmal für ganz Deutschland eine neue Verfassung geschaffen werden kann. Dr. Kroll: Es hängt eben alles miteinander zusammen. Darüber müßte man sich klar sein. Manchmal macht es den Eindruck, es wäre ein Gesetz für die Über-

gangszeit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dieses Hineinbringen in die Präambel entspricht meiner Auffassung von Anfang an, daß man also das „für die Übergangszeit" in die Präambel hineinbringen sollte, so daß man dann vielleicht sogar auf diese

Schlußartikel des Herrenchiemseer Entwurfs verzichten kann.

Dr. Kroll: Das kann man nicht! Dr. Schmid: Es muß drin sein, das automatische Außerkrafttreten: cum dies certus an, incertus quando. Das heißt: die endgültige Verfassung der Republik

Deutschland wird nicht als Abänderung dieses Grundgesetzes gemacht werden, sondern wird als originärer Gesamtakt des deutschen Volkes ins Leben treten. Wenn Sie diesen Schlußartikel nicht haben, können Ihnen die schlauen Juristen sagen: Das mag ein Motiv sein, aber die Art und Weise, wie man zum Neuen geht, ist in diesem Grundgesetz vorgezeichnet. Dr. Kroll: Herr Vorsitzender, Sie haben im Grundgesetz Paragraphen wir hamit der Formulierung „Treue zur Verfasben sie neulich durchgesprochen sung"10). Ist damit die zukünftige oder das Notgesetz gemeint? Zinn: Das Notgesetz. Es ist gemeint die Treue auch zu dem Gedanken der Unteilbarkeit der noch existenten deutschen Republik. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das liegt alles in der Präambel und der Fassung des Grundgesetzes. Man muß sagen: die Treue kann sich nur beziehen auf das Grundgesetz, das hier niedergelegt wird, einschließlich der Präambel. (Dr. Kroll: Und der möglichen Modifikationen!) Daraus, einschließlich der Schlußformel, ergibt sich, daß jeder verpflichtet neue Verfassung anzuerkennen, die von der auf Grund dieses Grundgedie ist, setzes eingesetzten gesetzgebenden Versammlung, der Nationalversammlung, gemacht wird. Wenn weiter nicht mehr das Wort gewünscht wird, könnten wir diesen Punkt dann auch abschließen. Nun ist von Herrn Dr. Schmid der Vorschlag gemacht worden, in diese Präambel einen Satz aufzunehmen, mit dem nicht so sehr die staaüiche Ordnung, sondern die Neuordnung der Hoheitsbefugnisse betont wird, um nicht den falschen Anschein zu erwecken, daß wir mit diesem Grundgesetz tatsächlich eine voll ausgebaute Staatsordnung schaffen können. Wird dazu das Wort gewünscht? Dr. Heuss: Ich habe diesen Begriff der Hoheitsbefugnisse schon in meinen Entwurf mit hereingenommen. Aber er geht mir schlecht ein, denn „Befugnis" bezeichnet doch nur einen technischen Vorgang, und in dem Wort „Hoheit" steckt etwas drin, von dem wir selber das Gefühl haben, daß es nicht existent ist. —







10) Dok. Nr. 7, TOP 1 b. 178

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(Dr. Schmid: Der Ausdruck ist technischer Art.) Ich weiß, aber sehr viel von dem, was Hoheitsausdruck ist, ist technischer Art. Der technische Ausdruck Hoheitsbefugnis umschreibt den Charakter von verwaltungs- und polizeilicher Tätigkeit. Hier in der Präambel aber steht das Wort Hoheit mit einem anderen Pathos drin, während wir gleichzeitig davon reden, daß wir diese Souveränität, die an der Stelle mit dem Begriff Hoheit verbunden wird, eben nicht haben. Das empfinde ich als einen gewissen Ge—

gensatz. fehlt, ist von außen gesehen die volle Unabhängigkeit, von indie volle Souveränität. Das ist aber nicht identisch mit dem, was nen gesehen man unter hoheitlicher Befugnis versteht. Deswegen würde ich das Wort Befugnis vermeiden. Ich würde von hoheitlicher Gewalt sprechen oder eine ähnliche Bezeichnung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das können wir im Redaktionsausschuß machen. Dr. Schmid: Aber es soll klar zum Ausdruck kommen. Dr. Heuss: Lassen Sie uns lieber sagen: die Hoheit, weil es mit „Befugnis" ins Technische absinkt. Dr. Schmid: Wir könnten hier nach dem alten Sprachgebrauch von einer obrigkeitlichen Ordnung sprechen. Aber dies hier ist nicht die volle Ordnung der Gewalten, die einen Staat darstellen. Zum Staat gehört nicht nur das Nachinnenschauen und Nachinnenordnen, sondern auch, daß er sich nach außen manifestiert, sich in Geltung setzt und sich mit eigenen Kräften, mit eigenem Willen behauptet. Das ist aber gerade, was wir nicht können. Das müssen wir wohl auf einer anderen Ebene als der staatlich-organisatorischen erkämpfen. Deshalb hatte ich in Herrenchiemsee gewarnt, hier das Wort „staatliche" Gewalt zu brauchen. Ich habe den Begriff „Hoheitsbefugnisse" vorgeschlagen. Wenn man statt dessen „hoheitliche Gewalt" sagt, ist es mir genau so lieb. Nur ist das Wort an sich kein terminus technicus. (Dr. Heuss: Aber an der Stelle wächst ihm etwas zu, was im gemeinen Verstand nicht präzipiziert ist und was dann im Gegensatz zum Gesamten darunter bleibt.) seid Untertan der Obrigkeit Wenn das Wort Obrigkeit nicht so diskreditiert wäre, würde ich es vorschlagen. Ähnlich steht es ja auch mit dem Wort „Hoheitsträger", das das Dritte Reich diskreditiert hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ein weiterer Punkt, der sich aus der Diskussion ergeben hatte, ist, daß wir in die Präambel noch die mögliche Beschränkung des Wirkungsgebiets der Sätze der Verfassung durch das Besatzungsregime aufnehmen müßten. Man muß sagen: Das hängt vom Besatzungsstatut und vom Verhalten der Besatzungsmächte ab. Ich würde es aber für wünschenswert halten, daß man das von vornherein zum Ausdruck bringt, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß wir alle Sätze dieses Grundgesetzes aus eigener Macht und ohne Rücksicht auf die Besatzungsmächte durchführen können. (Dr. Schmid: Kommt das nicht schon zum Ausdruck in der Beschränkungsklausel, von der wir vorhin gesprochen haben?) Ja, man könnte es damit zum Ausdruck bringen; nur wird der Gedanke damit noch einmal stärker herausgestellt. Zinn: Was



uns







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Dr. Heuss: Ich hatte in meiner

Formulierung an einen Satz des Inhalts gedacht, Verfasser der sich der von der Machtlage erzwungenen seien die Verfassung ihrer freien Beschränkung Entscheidung bewußt gewesen. Das wäre eine Mitden waren uns bewußt, in welcher Situation wir sind. an Leser: Wir teilung Aber den Hinweis auf die konkrete Minderung des Inhalts durch das zu erwartende Besatzungsstatut würde ich nicht in die Präambel aufnehmen. Wir haben in unserer württemberg-badischen Verfassung ja auch die Geschichte mit den Entnazifizierungsgesetzen, die auch nicht mit unseren Grundrechten übereinstimmt, in eine Schlußbestimmung hineingenommen11). Also könnte auch hier etwas darüber gesagt werden. Wenn wir aber von vornherein diesen Vorbehalt machen oder den politisch-historischen Ort kennzeichnen, von dem aus wir die Geschichte machen, und weiter noch sagen: „Im Grunde taugt das nichts, wenn nicht die Besatzungsmacht den consens gibt", dann entwerten wir das für das Gefühl des Volkes. Dr. Schmid: Man könnte das bei der Ratifikation bringen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht in die Übergangsbestimmungen. Wir brauchen sowieso irgendwelche Vorschriften zum Beispiel im Hinblick auf die Nichtdurchführbarkeit des Freizügigkeitsartikels oder der freien Berufswahl. Zinn: Das liest nicht jeder; deshalb muß es von vornherein gesagt werden. ich will es aber Dr. Schmid: Ich persönlich würde keine Bedenken tragen nicht beantragen, weil ich weiß, daß es nicht akzeptiert würde —, eine Wendung hereinzubringen, daß wir unter Fremdherrschaft stehen. Zinn: Ich würde sagen: Im Bewußtsein der Beschränkung seiner äußeren und inneren Unabhängigkeit durch fremde Mächte bekräftigt das deutsche Volk seinen Willen usw. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde zeigen, daß wir das Grundgesetz richtig in seine Zeit stellen, auch seine Entstehung. Dr. Schmid: Wir wollen doch adäquate Worte verwenden. Bei der Sache mit den Uranbergwerken12) liegt keine Zwangsverpflichtung vor, sondern Sklaverei. Dr. Heuss: Was wir zur Zeit haben, ist nicht Fremdherrschaft in dem Sinne, sondern einfach die Folge einer Sauerei, die von uns angefangen worden ist. Wir würden mit „Fremdherrschaft" einen falschen Akzent mit hereinbekommen, denn wir sind im Zustand einer Besatzung, die aber von uns hereingesogen wurde. Dr. Schmid: Nichtsdestoweniger ist es eine Fremdherrschaft, meinetwegen eine verdiente Fremdherrschaft. Dr. Heuss: Sie können doch diesen Zustand, der irgendwie durch einen Frieden, oder ich weiß nicht was, limitiert werden soll, nicht Herrschaft nennen. Dr. Schmid: Doch, es ist jetzt Herrschaft. (Dr. Heuss: Es ist Herrschaft geworden.) Das ist es von vornherein gewesen durch den Anspruch der Besatzungsmächte, jede andere letzte Gewalt auf diesem Gebiet zu verdrängen und das —



M)

Art. 104 der

Verfassung vom

28. Nov. 1946.

12I Angespielt wird hier auf den Uranbergbau

180

in der SBZ.

Vgl.

Dok. Nr. 30, Anm. 31.

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Monopol der Bestimmung aller Hoheitsbefugnisse und aller Rechte

Nr. 9

in letzter In-

stanz auf sich zu konzentrieren. Dadurch ist genau das entstanden, was man sonst Fremdherrschaft heißt. Das wird sich erst ändern an dem Tage, an dem

die Beziehungen zwischen uns und den Besatzungsmächten contractuel! geworden sind. Wir stehen jetzt im Verhältnis von Befehl und Gehorsam, nicht von Vertrag und Einrede. (Dr. Heuss: Wir sind auf dem Wege dazu, es durch diese Geschichte zu

schaffen.) Aber noch sehr „auf dem Wege!" Kaufmann: Ich halte es für ausgeschlossen, daß wir in der Präambel die Tatsache der mangelnden oder beschnittenen Souveränität in solcher Form aussprechen, daß sie ohne weiteres als eine Polemik gegen die Besatzungsmächte aufgefaßt werden muß, in einem Augenblick, in dem die Souveränität, die wir nach der Katastrophe langsam teilweise wiederbekommen sollen, uns von diesen sogenannten Fremdherren ausdrücklich und freiwillig zur Verfügung gestellt wird. Ob das gefühlsmäßig erfreulich ist, ist eine Sache für sich. Ich halte es jedoch nicht für möglich, daß wir diese Verfassung mit einer Polemik gegen die Besatzungsmächte belasten. Ich glaube deshalb, man muß eine andere Form finden und lediglich feststellen, daß das Bewußtsein der vollkommenen Souveränität fehlt, daß aber trotzdem, usw. Aber man sollte das Wort Fremdherrschaft in diesem Falle nicht gebrauchen; denn Herr Heuss hat recht: es ist keine ausgesprochene Fremdherrschaft im Sinne der Herrschaft über ein erobertes Land. Dr. Bergsträsser: Ich glaube, es ist doch ein Unterschied. Es ist eine Fremdherrschaft, aber nicht in dem Sinne, in dem wir sonst dieses Wort gebrauchen, eine Fremdherrschaft, die nur durch einen Krieg beseitigt werden kann, sondern es ist eine Fremdherrschaft, von der wir annehmen, daß sie auch auf einem anderen Wege, durch einen Vertrag oder viele Vertragsabschlüsse oder Abreden, wie man es nun nennen will, beseitigt werden kann. Deswegen schlug ich vor „fremde Herrschaft" und würde vielleicht noch hinzusetzen „gegenwärtige", um auch von uns aus zu sagen: Wir sehen es zwar als eine Beschränkung unserer Rechte durch fremde Herrschaft an die Souveränität stand ja schon in der Rede Byrnes13) und seinerzeit auch im Kontrollrat —, aber wir sehen das als augenblicklich an und als etwas, was nicht via Krieg sondern via friedliche Verhandlungen, Einigung der Mächte usw., gelöst werden kann. Deswegen bin ich gegen diesen Ausdruck Fremdherrschaft, nicht so sehr, weil ich eine Scheu hätte, es zu sagen. Ich glaube noch viel weniger, daß das eine Polemik oder eine Beleidigung anderer Mächte sei, denn einen status, der gegeben ist, zu bees kann gar nicht anders sein. Sie haben das selbst von sich aus mängeln rechtlich niedergelegt, indem sie eine Besatzung schufen, die nicht im alten Stil nach der Haager Landkriegsordnung14) geschaffen ist, sondern eine neue mit ei—







von US-Außenminister Byrnes vom 6. Sept. 1946 in Stuttgart. Abdr. in: Germany 1947—1949, S. 3 ff.; zur deutschen Reaktion vgl. Akten zur Vorgeschichte Bd. 1, passim. Zu Aspekten der Entstehung vgl. H. D. Kreikamp: Die amerikanische Deutschlandpolitik im Herbst 1946 und die Byrnes-Rede in Stuttgart. VfZ 29 (1981), S. 269-285. 14) Haager Landkriegsordnung, Abdr. in: RGBl. 1910, S. 107-151.

13) Rede

181

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bewußten Interferenz in bestimmte innere Angelegenheiten des besetzten Gebiets, die früher nicht üblich war und die durch die Haager Landkriegsordnung direkt verboten ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Kann man nicht überhaupt sagen: „Herrschaft der Be-

ner

satzungsmächte" ?

Zinn: Ich würde sagen: „Im Bewußtsein einer Beschränkung der äußeren und inneren Unabhängigkeit durch eine augenblickliche fremde Herrschaft". Dr. Bergsträsser: Ich möchte das „augenblick" mit der fremden Herrschaft in Verbindung bringen, weil ich da einen bestimmten Unterschied in der Rechtslage sehe. Dr. Schmid: Ich möchte bestreiten, daß im Wort „Fremdherrschaft" eine Polemik gegen die Besatzungsmächte liegt. Ich stelle hier ausdrücklich fest: wenn jemand einen solchen Zustand verdient hat, dann sind wir es durch das, was wir getan haben. Wir haben sie „hereingesogen", wie Sie einmal sagten Herr Kollege Heuss. Ich möchte sagen: der Bumerang, den wir eines Tages ausgeworfen haben, ist zurückgekommen; darüber klagen, daß dieser Zustand besteht, kann in Deutschland vom Moralischen aus niemand. Eine andere Frage ist, ob wir der Meinung sind, daß diese Herrschaft sinnvoll ausgeübt wird. Von der Ostzone spreche ich in diesem Falle überhaupt nicht. Dort geht etwas anderes vor, nämlich schlechthin eine Eroberung mit moderneren Methoden als etwa denen der napoleonischen Zeit. Im übrigen: wir haben hier kein Seminar und brauchen uns nicht bis ins Letzte bei uns beum die Klärung der Begriffe zu bemühen. Jedenfalls sieht das, was steht, genau so aus, wie das, was man bisher immer Fremdherrschaft genannt hat; das heißt: nicht dieses Volk bestimmt durch seine gewählten Vertreter den Umkreis seiner Existenz und der Verwirklichung seines Lebens in den Formen, die ihm gefallen, sondern Fremde setzen die Grenzen, die Schranken rechts und links; sie legen das Fundament und geben den Plafond. Die Briefe, die wir gegenwärtig von den Herren Generalgouverneuren geschickt bekommen, sind überhaupt nur sinnvoll, wenn man sie sieht als Ausfluß eines behaupteten Rechts, uns Anordnungen geben zu können, die wir zu befolgen haben. Es ist also ein Verhältnis von Befehl und Gehorsam, und der Befehlende ist einer, der nicht durch einen Akt von uns legitimiert ist, also nicht durch einen contrat sowenn ich einmal dieses Wort gebrauchen darf —, sondern er beancial sprucht sein Recht kraft eines anderen Willens als dem unseren. Ich habe selber gezögert, es vorzuschlagen. Mein Mut ist gewachsen, als Kollege Kroll das Wort aufnahm. Wir diskutieren jetzt darüber. Es wird zu sehen sein, wofür sich die Mehrheit unseres Ausschusses entscheidet. Kaiser: Wir brauchen darüber jetzt kein Wort weiter zu verlieren. Wir wissen alle, worauf es ankommt. Wir müssen eine möglichst geeignete Formulierung finden für den Zustand, in dem wir sind. Den Begriff der Fremdherrschaft können wir auf keinen Fall hereinnehmen, schon mit Rücksicht auf die Berliner Krise15) nicht. Wir befinden uns in einem Kampf einem Dritten gegenüber, der —

15) Zur Berlinkrise vgl. Uwe Prell, Lothar Wilker (Hrsg.): Berlin-Blockade und Luftbrücke. Berlin 1987. Uwe 182

Wetzlaugk:

Die Alliierten in Berlin.

Entstehung, Entwicklung

und Be-

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die Fremdherrschaft im Osten ausübt, und da stehen diese „fremden Herren" mit uns im Sinne einer Bundesgenossenschaft. Zu dem, was Kollege Schmid sagte, mit Bezug auf den Bumerang, der zurückgekommen ist, wäre doch zu sagen: Was wir durchzustehen haben, ist Schuld und Schicksal zugleich. Wir dürfen also auf keinen Fall einen solchen Begriff hineinbringen; den können wir nicht brauchen. Aber wenn wir uns ans Formulieren geben, wird das schon in die Feder fließen, was zum Ausdruck gebracht werden soll und muß. Dr. Kroll: Ich habe mir die Formulierung der Herrenchiemseer Präambel16) noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich muß sagen, daß hier doch ein gutes Stück Heuchelei enthalten ist, wenn wir mit einer solchen Präambel vor das Volk hintreten. (Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sind inzwischen weit vom Herrenchiemseer Entwurf weg!) Das schadet nichts. Ich möchte nur den Ausgangspunkt einmal klarstellen. Das ganze Verfassungswerk ist in den Augen des Volkes ein Tun als ob. Es ist ein fingiertes Tun freiheitlicher Verfassungsgebung. Man sollte deshalb die Einschränkung sehr klar zum Ausdruck bringen. Als Dr. Schmid den Ausdruck „Fremdherrschaft" formulierte, hatte ich zunächst keine Bedenken, weil er genau den Tatbestand trifft, in dem wir uns befinden. Die Einwände von Jakob Kaiser erkenne ich ohne weiteres an. Aber die Beschränkung der Herrschaft, in der wir stehen, und der Grund der Beschränkung müs—

sen

unzweideutig

zum

Ausdruck

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ganze Diskussionsgrundlage.

war

gebracht werden. der Punkt,

von

dem ich

ausging.

Das

war

die

(Dr. Kroll: Ich glaube, daß die Formulierung nicht so einfach ist.) Eben deswegen! Darf ich vorschlagen, daß in den Redaktionsausschuß auf alle Fälle Herr Kaiser mit hereinkommt, damit die Berliner Frage, die so wichtig für uns und die ganze Ostzone ist, mitberücksichtigt wird. Die Dinge scheinen mir jetzt soweit geklärt zu sein, daß der Redaktionsausschuß an die Arbeit gehen könnte. Dr. Heuss: Nur für den Fall, daß ich mit hereingehe, möchte ich es als ein relatives Mandat des Gesamtausschusses haben, ob das vorläufig so präzisiert werden soll oder nicht. Ich bin dagegen, weil ich da gewisse Sorgen habe. Ich habe bereits in der letzten Sitzung gesagt: wir müssen achtgeben, daß wir nicht in Journalismus machen, also die Präambel als einen abgekürzten politischen Leitartikel zur Tageslage machen. Das darf nicht sein. Die Sache muß auch eine gewisse Magie, wenn Sie so wollen, gegenüber dem Gutgläubigen in sich haben. Wir denken bei uns in Deutschland immer nur an den Schlechtgläubigen. Wenn wir ein Mandat des Ausschusses haben wollen, müssen wir uns unge—



dingungen der alliierten Präsenz. Berlin 1988. Zur Chronologie der Ereignisse vgl. Berlin. Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung 1946—1948. Hrsg. im Auftrag des Senats von

16)

Berlin. Berlin 1959.

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 579.

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fähr ein Bild darüber machen können, ob dieser vorläufige Charakter so überpointiert werden soll, wie es jetzt geschieht. Wenn wir diesen Begriff Fremdherrschaft hineinbringen, geben wir allen Leuten sozusagen die Fahne, allen Leuten, die dieses Dokument als ein Dokument des nationalistischen Widerspruchs interpretieren. Bei der Labilität der Deutschen warne ich vor dieser psychologischen Situation. Dr. Schmid: Dabei wollen wir eines nicht vergessen: den Nationalismus, der kommen wird, werden wir nur abfangen können, wenn wir, die wir keine Nationalisten sind, unserem Volke sagen17), daß die Selbstachtung die Grundlage der Demokratie ist. Dr. Heuss: Die große Aufgabe unserer Generation ist, den Deutschen den billigen18) Nationalismus abzugewöhnen! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zu den Ausführungen von Herrn Dr. Heuss darf ich bemerken, daß ich den Auftrag an den Redaktionsausschuß so auffasse, wie ich ihn immer aufgefaßt habe: daß gewisse Dinge in dieser Präambel behandelt werden sollen, daß wir aber nicht an feste Wortlaute gebunden sind, sondern daß der Redaktionsausschuß die Möglichkeit einer gewissen Umstellung im Verhältnis der einzelnen Sätze zueinander hat. Es ist nicht gut, einen solchen Ausschuß mit zu fest gebundener Route an seine Arbeit zu schicken. (Dr. Schmid: Es ist praktisch ein Unterausschuß.) Das ist wohl die Auffassung des gesamten Ausschusses? Dr. Eberhard: Ich bin auch für Abbrechen. Der Redaktionsausschuß kann seine Arbeit jetzt aufnehmen. Es wäre gut, wenn Dr. Heuss mithineinkäme und als Journalist dafür sorgte, daß das Ergebnis nicht zu journalistisch wird. Dr. Kroll: Ich darf noch etwas bemerken zu einem Gedanken, der eben hier privat geäußert wurde. Es scheint mir wichtig zu sein, daß in einer Präambel das geschichtliche Geschehen vielleicht im zweiten oder dritten Satz ausgeich spreche jetzt wirklich ins Unreine drückt wird, etwa in dieser Form: Nach dem Zusammenbruch des Hitler-Reiches unter dem Zustand der Besatzungsmächte usw., mit beschränkten Hoheitsrechten, geht das deutsche Volk daran, usw., so daß in einem Satz sowohl der Zustand, in dem wir uns befinden, als auch der Kausalzusammenhang ausgesprochen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das war weitgehend schon die Absicht. Dr. Kroll: Ich glaube, das würde die Sache sehr mildern und doch der Genauigkeit dienen in dem Sinne, daß hier keine Illusionen vorgesetzt werden. Herr Dr. Heuss hat vor der Romantik gewarnt. Ich möchte vor der Illusion warnen. Ich glaube, daß insbesondere die Jugend ein sehr feines Gefühl dafür hat, wenn sie mit Illusionen gefüttert werden soll. (Dr. Heuss: Für mich ist die Romantik auch eine Form der Illusion.) Es wär eine Illusion, hier etwas an staatlicher Gewalt vorzutäuschen, was wir nicht besitzen. —







17) Das folgende korrigiert aus „daß das Gebot der Selbstachtung das oberste Gebot ist." 18) Das Adjektiv „billig" handschr. hinzugesetzt. Nationalismus korrigiert aus „Nationalisten". 184

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir können die Diskussion damit abschließen. Wir sind in unseren Beratungen damit zu einem Auftrag an den Redaktionsausschuß gekommen; es bleibt nur die Frage zu regeln, wie er zusammengesetzt sein soll.

[2. BILDUNG EINES REDAKTIONSAUSSCHUSSES FÜR DIE

PRÄAMBEL]

Auf Grund von Vorschlägen aus der Mitte seiner Mitglieder einigt sich der Ausschuß auf folgende Mitglieder des Redaktionsausschusses für die Formulierung der Präambel: Dr. Schmid, Dr. Heuss, Dr. Dr.

Kroll, Weber,

Kaiser, Zinn, Dr.

v.

Mangoldt.

Als Tag der nächsten Vollsitzung wird in der 12. Oktober festgesetzt; Beginn 10 Uhr.

allseitigem Einvernehmen Dienstag,

[3. AUFHEBUNG VON GRUNDRECHTEN DURCH NOTVERORDNUNGSRECHT (ART. 111)] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aus den Beratungen des gestrigen Tages war noch ein Beschluß übrig geblieben. Wir wollten uns noch klarwerden über einen Beschluß, den wir dem Organisationsausschuß zugehen lassen wollten, einen Beschluß über Aufhebung der Grundrechte durch das Notverordnungsrecht. Diese Frage fällt ja sehr stark in unsere Aufgabe hinein: wie weit die Fassung der Herrenchiemseer Vorschläge des Art. III19) nun unsere Billigung findet. Dabei ist es wichtig, daß der Organisationsausschuß diese Frage rechtzeitig zur Kenntnis nimmt. Wie ich festgestellt habe, dauert es leider hier im Hause sehr lange, bis die Beschlüsse des einen Ausschusses zum anderen Ausschuß kommen. Wir müssen also unsere Forderungen rechtzeitig anmelden. Wir haben uns gestern schon Abs. 3 des Art. 111 angesehen20) und hatten festgestellt, es sei praktisch keine Notwendigkeit für die Einschaltung einer Möglichkeit der Aufhebung des Grundrechts des Postgeheimnisses gegeben, da die Formulierung des neuen Art. 9 es ohne weiteres möglich macht, Eingriffe in das Postgeheimnis durch Notverordnung vorzunehmen, da die Notverordnung dem Gesetz gleichsteht. Dr. Eberhard: Da ist nur folgende Schwierigkeit: wir dachten auch an einen politischen Notstand. Nun kann die Beschränkung durch Gesetz, also auch durch Notverordnung, angeordnet werden, jedoch nicht zu politischen Zwecken; das

19) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 20) Dok Nr. 7, TOP 1 a.

604

f.

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steht hier drin. Ich würde meinen, gerade für den Fall des politischen Notstandes könnten wir bei der jetzigen Formulierung diese Beschränkung nicht anordnen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, dieser Begriff „zu politischen Zwecken" ist verkannt. Es dreht sich hier um eine Notverordnung, die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erlassen wird, und das geschieht nicht zu politischen Zwecken. Dr. Schmid: Darf ich sagen, wie das entstanden ist? Man wollte damit verhindern, daß man unter dem Vorwand, eine Devisenkontrolle zu machen, die politische Gesinnung zweier Leute erforscht, die miteinander korrespondieren, mit andern Worten: politische Polizei. Das sollte ausgeschlossen, und es sollte damit ein Rechtsschutz gegeben werden, der vor Gericht wirksam gemacht werden kann. (Dr. Heuss: Dann müssen wir es in der früheren Fassung machen.) Wenn schon gewisse Grundrechte im Notstand aufgehoben werden können, würde ich es für richtig halten, es besonders aufzuführen. (Dr. Heuss: Kann dieser Begriff des politischen Zweckes eine andere Formel kriegen?) In Stuttgart haben wir einen Tag lang an der Formulierung beraten, und schließlich ist das Wort „politische Zwecke" als das geeignetste erschienen. Dr. Heuss: Kollege Eberhard macht darauf aufmerksam, daß sich im Streitfall der Beklagte auf beide sich widersprechenden Artikel beziehen kann. Dr. Eberhard: Diesem Einwand will Kollege Schmid Rechnung tragen, indem er das hinter diesem Katalog der beim Notstand aufhebbaren Grundrechte anführt. Dr. Schmid: Es also so lassen! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht ja drin. Es ist nun die Frage aufgetaucht, ob die Aufhebung des Grundrechtes der Vereinigungsfreiheit notwendig ist. Das war die zweite Frage. Über die Versammlungsfreiheit ist, glaube ich, kein Wort zu verlieren, ebensowenig wie über die Aufhebung der Freiheit der Meinungsäußerung. Aber bei der Vereinigungsfreiheit kann man schon wieder zweifelhaft sein. Zinn: Man kann durch eine Notverordnung hier nicht die Bildung von Vereinigungen verhindern, aber die Betätigung muß verhindert werden können; das ist ja auch ein Teil der Vereinigungsfreiheit. Dr. Heuss: Gedacht ist vermutlich doch an das Verbot von Vereinigungen? Zinn: Nicht Verbot von Vereinigungen, sondern Verbot der Betätigung. Dr. Heuss: Also der Auflösung. Es ist ein anderes Verbot. Ein Verein, der sich nicht betätigen kann, ist nicht existent. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art. 12 bestätigt als Grundrecht nur das Recht, Vereinigungen zu bilden21). Hebe ich das Grundrecht auf, so hebe ich gerade das auf, was Sie als weiterbestehend annehmen wollen. Von einem Verbot der Regelung der Vereinstätigkeit ist in Art. 12 ja gar keine Rede. Ich glaube eben gera—



21) Art. 12 vgl. Dok. Nr. 7, Anm. 2. 186

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zu bilden, auch unter Notverordnungsnicht in Frage gestellt werden darf. recht gar Dem stimme ich zu, vor allem wenn man sich erinnert, welche Wunderlich: praktische Auswirkungen das hatte: man hat die SA aufgelöst, aber sie ist in anderer Form wieder erschienen. Die praktische Wirkung war nur, daß die Staatsgewalt sich dabei lächerlich gemacht hatte. Dr. Schmid: Auch mit dem Zeitungsverbot. Was wurde denn unter dem BelageDoch die gesamte Presse, also auch die gesamte rerungszustand verboten? publikanische Presse. Dr. Eberhard: Wir können es jetzt um so mehr auslassen, als Abs. 2 des Art. 12 die Möglichkeit gibt, Vereinigungen zu verbieten, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Das gilt natürlich im Notstand erst recht. Dr. Schmid: Es ist wesentlich eine Frage der Prozedur. In einem Fall haben wir ein langwieriges Verwaltungsverfahren, während nach Art. 12 ein schneidiges Interimsverfahren gegeben ist. Man muß sich doch klar sein: es handelt sich bei diesen Dingen immer um Ausübung der Macht. Man ist beim Schaffen einer Verfassung gelegentlich so naiv, sich vorzustellen, solche Verbote müßten immer zu Gunsten dessen wirken, der die Verfassung schafft. Es kann sich auch umdrehen! Es kann auch ein anderer eines schönen Tages den Art. 111 in die Hand nehmen und lächelnd sagen: „Schön, ihr habt es gemacht, ich wende es gegen euch an!" Mir ist nie recht wohl bei diesen Dingen. Ich bin in Herrenchiemsee dafür eingetreten, man solle das Risiko auf sich nehmen, einen Notstand anzugehen, ohne die Grundrechte zu suspendieren, indem man für Zeit das Recht, Recht zu setzen an eine andere Stelle als die ordentlichen parlamentarischen Körperschaften delegiert und versucht, die Krise mit allgemein polizeirechtlichen Mitteln auszukämpfen. (Vors. [Dr. v. Mangoldt] : Mit der Aufhebung der Vereinigungsfreiheit würde ja die Möglichkeit bestehen, jeden Verein aufzulösen.) Wer weiß, wer den Artikel einmal anwendet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Falls sich kein Widerspruch erhebt, darf ich annehmen, daß wir erst einen Beschluß formulieren, der dann noch einmal vorgelegt wird, in dem Sinne, daß Einverständnis besteht mit Ausnahme in bezug auf die Ver-

de, daß das Recht, die Freiheit, Vereine





einigungsfreiheit.

Dr. Schmid: Nehmen wir doch einmal die Pressefreiheit, nehmen wir die Lage in Berlin im Frühjahr 1919. Hat es bei den damaligen Unruhen viel genützt, die gesamte Presse zu verbieten? (Dr. Heuss: Die gesamte Presse?) Es ist fast immer die gesamte Presse verboten worden. Der „Vorwärts" wurde genau so verboten wie die „Rote Fahne". Wie wäre es denn, wenn man die Presse ruhig erscheinen ließe? Sollen doch die Kommunisten ihr Zeug in ihrer „Roten Fahne" bringen. Die andere Presse ist ja auch noch da! Der agonale Charakter solcher Auseinandersetzungen sollte ruhig erhalten bleiben. Man sollte solche Konfliktsituationen ruhig zu einem Element elementarer Selbstbetätigung des Volkes werden lassen. Wenn die einen Barrikaden aufreißen und schießen, sollen die andern auf die andere Seite gehen und schießen! Wenn es sich nicht soweit zuspitzt, dann genügt das normale Polizeirecht, um der Sache —

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zu werden. Wenn es aber wirklich eine echte große Krise wird, sollte diese Krise zum Austrag bringen und nicht durch geschickt geführte Polizeimanöver verkleistern. Die Erfahrung zeigt, daß sonst irgendwann einmal der Abszeß woanders schlimmer aufbricht. Es war wohl einer der großen Fehler, die nach 1918 begangen wurden, daß man die echten Krisen, die echten Kampfsituationen nicht hat zum Austrag bringen lassen, sondern sie dazuhin verkehrt ausgeglichen hat. (Dr. Heuss: Die Berliner Situation im Frühjahr 1919, als also an der einen Ecke von Berlin geschossen und gekämpft wurde, hat zum Teil ein relatives Stillegen der Presse notwendig gemacht, obwohl dann auch eine gefährliche Situation durch die Verdummung entstanden ist. Aber in einer Millionenstadt können Sie nicht von einem agonalen Kampf sprechen, wenn in der „Roten Fahne" drin steht: Morgen wird das Friedrichshainviertel geschlossen besetzt!) Wenn sie das wollen, brauchen sie dazu keine Zeitung. (Dr. Heuss: Die brauchen sie in großen Städten, schon rein technisch!) Wenn Sie es verhindern wollen, können Sie es auch mit andern Mitteln verhindern. Es ist ein Unheil unserer deutschen geschichtlichen Entwicklung, daß wir bisher nicht recht zu unterscheiden verstanden haben zwischen dem Bereich des Politischen im eigentlichen Sinne des Wortes und dem Bereich des Administrativen. Das hat dazu geführt, daß wir die Erledigung auch echter Kampfsituationen deren Vorhandensein man bedauern mag, die aber da sind —, daß man die Meisterung auch von echten Krisen der „Obrigkeit" überlassen hat, der Polizei oder einem sonstigen fürsorglich über uns waltenden Apparat, als Aktiv-Bürger22) statt daß wir die Sache selber in die Hand genommen hätten. Kaufmann: Wollen Sie den Bürgerkrieg legalisieren? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir müssen jetzt zu einem Schluß kommen. Herr Dr. Schmid, darf ich fragen, ob Sie den Antrag stellen wollen, daß die Pressefreiheit in Art. 111 Abs. 3 auch gestrichen wird? Dann müßte man die Freiheit der Meinungsäußerung auch streichen, dann müßte man überhaupt alle Grundrechte streichen. (Dr. Weber: Dann bleibt nichts übrig.) Dr. Schmid: Das habe ich in Herrenchiemsee verfochten23), mit dem Kollegen

Herr man

















Brill24).

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber müßten wir klar sein: ausgehend von dem, was wir zuerst anfingen, bleibt tatsächlich nur Versammlungsfreiheit und Postge-

heimnis übrig. Dr. Schmid: Ich würde mich beim Notstand begnügen mit einer Legislative an einen andern als den normalen Träger.

Delegation der

22) In der Vorlage korrigiert aus „aktive Bürger". 23) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 424 ff. 24) Hermann L. Brill (1895—1959) war für Hessen Vertreter beim Verfassungskonvent Herrenchiemsee gewesen.

188

Vgl.

Der Pari. Rat Bd. 2, S. XXVI ff.

von

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sagt, ist das nicht der französische Gedanke? Er nicht von dem Sensus des französischen Volkes aus, das tatsächlich Revolution gemacht hat, das also tatsächlich ein ganz anderes revolutionäres Blut bewiesen hat, von 1789 an angefangen. Wir haben Revolutionen in diesem Sinne nicht gemacht, das Blut ist bei uns nie so in Wallung geraten. (Dr. Schmid: Bauernkrieg!) Das liegt sehr weit zurück. Ich glaube, in der neueren Zeit müssen wir etwas vorsichtig sein in bezug auf diese Situation, daß man sich auf die Obrigkeit verläßt. Meine Herren, wie war es denn 1933? Ich hörte damals, daß die Eiserne Front25) marschieren sollte. Sie ist nicht marschiert. (Dr. Weber: Niemand ist marschiert.) Wir haben peinliche Erfahrungen gemacht. Die vorhandenen demokratischen Kräfte, die die Demokratie von unten herauf schützen sollten, haben restlos versagt, obwohl sie damals die größte Chance gehabt hätten. Wenn nun gesagt wird: Wir machen die Revolution heute!, so muß ich wiederum entgegenhalten: auch wieder unter dem Schatten der Besatzungsmacht, die uns hier die Demokratie konzediert. Das Vertrauen in das Volk darauf, daß es seine demokratischen Freiheiten schützt, ist, glaube ich, nicht übertrieben groß. Wenn wir hier nüchtern bleiben wollen, dürfen wir nicht allzu große Hoffnungen darauf setzen. Wenn nicht diejenigen, die eine Demokratie in einem demokratischen Staat präsentieren, sich an die Spitze solcher demokratischen Bewegungen stellen, wenn sie nicht bereit sind, die Obrigkeit auch einzusetzen, dann, das ist meine persönliche Meinung, werden noch einige Jahrhunderte vergehen und noch viele Katastrophen über uns kommen, ohne daß das deutsche Volk jenen Sensus zeigen wird, von sich aus, von unten herauf diese Freiheit ohne weiteres zu schützen. Ich kann mich also leider in dieser Form zunächst Dr. Schmid nicht anschließen. Ich glaube, man kann über den einen oder anderen Artikel der Grundrechte diskutieren. Wir können aber nicht ohne weiteres darauf verzichten, die Grundrechte in solchen Notzeiten außer Kraft zu setzen, leider! Es ist kein schönes Zeugnis. Es wäre mir lieber, ich könnte mich Ihnen anschließen; aber ich glaube, wir können es nicht verantworten. Dr. Bergsträsser: Was die Versammlungsfreiheit angeht, so sind Versammlungen unter freiem Himmel nach unserer Formulierung sowieso schon anmeldepflichtig. Für die bedarf es keiner Aufhebung der Grundrechte. Andere Versammlungen aber sind entweder harmlos, oder, wenn sie nicht harmlos sind, können sie in den aufgeregtesten Zeiten doch stattfinden. (Zinn: Wir könnten allerdings die Möglichkeit sehr weit beschränken.) Insofern, als man sie dazu zwingt, von einem Lokal in ein anderes umzuziehen. Ich glaube aber: wenn sie sich treffen wollen, treffen sie sich doch. Ich würde also diesen Paragraphen auch nicht gerade für notwendig halten im Hinblick auf ein solches Aufhebungsgesetz. Dr. Kroll: Was Dr. Schmid

geht











am 16. Dez. 1931 als Reaktion auf die „Harzburger Front" auf Initiative des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold unter Beteiligung von SPD, dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Arbeitersportbund gegründet. Vgl. Karl Rohe: Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Düsseldorf 1966.

') Die „Eiserne Front" wurde

189

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Zinn: Sie werden nicht verhindern können, daß sich eine kleine Zahl von Leukleinen Lokalen treffen. Aber Sie können verhindern, und das ist wichdaß nach berühmtem Muster Zehntausende zu einer Versammlung etwa im tig, Sportpalast, zusammengeholt werden, die unter Umständen eine Gefahr für die ten in

öffentliche Sicherheit darstellt. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Auffassung von Herrn Dr. Bergsträsser ist richtig. Es heißt nämlich: sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Hier ist sogar die Verwaltungsbehörde von sich aus bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit, bei Verohne Gesetz, ermächtigt, Himmel. freiem unter sammlungen Dr. Bergsträsser: Das wäre nicht der Sportpalast. Insofern hat Herr Zinn recht. Aber dann bin ich auch wieder der Meinung: dadurch werden die Kräfte sichtbar gemacht, und die Aufhebung der Grundrechte führt doch nur dazu, daß sie das möchte ich dem unter der Decke weiterschwelen. Überdies haben wir Kollegen Kroll sagen im Jahre 1933 alle Möglichkeiten des Art. 4826) in weitestem Umfange gehabt. Wenn die Dinge sich schon soweit entwickelt haben wie damals, dann hilft meiner Meinung nach überhaupt kein Gesetz. Dr. Sehmid: Dann überläßt man es einem Ermächtigungsgesetz! Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Eine Tatsache ist hier noch nicht genügend zum Ausdruck gekommen: die Fortdauer der vollen Grundrechte führt vielfach dazu, daß eine Richtung die andere so stark unter Druck setzt, daß sie gar nicht fähig ist, von diesem Grundrecht Gebrauch zu machen. Aus diesem Grunde, eben zur Wiederherstellung des Zustandes, der dann wieder eintreten soll, der wirklich freien Ausübung der freien Meinungsäußerung oder der Pressefreiheit, müssen die Grundrechte zunächst einmal aufgehoben werden, gerade um diese Bedrohung des Grundrechtes und diese Vereinseitigung des Gebrauchmachens von diesem Recht Diesen Gedanken wollte ich einmal dazwischenschieben. zu beseitigen. Dr. Weber: Ich bin der Meinung von Herrn Dr. Kroll, daß das deutsche Volk sich nicht so helfen wird, wie Dr. Schmid hier gesagt hat. Wir haben die Erfahrungen nun schon zweimal gemacht. Ich glaube, daß ein solcher Paragraph 111 aus den Gründen, die hier schon angeführt wurden, und wie sie eben auch Prof. v. Mangoidt vorbrachte, doch notwendig ist. Dr. Heuss: Nach meiner Meinung muß die Versammlungsfreiheit in so turbulenten Zeiten aufgehoben werden können. Der Hinweis auf Versammlungen unter freiem Himmel setzt voraus, daß sie im Frühjahr oder Sommer stattfinden, im Winter aber nicht. Im Winter treffen sich die Leute dann in Versammlungslokalen. Wenn es dann ernst wird, kriegen sie doch die notwendigen Spritzen oder Parolen und gehen von dort aus zu dem und jenem über. Also nach der Seite muß die Staatsautorität schon die Möglichkeit des Eingreifens haben. Dr. Schmid: Ich möchte behaupten: in den Situationen, in denen überhaupt noch etwas mit dem Gesetz gemacht werden kann, wird man mit den normalen polizeilichen Mitteln fertig. Dort, wo man nicht mit normalen Mitteln fertig wird, hilft auch das Gesetz nicht mehr, da muß gekämpft werden. —



-



26) Art. 48 WRV, vgl. Teilabdr. hier in Dok. Nr. 5, Anm. 190

27.

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Dr. Heuss: Polizeiliche normale Mittel zum Verbot einer Versammlung gibt es nicht. Dr. Schmid: Nur unter freiem Himmel! Gehen die Leute in den Sportpalast und machen einen revolutionären Aufmarsch im Saal, kann man Polizei vor den Sportpalast schicken; und wenn sie dann herauskommen, kann man sie wegen Landfriedensbruchs oder Vorbereitung zum Hochverrat „pflücken". Das setzt voraus, daß ich genügend Polizei habe. Habe ich nicht genügend Polizei, nützt auch die gesetzliche Beschränkung nichts. Dr. Bergsträsser: Ein Umzug, also ein Marsch zum Sportpalast, findet doch unter freiem Himmel statt. Dr. Heuss: Der Umzug entsteht ex post, erst nachher. Dann gibt es den Zusammenstoß mit der Polizei, und es erweist sich: die einen sind die stärkeren. Nun aber kann die Polizei eventuell auch aufgeteilt sein, besonders in unruhigen Zeiten, und dann haben Sie die Sauerei, der Sie ausgewichen sind. Dr. Schmid: Glauben sie wirklich, daß eine Bewegung, die über starke Kräfte verfügt und sich zutraut, mit den anderen fertig zu werden, sagen wird: Wir bleiben zu Hause!, wenn „die da oben" die Versammlungsfreiheit aufheben? Dr. Heuss: Das kommt ausschließlich auf die innere persönliche Haltung des jeweiligen Polizeiministers an und hat mit Partei gar nichts zu tun. Es kommt darauf an, was der für ein Gefühl für die Situation hat. Wo er parteipolitisch steht, kann wurscht sein. Severing27) hätte im Jahre 1932 das Reichsbanner marschieren lassen [sollen], nicht im Frühjahr 1933. Er wollte es nicht, weil er keinen Kampf zwischen Reichswehr-Polizei und Reichsbanner oder so etwas haben wollte, weil er kein Blut vergießen wollte. Das ist nicht mit Paragraphen zu machen, sondern liegt in der Person, der zufälligen Person des einzelnen. Der Mann kann sagen: Ich lasse es darauf ankommen, ich sistiere oder ich beuge vor, indem ich vorher schon die Geschichte nicht so weit kommen lasse. Zimmermann: Wenn eine staatsgefährdende politische Lawine im Anrollen ist, können Sie mit polizeilichen Mitteln nichts dagegen machen; denn diese Lawine entwickelt sich zu einem Zyklon, und da hat bis jetzt alles polizeiliche Eingreifen und jede polizeiliche Exekutive versagt, weil selbst in der Polizei schon jene Elemente drin sind, die der Sache entweder sehr lax gegenüberstehen oder sie unter Umständen sogar stillschweigend dulden. Wenn es uns nicht gelingt, die Wurzel dieses Übels vorher zu vernichten oder auszurotten, dann glaube ich kaum, daß es uns möglich sein wird, den ordnungsmäßigen Zustand mit polizeilichen Mitteln wieder herzustellen. In bezug auf die Pressefreiheit haben wir doch eigentlich 1918/19 und 1933 genug erlebt, das sollte schließlich nicht ohne Eindruck auf uns geblieben sein. Wir haben doch in den Jahren von 1919 bis 1933 eine Unmenge politischer Dinge vorgesetzt bekommen, die geradezu ein Skandal waren, Beschimpfungen der Flagge: Schwarz-Rot-Senf oder Schwarz-Rot-Mostrich. Sie kennen das. Die

27) Im Zusammenhang der Absetzung der Preußischen Staatsregierung durch Reichskanzler v. Papen („Papens Staatsstreich") im Jahre 1932 wurde der preußische Innenminister Carl Severing aufgefordert, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zur Hilfspolizei zu erklären, was Severing ablehnte; vgl. seine Memoiren: Mein Lebensweg. Köln 1950, Bd. 2, S. 353. 191

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Zeitung wurde zwar verboten. Aber dann hat „Der Angriff"28) eine andere Bezeichnung gefunden, und er kam wieder, und Herr Goebbels war wiederum der immune Redakteur, der seine Dinge auf allgemeine Unkosten weitertrieb.

Aber das haben wir alles schon erlebt. Wenn es hier nicht gelingt, auf anderem Wege ein prophylaktisches Mittel zu finden, dann weiß ich nicht, ob es möglich sein wird, mit Exekutivmitteln einem Verfassungsnotstand wieder einen Zustand zu schaffen, der einer Staatsgefährdung von vornherein begegnen soll. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen zu einem Schluß kommen. Welche Herren sind dafür, daß diese Aufhebung der Grundrechte in Art. 111 durch NotverordDas wären also 5 Herren. Und wer nung überhaupt nicht vorgesehen wird? ist dagegen? Kaiser: Wenn ich meine Meinung sagen darf: ich bin auch dagegen. Gerade das, was ich zuletzt gehört habe, spricht dafür, daß wir die Mittel der staatlichen Ordnung rechtzeitig anwenden müssen. Wir haben 1932/33 nicht mehr richtig funktionieren können, weil wir diese Mittel zu spät angewandt haben. Dr. Schmid: Was Herr Zimmermann sagte, hat mit Notstand nichts zu tun. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Soviel ich gesehen habe, waren 5 Herren dafür und 5 Stimmen dagegen. Es ist die Frage, ob wir bei diesem Verhältnis einen Antrag an den Organisationsausschuß stellen sollen. Dr. Schmid: Wir können mitteilen: Ein Teil des Ausschusses war grundsätzlich der Meinung: keine Aufhebung der Grundrechte auch nicht im Notstand; die andere Hälfte war der Meinung: Aufhebung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herr Zinn, Sie hatten nicht mit abgestimmt? Zinn: Ich halte es für notwendig, doch Beschränkungen vorzusehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann wären es 6:529). Dr. Bergsträsser: Wir sind uns aber alle einig gewesen, daß bestimmte Grundrechte überhaupt nicht aufzuheben sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wäre die nächste Frage: ob wir einige der Grundrechte, die hier drin sind, nun hier herausnehmen können. Darüber haben wir gesprochen; ich darf das vielleicht noch einmal in die Erinnerung rufen. Es bestand wohl ziemlich Einigkeit darüber, daß die Vereinigungsfreiheit weggelassen werden kann. Bei der Vereinigungsfreiheit waren wir nach der Fassung unseres Artikels durchaus klar darüber. Zinn: Wobei wir uns fragen müssen, ob die gegenwärtige Fassung genügt. (Dr. Bergsträsser: „Unter der Bedingung, daß".) Nicht nur in bezug auf die Bildung von Parteien, sondern auch auf die Tä—

tigkeit. —

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es bezieht sich auch auf die Zinn: Es ist die Frage, ob das ausreicht.

Bildung.

28) „Der Angriff" war ein von der NSDAP in Berlin herausgegebenes Presseorgan. Vgl. Karin Kessemeier: Der Leitartikler Goebbels in den NS-Organen „Der Angriff" und „Das Reich". Münster 1967.

29) Nach dem Kurzprot.

war

das Stimmenverhältnis 6:4. Vermutlich

mung zunächst die Stimme eines nicht

192

bei der Abstimworden.

war

Stimmberechtigten mitgezählt

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v. Mangoldt]: Wenn sie eine verfassungsgegnerische Haltung einnehsind sie an sich nicht zugelassen. Zinn: Das ist möglich. Aber wie wir es jetzt formuliert haben, ist die freie Bildung von Vereinen zulässig. Der Staat kann also sagen: Gegen die Errichtung von Freimaurerlogen kann ich nichts machen, aber ich verhindere ihre BetätiEs fragt sich deshalb, ob die Formulierung ausreicht. Reicht sie nicht gung. käme man zu einer Erweiterung. Man müßte unter Umständen in den Notaus, standsartikel doch eine Beschränkung hereinnehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde vorschlagen, diese Frage zurückzustellen, bis wir zur endgültigen Formulierung der Versammlungsfreiheit kommen. Dann müßten wir dem Organisationsausschuß mitteilen, daß die Vereinigungsfreiheit unter der Voraussetzung, daß die Formulierung so bliebe, wie sie jetzt steht auf Wunsch unseres Ausschusses zunächst gestrichen werden sollte. Dr. Heuss: Oder man müßte beim Grundrecht von der Vereinsbildung an der Stelle irgendetwas sagen im Sinne dessen, was Herr Zinn vorgebracht hat. Es können sich Vereinigungen gebildet haben, deren Betätigung auch außerhalb des Versammlungsmäßigen, durch Benachrichtigung usw., Plakatabreißer funktioniert, deren Mitglieder auf Stichworte hin arbeiten und keine Versammlungen haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir zu einer entsprechenden Regelung der Ausübung der Vereinstätigkeit in unserem Artikel über die Vereinigungsfreiheit kämen, würde darin stehen, daß durch Gesetz Einschränkungen in der Ausübung der Vereinstätigkeit vorgesehen werden. Diese Beschränkungen könnten dann auch durch Notverordnungen vorgenommen werden, die an Stelle des Gesetzes treten. Damit wäre diese Frage ausgestanden. Dann müssen wir bei der Formulierung dieses Artikels bei den übrigen Artikeln würde es bleiben noch überlegen: Freiheit der Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Postgeheimnis; aber hinsichtlich der Dann Vereinigungsfreiheit würden wir diesen Anspruch anmelden können. darf ich diesen Beschluß so formulieren. Dr. Heuss: Aber Glaubensfreiheit kann nicht berührt werden! Ich weiß nicht, ob nicht noch ein paar andere Sachen darunter sind.

Vors. [Dr.

men,

















[4. LANDES- UND BUNDESZUGEHÖRIGKEIT (ART. 13)]

Mangoldt]: Dann würde ich vorschlagen, wir gehen über zur endgültigen der Art. 17, 18, 20. Ich glaube, daß da keine größeren Schwierigkeiten Beratung auftreten werden, da wir gestern bei der Beratung des Redaktionsausschusses fast in der vollen Stärke des Ausschusses versammelt waren. das war im Redaktionsausschuß etwas umAllerdings ist vorwegzunehmen stritten die Frage der Erweiterung des Art. 13. Er ist um einen Abs. 3 erweitert worden; der Auftrag ist seinerzeit hier erteilt worden30). Der entsprechende Artikel des Herrenchiemseer Entwurfs enthält das darin Gesagte nicht. Ich darf noch einmal kurz vorlesen, um was es sich handelt: Vors. [Dr.

v.





30) Vgl. Dok. Nr. 7, TOP 1 d. 193

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7.

Jeder Landesangehörige

Oktober 1948 ist

Weimarer Verfassung31). Dr. Schmid: Man muß die

Das ist der Satz der

zugleich Bundesangehöriger. —

Fragen, ob dieses Grundgesetz neben der allgemeieine besondere Landesangehörigkeit kennen noch Bundesangehörigkeit Ich bin nicht dafür. persönlich soll, prüfen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die ganze Frage scheitert von vornherein an folgender Schwierigkeit: wir haben praktisch ja keine Reichsbehörden, bei denen in einem entsprechenden Verfahren die Aufnahme in die Staatsangehörigkeit erfolgen könnte. (Zimmermann: Zur Zeit ruht das.) Es wird aber für die Zukunft notwendig sein, da wir keine direkte Bundesangehörigkeit haben. Aus diesen rein technischen Gründen wird es gar keine andere Möglichkeit geben. Zinn: Ich kann mir vorstellen, daß die Reichsangehörigkeit oder Bundesangehörigkeit durch Landesbehörden verliehen wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist, glaube ich, eine Sache, die staatsrechtlich nicht nen



ganz geht. Dr. Schmid: Als Auftragsverwaltung. Dr. Bergsträsser: Aber wenn wir Bundesverwaltung bekommen, kann die sofort ein Amt einrichten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßte sie eine vollkommen ausgebaute Verwaltung nach unten haben. Dr. Schmid: Die Länder können das doch im Wege der Auftragsverwaltung ma-

chen. Kaiser: Wenn man Ihrer Auffassung folgt, würde das bedeuten, daß wir zunächst wieder eine Staatsangehörigkeit Nordrhein-Westfalen, eine Staatsangehörigkeit Berlin usw. hätten? Ich halte das für undenkbar. Ich bin überzeugt, daß 95% unseres Volkes das rundweg ablehnen. Es kann nur eine Staatsangehörigkeit in diesem Sinne geben. Wenn ich gefragt werde, wer ich bin, sage ich: Ich bin ein Deutscher. Wir wollen nicht mehr. Ich will jetzt nicht von Bayern sprechen, aber ich kann mir nicht denken, daß unser Volk etwas anderes will, als sich in jedem Einzelfall als Deutscher zu bekennen, wenn er nach seiner Staatsangehörigkeit gefragt wird. Wenn formelle Schwierigkeiten vorliegen, daß das jetzt nicht geregelt werden kann, müßte man sich damit abfinden. Aber ich bin der Auffassung, daß man das sehr wohl kann, daß nämlich die Aufnahme in einen Landesverband, oder wie man es nennen will, einschließt, daß ich Deutscher bin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das soll ja ohne weiteres geschehen. Dr. Schmid: Warum soll man dann noch sagen können: Ich bin bayerischer oder württembergischer Staatsangehöriger? Kaiser: Da müßte ich mich ja, wenn ich morgen von Berlin in meine bayerische Heimat zurückkäme, dort wieder aufnehmen lassen.

31) WRV, Art. 194

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Zimmermann: Es kann

nur eine deutsche Staatsangehörigkeit geben, aber die Staatsangehörigkeitsregelung kann an die Länder als Auftragsangelegenheit gehen. Die Wanderungsbewegung der 12 Millionen Flüchtlinge ist noch nicht zu Ende. Die haben jetzt noch in keinem Land Wurzel gefaßt, weder in Württemberg noch

in Rheinland-Pfalz oder anderswo. Wenn sie eine andere Möglichkeit bekommen, meinetwegen Niedersachsen oder Hamburg, werden sie dort hingehen. Mit einer pfälzischen Staatsangehörigkeit geht [das] nicht; wir müssen darauf Rücksicht nehmen. Es müßte fast eine Selbstverständlichkeit sein, daß wir Deutsche sein wollen und nicht in erster Linie Pfälzer oder andere. Ich glaube also, darüber gibt es keine Diskussion: es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wird vermutlich geregelt durch die Landesangehörigkeit. Das ist immer so gewesen. Es gab eine deutsche Bundesangehörigkeit nur ausnahmsweise bei einer Verleihung durch das Deutsche Reich unmittelbar. Es waren Ausnahmefälle, zum Beispiel etwa bei Angehörigen der Schutzgebiete, denen die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen wurde. Aber das Grundsätzliche war, daß die Staatsangehörigkeit erworben wurde mit der Landesange-

hörigkeit.

(Dr. Schmid: Aber das muß ja nicht ewig so bleiben!) Natürlich nicht, aber man muß dann die Schwierigkeit überbrücken. Diese Frage ist neulich hier im Ausschuß auch besprochen worden32). Da ist dieser Wunsch nicht vorgetragen worden. Wir müßten jetzt einmal feststellen, ob jemand für die Beibehaltung dieses Abs. 1 eintritt. Wir haben ja seinerzeit, als wir Art. 13 besprachen, diesen Abs. 1 in erster Lesung angenommen. Wir können natürlich diesen Schritt zurück machen. Es ist jetzt die Frage, ob jemand für diesen Abs. 1 des Art. 13 eintritt: Jeder Landesangehörige ist zugleich auch Bundesangehöriger. Dr. Kroll: Ich bin an sich durchaus dafür, daß es nur eine deutsche Staatsangehörigkeit gibt. Aber ich möchte doch fragen, ob es klug ist, den Bayern besondere Schwierigkeiten zu bereiten. Die Situation in Bayern ist im Augenblick so, daß tatsächlich doch ein sehr starkes Staatsgefühl von allen Seiten propagiert wird und daß sich dem niemand entzieht. Ich frage deshalb, ob es klug ist, diesen Satz wegzulassen. Es würde einfach bedeuten, daß ein neuer Reizpunkt geschaffen wird, und ich sehe nicht ein, warum das unbedingt geschehen sollte. Zimmermann: Wenn Sie nach der Schweiz gehen, gehen Sie etwa mit dem Ausweis als Pfälzer?! Dr. Kroll: Das ist nicht möglich. Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit, denn man ist gleichzeitig Angehöriger eines Landes. Das würde dieser Artikel möglich machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: So war es nach 1920. Man bekam seinen Paß als deutscher Reichsangehöriger, obwohl diese Reichsangehörigkeit nach dem Recht, welches unter der Weimarer Verfassung galt, durch Zugehörigkeit zu einem Lande vermittelt wurde. —

32) Dok.

Nr. 7, TOP 1 d.

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Dr. Schmid: Im Kompetenzausschuß hat man sich, wenn ich mich nicht täusche, darauf geeinigt, die Zuständigkeit über die Staatsangehörigkeit überhaupt dem Bunde zu geben33). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Fassung, die wir hier haben, schließt das nicht aus. „Die Staatsangehörigkeit im Bund und Ländern" heißt es ausdrücklich in der Fassung des Kompetenzausschusses. Es ist die ausschließliche Gesetzgebung für die Staatsangehörigkeit in Bund und Ländern. Auch wenn das drin steht, würde das notwendig machen, diesen Satz nicht zu streichen. Dr. Heuss: Ich würde es so lassen, wie Herr Kroll gesagt hat. Das ist eine Sache, die eine Liebhaberei des einzelnen sein mag, ob er sich noch als Bayer oder sonst etwas fühlt und irgendwo ein Papier darüber hat, daß er einer ist. Aber wir sollten doch, glaube ich, aus der Geschichte keine Erschwerung machen. Praktisch identifiziert es sich ja: es kann keiner Landesangehöriger sein, ohne gleichzeitig Bundesangehöriger zu sein. Das geht ja ineinander über. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es war auch nicht dieser Absatz des Art. 13, den ich hier zur Diskussion stellen wollte. Gestern ist über Abs. 3 gesprochen worden. Ich habe nur rekapituliert, weil ich sah, daß die Texte nicht überall vorhanden sind. Also Abs. 2: Jeder Bundesangehörige hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst. Nun hatten wir im Ausschuß einen Beschluß gefaßt, der noch formuliert werden sollte, und zwar entsprechend der Schweizer Verfassung, daß niemand in mehr als einem Kanton, so heißt es dort, die politischen Rechte ausüben dürfe. Das ist hier zu der Formulierung geworden: Niemand darf in mehr als einem Lande die staatsbürgerlichen Rechte ausüben und zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden. Weil wir in dem vorhergehenden Satz gesagt haben: „Jeder hat die gleichen Rechte und Pflichten", müssen wir hier natürlich auch die Pflichten einschalten. Die Auffassung geht dahin, daß man einem nicht nur die Rechte für ein Land geben kann und ihm dann die Pflichten etwa für ein zweites Land doch offenlassen sollte. Zimmermann: Wie ist es zum Beispiel beim Wahlrecht, wenn jemand 5 oder 6 Monate in einem Lande wohnt, es ist Landtagswahl, und es heißt dort: Wahlberechtigt sind nur diejenigen, die Landesangehörige sind? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn er seinen Wohnsitz dort hat, hat er damit ohne weiteres das Wahlrecht. Das ist nicht abhängig von irgend einer Karenzzeit oder einem Hereinwachsen. Verlegt er seinen Wohnsitz, so erwirbt er damit auch das Wahlrecht in dem Lande. (Zimmermann: Auch für das Land?) Ohne weiteres. Er kann nur nicht, wenn er den Wohnsitz verlegt, den Anspruch weiter zu wählen auch noch dort stellen, wo er seinen Wohnsitz hatte. Vor allen Dingen schienen uns diese Vorschriften auch nötig, weil es Personen .

..



') Vgl. die zweite Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung 1948. Der Pari. Rat Bd. 3, S. 26 ff.

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vom

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Sept.

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doppeltem Wohnsitz gibt, und da wäre das nicht berechtigt. Wir haben nach allen Richtungen überlegt, wie man das verhindern kann. So etwas spricht sich ja gewöhnlich herum, irgend jemand äußert sich: Das mache ich einfach so. Man kann es also nachträglich bestrafen. Aber ob man es unter Strafe stellt, das ist eine andere Frage, auf die es hier nicht ankommt. Das ist eine Frage der Gesetzgebung. (Dr. Heuss: Er kann von der Wählerliste gestrichen werden.) An der Stelle, wo er nicht seinen Hauptwohnsitz hat. Wenn sich dagegen kein Widersprach erhebt, können wir das also lassen. Wir kämen dann zu Art. 17. mit





[5. EIGENTUMSRECHT, ENTEIGNUNG, ÜBERFÜHRUNG IN GEMEINEIGENTUM (ART. 17 UND 18)]

Dr. Schmid: Wir sind gestern bei der Beratung des Inhalts des Art. 1734) davon ausgegangen, daß in den Grundrechtskatalog dieses Grundgesetzes auch der verfassungsmäßige Schutz des Eigentums aufgenommen werden muß, daß man aber entsprechend der gewandelten Funktion des Eigentums in der modernen Gesellschaft und Ökonomie das Eigentum unter zwei Aspekten betrachten

muß.

Aspekt ist das Eigentum Substrat ethischen Verhaltens, dort wesenhaft zum persönlichen Lebensbereich des Menschen gehört. Der andere Aspekt ist das Eigentum als Faktor der ökonomischen Verfassung eines Landes. Das Eigentum der ersten Betrachtungsweise soll einen qualifizierten Schutz erhalten, nämlich den Schutz durch das Grundgesetz selber, während das andere Eigentum dem Schutze des Gesetzes überlassen bleiben soll. Das kommt darin zum Ausdruck, daß in Abs. 1 des Art. 17 die Formulierung gefunden wurde: Unter dem einen

nämlich,

wo es

34) Gemeint war die Beratung im internen RedA. Vgl. Drucks. Nr. 134, Material für den AfG,

Vorschläge des Redaktions-Komitees vom 6. Okt. 1948: „Art. 17: Das der persönlichen Lebenshaltung oder der eigenen Arbeit dienende Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur auf Grund eines Gesetzes zulässig. Das Gesetz bestimmt auch Art und Ausmaß der Entschädigung. Diese sind unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen festzusetzen. Eigentum verpflichtet. Seine Ausübung findet ihre Schranken in den Lebensbedürfnissen der Allgemeinheit und der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens.

Art. 18: Die Überführung von Grund und Boden, von Bodenschätzen und Produktionsmitteln im Gemeineigentum ist nur auf Grund Gesetzes [!] zulässig. Art. 19: Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. Art. 20: Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden." 197

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persönlichen Lebenshaltung oder der eigenen Arbeit dienende Eiwird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schrangentum werden durch die Gesetze bestimmt. ken Der zweite Satz ist von dem Gedanken eingegeben worden, daß es eine aus der „Natur" fließende Definition des Inhalts des Eigentums nicht gibt, daß das Eigentum nämlich das Ausmaß, in dem ein Individuum über Sachen verfügen kann, notwendig vom Gesetzgeber her zu bestimmen ist. Das ist eine alte Vorstellung, die allerdings unter dem Einfluß gewisser Vorstellungen des 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts verlorengegangen ist: Was Eigentum ist, was es bedeutet, eigentümliches Recht an einer Sache zu haben, das zu bestimmen ist Sache des Gesetzgebers. unWeiter zu Abs. 2. Es muß die Möglichkeit bestehen, daß ein Eigentümer ter beiden Aspekten —, vor dem Interesse der Allgemeinheit zum Weichen gebracht werden kann, jedoch soll in diesem Falle die Enteignung nur auf Grund von Gesetzen erfolgen können, also nicht schlechthin aus Gründen der Staatsraison oder der administrativen Opportunität, und auch nur dann, wenn sie zum Wohl der Allgemeinheit notwendig ist. Welche Fälle dadurch gedeckt werden können, ist in einer jahrhundertelangen Judikatur ziemlich klar abgegrenzt worden. Dann ein zweiter Satz: Das Gesetz bestimmt auch Art und Ausmaß der Entschädigung. Diese nämlich Art und Ausmaß sind unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen festzusetzen. Im klassischen Enteignungsrecht, wie es das 19. Jahrhundert entwickelt hat, ist es ja so gewesen, daß der Enteignete unter allen Umständen den vollen Gegenwert in Geld vor den ordentlichen Gerichten einklagen konnte, also den gemeinen Wert. Auch hier hat die Judikatur klare Grundsätze entwickelt, die im allmag die Vermögenslage des Betroffenen gemeinen darauf abheben, daß die Interessen der Allgemeinheit sein, welche sein, welche auch immer; mögen der Betroffene einen Rechtsanspruch darauf hat, daß er kapitaliauch immer siert alles erhält, was an Gegenwartswert und an kapitalisierbaren Zukunftswerten in der Sache gelegen hat. Diese Rechtsprechung, diese Ausdeutung des Begriffes der angemessenen Entschädigung hat es weitgehend unmöglich gemacht, bestimmte strukturelle Änderungen der Wirtschaftsverfassung vorzunehmen. Heute, da es sich darum handelt, die zerstörten Städte sinnvoll wieder aufzubauen, käme man mit den alten Eigentumsschutzbestimmungen, mit den alten Bestimmungen über die „angemessene" Entschädigung überhaupt nicht weiter. Man müßte praktisch die Städte in der alten Anarchie, in der sie großenteils entstanden sind, neu entstehen mit dem einen Unterschied, daß sie beim ersten Entstehen „gewachlassen, sen" sind, während sie bei diesem Neuentstehen zusammengestoppelt würden. Dann der dritte Absatz, der für das Eigentum schlechthin die Schranken andeuDas der













tet:

Eigentum verpflichtet. 198

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Das ist ein Bruch mit dem pseudo-liberalistischen Eigentumsbegriff, auf den sich leider immer wieder beruft, im Gegensatz zum echten liberalen Eigen-

man

tumsbegriff. Eigentum berechtigt nicht nur, es verpflichtet. Seine Ausübung findet ihre Schranken in den Lebensbedürfnissen der Allgemeinheit und der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens. Auf diesen Text hat sich der erweiterte Redaktionsausschuß gestern geeinigt. Kaufmann: Zu Abs. 2 des Art. 17 möchte ich fragen: Herr Dr. Schmid, sind Sie der Meinung, daß gerade das Beispiel, das Sie gebraucht haben, der Wiederaufbau der Städte bzw. der übervölkerten Städte, da völlig zutreffend ist? Es handelt sich doch in vielen Fällen nicht um Enteignung im eigentlichen Sinne sondern um Umlegung des Eigentums. (Dr. Schmid: Zusammenlegung!) Vielleicht sollte man das irgendwie erwähnen. Wir wollen doch in bezug auf das Bau- und Bodenrecht eine andere gesetzmäßige Regelung, um insbesondere das erforderliche Enteignungs- bzw. Umlegungsverfahren sehr zu beschleunigen, weil sonst diese Umlegungen auf Jahre hinaus unmöglich gemacht wer—

den. Dr. Schmid: Die Möglichkeit für den Gesetzgeber, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen, würde ich in Abs. 3 finden. Sie haben recht, Herr Kaufmann, es handelt sich hier nicht um Enteignung im Sinne früherer Maßnahmen, wo man ein Grundstück weggab, damit etwa eine Eisenbahn gebaut werden konnte. Heute wird es so sein, daß man sagt: Du hast dein Grundstück an der oder der Ecke; wir machen jetzt eine Bauplatzbereinigung, du bekommst deine Parzelle woanders. Das könnte sogar noch weitergehen. Es wird häufig nötig sein, weitgehend parzelliertes Eigentum in genossenschaftliches Eigentum umzuwandeln. Ich würde meinen, daß ein Gesetzgeber gemäß diesem Abs. 3 dafür verfas—

sungsmäßig legitimiert

wäre.

(Kaufmann: Ich wollte nur darauf hinweisen, daß es sich vielfach nicht um Enteignung, sondern um Umlegung handelt, die heute noch keine einwandfreie gesetzliche Grundlage hat.) Eine der wichtigsten Aufgaben, die der Gesetzgeber bei uns haben wird,

wird eine radikale Änderung unseres Bau- und Bodenrechts sein. Wenn mir heute eine Parzelle gehört, kann ich darauf bauen, wie ich will, muß nur innerhalb der baupolizeilichen Grenzen bleiben. Wir können aber in unser entsetzlich zerrüttetes Land nur Ordnung bringen, wenn das Recht zu bauen nicht mehr elementar aus der Eintragung im Grundbuch sprießt, sondern wenn es verliehen und dabei an bestimmte Auflagen geknüpft wird. (Kaufmann: Das sollte aber irgendwie angedeutet werden.) Ich bin der Meinung, daß nach dem letzten Satz in Art. 17, wonach die Ausübung des Eigentumsrechts ihre Schranken in den Lebensbedürfnissen der Allgemeinheit und der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens findet, durch ein Gesetz Bestimmungen der Art erlassen werden können, die Sie im Auge haben. Aber ich habe gar nichts dagegen, daß man eine Fassung wählt, die keine Zweifel mehr läßt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wollen Sie uns dann bitte einen Vorschlag nach der Richtung machen, Herr Kaufmann? —



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Dr. Kroll: Den Absätzen 2 und 3 des Art. 17 stimme ich zu. Ich bin auch der Meinung, daß der Begriff der angemessenen Entschädigung nicht mehr haltbar ist und auf Grund der Notlage, die wir haben, fallen müßte. Auch das, was Herr Kaufmann will, kann bei gutwilliger Interpretation unter den Begriff der Entschädigung gefaßt werden. Auch ein Ausgleich in natura etwa auf anderen Böden wäre notfalls unter den Begriff der Entschädigung zu fassen. Ich würde also keine Schwierigkeiten in dieser Formulierung sehen. Das geht ja in Richtung auf ein Bodengesetz im Stile der Damaschkeschen Bodenreform35). Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Es ist dabei hinzuweisen auf Art. 18, wo es noch einmal

drin steht. Dr. Kroll: Grundsätzliche Bedenken habe ich gegen die Fassung des ersten Absatzes. Die Einschränkung des Eigentumsrechtes auf das der persönlichen Lebenshaltung oder der eigenen Arbeit dienende Eigentum halte ich für überflüssig. Wenn wir in beiden Nachsätzen die Möglichkeiten bringen, Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit aus zwingenden Gründen zu beschränken, so sollte es dabei sein Bewenden haben. Grundsätzlich dürfen wir nicht eigentumsfeindlich in dem Sinne sein, daß wir Eigentum, das über den Rahmen der Lebenshaltung hinausgeht oder nicht unmittelbar der persönlichen Arbeit dient, nicht schützen sollten. Dann wird eine Kultur im echten Sinne überhaupt nicht mehr möglich sein. Ich könnte da einige etwas fernliegende Beispiele bringen. Aber das ist nicht aktuell bei der unerhörten Not; wir haben andere Probleme, trotzdem müssen wir auch einmal nach der Richtung sehen. Ich habe neulich an einer Besichtigung des Schlosses Pommersfelden36) teilgenommen, einer dieser Bauten von Balthasar Neumann, die noch stehen, ein Schloß, das nur erhalten werden kann, wenn aus dem Grundbesitz dafür soviel erübrigt werden kann. Der Staat hat keine Möglichkeit, es zu übernehmen. Es geht mit vielem Kulturbesitz so. Wenn wir radikal das Eigentum nur auf die persönliche Lebenshaltung oder eigene Arbeit beschränken, dann vernichten wir den gesamten noch vorhandenen Kulturbestand Deutschlands. Nun dürfen Sie nicht denken, daß ich hier dem Reichtum das Wort rede. Das fällt mir gar nicht ein; aber ich stehe auf dem Standpunkt: wir sollten nicht mehr enteignen, als zum Wohle der Allgemeinheit notwendig ist. Das ist die Maxime, von der wir ausgehen, und das ist in Abs. 2 und 3 ausgedrückt. Wenn wir jetzt darüber hinaus eine Beschränkung des Eigentums in den Grundrechten postulieren, öffnen wir dem Gesetzgeber Tür und Tor auch für Willkürmaßnahmen, Tür und Tor für eine, ich möchte sagen, Bolschewisierung des geistigen und kulturellen Lebens. Das möchte ich ablehnen und stelle daher den Antrag, diese Formulierung „das der persönlichen Lebenshaltung oder der eigenen Arbeit dienende Eigentum" abzuändern bzw. zu streichen, also einfach zu schreiben: 35) Adolf Damaschke (1865—1935), Begründer des Bundes deutscher Bodenreformer. Vgl. Max Liertz: Adolf Damaschke und die deutsche Bodenreform. Ihre Ziele und Wege. Düsseldorf 1948.

3B) Schloß Pommersfelden bei Pommersfelden, Kreis Hochstadt ken, im Besitz der Grafen von Schönborn-Wiesentheid. 200

an

der Aisch in Oberfran-

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Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt, und dann kämen die Nachsätze. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf dazu bemerken, daß gerade dieser eingeschaltete Satz, diese adjektivische Hinzufügung, gestern sehr umstritten war und mit dem ausdrücklichen Vorbehalt versehen wurde, daß diese Frage hier besprochen werden solle. Dr. Heuss: Ich möchte zu dem, was Herr Kroll hier ausgeführt hat, ein paar Bemerkungen hinzufügen, und zwar entsprechend dem, was ich in unserer gestrigen Unterhaltung schon zum Ausdruck gebracht habe. Mein Einwand geht vor allen Dingen dahin: wir wollen an sich in den Grundrechten etwas zum Ausdruck bringen, was für den Richter oder die Gesetzgebung eine Handhabe sein soll für das, was nun geltendes Recht ist. Da habe ich gestern schon angemerkt, daß dieser Begriff der persönlichen Lebenshaltung ein Begriff ist, mit dem der Richter gar nichts anfangen kann. Was ist „persönliche Lebenshaltung"? Ist es der Bedarf, in dem ich lebe, oder umfaßt das auch, daß ich Kunstschätze habe, oder eine Jagd halte? Und nun das andere, die Einschränkung „der eigenen Arbeit dienend". Wir waren uns da es wurde ja sehr viel exemplifiziert —, der schon einig, daß der Industrielle noch in einem Geschäft mit drin ist, einen gewissen Schutz hat. Praktisch ist es doch aber so: soundsoviele Werke entstehen noch unter eigener persönlicher Arbeit; dann kommt aber der Augenblick, da sich diese Arbeitsleistung kapitalistisch objektiviert, wo diese persönliche Arbeitsleistung nicht mehr da ist, wenn Direktoren oder Neffen drankommen. Was aber hier eigentlich fast mitbetroffen wird oder unter eine gewisse Gefährdung gestellt wird, ist das Sparkapital, das uns geliehen wird. Das spielt ja in der Entwicklung unserer württembergischen Industrie eine ungeheure Rolle, dieser Personalkredit, der von Leuten gegeben wird, die irgendwie gespart oder geerbt hatten, reich waren, selber oft gar nicht gearbeitet haben. Die ganze württembergische Industrie lebte nicht von Bankkredit sondern von Personalkrediten. Wir haben eine Gründungsbank erst in den 90er Jahren bekommen, während die Industrie vorher entstanden ist. Sie können den Begriff der eigenen Arbeit im Zusammenhang mit dem Eigentum juristisch nicht fassen. Es kann ein Mann, der gar nichts schafft, doch ein Wohltäter der Menschheit werden. Denken Sie an den großen, sehr reichen jüdischen Humanitär Heimgarten in Frankfurt in den 80er und 90er Jahren37). Der Mann war nicht nur humanitär, sondern auch industriell, gewerblich, ohne daß er etwas geschaffen hatte. Der Mann hatte spekuliert, hat in den 60er, 70er Jahren in amerikanischen Bahnen spekuliert und hatte ein Saugeld verdient. Dann ist er nach Frankfurt zurückgekommen und hat das Geld wunderbar verDas



war wahrscheinlich die Frankfurter Familie Hallgarten. Der Bankier Charles Hallgarten (1838—1908) setzte sich für den Rechtsschutz der Frauen sowie für humanitäre und kunstfördernde Werke ein, sein Sohn, der Frankfurter Chemiker Dr. Fritz Hallgarten, machte sich um die Kranken- und Kriegsfürsorge, aber auch um die Frankfurter Universität verdient. Gerhard Schiebler: Jüdische Stiftungen. Frankfurt 1988, S. 339 ff.

37) Gemeint

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wendet. Ich weiß nicht, ob er diese Verwendung als eine Art Beruhigung eines schlechten Gewissens, das er wahrscheinlich gar nicht gehabt hat, gewählt hat. Wir sind gestern etwas in die Gefahr gekommen, das spekulativ erworbene Vermögen schlecht zu behandeln. Ich kann gut darüber reden, da ich in meinem Leben nie spekuliert habe. Aber wir sind da, glaube ich, etwas in die Gefahr der kleinbürgerlichen oder proletarischen Reden über das nicht mit Arbeit verdiente Kapital gekommen. Da sind doch Risikodinge drin enthalten. Es ist etwas anderes, ob die Leute dadurch reich geworden sind, daß der Bodenwert gestiegen ist, weil Straßen gelegt worden sind. Da bin ich dafür, daß sie durch eine Spezialsteuer von diesem unverdienten Wertzuwachs entlastet werden. Es ist aber falsch, das von vornherein moralisierend anzusehen. ich Wenn man das nämlich tut, dann kommt hier herein die Pointierung will da etwas aufnehmen, was Kollege Kroll eben gesagt hat gegen die Reichtumsentwicklung, die doch für Wirtschaft und Kultur eine Voraussetzung ist. Da wird also bei uns vielleicht erst die übernächste Generation wieder drankommen. Aber irgendwie wird das moralisch durch diesen Satz disqualifiziert, und ich glaube also, daß für den Begriff persönliche Lebenshaltung und den Begriff der eigenen Arbeit keine Rechtsform oder Rechtsauslegung möglich —



ist. Wir

sprachen ja schon davon: Was ist eigene Arbeit? Wir nannten da das Beispiel, daß der Sohn eines großen Schriftstellers oder Musikers 30 oder 50 Jahre

hindurch den Schutz des Gesetzes hat für die Werke seines Vaters. Wenn es sich um geistige Güter handelt, bin ich für sehr frühe Freigabe, aber dann wird die Freigabe Verdienst der Leute, die gar nicht daran beteiligt sind. Ich schließe mich da der Auffassung des Kollegen Kroll an. Dr. Schmid: Ich glaube, daß die Motive, die uns gestern bewegt haben, mißverstanden worden sind. Es lag uns nicht im Sinne, den Reichtum schlechthin zu diskreditieren. Es gibt ehrenhaft erworbenen Reichtum, der Beweis ist für die Tüchtigkeit eines Menschen und seine Fähigkeit, sich Dinge zu versagen, die ein anderer genossen und verbraucht hat. Davon ist nicht die Rede. Es ist nicht ein Bauernaufstand der Habenichtse, was hier zum Ausbruch kam. (Dr. Heuss: Ihre Motive kenne ich!) Dieser Verfassungsschutz des Eigentums hatte seine Wurzel darin, daß man schlechthin das Eigentum als etwas betrachtete, was nicht angetastet werden darf, es sei denn, daß man zugleich die Verfassung ändert. Das führte aber unter anderem dazu, daß man sich auch aus sehr unheiligen Motiven heraus auf die Heiligkeit des Eigentums berufen konnte, wenn das Eigentum angetastet werden mußte, um notwendige Strukturveränderungen der wirtschaftlichen und gesellschafüichen Verfassung durchzuführen. Es handelt sich darum, dies künftig zu verhindern. Nun gehe ich als Sozialdemokrat davon aus, daß das Eigentum, eine bestimmte Art von Eigentum, ein notwendiges Substrat für das sittliche Verhalten des Menschen ist. Ein Mensch, der nicht über die Dinge verfügen kann, die, sagen wir, zur Entfaltung seiner Persönlichkeit gehören, kann sich letzten Endes wohl nicht sittlich verantworten. Ich habe diesen Satz von meinem Vater gelernt; als 202

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ich als junger Bursche durchaus sehr utopische kommunistische Vorstellungen hatte, da hat er mir klargemacht: Wenn du das willst, dann verzichtest du letzten Endes darauf er sagte es, weil mein Kommunismus ethisch begründet war —, daß der Mensch sich verantworten kann, dann schaffst du nicht das, was du willst, sondern letzten Endes die Libertinage. Ich möchte also, daß dieses Eigentum, das von der Persönlichkeitssphäre des Menschen „gedeckt" wird, über das der Mensch seinen Schatten wirft, unter dem qualifizierten Schutz der Verfassung steht; das ist das Eigentum, das zur persönlichen Lebenshaltung des Menschen gehört. Das ist natürlich ein Begriff, der auslegungsfähig ist, bei dem wir es erleben können, daß der eine die Grenze da setzt, wo gerade noch die Notdurft gesichert ist, und der andere dort, wo noch ein gewisser Luxus möglich ist. Aber sehen Sie, es handelt sich hier nicht so sehr um Dinge, die für den Waldund Wiesenamtsrichter da sind, sondern für den Gesetzgeber. Sie sind für den Gesetzgeber ein Hinweis, nicht eine Grenzlinie, sondern ein Grenzstreifen, innerhalb dessen er sich bewegen kann, bestenfalls eine Sache für den Verfassungsgerichtshof. Der ist ja auch kein Wald- und Wiesengericht. Wenn er einen Sinn haben soll, müssen wir davon ausgehen, daß dort Leute sitzen, denen man eine sinnvolle Interpretation auch solcher Worte zumuten kann. Über das „eigene Arbeit" haben wir gestern ausgiebig gesprochen. Ich habe gesagt, daß keiner meiner Parteifreunde das Recht, sich auf eigene Arbeit zu berufen, nur dem zugestehen wird, der Schwielen an den Fingern hat; unter Arbeit verstehen wir selbstverständlich auch die Arbeit des Unternehmers, wenn eine echte persönliche unternehmerische Leistung und nicht nur ein durch den Titel Generaldirektor getarntes Recht auf Rentenbezug vorliegt. Ich habe gesagt, daß ich nach unseren württembergischen Verhältnissen nur wenigen Leuten, die heute dort an der Spitze von Betrieben stehen, das Recht abstreiten könnte, sich auf „eigene Arbeit" zu berufen. Aber es gibt doch eine Reihe von nicht mehr sehr vielen, aber dafür um so geballteren Eigentumskomplexen, bei denen man nicht gut davon reden kann, daß persönliche Lebenshaltung und eigene Arbeit etwas damit zu tun hätten. Ich nannte Namen. Ich sprach von den Wäldern des Fürsten Hohenzollern-Sigmaringen. Es widerstrebt mir, bis in die letzten Schichten meiner Seele hinein, daß man diesem politisch akkumulierten Eigentum, das seine Wurzeln letzten Endes im Bauernlegen hat, die Qualität der Heiligkeit vindiziert. Doch bin ich der Meinung, daß zwar auch solches Eigentum nicht der Willkür, nicht dem Opportunismus der Verwaltung unterstehen darf, aber der Freiheit des Gesetzgebers zur Verfügung stehen muß. Das ist es, was ich meine; um zu verhindern, daß man sich in einem solchen Falle auf eine zu absolute Fassung des in Abs. 1 Gemeinten berufen kann, möchte ich diese Qualifizierungen hier hereinhaben. Dieses also qualifizierte Eigentum soll unter dem Schutz der Verfassung stehen mit allem, was eine Verfassung an Schutz gewähren kann. Das andere Eigentum soll unter dem Schutz des Gesetzes stehen. Sie sprachen hier davon, daß unser kulturelles Leben ersticken oder dürftig werden müßte, wenn es keine Vermögen mehr gäbe, die es sich leisten könnten, gewisse Kulturgüter zu erhalten. Darin steckt sehr viel Wahrheit. Ein ge—

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wisser Stand unserer Kultur ist dadurch bedingt gewesen, daß es reiche Leute gab. Man sollte die Rolle des Luxus nicht unterschätzen, wenn man von den Fortschritten des menschlichen Geistes und auch des menschlichen Sichverhaltens spricht. Es wäre vollkommen töricht, das nicht zu sehen. Aber ein Wort, das ich öfter gebrauche, möchte ich auch hier sagen. Es kommt in einem Briefe des Plinius an seinen kaiserlichen Freund Trajan vor. Beide diskutieren über bestimmte Maßnahmen, und Plinius sagt, der kaiserliche Vorschlag wäre vernünftig, aber „non nostri saeculi est", es gehört nicht mehr zu unserem Jahrhun-

dert. Auch hier ist ein Wandel eingetreten. Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der bei den Möglichkeiten, die heute gegeben sind, Reichtum zu erwerben, vermutet werden kann, daß dieser Reichtum zu den kulturellen Leistungen führt, zu denen er früher hätte führen können. Ich glaube, es ist uns hier etwas anderes aufgegeben als früheren Jahrhunderten. Ich glaube, wir haben eine Aufgabe, die ich also dahin definieren möchte: die Armut aus der Dürftigkeit der bloßen „Powerteh" herauszunehmen, ohne die Armut mit einem falschen Glanz zu versehen. Ich mag das Wort Rilkes38) von dem stillen Licht von innen, das die Armut angeblich sei, nicht. Wir haben die Aufgabe, aus der Armut heraus Dinge zu schaffen, die zu schaffen früher dem Luxus vorbehalten geblieben ist. Wir haben ehrenwerte Beispiele für die Möglichkeit eines solchen Tuns: die Oper diente früher ausschließlich der Lustbarkeit eines Fürsten oder einer schmalen Honoratiorenschicht. Nun nehme man etwa die Volksbühnenbewegung und den Wandel, der durch sie verursacht worden ist; man denke daran, wie die Kunst durch viele Organisationen aus dem „Luxusbereich" herausgenommen worden und in den „Konsumbereich" der armen Leute gebracht worden ist. Da ist ein vollkommener Wandel vor sich gegangen. Die Kunst spielt heute in unserem Volke, auch im breiten Volke, eine wesentlich andere Rolle, als sie spielen konnte, als sie im wesentlichen dem Luxusbedürfnis und den Gemütsbedürfnissen der Leute diente, deren Reichtum es ihnen ermöglichte, sich einen sicheren Geschmack zu erwerben. Deswegen möchte ich die eben vorgebrachten Argumente für die heutige Zeit nicht mehr gelten lassen. Ich glaube, daß wir expreß an die Stelle solcher Betrachtungsweisen die andere setzen sollten. Was das Schloß Pommersfelden39) anlangt, das Sie als Beispiel anführten, so das ich kenne und glaube ich durchaus, daß es möglich wäre, dieses Schloß das mit Recht hochberühmt ist zu erhalten wie sehr viele Schlösser dieser Art als staatlicher und anderer öffentlicher Besitz erhalten werden. Es ließen sich für diese Dinge Fonds bilden. Wir haben in unserem Bodenreformgesetz in Württemberg-Hohenzollem die Bestimmung getroffen, daß zur Erhaltung gewisser Kunstwerke, die bisher aus der Privatschatulle der Latifundienbesitzer erhalten wurden, bestimmte Teile des betroffenen Grundbesitzes in eine Art von Fond zusammengefaßt werden. Das sind recht geschmeidige Bestimmungen, die nicht zu einem starren Verhalten zwingen. —



38) Rainer Maria Rilke (1875-1926). 39) Vgl. Anm. 36. 204

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(Dr. Weber: Im Osten hat man alle Schlösser zerstört!) Wir wollen die Zerstörungen, die die Herren im Osten vornehmen, nicht, und wenn Sie glauben sollten, daß unser Vorschlag mit dem Sie gestern als einverstanden waren ist ein gedacht trojanisches Pferd, das den übrigens Bolschewismus in den Westen bringen soll, tun Sie uns unrecht; das ist nicht —





unsere

Absicht.

Vermittlungsvorschlag machen, weiß allerdings finden wird. Die Argumente des verehrten Herrn Dr. Schmid sind nicht abzuweisen. Es besteht an sich schon ein Unterschied zwischen dem Eigentum, das der persönlichen Lebenshaltung und der eigenen Arbeit dient, und dem andern. Ich würde nicht die Bedenken von Dr. Heuss haben. Ich habe im Verlauf der ganzen Verfassungsdiskussion eine merkwürdige Tatsache festgestellt. Sämtliche Juristen Dr. Heuss ist zwar kein Jurist, aber auch diesem in er hat Augenblick etwas Juristisches zitiert überlegen neuerdings bei jedem Begriff, ob er sich in der Judikatur bereits bewährt habe. Es besteht eine gewisse Scheu, neue Grundbegriffe einzuführen, weil eine gewisse Rechtsunsicherheit damit verknüpft ist, geben wir das offen zu. (Dr. Schmid: Denken Sie nur an die revolutionäre Tat der Einführung des Begriffs der guten Sitten im Bürgerlichen Gesetzbuch!) Man sollte das doch der Geschichte überlassen und sehen, was bei der Rechtsprechung dabei herauskommt. Aber ich meine nicht, daß das übrige Eigentum überhaupt keines Schutzes bedarf. Diesen Gedanken halte ich aufrecht, ebenso wie Dr. Schmid. Er sagt ja auch: dieses Eigentum steht unter dem Schutz der Gesetze. Nun ist es so, daß ein Grundgesetz schon die Gesetze beeinflußt. Die Formulierung des Grundgesetzes ist maßgebend. Daher möchte ich einen Vermittlungsvorschlag machen: Das Eigentum, besonders das der persönlichen Lebenshaltung oder der Arbeit dienende, wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Durch die Hervorhebung dieses Eigentums mit dem Worte „besonders" ist eine Abschwächung des anderen gegeben; es hat nicht mehr den gleichen Rang im Schutz, obwohl es noch geschützt ist. Für mein Gefühl würde das schon eine Differenzierung bedeuten und auch bedeuten, daß man in einer Notzeit, die sehr starke Maßnahmen einfach erforderlich macht, zuerst an das andere Eigentum herangeht, bevor irgendeine Bedrohung der persönlichen Lebenshaltung oder der eigenen Arbeit eintritt. Aber auf die Aufnahme des übrigen Eigentums ins Grundrecht möchte ich nicht verzichten. Deshalb bitte ich zu prüfen, ob wir nicht wie in meinem Vermittlungsvorschlag formulieren könnten. Dr. Heuss: Ich kann mir vom Verfassungsgerichtshof nicht recht vorstellen, daß er etwas über die „eigene Arbeit" formulieren kann. Ein Gesetzgeber kann das nicht machen, wenn er gleichzeitig das Erbrecht schützt, denn im Erbe ist ja auch die Wirkung von nichteigener Arbeit enthalten. Das sind zwei Dinge, die nicht zusammengehen. Mit dem, was Kollege Schmid da vortrug, eine Art Soziologie der Geschichte des Reichtums und seinen Ausführungen von der Armut des kleinen Bürgertums bin ich sehr einverstanden. Ich habe im Jahre 1924 oder 1925 den großen Dr. Kroll: Ich möchte einen

nicht, ob

er

Anklang





205

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Verzeihung, wenn ich mich dessen rühme gegen die Luxussteuer des Herrn Popitz40) mit Erfolg geführt, habe eine wilde Rede für den Luxus im Interesse der deutschen Arbeiterschaft gehalten, um eine bestimmte Qualitätsleistung, die der deutsche Arbeiter handwerklich ausgebildet hat, überhaupt noch zu ermöglichen, weil sie eines gewissen inneren Marktes auch bedarf, um nicht bloß in den Allerweltsdreck der Weltmoden hereinzukommen41). Aus dieser Situation sind wir heute heraus, weil wir in Rohstoffen knapp sind. Ich habe Herrn Popitz da nach Strich und Faden ironisiert mit seinem zweibändigen Luxussteuergesetz, weil sich das gegen die Qualitätsarbeit des deutschen Facharbeiters auswirkt. Ich habe da wie ein Volksredner geredet. Wir müssen ja in den nächsten Jahren in Deutschland Dinge produzieren, die selber zu kaufen wir in den zwei nächsten Generationen zu arm sind. Von der Seite her ist das Problem Reichtum Luxus ein entscheidendes Sozialproblem für die Erhaltung einer qualifizierten Facharbeiterschaft. Dazu kommen die Kunstgewerbeschulen und Fachschulen. Wenn wir diesen Leuten nicht eine bestimmte Produktion geben in der Ausrichtung auf den Qualitätsbedarf auch des inneren Marktes, dann wird es Dreck. Ich lehne diesen einen Begriff aus juristischen Bedenken ab, weil ich auch dem Gesetzgeber nicht die Kraft zutraue, diesen Begriff der „persönlichen Lebenshaltung" richtig auszulegen. Er kommt dann zu Normierungen und womöglich zu einer Konsumbesteuerung, die wir auch einmal gehabt haben. Da bin ich dafür, die eventuelle Chance dem einzelnen zu lassen, gleichwie, ob er reich oder arm ist. In Württemberg z. B. sind ja die meisten der reichen Leute oder ihre Väter selber Handwerker oder Vorarbeiter gewesen. Nehmen Sie etwa Bosch42), dessen Großvater auch allein angefangen hat. Zinn: Diese Luxusbesteuerung schließen Sie weder durch diese noch durch die Fassung der Weimarer Verfassung aus. Dr. Heuss: Nein, ich habe das Argument nur genommen, weil ich ein kleines Plädoyer für die Wirkung des Eigentums halten wollte, das im Sinne der Lebenshaltung verschwendet wird, mit Rücksicht auf die Arbeitsaufträge, die unseren Leuten nicht verloren gehen sollen und die dadurch der deutschen Volkswirtschaft erhalten werden sollen. Diese Leute sind eine Voraussetzung für die Rückgewinnung irgend einer Stellung nach außen, weil wir ja nur die feinsten Sachen herausschicken können. Zinn: Aber das wird durch diese Fassung gar nicht ausgeschlossen; denn der Begriff der persönlichen Lebenshaltung wird sich immer ändern können. Dr. Heuss: Aber Sie führen die Gefahr einer Normierung herbei! Kampf







40) Johannes Popitz (1884—1945), Finanzpolitiker und Finanzwissenschaftler. 41) Vgl. Verhandlungen des Reichstages, III. Wahlperiode 1924, Bd. 387,

109.

Sitzung,

S. 3870-3875.

42) Über Bosch hatte Theodor Heuss eine Biographie verfaßt: Robert Bosch, Leben und Leistung, 1. A. Tübingen 1946. 206

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Fassung sollte zum Ausdruck bringen, daß das Grundgesetz dem ethisch fundierten Eigentum eine besondere Anerkennung zuteil werden lassen will. Diese Formulierung, die Sie gewählt haben, Herr Kroll, läuft auf einen Verfassungsschutz der verschiedenen Eigentumsarten hinaus. Wenn Sie aber das, was Herr Kollege Heuss erwähnte, mit umfassen wollen, könnte man vielleicht sagen: das der persönlichen Lebenshaltung oder dem allgemeinen Wohl dienende Eigentum. Dr. Heuss: Es ist nicht das allgemeine Wohl. Denken Sie doch an einen Mann, der Personalkredite gegeben hat, sonst aber weiter nichts mehr geschaffen hat. Dieser Frankfurter Wohltäter, von dem ich vorhin sprach, gehörte dem verfluchten Gewerbe des alten Privatbankiers an. Der hat sich die Leute selber angesehen und auch ihre Frauen, ob sie sparsam waren usw. Er hat 100, 300, 1000 Leuten ermöglicht, ein relativ gutes Leben zu führen. Dr. Weber: Vieles von dem, was wir wollen, könnte erreicht werden durch den Satz: Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Wir haben gestern in der Debatte vielem von dem zugestimmt, was Herr Dr. Schmid gesagt hat, weil wir über das Eigentum anders denken als in vergangenen Zeiten. Wenn man aber mehr darüber nachdenkt, was für ein Unfug damit getrieben werden kann, und wenn ich mir die Beispiele vor Augen führe, die von der einen oder anderen Seite hier angeführt worden sind, neige ich heute mehr dazu, einfach nur zu sagen, Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet, das andere aber, Inhalt und Schranken, der Gesetzgebung zu überlassen. In dem, was Herr Schmid auch sonst über die Einschränkungen sagte, bin ich absolut einer Meinung mit ihm. Ich fürchte nur, daß andere nicht so denken wie wir hier, und damit müssen wir auch rechnen. Andere werden mit dieser Definition Mißbrauch treiben. Die Definition aber so zu bringen, daß sie das sagt, was wir wollen, scheint so schwer zu sein, daß wir es kaum fertig bringen. Zinn: Der von Ihnen befürchtete Mißbrauch konnte ebensogut mit den Vorschriften der Weimarer Verfassung getrieben werden. Da hieß es auch: Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt, und es hieß dann weiter: Ob eine Entschädigung zu zahlen ist, bestimmt ein Reichsgesetz. So konnte also nach der Weimarer Verfassung im Grunde unbeschränkt enteignet werden. Kaiser: Aber vieles hat Hitler bereits geregelt. Er hat eine Enteignung sonderZinn: Diese



gleichen durchgeführt.

Zinn: Warum nicht dem

Gesetzgeber in einem Grundgesetz gewissermaßen den Auftrag geben, die Funktion des Eigentums, wie wir sie sehen, neu zu gestalten? Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Falls keine weiteren Wortmeldungen erfolgen, darf ich wohl feststellen, daß die ganzen Fragen genügend geklärt sind. Ich darf einmal kurz zusammenfassen: die eine Meinung, die unter Vorbehalt gestern hier zu Papier gebracht worden ist, findet in ihren zugrunde liegenden Gedanken und in vielem anderen durchaus das Verständnis der anderen Seite. Die Schwierigkeit liegt nur darin, so zu formulieren, daß das, was wir wollen, tatsächlich auch mit dem Zusatz erreicht werden kann. Es ist hier die Auffassung vorgetragen worden, daß diese Fassung nach dieser oder jener Richtung

207

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vielleicht zu eng sein könnte. Dahin gingen die ganzen Bedenken, und deshalb ist der Antrag gestellt und auch von der anderen Seite aufgenommen worden, diesen Zusatz doch aus diesen Gründen wegzulassen. Ich glaube auch, daß dadurch keine sehr große Gefahr entstehen würde, denn der Abs. 2 läßt die Enteignung im Interesse und zum Wohle der Allgemeinheit ohne weiteres zu. Der Fall also, der vom Kollegen Schmid angeführt wurde die Staatswälder des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen —, würde sich ja über den Abs. 2 regeln lassen. Es ist vielleicht ein Schönheitsfehler, und das empfindet die andere Seite auch. Es liegt vielleicht daran, daß man dieses Eigentum als ethisch in sich gerechtfertig nicht in dem Maße hat zum Ausdruck bringen können, wie es einem vorgeschwebt hatte. Auf der anderen Seite aber, das hat sich hier herausgestellt, besteht die große Gefahr, daß diese Formulierung noch nicht ausreicht, um gewisse Bedenken zu überwinden. Es bleibt uns in dieser Situation gar nichts anderes übrig, als darüber abzustimmen, wer für die Aufrechterhaltung und wer gegen die Aufrechterhaltung dieses Zusatzes ist. Dr. Bergsträsser: Wenn Sie sagen, daß es sich um die Schwierigkeit der Formulierung handelt, dann ist doch damit die Möglichkeit gegeben, über die Schwierigkeit der Formulierung hinwegzukommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir machen ja erst eine erste Lesung und müssen natürlich hier zu einem Schluß kommen. Es bleibt der zweiten Lesung durchaus vorbehalten, daß ein Antrag ausgearbeitet wird, der dann in der zweiten Lesung Billigung findet. Dr. Bergsträsser: Wenn wir diese Formulierung des Abs. 2: Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur auf Grund eines —

Gesetzes zulässig ohne diesen Zusatz in Abs. 1 annehmen, richt darauf eingehen wird, den Fürsten

eignen?

glauben von

Sie

dann, daß irgend

Hohenzollern-Sigmaringen

ein Gezu ent-

Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Die Enteignung wird nicht vom Gericht gemacht. Ich Richtigstellung sagen: Das Verfahren geht in der Weise vor sich, daß ein Gesetz die Grundlage und die Möglichkeit für eine Enteignung gibt, und daß dann die Verwaltung den Enteignungsakt ausführt. Die Feststellung der Entschädigung kann dann in einem gerichtlichen Verfahren erfolgen. Dr. Bergsträsser: Ich glaube nicht, daß ein solches Gesetz zustande kommen würde mit der Möglichkeit, dem Fürsten von Sigmaringen auch nur einen Teil seines Waldes zu nehmen, ohne daß er nach dem üblichen Wert entschädigt

darf

zur

wird.

Mangoldt]: Wenn das

Volk aber nicht der Auffassung ist, sich nicht hier daß ist, einig enteignet werden kann, können wir diesen Verfassungsobersatz auch nicht niederlegen; dann sind wir ganz auf falschem Vors. [Dr.

v.

darüber

Wege. Kaufmann: Ich glaube, es ist unter allen Umständen notwendig, daß der erste Satz lautet: „Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet". Ich persönlich würde keine Bedenken haben, dahinter einen Satz zu setzen, der lautet: Insbesondere steht das Eigentum, das der persönlichen Lebenshaltung und der eigenen Arbeit dient, unter dem Schutz der Verfassung. 208

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Das ist eine ähnliche Formulierung wie in Württemberg-Baden43). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eine technische Ergänzung. Es ist ganz bewußt gesagt worden: „Das Eigentum zugleich mit dem Erbrecht". Über die Zusammenhänge des Eigentums mit dem Erbrecht haben wir gestern lange gesprochen. Dr. Heuss: Welches ist der Unterschied zwischen Gewährleistung und Schutz der Verfassung? Mir ist das nicht ganz klar. Sie sagen das gleiche, nur mit einem

Wechsel der Vokabeln.

Kaufmann: „Das Eigentumsrecht besteht; ein besonderer Schutz wird demjenigen Eigentum gewährt", usw. Das haben wir ja in der Diskussion über die Schranken gesagt.

Dr. Heuss: Wir entwerten das Wort „gewährleisten", das wir sehr oft gebraucht haben, wenn wir eine Sondervokabel „Schutz der Verfassung" hinzufügen. Kaufmann: Ich wollte das gerade auf die Möglichkeit der Schranken bezie-

hen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im Grunde genommen ist derung gegenüber dem Vorschlag von Dr. Kroll. (Kaufmann: Es ist ungefähr dasselbe.) In der rechtlichen Wirkung ist es dasselbe. —

(Kaufmann:

das keine

Dann müßten wir das zweite ganz

grundsätzliche

weglassen,

Formulierung dafür finden.)

wenn

Än-

wir keine

Soweit ich die Dinge sehe, stehen sich jetzt zwei Formulierungen, eine weitere und eine engere Formulierung gegenüber, nämlich die von Herrn Dr. Kroll vorgeschlagene und von Herrn Kaufmann unterstützte Formulierung. Die weitere Formulierung, über die man zuerst abstimmen müßte, ist die, die hier niedergelegt worden ist. Dr. Heuss: Dann nehme ich den Antrag von Dr. Kroll auf. Ich bin dafür, daß man schreibt: „Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet"; wenn schon, denn schon. Er nimmt es dann auf mit „in Sonderheit", und ich spiele jetzt den alten Liberalen. Kaufmann: Der weitere Antrag ist der: „Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also Streichung dieser Begriffe der persönlichen Lebenshaltung und der eigenen Arbeit. Dr. Heuss: Bei mir bestehen technische Bedenken dagegen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der nächste Antrag würde dann so lauten, mit dem Zusatz, wie Sie ihn gestellt haben: „insbesondere das .", wobei die Formulierung allerdings nicht sehr schön ist. Dr. Kroll: Das müßte der Redaktionsausschuß noch bearbeiten. Dr. Schmid: Zur Abstimmung! Die Frage, was weiter geht und weniger weit geht, scheint mir nicht so ganz klar zu sein. Man geht „relativ" weiter, das heißt in Beziehung auf etwas. Nun scheint mir, wie die Dinge liegen, der Antrag weiterzugehen, der im Eigentum nicht etwas so ganz Heiliges sieht, als bisheriger Anschauung entspricht. Die „Heiligkeit des Eigentums" ist die Tradition, .

43I

.

Art. 8, Abs. 2 der

und

Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946: „Durch Arbeit Sparsamkeit erworbenes Eigentum genießt besonderen Schutz." 209

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ist der Bestand, von dem man ausgeht; was hier gewünscht wird, ist ein Abgehen davon. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, darüber brauchen wir nicht zu streiten. Dr. Heuss: Ausgangspunkt ist hier die theologische Fragestellung. Kollege Schmid hat theologisch gesprochen, weil er von der Heiligkeit ausging. Ich will es rein säkular aussprechen. Die weitestgehende Form ist natürlich der Begriff des Eigentums an sich, und das andere sind die Abschwächungsformen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist vollkommen gleichgültig. Ich glaube, wir halten dadurch nur die Sache auf. Wer für die Fassung in dieser hier vorliegenden Form ist, wie sie aus dem Redaktionsausschuß kommt, den bitte ich, die Hand zu erheben. Das wären 6.

Und

wer



ist

dagegen?

(Kaiser: Ich bin ausdrücklich gebeten worden, einen der Herren heute vertreten.)

zu

Das wären 6:6, also ist der Antrag abgelehnt. Wunderlich: Bei uns ist eine Stimme zuviel abgegeben! Zimmermann: Ich trete für Frau Nadig ein; infolgedessen bin ich stimmberech—

tigt.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist so oder so klargestellt, daß der Antrag in dieser Form abgelehnt ist. Herr Kaiser ist als Vertreter eines unserer Mitglieder da. Jede der beiden großen Fraktionen hat fünf Vertreter hier. Dieser Antrag würde dann auch abgelehnt sein. Es ist nun die Frage, ob der Antrag bei uns in dieser abgeschwächten Form gestellt wird. Wird der Antrag von Ihnen aufrecht erhalten? Dr. Kroll: Ich habe ihn nicht gestellt; ich habe ihn zur Diskussion gestellt. Wenn er in der Diskussion abgelehnt wird, ziehe ich mich auf meinen ersten Antrag zurück. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich stelle den Antrag zur Abstimmung, in dem es heißt: Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Wer für diese Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Das wären 6. Und die Gegenprobe? Das wären 5. Dr. Kroll: Es wird darüber im Plenum zu sprechen sein44). Vors. [Dr. v. Mangoldt!: Es wird in der zweiten Lesung noch einmal darüber zu sprechen sein45). Das liegt an der Schwierigkeit der ganzen Frage. Wenn wir die Begründungen aus den verschiedenen Gedankenwelten einbeziehen, besteht die Möglichkeit, hier eventuell zu einer Formulierung zu kommen. Kaufmann: Im Verfolg dessen, was ich vorhin ausgeführt habe, bitte ich zu überlegen, ob wir nicht folgende Formulierung für den Abs. 2 finden können: Enteignung oder Eigentumsumwandlung zum Wohle der Allgemeinheit ist nur auf Grund eines Gesetzes zulässig. —







44) Im Plenum wurde hierüber, allerdings nicht sehr ausführlich, ten

Lesung

des

Grundgesetzes auf der 9. Sitzung vom 6.

richte, S. 178-179. 45) Dok Nr. 33, TOP 1 210

e.

erst im Rahmen

Mai 1949

der zwei-

gesprochen; Sten.

Be-

Achte Sitzung 7. Oktober 1948

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Das würde das treffen, was ich vorhin dargelegt habe. Zinn: Eine Enteignung umfaßt auch das, was man unter Umlegung versteht. Es wird zunächst enteignet; nur die Art der Entschädigung ist eine andere. Kaufmann: Es wird nicht enteignet; durch eine Verlegung der Gruppe, die an der bestimmten Stelle wohnt, wird eine Neuregelung des Eigentums erreicht. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das ist unser Begriff der Umlegung. Das ist aber eine Enteignung. Aber vielleicht könnte man das hineinsetzen: zugleich im Wege

der

Umlegung.

Dr. Schmid: Ich

enteigne die Eigentümer eines Blockes X und kann folgendermaßen verfahren. Ich entschädige die Leute für die Enteignung, indem ich ihnen entweder eine gleichwertige andere Parzelle zuteile, die woanders liegt, oder indem ich ihnen Vioo wenn es 100 Stücke sind des Rechtes am Gesamteigentum gebe, wenn etwa Genossenschaften gegründet werden sollten. Kaufmann: In einigen Fällen wird es nicht durch Genossenschaften erfolgen, sondern es wird rein privat bleiben, wobei die Leute sich nur der neuen dort geschaffenen Bauordnung und Bauplanung unterwerfen. Es wird auch teilweise genossenschaftlich, teilweise in Gemeinderegime und teilweise privat gebaut werden. Zinn: Juristisch geht die Enteignung voraus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, es ist durchaus so, daß die Frage der Umlegung auch unter die Enteignung fällt. Wir haben Umlegungsverfahren gehabt; sie haben in der zurückliegenden Zeit eine große Rolle gespielt. Kaufmann: Es ist ursprünglich nie ein Enteignungsverfahren betrieben worden; nur in Fällen von Besitzern, die sich auf keinen Preis der Verordnung fügten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden wir das eventuell hineinbringen kön—



nen.

Dr. Heuss: Ich halte das, was Herr Kaufmann vorgetragen hat, für naheliegend, weil das heute plastisch vor sehr vielen Leuten steht. Aber der Begriff der Eigentumsumwandlung hat wieder sehr verwirrenden Charakter. Rechtlich kann man sich nichts darunter vorstellen. Würde es nicht genügen, wenn das in der Berichterstattung mit zum Ausdruck kommt, so daß sozusagen protokollarisch zum Ausdruck kommt, daß das, was Kollege Kaufmann gesagt hat, mit davon betroffen wird? Ich glaube nicht, daß wir die Form finden, um das auszudrükken, und eine Umlegung können wir nicht hereinnehmen. Dr. Kroll: Ich überlege mir, ob man nicht den Begriff der Beschränkung des Ei-

gentums hineinbringt.

Dr. Schmid: Herr Kroll hat recht: nicht die

sondere

allgemeinen Schranken, sondern

be-

Beschränkungen.

Zinn: Dann können Sie nicht sagen: zum Wohle der Allgemeinheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es gibt hier eine große Schwierigkeit: Mit der bloßen Beschränkung kommen wir ins Polizeirecht. Jedes Eigentum hat in sich eine Schranke; sie liegt darin, daß es nur polizeimäßig benutzt werden darf. Es ist einer der Grundsätze unseres Polizeirechts, daß keine Enteignung vorliegt, wenn eine Polizeiverfügung ergeht, die dem Eigentümer eine Auflage macht, die ihn irgendwie in seinem Verfügungsrecht über das Eigentum beschränkt. Es besteht die große Gefahr, daß, wenn wir die Beschränkung hineinbringen, dieses bewährte Polizeirecht leidet. Das wird sofort die Folge sein. 211

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Zu dem, was ich vorhin als Beispiel angeführt habe, kommt noch die große Frage der Flurbereinigung, die auch unter den Begriff der Umlegung fällt. Wenn es möglich ist, in dem Bericht ausdrücklich zum Ausdruck zu bringen, daß unter diesen Satz auch die Fragen der Umlegung zum Zwecke der Flurbereinigung bzw. der einheitlichen Entwicklung großer Baugebiete gehören, würde ich damit einverstanden sein, daß es nicht in die Verfassung kommt. es ist häßlich und wird von allen Dr. Kroll: Man könnte ein Wort prägen Philologen bekämpft werden, drückt das aber aus : Zwangsaustausch von

Kaufmann:



Eigentum.



Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Könnten wir das nicht, wenn Herr Kaufmann einverstanden ist, in dem Bericht zum Ausdruck bringen? Dr. Kroll: Gemeint ist der zwangsweise Austausch von Eigentum, der sehr wichtig ist. Ich möchte sagen: Er ist mir so wichtig im Zuge der Bodenreform bzw. der Städtebauplanung und der kommenden Gesetze auch in den Ländern, daß ich es fast nicht für stark genug halte, es nur in die Berichterstattung zu bringen. Ich würde meinen, daß gerade dieser Fall, der nämlich der häufigste Fall in der Zukunft sein wird, doch in der Verfassung formuliert werden sollte. Aber vielleicht muß man es sagen: „Enteignung sowie der zwangsweise Austausch von Eigentum"; es wird sich nicht anders ausdrücken lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir sind über diesen Punkt klar. Wir haben hier nur die erste Lesung; wir vermerken das am Rande und machen eine endgültige Fassung in der zweiten Lesung. Wir müssen die einzelnen Artikel doch noch einmal durchgehen. Kaufmann: Diese Frage ist im Augenblick außerordentlich bedeutsam. Ich bitte dringend, nicht nur an die zerstörten Städte zu denken. Eine ganze Menge von Städten und Landgemeinden haben die Aufgabe, eine ganz andere Bevölkerung unterzubringen, als sie bisher gehabt haben. Dadurch müssen sich zwangsläufig die Bodenbesitzverhältnisse irgendwie ändern, sonst kommen zum Beispiel unsere Flüchtlinge niemals dazu, Boden zu fassen, rein wohnungsmäßig, und die Städte und Gemeinden stehen vor einem Vakuum. Es sind zwar eine große Reihe von Versuchen von Ländern gemacht worden, in der Hinsicht Gesetze zu schaffen. Aber wenn das nicht einheitlich gemacht wird ich will hier einmal etwas föderal-ketzerisches sagen —, wird es so sein, daß durch die verschiedenen Regelungen verschiedene Länder einzelne Leute anlocken, andere sie abstoßen. Hier ist ein gesamtdeutsches Problem, das gelöst werden muß. Deshalb bin ich im Zweifel, ob es für die künftige Rechtsprechung und für die glatte Durchführung dieser wichtigsten Augenblicksaufgabe genügt, wenn man das nur in den Bericht hineinbringt. Ich möchte sehr bitten, daß versucht wird, hier noch eine Formulierung zu finden. Zinn: Was Herr Kaufmann sagt, ist an sich richtig. Aber es ist eine Frage, die im Zuständigkeitskatalog zu regeln ist, nicht hier. Dort ist festzulegen, daß das Enteignungsrecht durch den Bund geregelt werden kann46). —

46) Der Pari. Rat Bd. 3, passim. 212

Achte Sitzung

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ist das Problem für die Gemeinden, daß das seitherige Enteignungsnach dem preußischen Enteignungsgesetz von 18 7 447) und dem Gesetz über das vereinfachte Enteignungsverfahren —, zu schwerfällig ist. Aber das ist ein technisches Problem. Es handelt sich einfach darum, ein vereinfachtes und schnell zum Erfolg führendes technisches Verfahren zu finden. Das aber kann nicht in den Grundrechten geregelt werden. Dr. Schmid: Umlegungen erfordern eine katastermäßige Landesaufnahme; Flurbereinigungen können darum 30 Jahre brauchen. Wir haben in Süd-Württemberg die Möglichkeit geschaffen, eine sogenannte Verpflockung, das heißt eine Notvermessung vorzunehmen, ein Verfahren, das es möglich macht, eine solche Operation in einem Jahre durchzuführen. Ich habe noch einen Antrag zu stellen zu Abs. 2. Es heißt hier: „Das Gesetz bestimmt auch Art und Ausmaß der Entschädigung". Gestern wurde so formuliert: Diese also Art und Ausmaß der Entschädigung sind unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Im

übrigen

verfahren







Betroffenen festzusetzen. ginge man an sich hinter die Möglichkeiten der Weimarer Verfassung zurück, die auch die Möglichkeit einer entschädigungslosen Enteignung vorsah. Ich würde vorschlagen, den Satz beginnen zu lassen: Insoweit es Entschädigung vorsieht, ist diese unter gerechter Abwägung Damit

.

usw.

.

.

Vors. [Dr. v. Mangoldtl: „Soweit Entschädigung gesetzlich vorgesehen wird" würde ich sagen, weil es ganz allgemein gedacht ist, nicht ein spezielles Gesetz. Dr. Schmid:

Gut, einverstanden:

Soweit

Entschädigung gesetzlich vorgesehen ist, usw. Abwägung .

ist diese unter

gerechter

.

Dr. Heuss: Wir haben zweimal hintereinander das Wort „bestimmt". Kann das zweite mal sagen: Das Gesetz „regelt"? So würde ich im zweiten Satz .

schlagen.

Vors. [Dr.

man vor-

Mangoldt]:

Dann würde es heißen: Wohle der Allgemeinheit nur auf Grund eines Gesetzes zulässig. Das Gesetz regelt auch Art und Ausmaß der Entschädigung. Dann geht es weiter: Soweit Entschädigung gesetzlich vorgesehen wird, ist diese unter gerechter Abwägung usw. festzusetzen. Wird das Wort noch weiter zu Art. 17 gewünscht? Wir können dann zu Art. 18 übergehen. Dr. Schmid: Die systematische Stellung des Art. 18 ist von dem Gedanken getraalso roh ausgedrückt Sozialigen, daß die Überführung in Gemeineigentum, ähnliche nicht oder als Sonderfall Maßnahmen —, der Individualenteigsierung nung zu gelten hat, sondern als etwas anderes, nämlich als strukturelle Um...

v.

zum





) Gesetz über die Enteignung

von

Grundeigenthum vom

11.

Juni

1874

(GS, S. 221). 213

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Achte Sitzung 7. Oktober 1948

Wandlung der Wirtschaftsverfassung. Deswegen

ist der Inhalt dieses Art. 18 nicht als Abs. 4 unter Art. 17 genommen worden, sondern es ist ein besonderer Artikel gewählt worden. Davon ist man schon in Herrenchiemsee ausgegangen. Der jetzige Text ist der in Herrenchiemsee vereinbarte mit einer Hinzufügung. Außer Bodenschätzen und Produktionsmitteln sind auch Grund und Boden genannt worden. Art. 18 lautet jetzt: Die Überführung von Grund und Boden, von Bodenschätzen sowie von Produktionsmitteln in Gemeineigentum bedarf besonderen Gesetzes. Damit sollen zwei Gedanken zum Ausdruck gebracht werden. Erstens: es handelt sich nicht um einen Sonderfall der Individualenteignung; zweitens: Überführung in Gemeineigentum bedarf des Gesetzes, und zwar eines besonderen Gesetzes, darf also nicht durch Verwaltungsakt vorgenommen werden. In diesem Falle muß ein reguläres Gesetz, ein Gesetz im formalen Sinne des Wortes ergehen. (Zinn: Es müßte heißen: ein förmliches Gesetz; sonst haben wir nachher wieder die berühmten Auslegungsschwierigkeiten.) Also: nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes. Dr. Heuss: Hier steht: „Ist nur auf Grund Gesetzes zulässig", und bei Ihnen heißt es „bedarf". Was nehmen wir da? Dr. Schmid: Verzeihung, ich hatte die falsche Vorlage vor mir. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wird also der Antrag gestellt zu sagen: auf Grund förmlichen Gesetzes. (Dr. Weber: Im Herrenchiemseer Entwurf steht: „eines besonderen Geset—

zes"!)48) Dann müßte es in Abs. 2 des Art. 17 ebenso heißen: „eines förmlichen Gesetzes". Weitere Änderungen wären dann in dem Absatz nicht notwendig, und in Abs. 3 taucht es nicht auf. Die Formulierung „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt" kann so bleiben. Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Art. 18 gewünscht? —

[6. GLEICHHEITSGRUNDSATZ (ART. 19)] Dann können wir weiter gehen zu Art. 19. Er ist im Ausschuß bereits behandelt und bedarf keiner weiteren Erörterung49).

[7. UNANTASTBARKEIT DER GRUNDRECHTE (ART. 20)]

Es bleibt dann noch Art. 20. Ich darf dazu ausführen: Art. 20 sollte die Sätze aufnehmen, die Art. 21 des Herrenchiemseer Entwurfs enthielt. Wir haben eingehend darüber gesprochen; es sind ungefähr alle Mitglieder des Ausschusses gestern daran beteiligt gewesen.

48) ChE, Art. 18, Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. 49) Vgl. 6. Sitzung, Dok. Nr. 7, TOP 1 h. 214

Achte

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Zur Klärung der Sachlage darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß dieser Satz: Die Grundrechte dürfen nicht beseitigt werden. Auf ein solches Ziel ge-

richtete Anträge sind

unzulässig

seine Verkörperung schon weitgehend in Art. 1 gefunden hat, und daß der Satz 2 dieses Abs. 1 eine Deklaration ist, die praktisch nicht durch das Recht zu sichern ist, die man deshalb weglassen sollte. Abs. 2 : Die Grundrechte binden den Gesetzgeber, den Richter und die Verwaltung unmittelbar ist in Abs. 3 des Art. 1 vor die Klammer gestellt und bezieht sich auf sämtliche

Grundrechte. Abs. 3 des Art. 21 sagt: Die Grundrechte sind, soweit sich aus ihrem Inhalt nichts anderes ergibt, im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen. Diesen Satz haben wir von Anfang an für gefährlich gehalten und haben uns bemüht, bei der Formulierung der Einzelgrundrechte diesen allgemeinen Satz gleich in die einzelnen Artikel einzubauen und so zu einer stärkeren Klärung durch eine Konkretisierung bei den einzelnen Artikeln zu kommen, so daß er auch wegfallen konnte. Abs. 4, Satz 1 : Eine Einschränkung der Grundrechte ist nur durch Gesetz und unter der Voraussetzung zulässig, daß es die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesundheit zwingend erfordert. Hier haben wir auch durch die Konkretisierung bei den Einzelartikeln diese Dinge vorweggenommen und glauben, daß wir dadurch zu einer größeren Sicherung der Grundrechte gekommen sind, als sie hier vorgesehen ist. Es bliebe nur noch Satz 2 des Abs. 4 des Art. 21 offen, der vorsieht, daß in die Substanz eines Grundrechtes nicht eingegriffen werden soll. Hier ist nach längeren Überlegungen die Fassung des Art. 20 zustande gekommen, die diesen Satz aufnimmt. Abs. 5 über das Notstandsgesetz schien uns nicht notwendig, weil die lex specialis immer der lex generalis vorausgeht, und wenn wir Art. 111 bekommen, brauchen wir keine Verweisung auf den Art. 111. Wird das Wort zu diesem Artikel gewünscht? Wenn nicht, kann ich ihn auch als angenommen erklären. —

[8. ERWEITERUNG DER GRUNDRECHTE DURCH GRUNDREGELN FÜR DAS WIRTSCHAFTLICHE UND KULTURELLE LEBEN?]

Wir stehen nun vor der großen Frage, die wir zum Abschluß noch klären müssen. Wir müssen deutlich klarstellen, ob über den Umfang dieser 20 Artikel, die wir so für den Grundrechtsteil geschaffen haben, noch andere Grundregeln des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in diesen Grundrechtsteil aufgenommen werden sollen. Es sind ja im Laufe unserer Verhandlungen schon eine Reihe von Anträgen nach dieser Richtung gestellt worden. 215

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Es hat sich dann aber im Laufe der Verhandlungen gezeigt, daß einer solchen Erweiterung doch auch sehr erhebliche Bedenken entgegenstehen, daß das Hineingehen in einen solch erweiterten Grundrechtsteil sehr viel Zeit erfordern würde, daß vor allen Dingen die Gefahr besteht, es könnte bei einer solchen Erweiterung nicht zu der Einigung mit überwältigender Mehrheit kommen, die Voraussetzung für die Annahme des gesamten Verfassungswerkes ist. Mit diesen kurzen einleitenden Bemerkungen wollte ich die Diskussion zu dieser Frage einleiten. Ich hatte mir einmal zusammengestellt, was alles an solchen man kann kaum von Grundrechten und Grundpflichten spreGrundregeln in Frage kommen würde50), aber es genügt, glaube ich, daß ich in diechen ser Allgemeinheit darauf hingewiesen habe. —



Dr. Heuss: Wir wollen zwar noch nicht in die Generaldebatte eintreten, aber ich muß doch hier noch ein besonderes Grundrecht in Vorschlag bringen, das mein Kollege Schäfer51) entwickelt hat. Ich habe ihm das versprochen. Er sollte sich selber eine Formulierung überlegen, es ist ihm aber nicht geglückt. Er will als Grundrecht des Menschen aus der gegenwärtigen Situation heraus, von der ich nicht weiß, wie lange sie dauert das Recht zur Nahrungsnahme sehen, und zwar in dem Sinne, daß er sagt, es sei ein Sauunfug, daß die Verwaltung sagen könne: Ich entziehe dir die Lebensmittelkarten, wenn du nicht das und das tust52), wenn du dich nicht impfen läßt usw.! Also das natürliche Recht des Menschen, sich zu ernähren, wird heute in soundsovielen Fällen polizeilich abgesperrt. Ich habe ihm gesagt, ich sähe das durchaus ein. Kollege Reif hat ja wunderbar davon erzählt, wie er den Kampf geführt hat, daß er sich nicht impfen ließ, und wie die Folge war, daß man ihm die Lebensmittelkarten irgendwie wegnehmen wollte528). Also: Gibt es so etwas wie ein Naturrecht des Menschen? Wir haben gleich gesagt, es sei sehr schwer zu formulieren. Es gehört mit in das Recht der Arbeit oder in die Fürsorge hinein. Aber er will das Recht des Menschen gesichert wissen, daß ihm die Lebensmittelkarten nicht entzogen werden könne. Dr. Schmid: Ich glaube, das ist nicht nötig. Wir kennen alle den Unfug, den manche Bürgermeister und Landräte, anrichten. Wenn ihnen jemand nicht paßt, etwa weil er keinen Zuzug hat und sich trotzdem im Bezirk aufhält oder weil er bei der Trümmerräumung nicht erschienen ist, dann sagen sie: Wir entziehen dir die Lebensmittelkarten. Ich habe bei uns jedem Landrat, der das gemacht hat, erklärt, daß er sich damit nicht bloß töricht benommen, sondern meines Erachtens auch strafbar gemacht habe. Es heißt in unseren Grundrechten, daß niemand zu einem bestimmten Tun oder Lassen verpflichtet werden kann, es sei denn durch ein Gesetz. Ich glaube, damit ist alles geregelt. Alles —





50) Eine derartige Aufzeichnung ließ sich nicht ermitteln. 51) Dr. Hermann Schäfer, 2. Vizepräsident des Pari. Rates (1892-1966), FDP, Niedersachsen. 52) In diesem Zusammenhang informierte das Arbeitsministerium des Landes Nordrhein-

Westfalen das Sekretariat des Pari. Rates am 6. Okt. 1948 über Modalitäten bei der Ausgabe von Lebensmittelkarten. Demnach wurden diese nur ausgegegeben, wenn eine Bescheinigung über eine beim Arbeitsamt erfolgte Registrierung vorgelegt wurde. Vgl. Z 5/108, Bl. 8-99. 52a) Im Rahmen der offiziellen Ausschußsitzungen geschah dies nicht. 216

Achte

Sitzung

7.

Oktober

1948

Nr. 9

andere ist Sache der Dienstaufsicht der zuständigen Stellen. Wenn jemand sich einem Orte ohne Zuzugsgenehmigung aufhält, ist er mit Lebensmittelkarten zu versorgen, so lange er da ist. Wenn man ihn nicht haben will, muß man ihn ausweisen dorthin, wo er zuzugsberechtigt ist. Aber daß man sagt: „Du bist zu Unrecht da, du kriegst nichts zu essen!", das gibt es nicht. an

(Zuruf:

Es

geschieht aber.)

Ich weiß, aber das abzustellen ist Sache der Dienstaufsicht. Wo so etwas gemacht wird, wird einfach nicht ordnungsmäßig verwaltet. Also das brauchen wir wirklich nicht aufzunehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen sowieso bei der Formulierung des Art. 2 vielleicht noch etwas anders verfahren, weil die Gegenüberstellung nicht sehr schön ist. Da fragt einer: Was ist der Unterschied? Wollte man etwa sagen „Leben und Freiheit werden gewährleistet"? Es ist ins Unreine gedacht. Das Wort „gewährleistet" ist falsch. Bei uns ist über diese Frage innerhalb der Fraktion gesprochen worden, eben diesen Umkreis der Grundrechte53). Dr. Schmld: Wir als sozialdemokratische Fraktion wollen nicht, daß zu den klassischen Grundrechten noch die sogenannten Lebensordnungen genommen werden, und zwar aus verschiedenen Gründen; ich will versuchen, sie Ihnen dar—

zulegen. Unser erster Grund ist:

Rechtssätze, in denen die Inhalte unseres Gemeinschaftslebens verfaßt werden sollen, können nicht von uns in Stellvertretung für das Ganze aufgestellt und geformt werden. Hier brauchen wir, um etwas Gültiges zu schaffen, das Wort unserer Brüder im Osten. Außerdem: Lebensorddas geht nungen dort schaffen, wo man nur ein Provisorium machen will, nicht. Man sollte sich darauf beschränken, hier die individualen Grundrechte festzulegen, das heißt Rechtssätze zu schaffen, die dem einzelnen die Möglichkeit geben, vor den Gerichten den Anspruch auf einen bestimmten Mindeststandard an Freiheits- und Bürgerrechten zu vertreten. Der zweite Grund ist schon angegeben: wir würden ins Uferlose kommen. Ich denke dabei an die Sozialisierung und die Wirtschaftsverfassung; auf alle Fälle würden wir, fürchte ich, sehr lange brauchen, um einen Ort zu finden, an dem unsere Gegensätze sich in einer neuen Konzeption aufheben könnten. Man sollte darum diese Dinge weglassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aus genau den gleichen Gründen sind wir zu demselben Schluß gekommen. Dr. Heuss: Da spielt eine Überlegung hinein, die mehr in toto geht. Herr Clay hat jetzt bei dem Betriebsrätegesetz in Hessen und Württemberg gesagt, er wolle abwarten, was Bonn darüber beschließen würde54). —

53) Vgl. die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion vom 6. Okt. 1948. Dabei wurde laut Prot, festgestellt: „Die allgemeine Meinung der Fraktion geht dahin, daß in die Grundrechte keine

Eigentumsfragen, keine Beamtenfragen, keine Wirtschafts- und Sozialfragen aufgenom-

werden sollen." Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 53—55. 54) Vgl. hierzu John H. Backer: Die deutschen Jahre des Generals Clay. Der Weg men

desrepublik 1945-1949.

zur

Bun-

München 1983, S. 269 ff.

217

Nr. 9

Achte

Sitzung

7.

Oktober 1948

nur eine Frage der Zuständigkeit, da diese Dinge der Vorzustehen und die Länder auf diesem Gebiet schon tätig ge-

Dr. Schmid: Das ist

ranggesetzgebung

worden sind. Dr. Weber: Wir haben gestern abend in der Fraktion besprochen, daß wir die Elternrechte zu diesen Grundrechten rechnen55). Ich könnte im Augenblick noch keine Formulierung vorschlagen, aber ich bitte, diese Forderung bei der zweiten Lesung zu berücksichtigen. Ich möchte diesen Wunsch hier anmelden, und zwar nicht nur von mir aus, sondern von der Fraktion der CDU. (Dr. Schmid: Wenn wir das tun, müssen wir andere Rechte auch hinein-

bringen.)

Ich muß die

hier anmelden. ist darüber gesprochen worden in dem Sinne: die Voraussetzung dafür sei, daß ein formulierter Antrag vorliege, aus dem sich die Möglichkeit ergibt, dieses Grundrecht unter die Grundrechte hier einzuordVors. [Dr. —

v.

Forderung Mangoldt]: Es

nen.

Dr. Heuss: Wenn das Elternrecht im Zusammenhang mit der Schulgesetzgebung kommen sollte, kommen wir hier in Teufels Küche, denn dann kommt eine Rahmengesetzgebung mit hinein, die dann maßgeblich für die Länder sein wird, die zum Teil erst in der Entwicklung drin sind, so daß unter Umständen ihr ganzes Schulgesetzgefüge gesprengt werden wird. Dann müssen wir auch etwas über die Kirche hineinschreiben. Was heißt denn das Elternrecht als Kinder zu kriegen! Was denn sonst? Grundrecht? (Dr. Weber: Über die Kinder zu bestimmen!) Dr. Schmid: Es gab Zeiten, und sie liegen nicht sehr lange zurück, da man in Anspruch genommen hat, von oben über die Kinder zu bestimmen, und zwar an den Eltern vorbei. Das wurde auch als Naturrecht deklariert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ist es notwendig, daß wir diese Sache im Augenblick erörtern? Dr. Weber: Ich mußte die Forderung anmelden. Dr. Heuss: Ich warne dringend davor! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hinsichtlich des Verfahrens darf ich wohl das Einverständnis des Ausschusses annehmen, daß dieser Katalog von 20 Grundrechten, wie wir ihn jetzt formuliert haben, nachdem der Redaktionsausschuß ihn noch einmal durchgesehen hat, dem Präsidium eingereicht wird, damit das Präsidium schon etwas in der Hand hat, als einen Vorschlag erster Lesung56). Dann soll die große Redaktionskommission diese Dinge in die Hand nehmen, und der Ausgleich soll dann in einer zweiten Lesung im Ausschuß gefunden werden. Es soll also eine Redaktionskommission sämtlicher Ausschüsse gebildet werden, —

Prot, hielt hierzu fest (vgl. Anm. 53): „Abg. Frau Dr. Weber bringt in Vorschlag, auf jeden Fall noch das Elternrecht in das Grundgesetz mit aufzunehmen. Die Mehrheit der Fraktion ist für die Aufnahme des Elternrechts in die Grundrechte. Abg. Dr. v. Mangoldt

55) Das

einen formulierten Entwurf über die Aufnahme des Elternrechts in die Grundrechte vorzulegen." 56) Der „Katalog der 20 Grundrechte" wurde unter dem 5. Okt. 1948 als Drucks. Nr. 143 vervielf.; Abdr. im größeren Zusammenhang der Drucks. Nr. 200 als Dok. Nr. 16.

bittet,

218

Achte Sitzung

7.

Oktober 1948

Nr. 9

die das bisher Beschlossene sprachlich in Übereinstimmung bringt57). Alles weitere ist ausdrücklich für die zweite Lesung vorbehalten worden. Aus dem Grunde würde ich das Einverständnis des Ausschusses dazu erbitten, daß man gerade diese Artikel schon einmal der Presse zur Verfügung stellt, damit diese Dinge in der Öffentlichkeit etwas diskutiert werden. Ich würde das für sehr erwünscht halten, weil wir dann auf einer solchen anderen Grundlage irgend welche Vorschläge in der zweiten Lesung noch berücksichtigen können. Ich halte es für durchaus notwendig, daß wir uns hier auf eine etwas breitere

Grundlage stellen58). Dr. Heuss: Ich glaube,

Frau Dr. Weber war beauftragt worden, die Petitionen einzusehen. Ist schon entschieden, ob etwas Gescheites drinsteht? Dr. Eberhard: Wir sollen darüber noch berichten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dienstag Vormittag behalten wir uns für die Regelung der Präambel vor. Wenn wir dann noch Zeit haben, kann dann noch über die Eingaben an den Petitionsausschuß vorgetragen werden, und wir können uns dann einigen, was damit zu geschehen hat. Sonst schieben wir vielleicht in einer der nächsten Sitzungen eine halbe oder eine Stunde dazwischen, damit diese Frage auch erledigt wird. Wir haben also morgen früh eine Sitzung des Redaktionsausschusses und treffen uns am Dienstag um 10 Uhr zu unserer Vollsitzung.

Besprechung der Vorsitzenden der Fachausschüsse beim Präs. des Pari. Rates Sept. 1948 war man übereingekommen, daß ein aus den Ausschüssen zu bestellendes gemeinsames Redaktionskomitee die Ergebnisse zusammenfassend redigieren solle. Dessen Aufgabe wurde in Drucks. Nr. 268 (Abdr. in: Dok. Nr. 29, Anm. 3) festgeschrieben. Er bestand zunächst aus den Abgeordneten Dr. von Brentano (CDU), Zinn

57) In

am

58)

einer 30.

(SPD) und Dr. Dehler (FDP). Zum Echo auf die Grundrechtsartikel

vgl.

Dok. Nr. 13, Anm. 9. 219

Nr. 10

Erklärung

der Menschenrechte

Nr. 10

Erklärung der Menschenrechte, Entwurf 7.

Oktober 1948

Z 5/126, Bl. 250-251. Als Drucks. Nr. 144 vervielf. Artikel der Neuen 7. Oktober 19481)

Zeitung

vom

Paris (Südena/AFP). Der von der „Kommission für Soziale, Humanitäre und Kulturelle Fragen" der Pariser UN-Vollversammlung angenommene Entwurf der Erklärung der Menschenrechte, der in den kommenden Wochen dem Plenum der Vollversammlung zur Diskussionsgrundlage dient, hat folgenden Wortlaut:

Präambel In der Erwägung, daß die Achtung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde sowie ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte das Fundament der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt

bildet,

daß die Verkennung und die Verachtung der Menschenrechte in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg und während dieses Krieges zu Akten der Barbarei geführt haben, welche das Gewissen der Menschheit empörten, und daß es offenbar geworden war, daß einer der höchsten Einsätze des Streits die Grundfreiheiten des Menschen waren, daß, wenn man vermeiden will, daß die Menschheit sich zu guter Letzt gegen die Tyrannei und die Unterdrückung auflehnt, es wesentlich ist, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Gesetzes zu schützen, ) Der Abdr. dieser Drucks, erfolgte im Rahmen dieser Edition, weil die Vorentwürfe zur Erklärung der Menschenrechte in den Diskussionen des AfG eine wesentliche Rolle spielten. Insbesondere Bergsträsser verfügte offenbar über die Entwürfe vom Dez. 1947, wie sie in der Reihe der Berichte des Wirtschafts- und Sozialrates der UN in englischer und französischer Sprache publiziert worden waren (Lake Success, New York 1948). Er zitierte sie sehr häufig in seinen Vorschlägen für die Grundrechte (Dok. Nr. 3), und sie wurden auch in den sonstigen Diskussionen vielfach erwähnt. In den Westzonen wurden die Vorschläge vom Dez. 1947 in einer guten Übersetzung in der Zeitschrift „Die Wandlung" 1948, Heft 4, S. 351—357 veröffentlicht. Der hier abgedr., von der Kommission für soziale, humanitäre und kulturelle Fragen im Okt. 1948 angenommene Entwurf wurde dann auf der Vollversammlung der UN in Paris ohne große Änderungen am 10. Dez. 1948 angenommen. Die sprachliche Fassung der Übersetzung des Entwurfs in der Neuen Zeitung war offensichtlich recht mangelhaft, vergleicht man sie mit der offiziellen deutschen Fassung, von der der abgedr. Entwurf inhaltlich nur in einigen Punkten abweicht. Es gab allerdings einige Änderungen in der Formierung der Artikel, so daß die endgültige Fassung 30 Artikel zählte. Vgl. Bernhard Graefrath: Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte. Berlin (Ost) 1956, S. 67—77. Abdr. der angenommenen Fassung vom 10. Dez. 1948 ebenda, S. 123—128; ferner bei Heidelmeyer: Die Menschenrechte, S. 239-245. United Nations, Office of Public Information (Hrsg.): The United Nations and Human Rights. New York 1976. 220

Erklärung

der Menschenrechte

Nr. 10

daß die Völker der Vereinten Nationen in der Charta erneut ihren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an die Würde und den Wert der menschlichen Person proklamiert haben und daß sie entschlossen sind, den sozialen Fortschritt zu fördern und bessere Lebensbedingungen in einer vollständigen Freiheit herbeizuführen, daß die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, in Zusammenarbeit mit der Organisation die tatsächliche und universelle Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sicherzustellen, daß eine gemeinsame Auffassung dieser Rechte und Freiheiten für die völlige Verwirklichung dieser Verpflichtung von der größten Wichtigkeit ist, proklamiert die Generalversammlung die vorliegende Erklärung der Menschenrechte als den Ausdruck des gemeinsamen Ideals, welches alle Völker und alle Nationen zu verwirklichen sich bemühen müssen, damit alle Individuen und alle sozialen Gruppen dadurch, daß sie diese Erklärung ständig im Sinne haben, danach trachten, durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern und durch Maßnahmen nationalen und internationalen Charakters ihre universelle und tatsächliche Anerkennung und Anwendung sowohl unter den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten selbst wie unter den Bevölkerungen der ihrer Kompetenz unterstellten Gebiete fortschreitend sicherzustellen. Artikel

1

Alle menschlichen Wesen werden frei und an Würde und Rechten gleich geboren. Die Natur hat sie mit Verstand und Gewissen ausgestattet, und sie müssen sich gegenseitig im Geist der Brüderlichkeit verhalten.

Artikel 2

Jede Person ohne irgendwelchen Unterschied, sei es der Rasse, der Farbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Meinung, des Vermögens oder sonstigen Standes, des nationalen oder sozialen Ursprungs, kann sich auf alle in der Freiheiten berufen.

vorliegenden Erklärung proklamierten

Rechte und

Artikel 3

Jedes Individuum hat Recht auf Leben, auf Freiheit und auf die Sicherheit der Person.

Artikel 4 Niemand darf Sklave sein oder in Knechtschaft gehalten werden. Niemand darf der Folterung oder grausamen, unmenschlichen und entwürdigenden Strafen ausgesetzt werden. 221

Nr. 10

Erklärung der Menschenrechte Artikel

Jede

Person hat das

5

Recht, daß allerorts ihre Rechtsfähigkeit anerkannt wird. Artikel 6

Alle sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Recht auf gleichen Rechtsschutz gegen jegliche, die vorliegende Erklärung verletzende Diskrimination und gegen jede Herausforderung zu einer solchen Diskrimination.

Artikel Niemand kann willkürlich verhaftet oder

7

festgehalten

werden.

Artikel 8

Jeder hat bei voller Gleichberechtigung das Recht, seine Sache vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht billig zu Gehör zu bringen, sei es um seine zivilrechtlichen Rechte und Verpflichtungen, sei es um die Begründung jeder gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage feststellen zu lassen. Artikel 9 1.

Jede

eines

Person wird so lange für unschuldig angeeinem öffentlichen Prozeß, bei dem ihr alle für ihre Garantien gegeben waren, rechtlich festgestellt wor-

Vergehens angeklagte

sehen, bis ihre Schuld in

Verteidigung notwendigen

den ist. 2. Niemand darf für Handlungen oder Unterlassungen verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nicht ein Vergehen gemäß dem Landesrecht oder dem internationalen Recht darstellten.

Artikel

10

Niemand darf ungerechtfertigten Einmischungen in sein Privatleben oder das seiner Familie, in seine Wohnung und seine Korrespondenz oder mißbräuchlichen Angriffen auf seinen Ruf ausgesetzt werden.

Artikel 11 1. Jede Person hat das Recht, sich frei zu bewegen und ihren Aufenthalt innerhalb eines Staates zu wählen. 2. Jede Person hat das Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen. 222

Erklärung Artikel

der Menschenrechte

Nr. 10

12

hat jede Person das Recht, in einem anderen Land Asyl zu erhalten. 2. Rechtsmäßige Fahndungen aus Anlaß eines gemeinrechtlichen Verbrechens oder von Handlungen, die gegen die Prinzipien und Ziele der Vereinten Nationen verstoßen, stellen keine Verfolgung dar. 1. Bei

Verfolgung

suchen und

zu

Artikel 13 Niemand kann willkürlich seiner

werden, seine Staatsangehörigkeit

Staatsangehörigkeit oder zu

des Rechtes beraubt

wechseln.

Artikel 14 1. Der Mann oder die Frau im heiratsfähigen Alter haben das Recht, sich zu vermählen und eine Familie zu gründen. Sie genießen in eherechtlicher Beziehung die gleichen Rechte. 2. Die Ehe kann nur mit der vollen Einwilligung der beiden Gatten geschlossen werden. 3. Die Familie ist das natürliche und fundamentale Element der Gesellschaft und hat Recht auf Schutz.

Artikel 15

Jede Person hat das Recht, Güter zu besitzen, sowohl allein wie in Gemeinschaft. 2. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden. 1.

Artikel 16

Jede Person hat Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit:

Dieses

Recht schließt die Freiheit ein, die Religion oder den Glauben zu wechseln, wie auch die Freiheit, seine Religion oder seinen Glauben allein oder gemeinsam, sowohl öffentlich wie privat, durch Unterricht, Übungen, Kultus und Befolgung von Riten zum Ausdruck zu bringen. Artikel

17

Jedes Individuum hat Recht auf Freiheit der Meinung und der Äußerung, worin das Recht einbegriffen ist, wegen seiner Meinungen nicht beunruhigt zu werden, wie auch das Recht, allerorts und ohne Ansehen der Grenze die Informationen und die Ideen zu suchen, zu erhalten und welche Weise sie ausgedrückt werden.

zu

verkünden, gleichviel auf 223

Nr. 10

Erklärung

der Menschenrechte

Artikel 18

Jede Person hat das Recht, Vereinigungen anzugehören.

in Freiheit

Versammlungen

an

teilzunehmen und

Artikel 19 1. Jede Person hat das Recht, an der ihres Landes unmittelbar oder mittels

Leitung der öffentlichen Angelegenheiten von

ihr frei

gewählter

Vertreter teilzuneh-

men.

2.

Jede

Person hat das Recht des

Zugangs

zu

den öffentlichen Ämtern ihres

Landes.

Jede Person hat das Recht darauf, daß die dem Willen des Volkes richtet. 3.

Regierung ihres Landes sich nach

Artikel 20 Person hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit sowie auf die Verwirklichung der vorstehend beschriebenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durch die eigenen Bemühungen jedes Landes und durch internationale Zusammenarbeit, unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsquellen jedes einzelnen Landes.

Jede

Artikel 21 1. Jede Person hat Recht auf Arbeit unter gerechten und zufriedenstellenden Arbeits- und Lohnbedingungen und auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit. 2. Jede Person hat Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. 3. Jede Person kann frei Gewerkschaften bilden und sich ihnen zur Verteidigung ihrer Interessen anschließen.

Artikel 22

Jeder hat, namentlich für die Ernährung, Bekleidung, Wohnung und ärztliche Fürsorge, Recht auf ein ausreichendes Lebensniveau und auf genügende soziale 1.

Dienste,

um

seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden

geErArt unverdienten Verlustes des Unter-

währleisten, sowie auf Sicherheit im Falle

werbsunfähigkeit,

Alter oder

jedweder

von

zu

Arbeitslosigkeit, Krankheit,

halts. 2. Mutter und

Kind haben Recht auf besondere Hilfe und Unterstützung. Artikel 23

1. Jede Person hat Recht auf Erziehung. Der Elementar- und Grundunterricht soll kostenlos und obligatorisch, der Zugang zum Hochschulstudium allen gleichmäßig nach Maßgabe des Verdienstes jedes einzelnen offen sein. 224

Erklärung

der Menschenrechte

Nr. 10

Erziehung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und Verstärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten

2. Die

die zum

Ziele haben und überall den Geist der Unduldsamkeit und des Hasses geNationen sowie gegenüber rassischen oder religiösen Gruppen

genüber anderen bekämpfen.

Artikel 24

Jede

Person hat Recht auf Ruhe und Freiheit.

Artikel 25 Person hat das Recht, sich an dem kulturellen Leben der Gemeinschaft zu beteiligen, die Künste zu genießen und an den Fortschritten der Wissenschaft

Jede

teilzuhaben. Artikel 26

Jede Person hat das Recht darauf, daß auf sozialem und auf internationalem Gebiet rechte Ordnung herrscht, damit die in der führten Rechte und Freiheiten zu voller Entfaltung

folgenden Erklärung aufgegelangen können.

Artikel 27 1. Das Individuum hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, die ihm die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit erlaubt. 2. In der Ausübung seiner Rechte ist jeder nur den Beschränkungen unterwor-

fen, die dazu nötig sind, um die Achtung der Rechte anderer zu sichern und den Forderungen der Sittlichkeit, der Ordnung und des allgemeinen Wohlbefindens in einer demokratischen Gesellschaft

zu

genügen.

225

Nr. 11

Neunte

Sitzung

12.

Oktober 1948

Nr. 11 Neunte

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 12.

Oktober 1948

Z 5/30, Bl. 1-48. Stenogr. Wortprot, undat. und ungez. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 98-101. Drucks. Nr. 181.

Anwesend1):

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Schmid, Zinn FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Kaiser (CDU), Suhr (SPD) Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 10.00-12.57 Uhr

[1. VERFASSUNGSDURCHBRECHUNG (ART. 106, ABS.

2

CHE)]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich eröffne die heutige Sitzung. Ich darf zwei Fragen anschneiden, die wir beim Grundrechtsteil noch zu erledigen haben und die noch der Erörterung bedürfen. Die erste Frage betrifft die Unverbrüchlichkeit der Grundrechte. Darüber haben wir im Grundrechtsteil noch nichts gesagt, und es erhebt sich die Frage, ob wir den damit befaßten anderen Ausschüssen unsere Stellungnahme dazu zuleiten. Zunächst handelt es sich hierbei um die Frage der Verfassungsdurchbrechung. Es ist wichtig, daß die Grundrechtssätze der Verfassung auch nicht durch mit irgendeiner qualifizierten Mehrheit angenommene Gesetze durchbrochen werden können. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf Art. 106 Abs. (2) des Entwurfs von Herren-

chiemsee2):

Anträge auf Gesetze, die mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, sind erst zulässig, wenn zuvor ein besonderes Gesetz verkündet ist, das den Text des Grundgesetzes entsprechend ändert3), eine Formulierung, die ich allerdings nicht für besonders glücklich halte. Dr. Schmid: Für diese Formulierung zeichne ich nicht verantwortlich; wohl dagegen für den Grundgedanken, der in ihr enthalten ist. Wir haben das auf Herrenchiemsee aus der Erwägung heraus gemacht, daß verhindert werden soll, daß am laufenden Band sogenannte Zweidrittel-Mehrheitsgesetze beschlossen werden können, die sich gegen die Verfassung richten, ohne aber den Text der Verfassung zu ändern. Nichts hat mehr zur Diskreditierung der Weimarer Republik beigetragen als diese Möglichkeit, die Verfassung de facto mit Zweidrittelmehrheiten zu ändern, ohne zugleich eine Änderung des Textes vorzunehmen4).

4) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 603. 3) Der Schluß des Satzes handschr. hinzugefügt. 4) Zur Problematik von Art. 76 WRV vgl. G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen ches, S. 400 ff. 226

Rei-

Neunte

Sitzung

12.

Oktober 1948

Nr. 11

Auf diese Weise war es leicht gemacht, die Verfassung von innen her auszuhöhlen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, zu bestimmen: Es gibt keine Verfassungsdurchbrechung, auch nicht mit einstimmigen Beschlüssen; vielmehr muß, wenn ein Gesetz erlassen wird, das im Widerspruch zu den von der Verfassung vorgeschriebenen Normen steht, zuerst die Verfassung selbst geändert werden. Angenommen, es soll ein Gesetz erlassen werden, das ein Grundrecht, etwa die Freiheit der Person, ändert oder gegen den Sinn der Verfassung übermäßig einschränkt, dann muß, ehe ein solches Gesetz erlassen werden kann, der betreffende Artikel des Grundrechtskatalogs aufgehoben und durch einen anderen ersetzt werden, falls sich eine Mehrheit dafür findet. Grundsatz muß sein: Keine Verfassungsdurchlöcherung, auch nicht mit qualifizierter Mehrheit. Die Verfassung ist das Grundgesetz, und unser Leben muß so, wie es die Verfassung vorohne Rücksicht darauf, ob sich eine qualifizierte schreibt, gestaltet werden, Mehrheit für ein Verfassungsdurchbrechendes Gesetz findet oder nicht: wenn ein solches Gesetz gewollt ist, dann muß die Verfassung geändert werden. Wir haben uns auf Herrenchiemsee auf die Formulierung des Art. 106 Abs. (2) geeinigt. Einige Vorschläge gingen sogar noch weiter; so forderte man, daß solche Änderungen der Verfassung den Textausgaben usw. beigeheftet werden solle, —

usw.

Zinn: Es muß bei jedem Gesetz ohne weiteres erkennbar sein, daß es verfassungsändernd ist. Dr. Schmie!: Grundsatz ist: Überhaupt keine Verfassungsdurchlöcherung, ohne Rücksicht auf die Mehrheit, die für ein solches Gesetz erzielt werden kann! Wenn durch ein Gesetz eine Situation geschaffen werden soll, die von der Verfassung nicht gewollt ist, so muß man die Verfassung ändern. Gesetze müssen immer verfassungsgemäß sein. Zinn: Es muß also gewissermaßen von vornherein bekundet werden: Die Verfassung enthielt folgende Bestimmung; jetzt wollen wir das ändern. Dr. Bergsträsser: Bevor ein solches Gesetz erlassen werden kann, muß die Verfassungsänderung beschlossen und verkündet sein. Dr. Heuss: Das ist eine Übung, wie sie auch in Amerika gehandhabt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann diesen Grundsatz vielleicht in der Weise

Ausdruck bringen, daß man erklärt: „Abweichungen von der Verfassung durch ein Gesetz, das mit verfassungsändernder Mehrheit angenommen wird, sind nicht zulässig." Das ist der Begriff der Verfassungsdurchbrechung. Dr. Schmid: Ich habe hierfür das Wort „Verfassungsdurchlöcherung" gebraucht; ich halte es für besser, klarer, schärfer. Dr. Heuss: „Durchlöcherung" ist besser. „Durchbrechung" ist ein bewußter Vorgang, ein bewußter politischer Akt. „Durchlöcherung" zielt mehr auf Fahrlässigkeit hin. Dr. Bergsträsser: Die Verfassung ist ein Ding an sich, etwas Besonderes; daher soll sie auch nicht wie jedes andere Gesetz geändert werden können. Dr. Schmid: Begriff und Bedeutung der Verfassung werden nicht so sehr dadurch bestimmt, daß ihre Änderung schwierig ist, als vielmehr dadurch, daß die Verfassung nicht bloßes Programm ist, sondern Norm der Staatswirklichkeit. Die zum



227

Nr. 11

Neunte

Sitzung

12. Oktober 1948

So soll der Staat aussehen, und er soll solange so aussehen, als das Grundgesetz besteht, und niemand soll die Möglichkeit haben, etwas anders zu machen, auch nicht mit einer qualifizierten Mehrheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich meine, was wir wollen, ist nun geklärt. Wir wollen einen Beschluß formulieren, den wir den zuständigen Ausschüssen zuleiten. Dr. Schmid: Die Formulierung könnte so lauten: Ohne vorhergehende Änderung der Verfassung können Gesetze, durch die Bestimmungen der Verfassung durchbrochen würden, nicht beschlossen

Verfassung legt fest:

werden. [2. UNVERBRÜCHLICHKEIT DER VERFASSUNG (ART. 108 CHE)]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der zweite Punkt, zu dem wir uns zweckmäßigerweise auch noch äußern sollten, betrifft die Frage der Unverbrüchlichkeit der Verfassung. Darüber bestimmt Art. 108 des Herrenchiemseer Entwurfs: Anträge und Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, sind unzulässig. Nun wird die freiheitliche und demokratische Grundordnung vor allem auch durch die Grundrechte bestimmt. Dr. Schmid: Es kommt noch ein anderer Gesichtspunkt hinzu: Die ungeschrieberuht ne, innere Struktur der Verfassung, die auch die Freiheitsrechte garantiert, z. B der Gewalten, B. der z. dem Prinzip auf gewissen Grundgedanken, Teilung Leim Grunde der Funktion staatliche dem Grundsatz, daß jeder Staatsakt, jede Volk das Endes auf letzten zurückgehen gitimierung durch das Volk bedarf und muß. Damit ist ausgeschlossen, was die Franzosen Le pouvoir personnel nennen. Gemeint ist hier, daß man die Verfassung zwar zu 99,99 % ungeändert läßt, aber durch zwei Sätze, die man einfügt, in ihrem inneren Charakter ändern kann. Man kann in der Tat die Verfassung mit einigen wenigen Sätzen vollkommen verkehren. Ich erinnere an das Reichsstatthaltergesetz5), mit dem man die Weimarer Verfassung in ihr Gegenteil verkehrt hat, ohne viel am Text zu ändern. Das soll in Zukunft verhindert werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können uns also damit begnügen, zu erklären, daß der Grundsatz des Art. 108 des Entwurfs von Herrenchiemsee unbedingt aufrecht erhalten werden müsse. Dr. Schmid: Unter „freiheitlicher und demokratischer Grundordnung" möchte ich aber nicht nur eine Verfassung verstehen, in der Grundrechte aufgeführt sind. Die Württembergische Verfassung von 1818 enthielt darüber sehr schöne Bestimmungen; gleichwohl war sie keine freiheitliche, [scilicet] republikanische Verfassung. Eine republikanische Verfassung ist nicht schon deshalb republikanisch, weil etwa kein König da ist, sondern weil der ganze Staat auf der Konzeption des freien, verantwortlichen Bürgers, des civis aufgebaut ist. Dr. Bergsträsser: Also eine parlamentarische Verfassung.

5) Reichsstatthaltergesetz 228

vom

30.

Jan.

1935

(RGBl. I, S. 65).

Neunte

Sitzung 12. Oktober 1948

Nr. 11

Dr. Schmid: Ich würde nicht sagen, daß eine parlamentarische Verfassung die einzige Erscheinungsform einer freiheitlichen Verfassung ist. Die Schweizerische Verfassung ist keine parlamentarische Verfassung, aber doch sehr freiheitlich. Es muß hinzukommen, daß als Lebenselement des Staates von der Verfassung der selbsthandelnde und selbstverantwortende Bürger bestimmt ist, und ich will hier nicht von Gottesgnadentum sprechen nicht eine potestas, nicht einmal eine auctoritas, die in bestimmten Personen oder Institutionen oder Gruppen lokalisiert ist, denen gegenüber der Einzelne zum Untertanen, wenn auch vielleicht zum sehr wohlwollend behandelten, geförderten und umsorgten Untertanen gestempelt wird. Der aus freier Entscheidung handelnde Bürger ist genau das, was der Begriff ..républicain" besagt. Dieser Begriff hat im französischen Staatsrecht eine bestimmte Tradition: die Tradition des Républicain de notre République, was durchaus keine Tautologie ist. Républicain und République sind der genaue Gegensatz zum Patronalstaat. Wir haben im Deutschen kein ausreichendes Wort dafür; „Freiheit" ist vielleicht noch der beste Er—



satz.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf das Ergebnis der Aussprache zusammenfassen. Unser Ausschuß wird erklären, in Verbindung mit den Grundrechten sei der Gedanke der Unverbrüchlichkeit der Verfassung aufgetaucht, und der Ausschuß lege Gewicht darauf, in diesem Zusammenhang festzulegen, daß die Bestimmung des Art. 108 des Herrenchiemseer Entwurfs, der mehr umfasse als die bloße Gewährleistung der Grundrechte, unbedingt in das Grundgesetz aufgenommen werden solle. Damit darf ich diese Angelegenheit abschließen. [3. PRÄAMBEL, BERICHT VON CARLO SCHMID ÜBER DEN ENTWURF DES REDAKTIONSAUSSCHUSSES DES AFG] Bevor wir auf den Entwurf der Präambel

zu sprechen kommen, darf ich die darauf hinweisen, daß bei dem Abdruck der 20 Grundrechts-Artikel6) ein Fehler unterlaufen ist. Art. 17 Abs. (2) Satz 2 muß lauten: Soweit Entschädigung gesetzlich vorgesehen wird, ist diese unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen festzuset-

Ausschußmitglieder

zen.

Wir treten nunmehr in die Beratung der Präambel ein, und zwar anhand des Entwurfs, den der Unterausschuß festgelegt hat und der den Ausschußmitgliedern zugegangen ist7). Ich darf Herrn Dr. Schmid bitten, darüber zu berichten. Dr. Schmid: Wir haben uns im Unterausschuß, dessen Sitzung erfreulicherweise von vielen Mitgliedern des Ausschusses besucht war, in den letzten Tagen mit der Präambel befaßt. Wir gingen hierbei einmütig davon aus, daß die Präambel nicht etwa nur ein rhetorischer Vorspruch sein soll, sondern alle Elemente zu

6) Siehe Dok. Nr. 9, Anm. 56. 7) Der Entwurf der Präambel durch den Unterausschuß wurde verlesen.

von

Schmid im nachhinein

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enthalten habe, die für den Charakter des Grundgesetzes bestimmend sind. Aus der Präambel soll ersehen werden können, was nach Meinung des Parlamentarischen Rats durch das Grundgesetz bewirkt werden soll und was nicht. Weiter soll aus der Präambel hervorgehen, wie es mit dem Problem bestellt ist, ob Deutschland als staatliches Gebilde noch existiert, ober aber ob es neu geschaffen werden muß, ob wir also konstitutiv oder nur organisatorisch tätig sind. Die Präambel soll ferner zum Ausdruck bringen, wo die Quelle der deutschen Staatsgewalt liegt, ob sie sich durch ein deutsches Staatsvolk oder sonstwie geltend macht. Ferner soll in der Präambel auch das Provizeitlich gesehen sorische, also der Übergangscharakter des Grundgesetzes zum Ausdruck kommen. Weiter wollten wir in der Präambel in einer Art kurzer Geschichtserzählung dartun, warum und wieso es zur Notwendigkeit gekommen ist, für die noch existierende Republik8) eine neue Organisationsform zu schaffen, die jedoch in ihrer Anwendung auf einen Teil des Gebietes der deutschen Republik limitiert ist, wie es in der Verfassung von Weimar abgegrenzt wurde. Schließlich wollten wir in der Präambel zum Ausdruck bringen, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates zwar nur von einem Teil des deutschen Volkes gewählt wurden, daß sie aber gleichwohl das Recht haben anzunehmen, daß sie auch von den Deutschen, die nicht haben wählen können, innerlich legitimiert sind, das, was sie hier schaffen, trotz seiner territorialen Begrenzung als im deutschen Gesamtauftrag geschehen zu betrachten, daß sie also stellvertretend für ein Ganzes handeln, das als Ganzes sich in legaler Form noch nicht zur Geltung bringen kann. Endlich sollte die Präambel in einem Schlußsatz zum Ausdruck bringen, daß dadurch, daß bei diesem Grundgesetz nur ein Teil des deutschen Volkes effektiv mitsprechen konnte, nicht etwa die Zukunft präjudiziell sein soll, sondern daß nach wie vor das deutsche Volk aufgefordert bleibt, an dem Tage, an dem ihm das möglich sein wird, in seiner Gesamtheit und in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die bestehende nationale Einheit und die zu schaffende Freiheit neu zu gründen, d. h. in neue Formen zu bringen. Alle diese Forderungen und Gesichtspunkte fanden ihren Niederschlag in folgendem formulierten —



Vorschlag: Die nationalsozialistische

Freiheit beraubt.

Zwingherrschaft

hat das deutsche Volk seiner

Es lag uns daran, festzustellen, daß das deutsche Volk seine Freiheit nicht erst durch die Besetzung verloren hat, sondern daß die nationalsozialistische Zwingherrschaft es war, die es seiner Freiheit beraubt hat; mit ihr hat die Desorganisation der deutschen Republik begonnen. Ferner wollten wir zum Ausdruck bringen, daß die nationalsozialistische Zwingherrschaft sich nicht nur für das deutsche Volk verhängnisvoll auswirkte, sondern durch Krieg und Gewalt die Menschheit in Elend und Not gestürzt hat. Dies sagt die Formulierung: Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt.

') Gestrichen „Weimarer". 230

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Dieser Satz ist nicht mit einem Punkt an das Vorhergehende angeschlossen, sondern mit einem Semikolon. Damit soll klargestellt sein, daß Krieg und Gewalt auf die nationalsozialistische Zwingherrschaft bezogen sind. Nun folgt der Gedanke: Das durch die Verfassung von Weimar vom 11. August 1919 aufgebaute staatliche Gefüge der deutschen Republik wurde zerstört. Damit ist ausgesprochen, daß die erste deutsche Republik der Substanz nach weiterbesteht, aber in ihrem inneren staatlichen Gefüge zerstört ist, also nicht der Substanz nach, sondern ihrer Struktur, ihren Funktionen nach. Nun folgt der Gedanke, daß die Zerstörung des staatlichen Gefüges nicht die dem deutschen Volk unverzichtbare innewohnende Souveränität, also das Recht auf freie Gestaltung des nationalen Lebens umfaßt hat. Wir haben dies so aus-

gedrückt:

Dem deutschen Volk ist aber das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung des nationalen Lebens geblieben. Es folgt weiter der Gedanke, daß die der Substanz nach unverminderte Volkssouveränität an ihrer vollen Selbstverwirklichung verhindert ist durch ein Faktum:

Die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechts schweren Einschränkungen unterworfen. Damit wollten wir ausdrücken: Was hier geschieht, geschieht nicht in Ausführung eines Auftrags der Besatzungsmächte, sondern es ist ein eigenständiger Akt des deutschen Volkes, der bis zum Maximum seiner Möglichkeiten realisiert würde, wenn die Einschränkungen nicht beständen, die dadurch bedingt sind, daß die Besatzungsmächte die Verwirklichung der Volkssouveränität nur zu einem Teil freigegeben haben. Nach dieser Geschichtserzählung, nach dieser Feststellung des „Tatbestandes" folgt nun der eigentliche Inhalt der Präambel. Zunächst wird gesagt: Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung Deutschlands vorzubereiten, hat das deutsche Volk9) [.] dieses Grundgesetzes beschlossen. Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen: Hier ist unter Freiheitsrechten verstanden vor allem das Recht des Individuums auf Selbstverwirkdie Einheit der Nation zu erlichung im Rahmen der allgemeinen Ordnung. halten", das heißt nicht etwa, sie zu „begründen", sondern sie zu „erhalten" und vor weiterem Verfall zu schützen.und eine neue staatliche Ordnung Deutschlands vorzubereiten"! Das will besagen, daß wir handeln, nicht um, was uns vorgeworfen wird, einen Akt der Separation zu setzen, sondern im Gegenteil um eine weitere Etappe auf dem Wege zur Realisierung auch der staatlichen Erscheinungsform der deutschen Einheit zurückzulegen.hat das deutsche Volk. .": Das soll heißen: es ist „das Deutsche Volk", das hier tätig wird, also nicht etwa ein angebliches west-deutsches Volk und nicht etwa die Länder „.

..

.

') In der Vorlage mißverständlich ausgeschrieben „fünf Punkte". Wie nachher erkennbar, sollte hier folgen: „vertreten durch die in den Ländern Baden, Bayern usw. gewählten

Abgeordneten".

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..

231

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als Rechtskörper. Aber dieses Deutsche Volk lebt in Ländern gegliedert. Das kommt in folgender Weise zum Ausdruck: „vertreten durch die in den Ländern usw. gewählten Abgeordneten des am 1. September 1948 zu Baden, Bayern Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rates". Damit wird deutlich, daß wir, die wir hier in Bonn zusammengetreten sind, Vertreter des gesamten deutschen Volkes sind. Die Präambel spricht weiter davon, daß die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates von den Vertretern der Deutschen in Berlin beraten wurden. Das ist sehr bedeutsam, ebenso wie das folgende: daß wir getragen sind von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen, also nicht bloß von dem Vertrauen unserer Wähler, deren legale Vertreter wir sind, sondern auch von dem Vertrauen jener, die nicht wählen konnten, aber deren legitime Vertreter wir sind.bewegt von der Hoffnung aller Deutschen...": Man braucht diese Hoffnung im einzelnen nicht zu spezifizieren; es ist die Hoffnung, die die Theologie als virtus bezeichnet und der eine Kraft beigesellt ist, die aus dem Glauben kommt. Nun kommt das Anwendungsgebiet des Grundgesetzes: Wenn wir hier uns auch als Vertreter des gesamten deutschen Volkes fühlen, so wissen wir doch, daß unsere Legitimation sich darauf beschränkt, für einen Teil des deutschen Gebietes eine Ordnung zu schaffen. Um die geographische Begrenzung dieses Teils auszudrücken, haben wir die Fassung gewählt: .für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat". Das ist zweifelsfrei und positiv ausgedrückt, und nichts ist verbaut, um das Grundgesetz auch auf Berlin auszudehnen. Das Wort „entsandt" läßt durchaus die Interpretation zu, daß auch die Berliner einbezogen sind. Und nun kommt die Zweckbestimmung des Grundgesetzes: Wir wollten nicht die deutsche Verfassung schaffen, sondern ein Instrument für die Übergangszeit, ein Instrument, das nicht die Fülle der Staatsgewalt birgt, sondern nur ein Fragment dieser Staatsgewalt. Andererseits wollen wir nicht eine Ordnung schaffen etwa für ein Westdeutschland, einen westdeutschen Staat, sondern innerhalb der Republik Deutschland soll ein bestimmtes Territorium einer geordneten Ausübung der Hoheitsgewalt unterworfen werden. Wir sagen also zur Schaffung einer den Aufgaben der Übergangszeit dienenden Ordnung der Hoheitsgewalt in der Republik Deutschland ..". Der letzte Satz der Präambel soll aussprechen, daß wir uns nicht das Recht zuschreiben, als Vorläufer die endgültigen Inhalte staatlichen Seins der Deutschen zu bestimmen. Das deutsche Volk soll „in seiner Gesamtheit aufgefordert bleiben, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit neu zu gründen", wenn es einmal in die Lage versetzt sein wird, frei sprechen und frei gestalten zu können überall da, wo Menschen sich als Deutsche zur deutschen Republik bekennen. ...

„.

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[4. DISKUSSION ÜBER DIE PRÄAMBEL] Dr. Eberhard: Ich darf

zu dieser Präambel einen Gesichtspunkt hervorheben, den ich schon vor einigen Tagen vorgetragen habe10): daß wir die Kontinuität sehr deutlich zum Ausdruck gebracht wissen möchten. Ich möchte diese Präambel einmal vom Standpunkt des ausländischen Lesers aus betrachten. Da lese ich zunächst, daß das durch die Verfassung von Weimar aufgebaute staatliche Gefüge der deutschen Republik zerstört wurde. Der Leser wird sagen, damit ist gemeint, der Staat von Weimar wurde zerstört. Wenn er liest, dem deutschen Volk sei das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben, wird er sagen, da handelt es sich um das deutsche Volk, zusammengepreßt in engeren Grenzen. Kurz, es ist davon die Rede, daß das staatliche Gefüge der deutschen Republik zerstört worden sei, und es ist die Rede von dem unverzichtbaren Recht des Volkes auf Gestaltung seines nationalen Lebens. Es ist aber nichts gesagt, was irgendwie auf die Grenzen des Staates von Weimar hindeuten würde, und das vermisse ich. Außerdem würde ich eine Einschränkung in Bezug auf die Besetzung vorsehen, etwa durch Hinzufügen des Wortes „zur Zeit" oder einen ähnlichen Ausdruck. Darüber hatten wir uns schon bei der Vorbesprechung eingehend unterhal-

ten.

Etwas verwundert bin ich auch über die Beibehaltung der Aufzählung der Länder. Diese Aufzählung könnte wegfallen. Wir möchten die Gründe hören, die

den Unterausschuß veranlaßt haben, die Länder hineinzuschreiben. Nun noch ein Punkt, der Berlin betrifft. Es ist in der Präambel von den in den Ländern Baden, Bayern usw. gewählten Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, die von den Vertretern der Deutschen in Berlin beraten wurden, die Rede. Aber für welches Gebiet soll dieses Grundgesetz gelten? Es wird in der Präambel gesagt: „für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat". Nun erklärt uns Herr Dr. Schmid, diese Fassung schließe Berlin ein, jedenfalls nicht aus. Mir scheint jedoch, daß ein unbefangener, unbeeinflußter Leser zu den „gewählten Abgeordneten" nicht die von Berlin entsandten Vertreter rechnet, so daß ich Bedenken habe, das hineinzuinterpretieren. Ich fürchte, wir geben damit der Bevölkerung zu viele Rätsel auf und stoßen sie sogar vielleicht vor den Kopf; denn es wird sagen: Berlin als Gebiet ist nicht genannt, also ist es auch nicht dabei. Dr. Schmid: Ich glaube, Herr Kollege Dr. Eberhard, Ihre Bedenken sind nicht begründet. Was Sie zum Ausdruck bringen wollen, kommt tatsächlich zum Ausdruck. Wir sind bei der Fassung der Präambel natürlich gehalten, unsere Worte so zu wählen, daß sie uns nicht für später auf das Durchkämpfen von Ansprüchen festlegen, die wir vielleicht nicht durchstehen könnten. Im übrigen kommt die Kontinuität, die Sie vermissen, klar zum Ausdruck, indem gesagt wird, daß das durch die Verfassung von Weimar vom 11. August 1919 aufgebaute staatli-

10)

7.

Sitzung, Dok. Nr. 8, TOP

1

c.

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che Gefüge zerstört wurde. Das staatliche Gefüge wurde zerstört, nicht etwa das Territorium, sondern, sagen wir, die Architektur, das Gerüst, das Skelett, die Funktionsnormen. Man könnte das Wort „vorläufig" einsetzen, um das Grundgesetz weiter zu charakterisieren und klarzustellen, daß wir diesen Beschränkungen nur für die Geltungsdauer dieses Grundgesetzes unterworfen sind. Aber von dem Tag an, an dem wir nicht mehr beschränkt sind, machen wir uns eine richtige, endgültige Verfassung. Vielleicht sagen wir so: Die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechtes heute noch schweren Einschränkungen unterworfen. Dr. Bergsträsser: Gemeint ist die Ausübung des Rechts für den Augenblick. Dr. Heuss: Ich würde diese zeitliche Beschränkung nicht hereinnehmen. Man versteht auch so, was gemeint ist. Dr. Schmid: Es sieht vor allen Dingen so aus, als ob man durch eine solche Einfügung etwas von der Realität abhandeln wollte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die ganze Präambel stellt auf ihre Zeit ab. Dr. Schmid: Herr Dr. Eberhard beanstandete die Erwähnung der Länder. Der Grund war der: wir mußten irgendwie zum Ausdruck bringen, daß die Abgeordneten des Parlamentarischen Rats von den Ländern auf Grund der territorialen Abgrenzung gewählt sind, die das Londoner Abkommen11) vorgesehen hat. Wir sind aber darüber hinausgegangen und haben einen Griff über die im Londoner Abkommen gezogenen Grenzen getan und von den Unerlösten gesprochen, von denen wir wenigstens einige als Berater hereingenommen haben. Wir mußten noch zum Ausdruck bringen, daß ein großer Teil unserer deutschen Mitbrüder unvermögend war, sich zur Geltung zu bringen, daß wir aber wissen, daß auch diese Menschen uns zwar nicht als legale, aber doch als legitime Vertreter ansehen. Wenn wir das zum Ausdruck bringen wollten, mußten wir hier ein bißchen Wahlkreisgeographie treiben und zum Ausdruck bringen, da und da sind die Abgeordneten gewählt. Hier erscheinen die Länder nicht als Rechtsträger, als Mitgestalter am Verfassungswerk, sondern lediglich als Wahlkreise, in denen die Abgeordneten zum Parlamentarischen Rat gewählt worden sind. Wenn man glaubt, daß der Ausdruck „Länder" in einem unerwünschten Sinne präjudizieren könnte, könnte man das Wort „Länder" streichen und einfach sagen: .vertreten durch die in Baden, Bayern usw.". Aber mir persönlich würde es besser gefallen, die Fassung so zu belassen, wie sie hier steht. Kaiser: Daran stößt Herr Dr. Eberhard sich nicht, sondern an der Aufzählung der Länder. Dr. Bergsträsser: Mich stößt das Wort „Gefüge". Ich möchte zur Erwägung gedurch die Verfassung von Weimar ben, ob man nicht einfach sagen sollte: vom 11. August 1919 geschaffene staatliche Aufbau". Dieses Wort enthält mehr Architektur; „Gefüge" scheint mir weniger architektonisch zu sein; es ist etwas sehr viel Allgemeineres/ .

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„.

n)

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Zum Londoner Abkommen s. Der Pari. Rat Bd. 1, S. XIV ff., zur Londoner Konferenz vgl. Gerd Wehner: Die Deutschland-Politik der Alliierten und die Londoner Sechs-MächteKonferenz im Jahre 1948. München 1989.

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Ferner stoße ich mich an dem Wort „aber". „Dem deutschen Volk aber ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben." Kann man hier nicht „aber" durch „trotzdem" ersetzen? Dr. Schmidt: Dann würde ich vorschlagen, „aber" einfach zu eliminieren und zu sagen: „Dem deutschen Volk ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben". Dr. Bergsträsser: Bedenken habe ich ferner gegen die Fassung: „Das deutsche Volk bleibt in seiner Gesamtheit aufgefordert. .". Erstens würde ich es für besser halten, zu sagen: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert ." Das Gewicht liegt hier auf der Gesamtheit. Könnte man ferner nicht sagen: „Dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit bleibt die Aufgabe?" In der Tat bleibt dem deutschen Volk als Ganzem die Aufgabe, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit neu zu gründen. Zu erwägen wäre schließlich, ob man nicht hinzufügen sollte: „Späterhin" und „endgültig". Dr. Schmid: Statt „späterhin" würde ich vorschlagen: „Zu gegebener Zeit". Dr. Heuss: Ich möchte den Ausdruck „staatliches Gefüge" gegen das Wort „Aufbau" verteidigen. „Gefüge" ist ein schönes drastisches Wort, und es stellt obendrein eine spezifische deutsche Situation klar. Gemeint ist nicht bloß eine rationale Architektur, sondern es steckt viel Geschichte darin. Im übrigen habe ich noch einige stilistische Bedenken. So habe ich mich beim Durchlesen daran gestoßen, daß wir so oft das Wort „vertreten" verwenden. Statt „vertreten" sollten wir, ich habe das schon einmal vorgeschlagen, sagen „dargestellt in dem". Ich suche nach einer größeren Abwechslung im Vokabular, .

.

.

im Sprechchoral. Aufgefallen ist mir ferner, daß wir zweimal von „Ordnung" reden; zunächst von einer neuen staatlichen Ordnung, die vorzubereiten ist, und dann von einer den Aufgaben der Übergangszeit dienenden Ordnung der Hoheitsgewalt. Vielleicht sollten wir doch statt „staatliche Ordnung" sagen „Rechtsordnung" oder „Rechtssatzung". Doch ich möchte mich darauf nicht festlegen; es soll nur eine Anre-

gung sein. Vielleicht fällt uns noch etwas Gescheiteres ein. Das sind im wesentlichen meine Einwendungen. Schließlich möchte ich mich gegen die Einfügung einer zeitlichen Korrektur durch „zu gegebener Zeit" oder „späterhin" aussprechen. Solche zeitmäßigen Korrekturen, oder wie man sie nennen will, haben einen etwas kleinlichen Charakter an sich. Dr. Weber: Sie klingen etwas hausbacken. Dr. Heuss: Wir haben die historische Entwicklung am Anfang dargestellt. Nach meinem Empfinden sieht es ein bißchen journalistisch und nach politischer

hier Zeitbenennungen anzubringen. bitte um Entschuldigung, wenn ich als Außenstehender zur GeDr. Suhr: Ich der Präambel das Wort nehme. Aber da ich an den Beratungen auf staltung Herrenchiemsee teilgenommen habe und auch die Stimmung in Berlin genau kenne, glaube ich die Dinge etwas schärfer zu sehen. Ich kann Ihnen offen sagen, daß man in Berlin die Beratungen dieses Ausschusses mit einer gewissen Besorgnis verfolgt hat. In verschiedenen Kreisen sind diese Fragen bei uns in Berlin diskutiert worden. Es kommt nicht so sehr darauf an, die staatsrechtliche

Zielsetzung

aus,

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Konstruktion klarzulegen. Schließlich schreiben wir das Grundgesetz nicht nur für die Staatsrechtslehrer, sondern für die Masse des Volkes, für die Öffentlichkeit, die es lesen soll. Wir kennen nun ja die Gewohnheit der Deutschen, nur die Überschrift und die Einleitung zu lesen, das übrige aber nicht weiter zu beachten. Daher hängt von der Formulierung der Präambel sehr viel ab, wie weit sich ein solches Grundgesetz im Bewußtsein des gesamten Volkes festigen läßt. Die stilistischen Bedenken des Herrn Dr. Heuss teile ich durchaus. Ich lese hier den langen Satz: „Erfüllt von dem Willen ..." bis dieses Grundgesetz beschlossen". Das ist eine unglückliche Satzkonstruktion. Dieser unmäßig lange Satz sollte aufgeteilt und aufgelöst werden. Dies ist durchaus möglich. Wenn man Wert darauf legt, ein Grundgesetz zu schaffen, das wirklichkeitsnah und dem Volk vertraut sein soll, dann sollte man solche langen Sätze vermeiden, und dies ist durchaus möglich. Was sodann die Aufzählung der Länder und die Erwähnung des Parlamentarischen Rats betrifft, so halte ich sie für wesentlich. Sie verdeutlicht den Charakter des Grundgesetzes. Ist es übrigens richtig, daß, wie Herr Dr. Schmid meinte, das Grundgesetz für das Gebiet der westdeutschen Länder einschließlich Berlins gilt? So, wie die Formulierung hier steht, trifft es nicht zu. Dr. Schmid: Das habe ich auch gesagt. Die Formulierung erlaubt aber zu einem gegebenen Zeitpunkt eine ausdehnende Interpretation. Dr. Suhr: Es wird in der Präambel ausdrücklich gesagt, das Grundgesetz gilt „für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat". Berlin hat keine Abgeordneten entsandt. Dr. Schmid: Die Vertreter Berlins sind als Berater ausdrücklich erwähnt. Das läßt sich also hineininterpretieren. Dr. Suhr: Ich bin kein Jurist, habe aber schlecht Erfahrungen mit Juristen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Auftrag der Ministerpräsidentenkonferenz kann nur auf den Westen lauten. Wir begeben uns mit unserer Formulierung praktisch auf Neuland. Ich unterstütze durchaus die Auffassung des Herrn Dr. Schmid und glaube auch, daß man das hineinlesen kann, wenn wir sagen: .die von den Vertretern der Deutschen in Berlin beraten wurden und getragen waren von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen .". Sie haben mitgewirkt, und so bleibt offen, daß auch das Grundgesetz für sie mit gilt. Ich finde, das ist sogar eine sehr glückliche, sehr kluge Fassung. Dr. Suhr: Ich muß mich an den Wortlaut der Präambel halten. Sie besagt ausdrücklich, daß das Grundgesetz gelten soll „für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat". Dazu gehört Berlin nicht. Ich stelle das nur fest. Das bedeutet aber, daß, wenn die Präambel Wirklichkeit wird, Berlin mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes außerhalb Deutschlands steht. So wird es auch in Berlin empfunden. Man sagt in Berlin, dieses Gebiet, dessen Bevölkerung Abgeordnete entsandt hat, nennt sich Republik Deutschland; aber Berlin steht noch außerhalb. Wie gesagt, so wird das in Berlin empfunden. Dr. Schmid: Das ist eine ausgesprochene Fehldeutung. Wir haben immer wieder festgestellt: Die Republik Deutschland ist das ganze Gebiet, das seinerzeit durch die Weimarer Verfassung als deutsches Staatsgebiet errichtet worden ist. Unser Grundgesetz schafft nicht ein neues Gebilde: Republik Deutschland, sondern or„.

..

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ganisiert lediglich auf dem Gebiet der ganzen Republik Deutschlands einen Teil in spezifischer Weise, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Dr. Suhr: Der Widerspruch bleibt bestehen. Ich bitte, einmal Außenstehende zu befragen, die nicht mit Ihren Gedankengängen vertraut sind. Die Präambel eines Grundgesetzes soll keines Kommentars bedürfen, sondern sie muß für sich selber sprechen. In der Präambel ist ausdrücklich von dem Gebiet die Rede, dessen Bevölkerung Abgeordnete entsandt hat. Dieses Gebiet umfaßt die elf westdeutschen Länder. Damit bleibt Berlin draußen. Selbst wenn ich mit meiner Auffassung im Unrecht bin, ist es notwendig, durch die Fassung selbst diesen unrichtigen Eindruck zu vermeiden, einen solchen Eindruck überhaupt nicht aufkommen zu lassen. Der normale Leser gewinnt diesen Eindruck nicht im Wege einer böswilligen Interpretation, sondern aus einem naiven Lesen heraus. Ich möchte das, was Herr Dr. Schmid hier klargestellt hat, so gefaßt wissen, daß jeder naive Leser es richtig versteht und empfindet. Die richtige Auslegung wird durch die unglückliche Konstruktion dieses Nebensatzes eben nicht gewährleistet. Unter diesen Umständen möchte ich die Herren bitten, sich mit zu bemühen, um die Fassung durch eine Zerlegung der Sätze klarer und verständlicher zu machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf dazu kurz ausführen, daß der Name das wesentliche ist. Wir haben in den Grundrechten ausdrücklich von allen Deutschen gesprochen und dabei immer auch an die deutschen Ostgebiete gedacht, einschließlich Berlins. Das kommt ganz klar zum Ausdruck. Mit unserer Fassung der Präambel haben wir das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit allen deutschen Ländern zum Ausdruck bringen wollen, um zunächst über den Namen als solchen hinwegzukommen. Nun ist uns soeben gesagt worden, wir dürften das neue Gebilde nicht Republik Deutschland nennen; nicht einmal Bundesrepublik Deutschland dürfe man sagen; denn die Außenstehenden müßten dann der Meinung sein, daß sie außerhalb dieser Republik Deutschland ständen. Schon daraus können Sie die Schwierigkeiten ermessen, mit denen die Abfassung der Präambel verknüpft ist. Wir haben in unserer Fassung gerade das Gefühl der Zusammengehörigkeit zum Ausdruck bringen und so über diese Beden-

ken hinwegkommen wollen. Kaiser: Was wir zum Ausdruck bringen wollen, wissen wir; aber es ist unsagbar schwer zu formulieren. Wir müssen darauf achten, daß wir keine Formulierung wählen, die den Widerspruch einer der Mächtegruppen hervorruft. Wir müssen mit solchen Einwendungen staatsrechtlicher Art rechnen, wenn nicht inzwischen eine Änderung eintritt. Wir müssen den Empfindungen Rechnung tragen, die in Berlin vorherrschen und von denen Herr Dr. Suhr sprach, und eine andere Formulierung suchen. Vielleicht können wir das Wort „beraten" fallen lassen. Dieser Ausdruck besagt zu wenig; vielleicht kann man ihn durch „mitwirken" ersetzen. Überhaupt sollten wir das ganze Verfassungswerk Satz für Satz durchgehen, namentlich aber die Präambel, die von so großem Gewicht ist. Auf jeden Fall muß der lange Satz von „Erfüllt" bis „beschlossen" aufgelöst und zerlegt werden. Dr. Bergsträsser: Ich möchte noch eine allgemeine Bemerkung machen. Wenn man die Präambel zwei oder drei Mal durchliest, so erkennt man immer mehr, 237

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daß die Fassung nicht so ist, daß der normale Mensch sie ohne weiteres verstehen kann. Ich glaube daher, wir sollten versuchen, die Formulierung noch deutlicher, einfacher, klarer, wirkungsvoller zu gestalten. Vielleicht wird sie dadurch länger, aber sie wird dann wenigstens deutlicher und für den normalen Leser klar. Die jetzige Fassung erscheint mir nicht ganz zulänglich; es fehlt ihr die

tragende Wirkung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wird in der allgemeinen Aussprache noch weiter das Wort gewüncht? Falls das nicht der Fall ist, schlage ich vor, entsprechend der Anregung des Herrn Kaiser den Wortlaut Satz für Satz durchzugehen. —

Zunächst der erste Satz: Die nationalsozialistische Zwingherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt; Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt. Es handelt sich hier um zwei Halbsätze, getrennt durch ein Semikolon. Der Unterausschuß hat mit voller Absicht diese Form gewählt, um den Zusammenhang zwischen der nationalsozialistischen Zwingherrschaft und Krieg und Gewalt, die die Menschheit in Not und Elend gestürzt haben, herzustellen. Wird dazu das Wort gewünscht? Dr. Weber: Ich habe Bedenken gegen das Wort „Zwingherrschaft". Kaiser: Ich frage mich auch, ob dieser Ausdruck üblich ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten zunächst „Gewaltherrschaft" gewählt, uns dann aber für „Zwingherrschaft" entschlossen. Dr. Bergsträsser: Ich habe auch Bedenken gegen Zwingherrschaft. Zwingherrschaft bedeutet etwas von außen Kommendes. Der Nationalsozialismus ist nicht von außen gekommen, sondern von innen. Dr. Schmid: Das Wort stammt von Friedrich Schiller, der es in Wilhelm Teil anwendet. Übrigens war jener Landvogt Geßler ein Schweizer und keineswegs ein Mann, der vom Auslande kam. Dr. Bergsträsser: Er war aber beauftragt und gestützt vom Hause Habsburg. Dr. Weber: Muß man denn unbedingt „Zwingherrschaft" sagen? Genügt nicht einfach „nationalsozialistische Herrschaft"? Dr. Schmid: Wir wollten mit „Zwingherrschaft" ausdrücken, daß es nicht eine Herrschaft im Sinne einer legitimen Autorität war. Auch wir Deutschen sind ja Opfer des Nationalsozialismus gewesen, sogar die ersten. Das soll zum Ausdruck kommen. Dr. Bergsträsser: Ich möchte den Ausdruck „Zwangsherrschaft" vorschlagen. Dr. Heuss: „Zwangsherrschaft" erinnert zu stark an Zwangswirtschaft. Dr. Schmid: oder an Zwangsversteigerung. Zwingherrschaft ist ein schönes, treffendes Wort. Vors. IDr. v. Mangoldt]: In „Zwingherrschaft" kommt das Gezwungensein, das Nicht-selbst-mitwirken-können im demokratischen Sinne zum Ausdruck. Kaiser: Die Präambel soll eine Ordnung einleiten, die Beständigkeit haben soll. Und da finde ich, daß „Zwingherrschaft" nicht recht hereinpaßt. Dr. Schmid: Die nationalsozialistische Herrschaft war keine legitime Herrschaft, sondern eine pervertierte Herrschaft. Diesen Sachverhalt drückt „Zwingherrschaft" besser aus. —

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Kaiser: Man kann

meinetwegen in einem Zeitungsartikel oder in einer politischen Rede das Wort „Zwingherrschaft" verwenden; aber in einer Verfassung erscheint es mir fehl am Platz. Dr. Schmid: Warum sollen wir in der Präambel nicht auch einmal ein Werturteil aussprechen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn der Ausschuß die Bedenken des Herrn Kaiser teilt, dann müßten wir den ersten Satz überhaupt weglassen. Kaiser: Nein; soweit möchte ich nicht gehen, und das ist auch gar nicht notwendig. Man kann „Zwingherrschaft" durch ein anderes Wort ersetzen. Dr. Schmid: „Zwingherrschaft" ist, ich wiederhole es, ein gutes Wort. Dr. Suhr: Ich wäre für „Zwangsherrschaft", mit der Freiheitsberaubung als

Folge.

Dr. Schmid: Das soll durchaus zum Ausdruck gebracht werden. Was wir heute erleben, hat nicht erst am 8. Mai 1945 begonnen, sondern schon viel früher. Dr. Suhr: Wir könnten sagen: „Die nationalsozialistische Zwangsherrschaft mit

ihren Folgen". Dr. Schmid: Der Bumerang wurde vom Nationalsozialismus ausgeworfen; nun ist er zu uns zurückgekommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können zum zweiten Satz übergehen: Das durch die Verfassung von Weimar vom 11. August 1919 aufgebaute staatliche Gefüge der deutschen Republik wurde zerstört. Hierzu wurde vorgeschlagen, „staatliche Gefüge" zu ersetzen durch „geschaffene staatliche Aufbau". Ist diese Änderung notwendig? Das das staatliche Gefüge aufgebaut ist, ist selbstverständlich. Der Aufbau, von dem Herr Dr. Bergsträsser gesprochen hat, liegt in dem „staatlichen Gefüge" beschlossen. Das staatliche Gefüge ist der vollendete organisatorische Aufbau. Dr. Bergsträsser: Ich bin immer der Meinung, wir sollten die schwer durchlöcherte Verfassung von Weimar auch für uns und für die Länder der Ostzone als geltend ansehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Auffassung, die wir in der Vergangenheit hatten, ist überholt. Ich möchte das offen sagen. Auf Grund der politischen Entscheidungen ist die Weimarer Verfassung als politisches Instrument tatsächlich überholt. Man kann heute nur noch einzelne Sätze der Weimarer Verfassung als geltendes Recht ansehen. Ich erinnere an die Auslegung des Art. 131 der Weimarer Verfassung, der die Staatshaftung für Handlungen von Beamten ausspricht. Die Staatsrechtslehre steht heute auf dem Standpunkt, daß einzelne Sätze der Weimarer Verfassung noch geltendes Recht sind. Aber im allgemeinen ist die Weimarer Verfassung als politische Gesamtentscheidung überholt. Dr. Schmid: Ich gebe Ihnen vollkommen recht. Ich würde sagen: in den entscheidenden, integrierenden Punkten ist die Weimarer Verfassung in Geltung geblieben. Es ist geblieben die Konstituierung des deutschen Volkes als Staatsvolk, als gesamtdeutsches Staatsvolk. Weiter sind geblieben die Bestimmungen über das Gebiet, positiv und negativ. Es ist doch eigentlich das entscheidende, daß dieses Staatsvolk auf seinem Gebiet eine Staatsgewalt anerkennt. Zinn: Es wird im zweiten Satz gesagt: Das durch die Verfassung von Weimar aufgebaute staatliche Gefüge wurde zerstört. Hier könnte man anfügen: Seine 239

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wurde schweren Einschränkungen unterworfen. Nun fortfahren: „Kraft seines unverzichtbaren Rechtes auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens bekennt das deutsche Volk sich zur deutschen Republik". Auf diese Weise wird die staatliche Fortexistenz Deutschland noch stärker hervorgehoben. Hieran würde sich das Bekenntnis zur staatlichen Existenz anschließen. Dr. Eberhard: Ich plädiere dafür, das Fortbestehen der deutschen Republik in einem kurzen Satz zum Ausdruck zu bringen, vielleicht nach dem Satz, daß das staatliche Gefüge der deutschen Republik zerstört wurde. Das wäre ein Bekenntnis zum Recht auf Selbstbestimmung. Dr. Schmid: Das wäre ein neuer Akt, und das wollen wir doch nicht. Zinn: Ich bekenne mich zu dem, was vorhanden ist, und betone das noch einmal. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Voraussetzung ist, daß das Volk als Einheit erhalten äußere könnte

Unabhängigkeit

man

geblieben

ist. Zinn: Schreiben wir herein: „als Treuhänder" oder so etwas ähnliches. Dr. Schmid: Das schwächt alles ab. Zinn: Ich bin überzeugt, der Leser gewinnt nicht die Vorstellung, die wir damit verbinden. Es kommt aber auf den einfachen Leser an. Dr. Suhr: Ich möchte wiederholt empfehlen, den Abs. 2 klarer und übersichtlicher zu gestalten, indem man ihn zerlegt. Die Fassung, wie sie hier steht, liest sich schwer und nimmt dem ganzen Aufbau den Rhythmus. Wir müssen vom deutschen Volk, vom deutschen Staat, von der deutschen Republik ausgehen. Das ist der wesentliche Inhalt der Präambel. Es kommt hier weniger auf die staatsrechtliche Genauigkeit an, als auf die gegenständliche Formulierung des Grundgedankens. Daher halte ich auch die Erwähnung des Datums des Inkrafttretens der Weimarer Verfassung für schwerfällig und belastend. Man sollte sagen: „Das staatliche Gefüge der deutschen Republik, das von der Weimarer Verfassung geschaffen war, wurde zerstört". Dr. Schmid: Lieber Freund Suhr, entschuldigen Sie, aber das klingt nicht gut. Dr. Suhr: Zweifellos ist es stilistisch noch nicht in Ordnung. Ich bin kein Studienrat. Aber ich meine doch, man kann diesen Riesensatz nicht durchgehen lassen. Man verschiebt dadurch auch den ganzen Rhythmus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Könnte man nicht einfach sagen: „Deutschlands demokratisches Gefüge"? Darin liegt das wesentliche; das wurde zerstört. Das war ein Akt der nationalsozialistischen Zwingherrschaft. Zinn: Die Verfassung wurde schon vorher durch das Notverordnungsrecht

durchlöchert. Dr. Heuss: Vielleicht sagen wir: „Die in Weimar geschaffene deutsche Republik wurde zerstört". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder: „Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen deutschen Republik". Kaiser: Brauchen wir denn die Erinnerung an Weimar so unbedingt? Klingt es nicht schon umfassend, wenn man sagt: „Das staatliche Gefüge der deutschen Republik"? Das ist einfach eine Tatsache. Es liegt darin ein stärkeres Bekenntnis 240

zur

Republik.

Neunte

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Dr. Heuss: Es ist noch die Frage, ob das Wort „deutsch" in „deutsche Republik" groß geschrieben wird. Wir schaffen damit nachträglich eine Korrektur. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gegen den Vorschlag des Herrn Kaiser habe ich nur das Bedenken, daß die Staatsform unter Hitler praktisch eine Republik war. Dr. Schmid: Es war eine Diktatur, keine Republik. Kaiser: Sagen wir doch einfach: „das staatliche Gefüge der demokratischen deutchen Republik". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das klingt schlecht. Dr. Schmid: Das Dritte Reich war ein Führerstaat, keine Republik. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen praktisch sagen, daß der territoriale Bestand, wie er in der Verfassung von Weimar zugrunde gelegt war, nicht angegriffen wurde, sondern nur das staatliche Gefüge. Dr. Eberhard: Die Weimarer Republik wurde zerstört. Ich möchte aber dringend bitten, in der Formulierung festzulegen, daß die Republik fortbesteht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist wichtig, daß wir uns darüber klar werden. Ich denke, wir sollten sagen: „Das staatliche Gefüge der deutschen Republik von

Weimar wurde zerstört". Dr. Eberhard: Wir müssen hier genau formulieren, damit die Begriffe nicht verwechselt werden. Wir sprechen hier von der Republik Deutschland. Da können wir nicht an anderer Stelle von der deutschen Republik sprechen. Jeder Leser wird fragen. Warum sind hier verschiedene Ausdrücke gewählt? Zinn: Das würde ich im weiteren Text klarstellen. Es ist viel plastischer, wenn man am Anfang von dem staatlichen Gefüge spricht und betont, daß die deutsche Republik weiterbesteht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Von der deutschen Republik kann man nicht gut reden, die Weimarer Republik hat niemals so geheißen. Wenn wir aber sagen, das staatliche Gefüge der Weimarer Republik wurde zerstört, so geht das ohne weiteres. Dr. Heuss: Ich bin gegen den Begriff „Weimarer Republik". Er ist ein bißchen verdorben. Nun habe ich ja die Weimarer Republik verteidigt und gesagt, sie sei ganz gut gewesen. Aber der Begriff „Weimarer Republik" ist nicht gut. Wir sollten von der in Weimar geschaffenen Republik sprechen. Dr. Eberhard: Wenn man das Datum des 11. 8. 19 wegläßt, geht es auch noch. Dr. Heuss: Das Datum beruht auf einer Gepflogenheit der Juristen, die den Tag des Inkrafttretens immer gleich lesen wollen. Ich hatte selber schon Einwände gegen die Fixierung dieses Datums. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin mir noch nicht klar darüber, ob man sagen soll: „die in Weimar geschaffene Republik" oder aber „das staatliche Gefüge der Republik von Weimar". Dr. Heuss: Wir sollten den Ausdruck „Weimarer Republik" vermeiden. Kaiser: Das ist eine Bezeichnung, die man in Versammlungen oder in der Zeitung gebraucht hat. Aber eine solche Bezeichnung gehört nicht in eine Verfassung. Dr. Schmid: Der Ausdruck „Weimarer" Republik ist mit dem Odium des Vergänglichen behaftet; man denkt an eine Eintagsfliege. Überdies nennen die Franzosen ihre Republik auch nicht „Versailler Republik". 241

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Vors. [Dr. v. Mangold]: Nun kommt der Satz, der uns Schwierigkeiten macht. Es handelt sich hier um die Fortdauer der staatlichen Existenz. Gemeint ist: Deutschland existiert als Staat fort. Dr. Heuss: Wir müssen hier vorsichtig sein, weil wir später von dem unverzichtbaren Recht auf freie Gestaltung unseres nationalen Lebens sprechen. Das Pathos dieses Satzes wird aufgehoben, wenn wir vorher sagen, es ist alles noch nicht wahr. Dr. Schmid: Das sagen wir nicht. Dr. Heuss: Wir dürfen diesen moralischen Anspruch nicht durch den Hinweis auf etwas Transitorisch.es schwächen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte die Sätze etwas umstellen und etwa sagen: „Die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte hat. schweren Einschränkungen unterworfen. Aber dem deutschen Volk ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben". Hieran schließt sich der zweite Absatz an: „Erfüllt von dem Willen. ..". Dr. Bergsträsser: Man müßte davon ausgehen, daß der Staat weiterbesteht. Gemeint ist: der Substanz nach. Das Wort Substanz besagt das, was wir ausdrükken wollen. Wir sollten ein deutsches Wort dafür finden. Unsere Formulierungsschwierigkeiten rühren zum großen Teil daher, daß wir Fremdworte vermeiden wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte sagen: „Dem deutschen Volk ist aber zugleich mit dem Staat das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben". Dr. Heuss: Es bleibt aber immer ein Vorgang der Trennung, den der Leser nicht mitvollzieht. Dr. Suhr: Die entscheidende Frage ist, ob wir die Feststellung, daß der Staat erhalten geblieben ist, aufnehmen wollen. Entschließen wir uns dazu, dann muß sie angehängt werden an die Feststellung, daß das staatliche Gefüge der deutschen Republik zerstört wurde. Es muß also heißen: „Das staatliche Gefüge der Weimarer Republik wurde zerstört; der deutsche Staat ist aber erhalten geblieben. Dr. Schmid: Das innere Gefüge der deutschen Republik wurde zerstört; der Staat blieb erhalten. Dr. Zinn: Das innere Gefüge Deutschlands wurde zerstört; die Republik Deutschland blieb erhalten. Dr. Schmid: Wir können statt „staatliches Gefüge" sagen „inneres Gefüge". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber auch das äußere Gefüge wurde zerstört. Dr. Schmid: Das „Gefüge" der deutschen Republik wurde zerstört. Kaiser: Ich würde alles so lassen, wie es dasteht. Wenn wir sagen: „Der Staat aber ist erhalten geblieben", dann werden eine Menge Einwände kommen. Es wird auch Einmischungen geben. Man braucht da nur den „Rheinischen Merkur12)" zu lesen. .

.

') Der Rheinische Merkur, ein in Koblenz erscheinendes überregionales Presseorgan, das der CDU nahestand, sehr föderalistische Positionen vertrat und unter anderem Adolf Süsterhenn in den Jahren 1946—1949 Raum für Leitartikel bot. Vgl. Adolf Süsterhenn. 242

Neunte Dr. Schmid: Ich bin

wendet,

um

überhaupt

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darüber; welche Mühe man darauf versich nicht mehr als Deutscher zu fühlen

erstaunt

nachzuweisen, daß

man

braucht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das in Weimar aufgebaute Gefüge der deutschen Republik wurde zerstört. Dr. Schmid: Wir sagen zunächst, was zerstört ist. Dann kommt das, was da ist. Das Gefüge ist zerstört. Diese Feststellung gehört an den Anfang. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf als Ergebnis der bisherigen Aussprache festhalten, daß wir den Satz, daß der Staat erhalten geblieben ist, einfügen wollen. Dr. Eberhard: Ich überlege mir eine bessere Formulierung. Vielleicht kann man sagen, daß der Staat, dessen Gefüge zerstört wurde, neu geformt wird. Dr. Schmid: Man kann das auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß man nicht mit einem Ist-Satz operiert, sondern eine Fassung wählt, aus der jeder unbefangene Leser den Schluß zieht, der dem Sachverhalt entspricht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann in einer Präambel unmöglich alles sagen; man muß auch manches unausgesprochen lassen können. Ich glaube, die Mehrheit des Ausschusses tendiert dahin, daß wir unter diesen Umständen auf den Satz verzichten müssen, daß der Staat erhalten blieb. Vielleicht sagen wir ganz einfach : „Das in Weimar geschaffene Gefüge der deutschen Republik wurde zerstört". Dr. Schmid: Ich plädiere für die Beibehaltung der alten Fassung. Im ersten Absatz sind drei Dinge ausgesprochen: einmal die Feststellung, was alles vernichtet wurde; dann die Feststellung, daß eine Sache erhalten blieb, und schließlich die dritte Feststellung, daß diese erhalten gebliebene Sache in ihrer Selbstverwirklichung durch äußere Gewalt beschränkt ist13). Dr. Suhr: Ich wäre dafür, das Datum herauszulassen und auch die deutsche Republik wegzulassen, weil wir schon von der Republik Deutschland sprechen. Man sollte einfach sagen: „Das durch die Verfassung von Weimar aufgebaute staatliche Gefüge wurde zerstört." Dr. Schmid: Dann würde ich eher vorschlagen, nur zu sagen: „Die durch die Verfassung von Weimar aufgebaute staatliche Ordnung wurde zerstört". „Ordnung" ist besser. Dr. Heuss: Man könnte sagen: „Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik wurde zerstört". Damit ist das wesentliche gesagt. Das Wort „Ordnung" haben wir schon zweimal; das ist zuviel. Die deutsche Sprache ist reich genug, um im Ausdruck abzuwechseln. Auch das Wort „Gefüge" halte ich für schlecht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bis jetzt halte ich folgende Fassung für die beste: „Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik wurde zerstört." Nun entstand die Frage, ob man das „aber" im nächsten Satz streichen sollte. Die Mehrheit der Ausschußmitglieder war für die Streichung. Schriften zum Natur-, Staats- und Verfassungsrecht. Hrsg. von Peter Bucher. Mainz 1991, S. XXIV. Über die Arbeit im Pari. Rat berichtete in dieser Zeitung in der Regel Paul Wilhelm Wenger. 13) Folgt gestrichen: „Man kann sagen, das durch die Verfassung von Weimar aufgebaute staatliche Gefüge der deutschen Republik wurde zerstört." 243

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Kaiser: Ich finde, der gemeine Mensch, der normale Bürger braucht das Wort „aber". Ein Mensch mit Volksschulbildung hat den Eindruck, wenn er das liest: Hier fehlt etwas. Es fehlt die Überleitung. Dr. Schmid: Ich halte das Wörtchen „aber" für wichtig und notwendig. Dr. Heuss: Es ist wichtig für die Darstellung der historischen Kontinuität. Dem deutschen Volk aber ist das unverzichtbare Recht auf die Behauptung seines

staatlichen Lebens geblieben. Dr. Schmid: Das Wort „aber" schafft einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Vorhergehenden. Es ist das Wort von Ernest Renan: „La Nation est un plébiscite de tous les jours"14), im Gegensatz zum Etat. Der Staat ist ein anderes, etwas, das sich nicht täglich erneuert. Dr. Heuss: Wir sprechen von dem unverzichtbaren Recht auf freie Gestaltung unseres nationalen Lebens. Das trennt mich etwas von dem Wunsch des Herrn Dr. Eberhard, die Kontinuität des republikanischen Weimarer Staates festzulegen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der nationalen Existenz ist durchaus kein völkerrechtlich allgemein anerkannter Satz. Zinn: Dieses Selbstbestimmungsrecht ist in der Charta der Vereinten Nationen schon vorgesehen. Die Charta erkennt den Mitgliedsstaaten das Recht der

Selbstbestimmung zu15). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich halte das nicht für gut möglich. Die Anerkennung des nationalen Selbstbestimmungsrechts würde in gewissen Teilen der Welt zu ganz unmöglichen praktischen Gestaltungen führen. Das Recht der freien Gestaltung des nationalen Lebens ist dagegen ein unumstrittener Satz des Völkerrechts. Er ist in den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen unter

der Treuhänderschaft enthalten, die im neuen Art. 59 des Kolonialrechts der Vereinten Nationen aufgeführt ist. Dr. Schmid: Ich glaube, wir sollten die Fassung lassen, wie sie ist und was der Herr Kollege Dr. Eberhard verlangt, ist ein Superfluum. In Weimar ist eine Republik geschaffen worden, ein Staat. Diesem Staat ist das Gefüge zerstört; aber der Substanz nach ist der Staat noch da. Es handelt sich nur um die Zerstörung einer Schicht seiner Wirklichkeit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im zweiten Absatz ist von dem Willen die Rede, „die Einheit der Nation zu erhalten". Das ist bewußt hereingesetzt worden, um den

Sachverhalt zu verdeutlichen. Beides muß man zusammen lesen. Dr. Schmid: Wir können uns noch so sehr anstrengen, dem Volk aufs Maul zu schauen; es wird immer noch sehr schwierig bleiben, deutlich zu machen, was gemeint ist. Der Leser muß hier eben sorgfältig lesen und sich überlegen, was

gesagt ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann kann ich als überwiegende Auffassung des Ausschusses feststellen, daß wir den dritten Satz so lassen, wie er hier steht. Zum vierten Satz des Abs. 1 sind Bedenken nicht erhoben worden.

14)

Ernest Renan (1823—1892), französischer

Schriftsteller. 15) Charta der UN 244

vgl.

Dok. Nr. 8, Anm. 3.

Religionswissenschaftler, Orientalist und

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Die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechtes schweren Einschränkungen unterworfen. Dr. Weber: Ich meine, wir sollten den Satz hier stehen lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man hat im Unterausschuß die Frage erörtert, ob man hier auch noch eine verbindende Bestimmung einfügen soll. Man ist davon abgekommen, weil der Zusammenhang sich von selbst versteht. Wir können in die Präambel nicht alles und jedes aufnehmen. Es würde sehr schwer fallen, hier ein verbindendes Wort einzusetzen. Dr. Schmid: Man könnte an „jedoch" oder „wenngleich" denken. Aber die Aneinanderreihung ist ohne Copula viel besser. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es bleibt also bei der Fassung der Vorlage. Wir stehen nun aber vor der eigentlichen Schwierigkeit, wenn wir die Wünsche erfüllen wollen, die dahin gehen, den Abs. 2 zu zerlegen. Vielleicht sind die Mitglieder des Ausschusses, die hierzu Wünsche geäußert haben, jetzt schon in der Lage, sie zu formulieren. Dr. Schmid: Ich möchte Herrn Dr. Suhr bitten, seinen aufgelösten Satz einmal zu formulieren, damit wir seine Fassung im Redaktionsausschuß überprüfen und mit unserer Lösung vergleichen können. Dr. Suhr: Ich will diese Aufgabe gern übernehmen. Kaiser: Der zweite Absatz beginnt mit „Erfüllt von dem Willen .." und endet mit „dieses Grundgesetz geschlossen". Dazwischen heißt es, daß die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates von den Vertretern der Deutschen in Berlin beraten wurden und getragen waren von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen. Das ist alles zu sehr gedrängt, zu sehr ineinandergeschachtelt. Dr. Schmid: Darin kommt zum Ausdruck, daß die Vertreter der Deutschen in Berlin die gleiche Dignität haben wie die Mitglieder des Parlamentarischen Ra.

tes.

Dr. Suhr: Es heißt da: .vertreten durch die gewählten Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, die von den Vertretern der Deutschen in Berlin beraten wurden." Das ist alles furchtbar schwer lesbar, und weil es so schwer lesbar ist, hat die Präambel keine Propagandawirkung. Man muß den Satz auflösen. Ich bin gern bereit, das zu versuchen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Charta der Vereinten Nationen verlangt vom Leser noch sehr viel mehr. Dr. Suhr: Meine Herren, wir stehen hier vor einer entscheidenden Frage. Ich sage Ihnen ganz offen, ich habe den Eindruck, daß der Gang der Beratungen in Bonn eine große Gefahr heraufbeschwört. Wir haben in Berlin in den letzten Wochen mit Besorgnis verfolgt, was hier geschieht. Wir fürchten, wir kommen nicht zum entscheidenden Schritt, denn solche Formulierungen tragen nicht dazu bei, die Verfassung und ihre Institutionen im Bewußtsein des Volkes zu verankern. Wir haben hier eine praktisch-politische Aufgabe zu erfüllen, worauf auch schon Friedrich Naumann16) bei der Schaffung der Weimarer Verfassung .

16) Vgl. Dok. Nr. 4, Anm.

.

.

18.

245

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hingewiesen hat. Wir begehen einen schweren Fehler, wenn wir nicht eine Sprache finden, die dem normalen Bürger verständlich ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich vermag nicht ganz einzusehen, worauf sich diese Besorgnisse eigentlich gründen. Bis jetzt sind von uns nur die Grundrechte, die aber sogar auf unseren ausdrücklichen Beschluß, an die Öffentlichkeit gebracht worden. Da glaube ich nun, diese Grundrechte sind so einfach wie möglich formuliert, in kurzen Sätzen dargestellt, und die notwendigen Beschränkungen sind ebenso einfach und klar gehalten. Wenn man in der Presse erklärt hat, wir sagen nichts Neues, sere man

so

ist darauf

nur zu

erwidern: Das

war

auch nicht

un-

Absicht, das konnten wir nicht. Denn Grundrechte sind nicht etwas, was jeden Tag neu hervorzaubern kann, sondern es sind die ewigen Grund-

und Freiheitsrechte. Selbst in den Leitartikeln großer Zeitungen hat man nicht gemerkt, was es mit dieser Neuformulierung der Grundrechte auf sich hat. Eine wirkliche Kritik kann nur eine vorweggenommene Kritik der Präambel sein. Darüber haben wir offiziell noch nichts an die Öffentlichkeit gebracht und bringen können. Dr. Suhr: Es liegt mir fern, die Arbeit des Ausschusses herabzusetzen. Für mich kommt es lediglich darauf an, Formulierungen zu schaffen, die in das Bewußtsein des Volkes eindringen, weil sie kurz, klar, deutlich und allgemein verständlich sind. Sie müssen mir zugeben, daß es eine ziemliche Crux ist, den zweiten Absatz der Präambel zu verdauen. Dr. Schmid: Zur Verteidigung der Latinität: Ein Satz aus Tacitus ist sehr viel schwerer zu übersetzen als eine Periode von Cicero. Dr. Eberhard: Herrn Dr. Suhr ist die Fassung der Präambel zu kompliziert. Sein Haupteinwand ist, daß sie für den Leser innerhalb und außerhalb Deutschlands schwer verständlich ist. Diesen Bedenken müssen wir irgendwie Rechnung tragen. Zunächst sollte man das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat, näher präzisieren, indem man sagt: „für das Gebiet in Deutschland, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat". Damit haben wir klargemacht: die Republik Deutschland ist die größere Einheit, und wir Abgeordneten arbeiten hier für das Gebiet der Republik Deutschland, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat. Ich mühe mich, eine Formulierung zu suchen, die von dem Berliner genau so wie von den Hessen und Württembergern usw. gelesen werden kann. Dr. Suhr: Die Frage ist eben: Ist das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat, identisch mit dem Gebiet der Republik Deutschland oder nicht? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sind zu dieser Formulierung dadurch gekommen, daß wir in diesem Absatz die Länder nicht haben aufzählen wollen, und zwar gerade in der Absicht, die Dinge für denjenigen, der durchsieht, klar zu machen, auf der anderen Seite uns aber nicht festzulegen. Sonst hätten wir, um das Gebiet zu umgrenzen, die Länder aufzählen müssen. Wenn wir die Länder hier nicht aufzählen wollen, ist unsere Formulierung die einzige, die möglich ist. Dr. Suhr: Es

gibt sicher viele Leute, die eine lange Leitung haben und nicht kennen, daß hier zwei Dinge darin sind. Nicht jeder weiß, was Sie meinen. 246

er-

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Schwierigkeit ist eben die, daß man in eine Präambel nicht alles hineinschreiben kann, was man an sich verständlich machen müßte, weil man sonst zu einer juristisch unhaltbaren Formulierung kommt. Wir sind gezwungen, hier etwas dunkler zu formulieren. Dr. Schmid: Das Sybillinische im Ausdruck hat auch seine politischen Vorteile. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herr Dr. Heuss hat das zweimalige Vorkommen des Wortes „Ordnung" beanstandet. Dem kann man vielleicht dadurch abhelfen, daß man den Satz auseinanderzieht, zerlegt. Vielleicht nehmen wir darüber die Debatte morgen noch einmal auf, damit wir eine zweckmäßige Lösung finden. Dr. Heuss: Vielleicht sagt man einfach: „für die Aufgaben der Übergangszeit". Dr. Schmid: Dann haben wir zweimal das Wort „für": „für" das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat, für die Aufgaben der Übergangszeit." Dr. Bergsträsser: Besser wäre vielleicht: „zur Lösung der Aufgaben der Über-

gangszeit".

Dr. Schmid: Ich bemerke

ja gerade, daß das Wort „Ordnung" in verschiedener Qualifikation gebraucht wird! Zunächst ist von einer „neuen staatlichen Ordnung" die Rede, die vorbereitet werden soll; am Schluß dagegen von einer „Ordnung der Hoheitsgewalt"17). Staatliche Ordnung ist etwas Allumfassendes, Permanentes. Bei der „den Aufgaben der Übergangszeit dienenden Ordnung der Hoheitsgewalt" ist nicht Ordnung der entscheidende Begriff, sondern das Gewicht liegt auf der Hoheitsgewalt und auf den Aufgaben der Übergangszeit, denen die Ordnung zu dienen hat. Dr. Heuss: Bei dem Wort „Hoheitsgewalt" habe ich ein bißchen Unbehagengefühl. Das Apparaturmäßige behagt mir nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht könnte man statt „Hoheit" „Regierung" sagen. Dr. Weber: Hoheit ist mehr. Dr. Heuss: Ich stoße mich immer noch an der zweimaligen Wiederholung des Wortes „Ordnung". Dr. Schmid: Man muß aber „Ordnung" immer zusammen mit dem Prädikat nehmen.

Dr. Heuss: Der Ausdruck man

„Regelung" als „Rechtssatzung" oder „Satzung".

Ersatz ist

zu

schwach. Vielleicht sagt

Dr. Schmid: Das wiederholte Vorkommen des Wortes „Ordnung" gibt dem Prädikat eine besondere Note. Im einen Fall handelt es sich um eine neue staatliche Ordnung; im anderen um eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt. Durch die Wiederholung des Wortes „Ordnung" gewinnen diese Dinge erst ihre besondere Bedeutung. In beiden Fällen handelt es sich um eine Ordnung besonderer Art.

17) Folgt gestrichen: „Ordnung ist immer Qualifikation". 247

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Um den Bau des Abs. 2 zu vereinfachen, könnte man sagen: .hat das Deutsche Volk durch die in den Ländern gewählten Abgeordneten des Parlamentarischen Rates". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hier muß man das Datum einsetzen. Daß der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 zu Bonn zusammengetreten ist, das für die Zukunft festzuhalten, ist wichtig, weil es die Zeit bezeichnet, in der das Grund.

.

.

gesetz verabschiedet wird, und die Bedrängtheit und die Einschränkungen, dewir unterworfen waren. Dr. Schmld: Statt „zusammengetretenen" könnte

nen

man

besser sagen

„zusammen-

gekommenen".

Dr. Heuss: Oder man sagt: „zu Bonn gebildeten". Dr. Suhr: Die Tatsache, daß die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates zu Bonn zusammengetreten sind, würde einer alten Tradition der 48er Revolution entsprechen. Der Zusammentritt des Parlamentarischen Rates wäre dann die Geburtsstunde unserer neuen Zeit. Dr. Schmid: Das war auch der Grund, warum wir diese Form gewählt haben. Dr. Suhr: Ich bemühe mich immer noch darum, den langen Absatz zu zerlegen, indem man etwa sagt: „hat das deutsche Volk. seine Abgeordnete[n] in den Parlamentarischen Rat nach Bonn entsandt. Die Abgeordneten haben, getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen, beraten von dieses Grundgesetz beschlossen." den Vertretern der Deutschen in Berlin Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Parlamentarische Rat hat dieses Grundgesetz nicht .

.

.

.

.

beschlossen; das Grundgesetz wird vielmehr

vom

deutschen Volk beschlossen.

Der Parlamentarische Rat nimmt das Grundgesetz zwar an, aber Wirkungskraft erlangt es erst durch den Beschluß des deutschen Volkes. Dr. Schmid: Ich möchte mir den Vorschlag erlauben, statt von den „Vertretern des Volkes von Berlin" zu sprechen, von den Sprechern der Deutschen in Berlin. Damit würde man ein dramatisches Element hereinbringen, das Pathos, daß

Volkes von Berlin zu uns gekommen sind und uns aufrufen18). der Dr. Weber: In Schweiz heißt der Rechtsanwalt Fürsprech. Dr. Suhr: Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir Berliner die Vertreter der Gebietskörperschaft Groß-Berlins sind. Dr. Schmid: Wir schrecken niemals davor zurück, daß dasselbe Substantiv zweimal oder dreimal vorkommt. Ich schlage vor, einfach zu sagen: „Sprecher des Volkes von Berlin". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dagegen habe ich Bedenken. Wir sprechen oben vom deutschen Volk, und nun kommt das „Volk von Berlin". Ich schlage vor, einfach zu sagen: „der Deutschen in Berlin". Ich würde nicht von Groß-Berlin sprechen. Dr. Schmid: Ich finde es ganz gut, wenn hier einmal etwas staatsrechtlich nicht ganz Korrektes zum Ausdruck kommt, sondern mehr das Elementare in den die

Sprecher des

Vordergrund

tritt.

1B) Folgt gestrichen: „vocatus, advocatus." 248

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an sich gleichgültig. Ich mache nur pflichtgemäß darauf staatsrechtliche Schwierigkeiten geben kann. Besonders die Russen werden sehr darauf aus sein, uns einen Strick aus solchen Wendungen zu drehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Von der Präambel der Weimarer Verfassung sagte man, sie habe keinen unmittelbaren Rechtscharakter, sondern gebe nur den Geist des Verfassungswerkes wieder. Dr. Schmid: Sagen wir, wenn es schon sein muß, „der Deutschen in Groß-Berlin", obwohl ich diese Wendung scheußlich finde. Dr. Heuss: Ich wehre mich dagegen. Dr. Suhr: Die Frage kann schwierig werden. Wenn morgen Berlin gespalten ist, was für ein Berlin ist dann gemeint19)? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn Berlin gespalten wird, so brauchen wir die Formulierung nicht deshalb zu ändern. Wir sprechen einfach von den „Vertretern der Deutschen in Berlin". Der Volkskongreß20) betont, daß er allein die Deutschen in Berlin vertritt „Vertreter der Deutschen in Berlin" sagt ganz klar, was gemeint ist; dagegen kann niemand an. Ich sehe da auch rechtlich keine un-

Dr. Suhr: Das ist mir

aufmerksam, daß

es

günstigen Konsequenzen.

Dr. Suhr: Ich habe bloß darauf aufmerksam gemacht, weil es im Westen vielfach nicht bekannt ist, daß Berlin staatsrechtlich seit drei Jahren nicht existiert. Die Gebietskörperschaft Groß-Berlin ist uns gegen unseren Willen aufoktroyiert worden. Kaiser: Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als „Groß-Berlin" zu sagen, weil diese Bezeichnung eben angeordnet ist. Dr. Schmid: Um zu verhindern, daß jemand an der Fassung heramfinassiert, lassen

wir

„Groß-Berlin".

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wollen wir „von Sprechern" oder „von den Sprechern" reden? Dr. Schmid: Ich würde von den Sprechern reden. Dr. Suhr: Ich habe die Deutschen in Berlin als eine Parallelerscheinung zum Deutschen Volk verstanden. Ich würde statt „beraten" sagen „unter Mitwirkung" oder „Beteiligung" der Abgeordneten von Berlin. Wir Berliner Vertreter sind formalrechtlich genau wie die anderen Abgeordneten von unserem Parlament gewählt; nur haben wir nicht das Stimmrecht. Das würde in der neutralen Formel zum Ausdruck kommen: „unter Beteiligung oder Mitwirkung der Abgeordneten

Groß-Berlins". Kaiser: Ich würde vorschlagen, zu sagen „unter beratender Mitwirkung der Abgeordneten von Groß-Berlin". Dr. Heuss: Ich würde die Fassung lassen, wie sie ist. Das Wort „beraten" sagt aus, die Berliner Vertreter haben hier beratende Stimme. Dr. Suhr: Ich würde vorschlagen „beraten von den Abgeordneten von Groß-Berlin". Dr. Schmid: Nicht das deutsche Volk ist beraten.

19) Zur Entwicklung in Berlin vgl. die 20) Vgl. Dok. Nr. 2, Anm. 12.

in Dok. Nr. 9, Anm. 15

genannte Literatur. 249

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Dr. Suhr: „beraten" bezieht sich auf den Parlamentarischen Rat. Dr. Schmid: Ihr Berliner Vertreter seid Abgeordnete des Parlamentarischen Ra-

tes.

Dr. Suhr: Man ist nicht Abgeordneter des Parlamentarischen Rates, sondern Abgeordneter des Volkes, von dem man gewählt ist. Dr. Bergsträsser: Man ist entweder Abgeordneter zum Parlamentarischen Rat oder aber Mitglied des Parlamentarischen Rates. Dr. Schmid: Auf meinem Ausweis steht: .gehört dem Parlamentarischen Rat als Abgeordneter an."

Dr. Heuss: Vielleicht sagen wir: .vertreten durch die in den Ländern Parlamentarischen Rat gewählten Abgeordneten." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „durch die zum ." ist fürchterlich. Dr. Schmid: Statt „gewählten Abgeordneten" schlage ich vor „gewählten Frauen und Männer". Dr. Bergsträsser: Gehört da nicht noch ein „die" herein? Kaiser: Darüber haben wir neulich gesprochen und haben es wieder verworfen. Dr. Schmid: „die" brauchen wir nicht zu wiederholen. Übrigens sollte man die Lektüre der Verfassung nicht allzu leicht machen; im Nicht-allzuleicht-machen ..

.

zum

...

.

.

liegt

etwas Erziehliches. Dr. Suhr: Ich sehe nicht recht ein, weshalb die Wendung .und getragen waren von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen" so weit getrennt ist von den Eingangsworten: „Erfüllt von dem Willen ..". Dr. Schmid: Um den Absatz zu zerlegen, könnte man sagen: „Das deutsche Volk ist erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen." Dann schließt sich an, daß das deutsche Volk, vertreten durch die gewählten Männer und Frauen des Parlamentarischen Rats, die beraten sind von den Abgeordneten .

.

.

.

Berlins und getragen sind von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen .". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates sind die Vertreter der aufgezählten Länder, aber sie sind getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen. Dr. Schmid: Sie stehen stellvertretend für das Ganze. In dem einen Satz steckt die Legalität, in dem andern die Legitimität. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können die Aussprache über die endgültige Fassung und Zerlegung des langen ersten Satzes des Abs. 2 vorläufig abschließen. Zum letzten Satz liegt der Vorschlag vor, eine Umstellung vorzunehmen und zu sagen: „Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert". Dr. Bergsträsser: Ich würde für besser die Fassung halten: „Dem Deutschen Volk in seiner Gesamtheit bleibt die Aufgabe." Ferner sollte man einsetzen „zu gegebener Zeit" und „endgültig neu zu gründen". Dr. Weber: „zu gegebener Zeit" finde ich nicht passend. Dr. Heuss: Ich bin dagegen. Ich würde „zu gegebener Zeit" und „endgültig" weglassen. Das ist etwas gekünsteltes. Was heißt „endgültig"? „aufgefordert" halte ich für besser als „bleibt die Aufgabe", „aufgefordert" hat einen angreifen..

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den che.

Zug, den Charakter eines dringlichen Appells; es ist eine Art Angriffsspra„Aufgabe" ist schwächer. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde sagen: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert". Es soll mitwirken an der endgültigen Gestaltung. Vielleicht sagen wir statt „aufgefordert" „aufgerufen".

Dr. Schmid: „aufgefordert" ist besser. Es hat eine konkrete Stoßrichtung. Dr. Heuss: „neu zu gründen" soll heißen einen neuen Grund legen. Dr. Schmid: Ich hätte gern den Gedanken hereingebracht, daß das, was hier gegründet wird, ein Staat sein wird. Man könnte also sagen: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, seine nationale Einheit und Freiheit neu in einem Staat zu gründen". Dr. Heuss: Herr Dr. Schmid meint wohl .neu zu gründen, um dann Staat zu sein". Dr. Schmid: Gemeint ist: in einer neu gefügten Republik. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Wir sprechen am Beginn des Abs. 2 von dem Willen, .eine neue staatliche Ordnung Deutschlands vorzubereiten". Dem entspricht, wenn man sagt, „seine nationale Einheit und Freiheit in der Republik Deutsch.

.

.

land zu vollenden". Dr. Schmid: „die Ordnung seiner nationalen Einheit und Freiheit in der Republik Deutschland zu vollenden". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann haben wir glücklich das dritte Mal das Wort

„Ordnung".

Dr. Schmid: Das macht nichts. Ein solches Grundwort kann sechs-mal vorkom—

men.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der letzte Satz würde also lauten: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die Ordnung seiner nationalen Einheit und Freiheit in der Repu-

blik Deutschland zu vollenden." Dr. Weber: Die Einheit und Freiheit kann man nicht vollenden, wohl aber die Ordnung der nationalen Einheit und Freiheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Was unsere weitere Arbeit angeht, so will ich von der Fassung, wie wir sie jetzt festgestellt haben, eine Abschrift fertigen und an die Mitglieder des Ausschusses verteilen lassen21). Wir können dann noch einmal

21) Material für den AfG betr. Fassung der Präambel, Ergebnis der Beratungen der 9. Sitzung vom 12. Okt. 1948. Anlage zum Kurzprot, mit der zugleich die im Wortlaut identische Drucks. Nr. 173 „Entwurf der Präambel, in erster Lesung angenommen am 12. Okt. 1948" für ungültig erklärt wurde, da es sich noch nicht um die Fassung der ersten Lesung handelte (Z 12/45, Bl. 102): „Die nationalsozialistische Zwingherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt; Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt. Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik wurde zerstört. Dem deutschen Volk aber ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben. Die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechtes schweren Einschränkungen unterworfen. Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten, hat das Deutsche Volk durch die in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Würt251

Nr. 11

Neunte

Sitzung

12.

Oktober 1948

kurz auf die Gestaltung des Wortlautes eingehen. des Ausschusses zu diesem Verfahren fest. Ich schließe die Sitzung.

Ich stelle die

Zustimmung



temberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern gewählten Männer und Frauen des am 1. September 1948 zu Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rates, die von den Abgeordneten Groß-Berlins beraten wurden und getragen waren von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen, für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat, zur Schaffung einer den Aufgaben der Ubergangszeit dienenden Ordnung der Hoheitsgewalt dieses Grundgesetz beschlossen. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die Ordnung seiner nationalen Einheit und Freiheit in der Republik Deutschland zu vollenden." 252

Eingabe der KPD-Fraktion

Eingabe

Nr. 12 der KPD-Fraktion zu den Grundrechten 12.

Z 5/136, Bl.

In der

105-1091).

Nr. 12

Oktober 1948

Von Renner unter dem 12. Oktober 1948 gez.

behändigte

Ausf.

Überzeugung,

daß auch die bestformulierten persönlichen Grundrechte nur dann wirksam werden können, wenn sie mit entsprechenden sozialen und wirtschaftlichen Grundrechten verbunden sind beantragt die Fraktion der KPD im Parlamentarischen Rat, in das Grundgesetz je einen Abschnitt über die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte und weiterhin einen Abschnitt über Grundrechte der Erziehung und Bildung aufzunehmen. nur

dann einen Sinn haben und

Soziale Grundrechte Artikel

1

Die menschliche Arbeitskraft genießt den besonderen gesetzlichen Schutz. Das Recht auf Arbeit wird gewährleistet. Durch Wirtschaftslenkung ist jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhalt zu sichern. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.

Artikel 2 Durch Gesetze wird ein einheitliches Arbeitsrecht und Arbeitsschutzorgane unmaßgeblicher Mitwirkung der Gewerkschaften geschaffen. Im Rahmen die-

ter

Oben links auf Bl. 105 handschr. vermerkt: [Eingegangen 13. 10. 48]. Ebenda, Bl. 104 ein Übersendungsschreiben des Sekretariates II des Pari. Rates an den Vorsitzenden v. Mangoldt vom 13. Okt. 1948, auf dem die Randbemerkung von der Hand v. Mangoldts steht „im Ausschuß erledigt 13.12.". Ferner die Verfügung, die Eingabe 30 mal „ohne Nummer" (gemeint war ohne Vergabe einer Drucksachen-Nummer) zu vervielfältigen. Das Sekretariat hatte das Schreiben, das an den Vorsitzenden des Ausschusses für Grundsatzfragen und nicht an den Präsidenten des Pari. Rates gerichtet war, als Eingabe Nr. 98 „bearbeitet". Ein Exemplar aus dieser Vervielfältigung in: BayHStA NL Pfeiffer/180. Kurz besprochen wurde die Eingabe in der 30. Sitzung (Dok. Nr. 39, TOP 8). Mit Schreiben vom 2. Mai 1949 an den Präs. des Pari. Rates (Z 5/136, Bl. 119) kündigte die KPDFraktion an, im Plenum die Anträge zu den Problemen der sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte wieder aufzugreifen „in der Formulierung unseres Schreibens vom 12. Oktober". Daraufhin wurde dieses Schreiben vom Okt. 1948 vom Sekretariat redigiert zu einem „Antrag der KPD-Fraktion für die Plenarsitzung" vom 2. Mai 1949 und als Drucks. Nr. 759 vervielfältigt (ebenda, Bl. 110—116). Aus diesem Grunde geriet die Eingabe Nr. 98 vom 12. Okt. auch in die Serie der Drucksachen in Z 5/136. Abdr. einer weiteren Eingabe der KPD-Fraktion zu den in erster Lesung angenommenen Grundrechten vom 27. Okt. 1948 in: Dok. Nr. 30, Anm. 18. 253

Eingabe

Nr. 12

der KPD-Fraktion

ses Arbeitsrechts können Gesamtvereinbarungen nur zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmern oder ihren Vertretungen abgeschlossen werden. Sie schaffen verbindliches Recht. Das Schlichtungswesen wird gesetzlich gere-

gelt.

Die Arbeitsbedingungen müssen so beschaffen sein, daß die Gesundheit, die kulturellen Ansprüche und das Familienleben der Werktätigen gesichert sind. Die 40-Stunden-Woche ist gesetzliche Regel. Das Arbeitsentgelt muß der Leistung entsprechen und zur Befriedigung des Lebensbedarfs der Arbeitenden und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen ausreichen.

Artikel 3

Männer, Frauen und Jugendliche erhalten für gleiche Arbeit den gleichen Lohn. Die Frau genießt besonderen Schutz im Arbeitsverhältnis. Durch die Gesetze werden Einrichtungen geschaffen, die gewährleisten, daß die Frau ihre Aufgabe als Bürgerin und Schaffende mit ihren Pflichten als Frau und Mutter vereinbaren kann. Die Frau hat während der Mutterschaft Anspruch auf besonderen Schutz und Fürsorge des Staates. Außereheliche Geburt darf weder der Mutter noch dem Kinde zum Nachteil gereichen. Die Jugend wird gegen Ausbeutung geschützt. Die Arbeitsbedingungen dürfen die sittliche, körperliche und geistige Entwicklung der Jugendlichen nicht gefährden. Kinderarbeit ist verboten.

Artikel 4 ein Recht auf bezahlten Urlaub und Erholung, die jährliche Mindestdauer des bezahlten Urlaubs beträgt 12, für Jugendliche unter 18

Jeder Arbeitende hat Jahren

18

Arbeitstage.

Artikel 5 Der Sonntag und die gesetzlichen Feiertage sind Tage der Arbeitsruhe und stehen unter dem Schutz der Gesetze. Die gesetzlichen Feiertage werden bezahlt. Der 1. Mai ist gesetzlicher Feiertag aller arbeitenden Menschen. Er versinnbildlicht das Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit, zu Fortschritt, Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. 254

Eingabe Artikel

der KPD-Fraktion

Nr. 12

6

Durch Gesetz wird ein einheitliches, umfassendes Sozialversicherungswesen auf der Grundlage der Selbstverwaltung der Versicherten geschaffen. Dieses dient der Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der arbeitenden Bevölkerung, dem Schutz der Mutterschaft, der Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Arbeitslosigkeit und sonstigen Wechselfällen des Lebens und der Versorgung der infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen arbeitsunfähigen Personen. Die der Sozialversicherung zur Verfügung stehenden Mittel dürfen nur für die ihren Aufgaben dienenden Zwecke verwendet werden. Artikel

7

zur Förderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zu für ist bilden, jedermann gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind verboten. Die Gewerkschaften sind die anerkannten Vertreter der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Ihre Aufgaben und ihre Verwaltung bestimmen die Mitglieder. Sie sind zur gleichberechtigten Mitbestimmung und Durchführung aller Maßnahmen von sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung berufen. Unternehmerverbände sind verboten.

Das

Recht, Vereinigungen

Artikel Das Streikrecht ist anerkannt,

8

Aussperrungen sind rechtswidrig. Artikel

9

Arbeiter, Angestellte und Beamte in allen Betrieben und Behörden erhalten

un-

Mitwirkung der Gewerkschaften gemeinsame Betriebsvertretungen, die in allgemeiner, gleicher, freier, geheimer und unmittelbarer Wahl von den Arbeit-

ter

nehmern

zu

wählen sind.

Betriebsvertretungen sind dazu berufen, im Benehmen mit den Gewerkschaften gleichberechtigt mit den Unternehmern in allen sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen des Betriebes mitzubestimmen. Die

Wirtschaftliche Grundrechte Artikel

10

Die Wirtschaft hat dem Wohl und dem Bedarf des ganzen Volkes zu dienen und jedermann einen gerechten Anteil an dem Ergebnis der Produktion zu sichern. Im Rahmen dieser Aufgaben und Ziele ist die wirtschaftliche Freiheit gewährleistet. 255

Nr. 12

Eingabe

der KPD-Fraktion

Durch Gesetz sind bei gleichberechtiger Mitbestimmung der Gewerkschaften alle erforderlichen Maßnahmen zu schaffen, um die Rohstoff gewinnung, die Erzeugung von Lebensmitteln und Fertigwaren planvoll zu lenken und die Erzeugnisse gerecht zu verteilen. Artikel 11 Das

Eigentum der Kriegsverbrecher und der großen Nutznießer des nationalsoRegimes sind ohne Entschädigung in Volkseigentum zu überführen.

zialistischen

Artikel 12

Alle privaten Monopolorganisationen, wie Kartelle, Syndikate, Konzerne, Trusts und ähnliche auf Gewinnsteigerung durch Produktions-, Preis- und Absatzregelung gerichteten privaten Organisationen sind aufgehoben und verboten. Artikel 13

Alle Bodenschätze, alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte, sowie die zu ihrer Nutzbarmachung bestimmten Betriebe des Bergbaus, der Eisen- und Stahlerzeugung, der Energiewirtschaft und der chemischen Großindustrie sind in Volkseigentum zu überführen. Bis zur Bildung der gesamtdeutschen Republik untersteht ihre Nutzung der Aufsicht und Treuhandschaft des Landes. Das gleiche gilt für Bankinstitute und Versicherungsunternehmen. Die Beteiligung von privatem Kapital an Unternehmen, die in Volkseigentum überführt

sind, ist ausgeschlossen.

Artikel 14

Veräußerung von Volkseigentum kann nur mit der Zustimmung von gesetzlichen Mitgliederzahl der zuständigen Volksvertretung erfolgen. Die

2/3 der

Artikel 15 100 ha umfaßt, sowie das dazugehölebende und Inventar wird tote entschädigungslos enteignet und an Landrige arbeiter, landarme Bauern und Flüchtlinge übereignet. Fideikommisse sind auf-

Der

private Großgrundbesitz, der mehr als

gehoben. Artikel 16

Grundbesitz, dessen Erwerb zur Erreichung gemeinnütziger Ziele, wie Wohnungs- und Straßenbau, Siedlung und Urbarmachung und dergleichen im öf-

liegt, kann nach näheren gesetzlichen Bestimmungen Entschädigung eingezogen werden. fentlichen Interesse

256

gegen

Eingabe

der KPD-Fraktion

Nr. 12

Die Bearbeitung und Nutzung des Bodens ist Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Grundbesitz, den sein Eigentümer einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung entzieht, kann nach näherer gesetzlicher Bestimmung eingezogen werden.

Artikel 17 Private wirtschaftliche Unternehmen, die auf Grund ihrer allgemeinen volkswirtschaftlichen Bedeutung dafür geeignet sind, können durch Gesetz nach den für die Enteignung geltenden Bestimmungen in Volkseigentum überführt werden. Durch Gesetz können wirtschaftliche Unternehmen und Verbände auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammengeschlossen werden, um Erzeugung, Herstellung, Verteilung, Verwendung, Preisgestaltung sowie Ein- und Ausfuhr der Wirtschaftsgüter nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen zu gestalten, die Mitwirkung aller schaffenden Volksteile zu sichern und Arbeiter und Unternehmen an der Verwaltung zu beteiligen. Die Konsum-, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft, sowie die landwirtschaftlichen Genossenschaften und deren Vereinigungen sind unter Berücksichtigung ihrer Verfassung und Eigenart in die Gemeinwirtschaft einzugliedern. Artikel 18

Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen und den sozialen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft. Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts gewährleistet. Der Anteil der öffentlichen Hand bestimmt sich nach den Gesetzen. Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und Künstler genießen den Schutz und die Fürsorge der Gesetze. Das

Artikel 19

Beschränkungen des Eigentums und Enteignung können nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgen gegen angemessene Entschädigung, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfall der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offenzuhalten, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt.

Artikel

Eigentum verpflichtet.

20

Sein Gebrauch darf dem Gemeinwohl nicht zuwiderlau-

fen.

Der Mißbrauch des

Machtstellung

zum

Eigentums zur Begründung wirtschaftlicher und politischer Schaden des Gemeinwohls hat die entschädigungslose Ent-

eignung und Überführung

in

Volkseigentum

zur

Folge.

257

Nr. 12

Eingabe

der KPD-Fraktion Artikel 21

Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Gewerbe, Handwerk durch Gesetz und Verwaltung zu fördern und besonders vor sind und Handel und Aufsaugung zu schützen. Überlastung Zu diesem Zweck ist die genossenschaftliche Selbsthilfe mit staatlicher Unterstützung auszubauen.

Selbständige

Artikel 22 der Lebensgrundlage und zur Steigerung des Wohlstandes seiner Bürger ist durch die gesetzgebenden Organe unter unmittelbarer Mitwirkung der Bürger ein öffentlicher Wirtschaftsplan aufzustellen. Die Kontrolle seiner Durchführung ist Aufgabe der Volksvertretungen im Einvernehmen mit den Gewerkschaften. Zur

Sicherung

Artikel 23 Das

Vermögen und das Einkommen werden progressiv nach sozialen Gesichts-

punkten

unter

besonderer

der familiären Verhältnisse besteu-

Berücksichtigung

ert.

Erziehung

und

Bildung

Artikel 24

Jeder Bürger hat das gleiche Recht auf Bildung. Die Bildung der Jugend sowie die geistige und fachliche Weiterbildung der Bürger auf allen Gebieten des staatlichen und durch öffentliche Einrichtungen gesichert.

gesellschaftlichen

Lebens werden

Artikel 25

allgemeine Schulpflicht. Nach der Beendigung der für alle Kinder obligatorischen Grundschule erfolgt die Weiterbildung in der Berufs- oder Fachschule, in der Oberschule und anderen öffentlichen Bildungseinrichtungen. Der Besuch der Berufsschule ist Pflicht aller Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, wenn sie keine andere öffentliche Schule besuchen. Die Berufs- und Fachschulen dienen der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung. Die Oberschule vermittelt eine umfassende und berufsvorbereitende Allgemeinbildung, die den Zugang zur Hochschule eröffnet. Es besteht

Allen Bürgern ist durch besondere Vorstudienanstalten der Besuch der Hochschulen zu ermöglichen. Privatschulen können nicht als Ersatz für öffentliche Schulen anerkannt werden. 258

Eingabe

der KPD-Fraktion

Nr. 12

Artikel 26

Jedem Kind muß die Möglichkeit zur allseitigen Entfaltung seiner körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte gegeben werden. Der Bildungsgang der Jugend darf nicht abhängig sein von der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Elternhauses. Der Besuch der Oberschule und der Hochschule ist Begabten aus allen Schichten des Volkes zu ermöglichen. Es besteht Schulgeldfreiheit. Die Lehr- und Lernmittel an den Pflichtschulen sind unentgeltlich. Der Besuch der Oberschule und Hochschule wird im Bedarfsfalle durch Unterhaltungsbeihilfen und andere Maßnahmen gefördert. Artikel

27

Ziel der Erziehung ist, den jungen Menschen zur charaktervollen Persönlichkeit bilden und seine berufliche Tüchtigkeit und die politische Verantwortung vorzubereiten. Als Mittlerin der Kultur hat die Schule die Aufgabe, die Jugend frei von nationalsozialistischen und militaristischen Auffassungen im Geist des friedlichen und freundschaftlichen Zusammenlebens der Völker und einer wahren Demokratie und Humanität heranzubilden. Lehrpersonen, die diesen pädagogischen Zielen nicht gerecht werden, sind aus der Schule zu entfernen. zu

Artikel

28

Die Kinder aller Religionsbekenntnisse und Weltanschauungen werden gemeinsam erzogen. Der Religionsunterricht ist Angelegenheit der Religionsgemeinschaften. Die Ausübung dieses Rechts wird gewährleistet. Über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht bestimmt der Erziehungsberechtigte. Kein Lehrer kann verpflichtet oder gehindert werden, Reli-

gionsunterricht

zu

erteilen.

259

Nr. 13

Zehnte

Sitzung

Zehnte

Z 5/31, Bl.

Kurzprot:

13.

Sitzung

Oktober 1948

Nr. 13 des Ausschusses für 13. Oktober 1948

193-242.1) Stenogr. Wortprot, undat. und

Grundsatzfragen

ungez.

Z 12/45, Bl. 94-95. Drucks. Nr. 182

Anwesend2):

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Pfeiffer, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Maier, Schmid, Zinn FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Kaufmann (CDU), Lensing (CDU), Renner (KPD), Suhr (SPD) Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 9.00-12.25 Uhr3)

[1. ABSCHLIESSENDE BERATUNG ÜBER DIE PRÄAMBEL, EINSCHLIESSLICH BEZEICHNUNG DES KÜNFTIGEN STAATES (1. LESUNG)] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich eröffne die Sitzung. Wir fahren in der Beratung der Präambel fort. Wir hatten Herrn Dr. Suhr gebeten, die Anregungen, die er uns gestern gab, in einem formulierten Vorschlag niederzulegen, damit wir uns darüber unterhalten könnten. Der Vorschlag des Herrn Dr. Suhr liegt uns nunmehr vor4). Ich darf Herrn Dr. Suhr bitten, ihn zu erläutern. Bl. 243—247 (S. 4, 8, 9, 47 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Die präzise Dauer einer Pause, die 15 Minuten dauern sollte, ließ sich nicht ermitteln. 4) Der Entwurf von Dr. Suhr ließ sich nicht ermitteln. Er lautete, nach Wort- und Kurzprot. rekonstruiert: „Die nationalsozialistische Zwingherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt; Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt. Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik wurde zerstört. Dem deutschen Volk aber ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben. Die Besetzung durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechtes in weiten Gebieten Deutschlands unterbunden, in den Ländern Baden, Bayern, Bremen,

Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, SchleswigHolstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern sowie in Groß-Berlin nur mit starken Einschränkungen ermöglicht.

Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten, hat das deutsche Volk in dem Gebiet, in dem eine freie Entscheidung möglich ist, seine Abgeordneten zu dem am 1. September 1948 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt seine Abgeordneten in den Parlamentarischen Rat entsandt, der unter (2. Fassung: Zuziehung der Abgeordneten von Groß-Berlin am 1. September 1948 in Bonn zusammentrat). Getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen hat das deutsche Volk für das durch die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates vertretene Gebiet dieses Grundgesetz beschlossen, um für die Übergangszeit die Hoheitsgewalt neu zu ordnen." .

260

.

.

Zehnte

Sitzung

13.

Oktober

Nr. 13

1948

Dr. Suhr: Meine Herren! Ich habe mich bemüht, in engster Anlehnung an den Text, den uns der Unterausschuß gestern vorgelegt hat und den wir eingehend erörtert haben, zunächst den großen Satz in der Mitte der Präambel in seine

Bestandteile aufzulösen. Es dürfte Übereinstimmung darüber bestehen, daß dieText, wenn er nicht mit ausgezeichneter Artikulation und Betonung gelesen wird, schwer verständlich ist. Nun enthält der lange Satz in der Mitte vieles, und es ist schwer, den Satz neu zu gliedern, ihn klarer, übersichtlicher, präziser zu fassen. Ich darf die Mitglieder des Ausschusses bitten, meinen Vorschlag nur als einen Versuch zu betrachten. Mir kam es vor allem darauf an, den langen Satz in mehrere Bestandteile zu zerlegen. Dabei bot die Aufzählung der Ländernamen besondere Schwierigkeiten. Daher habe ich mir erlaubt, die Länder im Abs. 1 der Präambel unterzubringen. Damit erhält dieser Absatz allerdings eine kleine inhaltliche Wandlung, die aber dem Ganzen nur zum Vorteil gereicht. Der letzte Satz des Abs. 1 spricht davon, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung des Rechtes auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens schweren Einschränkungen unterworfen hat. Nun meine ich, man kann nicht davon sprechen, daß etwa in Ostpreußen oder jenseits der OderNeißelinie dieses Recht eingeschränkt ist. Die Ausübung dieses Rechts ist dort nicht bloß Einschränkungen unterworfen, sondern praktisch unmöglich. Aus diesem Faktum habe ich die Konsequenz zu ziehen versucht, indem ich im ersten Absatz meines Vorschlags sage: Die Besetzung durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechts in weiten Gebieten Deutschlands unterbunden, in den Ländern Baden, Bayern sowie in Groß-Berlin nur mit starken Einschränkungen ermöglicht. Den weiteren Text habe ich in zwei Teile zerlegt. Die Fassung sieht so aus: Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten, hat das deutsche Volk in dem Gebiet, in dem eine freie Entscheidung möglich ist, seine Abgeordneten zu dem am 1. September 1948 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt. Einigen Herren erscheint in dieser Fassung Berlin als allzu gleichgeordnet. Diesem Einwand kann man Rechnung tragen, indem man sagt: seine Abgeordneten in den Parlamentarischen Rat entsandt, der unter Zuziehung der Abgeordneten von Groß-Berlin am 1. September 1948 in Bonn zusammentrat". Das Weitere habe ich gekürzt, und ich glaube, die Kürzung ist zweckmäßig: Getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen hat das deutsche Volk für das durch die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates vertretene Gebiet dieses Grundgesetz beschlossen, um für die Übergangszeit die Hoheitsgewalt neu zu ordnen. Dr. Heuss: Wir haben die Wendung „Getragen von dem Vertrauen usw." auf den Parlamentarischen Rat bezogen, nicht auf das deutsche Volk. Das ist hier nicht ganz logisch. Dr. Schmid: Wir vertreten ganz Deutschland. ser

.

..

„.

.

.

.

.

.

261

Zehnte

Nr. 13

Sitzung

13.

Oktober 1948

Dr. Suhr: Ich erkenne den Einwand des Herrn Dr. Heuss ohne weiteres an. Ich habe tatsächlich übersehen, daß die Hoffnung aller Deutschen sich nur auf die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates bezieht. Auch das ist wieder ein Beweis dafür, wie schwer es ist, den Satz so zu formen, daß er in sich klar ist. Ich behaupte keineswegs, daß meine Fassung der Weisheit letzter Schluß ist. Ich gebe ohne weiteres zu, daß ich das übersehen habe, was Flerr Dr. Heuss vorhin mit Recht beanstandet hat. Ich bitte um Entschuldigung; aber mein Versehen beweist, daß dieser Riesensatz immer wieder Mißdeutungen ausgesetzt ist und daß wir gut daran tun, ihn zu zerlegen. Dr. Heuss: An der Stelle ist ein Bruch. Dr. Schmid: Auch ich habe einige Einwendungen gegen den Vorschlag des Herrn Dr. Suhr zu erheben. Zunächst möchte ich mich wenden gegen die Stelhat das deutsche Volk in dem Gebiet, in dem eine freie Entscheidung le: möglich ist". Es ist doch keine freie Entscheidung möglich! Wir können doch nicht frei so entscheiden, wie wir wollen. Wir können zwar „entscheiden", aber nachher werden uns die Besatzungsmächte sagen, daß ihnen an unserer Entscheidung das und das nicht gefällt, oder sie werden es vielleicht auch nicht sagen. Auf alle Fälle steht unsere Entscheidung unter dem Gericht der Besatzungsmächte, wenn man so sagen will, und ist darum in ihrer Freiheit limitiert. Wir würden vielleicht eine ganz andere Entscheidung treffen, wenn wir nicht wüßten, daß wir unsere Entscheidung den Auffassungen der Besatzungsmächte anpassen müssen, um eine Chance der Billigung zu erhalten. Diese Stelle müßte anders formuliert werden. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir haben es für notwendig gehalten, das Gebiet, um das es sich bei unserem Grundgesetz handelt, in irgendeiner Weise in der Präambel festzulegen, und damit klarzustellen, für welches Gebiet das Grundgesetz gilt. Wir müssen dieses Gebiet klar bezeichnen, für das das Grundgesetz gilt. Wir haben ursprünglich von dem Gebiet der Länder Baden, Bayern usw. gesprochen. Das hätten wir zweimal einsetzen müssen, und deshalb haben wir präzisiert: für das Gebiet, das die Abgeordneten entsandt hat. Damit liegt die gebietsmäßige Umgrenzung mit der nötigen Bestimmtheit fest. Dr. Suhr: Ich glaube, die gebietsmäßige Umgrenzung ist durch die Aufzählung der Länder klar. Wenn Sie aber Bedenken haben, dann kann man den letzten Satz des ersten Absatzes der Präambel so bestehen lassen, wie er im Entwurf der Unterkommission festgelegt worden ist, und einfach fortfahren: „Erfüllt von dem Willen seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiseine Abgeordneten, hat das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, ten zu dem am 1. September 1948 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt." Um diesen letzten Satz noch klarer zu machen, könnte man einen Relativsatz einschalten, hat das deutsche Volk in den Ländern Baseine Abgeordneten zu dem Parlamentarischen Rat entsandt, den, Bayern, der am 1. September 1948 in Bonn zusammengetreten ist. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Nach dieser Fassung hat das deutsche Volk zwar die Abgeordneten entsandt, aber es wird nicht gesagt, für welches Gebiet die Verfassung gelten soll. Das muß ausdrücklich gesagt werden. „.

.

.

...

.

262

.

.

Zehnte Sitzung

13.

Oktober 1948

Nr. 13

Dr. Suhr: Das steht in meinem Vorschlag im zweiten Satz. Es ist genau dieselbe Festlegung wie im Vorschlag des Unterausschusses. Aber ich bitte Sie, lassen Sie es ruhig bei Ihrer Fassung, wie Sie sie haben, wenn Sie glauben, daß diese besser ist. Ich halte nur die Konstruktion für etwas zu unbestimmt. Dr. Schmid: Der Ausschuß hat sich in seiner letzten Besprechung, wenn ich nicht irre, einheitlich auf den Standpunkt gestellt: Wir Abgeordnete handeln nicht nur als Vertreter des Gebiets, das uns gewählt hat, darüber hinaus fühlen wir uns legitimiert durch das Vertrauen aller Deutschen, auch derer, die sich nicht äußern, die nicht wählen konnten. Daher haben wir ein gesamtdeutsches, nicht nur ein teildeutsches Mandat. Die Fassung, die Herr Dr. Suhr vorschlägt, bleibt hinter diesem unseren einmütigen Standpunkt zurück. Dr. Suhr: Das ist nicht gewollt. Dr. Schmid: Aber so steht es da. Dr. Suhr: Das steht auch in der Fassung des Unterausschusses so da: „für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat." Dr. Schmid: Das meine ich nicht. Ich meine die Wendung: „hat das deutsche Volk für das durch die Abgeordneten des Parlamentarischen Rats vertretene Gebiet". Dr. Suhr: Man kann ohne weiteres sagen: „für das Gebiet, das seine Abgeordneten zum Parlamentarischen Rat entsandt hat, der am 1. September 1948 in Bonn zusammengetreten ist." Kaufmann: Warum kann man nicht einfach anstelle dieser Verklausulierung sagen: „im Gebiet der genannten Länder. .."? Das genügt doch vollständig. Dr. Suhr: Herr Vorsitzender, führen Sie doch eine Entscheidung darüber herbei, ob der Ausschuß eine Auflösung des langen Satzes für wünschenswert hält

oder nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herr Dr. Suhr, soweit sind wir noch nicht. Bis jetzt hat sich nur eine Art Zwiegespräch abgespielt. Wir stehen mitten in der Diskussion. Wir müssen uns erst noch weiter unterhalten; erst dann können wir zu einem Beschluß kommen. Dr. Pfeiffer: Ich komme in diese Aussprache hereingeschneit. Ich habe erst heute die Möglichkeit, mich zu der Präambel zu äußern. Wir haben uns gestern in der Fraktion über die Präambel unterhalten, und ich darf generell erklären, daß der Entwurf der Unterkommission bei uns sehr geringe Zustimmung gefunden hat5). Man findet ihn unübersichtlich und stilistisch mangelhaft. Er ist nicht aus einem Guß und entbehrt der notwendigen Feierlichkeit. Und Feierlichkeit muß man von einer Präambel verlangen. Dazu kommt, daß der Entwurf mit einer zu großen Fülle von Einzelheiten vollgepackt ist. Überdies werden in unserer Fraktion einige dieser Einzelheiten, wie sie in der Präambel zusammengefaßt sind, als gefährlich angesehen, soweit der 1948 gab diese Kritik nicht wieder. Vgl. SalzDie CDU/CSU im Pari. Rat, S. 75. Dabei wurde auch über den Namen des Bundes abgestimmt mit folgendem Ergebnis: Für „Deutsches Reich" vier Stimmen, für „Bundesstaat Deutschland" 12 Stimmen bei 7 Gegenstimmen; Eventualvorschlag statt „Bundes 18 Stimmen. Staat Deutschland": „Bundesrepublik Deutschland"

5) Das Prot, der Fraktionssitzung vom 12. Okt. mann:



263

Nr. 13

Zehnte

Sitzung

13.

Oktober 1948

Inhalt in Frage kommt. Einige werden als belastend und überflüssig empfunden. Man kam in der Diskussion zu dem Ergebnis, man sollte sich bei der Präambel auf wenige Punkte beschränken und diese möglichst klar gliedern. Ich fürchte, meine Fraktion wird noch starke Bedenken anmelden, wenn der Wortlaut der Präambel nicht grundlegend geändert wird. Einige Mitglieder der Fraktion haben die Präambel stark kritisiert. So hat man vor allem die Bezugnahme auf die nationalsozialistische Zwingherrschaft und den Hinweis beanstandet, daß Krieg und Gewalt die Menschheit in Not und Elend gestürzt haben. Beide Feststellungen hielt man für entbehrlich. Man war der Ansicht, man sollte mit dem dritten Satz beginnen. Was ich von Herrn Kollegen Dr. Suhr gehört habe, bestärkt mich in der Auffassung, wir sollten zunächst die Punkte festlegen, deren Erwähnung in der Präambel wir für notwendig halten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dazu darf ich bemerken: Wir hatten in unserer Sitzung am vergangenen Donnerstag die Punkte zusammengestellt, die wir in die Präambel aufnehmen wollten8). Wir hatten uns über diese Frage eingehend unterhalten. Wir entschlossen uns, in neun Punkten die Fragen zu präzisieren, die in die Präambel aufzunehmen sind. Falls Einverständnis darüber besteht, würde ich vorschlagen, daß ich vor Eintritt in die Diskussion zum ersten Absatz der Präambel noch einmal einen Überblick über die gefaßten Beschlüsse gebe. Wir hatten am letzten Donnerstag beschlossen, in die Präambel unbedingt das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes aufzunehmen. Dieses Selbstbestimmungsrecht hat seinen Ausdruck in folgender Formulierung gefunden: Dem deutschen Volk aber ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben. An diese Feststellung fügt sich der Hinweis auf die Beschränkungen dieses Rechts an: Die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechtes schweren Einschränkungen unterworfen. Ferner war es uns ein besonderes Anliegen, daß das Bekenntnis zur Einheit Deutschlands seinen Niederschlag in der Präambel finden müsse. Einheit und Unteilbarkeit Deutschlands mußten als Forderungen festgelegt werden. Dies ist in doppelter Weise geschehen, einmal durch die Bekundung des Willens, die Einheit der Nation zu erhalten. Andererseits betont die Präambel, daß nur das staatliche Gefüge, nicht also das Staatswesen als solches, zerstört ist. Damit war gleichzeitig der Wunsch verbunden, zum Ausdruck zu bringen, daß diese neue Ordnung der staatlichen Gewalt zunächst auf einen Teil beschränkt werden muß und daß diese Beschränkung auf einen Teil im Namen des Ganzen zum Ausdruck zu bringen sei. Zugleich sollte auf die Gliederung des Bundes hingewiesen werden. Der Ausschuß beschloß aber, die Einzelheiten über die Gliederung des Bundes in einem zweiten Teil hinter den Grundrechten zu behandeln. Ich glaube aber, was wir ursprünglich beschlossen hatten, kommt im Namen des neuen Gebildes 6) Vgl. Dok. Nr. 11, TOP 264

4.

Zehnte

Sitzung

13.

Oktober 1948

Nr. 13

nicht ganz zum Ausdruck. Der Name des Gebildes, das jetzt entstehen soll, muß ein anderer sein als der des Gebildes, das die volle Wirklichkeit Deutschlands umfaßt. Daß diese volle Wirklichkeit Deutschlands einschließlich der deutschen Länder des Ostens heute noch nicht erreicht ist, das müssen wir ganz klar sagen, das ist in dem vorgeschlagenen Namen noch nicht zum Ausdruck gekommen.

Wir haben damals über den Namen eingehend gesprochen7). Weiter wurde der Wunsch geäußert, in der Präambel sollte die Fortexistenz des bisherigen deutschen Staatswesens zum Ausdruck kommen, und zwar durch die Feststellung, daß nur das staatliche Gefüge zerstört wurde, aber das Staatswesen als solches fortbesteht. Gestern wurde noch der Wunsch vorgebracht, diesen Gesichtspunkt noch deutlicher hervortreten zu lassen. Nachdem wir keine Formulierung gefunden haben, die geeignet war, den Wünschen Rechnung zu tragen, haben wir uns entschlossen, es bei der negativen Formulierung des Satzes 2 des Abs. 1 zu belassen.

Ferner beschlossen wir, klar zu sagen, daß der neue Bund offen sein solle für den Beitritt weiterer Mitglieder. Dies kommt in der Formulierung zum Ausdruck, daß es gelte, eine neue staatliche Ordnung Deutschlands vorzubereiten. Darin liegt das Offensein. Zum Schluß heißt es ferner, das deutsche Volk bleibe in seiner Gesamtheit aufgefordert, dieses Verfassungswerk zu vollenden. Der Ausschuß war sich des weiteren darüber einig, daß unser Grundgesetz nur eine Zwischenlösung darstellen könne. Dies kommt zum Ausdruck in den Worten „zur Schaffung einer den Aufgaben der Übergangszeit dienenden Ordnung". Wir wollten den Ausdruck „Provisorium" nicht gebrauchen. Denn im Hintergrund steht immer der Gedanke, das, was wir schaffen, soll von Dauer sein, damit das übrige Deutschland hineinwachsen kann. Andererseits gestalten wir aber doch etwas für eine Übergangszeit. Wir sprechen ferner bewußt nicht von staatlicher Ordnung, weil das Staatswesen in seinem Ausbau eben noch nicht vollendet ist, weil wir gewisse Hoheitsbefugnisse noch nicht oder noch nicht in vollem Umfange ausüben können. Daher herrschte ursprünglich die Auffassung vor, man sollte nicht von einer Ordnung der Hoheitsbefugnisse sprechen, wie es der Entwurf von Herrenchiemsee tut, sondern von einer Ordnung der Ho-

heitsgewalt. Schließlich war es ein Anliegen des Ausschusses, die Beschränkungen durch das Regime der Besatzungsmächte zum Ausdruck zu bringen. Dieser Wunsch ist meinem Dafürhalten nach noch nicht voll erfüllt worden. Bei dem ganzen Verfassungswerk müssen wir immer daran denken, daß fremde Herrschaft die Durchführung der Verfassungsbestimmungen beeinträchtigen kann. Dieser Gedanke wurde für wesentlich gehalten. Man kann uns in der Tat den Vorwurf machen, daß wir Freiheitsrechte festlegen und gewährleisten wollen, wo wir doch praktisch vollkommen von dem Besatzungsregime abhängig sind. Dies klingt auch in einem Brief durch, der erst jüngst an uns gelangt ist8). Auch die7) Vgl. Dok. Nr. 11, TOP 4. 8) Die Eingabe ließ sich nicht ermitteln. 265

Nr. 13 ser

wir

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Gedanke hat noch nicht den entsprechenden Niederschlag gefunden, wie es bei unseren Vorbesprechungen am vergangenen Donnerstag wünsch-

ten.

Ich darf bitten, sich zu diesen Gesichtspunkten zu äußern. Dr. Pfeiffer: Mit diesen neun Punkten wird die Fraktion der CSU sich dem Inhalt nach einverstanden erklären. Dagegen bedarf die Fassung der Präambel als solcher noch einer gründlichen Revision; sie entspricht in keiner Weise unseren Wünschen. Die ersten beiden Sätze empfinden wir als überflüssig. Vielleicht kann der dritte Satz, daß das staatliche Gefüge der deutschen Republik zerstört wurde, die Präambel einleiten. Sicher lassen sich auch einige Gedanken enger verschmelzen. Die Wortfassung dagegen befriedigt uns gar nicht. Dem Inhalt nach sind wir aber mit der Aufführung der neun Punkte im wesentlichen einverstanden, so daß das Hauptproblem für den Ausschuß sein wird, eine klare, übersichtliche Neufassung der Präambel zu versuchen. Dr. Weber: Es ist bedauerlich, daß der Vorschlag des Unterausschusses schon als Beschluß des Ausschusses veröffentlicht worden ist9). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das habe ich heute früh schon gerügt. Man hat gemeint, die Präambel sei in der Fassung bereits angenommen. Sie ist noch nicht angenommen. Ich habe gestern der Presse mit voller Klarheit erklärt, daß es noch nicht so weit ist, daß die endgültige Fassung noch nicht festliegt. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme ist diese Fassung zu meinem großen Bedauern herausgekommen. Dies geschah ganz gegen meine Absicht. Ich habe gestern ausdrücklich angeordnet, es sollten nur Handexemplare für die Mitglieder des Ausschusses gefertigt werden. Dr. Schmid: Ich darf Herrn Dr. Pfeiffer bitten, uns eine Formulierung vorzuschlagen, die er für geeigneter hält. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wird in der Schnelligkeit nicht zu machen sein. Vielleicht erörtern wir zunächst die Teile, die weniger umstritten und daher leicht in Ordnung zu bringen sind. Zunächst sollten wir uns über den ersten Absatz unterhalten. Wir kommen auf diese Weise schneller vorwärts. Die Zeit drängt. Es wäre ganz gut, wenn wir uns dann auch mit dem Vorschlag Dr. Suhrs beschäftigten, der sich auf den mittleren Teil bezieht. Dr. Schmid: Wir waren uns gestern völlig einig über den Inhalt der Präambel.

(Zustimmung.)

waren lediglich der Meinung, daß Herr Dr. Suhr seine stilistischen Wünsche zum zweiten Teil in einer Formulierung zusammenfassen möge, damit wir in die Lage kämen, sie mit dem Entwurf der Unterkommission zu vergleichen. Um Änderungen sachlicher Natur hat es sich dabei nicht mehr gehandelt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist richtig. Die Entwicklung war meiner Kenntnis nach die, daß wir uns über den Fortgang der Arbeit einig waren. Andererseits hatten Besprechungen in den Fraktionen ergeben, daß noch Wünsche, namentlich über die Formulierung bestanden.

Wir

21. In der Süddeutschen Zeitung vom 14. Okt. 1948, Titelblatt, erschien beispielsweise ein Artikel „Umstrittene Präambel", vgl. ferner „Die Welt" vom 14. Okt. 1948.

9) Vgl. Dok. Nr. 11, Anm.

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Ergebnisse der Fraktionsbesprechungen sollten in der zweiten noch berücksichtigt werden. Lesung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wird an vielen Stellen nicht schwierig sein, die Wünsche, die in den Fraktionen geäußert wurden, zu berücksichtigen. Wir werden dabei nicht mit großen Schwierigkeiten zu rechnen haben. Aber in einigen Fragen, wo es sich nicht bloß um oberflächliche Korrekturen handelt, werden wir noch einmal in die Aussprache eintreten müssen. Es handelt sich hier zunächst um den zweiten Absatz, der die geringeren Schwierigkeiten machen wird. Dr. Pfeiffer: Es kommt zunächst darauf an, wohin man den Schwerpunkt der Entwicklung verlegt. Ich denke, wir könnten so verfahren, wie Herr Dr. von Mangoldt es soeben angeregt hat. Wir haben in unserer Fraktion das Bedürfnis, uns über die Präambel noch näher zu besprechen; meine Fraktion hat den Entwurf erst gestern abend in Angriff nehmen können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es hat wohl wenig Zweck, wenn wir uns in den Fraktionen über die bisherige Fassung unterhalten. Es besteht Einigkeit darüber, daß das, was wir in die Präambel aufgenommen haben, dem Inhalt nach drinstehen muß. Es ist Streit nur darüber, wie es gefaßt werden soll. Ich habe verschiedentlich gehört, daß unserer Fraktion die Einleitung zu lang ist. Aber wir haben uns im Ausschuß davon überzeugt, daß wir das alles in die Präambel aufnehmen müssen. Diese Erkenntnis muß sich auch in der Fraktion durchsetzen, und sie wird sich leichter durchsetzen, wenn wir zu einer Formulierung kommen, die den notwendigen Inhalt klarer und vielleicht noch kürzer faßt. Zinn: Es ist wünschenswert, den langen Satz des zweiten Absatzes aufzulösen und zu zerlegen, den so niemand versteht. Aber die Formulierung von Herrn Dr. Suhr halte ich auch nicht für sehr schön. Daher habe ich mir überlegt, ob man nicht einfach den langen Satz in einzelne kürzere Sätze auflöst und sagt: „Das deutsche Volk ist von dem Willen erfüllt, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten." Dr. Schmid: Ich habe einen ähnlichen Vorschlag: „Das deutsche Volk ist erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten. Es hat aus den Ländern Baden, Bayern Abgeordnete zu dem am 1.9. 48 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt. Diese haben getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen für das Gebiet, das sie entsandt hat, dieses Grundgesetz beschlossen, durch das eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt geschaffen wird." Zinn: Ich würde nur noch von der Aufzählung der Länder absehen, weil sie das Ganze zu sehr belastet. Dr. Schmid: Ich glaube das nicht. Dr. Weber: Man muß die Länder schon darin lassen. Dr. Schmid: Auf diese Weise ist der lange Satz auseinandergenommen und in eine Reihe von kleineren Sätzen zerlegt. Ich würde es bedauern, wenn der letzte Satz wegfiele. Dr. Schmid: Die

.

..

267

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Dr. Weber: Der letzte Satz muß bleiben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir die Sätze trennen und hintereinander setzen, so wird es gewiß klar. Aber dann fehlt dem Ganzen der Klang, es fehlt das eigentliche Pathos, das gerade eine Präambel haben muß. Die ganze Fassung wird dann zu nüchtern. Der Wortlaut „Erfüllt von dem Willen, ." ist recht gut, und ich möchte ihn nicht missen. Wenn man statt dessen einfach sagt: „Das deutsche Volk ist erfüllt von dem Willen," dann plätschert das einfach so herunter und ist ohne jedes Gewicht. Dr. Schmid: Man könnte sagen: „Erfüllt von dem Willen, hat das deutsche Volk aus den Ländern Abgeordnete zum Parlamentarischen Rat nach Bonn entsandt. Diese haben ..". Dr. Bergsträsser: „Erfüllt von dem Willen ..." müßte sich doch auf das deutsche Volk beziehen. Wenn nur wir hier von dem Willen erfüllt sind, so genügt das nicht. Das deutsche Volk muß erfüllt sein von dem Willen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte fortfahren .hat das deutsche Volk Vertreter nach Bonn entsandt". Zinn: Das ist zu wenig. Dr. Suhr: Die Fassung „Erfüllt von dem Willen hat das deutsche Volk seine in den Parlamentarischen Rat entsandt" haAbgeordneten aus den Ländern be ich vorgeschlagen. Aber auch der Vorschlag des Herrn Dr. Schmid ist recht .

..

.

.

.

.

.

.

...,

...

gut. Dr. Schmid: Ich schätze das Verständnis des kleinen Mannes höher ein. Er wird durchaus verstehen, was wir sagen wollen. Dr. Pfeiffer: Der Herr Vorsitzende hat Recht, wenn er sagt, daß „Erfüllt von dem Willen..." eine starke Akzentuierung enthält und dem Ganzen einen guten Auftakt gibt. Dann muß man fortfahren: .hat das deutsche Volk Vertreter aus den Ländern. und aus Groß-Berlin nach Bonn entsandt." Dr. Heuss: Hinter dem Willen muß mehr stehen; der Wille zur Entsendung von Vertretern zum Parlamentarischen Rat reicht nicht aus. Dr. Schmid: Ich möchte folgende Fassung zur Erwägung geben: „Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereizu dem am ten, hat das deutsche Volk aus den Ländern Baden, Bayern 1.9.48 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat Abgeordnete entsandt. Diese haben, getragen von dem Vertrauen ." usw.. Zinn: Das reicht nicht aus. Der Wille des Volkes geht weiter. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte auch sagen: „Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen und die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk, um eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland zu errichten .". Dr. Schmid:.Abgeordnete entsandt mit dem Auftrag, eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen. Diese scilihaben für das Gebiet, das sie entsandt hat, dieses Grundcet Abgeordneten gesetz beschlossen." Dann liegt das Substanzielle im Auftrag und schließt mit dem Faktum Grundgesetz. .

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...

..

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.





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Dr. Pfeiffer: Ich möchte bitten, das Wort „zusammengetretenen" nicht anzuwenden. Das ist sprachlich falsch. Das Perfekt ist nur als Aktivum anzuwenden; hier wäre aber zu ergänzen mit „worden ist". Zinn: Ich möchte einen ganz anderen Vorschlag machen. An sich kommt es darauf an, mit besonderem Nachdruck, mit einem gewissen Pathos zu betonen, daß das deutsche Volk von dem Willen erfüllt ist, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung vorzubereiten. Das alles tut das Volk unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht. Wie wäre es, wenn man aus dem ersten Absatz den vierten Satz herausließe und sagen würde: „Kraft des unverzichtbaren Rechtes eines jeden Volkes auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens bekräftigt das deutsche Volk seinen Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung der Republik Deutschland vorzubereiten." Dr. Pfeiffer: Ich möchte

an

Entstehungsgeschichte des Parlamentarischen Rawestlichen Besatzungsmächte den Ministerden Auftrag erteilt, durch ihre Landtage ein Gesetz

die

tes erinnern. Zunächst haben die

präsidenten

der Westzonen beschließen und dann Delegierte nach Bonn zu entsenden10). So lautete ursprünglich der Auftrag der Besatzungsmächte. Dieser Auftrag stellt uns Deutsche vor eine Entscheidung, die wir so treffen, daß wir an die Stelle der Motive der Alliierten unsere eigenen deutschen Beweggründe aktiv werden ließen, so daß nunmehr das deutsche Volk aus eigenem Recht handelt. Das sollte man in der Präambel zum Ausdruck bringen, indem man in irgendeiner Form einfügt: „Auf Grund seines Rechtes" oder „In Ausübung seines Rechtes" oder dgl. Wir legen ein deutsches Ethos in diese unsere Aufgabe hinein, indem wir das Ziel der Deutschen zum Ausdruck bringen und das Ganze praktisch von der Vorgeschichte loslösen. Wir haben das neulich schon im Plenum des Parlamentarischen Rats getan, indem wir zu den Berliner Vorgängen als Sprecher des deutschen Volkes das Wort ergriffen haben11). Wir müssen das mit einem gewissen Pathos tun, indem wir bekunden, daß wir aus unserem deutschen Gewissen heraus handeln. Wir nennen als erste Maßnahme die Entsendung der Abgeordneten in den Parlamentarischen Rat. Im Anschluß daran sollten wir mit einem oder zwei Sätzen den Urgrund unseres innersten Rechtes anführen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, es würde uns weiter führen, wenn Herr Zinn seinen Vorschlag formuliert. Wir können diesen Vorschlag dann der Fassung gegenüberstellen, die Herr Dr. Schmid angeregt hat. Es hat keinen Sinn, über Vorschläge zu debattieren, wenn sie uns nicht schriftlich vorliegen. Dr. Schmid: Zur Orientierung des Herrn Dr. Pfeiffer möchte ich daran erinnern, daß wir über den „Auftrag" der Besatzungsmächte bereits gesprochen haben. Wir können Dokument I12) als Auftrag der Besatzungsmächte interpretieren. Dann wäre, was wir tun, nichts anderes, als daß wir uns der Mühe unterziezu

10) Der Pari. Rat Bd. 1, passim.

n] Vgl. die vierte Sitzung des Plenums

vom

12) Dok. Nr. I der Frankfurter Dokumente S. 30-32.

15.

Sept. 1948; Sten. Berichte, S. 59 ff. Juli 1948; Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1,

vom 1.

269

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hen, für die Besatzungsmächte

eine neue Rechtsordnung für das Besatzungsreerarbeiten. Wir können die Sache aber auch anders interpretieren und den würsagen: Die Besatzungsmächte haben uns keinen Auftrag gegeben den wir auch nicht annehmen —, sondern sie haben lediglich eine Sperre weggezogen und es uns so möglich gemacht, unseren eigenen Willen wenigstens partiell, aber insoweit doch als unseren eigenen Willen zur Geltung zu bringen und aus eigenem Willen dieses Grundgesetz zu schaffen. Wir waren der Meinung, daß nichts an den Vorgängen, die wir kennen, uns daran hindert, diese zweite Interpretation für die richtige zu halten und sie unserer Arbeit zugrunde zu legen. Der Ausfluß dieser unserer Entscheidung war die vorliegende Formulierung. Ich möchte Herrn Dr. Pfeiffer nur sagen, daß wir dieses Problem sehr wohl gesehen und sehr gründlich erörtert haben. Dr. Bergsträsser: Ich möchte vorschlagen, daß auch Herr Dr. Pfeiffer uns den Entwurf einer Präambel vorlegt, wie er sie wünscht. Dr. Pfeiffer: Ich glaube nicht, daß das noch von großem Nutzen sein könnte. Die Vorschläge liegen so nahe beieinander, daß man sie kaum noch auseinanderhalten kann. Dr. Schmid: Praktisch handelt es sich nur darum, welche Fassung wir von stilistischen Gesichtspunkten aus vorziehen. Dr. Pfeiffer: In dieser letzten Phase unserer Beratung waren unsere Auffassungen schon sehr nahe beieinander. Dr. Schmid: Meine Formulierung wäre die: „Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten, hat das deutsche Volk aus den Ländern Baden, Bayern Abgeordnete zu dem auf den 1. 9. 48 nach Bonn zusammenberufenen Parlamentarischen Rat mit dem Auftrag entsandt, eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen." Dr. Pfeiffer: Meine Fraktion wäre für den Ausdruck13) „Bundesstaat Deutschland", nicht „Republik Deutschland"14). Ich möchte den Willen des Bundes eindeutig zum Ausdruck bringen, wie das auch sonst geschieht. Wir kennen die Bundesrepublik Österreich, die Südafrikanische Union, die Vereinigten Staaten von Nordamerika usw. Kurz, überall, wo das föderative Prinzip zur Anwendung gelangt, kommt es auch in der Bezeichnung des staatlichen Gebildes zum Ausdruck. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir sind mit dem Vorschlag des Herrn Dr. Schmid weitgehend einverstanden. Wir werden ihm den Vorschlag Zinn gegenüberstellen. Dr. Schmid: Ich wiederhole meinen Vorschlag: „Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten, hat das deutsche Volk aus den Ländern Baden, Abgeordnete zu dem auf den 1. 9. 48 in Bonn zusammenberufeBayern

gime

zu







.

.

.

.

13) Vom Bearbeiter korrigiert 14) Vgl. Anm. 5. 270

..

aus

„Ausschuß".

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Parlamentarischen Rat mit dem Auftrag entsandt, eine den Aufgaben Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen. Diese Abgeordneten haben getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen für das Gebiet, das sie entsandt hat, dieses Grundgesetz beschlossen." Dann folgt der letzte Satz der Präambel. An die Aufzählung der Länder könnte man noch anfügen „und aus Groß-Berlin". Dr. Heuss: Bei dieser Fassung haben wir vermutlich Auseinandersetzungen mit den Besatzungsmächten zu fürchten. Dr. Bergsträsser: Wir sollten die Abgeordneten von Groß-Berlin besonders hernen

der

vorheben15).

Dr. Suhr: Vielleicht sagen wir „unter Zuziehung der Abgeordneten von GroßBerlin". Dr. Schmid: Wir fügen ein: „unter beratender Mitwirkung der Abgeordneten von Groß-Berlin". Dr. Pfeiffer: Der Ausdruck im Entwurf „beraten von Vertretern von Groß-Berlin" würde zu Mißdeutungen Anlaß geben. Manche Leute würden da etwas hineininterpretieren, was weder der Sache noch der Andeutung nach wünschenswert wäre. Vielleicht sagt man: „unter beratender Mitwirkung". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist sehr wenig schön. Dr. Schmid: Wir könnten sagen: „Diese Abgeordneten haben unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins, getragen von dem Vertrauen und bewegt von dieses Grundgesetz beschlossen". der Hoffnung aller Deutschen Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hierbei wäre allerdings eins zu beachten: Dieses Grundgesetz erlangt Wirksamkeit nicht durch Beschluß des Parlamentarischen Rats, sondern erst durch Beschluß des deutschen Volkes. Dr. Schmid: Das wäre meines Erachtens in einer Schlußbestimmung zu sagen, in der wir die Legalität des Prozesses darstellen, ähnlich wie der Entwurf von Herrenchiemsee. Das Grundgesetz wird durch die Abstimmung in den Ländern ratifiziert. Es ist genau der gleiche Vorgang wie beim Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags, der die Ratifikationsklausel enthält. Die Ratifizierung erfolgt in den beiden vertragschließenden Staaten; die erfolgte Ratifizierung wird mitgeteilt, und dann tritt der Vertrag in Kraft. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir uns von dem Modus der Weimarer Verfassung entfernen. Dieser Modus hat zu Diskussionen auch im staatsrechtlichen Schrifttum geführt. Dr. Schmid: Wir bringen zum Ausdruck, daß uns die ganze Prozedur nicht als die Prozedur erscheint, die man normalerweise bei der Schaffung einer echten Volksversammlung16) anwendet. Dieser Gedankengang hat auch in Koblenz eine Rolle gespielt17). .

.

.

15) Korrigiert aus „charakterisieren". 16) Vom Bearbeiter korrigiert aus „Vollversammlung". 17) Zur Ministerpräsidentenkonferenz auf dem Rittersturz bei Koblenz s. Der Pari. Rat Bd. 1, S. 60 ff.

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Dr. Pfeiffer: Eine gewisse Parallele stellt die Entstehung des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone dar18). Dieser Vertrag zwischen der amerikanischen Militärregierung und den vier Ländern der amerikanischen Zone bestimmte, daß, wenn gewisse Bedingungen eingehalten würden, die Entnazifizierung in die

Hände deutscher Behörden

übergehen

würde. Dabei wollten viele nicht verste-

hen, daß die Ministerpräsidenten nicht ohne weiteres den Beschwernissen gerecht werden konnten, die sich aus der Durchführung des Befreiungsgesetzes

ergaben. Der Weg, den wir gehen, beginnt bei den Besatzungsbehörden, geht über unsere Beschlüsse und endet in einer Art Vertrag zwischen den Alliierten und dem deutschen Volk. Die Zukunft ist für uns aber nicht mehr interessant. Die Billigung durch die Alliierten interessiert uns nicht mehr so sehr. Interessant für uns Deutsche ist vielmehr nur das, was in der Präambel festgelegt worden ist und was durch die Abstimmung in den Ländern die Billigung gefunden hat. Ich betrachte die Sache ohne Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte gemäß Dokument I19). Dr. Heuss: Für mein Sprachgefühl ist der Halbsatz „Erfüllt von dem Willen eine neue staatliche Ordnung vorzubereiten" überflüssig. Wir können nur sagen: „Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine staatliche Ordnung für die Übergangszeit zu schaffen." Es ist eine Wiederholung, wenn wir sagen, daß das deutsche Volk von dem Willen erfüllt ist, eine neue staatliche Ordnung vorzubereiten. Wir können diesen Halbsatz weglassen. Dr. Schmid: Vielleicht erinnert sich der Herr Kollege Dr. Heuss daran, daß wir seinerzeit, als wir diesen Satz formulierten, von dem „adventistischen" Charakter unserer Arbeit gesprochen haben. Wir sind uns dessen bewußt, daß das, was wir tun, nicht nur vorläufig, sondern auch ein Schritt auf die „Erfüllung" hin ist, und zwar ein gewollter Schritt auf die Erfüllung hin. Wir glaubten, daß dies in der Präambel zum Ausdruck kommen müsse. Aber nicht nur das hat uns bewegt, sondern auch der Stand der Polemik, die gegen uns geführt wird. Man wirft uns vor, wir seien Spalter, und was wir machen, sei, zum mindesten objektiv, eine Hinderung der deutschen Einheit. Daher wollten wir auch in der Präambel klar zum Ausdruck bringen, daß unser Tun weder Selbstzweck ist noch die Tendenz einer Spaltung in sich trägt, sondern im Gegenteil ein aktiver Schritt auf die Vollendung der Einigung hin ist. Unsere Aufgabe bleibt, die Ordnung der nationalen Einheit zu vollenden. die Kaufmann: Wir sagen, das deutsche Volk sei erfüllt von dem Willen, Einheit der Nation zu erhalten, eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten und eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen. Die beiden Ziele, eine neue staatliche Ordnung vorzubereiten und eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende .

.

.

1B) Zur Entstehungsgeschichte vgl. Der Pari. Rat Bd. 1, passim; ferner John H. Backer: Die deutschen Jahre des Generals

19) S. Anm. 272

12.

Clay,

S. 169 ff.

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Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen, sind hier gleichgeordnet; sie müßten umgestellt werden, denn unser Auftrag ist, eine neue staatliche Ordnung vorzubereiten, und diesem Zweck dient einer den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt. Wir müßten also sagen: .eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen, um eine neue staatliche Ordnung für Deutschland vorzubereiten." Dr. Schmid: Das ist besser; ich bin grundsätzlich damit einverstanden und würeine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hode sagen: heitsgewalt zu schaffen, um eine neue staatliche Ordnung für die Republik aber

„.

.

.

Deutschland vorzubereiten." Der Wortlaut würde also sein: „Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk.. mit dem Auftrag, eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen, um eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten." Dr. Schmid: Das ist in der Tat besser. Dr. Heuss: In dieser Fassung taucht zweimal das Wort „Ordnung" auf und noch dazu nahe beieinander. Kaufmann: Vielleicht sagen wir das eine Mal „Regelung". Das ist allerdings nicht schön. Dr. Weber: „Regelung" ist auch etwas anderes. Dr. Schmid: Ich persönlich würde mich nicht daran stoßen, das schöne, große Wort „Ordnung" in einem Satz zweimal anzuwenden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Fassung würde also jetzt so aussehen: „Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen und die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk aus den Ländern Baden, Bayern... Abgeordnete zu dem auf den 1. September 1948 nach Bonn zusammenberufenen Parlamentarischen Rat entsandt mit dem Auftrage, eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen, um eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten." Dr. Weber: Dieser Satz ist genau so lang wie der ursprüngliche Text. Er ist auch ein Riesensatz. Dr. Schmid: Man könnte sagen: .und ihn beauftragt, eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen, um eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten." Vors. [Dr. v. Mangoldt]:.und ihn beauftragt" wäre tatsächlich besser. Kaufmann: Sollten wir nicht die Frage des Namens noch offen lassen und einfach „für Deutschland" sagen? Ich glaube, das könnte man ruhig tun. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich möchte die Fassung wiederholen: .um eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten. Diese haben unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins, getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat, dieses Grundgesetz beschlossen. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit neu zu gründen."

Kaufmann: .

„.

.

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Dr. Pfeiffer: „Diese haben, getragen von dem Vertrauen unter Mitwirkung der Abgeordneten von Groß-Berlin für das Gebiet... dieses Grundgesetz beschlossen". Diese Umstellung wäre mir lieber; ich möchte den ethischen, den moralischen Faktor an den Anfang stellen. Dr. Schmid: Das hatte ich mir auch schon überlegt; aber dann kommt die Wendung „für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat" nicht an die richtige Stelle. Zinn: Ich habe versucht, die Präambel so zu formulieren20): „Die nationalsozialistische Zwingherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt; Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt. Das durch die Verfassung von Weimar vom 11. August 1919 aufgebaute staatliche Gefüge der deutschen Republik wurde zerstört. Die Republik aber besteht. Ihre Unabhängigkeit ist durch fremde Mächte schweren Beschränkungen unterworfen. Kraft des unverzichtbaren Rechtes auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens bekräftigt das deutsche Volk seinen Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten. Getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen haben deshalb die von ihm in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, .

.

.

Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein,

und Württemberg-Hohenzollern gewählten Männer und Frauen des Parlamentarischen Rates zu Bonn unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-B erlins zur Schaffung einer den Aufgaben der Übergangszeit dienenden Ordnung der Hoheitsgewalt für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat, dieses Grundgesetz beschlossen." Ich möchte die Berufung auf das Recht der Selbstbestimmung hervorheben. Auf Grund dieses Rechtes bekräftigt das deutsche Volk seinen Willen, seine Frei-

Württemberg-Baden

heitsrechte zu schützen usw. Dr. Schmid: Ich habe nicht den Eindruck, daß diese Formulierung inhalüich etwas anderes besagt, als in den bisherigen Fassungen gesagt worden ist. Ich halte es auch nicht für notwendig, um auszudrücken, was Herr Zinn ausgedrückt haben will, zu sagen: „Kraft des unverzichtbaren Rechtes ..." Das ist ja schon gesagt. Wenn wir erklären: „Erfüllt von dem Willen...", wird deuüich und klar, daß dieser Wille nichts anderes ist als der Entschluß, das Recht auf freie Gestaltung des nationalen Lebens zu aktualisieren, praktisch werden zu lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf Herrn Zinn bitten, seinen Vorschlag schriftlich niederlegen und vervielfältigen zu lassen, damit wir eine Vergleichsmöglichkeit mit den anderen Fassungen haben21). 20) Als Ausfertigung mit geringen Abweichungen auch in: BayHStA, NL Pfeiffer/180. 21) Als Anlage zum Kurzprot. lautete der Entwurf Zinn wie folgt: „Nationalsozialistische Zwingherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt. Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt. Deutschlands staatliches Gefüge wurde zerstört. Die in Weimar

geschaffene Republik aber besteht. Beschränkungen unterworfen.

fremde Mächte schweren 274

Ihre

Unabhängigkeit ist

durch

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Dr. Pfeiffer: Ich schlage vor, eine Viertelstunde Pause eintreten zu lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir lassen eine Pause eintreten, damit die verschiede-

Vorschläge vervielfältigt werden können. Nach der Pause: Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Meine Damen und Herren! Wir nehmen die Beratung wieder auf. Uns liegen nunmehr drei verschiedene Vorschläge vor. Ich möchte vorschlagen, daß wir zunächst die Fassung, die wir ausgearbeitet hatten, zu Ende führen. Herr Dr. Schmid hat seinen Vorschlag durch eine Variante erweitert22). Der Vorschlag lautet: Erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen und die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk aus den Ländern Baden, Abgeordnete zu dem auf den 1. September 1948 nach Bonn zuBayern sammenberufenen Parlamentarischen Rat entsandt nen





.

.

.

1. Variante:

und sie beauftragt, eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung der Hoheitsgewalt zu schaffen, um eine staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten. Diese haben unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins, getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen für das Gebiet, das sie entsandt hat, dieses Grundgesetz beschlossen. 2. Variante: um eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung Hoheitsgewalt zu schaffen und so eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten. Dr. Schmid: Mir gefällt die 2. Variante besser. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich möchte vorschlagen, daß wir nunmehr die einzelnen Fassungen gegenüberstellen. Wir haben die Fassung Dr. Schmid, Zinn und .

.

.

entsandt,

der

Kaufmann23). Ich darf vielleicht zunächst Herrn Kaufmann bitten, seinen

Vorschlag

zu

be-

gründen.

ganze Präambel zu kürIch sehe dabei davon ab, von der nationalsozialistischen Zwingherrschaft reden. Je weniger man von diesen Dingen sieht und hört, desto besser ist

Kaufmann: Mein Vorschlag stellt den Versuch dar, die zen.

zu

Gestaltung seines nationalen Lebens bekräfseine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der

Kraft des unverzichtbaren Rechtes auf freie

tigt das deutsche Volk seinen Willen,

zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten. Getragen von dem Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen haben deshalb die von ihm in den Ländern [folgt Aufzählung] gewählten Männer und Frauen des Parlamentarischen Rats zu Bonn unter Mitwirkung der Abgeordneten GroßBerlins zur Schaffung einer den Aufgaben der Übergangszeit dienenden Ordnung der Hoheitsgewalt für das Gebiet, dessen Bevölkerung diese Abgeordneten entsandt hat, dieses Grundgesetz beschlossen. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die Ordnung seiner nationalen Einheit und Freiheit in der Republik Deutschland zu vollenden." 22) Eine Ausfertigung in: BayHStA, NL Pfeiffer/180. 23) Vorschlag Kaufmann ebenda.

Nation

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Meine Formulierung hält sich eng an die vorhandenen Vorschläge. Ich würde in Korrektur des Textes, der den Mitgliedern des Ausschusses vorliegt, es.

sagen: Das deutsche Volk ist in Not und Elend gestürzt worden. Sein staatliches Gefüge ist zerschlagen. Dennoch beansprucht es sein Recht auf freie Ge-

staltung seines nationalen Lebens. Ich wiederhole: Das deutsche Volk ist in Unfreiheit, Not und Elend gestürzt worden. Sein staatliches Gefüge ist zerschlagen. Dennoch besitzt und beansprucht das deutsche Volk sein unabdingbares Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens, wenn auch die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte zur Zeit in weiten deutschen Gebieten die Ausübung dieses Rechts noch in weitem Maß einschränkt. Das wäre eine wesentliche Kürzung. Am Anfang stehen einige klare Sätze; sie lesen sich besser als die Ineinanderschachtelung von Gedanken, die der Vorschlag des Unterausschusses aufweist. Dr. Schmid: Ich finde, Ihr Vorschlag bringt nichts besseres. Ich selber neige unserer ersten Fassung zu. Da stehen die einzelnen Sätze hart beieinander und bringen eine gewisse Phasenverrückung zum Ausdruck, und zwar in verschiedener Akzentuierung. Zuerst kommt die Feststellung des Negativen, also dessen, was gestürzt, was zerstört ist. Dann folgt die Feststellung dessen, was erhalten geblieben ist, weil es unverzichtbar ist. Als Drittes folgt die Feststellung der durch äußere Gewalt verursachten Einschränkung der Möglichkeiten, das Erhaltengebliebene Im Gegensatz

zu

gestalten.

empfehlen, in der Präambel darauf hinzuweisen, daß die nationalsozialistische Zwingherrschaft nicht nur das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt, sondern auch daß die schrankenlose Herrschaft und der Krieg die ganze Menschheit in Not und Elend gestürzt hat. Wir sollten ganz klar zum Ausdruck bringen, daß wir diese Linie sehen und wissen, daß wir diese Entwicklungs-Linie in unserem Bewußtsein zu realisieren haben. Wir sollten deutlich sagen, warum denn alles so geworden ist, warum die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte Tatsache geworden ist und inwieweit sich dies auf die Ausübung des Rechtes auf freie Gestaltung unseres nationalen Lebens auswirkt warum also wir diesen Einschränkungen unterworfen sind. Herr Kaufmann meint, man solle vom Nationalsozialismus so wenig sprechen wie möglich. Ich bin anderer Meinung. Angesichts der Bereitschaft der Deutschen, zu vergessen, scheint es mir erst recht notwendig zu sein, an die Ursache all unseres Elends zu erinnern. Wenn man heute nach Adolf Hitler fragt, wird man auf den Gesichtern vieler Deutscher ein suchendes Erstaunen feststellen können: „Adolf, ach ja, Adolf Hitler." Das ist schrecklich. Wir haben in Deutschland schon einmal zu rasch vergessen, und ich meine, die Erfahrung sollte uns bestimmen, einen kleinen Haken einzuschlagen, an dem das Erinnerungsvermögen sich festhaken kann. Dr. Weber: Ich finde Ihre Formulierung gar nicht so sehr viel kürzer, Herr Kaufmann. Ich habe den Eindruck, daß unsere Verfassung eine Zeitepoche abzu

Herrn Kaufmann möchte ich doch



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schließt und eine neue eröffnet. Da kann das Elend, das der Nationalsozialisüber uns gebracht hat, ruhig erwähnt werden. Allerdings wird man das kaum in einer anderen Verfassung finden; denn ein solches Unheil ist in der Welt noch nicht dagewesen. Ich würde es bedauern, wenn der Hinweis auf den Nationalsozialismus nicht am Anfang der Präambel stände. Ich finde die knappe, kurze Art, mit der diese Tatsache im ersten Satz gesagt wird, sehr gut. Es sollte dabei bleiben. Dr. Bergsträsser: In der französischen Verfassung von 1946 ist genau dasselbe mus

erwähnt24). Dr. Pfeiffer: Ich

wäre für eine stärkere Kürzung des ersten Absatzes. Ich muß mir die Stellungnahme meiner Fraktion vorbehalten, aber das kann ich heute schon sagen: Dieser Punkt wird in meiner Fraktion lebhafte Diskussionen auslösen.

Mangoldt]: Auf alle Fälle gehört der Satz von der Unverzichtbarkeit des Rechtes auf freie Gestaltung des nationalen Lebens in die Präambel; ebenso die Feststellung von der Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte. Wichtig ist auch der Satz über die Zerstörung des staatlichen Gefüges und [die] Erhaltung der Konstanz. Wenn man also kürzen will, so kann es sich nur um den ersten Satz und den zweiten Halbsatz handeln. Der Vorschlag des Herrn Kaufmann bringt keine wesentliche Änderung. Vors. [Dr.

v.

Dr. Schmid: Ich würde alles so lassen, wie es ist. Kaufmann: Ich werde in meinem Vorschlag die Stelle, die von den Beschränkungen durch fremde Mächte in weiten deutschen Gebieten handelt, heraus-

nehmen und allgemeiner fassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann darf ich mir vielleicht den Vorschlag erlauben, daß wir uns die Umformulierung des ersten Satzes für die zweite Lesung vorbehalten und sie bis dahin vorbereiten. Das würde keine so großen Schwierigkeiten machen. Dann wird also die Präambel, wie sie jetzt gefaßt ist, Gegenstand der Besprechungen in den Fraktionen sein. Nun bleibt noch die Frage des Namens. Hier ist Herr Kaufmann in einer Hinsicht einen neuen Weg gegangen. Er schlägt vor, statt „Republik Deutschland" einfach „Deutschland" zu sagen. Damit würde der Name des neuen Staatswesens in der Präambel überhaupt nicht erwähnt werden. Kaufmann: Doch; im letzten Absatz, wo von „Bundesrepublik" oder „Bundesstaat" die Rede ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir werden um eine Entscheidung über den Namen nicht herumkommen. Vielleicht ist es nicht ungeschickt, wenn der Name des neuen Staatswesens in der Präambel unentschieden bleibt. Aber die Frage muß in Art. 21 entschieden werden25). In der Präambel selbst braucht der Name nicht genannt zu werden; aber er muß auftauchen bei der Gliederung, bei den Grundsätzen über die Staatsform des Art. 21. Die Präambel ist nur eine Einlei') Zur Präambel der Verfassung der Französischen Verfassung

von 1946 vgl. Dok. Nr. 4, Anm. 16. ) Art. 21, Abs. 1 sollte die politische und rechtliche Natur des Bundes charakterisieren: „Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik. .", vgl. Dok. Nr. 16. .

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tung, die einen Überblick über das ganze Grundgesetz gibt. Wir müssen nur

fragen,

klar

zu

wie wir Art. 21 formulieren. Es wäre

uns

wichtig, sich darüber alsbald

werden.

Dr. Heuss: Wir kommen nicht darum herum, Klarheit über den Namen des neuen Gebildes zu schaffen. Wir können hier nicht ein Suchspiel veranstalten, wie der Name nun eigentlich lauten soll. Es ist nichts damit gewonnen, wenn man die Bezeichnung hier wegläßt. In Art. 21 sieht niemand nach. Übrigens müßte der Name schon in der Überschrift des Grundgesetzes erscheinen, etwa:

„Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland". Dr. Schmid: Es muß heißen nicht „Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland", sondern „Grundgesetz ßr die Bundesrepublik Deutschland". Wir haben es hier mit verschiedenen Organisationsschichten zu tun, die sich zeitlich immer mehr vertiefen. Die Grundschicht ist die Bundesrepublik Deutschland. Diesen Sachverhalt müßte man mit einem Namen oder einer „Bezeichnung" zum Ausdruck bringen. Mir erschien nachts im Traum ein Brief mit dem Briefkopf „Bundesrepublik Deutschland". Freilich könnte da einer darauf kommen zu sagen: „Bundesrepublik Deutschland, westliches Rumpf gebiet", um so das Fragmentarische zum Ausdruck zu bringen Dr. Heuss: Für die Gestaltung von Briefköpfen sind wir hier nicht zuständig. Aber wenn das Kind getauft wird, muß sein Name eine attraktive Wirkung haben, die allgemein verstanden wird. Dr. Schmid: Das soll in dem Grundwort von der Bundesrepublik Deutschland .

zum

.

.

Ausdruck kommen.

v. Mangoldt]: Die Anregung des Herrn Dr. Heuss scheint mir eine brauchbare Lösung zu geben. Man kann in der Tat den Namen in der Überschrift geben. Darüber müssen wir uns jedenfalls noch klarwerden. Renner: Der Name wird wesentlich von der Entwicklung des kommenden Staates abhängen. Ich bin der Meinung, der Name des Kindes, das da geboren werden soll, gehört in die Präambel hinein. Übrigens ist es unrichtig, daß wir unseren Auftrag vom deutschen Volk erhalten haben. Wir haben diesen Auftrag in Form eines Befehls der Besatzungsmächte erhalten. Diesen Befehl sollen wir hier ausführen. Dieser Befehl steht aber im Widerspruch zum Potsdamer Abkommen26). Darin ist ausdrücklich festgelegt, daß während der Dauer der Besetzung Deutschland als wirtschaftliche und nationale Einheit zu behandeln ist. Nun ist es eine Streitfrage, ob man im Hinblick auf den strittigen Auftrag das Kind, das hier geboren werden soll, schon als „Deutsche Republik" bezeichnen kann. Herr Dr. Schmid hat verlangt, daß das Kind eine Charakterisierung bereits durch seinen Namen erfahren soll. Danach handelt es sich hier um einen Teil der deutschen Republik. Wie man das Problem löst, ist keine27) reine

Vors. [Dr.

Zweckmäßigkeitsfrage. 26) Fritz Faust: Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung. Frankfurt, 3. A. 1969. Michael Antoni: Das Abkommen

von

27) In der Vorlage korrigiert 278

aus

„eine".

Trauma oder Chance? Gel-

Potsdam

tung, Inhalt und staatsrechtliche Bedeutung. Berlin

1985.



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Die Feststellung, daß der Nationalsozialismus das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt hat, gehört unbedingt in die Präambel hinein. Es ist richtig, wie es der zweite Halbsatz ausdrückt, daß nicht nur das deutsche Volk in den Faschismus verstrickt worden ist, sondern daß Krieg und Gewalt die Menschheit in Not und Elend gestürzt haben. Man muß aussprechen, wer den Krieg ausgelöst und wer die Gewalt angewendet und mißbraucht hat. Ich bin also der Meinung, daß der Name des neuen Staatsgebildes in die Präambel und nicht etwa in die Überschrift oder in den Art. 21 gehört, den niemand liest. Sonst erleben wir die gleiche Entwicklung wie in der Weimarer Zeit, wo wir zwar die deutsche Republik hatten, aber kein Beamter sich veranlaßt fühlte, für die deutsche Republik zu wirken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herr Renner hat die Auffassung vertreten, es sei nicht zu halten, daß der Auftrag, das Grundgesetz zu schaffen, vom deutschen Volk ausgehe. Ich möchte diese Frage sofort klarstellen. Wer in diesem Ausschuß Ich darf feststellen, außer pflichtet dieser Auffassung des Herrn Renner bei? Herrn Renner niemand. Herr Renner steht mit seiner Auffassung allein. Dr. Schmid: Wir haben, was Herr Renner vorschlägt, uns auch überlegt, und es stand in meinem ursprünglichen Vorschlag. Dann wurden aber Bedenken laut, die dahin gingen, daß der Krieg, den die nationalsozialistische Zwingherrschaft über die Menschheit gebracht hat, nicht gut hätte ausgelöst werden können, wenn nicht auch andere Mächte Hilfsstellung geleistet und den Nationalsozialisten durch den Abschluß von Rückversicherungs-Verträgen die Möglichkeit geboten hätten, diesen Krieg zu beginnen28). Aus diesen Erwägungen heraus hat man die jetzige Formulierung der ursprünglich von mir vorgeschlagenen vorgezogen, und ich habe mich damit einverstanden erklärt. Renner: Das Urteil darüber, daß andere Mächte Hitler Hilfsstellung zur Auslösung des Krieges leisteten, kann man getrost der Geschichte überlassen. Ich bin gern bereit, darüber zu diskutieren. Ich verstehe, was Sie damit sagen wollen. Sie meinen einen einzigen Vertrag. Dr. Schmid: Es sind zwei Verträge! Renner: Es gibt noch andere Verträge dieser Art. Ich erinnere nur an das Münchener Abkommen29). Dr. Schmid: Ich wollte Sie, Herr Renner, nur über die Gedankengänge informieren, die den Ausschuß zur Wahl der jetzigen Fassung veranlaßt haben. Die von Ihnen angeregte Formulierung war schon Gegenstand unserer Überlegungen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir stehen jetzt schon drei Tage hindurch in der grundsätzlichen Diskussion über die Präambel. Wir müssen aber weiterkommen. —

') Angespielt wurde hier auf den Hitler-Stalin-Pakt, bzw. den deutsch-sowjetischen Nicht-

angriffspakt vom 23. Aug. 1939, der in einem geheimen Zusatzabkommen die Interessensphären beider Mächte abgrenzte. Vgl. die jüngste Veröffentlichung hierzu von Ingeborg Heischhauer: Der Pakt. Hitler, Stalin und die Initiative der deutschen Diplomatie

1938-1939. Frankfurt/Main (1990). ') Das Münchener Abkommen, das am 24. Sept. 1938 zwischen Hitler, Chamberlain, Daladier und Mussolini abgeschlossen wurde, regelte die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete an Deutschland. Vgl. K. Robbins: München 1938. Ursprünge und Verhängnis.

Zur Krise der Politik des

Gleichgewichts.

Gütersloh 1968.

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uns dahin geeinigt, den Absatz 1 der Präambel trotz der Änderungsstehen zu lassen und zum Gegenstand der Fraktionsbesprechung zu machen. Wir behalten uns Änderungen für die zweite Lesung vor. Renner: Ich behalte mir für die zweite Lesung einen eigenen Vorschlag vor. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wäre sehr gut. Nun müssen wir uns noch über die Frage des Namens klar werden. Sollen wir entsprechend dem Vorschlag Kaufmann sagen: .eine neue staatliche Ordnung für Deutschland vorzubereiten"? Oder sollen wir dem ursprünglichen Vorschlag folgen und von einer neuen staatlichen Ordnung für die „Republik Deutschland" oder „Bundesrepublik Deutschland" sprechen? Darüber müssen wir uns noch klar werden, ehe wir die Präambel als fertig betrachten können. Am Schluß bleibt die Wendung: die Republik Deutschland zu vollenden". Dr. Schmid: Ich glaube, die Fassung: .eine staatliche Ordnung für Deutschland vorzubereiten" würde zu Mißdeutungen führen. Deutschland ist bislang nicht der Terminus für ein staatliches Gefüge gewesen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es heißt auch nicht „La France", sondern „La Républi-

Wir haben

vorschläge

„.

.

.

que Française". Dr. Schmid: Man könnte auf den Gedanken

kommen, daß nur noch das staatlich nicht gefügte Gebilde Deutschland besteht, während „Bundesrepublik" zum Ausdruck bringt, daß dieses Deutschland als staatliches Gebilde der Substanz nach noch besteht, wenn auch das Gefüge zerstört ist. Daher möchte ich doch davon abraten, einfach von Deutschland zu sprechen, sondern vorschlagen, eine Qualifikation dieses Deutschland beizusetzen, aus der hervorgeht, daß es für uns als staatliches Gefüge noch besteht. Noch eine zweite grundsätzliche Bemerkung! Wir müßten uns um zwei Dinge kümmern. Da ist zunächst der Name, mit dem wir das ganze Deutschland als Bundesrepublik Deutschland oder als Republik Deutschland bezeichnen. Wenn wir einen Namen und nicht nur eine Bezeichnung geben, können wir für die in diesem Teil Deutschlands geschaffene Organisation eine eigene Bezeichnung schaffen. Das sind zwei Dinge, die wir auseinanderhalten sollten. Über beides zu diskutieren würde sich verlohnen. Dr. Pfeiffer: Das neue Gebilde, für das wir das Grundgesetz schaffen, muß ein gewisses Prestige haben, und dazu braucht es eine klare und dabei gefällige Bezeichnung. Der „Wirtschaftsrat für die Vereinigten Wirtschaftsgebiete" ist keine gefällige, nette Bezeichnung, sondern nach meinem Empfinden

gräßlich. Im übrigen

wünscht meine Fraktion die Bezeichnung „Bundesstaat". Darauf mache ich ausdrücklich aufmerksam. Dr. Schmid: Auf „Republik" sollten wir nicht verzichten. Meinetwegen sagen wir dann „Bundesrepublik". Dr. Pfeiffer: Darüber wird meine Fraktion mit sich reden lassen. Aber der Begriff „Bund" muß herein. Ich glaube, meine Fraktion wird „Bundesrepublik" akzeptieren. Sie wünscht aber auf jeden Fall die Unterstreichung des föderalistischen Prinzips durch das Wort „Bund". Dr. Schmid: Ich habe ursprünglich „Bundesrepublik" vorgeschlagen. Es war Herr Kaiser, der das Wort „Bund" heraushaben wollte. 280

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Pfeiffer: In meiner Fraktion war die Mehrheit für die Bezeichnung „Bundesstaat"30). Ich glaube aber, meine Fraktion wird keine Schwierigkeiten machen, Dr.

wenn

wir

führt, wird

„Bundesrepublik" sagen. von einem großen Teil

Die Überlegung, die zu dieser meiner Fraktion geteilt.

Bezeichnung

Dr. Heuss: Ich habe mich immer für „Bundesrepublik" ausgesprochen, um die Situation in Randgebieten wie Bayern nicht zu erschweren. Ich halte aber die Bezeichnung „Bundesstaat" für unmöglich. Bundesstaat ist eine staatsrechtliche Kategorie, ein Rechtsbegriff. Wenn wir das Wort „Bundesrepublik" ausweiten in „Bundesstaat", dann sieht es so aus, als ob wir Angst vor dem Wort „Republik" hätten. Ich halte den Begriff „Republik" im Hinblick auf seine inhaltliche Erfülltheit für unerläßlich. Die Leute werden sich bald daran gewöhnt haben. Das Wort „Bundesstaat" hat keine kategoriale Be-

politisch-psychologische

deutung.

Dr.

Pfeiffer: Ich glaube,

meine Fraktion wird das Wort

„Bundesrepublik"

anneh-

men.

Dr. Heuss: Ich verstehe die es aus

Bedenken, die von Bayern kommen31). Man sollte Gründen vermeiden, daß Bayern einen Grund

politisch-psychologischen

haben kann, sich an diese Sache zu klammern und Widerstand zu leisten. Zinn: Ich halte das Wort „Bundesstaat" für völlig unmöglich. Diese Bezeichnung ist viel zu allgemein gehalten. Auch eine Monarchie kann Bundesstaat sein. Wir müssen das Wort „Republik" unbedingt verwenden. Ich möchte die Frage, ob das Kind, das wir zur Welt bringen sollen, einen besonderen Namen erhalten soll, wie es vorhin angedeutet und gewünscht wurde, verneinen. Wir gingen davon aus, daß die Bundesrepublik Deutschland noch besteht und daß das, was wir schaffen, zwar eine vorläufige Ordnung ist, aber eine Ordnung, die trotz ihres vorläufigen Charakters für ganz Deutschland gelten soll. Wir sind nur noch nicht in der Lage, diese Ordnung jetzt schon überall zu verwirklichen. Wir betonen doch auch, daß wir getragen sind von dem Vertrauen aller Deutschen und aus dieser Auffassung heraus die staatliche Ord30) Vgl. Anm. 5. 31) In einer „vorläufigen Äußerung"

vom Okt. 1948 zu den von den Fachausschüssen des Pari. Rates bisher formulierten Artikeln nach dem Stand vom 18. Okt. 1948 war seitens der Bayerischen Staatskanzlei die Bezeichnung „Bundesrepublik" als „doktrinär-juristisch-bürokratisch" kritisiert worden. „Auch denkt man unwillkürlich an die .Bundesrepublik Österreich' und die Zustände in Wien von 1919 ab, die sich an diese Bezeichnung knüpfen, und die schweren Kämpfe innerhalb der Bundesrepublik Österreich zwischen Bund und Ländern, bei denen .Gegen die Bundesrepublik' das Feldgeschrei auf Seiten der Länder war. .Republik' betont übrigens den vollen Staatscharakter; warum auf einmal, wo man sonst immer von .Staatsfragment' spricht, und geflissentlich an der Theorie des ,Nichtstaats' festhält, die mit der Hervorhebung des Provisoriums in der Präambel so scharf betont wird? [. .) Die beste Lösung wäre wohl .Deutschland' schlechthin. Sie ist auch inernational durchaus gangbar, aber, was viel wichtiger ist: Sie würde auch am besten das ausdrücken, was das Grundgesetz erstrebt, nämlich die ideelle Erstreckung des bundesmäßigen Verhältnisses auf die zwangsläufig noch außerhalb des Bundes stehenden Länder. Warum überhaupt einer großen Zahl von Deutschen die Freude an der wiedergewonnenen Einheit Deutschlands durch ein mit unerfreulichen Ressentiments belastetes Fremdwort vergällen" (Z 5 Anhang/12, Bl. 247-258). .

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Republik Deutschland schaffen. Diese Ordnung kann allerdings noch nicht das ganze Deutschland umfassen, jedoch nicht, weil wir nicht wollen, sondern lediglich nicht, weil wir beschränkt sind in unserer Souveränität. Eine Regierung, die ins Exil geht, kann ihr Land auch nicht voll beherrschen. Wir sollten davon ausgehen, daß die staatliche Ordnung, die wir schaffen, die Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ist, wenn heute auch noch Gebiete fehlen. Dr. Schmid: Diesen Anspruch wollen wir gerade erheben. Der letzte Satz der Präambel sagt das Gegenteil. Wir wollen nicht die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland schaffen, die auch so, wie sie jetzt ist, gelten würde, wenn wir sie für ganz Deutschland machten, sondern wir wollen die Ordnung der Hoheitsgewalt für die Übergangszeit schaffen. Wir wollen auch nicht eine Vollverfassung machen, die einen Vollstaat organisiert, sondern wir wollen für einen Teil des Gebietes Deutschlands eine den Übergangsnotwendigkeiten dienende vorläufige Ordnung schaffen. Es handelt sich also um die Bezeichnung eines „Apparats". Wir benennen nicht etwa das Teilgebiet, etwa Westdeutschland, sondern wir benennen den Apparat, den wir hier schaffen. Der Name ist „Bundesrepublik Deutschland" und gilt für das Ganze. Nun muß, sozusagen kleiner gedruckt, noch eine Bezeichnung des Apparats gegeben werden. Kaufmann: Ich gebe zu, daß mein Vorschlag, eine staatliche Ordnung für Deutschland vorzubereiten, nach staatsrechtlichen Begriffen nicht ganz klar ist. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß diese Verfassung nicht lauter Staatsrechtler lesen, sondern das deutsche Volk. Für das deutsche Volk ist der Begriff „Deutschland" ein sehr klarer Begriff, den wir deshalb auch verwenden sollten. Wir sagen in der Präambel, wir fordern das deutsche Volk auf, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. Das bedeutet: Wir machen den Anfang dazu mit den Gebieten, die uns offen stehen und die zuzulassen wir für möglich halten. Wir legen nur fest, daß wir die Bundesrepublik Deutschland mit den Teilen, die ausdrücklich angeführt sind, schaffen, und wir fordern das Volk auf, diese Bundesrepublik zu vollenden, d. h. sobald die inneren und äußeren Voraussetzungen für den Anschluß und die Eingliederung anderer Gebiete gegeben sind, und zwar in der Form, daß das deutsche Volk die endgültige Regelung in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung treffen wird. Hier kann schon der Name „Bundesrepublik Deutschland" stehen für das, was wir in einem Teilgebiet Deutschlands zu schaffen bemüht sind. Wir brauchen den Begriff der Vorläufigkeit gar nicht zu erwähnen. Dr. Heuss: Die Kaufmann'sche Formel verwendet zwei Begriffe: zunächst Deutschland und dann Bundesrepublik Deutschland. Nun kann ein sorgfältiger Leser der Verfassung daraus schließen, daß die Bundesrepublik Zukunftsmusik ist; denn das Vorhergehende, wo nur von Deutschland die Rede ist, ist unklar. Ich halte das für falsch. Wir sollten die Sache vielmehr umkehren; wir müssen die Bundesrepublik schon vorher haben und anführen; sonst ist es unklar und der Leser vermutet Zukunftsmusik. Die Frage der Bezeichnung wird sich von selbst regeln, indem man keine Unterbezeichnung macht, sondern die Mächtigkeit des Anspruchs anmeldet, der nung der

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stellvertretend für das Gesamte ist. Die ganze Präambel wäre Lüge und Selbstbetrug, wenn wir uns nicht stellvertretend als Vollstrecker eines geschichtlichen Auftrags ansehen würden. Deshalb sollten wir auch nicht allzu viel von „vorläufig" reden. Die Menschen gerade auch im Osten sollen daran glauben können, daß wir sie hier mit repräsentieren. Wir werden vielleicht auf einen Namen kommen, wie etwa „Republik Deutschland (West)". Dr. Pfeiffer: Ich vermag die Auffassung meines sehr verehrten Herrn Vorredners nicht zu teilen. Ich halte es für ganz richtig, in der Präambel von Deutschland zu sprechen, weil das eine gefühlsmäßige Vorstellung in sich birgt. Auch nach dem Friedensschluß wird gebietsmäßig eine offene Wunde da sein. Was wir hier schaffen, wollen wir doch über den gegenwärtigen Umfang hinaus für Deutschland schaffen. Im letzten Satz der Präambel wird die Bundesrepublik Deutschland vollendet, und zwar mit der dann zu schaffenden endgültigen Verfassung. Wenn wir in diesem Stadium schon von Bundesrepublik Deutschland sprechen, so ist das vielleicht ein bißchen unscharf präzisiert. Aber man kann das im Augenblick vielleicht nicht so klar herausarbeiten, wie es nötig wäre. Mir schwebt eine Kombination des

Staatsrechtliche

Gefühlsmäßigen

mit dem

Übergang

ins

vor.

plädieren, am Anfang der Präambel nicht nur von „Deutschland", sondern „Bundesrepublik Deutschland" zu spreeine Man macht chen. Es ist richtig: Verfassung nicht für Staatsrechtler, und Dr. Schmid: Ich möchte doch dafür von

der

eine Präambel im besonderen macht man für das Volk. Aber wir können nicht verhindern, daß die Staatsrechtler aus von uns gewählten Worten Konsequenzen ziehen, die unter Umständen recht erhebliche politische Wirkungen haben können. Ich denke da vor allem an ausländische Staatsrechtler, an Justitiare fremder Regierungen, die daraus Konsequenzen ziehen könnten, die uns nicht angenehm sein können. Wir sollten alles vermeiden, was zu solchem gefährlichen Spiel Anlaß geben könnte. Aus allen diesen Gründen möchte ich mich für

die präzisere Bezeichnung aussprechen.

Auffassung des Herrn Dr. Schmid an. Wir sind der Auffassung, daß unsere staatliche Existenz anerkannt werden muß, vor allem auch von den Besatzungsmächten. Wir fordern die Anerkennung der Tatsache, Zinn: Ich schließe mich der

schaffen ist. Was noch räumlich und wir schaffen, ist in seinem Anwendungsbereich allerdings zeitlich beschränkt. Das ändert aber nichts daran, daß die Organe, die wir schaffen, Organe des fortbestehenden Staates sind. Jedenfalls sollten wir alles vermeiden, was geeignet ist, auf eine Billigung des staatlichen Zerfalls schließen zu lassen. Dr. Weber: Ich vertrete auch die Meinung des Herrn Dr. Heuss, daß wir einfach „Bundesrepublik Deutschland" sagen sollten. Wir müssen die Bezeichnung klarstellen, sonst sind Mißverständnisse, gerade auch in Berlin, unvermeidlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist noch eine weitere Frage zu erörtern. Es besteht eine gewisse Parallele zwischen der Wendung „eine neue staatliche Ordnung für die Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten" und dem Schluß, wo es heißt, daß das deutsche Volk aufgefordert bleibt, in gemeinsamer Entscheidung daß Deutschland als Staat noch besteht und nicht erst

neu zu

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und Verantwortung die Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. Diese Frage muß noch eingehend überlegt werden; das bleibt eine Aufgabe der zweiten Lesung. Wir bleiben also einstweilen bei der Bezeichnung „Bundesrepublik". Die Überschrift würde lauten: „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland". Kaufmann: Wenn wir die Bundesrepublik Deutschland schon am Eingang der eigentlichen Präambel erwähnen, dann kann man diesen Begriff am Schluß weglassen und einfach sagen: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, die Ordnung seiner nationalen Einheit und Freiheit zu vollen-

den". Dr. Schmid: Ich würde die Fassung so lassen, wie sie hier steht. Wir bereiten die neue staatliche Ordnung vor, und zwar mit diesem Grundgesetz, aber das deutsche Volk bleibt aufgefordert, sie zu vollenden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist Zeit, daß wir zum Abschluß kommen. Ich darf

Herrn Zinn bitten, seinen Vorschlag zu erläutern, den er uns vorgelegt hat. Wir müssen uns darüber klarwerden, welchem Vorschlag wir uns anschließen wollen. Zinn: Ich habe in meiner Formulierung den Abs. 1 der Präambel etwas geändert. Die beiden ersten Sätze sind geblieben. Den dritten Satz habe ich wie

folgt gefaßt:

Deutschlands staatliches Gefüge wurde zerstört. Dann fahre ich fort: Die in Weimar geschaffene Republik aber besteht. Unsere Aussprache hier gibt mir Veranlassung, die Notwendigkeit dieser Wendung besonders zu betonen. Ich habe ferner den Satz, daß dem deutschen Volk das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben ist, fortgelassen und beschränke mich darauf, fortzufahren: Ihre Unabhängigkeit ist durch fremde Mächte schweren Beschränkungen

unterworfen. Vielleicht kann man auch sagen: Ihre Einheit ist durch fremde Mächte bedroht und ihre Unabhängigkeit ist schweren Beschränkungen unterworfen. Im zweiten Absatz wollte ich die Berufung auf das Recht der freien Gestaltung des nationalen Lebens als die Quelle dessen festlegen, was das deutsche Volk nunmehr veranlaßt, seine Freiheitsrechte zu schützen, auf der Erhaltung der Einheit der Nation zu bestehen und eine neue staatliche Ordnung vorzubereiten. Die Formulierung ist vielleicht nicht ganz glücklich. Vielleicht sagt man besser: Unter Berufung auf das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens bekräftigt das deutsche Volk seinen Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten und eine neue staatliche Ordnung für die Republik Deutschland vorzubereiten. Meines Erachtens erreicht man so eine bessere Aufgliederung. Im dritten Absatz habe ich mich bemüht, das Pathos zu steigern und zu betonen, daß der Parlamentarische Rat im Namen aller Deutschen handelt. Ich behalte im wesentlichen die alte Fassung bei. Ich würde aber empfehlen, die Aufzählung der Länder fortzulassen. Man kann in einem besonderen Artikel un284

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schwer zum Ausdruck bringen, daß das Grundgesetz nur für die Länder der westlichen Zonen gilt. Dr. Eberhard: Es freut mich und ich bin sehr dafür, daß dieser Vorschlag die klare Feststellung enthält: „Die in Weimar geschaffene Republik aber besteht." Nun hat man mir gesagt, man könne diese Wendung auch herauslassen. Die Behauptung sei implicite enthalten; man müsse sie hineininterpretieren. Ich möchte es aber darauf nicht ankommen lassen; vielmehr lege ich größtes Gewicht darauf, daß diese Feststellung in die Präambel aufgenommen wird32). Nun können wir freilich durch die Verfassung allein keine Grenzforderungen abwehren, und wir müssen bei unseren Formulierungen vorsichtig zu Werke gehen. Mindestens aber muß die Berufung auf die vergangene Verfassung bleiben und der Fortbestand der Republik festgestellt werden. Es kann uns etwas mit Gewalt abgenommen werden, aber in der Verfassung möchte ich den Anspruch aufrechterhalten. Ich werde in meiner Auffassung bestärkt durch die Tatsache, daß ein Expertenausschuß der Benelux-Länder getagt und ein Gutachten an verschiedene Regierungen erstattet hat33). Es wird gemeldet, daß England und Frankreich geneigt sind, die Forderungen der Benelux-Länder zu unterstützen. Es kann und wird vielleicht sehr viel passieren. Aus all diesen Gründen sollten wir etwas über den Fortbestand der Weimarer Republik in die Präambel aufnehmen. Dr. Heuss: Wir sagen auf der einen Seite: Das staatliche Gefüge wurde zerstört. Andererseits stellen wir fest: Die Republik besteht. Hier kann ich mir unter Republik nicht die territoriale Situation vorstellen, sondern das Institutionelle, das mit der Republik verbunden ist. Der deutsche Leser wird fragen: Was heißt das eigentlich, das staatliche Gefüge ist zerstört? Was ist von der Republik noch vorhanden, wenn gesagt wird, sie besteht? Herr Zinn bringt in seinem Vorschlag mehr das Institutionelle zum Ausdruck; Herr Dr. Eberhard hat mehr das Grenzpolitische im Auge, mit dem er die anderen ansprechen will. Ich meine, wenn wir unsere Aussage darauf beschränken, daß das staatliche ;) Eberhard wandte sich am folgenden Tag fernschriftlich an das von ihm geleitete Büro für Friedensfragen: „Von Nachrichtenbüros verbreiteter Entwurf Präambel ist entgegen

Pressemitteilung vom Ausschuß nicht angenommen. Folgt erster Absatz [.

.]

Gestern blieb ich allein mit Protest, daß Bestehen der Republik wegen der Grenzforderung direkt ausgesprochen werden müsse. Alle meinten, daß dies implizite enthalten sei. Heute legte Zinn geänderten Entwurf vor, den vorläufig nur ich im Ausschuß bezüglich ersten Absatz stütze. Entwurf lautet ab dritter Absatz: Deutschlands staatliches Gefüge wurde zerstört. Seine Unabhängigkeit ist durch fremde Mächte schweren Beschränkungen unterworfen. Bitte Formulierung zum Wochenende überlegen" (Z 35/179, BI. 164). Das Deutsche Büro für Friedensfragen, gez. Forster, telegrafierte unter dem 14. Okt. 1948 an Eberhard zurück: „Habe gegen Zinns Fassung dritten Absatzes keine Bedenken. Noch deutlicher wäre: Deutschland wurde in seinem staatlichen Gefüge zerstört. Sein Bestand ist gefährdet, seine Unabhängigkeit durch fremde Mächte schweren Beschränkungen unterworfen" (ebenda, Bl. 163). ') Zur Einstellung der Benelux-Staaten zu der deutschen Weststaatsgründung, vgl. Wichard Woyke: Erfolg durch Integration, die Europapolitik der Benelux-Staaten von 1947 bis 1969. Bochum 1985, S. 68 ff. und Krieger: General Lucius D. Clay, passim; ferner J. C. Hess und F. Wielanka: Die Niederlande und die Wiedervereinigung Deutschlands, in: VfZ 87, S. 349-384. .

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zerstört ist, dann

bringen wir damit die Kontinuität der geschichtlichen Persönlichkeit zum Ausdruck. Ich bin an sich nicht dafür, den Satz aufzunehmen, daß die in Weimar geschaffene Republik besteht, obwohl ich mir darüber klar bin, daß daraus eine Waffe für die Unterhaltung mit den anderen werden kann. Dr. Pfeiffer: Es wird Sie vielleicht interessieren, wenn ich über die Entwicklung der Verhältnisse in der amerikanischen Zone berichte. Von Oktober 1945 an erhielten die Länder der amerikanischen Zone von der Militärregierung Direktiven, Briefe und Dokumente, die auf den staatsrechtlichen Zustand Bezug hatten. Dabei ging die Militärregierung immer von der Auffassung aus, daß in Deutschland nichts mehr besteht. Das geht klar aus der Dokumentensammlung hervor. Die Amerikaner haben immer die Meinung ausgedrückt, daß die in Weimar geschaffene Republik nicht mehr besteht34). Ich für meine Person teile die Auffassung des Herrn Dr. Heuss. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben in einer solchen Formel eine große Gefahr gesehen. Aber wir brauchen diese Frage nicht wieder aufzurollen. Dr. Heuss: Es muß irgendwie zu der Frage Stellung genommen werden. Zinn: Es handelt sich nicht nur um die Kontinuität der Geschichte, sondern um die Kontinuität der Rechtsfähigkeit Deutschlands, die in der Präambel festzulegen ist. Warum sollten wir hinter dem zurückbleiben, was selbst ausländische Staatsrechtler und Gerichte sagen? Ich bin völlig anderer Auffassung als Herr Dr. Pfeiffer. Die Amerikaner haben in Hessen Reichszuständigkeiten auf die Länder nur vorläufig übertragen. Diese Einstellung leitet sich her aus der amerikanischen Auffassung von der Souveränität des noch existierenden Staates. Kaufmann: Jedenfalls steht fest, daß uns die Verwendung des Ausdrucks „Reich" in der kleinlichsten Weise beschnitten wurde. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Feindmächte haben erklärt, daß sie nicht die Absicht haben, Deutschland zu zerstören. Daraus geht hervor, daß der deutsche Staat fortbesteht. Der Satz, die in Weimar geschaffene Republik aber besteht, trifft den Sachverhalt nicht ganz. Wir kamen zu dem Schluß, daß wir diesen Satz nicht aufnehmen sollten. Dr. Bergsträsser: Staatssekretär Byrnes hat in seiner Rede in Stuttgart im Herbst 194635) ausdrücklich erklärt, daß das Reich noch bestehe und daß der Kontrollrat die Funktionen einer deutschen Regierung übernommen habe und ausübe. Die staatliche Organisation begann doch damit, daß zunächst die Städte und Kreise in ihrem Bereich die Verwaltung übernahmen, einschließlich der Eisenbahnen und Post. Es handelte sich dabei um eine treuhänderische Verwaltung, Gefüge

34) Es handelte sich hier um die Diskussion über die völkerrechtliche Frage, ob die deutsche Staatlichkeit mit der deutschen Kapitulation von 1945 untergegangen sei, bzw. ob sie

fortbestünde. Der 1940 in die USA emigrierte österreichische Staats- und Völkerrechtslehrer Hans Kelsen vertrat, wie u. a. auch der bayerische Staatsrechtslehrer Hans Nawiasky, die „Diskontinuitätsthese". Vgl. Reinhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Historische Betrachtungen zur Entstehung und Durchsetzung der Theorie vom Fortbestand des Deutschen Reiches als Staat nach 1945, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 7 (1985) S. 181-207. 35) Vgl. Dok. Nr. 9, Anm. 13. 286

Zehnte

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Nr. 13

die eben ausgeübt wurde, weil nichts anderes da war. Es herrschte eine Art Notstand. Im übrigen gibt es Urteile Schweizerischer Gerichte, in denen klar die Auffassung vertreten wird, daß zwar das äußere Gefüge zerstört sei, die deutsche Staatlichkeit aber noch bestehe. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wäre nun festzustellen, ob im Ausschuß eine starke Stimmung dafür besteht, den Entwurf Zinn an die Stelle unseres Entwurfs zu setzen. Eine überwiegende Meinung in dieser Richtung konnte ich bis jetzt noch nicht feststellen. Es ist die Frage, ob eine Abstimmung darüber gewünscht wird. Wenn dies nicht der Fall ist, würde ich vorschlagen, wir sagen in unserem Bericht, dem Ausschuß sei noch ein anderer Entwurf vorgelegt worden, der gleichzeitig zur Diskussion gestellt wird. Dr. Heuss: und auch den Fraktionen mitgeteilt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: gewiß, der auch den Fraktionen mitgeteilt sowie dem Redaktionskomitee und dem Präsidenten eingereicht wird. Wir können dann die beiden inhaltlich sehr wenig voneinander abweichenden Entwürfe konfrontieren und uns in der zweiten Lesung endgültig entscheiden. Darf ich Ich stelle die Zustimmung das als Meinung des Ausschusses annehmen? —

.

.

.

..

.

fest36).



Damit haben wir die erste Lesung der Präambel abgeschlossen. Wir haben nun noch die schwierigen Fragen über die staatliche Natur des neuen Gebildes zu behandeln, ferner die territorialen Bestimmungen, die Bestimmungen über die Neugliederung, die Vorschriften über die Aufnahme neuer Länder. Schließlich müssen wir uns noch über die Bundesflagge und die Bundessymbole schlüssig werden, ferner über die Normativbestimmungen für die Verfassungen der Länder und endlich über die Aufnahme völkerrechtlicher Grundsätze in das Grund-

gesetz.

[Schließung

der

Sitzung, nächster Sitzungstermin]

Anlage die vom Ausschuß in erster Lesung am 13. Oktober Fassung (vgl. Dok. Nr. 16) und als Anlage zwei den „Entwurf Zinn",

') Das Kurzprot. enthielt als 1948 angenommene abgedr. in Anm. 21.

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14.

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Nr. 14

Elfte

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 14.

Z 5/31, Bl.

Kurzprot:

Oktober

149-1891). Stenogr. Wortprot,

1948

undat. und ungez.

Z 12/45, Bl. 90-93. Drucks. Nr. 198

Anwesend2): CDU/CSU: Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Pfeiffer, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Schmid, Wunderlich, Zimmermann FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Suhr (SPD) Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 9.15-12.32 Uhr

[1. GRUNDSÄTZLICHES ÜBER DEN STAATLICHEN AUFBAU (ART. 21), BUNDESGEBIET (ART. 22), BEITRITT ZUR BUNDESREPUBLIK, BZW. AUFNAHME ANDERER LÄNDER, BERLIN (ART. 23), BUNDESFARBEN, NORMATIVBESTIMMUNGEN] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen heute in die Beratung der allgemeinen Fragen eintreten, die im Anschluß an den Grundrechtsteil zu regeln sind. Zunächst soll nach unserem Plan in einem ersten Artikel in allgemeinen Worten die Staatsform umschrieben werden. Ich habe hierzu einen Vorschlag entworfen, den ich zur Erörterung stellen möchte. Er lautet: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat mit parlamentarischer Regierungsform und bundesstaatlichem

Aufbau. Das Volk ist Träger der Staatsgewalt. In Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung wird die einheitliche Staatsgewalt für jeden dieser Bereiche getrennt durch besondere Organe

Ich Dr.

ausgeübt. Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter der Herrschaft des für alle gleichen Gesetzes. stelle diesen Vorschlag zur Diskussion. Schmid: Ich bin völlig damit einverstanden. Nur möchte ich noch hinzuge-

fügt sehen, daß das Gebilde, das wir hier organisieren, daß der provisorische Aufbau, den wir hier gestalten, den der Bundesrepublik Deutschland eigenen strukturellen Grundwirklichkeiten entspricht. Was ich vermeiden möchte, ist, daß wir durch diesen Artikel einen separaten Staat aufrichten, während wir doch nur auf dem Fundament vorhandener Staatlichkeit der Deutschland ein Notdach für ein Teilgebiet errichten.

Bundesrepublik

190—192 (S. 2, 8, der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot.

J) Bl.

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Dr. Heuss: Diese Dinge haben wir in der Präambel zum Ausdruck gebracht. Wenn wir in den einzelnen Formulierungen den weichen Charakter zum Ausdruck bringen, kommen wir allzu sehr ins Weiche hinein. Ich habe das Gefühl, wir sollten uns an den hartgewordenen Begriffen nicht stoßen. Wir haben den provisorischen Charakter mit dem Wort „Übergangszeit" in der Präambel umschrieben. Wir haben einen Integrationseffekt auf das Politische, nicht auf das Statische hin. Wir brauchen nicht bloß etwas Labiles, sondern auch ein stati-

sches Gefüge. Dr. Schmid: Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber in diesem Artikel, der die Integration struktureller Art gibt, sollten wir das noch einmal sagen. Im allgemeinen würde ich davon absehen, etwa zu sagen, der Bundestag sei kein „richtiger" Bundestag. Aber hier, bei dieser Generalklausel, sollte man das Fragmentarische noch einmal wiederholen. Dr. Heuss: Ich kann mir nicht helfen: Ich sehe in der Wiederholung einen gewissen Pleonasmus. Dr. Bergsträsser: Ich stoße mich etwas an den Ausdrücken „Bundesrepublik" und „bundesstaatlicher Aufbau". Sollte man nicht einfach sagen: „Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat?3)" Sollten wir nicht einfach mit Deutschland anfangen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Je mehr ich es mir überlege, desto mehr komme ich zu der Auffassung, daß wir den provisorischen, den Übergangscharakter bereits in der Präambel hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Wir sollten ihn hier nicht erneut festlegen. Dr. Weber: Was Herr Dr. Heuss vorhin gesagt hat, trifft durchaus zu. Wir haben alles, was einschränkenden Charakter hat, schon in der Präambel ausgesprochen und können es nicht bei den verschiedenen Artikeln immer wiederholen. Sonst nimmt das Grundgesetz mehr und mehr ein labiles Gepräge an. Andererseits verstehe ich die Bedenken, die Herr Dr. Schmid geltend gemacht hat, durchaus. Dr. Schmid: Ich bin in Verzug. Eigentlich liegt es an mir, eine Formulierung vorzuschlagen, die trifft, was ich sagen möchte; aber es ist mir noch nicht gelungen. Rein redaktionell hätte ich noch eine Anregung: Sollte man den Begriff „Parlamentarische Regierungsform" nicht definieren, mit deutlichen Worten klarstellen, was ihr Wesen ist? Man könnte etwa so sagen: .dessen Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist". Dr. Heuss: Auch ich stoße mich an dem Begriff „Parlamentarische Regierungsform". Dr. Schmid: Den möchte ich definieren. Dr. Heuss: Parlamentarische Regierangsform ist ein dynamischer, gar kein rechtlicher Begriff. Die Abhängigkeit vom Vertrauensvotum des Parlaments usw. sind Dinge, die erst später hereingekommen sind. Ich frage: Ist es überhaupt notwendig, an dieser Stelle hier darüber etwas zu sagen? Das wird in späteren Artikeln mitgeteilt. In dem Begriff Rechtsstaat kommt die Legitimität klar zum 3) Folgt gestrichen: „Ich stoße mich an der Häufung der Begriffe „Bundesrepublik mit bundesstaatlichem Aufbau."

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Ausdruck, während ich „Parlamentarische Regierungsform" an dieser Stelle nicht nur für entbehrlich halte, sondern darin auch die Bindung an eine bestimmte Entwicklung sehe. Ich würde das einfach weglassen. Dr. Bergsträsser: Ich halte es für unbedingt notwendig, an dieser Stelle den Gegensatz zur sogenannten Volksdemokratie in den Ländern der Ostzone hervorzuheben. In der hessischen Verfassung haben wir auf meinen Antrag hin den

Begriff der Parlamentarischen Regierungsform festgelegt4). Aber das genügt vielleicht noch nicht ganz, und es wäre eine Erläuterung hinzuzufügen. Ich habe mir notiert: Parlamentarische Regierungsform: die Regierung hängt von dem Vertrauen der Mehrheit der frei gewählten Volksvertretung ab. Diese Erläuterung ist von mir nur als Skizze gedacht. Jedenfalls halte ich es für zweckmäßig, den fundamentalen Gegensatz zur sogenannten Volksdemokratie möglichst klar herauszustellen. Dr. Schmid: Wie wäre es, wenn man den ersten Absatz überhaupt wegließe und einfach anfinge: „das Volk ist Träger der Staatsgewalt"? Dann müßte nur noch das „soziale" Element hereingebracht werden. In der Wendung, daß das Volk Träger der Staatsgewalt ist, ist das Wesen des Demokratischen bereits aus-

gesprochen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Irgendwelche allgemeine Ausführungen über den Staatscharakter des Bundes scheinen mir aber doch notwendig zu sein. Dr. Pfeiffer: Das erste Wort, das auch in der Präambel aufklingt, nämlich die „Bundesrepublik Deutschland", müßte akzentuiert auch hier am Anfang stehen. Die Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist, halte ich für keineswegs entbehrlich. In Übereinstimmung mit Herrn Dr. Bergsträsser bin auch ich dafür, zur Abhebung von einer scheußlichen Vergangenheit und von gewissen pseudodemokratischen Praktiken in der Ostzone die Parlamentarische Regierungsform ausdrücklich zu erwähnen.

Dr. Bergsträsser: Wenn Sie mit der Bundesrepublik Deutschland anfangen, dann müssen Sie den bundesstaatlichen Aufbau weglassen. Daher meine ich, wir sollten einfach kurz und lapidar sagen: Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat mit parlamentarischer Regierungsform und bundesstaatlichem Aufbau. Dr. Weber: Der Rechtsstaat muß im Vordergrund stehen; das Volk würde ich nachher bringen. Dr. Schmid: Wie wäre es mit folgender Formulierung: „Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik bundesstaatlichen Aufbaus, deren Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist"? Diese Fassung enthält alle Wesensmerkmale: Republik, demokratisch, sozial, bundesstaatlich, parlamentarisch. Dr. Heuss: In dieser Form bin ich mit dem Ersatz von „parlamentarisch" einverstanden, aber der Genitiv „bundesstaatlichen Aufbaus" scheint mir nicht glücklich zu sein. Ich würde sagen „mit bundesstaatlichem Aufbau".

4) Art. 65 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. sche und 290

parlamentarische Republik".

1946:

„Hessen ist eine demokrati-

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Dr. Schmid: Ich verstehe nicht die Kritik an den Genitiven. Ist es nicht schön, sagen: „ein Mann großer Kraft" oder „eine Frau großer Schönheit"? Man sollte doch den Reichtum unserer deutschen Sprache nicht mit Gewalt an seiner Entfaltung hindern. Der Genitiv hat etwas durchaus Aristokratisches5) an sich. Man sollte ihm gelegentlich ein Denkmal setzen. Der Genitiv garantiert die Personalität der Beziehungen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Sollen wir sagen „Aufbaus" oder „Aufbaues"? zu

(Zuruf: „Aufbaus"!) Dr. Schmid: Sollen wir nicht sagen: Das Volk ist Träger aller Gewalt? Ich will damit ausdrücken, [was] die scholastische Staatslehre unter suprema potestas oder unter plenitudo potestatis versteht und was für ein staatliches Gebilde charakteristisch ist. Dr. Weber: Ich bin etwas mißtrauisch gegen die Allgewalt. Wir haben in den vergangenen Jahren gespürt, was es heißt, wenn „alle Gewalt" in gewissen Händen vereinigt ist. Dr. Schmid: Wir machen hier doch keinen Duden-Katalog. Es soll damit ausgesprochen werden, daß das ganze Leben des Staates von dem Fundamentalsatz durchdrungen ist, daß das Volk Träger aller Gewalt ist. Mancher, der den Teufel austreiben will und die Totalität der Staatsgewalt verdammt, setzt an deren Stelle die Totalität eines anderen Apparats, die ebenso gefährlich ist. Das ist eine

gefährliche Sache.

Dr. Weber: Ich will auch keine andere Allgewalt. Dr. Heuss: Ich finde das Wort „Gewalt" isoliert an dieser Stelle nicht gut. Dr. Schmid: Die Regel ist: Alle Gewalt geht vom Volke aus. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Auch ich habe gewisse Bedenken gegen eine solche Formulierung. Faktisch liegt nicht alle Gewalt beim Volke. Es gibt noch etwas, was darüber steht. Dr. Schmid: Wir machen hier doch keinen theologischen Katalog auf. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich meine, wir sollten es unterlassen, Empfindlichkeiten religiöser oder weltanschaulicher Natur zu treffen. Dr. Schmid: Nehmen wir die alte Definition der Macht des Schiffskapitäns: Le capitaine est seul maître à bord, après Dieu. Dr. Heuss: Wir denken hier aber an öffentliche Gewalt. Dr. Schmid: Um den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, könnten wir auch sagen: „Das Volk ist Träger der Hoheitsgewalt". Wunderlich: Warum kehren wir nicht zu dem klaren Satz der Weimarer Verfassung zurück? Es war einer der wenigen Sätze, die sich dem Gedächtnis einge-

prägt haben6).

Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Gerade hier hat es aber Schwierigkeiten gegeben. Dr. Schmid: Sagen wir doch: „Das Volk ist Träger der Hoheitsgewalt". Dr. Heuss: Die „Hoheitsträger" sind uns noch so im Gefühl und in keiner recht angenehmen Erinnerung. Der Begriff ist identisch oder wenigstens in der Wir-

5) Korrigiert aus „Demokratisches". 6) Art. 1 WRV: „Das Deutsche Reich aus."

ist eine

Republik.

Die

Staatsgewalt geht

vom

Volke

291

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verwandt mit Polizei. Übrigens kommt „Hoheitsgewalt" schon in der Präambel vor. Dr. Schmid: Wir müssen gewisse Konsequenzen aus dem, was wir schon beschlossen haben, ziehen. Wir können uns doch nicht dauernd in der Terminolo-

kung

gie widersprechen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist kein Widerspruch. Ich würde sagen, hier wird ein Teil der Staatsgewalt ausgeübt. Dr. Schmid: Sagen wir einfach: „Das Volk ist Träger der staatlichen Gewalt". Ich ziehe meinen Vorschlag zurück. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen also: „Das Volk ist Träger der staatlichen Gewalt". Wir kommen zu Abs. 2. Dr. Schmid: Dazu würde ich folgende Formulierung vorschlagen: „Diese einheitliche Gewalt wird in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung für jeden

dieser Bereiche durch besondere Organe ausgeübt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe die Fassung „diese einheitliche Gewalt" vorgeschlagen, um der Theorie zu widersprechen, als ob, wie unter dem Nationalsozialismus behauptet worden ist, durch die Gewaltenteilungslehre eine Aufteilung der Staatsgewalt erfolge. Das ist gar nicht wahr. Dr. Bergsträsser: Ich würde „diese einheitliche Gewalt" an den Anfang stellen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die letzte Lösung ist das, was wir jetzt haben, noch nicht; aber das läßt sich in Ordnung bringen. Dr. Schmid: Ich hätte hierzu noch einen Gedanken, der mir teuer ist: Man sollte aussprechen, daß die Gesetzgebung nicht schlechthin alles zu „Recht" machen kann. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht schon in den Grundrechten; da haben wir das ausdrücklich festgelegt. Aber es ist vielleicht gut, wenn man es hier wiederholt. Dr. Bergsträsser: Auch mir erscheint es fraglich, ob wir diesen Passus an dieser Stelle überhaupt brauchen. Er ist eine bloße Wiederholung dessen, was an früherer Stelle gesagt wurde. Dr. Schmid: Es ist schon ganz gut, daß es auch hier klar dasteht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Wesen des Rechtsstaates besteht in der Herrschaft des Gesetzes, und zwar sowohl des geschriebenen Gesetzes wie des Gewohnheitsrechts. Dr. Schmid: In den klassischen Grundrechtsdeklarationen steht noch etwas weiteres drin: daß man von Gesetzes wegen nicht alles machen kann. Auch die Gesetzgebung ist dem Satz unterworfen, daß die staatliche Gewalt vom Volk

ausgeht.

Dr. Heuss: Es heißt doch: „Das Volk ist Träger der staatlichen Gewalt." Dr. Schmid: Wie wäre es, wenn wir noch den Gedanken zum Ausdruck bräch-

ten, daß das Volk als Träger der staatlichen Gewalt nicht selbst, sondern durch besondere Organe tätig wird, da das Volk in seiner Realität nicht auftreten kann? Das Volk handelt durch Organe. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnte man vielleicht in einem Relativsatz ausdrükken. 292

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Dr. Bergsträsser: Man könnte auch sagen: „im Auftrag des Volkes". Dr. Schmid: Das Volk handelt durch die im Grundgesetz besümmten Organe. (Man kann diese Feststellung natürlich weglassen, wenn wir in diesem Artikel nicht eine Definition dessen geben wollen, was den Funktionalismus des Gebildes ausmacht7).) Dies zu sagen erscheint mir nicht ein superfluum, sondern eine Bereicherung zu sein. Wir sollten zum Ausdruck bringen, daß das Volk nicht nach Art einer Landsgemeinde handelt, sondern sich in Organen „vergegenwärtigt". Diese Organe stellen die Konzentration der Volksgewalt in ihrer Aktivitätsform dar. Sie sind die Volksgewalt in der Exekutive. Die Rechtsprechung spricht „im Namen des Volkes". Also handelt die Volksgewalt auch in der Rechtsprechung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In diesen Organen wird das Volk handelnd tätig. Man darf aber nicht sagen, nur in diesen Organen; dann wäre die Volksabstimmung

ausgeschlossen.

Dr. Schmid: Wir wollen kein Monopol für die repräsentative Demokratie. Dr. Bergsträsser: Man kann sagen: Die einheitliche Gewalt wird im Namen des

Volkes

ausgeübt.

Dr. Pfeiffer: Das Volk ist Träger der Staatsgewalt. Das Volk übt diese einheitliche Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung durch gesonderte Organe aus. Ich möchte also keine Passiv-Konstruktion, sondern das Subjekt, das Volk in den Vordergrund stellen. Ich würde die Worte „Das Volk" lieber wiederholen, als mit „Es" fortfahren. Dr. Heuss: Ich habe Bedenken, die ich immer noch nicht ganz los werde. Ich fürchte, wir legitimieren durch eine solche Fassung Einrichtungen wie die be-

rüchtigten Volksgerichte.

Dr. Schmid: Seit Weimar sprechen unsere Gerichte „im Namen des Volkes" Recht. Dr. Heuss: Ich habe Sorge, eine solche Formel hinzustellen. Die Bildung der Organe durch das Volk und im Namen des Volkes bezieht sich auf die Gesetzgebung, Rechtsprechung, aber auch auf die Exekutive, wie etwa Bürgermeister-

wahlen, Landratswahlen,

usw.

„Gewalten" dem Volke nicht polar oder gar sondern Ausfluß der Volkssouveränität sind, gegenüberstehen, sei es mittelbar, wenn z. B. der Bürger den Wahlzettel in die Urne wirft, sei es unmittelbar, wenn eine durch das Parlament gewählte Regierung tätig wird oder wenn ein Gericht Recht spricht. Alles das geht zurück auf die originäre Volksgewalt. Ein Gericht spricht nicht Recht aus dem Privileg der Richter heraus, wie etwa die Parlamentsrichter in der französischen Monarchie aus ihrem persönlichen Privileg heraus Recht gesprochen haben, sondern kraft der Legitimation durch das Volk. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich möchte nur betonen, daß durch diese Fassung nicht ausgeschlossen werden darf, daß die Beamten entweder vom Staatsoberhaupt oder vom zuständigen Ressortminister ernannt werden. Nach Ihren Ausführungen wären alle Beamten wählbar. Dr. Schmid: Gemeint ist, daß die

kontradiktorisch

') Der Satz wurde

vom

Redner

nachträglich

in Klammern

gesetzt. 293

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Dr. Heuss: Ich habe

nur Angst gegen eine so weite Fassung. Man kann im Nades Volkes viel tun, was gegen das Volk gerichtet ist. Dr. Schmid: Es handelt sich darum, einen Schritt zu tun, der noch nicht voll getan ist. In der belgischen Verfassung lautet die Formel: Par la grâce de Dieu et le volonté du peuple roi de Belges8). Es gibt keine Gewalt, die nicht Ausfluß des Volkes wäre, die per se stände, sei sie nun aus irgendeinem Privileg heraus oder weil sie Ausdruck einer anderen nicht aus der Volkssouveränität fließenden Macht ist. Dr. Heuss: Ich habe die Besorgnis, daß bei der speziellen Ausführung dieser Grundsätze Mißbrauch getrieben werden könnte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man muß davon ausgehen, daß das Volk die staatliche Gewalt ausübt. Die Fassung, wie sie hier steht, bezieht sich darauf, daß die drei verschiedenen Gewalten namens des Volkes ausgeübt werden. Über die Stellung der Organe wird darin nichts gesagt. Dr. Pfeiffer: Das Volk übt die einheitliche Gewalt in der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung durch besondere Organe aus. Man kann Bezug nehmen darauf, daß die Art und Weise, wie dies geschieht, im einzelnen in der Verfassung festgelegt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hätten also jetzt die Formulierung: „Das Volk übt diese einheitliche Gewalt für jeden dieser Bereiche getrennt durch besondere

men

Organe

aus.

Dr. Schmid: Die Exekutive umfaßt was gemeint ist. Es handelt sich

Regierung und Verwaltung. um

das,

was man

Wir wissen aber, die vollziehende Gewalt

nennt.

Dr. Suhr: Es wäre zu überlegen, ob wir nicht „nach Maßgabe des Grundgesetzes" einfügen sollten. Damit wären erstens die Bedenken des Herrn Dr. Heuss beseitigt, zweitens wäre auch dem Gedanken des Herrn Dr. Schmid Rechnung

getragen, daß auch die Gesetzgebung nicht völlig frei, sonder dem Grundgesetz unterworfen ist. Dr. Pfeiffer: Die Feststellung, daß das Volk diese einheitliche Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, für jeden dieser Bereiche getrennt, nach Maßgabe dieses Grundgesetzes durch besondere Organe ausübt, halte ich für wichtig. Dr. Schmid: Damit ist gleichzeitig die Selbstbeschränkung der Volksmacht9) aus-

gesprochen.

Hinweis auf das Grundgesetz ist schon der eindämmende Zaun Selbstbeschränkung. Es wird auf den Weg der gesetzlichen Norm verwiesen, und damit ist die Willkür, die wir vermeiden wollen, abgebremst. Dr.

Pfeiffer: Der

um

die

8) Titel III. Art.

25 der belgischen Verfassung vom 25. Febr. 1831 lautete: „Jede Macht geht Volke aus. Jede Macht wird in der durch die Verfassung festgestellten Weise ausgeübt." Der Satz: „Par la grâce de Dieu et la volonté du peuple Roi des Belges" kommt in der Verfassung von 1830 nicht vor; die Bezugnahme auf Gottes Gnade wurde vielmehr bewußt unterlassen. Vgl. André Mast: Overzicht van het Belgisch Grondwettelijk Recht. Gent-Leuven 1972, S. 26. vom



9) Korrigiert 294

aus

„Willkür".

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist die Frage, ob wir den letzten Absatz noch brauchen. An sich halte ich ihn für recht gut. Dr. Schmid: Ich halte ihn für sehr gut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube auch, daß man ihn stehen lassen sollte. Es handelt sich um die Fixierung eines grundlegenden Prinzips: Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter der Herrschaft des für alle gleichen Gesetzes. Dr. Heuss: Ist das Wort „Herrschaft" nicht zu scharf? Dr. Schmid: Man kann dieses Wort vermeiden, indem man sagt: „Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem für alle gleichen Gesetz". Noch kürzer wäre die Fassung: „Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem Gesetz". Daß das Gesetz für alle gleich sein muß, steht bereits unter den Grundrechten. Ich finde diese Fassung sehr schön, genau und kurz. Sie ist auch sprachlich

gut. Wäre es sprachlich nicht besser, zu sagen: „Rechtsprechung unterstehen dem Gesetz"? Dr. Schmid: Nein! Wir sagen einfach: „Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem Gesetz". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit dieser Formulierung sind wir alle Einwände der Verwaltungsrechtler los, die sagen, es gebe auch Verwaltungsakte, die nicht in die Freiheit eingreifen. Wenn es heißt .stehen unter dem Gesetz", ist alles Dr.

Bergsträsser:

und

Verwaltung

klargestellt.

Dr. Schmid: Das ist die merkwürdig schiefe Selbstverteidigung der Bürokraten, die so tun, als ob wir behaupteten, man könne nur handeln auf Grund eines Gesetzes, das lauter konkrete Befehle gibt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das stand leider im Herrenchiemseer Entwurf drin10). Die Gleichheit vor dem Gesetz ist bereits durch Art. 19 festgelegt. Dadurch sind alle Bedenken, die vielleicht von verwaltungsrechtlicher Seite eingewendet werden könnten, aus dem Weg geräumt. Damit ist Art. 21 klar. Wir kommen zu Art. 22. Hierzu möchte ich vorschlagen, das Wort „Bundesrepublik" wegzulassen, sondern einfach zu sagen: „Das Gebiet des Bundes besteht vorläufig aus den Ge.". Die Überschrift lautet schon: Grundgesetz für bieten der Länder Baden, die Bundesrepublik Deutschland. Dr. Schmid: Sollten wir nicht besser sagen: „Das Grundgesetz findet AnwenDann brauchen wir das Wort „vorläufig" nicht. dung auf Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sollten sagen: „Dieses Grundgesetz gilt für das Gebiet der Länder ."; nicht „für die Gebiete". Dr. Suhr: Nun werden die Länder aufgezählt. Wie steht es da mit Berlin? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist klar, daß das nicht für Berlin gelten kann. Dr. Suhr: Nein; das kann nicht ohne weiteres für Berlin gelten. Dafür müßte ein besonderer Artikel geschaffen werden. .

.

10) ChE,

Art. 29,

.

.

vgl.

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 584.

295

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, das ist auch die Auffassung des Ausschusses. Wir kommen nun zu der Bestimmung über die Aufnahme der anderen deutschen

Länder. Danach können die anderen deutschen Länder jeder Teil von ihnen und in den Bund aufgenommen werden, wenn die Bevölkerung das kraft ihres Selbstbestimmungsrechtes verlangt. Eine solche Bestimmung ist in den Herrenchiemseer Entwurf nicht aufgenommen. Wir müssen uns die Möglichkeit, die Grenze über die Oder hinaus zu verlegen, offenhalten. Dr. Schmid: Die Formulierung muß so gefaßt sein, daß sie als Aufforderung zum Anschluß wirkt. Ich würde es vorziehen, nicht zu sagen: „Jedes andere deutsche Gebiet", sondern „jeder andere Teil Deutschlands". Was heißt „deutsches Gebiet"? Die Schweiz ist auch sprachdeutsches Gebiet. Dr. Pfeiffer: Wenn einmal der Friedensvertrag abgeschlossen sein wird und einige Zeit nach dem Abschluß des Friedensvertrags werden wir vor der Situation stehen, daß wir eine neue Verfassung machen. Wir müssen aber damit rechnen, daß das Grundgesetz eine stattliche Reihe von Jahren gelten wird, bis es durch eine endgültige Verfassung abgelöst werden wird. Was kann innerhalb dieser Zeit in Betracht kommen? Ich fürchte, praktisch nicht viel. Entweder die deutsche Grenze wird nach Osten weiter hinausgeschoben und Deutschland bekommt altes deutsches Gebiet zurück. Denkbar ist aber auch, daß innerhalb einer Art europäischer Union das Recht auf Volksabstimmung geschaffen wird, so daß Teile, die durch Friedensvertrag Polen oder der Tschechoslowakei zugesprochen wurden, zu uns zurückkommen. Dr. Schmid: Die Probleme sind so einfach nicht zu lösen. So ist z. B. die Saarfrage noch keineswegs gelöst. Schon heute ist in der Bevölkerung ein deutlicher Umschwung festzustellen. Noch gestern betrug im Vorstand der S. P. der Saar das Verhältnis derer, die für den Verbleib bei Deutschland waren, 1:9;

jedes andere Gebiet

jetzt beträgt

es

5:5").

Mangoldt]: Wir müßten also sagen: „Jeder andere Teil Deutschlands". Dr. Schmid: Statt „aufgenommen werden" würde ich sagen „kann beitreten". Dr. Pfeiffer: Der Grundgedanke ist: Wer dem Bunde beitritt, muß selbstverständlich das Grundgesetz anerkennen. Dr. Schmid: Der Vorgang besteht im Beitritt. Da ist ein Teil Deutschlands, der beitreten will; da ist das Deutschland, dem man beitreten will, und da ist schließlich drittens die Eingliederung in den Bund, die durch Bundesgesetz erVors. [Dr.

v.

folgt.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es gibt zwei Möglichkeiten des Beitritts: Es kann ein Teil eines deutschen Landes mit einem anderen deutschen Land zusammengeschlossen werden, oder aber der Beitritt kann als selbständiges Land geschehen. Ist das der Fall, dann muß das Land den Bestimmungen des Art. 2512) ent-

sprechen. Dr. Pfeiffer:

In dem

Augenblick,

in dem der Beitritt

setz.

») Zur Saarfrage vgl. Dok. Nr. 17, Anm. 19. 12) Vgl. den Wortlaut in TOP 4. 296

erfolgt, gilt

das

Grundge-

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Bestimmung so fassen, daß das Grundgesetz über das Gebiet der aufgezählten Länder hinaus auch für das erweiterte Gebiet besteht, das durch den Beitritt anderer Teile Deutschlands entsteht. Dr. Schmid: Sagen wir doch einfach: Jeder andere Teil Deutschlands kann beitreten. Seine Eingliederung wird durch Bundesgesetz vollzogen. Dann ist alles drin. Das Grundgesetz gilt dann für das ganze Gebiet. Wir wollen nicht näher bestimmen, welche Voraussetzungen für die Erklärung des Beitritts erfüllt werden müssen. Wir wollen den Beitritt so wenig wie möglich erschweren und so offen wie möglich gestalten. .kann dem Bunde beitreten." Dr. Pfeiffer: Wir wollen sagen: Dr. Schmid: Die Bundesrepublik besteht. An sich gehören schon alle dazu. Deswegen sagen wir: .kann beitreten", nämlich dem Anwendungsbereich und dem Inhalt des Grundgesetzes. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann aber einem Anwendungsbereich nicht beitreten. Man kann auch nicht einem Grundgesetz beitreten. Wohl aber kann man dem Bunde beitreten. Wunderlich: Kann ein Teil für sich allein dem Bund beitreten? Dr. Pfeiffer: Vielleicht löst sich die Verkrampfung bezgl. Berlins doch einmal und es kommt zu einer Grenzziehung mit der Sowjetzone. Dann liegt die Möglichkeit einer Verständigung vor, etwa dergestalt, daß ein Teil des bisher sowjetisch besetzten Gebiets nicht mehr sowjetisch besetzt ist, sonder jeder die Möglichkeit hat, dem Bunde beizutreten. Deswegen muß man auch Teilen solcher Gebiete den Beitritt offenlassen. Wunderlich: Es besteht aber die Möglichkeit des Beitritts durch den Anschluß an ein bestehendes Land. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Frage ist noch, ob man hier von dem Willen der Bevölkerung kraft seines Selbstbestimmungsrechts sprechen soll. Dr. Schmid: Wir wollen gar nichts derartiges hereinnehmen. Keine Erschwerungen! Jeder Wille, der sich durchzusetzen vermag, soll uns willkommen sein. Als neues Land kann ein Gebiet nur beitreten, wenn die Voraussetzungen des Art. 25 erfüllt sind. Dr. Heuss: Vielleicht muß der, der zu uns kommt, sich einer Prüfung unterziehen, ob er nicht der SED angehört. Dr. Schmid: Wir brauchen das gar nicht. Wir haben die Normativbestimmungen, und das betreffende Land hat sich diesen Bestimmungen anzupassen. Dr. Pfeiffer: Wir sagen „kann dem Bunde beitreten". Wie der einzelne Teil an die Pforte unseres Bundes herankommt, geht uns nichts an, das ist seine Sache. In dem Augenblick, wo er das Tor zum Bunde durchschreitet und seinen Beitritt erklärt, gilt für ihn das Grundgesetz des Bundes. Da brauchen wir nur sehr wenige nähere Bestimmungen hineinzuschreiben. Wir brauchen nur die Formel zu nehmen: „Jeder andere Teil Deutschlands kann dem Bunde beitreten." Dr. Schmid: Ich bin immer noch dafür, „dem Bunde" wegzulassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nach der Präambel wird die Bundesrepublik Deutschland vollendet durch die Aufnahme weiterer Bundesglieder. Dr. Schmid: Ich habe mich bemüht, einen Begriff zu finden, der dem völkerrechtlichen Begriff des „Territoriums" enspricht, wie etwa beim „Gebiet" von Dr. Suhr: Man kann die

„.

.

297

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Triest oder dem alten ..Territoire de la Sarre". Man will mit diesen Bezeichnungen zum Ausdruck bringen, daß es sich um staatlich organisierte Gebiete, aber nicht um Staatsgebiete handelt13). Dr. Suhr: Man muß den zweiten Absatz zusammen mit dem ersten lesen. Erst dann wird es klar, was gemeint ist. Könnte man nicht sagen: „Diesem Gebiet kann sich jeder andere Teil Deutschlands angliedern"? Dr. Pfeiffer: Wir müssen uns über den Begriff „Glied" klar werden. Glied ist der einzelne Teil im Gegensatz zur Gesamtheit. Man kann sich abgliedern, man kann sich anschließen, aber man kann sich nicht angliedern. Dr. Bergsträsser: Wieso nicht? Ich finde nichts darin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann sich nicht an ein Gebiet angliedern. Gebiet ist etwas Totes. Dr. Schmid: Gebiet ist nicht bloß ein Stück Land, sondern etwas Organisiertes.

Dr. Heuss: Vielleicht sagt man statt „angliedern" „eingliedern". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Grundgesetz gilt für das Gebiet der Länder; das steht fest. Daraus ergibt sich, daß der Bund ein Bund der Länder ist. Dr. Schmid: Der Begriff „Bundesrepublik Deutschland" reicht viel weiter als das Anwendungsgebiet des Grundgesetzes. Die Bundesrepublik Deutschland reicht von Königsberg bis Lörrach. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im Völkerrecht verwendet man für den Beitritt den Begriff der Adhäsion. Man tritt nicht einem Gebiet bei, sondern man gesellt sich einem körperschaftlichen Verband zu. Dr. Schmid: Ich behaupte nur: Die Bundesrepublik Deutschland reicht weiter als der heutige Bestand. Man tritt ihr nicht bei, sondern man gehört ihr an. Dr. Suhr: Rein sachlich entspräche es dem Gedankengang Dr. Schmids, wenn man sagen würde: „Jeder andere Teil Deutschlands kann auf seinen Wunsch in den Geltungsbereich des Bundes aufgenommen werden." Dr. Pfeiffer: Geltungsbereich ist etwas Passives. Beitritt ist ein aktiver Begriff. Wenn Herr Dr. Schmid vorhin meinte, der Bund sei in Wirklichkeit größer als der Geltungsbereich, so klingt diese Formulierung schon stark nach „Wir marschieren im Geist mit!" Dr. Bergsträsser: Das treffendste Wort wäre: „Anschließen"; aber das können wir aus bestimmten Gründen nicht verwenden. Dr. Schmid: Wir können das Wort „anschließen" nicht deshalb aus der Sprache verbannen, weil es einmal mißbraucht worden ist. Dr. Heuss: Das würde ein Verbot geben. Dr. Pfeiffer: Wir sollten die Fassung lassen, wie sie ist. Dr. Heuss: Meine philologische Gewissenhaftigkeit hat mir das Wort „eingliedern" eingegeben. Eingliedern faßt das Institutionelle mit dem Geographischen zusammen.

Pfeiffer: Organismus Dr.

Von

„eingliedern" kann man sprechen, eingeordnet wird.

etwas Neues

13) Folgt gestrichen: „Diese Qualifikation muß wie sie das

298

Grundgesetz

ist."

man

wenn

in einem

gegliederten

auch in einer Rechtsurkunde

festlegen,

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Dr. Bergsträsser: Die Eingliederung ist ein Akt dessen, der einen anderen aufnimmt. Dr. Schmid: Ich würde sagen: „Jeder andere Teil Deutschlands kann dem Bunde beitreten. Seine Eingliederung wird durch Bundesgesetz vollzogen." Damit haben wir klargestellt, daß der eingegliederte Teil dem Bundesrecht unterstehen soll. Dr. Suhr: Die Bestimmung über Berlin sollten wir hier fortlassen. Hier wird das grundsätzliche Recht ausgesprochen, während bei den Organen die Art und Weise der Durchführung des Anschlußrechtes festgelegt wird. Dr. Schmid: Ich meine doch, wir sollten die Sonderstellung Berlins im Verhältnis zu den anderen deutschen Gebietsteilen zum Ausdruck bringen. Das wäre zweckmäßig und gut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen: Dieses Grundgesetz gilt für das Gebiet der Länder. Für Berlin kann es nicht gelten. Dr. Schmid: Es handelt sich hier nicht um eine Passivbeteiligung, sondern um eine Aktivbeteiligung Berlins. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zunächst wird hier nichts weiter bestimmt als der Geltungsbereich des Grundgesetzes. Für Berlin gilt es nicht. Daher gehört Berlin hier überhaupt nicht herein. Andere Teile Deutschlands können sich in diesen Geltungsbereich eingliedern, wenn sie den Beitritt in entsprechender Weise

vollziehen. Dr. Schmid: Wir können den Sonderfall Berlin natürlich nicht in ein komplett durchlogisiertes System einpassen. Berlin hat eben „nach unserem Willen" die und die Aktivstellung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen den Gesamtrahmen des Artikels berücksichtigen. Dieser Artikel erfaßt nur den Geltungsbereich des Bundesgebietes. Dr. Suhr: Wir müßten über Berlin einen neuen Artikel vorsehen. Dr. Schmid: Groß-Berlin hat das Recht, Vertreter zu entsenden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte sagen: „Groß-Berlin wirkt in den gesetzgebenden Körperschaften mit." Das würde die Sache noch deutlicher machen. Dr. Heuss: Gemeint ist: Groß-Berlin hat durch seine Vertreter Anteil an der

Willensbildung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also würden Berlin wirken an der Willensbildung

wir vielleicht sagen: „Vertreter in den nach dem Grundgesetz

von

Groß-

gebildeten

Organen des Bundes mit." Dr. Schmid: „Vertreter von Groß-Berlin wirken in den gesetzgebenden Körperschaften mit." Dr. Suhr: „Groß-Berlin wird das Recht eingeräumt, durch seine Vertreter an der Willensbildung in den Organen des Bundes mitzuwirken." Dr. Pfeiffer: Ich muß hier eine Frage aufwerf en: Sollen die Vertreter Groß-Berlins auch mit beschließender Stimme teilnehmen? Dr. Schmid: Das sagen wir hier nicht14). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Groß-Berlin hat das Recht, in den Bundestag und Bundesrat eine entsprechende Zahl von Abgeordneten zu entsenden. 14) Folgt gestrichen: „Das können Bundestag und Bundesrat beschließen." 299

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Dr. Suhr: Es ist so formuliert, daß die Vertreter von Groß-Berlin Beschlußrecht haben. Das Protokoll enthält aber eine Anmerkung, daß gegen diese Formulierung Bedenken erhoben wurden. Dr. Schmid: Sagen wir doch einfach: „Vertreter Groß-Berlins wirken in den gesetzgebenden Körperschaften mit"! Damit ist die Art und Weise der Mitwirkung nicht näher umschrieben, sondern offen gelassen. Dr. Pfeiffer: Das würde mit der Präambel übereinstimmen, wo von der Mitwirkung von Vertretern Groß-Berlins die Rede ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen also: „Vertreter Groß-Berlins wirken in den Das ist so beschlossen. gesetzgebenden Körperschaften mit." —

[2. NEUGLIEDERUNG DER LÄNDER (ART. 24)]

Wir kommen

zu Art. 24, der die Neugliederung betrifft. Ihn wollten wir zurückstellen. Dr. Schmid: Wir hatten bei unseren Beratungen auf Herrenchiemsee eine besondere Freude an dem Beschluß erster Lesung des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung. Darüber müßten wir einmal grundsätzlich reden15). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müßten zur Förderung dieser Frage einen Redaktionsausschuß einsetzen, um festzustellen, was wir in diesen Artikel hineinsetzen wollen. Vor der Presse habe ich diesen Punkt herausgehoben; ich habe nur Wir stellen also einzelne gefährliche Punkte nicht so ausführlich behandelt. Art. 24 zunächst zurück. —

[3. BUNDESFARBEN Art. 25 betrifft die Bundesfarben. Diese

(SPÄTER

ART. 27)]

endgültig zu bestimmen wird eine Aufder zukünftigen Nationalversammlung sein. Dr. Schmid: Wir haben auf Herrenchiemsee den gordischen Knoten durchhauen16). Wir deklarieren, daß die Farben, die geführt werden, die der deutschen Republik sind, wobei wir davon ausgehen, daß diese Farben der deutschen Republik nicht schlechthin jene der Verfassung von Weimar sind, sondern die Farben der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Dr. Suhr: Bei den Beratungen auf Herrenchiemsee wünschten besonders die Vertreter von Bremen und Hamburg eine Festlegung der Farben in irgendeiner Form. Sie wiesen auf die großen Schwierigkeiten namentlich im Seeverkehr hin, die von dem Mangel an Haggen herrühren. Sie berichteten, daß man Phantasieflaggen führen müsse. Die Konsulate, die in absehbarer Zeit wieder eingesetzt würden, brauchten unbedingt eine Hagge. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aus allen diesen Gründen sollten wir uns darauf beschränken, zu bestimmen, daß bis zur endgültigen Entscheidung die Farben der Weimarer Republik gelten. gabe

15) Vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 16) Vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 300

202. 583.

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Bergsträsser: Bezüglich der Weimarer Farben war die Situation unklar und Herr Stresemann17) hatte die schwarz-weiß-rote Gösch auch für konsularische Vertretungen in Häfen und Binnenhäfen eingeführt18). Ich halte die Dr.

verworren.

Übernahme einer solchen Regelung für unmöglich. Auch die Herrenchiemseer Formulierung halte ich nicht für gut. Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

Wir müssen

fühlen, die Farben des Bundes hierfür für

gabe

uns

entscheiden, ob

wir

festzulegen, oder unzuständig erklären und sagen, die Entscheidung unmittelbar gewählten Volksvertretung.

einer Dr. Heuss: Ich

fürchte,

von uns aus

wir können die

Frage nicht bis

zur

uns

berechtigt

aber ob wir uns darüber sei Auf-

kommenden Natio-

nalversammlung vertagen. Das würde eine Prämie auf die Erfindung neuer Flaggen und Streifen darstellen. Wir sind uns darüber klar, daß von der Flagge eine Symbolwirkung ausgeht und ausgehen soll. Dies gilt auch für die Flagge des Staatsfragments. Es würde auf die Deutschen ungünstig wirken, wenn wir die Entscheidung über die Farben erst einer kommenden Nationalversammlung überlassen würden. Wir kennen das Experiment der Nazis, die die Farben schwarz-weiß-rot in einer irreführenden Weise verwendet und versaut haben. Die Hakenkreuzfahne war eine introvertierte schwarz-weiß-rote Fahne. Ich denke, für uns kommt nur schwarz-rot-gold in Frage. Dr. Weber: Ich bin mit Herrn Dr. von Mangoldt der Meinung, daß wir die Entscheidung über die Symbole der kommenden ordnungsgemäß gewählten Volksvertretung überlassen sollten. Als Farben kommen nur schwarz-rot-gold in Frage, die Farben der deutschen Republik. Auch uns stört die Gösch der Weimarer Flagge. Jedenfalls sollte die endgültige Entscheidung über die Flaggenfrage einer gewählten Volksvertretung vorbehalten bleiben. Dr. Pfeiffer: Auch ich bin der Meinung, daß die endgültigen Farben von der deutschen Volksvertretung bestimmt werden müssen. Diese Volksvertretung wird frühestens im Januar 1949 gewählt werden können. Bis dahin wird weder ein Parlament noch eine Bundesregierung vorhanden sein. Ich halte es aber für schätzenswert, daß der Parlamentarische Rat seinen Willen zur Farbenfrage bekundet, indem er bestimmt: Der Bund führt bis zur endgültigen Entscheidung durch die in einigen Monaten zusammentretende Volkskammer die Farben schwarz-rot-gold. Auch ich bin gegen die Wiedereinführung der Gösch, die ich auf keinen Fall beibehalten sehen möchte. Wir brauchen Symbole des Bundes, und brauchen sie bald.

17) Gustav Stresemann (1878—1929), Reichskanzler und Außenminister. 1B) Der „Flaggenstreit" brach im Jahre 1926 aus, nachdem Hindenburg zum Reichspräsiden-

gewählt worden war. Er erließ am 5. Mai 1926 eine Zweite Verordnung über die deutschen Flaggen, deren zweiter Absatz bestimmte: „Die gesandtschaftlichen und konsularischen Behörden des Reichs an außereuropäischen Plätzen und an solchen europäischen Plätzen, die von Seehandelsschiffen angelaufen werden, führen außerdem die Handelsflagge" (RGBl. S. 217). Dies wurde insbes. von der SPD als ein Verrat an den republikanischen Farben Schwarz-Rot-Gold angesehen und führte zu heftigen Auseinandersetzungen im Reichstag. Vgl. Hans Hattenhauer: Deutsche Nationalsymbole. München 1984, S. 28—30. Ferner die Edition Akten der Reichskanzlei, Kabinette Luther I und II, bearb. von Karl-Heinz Minuth. Boppard 1977, passim. Ausführlich, mit Abbildungen auch Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 48 ff. ten

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Dr. Suhr: Bei aller Anerkennung des Gefühlswertes der Symbole erscheint es mir doch bedenklich, dieser Frage eine so überragende Bedeutung beizumessen. Wir hier werden die Entscheidung nicht treffen können; sie muß dem kommenden deutschen Parlament vorbehalten bleiben. Aber es ist auch nicht ungefährlich, wenn gerade das Parlament sogleich mit dem Flaggenstreit belastet wird, den wir geradezu heraufbeschwören, wenn wir die Entscheidung einfach dem Bundesparlament überlassen. Man sollte zumindest eine andere Formulie-

finden, die nicht so ausdrücklich darauf hinweist, daß der Flaggenstreit schon bei der ersten Wahl zu einem deutschen Parlament angefacht wird. Dr. Bergsträsser: Wenn wir uns schon für die Farben schwarz-rot-gold entscheiden, warum sollten wir dann nicht auch noch den weiteren Schritt tun und die Frage endgültig entscheiden und aus der Welt schaffen? Die deutsche Flagge hat eine sehr unangenehme Vergangenheit. Es handelt sich für uns um eine Willensentscheidung, die mit Gemütswerten und politischen Entscheidungen nichts zu tun hat. Wir sollten es vermeiden, in den Streit sentimentalromantische Gefühlsvorstellungen hineinzutragen. Mut zeigt auch der Mameluk. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man muß organisatorische Bestimmungen schaffen, damit der Staatsapparat arbeiten kann. Hier handelt es sich nicht um die Ermächtigung zum Erlaß organisatorischer Bestimmungen. Es muß eine Regierung gebildet werden können, es müssen die Vorschriften über ihr Verfahren feststehen. Ich halte es nicht für zweckmäßig, den Haggenstreit vorwegzunehmen. Allerdings muß man die Frage auch vom Standpunkt der Länder der Ostzone ansehen. Dr. Heuss: Das ist doch gerade die Geschichte! Die Ostzone hat die Farben schwarz-rot-gold schon als die ihrigen deklariert19). Wenn wir nun die Entscheidung über die Farben hinausschieben, dann geben wir den Propagandisten der Ostzone ein sehr billiges Argument in die Hand, daß wir eben doch nur verkappte Faschisten sind. Ich möchte sogar soweit gehen, zu sagen, wir müssen trotz der ganzen Sauerei im Osten die gleiche Hagge haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen ja bestimmen, daß bis zur endgültigen Entscheidung durch das Bundesparlament die Farben des Bundes schwarz-rot-gold sein sollen. Dr. Heuss: Die Hagge des Bundes darf auf keinen Fall als Fortführung der Weimarer Farben mit Gösch u. s. f. angesehen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Jedenfalls darf man nicht sagen, daß diese Hagge die der deutschen Republik sei. Denn dann muß man die deutsche Republik defirung

nieren.

19) Die Farben Schwarz-Rot-Gold waren vom deutschen Volksrat bereits auf seiner zweiten am 18. Mai 1948 als offizielle Farben der künftigen Deutschen Republik beschlossen worden. Fritz Ebert, der Sohn des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, hatte diesen Antrag gestellt und dabei erklärt, daß Deutschland heute das revolutionäre Vermächtnis der deutschen Einheit über dem gesamten Vaterland entrolle. Eine Jugenddelegation überreichte dem Präsidium feierlich zwei schwarz-rot-goldene Fahnen. Vgl. Keesings Archiv der Gegenwart vom 18. Mai 1948, S. 1502.

Tagung

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Pfeiffer: Wir haben die Wahl zwischen zwei Formulierungen. Wir sagen entweder: Der Bund führt die Farben schwarz-rot-gold, oder wir sagen: Bis zur Regelung durch ein Bundesgesetz führen die Bundesbehörden usw. die Farben schwarz-rot-gold. Ich vermag nicht mit einiger Genauigkeit vorherzusagen, wie unsere Fraktion in ihrer Gesamtheit entscheiden wird. Ich möchte bitten, diesen Punkt jetzt zu verlassen, damit wir Gelegenheit haben, in der Fraktion Stellung zu nehmen20). Bei einer Entscheidung wie der über die Flagge des Bundes darf es keine Majorisierung geben. Dr. Heuss: Die Länder der Ostzone führen bereits die Flagge schwarz-rot-gold. Wir müssen einen Flaggenstreit vermeiden. Wir müssen den Leuten da drüben das Argument aus der Hand schlagen, als trauten wir uns nicht zu, die Frage zu entscheiden. Es handelt sich hier um eine demagogische Position. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dieser Artikel kann morgen noch behandelt werden. Was den weiteren Aufbau des Grundgesetzes betrifft, so würde ich vorschlagen, die Normativbestimmungen über die Verfassungen der Länder folgen zu lassen. Dann haben wir eine gewisse Einheitlichkeit im Aufbau. Dr. Heuss: Ich finde, die Normativbestimmungen schließen sich nicht gut an an die Vorschriften über den Beitritt und die Gliederung. Diese könnte man hinter die Normativbestimmungen setzen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können den Artikel über die Flagge und die Bestimmungen über die Anwendung des Völkerrechts hinter die NormativbestimDr.

mungen setzen.

[4. NORMATIVBESTIMMUNGEN, VERFASSUNGEN DER LÄNDER UND GRUNDGESETZ (ART. 25)] Zu den

vorgelegt, der noch Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung mit dieser Frage befaßt21). Es erhebt sich die grundsätzliche Frage, ob man diese Bestimmungen wirklich in der Ausführlichkeit gestalten muß, wie es der Kompetenzausschuß vorsieht. Es fragt sich, ob man die Normativbestimmungen in der Weise erweitern soll, wie es der Vorschlag zu Art. 25 (Art. 29 des Herrenchiemseer Entwurfs) vorsieht. Es ist vielleicht am besten, wir ziehen den Vorschlag des Kompetenzausschusses22) zum Vergleich heran. Danach müssen in den Verfassungen der Länder die allgemeine rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger begründet sein. Die Länder müssen eine Volksvertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht. Dabei muß gesichert sein, daß mindestens zwei voneinander unabhängige Parteien mit eigenem ProDiese Vorschrift wäre an gramm und eigenen Bewerbern vorhanden sind. zu

Normativbestimmungen haben wir besprechen ist. Andererseits hat sich der

einen Entwurf



20) Vgl. Dok. Nr. 15, Anm. 6. 21) Vgl. die zehnte Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung; Der Pari. Rat Bd. 3, S. 415 ff.

22) Der Pari. Rat Bd. 3, S.

428.

303

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Elfte Sitzung

sich nicht mehr ner

ist

14.

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notwendig;

sie ist bereits in den Grundrechten enthalten. Fer-

bestimmt, daß die Bundesgesetzgebung der Landesgesetzgebung vorgeht.

Unabhängigkeit der Gerichte und der gerichtliche Schutz gegen Mißbrauch der Staatsgewalt müssen gesichert sein. Das haben wir in Art. 21 festgelegt. Schließlich wird den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht gewährleistet, ihre Angelegenheiten innerhalb örtlicher Gemeinschaften... in eigener Die



Verantwortung zu regeln. Aus dem Vorschlag des Kompetenzausschusses geht hervor, daß dieser Ausschuß die Fragen allzusehr vom Standpunkt der Zuständigkeit aus behandelt, vom Standpunkt der Kompetenzverteilung. Ich würde den Grundsatz der Gewährleistung der Selbstverwaltung unter die Normativbestimmungen aufnehmen. Wenn die gemeindliche Selbstverwaltung gewährleistet wird, ist klar, daß

die Länder diese Funktion nicht an sich ziehen können. Schließlich wird in dem Vorschlag des Kompetenzausschusses die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens in den Ländern nach Maßgabe der Abs. 1 bis 4 vom Bunde gewährleistet. Auch hier müssen wir uns überlegen, ob wir das nicht schon in unseren Grundrechten festgelegt haben. Dr. Suhr: Es handelt sich hier zweifellos um eine der schwierigsten Formulierungsfragen. Ich glaube, man kann es nicht einfach bei der Verteilung der Kompetenzen belassen. Wenn man sich die Verfassungen der Länder der Ostzone ansieht, so entsprechen sie auf den ersten Blick fast völlig den formalen Bedingungen einer Demokratie23). Aber es gibt da Pferdefüße, die man am besten erkennt, wenn man den Entwurf des Volksrats einer näheren Prüfung unterzieht24). Da gibt es eine kleine Fußnote, ganz klein und unscheinbar, die bestimmt, daß alle Grundrechte außer Kraft gesetzt werden können, sofern das Wohl der Allgemeinheit dies erfordert. Das bedeutet die Aufhebung der Grundrechte, wenn es dem Inhaber der Macht gefällt. Ferner kann die gesetzgebende Körperschaft in allen Fällen als oberstes Gericht tätig werden und entscheiden. Damit wird die Aufhebung der Gewaltenteilung vorweggenommen. In Wirklichkeit handelt es sich bei den Verfassungen der Länder der Ostzone um scheindemokratische Verfassungen. Das müßte in irgendeiner Form verhindert werden. Es dürfte der Auffassung des Herrn Vorsitzenden entsprechen, wenn man mit einer vereinfachten Formulierung zu Art. 29 festlegen würde, daß die Länderverfassungen den Grundprinzipien der Bundesverfassung entsprechen müssen. Damit ist fast alles gesagt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wäre durch eine Verweisung möglich. Im übrigen haben wir diese Gesichtspunkte in unseren Formulierungen bereits berücksichtigt. Wer dem Bund beitritt, ist an das Grundgesetz und an die Bundesgesetzgebung gebunden. Die Grundprinzipien des Grundgesetzes müssen auf die Länder übertragen werden. Das Volk übt die einheitliche Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung nach dem Grundgesetz aus. Damit ist der Grundsatz der Gewaltenteilung festgelegt. Rechtsprechung und Verwaltung stehen un23) Gerhard Braas: Die Entstehung der Länderverfassungen in der Sowjetischen Besatzungszone

Deutschlands 1946/47. Köln 1987.

24I Vgl. Dok. Nr. 2, Anm. 304

12.

Elfte ter

Sitzung

dem Gesetz. Man kann also sagen, daß wir

punkte bereits berücksichtigt haben.

14.

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praktisch alle diese Gesichts-

Dr. Suhr: Ich weiß nicht, ob das schon alle wichtigen Punkte umfaßt. Vielleicht ist es doch besser, auf die einzelnen Grundrechtsartikel und eventuell auch noch auf weitere Bestimmungen Bezug zu nehmen. Man könnte also sagen, daß die Verfassungen der Länder den Grundsätzen des Grundgesetzes, insbesondere den Bestimmungen der Artikel. entsprechen müssen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Was Herr Dr. Suhr meint, wäre zweckmäßigerweise so zu fassen: Zunächst wäre festzustellen: „Die Verfassungen der Länder müssen die allgemeine rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger sichern." Der allgemeine Grundsatz ist bereits in Art. 21 enthalten25). Dr. Bergsträsser: Man sollte genauer umschreiben, daß die Verfassungen der Länder den Grundrechten und den in den betreffenden Artikeln festgelegten Grundsätzen entsprechen müssen. Man würde also sagen: „Die Verfassungen der Länder müssen den in den Artikeln 1 bis x, y, z niedergelegten Grundsät.

zen

.

entsprechen."

Dr. Suhr: Wir sind uns darüber einig, daß die Grundprinzipien, wie sie in dem Grundgesetz für den Bund aufgenommen sind, auch in den Ländern verwirklicht sein müssen. Aber damit, daß gewisse Grundsätze in das Grundgesetz des Bundes aufgenommen sind, ist noch nicht gesagt, daß sie auch für die Länder Geltung haben. Das mag bei den Grundrechten zutreffen, nicht aber bei den anderen Grundsätzen. Wir haben auf Herrenchiemsee die Frage geprüft, ob man sich hierbei auf die Verweisung auf bestimmte Artikel beschränken solle26). Dagegen wurde geltend gemacht, man sollte nicht dauernd mit Verweisungen arbeiten. Daher sind diese Dinge hier wiederholt worden. Man kann das aber vereinfachen; insbesondere die unglückselige Formulierung über die Parteien27). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte hier auch ins einzelne gehen und sagen: Die allgemeinen Grundsätze der Art. über das Parteiwesen sind einzuhal.

.

.

ten. Dr. Bergsträsser: Man könnte sagen: Die

Verfassungen der Länder müssen den Grundsätzen entsprechen. Neben den allgemeinen Grundsätzen gibt es auch besondere. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir halten einstweilen fest: „Die Verfassungen der Länder müssen die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger gewährleisten." Ganz befriedigt mich diese Fassung allerdings noch nicht. Man könnte auch sagen: „Die Verfassungen der Länder müssen die Grundsätze der rechtlichen Freiheit und Gleichheit aller Bürger verwirklichen." Dr. Suhr: Was ist eigentlich gegen den Ausdruck „gegründet sein" einzuwenden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten sagen „sichern". Dr. Bergsträsser: Was ist für ein Unterschied zwischen „gewährleisten" und „sichern"? „Sichern" ist aktiver; „gewährleisten" ist theoretischer. .

.

.

25) Vgl. TOP 1. 26) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 524 f. 27) Gemeint war Art. 47 ChE; Der Pari. Rat Bd. 2, S.

589.

305

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Sichern" ist besser. Wir würden ferner sagen: Die Länder müssen eine aus

Volksvertretung haben, die und freien, unmittelbaren, gleichen geheimen Wahlen hervorallgemeinen,

geht.

Dr. Bergsträsser: „eine Volksvertretung haben" klingt unschön. Dr. Suhr: Vielleicht sagen wir: „Die Volksvertretung muß in allen Ländern

allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen

und

geheimen

Wahlen

aus

hervorge-

hen. Sollte man nicht überhaupt den neu formulierten Art. 21 übernehmen und sagen, daß der Grundsatz „Das Volk ist Träger der Staatsgewalt" auch für die Länder gilt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müßten anders sagen: Durch die Verfassungen der Länder muß gesichert sein, daß der Staat ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist. Dr. Bergsträsser: Eigentlich müßten wir den ganzen Art. 21 übernehmen, wenn wir nicht auf ihn verweisen wollen. Wunderlich: Ist denn die Einzelverweisung unbedingt notwendig? Genügt nicht eine allgemeine Formulierung, daß die Länderverfassungen dem Geist und Inhalt des Grundgesetzes nicht widersprechen dürfen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich schlage folgende Formulierung vor: „Die Verfassungen der Länder müssen die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger sichern." Dr. Suhr: Der Grundsatz, daß die Regierung der Volksvertretung verantwortlich sein muß, gehört auch herein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten sagen: „Jedes Land muß als ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat organisiert sein." Dr. Bergsträsser: Man könnte sagen: „Die Verfassungen der Länder müssen den Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit entsprechen und ihre Regierungen den Volksvertretungen verantwortlich sein." Dr. Suhr: Es wäre auch noch die Bestimmung über die Wahlen einzuschalten.

Dr. Heuss: Wir sollten sagen: Die

Regierungen der Länder

müssen den

aus

all-

gemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegan-

Volksvertretungen verantwortlich sein. Aber vielleicht kann man auf die Repetition dieser Grundsätze überhaupt verzichten und sich darauf beschränken, die Grundsätze festzulegen, daß zwei Parteien vorhanden sein müssen und daß das Prinzip der Gewaltenteilung einzuhalten ist. Alles andere ist bereits gegenen

sagt.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten sagen: „Die Verfassungen der Länder müsden Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Art. 21 entsprechen." Dann haben wir das, was wir wollen. Dr. Heuss: Das ist richtig. Die Verweisung auf den Art. 21 ist nicht weiter schlimm, weil der ganze Satz nicht pathetisch ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nun kommt die weitere Bedingung: Es muß gesichert sein, daß mindestens zwei unabhängige Parteien vorhanden sind. Diese Bestimmung brauchen wir aber vielleicht gar nicht. sen

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Dr. Heuss: Die Bezugnahme auf das Gesetz über das Parteiwesen halte ich für falsch. Wir wissen noch gar nicht, wie dieses Gesetz aussehen wird. Dr. Suhr: Für die Aufnahme einer solchen Bestimmung war folgende Erwägung maßgebend: Sollen Gewerkschaften, Frauenausschüsse usw. gleich den Parteien behandelt werden? Das ist ja der neue Versuch in der Ostzone, die allmächtige politische Partei hinter anderen Organisationen zurücktreten zu lassen. Das wollen wir ausschließen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Einschlägig ist hier Art. 47 des Herrenchiemseer Ent-

wurfs28).

Dr. Heuss: Man sollte die Bezugnahme auf ein kommendes Gesetz über das Parteiwesen weglassen. Dr. Suhr: Dann gilt dieses Gesetz nicht für die Länder. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn im Kompetenzkatalog nichts über die Zuständigkeit des Bundes auf diesem Gebiet gesagt wird, können wir keine Regelung für die Länder schaffen. Daher ist es richtig, ohne Zitierung von Bestimmungen zu erklären, daß die Vorschriften des Grundgesetzes über die Parteien durch die Verfassungen der Länder eingehalten werden müssen. Dr. Suhr: Wir könnten sagen: „Die in diesem Grundgesetz festgelegten Bestimmungen über das Parteiwesen gelten auch für die Länder." Dr. Heuss: Ist dieser Punkt nicht schon durch das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit geregelt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An sich steht das Parteiwesen nicht auf der Ebene der Länder, sondern verlagert sich auf die Ebene des Bundes. Vielleicht sagen wir: „Die Verfassungen der Länder müssen die Bestimmungen des Grundgesetzes über das Parteiwesen gewährleisten." Oder: „Die Innehaltung der Vorschriften dieses Grundgesetzes über die Parteien muß in den Ländern gesichert sein." Dr. Bergsträsser: Oder: „Die Länder müssen die Vorschriften dieses Grundgesetzes über die Parteien einhalten." Dr. Suhr: Oder: „Die Durchführung der Bestimmungen dieses Grundgesetzes über das Parteiwesen muß in den Ländern gesichert sein." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Sinn ist: Die Länder sollen gehalten sein, keine abweichenden Bestimmungen von den grundsätzlichen Normen des Grundgesetzes zu erlassen. Vielleicht sagen wir: „Die Länder dürfen von den Vorschriften dieses Grundgesetzes über das Parteiwesen nicht abweichen." Das wäre negativ gefaßt. Man könnte auch sagen: „Die Vorschriften dieses Grundgesetzes über die Parteien binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung der Länder." Nun erhebt sich die Frage, ob wir Art. 29 Abs. 2 des Herrenchiemseer Entwurfs übernehmen sollen: „Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Beachtung der Grundrechte, die Unabhängigkeit der Gerichte und der gerichtliche Schutz gegen Mißbrauch der Staatsgewalt müssen gesichert sein29)." Dr. Heuss: Was wir unter „Rechtsstaatlichkeit" verstehen, wird in dem Abschnitt Rechtspflege demonstriert und hat auch Geltung für die Länder.

2B) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 589.

29)

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 584. 307

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können hier auf die Artikel im Abschnitt Rechtsverweisen. Dr. Suhr: Wir haben bereits formuliert, daß die Länderverfassungen den Grundsätzen sozialer und demokratischer Rechtsstaatlichkeit dieses Grundgesetzes entsprechen müssen. Wir brauchen also keine Einzelverweisung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können also sagen: „Sie müssen den Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses Grundgesetzes, insbesondere der allgemeinen Vorschriften des Art. 21 und des Teils XII,

pflege

Rechtspflege, entsprechen." Nun hatte der Kompetenzausschuß

noch gesagt: insbesondere der Polizei. der demokratischen Überwachung Organe. Das muß ausfallen. Der Kompetenzausschuß hat die Sache viel zu sehr unter dem Gesichtspunkt der Kompetenz..

verteilung gesehen.

Wunderlich: Wir haben in der britischen Zone den Zustand, daß die Polizei außerhalb aller demokratischen Kontrolle steht. Ich würde einen Einbau dieser Bestimmung für notwendig halten, um die Polizeikonstruktion der Engländer zu

beseitigen30).

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An sich gehört das in den Abschnitt Verwaltung. Nun kommen wir zur Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung. Vielleicht sagen wir darüber: „Das Recht der Selbstverwaltung wird den Gemeinden und Gemeindeverbänden gewährleistet." Faktisch ist es nicht so, daß alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft Angelegenheiten der Selbstverwaltung sind. Es gibt viele solche Angelegenheiten, die über den Bereich der örtlichen Gemeinschaft hinausgehen. Dr. Suhr: Diese Formulierung steht sogar im Widerspruch zu der Weimarer Ver-

fassung.

Bergsträsser: Es handelt sich hier darum, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände dagegen geschützt werden sollen, daß das Land die Aufgaben zentral löst, die eigentlich ihre Sache wären. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Recht der Selbstverwaltung ist etwas ganz Spezifisches in Deutschland. Man wird sich hier wohl mit einer Umgrenzung begnügen und das weitere der Auslegung überlassen müssen. Den Gemeinden und Gemeindeverbänden wird eine gewisse Substanz gewährleistet. Wollten wir das Recht der Selbstverwaltung erschöpfend umreißen, dann würden sofort die Länder schreien und erklären, das sei ihre Sache. Dr. Suhr: Man hat aber immer wieder den Wunsch geäußert, das SelbstverwalDr.

tungsrecht

Grundgesetz festzulegen. Irgendwo muß der Begriff der Selbstverwaltung innerhalb einer demokratischen Organisation zum Ausdruck kommen. Ich halte das für unbedingt notwendig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Länder müssen den Grundsatz der Selbstverwaltung im

Dr. Heuss:

für Gemeinden und Gemeindeverbände einhalten.

30) 308

Kurt Kleinrahm: Das Polizeiverordnungsrecht nach der Neugestaltung der Polizei in der Britischen Zone. Deutsche Verwaltung 1948, S. 107—109.

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Sitzung

14.

Oktober 1948

Nr. 14

Dr. Suhr: Nach den Erfahrungen in der Nazizeit handelt es sich hier um keine Deklarationen mehr, sondern um eine Realität. Man sollte ausdrücklich festlegen: „Die Länderverfassungen haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze zu gewährleisten." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Kompetenzausschuß hat den Gedanken der Gewährleistung der Selbstverwaltung hereingebracht31). Nach Art. 29 Abs. (4) des Herrenchiemseer Entwurfs wird die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens in den Ländern vom Bund gewährleistet. Daran würde sich die Feststellung anschließen: „Die Länder haben den Grundsatz der Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände einzuhalten." Dr. Suhr: Ich glaube, man sollte nicht nur von einem Grundsatz, sondern von einem Recht der Selbstverwaltung sprechen. Dr. Schmid: Vielleicht sollte man bei der Gelegenheit eine Legaldefinition dessen geben, was wir unter Selbstverwaltung verstehen32). Was schiebt man heute nicht alles der Selbstverwaltung zu! Man gebraucht heute diesen Begriff so häufig, so „gleitend", daß man durch eine Legaldefinition Ordnung schaffen sollte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Selbstverwaltung ist das Recht, im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung selbst zu verwalten. Der Kompetenzausschuß schlägt vor, es solle das Recht gewährleistet werden, alle Angelegenheiten örtlicher Gemeinschaften im Rahmen eigener Verantwortung zu regeln. Dr. Schmid: Wir müssen überhaupt dazu kommen, die Gemeinden in ganz anderer Weise als bisher zu allgemeinen Trägern der ersten Stufe der Obrigkeit zu machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man müßte einfach sagen: Die Länder haben das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände zu achten, sich im Rahmen des Gesetzes in eigener Verantwortung selbst zu verwalten. Dr. Suhr: Es sind zwei Sätze zu formulieren. Der erste Satz würde etwa der Württembergischen Verfassung entsprechen33). Dann müssen die Länderverfassungen verpflichtet werden, das Recht der Selbstverwaltung der Gemeinden zu achten. Dr. Schmid: Man könnte sagen: „Den Gemeinden und Gemeindeverbänden ist das Recht der Selbstverwaltung zu gewähren. Dieses umfaßt das Recht, in ihrem Gebiet in freier Verantwortung allen Aufgaben nachzugehen, soweit diese nicht der Landesgesetzgebung vorbehalten sind." Vors. IDr. v. Mangoldt]: Mit einem solchen Universalprinzip ist immer die Gefahr verbunden, daß es durchbrochen wird.

31) Der Pari. Rat Bd. 3, S. 413 ff. 32) Folgt gestrichen: „Alles, was vor der Nazizeit als Selbstverwaltung deklariert wurde, ist trotz der Unterschiede

33)

Selbstverwaltung gewesen."

Art. 98, Satz 1 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1948 lautete: „Die Gemeinden, Gemeinde verbände, Gebietskörperschaften und Zweckverbände haben das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze. Vor der gesetzlichen Regelung der sie berührenden Fragen sind sie zu hören."

309

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Dr. Schmid: Der Grundsatz der Selbstverwaltung ist, daß die Gemeinden generell alle auf ihrem Territorium anfallenden Aufgaben erledigen, es sei denn, daß eine andere Zuständigkeit gesetzlich gegeben ist. Vielleicht beschränken wir uns auf den Satz: Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zu gewähren. Das Recht der Selbstverwaltung muß gewährt werden; von Natur aus versteht sich das nicht. Zimmermann: Der Streit geht nach wie vor um eine Legaldefinition des Begriffs der Selbstverwaltung. Wir haben bei der Vereinigung von Württemberg und Baden darüber eingehend verhandelt. Die Selbstverwaltung setzt eigenes Vermögen und eigene Steuerhoheit voraus, während die Eigenverwaltung etwas anderes darstellt. Wir haben in Karlsruhe bei den Verhandlungen zwischen Württemberg und Baden die gleiche Auseinandersetzung über den Begriff der Selbstverwaltung gehabt. Wir sind uns darüber noch nicht einig geworden. Die Württembergische Rechtsprechung steht sogar auf dem Standpunkt, daß den Gemeinden ein Selbstverwaltungsrecht überhaupt nicht zustehe, sondern daß es ihnen nur vom Staat gewährt wird. Dr. Schmid: So ist es auch entstanden. Der Freiherr vom Stein34) hat das deutsche Selbstverwaltungsrecht aufgefaßt als eine Oase in einem Bereich grundsätzlicher Staatsomnipotenz. In der Schweiz, in England und in den Vereinigten Staaten ist die Entwicklung anders verlaufen. Da war der Gemeindeverband auch zeitlich die erste [Körperschaft], und der Staat ist erst nachher gekommen. Er erhielt deshalb auch nur die Rechte, die die Gemeinden ihm gegeben ha-

ben. v. Mangoldt]: Es ist schwierig, den Begriff Selbstverwaltung erschöpdefinieren. Deshalb sollten wir es bei dem einen Satz bewenden las-

Vors. [Dr.

fend

zu

sen.

Dr. Schmid: Warum wollen Sie den Satz nicht hereinnehmen, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände das Recht haben, unter eigener Verantwortung alle Aufgaben wahrzunehmen, soweit diese nicht auf Grund gesetzlicher Vorschrift anderen Stellen zugewiesen sind? Dr. Heuss: Für diesen Fall würde ich aber vorschlagen, über das Recht der Selbstverwaltung einen besonderen Artikel zu machen und die Sache nicht an die Normativbestimmungen anzuknüpfen. Dr. Schmid: Das müssen wir umso mehr tun, als die Gemeinden der Länderzuständigkeit unterstehen. Wir müssen die Länder anweisen, nicht unter einen gewissen Standard zu gehen. Wir müssen einen eigenen Artikel machen. Dr. Suhr: Die Erwägung, die der Herr Dr. Heuss soeben vorgebracht hat, hat dazu geführt, daß auf Herrenchiemsee die ganze Sache auf Wunsch der Länder

gestrichen wurde35). Dr. Schmid: Dr. Brill hat sogar den

lung des Selbstverwaltungsrechtes

Antrag gestellt, festzulegen, daß die Regeder Gemeinden ausschließlich Ländersache

sei.

vom und zum Stein (1775—1831), Reichsfreiherr und preußischer Staatsmann. Franz Herre: Freiherr vom Stein, sein Leben, seine Zeit. Köln 1973. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 535 f.

34) Freiherr

Vgl.

35) 310

Elfte Sitzung 14. Oktober 1948

Nr. 14

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen uns die Sache noch einmal überlegen. Vor allen Dingen käme es darauf an, zu definieren, was Selbstverwaltung bedeutet.

Zimmermann: Wir haben in Württemberg Gesundheitsämter. Bei plötzlich auftretender Seuchengefahr, wie es heute häufig vorkommt, geht es da ohne staatliche Steuerung nicht. Die Gemeinden aber gehen darauf aus, das Gesundheitswesen zu einer Gemeindeangelegenheit zu machen, während beispielsweise die Schulen eine staatliche Einrichtung sind. Dem Staat bleibt es vorbehalten, ausdrücklich zu bestimmen, was er als unter seine Zuständigkeit gehörig betrachtet.

Dr. Schmid: Auch hier ist die Frage entscheidend, zu wessen Gunsten die Vermutung spricht. Entscheidend ist, wer die Beweislast hat. Ein Gemeinderat beschließt, das und das zu machen. Nun kommt die Dienstaufsicht und erklärt, das dürfe er nicht. Da ist es nun entscheidend, wem die Beweislast obliegt. Es sind zwei verschiedene Welten, ob man in der Vermutung oder außer der Vermutung steht. Es ist eine alte juristische Wahrheit: Wer die Beweislast hat, hat

den Prozeß schon halb verloren. Ich halte es für gesetzestechnisch unmöglich, die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen einer Verfassung detailliert zu regeln. Wir müßten da einen sehr langen Kompetenzkatalog machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bis jetzt haben wir uns auf den Grundsatz festgelegt, daß die Länder den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zu gewährleisten haben. Dazu käme nun eine Definition des Begriffs Selbstverwaltung. Dazu müssen wir uns noch eine Formulierung überlegen. Art. 25 hat nun folgendes Gesicht: Die Verfassungen der Länder müssen die rechtliche Freiheit und Gleichheit

aller Bürger sichern. Sie müssen den Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses Grundgesetzes, im besonderen der allgemeinen Vorschriften des Art. 21 und des Teils XII, Rechtspflege, entsprechen. Die Regierungen der Länder müssen der aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung verantwortlich sein. Dr. Schmid: Damit haben Sie das parlamentarische Prinzip festgelegt. Wir haben aber auch Regierungen auf Zeit, und für diese gilt das parlamentarische Prinzip nicht oder wenigstens nicht rein. Ich würde den Ländern das parlamentarische Prinzip nicht vorschreiben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Kann man sagen, daß die Bayerische Regierung dem Landtag überhaupt nicht verantwortlich ist? Sie bedarf des Vertrauens der

Volksvertretung. Dr. Schmid: Wir müssen sagen: Die Regierungen der Länder müssen durch das Vertrauen der nen, nen

aus

allgemei-

unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegange-

Volksvertretungen berufen sein. v. Mangoldt]: Gut, übernehmen

Vors. [Dr.

Abs. 3 des Art. 25 ist unbestritten:

wir diese

Formulierung. 311

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Grundgesetzes über die Parteien binden und Rechtsprechung der Länder. bung, Verwaltung Die Bestimmungen über die Selbstverwaltung behalten wir uns noch Die Vorschriften dieses

Gesetzgevor.

[5. GEWÄHRLEISTUNG DER VERFASSUNGSMÄSSIGKEIT DES STAATLICHEN LEBENS DER LÄNDER (ART. 26)] zu formulieren. Er betrifft die Verfassungsmäder Länder, die vom Bund gewährleistet wird. in den Ländern der Ostzone eine andere. Wir die haben dort herrlichsten demokratischen Verfassungen, aber die Verfassungswirklichkeit entspricht ihnen nicht. Daher sollten wir das Recht haben, die Verfassungswirklichkeit im Sinne der Verfassungsdeklaration zu erzwingen. Art. 26 hat also folgenden Wortlaut: Die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der Länder im Sinne des Art. 25 wird vom Bund gewährleistet. Gegen diese Fassung erhebt sich, wie ich sehe, keine Einwendung. Wir dürfen hoffen, daß wir morgen mit unserer Arbeit fertig werden. Ich werde unsere Beschlüsse vervielfältigen lassen36). [Schließung der Sitzung, nächster Sitzungstermin]

Nun haben wir noch den Art. 26

ßigkeit des staatlichen Lebens Die Verfassungswirklichkeit ist

36) Dies geschah als Drucks. Nr. 189, Beratungsergebnisse der 1948: „Art. 21 :

Deutschland ist eine demokratische und soziale

11.

Sitzung

vom

14.

Okt.

Republik bundesstaatlichen

Aufbaus, deren Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist.

Das Volk ist Träger der staatlichen Gewalt. Das Volk übt diese einheitliche Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, für jeden dieser Bereiche getrennt, durch besondere Organe nach diesem Grundgesetz aus. Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem Gesetz. Art. 22 : Dieses Grundgesetz gilt für das Gebiet der Länder [folgt Aufzählung]. Jeder andere Teil Deutschlands kann dem Bund beitreten. Seine Eingliederung wird durch Bundesgesetz vollzogen. Art. 23: Vertreter Groß-Berlins wirken in den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes mit. Art. 24: (Betr. „Neugliederung"; wird später formuliert) Art. 25: Die Verfassungen der Länder müssen die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Länder sichern. Sie müssen den Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses Grundgesetzes, insbesondere der allgemeinen Vorschriften des Art. 21 und des Teiles XII über die Rechtspflege, entsprechen. Die Regierungen der Länder müssen durch das Vertrauen der, aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretungen berufen sein. Die Vorschriften dieses Grundgesetzes über die Parteien binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung der Länder. Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstver-

waltung zu gewährleisten.

(Satz 2 wird noch formuliert).

Art. 26: Die Art. 25 wird 312

Verfassungsmäßigkeit des Bund gewährleistet."

vom

staatlichen Lebens der Länder im Sinne des

Zwölfte Sitzung 15. Oktober 1948

Nr. 15

Nr. 15

Zwölfte Sitzung des Ausschusses für 15. Oktober 1948

Grundsatzfragen

111-1421). Stenogr. Wortprot., undat. und ungez. Z Kurzprot.: 12/45, Bl. 88-89. Drucks. Nr. 204

Z 5/31, Bl.

Anwesend2) :

CDU/CSU: Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Pfeiffer, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Schmid, Wunderlich FDP: Heuss

Stenografischer

Dienst: Dauer: 9.30-11.39 Uhr

Koppert

[1. INHALT DER SELBSTVERWALTUNG (ART. 25, ABS. IV, SATZ 2)] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir setzen unsere Beratung fort. In Art. 25 fehlte uns im Abs. 4 noch ein Satz über den Inhalt der Selbstverwaltung. Wir hatten bereits den Satz formuliert: Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der

Selbstverwaltung Nun fehlt

uns

zu

gewährleisten.

noch ein Satz über das Wesen der Selbstverwaltung. Ich habe

folgende Formulierung gewählt:

Selbstverwaltung gehört, daß die Gemeinden alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln Zum Wesen der

haben, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Dr. Schmid:.soweit das Gesetz eine Aufgabe nicht einem anderen zuweist." Es könnte sein, daß ein Gesetz eine Aufgabe kassiert. Es darf kein Vakuum entstehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber die Anknüpfung an das Vorhergehende: „Zum Wesen der Selbstverwaltung gehört. .." ist zweckmäßig. Dr. Heuss: Müßte man hier nicht auch die Gemeindeverbände erwähnen? Dr. Schmid: Das kann man nicht machen. Auch der Gemeindeverband ist etwas „Künstliches". Aber man sollte die Sache noch etwas präziser machen und die Einschränkung etwa so fassen: „soweit das Gesetz diese Aufgabe nicht dem Lande oder einem anderen Selbstverwaltungskörper zuweist." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht ist es noch besser, zu sagen: „soweit das Gesetz dem Lande oder einem Gemeindeverband nicht Aufgaben zuweist". Ich Ich stelle die Zustimmung des Ausglaube, diese Fassung geht in Ordnung. schusses fest. Damit ist Art. 25 erledigt. —

!) Bl. 143—148 (S. 7—9, 12, 27 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 313

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[2. VERFASSUNGSMÄSSIGKEIT DES STAATLICHEN LEBENS DER LÄNDER (ART. 26)] Wir kommen zu Art. 26: Die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der Länder im Sinne des

Artikels 25 wird

vom

Dr. Schmid: Eine solche

Bund

gewährleistet.

Bestimmung

ist auch in der Schweizerischen Bundes-

verfassung3) enthalten. Nach der Schweizerischen Judikatur bedeutet die Gewährleistung der Verfassungen der Kantone, daß die Kantone, wenn sie ihre Verfassung ändern wollen, dazu der Genehmigung des Bundes bedürfen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf die Zustimmung des Ausschusses feststellen, daß diese Formulierung als Art. 26 aufgenommen wird. [3. BUNDESFARBEN, FLAGGENFRAGE (ART. 27)]

Hierzu habe ich mitzuteilen, daß meine Fraktion Artikels zurückzustellen, und zwar bis zur nächsten Wobittet, die Fassung dieses einmal besprochen werden kann4). damit die noch che, Angelegenheit Dr. Schmid: Auf Herrenchiemsee kam die Flaggenfrage durch die Hanseaten aufs Tapet. Sie forderten eine Entscheidung über die Flagge, um zur See fahren zu können. Auch Herr Dr. Schwalber5) trat dafür ein. Er war auf einer Konferenz im Haag, sah dort die Flaggen zahlreicher Nationen, nur von Deutschland keine. Er berichtete uns, er habe sich ganz vereinsamt gefühlt. Man war allgemein der Meinung, wenn eine Flagge geschaffen werden solle, dann könnten es nur die Farben schwarz-rot-gold sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben die Frage gestern in unserer Fraktion besprochen6). Dabei ging die Stimmung dahin, daß man auf die Regelung der Weimarer Verfassung7) nicht zurückgehen könne. Der Wunsch ging dahin, daß es noch näherer Erörterungen darüber bedürfe, was an die Stelle der Weimarer Art. 27 betrifft die

Flaggenfrage.

3) Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft von 1874, Art. 5. Sie war in dem OMGUS hrsg. Werk „Bundesstaatliche Verfassungen" mit abgedruckt. 4) Besprechung der Flaggenfrage in der CDU/CSU vgl. Anm. 6. 5) Dr. Josef Schwalber (1902—1969) Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, Dele-

gierter beim Verfassungskonvent in Herrenchiemsee und Mitglied des Pari. Rates. Zur Behandlung der Haggenfrage in Herrenchiemsee vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, passim. 6) Vgl. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, Prot, vom 14. Okt. 1948, S. 81: „Abg. Dr. v. Mangoldt berichtet weiter, daß in der morgigen Sitzung die Haggenfrage besprochen werden soll. Er selbst stehe auf dem Standpunkt, daß diese Frage nicht von der jetzigen Körperschaft, sondern von der gewählten Körperschaft zu erfüllen sei. Mehrere Mitglieder weisen darauf hin, daß die Farben schwarz-rot-gold bei den bekannten Aversionen im Volk gegen diese Verfassung das Verfassungswerk so belasten würden, daß schon aus diesem Grunde eine Herausschiebung der Entscheidung unbedingt erwünscht sei. Da die Fraktion wegen Zeitmangel zu einer endgültigen Entschlußfassung nicht kommen kann, werden die Mitglieder des Grundsatzausschusses beauftragt, eine Verschiebung im Ausschuß zu beantragen." 7) WRV, Art. 3 : „Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist schwarzweiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke." 314

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Flagge gesetzt werden solle. Unentschieden blieb weiter die Frage, blem jetzt geregelt oder aber auf später verschoben werden solle.

Nr. 15

ob das Pro-

Dr. Schmid: Wir dürfen die Ostzone nicht vergessen. Der Volksrat hat sich bereits entschieden"). Dr. Heuss: Ich halte es für dringend notwendig, daß wir den Beschluß darüber nicht aufschieben. Der Volksrat hat seine Deklaration dazu bereits erlassen. Wenn wir jetzt zögern oder die Entscheidung vertagen, werden die da drüben schreien, wir bereiten den Faschismus vor. Dr. Schmid: In Berlin flaggt der Ostsektor schwarz-rot-gold. Was sollen die Westsektoren für eine Fahne heraushängen, den Berliner Bären oder was sonst? Die Entscheidung über die Flaggenfrage ist vordringlich. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Frage ist nur, ob die Regelung, die wir treffen, vorübergehend oder endgültig sein soll. Dr. Heuss: Wir können uns unmöglich mit einer vorübergehenden Regelung begnügen. Das ist ausgeschlossen. Aber wir können abwarten, welche Stellung die CDU in der nächsten Woche zu der Frage einnimmt9). Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir vermerken also einstweilen bei Art. 27, daß die Bestimmung über die Flagge noch formuliert wird.

[4. REGELN DES VÖLKERRECHTS UND GRUNDGESETZ (ART. 22 CHE)] Wir kommen nun zu den völkerrechtlichen Artikeln. Hierzu liegt ein Vorschlag des Herrn Dr. Eberhard vor. Es ist vielleicht am besten, wenn er uns zunächst einen allgemeinen Überblick über die Sache gibt. Dann können wir über die

Fassung der einzelnen Artikel diskutieren.

Dr. Eberhard: Ich darf zunächst allgemein begründen, warum ich Ergänzungen zu den Vorschlägen des Herrenchiemseer Entwurfs vorschlage. Mein vervielfältigter Vorschlag10) beruht auf langen Beratungen mit Mitarbeitern im Friedens-Büro11).

8) Vgl. Dok. Nr. 14, Anm. 19. 9) Die CDU/CSU behandelte

zwar am 22. Okt. 1948 nochmals die Flaggenfrage, kam aber wiederum nicht zu einem Ergebnis. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 85 f. Der Entwurf im BayHStA München, NL Pfeiffer/Bd. 180. Er wurde auch noch vervielf. als Drucks. Nr. 188; dabei wurde in Art. 24 a der Teilsatz „unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit" fortgelassen und in Art. 24 b „lebenswichtige Interessen" in „Lebensinteressen" geändert. Abweichungen vom ChE wurden in der Vorlage durch ein x gekennzeichnet: „II. Völkerrechtliche Verhältnisse des Bundes. Artikel 22 Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebietes. Artikel 23 1) Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge der Deutschen Republik. 2) Das Nähere bestimmt ein Gesetz. Artikel 24 1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen

übertragen.

2) Ein solches Gesetz bedarf im Bundestag und Bundesrat (Senat) einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl. 315

Nr. 15

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Zur Sache selbst folgendes: Ich meine, diese Artikel sind in ihrer Gesamtheit etwas wie eine deutsche Visitenkarte nach außen. Sie können ferner erzieherisch nach innen wirken, indem unsere Bereitschaft deutlich gemacht wird, die

allgemeinen Regeln des Völkerrechts

als Bestandteil des Bundesrechts zu übernehmen. Daß sie auch nach außen wirken, wird klar aus der Reaktion der amerikanischen Presse zu den betr. Bestimmungen des Herrenchiemseer Entwurfs. So spricht „New York Herald Tribune" von einem Meilenstein in der Entwicklung des deutschen Denkens zum europäischen Denken. Ich meine aber, man kann noch weiter gehen als der Herrenchiemseer Entwurf, der in Art. 24 Abs. (2) den Bund ermächtigt, im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System kollektiver Sicherheit einzuordnen. Ich möchte hier noch hinzunehmen die Bereitschaft, sich einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Auch zu Art. 25 erschiene mir eine Änderung wichtig. Danach sind Abtretung und Austausch von Teilen des Bundesgebietes nur wirksam, wenn die Veränderung von den betroffenen Bevölkerungen gutgeheißen ist. Hier müßte man sagen: „Abtretung und Austausch von Teilen des deutschen Staatsgebietes", um nicht nur das Bundesgebiet einzubeziehen, sondern gerade auch die Länder, die heute nicht Teile des Bundesgebiets sind. Schließlich schlage ich zu Art. 26 eine Ergänzung vor. Nach Art. 26 werden Handlungen, die mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, unter Strafe gestellt. Ich meine, wir sollten hier noch etwas über WafxArtikel 24 a Unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit kann der Bund deutscher Länder im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System kollektiver Sicherheit einordnen und hierbei, unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, in diejenigen Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, durch die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse erreicht und sichergestellt werden kann. xArtikel 24 b Unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit kann der Bund deutscher Länder sich zwecks Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten einer allgemeinen, umfassenden, obligatorischen, internationalen Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen. Fragen der Ehre und der lebenswichtigen Interessen sollen davon nicht ausgenommen sein. Artikel 25 xl) Abtretung und Austausch von Teilen des deutschen Staatsgebietes sind nur wirksam, wenn die Veränderung von den betroffenen Bevölkerungen gutgeheißen ist. 2) Ihre Vollziehung bedarf eines Gesetzes des Bundes und der betroffenen Länder. Artikel 26 Handlungen, die mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, werden unter Strafe gestellt. xArtikel 26 a Waffen und Munition jeder Art dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, eingeführt, ausgeführt, befördert, gelagert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt." ) In den Akten des Deutschen Büros für Friedensfragen (Bundesarchiv-Bestand Z 35) war nur vereinzeltes Material hierüber festzustellen (Z 35/179). Zum Deutschen Büro für Friedensfragen vgl. Dok. Nr. 6, Anm. 15. 316

Zwölfte fen- und

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Munitionsproduktion hineinschreiben.

Es handelt sich hier um etwas, außen her verordnet wird. Aber wir sollten die Waffenproduktion von uns aus einer deutschen Kontrolle unterstellen12), wobei die Einzelheiten in ein besonderes Gesetz gehören. Aber der Grundsatz als solcher sollte ausgesprochen werden; er hat auch eine innenpolitische Bedeutung. Ich glaube nicht, daß die SA und SS sich hätten bewaffnen können, wenn die Weimarer Verfassung eine Bestimmung enthalten hätte, die den Transport, die Einfuhr, die Lagerung und das Inverkehrbringen von Munition und Waffen verboten hätte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, zu der Materie selbst ist wenig zu sagen. Falls das Wort nicht gewünscht wird, könnten wir in die Besprechung der einzelnen Artikel eintreten. Die wichtigste Bestimmung betrifft die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die Bestandteile des Bundesrechts sind und Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebiets erzeugen. Dr. Eberhard: Art. 28 hat einen Vorgänger im Art. 4 der Weimarer Verfassung13). Diese Bestimmung hatte keine erhebliche praktische Bedeutung, während wir hier ähnlich wie bei den Grundrechten klar aussprechen, daß sich unmittelbar Rechte und Pflichten für alle Bewohner des Bundesgebiets ergeben, also nicht etwa nur für die Bundesregierung. Ich denke da an den Kellogg-Pakt14), den Kriegsächtungspakt, der dann ausdrücklich die Bewohner binden würde. Die Formulierung „alle Bewohner des Bundesgebiets" ist auf Herrenchiemsee in der Absicht gewählt worden, um auch die Ausländer und die DP's15) einzubeziehen. Dr. Schmid: Wir wissen, warum Art. 4 der Weimarer Verfassung in der Judikatur praktisch wirkungslos geblieben ist. Der Ausdruck „die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts" gab jedem Amtsrichter die Möglichkeit, zu erklären, das und das ist nicht allgemein anerkannt; also interessiert es mich nicht. Wir wissen ferner, daß die deutsche Völkerrechtswissenschaft und auch die Judikatur des Reichsgerichts in extremem Maße die sogenannte Transformationstheorie vertraten. Danach hat das Völkerrecht nur einen Adressaten, nämlich den Staat; es verpflichtet und berechtigt nur Staaten, die einzelnen Individuen können aus dem Völkerrecht keine Rechte ableiten, sondern nur aus dem Landesrecht. Solange also das Völkerrecht nicht in Landesrecht transformiert ist, sei es durch einen Gesetzgebungsakt, sei es durch Gewohnheitsrecht, kann das Individuum sich auf Völkerrecht nicht berufen und es kann durch Völkerrecht nicht verpflichtet werden. Dies war die Völkerrechtstheorie, die im 19. und im 20. Jahrhundert weithin herrschend war, zwar nicht allein in Deutschland, aber in Deutschland in ganz besonders zugespitzter Weise. Da hat sich der selige was uns von

aus .nämlich das Wehrwesen der bundesstaatlichen Kontrolle zu unterstellen." 13) Art. 4 WRV: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts." 14) Der Kellogg-Pakt, ein am 27. Aug. 1928 in Paris von 15 Staaten abgeschlossener Vertrag zur Ächtung des Krieges. Hans Wehberg: Krieg und Eroberung im Wandel des Völkerrechts. Frankfurt 1953. 15) Displaced Persons vgl. Dok. Nr. 7, Anm. 20.

12) Korrigiert

317

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Professor Zorn16) verhängnisvoll ausgewirkt. In England war das anders. Die Engländer sind auf dem Gebiet der Rechtstheorie viel allgemeiner. Sie haben z. B. die Unterscheidung von Verwaltungsrecht und anderem Recht nie gehabt. Auch das Völkerrecht war für sie nur eine Elongatur des Common Law. Erst später, als sie mit dem europäischen Rechtsdenken mehr Kontakt bekamen, wurde das etwas anders. Jedenfalls aber ist England auf diesem Gebiet immer sehr vieJ weiter gegangen und hat überall dort, wo es sich um völkerrechtliches Gemeinrecht handelte, das Individuum unmittelbar berechtigt und verpflichtet. Der Satz des kanadischen Rechtes: Common Law Canadian Law ist nur eine

Neuschöpfung. Ich glaube, es wäre gut,

wenn wir diesem Beispiel folgten. Die Transformation des Völkerrechts in Landesrecht durch die Gesetzgebung ist nicht etwas, was „an sich", von Natur aus oder begrifflich schlechthin notwendig wäre, sondern eine Konvention, auf die Professoren und Staatsmänner sich geeinigt haben. Warum soll man diese Konvention nicht ein Stück weiterführen, sie auflösen und durch eine neue ersetzen, nämlich die, daß Völkerrecht ein unmittelbarer Bestandteil des Landesrechts sein soll und daraus Rechte und Pflichten für das einzelne Individuum unmittelbar entstehen? Natürlich kann das nicht gelten für das normale kontraktuelle Völkerrecht, wo die Staaten Verträge über bestimmte Einzeldinge abschließen. Das ist nicht gemeint. Was gemeint ist, sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Ich würde so weit gehen, zu sagen: diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts können auch im Spiel sein, wenn eine völkerrechtliche Vereinbarung erfolgt. Eine Detaillierung solcher allgemeinen Regeln des Völkerrechts ist z. B. die Haager Landkriegsordnung17). Diese ist nicht etwa besonders geschaffenes Recht, sondern kontraktuelle Fixierung allgemei-

Völkergewohnheitsrechts. gekommen, nicht von allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts zu sprechen, sondern nur von allgemeinen Regeln; sie sollen zu nen

So sind wir darauf

unmittelbaren Bestandteilen des Bundesrechts erklärt werden und aus ihnen sollen unmittelbar Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebiets erwachsen. Wohlgemerkt: nicht nur für die Staatsangehörigen, sondern es soll auch der Fremde, der bei uns wohnt, sich den deutschen Behörden gegenüber unmittelbar auf Völkerrecht beziehen können. Wir sind in unserer Württembergisch-Badischen Verfassung noch ein Stück weitergegangen und haben im Bereich des Fremdenrechts das Repressalienrecht ausgeschlossen18). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Sache hat noch eine Schwierigkeit. Der Satz: International law is a part of the law of the land hat im 19. Jahrhundert in England eine Entwicklung genommen, die ihn nach gewissen Richtungen einschränkt.

16) Philipp Zorn (1850—1928), Verfasser mehrerer Arbeiten über die beiden Haager Friedenskonferenzen; z. B. Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Hannover 1913. 17) Haager Landkriegsordnung, s. Dok. Nr. 9, Anm. 14. 1B) Art. 46, Satz 2 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946 lautete: „Die durch das Völkerrecht Ausländern verbrieften Rechte können von diesen geltend gemacht werden, auch wenn sie nicht durch Landesgesetz ausgesprochen sind."

318

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Die weite Fassung, die man in der Weimarer Verfassung dem Satz19) zu geben versucht hat, ist etwas über das hinweggegangen, was die englische Rechtspreund hier muß man doch etwas chung dazu entwickelt hat. Es ist nämlich so die sein daß —, des Völkerrechts nicht sehr bevorsichtig allgemeinen Regeln stimmt und in ihrer Auswirkung umstritten sind. Es tauchen da außerordentliche Auslegungsschwierigkeiten auf. Es kann nun der Fall eintreten, daß ein in Ausführung völkerrechtlicher Sätze ergehendes innerstaatliches Gesetz etwas anderes besagt als die völkerrechtliche Theorie über die allgemeine Regel. Hier taucht die Frage auf: Was geht hier vor, das innerstaatliche Gesetz, das der Gesetzgeber formuliert hat, oder die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die vielleicht nach einer anderen Richtung hin ausgelegt werden? Hier steht das englische Recht klar auf dem Standpunkt, daß das innerstaatliche Recht vor—

geht. Dr. Schmid: Es besteht eine Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die

Vermutung für richtige Interpretation.

Rechtsprechung steht klar auf diesem Standpunkt. Das völkerrechtliche Schrifttum vertritt klar den Primat der Völkerrechtslehre, daß also jedem Gesetz eines Landes die allgemeinen Lehren des Völkerrechts vorgehen. Dadurch, daß man den angeführten Satz in die Verfassung aufnimmt, löst man die praktischen Schwierigkeiten nicht. Deshalb habe ich Bedenken dagegen. Dr. Schmid: An sich kann ein Streit über die richtige Auslegung des Art. 28 vor den Bundesverfassungsgerichtshof gebracht werden. Wenn jemand behauptet, das und das sei Völkerrechtslehre, und das Gericht hat Zweifel darüber, dann entsteht ein Streit über die Auslegung der Verfassung, und die Sache geht zum Verfassungsgerichtshof. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nur wenn die Verwaltung erklärt, sie könne eine Bestimmung nicht als verfassungsmäßig anerkennen. Dr. Schmid: Wenn das Gericht Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit hat, geht die Sache an den Verfassungsgerichtshof. In den einzelnen Länderverfassungen ist die Frage verschieden geregelt. In der Württembergisch-Badischen Verfassung ist eine Sache, wenn Zweifel über die Verfassungsmäßigkeit bestehen, dem Staatsgerichtshof vorzulegen20). Ich würde mir zutrauen, eine Formulierung zu finden, daß man mit dem Artikel etwas anfangen kann, ohne in allzu große Schwierigkeiten zu kommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur so, daß wir mit einer solchen Formulierung weitergehen als die Rechtsprechung. Dr. Schmid: Wir sind

uns

in Herrenchiemsee bewußt gewesen, daß wir einen

19) Vgl. Anm. 13. 20) Art. 92, Satz 2 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946: „Hält ein Gericht ein nach Inkrafttreten dieser Verfassung ergangenes Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei einer Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so führt es die Entscheidung des höchsten ihm übergeordneten Gerichts des Landes herbei. Bejaht dieses Gericht die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, so hat das erkennende Gericht das Gesetz anzuwenden, verneint es die Verfassungsmäßigkeit, so legt es die streitige Frage dem Staatsgerichtshof vor."

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entscheidenden Bruch mit der Tradition vollziehen, und daß wir damit zahllose Dissertationen zu Makulatur machen21). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auf die Interpretation kommt es weniger an als auf die

Unsicherheit, die für das innerstaatliche Recht entsteht.

Dr. Schmid: Man sollte nicht so ängstlich sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde es gleichwohl für bedenklich halten, wenn wir hier einen anderen Weg einschlagen würden als die anderen Nationen. Dr. Eberhard: Vielleicht gelingt es, eine vorsichtigere Formulierung zu finden,

sodaß die Unsicherheit wegfällt. Dr. Heuss: Es entstehen unter Umständen Schwierigkeiten bei demokratisch zustandegekommenen Gesetzen. Dann entsteht entweder in der Judikatur oder in der Gesetzgebung selbst der Zwang zur Auseinandersetzung. An sich bin ich mit der Tendenz einverstanden. Ich befürchte aber eine Art Erweichung, die in der innerdeutschen Gesetzgebung zur Auseinandersetzung mit diesem Problem zwingt. Es kommt auf die Entwicklung unserer Gesetzgebung an. Dr. Schmid: Gewiß, die Schale wird etwas porös; es dringt ein neues Rechtsdenken durch und in den staatlichen Bereich hinein. Es vollzieht sich eine Auflockerung, und diese scheint mir wichtig und wesentlich zu sein. Ich bin einmal mit diesem Problem vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof konfrontiert worden. Ich wurde damals zu einem Rechtsstreit zwischen Danzig und Polen zugezogen22). Es war zwischen Danzig und Polen ein Vertrag geschlossen worden, wonach die Danziger Eisenbahner der polnischen Eisenbahn in Danzig ein besonderes Statut erhalten sollten. Nun haben die Polen diesen Vertrag nicht ins polnische Landesrecht transformiert, und man konnte sie dazu auch nicht zwingen. Sie erklärten, so lange dieser Vertrag nicht in polnisches Landesrecht umgewandelt sei, könnte sich kein Individuum darauf berufen. Danzig hat geklagt und hat Recht bekommen. Die Cour hat erklärt, wenn solche Individualrechte in einem völkerrechtlichen Vertrag statuiert werden, sind sie zwar an sich transformationsbedürftig; es könne aber gegen die guten Sitten verstoßen, wenn man sie nicht transformiere. Um über diese Schwierigkeit hinwegzukommen, wäre es richtig, den Herrenchiemseer Vorschlag in das Grundgesetz aufzunehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wissen, daß jedes Rechtssystem gewisse Eigentümlichkeiten hat. So ist es eine bekannte Erscheinung, daß Durchführungsgesetze für internationale Verträge in den einzelnen Ländern vollkommen verschieden aussehen, eben wegen der Verschiedenheit der Rechtssysteme. Es wäre denkbar, daß, wenn Deutschland ein Gesetz erläßt, um solchen allgemeinen Sätzen des Völkerrechts durch nähere Erläuterung zur Wirksamkeit zu verhelfen, ein solches Gesetz in einem anderen Land im Hinblick auf die dort herrschende Rechtsauffassung vollkommen anders formuliert werden würde. Wir kennen solche Auseinandersetzungen in der internationalen Welt, und es besteht die Gefahr, daß von außen her eine politische Frage daraus gemacht werden könn21) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 321-326 und passim. 22) Vgl. dazu die kurze Erwähnung in den Memoiren S. 131. 320

von

Carlo Schmid: Erinnerungen,

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von außen her gegen ein solches innerstaatliches deutsches Gesetz, das einem Völkerrechtssatz zur Wirksamkeit verhelfen will, eingewendet werden, daß es nicht dem allgemeinen Völkerrecht entspricht. Dann würden wir unter politischem Druck stehen, der sich gerade heute ungünstig für uns auswirken würde. Dr. Schmid: Ich fürchte das nicht. Angenommen, durch ein Landesgesetz wird ein Statut der Ausländer erlassen. Dann kann ein Ausländer, der sich durch dieses Gesetz gekränkt fühlt und der Meinung ist, daß darin nicht die völkerrechtlichen Regeln gewahrt sind, Beschwerde einlegen, und zwar eine Verfassungsbeschwerde. Dann wird der Verfassungsgerichtshof entscheiden. Genau so wird er sich vor dem Verwaltungsgerichtshof darauf berufen können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sollte man nicht einen Zusatz in dem Sinne aufneh."? men: „Soweit nicht formelle Gesetze Dr. Schmid: Damit nehmen wir dem Satz die Kraft, nicht nur die Judikatur, sondern auch auf den Gesetzgeber einen heilsamen Zwang auszuüben. Man hat in ich weiß genau, Deutschland das Völkerrecht langhin im Grunde doch nur als eine Bagatelle betrachtet, als etwas, was auf den Hochwas ich sage schulen neben den anderen Disziplinen kaum praktische Bedeutung hatte. Wir sind hier noch weit zurück. Ich denke daran, daß der französische Kassationshof 1916 die ganzen Maßnahmen der französischen Regierung auf Liquidierung des deutschen Eigentums als völkerrechtswidrig erklärte und der französischen Regierung nur ein Recht eingeräumt hat, das deutsche Vermögen zu sequestrieren, also unter Zwangsverwaltung zu stellen. Das ist groß und schön, und es gibt solche Urteile auch in England. Dr. Weber: Ich bin grundsätzlich Ihrer Meinung, aber wir Deutschen sind heute ein ohnmächtiges Volk und Land, und deshalb habe ich gewisse Bedenken. Dr. Schmid: Ich möchte auf diesen Einwand hin etwas sehr Politisches sagen: Die einzige wirksame Waffe des ganz Machtlosen ist das Recht, das Völkerrecht. Die Verrechtlichung eines Teiles des Bereichs des Politischen kann die einzige Chance in der Hand des Machtlosen sein, die Macht des Übermächtigen in ihre Grenzen zu zwingen. Selbst die Gesetze jenes Drakon, von denen man das Wort „drakonisch" ableitet, waren ein Fortschritt, denn sie setzten der Macht wenigstens gewisse Grenzen. Die fürchterliche Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V.23), deren Lektüre uns heute schaudern macht, war einmal ein Fortschritt, denn auch sie setzte der Macht wenigstens gewisse Grenzen. Der Vater des Völkerrechts, Hugo Grotius24), hat genau gewußt, was er getan hat. Er hat erkannt, daß es, nachdem es der englischen Übermacht gelungen war, die holländische Hagge fast ganz von den Meeren zu verjagen, nur ein Mittel gab, Hollands Lebensmöglichkeit zu erhalten, nämlich die Lebensverhältnisse auf der hohen See zu verrechtlichen und gegen das englische mare clausum das mare liberum zu setzen. Die sogenannten kleinen Mächte sind nicht um-

te. Es könnte

.

.





23) 24)

Hierzu Gustav Radbruch (Hrsg.): Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina), 4. verb, und erg. A., hrsg. von Artur Kaufmann, Stuttgart 1978. Hasso Hoffmann: Hugo Grotius, in: Michael Stolleis, Hrsg.: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik Politik Naturrecht. Frankfurt/M. 1977, S. 51 ff. —



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großen Pioniere des Völkerrechts gewesen; und das hat auch einen uneingestandenen und unerkannten politischen Grund. Daher sollten wir Deutsche, gerade weil wir heute so machtlos sind, mit allem Pathos, das uns zu sonst die



oft



Gebote steht, den Primat des Völkerrechts betonen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich stimme mit Herrn Dr. Schmid vollkommen darüber überein, daß wir in Deutschland das Völkerrecht nicht so gepflegt und gefördert haben, wie es notwendig gewesen wäre. Ich bin immer für das Völkerrecht eingetreten und tue das auch heute und jetzt. Dr. Schmid: Wir Auguren wissen: Wie stiefmütterlich hat man die Disziplin des Völkerrechts innerhalb der juristischen Fakultäten behandelt25)! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist vollkommen richtig. Gleichwohl müssen wir uns die Bedenken klarmachen, die einer solchen Formulierung entgegenstehen, damit man uns nicht später den Vorwurf machen kann, wir hätten über diese Dinge hinweggesehen. Ich würde die Fassung so lassen, wie sie hier steht. Ich würde nur gern eine Andeutung für die notwendigen Einschränkungen sehen und von allzu großem Pathos Abstand nehmen, weil sonst vielleicht Mißtrauen erweckt wird. Dr. Schmid: Ich meine Pathos hier in dem Sinne von Leidenschaftlichkeit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Falls sich kein Widerspruch erhebt, würden wir folgende Formulierung als Art. 28 aufnehmen: Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bun-

desgebiets. [5. ÜBERTRAGUNG VON HOHEITSRECHTEN AUF ZWISCHENSTAATLICHE EINRICHTUNGEN (ART. 24 CHE)] Wir kommen zu Art. 29. Dr. Eberhard: Ich hatte mir

zu Art. 24 des Herrenchiemseer Entwurfs überlegt, der kollektiven Sicherheit und Einordnung in Europa und die Frage die Frage der Schiedsgerichtsbarkeit in je einem besonderen Artikel zu behandeln. Sie in einen Artikel zusammenzupressen, ist etwas viel. Vielleicht empfiehlt es sich, nur das Grundsätzliche in den ersten Artikel zu nehmen. Im Gegensatz zu den anderen Artikeln ist es hier nicht deutsches Recht, das vorangeht. Hier klingt ein Satz der französischen Verfassung von 1946 an26). Die Formel „unter Voraussetzung der Gegenseitigkeit" findet sich auch im Herrenchiemseer Entwurf27). Ich würde diese Bedingung an den Anfang stellen. Dr. Schmid: Diese Bedingung ist völlig belanglos. Es handelt sich hier um die kollektive Sicherheit, die immer auf einem Vertragssystem aufgebaut ist.

25) Folgt gestrichen: „Dreck!" 26) In der Präambel der französischen Verfassung

27) 322

vom 13. Okt. 1946 hieß es u. a.: „Unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit stimmt Frankreich den für die Organisation und die Verteidigung des Friedens notwendigen Einschränkungen seiner Souveränität zu." Vgl. Dok. Nr. 4, Anm. 16. Art. 24, Abs. 2 ChE; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 583.

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Da braucht man sie nicht. Aber bei der Beschränkung der Hoheitsrechte fehlt das, was Herr Dr. Eberhard meint. Dr. Schmid: Es heißt: Der Bund kann. Ob er es tun will oder nicht, ist seine Sache. Wenn er feststellt, daß die anderen nicht mitmachen, dann kann er es bleiben lassen. Es handelt sich nur um eine Kann-Vorschrift; daher wird es jeweils Sache der Bundesregierung sein, festzustellen, ob es opportun ist oder nicht. Aber das schon hier hereinzunehmen, halte ich für überflüssig. Dr. Heuss: Ich möchte den Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit vorne hinsetzen, obwohl ich mir darüber im klaren bin, daß sie sachlich überflüssig ist. Die Angelegenheit hat eine gewisse politisch-psychologische Seite für den deutschen Leser. Es macht für viele Leute die Sache verständlicher; sie werden darauf aufmerksam. Auf jeden Fall würde ich es für unmöglich halten, zweierlei Texte damit zu beginnen. Sie verstehen, was ich meine: Ich will diesen Gedanken irgendwie politisch greifbar hinzudenken, den Sinn leichter verständlich machen. Dr. Eberhard: Ich bin gern bereit, die Voraussetzung der Gegenseitigkeit im zweiten Teil des Satzes zu bringen. Ich meine, wir geben der künftigen deutschen Außenpolitik eine gewisse Richtlinie; wenn wir die Worte „unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit" drin haben, geben wir ihr einen größeren Spielraum für Verhandlungen. Die deutsche Regierung wird ermächtigt, durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen; aber sie kann erklären, sie sei durch diese Bestimmung des Grundgesetzes gebunden, das nur unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit zu tun. Ich habe mit Männern gesprochen, die solche Verhandlungen geführt haben; die wären sehr dafür, „unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit" einzufügen. Dr. Schmid: Ich bin nach wie vor dagegen, auch gegen die Anführung pädagogischer Gesichtspunkte. Ich bin der Meinung, daß man, wenn man schon einen Erziehungsprozeß im Auge hat, dem Hörer die Sache glaubhafter und interessewürdiger macht, wenn man ihm gleich das Ziel angibt. Ich glaube, man wird einen verstockten Nationalisten eher von seiner Verstockung wegbringen, wenn man ihm gegenüber gleich die volle pazifistische These vertritt und nicht nur die halbe pazifistische These. Die Auswärtige-Amts-Klugheit in allen Ehren, aber ich glaube nicht an die politische Wirksamkeit des Finassierens. Ich glaube, man sollte gewisse Dinge unbefangener nehmen, sie weniger von der Verhandlungsroutine ehemaliger Geheimräte der Wilhelmstraße aus sehen. Wenn wir hier „unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit" einschalten, dann wirkt das doch nicht anders als: Eigentlich tun wir's nicht gerne. Lassen wir diese Bedingung der Gegenseitigkeit, betrachten wir diese Bestimmungen lediglich als Rechtssätze, die es ermöglichen, politische Operationen in Formen des Rechtes vorzunehmen, die man sonst nur auf Grund von Verfassungsänderungen machen könnte. Das ist der Sinn. Dann brauchen wir „unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit" nicht; dann wird die Regierung jederzeit selbst Herr darüber sein, zu prüfen, ob sie das tut oder nicht. Ist sie der Meinung, es sei besser, es nicht zu tun und allein zu bleiben, wenn auf der anderen Seite die Gegenseitigkeit nicht gewahrt wird, dann mag sie es bleiben lassen. Ist sie aber der Meinung, es sei gut, das zu tun, dann soll nicht das Grundgesetz sie hinVors. [Dr.

dern,

es zu

v.

Mangoldtl:

tun. 323

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Dr. Eberhard: In der französischen Verfassung von 1946 beginnt diese Bestimmung auch mit „unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit"28). Dr. Schmid: Die Franzosen sind die Leute, die die Souveränität erfunden ha-

ben. Dr. Bergsträsser: Was die Wirkung nach innen betrifft, in dieser Hinsicht nicht. Wir dürfen nicht an die Leute

so

teile ich Ihre

Skepsis

denken, die unsere AufAuffassung sind, die ein unge-

sondern an die, die nicht unserer heures Mißtrauen haben. Dr. Schmid: Das ist eine Frage des persönlichen Kredits. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für mich taucht die Frage auf, ob es richtig ist, diesen Artikel auseinanderzuteilen. Worauf bezieht sich die Bestimmung, daß der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann? Sie bezieht sich auf das System kollektiver Sicherheit. Dr. Schmid: Es könnte sich auf einen Vertrag zur Schaffung einer internationalen Behörde beziehen. Ich denke an den Ruhrkohlenbergbau. Ich könnte mir vorstellen, daß die Vereinigten Staaten von Europa planen, den gesamten Kohlenbergbau europäisch zu organisieren und zu diesem Zweck eine internationale Behörde einzusetzen. Art. 24 Abs. 1 soll die Möglichkeit schaffen, an diese internationale Behörde Hoheitsrechte abzugeben. Wir müssen doch zu solchen

fassung teilen,

sonst gehen wir zugrunde. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin auch dafür, daß man das in einen Artikel zusammennimmt. Dr. Eberhard: Das ist nur eine technische Frage. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die zweite Frage, die ich habe, ist, ob wir Art. 24 Abs. 3 des Herrenchiemseer Entwurfs aufnehmen sollen, wonach ein solches Gesetz im Bundestag und Bundesrat einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl bedarf. An sich gehört das in den Teil Gesetzgebung. Diese Frage gehört in den Abschnitt über die allgemeine Gesetzgebung. Dr. Schmid: Ich würde das überhaupt streichen. Dr. Eberhard: Ich finde es auch viel besser, das zu streichen. Dr. Heuss: „Unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit" ist ein Saudeutsch. Ein System kollektiver Sicherheit beruht immer auf Gegenseitigkeit. Dr. Schmid: Das ist eine völlig klare Sache. Ein System kollektiver Sicherheit ist immer ein Vertragssystem auf Gegenseitigkeit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im Herrenchiemseer Entwurf ist das vorsichtiger formu-

Organisationen kommen;

liert. Dr. Eberhard: Aber dann ist es nicht ganz so selbstverständlich! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An sich ist es selbstverständlich. Es schadet nicht, wenn es hervorgehoben wird. Vor allem ist es wünschenswert, diese Bedingung zu erwähnen, weil sie auch in der französischen Verfassung von 1946 steht. Dr. Eberhard: Art. 24 Abs. 3 des Herrenchiemseer Entwurfs kann man weglassen.

28) Vgl. Anm. 324

26.

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Dr. Schmid: Wir könnten sagen: Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine

friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse sicherstellen können. Übrigens kann es sich hierbei auch um Gesichtspunkte handeln, die mit der kollektiven Sicherheit als solcher zunächst gar nichts zu tun haben. Ich denke an eine International Power Agency. Ich könnte mir vorstellen, daß die gesamte Lastverteilung von elektrischem Strom von einer internationalen Behörde ausgeübt wird, die dabei auch Hoheitsrechte wahrzunehmen hätte. Dr. Eberhard: Man könnte auch an eine internationale Hugverkehrsorganisation denken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir könnten Abs. 1 so lassen: Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrich-

tungen übertragen.

Dr. Weber: Wir würden dann den Art. 24 Abs. 3 des Herrenchiemseer Entwurfs streichen, wonach ein solches Gesetz im Bundestag und Bundesrat einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl bedarf. Dr. Schmid: Abs. 2 würde vielleicht lauten: Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen und hierbei in diejenigen Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, durch die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse erreicht und sichergestellt werden kann. Dr. Eberhard: Dieser Wortlaut beginnt mit „kann" und hört auf mit „kann". Dr. Heuss: Ich stoße mich an dem sprachlich unschönen „in diejenigen". Dr. Schmid: Dann sagen wir einfach „in die". Dr. Heuss: Man könnte sogar noch weitergehen und sagen: „einwilligen, um die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte zu vollziehen." Dr. Bergsträsser: Kann man nicht statt „sichergestellt werden kann" einfach sagen „sichergestellt wird"? Dr. Schmid: Am besten ist es, man setzt hinter „einordnen" ein Semikolon, und fährt fort: „er kann .". Die Gliederung ist klar: In Abs. 1 kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. In Abs. 2 ist von einer Beschränkung der Hoheitsrechte die Rede. Aber ich würde es doch so lassen; es hat eine stärkere politische Wirkung. Dr. Eberhard: Es wäre zu überlegen, ob man in Abs. 2 statt „kann" nicht „soll" sagen kann. Der Bund soll in die Beschränkungen einwilligen. Dr. Schmid: Ich habe nichts dagegen. Vielleicht sagen wir so: Der Bund kann in diejenigen Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse bewirken und sicherstellen können. Dr. Bergsträsser: Sagen wir doch besser „herbeiführen". ..

325

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Dr. Eberhard: Art. 29 Abs. 3 bestimmt, daß der Bund zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten einer allgemeinen umfassenden obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten kann. Die in dieser Schiedsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen binden unmittelbar. Im Herrenchiemseer Entwurf steht das nicht. Es wäre aber doch gut, eine solche Bestimmung hereinzunehmen, weil sie weitergeht, als bisher üblich war. „Der Bund kann sich zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten einer allgemeinen umfassenden obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen." Nun kommt ein Verbot der Einschränkung: Fragen der Ehre und der Lebensinteressen sollen davon nicht ausgenommen sein. Dr. Schmid: Die Ehren- und Lebensinteressen-Klausel war immer eine exceptio generalis. Ein Staat kann sich darauf berufen, daß in einem konkreten Fall seine Ehre und seine Lebensinteressen tangiert seien. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sollten sagen: Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund sich unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit an einer allgemeinen umfassenden obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beteiligen. Dr. Weber: Könnte man hier nicht an ein klagbares Recht auf Beseitigung der in der Ostzone noch bestehenden Konzentrationslager für politische Häftlinge denken, die von den Russen eingerichtet sind29)? Dr. Schmid: Es handelt sich hier um ein Rechtsverhältnis, das außerhalb des Bereiches steht, in dem wir handeln. Wenn Deutschland wieder handlungsfähig ist und ein Schiedsvertrag mit den Russen über diese Frage geschlossen wird, wäre es möglich. Man muß sich immer klarmachen: Wir stehen auf dem Gebiet der internationalen Rechtspflege verglichen mit den Verhältnissen der innerstaatlichen Rechtspflege auf dem Zustand, der in Europa um das Jahr 1000

herum bestand. Dr. Weber: Ich stelle diese Frage nur, weil dieser unmögliche Zustand in Gebieten herrscht, die deutsch sind. Dr. Schmid: Wir können einen solchen Fall nach der Charta der UNO vor den Haag bringen. Das könnte man heute schon. Im allgemeinen aber muß ein Vertrag bestehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir die Formulierung wählen: „Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund einer allgemeinen umfassenden obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten", vergeben wir uns nichts; diese Fassung wirkt vielmehr wie eine Proklamation nach außen hin. Dr. Schmid: Man muß unterscheiden zwischen Schiedsgerichtsverträgen, in denen sich zwei Partner einigen, und allgemeinen Vereinbarungen, wo alle Teilnehmer sich allgemein gegenseitig verpflichten. Im letzteren Sinne kann man von „umfassend" sprechen. „Allgemein" bedeutet schlechthin: Jedem gegenüber. „Umfassend" bedeutet: alle Sachgebiete, auf denen Streitigkeiten entstehen können. Es gibt Einschränkungen auf ökonomische Streitigkeiten, Grenzregulie29) Karl Wilhelm Fricke: Politik und Justiz in der DDR. Zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945-1968. Bericht und Dokumentation. Köln 1979. 326

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rungsstreitigkeiten, Verkehrsstreitigkeiten usw.; umfassend heißt aber: jede Art Streitigkeit, mag der Grund sein wie immer, soll der internationalen Schiedsge-

richtsbarkeit unterworfen werden. Dr. Heuss: Es fragt sich, ob nicht in dem Wort Schiedsgerichtsbarkeit eine aktive Aufforderung liegt, gewisse Dinge auszuschließen. Dr. Schmid: Nehmen wir folgenden Fall: Der internationale Schiedsgerichtshof verurteilt einen Staat zu einer bestimmten Leistung. Diese Leistung verstößt gegen die Bestimmungen der Verfassung. Nun müßte man, um den Schiedsspruch durchzuführen, diese Verfassung ändern. Wenn wir aber bestimmen, daß der Bund sich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit unterwirft, dann ist die Ausführung des Schiedsspruches unter allen Umständen zulässig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht noch nicht in dem Wortlaut. Es heißt: „Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten ..." das heißt: Der Bund wird sich dem Schiedsspruch unterwerfen in dem Verfahren, an dem er beteiligt ist. Dr. Schmid: Wir müssen zwei Gesichtspunkte unterscheiden: erstens den Gesichtspunkt, daß wir der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten; zweitens den Gesichtspunkt, daß wir den Spruch des Schiedsgerichts als etwas betrachten, das unseren Verfassungseinschränkungen vorgeht. Das sind die beiden Gesichtspunkte, die zu beachten sind. Wir müssen das formulieren. Vielleicht sagen wir, daß der Bund sich den Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte unterwirft, an denen er beteiligt ist. Dr. Weber: Wir sollten das Wort „unterwerfen" vermeiden. Dr. Heuss: Solche schiedsgerichtlichen Entscheidungen sollen bindenden Charakter haben. Dr. Schmid: Auf solche Schiedssprüche werden die Bestimmungen des Art. 28 entsprechend angewendet. Wir haben bereits den Satz, daß die Sprüche des Verfassungsgerichtshofs Gesetzeskraft haben. Ich würde den Grundsatz, daß die Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, auch auf die Wirkung der Sprüche internationaler Schiedsgerichte ausdehnen.

Dr. Heuss: Ich bin in dieser Materie nicht

so

bewandert, daß ich mir ein

zuver-

lässiges Urteil erlauben könnte; aber ich habe das Gefühl, daß der Grundsatz, Entscheidungen internationaler Schiedsgerichtshöfe haben bindenden Charakter, verfassungsrechtliche Auswirkungen haben kann. Dr. Schmid: Solche Auswirkungen sind immer da, wenn in einem Schiedsgerichtsvertrag die hohen vertragschließenden Parteien erklären, daß sie sich dem Schiedsspruch unterwerfen. Wir könnten sagen: Der Spruch der Schiedsgerichtshöfe hat Gesetzeskraft. Die in der Schiedsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen binden unmittelbar. Damit ist alles gesagt. Die Schiedsgerichtsbarkeit kann nur dort Platz greifen, wo beide Parteien sich ein Recht bestreiten. Wo die Parteien wegen Interessen in Meinungsverschiedenheiten geraten, ist nicht der Richter der richtige Mann, sondern der Vermittler. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist ein terminus technicus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe früher gegen den Abs. 2 gewisse Bedenken gehabt. Wenn wir eine Verpflichtung zum Beitritt zu einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit aufnehmen würden, würde die Gefahr bestehen, daß wir 327

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damit Verpflichtungen für den Bund begründen, die sich für ihn recht negativ auswirken könnten. Ein System kollektiver Sicherheit und der Beitritt dazu setzt bestimmte Verpflichtungen voraus, etwa die Gewährung eines Durchmarschrechts u.dgl. Man muß die Frage prüfen und das wird die Aufgabe der Bunob sein müssen wir —, desregierung überhaupt etwas derartiges machen können angesichts des Zustandes, in dem wir uns befinden, ob es nicht viel richtiger ist, sich in einer bestimmten Situation aus einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit herauszuhalten. Aber mit der vorgesehenen Formulierung binden wir die zukünftige Bundesregierung gar nicht, wenn wir sagen: „Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen." Damit lassen wir alles offen. Es ist vielleicht ganz geschickt, in dieser Weise die Möglichkeit einer deutschen Beteiligung an einem System kollektiver Sicherheit vorzusehen, aber zugleich ausdrücklich zu betonen, daß hier nicht die Entscheidung einer Frage vorweggenommen wird, die wir in ihrer Auswirkung nicht übersehen kön—

nen.

Dr. Schmid: Diese Bedenken erscheinen mir durchaus stichhaltig. Nur glaube in unserer heutigen Situation die Faktoren auf der Haben-Seite sehr viel gewichtiger sind als die Faktoren auf der Soll-Seite. Wenn Deutschland in seinem heutigen Zustand absoluter Wehrlosigkeit einem System kollektiver Sicherheit beitritt, dann kann uns ein solches System nur schützen. Daß man dabei auch Risiken übernehmen muß, ist klar. Dr. Pfeiffer: Ich wäre dankbar, wenn ich die Formulierung des Abs. 3 noch ein-

ich, daß

mal hören könnte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der endgültige Wortlaut ist: Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund einer allgemeinen umfassenden obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten. Die in dieser Schiedsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen binden unmittelbar.

[6. GEBIETSABTRETUNGEN, GRENZFRAGEN (ART. 30, ART. 25 CHE)] Wir kommen nun zu Art. 30. Dr. Eberhard: Art. 30 behandelt Grenzfragen. Es handelt sich bei meinem Vorschlag im wesentlichen um die Übernahme des Art. 27 der französischen Verfassung von 194 630). Dieser Artikel ist interessant im Hinblick auf das Saargebiet. Danach sind Verträge, welche eine Abtretung, einen Austausch oder einen Erwerb von Gebiet herbeiführen, erst dann rechtsgültig, wenn sie auf Grund eines Gesetzes ratifiziert worden sind. Nach Abs. 2 ist eine Abtretung, ein Erwerb

Gebiet ohne Zustimmung der betroffenen Bevölkerung ungültig. glaube ich nicht, daß wir den Begriff ..adjonction de territoire" hereinnehmen sollten. Dies scheidet aus. Ich habe „Staatsgebiet" statt „Bundesgebiet" ge-

von

Nun

30) Abdr. bei Civil Administration Division, OMGUS (Hrsg.): Bundesstaatliche Verfassungen, S. 347. 328

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sagt. Das scheint mir absolut notwendig zu sein. „Staatsgebiet" ist das Gebiet, wie es die Alliierten am 5. 6. 45, noch vor der Potsdamer Konferenz, umschrieben haben: Germany within her frontiers as they were on 31st Dec 1937. Dies steht in dem Statement on Zones of Occupation in Germany31). Das bedeutet: Deutschland wird innerhalb der Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937 waren, in Zonen aufgeteilt werden. Das ist wichtig wegen des Saargebiets, wegen des Ostens und auch wegen Schleswig-Holsteins. Daran ist gedacht, wenn ich vorschlage, zu schreiben: „Teile des deutschen Staatsgebietes". Es wäre bei dem Bericht im Plenum darauf zu achten, daß klar herauskommt, daß in Art. 30 das Staatsgebiet gemeint ist. Dabei würde ich wörtlich anführen, was die Alliierten

hier definiert haben. Dr. Heuss: Wer sind die Definitoren? Dr. Eberhard: Das waren die Militärgouverneure; unter anderem hat auch Marschall Schukoff32) unterschrieben. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir können den Ausdruck „Staatsgebiet" nicht auf die ostdeutschen Länder beziehen. Dr. Schmid: Dieser Kampf muß auf einer anderen Ebene ausgetragen werden. Dr. Eberhard: Kehl gehört zum deutschen Staatsgebiet. Dr. Schmid: Kehl ist Teil Badens und damit Deutschlands. Mit bestimmten polizeilichen Sonderbeschränkungen. Sein Status unterscheidet sich von dem Badens nur dadurch, daß nach Kehl kein Zuzug möglich ist33). Dr. Eberhard: Das Saargebiet ist nicht Bundesgebiet, wohl aber deutsches

Staatsgebiet.

Dr. Schmid: Es handelt sich hier um realpolitische Fragen. Ich glaube, nicht einmal die Bundesregierung wird das richtige Organ sein, diese Fragen zu lösen, sondern das deutsche Volk selbst wird durch entsprechendes Verhalten der einzelnen Deutschen sein Gewicht in die Waagschale werfen müssen. Kehl wurde übrigens durch die Nazis geräumt; dann haben die Franzosen einen Kordon gezogen und keinen Deutschen mehr hineingelassen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wenn wir in der Präambel sagen, das Grundgesetz gilt für das Bundesgebiet, so müssen wir uns auf dieses Gebiet beschränken und können hier das Gebiet nicht durch Einbeziehung der östlichen Länder erweitern. In einer allgemeinen Formulierung ist das jedenfalls nicht möglich. Wir müssen wohl sagen: „von Teilen des Bundesgebiets". Dr. Schmid: Der Ausdruck „Staatsgebiet" würde den Franzosen eine billige Möglichkeit geben, ihr Veto einzulegen.

31) Abdr. bei Ruhm

von

1945-1954. London

Oppen (Hrsg.):

Documents

on

Germany under Occupation.

[. .] 1955, S. 35. 32) Marschall Georgij K. Schukoff (Schukow) (1896-1974), von 1945-1946 vertrat er die UdSSR im Alliierten Kontrollrat und war Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungstruppen sowie Leiter der SMA mit Sitz in Karlshorst. 33) Kehl am Rhein stand nach der Räumung durch deutsche Truppen und Evakuierung der deutschen Bevölkerung im Nov. 1944 bis 1949 unter französischer Verwaltung. Evakuierte Kehler Bürger appellierten an den Pari. Rat, sich für ihre Rechte einzusetzen (NL Heuss/418, Eingabe von Karl Diebold vom 18. April 1949). .

329

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Dr. Heuss: Ich finde den Ausdruck „betroffene Bevölkerung" nicht gut. Man „ansässige Bevölkerung" sagen. Auch das Wort „gutheißen" gefällt mir nicht; es genügt, wenn wir „zustimmt" sagen. Dr. Bergsträsser: Im Falle Kehl ist es schwierig, von ortsansässiger Bevölkerung

sollte

zu

reden; vielleicht sagt

man

„einheimische Bevölkerung".

Wir sollten sagen: .wenn die beteiligte einheimische Bevölkerung zustimmt". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, das ist die richtige Fassung. Abs. 2 ist notwendig. Dr. Heuss: Das Wort „betroffen" gefällt mir nicht. Es erinnert mich immer an

Pfeiffer:

Dr.

die Dr.

Entnazifizierung.

Vollziehung bedarf nach Abs. 2 eines Gesetzes des Bundes Länder. Das scheint mir schwer vereinbar mit der Tatsache beteiligten daß die sein, Außenpolitik eine ausschließliche Angelegenheit des Bundes Bergsträsser:

Die

und der zu

ist. Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

Hier

geht

das

Selbstbestimmungsrecht

des Volkes

vor-

aus.

Dr. Heuss: Angenommen, Flensburg kommt wieder zum Bund34). Dann macht der Bund ein Gesetz, und die Schleswig-Holsteiner machen ein Gesetz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist klar, daß über das Gebiet der Länder nicht ohne

Zustimmung der Länder verfügt werden kann.

Dr. Schmid: Nehmen wir an, der Bund schließt einen Schiedsvertrag des Inhalts an Dänemark abgetreten wird. Der Bund hat diesen Vertrag genau in den Formen abgeschlossen, die das Grundgesetz vorschreibt. Nun kommt Schleswig-Holstein und erklärt: Nein, wir lehnen das ab! So etwas geht

ab, daß Flensburg natürlich nicht.

Frage der innerdeutschen Grenzregelung ist klar. Es handelt sich den völkerrechtlichen Aspekt. Dr. Bergsträsser: Wenn das Völkerrecht ausschließlich Bundesangelegenheit ist, worüber wir einig sind, dann entsteht hier eine gewisse Diskrepanz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das sind Fragen, die untereinander ausgeglichen werden müssen. Dr. Bergsträsser: So geht es auf keinen Fall. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vor Abschluß eines solchen Vertrags kann der Bund die Zustimmung der Länder einholen. Dr. Eberhard: Ich werde die Verfassungen der Bundesstaaten auf ähnliche Regelungen durchsehen lassen35). Dr. Heuss: Die

hier

nur um

34) Die Bemerkung ist nicht verständlich, weil Flensburg

trotz intensiver Bestrebungen der dänischen Minderheit nicht von Schleswig-Holstein getrennt wurde. Vgl. Hensburg in Geschichte und Gegenwart, Hensburg 1972, S. 268; ferner Sybille Waller: Die Entstehung der Landessatzung von Schleswig-Holstein vom 13. 12. 1949. Frankfurt u. a. 1988, S. 25 ff. 35) Eberhard bat das von ihm geleitete Deutsche Büro für Friedensfragen noch unter dem 20. Okt. 1948 telegrafisch um einen entsprechenden Bericht (Z 35/179, Bl. 156; die Antwort vom gleichen Tage ebenda, Bl. 157—158).

330

Zwölfte

Sitzung

15.

Oktober

1948

Nr. 15

Dr. Pfeiffer: Der Bund ist ausschließlich zuständig in Fragen der Außenpolitik. Den Ländern bleibt also nur die Möglichkeit, sich in solchen Fällen an den Bund zu wenden. Aus einem solchen Vertrag des Bundes ergibt sich eine Änderung des Geltungsbereichs des betreffenden Landes. Das kommt einer Änderung der Verfassung gleich. Nun wäre die Frage offen: Muß diese Verfassungsänderung stillschweigend hingenommen werden, kann also die Abtretung eines Gebietes durch Bundesgesetz erfolgen, oder muß sie von dem betreffenden Land durch Änderung der Landesverfassung ratifiziert werden? Ich glaube, ein Bundesgesetz kann in solche Dinge nicht eingreifen. Dr. Bergsträsser: Wenn das Land seine Ansprüche auf das abzutretende Gebiet

aufrecht erhält

ob das völkerrechtlich

möglich ist,

weiß ich nicht

—,

dann

wäre das Ergebnis, daß nicht der Bund Außenpolitik macht, sondern abhängig ist von einem Land. Dr. Pfeiffer: Mir kommt es auch so vor, daß wir diese Frage zusammen mit den anderen Grenzproblemen behandeln müssen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir lassen die Fassung einstweilen so stehen; Zweifelsfragen müssen noch endgültig geklärt werden. —

[7. STÖRUNGEN DES VÖLKERFRIEDENS (ART. 31, ART. 26 CHE)]

Wir kommen zu Art. 31. Dr. Eberhard: Art. 31 entspricht dem Art. 26 des Herrenchiemseer Entwurfs. Er ist wörtlich übernommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich sehe darin eine bloße Deklamation. Was bedeutet das? Wir haben stets Gewicht darauf gelegt, daß die Verfassungsbestimmungen unmittelbar geltendes Recht sind. Das stimmt mich eigentlich etwas bedenklich. Anweisungen an die Gerichte kennen wir aus der Weimarer Verfassung. Sie sind eine unangenehme Belastung. Dr. Schmid: Die Württembergisch-Badische Verfassung bezeichnet solche Handlungen einfach als verfassungswidrig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist jedenfalls besser, als zu sagen, solche Handlungen werden unter Strafe gestellt. Ich glaube, wir können uns dieser Formulierung anschließen. Dr. Eberhard: Ich komme auf meinen Vorschlag zurück, an dieser Stelle auch etwas über die Produktion, den Transport, Einfuhr, Ausfuhr und das Inverkehrbringen von Waffen und Munition zu sagen. Das klingt zwar etwas umständlich, aber wenn wir schon die Friedfertigkeit betonen, sollten wir auch darüber etwas sagen. Dr. Weber: Können wir überhaupt etwas darüber bringen? Dr. Eberhard: Die Besatzungsmächte könnten natürlich Waffen einführen. Das ist eine andere Frage; das können wir in unserer Verfassung nicht verbieten. Dr. Heuss: Mich stört hier etwas der unscharfe Begriff „Waffen und Munition". Ich denke da an Jagdmunition. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht sagen wir ganz allgemein „Kriegsgerät", oder „Waffen, Munition und Kriegsgerät jeder Art". 331

Nr. 15

Zwölfte

Sitzung

Dr. Pfeiffer: Ich denke, es Dr. Eberhard: Ich glaube

15.

Oktober 1948

genügt „Kriegsgerät jeder Art". nicht, daß „Kriegsgerät" besser

ist als „Waffen und Munition". Diese Formulierung würde es auch ausschließen, daß eine Art SA sich wieder bewaffnen kann. Es gibt eine wirksame Bewaffnung für den Bürgerkrieg, die man nicht als Kriegsgerät bezeichnen kann. Dr. Pfeiffer: Reicht es nicht aus, statt der langatmigen Aufzählung „einführen, ausführen" einfach zu sagen „dürfen weder hergestellt noch in Verkehr gebracht werden". Dr. Eberhard: Die Beförderung durch das Bundesgebiet wäre damit nicht getroffen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht sagen wir: „Kriegsgerät jeder Art darf außer mit Genehmigung der Bundesregierung weder hergestellt noch befördert oder in Verkehr gebracht werden. Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt." Damit hätten wir mit Ausnahme der Art. 24 und 27 unsere Aufgabe erfüllt. Diese Artikel betreffen die Bundesflagge und die Neugliederung. Vielleicht kann die Redaktionskommission uns einen Vorschlag vorlegen. Damit können wir für heute schließen. Ich werde unsere Formulierungen nach dem interfraktionellen Beschluß zusammenstellen und dem Herrn Präsidenten zuleiten, damit das gesamte Material für die interfraktionellen Besprechungen zur Verfügung steht36). Nächste Sitzung: Mittwoch, 20. Oktober, 10 Uhr.

') Eine eigenständige Zusammenfassung in Form einer Drucks, für die Beratungsergebnisse dieser Sitzung ließ sich nicht ermitteln. Zum Wortlaut vgl. die als Dok. Nr. 16 abgedr. Drucks. Nr. 200 (Art. 1—32, in erster Lesung vom AfG angenommen). 332

Art. 1-32, 1.

Nr. 16 Art. 1—32 in erster

Überschrift, Präambel, Lesung für Grundsatzfragen angenommen

vom

Lesung

Nr. 16

Ausschuß

[18. Oktober 1948]1) Z 5/127, Bl. 89-93. Als Drucks. Nr. 200 vervielf. Ausf.

Grundgesetz

für die Bundesrepublik Deutschland Die nationalsozialistische

Zwingherrschaft

hat das Deutsche Volk seiner Freiheit

beraubt; Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt.

Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik wurde zerstört. Dem deutschen Volk aber ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben. Die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechtes schweren Einschränkungen unterwor-

fen. Erfüllt

von

Nation

zu

aus

sen,

dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen und die Einheit der erhalten, hat das Deutsche Volk den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, NiedersachNordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württem-

und Württemberg-Hohenzollern dem auf den 1. September 1948 nach Bonn zusammengerufenen Parlamentarischen Rat entsandt, um eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung für die Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten. Diese ha-

berg-Baden Abgeordnete zu

J) Das genaue Datum dieser Drucksache ließ sich nicht ermitteln. Am 15. Okt. (Dok. Nr. 15)

wurde noch über Artikel dieser Drucks, gesprochen. Zugleich erschien unter dem 18. Okt. die Drucks. Nr. 203, die die bis zu diesem Teil fertig formulierten Artikel aller Fachausschüsse enthielt und somit auch die Art. 1—32 in der vom AfG verabschiedeten Fassung. Die Bezifferung der Sätze in den einzelnen Artikeln wurde aus der Drucks. Nr. 203 übernommen. In einer Analyse des amerikanischen Verbindungsstabes zu dem Entwurf hieß es zur Präambel: „The text of the preamble is by no means agreed upon. The present draft presents the SPD text which no other faction is really in agreement. However, the name .Bundesrepublik Deutschland' (Federal Republik Germany) is generally accepted. The text of the preamble shows very clearly the German tendancy to present Germany as a victim of National Socialism and the rest of the world as the victim of anonymous forces which brought about war and violence under which everybody suffered more or less alike. It also expresses the resentment and animosity created by the occupation. While the representatives from Berlin were clearly supposed to be guests only, their cooperation in drafting the Constitution is stressed, and the assumption is made that the Parliamentary Council has the confidence and expressed the hope of all Germans, not only those in the Western Zones. It ends with an appeal to the German people to finish the work of establishing its national unity and liberty (Summary vom 22. Okt. 1948 in: Z 45F 15/147-1/5). "

333

Nr. 16

Art. 1-32, 1.

Lesung

Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins, getragen von dem Verbewegt von der Hoffnung aller Deutschen, für das Gebiet, das sie entsandt hat, dieses Grundgesetz beschlossen. Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die Ordnung seiner nationalen Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden.

ben

unter

trauen und

Artikel 1

[(1)] Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. [(2)] Sie ist begründet in ewigen1) Rechten, die das deutsche Volk als Grundla-

ge aller menschlichen Gemeinschaft anerkennt.

[(3)] Deshalb werden Grundrechte gewährleistet, die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht binden. Anm. 1) Über den Ausdruck

„ewig" wird der Ausschuß später noch einmal beraten.

Artikel 2

[(1)] Der Mensch ist frei. [(2)] Er darf tun und lassen,

was die Rechte anderer nicht verletzt oder die verdes Gemeinwesens nicht beeinträchtigt. fassungsmäßige Ordnung [(3)] In diese Freiheit darf die Verwaltung nur im Rahmen der Rechtsordnung

eingreifen. (Vermerk: vergl.

2.

Fassung)

[(4)] Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. (2. Fassung des Absatzes 3 des Artikel 2:) [(3)] In diese Freiheit darf die Verwaltung nur innerhalb der Schranken des für

alle

gleichen

Gesetzes

eingreifen.

Artikel 32)

[(1)] Die Freiheit der Person ist unverletzlich. [(2)] Nur in den Fällen, die ein förmliches Recht bestimmt und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen, darf jemand verfolgt, festgehalten,

vorläufig festgenommen,

in Haft

Freiheit beschränkt werden.

gehalten

oder sonst in seiner

persönlichen

[(3)] Jeder vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach dem Ergreifen dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen, ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben und eine Person seines Vertrauens von der Festnahme zu verständigen hat. Der Richter hat unverzüglich entweder durch schriftlichen Haftbefehl seine Verhaftung anzuordnen oder ihn in Freiheit zu setzen. Anm. 2) Über den örtlichen Einbau des Art. 3 wird später entschieden. 334

Lesung

Art. 1-32, 1.

Nr. 16

[(4)] Bei jeder anderen nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheits-

entziehung ist unverzüglich eine gerichtliche Entscheidung über ihre Fortdauer herbeizuführen. Die Polizei darf niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen festhalten. [(5)] Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. Artikel 4

[(1)] Kein Deutscher darf ins Ausland ausgeliefert werden. [(2)] Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Artikel 5

[(1)] Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. [(2)] Jeder Bundesangehörige hat das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen sowie seinen Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen. Dem Gesetze bleibt es vorbehalten, die Berufsausübung zu

regeln.

[(3)] Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur im Vollzug einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentzie-

hung zulässig. Artikel 6

[(1)] Die

Wohnung

ist unverletzlich.

Durchsuchungen können

nur

durch den

Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen über das Straf-

verfahren

vorgesehenen Organe angeordnet durchgeführt werden.

und in der dort

vorgesehenen

Form

[(2)] Im Interesse des gemeinen Wohles, insbesondere

zur Behebung der RaumSchutz not, Bekämpfung gefährdeter Jugendlicher Seuchengefahr, können auch die Verwaltungsbehörden durch Gesetz zu Eingriffen und zu Beschränkungen ermächtigt werden.

von

zur

zum

Artikel 7

[(1)] Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung ist unverletzlich. [(2)] Die ungestörte Religionsausübung wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze

gewährleistet.

[(3)] Niemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu

benutzen.

[(4)] Niemand ist verpflichtet, seine religiöse der

Zugehörigkeit

zu

einer

Überzeugung

Religionsgesellschaft

darf

nur

zu

offenbaren. Nach

gefragt werden,

wenn

335

Nr. 16

Art. 1-32, 1.

Lesung

davon Rechte und Pflichten abhängen oder statistische Erhebung es erfordert.

wenn

eine

gesetzlich angeordnete

Artikel 8

[(1)] Die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. [(2)] Jede Beschränkung in der freien Unterrichtung und Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen insbesondere beim Rundfunkempfang oder dem Bezug von Druckerzeugnissen ist unstatthaft. [(3)] Presse, Rundfunk und Film haben das Recht, ohne Behinderung durch Zensur über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse wahrheitsgetreu zu berichten und zu ihnen Stellung zu nehmen. [(4)] Diese Rechte finden ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung, an den Vorschriften der Strafgesetze, an den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend insbesondere im Filmwesen und an dem Recht der persönlichen Ehre. Artikel 9

Briefgeheimnis, sowie das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen können nur durch Gesetz, jedoch nicht zu politischen Zwecken angeordnet werden. Das

Artikel 10

[(1)] Die Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. [(2)] Die Freiheit der Lehre findet ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der

Verfassung. Artikeln

[(1)] Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. [(2)] Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Artikel 12

[(1)] Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. [(2)] Vereinigungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. [(3)] Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewähr336

Art. 1-32, 1.

Lesung

Nr. 16

leistet. Abreden und Maßnahmen, durch die dieses Recht eingeschränkt, behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll, sind nichtig. [(4)] Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze anerkannt. Artikel 13

[(1)] Jeder Landesangehörige ist zugleich Bundesangehöriger. Jeder Bundesangehörige hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten

Angehörigen des Landes selbst. j(2J] Niemand darf in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte üben und zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden. wie die

aus-

Artikel 14

[(1)] Die Freiheit des Rechts zu wählen oder abzustimmen sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. [(2)] Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die freie Entscheidungsmöglichkeit zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen nicht genommen werden. Artikel 15 im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbilund nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang.

Jeder Deutsche hat

dung

Artikel 16

Jeder hat das Recht, sich einzeln oder mit Bitten oder Beschwerden

tretung

zu

an

die

in Gemeinschaft mit anderen schriftlich zuständigen Stellen sowie an die Volksver-

wenden. Artikel 17

[(1)] Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. [(2)] Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Das Gesetz regelt auch Art und Ausmaß der Entschädigung. Soweit Entschädigung gesetzlich vorgesehen wird, ist diese unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen festzusetzen.

[(3)] Eigentum verpflichtet. Seine Ausübung findet ihre Schranken in den Lebensbedürfnissen der Allgemeinheit und der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens.

337

Nr. 16

Art. 1-32, 1.

Lesung Artikel 18

Die Überführung von Grund und Boden, von Bodenschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum ist nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zuläs-

sig. Artikel 19

[(1)] Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. [(2)] Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

[(3)] Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Artikel 20 Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden.

Artikel 21

[(1)] Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik bundesstaatlichen

Aufbaus, deren Regierung der Volksvertretung verantwortlich [(2)] Das Volk ist Träger der staatlichen Gewalt.

ist.

[(3)] Das Volk übt diese einheitliche Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, für jeden dieser Bereiche getrennt, durch besondere Organe nach diesem Grundgesetz aus. [(4)] Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem Gesetz.

Artikel 22 [(1)] Dieses Grundgesetz gilt für das Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollem. [(2)] Jeder andere Teil Deutschlands kann dem Bund beitreten. Seine Eingliederung wird durch Bundesgesetz vollzogen.

Artikel 23 Vertreter Groß-Berlins wirken in den des mit. 338

gesetzgebenden Körperschaften

des Bun-

Art. 1-32, 1.

Lesung

Nr. 16

Artikel 24

[Vermerk: Diese Bestimmung betr. „Neugliederung" wird später formuliert). Artikel 25

[(1)] Die Verfassungen der Länder müssen die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger sichern. [(2)] Sie müssen den Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses Grundgesetzes, insbesondere der allgemeinen Vorschriften des Artikels 21 und des Teiles XII über die Rechtspflege, entsprechen. Die Regierungen der Länder müssen durch das Vertrauen der aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretungen berufen sein. [(3)] Die Vorschriften dieses Grundgesetzes über die Parteien binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung der Länder. [(4)] Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zu gewährleisten. Zum Wesen der Selbstverwaltung gehört, daß die Gemeinden alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln haben, soweit das Gesetz dem Lande oder einem Gemeindeverbande nicht Aufgaben zuweist. Artikel 26 Die

Verfassungsmäßigkeit des staatlichen vom Bund gewährleistet.

Lebens der Länder im Sinne des Arti-

kels 25 wird

Artikel 27

(Vermerk:

Diese

Bestimmung betr. „Bundesfarben" wird später formuliert.) Artikl 28

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesge-

biets.

Artikel 29

[(1)] Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. [(2)] Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse herbeiführen und sicherstellen können. 339

Nr. 16

Art. 1-32, 1.

Lesung

[(3)] Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund einer allgemeinen umfassenden obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten. Die in dieser Schiedsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen binden unmittelbar. Artikel 30

[(1)] Abtretung und Austausch von Teilen des Bundesgebiets sind nur wirksam, wenn die beteiligte einheimische Bevölkerung zustimmt. [(2)] Ihre Vollziehung bedarf eines Gesetzes des Bundes und der beteiligten Länder. Artikel 31

Handlungen die mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Artikel 32

[(1)] Kriegsgerät jeder Art darf außer mit Genehmigung der Bundesregierung weder hergestellt noch befördert oder in Verkehr gebracht werden. [(2)] Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt.

340

Dreizehnte

Sitzung

20. Oktober 1948

Nr. 17

Nr. 17

Dreizehnte Sitzung des Ausschusses für 20. Oktober 1948

Grundsatzfragen

Z 5/31, Bl. 76-1081). Stenogr. Wortprot, undat. und ungez. Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 80-81. Drucks. Nr. 212

Anwesend2): CDU/CSU: Lensing, Mayr, Schioer, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich, Zinn

FDP: Heuss (Vors.) Mit beratender Stimme: Diederichs ter

(SPD)

(SPD), Ehlers (SPD), Kuhn (SPD), Renner (KPD), Reu-

Stenografischer

Dienst: Koppert Dauer: 10.11-12.15 Uhr

[1. BUNDESFARBEN, FORTSETZUNG (ART. 27)] Vors. [Dr. Heuss]: Ich darf die Sitzung eröffnen3). Wir hatten in der letzten Sitzung die Frage der Farben der Bundesrepublik zurückgestellt. Es sollte inzwischen eine Klärung in den Fraktionen erfolgen. Ich selbst vertrat den Standpunkt, daß wir uns mit einer provisorischen Lösung nicht begnügen dürfen. Wir müssen die Tatsache in Rechnung stellen, daß der Volksrat die Farben schwarz-rot-gold bereits herausgestellt hat4). Ich glaube, wir können auch keine andere Entscheidung treffen. Wir dürfen nicht nachklappen. In dem Augenblick, wo wir eine zögerliche oder irgendwie diplomatisch verkappte Halbentscheidung treffen, müssen wir von Osten her eine Pressepolemik gewärtigen, die uns in eine recht unangenehme Situation bringen kann. Innerhalb der CDU-Fraktion war die Flaggenfrage noch ungeklärt. Hat diese Fraktion nunmehr Stellung genommen? Dr. Weber: Wir haben in der Fraktion eine Besprechung darüber noch nicht gehabt5), auch noch nicht über die Frage der Bezeichnung. Es war eben so, daß

andere Fragen vordringlicher waren. Vors. [Dr. Heuss]: Dann müssen wir die Sache aussetzen, bis die CDU-Fraktion Stellung genommen hat. Dr. Bergsträsser: Die Fraktion der SPD ist gegen jede Unentschiedenheit und Unbestimmtheit in dieser Frage. Wir treten für die Farben schwarz-rot-gold ein, 1) Bl. HO (S.

ursprünglichen Zählung) wurde wegen schwer lesbarer RednerkorrekSekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Nach dem Kurzprot. eröffnete Frau Dr. Weber als ältestes Mitglied des Ausschusses die Sitzung und schlug unter Zustimmung aller Anwesenden vor, Dr. Heuss mit der Leitung der Sitzung zu betrauen. 4) Vgl. Dok. Nr. 14, Anm. 19. 5) Die CDU/CSU hatte am 14. Okt. 1948 die Frage behandelt, war jedoch nicht zu einem Ergebnis gekommen. Vgl. Dok. Nr. 15, Anm. 6. turen

17 der

vom

341

Nr. 17

Dreizehnte

Sitzung

20. Oktober 1948

aber ohne Gösch. Wir würden uns sehr freuen, wenn die Entscheidung in der CDU-Fraktion bald fiele. Dr. Weber: Ich werde das in meiner Fraktion mitteilen8). Vors. [Dr. HeussJ: Jede Verzögerung muß nach außen hin einen ungeschickten und peinlichen Eindruck machen. Es ist irgendwie ruchbar geworden, daß die Flaggenfrage in unserem Ausschuß schon behandelt worden ist. Reuter: Vom Berliner Standpunkt aus möchte ich feststellen: Es geht gar nicht anders, als daß die Farben der Bundesrepublik im Grundgesetz festgelegt werden. Die Farben sind schwarz-rot-gold; eine andere Entscheidung gibt es wohl kaum, und irgendetwas anderes gehört auch nicht in die Verfassung hinein. Die Detailfragen müssen später geregelt werden. Ich darf annehmen, daß die Gösch allgemein unerwünscht ist. Es hat keinen Sinn, die Entscheidung über die Farben hinauszuschieben; jedes Zögern würde nur schlechten Eindruck machen. Ich habe das Gefühl, daß auch eine Diskussion über eine etwaige andere Farbenzusammenstellung unmöglich ist. Dr. Weber: Die Situation in meiner Fraktion war so: einige Mitglieder waren der Meinung, man solle die Entscheidung über die Farben einer gewählten Volksvertretung überlassen. Andere Farben als schwarz-rot-gold kommen nach meiner persönlichen Auffassung7) nicht in Frage. Ich bin auch der Meinung, daß die „Gösch" nicht mehr kommen sollte. Vors. [Dr. Heuss]: Wir sollten jede Verzögerung, jede der Entscheidung ausweichende Stellungnahme vermeiden. Bei aller Betonung des Gedankens der Volkssouveränität kann man sagen, das Volk entscheidet darüber nicht. Es würde entscheiden, wenn eine Detailabstimmung über die Farbenfrage stattfinden würde. Aber es handelt sich hier um keinen isolierten Vorgang. Wir können die Flaggenfrage nicht isoliert behandeln. Die Herren Reuter, Dr. Bergsträsser und ich haben unseren Standpunkt schon dargelegt, und wir möchten die Fraktion der CDU bitten, die Angelegenheit möglichst bald zur Klärung zu bringen, damit die Sache nicht ins Geschwätz kommt. Ich darf bitten, in der Fraktion der CDU auch die von den Herren der SPD und mir vorgetragenen Gesichtspunkte darzulegen.

1948 wurde in der CDU/CSU wiederum über die Flaggenfrage gesprochen. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 85 f.: „Zur Frage der Flagge wird noch kurz besprochen, daß man diese unbedingt zunächst mit der DP und der FDP und auch gegebenenfalls mit dem Zentrum besprechen solle. Abg. Dr. Strauß schlägt noch einmal vor, roter Grund mit schwarzem Kreuz und links in der Ecke die Sterne, die die Länder bedeuten sollen, womit noch einmal die Bundesstaatlichkeit zum Ausdruck kommt. Abg. Dr. v. Mangoldt trägt vor, daß zunächst die Vorfrage geklärt werden müsse, wer für die Lösung dieser Frage zuständig sei, der Parlamentarische Rat oder die zukünftige Bundes-

6) Am 22. Okt.

Vgl.

regierung." 7) Korrigiert aus „nach Auffassung 342

meiner Fraktion."

Dreizehnte Sitzung 20. Oktober 1948

Nr. 17

[2. NEUGLIEDERUNG DER LÄNDER, FORTSETZUNG (ART. 24)]

Wir setzen also die Entscheidung über die Farben aus, und kommen zu unserem Art. 24, der sich mit den Ländergrenzen und der Neugliederung der Länder befaßt. Nähere Ausführungen darüber bringt der darstellende Teil des Herrenchiemseer Entwurfs, S. 24, 258). Hier liegt die Sache nun so: Die Fraktion der FDP hatte den Antrag eingebracht, zur Behandlung der Frage der Ländergrenzen einen Elfer-Ausschuß einzusetzen9). Dieser Antrag muß erst noch im Hauptausschuß besprochen werden10). Da der Hauptausschuß bisher noch nicht zusammengetreten ist, wurde der Antrag noch nicht behandelt. Ich selber wünschte eine Stellungnahme des Präsidiums dazu, inwieweit dieses gegenüber den Ministerpräsidenten und den Besatzungsmächten aktiv werden könnte, indem wir den von den Ministerpräsidenten fallen gelassenen Auftrag11) an uns ziehen, ohne daß es großen Krach zwischen den verschiedenen Instanzen gibt. Die Frage muß im Hauptausschuß noch geklärt werden. Ich muß den Ausschuß um Entschuldigung bitten, daß ich mir noch keine Formulierung überlegt habe; ich war nicht darauf vorbereitet, daß ich die Leitung der heutigen Sitzung übernehmen soll. Ich hatte schon in meiner Rede im Plenum gefordert, daß wir auf die Dauer von etwa zwei Jahren einen gewissen Zwang zur Neuregelung der Ländergrenzen ausüben sollten12). Wir müssen selbstverständlich immer mit der Ostzone rechnen; aber auch für den Übergang kann eine Bestimmung unseres Grundgesetzes eine gewisse bindende Linie geben. Reuter: Ich möchte zu dem Fragenkomplex wie folgt Stellung nehmen: Eine endgültige Entscheidung über die Neugliederung ist und bleibt unmöglich, solange das Problem der Ostzone nicht gelöst ist. Es gibt in den Westzonen mindestens zwei große Länder, nämlich Niedersachsen und Schleswig-Holstein, deren künftige Existenz geographisch gesehen davon abhängt, daß das Problem der Ostzone gelöst wird. Sachsen-Anhalt ist kein Land, sondern eine künstliche Verlegenheitslösung. Das schleswig-holsteinsche Problem läßt sich ohne Bezugnahme auf Mecklenburg nicht lösen, und Mecklenburg hängt wieder zusammen mit Brandenburg. Kurz, wenn man da mit der Neugliederung anfängt, rollt sich die ganze Geschichte auf. Eine Lösung innerhalb der westlichen Zonen ist meiner Meinung nach unmöglich. Wir müssen eine Formulierung finden, die zum Ausdruck bringt, daß binnen einer angemessenen Frist, nachdem das Problem der Ostzone gelöst ist, die Neugliederung vor sich zu gehen hat, und zwar unter erleichternden Bedingungen. Gewisse erleichternde Bedingungen müssen

8) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 518 f. 9) Drucks. Nr. 75, Antrag vom 22. Sept. 1948. 10) Dies geschah am 12. Nov. 1948. Vgl. HptA; Verhandlungen, S. 53 f. Ein „Elfer-Ausschuß" wurde nicht eingesetzt. n) Gemeint war der Auftrag an die Ministerpräsidenten in Nr. II der Frankfurter Dokumente, der besagte „die Ministerpräsidenten sind ersucht, die Grenzen der einzelnen Länder zu überprüfen, um zu bestimmen, welche Änderungen sie etwa vorzuschlagen wünschen." Der Pari. Rat Bd. 1, S. 32 f.; zum Fortgang s. Anm. 18. 12) Plenarsitzung vom 18. Sept. 1948; Sten. Berichte, S. 43 f. 343

Nr. 17

Dreizehnte Sitzung 20. Oktober

1948

schon im

Grundgesetz vorgesehen werden. Aber später, wenn die Neugliederung gelöst ist, soll nicht alle fünf Minuten etwas anderes gemacht werden dürfen, und man wird dann einen strengeren Maßstab anlegen müssen. Wenn

einmal das Problem der Ostzone ins Rollen kommt, müssen wir eine echte Gliederung schaffen, aber immer unter Berücksichtigung der demokratischen Entscheidung der in Frage kommenden Teile. Eine solche echte, den Realitäten entsprechende Gliederung ist unentbehrlich. Sachsen-Anhalt, das ich genau kenne, ist in seiner jetzigen Form nicht haltbar. Sachsen-Anhalt rollt sofort das ganze Problem Niedersachsen auf, vor allem die Frage, ob Niedersachsen nicht zu groß ist. Ich persönlich neige dieser Auffassung zu. Aber wie gesagt, ich sehe keine Möglichkeit, das Problem jetzt zu lösen. Aufgabe des Grundgesetzes wird es gerade unter dem Aspekt, daß eine seiner wesentlichen Funktionen die Attraktion sein soll, sein, klarzustellen, daß die im Westen vereinigten Deutschen bereit sind, das Problem der Ländergliederung unter verwaltungsmäßig und politisch möglichst leichten Bedingungen neu in die Hand zu nehmen, bis der Tag der endgültigen Bereinigung kommen wird, von dem ich hoffen möchte, daß er nicht mehr allzu fern ist. Dr. Eberhard: Es mag schon eher die Notwendigkeit auftauchen, im Gebiet der Bundesrepublik eine Neugliederung vorzunehmen. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß die Neugliederung im südwestdeutschen Bereich nicht zu einem guten Ende geführt wird. Wahrscheinlich wird die dort ansässige Bevölkerung dann schon nach einigen Monaten erkennen, daß die Isolierung vom Übel ist. Vielleicht wird dann der Wunsch nach einer Eingliederung stärker als bisher auftreten. Wir haben jetzt den einmaligen Fall, daß die Militärgouverneure versuchen, die Neugliederung durchzuführen13). Wenn dieser Versuch mißglückt, müssen wir in unserem Grundgesetz eine Möglichkeit schaffen, um eine solche Neugliederung in die Wege zu leiten. Ich denke da auch an Rheinland-Pfalz. Wir müssen ein Verfahren bestimmen, das eine solche Neugliederung möglich macht. Dabei erhebt sich die Frage: Wie weit geht hier die Aufgabe und das Tätigkeitsfeld der Zentrale? Eine andere Frage ist: Wie weit ist die Zustimmung der beteiligten Bevölkerungen notwendig, und wie kommt sie zum Ausdruck? Diese Fragen müßten vor der Arbeit der Redaktionskommission behandelt werden. Vors. [Dr. Heuss]: Ich habe das Gefühl, daß wir heute in diesem Kreise zu einer abschließenden Formulierung noch nicht kommen werden. Dr. Eberhard: Das war auch nicht beabsichtigt. Dr. Bergsträsser: Im Westen steht das Problem Rheinland-Pfalz ganz deutlich vor uns. Wir müssen also zunächst das schaffen, was Herr Reuter vorhin angedeutet hat; zweitens dürfen wir keiner weiteren Regelung den Weg verschließen. Das wären die Grenzen, innerhalb deren die Formulierung sich zu bewegen hätte. Dr. Weber: Ich bin der Meinung, daß dieser Fragenkomplex die Zuständigkeit unseres Ausschusses schon überschreitet. Wenn wir aber schon eine Vorschrift

13) S. Anm. 11. 344

Dreizehnte Sitzung 20. Oktober 1948 dieser Art machen sollen,

so

muß

künftigen endgültigen Bereinigung

Wir dürfen nichts sagen,

was uns

es

Nr. 17

in der Weise

der den

geschehen, daß einer zuverschlossen nicht werden darf. Weg

Weg

zu

einer

künftigen Neugliederung

verstellen könnte. Vors. [Dr. Heuss]: Ich sehe da bei uns im Südwesten eine Schwierigkeit: Wir haben in der Württembergisch-Badischen Verfassung in einer Übergangsbestimmung vorgeschrieben, daß kommende Grenzregulierungen durch ein Verfassungsgesetz zu beschließen sind14). In Südbaden sind Änderungen der Ländergrenzen sogar der Volksabstimmung unterworfen15). Das ist ein sehr umständlicher Apparat. Es besteht die Gefahr, daß, wenn wir im Südwesten diesen Fragen näherrücken, die Verfassungsjuristen Südbadens erklären werden, das Verfahren sei an sich nicht gangbar. Man muß diese Dinge sorgfältig beachten. Überhaupt dürfte es sich empfehlen, die Verfassungen der einzelnen Länder daraufhin durchzusehen, ob sie Spezialklauseln in dieser Hinsicht enthalten. Wunderlich: Die Probleme, die hier für die einzelnen Länder auftauchen, werden schwierig zu lösen sein. Ich bedaure, daß Herr Dr. v. Mangoldt heute nicht da ist. Bei Schleswig-Holstein wird sich sehr bald zeigen, daß dieses Land in seiner heutigen Struktur nicht existenzfähig ist. Im Gebiet von Osnabrück werden ständig Volksabstimmungen über Gebietsveränderungen gefordert. Das gleiche gilt für Oldenburg und Flensburg. Ich meine, es kommt alles darauf an, diesen ewig unsicheren und fließenden Zustand in das Stadium einer einmaligen und endgültigen Klärung überzuführen. Wir lehnen es ab, solche Gebietsveränderungen unter dem Einfluß oder etwa gar über die Hintertreppen der Besatzungsmächte zu betreiben. Solche Veränderungen sollen vielmehr der Entscheidung der beteiligten Bevölkerungen vorbehalten sein. Der Sinn der heutigen Besprechung kann nur sein, daß wir das ganze Problem von Grund auf diskutieren, daß wir uns darüber klar werden, welche Fragen im einzelnen zu lösen sind, damit die Redaktionskommission uns eine brauchbare Formulierung vorlegen kann. Vors. [Dr. Heuss]: Wie wollen wir verfahren? Ich denke, wir müssen uns zunächst über den Inhalt dessen klar werden, was die Formulierung enthalten soll. Zunächst handelt es sich wohl darum, einen bestimmten Termin zu setzen. Die Situation im Osten ist eine völlig andere als die im Westen. Wunderlich: Wäre es nicht zweckmäßig, wenn wir versuchten, an Vergangenes anzuknüpfen. Ich denke da vor allem an die Vorarbeit, die die Vereinigung zur Neugliederung des Reichs, der sogenannte Lutherbund geleistet hat16). Wir könnten Sachverständige dazu hören. Ich glaube, Herr Luther steht sofort zur Verfügung. Der Lutherbund hat in der Tat wertvolle Vorarbeit geleistet. 14) Art. 107 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946. 15) Art. 92 der Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947. 16) Der „Luther-Bund" war eine während der Weimarer Republik aktive Vereinigung

zur

„Erneuerung des Reiches". Vgl. Ludwig Biewer: Reichsreformbestrebungen in der Weimarer Republik. Frankfurt [. .] 1980, S. 109—110. Ferner Hans Luther: Politiker ohne Partei, Erinnerungen. Stuttgart 1960, S. 424. Hans Luther (1879-1962), 1925-1926 Reichskanzler, fungierte noch 1952—1955 als Vorsitzender eines Sachverständigenausschusses für die Neugliederung des Bundesgebietes. .

345

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Vors. [Dr. Heussl: Das Material des Lutherbundes werden wir

uns

beschaffen

können17). Reuter: Ich glaube, die Aufgabe ist zunächst, eine Verfassungsbestimmung zu schaffen. Diese Aufgabe kann sich nicht auf die materielle Seite erstrecken, sondern muß sich notwendig auf die formelle Seite beschränken. Es gilt zunächst, einen möglichst zweckmäßigen Termin zu finden. Ich habe bereits angedeutet, wie verwickelt die Probleme sind, wie eng die einzelnen Länder zusammenhängen. Man kann das niedersächsische Problem nicht lösen, ohne zu wissen, was aus Sachs en-Anhalt werden wird. Es ist viel leichter, gewisse Wünsche im westlichen Teil Niedersachsens zu befriedigen, wenn man weiß, wie die anderen Probleme gelöst werden. Nur im Gebiet Südwestdeutschlands ist die Situation anders. Schon bei Rheinland-Pfalz bin ich mir nicht ganz im klaren darüber, wann man damit anfängt. Im Nordwesten entsteht sofort eine Art Kettenwirkung, eine Art Kettenreaktion, die sofort in Gang gesetzt wird, wenn man den ersten Anstoß macht. Wenn man erst richtig in die Materie hineinsteigt, wird einem der komplexe Zusammenhang aller dieser Dinge klar. Der Herr Vorsitzende hat vollkommen recht, wenn er sagt, es muß ein Termin gefunden werden. Das letzte Ziel muß immer sein die Wiedergewinnung der Einheit unseres Landes. Wie gesagt, ich habe etwas Bedenken, etwas Angst vor der Kettenwirkung und davor, daß eine Teilfrage das Problem in seiner Gesamtheit aufrollt. Das war auf der Konferenz der Ministerpräsidenten einer der Gründe, der uns veranlaßte, uns zunächst auf die südwestdeutschen Probleme zu konzentrieren18). Man erkannte eben, daß eins das andere mit sich zieht. Es wird sehr schwer sein, für den Westen einen Sondertermin zu finden. Vors. [Dr. Heuss]: Ich sehe die Dinge etwas aus der pfälzischen Perspektive an, wo ich einen großen Teil meiner Kindheit zugebracht habe. Im Augenblick ist es da so: Die bayerische Pfalz ist ein Land, auf das Bayern, Stuttgart, Wiesbaund Paris gucken. Darin sehen wir eine ungeheure Gefahr, den, Koblenz und das ist der Grund, weshalb viele sagen, wir fassen die Dinge nicht an und halten lieber den Schwebezustand aufrecht. Nun wissen wir nicht, wie es mit Gesamteuropa weitergeht. Aber man muß bedenken: die hintere Pfalz liegt schon im Saargebiet19). Das ist mein Einwand gegenüber dem zögerlichen Ver—

17) Vgl. hierzu L. Biewer (Anm. 16): Reichsreformbestrebungen, S. 110 ff. 1B) Zur Neugliederungsfrage auf den Konferenzen der Ministerpräsidenten s. Der Pari. Rat Bd. 1, S. LVH ff.: ferner Almuth Hennings: Der unerfüllte Verfassungsauftrag. Die Neu-

gestaltung des Bundesgebietes im Spannungsfeld politischer Interessengegensätze. Heidelberg und Hamburg 1983. 19) Seit 1940 bestand eine Verwaltungseinheit zwischen dem Saargebiet und der Pfalz, indem die Dienststelle des Reichskommissars für das Saarland mit dem Regierungspräsidenten der Pfalz zusammengelegt wurde unter der Bezeichnung „Der Reichskommissar für die Saarpfalz" mit Dienstsitz in Saarbrücken. Am 10. Mai 1945 wurde von den amerikanischen Verwaltungsbehörden diese Verbindung wieder gelöst und ein Oberpräsidium Saarland-Pfalz-Südhessen eingerichtet (Leitung Rechtsanwalt H. Neureuter), das jedoch nur bis zum 1. Juni bestand. Denn zu diesem Zeitpunkt wurde von den US-Behörden eine Zentralregierung für die Gebiete Pfalz, Saarland, Rheinhessen und den Regierungsbezirk Darmstadt gebildet (unter Hermann Heimerich SPD, Mannheim). Das Saargebiet wurde dann jedoch bereits im Juli 1945 der französischen Besatzungszone zugewiesen. 1946 wurde es aus der französischen Besatzungszone ausgegliedert und damit 346

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halten der Ministerpräsidenten, die Geschichte abzumachen, obwohl man weiß, daß dann die ganze Geschichte über Hessen, Rheinland-Pfalz, Köln, Düsseldorf, Oldenburg und was weiß ich sonst noch losgeht. Der heutige pfälzische Zustand ist als Dauerzustand unhaltbar. Deshalb hätte ich von mir aus nichts dagegen einzuwenden, wenn die Sache in Bewegung kommt, obwohl ich weiß, daß diese Fragen nicht von heute auf morgen gelöst werden können. Wir müßten nach einer Formel suchen, die eine westliche Zwischenlösung offen läßt und für den Osten sozusagen einen neuen Termin setzt, für den das, was wir in unser Grundgesetz schreiben, nicht maßgeblich ist. Für mich ist die pfälzische Problematik dringlicher als die anderen Sorgen, gerade wegen der Möglichkeit und Gefahr außenpolitischer Beeinflussung. Herr Eberhard, was ist Ihre Meinung in dieser Frage? Vielleicht sehe ich die Dinge etwas zu pointiert. Auch habe ich zu wenig Einblick in die Saar-Situation. Das habe ich auch unseren Ministerpräsidenten wiederholt erklärt. Dr. Eberhard: Ich sehe die Sache noch pointierter, weil ich ungefähr weiß, was im Saargebiet vorgeht. Es ist möglich, daß allmählich eine ganz vernünftige Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich über das Saargebiet in Gang kommt. Dann könnte das Saargebiet wirtschaftlich nach beiden Seiten arbeiten. Über den wirtschaftlichen Anschluß des Saargebiets an Frankreich braucht weiter gar nicht diskutiert zu werden, wenn dem Saargebiet gleichzeitig ein kulturelles und politisches Verbleiben bei Deutschland ermöglicht wird. Ich bin sehr dafür, daß wir in unserem Grundgesetz die Möglichkeiten, die vorhin formuliert wurden, offenhalten. Ich erinnere an den konkreten Vorschlag, den man auf Herrenchiemsee in Anlehnung an den Beschluß erster Lesung des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung gemacht hat und der die Zustimmung der Mehrheit gefunden hat. Da heißt es unter anderem: Die Gliederung des Bundes in Länder soll im Sinne der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung unter möglichster Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung erfolgen. Die Neubildung von Ländern oder die Änderung ihres Gebietes durch Vereinigung oder Abtrennung von Gebieten kann durch Bundesgesetz erfolgen, wenn sie durch den Willen der Bevölkerung gefordert wird oder ein Eine

überwiegendes Allgemeininteresse sie erheischt20). derartige Formulierung scheint mir aus gewissen nationalpolitischen

den sehr wesentlich

zu

Grün-

sein.

der Kompetenz des Kontrollrats entzogen, um direkt Paris unterstellt zu werden. Die saarländische Verfassung vom 15. Dez. 1947 ging von der Lösung des Saarlands von Deutschland und vom wirtschaftlichen Anschluß an Frankreich aus. Vgl. F. Roy Willis: The French in Germany 1945—1949. Stanford 1962, passim. Jacques Freymond: Die Saar 1945—1955. München 1961. Heinrich Schneider: Das Wunder an der Saar, ein Erfolg politischer Gemeinsamkeit. Stuttgart 1974. Per Fischer: Die Saar zwischen Deutschland und Frankreich, politische Entwicklung 1945-1959. FranWurt(M) und Berlin 1959. Johannes Hoffmann: Das Ziel war Europa, der Weg der Saar 1945—1955. München, Wien 1963. Wilfried Loth: Die Saarfrage und die deutsch-französische Verständigung. Versuch einer Bilanz. In: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 34/35 (1986/1987), S. 276-291. 20) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 202. 347

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Reuter: Die Formulierung muß auch die formellen Bedingungen enthalten. Zunächst muß für jede Neugliederung die Zustimmung des Bundes vorliegen. Der Bund muß zustimmen; die Länder oder die Teile der Länder, die betroffen wer-

den, müssen zustimmen. Wenn man eine Volksabstimmung ins Auge faßt, so kann sie nur auf eine qualifizierte Mehrheit im Gesamtgebiet, nicht aber in irgendeinem einzelnen Teil abzielen. Ein ähnliches Verfahren gibt es bei gemeindlichen Zusammenlegungen. Damit müssen die betreffenden Gemeinden und das Land zustimmen. Solche formellen Bedingungen werden bei jeder Neugliederung unentbehrlich sein. Ich kann mir eine Neugliederung nicht vorstellen, wenn nicht die betreffenden Landtage und der Bund zustimmen. Diese drei Komponenten müssen in der Formulierung enthalten sein. Vors. [Dr. Heussl: Die erste Komponente ist in dem Vorschlag von Herrenchiemsee vorgesehen. Reuter: Der Bund kann nicht allein bestimmen. Vors. [Dr. Heuss]: Es fehlt aber die Zwischeninstanz: die Zustimmung der betei-

ligten Landtage. Reuter: Eine Lösung

in der Art, daß der Bund allein zustimmt, ist kaum

vor-

stellbar.

Bergsträsser: Dieser Vorschlag steht im Widerspruch zu der Formulierung, die wir bezüglich der Eingliederung anderer Gebiete gefunden haben. Wir haben ausdrücklich gesprochen von Ländern und Teilen von Ländern. Das würde ein Schönheitsfehler sein, und abgesehen davon wäre es auch sinnwidrig, wenn ein kleines Gebiet eines Landes woanders hin will, die Entscheidung in einer Abstimmung vom Gesamtgebiet fällen zu lassen, das vielleicht ganz andere Interessen hat. Vors. [Dr. Heuss]: Es kommt hier auf die Interpretation des Begriffes „überwiegendes Allgemeininteresse" an. Da ist z. B. der Ort Wimpfen21), das zu Hessen gehört, aber bei Heilbronn liegt. Dr. Bergsträsser: Ich kenne die Sache auch. Hessen hat ein Interesse an Wimpfen, weil es die Salinen und Salzbergwerke hat, die etwas einbringen. Vors. [Dr. Heuss]: Da wäre die Frage zu stellen: Liegt es im überwiegenden Allgemeininteresse, daß Wimpfen dem Lande Württemberg-Baden eingegliedert wird und nicht zu Hessen kommt? Was heißt hier „überwiegendes Allgemeininteresse"? Dr. Weber: Das ist ein Thema für eine Doktorarbeit. Dr. Bergsträsser: Wir müssen uns über den Begriff „Allgemeininteresse" klarwerden. Es spielen hier doch vielfach Sonderinteressen herein. In der Weimarer Republik hatten wir eine einzige derartige Volksabstimmung; sie betraf Coburg213). Ich weiß im Augenblick nicht mehr, wie das gelaufen ist. Soviel ich mich erinnere, hat da nur die Coburger Bevölkerung abgestimmt. Vors. [Dr. Heuss]: Coburg hat sich nicht aus einem anderen Lande herausgelöst. Bis zum Ende des ersten Weltkriegs bestand Sachsen-Coburg-Gotha aus zwei Dr.

Wimpfen war seit 1803 hessische Enklave und kam erst 1951 zu Baden-Württemberg. ') 1920 schloß sich Coburg durch Volksabstimmung an Bayern an. ) Bad

mung

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durch Volksabstim-

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Herzogtümern. 1918 war die Dynastie gegenstandslos geworden. Der Staat Thüringen wurde erst später gebildet, nach dem Anschluß Coburgs an Bayern. Wunderlich: Mir schwebt der Gedanke vor, daß man zur Lösung solcher Fragen ein besonderes Organ schaffen sollte. Wenn Interessen ausgespielt werden, wird man ohne ein solches Organ praktisch nie zu einer Lösung kommen. Vors. [Dr. Heuss]: Sie wollen also ein

Flurbereinigungsamt Deutschland schafden Ländern. Wunderlich: Gebildet aus den Ländern und dem Bund, mit Sachverständigen für jede konkrete Frage. Vors. [Dr. Heuss]: Dabei werden Sie um die Mißachtung bestimmter demokratischer Grundprinzipien nicht herumkommen, und es besteht die Gefahr, daß mehr Wunden geschlagen werden, als sich sachlich lohnt. In einem demokratischen Verfahren vollziehen sich solche Lösungen durch Diskussion, Ausgleich, fen, gebildet

aus

Unterredung.

Problem, das Herr Dr. Bergsträsser angeschnitten hat, ist natürlich Aber ich bitte, es einmal durchzudenken. Nehmen wir Südbaden! Wenn es erklärt, es will nicht, dann ist das sein gutes Recht. Aber es wird über kurz oder lang einsehen, daß es auf die Dauer nicht geht. Die Pfalz will; das ist ein ganz klarer Willensentschluß. Nordrhein-Westfalen wird im Augenblick nicht wollen. Aber wenn das Problem einmal in seiner Gesamtheit aufgerollt wird, dann wir auch Nordrhein-Westfalen bereit sein, mit sich reden zu lassen. Ohne Zustimmung der Länder wird sich jedoch eine wirklich gesunde Lösung kaum finden lassen. Man muß dabei auch die Imponderabilien berücksichtigen, die gerade auf diesem Gebiete eine große Rolle spielen. Es handelt sich nicht nur darum, rational zu organisieren. Die Neugliederung der Länder ist keine rationale Angelegenheit. Es ist nicht damit getan, Deutschland neu zu organisieren. Das wäre ein Unsinn. Nehmen Sie Oldenburg, Ostfriesland. Die wollen von dem verdammten Kerl Hannover nichts wissen. Aber die Neugliederung wird viel leichter sein, wenn sie im größeren Raum vonstatten geht; da wird Hannover mit sich reden lassen. Kann man sich überhaupt vorstellen, daß eine gesunde Lösung ohne Zustimmung der beteiligten Länder erreicht werden kann? Ich glaube nicht. Ich habe mich viel mit diesen Problemen beschäftigt. Ich bin überzeugt, daß die Neugliederung unaufhaltsam ist. Sie wird kommen. Sie wird Zeit und Geduld erfordern. Aber man wird sie nicht auf dem Reißbrett schaffen können. Andererseits geht es auch ohne Zustimmung des Bundes nicht. Ohne Zustimmung des Bundes können nicht zwei Länder miteinander sozusagen einen Privatvertrag schließen. Das ist keine Privatangelegenheit der Länder, sondern eine Angelegenheit der Gesamtheit, und dazu brauchen wir die Zustimmung des Bundes. Eine gewisse Präponderanz des Bundes, seine objektive Einstellung den einzelnen Gliedern gegenüber ist notwendig; sie wird sich schließlich durchsetzen. Ich bin ein unbedingter Anhänger der Neugliederung. Ich habe da keine so starken Bedenken wegen der Enklaven und Exklaven; das sind nicht mehr als Schönheitsfehler. Eines Tages werden die Probleme von selbst reif. Wenn in zwei Jahrhunderten noch Länder bestehen, dann geht das Reich daran auch noch nicht zugrunde. Entscheidend ist, daß diese Probleme auf möglichst breiter Basis gelöst werden. Wir müssen in unserer ForReuter: Das

schwierig.

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mulierung Minimalvoraussetzungen für die Neugliederung schaffen.

Damit muß sein Bewenden haben. Selbstverständlich wird der Bund die Sachen in die Hand nehmen müssen. Das Vorhandensein des Bundes ist schon der erste Schritt zur Neugliederung überhaupt. Von unten her gewinnen die Dinge den es

Aspekt des gegenseitigen Aushandelns kleinlicher Sonderinteressen. Dr. Bergsträsser: Ich muß schon sagen, die Meinungen gehen hier sehr auseinander. Ich kann mir nicht recht vorstellen, wie es überhaupt zu einer Neugliederung kommen soll, wenn die Länder maßgebend sind und ein Vetorecht haben. Nehmen Sie den extremen Fall Wimpfen! Angenommen, die Bevölkerung Wimpfens

entschließt sich, sich einem anderen Land anzuschließen. In diesem Fall hätte das Land Hessen ein Einspruchsrecht, und daran könnte die Eingliederung scheitern. Wenn wir den Fall durchdenken, entsteht ein merkwürdiges Extrem. Anders verhält es sich mit einem Land wie Rheinland-Pfalz. Hier ist die Bevölkerung losgelöst von anderen Ländern, Hessen, Bayern, Preußen usw., kann daher selbständig entscheiden. Südbaden ist vor eine Entscheidung gestellt. Entscheidet es sich daich persönlich glaube noch nicht, daß das die für, für sich bleiben zu wollen des Landes es ist vielmehr die Auffassung eines Kreises, der ist; ganzen Meinung eine Minorität darstellt —, dann würde das Land ja sehen, wohin es kommt. Dr. Diederichs: Meiner Ansicht nach kann nur der Teil der Bevölkerung gefragt werden, der den Wunsch äußert, an ein anderes Land angeschlossen zu werden. Nach unserer Formulierung ist der Bund auch nicht gehalten, eine solche Neugliederung durchzuführen, sondern er wird unter dem Aspekt des überwiegenden Allgemeininteresses handeln und die Frage prüfen, ob er einem solchen Ersuchen Rechnung tragen will oder nicht. Man muß die Entscheidung den Landesteilen überlassen, die sich zusammenschließen wollen. Letzten Endes wird der Bund durch Gesetz entscheiden, ob vom überwiegenden Allgemeininteresse her einem solchen Ersuchen Rechnung zu tragen ist. Dr. Bergsträsser: Der Vorgang vollzöge sich dann analog der Ein- und Ausgemeindung nach der hessischen Gesetzgebung. Wir haben diesen Fall zweimal im hessischen Landtag gehabt. Wenn von einer Gemeinde die Ausgliederung und von einer anderen die Eingliederung verlangt wird, dann geschieht dies durch ein normales Landesgesetz, nicht etwa mit qualifizierter Mehrheit. In Württemberg-Baden ist in der Verfassung für irgendwelche Angliederungen eine Volksabstimmung mit qualifizierter Mehrheit vorgesehen. Das wäre eine sehr schwierige Sache. Dr. Weber: Ich darf an den Art. 18 der Weimarer Verfassung erinnern, wonach die Änderung eines Gebiets von allen beteiligten Ländern eines verfassungsändernden Gesetzes bedarf. Stimmen die unmittelbar beteiligten Länder zu, dann genügt ein einfaches Reichsgesetz. Dr. Bergsträsser: Das ist auch eine ziemlich starke Behinderung. Vors. [Dr. Heuss]: An sich liegt die Sache so: Zu jeder Umgliederung ist außer dem Bundesgesetz ein Landesgesetz notwendig, weil die Landesgesetzgebung die Konsequenzen aus dieser Umgliederung in schulischer oder finanzieller Hinsicht vollziehen muß. Es kommt wesentlich darauf an, ob der Bund einem Land die Auflage erteilen kann, seinerseits das Gesetz zu vollziehen. Das ist eine Frage der Stellung des Bundes zu den Ländern. —

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Reuter: Die Schwierigkeiten sind geringer geworden, seitdem Preußen nicht mehr besteht. Vieles in der Weimarer Zeit ist an dem Vorhandensein Preußens gescheitert. Heute wird die Bereitwilligkeit zur Bereinigung bei den Ländern viel größer sein. Auch eine qualifizierte Mehrheit wird für ein Bundesgesetz leichter erreichbar sein, falls ein Teil nicht zustimmt. Irgendeine Qualifizierung für den Bundesbeschluß werden wir haben müssen. Ein verfassungsänderndes Gesetz können wir sowieso nicht machen. Das würde bedeuten, daß die Verfassung geändert werden müßte. Aber man könnte bestimmen, daß die Länder einer Neugliederung zustimmen müssen. Stimmt ein Land nicht zu, dann wäre die absolute Mehrheit für ein Bundesgesetz zu verlangen. Übrigens wird der Bund solche Fragen nicht leichtfertig in die Hand nehmen; er wird sich nur entschließen, wenn sehr ernste Allgemeininteressen vorliegen. Dr. Diederichs: Vielleicht kommt man der Lösung näher, wenn man zunächst festlegt, von wem die Initiative ausgehen muß. Soll sie beim Bund liegen oder soll sie aus der Bevölkerung kommen? Damit wäre die Frage geklärt, ob der Bund eine solche Neugliederung von sich aus in Gang setzen kann, indem er einem Bevölkerungsteil nahelegt, die Initiative zu ergreifen. Vors. [Dr. Heuss]: Wir müssen zunächst die Grundthese aufstellen, daß der Tatbestand der Wünschbarkeit einer Neugliederung gegeben sein muß. Erst dann kann man über das Verfahren reden. Kuhn: Es ist hier der Artikel 18 der Weimarer Verfassung erwähnt worden. Die damalige Situation war eine andere als heute. Damals bestand die Gefahr der Abtrennung von Schlesien und dem Rheinland. Heute streben die exclusiven Teile zu dem größeren Ganzen22). Wir gehen bei der Frage der Neugliederung heute von ganz anderen Motiven aus. Was die Pfalz betrifft, so liegt die Initiative durchaus auf der Seite der Bevölkerung. Man hat erkannt, daß dieses Konglomerat von Staat, das von den Militärgouverneuren anerkannt wurde, einer gewissen Flurbereinigung bedarf und die Pfalz wird auf ihrem Recht bestehen und ihren Willen durch eine Mehrheit bekunden. Auch der Ministerpräsident Altmeier von Rheinland-Pfalz hat am vergangenen Sonntag erklärt, mit der Bildung des Bundes müsse man an die Aufteilung und Grenzveränderung im Südwesten herangehen23). Man erwartet also vom Bunde, daß er die Initiative ergreift. Jedenfalls müssen wir uns auf die heutigen Gegebenheiten umstellen. Ein Verfahren wie nach Art. 18 der Weimarer Verfassung ist heute nicht mehr am Platz.

;) Kuhn hatte die ersten drei Sätze seiner Ausführungen am 27. Okt. 1948 dem Sekretariat übersandt mit der Bitte, sie im Prot, aufzunehmen (Z 5/31, Bl. 109). ') Angespielt wurde vermutlich auf eine Rede von Altmeier, die er am 15. Okt. 1948 anläßlich der Einweihung der wiederaufgebauten Rheinbrücke in Worms gehalten hatte. Dabei ging es allerdings nicht um Fragen der Länderneugliederung. Zu diesem Thema hatte er eine grundsätzliche Rede vor dem Landtag am 19. August 1948 gehalten. Vgl. Peter Altmeier. Reden 1946—1951. Hrsg. von Karl Martin Graß und Franz-Josef Heyen. Boppard 1979. Zum Gesamtkomplex vgl. Hans Fenske: Rheinland-Pfalz und die Neugliederung der Bundesrepublik, in: 40 Jahre Rheinland-Pfalz. Eine' politische Landeskunde. Hrsg. von Peter Haungs. Mainz 1986, S. 103—130; Heinrich Küppers: Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1946—1951. Mainz 1990.

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überwiegendes Interesse gelten, daß keine Zwergentstehen. staaten Reuter: Der Bund muß unter allen Umständen entscheiden. Vors. [Dr. Heuss]: Die Sache in Weimar ging so vor sich: Hugo Preuß24) wünschte damals die Aufteilung Preußens; die Kooperation Wolf gang Heine25), Braun26), Fischbeck27) trat aber in die Nachfolge der Hohenzollern, wofür sich damals manches anführen ließ. Das Rheinland war gefährdet, Ostpreußen war gefährdet, und eine starke Verklammerung des Reichs schien notwendig und zweckmäßig zu sein. Dies geschah alles aus der Idee heraus, die Auflösung des Reiches zu verhindern. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Herr Reuter recht hat, wenn er sagt, daß der Wegfall Preußens die Situation sehr erleichtere. Ihr Wort in Gottes Ohr! Manchmal habe ich die Empfindung, daß in manchen Koalitionskabinetten und bei manchen Ministerpräsidenten so eine Art Hausmachtsgefühl, Mehrer des Vaterlandes zu werden, im Wachsen ist. „Mehrer des Vaterlandes" stand auch auf den Gräbern der alten Fürsten. Auch die meisten Koalitionsregierungen möchten Mehrer und nicht Minderer des Vaterlandes sein. Was Herr Altmeier gesagt hat, tröstet mich etwas; er hat immerhin ein Gefühl dafür, daß die Dinge im Huß bleiben. Wir müssen im Grundgesetz die Modalitäten einer solchen Bereinigung regeln und das Initiativrecht festlegen, das sowohl bei den Bevölkerungen wie auch bei den politischen Körpern liegen kann. Auch der Bund kann von sich aus mit einem solchen Antrag kommen und die Bevölkerungen auffordern, dazu Stellung zu nehmen. Also muß das Initiativrecht auch beim Bund liegen. Der Bund kann bei aller Wertschätzung der individual-demokratischen Rechte der Bevölkerung überwiegende Bundesbedürfnisse in Anspruch nehmen. Der Bildung von Zwergstaaten und der Befriedigung von Sonderwünschen muß vorgebeugt werden. Der heutige Zustand ist zum Teil ein Ergebnis der Politik der Besatzungsmächte. Ich habe Erfahrung in diesen Dingen. Man muß hier vorsichtig zu Werke gehen, damit nicht in ungeschickter Weise Kränkungen verursacht werden, die die Atmosphäre auf lange Zeit hinaus vergiften. Wir wollen nun für den Redaktionsausschuß die Punkte festlegen, die bei der Formulierung zu beachten wären. Ich bitte mir dabei zu helfen. Zunächst haben wir zweierlei Rhythmus in der Terminbestimmung, für Grenzfragen des Westens und solche des Ostens. Eine Frist von zwei Jahren ist zu kurz. In zwei Vors. [Dr. Heuss]: Es darf als

24) Hugo Preuß, s. Dok. Nr. 4, Anm. 17. Zu seinen Vorstellungen über die Reichsreform vgl. L. Biewer (Anm. 24), S. 40 ff.; Gerhard Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur. Ver-

fassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. 1 : Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919—1930. Berlin 1963. 25) Wolfgang Heine (1861—1944), SPD, Preußischer Justizminister und Innenminister bis März 1920. Braun (1872—1955), sozialdemokratischer Politiker und preuß. Ministerpräsident. Vgl. Hagen Schulze: Otto Braun oder Preußens politische Sendung. Eine politische Biographie. Frankfurt/Main Berlin Wien 1977. Otto Fischbeck (1865-1939), Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, seit 1918 preußischer Staatsminister für Handel und Gewerbe; Mitglied der verfassungsgebenden

26) Otto 27)



Deutschen

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Nationalversammlung.

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Jahren ist die Sache

im Osten noch nicht aktuell. Wir müssen immer auch an die Probleme Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen usw. mit denken. Da kann man keine Frist setzen. Was die Beteiligung anlangt, so sind beteiligt der Bund, die Länder und die Be-

völkerungen. Reuter: Jede Neugliederung ist durch Bundesgesetz festzulegen. Damit ist die Initiative des Bundes bereits festgelegt, und der Bund kann sie entfalten. Eine weitere Frage ist: Kann die Zustimmung eines Landes ersetzt werden durch einen Teil? Welches sind die Modalitäten dafür? Dr. Weber: Diese Modalitäten hat Art. 18 der Weimarer Verfassung auch festge-

legt.

Zinn: Praktisch ist man mit dem Art. 18 keineswegs weitergekommen. Vors. [Dr. Heuss]: Wir sind uns darüber einig, daß bei einer Umgliederung das

Land auch den gesetzgeberischen Akt zu vollziehen hat, weil vielleicht organisatorische Veränderungen in der Verwaltung notwendig sind. Zinn: Das ist bei jeder Eingemeindung der Fall. Dr. Diederichs: Man sollte hier nicht vom Land, sondern vom Landesteil sprechen. Vors. [Dr. Heuss]: Wir wollen in diesem Zusammenhang den Ausdruck „Der Betroffene" vermeiden, sondern von „Beteiligten" reden. „Den Betroffenen" kennen wir aus dem Spruchkammerverfahren28). Wunderlich: Wir müssen eine Formulierung finden, die den dauernden Fluß der Dinge in eine endgültige Ordnung überführt, sonst kommen wir aus der ewigen Unruhe nicht heraus. Wir wünschen keine Verewigung des gegenwärtigen Zustandes, aber ebenso wenig einen dauernden Fluß. Wir gingen zunächst von dem Gesichtspunkt aus, daß die Sache mit einer einmaligen Bereinigung abgeschlossen werden sollte. Wir haben es mit zweierlei Fragenkomplexen zu tun: solchen, die sofort geregelt werden müssen, und solchen, die zu regeln sind, wenn das Reichsgebiet wieder vereinigt ist. Vors. [Dr. Heuss]: Falls wir dazu kommen sollten, eine Frist zu setzen, kann man zugleich bestimmen, daß diese Befristung sich nur auf die gegenwärtigen Gebiete bezieht. Die Ausweitung des Problems auf den Osten ergibt sich von selbst. Unsere Aufgabe ist, wenigstens der Phantasie der Bevölkerung des Ostens eine Art Gebrauchsanweisung zu geben, daß wir ihre Grenzbelange in unsere Erwägungen durchaus einbezogen haben. Wunderlich: In Süd-Oldenburg pendelt die Stimmung hin und her. Einmal wird in den Kreistagen der Beschluß gefaßt, daß man zu Westfalen gehört, zum ehemaligen Fürstbistum Münster. Das nächste Mal stimmen die Beteiligten für ein Land Oldenburg. Das geht so hin und her. Diese Dinge müßten in absehbarer Zeit geregelt werden, wenn man nicht ewige Unruhe schaffen will. Vors. [Dr. Heuss]: Ich halte eine Befristung für erwünscht, um der Bevölkerung

beteiligte

einen Termin

zu

geben.

28) Spruchkammerverfahren fanden

im Rahmen der

Entnazifizierung

statt.

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Bergsträsser: Ich halte es andererseits auch wieder nicht für möglich, in Gestalt einer Frist einen Riegel vorzuschieben und man kann heute noch nicht wissen, wie die Dinge sich entwickeln werden. Ich denke da vor allem an die industrielle Entwicklung und die Binnenwanderung. Wenn man sagt, die Ländergrenzen dürfen innerhalb der nächsten fünf Jahre geändert werden und nachher ist Schluß, so halte ich das nicht für richtig. Art. 18 der Weimarer Verfassung war so, wie er gestaltet war, nicht anwendbar. Eine ähnliche Bestimmung würde auch heute nicht annehmbar sein. Wunderlich: Ich habe mich vielleicht nicht ganz präzis ausgedrückt. Der Grundgedanke muß sein, für eine einmalige Regelung erleichterte Bedingungen zu schaffen. Zinn: Das Problem ist klar. Art. 18 der Weimarer Verfassung ist systematisch logisch. Er ist aber für eine Generalbereinigung unbrauchbar gewesen; seine Anwendung mußte scheitern. Heute kommt es in erster Linie darauf an, in absehbarer Zeit eine Generalbereinigung zu ermöglichen, die dann abschließend sein kann. Wie muß eine solche Regelung aussehen? Es gibt drei Möglichkeiten. Man kann sagen, eine Neugliederung erfordert ein einfaches Bundesgesetz. Man kann auch festlegen, daß ein solches Bundesgesetz die Zustimmung von mindestens der Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl finden muß. Man kann schließlich Zweidrittelmehrheit vorschreiben. Oder man macht die Regelung abhängig von der Zustimmung der Bevölkerungen oder der Länder. Macht man die Regelung von der Zustimmung der Länder abhängig, dann wird man keinen Schritt vorwärts kommen. Die Sache von der Zustimmung der Bevölkerung abhängig zu machen, halte ich auch für unangebracht. Es bleibt also nur ein Bundesgesetz mit irgendeiner qualifizierten Mehrheit übrig. Vors. [Dr. Heussl: Bei aller Anerkennung der Schwierigkeiten, die daraus entstehen können, dürfen wir die Bevölkerung nicht ausschalten. Wir müssen auf die Imponderabilien Rücksicht nehmen. Reuter: Man könnte hier differenzieren. Ich bin gegen die Zustimmung der Länder nicht mehr ganz so skeptisch wie früher. Der Traditionalismus der Länder ist im Schwinden begriffen. Man könnte sagen: Stimmt das beteiligte Land nicht zu, dann muß man seine Zustimmung ersetzen durch eine qualifizierte Mehrheit bei der Beschlußfassung über das Bundesgesetz. Bei NichtZustimmung eines Landes reicht ein einfaches Bundesgesetz nicht aus. Es gibt zwei Formen qualifizierter Mehrheit: die absolute Mehrheit der Abgeordneten und die Zweidrittelmehrheit. Die Zustimmung der Bevölkerung ist gewiß eine sehr zweischneidige Sache; aber man kommt darum nicht herum. Aber soll die einfache Mehrheit der Abstimmenden genügen, oder muß eine qualifizierte Mehrheit vorhanden sein? Im allgemeinen muß der Bund den territorialen Kreis umschreiben, der der Abstimmung unterworfen werden soll. Zu diesem Zweck muß man ein Verfahren schaffen, das einfach und unmißverständlich ist. Der Widerstand eines Landes darf nicht unüberwindlich sein. Die Sache muß so gemacht werden, daß man mit Aussicht auf Erfolg in absehbarer Zeit zu einer vernünftigen Lösung kommen kann. Eine vernünftige Formulierung zu finden wird Aufgabe der Redaktionskommission sein. Dr.

354

Dreizehnte Dr. Diederichs: Ich teile die

Ergebnis

zu

Skepsis

Sitzung

20.

Oktober 1948

des Herrn Zinn. Um

zu

einem

Nr. 17

gerechten

kommen, muß das Land und der unmittelbar betroffene Landesteil

getrennt abstimmen. Die letzte Entscheidung muß beim Bund liegen, der die beiden Voten unter dem Gesichtspunkt höheren Allgemeininteresses abwägen soll. Dr. Bergsträsser: Wenn man schon den Gesichtspunkt des höheren Allgemeininteresses einführt, muß man auch sagen, daß das höhere Allgemeininteresse mit einer qualifizierten Mehrheit des Bundestags durchschlägt. Dr. Diederichs: Auch ich bin dafür, daß eine qualifizierte Mehrheit des Bundestags die fehlende Zustimmung eines Landes oder Landesteils ersetzen soll. Zinn: Praktisch läuft dies wieder auf die Regelung des Art. 18 der Weimarer Verfassung hinaus. Wenn die beteiligten Länder zustimmten, genügte eine einfache Mehrheit; wenn nicht, dann war ein verfassungsänderndes Gesetz notwendig, ohne daß die Bevölkerung gefragt zu werden brauchte. Reuter: Wenn die beteiligten Länder zustimmen, dann bedarf das Bundesgesetz keiner qualifizierten Mehrheit. Zinn: Wir müssen vorsehen, daß eine Gebietsveränderung mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl beschlossen werden kann, unabhängig von dem Willen der Bevölkerung. Vors. [Dr. Heuss]: Wir brauchen die demokratische Floskel der Mitwirkung der Beteiligten, namentlich wenn etwa die Franzosen nervös sind. Wenn man die Beteiligten hereinnimmt, so erleichtert das sicherlich die Situation. Dr. Schioer: Gegen den Willen der beteiligten Bevölkerung eine Angliederung vorzunehmen, halte ich für bedenklich. Zinn: Man kann auch den umgekehrten Weg einschlagen und das Bundesgesetz der betreffenden Bevölkerung zur Entscheidung unterbreiten. Der Bund muß das Problem von sich aus aufrollen und die Zweckmäßigkeit der Neuregelung der Bevölkerung mit vernünftigen Argumenten klarlegen. So kommt man vielleicht eher zum Ziel. Das wäre eine Art Referendum über ein an sich beschlossenes Bundesgesetz. Vors. [Dr. Heuss]: Das würde bedeuten, daß ein Bundesgesetz der Ratifikation durch die beteiligte Bevölkerung bedarf. Aber die Bevölkerung hat auch selbst ein Initiativrecht. Reuter: Wenn die Länder zustimmen, dürfte ein einfaches Bundesgesetz genügen. Der Bund kann aber mit qualifizierter Mehrheit das Bundesgesetz beschließen und der beteiligten Bevölkerung zur Abstimmung unterbreiten. Vors. [Dr. Heuss]: Ein peinliches Problem spielt bei uns in Südwestdeutschland eine Rolle. Herr Wohleb29) hat vorgeschlagen, daß nur diejenigen, die am 1. September 1939 ortsansässig waren oder allenfalls diejenigen, die am 8. April 1945 ortsanwesend waren, an der Abstimmung sich beteiligen dürfen. Hier wird also eine Art Ariernachweis gefordert. Wir haben bei uns mit Ausnahme der französischen Zone viele Vertriebene sitzen, und die alteingesessene Bevölkerung erklärt, diese Leute gehe doch nichts an, was aus dem Lande wird. Die29) Leo Wohlleb (1888-1955), CDU, Ministerpräsident von Süd-Baden. Nach der Errichtung des Landes

Baden-Württemberg

wechselte

er

1952 in den

diplomatischen

Dienst.

355

Nr. 17

Dreizehnte Sitzung 20. Oktober 1948

Momente sind da, ob man ihre Berechtigung nun bejaht Vorgang in Südbaden hat mich ein bißchen mißtrauisch Die gemacht. größte Aufgabe, in der unsere und die nächste Generation stehen, ist die Eingliederung der Vertriebenen in unseren Volkskörper. Ich habe viel Sinn für Heimatdinge; aber man darf damit auch keinen Mißbrauch treiben. Reuter: Die Hüchtlinge haben ein legitimes Wahlrecht. Es ist doch ihr Land, in dem sie leben und arbeiten. Wir können doch nicht zweierlei Recht innerhalb eines Bevölkerungsteils schaffen. Die Frage ist nicht so einfach. Ich denke an Schleswig-Holstein. Wenn dort eine Abstimmung käme, dann würden die Einheimischen durch die Hüchtlinge, die dort in großer Zahl sind, glatt überstimmt se

psychologischen

oder verneint. Dieser

werden. Vors. [Dr. Heuss]: Diese volkspsychologischen Gesichtspunkte sind in solchen Fragen von außerordentlicher Bedeutung. Ich glaube die Dinge etwas zu übersehen. Ich teile durchaus die Auffassung des Herrn Reuter, daß, wer das Wahlrecht besitzt, auch abstimmen darf. Bei den Gemeinden ist das Wahlrecht an einen halbjährigen Aufenthalt gebunden30). Gut, das ist in Ordnung. Aber bei soundso vielen Vertriebenen weiß man nicht, ob sie bleiben wollen oder ob ihr Aufenthalt nur transitorisch ist. Aber sie sind jetzt Aktivbürger. Dr. Diederichs: Ich möchte doch davor warnen, schlechthin von Hüchtlingen zu sprechen als einer Mehrheit, die anders wäre als die ortsansässige Bevölkerung. Die Dinge liegen viel komplizierter, und es besteht die Gefahr, daß auf diese Weise die Hüchtlinge in eine gewisse Ghetto-Manie hineinmanövriert werden. Man muß die Vertriebenen als einen Bestandteil der Umgebung betrachten. Die Vertriebenen sind zu ganz verschiedenen Zeiten eingewandert, und sie sind daher auch in ganz verschiedenem Grade mit der neuen Heimat verwachsen. Man darf also nicht schlechthin von Hüchtlingen sprechen; sonst konstruiert man Gegensätze und vertieft sie, an deren Beseitigung wir alle das höchste Interesse haben. Lensing: Das ist die eine Seite der Sache. Ein anderer Standpunkt ist der, daß diese Hüchtlinge auf die Dauer gar nicht alle bei uns bleiben können. Wir und sie erheben Anspruch auf die Gebiete des Ostens, von wo sie vertrieben wurden und wohin sie später zurückkehren wollen. Diese Leute wollen nur vorübergehend bei uns bleiben, und da wäre es unangebracht, wenn sie etwa bei einer Abstimmung die eingesessene Bevölkerung majorisieren könnten. Dr. Diederichs: Wir legen die Entscheidung in die Hand des Bundes, der sie unter Berücksichtigung des Allgemeininteresses behandelt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bund gegen den Willen der eingesessenen Bevölkerung eine Entscheidung fällt. Der Bund kann, er muß nicht. In einer Zeit, wo die Hüchtlinge fluktuieren und noch nicht eingegliedert sind, wird der Bund sich hüten, grundlegende Änderungen einzuleiten.

30) Zur Frage des Wahlrechtes in Gemeinden nach

1945

s.

Erhard H. M. Lange: Wahlrecht

Innenpolitik. Meisenheim am Glan 1975, S. 43 ff.; in der französischen Besatzungszone mußten Flüchtlinge, um wahlberechtigt zu werden, einen einjährigen Aufenthalt in

und

der Gemeinde nachweisen (ebenda, S. 124). 356

Dreizehnte

Sitzung

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Nr. 17

Vors. [Dr. Heuss]: Ich darf

annehmen, daß ich vor Mißverständnissen geschützt ich die Sache zur Sprache gebracht habe. Ich halte es für gar nicht möglich, heute in der Öffentlichkeit etwa zu sagen: Kinder, ihr kommt ja wieder zurück! Erstens ist der Termin ganz unbestimmt, zweitens wissen wir überhaupt nichts, drittens schaffen wir unter den Flüchtlingen das Fremdheitsgefühl als Dauerzustand und erschweren die soziale Situation. Wir schneiden damit ein Problem an, gegen das eine beträchtliche Gegenreaktion erfolgen kann. Wir können auf der anderen Seite auch sagen, wir haben damit lokal-geographische Kämpfe verfassungsmäßig abgeschaltet, soweit man das tun kann. Dr. Schioer: Es ist doch immer so gewesen, daß man die Bevölkerung nach einem bestimmten Stichtag ihrer Ortsansässigkeit hat abstimmen lassen31). Die Bevölkerung ist heute in einem Zustand starker Fluktuation. Unter diesen Umständen müßte man doch festlegen, daß bei einer Volksabstimmung -in erster Linie die bodenständige Bevölkerung zur Entscheidung berufen ist. Vors. [Dr. Heuss]: Ich bitte dringend, eine Bezugnahme auf das Saargebiet und Oberschlesien draußen zu lassen. Diese Dinge wurden international geregelt. Wir stehen mitten in einer soziologischen Umformung, und mich wird es, wenn ich in hundert Jahren wiedergeboren werde, wahnsinnig interessieren, wie die Situation dann aussehen wird. Auf der Alb gibt es schwäbische Dörfer, wo die Vorfahren der heutigen Bewohner im 17. Jahrhundert aus Salzburg eingewandert sind. Es ist sehr interessant, zu beobachten, wie Boden, Tradition usw. sich auswirken. Aber wir dürfen diese Dinge nicht differenzieren, denn man würde sie nur verschärfen. Bei allen unserem Wissen und Wünschen dürfen wir in die Fassung nicht einmal eine Andeutung bezüglich der Ostgrenzen, der Oder-Neiße-Linie bringen. Leasing: Der Bund wird als redlicher Vermittler zwischen den auseinandergehenden Interessen einen Ausgleich finden können und müssen. Dr. Weber: Man sollte die Eingliederung nicht allzu sehr komplizieren. Wir haben heute eine ganz andere Situation, als sie 1919 bei der Schaffung der Weimarer Verfassung war. Damals bestand Preußen. Ich habe diese Dinge in der Weimarer Nationalversammlung mitgemacht. Heute ist alles im Fluß. Der Bund soll immer ein Recht haben, die Dinge vorwärts zu treiben. Man muß auch bedenken, daß die Flüchtlinge und die einheimische Bevölkerung einen Assimilierungsprozeß durchmachen müssen. Vors. [Dr. Heuss]: Wir unterstellen, daß die Flüchtlinge und Vertriebenen bei der Abstimmung stimmberechtigt sind. Falls diese Frage von einzelnen Ländern in Abrede gestellt würde, dann würde der Verfassungsgerichtshof zu entscheiden haben, was rechtens ist. Wir können im Protokoll ausdrücklich festlegen, daß das die überwiegende Auffassung des Ausschusses ist. Ich halte es für richtig und wichtig, diese Feststellung ins Protokoll aufzunehmen. Oder sollen wir darüber abstimmen lassen? Es könnte sein, daß ein Land auf die Idee kommt, darüber ein Spezialgesetz zu machen. bin,

)

wenn

Folgt gestrichen: „Die Gefahr liegt darin, daß wir in eine Auseinandersetzung mit der Außenpolitik geraten. Wenn wir die internationale Regelung bezüglich Oberschlesien heute auf Deutschland übernehmen, schlagen wir uns ins Gesicht." 357

Nr. 17

Dreizehnte Sitzung 20. Oktober 1948

Dr. Diederichs: Das Primäre ist die Gliederung des Bundes. Diese ist nur möglich über eine Neugliederung der Länder. Die Frage der Stimmberechtigung ist geklärt. Alles was im Bund wahlberechtigt ist, soll auch bei der Neugliederung des Bundes Stimmrecht haben. Vors. [Dr. Heuss]: Formal haben Sie recht; aber das ist etwas formalistisch betrachtet. Primär ist das Bundesinteresse maßgebend, im Rechtlichen, aber im Dynamischen entscheidet sehr oft das Landesinteresse. Wunderlich: Eine Frage, die in der Diskussion auf Herrenchiemsee eine Rolle gespielt hat, ist hier noch nicht erörtert worden. Sollen wir nicht eine Bestimmung hereinbringen, die eine weitere Aufsplitterung der Länder verhindert32)? Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob man nur den Zusammenschluß oder aber auch die Auflösung erleichtern soll. Ich denke an die Bestrebungen Oldenburgs, an die Diskussion über die Bildung eines Ruhrstaates, über die Aufsplitterung des Landes Nordrhein-Westfalen. Vors. [Dr. Heuss]: Oder an die fränkisch-schwäbischen Bemühungen, den bayerischen Staat aufzulösen. Aber das ist natürlich Literatur. Zinn: Der Bund hat natürlich kein Interesse an einer immer weitergehenden Aufsplitterung, die zu lebensunfähigen Ländern führen kann. Umgekehrt hat er auch wieder kein Interesse an einer Zusammenballung von Ländern, daß etwa Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz sich zu einem neuen Preußen zusammenfinden. Unter diesem Gesichtspunkt kann man von der Regelung des Art. 18 der Weimarer Verfassung nicht abweichen. Man kann diese Dinge nicht den Ländern allein überlassen und muß festhalten, daß in jedem Fall der Bund eingeschaltet wird. Vors. [Dr. Heuss]: Damit ist alles gedeckt. Verbieten kann man solche Bestrebungen nicht. Da besteht z. B. die Idee, man solle Augsburg zu Württemberg schlagen, was ich für einen Unsinn halte, oder die Idee, Franken von Bayern zu trennen. Das alles ist verjährte Romantik. Aber es gibt natürlich Vereinigungen, die so etwas propagieren. Verhindern kann man das nicht. Wohl aber kann der Bund feststellen, daß er solche Dinge nicht für zweckmäßig hält. Dr. Eberhard: Die Frage ist noch, ob man als Zielsetzung der Neugliederung den Gesichtspunkt der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung hereinbringen soll, oder ob man darauf verzichtet. Ich stelle nur die Frage. Schioer: In dem Entwurf von Herrenchiemsee ist dieser Gesichtspunkt der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung unter Berücksichtigung des Willens der Bevölkerung erwähnt33). Es wäre doch zweckmäßig, wenn wir diese Fassung beibehalten würden. Zinn: Das ist doch selbstverständlich. Dr. Bergsträsser: Wir sind bisher immer davon ausgegangen, daß wir allgemeine Formulierungen, Deklarationen und Deklamationen vermeiden wollen. Dr. Eberhard: Wenn wir ein Bundesparlament haben, das sich den Zweck setzt, die kulturelle und wirtschaftliche Höchstleistung zu vermindern, sind wir sowieso verloren!

32) Der Pari. 33) Der Pari. 358

Rat Bd. 2, S. 520 ff. Rat Bd. 2, S. 522.

Dreizehnte

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Nr. 17

Vors. [Dr. Heuss]: Der Begriff der kulturellen und wirtschaftlichen Höchstleistung wird sofort umstritten sein. Das ist Literatur der Leitartikel. Dr. Eberhard: Wir sollten nur hereinschreiben, was unbedingt notwendig ist. Wenn Nachbarländer sich dieses oder jenes Gebiet eingliedern wollen, dann wollen wir unseren Anspruch doch nicht hereinschreiben. Aber das könnte doch einmal geschehen, und dann wollen wir die Möglichkeit der Angliederung an deutsches Gebiet mindestens nicht ausschließen. Die Dänen würden sich über eine solche unkluge Bestimmung riesig freuen34). Vors. [Dr. Heuss]: Wir müssen nun eine Redaktionskommission einsetzen. Reuter: Wollen wir nicht vorher noch feststellen, über welche Gesichtspunkte wir uns einig sind, damit die Redaktionskommission eine feste Beratungsgrund-

lage hat?

Zinn: Man könnte sagen: Die Neugliederung von Ländern oder anderen Gebiebedarf eines Bundesgesetzes. Stimmen die unmittelbar beteiligten Länder dann genügt ein einfaches Bundesgesetz. In allen anderen Fällen bedarf ein solches Bundesgesetz der Zustimmung der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl der gesetzgebenden Faktoren. Vors. [Dr. Heuss]: Die Zustimmung der beteiligten Landesteile kann durch die qualifizierte Mehrheit beim Beschluß über das Bundesgesetz überwunden werden. Reuter: Nach dem Vorschlag des Herrn Zinn wäre das Verfahren so: Das Bundesgesetz wird der beteiligten Bevölkerung zur Abstimmung und Entscheidung unterbreitet. Es kann nur in Kraft treten, wenn die Bevölkerung zustimmt. Wenn wir die qualifizierte Mehrheit für das Bundesgesetz haben, dann genügt bei der Volksabstimmung die Mehrheit der Abstimmenden. Vors. [Dr. Heuss]: Wenn das Bundesgesetz mit qualifizierter Mehrheit beschlossen ist, dann genügt die einfache Mehrheit der Abstimmenden. Es müssen also nicht 51 Prozent abgestimmt haben. Den Fall sehen wir nicht vor, daß zur Gültigkeit einer Abstimmung die Beteiligung von 50 Prozent der Wahlberechtigten erforderlich ist? Ich habe die Sorge, daß im Volk vielleicht die Parole ausgegeben wird: Bleibt zu Hause, damit die 50 Prozent nicht erreicht werden! Dr. Diederich: Die Mehrheit der Stimmberechtigten verleiht den Aktivisten ein enormes Gewicht; sie werden die Wahlfaulen hinter sich herziehen. Wir dürfen die Menschen nicht zur Wahlfaulheit auffordern. Wenn wir das tun, brauchen wir wieder Jahre, bis wir die Leute umerziehen und an die Wahlurne ten zu,

bringen. Vors. [Dr. Heuss]: Ich habe auch

Sorge vor eventuellen Enthaltungsparolen, die Landesregierungen ausgegeben werden. Reuter: Ein solcher Versuch ist wirkungslos, wenn wir sagen, daß die einfache Mehrheit der Abstimmenden gewinnt. Wenn die Bevölkerung wirklich dagegen ist, stimmt sie auch dagegen. Demokratischer kann man nicht sein. Vors. [Dr. Heuss]: Es wäre noch etwas über das Initiativrecht der beteiligten Bevölkerung zu sagen. Wir schreiben einfach herein, daß wir diese Initiative anervon

den

kennen.

34) Zu den Auseinandersetzungen im dänisch-deutschen Grenzraum vgl. die in Dok. Nr. 15, Anm. 34 genannte Literatur. 359

Nr. 17

Dreizehnte

Sitzung

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Reuter: Wobei die Initiative der Bevölkerung rechtlich sehr schwer zu fassen ist. Wer bestimmt das Abstimmungsgebiet? Indem man den Abstimmungsbezirk festlegt, entscheidet man schon vielfach das Problem selbst. Die Festlegung des Wahlkreises schafft eine starke Voraussetzung zur Loslösung. Die Initiative der Bevölkerung zu organisieren, ist schwer. Dr. Bergsträsser: Die Initiative müßte an die unterste Verwaltungseinheit gebunden sein. Wenn soundso viel Prozent der Stimmberechtigten dieser Verwaltungseinheit eine Neugliederung wünschen, dann muß diese in die Wege geleitet werden.

Zinn: Es darf keine kleinere Einheit sein als der Kreis. Die Initiative der Bevölkerung muß die Veranlassung sein dafür, daß ein Neugliederungsplan zur Ab-

stimmung gestellt wird.

Vors. [Dr. Heuss]: Nun entsteht ein neues Problem. Nehmen wir an, zwei Kreibeschließen ein Referendum, sie sagen, sie wollen sich dem Nachbarstaat

se

anschließen. Geht die Sache nun unmittelbar an die Bundesregierung oder über das Land? Reuter: Wenn die Initiative einen Sinn haben soll, dann muß die Sache unmittelbar an den Bund gehen. Von Bedeutung ist die Sache nur, wenn das Land nicht will. Wenn das Land will, ist eine Initiative des Bundes durch einfaches Bundesgesetz sofort möglich. Vors. [Dr. Heuss]: Ich hänge noch an dem Briefträgerproblem, daß etwa Bayern und Württemberg erklärt: Ihr dürft das nicht. Geht dann die Ingerenz des Bundes bis auf den Kreis herunter? Dr. Bergsträsser: Logisch müßte das Land die Sache mit seiner eigenen Stellungnahme weiterleiten. Vors. [Dr. Heuss]: Dann hätte also der Kreis keinen direkten Postverkehr mit der Bundesregierung. Reuter: Den hat er, wenn wir die Initiative des Kreises überhaupt zulassen. Vors. [Dr. Heuss]: Der Innenminister des Landes leitet die Sache an die zuständige Stelle der Bundesregierung. Zinn: Das ist eine Verfahrensfrage, die nicht hier herein gehört. Aber sie muß gelöst werden. Dr. Eberhard: Es müßte in der Formulierung noch festgelegt werden, wer über Streitigkeiten bei vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen entscheidet. Nach dem Herrenchiemseer Entwurf entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Eine ähnliche Schlußbestimmung sollten wir auch hier vorsehen. Vors. [Dr. Heuss]: Wir müssen noch die Redaktionskommission einsetzen. Ich schlage dafür vor die Herren Dr. von Mangoldt und Zinn und Frau Dr. Weber. Ich glaube, die Zusammensetzung ist so richtig und findet die Billigung des Ausschusses. Damit kann ich die Sitzung schließen. —

360

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

Nr. 18

Nr. 18

Prof. Richard Thoma1): Kritische Würdigung des vom Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates beschlossenen und veröffentlichten

Grundrechtskatalogs2) 25. Oktober 1948 Z 5/171, Bl. 140-158. Als Drucks. Nr. 244 vervielf. und 1948 maschinenschr. gez. Ausf.3).

[I. BEMERKUNGEN

von

Thoma unter dem 25. Okt.

ZU DEN ZWANZIG EINZELNEN

ARTIKELN]

Zu Art. 1 : So schön und wertvoll dieser erste Artikel ist, so gibt doch gerade seine Fassung Anlaß zu einigen kritischen Bedenken und Gegenvorschlägen. Angesichts

der entsetzlichen, die Würde des Menschen unter die Füße tretenden Entrechtungen, Erniedrigungen, Versklavungen, grausamer Quälereien und Massenmorden, deren sich die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Deutschland

!) Prof. Richard Thoma (1874—1957), bis zu seiner Emeritierung im März 1945 Professor für Staats- und öffentliches Recht in Bonn, war auch Sachverständiger im Wahlrechtsaus-

schuß des Pari. Rates. Seine Ausführungen vom 22. Sept. 1948 über die Wahlsysteme im Sekretariatsumdruck S 45 (Z 5/202). Auch im Rahmen der Bad Godesberger lokalen politischen Szene beteiligte sich Thoma an der Diskussion zum Grundgesetz. In einer FDPVersammlung im Volksgartensaal in Bad Godesberg sprach er am 21. oder 22. Sept. 1948 über Verfassungsfragen (Artikel „Verfassung darf nicht zur Farce werden" in: Westdeutscher Kurier vom 23. Sept. 1948 in: Z 5/178 F). Zu Thoma vgl. Festschrift für Richard Thoma. Zum 75. Geburtstag am 19. Dezember 1949. Dargebracht von Freunden, Schülern und Fachgenossen. Tübingen 1950. Darin ein Verzeichnis der Schriften von Thoma. Eine Monographie über Thoma als Wissenschaftler von Hans-Dieter Rath: Positivismus und Demokratie. Richard Thoma 1874-1957. Berlin 1980. 2) Vgl. Dok. Nr. 16. Die Grundlage für die Ausführungen von Thoma über die Grundrechte war ihr Abdruck in der Tageszeitung „Die Welt" vom 9. Okt. 1948, Artikel „Menschenwürde und Staatsautorität". Vgl. NL Thoma/14. 3) Thoma hatte seine Ausarbeitung unter dem 26. Okt. 1948 an v. Mangoldt gesandt mit einem Begleitschreiben, in der er sich auf eine Unterredung mit ihm vom 15. des Monats berief. Er kündigte ferner an, daß er seine „Bemerkungen" veröffentlichen wolle und bat, ihm gelegentlich mitzuteilen, wann der Zeitpunkt dafür gekommen sei (Z 5/108, Bl. 253). Das Begleitschreiben wurde als Eingabe 386 vom Sekretariat behandelt und nach einem handschr. Vermerk vom 19. Nov. auf Anweisung des Vorsitzenden v. Mangoldt als „erledigt" abgelegt. Unter dem 6. Dez. 1948 dankte v. Mangoldt für die Übersendung der „Kritischen Würdigung" mit den Worten: „Bei unseren Beratungen ist uns Ihre Ausarbeitung eine sehr wertvolle Anregung gewesen, und ich hoffe, daß Sie aus der beiliegenden Fassung der Grundrechtsbestimmungen nach der ersten Lesung im Hauptausschuß entnehmen werden, daß an vielen Stellen Ihre sachverständige Kritik zu einer Änderung des ersten Entwurfs Veranlassung gegeben hat. Der Ausschuß ist sich bei den Beratungen immer mehr darüber einig geworden, welchen großen Dienst Sie durch Ihren Beitrag der Sache erwiesen haben" (NL Thoma/14). 361

Nr. 18

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

hat und deren sich die bolschewistische Gewaltherrschaft der noch immer schuldig macht, ist es zu begrüßen, daß der GrundSowjetunion rechtskatalog sofort in seinen ersten Sätzen die Würde des Menschen unter den Schutz des Staates stellt. Um so mehr sollte man diesen Worten unmittelbar die Tat folgen lassen, in Gestalt eines Rechtssatzes, welcher aller öffentlichen Gewalt durch Verpflichtung zur Achtung und Schonung der Menschenwürde eines jeden und sei es auch niedrigen und strafwürdigen Menschen eine unantastbare Grenze setzt, und der so entschieden und allgemein gestaltet ist, daß er einzelne Aufzählungen von verbotenen Humanitätsmißachtungen (wie Grausamkeiten aller Art, Zwangssterilisierungen, Sippenbestrafungen, Unterstützungsverweigerungen, Versklavung und Brandmarkung) entbehrlich macht. Rein theoretisch wäre dann auch das in Art. 3 Abs. 4 des Entwurfs besonders ausgesprochene Verbot der Mißhandlung festgehaltener Personen entbehrlich. Praktisch aber dürfte es sich empfehlen, dieses Verbot zu verallgemeinern und es schon in Art. 1 aufzunehmen, von dessen Prinzip es ein Anwendungsfall ist. Zu erwägen wäre auch, ob man nicht dem Verbot aller inhumanen Verletzungen der Menschenwürde eine dienststrafrechtliche Sanktion beifügen sollte. Der zweite und dritte Satz des Art. 1 sollten m. E. gestrichen werden, weil sie inhaltlich unrichtig sind. Um eine Antwort auf die Frage, worin die eigentümliche Würde begründet ist, die wir allem, was Menschenantlitz trägt, zusprechen, müssen sich Philosophen und Theologen bemühen. Der Verfassungsgesetzgeber kann diese Antwort nicht geben und jedenfalls ist die Menschenwürde nicht „in ewigen Rechten" begründet, sondern sind umgekehrt die Menschenrechte aus der Menschenwürde abzuleiten. In dem Maße, in dem sich die in der Ethik des Christentums wurzelnden humanitären Postulate der Aufklärungsphilosophie durchgesetzt haben und weiterhin durchsetzen, fordert das geläuterte Rechtsbewußtsein der Nationen des abendländischen Kulturkreises einen Ausbau des Straf-, Prozeß-, Zivil-, Staats-, Verwaltungs- und Völkerrechtes, welcher die Würde eines jeden Menschen respektiert und durch Schaffung von Rechtspositionen, subjektiven Rechten und Rechtsschutzansprüchen in die Sphäre des positiven institutionell geschützten Rechts emporhebt. Der Erreichung dieses Zweckes im Rahmen der neuen Verfassungsurkunde dient der Art. 1, sofern er die weiter unten von mir vorgeschlagene Formulierung erhält. Unmöglich kann man ferner behaupten, daß die Anerkennung jener „ewigen Rechte" die Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft bilde. Es gab in der Vergangenheit und es gibt leider in der Gegenwart sehr festgefügte menschliche Gemeinschaften, welche die Menschenrechte und die Menschenwürde der von ihnen unterjochten oder bekämpften oder verfolgten Menschen mißach-

schuldig gemacht

ten.

Aber mag man nun in den Menschenrechten ewige, oder späterrungene Rechte sehen, auf alle Fälle könnte man es wagen, die Verpflichtung zu ihrer Respektierung als eine heilige Verpflichtung zu bezeichnen und dadurch dem ersten Satze des Grundgesetzes einen, den Kreis der Rechtsbegriffe transzendentierenden feierlichen Klang zu geben. Die Behauptung des dritten Satzes sodann, es würden um der Würde des Menschen willen in der Verfassung Grundrechte 362

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

Nr. 18

ist m. E. unrichtig oder zum mindesten stark übertrieben. Der Geder Menschenwürde dient die in diesem Artikel enthaltene Grundrechtsnorm. Die in den 19 anderen Artikeln enthaltenen Gewährleistungen dienen vorwiegend der persönlichen und politischen, insbesondere demokratischen Freiheit. Deren Einschränkung oder Aufhebung würde nur z. T. eine Antastung der Menschenwürde in sich schließen. Nicht um ihretwillen sind die

gewährleistet, währleistung

gewährleistet. Unnötig, weil selbstverständlich, ist

es m. E. zu sagen, daß ein bindender Satz auch die Bundesverfassung Landesgewalten binde, und wenn man will, daß eine Grundrechtsnorm unmittelbar geltendes Recht schaffe, so muß man ihr eine entsprechende juristische Form geben. Versäumt man das, so kann ihr eine allgemeine Klausel, wie sie in den letzten Worten des dritten Satzes enthalten ist, keine juristisch wirksame Kraft verleihen. Im anderen Fall ist die Klausel

der

überflüssig. Nach alledem möchte ich

folgende Fassung

des Art. 1

zur

Erwägung stellen:

Artikel 1 : (1) Menschenrecht und Menschenwürde zu achten und zu beschützen ist heilige Verpflichtung aller Staatsgewalt. (2) Daher ist Achtung und Schonung der Menschenwürde verpflichtendes und schrankensetzendes Richtmaß aller gesetzgebenden, regierenden, verwaltenden und rechtsprechenden Entfaltung der Staatsgewalt. (3) Insbesondere dürfen festgenommene oder sonst in der Gewalt der staatlichen Organe befindliche Personen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. (4) Mißachtung vorstehender Grundgesetze durch Organe der öffentlichen Gewalt sind unbeschadet ihrer strafrechtlichen und bürgerlichrechtlichen Folgen, dienstrechtlich zu bestrafen. Zu Artikel 2: Der Satz „Der Mensch ist

frei", ist nicht nur dann, wenn man ihn für sich alsondern auch dann, wenn man ihm, wie der Entwurf es tut, einen ihn im Grunde wieder aufhebenden Nachsatz beifügt, in geradezu beängstigendem Grade der kommentatorischen Erläuterung bedürftig. Legt man diesen ersten Satz des Art. 2 wörtlich aus, so hat er juristische Wirkungen von unabsehbarer Tragweite. Er modifiziert z. B. den § 175 RStGB dahin, daß ein zwischen Volljährigen in beiderseitiger Freiwilligkeit stattfindender homosexueller Verkehr fortan nicht mehr strafbar ist. Und wie steht es mit einer Abtreibung, welche die werdende Mutter im Einverständnis mit dem Erzeuger vornimmt? Verletzt sie die Rechte anderer, beeinträchtigt sie die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens? Man kann natürlich einwenden, so sei die Sache nicht gemeint, unter der verfassungsmäßigen Ordnung sei die gesamte jeweils in Geltung stehende Rechtsordnung gemeint. Aber dann wird Satz 1 zu einer nahezu inhaltslosen Banalität, mit der man die Verfassungsurkunde nicht belasten und bagatellisieren sollte. Der Satz sagt dann nämlich nur: Der Mensch ist von Rechts wegen frei, soweit er nicht von Rechts wegen unfrei ist. lein

ausspricht,

363

Nr. 18

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

des Art. 2 ist es, den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verstatuieren und die materiellen und formellen Grundsätze des Rechtsstaates in der Verfassung zu verankern. a) Die materiellen Grundsätze des Rechtsstaates schließen die Gesetzmäßigkeit Positive

waltung

Aufgabe zu

der

Verwaltung, überdies aber auch die Gesetzmäßigkeit der Rechtsprechung und die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung in sich ein. Ferner ist zu bedenken, daß ein in die Freiheit oder die Rechtssphäre eines Rechtssubjekts (in Freiheit und Eigentum, wie man früher sagte) eingreifender Staatshoheitsakt auch dann verpflichtend ist, wenn er aus einem in unbezweifelter Geltung stehenden Satz des ungeschriebenen Rechts ent-

springt und also insofern zwar auf Recht, nicht aber auf Gesetz im engeren und eigentlichen Sinne des Wortes Gesetz beruht. Man könnte den ersten Absatz des Art. 2 etwa folgendermaßen formulieren: „In die Freiheit und die Rechte der Einzelnen und ihrer Verbände darf nur durch verfassungsmäßige Gesetze oder auf Grund ermächtigender Rechtssätze eingegriffen werden. Die Bindung von Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht und die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassungsurkunden werden gewährleistet." b) Die Prinzipien des Rechtsstaates fordern formell-rechtlich, daß sich jedermann gegen wirklich oder vermeintlich rechtswidrige Eingriffe in seine Rechts- oder Freiheitssphäre, insbesondere auch gegen jede Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf Freiheit von rechtswidrigem Zwang zur Wehr setzen kann durch Anrufen eines unabhängigen Verwaltungsgerichtes oder Justizgerichtes oder u. U. eines Staatsgerichtshofes. Die nähere Regelung dieser Dinge aber, insbesondere auch die verfassungsmäßige Verankerung einer sogenannten Generalklausel als Grundlage einer allgemeinen Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten gehört in den Abschnitt über die Rechtspflege und nicht in den Katalog der Grundrechte. Es würde deshalb m. E. genügen, den letzten Satz der von mir vorgeschlagenen Fassung mit folgenden Worten zu schließen: .werden gewährleistet durch die in diesem Grundgesetz enthaltenen Bestimmungen über Einrichtung, Unabhängigkeit, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte." Damit ist zugleich auch auf einige andere Grundrechtsnormen verwiesen, welche im Grundgesetz nicht fehlen dürfen, aber zweckmäßiger in dem der Rechtspflege gewidmeten Abschnitt ihren Platz finden. Es handelt sich um das Verbot von Ausnahmegerichten, die Sätze Abschnitt nulla poena sine indicio und nulla poena sine lege priori, sowie um den Satz, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Ergänzend sei noch bemerkt: Der Alternativ-Vorschlag einer Fassung des dritten Satzes, wonach die Verwaltung nur innerhalb der Schranken des für alle gleichen Gesetzes in die Freiheit soll eingreifen dürfen, ist m. E. mißglückt. Ein Verwaltungsakt ist auch dann gültig, wenn er auf einem Gesetz beruht, das nur für eine Gruppe von Rechtsgenossen gilt (z. B. nur für Unternehmer, die dauernd mehr als 20 Arbeiter beschäftigen), oder gar nur für ein einziges Rechtssub364

Thoma, Kritik

jekt (z. B.

für den

am

Grundrechtskatalog

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einzigen konzessionierten oder sozialisierten Monopolbe-

trieb). Zum wohlgeordneten Rechtsstaat gehört nach der seit Beginn dieses Jahrhunderts in Deutschland zur Geltung gelangten Rechtsauffassung die unmittelbare Haftung der öffentlichen Körperschaften für den Schaden,

den ihre Funktionäre unter Amtspflichtsverletzung einem Dritten zugefügt haben. Nach dem Vorbild der Weimarer Verfassung (Art. 131) sollte diese Körperschaftshaftung m. E. auch im neuen Grundgesetz verankert werden, wofür ein Abs. des Art. 2 der passende Ort wäre. Dabei wäre es angezeigt, einen kleinen Schritt über den Art. 131 der Weimarer Verfassung hinauszugehen und den Staat und die Körperschaft in ganzem Umfang für die Haftung einstehen zu lassen, welche BGB § 839 dem Beamten auferlegt. Nach bisherigem Recht ist die aus den §§ 89 und 31 BGB folgende Haftung der Körperschaften für den bei Handhabung privatrechtlicher Vertretungsmacht unter Amtspflichtverletzung verursachten Schäden etwas eingeschränkter als die auf Art. 131 beruhende Haftung für Schäden, die ein Beamter in Handhabung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt verursacht. Diese Differenzierung ist sachlich unbegründet und nur aus der rechtsgeschichtlichen Entwicklung zu erklären. Man hätte sie schon im Jahre 1919 zum Verschwinden bringen sollen und können durch Weglassung der Worte „öffentliche Gewalt". Demnach schlage ich folgenden 2. Absatz des Art. 2 vor: „Verletzt ein Beamter in Ausübung oder durch pflichtwidrige Nichtausübung seines Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienste der Beamte steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff gegen den Beamten vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob." Zu Artikel 3: Mit der durch diesen Artikel zu schützenden Freiheit der Person ist offenbar nicht der status der Freiheit im Gegensatz zur Hörigkeit, Leibeigenschaft oder Sklaverei gemeint, sondern nur die Freiheit von obrigkeitlicher Festnahme und Gefangenschaft. Von dieser Freiheit braucht man nicht zu sagen, daß sie nur auf Grund rechtmäßiger Ermächtigung angetastet werden dürfe. Denn dieses versteht sich von selbst (vergleiche Art. 2). Andererseits sollte man von dieser Freiheit nicht behaupten, sie sei unverletzlich. Sie ist verletzlich und sie muß es sein. Im Bereiche des Straf- und Strafprozeßrechtes gibt es die Untersuchungshaft, die Strafhaft, die Sicherungsverwahrung und den Jugendarrest. Im Bereich des Polizeirechts gibt es Schutzhaft verschiedener Art, dauernde Einsperrung gemeingefährlicher Geisteskranker und langfristige Haft im Rahmen der Zwangsheilung von Geschlechtskranken und anderer Maßnahmen der Seuchenbekämpfung sowie im Rahmen der Durchführung von Ausweisungen. Der Grundrechtsartikel zum Schutze der persönlichen Freiheit hat also nur die Aufgabe, die Formen und Grenzen der gesetzmäßigen Festnahme und Festhaltun365

Nr. 18

Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog

andere als gesetzmäßige sind selbstverständlich unstatthaft zu bestimInsofern ist es ganz richtig, diesen Artikel als eine Ausgestaltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unmittelbar auf den Art. 2 folgen zu lassen. Sein Wortlaut könnte etwa folgendermaßen lauten: „(1) Die persönliche Freiheit steht unter dem besonderen Schutz der Vergen





men.

fassung. (2) Untersuchungshaft

usw. wie Abs. 1 des Entwurfs. (3) Freiheitsentziehungen, die lediglich auf die allgemeine polizeiliche Ermächtigung gestützt sind, dürfen die Dauer von 48 Stunden nicht überschreiten, es sei denn, daß es sich um gemeingefährliche Geisteskranke oder um die Verhütung eines Verbrechens handelt oder um Internierung auszuliefernder oder auszuweisender Ausländer. (4) In allen Fällen sind Verhaftete unverzüglich usw. wie Abs. 2 des Entwurfs. (5) Der vernehmende Richter hat auf Antrag des Festgenommenen eine von diesem bezeichnete Vertrauensperson von der Festnahme zu verständi-

gen." Zu Artikel 4: Gegen den zweiten Satz des Art. 4 spricht das Bedenken, daß danach auch solchen Ausländern Asyl gewährt werden müßte, welche wegen kommunistischer oder faschistischer Wühlereien gegen eine befreundete Demokratie verfolgt werden. Man könnte dem zweiten Satz etwa folgende Fassung geben: „Ausländer, welche wegen ihres Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden politisch verfolgt werden, genießen im Bun-

desgebiet Asyhecht."

Zu Artikels: Im dritten Satz sollte es heißen: „Dem Bundesgesetz bleibt es vorbehalten" und ebenso im vierten Satz: „Im Rahmen eines bundesgesetzlichen, allgemein für alle gleichen .". ..

Zu Artikel 6: Von der Wohnung gilt dasselbe, wie von der persönlichen Freiheit. Sie ist nicht unverletzlich und kann es nicht sein. Die Polizei muß jederzeit eindringen können, um die Begehung oder Fortsetzung eines Verbrechens zu verhindern (Notwehr) oder um einem dringenden Notstand, z. B. einer Feuersbrunst, abzuhelfen und im Dienste der Strafverfolgung und anderer legitimer Zwecke müssen Durchsuchungen statthaft sein. Worauf es ankommt ist, daß, abgesehen von den Fällen der Notwehr und des Notstandes, eine vorherige Anordnung eines unabhängigen Justiz- oder Verwaltungsgerichtes eingeholt werden muß, und daß die Beamten der Verwaltungspolizei nicht zur Nacht in eine Privatwohnung eindringen dürfen. Was den letzten Punkt betrifft, so empfiehlt es sich, einen diesbezüglichen hergebrachten Grundsatz des Landespolizeirechts (z. B. § 16 des 366

Thoma, Kritik

preuß. Polizeiverwaltungsgesetzes ßigen Grundrecht zu erheben.

vom

11. 7.

am

Grandrechtskatalog

1931)4)

zum

Nr. 18

bundesverfassungsmä-

Was den zweiten Absatz des Art. 6 betrifft, so sind diese Bestimmungen hier fehl am Ort. Auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Wohnungsinhaber eine Verkleinerung oder ein Wechsel seiner Wohnung auferlegt werden kann, ist bei Erörterung des Schutzes der Privatvermögensrechte (Art. 17) zurückzukommen (siehe unten Seite 9). Mit der Freistätteneigenschaft der jewei-

hat das nichts zu tun. Demnach schlage ich folgende Fassung des Art. 6 vor: „(1) Die Wohnung ist eine Freistätte, die ohne Einwilligung ihres Inhabers von den Organen der öffentlichen Gewalt nur auf Grund einer gesetzmäßigen richterlichen Anordnung betreten und durchsucht werden darf, es sei denn, daß Notwehr oder Notstand ein sofortiges Eindringen notwendig machen. (2) Zur Nachtzeit dürfen Polizeibeamte nur in dringenden Fällen der Notwehr oder des Notstandes wider den Willen des Inhabers in eine Woh-

ligen Wohnung

nung

eindringen."

Zu Artikel 7: Zum ersten Satz ist

zu bemerken, daß es sich nicht darum handelt, die Freiheit des Glaubens und der Überzeugungen zu schützen wer sollte die antasten können? als vielmehr um die Freiheit des offenen Bekenntnisses aller Überzeugungen. Die weiteren Sätze und Absätze des Art. 7 scheinen mir nach Inhalt und Form vortrefflich zu sein. Demnach schlage ich vor zu sagen: „(1) Es besteht unbeschränkte Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. (2) Die ungestörte Religionsausübung usw. (wie Entwurf). (3) Wie Abs. 2 des Entwurfes. (4) Wie Abs. 3 des Entwurfes." —



Zu Artikel 8: Auch die Freiheit der Meinungsäußerung sollte man nicht als unverletzlich bezeichnen, da es doch eine besonders dringliche politische Notwendigkeit ist, sie einzuschränken, um die Demokratie gegen eine erneute Unterwühlung durch eine zügellose antidemokratische Agitation zu schützen, sowie auch eine sittliche Gefährdung der Jugend zu verhindern. Wenn aber besonders im Hinblick auf den letzten Satz auf eine Vorzensur des Films nicht verzichtet werden kann und wenn beim Rundfunk Vorzensur in der Natur der Sache liegt, so sollte doch andererseits das polizeistaatliche Institut der Vorzensur der Presse, des Theaters und derjenigen öffentlichen Vorträge, die nicht in „Versammlungen" gehalten werden (so, daß die Garantie der Versammlungsfreiheit ihnen nicht zugute kommt), mit klarer Entschiedenheit ausgeschlossen werden. Das hatte der auch sonst mißglückte Art. 118 der Weimarer

4) Gesetzessammlung, S.

77.

367

Nr. 18

Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog

Verfassung nicht geleistet, so daß die Pressefreiheit nach wie vor allein durch das Reichspressegesetz vom Jahre 18745) geschützt war und das versäumt auch wenn man seinen Wortlaut auf die Goldwaage juristischer Analyse legt

der Art. 8 des Entwurfes. Ich möchte folgende Fassung des ersten Absatzes zur Erwägung stellen: „Es besteht grundsätzlich Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung in Wort, Schrift, Druck, Bild und Symbol. Eine Vorzensur der Presse, des Theaters und der öffentlichen Vorträge findet nicht statt." Wählt man diese Formulierung des ersten Absatzes, so kann der dritte Absatz des Entwurfes gestrichen werden und er muß gestrichen werden, denn sein Wortlaut würde (was seinen Verfassern vermutlich entgangen ist) Raum lassen für ganz unerträgliche gesetzliche und polizeiliche Beschränkungen der Pressefreiheit. Was nun die weitere Ausgestaltung des Artikels betrifft, so ist zu bedenken, daß das Grundgesetz hier zwei Aufgaben zu erfüllen hat. Es soll einerseits (a) die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Freiheit der Presse mit Verfassungsrechtskraft sichern gegenüber der Polizeigewalt wie auch gegenüber einfachen Mehrheiten der gesetzgebenden Versammlungen der Länder und des Bundes. Es soll andererseits (b) einem Mißbrauch dieser Freiheit zur Unterwühlung der demokratischen Verfassungsordnung entgegenwirken. (a) Der Verbürgung der Freiheit der Meinungsäußerung dienen drei Normierungen des Grundgesetzes: der Art. 7, welcher die Freiheit jeder, sei es affirmativer, sei es negativer Meinungsäußerung, religiöser oder weltanschaulicher Art, verbürgt, sodann der Art. 8 Abs. 1, falls er die soeben von mir vorgeschlagene Gestalt erhält und also die unerträglichste Beeinträchtigung der Pressefreiheit, die Vorzensur, ausschließt; endlich der grundlegende wichtige Art. 20 des Entwurfes, welcher allen die grundrechtlichen Freiheiten modifizierenden Gesetzen die Grenze zieht, daß sie keine Bestimmung enthalten dürfen, durch welche ein Grundrecht in seinem wesentlichen Gehalt angetastet wird. (b) Diese drei Säulen der Freiheit sind im Auge zu behalten, wenn sich die Erörterung nunmehr der Würdigung des Abs. 4 des Entwurfes zuwendet, welcher der Möglichkeit eines Mißbrauches der Meinungs- und Pressefreiheit entgegenzuwirken bestimmt ist. Hier scheint der vorbehaltlose Satz, daß die Freiheit an den Vorschriften der Strafgesetze eine Grenze findet, auf den ersten Blick jeder bundesgesetzlichen und selbst landesgesetzlichen Unterdrückung der Freiheit durch despotische Majoritäten Tür und Tor zu öffnen, wenn der Gesetzgeber nur geschickt genug ist, sein unterdrückerisches Verbot (z. B. der Kritik der Regierungsmethoden dieser oder jener Großmacht, der Aufklärung über Geburtenkontrolle, der Anzweiflung amtlicher Statistiken usf.) in das Gewand einer Strafrechtsnorm zu kleiden. Angesichts der Tatsache aber, daß alle derartigen „Vorschriften der Strafgesetze" an dem Felsen des Art. 20 falls die Gerichte ihn richtig auslegen —





5) RGBl. S. 368

65.



Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog

Nr. 18

scheitern müßten, glaube ich, wenn auch nicht mit voller Sicherheit, meine Bedenken zurückstellen zu können. Der einschränkende Absatz könnte also jedenfalls lauten: „Diese Freiheit findet ihre Grenzen an den Vorschriften der Strafgesetze, an den usw. persönliche Ehre." Unüberwindliche Bedenken aber habe ich gegen den Vorschlag, die Meinungsund Pressefreiheit an einer „Pflicht zur Treue gegen die Verfassung" eine Grenze finden zu lassen. Diese ist ein der Freiheit gefährlicher Kautschukbegriff. Außerdem beruht diese Klausel m. E. auf einer falschen Voraussetzung. Zu einer Gesinnung und Haltung, welche den Namen „Treue" verdient, sind diejenigen Volksgenossen der Verfassung gegenüber verpflichtet, welche sich willentlich in den Dienst der durch sie geordneten Demokratie gestellt haben, also insbesondere die Beamten und Richter aller Arten und Stufen, die Landes- und Bundesminister, der Bundespräsident. Die übrigen Staatsbürger sind der Verfassung gegenüber nur zur Loyalität verpflichtet und diese Loyalität findet ihren Inhalt und ihre Sanktion in den Vorschriften der Strafgesetze. Wenn letzteres richtig ist, dann erweist sich die Treue-Klausel nicht nur als gefährlich, sondern auch als entbehrlich. Entbehrlich ist die Treue-Klausel um so eher, als man der Gesetzgebung der Bundesrepublik sobald als möglich zur Aufgabe machen wird, ein eingehendes Gesetz zum Schutze der Demokratie zu erlassen. Dieses Gesetz wird dann u. a. innerhalb des Raumes, den die drei Freiheitsverbürgungen der Art. 20, 8 Abs. 1 und 7 dafür offen lassen, in Form von Vorschriften der Strafgesetze die Grenze ziehen, welche einen freiheitlichen Volksstaat gegen hetzerischen Mißbrauch der Meinungs- und Pressefreiheit schützen. Möge es dann auch immer Bundesvorschriften geben, welche den Willen haben, die Schutzvorschriften anzuwenden und die Kraft sich etwa widerstrebenden Landesregierungen gegenüber durchzusetzen. Im übrigen möchte ich empfehlen, einen modifizierten vierten Absatz des Entwurfes zum zweiten Absatz des Art. 8 zu machen, in dem gesagt wird: „Absatz 2) die Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung findet ihre Grenze an den Vorschriften der Strafgesetze usw." Der vortrefflich formulierte 2. Absatz des Entwurfes würde dann zum dritten Absatz des Art. 8 werden, während der dritte Absatz des Entwurfes ersatzlos gestrichen wird. .

.

.

Zu Artikel 9: Da der Art. 117 der Weimarer Verfassung6) trotz einer gewissen Sorglosigkeit der Formulierung seinen Dienst getan hat, kann man auch seine durch einen guten Zusatz verbesserte Nachbildung in Art. 9 des Entwurfes passieren lassen, nur daß wiederum das Wort, „unverletzlich" durch einen weniger übertreibenden Ausdruck zu ersetzen und zu betonen wäre, daß Einschränkungen dem Bundesgesetzgeber vorbehalten werden.

6)

Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Ausnahmen können nur durch Reichsgesetz zugelassen werden."

Art. 117 WRV: „Das

369

Nr. 18

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

Also etwa:

„Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheim-

nis werden ze,

jedoch

gewährleistet. Beschränkungen können nur durch Bundesgesetzu politischen Zwecken angeordnet werden."

nicht

Zu Artikel 10: Dem Hergebrachten durch Theorie und Praxis erläuterten und in seiner Tragweite überschaubaren durch Beifügung der Worte „und Forschung" wertvoll ausgestalteten ersten Absatz ist ein neuartiger zweiter Absatz beigefügt, gegen dessen Wortlaut ich die schwersten Bedenken habe. Soll man wirklich einen jeden Lehrer, dessen was er für Wissenschaft hält, durch die vage Pflicht einer siehe zu Art. 8 „Treue" gegen die Verfassung (die Privatpersonen doch in seiner nicht obliegt) Meinungsäußerungsfreiheit begrenzen und jede Lehgar welcher in Form re, gleichgültig (z. B. in Gestalt eines Lehrbuches oder Dramas) sie erfolgt? Es ist zu vermuten, daß dies gar nicht die Absicht des Abs. 2 sein soll und daß dieser nur gemünzt ist auf den Lehrvortrag, der (regelmäßig, wenn auch nicht ausnahmslos beamteten) Lehrern an öffentlichen Schulen und Hochschulen. Wenn dies die Meinung ist, so empfiehlt es sich, sie deutlich zum —



Ausdruck zu bringen. Außerdem wäre es m. E. höchst wünschenswert, die Lehrfreiheit der Hochschullehrer unter einen ganz besonderen formalrechtlichen Schutz zu stellen. Demnach gelange ich zu folgendem Vorschlag eines 2. und 3. Absatzes, wobei ich annehme, daß mein Vorschlag für sich selbst spricht und keiner ausdrücklichen Begründung und Erläuterung bedarf.

Artikel 9 Abs. 2: „Die Freiheit der Lehre der Wissenschaft entbindet die Lehrer an öffentlichen Schulen und Hochschulen nicht von ihrer Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung." Abs. 3: „Einem Hochschullehrer kann die Lehrbefugnis wegen Verletzung der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung nur durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entzogen oder beschränkt werden. Befugt zur Erhebung der Klage beim Bundesverwaltungsgericht sind die zuständige Landesregierung und die Bundesregierung."

Zu Artikeln: Der Artikel entspricht mit geringen als Verbesserungen anzusehenden Änderungen dem Art. 123 der Weimarer Verfassung7), ersetzt aber ohne ersichtlichen Grund das Wort „Reichsgesetz" im zweiten Absatz durch das Wort „Gesetz". Im Interesse der bei einer so wichtigen Frage erforderlichen Rechtseinheit müßte man m. E. sagen: „Bundesgesetz".

7) Art. 370

123 WRV

vgl.

Anm. Dok. Nr. 7, Anm. 8.

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

Nr. 18

Zu Artikel 12: Das, was hier im vierten Absatz als Streikrecht bezeichnet wird, ist wie in einigen neuen deutschen Landesverfassungen in Wahrheit die durch keine Strafverbote oder Polizeimaßnahmen unterdrückbare Streik/re/Aejf. Deshalb sollte man, um folgenschweren Mißdeutungen vorzubeugen, letzteren Ausdruck wählen. Zu Artikel 13 und 14: habe ich nichts zu bemerken.

Zu Artikel 15: Falls das Grundgesetz nicht in einem seiner anderen Abschnitte das Institut des Berufsbeamtentums sicherstellt, sollte m. E. der folgende zweite Absatz in den Art. 15 aufgenommen werden: „Das Institut des Berufsbeamtentums bleibt erhalten, seine hergebrachten Grundsätze sind verpflichtendes und beschränkendes Richtmaß aller gesetzlichen Regelungen der Rechtsstellung der Berufsbeamten." Zu Artikel 16: habe ich nichts

zu

bemerken.

Zu Artikel 17: Der erste Satz ist so seltsam formuliert, daß man meinen könnte, hinter dem „zugleich mit" stecke eine juristische Finesse, was doch wohl nicht zutrifft. M. E. sollte man sagen: „Das Eigentum und das Erbrecht", oder noch besser, da ja hier mehr als das Eigentum im juristisch-technischen Sinne gemeint ist, „Privatvermögen und Erbrecht" werden gewährleistet. Für noch besser, treffender und vorsichtiger würde ich folgende Fassung des ganzen ersten Absatzes halten, die ich wenigstens zur Erwägung stellen

möchte:

„Unbeschadet der staatlichen Besteuerungs- und Sozialisierungsgewalt gewährleistet die Verfassung die Privatvermögensrechte, das Institut des Familienerbrechts und die Testierfreiheit. Inhalt und Schranken dieser Rechte werden durch die Gesetze bestimmt." Ihr juristisches Gewicht erhält diese grundsätzliche Bestimmung insbesondere auch aus dem allgemeinen Prinzip des Art. 20 und dessen Auslegung durch den Staatsgerichtshof des Bundes. Gegen den zweiten Absatz, welcher Enteignungen (nicht aber Konfiskationen) zuläßt und sie in die unerläßlichen rechtsstaatlichen Grenzen und Formen einschließt, habe ich keine schwerwiegenden Bedenken. Immerhin sei die Bemerkung gestattet, daß die beiden letzten Sätze (Eigentum verpflichtet usw.) stilwidrig und völlig entbehrlich sind. Sie sind entbehrlich, weil alles, was sie an juristisch Greifbarem enthalten, bereits im zweiten Satz des 1. Absatzes (Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt) enthalten ist. 371

Nr. 18

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

weil sich der Grundsatzausschuß erfreulicherweise zur Regel in seinen hat, Grundrechtskatalog möglichst keine sozialethischen Begemacht Sie sind

stilwidrig,

ohne unmittelbare Rechtswirkung aufzunehmen. Nun aber erhebt sich die Frage, ob es sich nicht empfiehlt, eine so wichtige, schwierige und heiß umstrittene Materie wie die hier vorliegende, im Grundgesetz erheblich einläßlicher und sorgfältiger zu regeln, als es in dem Entwurf geschehen ist. Ich möchte dies befürworten und gelange demnach a) zu einem Mindestvorschlag, b) zu einem umfangreichen Alternativ-Vorschlag. Von einer Begründung und Erläuterung des Letzten sehe ich vorerst ab. Sie sind m. E. entbehrlich, weil sich Motive und Tragweite eines Vorschlages aus seinem Wortlaut leicht erschließen lassen. a) Mindest-Vorschlag der Fassung des Art. 17: „(1) Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet, Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. bis festzusetzen". Unterstreichung der beiden letzten (2) Enteignung Sätze. b) Alternativ-Vorschlag der Fassung des Art. 17 : „(1) Unbeschadet der staatlichen Besteuerungs- und Sozialisierungsgewalt gewährleistet die Verfassung die Privatvermögensrechte, das Institut des Familienerbrechtes und die Testierfreiheit. Inhalt und Schranken dieser Rechte ergeben sich aus den Gesetzen. (2) Die Einzelnen und die rechtsfähigen Verbände, denen durch Enteignungen oder enteignungsähnliche Staatsakte ein besonderes Opfer auferlegt wird, haben einen bei unabhängigen Gerichten einklagbaren Rechtsanspruch auf angemessene Entschädigung in Geld oder nach Maßgabe besonderer gesetzlichen Regelung in Sachen oder Rechten. (3) Die über Entschädigungsansprüche entscheidenden Gerichte haben sich leiten zu lassen von Erwägungen der Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit unter Berücksichtigung des Gemeinwohls. (4) Soweit die Entschädigung nicht von der Staatskasse selbst zu leisten ist, haftet sie den Entschädigungsberechtigten als Ausfallbürge. (5) Soweit aus Tatsachen hervorgeht, daß von einer bestimmten Persönlichkeit zu gewärtigen ist, sie werde ihre Finanzkraft mißbrauchen zur Unterstützung von Bestrebungen, die auf Untergrabung der Demokratie oder Störung des Weltfriedens abzielen, kann durch besonderes Bundesgesetz der Entschädigungsanspruch ganz oder teilweise konfisziert werden. (6) Statthaft bleiben die durch gesetzmäßige Gerichtsurteile oder Verwaltungsakte verhängten Einziehungen oder Verwirkungen. (7) Andere als in den beiden vorhergehenden Absätzen zugelassene Konfiskationen sind unstatthaft. Mit der Erwähnung der enteignungsähnlichen Eingriffe in Abs. 2 des vorstehenden Vorschlages ist u. a. auch sichergestellt, daß die zur Behebung der Raumnot notwendigen Eingriffe in die Wohnungsfreiheit (vergleiche Seite 5) grundsätzlich zu Entschädigung verpflichten. Daß Wohnungsbeschlagnahmen und dergleichen nicht ohne gesetzliche Ermächtigung statthaft sind, ergibt sich aus

lehrungen und legislatorischen Programme

...

372

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

Nr. 18

Art. 2. Daß die

Gesetzgeber aus dringenden Gründen des Gemeinwohls solche Schranken des Eigentumsrechts, Mietrechts, Nießbrauchs usw. anordnen kann, ergibt sich aus Abs. 1 Satz 2 dieses Art. 17.

Zu Artikel 18: habe ich nichts

zu

bemerken.

Zu Artikel 19: Die verbreitete

(auch in die Denkschrift des Herrenchiemseer Verfassungskoneingedrungene) Irrlehre, der Satz „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", verpflichte auch den Gesetzgeber selbst dazu, allen Menschen gleiche

vents

Rechte und Pflichten zuzuteilen, ist offensichtlich falsch. Sie wird von ihren eigenen Anhängern nicht ernst genommen, sondern (nach dem Vorbild schweizerischer und amerikanischer Rechtsprechung) dahin umgedeutet: Die Gerichte dürfen und müssen einem Gesetz die Anwendung versagen, wenn es die Differenzierung enthalte, die nach Ansicht des Richters „ungerecht" oder „unreasonable" [sei]. Indes hat diese aus Mißachtung des demokratischen Gesetzgebers und aus Überschätzung der akademisch gebildeten Berufsjuristen entspringende Lehre soviel Anhänger, daß es sich m. E. empfiehlt, den Absätzen 2 und 3 des Art. 19 einen weiteren Absatz folgen zu lassen, der ausspricht, daß es im übrigen Pflicht und Recht der Gesetzgebung sei, im Dienste der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls Gleiches gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln. Also etwa: „(4) Im übrigen ist es Aufgabe der Gesetzgebung, im Streben nach Gerechtigkeit und im Dienste des Gemeinwohls Gleiches gleich, Ungleiches verschieden zu behandeln", oder auch: „nach seiner Eigenart verschieden zu behandeln." Im zweiten Absatz sollte m. E. nach dem Vorbild der Weimarer Verfassung8) das Wort „grundsätzlich", welches Ausnahmen für statthaft erklärt, wieder eingefügt werden. Es gibt nämlich außer der Wehrpflicht, die doch nur den Männern obliegt, auch noch andere staatlich-bürgerliche Pflichten, die nur den Männern, nicht auch den Frauen auferlegt werden, so insbesondere die Dienstverpflichtung zur Wasserwehr und [zu] Feuerwehrmannschaften und zum Polizeihilfsdienst. In den Absatz 3 wäre m. E. noch das Wort „der Klasse" einzufügen, so daß er nicht nur gegen die nazistisch-antisemitischen Entrechtungen Front macht, sondern auch gegen die bolschewistischen Entrechtungen der höheren Klasse der Gesellschaft. Zu Artikel 20:

habe ich nichts

8)

zu

bemerken.

Art. 109, Satz 2 WRV lautete: „Männer und Frauen haben bürgerlichen Rechte und Pflichten."

grundsätzlich dieselben staats373

Nr. 18

Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog II. GLIEDERUNG UND REIHENFOLGE DER 20 ARTIKEL

könnten unter den Gesichtspunkt gestellt werden, daß ein Teil der Artikel Zusicherungen an alle im Bundesgebiet befindlichen Menschen enthält, während der andere Teil nur Grundrechte der Deutschen normiert. Daraus ergibt sich

folgende Anordnung: A.

Allgemeine Zusicherungen (Menschenrechte). Menschenrecht und Menschenwürde Gleichheit und Gerechtigkeit Grundsätze des Rechtsstaates Persönliche Freiheit B ekenntnisfreiheit Freiheit von Kunst und Wissenschaft Freiheit der Meinungsäußerung und der Presse

Briefgeheimnis Gewährleistung der Privatvermögensrechte Schutz der Wohnung Petitionsfreiheit B.

Zusicherungen an die Bundesangehörigkeit Asylrecht Freizügigkeit Versammlungsfreiheit Vereinigungsfreiheit

Deutschen

(Bürgerrechte).

Freiheit der Wahlen Ämterfähigkeit und Beamtenrecht C.

Unantastbarkeit des Wesensinhalts der Grundrechte.

III. WORTLAUT DER VON PROFESSOR THOMA VORGESCHLAGENEN FASSUNG DES GRUNDRECHTSKATALOGS

Art. 1

(1) Menschenrecht und Menschenwürde ge

Verpflichtung

zu

achten und

zu

beschützen ist heili-

aller

Staatsgewalt. Achtung und Schonung

der Menschenwürde verpflichtendes (2) Daher sind und schrankensetzendes Richtmaß aller gesetzgebenden, regierenden, verwaltenden und rechtsprechenden Entfaltungen der Staatsgewalt. (3) Insbesondere dürfen festgenommene oder sonst in der Gewalt der staatlichen Organe befindlichen Personen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. 374

Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog

Nr. 18

(4) Mißachtung vorstehender Grundsätze durch Organe der öffentlichen Gewalt sind unbeschadet ihrer strafrechtlichen und bürgerlichrechtlichen Folgen dienstrechtlich zu bestrafen. Art. 2

(bisher 19)

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich. (2) Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Weltanschauung oder seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse wegen bevorrechtigt oder benachteiligt werden. (4) Im übrigen ist es Aufgabe der Gesetzgebung, im Streben nach Gerechtigkeit und im Dienste des Gemeinwohls Gleiches gleich, Ungleiches verschieden zu behandeln.

Art. 3

(bisher 2)

(1) In die Freiheit und die Rechte der Einzelnen und ihrer Verbände darf nur durch verfassungsmäßige Gesetze oder auf Grund ermächtigender Rechtssätze eingegriffen werden. Die Bindung von Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht und die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassungsurkunden werden gewährleistet durch die in diesem Grundgesetz enthaltenen Bestimmungen über Einrichtung, Unabhängigkeit, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte. (2) Verletzt ein Beamter in Ausübung oder durch schuldhafte Nichtausübung seines Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienste der Beamte steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff gegen den Beamten vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob. Art. 4

(1) Die sung.

persönliche

(bisher 3)

Freiheit steht unter dem besonderen Schutz der Verfas-

Untersuchungshaft, Strafhaft und strafrechtliche Sicherungsverwahrung sind innerhalb der durch das Strafprozeßrecht gezogenen Grenzen und Formen zulässig. (3) Freiheitsentziehungen, die lediglich auf die allgemeine polizeiliche Ermächti(2)

nur

gestützt sind, dürfen die

Dauer von 48 Stunden nicht überschreiten, es sei sich um gemeingefährliche Geisteskranke oder um die Verhütung eines Verbrechens handelt oder um Internierung auszuliefernder oder auszuweisender Ausländer. gung

denn, daß

es

375

Nr. 18

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

(4) In allen Fallen sind behördlich Verhaftete unverzüglich vom Grund der Verhaftung, von ihrer Rechtsgrundlage und von den Rechtsmitteln, die sie dagegen ergreifen können, zu unterrichten und spätestens im Laufe des auf den Tag der Verhaftung folgenden Tages einem Richter der ordentlichen oder der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Vernehmung und zur Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit der Verhaftung und die Dauer der Verwahrung vorzuführen. (5) Der vernehmende Richter hat auf Antrag des Festgenommenen eine von diesem bezeichnete Vertrauensperson von der Festnahme zu verständigen. Art. 5

(bisher 7)

(1) Es besteht unbeschränkbare Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze

gewährleistet.

(3) Niemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert. Art. 6

(bisher 10)

(1) Die Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. (2) Die Freiheit der Lehre der Wissenschaft entbindet die Lehrer an öffentlichen Schulen und Hochschulen nicht von ihrer Pflicht zur Treue gegenüber der

Verfassung.

(3) Einem Hochschullehrer kann die Lehrbefugnis wegen Verletzung der Pflicht Treue gegenüber der Verfassung nur durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entzogen oder beschränkt werden. Befugt zur Erhebung der Klage zur

Bundesverwaltungsgericht sind die zuständige Landesregierung und Bundesregierung.

beim

Art. 7

die

(bisher 8)

(1) Es besteht grundsätzliche Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung in Wort, Schrift, Druck, Bild und Symbol. Eine Vorzensur der Presse, des Theaters und der öffentlichen Vorträge findet nicht statt. (2) Die Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung findet ihre Grenze an den Vorschriften der Strafgesetze, an den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, insbesondere im Filmwesen, und an dem Recht der persönlichen Ehre. (3) Jede Beschränkung in der freien Unterrichtung und Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere beim Rundfunkempfang oder dem Bezug von Druckerzeugnissen ist unstatthaft. 376

Thoma, Kritik Art. 8

am

Grundrechtskatalog

(bisher 9)

Das Briefgeheimnis, sowie das Post-, Telegraphen- und werden gewährleistet. Beschränkungen können nur durch nicht zu politischen Zwecken angeordnet werden. Art. 9

Nr. 18

Fernsprechgeheimnis Bundesgesetz, jedoch

(bisher 17)

(1) Unbeschadet der staatlichen Besteuerungs- und Sozialisierungsgewalt gewährleistet die Verfassung die Privatvermögensrechte, das Institut des Familienerbrechts und die Testierfreiheit. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Die Einzelnen und die rechtsfähigen Verbände, denen durch Enteignungen oder enteignungsähnliche Staatsakte ein besonderes Opfer auferlegt wird, haben einen bei unabhängigen Gerichten einklagbaren Rechtsanspruch auf angemessene Entschädigung in Geld oder, nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Regelung, in Sachen oder Rechten. (3) Die über Entschädigungsansprüche entscheidenden Gerichte haben sich leiten zu lassen von Erwägungen der Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit unter Berücksichtigung des Gemeinwohls. (4) Soweit die Entschädigung nicht von der Staatskasse selbst zu leisten ist, haftet sie dem Entschädigungsberechtigten als Ausfallbürge. (5) Soweit aus Tatsachen hervorgeht, daß von einer bestimmten Persönlichkeit zu gewärtigen ist, sie werde ihre Finanzkraft mißbrauchen zur Unterstützung von Bestrebungen, die auf Untergrabung der Demokratie oder Störung des Weltfriedens abzielen, kann durch besonderes Bundesgesetz der Entschädigungsanspruch ganz oder teilweise konfisziert werden. (6) Statthaft bleiben die durch gesetzmäßige Gerichtsurteile oder Verwaltungsakte verhängten Einziehungen oder Verwirkungen. (7) Andere als die in den beiden vorangehenden Absätzen zugelassenen Konfiskationen sind unstatthaft.

(bisher 18) Die Überführung von Grund und Boden, von Bodenschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum ist nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Art. 10

Art. 11

(bisher 6)

(1) Die Wohnung ist eine Freistätte, die ohne Einwilligung ihres Inhabers von den Organen der öffentlichen Gewalt nur auf Grund einer gesetzmäßigen richterlichen Anordnung betreten und durchsucht werden darf, es sei denn, daß Notwehr oder Notstand ein sofortiges Eindringen notwendig machen. (2) Zur Nachtzeit dürfen Polizeibeamte nur in dringenden Fällen der Notwehr oder des Notstandes wider den Willen des Inhabers in eine Wohnung eindringen. 377

Nr. 18

Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog Art. 12

(bisher 16)

in Gemeinschaft mit anderen schriftlich zuständigen Stellen sowie an die Volksver-

Jeder hat das Recht, sich einzeln oder mit Bitten oder Beschwerden tretung zu wenden.

an

die

Art. 13

(1) Jeder Landesangehörige ist

(bisher 13)

zugleich Bundesangehöriger. Jeder Bundesange-

Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörides Landes selbst. gen (2) Niemand darf in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte ausüben und zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden.

hörige hat

in

jedem

Art. 14 Kein Deutscher darf ans Ausland gen ihres Eintretens für Freiheit,

frieden

(bisher 4)

ausgeliefert werden. Ausländer, welche weDemokratie, soziale Gerechtigkeit und Welt-

politisch verfolgt werden, genießen Art. 15

im

Bundesgebiet Asylrecht.

(bisher 5)

Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Jeder Bundesangehörige hat das Recht, an jedem Ort des Bundesgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu wählen. Dem Bundesgesetz bleibt es vorbehalten, die Berufsausübung zu regeln. Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen bundesgesetzlichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur im Vollzug einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. Art. 16

(bisher 11) (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Bundesgesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Art. 17

(bisher 12)

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. (3) Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewähr378

Thoma, Kritik

am

Grundrechtskatalog

Nr. 18

leistet. Abreden und Maßnahmen, durch die dieses Recht eingeschränkt, behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll, sind nichtig. (4) Die Streikfreiheit wird im Rahmen der Gesetze anerkannt. Art. 18

(bisher 14)

Die Freiheit des Rechts zu wählen oder abzustimmen sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die freie Entscheidungsmöglichkeit zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen nicht genommen werden. Art. 19

(bisher 15)

(1) Jeder Deutsche hat im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung und nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang. (2) Das Institut des Berufsbeamtentums bleibt erhalten, seine hergebrachten Grundsätze sind verpflichtendes und beschränkendes Richtmaß aller gesetzlichen Regelungen der Rechtsstellung der Berufsbeamten. Art. 20

(bisher 20)

Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet wer-

den.

379

Nr. 19

Vierzehnte

Sitzung

26.

Oktober

1948

Nr. 19

Vierzehnte

Sitzung des Ausschusses 26.

für

Grundsatzfragen

Oktober 1948

Z 5/31, Bl. 1-581). Stenogr. Wortprot. vom 28. Okt. 1948, Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 78-79. Drucks. Nr. 226

von

Thöt gez.

Anwesend2):

CDU/CSU: Kleindinst, v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Diederichs, Eberhard, Maier, Wunderlich FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Schioer (CDU), Suhr (SPD) Stenografischer Dienst: Thöt Dauer: 10.00-3)

[1. NEUGLIEDERUNG (ART. 24), ÄNDERUNG IM GEBIETSBESTAND DER LÄNDER (ART. 25 NEU)] v. Mangoldt]: Ich darf die Sitzung eröffnen und zunächst einmal über Verhandlungen des Redaktionsausschusses am Freitag berichten. Das Ergebnis dieser Verhandlungen des Redaktionausschusses sehen Sie in diesen Artikeln 24 und 254). Wir haben zwei Artikel daraus gemacht, die aber noch unvollständig sind. Es ist deshalb hier zugleich zu betonen, daß wesentliche Bestim-

Vors. [Dr.

die

mungen in diesen Artikeln noch fehlen. Trotzdem schienen uns diese Artikel doch schon eine Diskussionsgrundlage zu geben, auf der wir heute aufbauen können, so daß wir dann vielleicht diese Artikel doch zu Ende führen können.

grundlegende Idee, die hinter diesen beiden Artikeln steht, ist folgende: Es soll zunächst einmal innerhalb einer bestimmten Frist eine Neugliederung vorgenommen werden. Wenn diese Neugliederung vorgenommen ist, dann soll aber nun der Bestand der Länder garantiert sein, und deshalb haben wir die allgemeine Regelung an den Anfang gestellt, die maßgeblich sein soll, wenn die Neugliederung durchgeführt ist. Das ist aus Zweckmäßigkeitsgründen geschehen. Man hätte auch umstellen können. Herr Dr. Zinn hatte angeregt, man solle diese Neugliederung voranstellen und dann die Möglichkeit der Änderungen nach vorgenommener Neugliederung folgen lassen. In dieser Reihenfolge sind die Bestimmungen aber nur sehr schwer zu formulieren und das, was vorliegt, klingt dann sehr ungeschickt, deswegen sind wir zu dieser Formulierung Die

59-75 (S. 2, 9, 11, 13, 15, 21, 28, 39 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Die Dauer der Sitzung ließ sich nicht ermitteln. 4) Die Besprechungsgrundlage in Form eines gesonderten Dokumentes mit den Art. 24 und 25 ließ sich nicht ermitteln.

*) Bl.

380

Vierzehnte

gekommen.

Sitzung

26. Oktober 1948

Nr. 19

Vielleicht

das habe ich es allerdings deshalb ungeschickt weil dann in beiden Artikeln der Begriff der Neugliederung verwendet wird. Man sollte vielleicht nur in dem zweiten Artikel, im Art. 25, von einer Neugliederung sprechen. Das ist die Neugliederung, die erstmalig und einmalig vorgenommen werden soll, und zwar unter einem gewissen Zeitdrang, weil es eben gerade mit den Ländern im Norden so unter keinen Umständen geht, und man sollte dann vielleicht in Art. 24 das ist eine Formulierungsfrage, die Formulierung könnten wir dann gleich vornehmen nicht von „Neugliederung", sondern etwa von Änderungen des Gebietsbestandes oder Gebietsänderungen sprechen. Das ist nur ins Unreine gesprochen, um zunächst einmal einen Ausdruck zu finden, der das sagt. Es würde dann also, wenn die erste Neugliederung durchgeführt ist, der Bestand der Länder gesichert sein, und es würde an diesem Bestand der Länder nur unter diesen besonders erschwerten Verfahrensvorschriften eine Änderung getroffen werden mir inzwischen

klingt überlegt —,







können. Wir haben diese erstmalige Neugliederung nun nicht nur vorgesehen für den Fall der Neugliederung des zur Zeit entstehenden Bundesstaates mit seiner Beschränkung auf die Westgebiete, sondern es mußte die dort vorgesehene Frist auch noch einmal vorgesehen werden für den Fall, daß Länder der Ostzone zu diesem Bundesstaat hinzutreten, ihm beitreten. Es kam das aber nur in Frage für den Fall, daß diese Länder als selbständige Gebiete beitreten, nicht etwa für den Fall, daß Teile dieser Länder oder ganze Länder zu einem schon als Land bestehenden Gebiet des jetzt entstehenden Bundesstaates hinzutreten wollen, Teile dieses Bundesstaates, Teile dieses Landes werden wollen. In dem Fall ist das ganze Verfahren nicht notwendig, da bei der Entscheidung durch Bundesgesetz nach Art. 22 II damit schon ohne weiteres diese Neugliederung vorgenommen wird. Das sind ungefähr die Überlegungen, die wir anstellten. Es fehlen also noch alle Grundsätze über das Verfahren; die müßten wir dann heute im Verlauf der Besprechungen noch dazusetzen. Ich würde aber vorschlagen, daß wir zunächst einmal in eine Diskussion dieser Absätze, wie sie hier vorliegen, eintreten, zu Anfang vielleicht in eine Diskussion darüber, ob es für zweckmäßig gehalten wird, in dieser Weise zu scheiden, d. h. in einem Artikel die Bestimmungen zu behandeln für Gebietsänderungen nach einer einmal durchgeführten ersten Neugliederung und in einem zweiten Artikel die Neugliederung. Auch über die Frage, ob wir diese erstmalige Neugliederung voranstellen wollen, könnten wir diskutieren. Ich bitte also, sich hierzu zum Wort zu melden. Mayr: Die Fassung des Abs. 1 des Art. 24 könnte in Anlehnung an den Herrenchiemseer Entwurf, Seite 265), vielleicht folgendermaßen lauten ich darf Sie bitten, Seite 26 des Herrenchiemseer Entwurfs aufzuschlagen, wo es in der Mitte heißt: Die Neubildung von Ländern oder die Änderung ihres Gebietes —

-

5) Der Pari. Rat Bd. 2, S.

522.

381

Vierzehnte

Nr. 19

und jetzt

erfolgt



Sitzung

26.

Oktober 1948

geht

es hier weiter: Bundes wegen durch —

von

Bundesgesetz.

ich darf sie wiederholen : Die Neubildung von Ländern oder die Änderung ihres Gebietes erfolgt von Bundes wegen durch Bundesgesetz. Das wäre dann der Abs. 1 des Art. 24, anders formuliert. Dr. Bergsträsser: Ich muß zunächst einmal eine Frage stellen: Also, es soll hier unterschieden werden zwischen einer allgemeinen Neugliederung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der ersten Neugliederung! Dr. Bergsträsser: Die soll beschränkt sein auf eine Frist von X-Jahren? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auf eine Frist von zwei oder drei Jahren, und zwar soll sie nach Möglichkeit in einem etwas vereinfachten Verfahren erfolgen. Es ist das im Grunde genommen die Aufnahme des Auftrages an die Ministerpräsidenten-Konferenz6), und es ist aus der Erkenntnis heraus geschehen, daß die Gliederung, wie wir sie in Norddeutschland und auch in anderen Teilen haben, praktisch doch möglichst bald geändert werden müßte. Dr. Bergsträsser: Schön! Dann soll aber, wenn ich richtig verstehe, eine Umgliederung einzelner Teile auch noch später möglich sein? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, später; weil wir nicht wissen, wie lange das Grundgesetz gilt, hielten wir es doch für notwendig, einen allgemeinen Satz über die Möglichkeit von Gebietsänderungen in dieses Grundgesetz aufzunehmen und für sie gewisse erschwerende Voraussetzungen mit den ganzen Wirkungen und dem ganzen Gewicht der Verfassung festzulegen, so daß der Bestand der Länder dann gesichert ist. Dr. Bergsträsser: Ja, dann würde das in Art. 24 also anders genannt werden müssen, nicht „Neugliederung", sondern „Umgliederung". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, in Art. 24 müßte man es anders nennen. Ich würde aber auch nicht von „Umgliederung" sprechen, weil das leicht zu Verwechslungen führt. Eine sehr geschickte Formulierung ist zu dieser Frage im Anschütz'schen Kommentar drin7)- Ich sehe eben, Sie haben ihn; da kann ich sie Sie bezieht sich auf etwas anderes. Es steht hier auf Seite 143 sofort finden. man habe zu Art. 18 von dem „beteiligten Gebiet" oder dem „beteiligten Land" gesprochen. Das habe in der Auslegung unter der Weimarer Verfassung zu Schwierigkeiten geführt, und deshalb hat Anschütz zur Bezeichnung der beteiligten Gebiete die Fassung vorgeschlagen: „des Gebietes, dessen Staatszugehörigkeit verändert werden sollte". Darum dreht es sich ja, wir müssen einen ganz allgemeinen Ausdruck finden, also „Gebietsänderungen" oder einfach etwas Derartiges. Darum dreht es sich doch. Das ist der Vorschlag, der von Herrn Mayr ausgeht. Aber dieser Vorschlag scheint mir noch nicht allen Anforderungen zu entsprechen. Wir müßten noch genauer überlegen. Das macht einige juristische Schwierigkeiten. Die

von

mir

vorgeschlagene Fassung

würde also lauten









6) Auftrag an die Ministerpräsidentenkonferenz, vgl. Dok. 7) G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 382

Nr. 17, Anm. 11. 143.



Vierzehnte Sitzung 26. Oktober 1948

Nr. 19

Mayr: Ich wollte grundsätzlich fragen: Wurde bei der Formulierung der Arti24 und 25 daran gedacht, daß in späteren Jahren einmal das Bundesland Österreich zu Deutschland stoßen könnte? Ist diese Möglichkeit hier offengehal-

kel

ten? Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Das darf ich gleich beantworten. Wir haben bei den Artikeln „Gebietstausch" und „Gebietszuwachs", den späteren völkerrechtlichen Artikeln, an diese Frage gedacht. Wir haben es aber ganz bewußt vermieden, irgendetwas darüber hineinzusetzen, weil wir die „Heimkehr ins Reich" mit ihren Wirkungen bei der Verfassung fürchteten. Das ist zum Ausdruck gekommen. Dr. Bergsträsser: Ich nehme an, daß der Art. 25, indem er den Auftrag der Militärregierungen formulieren soll, besagen will, daß eine Neugliederung des gegenwärtigen Länderbestandes nötig sei, daß er also davon ausgeht. Dann, glaube ich, müßte man etwa so formulieren: Das gegenwärtige Bundesgebiet soll vor Ablauf von drei Jahren neu gegliedert werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich gleich darum bitten, daß wir diese einzelnen Formulierungsfragen so lange zurückstellen, bis wir an die einzelnen Artikel kommen ! Dr. Bergsträsser: Das ist für mich nicht eine Formulierungsfrage, sondern das ist ein völlig anderer Sinn! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das ist richtig. Das sollte der Sinn sein, der drin

liegt.

Dr. Bergsträsser: Aber in dieser Formulierung liegt er eben nicht drin. Deswegen sind auch die beiden Artikel so ähnlich. Ich glaube, das müßte dann klar herausgearbeitet werden, und es kann durch diese einfache Umstellung herausgearbeitet werden, daß wir zwei ganz verschiedene Dinge haben. Das eine ist die große Neugliederung, die Übernahme des Auftrags der Militärregierungen. „Das gegenwärtige Bundesgebiet soll vor Ablauf von drei Jahren ..." man kann auch sagen .ist neu zu gliedern", wenn Sie das wollen; da läßt sich vielerlei formulieren. Aber das muß eine ganz klare Vorschrift sein, damit die Sache nicht, wie es von den Ministerpräsidenten jetzt geschehen ist, auf Eis gelegt werden kann6). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Deshalb haben wir ja ausdrücklich gesagt: „Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren geregelt sein". Damit ist dieses Muß sogar noch deutlicher zum Ausdruck gekommen. Also es soll vor Ablauf von drei Jahren abgeschlossen sein; das ist damit ausdrücklich gesagt. Dr. Bergsträsser: Ich finde das nicht so deutlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können aber auf diese Formulierung vielleicht noch etwas näher eingehen, wenn wir zu den Artikeln selbst kommen. Es dreht sich jetzt zunächst einmal nur um die Frage, ob wir die Gegenüberstellung so machen wollen, wie sie Ihnen der Redaktionsausschuß vorschlägt. Dr. Bergsträsser: Dann wäre hier im Art. 25 vielleicht doch noch zu sagen, daß das auf eine vereinfachte Art geschehen soll. —

8) Vgl. Dok. Nr. 45, Anm.

31.

383

Nr. 19

Vierzehnte Sitzung

26.

Oktober 1948

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das fehlt noch, das kommt noch alles hinein. Dafür habe ich auch Vorschläge über Sonntag ausgearbeitet, so daß wir das diskutieren können. Ich habe mir das einmal überlegt. Dr. Bergsträsser: Vielleicht wäre es richtiger, wenn wir das noch gleich mitdiskutierten, weil mir scheint, daß unsere wesentlichste Arbeit die wäre, die beiden Artikel gegensätzlich zu fassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dazu darf ich bemerken: Ich hatte mir das so gedacht, daß man den Art. 24 mit erschwerten Voraussetzungen vorausgehen läßt, um nachher im Art. 25 zu sagen: Gegenüber diesen erschwerten Voraussetzungen werden für die erste Neugliederung gewisse Erleichterungen gewährt. Dann kann man einfach Bezug nehmen und kann von der Regelung des Art. 24 ausgehen. Das ist nachher natürlich eine Formulierungsfrage. Wir müßten nur erst einmal feststellen, ob allgemeines Einverständnis mit diesem Wege besteht. Dr. Bergsträsser: Mir würde es an sich mehr liegen, den Art. 25 vorwegzunehmen, weil er den größeren Umfang hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das hat nur eine Schwierigkeit. Ich habe mir das hinund herüberlegt. Ich war am Freitag oder Samstag genau so weit wie Sie, Herr Dr. Bergsträsser, indem ich sagte: ich würde ihn lieber voraus haben. Aber dann habe ich mir überlegt, daß es doch außerordentlich ungeschickt aussieht, wenn man im Art. 25 dann das gleiche wiederholen muß und dann von erleichterten Voraussetzungen sprechen muß. Aber wir können das vielleicht noch einmal überlegen. Dr. Suhr: Ich glaube, es handelt sich um drei verschiedene Probleme. Einmal um die grundsätzliche Neugliederung, zweitens um die Gebietsänderung im Rahmen des Bundesgebietes und drittens um eine Nebenfrage, nämlich inwiedie ja in einem anderen Paragraphen behanweit bei Gebietserweiterungen die Gebietserweiterung eventuell auch zu einer Änderung des delt werden Gebietes anderer Länder führen wird. Denn das ist doch offenbar der Sinn des Art. 25, Abs. 2: eine Angliederung neuer Gebiete kann auch zu einer Änderung bestehender Gebiete führen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist sogar so, es muß aber neues Land hinzutreten. Die Frage kann noch einmal aufgeworfen werden. Dr. Suhr: Es muß sogar neues Land hinzutreten! Also um diese drei Fragen handelt es sich, und dabei glaube ich, daß bei der ersten, grundsätzlichen im Grunde genommen von allen Kreisen erstrebten Neugliederung ein ganz anderer Gesichtspunkt maßgebend sein muß als bei einer späteren Gebietsänderung, die unter erschwerenden Umständen, von Fall zu Fall, besonderen Bedürfnissen und Wünschen einzelner Gebiete entsprechend, vorgenommen wird. Bei der grundsätzlichen Neugliederung muß nach der Formulierung des Art. 24, Abs. 1, in dem es heißt „unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit" usw., ein bestimmter zentraler Gesichtspunkt maßgebend sein. Das ganze Bundesgebiet wird wie ein Organismus betrachtet, und dieser Organismus soll neu gegliedert werden, weil die einzelnen Bestandteile heute nicht lebensfähig sind. Diese Tatsache bringt mich vor allen Dingen auf eine Frage: warum Art. 24, Abs. 1, und Art. 25, Abs.l, nicht zusammengestellt sind, denn die Prinzipien, —



384

Vierzehnte nach denen diese

Sitzung

Gesamtneugliederung erfolgt,

26.

Oktober 1948

sind doch

eigentlich

Nr. 19 in Art. 24

festgelegt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art. 24 ist zu Anfang nicht richtig formuliert. Das ist aus der Art der Arbeit des Komitees zu erklären, es ist nicht fertig geworden. Dr. Suhr: So, wie es hier vorliegt, enthält Art. 24, Abs. 1, die Prinzipien für die Gesamtneugliederung, die dann in Art. 25, Abs. 1, erst vorgenommen wird. ich glaube, Sie waren Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich führte schon zu Anfang aus, daß ich hinterher zu der Feststellung gekommen bin, gerade gekommen daß es praktisch ungeschickt wäre, in Art. 24 auch diesen Begriff der Neugliederung zu verwenden. Er macht die ganze Fassung unklar. Man müßte von „Neugliederung" nur bei der ersten Neugliederung sprechen. Bei allen späteren Änderungen in allen den Fällen, in denen nach dieser Richtung etc. was passiert, wenn die Länder als Bestand festgestellt sind, sollte man einfach von Ge—



bietsänderung sprechen. Dr. Suhr: Ich möchte gerade unterstreichen, Herr Vorsitzender, daß man später in den einzelnen Fällen immer nur von Gebietsänderung sprechen sollte. Aber hier in Art. 24, der ja nicht von der Neugliederung, sondern von Gebietsänderungen handelt, sind gerade die Prinzipien für die Gesamtneugliederung aufgestellt. Diese Prinzipien gehören eigentlich in den Art. 25, der die Gesamtneugliederung behandelt. Ich würde deshalb vorschlagen: das, was hier unter Art. 24, Abs. 1, und Art. 25, Abs. 1, steht, wird zusammengefaßt unter dem zentralen Gesichtspunkt einer einmaligen grundsätzlichen Neugliederung. Dieser zentrale Gesichtspunkt ist in Art. 24, Abs. 1, niedergelegt, während in

Art. 25, Abs. 1,

und unter welchen Umständen diese Neugliederung erfolgt. Spätere Gebietsänderungen innerhalb des Bundes, nicht vom Gesamtstandpunkt ausgehend, sondern von einzelnen Zufälligkeiten, Bedürfnissen, Wünschen irgendeines einzelnen Gebietsteiles, stellen den besonderen Unterfall dar, der hier in Art. 25, Abs. 2, gemeint ist, also den Fall, daß durch eine Gebietserweiterung eine Änderung des bisherigen Gebietes des alten Bundes notwendig wird. Ich würde also vorschlagen, diese drei Gesichtspunkte vollkommen voneinander zu trennen, einmal die zentrale Neugliederung, als einmaliger Vorgang hier niedergelegt und gefordert nach Art. 25, Abs. 1, und die Prinzipien, die dabei zu berücksichtigen sind, in Art. 24, Abs. 1, und dann der Gebietstausch oder die Gebietsänderung im Einzelfall. Dabei ist ein besonderer Unterfall zu berücksichtigen, der hier in Art. 25, Abs. 2, erwähnt ist, der Fall nämlich, bei dem durch eine Gebietserweiterung eine Gebietsänderung des bisherigen Bundesgebietes notwendig wird. Vors. [Dr. v. Mangoldi]: Dann darf ich mal die Frage stellen: Sie würden dann auch, in Parallele zu Herrn Dr. Bergsträsser, diese erste Gebietsänderung lieber vorausgestellt sehen? Dr. Suhr: Ich glaube, ja. nur

gesagt wird,

wann

Dr. Bergsträsser: Die große! Dr. Suhr: Ja, die große. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die große vorausgestellt und dann vielleicht die grunddamit wir weiterkommen sätzlichen Regeln des Art. 24 gleich in Art. 25 —



385

Vierzehnte

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Sitzung

26.

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Man könnte beides vereinigen, indem man sagt, daß die Bundes wegen durch Bundesgesetz erfolgt. Dr. Eberhard: Ich will gleich auf das eingehen, was eben Kollege Suhr sagte. Ich glaube, der ersten Etappe, für die der Termin sofort feststeht d. h. für drei Jahre, nachdem der Bund steht —, sollte man parallel und gleichberechtigt sozusagen anschließen einen Absatz oder einen Artikel, wonach derselbe Termin nach Angliederung etwa von Mecklenburg von neuem zu laufen beginnt. Das ist nicht die kleine Gebietsänderung, die in Zukunft möglich sein soll, sondern das ist noch einmal eine große, wenn etwa Mecklenburg dazu käme, und vielleicht wären Mecklenburg und Schleswig-Holstein zusammenzufügen, um ein lebensfähiges Land zu haben. Und dann kämen als Drittes noch die kleinen Möglichkeiten der Gebietsänderung, die sich in Zukunft ergeben können. Ich glaube aber, der Satz 2 von Art. 24, der also jetzt die Gebietsänderung behandelt, sollte nicht in den Art. 24 hinein. Ich meine, diese großen Worte „Leh-

hereingestellt. Neugliederung von

mit



der Geschichte", „kulturelle Lebenskräfte", das gilt nicht für die Umgliederung etwa der Stadt Wimpfen von Hessen nach Württemberg oder ähnliches; dafür ist das einfach zu groß gefaßt. Ich dachte, wir seien uns in der vorigen Sitzung einig gewesen, keine besondere Zielsetzung für Gebietsänderungen hineinzuschreiben, während ich durchaus zugeben will, daß eine Zielsetzung hineinzuschreiben durchaus einen Sinn hat für die großen Änderungen, die erleichtert durchgeführt werden können. (Auf eine Zwischenbemerkung von Dr. Nicht ganz, denn Du wolltest zwei Etappen die einmalige NeugliedeSuhr): rung und spätere Änderungen. Es können ja mehr Etappen sein, die sukzessive einander folgen. Ich finde, diese Gleichberechtigung der Länder des Ostens in Bezug auf die erleichterte Neugliederung sollte man dabei im Auge behalten. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Man könnte die Sache vielleicht so machen, daß man bei der Gebietsänderung sagt: dabei sind die Grundsätze dieses Abs. 2 des Art. 24 zu berücksichtigen. Dann ist es nicht so prononciert. Dr. Eberhard: Ja, das kann man machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nämlich doch notwendig, daß bei einer späteren Gebietsänderung auch diese allgemeinen Grundsätze für die Neugliederung in den Vordergrund geschoben werden, damit die Länder sehen, daß nicht aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen ihre Gebietshoheit angetastet wird. Aus diesen Gründen ist es sehr wesentlich, daß man diese Grundsätze immer wieder herausstellt. Dr. Eberhard: Das kann man gern tun. Wunderlich: Ein Punkt scheint mir noch nicht erörtert zu sein, der in den verschiedenen Diskussionen von Herrenchiemsee eine Rolle gespielt hat. Das ist die Frage, ob man die Möglichkeit der Bildung von Ländern auf dem Gebiete jetzt schon bestehender Länder offenlassen oder ob man hier bestimmte Beschränkungen auferlegen soll. Das scheint mir praktisch doch eine große politische Bedeutung zu haben, denn wir haben ja heute schon Bestrebungen, die auf eine Aufteilung bereits jetzt bestehender Länder und die Bildung neuer Länder auf dem Gebiet jetzt bestehender Länder hinzielen. Ich erinnere nur daran, daß in Niedersachsen, z. B. in Oldenburg, eine sehr starke Bewegung lebendig ist, das Land Oldenburg wieder ins Leben zu rufen. Ich ließ mir berichren



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Nr. 19

ten, daß

es in Braunschweig gleiche Tendenzen gibt. In Nordrhein-Westfalen in bestimmten westfälischen Kreisen auch bereits wieder Tendenzen, die auf eine Teilung des Landes Nordrhein-Westfalen hinarbeiten. Sollen wir diese Dinge mit unter den erleichterten Bestimmungen lassen, oder sollen wir nicht versuchen, eine Beschränkung in die allgemeinen Vorschriften hereinzu-

gibt

es

bringen?

Mangoldt]: Wenn ich die Frage einmal präzisieren darf, so ist sie stellen: Sollen für die Neugliederung irgendwelche Schranken festgelegt werden außer den Schranken, die wir festlegen wollten, und die in Art. 24, Abs. 2, vorgesehen sind? Mir scheint das kaum möglich zu sein. So müßte man die Frage präzise stellen. Für die spätere Gestaltung der Dinge besteht natürlich immer die Möglichkeit, eine Gebietsänderung aus dem Gebiete heraus zu fordern. Das ist vorgesehen durch den Art. 24, Abs. 3, und das sollte man auch nicht unterbinden. Ob diese Gebietsänderung vorgenommen wird, ist nachher eine Frage des Bundesgesetzes; sie wird vom Bund aus entschieden, und hier wird sich dann ja zeigen, daß irgendwelche Absplitterungen, die mit den Grundsätzen des Abs. 2 nicht zu vereinbaren sind, wahrscheinlich nicht durchgeführt werden. Dann wird die ganze Angelegenheit von der Seite des Bundes her gesehen. Ich wollte das nur erst einmal klarstellen, damit diese Frage bei der weiteren Besprechung auch so gesehen wird. Dr. Kleindinst: Meine Herren! Mit der Fassung des Satzes 2 des Abs. 1 von Art. 24 kann man vollständig einverstanden sein. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß z. B. geschichtliche und landsmannschaftliche Zusammenhänge auch bei der Umgliederung kleiner Verwaltungsgebiete zwischen Ländern schon eine bedeutende Rolle spielen können. Aber das, was mir wichtig erscheint, ist folgendes: man kann diese Umbildung natürlich nur bei Vorliegen zwingender Gründe machen. Bis jetzt ist das ja zunächst eine Angelegenheit der neuen Länder. Das, was Württemberg und Baden betrifft, ist ja nicht eine Umgliederung, das ist ein Zusammenschluß von zwei Ländern, der im Jahre 1919 schon einmal spruchreif war und dann abgelehnt worden ist. Anders ist es bei den neuen Ländern, die aus reinen Zufälligkeiten entstanden sind. (Zuruf: Auch in Süddeutschland, z.B. Rheinland-Pfalz!) Das müßte aber schon in der Fassung zum Ausdruck kommen. Das ist eine Sache für sich. Nur das eine müssen wir vermeiden: daß man die ganze Angelegenheit behandelt, wie wenn es sich um die Einteilung von Wahlkreisen oder um eine neue Konzernbildung handelte. Also, es muß schon ein zwingender Grund dazu gegeben sein, auch schon im Bundesinteresse. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das kommt vielleicht in der zweiten Hälfte des Abs. 2 zum Ausdruck, wie er uns jetzt formuliert vorliegt. Es sollen Länder geschaffen werden, „die nach Größe, Bevölkerungszahl und Leistungsfähigkeit imstande sind, die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben wirksam zu erfüllen". Frau Dr. Weber: Das, was eben gesagt wurde, ist auch nach meiner Meinung in diesem Absatz enthalten. Wenn man noch mehr sagt, dann kann man die Dinge sehr erschweren, so weit, daß eine Umbildung überhaupt gar nicht mehr möglich ist. In der Weimarer Verfassung hat sich dieser Artikel als gar nicht Vors. [Dr.

wohl

v.

so zu



387

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Sitzung

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Oktober

1948

anwendbar erwiesen, d. h. man konnte ihn anwenden, erreichte nur nichts. Ich würde mich deshalb auch dafür aussprechen, daß man nur zwei Gruppen unterscheidet, einmal die große Umbildung und zum anderen die spätere Umgliederung einzelner Teile. Ich würde nicht eine Einteilung in drei Gruppen empfehlen können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, das wird wieder eine Frage sein, die unmittelbar zusammenhängt mit dem Problem „Länderkammer —Volkskammer". Wenn nämlich im Wege des Bundesgesetzes beim Bundesgesetz die Länderkammer entsprechend eingeschaltet ist d. h. mit den entsprechenden Vertretern der Länder, dann werden gar keine Bedenken bestehen, diese Neugliederung in dieser Weise vornehmen zu lassen, weil ja für die Länder die Möglichkeit besteht, sich einzuschalten. Außerdem wird es dann ja so sein, daß man natürlich in dieser Frage, wenn etwa ein einziges Land oder zwei Länder damit nicht übereinstimmen, nach demokratischen Grundsätzen doch die große Mehrzahl der Länderkammer wird entscheiden lassen wollen. Auf der anderen Seite wollte ich auch den Vorschlag machen, daß in diesem Absatz auch gewisse Vorschriften über die Vorbereitung des ganzen Verfahrens verankert werden, und daß das dadurch geschieht, daß eine Einrichtung vorgesehen wird, wie sie nach 1919 bestand9). Wir müssen ja einen Verantwortlichen für die Neugliederung haben. Es ist das ein Gedanke, den ich hier vorwegnehme, der nachher formuliert werden kann. Wenn man die Frist von zwei bis drei Jahren setzt, muß man einen Verantwortlichen haben, der diese Dinge wirklich in die Hand nehmen kann. Das kann praktisch nur die Bundesregierung sein, eine Bundesregierung, die die Verantwortung dafür trägt, daß etwas geschieht. Die Bundesregiedas muß auch rung muß aber hier nun wieder meiner Anschauung nach und hier würde ich eine entsprechende Beratung haben, ausbalanciert sein für die Neuglieirgend etwas vorschlagen wie jenen früheren Zentralausschuß derung, an dem Länderrat und Volkskammer in gleicher Weise beteiligt sein müßten; einen kleinen Ausschuß, der immer auf seiner Seite drängt und in Verbindung mit der Bundesregierung beide müssen sich ergänzen die Grundlagen für die Vorbereitung dieses Gesetzentwurfes legt, der dann im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren an die Volkskammer und an die Länderkammer —







geht.

Dr. Suhr: Wenn es erlaubt ist, möchte ich meinen vorher gemachten Vorschlag etwas genauer präzisieren. Ich würde zunächst den Art. 24 mit der Überschrift „Neugliederung des Bundesgebiets" formulieren, und dabei würde ich den Abs. 1 des Art. 24 als Eingangsformel mit einer kleinen Änderung benutzen, nämlich hier sagen: „Unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbunusw., nicht .sollen Länder geschaffen werden", sondern dann muß gesagt werden: .ist das gegenwärtige Bundesgebiet neu zu gliedern." Und dann geht es weiter: „Dabei sollen Länder geschaffen werden, die nach

denheit" erst

Größe

.

.

.

usw. usw.

wirksam erfüllen." Anschließend kommt als zweiter Absatz:

9) Gemeint ist die „Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches",

(Dok. 388

Nr. 17, Anm. 16), S. 53 ff.

s.

L. Biewer

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des gegenwärtigen Bundesgebietes soll vor Ablauf von Jahren nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes durch Bundesgesetz geregelt sein. Die

drei

Neugliederung

Als dritter Absatz käme dann der Vorschlag einer Zentralstelle, die die nähere bestimmen soll. Dann wäre ein neuer Artikel zu schaffen mit der Gebietsänderung, wobei ich vorschlagen würde, erst einen allgemeinen Absatz vorauszuschicken, etwa nach dem Chiemseer Vorschlag: eine Gebietsänderung durch Vereinigung oder Abtrennung von Gebieten kann durch Bundesgesetz usw. erfolgen. Das steht im Chiemseer Entwurf. Zur Ausführung würde ich dann vorschlagen den Abs. 2 des Art. 24, wie er jetzt hier vorliegt. Es bleibt noch die von Herrn Eberhard angeschnittene Frage offen: Wo sind die Gebietsänderungen des jetzigen Bundesgebietes unterzubringen, die notwendig werden, wenn neue Gebietsteile von außen hinzutreten, also Fall Mecklenburg? Sind die unter Art. 24, grundsätzliche Neugliederung, unterzubringen oder sind sie in Art. 25 unter Gebietsänderung einzubauen? Dr. Bergsträsser: Wenn wir den Abs. 2 des jetzigen Art. 24 in 25 hineinnehmen was mir richtig erscheint, um ein Programm zu haben —, dann müßten wir allerdings wohl eines ändern. Es heißt hier: .die nach Größe, Bevölkerungszahl und Leistungsfähigkeit imstande sind .". Das erweckt den Eindruck, als müßten Größe, Bevölkerungszahl und Leistungsfähigkeit zusammenkommen. Mir scheint das zuviel, denn ein Gebiet kann als Gebiet verhältnismäßig klein und doch sehr leistungsfähig sein. Nehmen Sie etwa Hamburg! Wenn alles zusammenkommen soll, fällt das Hamburger Gebiet nicht darunter. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Können wir diese Frage, die durchaus erwägenswert ist, zurückstellen bis zur endgültigen Formulierung der einzelnen Absätze. Dr. Bergsträsser: Selbstverständlich, man muß sich aber wohl darüber klar sein. Daneben aber möchte ich, gerade weil ich Historiker bin, auf das dringendste vor den „Lehren der Geschichte" warnen; denn für den Historiker sind die „Lehren der Geschichte" immer das, was er in die Vergangenheit hineinprojiziert. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir wollten das anders formulieren. Frau Dr. Weber: Wir wollten die Formulierung nicht. Dr. Eberhard: Das in Herrenchiemsee Formulierte betrifft nicht unseren Fall der Neugliederung innerhalb des Bundesgebietes, sondern nur das Hinzufügen anderer Gebietsteile. Dr. Suhr: Nein! Im Chiemseer Entwurf, Seite 2610), ist dieser Fall aus der ersten

Ausführung



.

.

Lesung aufgenommen. Dr. Eberhard: Ach ja, dieser Teil! Dr. Suhr: Ja, auf Seite 26 unten. Diese Formulierung wollte ich vorschlagen

bezgl. der Neubildung von Ländern oder der Änderung ihres Gebietes. Doch hatte ich die Formulierung in meinem Vorschlag etwas geändert: „Jede Gebietsänderung eines Landes durch Vereinigung oder Abtrennung von Land kann durch Bundesgesetz erfolgen" oder so ähnlich. 10) Der Pari. Rat Bd. 2, S.

584.

389

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26.

Oktober 1948

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, man müßte es einfacher fassen, vor allen Dingen auch einen weiteren Begriff verwenden, unter den man alles bringen kann. Unter der Weimarer Verfassung hat sich ja gezeigt, daß diese Nebeneinanderstellung von Neubildung und Abtretung allein nicht genügte, daß soundsoviele Fälle nicht erfaßt wurden. Dr. Kleindinst: Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die geschichtlichen Zusammenhänge unter allen Umständen eine Rolle spielen. Sie spielen heute noch eine Rolle selbst bei der Veränderung von Verwaltungsbezirken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen sie ja auch drin lassen. Frau Dr. Weber: Nur die „Lehren der Geschichte" wollen wir herauslassen. Dr. Suhr: Ich würde auch die „Lehren der Geschichte" herauslassen. „Geschichtliche Zusammenhänge" ist viel besser. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist nur eine Formulierungsfrage. Dr. Kleindinst: Aber darin sind wir uns wohl einig, daß man darüber verschiedener Meinung sein kann! Mayr: Wir sind uns darüber einig, daß die Neubildung von Ländern in der Verfassung nicht eingeschränkt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein; wenn erst einmal die Erstgliederung durchgeführt ist, kann natürlich aus den Ländern heraus diese Frage immer wieder hervorgebracht werden. Aber es soll dann eben durch Bundesgesetz darüber entschieden werden, damit nicht das Interesse eines kleinen Teils, der sich zufällig durchsetzt, über das Gesamtinteresse des Bundes hinweg entscheiden kann. Das ist natürlich eine Frage, die ja auch unter den Ländern zu einer großen Unruhe führen würde. Wenn die Länder nicht sehen, daß nach der ersten Neugliederung ihr Bestand gesichert ist, sondern sie immer damit rechnen müssen, daß irgendwelche separatistischen Bewegungen jederzeit dieses Gefüge wieder in Unordnung bringen können, werden sie ungern mitmachen. Wenn sie dagegen sehen, daß die Länderkammer und der ganze große Apparat eingeschaltet werden und daß von Bundes wegen darauf gesehen wird, wenn irgendein kleiner Teil sich absplittern will, werden sie vielleicht eher bereit sein, diese Regelung anzunehmen. Dr. Suhr: Ich glaube, Herr Mayr meint etwas anderes, was wir in Chiemsee sehr genau erörtert haben. Eine Änderung eines Gebietes durch Erweiterung oder Verbindung usw. ist etwas anderes als die Entstehung eines neuen Landes in einem bestehenden Land. Denn wenn aus einem Lande zwei Länder werden, wird ja der gesamte Bundesorganismus beeinflußt, wird die Zusammensetzung des Bundesrates usw. eventuell geändert, sogar zwingend geändert. Man muß wohl unterscheiden zwischen solchen Gebietsänderungen, die auf die Organe des Bundes keinen Einfluß haben, und solchen Gebietsänderungen, die einen Einfluß ausüben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die gibt es nur juristisch nicht, und zwar aus folgendem Grunde: wenn nämlich der Zuwachs, von dem Sie reden, so groß ist, daß dadurch das Verhältnis zwischen den einzelnen Ländern beeinflußt wird, ein sehr großes Land und damit die Frage der Hegemonie entsteht, so wird sich das auch auf den Bund auswirken, und die Grenzen, bei deren Überschreitung ein Fall diese Bedeutung gewinnt, können Sie juristisch nicht erfassen. Sie können 390

Vierzehnte Sitzung 26. Oktober 1948

Nr. 19

einfach die Grenzen, bei denen aus einem Fall der einen Art einer der anderen wird, nicht genau genug bestimmen. Sie können nicht bestimmen, wo der Zuwachs auf den Organismus des Bundes einzuwirken beginnt. Das läßt sich juristisch nicht festlegen. Das ist eine Ermessensfrage. Insofern kann die Scheidung, die Sie vornehmen wollen, meiner Anschauung nach nicht gemacht werden. Dr. Kleindinst: Aber Dr. Suhr hat insofern recht: Wenn wir z. B. die Stimmen etwa in der Länderkammer nach der Bevölkerungszahl bemessen, so verändert sich natürlich das Stimmenverhältnis, wenn erhebliche Teile zuwachsen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ja meine Auffassung! Dr. Bergsträsser: Zuwachsen oder abwachsen! Dr. Suhr: Herr Wunderlich meinte ja auch, die Frage sei, ob die Neubildung von Ländern auf dem Gebiete bestehender Länder siehe Fall Oldenburg/ erschwert werden soll oder nicht. Nehmen wir an, der BunNiedersachsen desrat sei aus nur je 2 Vertretern jedes Landes zusammengesetzt, und jedes Land hätte die gleiche Stimmenzahl. Dann würde durch die Aufspaltung, durch die Herauslösung eines Landes aus einem bisherigen Gebiet, die bisherige Stimmenzahl vollkommen geändert werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber für diesen Fall sollen ja nun erschwerende Vordarüber haben wir uns doch geeinigt schriften durch den zweiten Artikel werden. vorgesehen Dr. Suhr: Gewiß. Es wäre nur die Frage, ob solche Änderungen, die zwangsläufig zu einer andersartigen Zusammensetzung des Bundesrates führen, nicht besonders erschwert werden sollen. Ich bin zunächst weder dafür noch dagegen, sondern will nur darauf aufmerksam machen, daß dahinter noch ein besonderes Problem steckt, nämlich das Problem, ob die Gebietsänderungen nur so bescheiden sind, daß sie keine Änderung des Bundesrates bedingen, ober ob die—







se

Änderung schwerwiegenderer

Natur ist.

Mangoldt]: Meine Meinung ist, daß jede Gebietsänderung eine irgendwie geartete Beeinflussung des Bundes darstellt. Es läßt sich nur juristisch nicht klar genug festlegen, wann der Punkt erreicht ist, an dem sie den OrgaVors. [Dr.

v.

nismus beeinflußt. Dr. Diederichs: Jede generelle Regelung ist natürlich gefährlich, denn der Fall kann sowohl in der einen wie in der anderen Richtung d. h. positiv oder negativ sein. Es kann in gewissen Fällen eine Änderung der Grenzen im Bundesinteresse durchaus positiv sein; dann hat man sie künstlich erschwert. Sie kann aber ebenso durch Absplitterung sehr unglücklich sein, und dann hätte man sie gern erschwert, weil sie dann wieder zu einfach ist. Also, eine solche generelle Regelung hat immer ihre zwei Seiten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wollte ich zum Ausdruck bringen, darin liegt die Gefahr. Man kann diese Dinge tatsächlich nicht scheiden. Die Weimarer Verfassung hatte ja ich habe das in diesen Tagen noch einmal geprüft für jede Gebietsänderung ein durch besondere Kautelen erschwertes Verfahren vorgesehen11). Ich glaube auch, von dieser Regelung der Weimarer Verfassung —

») Vgl. L. Biewer,



Anm. 9. 391

Vierzehnte

Nr. 19

wird

man

nicht

Gebietsänderung

Sitzung

26.

Oktober 1948

abgehen können, so

wird, auf dem gar

sondern

man

könnte

nur

eventuell,

wenn

die

gering ist, daß, sagen wir mal, ein Gebietsteil ausgetauscht keine Leute wohnen, es so machen, daß man nicht ein er-

schwertes Verfahren für das entscheidende Bundesgesetz für diesen Fall in AnDas ist wohl der Wunsch, der dabei im Hintergrund steht. Wann die Änderung so geringfügig ist, das läßt sich aber juristisch mit allgemeinen Formeln nicht einwandfrei klären. Darin liegt die Schwierigkeit. Aber nun darf ich vielleicht doch einmal, damit wir weiterkommen und dann an die Formulierung wirklich herankommen, feststellen, daß die Auffassung des Ausschusses dahingeht, entgegen dem ersten Vorschlag doch den Artikel über die Neugliederung voranzustellen ich glaube, darüber besteht Einmütigkeit und daß wir dann eben sehen müssen, den Artikel über die Gebietsänderung, für die wir bewußt eine abweichende Bezeichnung wählten, folgen zu lassen. Wir können überhaupt vielleicht gleich hier formulieren, damit wir weiterkommen und nicht noch einmal den Redaktionsausschuß zusammenzuberufen brauchen. Es hält etwas auf, aber ich glaube, wir haben die Erfahrung gemacht, daß wir selbst in diesem großen Gremium mit Formulierungen zu ganz guten Ergebnissen kommen können. Ich würde nur vorschlagen, daß wir das, was wir heute formulieren, als ein vorläufiges Ergebnis ansehen, das heute nachmittag noch einmal durchgesprochen werden kann. Herr Dr. Zinn hatte z. B. als ordentliches Mitglied des Ausschusses ein sehr starkes Interesse daran. Wir könnten uns dann morgen noch einmal zusammenfinden. Inzwischen ist das Formulierte dann geschrieben, und dann könnten wir anhand des dann Niedergelegten uns endgültig entscheiden über die Annahme dieses Vorschlages in erster Lesung. Denn es handelt sich wirklich um eine sehr schwierige Frage. Aber ich glaube, daß Ihr Vorschlag, Herr Dr. Suhr, doch einen gewissen Anklang gefunden hat, daß man also den Abs. 2 des Art. 24 voranstellt, daß man also so formulieren würde, wie Sie sagten, beginnend mit den Worten: „Unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit" usw. Dr. Suhr:.ist das Bundesgebiet neu zu gliedern." Vors. [Dr. v. Mangoldt]:.ist das Bundesgebiet von Bundes wegen durch Bundesgesetz neu zu gliedern." Dann haben wir alles gleich drin. Ich darf es gleich einmal aufschreiben, damit wir es nachher dann für die Abschrift haben. Wir würden also anfangen: „Unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit" darüber war ja Einigkeit vorhanden, und statt der „Lehren der Geschichte" wollten wir sagen „der geschichtlichen Zusammenhänge". Dr. Bergsträsser: Ich bin auch gegen die „geschichtlichen Zusammenhänge". Was sind denn „geschichtliche Zusammenhänge"? Aus welchem Jahr stammen die „geschichtlichen Zusammenhänge"? Das ist doch alles völlig vage! Sind die „geschichtlichen Zusammenhänge" aus dem Jahr 1815? Sind sie aus dem Jahr 1648? Da kann man sich auf Akten und Urkunden in ungeheurem Maße berufen. Ich denke da an Nietzsches Aufsatz vom Wert und Unwert der Geschichte für das Leben. Gerade weil ich Historiker bin, bin ich absolut dagegen, daß man bei einer derartigen Neugliederung ausdrücklich die geschichtlichen Zusammenhänge betont.

wendung bringt.



,





392

Vierzehnte Sitzung 26. Oktober 1948

Nr. 19

Dr. Kleindinst: Dann schlage ich vor, zu sagen: „der noch lebendigen geschichtlichen Zusammenhänge". Aber ich lege größtes Gewicht darauf, weil wir sehen, daß schon bei kleinen Verwaltungsgebieten diese Zusammenhänge eine ausschlaggebende Rolle spielen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich muß ja auch sagen, wenn ich gerade an das Land denke, das mich entsandt hat: Schleswig-Holstein wird immer ein gewisses Gewicht auf diese geschichtlichen Zusammenhänge legen. Denn wenn man darauf kein Gewicht legen würde, dann würde ja gerade die Frage des Zusammenschlusses von Schleswig-Holstein über die Elbe hinweg, die jetzt eine so starke Rolle spielt, nicht diese Schwierigkeiten machen. Sie macht aber im Grunde genommen nicht etwa aus landsmannschaftlichen Gründen Schwierigkeiten, sondern es sind Gründe der geschichtlichen Zusammenhänge, die noch sehr stark wirksam sind und auf die man, glaube ich, nicht verzichten kann. Dr. Bergsträsser: Sie haben doch die „kulturellen Lebenskräfte", die „wirtschaftlichen Notwendigkeiten" und die „soziale Struktur" drin, das macht doch alles aus! Frau Dr. Weber: Nein, das ist etwas anderes! Dr. Bergsträsser: Ich bin absolut dagegen. Frau Dr. Weber: Ich bin absolut dafür. Wunderlich : Bei allen Gebietsänderungen in unserem Gebiet

der die

spielt immer wiedie allergrößte Rolle. als hinderndes Moment! Das sind nichts als absurde

geschichtliche Begründung

Bergsträsser: Und zwar romantische Vorstellungen. Wunderlich: Wenn ich mir die Denkschriften Niedersachsen und Westfalen ansehe, so beruhen sie auf einer fortgesetzten Berufung auf die Historie12)! Dr. Suhr: Ich glaube, daß alle zünftigen Historiker sich auf den Standpunkt von Dr. Bergsträsser stellen werden: man kann nichts aus der Geschichte beweisen. Aber gerade deshalb bin ich der Meinung, daß Kollege Bergsträsser seinen Einwand zurückziehen sollte. Denn es läßt sich immer alles und nichts daraus beweisen. Es schadet nichts, ob es drin steht oder nicht. Ich verstehe durchaus, was hier gesagt wurde: die lebendigen geschichtlichen Zusammenhänge spielen eine gewisse Rolle. Man soll es also ruhig hereinsetzen; ich glaube, man vergibt sich nichts. Dr. Kleindinst: Niemand will natürlich auf eine Urkunde von 1456 oder einen Vertrag aus so alter Zeit zurückgreifen. Aber die Zusammenhänge, die noch lebendig sind, sind eine politische Realität. Wenn Sie diese verletzen, werden Sie die größten Schwierigkeiten bekommen. Das ist eben ein geschichtliches Zusammenwachsen von Verwaltungsorganisationen, von wirtschaftlichen Interessen. Dr.

„so beruht die auf einer jahrhundertelangen Zusammenarbeit von Historikern." Mit den Denkschriften waren vermutlich die im Rahmen der Diskussion über die Länderreform im Zonenbeirat entstandenen Gutachten gemeint. Vgl. dazu Akten zur Vorgeschichte Bd. 1, S. 812, Anm. 10.

12) Korrigiert aus:

393

Nr. 19

Vierzehnte Sitzung

Gestaltung, lebendig ist.

Das ist eine te noch

die

26.

nun

Oktober 1948 einmal

erfolgt

ist und die durch die Geschich-

Wunderlich: Entscheidend dürfte andererseits wohl sein, daß niemand die Wievon geschichtlich untergegangenen Gebilden wünscht. Dr. Heuss: Solche geschichtlichen Zusammenhänge sind vollkommen freibleibend, aber an sich ein ganz schöner Begriff, gerade wenn ich an unser Gebiet denke, an die geschichtlichen Zusammenhänge von Augsburg und München. Ich bin dafür, daß es dabei bleibt, aber an sich sind die geschichtlichen Zusammenhänge vom oberschwäbischen Gebiet in das schwäbische viel stärker als ins bayerische, also Memmingen oder Lindau. Damit haben die Bayern nie etwas zu tun gehabt. Ich bin trotzdem dafür, daß es dabei bleibt. Es ist eben einfach ein geschichtlicher Zusammenhang bei einer durchaus kulturellen Verschiedenheit auch in den verschiedenen Schichten. Das ist bei der Beamtenschicht z. B. etwas vollkommen anderes als beim übrigen Volk. Man muß da sehr vorsichtig sein. Aber man soll es als Begriff nicht herausschmeißen. Dr. Kleindinst: Es gibt da ein interessantes Beispiel: Schwaben und die Pfalz sind zusammengefügt worden aus einer Fülle kleiner Territorien in einer Zeit von etwa 150 Jahren13). Dadurch sind aber nun Zusammenhänge des Eisenbahnverkehrs, des Straßenverkehrs, der Verwaltungsbehörden usw. entstanden, die lebendig sind. Das sind lebendige geschichtliche Zusammenhänge, die man nicht zerreißen kann. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf vielleicht nur bemerken, daß mir die Dinge hier so ähnlich zu liegen scheinen wie bei der Begriffsbestimmung des Volkes. Der bekannte Volksbegriff, bei dem keines seiner Merkmale allein für sich entscheidend ist, sondern bei dessen Anwendung nur aus der Gesamtschau der Merkmale heraus die Frage der Volkszugehörigkeit entschieden werden kann, hat dieselben Schwierigkeiten. So wird es also auch hier sein. Man würde, glaube ich, gewisse Kreise verletzen, wenn man die geschichtlichen Zusammenhänge herauslassen würde. Sie klingen irgendwie mit, solche Fragen sind sehr weitgehend gefühlsmäßig bestimmt. In diesen Dingen soll man Gefühle nicht verletzen, und ich glaube, sie können im letzten an einer Stelle auch einmal entscheidend sein. Wenn die geschichtlichen Bande wirklich sehr stark sind und andere Bande nicht so stark sind, nehmen wir einmal die kulturellen Bande, so kann dieser Punkt der geschichtlichen Zusammenhänge tatsächlich einmal der entscheidende sein. Es läßt sich das Ganze aber nur aus der Zusammenschau aller Merkmale wirklich richtig sehen. Dr. Bergsträsser: Ich will mich dann bescheiden mit den „lebendigen geschichtlichen Zusammenhängen". Aber sehen Sie, es ist doch so, daß Rheinhessen z. B. gar keine kulturellen Bindungen zu Hessen hat. Da ist es einfach der Wille der Bevölkerung, die wieder zu dem Gebiet kommen will. Das ist ähnlich wie mit der Pfalz, dieses Gebiet sind auch Lappen und Läppchen gewesen und die sind geeinigt worden. Es hat lange Zeit gedauert, in der sie sich gegenseitig geärgert haben, und Jetzt empfinden sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Das

derherstellung

13) Gemeint ist der Reichsdeputationshauptschluß, vgl. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Ver-

fassungsgeschichte

seit 1789 Bd. 1, 2. A.

Stuttgart [. .] 1975, .

394

S. 42 ff.

Vierzehnte Sitzung 26. Oktober 1948

Nr. 19

„lebendige geschichtliche Zusammenhang". Gut, aber das ist Sache des Volksbewußtseins. Ich möchte nur vermeiden, daß man sich auf Akten und Urkunden stützt. Dr. Kleindinst: Darin sind wir vollkommen einig. Dr. Heuss: Ich protestiere aufs heftigste gegen das Wort „lebendig", denn das ist ein feuilletonistischer Begriff, das ist reine Literatur. Ich will nicht sagen, ob gute oder schlechte, ich bin unhöflich gegen alle, bloß gegen Sie nicht! Aber lassen Sie einmal einen Juristen entscheiden, was lebendig ist oder nicht! Lassen wir deshalb das „lebendig" ruhig weg! Es genügt, wenn wir sagen: „geschichtliche Zusammenhänge". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also, wir setzen „geschichtliche Zusammenhänge" hinein, und wenn in der Plenarsitzung jemand auf „lebendig" besonderes Gewicht legt, kann ja dort ein entsprechender Antrag gestellt werden. Dr. Bergsträsser: Wenn wir schon die „geschichtlichen Zusammenhänge" hineinschreiben, warum wollen wir dann nicht auch das „lebendig" drin lassen?! Dr. Heuss: Weil dann ein Literatencharakter in das Grundgesetz hineinkommt! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei allem Verständnis für das, was sie aussprechen, Herr Dr. Bergsträsser, glaube ich, wir brauchen die Zeit damit gar nicht zu verlieren. Denn es zeigt sich, daß die große Mehrheit dafür ist, es herauszulassen. der geschichtlichen Zusammenhänge, Also wir formulieren dann weiter: der kulturellen Lebenskräfte, ..." Dr. Eberhard: Der Ausdruck „kulturelle Lebenskräfte" ist auch schwammig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Formulierung stammt von Ihrem verehrten Fraktionsvorsitzenden14)! Ich bin gern bereit, das zu ändern. Ich mache nur darauf aufmerksam! Wollten Sie einen Vorschlag machen, Herr Dr. Suhr? Dr. Suhr: Nein, ich habe mir bloß erlaubt, eine bescheidene Nebenfrage zu stellen. Es handelt sich nur darum, ob man etwas Besseres findet. Was Dr. Heuss gegen „lebendig" als „feuilletonistisch" anführte, könnte auch hier eingewandt werden. Es ist natürlich juristisch nicht greifbar, was mit „kulturellen Lebenskräften" eigentlich gemeint ist. Ich möchte schon eine sinngemäße Formulierung, es ist gar kein Zweifel, daß hier ein etwas schwammiger Begriff verwandt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen mit diesen Fragen sowieso noch in die zweite Lesung herein. Lassen wir die „kulturellen Lebenskräfte" einstweilen drin, damit Herr Dr. Schmid die Möglichkeit hat, wenigstens noch etwas von seinen Vorschlägen vorzufinden. Er hatte schon auf die „Lehren der Geschichte" ein so außerordentliches Gewicht gelegt. Das kann dann [gegebenenfalls] in der zweiten Lesung beseitigt werden. Dann geht es also weiter: .der wirtschaftlichen Notwendigkeiten und der sozialen Struktur ...". Dr. Kleindinst: Wollen wir nicht statt „Struktur" „Gestaltung" sagen? Wollen wir das Wort „Struktur" drin lassen? ist dann der

„..



.



14) Fraktionsvorsitzender der SPD im Pari. Rat

war

Carlo Schmid. 395

Vierzehnte Sitzung 26. Oktober

Nr. 19

ist doch nicht

Bergsträsser: „Struktur"

Dr.

1948

Gestaltung! „Struktur"

wäre Auf-

bau!

Mayr: Des sozialen Wachstums! Dr. Kleindinst: Nein, das ist wieder etwas anderes! Mayr: Ich will es gar nicht übersetzen. Frau Dr. Weber: Ich würde Dr. Suhr: „Struktur" wäre

durch

„Gefüge"

zu

es

stehenlassen.

eigentlich,

wenn

man

das Wort übersetzen will,

ersetzen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gut, nehmen wir „soziales Gefüge"! Dr. Heuss: Wenn man statt „Notwendigkeiten" „Zweckmäßigkeiten" sagt, dann würde man das etwas schärfer und rationaler ausdrücken. Das rationale Ele-

sollte eigentlich auch an dieser Stelle stehen. Dr. Kleindinst: Wir wollen ja keine Konzerne rationalisieren! Dr. Heuss: Nein, das rationale Element ist ja etwas anderes! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bitte, mich jetzt nur etwas zu unterstützen, damit mir nicht beim Schreiben etwas Falsches einfließt! Dr. Heuss: Ich lege keinen entscheidenden Wert darauf, es scheint mir nur als Element sich etwas schärfer von dem Vorhergegangenen abzuheben. Frau Dr. Weber: Ich würde sagen: .der wirtschaftlichen Notwendigkeiment

ten ..". Vors. [Dr.

ist eine Neugliederung" müßten wir dann sagen, Mangoldt]: Bundes von „des Bundesgebietes wegen durch Bundesgesetz vorzunehmen". Oder: .ist das Bundesgebiet neu zu gliedern". Dr. Suhr: Die einzige Frage ist, ob es „gegenwärtiges" Bundesgebiet heißen .

v.

„.

.

.

muß. Das weiß ich nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Ist das Bundesgebiet in seiner gegenwärtigen Gestalt"! Man Dr. Suhr: Da kommen Sie wieder auf „Gestalt"! Was heißt „Gestalt"? kann es auch weglassen, es kann ja doch nur das gegenwärtige sein! Frau Dr. Weber: Eben! Es kann doch kein phantastisches sein! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde es also heißen: .ist das Bundesgebiet von Bundes wegen" das ist wichtig „durch Bundesgesetz neu zu gliedern". Das ist auch sehr viel besser als der erste Satz des ersten Vorschlages, an dem ich mich immer gestoßen habe, an der „Neugliederung des Bundes" ohne den Artikel. Dann würden wir also nun den ersten Satz haben in der Fas—



sung: Unter



Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen Zusammenhänge, der kulturellen Lebenskräfte, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeiten und des sozialen Gefüges ist das Bundesgebiet von Bundes wegen durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Dr. Suhr: Ja, und dann würde ich sagen: „Dabei sind Länder zu schaffen" usw. Das muß noch herein! Dr. Bergsträsser: „Es sind Länder zu schaffen" oder „Um Länder zu schaffen"! Dr. Suhr: Ich würde empfehlen, einen neuen Satz zu schaffen und entweder anzufangen mit „Dabei sind ..." oder eventuell das Substantiv zu wiederholen 396

Vierzehnte Sitzung

26.

Oktober 1948

Nr. 19

und zu sagen: „Die Neugliederung erstrebt Länder, die nach Größe" usw. Dann würde ich wörtlich das übernehmen, was Sie hier stehen haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herr Dr. Diederichs, Sie hatten doch auch einen Vorschlag: „Es sollen ."! Dr. Diederichs: Ich würde es mit „So" verbinden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber das „soll" ist vielleicht am besten: „Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe, Bevölkerungszahl und Leistungsfähigkeit imstande sind, die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben wirksam zu erfüllen." Dr. Bergsträsser: Dann würde ich vorschlagen, statt „und" zu sagen „oder", damit man nicht meint, es sollen alle drei Punkte zusammenkommen, sondern jeder einzelne genügt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder: „Die Neugliederung soll schaffen" ja, die Neuschafft nicht! sie gliederung ja eigentlich Dr. Heuss: Statt „schaffen" würde ich sagen „ergeben". Dr. Kleindinst: „Sie soll den Zweck verfolgen, ." Dr. Eberhard: „Die Neugliederung soll Länder schaffen, ." Dr. Bergsträsser: „Mit der Neugliederung sollen Länder geschaffen werden, ." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das wäre sprachlich einwandfrei. Dr. Suhr: Rein sprachlich wäre es am besten, wenn man anfangen würde mit: „Die Neugliederung". Aber ich bitte auch eins zu berücksichtigen: Es kommt darauf an, ob Sie diesen Satz als zweiten an den ersten anfügen, oder ob Sie damit einen neuen Absatz beginnen wollen. Ich wäre dafür, mit einem neuen Absatz zu beginnen und den mit „Die Neugliederung" anzufangen. Dr. Diederichs: Dann würde ich empfehlen, zu sagen: „Solche Neugliederung", also eine Formulierung zu wählen, die speziell auf diesen Aspekt Bezug .

.



.

.

..

.

.

nimmt. Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Ich glaube, die Formulierung „Diese Neugliederung soll Länder schaffen" ist gut, und dann' kann es so weiter gehen, wie es hier steht. Dr. Suhr: Mit Ausnahme des „und", das durch „oder" ersetzt werden soll. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja.die nach Größe und Bevölkerungszahl" könnte man vielleicht sagen „oder Leistungsfähigkeit. .". .



Dr. Bergsträsser: Nein! Dr. Suhr: Ich würde hinter

„Größe"

nur

ein Komma machen und nicht mit

„und" fortfahren. Schioer: Ich wäre für „Größe und Bevölkerungszahl", weil Größe allein nicht entscheidend ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Größe allein wird nie genügen, sondern nur die Größe in Verbindung mit der Bevölkerungszahl. Stellen Sie sich nur einmal ein Gebiet mit wenig Einwohnern vor, etwa ein Gebiet im nördlichen SchleswigHolstein oder im nördlichen Oldenburg! Dr. Suhr: Wenn Sie sagen „Größe und Bevölkerungszahl", würden Sie z. B. den Fall Hamburg unmöglich machen. Bei Hamburg ist es nur die Bevölkerungszahl! 397

Vierzehnte

Nr. 19

Sitzung

26.

v. Mangoldt]: Ja, Leistungsfähigkeit"!

Vors. [Dr. „.

.

.

oder

Oktober 1948

aber auch die

Leistungsfähigkeit!

Es heißt

ja:

Bergsträsser: Aber hiernach sollen Größe und Bevölkerungszahl zusammenkommen. Das ist gegen den Fall Hamburg. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, der Fall Hamburg wird sowieso nur durch „Leistungsfähigkeit" erfaßt. Dr. Bergsträsser: Auch durch die Bevölkerungszahl! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Bevölkerungszahl ist für ein Land zu klein. Dr. Diederichs: „Größe und Bevölkerungszahl", dadurch kriegen wir alles gefaßt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Größe" allein würde nicht genügen. „Größe, Bevölkerungszahl oder. ." Dann wäre alles ins Verhältnis „oder" gesetzt. Aber das faßt nicht alles! Dr. Eberhard: Wir müssen sagen: „Größe oder Bevölkerungszahl und LeistungsDr.

.

fähigkeit" !

Dr. Diederichs: Lassen wir die ter dem

Begriff

Bevölkerungszahl

der Größe beides, räumlich und

dann offen.

ganz weg, dann haben wir

bevölkerungsmäßig;

un-

das bleibt

Dr. Bergsträsser: Dann könnte man „und" lassen. Frau Dr. Weber: Ich würde auch das „und" fortlassen. Dr. Bergsträsser: Die Leistungsfähigkeit ist das wichtigste. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde es also heißen: .die nach Größe und Leistungsfähigkeit imstande sind, die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben wirksam zu erfüllen." „Wirksam" zu erfüllen, ist ja wesentlich. Dann würde also der Absatz 2 lauten : Diese Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit imstande sind, die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben wirksam zu erfüllen. Und dann würde der Art. 25 kommen: Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten dieses

Grundgesetzes geregelt

sein.

„Durch Bundesgesetz" steht ja oben drin. Dr. Diederichs: Das „soll" ist bewußt, daß kein „muß" hineinkommt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „muß" kann man sehr schwer sagen. Man kann

es nicht durchsetzen. Dr. Diederichs: Eben deshalb! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Letzten Endes gibt der Gesetzgeber sich selbst die Weisung. Es ist nämlich so: mit dem „muß" würden wir eine Weisung geben an die Volkskammer und an die Länderkammer, dieses Bundesgesetz anzunehmen, und das können wir schlechterdings nicht. Dr. Diederichs: Es taucht nur für mich die Frage dabei auf: Steht das „muß" drin, dann würden diese Bestrebungen nach drei Jahren automatisch aufhören. Steht aber „soll" drin, dann heißt das, es soll in drei Jahren durchgeführt sein. Ist es aber nicht durchgeführt, dann werden die Bestrebungen fortgesetzt. Insofern liegt darin also ein großer Unterschied. Ich würde mich deshalb für das „soll" entscheiden.

398

Vierzehnte Sitzung

26.

Oktober 1948

Nr. 19

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin doch auch mehr für „soll". Ich glaube, das ist besser. Dann sind wir uns darin einig. Also würden wir sagen: „Die Neuglie.." Alles andere kann ja wegbleiben. Oder sollen wir auch noch soll. derung einmal sagen: „Diese Neugliederung"? Das ist aber hier nicht notwendig. Also dann würden wir sagen: Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes geregelt sein. Dr. Bergsträsser: Dann würde ich schon sagen: „des Grundgesetzes". Frau Dr. Weber: Das würde ich auch vorschlagen. Dr. Bergsträsser: Entweder zweimal „dieses" oder zweimal „des". Dr. Heuss: „Diese" steht nur im Absatz zuvor! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, hier steht es nicht. Wir müssen schon sagen: „dieses Grundgesetzes", „des Grundgesetzes" ist zu unbestimmt. Man muß es schon bezeichnen mit „dieses Grundgesetzes". Von der Neugliederung ist die Rede, aber von dem Grundgesetz nicht. Nun ist mir nur zweifelhaft, ob man jetzt nicht den Abs. 2 des Art. 2515) hier hereinnehmen sollte. Dr. Suhr: Jetzt würde ich einen neuen Artikel „Gebietsänderungen" machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, es muß noch viel mehr über die Verfahrensfragen hinein! Dr. Suhr: Ja, da hatte ich ja ihren Gedanken aufgegriffen, diese Zentralstelle, die Sie andeuteten, vielleicht festzulegen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur die Frage, ob wir diese Zentralstelle jetzt bringen, also diese Verpflichtung der Bundesregierung, das in die Hand zu nehmen, oder ob wir jetzt erst das Hinzutreten anderer Länder und die Frist beim Hinzutreten anderer Länder behandeln sollten. Den Beitritt anderer Länder würde ich zuerst nehmen und dann für beide das Verfahren regeln, —

(Zustimmung) daß wir einfach sagen: Tritt ein anderer Teil Deutschlands als selbständiges Land dem Bunde bei, so soll vor Ablauf von drei Jahren nach dem Beitritt über die etwa notwendig werdende Neugliederung entschieden werden. Dr. Bergsträsser: Dann schließen wir aber die erste Neugliederung eigentlich aus. Soll nicht die Neugliederung innerhalb des Bundesgebietes sofort anfangen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das sagen wir ja auch: „Die Neugliederung" bezieht sich auf das jetzige Bundesgebiet, und dann kommt die Regelung bei Hinzutreten weiterer Länder. Dr. Bergsträsser: Dann muß der Luther-Rat oder die Luther-Kommission16) oder wie wir sie nennen wollen, also diese Neugliederungs-Kommission, sofort eingesetzt werden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Natürlich, die kommt auch gleich. Dr. Heuss: Es muß nur für die Ost-Länder eine neue Anlauffrist sozusagen hier markiert sein. Deshalb muß das besonders genannt sein. so

15) Vgl. Dok. Nr. 26. 16) Zur Luther-Kommission vgl. Dok. Nr. 17, Anm.

16.

399

Nr. 19

Vierzehnte

Sitzung

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Oktober 1948

Bergsträsser: Es handelt sich nur darum: soll man erst das nehmen und das andere dann anhängen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann das machen. Ich hatte hier vorgesehen, daß Abs. 3 dieses Art. 25 wenn ich die Formulierung einmal sagen darf, weil wir sonst immer weiter ins Unreine formulieren folgendermaßen lauten soll: Die in Abs. 1 und 2 vorgesehene Neugliederung hat die Bundesregierung unverzüglich nach Übernahme ihres Amtes bezw. Eintritt des in Abs. 2 vorgesehenen Ereignisses einzuleiten. Dann haben wir nämlich beides gleich drin, Abs. 3 und Abs. 4. Insofern können wir dann dieses Hinzutreten der Länder, den Fall, daß noch einmal eine Neugliederung erfolgt, vorwegnehmen und dann zusammenfassen. Es ist nur die Frage, ob das „durch Bundesgesetz" noch einmal betont werden soll, wie es hier steht. Ich glaube, das ist nicht notwendig. Wir haben oben gesagt: .von Bundes wegen durch Bundesgesetz", das ist klar. Dann können wir es einfach so lassen: „Tritt ein anderer Teil Deutschlands als selbständiges Land dem Bunde bei, ..." und hier darf ich noch einmal rekapitulieren: wenn es nicht als selbständiges Land beitritt, ist die große Neugliederung ja nicht notwendig, weil es dann in den Rahmen eines anderen Landes eingegliedert wird; deshalb diese besondere Bezeichnung „als selbständiges Land dem Bunde bei, so soll vor Wollen wir es bei „drei Jahren" belassen oder Ablauf von drei Jahren ..." sollen wir „zwei Jahren" sagen? Wir hatten ursprünglich zwei Jahre in beiden Fällen. Ich finde drei Jahre ein bißchen weit herausgeschoben. Dr. Suhr: Sollte man nicht bei einem Hinzutreten eines anderen Gebietsteiles die Frist kürzer setzen? Denn darin liegt doch eine zwingende Notwendigkeit vor. Deshalb bin ich der Meinung: drei Jahre bei der Gesamtneugliederung und zwei Jahre bei anderen Fällen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wie ist die Meinung? Ich glaube, das ist auch sehr zu begrüßen, weil es dann ja schneller gehen muß. Außerdem kann man sich ja, wenn man beitritt, gleich von vornherein überlegen, was einem bevorsteht. Das muß ja eigentlich schon vorbesprochen werden, bevor man beitritt. Also dann sagen wir: .so soll vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt über die etwa notwendig werdende Neugliederung entschieden werden." Ja, das „etwa notwendig werdende" ist noch keine schöne Formulierung. Mayr:.über die dann notwendig werdende Neugliederung ."! Vors. [Dr. v. Mangoldt]:.über eine dann etwa notwendig werdende .", das würde es nämlich besser sagen. Aber es ist das eine fürchterliche Formel. Dr. Diederichs: .eine etwa notwendig werdende ."! Dr. Heuss: „etwa" nicht! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: .soll über eine notwendig werdende Neugliederung .". Das „etwa" würde ich herauslassen. Dr. Bergsträsser: .eine hierdurch notwendig werdende ."! Frau Dr. Weber: Muß man nicht doch „durch Bundesgesetz" wiederholen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also hätten wir: Tritt ein anderer Teil Deutschlands als selbständiges Land dem Bunde bei, so soll vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt über eine notwendig werdende ..." Dr.









..

..

.

.

..

.

400

.

Vierzehnte

Sitzung

26.

Oktober

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Nr. 19

Ja, da fehlt etwas!

Bergsträsser: Das klingt alles scheußlich! Sagen wir doch: .darüber entschieden werden, ob dadurch eine Neugliederung notwendig wird"! Dann haben wir wenigstens das „werdende" heraus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: .soll darüber entschieden werden, ob eine weitere —

Dr.

Neugliederung notwendig ist." Dr. Eberhard: Aber die Entscheidung muß ja auch inhaltlich getroffen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Natürlich! Dr. Diederichs: Es soll ja innerhalb dieser zwei Jahre nicht nur entschieden

werden, ob diese Notwendigkeit besteht, sondern werden! Vors. [Dr.

es

soll auch

durchgeführt

Mangoldt]: Ja, es soll auch schon durchgeführt Heuss:.ob eine Neugliederung erfolgen soll".

sein ! Dr. Frau Dr. Weber: Nein, das drückt es nicht aus! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie soll vor Ablauf von zwei Jahren abgeschlossen sein! .so soll vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt eine notwendig werdende Neugliederung abgeschlossen sein" oder .eine durch den Beitritt notwendig werdende Neugliederung ...". eine Neugliederung, die dadurch notwendig wird,. .." Dr. Bergsträsser: Frau Dr. Weber: Ich finde das erste am besten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: .so soll vor dem Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt eine etwa notwendig werdende Neugliederung abgeschlossen sein." „Entschieden werden" ist zu wenig. Dr. Diederichs: Entscheidend ist „vor Ablauf von zwei Jahren"! Dr. Kleindinst: Sie haben, Herr Vorsitzender, vorhin mit Recht hervorgehoben, daß die Sache ja schon lange vorbesprochen wird, ehe sie eintritt. Angenommen, Mecklenburg tritt bei, dann wird es doch nicht beitreten und dann erst v.

„.

.

.

bestimmen lassen, ob es geteilt oder irgendwo zugeschlagen wird. Infolgedessen ist die Formulierung „abgeschlossen sein" das Richtige. Das ist doch der Vollzug, der da abgeschlossen wird! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: .eine notwendig werdende Neugliederung abgeschlossen sein". Dann können wir auch das „etwa" herauslassen. ich frage als Dr. Bergsträsser: Müßte da nicht noch etwas herein, nämlich daß der Land ihm wenn er neues ein Bund, aufnimmt, die BedinNichtjurist daß sich es in eine muß, auferlegen Neugliederung fügt? gung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das gehört mit zu den Normativbestimmungen, daß jedes neue Land diese Normativbestimmungen erfüllen muß, und gehört daher in den Abschnitt über die allgemeinen Grundsätze. Wir können ja einmal nachsehen, ob wir das da drin haben und ob der Gedanke dort untergebracht ist. Es steht in Art. 25. Da heißt es: (2) Sie müssen den Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses Grundgesetzes, insbesondere der allgemeinen Vorschriften des Art. 21 und des Teiles XII über die Rechtspflege, entsprechen. Nein, da ist es schwer drunterzubringen. Dr. Kleindinst: An sich nimmt doch jedes Land die Verfassung an. Dann hätte es keine Bedenken. —



401

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Bergsträsser: Ja, das ist richtig. Es nimmt ja die Verfassung an! Es war also überspitzt, was ich sagte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: .eine notwendig werdende Neugliederung durchgeführt oder abgeschlossen sein." Dr. Eberhard: Ich würde, gerade im Hinblick auf den Zusammenschluß der drei Südweststaaten, doch vorschlagen, zu sagen: „geregelt sein". „Abgeschlossen" wird die Neugliederung erst vom Jahre danach sein17). Vors. [Dr. v. Mangoldt]': Ja, das würde richtig sein: „durch Bundesgesetz geregelt sein". Dr.

zu

Das sollte nämlich gesagt werden. Wir müssen es dann auch oben noch einmal ebenso hineinsetzen. Nicht die ganze Auseinandersetzung infolge der Neugliederung, die zieht sich g. F. länger hin, sondern nur die Regelung soll durch Bundesgesetz erfolgt sein. Dann müssen wir also sagen:.so soll vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt eine notwendig werdende Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt sein." Das ist auch besser, dann haben wir auch an allen Stellen dieselbe Terminologie. Aber deshalb es auch vorsichtiger, daß wir das Ganze morgen erst noch einmal vornehmen, weil uns dann eventuell doch noch etwas einfällt. Wir haben gerade in der Redaktionskommission festgestellt, wie außerordenüich schwierig es ist, im selben Moment alles zu übersehen. Dann würde nun die von mir vorgeschlagene Vorschrift kommen. Wir haben jetzt vier Absätze und würden dann sagen: „Die in Abs. 3 und 4 vorgesehene Neugliederung hat die Bundesregierung unverzüglich nach Übernahme ihres Amtes" und nun kommt das scheußliche Wort „beziehungsweise", das müssen wir irgendwie herausbringen „beziehungsweise dem Eintritt des in Abs. 2 vorgesehenen Ereignisses einzuleiten". —



(Zuruf: „Oder"!) Ja, „oder nach Eintritt des

in Abs. 2 vorgesehenen Ereignisses einzuleiten". Dr. Bergsträsser: Dann würde ich aber sagen: wir stellen die Bundesregierung —

als

den Anfang! Mangoldt]: Schön: „Die Bundesregierung vorgesehene Neugliederung" usw.

Subjekt

Vors. [Dr.

an

v.

hat die in Abs. 3 und 4

Dr. Eberhard: Nur Abs. 3 und 4? Sie wollen es auf 3 und 4 beschränken? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das ist die erstmalige Neugliederung des Bundesgebietes, wie es jetzt ist, und die Neugliederung, die eintritt, wenn ein östliches

Land hinzukommt. Dr. Eberhard: Aber davon ist auch in den Absätzen 1 und 2 schon die Rede. In Abs. 3 gab es im Grunde nur den Termin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das ist richtig. Dann müßten wir sagen: „Die Bundesregierung hat die in Abs. 1 bis 4 vorgesehene Neugliederung unverzüglich nach Übernahme ihres Amtes", und dann kann man vielleicht sagen „oder im Falle des Abs. 4 nach Eintritt des dort vorgesehenen Ereignisses .". Dr. Heuss: „des vorgesehenen Ereignisses" ist schrecklich! Man müßte vielleicht .

sagen:

„des genannten Ereignisses".

) Dieser Satz handschr. 402

hinzugefügt.

.

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Dr. Bergsträsser:.nach Aufnahme eines neuen Landes" ! Dr. Kleindinst: Ja, gleich konkret! Dr. Bergsträsser: .unmittelbar nach Aufnahme eines neuen Landes in den

Bund"! Vors. [Dr.

Mangoldt]: Also : „Die Bundesregierung hat die nach Absatz 1 bis 4 vorgesehene Neugliederung unverzüglich nach Übernahme ihres Amtes oder im v.

Falle des Abs. 4 nach Aufnahme eines neuen Landes ..." Dr. Bergsträsser: Dann brauchen wir Abs. 4 gar nicht! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, es ist vielleicht besser. Man muß es erst einmal stehen haben. Lassen wir es erst mal weg, wir können es dann immer noch einfügen. Dann würde es also nur weitergehen: .oder nach Aufnahme eines neuen Landes einzuleiten." Dr. Bergsträsser: Ich würde jetzt nur das „unverzüglich" zu „einleiten" stellen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gut, dann würde der Satz anfangen mit „Die Bundesregierung hat" und enden mit den Worten .unverzüglich einzuleiten". Dr. Bergsträsser: Das klingt nämlich voller, sonst kommt das „einzuleiten" so —



hinterhergehupft. Vors. [Dr. v. Mangoldt]:

Dann sagen wir also: .unverzüglich einzuleiten". kommt die andere Frage: Zu diesem Zweck brauchen wir nun die Mitglieder der Volkskammer und der Länderkammer. Die Bundesregierung muß das ja nun an die beiden Kammern heranbringen. Deshalb muß auf Vorschlag der Bundesregierung ein kombinierter Ausschuß für die Neugliederung des Bundes gebildet werden. Dieser Ausschuß würde damit gleich wieder einen Namen haben. (Zuruf: Ist das notwendig, schon hier hereinzuschreiben?) Dr. Suhr: Ich bin mit Ihnen vollkommen einer Meinung. Aber es ist notwendig, daß wir das schon in die Verfassung hineinschreiben? Mir kommt das Bedenken: ist die Zentralstelle eine verfassungsnotwendige Einrichtung? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Bundesregierung ist es sicher. Es ist nur die Frage, ob man das der Bundesregierung in der Verfassung eben vollkommen überlassen soll. Dr. Kleindinst: An sich ist das eine organisatorische Maßnahme. Aber ich glaube, bei der großen Bedeutung, die die einmalige Neugliederung hat, würde es politisch gut wirken, wenn man diese, wie Sie sagen, kombinierte Zusammenstellung von Vertretern aus Volkskammer und Länderkammer mit dieser großen, einmaligen Aufgabe betrauen würde. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das war auch das, was mich bestimmte, gerade gegenüber den Vorgängen von 191918). Hier soll dann alles drängend vorwärtsgetrieben werden, und hier soll auch den Ländern von Anfang an eine Einflußmöglichkeit gesichert werden, die ihnen die Mitwirkung sofort ermöglicht. Dr. Bergsträsser: Nun ist die Frage: soll dieser Ausschuß ausschließlich aus Mitgliedern der Länderkammer und der Volkskammer gebildet werden? Dr. Kleindinst: Die Bundesregierung ist selbstverständlich dabei vertreten. Die Herren werden sich dann ja auch das Material beschaffen, werden natürlich

Und



nun

18) L. Biewer (Dok. Nr. 17, Anm. 16), passim. 403

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Sachverständige hören, werden die Beteiligten hören usw. Das ist nach meiner Anschauung ein Gutachter-Organ und vielleicht sogar ein Schlichtungsorgan. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wollte ich in der Form zum Ausdruck bringen, daß das zuständige Bundesministerium bei der Herstellung des Gesetzentwurfes beratend mitarbeiten soll. Dr. Suhr: Die damalige Zentralstelle bestand aus sieben Mitgliedern, die der Reichstag wählte, und sieben weiteren, die der Reichsrat zu wählen hatte, sowie einer Anzahl von Vertretern, die der Reichsminister des Innern berufen sollte, also aus drei Gruppen: Regierung, Reichsrat und Reichsministerium des Innern, wobei der Reichsminister des Innern eben außerhalb des Parlaments und des Reichsrats stehende Sachverständige berufen hat19). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das brauchten wir ja nicht alles zu übernehmen. Dr. Suhr: Ich will bloß sagen: es kommt sicher dazu, daß eine solche Zentralstelle nicht nur aus Regierung und Bundesrat, sondern auch aus Sachverständigen zusammengesetzt sein wird. Dr. Kleindinst: Aber die anderen Vertreter sind die verfassungsmäßigen Organe.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß das gar nicht notwendig ist. Dr. Heuss: Ich würde diese Geschichte aus der Verfassung herauslassen. Das ist doch eigentlich ein Verfahrensstatut der Regierung. Dadurch, daß es ein Bundesgesetz ist, sind die beiden Kammern doch an sich beteiligt. Ich habe das Gefühl, wir schaffen zu sehr Gebrauchsanweisungen. Das stört mich dabei etwas.

der, daß, wenn hier dieses Organ geschaffen wird, es bereits bei der Entstehung eines Gesetzentwurfes mitwirkt, während sonst die Referenten der Bundesministerien den Gesetzentwurf selbständig ausarbeiten und ihn dann erst in die beiden Kammern bringen. Bei der ich glaube, da hat der Herr Vorsitzende ganz großen Bedeutung der Sache sollen die Vertreter dieser beiden Kammern schon bei der Entstehung recht mitwirken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten es ganz kurz fassen und es den Verfahrensvorschriften überlassen in dem Sinne, daß eben Vertreter der Volks- und der Länderkammer mitwirken sollen. Dr. Suhr: Wirken sie nicht schon mit? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei der Entstehung des Entwurfes wirken sie nicht mit. Es würde hier eine allgemeine Weisung gegeben werden, die eine besonders weitgehende Wirkung hätte, indem beide Kammern schon in einem Vorstadium eingeschaltet würden. Wir haben im schleswig-holsteinischen Landtag die Dinge so gestaltet, daß wir die Vorlagen schon gleich an einen Ausschuß geben, weil wir nur in zwei Lesungen verabschieden. Wir haben also die Ausschüsse schon in einem früheren Stadium eingeschaltet. Die Vorlagen gehen direkt an die Ausschüsse, so daß die Fraktionen schon durch die Ausschüsse unterrichtet sind, wenn die erste Lesung beginnt, und die Gesetze so in zwei Lesungen verDr. Kleindinst: Der Unterschied ist doch





19) Ebenda. 404

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abschiedet werden können, weil wir festgestellt haben, daß wir sonst immer drei Lesungen brauchen. Dr. Heuss: Das machen wir oft so. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wäre nun die Frage, ob wir diesen Satz nicht doch hier so hereinnehmen sollten. In dieser Form wäre er ungefährlich. Dr. Bergsträsser: Ich bin auch dafür nicht. Dr. Kleindinst: Bei der großen Bedeutung der Sache bin ich absolut dafür. Stellen Sie sich vor, das machen dann die Referenten der Ministerien! Die legen nach irgendwelchen rationalen Grundsätzen irgendeinen Entwurf vor, und dann beginnt die große Enttäuschung, beginnt die öffentliche Kritik. Das wird alles verhindert, wenn wir die politischen Kräfte der beiden Kammern schon bei der ich will nicht einmal saBeratung der Neugliederung, des Gliederungsplanes mitwirken, und wenn gen: des Gesetzentwurfes, aber des Gliederungsplanes dann erst der Gesetzentwurf ausgearbeitet wird. Dr. Bergsträsser: Dann wird das aber doch eine exzeptionelle Bindung der Bundesregierung für diesen Fall, die in nichts anderem ein Analogon findet, und das scheint mir bedenklich zu sein. Ich finde, es gibt eigentlich nur zwei Dinge, über die man bei solchen Sachen nachdenken muß. Das eine ist der Begriff „Kompetenz", und das andere ist der Begriff „Präzedenzfall", und das scheint —



mir präzedenzfällig zu sein. Dr. Kleindinst: Aber hier handelt es sich um eine große Angelegenheit! Dr. Bergsträsser: Und dann gibt es eine nächste „große Angelegenheit",

auch Vors. [Dr.

man

so

wo

verfährt!

Mangoldt]: Nein, das ist ja einmalig. Es handelt sich hier um die einmalige Neugliederung, und wir müssen immer sagen: diese Sache wird hier aufgenommen auf Grund eines Auftrages, den praktisch die Ministerpräsidenten-Konferenz gehabt hat20) und den die Ministerpräsidenten zu einem grov.

erste

ßen Teil nicht haben durchführen können aus für Ländervertreter der Natur der Sache nach gegebenen Beschränkungen heraus. Hier sollen nun gleich die Dinge richtig angepackt werden, damit die Sache nicht wieder im Sande verläuft. Dr. Eberhard: Das war der Präzedenzfall des Versagens, und wir wollen ein neues Versagen möglichst ausschalten. Ich bin daher dafür, so etwas einzubauen.

Dann darf ich vielleicht einmal fragen, wer von den Mitgliedern des Ausschusses für die Einschaltung eines solchen Satzes ist das wären also sieben und wer dagegen ist das wären zwei. Also ist gedie und Stimmen von Dr. Heuss Dr. gen Bergsträsser eine solche Vorschrift anaber vielleicht Dann wir würden das sehr allgemein fassen. genommen. Dr. Suhr: „Zur Vorbereitung der Neugliederung" oder so irgendwie! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfes ist zu beteiligen", so ungefähr. Vielleicht so: „Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfes ist ein aus Mitgliedern der Volkskammer und der Länderkammer zusammengesetzVors. [Dr.

v.

Mangoldt]:





20) Neugliederungsauftrag

an



die

Ministerpräsidenten vgl. Dok.

Nr. 17, Anm. 11.

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Ausschuß für die Neugliederung des Bundes zu beteiligen." Das gefällt mir aber noch nicht ganz. Dr. Bergsträsser: Dann schreiben wir doch direkt dem Parlament vor, einen solchen Ausschuß zu bilden! Dr. Kleindinst: Ja, das ist auch gewollt! Dr. Bergsträsser: Das ist verfassungsmäßig unmöglich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist nicht verfassungsmäßig unmöglich. Wir können ja auch sagen: .sollen beteiligt werden .." oder! Dr. Kleindinst: Dann hat es keinen Zweck. Entweder Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist eine Anweisung an die Bundesregierung. Die Bundesregierung soll das nicht allein machen, und damit ist geradezu vorbereitet, daß die Volkskammer und die Länderkammer ihre Rechte wahrnehmen. Dr. Heuss: .ist ein Ausschuß aus Mitgliedern beider Kammern zu beteiliter

.



gen". Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]: Ja, das

ist

am

besten: .ist ein Auschuß

aus

Mitglie-

der Frau Dr. Weber: Ich würde beide aufzählen, Volks- und Länderkammer. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „der Volkskammer und der Länderkammer —



teiligen".



zu

be-



Dr. Bergsträsser: gemeinsamer Ausschuß ." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das müßte man eigentlich sagen. Dr. Kleindinst: .ist ein Ausschuß aus Mitgliedern der Volkskammer und der Länderkammer zu beteiligen". Das genügt auch. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: So, das wäre dann der Absatz: Die Bundesregierung hat die in Abs. 1 bis 4 vorgesehene Neugliederung nach Übernahme ihres Amtes oder nach Aufnahme eines neuen Landes unverzüglich einzuleiten. Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfes ist ein „..

Ausschuß

aus

.

Mitgliedern der

.

.

Volkskammer und der Länderkammer

teiligen.

zu

be-

Kompetenzbedenken hinsichtlich des Gesetzentwurfes haben, dann kann man auch sagen: „An der Vorbereitung der Neugliederung ist zu beteiligen", und auf dieser Grundlage wird dann der Gesetzentwurf erst ausgearbeitet. Was wir wollen, ist ja, daß nicht 3 oder 4 Referenten der Ministerien allein diese große Sache für die ganze Bundesregierung machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darum dreht es sich ja, darum ist ja von der „VorbereiJa, nun muß aber hier auch noch eintung des Gesetzentwurfes" die Rede. gebaut werden und damit kommt nämlich eine weitere Schwierigkeit herein die Frage der Volksabstimmungen, die eventuell notwendig werden. Dr. Kleindinst: Das kommt dann ins Verfahren! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Über das Verfahren muß nachher sowieso ein Satz hereinkommen des Inhalts, daß das Verfahren durch Bundesgesetz festgelegt wird. Aber vorher muß noch eine Bestimmung herein, über die wir uns einigen müssen. Dieser Gesetzentwurf wird ja von der Bundesregierung eingebracht, nachdem sie mit diesem kombinierten Ausschuß verhandelt hat. Jetzt tritt die Frage auf: stimmen die beteiligten Länder diesem Gesetzentwurf zu? Wenn sie zuDr. Kleindinst: Wenn die Herren







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stimmen, dann kann dieses Gesetz über die Neugliederung durch einfaches Bundesgesetz herausgehen. Stimmt eines der beteiligten Länder nicht zu, dann müßte die Frage der Volksabstimmung erwogen werden, und zwar einer Volksabstimmung in den Gebietsteilen, für die nicht zugestimmt wird, und dann würde nun, wenn die Volksabstimmung eine Zustimmung ergibt, durch ein Bundesgesetz entschieden werden müssen. Es wäre die Frage, ob durch einfaches Gesetz oder durch ein mit verfassungsändernder Mehrheit ergehendes Gesetz. Das letztere würde ich bei der Erstgliederung nicht für notwendig halten, sondern da würde ich auch nur ein einfaches Gesetz für erforderlich halten. Es müßte nur die Möglichkeit bestehen, über eine Landesregierung, die sich hier widerspenstig zeigt, hinwegzukommen, wenn die Bevölkerung des Landes tatsächlich eine solche Änderung will. Aber das müßten wir alles noch einbauen. Wir müßten das alles noch formulieren. Dr. Bergsträsser: Wollen Sie bei dieser Neugliederung überhaupt eine Volksabstimmung machen? Frau Dr. Weber: Wenn das Land nicht will! Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das ist doch derselbe Fall wie jetzt mit dem Zusammenschluß der drei südwestlichen Länder, da erfolgt sie ja auch. Sie scheint mir nicht zu umgehen zu sein, wenn die Landesregierung nicht zustimmt. Eine andere Frage, die man stellen muß, ist die, ob nicht die Gesamtneugliederung, auch wenn die Landesregierung zustimmt, einer Volksabstimmung bedarf,

(Zustimmung)

ob wir also da, bei dieser ersten Neugliederung, nicht weitergehen müssen als bei späteren Gebietsänderungen. Dr. Bergsträsser: Wir wollten sie doch möglichst wenig erschweren! Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ja, die Erschwerung liegt nicht in dieser Volksabstimmung, sie wird vielmehr bei den widerstrebenden Länderregierungen liegen, und über widerstrebende Länderregierungen kommen wir nur durch Volksabstimmung hinweg. Es ist nur die Frage, ob wir auch bei der erstmaligen Neugliederung sagen können: die Bevölkerung21) hat, wenn die Landesregierung einer Gebietsänderung zustimmt, der die Bevölkerung22) nicht zustimmt, die nötigen Mittel, um dann ihre Auffassung durchzusetzen. Oder erreichen wir nicht dadurch, daß wir die Bevölkerung23)bei der ersten Neugliederung ausschalten, praktisch, daß hinterher das Verfahren auf Grund des zweiten Artikels über Gebietsänderungen erst richtig losgeht, indem die Bevölkerung24) sagt: zwar hat die Landesregierung gesagt: wir stimmten zu, aber wir haben nicht daran gedacht! Im Falle Oldenburg z. B. könnte die Landesregierung sagen: ja, schön, das wird so und so bestimmt! Aber die Oldenburger schreien hinterher: wir haben niemals zugestimmt! Also: neues Verfahren, und dann würde die ganze Geschichte mit Abtrennung und Bildung eines neuen Landes, würde das ganze Verfahren von neuem losgehen. Wenn man hingegen bei der ersten Neugliede21) 22) 23) 24)

Korrigiert Korrigiert Korrigiert Korrigiert

aus aus aus aus

„Bundesregierung". „Bundesregierung". „Bundesregierung". „Bundesregierung". 407

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allgemein eine Volksabstimmung vorsieht, schaltet man das aus, daß dauernd wieder Unruhe hineinkommt. Diese Frage muß also sehr überlegt werden. Wunderlich: Wir hatten uns bei der ersten Aussprache geeinigt, daß bei der ersten Aktion die Initiative von der Bundesregierung ausgehen soll, während für die späteren Änderungen eine Volksabstimmung als Initiative vorgesehen sein soll. Wir waren uns nur nicht klar, ob diese Abstimmung dann beschränkt bleiben soll auf bestimmte Volksteile, oder ob das ganze Land über eine spätere Gebietsänderung abzustimmen hat. Das war der große Differenzpunkt, über den wir noch keine Einigung erzielen konnten. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Danach scheint die Meinung doch die zu sein, daß wir für den Fall der ersten Neugliederung auf alle Fälle eine Volksabstimmung vorsehen sollten. Dr. Kleindinst: Sonst ist das hier dasselbe, wie das, was im Ruhrgebiet passiert ist mit der Eingemeindung von Städten. Die Herren erinnern sich, daß das damals so gemacht worden ist, und dann wurde es wieder einmal gemacht und so fort. Das ist eine zu wichtige Sache. Dr. Heuss: Wir müssen uns nur darüber klar sein, daß dann unter Umständen nichts geschehen wird, weil eben durch Agitation, durch die konservative Grundhaltung einer Bevölkerung, die sich nicht umgewöhnen will, und ich weiß nicht, durch was noch unter Umständen ein sehr zweckmäßiges Verfahren gehemmt wird. Also ich habe so etwas die Sorge, daß die Volksabstimmung, wenn sie unter allen Umständen vorgesehen wird, aus der ganzen Geschichte nichts werden läßt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man dürfte nur die Volksabstimmung nicht im gesamten Bundesgebiet stattfinden lassen, sondern nur in dem betreffenden Gebiet. Dr. Heuss: Das sowieso; sonst würden die Leute immer sagen, sie sind vergewaltigt worden von Leuten, die nicht dazu gehören. Das ist ja klar. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Aber es würde dann eventuell der Teil, für den die Zustimmung nicht zu erreichen ist, bei der Neugliederung zunächst ausfallen. Das gibt zu sehr schwierigen Fragen Anlaß. Es handelt sich hier nämlich um eine einmalige Angelegenheit, bei der sehr schwer zu entscheiden ist, wie man dann weiterkommt. Wenn man das ganze Bundesgesetz im ganzen Bund zur Abstimmung stellt, entscheiden dauernd Leute über Fragen, die sie nichts angehen, an denen sie gar nicht beteiligt sind. Das geht nicht. Aber mit der Bevölkerung des betreffenden Gebietsteiles, das also betroffen ist, kann es passieren, daß sie nicht genehmigt. Was wird dann mit dem ganzen Gesetz? Das ist eine Frage, die gar nicht einfach zu lösen ist. Dr. Suhr: Ich halte es für ausgeschlossen, daß man die Gesamtneugliederung eventuell dadurch in Gefahr bringt, daß ein kleiner Gebietsteil Nein sagt. Es kann meines Erachtens, wenn eine Volksabstimmung für notwendig gehalten wird ich bin mir selbst im Augenblick noch im unklaren —, nur eine Gesamtabstimmung in Frage kommen, gleichgültig, ob nun das Argument von Dr. Heuss zu berücksichtigen ist oder nicht, nämlich ob nun Leute, die gar nichts mit der Sache zu tun haben, mit abstimmen. Aber es ist ausgeschlossen, die Gesamtneugliederung von einem kleinen Bevölkerungsteil abhängig zu machen. rung



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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nicht die Gesamtneugliederung, sondern nur die Neugliederung dieses Teiles, jedes Teiles für sich! Dr. Suhr: Herr Vorsitzender! Vorhin haben Sie von einer Ermessensfrage gesprochen. Das hier ist, glaube ich, auch eine Ermessensfrage. Angenommen, ein kleines Teilchen erhebt Einspruch, dann wird eventuell die gesamte Sache umgeworfen! Wir wollen uns doch darüber klar sein: bei der generellen Neugliederung werden alle Teile aufeinander abgestimmt, sie bedeutet einen sehr einschneidenden Kompromiß, aus dem ein einzelnes Stück meines Erachtens überhaupt nicht herausgebrochen werden kann. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, aber dann verwürfein Sie ja bestimmte Teile der Bevölkerung einfach! Das ist die Schwierigkeit. Dieser Wille der Bevölkerung müßte natürlich irgendwie und soll ja auch auf alle Fälle zum Ausdruck kommen.

Wunderlich: Tut das nicht jedes Gesetz, daß es sich gegen gewisse Teile der Bevölkerung wendet? Mayr: Dafür haben wir bei der Flurbereinigung das beste Beispiel. Dr. Diederichs: Wir haben uns in einer der vorigen Sitzungen über diese Frage schon sehr eingehend unterhalten25). Da waren wir uns eigentlich doch dahingehend klar geworden, daß zwar das Gesamtgebiet abstimmen müßte, aber die Betroffenen und das Gesamtgebiet getrennt, um einmal die verschiedenartigen Auffassungen kennenzulernen. Dann stand in dem Passus drin, daß der Bund dann nach höheren Gesichtspunkten entscheiden kann, ob diese Dinge notwendig sind oder nicht. Es wird Fälle geben, wo man gewisse Gebiete auch gegen das Votum ihrer Bevölkerung irgendwie umgliedern muß. Das wird sich nicht vermeiden lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Könnte man dann die Sache nicht vielleicht so machen, daß man eine Vorabstimmung nach Teilen vornehmen läßt, dann noch einmal berät und schließlich das Ganze zu einer zweiten Volksabstimmung stellt? Dann kriegen wir bloß eine Hypertrophie von Volksabstimmungen, die man auch ungern sieht. Frau Dr. Weber: Ich glaube, man kann auf die Volksabstimmung nicht verzichten. Damals waren wir zu der Meinung gekommen, daß eventuell der Bund mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann, wenn die Volksabstimmung so ausfällt, daß die Gesamtneugliederung nicht zustande kommen würde. In diesem Sinne ist damals debattiert worden. Wenn also ein kleines Gebiet gegen die Neugliederung ist und ein großer Neugliederungsplan durchgeführt werden muß, dann sollte es noch ein Mittel geben, um die Sache durchzuführen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfes könnte es natürlich immer noch passieren, daß man etwas übersieht. Dr. Eberhard: Ich finde den Gedanken der Vorabstimmung ganz vorzüglich. Man kann sehr viel erzählen über die Meinung der Bevölkerung in Süd-Baden und sonstwo. Da behauptet die Regierung etwas anderes als jede einzelne Partei. Dafür gibt es in diesen Gegenden heute Beispiele in Massen. Wie soll auch 25) Dok. Nr. 17, TOP

2.

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die Bevölkerung an der Sieg beispielsweise darüber abstimmen können, ob eine Regelung in Bezug auf Rheinland-Pfalz heute im Gesamtinteresse liegt, wenn sie gar nicht weiß, was die Bevölkerung dort wirklich will, sondern höchstens das kennt, was einzelne Zeitungen geschrieben oder einzelne Ministerpräsidenten usw. gesagt haben! Die Vorabstimmung ist freilich ein kompliziertes Verfah-

Heute, wo wir doch etwas Solides schaffen wollen, wäre es vielleicht an der Zeit, dafür zu sorgen, daß der Einzelne z. B. weiß: damit werden jetzt zwar die Leute in Rhein-Hessen vergewaltigt; aber wenn wir das nicht machen, geht die Pfalz26) verloren, und sind die Fragen Koblenz und Trier so auch nicht zu regeln. Die Vorabstimmung muß man also machen, damit man ren.

doch

wem wehgetan wird. Schioer: Der Gedanke ist auch in der letzten Sitzung erörtert worden, und ich glaube, wir waren uns darüber einig, daß die beteiligte Bevölkerung befragt werden solle27). Frau Dr. Weber: Der beteiligten Bevölkerung! ich glaube, es ist damals schon so formuliert worden: daß auf keiSchioer: nen Fall ohne Befragung der beteiligten Bevölkerung die Neugliederung erfolgen sollte. Bei fehlender Zustimmung, so sollte, soviel ich mich erinnere, wie Frau Weber bereits zum Ausdruck gebracht hat, eine qualifizierte Mehrheit des Bundestages erforderlich sein. das ist eine Frage, die wir Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Kann man das machen uns mal allgemein vorlegen müssen; ich stelle sie hier nur, vielleicht beantwortet sie sich von selbst —, daß, wenn der Wille der Bevölkerung festgestellt ist durch Abstimmung eines Bevölkerungsteils, man dann die repräsentative Körperschaft darüber hinweggehen läßt? Oder kann man die entstehenden Schwierigkeiten nur ausgleichen durch einen Volksentscheid über das ganze Gesetz, das also dann noch einmal zur Beratung geht und erst endgültig durch Volksentscheid angenommen wird? Dann haben wir aber eben diese Hypertrophie

weiß,





an

Volksabstimmungen.

Dr. Suhr: Trotz der

Bedenken, die einer zweimaligen Volksbefragung entgegenstehen könnten, möchte ich mich doch dem ersten Vorschlag des Herrn Vorsitzenden anschließen: es soll bei der Vorbereitung des Gesetzes zunächst einmal der Wille der betreffenden Volksteile festgestellt werden, die endgültige Entscheidung aber durch eine Gesamtvolksabstimmung herbeigeführt werden. Das heißt mit anderen Worten, bei der Gesamtentscheidung kann das Volk auch einzelne Teile „vergewaltigen". Ich bitte, diesen Ausdruck in Anführungsstriche zu setzen. Aber das ist notwendig. Das Beispiel der Hurbereinigung, das vorhin erwähnt wurde, ist meines Erachtens ganz schlagend. Eine Hurbereinigung läßt und hier handelt es sich um eine Hurbereinigung des Bundesgebietes den Willen ich möchte nur sich mitunter nur gegen, gegen sogar sagen, immer einiger Interessenten durchführen. Dr. Kleindinst: Ich schließe mich den Ausführungen des Herrn Dr. Suhr an. —



2e) Folgt gestrichen: „an Baden". 27) Korrigiert aus „daß auf keinen Fall ohne den Willen der beteiligten Bevölkerung". 410

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Mangoldt]: Ich muß auch sagen: damit würde die Bedeutung, die Gliederungsfrage für das gesamte Volk hat, auch wirklich so in den Vordergrund gestellt, wie sie es verdient. Diese Frage soll ja von den betreffenden Bevölkerungen auch wirklich diskutiert werden, damit sie sich bewußt werden, was diese Einteilung des Bundes in Länder bedeutet. Aus diesen Gründen wäre das vielleicht durchaus zu begrüßen. Ich darf da nur noch fragen: ich glaube, daß das jetzt im Moment schwer zu formulieren wäre. Ich würde deshalb vorschlagen, daß sich lieber wieder ein kleiner Ausschuß morgen früh um 9 Uhr zusammensetzt, um diese Dinge zu formulieren. Aber dann müßten darin auch Fragen des Verfahrens festgelegt werden. Wenn z. B. einzelne Bevölkerungsteile nicht zustimmen, dann müßte, wenn das ganze Gesetz noch einmal zur Verhandlung an die beiden Kammern zurückgeht, nach der Verhandlung festgestellt werden, ob das Gesetz so aufVors. [Dr.

v.

diese ganze

rechterhalten wird oder nicht, und dann wird es entweder in veränderter Form oder in der alten Form zur Gesamtabstimmung gestellt. Dr. Heuss: Darf ich einmal etwas ganz Dummes fragen? Also, ein Land will zu einem anderen Land kommen und wird darüber befragt. Dabei wird vorausgesetzt, daß das andere Land diesen Zuwachs wünscht. Das ist aber keineswegs unter allen Umständen vorauszusetzen, weil dieses Land entweder sehr zerstört ist oder eine Bevölkerung hat, die in einem schlechten Ruf steht etwa wie die Schwaben bei den Badenern oder die irgendwie steuerunfähig ist. Dann ist das Problem, wie weit der Empfangende nun eigentlich abweisungsberechtigt ist oder nicht. Das ist mir sehr unklar bei dem Verfahren. Da hat z. B. das Rhein-Land28), ohne daß die Leute es merkten, ein großes Land verloren, Hohenzollern. Das ist einfach nach Württemberg gekommen, die Leute sind nicht gefragt worden, haben sich daran gewöhnt. Ich könnte mir nun aber vorstellen, daß diese Leute unter Umständen wieder rheinisch werden wollen. Das ist ein ganz einfaches Problem. Da werden soundsoviel Gymnasien und noch ein paar Kulturinstitute aus der rheinischen Kasse gesichert, und die würden dann in Gottes Namen rheinisch werden. Das ist jetzt nur eine sehr skurril ausgedachte Frage, aber es muß in die Formulierung des Verfahrens irgendwie mitherein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das habe ich mir in den letzten Tagen auch schon überlegt, daß diese Frage eine große Rolle spielt. Dr. Heuss: Allein schon beim Abstimmen, ob dann beim Abstimmen nicht nur die, die sich verändern wollen, sondern auch die, die den Zuwachs bekommen sollen, stimmberechtigt sind und wie weit, weil natürlich unter Umständen sehr stark in die Landeshaushalte eingegriffen wird, so oder so. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist die Frage, ob auch bei dieser erstmaligen Neugliederung die Abstimmung sich darauf erstrecken soll. Das muß natürlich zum Ausdruck kommen, daß nicht nur der Gebietsteil, der aus einem anderen her—





28) Korrigiert

aus „die Rhein-Pfalz". Die preußische Provinz Hohenzollern, bzw. der Regierungsbezirk Sigmaringen, gehörte zur Preußischen Rheinprovinz. Vgl. Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815—1945. Reihe A: Preußen. Hrsg. von Walter Hubatsch Bd. 12. Marburg 1978, S. 222 ff.

411

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ausgetrennt wird, abstimmen soll, sondern auch der, dem er zuwächst. Aber das ist nicht

einfach zu formulieren. Gerade aus den Gründen würde ich vorschlagen, daß wir morgen in einem kleinen Ausschuß erst einmal die Dinge zu formulieren suchen. Dr. Heuss: Ich denke gerade noch an eine andere Frage. Da ist doch, soweit ich unterrichtet bin, strittig, ob ein bestimmtes Gebiet wie Lippe nun zu Nieder-

sachsen oder zu Westfalen gehört. Irgendwo wird es ja eigentlich hingehören. Aber soll nun wegen Lippe, wegen dieser paar Quadratkilometer, die ganze Bevölkerung von Niedersachsen, die ganze Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen oder gar die ganze deutsche Bevölkerung abstimmen? Wunderlich: Wir werden das ja zu exerzieren haben, wenn wir die Abstimmung in Lippe und in Tecklenburg haben. Frau Dr. Weber: Da wird aber nur in Lippe und Tecklenburg abgestimmt und nicht da, wo die hinwollen! Dr. Heuss: Es sollen abstimmen das betroffene Land natürlich und auch das Land, dem ein solcher Gebietsteil zugeschlagen wird. Aber das ganze Land kann nicht die Bevölkerung darüber abstimmen lassen. Man wird nur sagen können: betroffen ist die Bevölkerung, die ihre Länderzugehörigkeit wechselt. Also, es soll die Bevölkerung von Lippe darüber abstimmen, ob sie von, sagen wir, Westfalen weg will zu Niedersachen, aber nicht Niedersachsen darüber, ob es aufnehmen will. Jedenfalls würde das die Sache bei der erstmaligen Neugliederung außerordentlich erschweren. Ich glaube, das müssen wir bei der ersten Neugliederung unter allen Umständen herauslassen. Bei der Gebietsänderung ist es dann später, wenn die erste Neugliederung durchgeführt ist, wenn die Staaten konsolidiert sind, eine Frage der Zustimmung der Landesregierung. Darum wird man nicht herumkommen, daß man die Zustimmung der Landesregierung einschaltet. Stimmt die Landesregierung der Aufnahme zu, ist es in Ordnung, dann bedarf es keiner Abstimmung. Stimmt die Landesregierung aber nicht zu, dann muß das Land oder der Gebietsteil abstimmen oder man muß, wenn man will, dann eine Volksabstimmung durchführen. Frau Dr. Weber: Das meine ich auch. Dr. Heuss: Nur in dem Sinne geht das zu machen. und die kam damals zum Ausdruck —, Frau Dr. Weber: Es gibt auch eine Auffassung unter allen Umständen und immer eine Abstimmung zu machen. Aber die Meinungen waren geteilt. Die eine Gruppe war der Meinung : wenn die Landesregierung zustimmt, dann kann die Sache ohne Abstimmung gemacht werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann könnten wir vielleicht, damit dieses Redaktionskomitee auch Weisungen hat, in Art. 25, den wir dann bekommen, im besten Fall von Gebietsänderung sprechen oder Gebietsveränderungen, und dann könnten wir den Abs. 3 vielleicht genau so übernehmen, Abs. 2 mit der Verweisung auf unseren Abs. 1 mit dem Inhalt aufnehmen und Abs. 3 mit der Bestimmung, daß die Bundesregierung in dem und dem Falle verpflichtet ist, ein solches Verfah—

ren

einzuleiten29).

29I Das Kurzprot. enthielt als Anlage den Wortlaut der in der

14 Sitzung am 26. Okt. 1948 gewonnenen Formulierung des Artikels 24. Sie findet sich wörtlich im Dok. Nr. 26, Art. 25 (bisher 24), Abs. 1-5.

412

Vierzehnte Sitzung 26. Oktober 1948

Nr. 19

Darf ich dann nur um Vorschläge bitten, wer an diesem Redaktionsausschuß teilnehmen soll! Als Mitglieder des Redaktionsausschusses werden Dr. Heuss, Dr. Bergsträsser, Wunderlich, Frau Dr. Weber und Dr. v. Mangoldt bestimmt30). Die nächste Sitzung des Ausschusses wird hiernach auf Mittwoch, den 27. Oktober 1948, 11,30 Uhr, anberaumt. —

30) Im Kurzprot. fehlte Bergsträsser als Mitglied des Redaktionsausschusses. 413

Nr. 20

Fünfzehnte

Sitzung

27.

Oktober 1948

Nr. 20

Fünfzehnte

Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 27.

Oktober

131-1461). Stenogr. Wortprot. vom Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 76-77. Drucks. Nr. 230 Z 5/32, Bl.

Anwesend2) : CDU/CSU: Kleindinst, Lensing,

v.

1948

28. Okt. 1948, von

Herrgesell

gez.

Mangoldt (Vors.), Mayr, Weber

SPD: Bergsträsser, Nadig, Wunderlich, Zinn FDP: Heuss Stenografischer Dienst: Herrgesell Dauer: 11.30-12.45 Uhr

[1. DISKUSSION UND BESCHLUSSFASSUNG ÜBER EINGABEN] Den Vorsitz führt der Abgeordnete Dr. v. Mangoldt. Die vorgesehene 1. Lesung der Artikel 24 ff. über „Neugliederung des Bundesgebiets usw." wird von der Tagesordnung abgesetzt3). Der Ausschuß befaßt sich mit einer Reihe von Eingaben. Frau Dr. Weber: Es liegen verschiedene Vorschläge für die Flaggen vor. Ein Maler und Graphiker aus Kaiserslautern namens Joseph Wack hat drei Vorschläge eingereicht4): 1) eine Flagge schwarz-rot-gold mit rotem Kreuz, 2) eine Flagge schwarz-rot-gold mit gelbem Kreuz. Die Farben schwarz-rot-gold sind also geblieben; es handelt sich nur um eine andere Zusammenstellung. Eine vierte Flagge zeigt schwarz-weiß-rot. Ein zweiter Vorschlag stammt von Joseph Winter aus Waldsee in Württem-

berg5). (Folgt teilweise Verlesung der Eingabe.) 147—151 (S. 1, 9, 12 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Im Kurzprot. hieß es: „Mit Rücksicht darauf, daß nach der unmittelbar voraufgegangenen Sitzung des Redaktionskomitees für die heutige Vollsitzung des Ausschusses nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung steht, wird die vorgesehene 1. Lesung des Artikels 24 ff. über „Neugliederung des Bundesgebietes usw." von der Tagesordnung abgesetzt. Eingabe Nr. 145 in: Z 5/99, Bl. 18. Eingabe Nr. 80 von Rektor Josef Winter aus Waldsee (Württemberg) in: Z 5/99, Bl. 9. Darin hieß es u. a.: „Im Parlamentarischen Rat sind als künftige deutsche Farben die Farben ,schwarz-rot-gold' vorgeschlagen worden. Dies ist verständlich und geschichtlich begründet. Dennoch erlaube ich mir, Sie zu bitten, folgenden Vorschlag zu prüfen: ,Die deutschen Farben sind rot-weiß-gold. Das deutsche Wappen ist ein schwarzer Adler mit rotem Schnabel und roten Fängen auf goldenem Grund.'" Diese Farbkombination sei zweckmäßig, weil sie von keinem Land verwendet werde, „künstlerisch" ein „alter, geschmackvoller, freudiger Farbendreiklang, „seelisch" erwecke diese Kombination weder Voreingenommenheit noch Abneigung und „geschichtlich" seien dies die Farben der Turnerschaft von 1848 und die Farben der Hanse.

1) Bl. 2) 3)

4) 5)

414

Fünfzehnte Sitzung

27.

Oktober 1948

Nr. 20

Er wünscht die Farben rot-weiß-gold, weil stet sei. Uberhaupt kommt in einer Reihe

„schwarz-rot-gold" „schwarz-rot-gold"

nicht

sei

nur

schwarz-rot-gold geschichtlich belavon Eingaben zum Ausdruck, daß mehr annehmbar sei. Andere Eingaben sagen, in der bisherigen Zusammenstellung belastet, man

solle daher eine andere wählen. Eine dritte Eingabe zur Frage der

Flaggen stammt von Dr. Adalbert Ewald in Recklinghausen6). (Folgt teilweise Verlesung der Eingabe.) Er macht zwei Vorschläge; einmal das goldene Kreuz; schwarz umrahmt auf rotem Grunde, dann auf schwarzem Grunde ein rotes Kreuz und darin ein goldeKreuz. Diese vier nes

Vorschläge

sind die bemerkenswertesten

Vorschläge,

die wir erhiel-

ten.

Dr. Heuss: Der Redslob soll etwas geschickt haben7). Frau Dr. Weber: Diese Vorschläge liegen nicht vor. Mayr: Wir hatten es gestern in der Fraktion8). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist wenig bedeutend. Frau Dr. Weber: Wir können die Eingaben als Material betrachten oder zur Berück-

sichtigung empfehlen.

Ich würde diese

Eingaben nur als

Dr. Heuss: In der Praxis hieß immer: a)

Übergang

zur

Material ansehen.

Tagesordnung, b)

zur

Er-

wägung, c) als Material, d) zur Berücksichtigung. Es ist die Frage, an wen wir es weiterzureichen haben. Frau Dr. Weber: Es gibt keine Körperschaft, an die wir es weiterleiten können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An den Hauptausschuß. Frau Dr. Weber: Das geht auch. Ich würde bei den Eingaben betreffend die Haggen „zur Berücksichtigung" oder als „Material" empfehlen. Dr. Heuss: Dann müssen wir diskutieren. Man könnte sagen: zur Erwägung. 6) Eingabe Nr. 31 in: Z 5/99, Bl. 6, als Duplikat (Eingabe Nr. 96) in: Z 5/107, Bl. 176-178. 7) Edwin Redslob (1884-1973), in den Jahren 1920-1933 „Reichskunstwart". Vgl. Annegret

Heffen: Der Reichskunstwart Kunstpolitik in den Jahren 1920—1933, zu den Bemüum eine offizielle Reichskunstpolitik in der Weimarer Republik. Essen 1986. Redslob hatte unter dem 18. Okt. 1948 geschrieben (Eingabe Nr. 195, Z 5/99, Bl. 48): „Schwarz-Rot-Gold als deutsche Farben sollten beibehalten werden. Vieles spräche dafür, die drei Farben vertikal aufzureihen, vor allem der Wunsch, gegenüber der Weimarer Form eine Variante zu bringen. Auch der Gedanke einer Protestflagge, die diagonal durchstrichen ist, aber selbstverständlich nicht die Bundesflagge, sondern eine propagandistische Variante darstellt, läßt sich bei vertikaler Gliederung verwirklichen. Schön wäre es, wenn Staatspräsident oder auch die Behörden der Länder ihr Wappen auf Geviert (diagonal geteilt) schwarz-rot-gold setzen [. .] Es wäre zu überlegen, ob nicht der Reichsadler als das alte Symbol Gesamt-Deutschlands in die Präsidentenflagge gesetzt werden sollte. Aber vielleicht nicht in der alten Form einer fast quadratischen Standarte, sondern mit ausgebreiteten Schwingen in einer Flagge." Die Vorschläge selbst konnten in den Unterlagen des Pari. Rates nicht ermittelt werden. In den Stuttgarter Nachrichten Nr. 145 vom 11. Nov. 1948 wurden die in der Pädagogischen Akademie ausgestellten Entwürfe, darunter auch die von Redslob, abgebildet und beschrieben; allerdings nur in schlichter Schwarz-Weiß-Zeichnung (Ausschnitt in: Z 5/100, Bl. 85). 8) Vgl. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 87. Erwähnt wurden die Vorschläge von Redslob im Prot, dabei nicht.

hungen



.

415

Nr. 20

Fünfzehnte Sitzung 27. Oktober 1948

Frau Dr. Weber: Man kann sagen: zur Berücksichtigung, zur Erwägung, als Material und zur Tagesordnung übergehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Vorschläge sind doch so, daß man über sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Ich bitte um Stellungnahmen. Dr. Heuss: Ich habe die Sache, die Herr Winter aus Waldsee9) geschickt hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist die wirkungsvollste Lösung, die ich bisher gesehen habe. Zinn: Das ist gut. Wunderlich: Der Entwurf ist wirkungsvoller als die einfache Trikolore. Wenn ich zu wählen hätte, würde ich sagen, er ist der Beste. Man kann sagen, er wirkt geschlossener, obwohl es die gleichen Farben sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das dritte Bild mit roter Grundfarbe geht nicht. Das ist zu sehr belastet. Zinn: Auch wenn man an den traditionellen Farben festhält, sollte man einen neuen Weg der Zusammenstellung versuchen. Dr. Heuss: Auf die Idee, daß es die alten Farben sind, kommt man nicht. Der Zusammenklang ist völlig zerrissen. Graphisch ist es ganz nett. Es ist ein vollkommen neues Motiv. Zinn: Die alten Farben waren in den alten Reichsinsignien enthalten, wenn auch nicht in Form einer Trikolore. Dr. Heuss: Darüber gibt es eine ganze Legendenbildung10). Ein solches Reichswappen hat es nie gegeben. Schwarz-rot-gold ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Sicher hat es alte Reichsfarben gegeben. Man hat ein bißchen Staufertum, goldene und rote Schnäbel, dringehabt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Redslobsche Lösung kommt an diese Lösung nicht heran. Frau Dr. Weber: Nein. Dr. Heuss: Wir können die Vorschläge dem Herrn Kollegen Zinn für seine Fraktion mitgeben. Frau Dr. Weber: Ich darf vorschlagen, daß die Entwürfe, die hier gut gefallen haben, in den Fraktionen gezeigt werden.

(Mayr: Unbedingt!)

Der Ausschuß muß darüber beschließen. Wenn wir nachher zu bestimmten Schlüssen kommen, ist es doch wichtig, daß wir etwas Neues gesehen haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Fraktionen müssen in die Sache Einsicht nehmen

können. Frau Dr. Weber: Ehe die

Vorschläge

zur

Erwägung

an

den

Hauptausschuß

ge-

hen, müssen wir hier zu einem Beschluß kommen, und die Fraktionen müssen vorher Gelegenheit haben, Einsicht zu nehmen. Mayr: Ich würde es in dem Schaukasten vor dem Restaurant ausstellen. Dr. Heuss: Dorthin kann man es tun. Es muß eine macht werden: „Eingereichte Vorschläge".

9) Vgl. Anm. 5. 10) Vgl. die in Dok. Nr. 23, Anm. 14 angegebene Literatur Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot.

416

Beschriftung darüber

zur

ge-

Geschichte der Farben

Fünfzehnte Sitzung 27. Oktober 1948

Nr. 20

Dann könnte als Beschluß des Ausschusses gesagt werzur allgemeinen Orientierung an einer gut sichtbaren Stelle im Gebäude des Parlamentarischen Rates angeheftet werden möchten. Wir könnten die Vorschläge, die dafür in Frage kommen, ausdrücklich bezeichVors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

den, daß die Entwürfe

nen.

Frau Dr. Weber: Ich habe verschiedene Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir legen uns

Vorschläge rundgereicht. zu

stark fest,

wenn

wir einzelne

aus-

wählen. Dr. Heuss: Ich würde auch den Vorschlag von dem Mann aus Waldsee aushängen, damit die Leute eine Vorstellung kriegen und damit es nicht so aussieht, als ob wir bereits für dies oder jenes Stellung bezogen hätten. Frau Dr. Weber: Es ist uns eine Hymne „Oh Deutschland!" von Joachim Hanek-

ke überreicht worden11). (Folgt teilweise Verlesung.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da kann man eigentlich nur sagen: zur Kenntnis. Wir geben es dem Hauptausschuß zur Kenntnis. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe der Freifrau von Minnigerode-Allerberg enthält einen „Appell an den Frieden"12). Es ist die Frage, was man mit solchen Eingaben machen soll. In einer ganzen Reihe von Eingaben schreibt das Volk aus Sehnsucht nach dem Frieden, wir sollten uns dafür einsetzen, daß Frieden kommt und daß der Friedensgedanke und die Friedensbereitschaft in irgendeiner Weise in der Verfassung verankert wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können nicht weitere Ausschüsse damit belasten. Wir könnten darüber nur zur Tagesordnung übergehen. Frau Dr. Weber: Eine weitere Eingabe von Lemke13) hat ebenfalls einen Friedensappell zum Inhalt. Es wird die Frage gestellt, ob der Krieg ein Verbrechen ist. Der Brief enthält nichts Bedeutsames. Man kann hier auch nur sagen: zur

Tagesordnung übergehen. In einer weiteren Eingabe (Worell)

wird nicht mehr bloß um Frieden gebeten, selbstverständliche Recht sondern das jedes Staatsbürgers auf Kriegsdienstvermehreren Eingaben wird betont, daß ein Paraweigerung herausgestellt14). In über die in graph Kriegsdienstverweigerung Verfassung aufgenommen werden Ausschuß muß sich Der darüber klar werden, ob die Eingabe nur als sollte15). Material behandelt werden soll. Dr. Heuss: Dazu liegt auch von dem Frauenbund etwas vor16). Ich habe neulich schon einmal zum Ausdruck gebracht, wie außerordentlich taktvoll ich es finde, daß keiner von den Anwesenden auf die Geschichte losgegangen ist.

Die Eingabe von Joachim Hanecke (Nr. 110) ließ sich nicht ermitteln. 12) Eingabe Nr. 10 in: Z 5/107, Bl. 31-32. 13) Eingabe Nr. 88 in: Z 5/107, Bl. 171. 14) Eingabe Nr. 62 in: Z 5/107, Bl. 124. 15) Die Eingaben an den Ausschuß finden sich, allerdings nicht vollständig,

n)

in den Bänden

Z 5/107-115.

16) Eingabe des Berliner Frauenbunds 1947, Nr. 68, in: Z 5/07, Bl. Drucks. Nr. 121

vervielfältigt.

136-137. Sie wurde

als

Abdr. in: Anm. 28.

417

Nr. 20

Fünfzehnte Sitzung 27. Oktober 1948

Frau Dr. Weber: Ich wollte nur ein halbes Wort von der Fraueneingabe sagen, da haben Sie einen lauten Schreckensruf ausgestoßen, Herr Dr. Heuss. Sie sagten, um Gottes willen17)! Dr. Heuss: Es ist die Frage, ob wir hier zu einer grundsätzlichen Diskussion darüber kommen wollen. Ich bin von mir aus sehr dagegen, daß wir es tun. In den einzelnen Landtagen hat es das schon gegeben. Die Hessen haben irgend etwas in ihrer Verfassung drinle). (Zinn: Der Krieg ist geächtet.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei der Fassung des Art. 31 sind wir auf diese Frage gekommen und haben dazu gesagt, mehr als in Art. 3 niedergelegt ist, wollten wir

nicht tun19). Dr. Heuss: Ich bin ganz einverstanden. Wir müssen uns nur darüber klar sein. Ich selber bin neulich von irgendeinem Journalisten gefragt worden, wie ich dazu stehe. Ich habe ehrlich gesagt, ich sei gegen die Aufnahme eines Artikels über Kriegsdienstverweigerung. Das ist irgendwo abgedruckt worden. Da habe ich jetzt schon Briefe bekommen, wir müßten in dem Stil arbeiten, daß bei einem Krieg alle Organe der Gesetzgebung so etwas wie Sturmbataillone des Krieges bilden müßten, dann würde das Volk damit einverstanden sein. Das Pro und Contra beschäftigt die Leute teilweise ernsthaft. Im Württembergischen Landtag hatten wir eine große Verhandlung darüber und haben ein Gesetz gemacht, das zustandekam, als ich nicht da war20). Ich hätte einen großen Krach gemacht. Das Gesetz wurde von einem meiner Freunde mit verteidigt. Wunderlich: Die generelle Kriegsächtung und die individuelle Kriegsdienstverweigerung sind zwei grundsätzlich verschiedene Dinge. Frau Dr. Weber: In den Eingaben, die ich vorgelegt habe, ist immer von Kriegsdienstverweigerung die Rede, nicht von Kriegsächtung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben uns hier im Ausschuß darüber schon unterhalten. Wir müssen uns fragen, wie mit solchen Anträgen verfahren werden soll. Sollen die Leute einen Bescheid bekommen? Wunderlich: Eine Antwort muß jeder bekommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Leute haben eine vorläufige Antwort bekommen, daß das Schreiben eingegangen ist und hier besprochen wird. Nun müssen sie eine endgültige Antwort bekommen. Dr. Heuss: Man darf keine endgültige Antwort geben. Die Leute veröffentlichen das in den Zeitungen, dann geht es los. Richtig ist, man dankt den Leuten für ihr Interesse und sagt, man hat es als Material für die Beratungen genommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: So habe ich es im allgemeinen gleich zu Anfang gehandhabt.

17) Siehe Dok. Nr. 7, TOP 2. 1B) Art. 69 der Hessischen Verfassung vom 1. Dez. 1946. 19) Art. 31, vgl. Dok. Nr. 15, TOP 7. 20) Ein Gesetz über Kriegsächtung wurde vom Württemberg-Badischen Landtag nicht erlassen. Gemeint ist wahrscheinlich das „Initiativgesetz der vier Fraktionen betr. die Kriegs-

dienstverweigerung; Verhandlungen

zung, 4. März 1948, S. 1672, und 73. 418

des Württemberg-Badischen Landtages, Sitzung, 22. April 1948, S. 1789-1993.

88. Sit-

Fünfzehnte

Sitzung

27.

Oktober 1948

Nr. 20

Dr. Heuss: Das würde

genügen. Für einige Leute ist die Kriegsdienstverweigeeine der Glaubenssache geworden. Wenn wir uns damit beMittelpunkt, rung gnügen, bin ich mit dem Artikel einverstanden, der die ideellen und sachlichen Kriegsvorbereitungen unter Strafe stellt. Die Leute sind damit nicht zufrieden, weil sie es für ein Individualrecht erklärt haben wollen, den Kriegsdienst zu verweigern. Nach meiner geschichtlichen Kenntnis ist der Kriegsdienst auch eine Pflicht in der Demokratie. Es ist also unglücklich, in eine demokratische Verfassung grundsätzlich hineinzuschreiben, daß jeder sich drücken darf, auch wenn es sich um einen Verteidigungskrieg handelt. Wir hatten in unserem Verfassungsentwurf von Carlo Schmid den pathetischen Satz drin: „Der Krieg ist kein Mittel der Politik"21). Alles war sehr einverstanden. Ich habe im Landtag eine große Rede dagegen gehalten und habe gesagt: Ich halte durchaus das Verteidigungsrecht der Württemberger gegenüber den Bayern, wenn diese angreifen wollen, für eine nationale Verpflichtung; ich denke gar nicht daran, das so ohne weiteres zu akzeptieren. Das habe ich zu der Versammlung im Landtag nicht gesagt. Sie brauchen keine Sorge zu haben. So taktlos bin ich nicht. Wir haben es dann in der öffentlichen Abstimmung herausgeworfen. Das war zu der Zeit, als die Amerikaner furchtbar interessiert waren. Jetzt sind sie nicht mehr so daran interessiert. Lassen wir es weg! Ich würde auch hier keine individuelle Begründung geben, warum wir es abgelehnt haben. Ich würde nur sagen: als Material. Es ist ein sehr ernsthaftes Problem. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Schwierigkeit liegt auch in folgendem. Eine Polizei wird man unbedingt haben müssen. Diese Polizei, die für die innere Ordnung sorgt, kann auch bei irgendwelchen Einfällen von außen eine Rolle spielen. Wenn man das Recht zur Verweigerung des Dienstes mit der Waffe überhaupt aufnimmt, kann man keine Polizei unterhalten. Da gibt es Übergänge, die zu außerordentlichen Schwierigkeiten führen. Wunderlich: Ich persönlich bin Anhänger der individuellen Kriegsdienstverweigerung, das will ich ganz offen sagen. Ich habe miterlebt, wie man die ernsten Bibelforscher im Dritten Reich behandelt hat, wie man die Leute reihenweise erschossen hat und mit welcher Tapferkeit die Leute für ihre Glaubensüberzeugung gestorben sind22). Solchen Menschengruppen müßte man eine Möglichkeit geben, wie sie England auch eingeräumt hat23). Warum sollen wir hinter England zurückstehen, warum sollen wir hier engherziger sein? Es kommt noch ein zweites hinzu. Heute wird sehr oft geltend gemacht, es könne uns passieren,

21) Vorläufiger Entwurf

einer Verfassung für Nordwürttemberg und Nordbaden vom 24. Abdr. bei Frank R. Pfetsch (Hrsg.): Verfassungsreden und Verfassungsentwürfe. Länderverfassungen 1946-1953. Frankfurt [. .] 1986, S. 353 ff. 22) Bibelforscher im Dritten Reich, Literatur aufgeführt in: Dok. Nr. 31, Anm. 6. 23) Während des Zweiten Weltkrieges erkannte Großbritannien nicht nur alle ernsthaften Gründe, religiöse und andere, einer Kriegsdienstverweigerung an, sondern gestattete auch Freistellung aus Überzeugungsgründen von allen Dienstleistungen gegenüber der Regierung. Vgl. Heinrich Kipp: Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung, in: Festschrift für Wilhelm Laforet, München 1952, S. 83 ff.; Karsten Bredemeier: Kriegsdienstverweigerung im Dritten Reich. Baden-Baden 1991.

April

1946.

.

419

Nr. 20

Fünfzehnte Sitzung 27. Oktober 1948

daß eine fremde Macht für irgendeinen Zweck Deutsche rekrutiert. Soll nicht einem solchen Fall gegenüber wenigstens das individuelle Recht der Kriegsdienstverweigerung festgelegt werden, ganz gleichgültig, ob und wer davon Gebrauch macht oder nicht Gebrauch macht? Das sind zwei entscheidende Punkte, die mich für eine individuelle Kriegsdienstverweigerung stimmen lassen. Zinn: Man sollte demjenigen, der aus innerster Überzeugung die Kriegsdienstpflicht ablehnt, dieses Recht einräumen. Ich bin mir also bewußt, wenn man dies lapidar in die Verfassung hineinschreibt, daß der Kreis derjenigen, die sich moralisch wirklich darauf berufen können, tatsächlich sehr klein ist; der Kreis derjenigen, die sich nur darauf berufen, sich zu drücken, sehr groß sein wird. Es ist sehr schwer, im Augenblick durch eine Verfassungsbestimmung die Grenze zu finden. Das kann man eigentlich nur in einem sehr vorsichtig gehaltenen Gesetz wie es auch die Engländer getan haben. In England ist der Kreis derjenigen, die dieses Privileg in Anspruch nehmen können, tatsächlich durch eine Art Prüfungsverfahren sehr eng gehalten worden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man vergißt immer, daß man nicht alles durch die Verfassung regeln kann, sondern daß es auch Gesetze gibt. Zinn: Ich billige keinem das Recht zur Drückebergerei zu, es sei denn, daß er sich auf eine innere moralische Berechtigung berufen kann. Ich würde mich wehren, wenn es sein muß. Wunderlich: Es ist ganz selbstverständlich, daß ich es nicht wahllos will. Dr. Heuss: Ich bin ganz der Auffassung des Herrn Kollegen Zinn. Ich habe auch vor all den Leuten Achtung, die aus religiösen Gründen usw. den Kriegsdienst ablehnen und bereit waren, sehr peinliche Strafen auf sich zu nehmen. Die schauderhaften Geschichten der Nazis hat es früher nicht gegeben. Früher hat man nach meiner Kenntnis die Mennoniten zu Sanitätern gemacht, sie brauchten nicht mit der Waffe zu kämpfen. Das Gesetz der Mennoniten verbot, Menschen zu töten. Und deshalb hat man sie zu den Sanitätern gesteckt, wo sie sich auch bewährt haben. Ich kenne aus dem ersten Krieg einen Mann, der draußen nie geschossen hat der sonst ein sehr guter Kamerad war —, weil er religiös gebunden war, niemanden zu töten. Aber das Problem ist nur gesetzgeberisch und nicht verfassungsmäßig zu regeln. In dem Augenblick, wo alle Mächte der Welt mit Militärpflicht usw. arbeiten, wirkt es zum Teil wie eine lächerliche Deklaration, wenn wir es mit hereinnehmen, weil wir nicht in der Situation sind, selber militärisch aktiv zu werden. Zinn: Man könnte nur sagen: „Das Recht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist durch Bundesgesetz zu regeln". Das ist das Weitestgehende. Es bedeutet eine grundsätzliche Anerkennung. Dr. Heuss: Das Problem des Kampfes mit der Waffe usw. ist heute im Grunde völlig obsolet geworden, weil das Herstellen von Bomben oder die Arbeit an Panzerwagen in viel höherem Maße eine Kriegsdienstleistung ist, als wenn einer mit einer Knarre an der Brücke herumsteht. Der erstere hat auf die Kriegsführung einen viel größeren Einfluß. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde vorschlagen, diese Eingabe in der Form zu erledigen, daß wir sagen: es ist über diese Frage eingehend im Ausschuß gesprochen worden, und der Ausschuß hat sich nicht entschließen können, in die —

420

Fünfzehnte Sitzung 27. Oktober 1948

Nr. 20

Grundrechte oder in den darauf folgenden allgemeinen Teil eine entsprechende Vorschrift aufzunehmen. Mehr können wir nicht sagen. Dr. Heuss: Schon das ist für mich zu weit gegangen. Ich würde den Leuten keine Antwort geben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich will den Leuten keine Antwort geben, ich will nur im Protokoll einen Vermerk für den Hauptausschuß machen. Darüber besteht wohl Einverständnis. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Frau Dr. Weber: Dann liegt eine Resolution von einem Jugendparlament aus Mecklenburg vor, die sich an den Fragenkomplex anschließen24) (Folgt teilweise Verlesung.) Sie kann wie die voraufgegangenen behandelt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Genauso. Frau Dr. Weber: Eine andere Eingabe kommt aus dem russisch besetzten Gebiet25). Sie ist an den Parlamentarischen Rat und auch den Deutschen Volksrat Berlin und den Mecklenburgischen Landtag gerichtet. Es ist vielleicht wichtig, das mit zu bemerken. Eine weitere Eingabe schicken die Esperantisten26). Die Eingabe fordert die Aufnahme des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen da ist die Einschränkung in die zukünftige Bundesverfassung sowie in die des Landes und die Einführung der WelthilfsNordrhein-Westfalen Verfassung sprache Esperanto in den Schulunterricht. Die erste Frage haben wir soeben behandelt. Der zweite Teil kommt für uns nicht in Betracht, sondern interessiert nur die Kultusministerien der Länder. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bezüglich des ersten Punktes würde ich vorschlagen, ebenso wie bei den vorhergehenden Eingaben zu verfahren. Bezüglich des zweiten Punktes würde ich vorschlagen: zur Tagesordnung, weil es eine Kultur—



frage

ist.

24) Eingabe Nr.

148 vom Kröpeliner Jugend-Parlament, in: Z 5/107, Bl. 250. Es handelte sich eine Resolution, die mit 21 Stimmen, 2 Gegenstimmen und 12 Stimmenthaltungen angenommen worden war: „Das am 4. Okt. 1948 in Kröpelin (Mecklenburg) stattgefundene 4. Jugendparlament von Kröpelin, dessen Präsidium sich aus jungen Vertretern aller Parteien und Organisationen zusammensetzt, bittet, bei Verhandlungen in Verfas-

dabei

um

sungsfragen darauf hinzuwirken, daß es Deutschen verboten wird, Kriegsdienst unter der Flagge fremder Staaten zu leisten. Ferner soll Straffreiheit allen den deutschen Bürgern zugesichert werden, die im Falle eines Krieges den Kriegsdienst verweigern. Begründung: Wir erkennen Kriegsdienst nur als Handlung der Notwehr an. Diese Notwehr ist weder bei Kriegsdienst unter fremder Flagge noch bei eigenen Angriffskriegen gegeben. Darum sehen wir in einer solchen Dienstleistung eine Bereitschaft zum bewußten Töten, die nach menschlicher Rechtsauffassung strafbar ist. Der Jugend aller Völker sollte ans Herz gelegt werden, für den Gedanken der Kriegsdienstverweigerung zu werben und wach zu sein gegenüber jeglicher Kriegshetze." 25) Korrigiert aus „Diese Eingabe". Tatsächlich war die Eingabe des Kröpeliner Jugend-Parlaments an den Deutschen Volksrat, an den Pari. Rat und an den Mecklenburgischen Landtag gerichtet. 26) Eingabe Nr. 153 in: Z 5/107, Bl. 164. 421

Nr. 20

Fünfzehnte

Sitzung

27.

Oktober 1948

Frau Dr. Weber: Eine andere Eingabe schickt die burg27). Sie fordert ein Kriegsächtungsgesetz.

Friedensgesellschaft

in Ham-

(Folgt teilweise Verlesung.) Ich weiß nicht, ob wir zur Kriegsächtung etwas Abschließendes gesagt haben. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Kriegsächtung ist in Art. 31 enthalten. Im übrigen verfahren wir wie bei den vorhergehenden Eingaben. Frau Dr. Weber: Nun folgt die schon von Herrn Dr. Heuss erwähnte Eingabe des Berliner Frauenbundes 194 728) (Folgt teilweise Verlesung.) Der dritte Punkt ist von uns schon durch Art. 29 erledigt. Der zweite Punkt ist Sache der Länder. Die Friedensförderung gehört zu den großen Kulturaufgaben. Der erste Punkt, der Zwang zur direkten oder indirekten Tötung, hängt mit der schon besprochenen Kriegsfrage zusammen. Dr. Kleindinst: Auch die Euthanasie, die Beseitigung minderwertigen Lebens, fällt darunter. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Es ist die Frage, die schon mehrfach aufgetreten ist, ob in den Art. 2, der jetzt im Gesamtzusammenhang etwas unglücklich wirkt, noch irgendwie das Recht auf das Leben aufgenommen werden sollte. Das müßten wir bei einer 2. Lesung besprechen. Art. 2: „Der Mensch ist frei" und Art. 3: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich" stehen etwas unvermittelt nebeneinander, ohne daß man die Unterschiede hinreichend sieht. Zinn: Ich habe das auch schon überlegt. Der Satz: „Der Mensch ist frei" hat nur deklaratorische Bedeutung. Ebenso hat der Satz: „Der Mensch ist vor dem Gesetz gleich" juristisch auch nichts zu bedeuten. Das müßte eigentlich in den Art. 1 als etwas hineingebracht werden, was durch die Würde des Menschen 27) Eingabe Nr.

63 vom 2. Sept. 1948 in: Z 5/107, Bl. 125. Darin hieß es u. a.: „Es wird ihnen nicht unbekannt sein, daß die deutsche Friedensgesellschaft auf meine Veranlassung allen deutschen Länder-Parlamenten einen Gesetz-Entwurf eingereicht hat, der unter der Bezeichnung .Kriegsächtungs-Gesetz' der Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Daneben läuft als 2. Aktion der ebenfalls von uns getragene Antrag, jedem Deutschen in der Verfassung das ausdrücHiche Recht zuzuerkennen, daß er Kriegs- und Waffendienste jeglicher Art verweigern darf, ohne aus dieser Haltung Schaden für seine Person, seine Familie oder sein Vermögen befürchten zu müssen." 28) Vgl. Anm. 16. Die Eingabe Nr. 68 vom 9. Sept. 1948, als Drucks. Nr. 121 vervielf. (Z 5/107, Bl. 140), lautete: „Der .Berliner Frauenbund 1947' bittet die Delegierten des Parlamentarischen Rats, in entsprechenden Anträgen die folgenden Punkte vor dem Plenum der Delegiertenversammlung zu vertreten: 1. Kein Staatsbürger kann zu Handlungen gezwungen werden, die direkt oder indirekt zur Tötung von Menschen führen. Es darf ihm aus der Geltendmachung dieses Rechtes kein Nachteil erwachsen. Demgemäß muß diese Freiheit unter die für einen jeden Staatsbürger unveräußerlichen Grundrechte aufgenommen werden. 2. Die jeweiligen Regierungen sind verpflichtet, Bestrebungen und Arbeiten für den dauernden Frieden zu fördern. Die hierfür erforderlichen Mittel sind bereitzustellen. 3. Deutschland ist bereit, sich gleichberechtigt mit allen beteiligten Staaten in eine globale oder europäische Staatengemeinschaft einzufügen. Deutschland ist daher auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bereit, zum gegebenen Zeitpunkt Teile seiner Hoheitsrechte zum Zwecke der friedlichen Organisation der Welt auf eine übernationale Instanz zu übertragen." —

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umschlossen wird. Die anderen Artikel müssen einen juristischen Gehalt haben. Alles andere muß in Art. 1. Frau Dr. Weber: Zu Punkt 1 der Eingabe können wir sagen, daß der Grundsatzausschuß sich mit dieser Frage in der 2. Lesung noch beschäftigen wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Er wird sich damit zu Art. 1 und 2 beschäftigen. Zinn: Wir haben in der hessischen Verfassung irgendeine Vorschrift, die sich mit der Todesstrafe beschäftigt29): nur auf Grund eines richterlichen Urteils kann das Recht auf das Leben aberkannt werden. Es ist unästhetisch, eine solche Bestimmung aufzunehmen. Frau Dr. Weber: Eine weitere Eingabe ist aus Fribourg in der Schweiz30). (Folgt teilweise Verlesung.) Die Eingabe beschäftigt sich in ein paar Sätzen mit fast allen Dingen, ohne daß eine wirkliche Darlegung erfolgt. Man könnte hierüber zur Tagesordnung über-

gehen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe

von Flüchtlingen aus Oetingen bezieht sich auf Lastenausgleich31). (Folgt teilweise Verlesung.) Wir haben mit dem Lastenausgleich nichts zu tun. Es ist eine Eingabe für den Wirtschaftsrat, der in einer Kommission von 15 Mitgliedern die Grundlage des Lastenausgleichs vorbereitet32). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde sagen: wegen Unzuständigkeit zur Tagesord-

den

nung. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe Schultz bezieht sich auf das Besatzungsstatut und die wohlerworbenen Rechte der Berufssoldaten33). Ich würde auch hierüber zur

Tagesordnung übergehen.

29) Art. 21 der Hessischen Verfassung vom 1. Dez. 1946. 30) Eingabe Nr. 64 in: Z 5/107, Bl. 129. In ihr forderte Rudolf Binder aus Fribourg/Schweiz den Namen „Deutsches Reich" beizubehalten, die Farben Schwarz-Weiß-Rot einzufühund einen Reichstag aus zwei Kammern vorzusehen. „Die Christlich-Demokratische Union sollte sich zur Konservativen Reichspartei umwandeln, wie auch die Liberaldemokratische zur National-Liberalen. Sie sehen also, daß ich keine großen Veränderungen vorsehen würde, insofern sind es meistens nur gewisse, aus der Zeit des ehemaligen ren

Deutschen Kaiserreiches Abweichungen [. .]" 72 in: Z 5/107, Bl. 144. In der übermittelten Resolution vom 12. Sept. 1948 hieß es unter anderem: „Die in Jalta und Potsdam beschlossenen Massenaustreibungen der Deutschen aus ihrer seit Jahrhunderten angestammten Heimat ist ohne Befragung des Volkes völkerrechtswidrig und kann von den Betroffenen niemals als rechtens anerkannt werden [. .] Mit Befremden müssen wir bei der begonnenen Debatte über den Lastenausgleich feststellen, daß das Hauptkontingent der Wortführer aus den Reihen der besitzverteidigenden Bevölkerung stammt [. .] Es ist eine Unmöglichkeit, die Lasten des vom ganzen Volk verlorenen Krieges nur einen Teil tragen zu lassen. Deshalb fordern wir, daß die Kriegsfolgegeschädigten bei den Beratungen über den Lastenausgleich mit 50 Prozent beteiligt werden." 32) Zur Vorbereitung der Lastenausgleichs-Gesetzgebung durch den Wirtschaftsrat vgl. Akten zur Vorgeschichte Bd. 4, passim. 33) Die Eingabe (Nr. 90) ließ sich nicht ermitteln.

31) Eingabe Nr.

.

.

.

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beschäftigt. Ich haben den Leuten, auch Carlo Schmid, gesagt, man soll versuchen, im Rahmen des Besatzungsstatuts zunächst einmal die Kontrollratsbestimmung zu beseitigen, die zunächst die Behandlung des Komplexes der Wehrmachtsbeamten und -Offiziere überhaupt verboten hat34). Das ist ein wahnsinniges Unrecht gewesen. Wenn wir wieder die autonome Regelung kriegen, wird es sehr starke parteipolitische Auseinandersetzungen geben. Innerhalb der Sozialdemokratie sind, wie ich sehe, verschiedene Meinungen vorhanden. Einige Leute haben Angst, das Problem anzurühren. Ich bin der Meinung, man soll es tun. Es geht uns nur an, wenn es uns gelingt, durch den Ausschuß für das Besatzungsstatut die deutsche Zuständigkeit zu klären. Dann ist es ein interner deutscher Vorgang, dann muß nach meiner Meinung ein neues Gesetz gemacht werden. Frau Dr. Weber: Wir haben einen Ausschuß für das Besatzungsstatut. Ich würde vorschlagen, es diesem Ausschuß zuständigkeitshalber als Material weiterzuDr. Heuss: Ich habe mich mit der Materie sehr viel

geben35). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Frau Dr. Weber: Dann liegt eine

Eingabe der Arbeitsgemeinschaft der IndustrieHandelskammern des und vereinigten Wirtschaftsgebiets, Frankfurt a. Main vor, die Stellungnahmen zu den verschiedensten Fragen enthält36). Sie betrifft alle Ausschüsse. Ich nehme an, daß alle Ausschüsse die Eingabe bekommen haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte sie in der zweiten Lesung bei den Grundrechten berücksichtigen. Dr. Heuss: Das geht uns nichts an. Die haben es überall hingeschickt. Frau Dr. Weber: Es steht darauf, daß es den anderen Ausschüssen zugeschickt ist. (Folgt teilweise Verlesung.) Die in der Eingabe enthaltenen Vorschläge sind erledigt, sie sind schon in dem Entwurf berücksichtigt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist erledigt. Frau Dr. Weber: Ich verlese einige Sätze aus einer Eingabe des Jugendringes in Frankfurt am Main37). 34) Proklamation des Alliierten Kontrollrates Nr.

2 vom 20. Sept. 1945, Abschnitt I; Abdruck im Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats in Deutschland Nr. 1, S. 8. 35) Der Ausschuß für das Besatzungsstatut hat sich mit Eingaben in keiner seiner Sitzungen befaßt. An ihn gerichtete Eingaben liegen, allerdings nicht vollständig, in: Z 5/98. 36) Als Eingabe Nr. 144 in: Z 5/107, Bl. 244-246 sowie als Eingabe Nr. 206 in: Z 5/108, Bl. 32-34. 37) Eingabe Nr. 87 vom Jugendring Frankfurt am Main betr. Friedensappell in: Z 5/107, Bl. 167—168. Die Resolution enthielt folgende Forderungen: „Die Militärjustiz an jungen Menschen in Berlin lenkt den Blick der deutschen Bevölkerung auf die unwürdige Behandlung Deutschlands als Objekt weltpolitischer Auseinandersetzungen. Wir kennen den Unterschied zwischen der politischen Praxis im Osten und Westen Deutschlands, sehen aber auch mit Sorge, daß sie nicht immer mit den deutschen Interessen und Notwendigkeiten zusammenfällt. Nachdem seit 3 1/2 Jahren die Kampfhandlungen beendet sind, fordern wir: 1. Verwiridichung der Grundsätze der Atlantik Charta, 2. Beendigung des Kriegszustandes, 3. Einen gerechten Frieden. Wir wenden uns gegen alle Terror-

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(Folgt teilweise Verlesung.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen: zur Tagesordnung. Frau Dr. Weber: Eine weitere Eingabe (Meuthen) fordert die Aufnahme der Atlantik-Charta in die Verfassung38). (Folgt teilweise Verlesung.) Hierüber sollte man zur Tagesordnung übergehen. [2. ARBEITSPROGRAMM DES AFG] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich schlage vor, daß wir morgen die Art. 24 und 25 endgültig durchsprechen, damit sie als Vorschlag an den Hauptausschuß abgehen können, daß wir weiter morgen die Frage der Bundesfarben besprechen. Dr. Bergsträsser: Ist die Frage reif? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Frage ist vielleicht

so weit reif, daß wir uns dazu äußern können, ob wir diese Frage endgültig in das Grundgesetz aufnehmen wollen oder nicht. Es ist nur zweifelhaft, ob wir morgen schon zu einer endgültigen Festlegung der Farben kommen können. Das werden wir überhaupt nicht allein machen können. Das wird sehr stark von der Stellungnahme der Fraktio-

nen

abhängen.

Dr. Heuss: Nach meiner Meinung ist damals von Herrn Dr. Bergsträsser und Herrn Dr. Schmid gesagt worden, sie seien für schwarz-rot-gold. Es wurde

dann gesagt, daß die CDU-Fraktion sich dazu noch erklären will. Auf die Erklärung warten wir noch. Ob es eine interfraktionelle Besprechung wird oder ob Alternatiworschläge aus diesem Kreis an den Hauptausschuß weitergehen, ist eine technische Frage. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Damit die Dinge im Hauptausschuß nicht schief laufen, müssen wir eine zweite Lesung der von uns erledigten Artikel, auch der Präambel, vornehmen. Wir müssen zu endgültigen Vorschlägen kommen. Wenn der Hauptausschuß in der nächsten Woche zu tagen anfängt, wird er die Dinge an sich reißen39). Wir haben von vornherein die Auffassung vertreten, daß wir zunächst einmal eine Diskussionsgrundlage mit dem schaffen wollten, was wir hier niedergelegt haben. Wir haben jetzt schon etwas Abstand gewonnen und würden wahrscheinlich nach verschiedenen Richtungen das, was wir niedergelegt haben, verbessern können. Am Freitag könnten wir an eine zweite Durchsicht der allgemeinen Artikel, Art. 22 ff., auch der völkerrechtlichen Artikel, gehen. Für die Grundrechte müssen wir etwas Vorbereitungszeit haben. Zu den Grundrechten habe ich ein eingehendes Gutachten von Herrn Geheimrat Dr. Thoma40). Das könnte man vielmaßnahmen und jede Beschränkung der Freiheit. Wir bekennen uns zu dem Gedanken der Völkergemeinschaft und eines vereinten Europa, dem jedoch Deutschland nur als freie und gleichberechtigte Nation angehören kann." 38) Eingabe Nr. 67 in: Z 5/107, Bl. 150. Ihr Inhalt ist als wirr zu bezeichnen. 39) Der HptA trat am 11. Nov. 1948 zu seiner zweiten Sitzung zusammen; Verhandlungen, S. 1. 40) Das Gutachten Thoma abgedr. als Dok. Nr. 18. 425

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leicht einmal durchsprechen, um sich Notizen als Vorbereitung für die Neuredaktion und die 2. Lesung zu machen. Ich habe auch eine Reihe weiterer Anregungen aus Zeitungsausschnitten. Ich könnte das zusammenstellen und darüber

vortragen.

[Schließung

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der

Sitzung,

Termine der nächsten

Sitzungen]

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Sechzehnte Sitzung 29. Oktober 1948

Nr. 21

Sechzehnte Sitzung des Ausschusses für 29. Oktober 1948

Grundsatzfragen

52-1181). Stenogr. Wortprot. vom 3. November 1948, Kurzprot: Z 12/45, Bl. 72-75. Drucks. Nr. 238 Z 5/32, Bl.

von

Herrgesell

gez.

Anwesend2) :

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Walter, Wirmer SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich, Zinn FDP: Reif DP: Heile Mit beratender Stimme: Grève (SPD), Kuhn (SPD), Maier (SPD) Stenografischer Dienst: Herrgesell Dauer: 9.30-12.08 Uhr

[1. NEUGLIEDERUNG DES BUNDESGEBIETES, ÄNDERUNGEN IM GEBIETSBESTAND DER LÄNDER (ART. 24 UND

25

NEU)]

Den Vorsitz führt der Abgeordnete Dr. von Mangoldt. Auf der Tagesordnung steht die erste Lesung der Artikel 24 und 25 über „Neugliederung des Bundes-

gebietes

usw.".

v. Mangoldt]: Die Ihnen vorliegenden beiden Artikel 24 und 25 sind nach längeren Beratungen im Redaktionsausschuß in dieser Form ausgearbeitet worden3). Ich darf dazu, bevor die Diskussion eröffnet wird, einige einleitende Bemerkungen machen, um erkenntlich zu machen, was mit diesen Artikeln gesagt werden soll, und um Ihnen weiter klarzumachen, welche Überlegungen den Redaktionsausschuß4) zu dieser Fassung geführt haben. Am Anfang steht eine ganz grundsätzliche Erwägung. Wir sind einmal davon ausgegangen, daß bei diesen Artikeln betreffend die Neugliederung streng zu scheiden ist zwischen der ersten Neugliederung, die in Art. 24 geregelt ist, und den Änderungen im Gebietsbestand der Länder, von denen Art. 25 spricht. Die beiden Artikel stehen zueinander in folgendem Verhältnis. Wir haben nicht nur daran gedacht, daß nach einer ersten Gesamtneugliederung des Bundesgebietes die Möglichkeit auftauchen kann, daß einzelne Gebiete ihre Zugehörigkeit ändern wollen. Wir haben auch daran gedacht, daß es, falls diese erste Neugliederung die,

Vors. [Dr.



M Bl. 119-130 (S. 8, 18, 19, 27, 30, 36, 39, 42 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben.

2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Art. 24 und 25 in der für die Beratung formulierten Fassung, ließen sich als gesondertes

Dokument nicht ermitteln. Die in dieser Sitzung beschlossene Fassung findet sich in Dok. Nr. 26 abgedruckt. 4) Der Unterausschuß hatte folgende Mitglieder: Dr. Heuss, Dr. Bergsträsser, Wunderlich, Frau Dr. Weber, Dr. v. Mangoldt. Vgl. das Ende des Prot, der 14. Sitzung vom 26. Sept. 1948 (Dok. Nr. 17). 427

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wie wir wissen, ein sehr dringendes Anliegen ist und der Ministerpräsidentenkonfesich hinauszieht, notwendig werrenz im Rahmen ihres Auftrages nicht geglückt ist5) den könnte, dringende Fragen der Gebietsänderung auch schon vorher zu regeln. Die Art. 24 und 25 stehen also insoweit auch in einem gewissen Nebeneinander. Das wäre —

vielleicht auch schon deshalb zu betonen, weil man uns sagen könnte: Ihr macht hier Vorschriften für eine lange Zeit, glaubt ihr denn daran, daß, wenn die drei Jahre für die Neugliederung abgelaufen sind, dieses Grandgesetz noch weitergilt und dann der Art. 25 überhaupt zum Zuge kommt? Auf der einen Seite steht die erste Neugliederung. Es schien uns erforderlich, bei der ersten Neugliederung Termine zu setzen. Diese Termine sind in den Absätzen 3 und 4 enthalten. Dabei ist gleich zu betonen, die erste Neugliederung ist in zwei Etappen vorgesehen, wenn man so sagen darf; das Wort trifft nicht ganz das Richtige. Zunächst soll die Neugliederung für das derzeitige Bundesgebiet in Angriff genommen werden. Es wird aber notwendig sein, diese erste Neugliederung noch einmal anlaufen zu lassen, wenn die Länder der Ostzone sich mit dem westlichen Bundesgebiet zusammenschließen. Ich brauche hier nur an den Fall Mecklenburg zu erinnern, bei dem man doch damit rechnet, daß es etwa zu einem Zusammenschluß mit Schleswig-Holstein kommt. Ich brauche nur an die sehr unglückliche Grenzführung in Sachsen-Anhalt zu erinnern, wo man an einen gewissen Ausgleich mit Niedersachsen denkt. Dann ergibt sich, weshalb der Abs. 4 des Art. 24 notwendig geworden ist. Hier ist die Frist auf zwei Jahre heruntergesetzt worden, weil man sich sagte, hier sind die Voraussetzungen schon so weit geschaffen, daß eine so lange Zeit von drei Jahren nicht erforderlich ist. Die Grandsätze, die für die Neugliederung maßgeblich sein sollen, sind in den Absätzen 1 und 2 niedergelegt worden. Hier ist gesagt, was alles berücksichtigt werden soll. In Absatz 1 heißt es: landsmannschaftliche Verbundenheit, geschichtliche Zusammenhänge usw. Nach Absatz 2 sollen auch Größe und Leistungsfähigkeit eine maßgebende Rolle spielen. Gleichzeitig ist gesagt, daß die Neugliederung unter allen Umständen von Bundes wegen erfolgen soll. Wir legten besonderes Gewicht darauf, zu betonen, daß es sich hier um Maßnahmen handelt, die vom Bund einzuleiten und durch Bundesgesetz durchzuführen sind. Diese Grundsätze wenn ich das für Art. 25 vorwegnehmen darf, um es zu vereinfachen —, die hier für die erste Neugliederung festgelegt sind, gelten kraft einer Verweisung auch für die Änderungen im Gebietsbestand nach Art. 25. Beide Formen der Gebietsveränderungen müssen sich natürlich im gleichen Rahmen abspielen. Es mußte ferner zunächst einmal, wenn man hier Fristen setzt, ein Verantwortlicher für die Einleitung und Durchführung dieser Neugliederung festgestellt werden. Zu diesem Verantwortlichen ist in Abs. 5 ausdrücklich die Bundesregierung erklärt worden. Wir haben es für notwendig gehalten, ausdrücklich festzulegen es ist hier zu einer Abstimmung gekommen, die mit dem Ergebnis 7:2 geendet hat6) —, daß bei der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs ausnahmsweise schon die beiden gesetzgebenden Körperschaften heranzuziehen sind, um —



5) Zur Rolle der Ministerpräsidenten bei der Neugliederungsfrage vgl. Dok. Nr. 45, Anm. 31.

6) Siehe oben Dok. 428

Nr. 19, S. 405.

Sechzehnte

dadurch

zu

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Oktober

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sichern, daß die ganze Gesetzgebung schneller fortschreitet, als wir

unter anderen Umständen vielleicht annehmen könnten. Das ist in Abs. 5 Satz 2

Ausdruck gekommen. Es ist dann die Frage aufgetaucht, ob, wenn dieses Gesetz von der Bundesregierung nach engster Zusammenarbeit mit Mitgliedern der beiden gesetzgebenden Körperschaften verabschiedet ist, in irgendeiner Form die Zustimmung der Länder eingeholt werden soll. Nach längeren Beratungen und unter Berücksichtigung von allem Für und Wider haben wir uns dazu entschlossen, bei der ersten Neugliederung von irgendeiner Zustimmung der Landesregierungen Abstand zu nehmen, um das Verfahren nicht weiter zu erschweren. Es ist notwendig, daß diese erste Neugliederung zu einem schnellen Ende geführt wird. Es'ist weiter die Frage aufgetaucht, ob über diese Neugliederung nur von den gesetzgebenden Körperschaften entschieden werden soll oder ob es zu einer Volksabstimmung kommen muß. Wir haben uns gesagt, daß hier eine Volksabstimmung unumgänglich sein wird. Wir wissen aus den gegenwärtig laufenden Verfahren, daß man auf diese Volksabstimmung von außerhalb außerordentliches Gewicht legt. Das allein hat uns aber nicht dazu geführt, diese Volksabstimmung einzuschalten. Es ist vielmehr auch die Rücksichtnahme auf die Regelung, die wir für Gebietsänderungen in Art. 25 vorgesehen haben. Wir meinen, es besteht durchaus die Möglichkeit, daß eine Landesregierung sich etwa solchen Änderungen widersetzen wird, daß eine Landesregierung schwerer dazu zu bekommen sein wird, einer von großen Bevölkerungsteilen gewünschten Gebietsänderung zuzustimmen, als die Bevölkerung selbst von der Notwendigkeit einer solchen Änderung im Gebietsbestand zu überzeugen ist. Deshalb sieht der Art. 25 vor, daß ein Drittel der Bevölkerung die Möglichkeit haben soll, einen Initiativantrag auf eine solche Gebietsänderung zu stellen. In diesem Verfahren des Art. 25 kann dann so hängen Art. 25 und 24 zusammen aber über diese Gebietsänderung nur mit Hilfe einer Volksabstimmung entschieden werden. Wenn man sie so in Art. 25 vorsieht, kann man sie schlechterdings in Art. 24 nicht missen. Es ergab sich nun die außerordentlich schwierige Frage, wie dieses Gesetz über die Neugliederung als Gesamtgesetz zur Abstimmung gebracht werden kann. Hier sind wir uns von vornherein darüber klar gewesen, daß es unzweckmäßig und es ist ein Gesamtgesetz nun in wäre, dieses Gesetz als Gesamtheit Gesamtdeutschland zur Abstimmung zu bringen. Wir glauben, daß, wenn ohne eine entsprechende intensive Vorbereitung und selbst bei einer intensiven Vorbereitung über ein solches Gesetz etwa in Konstanz abgestimmt werden würde, ob ein kleiner Teil von Niedersachsen zu Schleswig-Holstein geschlagen werden sollte oder umgekehrt, dort nicht das geeignete Verständnis dafür vorhanden wäre. Über solche Fragen kann nicht in jedem noch so fern abgelegenen Gebietsteil entschieden werden. Deshalb haben wir uns gesagt, es muß und kann zunächst nur in den Gebieten oder Gebietsteilen, deren Landeszugehörigkeit geändert werden soll, eine solche Volksabstimmung erfolgen. Diese Volksabstimmung muß dann aber auf den Teil des Gesetzes beschränkt bleiben, der gerade diesen Gebietsteil oder dieses Gebiet betrifft, so daß also zunächst einmal wenn ich das so sagen darf dieses Gesetz in eine Fülle von Teilgezum













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aufgelöst wird und diese Teilgesetze in den betroffenen Gebietsteilen Volksabstimmung kommen. Wir haben hier um das gleich zu betonen eine gewisse Vorabstimmung für das ganze Gesetz, eine Vor-Volksabstimmung, die feststellen soll, ob der Wille der Bevölkerung der betroffenen Gebietsteile mit dem übereinstimmt, was in dem Gesamtgesetz niedergelegt worden ist. Ergibt sich bei diesen Volksabstimmungen, daß die Bevölkerungen der verschiedenen Gebiete zustimmen, ist eine sehr einfache Lösung möglich. Das Gesetz kann nun durch den Bundespräsidenten verkündet werden. So sieht es der setzen

zur



Abs. 7



vor.

Schwierigkeiten treten ein, wenn irgendeiner der abstimmenden Gebietsteile oder wenn irgendeines der abstimmenden Gebiete Nein sagt. Man steht dann vor der Frage, ob das Gesetz als Ganzes fallen soll, was ja bei der Wichtigkeit dieser Regelung eine Unmöglichkeit wäre. Hier ergibt sich die weitere Schwierigkeit, wer in einem solchen Falle die Entscheidung treffen soll, ob die Wünsche der Bevölkerung Berücksichtigung finden sollen oder ob man über sie hinweggehen kann, weil im Gesamtrahmen diese besonderen Wünsche eines Bevölkerungsteils zurücktreten müssen. Es ist durchaus möglich, daß bei einer Neugliederung nach Grundsätzen vorgegangen werden muß, die die allgemeinen wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge, die Größe der Länder im Bunde usw. berücksichtigen. Bei dieser ersten Neugliederung wird vielleicht noch manche Interessenkollision ausgeglichen werden müssen und vielleicht an einer Stelle auch einmal im Interesse des Ganzen über die Wünsche eines kleinen Bevölkerungsteils hinweggegangen werden müssen. Da haben wir uns gesagt: wenn man in einer solchen ersten Abstimmung das Volk entscheiden läßt, kann man schlechterdings nicht die Repräsentativkörperschaften nachher auch mit einer qualifizierten Mehrheit das Gegenteil entscheiden lassen. Man muß dann das ganze Gesetz noch einmal in den gesetzgebenden Körperschaften zur Beratung bringen. Die gesetzgebenden Körperschaften müssen sich dann sehr eingehend überlegen, ob und inwieweit sie den Wünschen einer Bevölkerung, die Nein gesagt hat, entsprechen können. Sprechen überwiegende Bundesinteressen dagegen, wird das Gesetz vielleicht in der gleichen oder in einer abgeänderten Form ergehen, kann aber nun seine Wirksamkeit erst erlangen, wenn wie es der Abs. 8 vorsieht eine Gesamtabstimmung über das ganze Gesetz im ganzen Bundesgebiet stattgefunden hat. Hier schien es uns eher möglich, eine solche Gesamtabstimmung über das ganze Gesetz vorzusehen, weil die Bevölkerung durch die Vorabstimmungen in einzelnen Gebietsteilen aufmerksam gemacht ist und weiß, worum es sich handelt, und auch durch die ganze Fassung des Artikels sowie durch die Aufklärung, die auf Grund dieser Gesamtlage möglich ist, entsprechend in Kenntnis gesetzt sein kann, so daß sie auch diese Entscheidung treffen kann, ob der eine Bevölkerungsteil im Gesamtinteresse einmal zurücktreten soll. Für die Volksabstimmung haben wir bei der ersten Neugliederung, um das ganze Verfahren nicht allzusehr zu erschweren, grundsätzlich vorgesehen das sagt der Abs. 9 —, daß bei den Volksabstimmungen die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden soll. Wir sagten uns, die Bevölkerung der Gebiete, um die es sich handelt, wird ein besonderes Interesse an der Gestaltung der Verhältnisse haben und sich deshalb in genügender Zahl Neue







430

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den

Abstimmungen beteiligen, so daß auch aus diesem Grunde die Mehrheit abgegebenen Stimmen genügen könnte. Wir wollten auch verhindern, daß von einzelnen Gruppen etwa die Parole ausgegeben wird: Geht nicht hin und verhindert so das Zustandekommen eines solchen Gesetzes! Die Neugliederung als solche erschien uns so wichtig, daß wir glaubten, es auf eine solche Obstruktion nicht ankommen lassen zu dürfen. In Abs. 10 ist noch vorgesehen worden, daß das Verfahren bei der Neugliederung und den Volksabstimmungen durch Bundesgesetz im einzelnen geregelt werden soll. Mir ist nachträglich noch eingefallen, daß eine Bestimmung fehlt, die wir in einem 11. Absatz hinzusetzen müßten, nämlich eine Bestimmung, wer über Streitigkeiten bei der Durchführung einer solchen Neugliederung entscheidet. Es ist das eine Angelegenheit des Bundesverfassungsgerichts. Darüber fehlt auch etwas nachher in den Bestimmungen über das Bundesverfassungsgericht. Wir an

der

könnten in Art. 25 auf diese Vorschrift verweisen. Dr. Eberhard: Wir waren darüber einig, daß so etwas hinein sollte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist in der Redaktionskommission vergessen worden. Zu Art. 25 habe ich das Wesentliche schon gesagt. Ich habe darauf hingewiesen, daß hier für die Bevölkerungen zum Ausgleich die Möglichkeit gegeben sein soll, einen Antrag auf Gebietsänderung zu stellen. Es ist nur das Bedenken aufgekommen, daß man damit etwas Überflüssiges vorsieht und vielleicht sogar zu einer Hypertrophie an Neugliederungsgesetzen kommt. Ich glaube, daß dieses Bedenken nach der ersten Neugliederung kaum praktisch werden wird. Die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes werden, wenn einmal über eine erste Neugliederung nach eingehenden Beratungen entschieden worden ist, nicht bereit sein, einen Entwurf für ein Gesetz für ein Gebiet anzunehmen, das bei der Neugliederung entsprechend berücksichtigt worden ist. Es könnte nur der Fall eintreten, daß ein Gebiet oder eine Stadt, die den Wunsch hat, aus der alten Landeszugehörigkeit auszuscheiden, und die bei der Neugliederung überhaupt nicht berücksichtigt worden ist, nachträglich kommt und sagt: Wir sind bei dieser ganzen Frage nicht berücksichtigt worden und möchten deshalb unsere Wünsche noch anbringen. Die Gefahr, daß unberechtigte Bewegungen auf Neugliederung unterstützt werden, scheint mir nicht vorzuliegen. Die gesetzgebenden Körperschaften werden sich dagegen wehren. Sie werden nach einer ersten Neugliederung gar nicht zulassen, daß unberechtigte Wünsche immer wieder eine Rolle spielen und die Gesetzgebungstätigkeit des Bundes lahm-

legen.

In Abs. 2 des Art. 25 ist gleichzeitig vorgesehen worden, daß nicht nur die Bevölkerung eines Gebietes oder Gebietsteiles dieses Recht hat, sondern daß auch die Bundesregierung ein solches Gesetz einbringen kann, so daß bei überwiegenden Bundesinteressen auch die Bundesregierung diesen Weg zu einer Änderung im Gebietszustand der Länder beschreiten kann.

Überlegungen

hat die

Festlegung der Größe der Gebiete gekostet, für die Initiativantrag gestellt werden kann. Ursprünglich war vorgesehen, daß dieser Antrag nicht nur von der Bevölkerung eines Verwaltungsbezirks von mindestens der Größe eines Kreises gestellt werden könnte, sondern daß auch die gewählten Körperschaften der Selbstverwaltungskörperschaften, die gewählEinige

ein solcher

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ten Körperschaften der Länder ebenso wie die Landesregierungen zu solchen Anträgen berechtigt sein sollten. Der Redaktionsausschuß hat das alles nach eingehenden Beratungen herausgestrichen. Der Redaktionsausschuß hat sich einmal gesagt, wenn man die gewählten Vertretungen der S elb st Verwaltung s körperschaften zu solchen Anträgen berechtigen würde, würde man vor dem

-

exorbitanten Ergebnis stehen, daß jede kleine Gemeinde dieses Verfahren zum Anlaufen bringen könnte. Das ist einfach nicht zu halten. Wir haben uns auch gesagt, es besteht immer die Möglichkeit, daß über die zweite Kammer, in der die Länder vertreten sind, ein Initiativantrag aus diesen gewählten Körperschaften zum Zuge kommt. In den Absätzen 3 und 4 ist das weitere Verfahren festgelegt worden. Wenn die beteiligten Länder einer solchen von der Bevölkerung gewünschten oder vom Bund betriebenen Änderung im Gebietsbestand zustimmen, soll ein einfaches Bundesgesetz genügen. Stimmt irgendeines der beteiligten Länder nicht zu, so ergeht ein Bundesgesetz. Hier wird unter den beteiligten Ländern nicht nur das Land verstanden, von dem ein Gebietsteil abgetrennt wird oder das als solches vollkommen verschwinden soll, sondern auch das Land, dem ein Gebietsteil zuwächst oder das durch die Vollaufnahme eines anderen Landes eine Vergrößerung erhält. Es erschien uns unbedingt notwendig, auch die aufnehmenden Länder zu beteiligen, da mit der Aufnahme von Gebietsteilen oder von ganzen Ländern erhebliche Lasten verbunden sein können. Die endgültige Entscheidung liegt, wenn irgendeines der beteiligten Länder nicht zustimmt, auch wieder nicht bei den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes. Es ergeht zwar ein Bundesgesetz, aber dieses Gesetz ist in dem Gebietsteil oder in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen, aber wieder nur zur Volksabstimmung in dem Gebiet oder Gebietsteil, der seine Landeszugehörigkeit ändern soll, nicht etwa in dem aufnehmenden Land. Dabei ergibt sich wieder eine Schwierigkeit. Nehmen wir einmal an, Lippe soll zu Westfalen oder zu Niedersachsen kommen. Dafür werden die unmittelbar in der Nähe liegenden Gebietsteile Verständnis haben, aber die weiter entfernt liegenden Bevölkerungen werden kaum ein richtiges Urteil zu diesen ganzen Fragen haben. das haben wir einfacher geIm übrigen verweist hinsichtlich des Verfahrens staltet der Abs. 4 auf die Bestimmungen des Art. 24, der nur noch diese Erweiterung erfahren müßte. Es ist eine ziemlich umständliche und nicht ganz leicht zu verstehende Regelung geworden. Wenn man aber näher in die Zusammenhänge sieht, wird man feststellen, daß sich angesichts der ungeheuren die in der Materie selbst gelegen ist eine einSchwierigkeit der Materie fachere Lösung kaum wird finden lassen. Wir sind sogar der Auffassung, daß wir hier manches schon ziemlich weit vereinfacht haben, gerade auch gegenüber der Regelung, die Art. 18 der alten Reichsverfassung vorsah. Wirmer: Soweit ich sehe ich habe bisher an den Beratungen nicht teilge24 Art. nommen erste die Neugliederung der Länder, aber nur im Weregelt daß ein bestimmter Gebietsteil, der jetzt Das eines Offizialverfahrens. heißt, ge bereits Bestrebungen hat, seine staatliche Zugehörigkeit zu ändern, keinen Einfluß darauf hat, daß die mit der Neugliederung befaßten Stellen diese Wünsche —









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tatsächlich bereits bei der ersten Neugliederung berücksichtigen. Irgendein solches Gebiet, das von der Bundesregierung und den Ausschüssen der gesetzgebenden Körperschaften nicht berücksichtigt wird, weil man meinetwegen dort die Frage nicht für dringend hält, ist vielmehr darauf angewiesen, abzuwarten, was aus der ersten Neugliederung wird. Es muß sich hinterher eventuell anstrengen, sein Ziel auf dem immerhin etwas schwierigen Weg des Art. 25 zu erreichen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Diese Auffassung ist nicht ganz richtig. Ich habe ausdrücklich hervorgehoben, der Art. 25 steht daneben. Es ist durchaus möglich, daß die Bevölkerung eines Gebietes, die sich nicht entsprechend berücksichtigt glaubt, sofort nach Inkrafttreten des Grundgesetzes entprechende Anträge aus Art. 25 Abs. 2 stellt. Dann würden die beteiligten gesetzgebenden Körperschaften oder die Bundesregierung ohne weiteres sagen können: Wir sind aufmerksam gemacht, eure Frage wird in der allgemeinen ersten Neuregelung behandelt. Wirmer: Aber ein unmittelbarer Zwang dazu besteht nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Der Zwang besteht darin, daß es heißt, wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbezirks von mindestens der Größe eines Kreises eine Änderung der Landeszugehörigkeit verlangt, hat die Bundesregierung ein dem Antrag entsprechendes Gesetz vorzulegen. Sie

wenn sie die Frage in der allgemeinen nicht berücksichtigen will, muß sie daneben ein anderes Gesetz Neugliederung aber Da die ganze Frage zusammen in einem Ausschuß aus Vertreeinbringen. beider Kammern behandelt wird, wird das Schicksal eines solchen Nebentern vornherein ziemlich klar sein. Das Gesetz wird wahrscheinlich abvon gesetzes weil werden, gesagt wird: Wenn wir es nicht in der Gesamtgliederung gelehnt fällt es überhaupt unter den Tisch. Das Gesetz muß wollen, berücksichtigen aber eingebracht werden. Wirmer: Mir scheint es durchaus praktisch zu sein, daß man, wenn schon jetzt nach der Konstituierung der Westzonen die Neuregelung generell aufgegriffen es ist sogar ein Termin gestellt —, einzelnen Gebietsteilen doch werden soll die Möglichkeit gibt, die für die Neugliederung zuständigen Stellen bereits zu zwingen, auf jeden Fall diese Fragen in die Prüfung einzubeziehen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich verstehe nicht ganz, was Sie wollen. Die Stellen sind ja gezwungen. Sie müssen das Verfahren einleiten, und die Frage wird doch auch behandelt. Die gesetzgebende Körperschaft kann aber nicht gezwungen werden, gerade das zu tun, was ein Teil will. Sie entscheidet vielmehr, ob es im Rahmen des Gesamten erforderlich ist oder nicht. Die Entscheidung liegt doch nicht bei dem Gebietsteil, sondern selbstverständlich bei dem Bunde. Wirmer: Ich spreche nicht von der Entscheidung, sondern von der Ingangsetzung des Verfahrens. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Ingangsetzung des Verfahrens ist vorgesehen. Dr. Bergsträsser: Ich glaube, der Herr Kollege Wirmer wünscht ein Initiativrecht. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das Initiativrecht ist vorgesehen.

muß also die

Frage berücksichtigen. Und



433

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Dr. Grève: Nein. Es ist richtig, daß es nicht vorgesehen wurde, damit nämlich nicht ein x-beliebiger Bevölkerungsteil in einem Lande kommen und von sich auf Änderung iraus Wünsche auf Wiederherstellung irgendeines Landes oder ist kann. Die konsequent und ganz Bezirke vorbringen Regelung gendwelcher in sich geschlossen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Initiativrecht ist in Art. 25 Abs. 2 für VerwaltungsDas Initiativrecht gilt doch. Deshalb verstehe ich die Frage bezirke

vorgesehen.

nicht.

Dr. Grève: Wir müssen einmal konkret reden, Herr Kollege Wirmer. Das betrifft uns als Niedersachsen beide. Ich weiß, was Sie wollen; Sie wollen hier ein Plädoyer für Oldenburg halten. Aber der Satz; „Wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbezirks von mindestens der Größe eines Kreises eine Änderung der Landeszugehörigkeit verlangt. ." kann doch Lannur heißen: die Änderung einer bestehenden in eine andere bestehende Laneiner verlorenen die nicht Wiederherstellung und doch .

deszugehörigkeit deszugehörigkeit.

Mangoldt]: hörigkeit gemeint sein. Vors. [Dr.

v.

Es kann auch die

Herstellung

einer

neuen

Landeszuge-

Wirmer: Ich sage nur das, was Herr Dr. Bergsträsser schon sagte, daß nämlich in Art. 24 jegliches Initiativrecht für die Beteiligten zur Ingangsetzung eines Ver-

fahrens fehlt.

Bergsträsser: Ich wollte nur das klären, was Sie meinen. Ich glaube, ich habe es richtig getan. Eine andere Frage ist, ob es nötig ist oder nicht. Über diese Frage habe ich noch nichts gesagt. Dr.

Wirmer: Mir fehlt aber bereits hier das Initiativrecht eines Gebietsteils, damit die Frage der Gebietsänderung dieses Gebietsteils bereits in dem ersten Verfahren

berücksichtigt werden

kann.

Dr. Eberhard: Ich habe zu dem allerersten Teil der Ausführungen des Herrn Vorsitzenden eine Bemerkung. Ich glaube, er wird sie sofort akzeptieren. Der Herr Vorsitzende sprach von der zweiten Neugliederung. Es kann auch eine dritte und eine vierte geben. Man könnte sich z. B. denken, zunächst kommt

Thüringen und nach einiger Zeit kommen die anderen Länder hinzu. Darüber besteht wohl Einigkeit. Das wollte ich nur sagen, weil Sie es so formulierten. Dann habe ich eine Bemerkung zu Art. 24 Abs. 4. Bei der jetzigen Formulierung würde etwa der Zutritt des Landes Mecklenburg es möglich machen, daß plötz-

lich das Land Rheinland-Pfalz irgendwelche Neugliederung nach dem erleichterten Verfahren verlangt. Ich glaube nicht, daß wir das möchten. Ich würde also etwa folgende Formulierung vorschlagen: .so soll vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt eine dadurch notwendig werdende Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt sein." Wir dachten, wenn Mecklenburg hinzutritt, sollte etwa für Mecklenburg und Schleswig-Holstein irgendeine gemeinsame

Regelung möglich werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir

haben auch darüber gesprochen. Wir haben bei der Formulierung der Artikel die kleinen verbindenden Worte vielfach weggelassen, weil wir gesagt haben, der Zusammenhang wird dadurch verständlicher. 434

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Dr. Eberhard: Wollen wir durch Zutritt von Mecklenburg eine Neuregelung im äußersten Westen möglich machen? Das wollen wir doch nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das soll nicht möglich gemacht werden. Es kann aber sein, daß durch das Hinzutreten eines Teils ein Land vielleicht zu groß ist. Dr. Eberhard: Durch Kettenwirkung kann etwas anderes möglich werden. Aber wir wollen nicht, daß etwas, was nicht in Zusammenhang steht, noch einmal neu aufgegriffen wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich weiß nicht, ob es notwendig ist, das zu sagen, und zwar aus folgendem Grund. In dem Fall des Art. 24 geht der Vorschlag immer von der Bundesregierung aus. Die Bundesregierung wird in einem solchen Augenblick nicht von sich aus die Interessen von Rheinland-Pfalz wahrnehmen, sondern wird sagen, im Bundesinteresse ist durch das Hinzutreten eines Landes aus dem Osten eine Neugliederung in einem bestimmten Umfang notwendig. Daneben steht Art. 25 immer im Hintergrund. Es kann von jedem einzelnen Land jede Gelegenheit wahrgenommen werden und das darf man dann nicht unterbinden —, zu irgendeinem Zeitpunkt zu sagen: Wir haben besondere Wünsche. Dr. Eberhard: Sie haben bezüglich meines Einwandes zu Art. 24 Abs. 4 recht7). Ich lasse also hiermit den Einwand fallen. Der Art. 24 ist sehr lang geworden. Könnten wir nicht Abs. 10 weglassen und dafür eine entsprechende Vorschrift bei dem Zuständigkeitsausschuß für den Kompetenzkatalog anregen? Es handelt sich nur um die Kompetenz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das können wir nicht. Es dreht sich nicht um eine Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, sondern es dreht sich hier um die näheren Einzelheiten des Neugliederungsverfahrens. Dr. Eberhard: Das muß also hier stehen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Dr. Eberhard: Den ersten Satz von Art. 25 Abs. 4 verstehe ich noch nicht. (Es wird festgestellt, daß es in Art. 25 Abs. 4 Satz 1 am Ende statt „der Länder" heißen muß: „des Bundes". Es handelt sich insoweit um einen Tippfehler. Dadurch erledigt sich die Bemerkung des Abgeordneten Dr. Eber—

hard.)

Heile: Die Anregung des Herrn Kollegen Wirmer ist wesentlich. Bei dem jetzigen Wortlaut ist nicht klar, wie die Initiative wirksam werden soll. Wenn es in Art. 25 Abs. 2 heißt: „falls ein Drittel der Bevölkerung es verlangt", so muß doch mindestens irgendwie gesagt werden, wie man das feststellen will, daß ein Drittel der Bevölkerung es verlangt. Wer veranlaßt denn das Plebiszit, um festzustellen, daß es ein Drittel ist? Es muß für irgendwelche Körperschaften die Möglichkeit bestehen, mit Sicherheit nachzuweisen, daß sie ein Drittel der Bevölkerung vertreten. Wenn es sich um eine Kreisfrage handelt und der Kreistag durch einstimmigen Beschluß etwas verlangt, kann man sagen, daß ein Drittel der Bevölkerung etwas verlangt. Irgendwie muß es klar sein, sonst nutzt der Satz nichts. Wenn eine solche Körperschaft nicht vorhanden ist, muß jemand

)

Folgt gestrichen: „daß

zu

viel

geschehen könnte." 435

Nr. 21

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Antrag

den

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stellen können, daß durch

ein Drittel der

doch

Sitzung

Bevölkerung

es

Volksabstimmung festgestellt wird, ob verlangt oder nicht. Sonst steht der Paragraph

auf dem Papier. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf, um die Sache weiterzuführen, zunächst einmal die Frage stellen, auf welchen Teil des Art. 24 oder Art. 25 die Anregung des Herrn Kollegen Wirmer sich bezieht. Sie, Herr Kollege Heile, würden sie auf Art. 25 Abs. 2 beziehen. Soweit ich sehe, wünscht der Herr Kollege Wirmer die Einschaltung irgendeines Satzes in Art. 24. Ich möchte das zunächst einmal geklärt sehen, damit wir nachher, wenn wir die einzelnen Absätze des Artikels durchsprechen, auf diese Frage eingehen können. Wir wollen zunächst einmal ganz allgemein klären, was zu diesen Artikeln zu sagen ist. Wir würden dann noch einmal Absatz für Absatz durchsprechen und sehen, ob wir einen Absatz anders formulieren müssen. Wirmer: Zu der Frage, die Herr Heile angeschnitten hat, hatte ich nicht das Wort genommen. Ich glaube auch, daß das nicht so schlimm ist. Es heißt in Abs. 10 von Art. 24, daß das Nähere sowieso durch ein Bundesgesetz geregelt werden soll. Meine Anregung geht lediglich darauf hinaus, bereits bei der erleichterten ersten Regelung das Initiativrecht eines Gebietsteils einzuführen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wo wollten Sie es einschalten? Wirmer: Wahrscheinlich in Abs. 5. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde das vormerken, damit wir es dabei berücknur

sichtigen.

Zinn: Um ganz klar zu sehen, was der Herr Kollege Wirmer anregen will, wollte ich folgendes fragen. Der Herr Kollege Wirmer will in Zusammenhang mit Art. 25 Abs. 2 geklärt haben, ob die Bevölkerung eines Verwaltungsbezirks nehmen wir einmal an, des Verwaltungsbezirks Oldenburg nicht nur anregen kann, einem anderen Lande angeschlossen zu werden, sondern auch anregen kann, aus dem Verbände eines Landes entlassen zu werden, um selbständig zu werden. Wirmer: Über diese Frage habe ich nicht gesprochen. Mich interessiert lediglich die erste Grenzänderung zwischen den einzelnen Ländern. Wir haben jetzt in der britischen Zone Länder, die von den Engländern gegründet sind. Dieser Zustand soll doch nach der Gründung des Bundes generell aufgegriffen werden. Für diese generelle erste Neuaufnahme der Grenzänderungen ist ein Offizialverfahren vorgesehen. Ich sehe nicht ein, warum nicht bei diesem Offizialverfahren bereits einzelne Gebietsteile ich denke natürlich an Oldenburg, weil ich —



ein Initiativrecht haben sollen, um die nach Art. 24 zuständort komme digen Stellen zu zwingen, diese Angelegenheit bereits in die Prüfung einzubeziehen. Die Frage, ob ein einzelner Teil sich selbständig machen will, interessiert mich gar nicht. Herr Dr. Grève weiß selber, daß ich über diese Frage nie gesprochen habe und auch gar nicht sprechen will. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich verstehe den Antrag nicht, und zwar deshalb nicht, weil das Initiativrecht vorhanden ist. In Art. 25 Abs. 2 steht es drin. —

von



(Wirmer: Nein!) Es ist ausdrücklich von mir ausgeführt worden. Wir reden vollkommen aneinander vorbei. Aus dieser Äußerung von Herrn Zinn ergibt sich, daß Herr Kollege Wirmer nicht verstanden worden ist. 436

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Bergsträsser: In Art. 25 Abs. 2 besteht ein Initiativrecht der wahlberechtigten Bevölkerung, wenn ein Drittel etwas verlangt. Nun möchte wohl Herr Wirmer, daß eine analoge Bestimmung in Art. 24 aufgenommen wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich verstehe es durchaus. Aber es ist vollkommen unnöDr.

tig-

klären, was Herr Wirmer will, daß nämlich die sie von der Bundesregierung ex officio initiiert wird, an dem Wunsch eines bestimmten Gebietsteiles nicht vorbeigehen darf, sondern daß, wenn ein bestimmter kleiner Teil einen Wunsch anmeldet, die Bundesregierung ihr Verfahren auf diesen Teil erstrecken muß. Ist das richtig? Dr.

Bergsträsser: Ich wollte

große Neugliederung,

nur

wenn

(Wirmer: Richtig!)

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Davon ist von mir von Anfang an ausgegangen worden. Darin liegt gerade doch ein Nebeneinander der beiden Verfahren. Ich habe aus-

drücklich gesagt, wenn die erste Neugliederung nicht schnell genug vor sich geht, nehmen wir an, wenn das Neugliederungsgesetz große Schwierigkeiten macht und sich gegen das Ende der drei Jahre verschiebt, ist der Sinn der Regelung des Redaktionsausschusses der, daß, wo eine dringende Notwendigkeit zu einer Neugliederung besteht, schon vorher auf Grund des Art. 25 sogleich der Anfang damit gemacht werden kann. Damit wird aber in dem Verfahren zur Neugliederung der Initiativantrag entweder eines starken Bevölkerungsteils oder der Bundesregierung zum Zuge gebracht, und es besteht für die Bundesregierung die Verpflichtung, diesen Antrag auf Grund von Art. 25 weiter zu verfolgen, entweder in einem besonderen Gesetz oder in einem für alle anhängigen Gebietsänderungen gemeinsamen Verfahren. Wenn sie ihn in dem gemeinsamen Verfahren verfolgt, braucht sie den Weg des Art. 25 nicht zu gehen. Verfolgt sie ihn nicht in dem gemeinsamen Verfahren so hängen die Artikel zumuß sie den besonderen Weg des Art. 25 gehen. Insofern verstehe sammen ich die Notwendigkeit zur Aufnahme eines besonderen Initiativrechts in den Art. 24 nicht. Wirmer: Ich meine es deswegen, weil für Art. 25 andere Verfahrensvorschriften —

,



gelten.

v. Mangoldt]: Aber Sie gehen nicht auf das ein, was ich soeben ausSie gehen an dem vorbei, was ich sage. habe. geführt Dr. Reif: Ich bin neu in diesem Kreis. Aber ich muß sagen, ich habe den Art. 25 sofort so aufgefaßt, daß es ein durchaus normaler Artikel der neuen Verfassung ist und selbstverständlich mit der Verfassung in Kraft tritt, so daß jeder Bevölkerungsteil von den Möglichkeiten dieses Artikels sofort Gebrauch machen kann. Ich nehme sogar an, es wird praktisch so laufen, daß der Auftrag, der in Art. 24 erteilt wird, nicht so schnell erfüllt wird, daß demgegenüber die Wünsche, die sich jetzt schon bemerkbar gemacht haben und von deren Vorhandensein ausgehend der Herr Kollege Wirmer offenbar seine Wünsche hier geäußert hat, wahrscheinlich nach Inkrafttreten der Verfassung auf Grund der Möglichkeiten des Art. 25 von der betreffenden Bevölkerung wahrgenommen werden. Darüber ist nämlich gar kein Zweifel. Unabhängig davon, inwieweit im Sinne von Art. 24 die Prozedur vorwärtsgeht, wird das Verfahren nach Art. 25 durchgeführt werden. Es ist doch nicht so, daß man auf Durchführung

Vors. [Dr.

437

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der sogenannten ersten Neugliederung warten muß, um die zweite Sache zu machen. Infolgedessen sind Ihre Bedenken, Herr Kollege Wirmer, hinfällig. Die Bevölkerung kann am Tage nach Inkrafttreten der Verfassung bereits von Art. 25 Gebrauch machen, ganz gleichgültig, ob der Gesetzgeber mit Art. 24 fertig wird oder nicht. Heile: Aber wie macht die Bevölkerung das? Das ist eine technische Frage. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die zweite Frage können wir vielleicht bei Art. 25 behandeln. Wirmer: Nach meiner Meinung ist es doch so, daß für das erste Verfahren und für das zweite Verfahren verschiedene Verfahrensvorschriften gelten. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Nein. Dr. Reif: Das Verfahren des Art. 25 ist das Dauerverfahren. Dr. Grève: Und das andere Verfahren ist auf zwei Jahre limitiert. Wirmer: Für die beiden Verfahren gibt es verschiedene Vorschriften. Bei dem einen Verfahren wird die Sache mit anderen Mitteln, mit anderen Abstimmungen usw. durchgeführt. Bei dem Verfahren des Art. 25 gelten verschärfte Be-

stimmungen.

Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ganz bewußt. Wirmer: Dagegen bin ich. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dann haben Sie den Unterschied und den Zusammenhang der Artikel noch nicht richtig gesehen. Wunderlich: Wir müssen einmal das repetieren, was eigentlich unser Leitgedanke gewesen ist. Wir waren von Anfang an der Meinung, daß eine einmalige Bereinigung unbedingt notwendig ist. Wir wollen aber nicht eine dauernde Veränderung in den Ländern unter erleichterten Bedingungen möglich machen. Wir haben sogar ganz ernsthaft diskutiert wie das in Herrenchiemsee geschehen ist8) —, ob wir es nicht für notwendig halten, Sperrbestimmungen ausdrücklich einzuführen, die verhindern, daß auf dem Gebiet bereits jetzt bestehender Länder neue Länder gebildet werden, damit wir nicht noch mehr nicht lebensfähige Gebiete bekommen, als wir sie heute tatsächlich schon haben. Das ist doch der Sinn unserer Arbeit und darum geht es. Dr. Grève: Ich glaube, nach den letzten Ausführungen, insbesondere auch nach den Erklärungen, die der Herr Vorsitzende abgegeben hat, ist das Bedenken, das der Herr Kollege Wirmer hier vorgetragen hat, durchaus berücksichtigt. Ich wende mich nur gegen den Art. 25 und möchte auf das zurückkommen, was der Herr Kollege Wunderlich zuletzt gesagt hat. Mir ist das Verfahren, nach welchem auf Grund des Art. 25 Abs. 2 vorgegangen werden muß, viel zu leicht. Auf diese Weise ist es möglich, daß ein Drittel der Bevölkerung eines Verwaltungsbezirks die Bundesregierung zwingen kann, ein Gesetz vorzulegen, das gar nicht der Mehrheit der betroffenen Bevölkerung zu entsprechen braucht. Dann kommt es lediglich darauf an, ob in dem Bundesparlament eine Mehrheit dafür zu finden sein wird, die dem Wunsch von einem Drittel der Bevölkerung entspricht. Das würde gerade das bedeuten, worauf Herr Wunderlich hingewiesen —

8) Vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 438

520

ff.

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hat, daß auf dem Territorium der jetzt gebildeten Länder in einzelnen Gegenden insbesondere bei Oldenburg ist es der Fall9) oder könnte es der Fall sein sich wiederum Wünsche bemerkbar machen, denen meines Erachtens nicht entsprochen werden sollte. Was hier fehlt, ist der Wille der Mehrheit der —



Bevölkerung.

v. Mangoldt]: Ich darf dazu bemerken, daß man bei allen Initiativanniemals über ein Drittel hinausgeht, weil es schon sehr schwer ist, dieträgen ses Drittel zusammenzubekommen. Es ist eine bekannte Erfahrung auch bei den Referenden in der Schweiz, daß beim Einbringen von Initiativanträgen meist erheblich geringere Zahlen zusammenkommen. Dr. Grève: Ich glaube nicht, daß ein Drittel der Bevölkerung in diesem Falle genügt. Mir scheint der Schluß nicht richtig zu sein, daß ein Drittel der Bevölkerung eine Regierung zwingen kann, ein Gesetz vorzulegen, das nur dem Drittel der Bevölkerung entspricht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ob es dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung entspricht, kann erst in der Volksabstimmung festgestellt werden. Dr. Grève: Es ist gar nicht vorgesehen, daß unter allen Umständen eine Volksabstimmung stattfinden soll. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn die beteiligten Länder zustimmen, erfolgt keine

Vors. [Dr.

Volksabstimmung. Dr. Grève: Wenn die beteiligten Länder zustimmen! Ich bitte Sie, zu berücksichtigen, welches in diesem Falle die beteiligten Länder sind. Ich glaube, wir kommen in concreto weiter als in abstracto. Wir nehmen hier den Fall Oldenburg an. Nehmen wir an, es würde einer bestimmten Gruppe in Oldenburg gelingen, ein Drittel der Bevölkerung dafür zu erwärmen, daß Oldenburg auf alle Zeiten wieder ein Land in dem Sinne wird, wie es das früher gewesen ist. Dann würde dieses eine Drittel die Bundesregierung zwingen, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Gut, die Bundesregierung legt vor; stimmen die beteiligten Länder zu, so genügt ein einfaches Bundesgesetz. Welches sind die beteiligten Länder? Beteiligt ist bestimmt das Land Niedersachsen, weil es ein existentes Land ist. Welches ist das zweite Land? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Land Niedersachsen wird nicht zustimmen. Also

kommt es zur Volksabstimmung. Dr. Grève: Gut! Es heißt aber; die beteiligten Länder. Würde in diesem Sinne auch der Verwaltungsbezirk Oldenburg als früheres Land in Betracht kommen? Wirmer: Nein. Dr. Grève: Also

Niedersachsen. Es käme also darauf an, ob das Land NieLandtag, zustimmt oder nicht zustimmt. Nun könnte es tatsächlich eintreten, daß meinetwegen irgendwelche Parteigruppierungen innerhalb des Landes Niedersachsen eine Mehrheit im Landtag haben, die aus parteipolitischen Erwägungen wie das bei uns in Niedersachsen nichts Ungewöhnliches ist, das darf ich ausdrücklich sagen zustimmt, daß

dersachsen,

nur

vertreten durch seinen





9) Zu Oldenburg vgl. die Aussagen

von

Wunderlich in Dok. Nr. 19, S. 386. 439

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Oldenburg aus Niedersachsen ausgegliedert wird und wieder als selbständiges Land existent wird. Dann würde es also möglich sein, daß ein Drittel der oldenburgischen Bevölkerung und 76 Abgeordnete des niedersächsischen Landtages darüber zu bestimmen haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, auch noch nicht. Dr. Eberhard: Dann kommt das Bundesgesetz. Dr. Grève: Dann kommt das Bundesgesetz. Das ist ein Verfahren, das mir trotz allem noch viel zu leicht ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können auf diese Dinge noch bei der Einzelbesprechung von Art. 25 eingehen. Dann haben wir einen geeigneten Zeitpunkt erreicht, um darauf einzugehen. Es gehört das zu den bei Art. 25 zu äußernden Wünschen. Wenn Ihr Wunsch, Herr Kollege Winner, Verwirklichung finden soll, müssen Sie zu Abs. 5 noch einen Antrag stellen. Wir könnten uns dann darüber unterhalten. Zinn: Ich habe noch eine Frage, die von Bedeutung ist, um klarzustellen, wie die beiden Verfahren von Art. 24 und 25 miteinander konkurrieren können. In dem Art. 25 Abs. 2 heißt es, daß die Bevölkerung bei der Änderung der Landeszugehörigkeit ein Initiativrecht hat. Ist nun unter einer Änderung der Landeszugehörigkeit nur der Fall zu verstehen, daß die Bevölkerung eines Verwaltungsbezirks den Anschluß an ein anderes Land verlangt? Oder ist auch der Fall darunter zu verstehen, daß die Bevölkerung eines Bezirks die Herauslösung aus einem Land und die Bildung eines neuen Landes verlangt? Das ist noch nicht klar. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eine Änderung der Landeszugehörigkeit liegt natürlich auch vor, wenn ein Gebietsteil aus einem Land herausgelöst wird und sich selbständig machen will. Zinn: Wenn das darunter zu verstehen ist, müßten wir uns über folgendes klar werden. Wie der Herr Vorsitzende gesagt hat, können die Verfahren der Art. 24 und 25 gleichzeitig nebeneinander laufen. Während der Frist von drei Jahren könnte es also passieren, daß ein Drittel der Bevölkerung von Oldenburg den Antrag stellt, aus Niedersachsen auszuscheiden, um ein selbständiges Land zu bilden. Gleichzeitig könnte die Bevölkerung von Schleswig-Holstein den Antrag stellen, mit Hamburg vereinigt zu werden. Plötzlich könnte die Bevölkerung der Pfalz den Antrag stellen, mit Württemberg-Baden vereinigt zu werden. Es ist noch eine Reihe anderer Fälle möglich. In allen diesen Fällen müßte erst einmal das Initiatiwerfahren vor sich gehen. Es müßte für jeden konkreten Sonderfall nach Art. 25 ein Bundesgesetz vorgelegt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn die Bundesregierung diese Wünsche in dem erstmaligen Neugliederungsgesetz berücksichtigt, legt sie praktisch das gewünschte Bundesgesetz vor. So hängen die beiden Art. 24 und 25 zusammen. Wenn die Wünsche der Bevölkerung, die hier in einem Initiativantrag geäußert werden, in dem Gesetzentwurf des Art. 24 berücksichtigt werden, wird damit das Bundesgesetz vorgelegt, das in Art. 25 genannt wird. Zinn: Wenn die Bundesregierung schon so weit ist! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn sie nicht so weit ist, kann sie ein Sondergesetz vorlegen. Dann ist auch keine Gefahr vorhanden, weil die gesetzgebenden Kör440

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perschaften des Bundes nicht gezwungen sind, es anzunehmen. Sie können es zurückstellen. Es liegt alles in ihrem Ermessen, auf den Vorschlag der Bundesregierung zu sagen: dieser Wunsch wird in einem gemeinsamen Gesetz berücksichtigt. Dr. Bergsträsser: Es sind keine Fristen gesetzt.

Zinn: Es sind keine Fristen gesetzt. Es besteht dann aber die Gefahr, daß eine ganze Reihe von Verfahren in Gang kommen, die vielleicht gar nicht mit den Bundesinteressen vereinbar sind und zur Ausarbeitung von Gesetzentwürfen führen, wobei im Grunde genommen nachher der Wunsch der Bevölkerung doch unberücksichtigt bleiben muß, weil unter dem Gesichtspunkt der Gesamt-

gliederung gesehen die Bundesregierung zu ganz abweichenden Ergebnissen kommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist ein wesentlicher Grundsatz, daß man diesen Wünschen erst einmal die Möglichkeit des Ausdrucks gibt. Es ist eine bekannte Erfahrung, wenn Sie die Möglichkeit zur Äußerung dieses Willens abschneiden, erzeugen Sie ein Ressentiment, das sich so ungünstig auswirkt, daß es der ganzen Neugliederung schadet, während Sie, wenn Sie diesem Willen die Möglichkeit zu einer Äußerung geben, das ganze Neugliederungsverfahren sehr wesentlich vereinfachen. Viele Leute wollen nur erst einmal gehört sein, und, wenn sie gehört, aber mit ihren Darlegungen und Anträgen durchgefallen sind, sagen sie: Gut, es ist jetzt eben anders entschieden worden. Dr. Eberhard: Es ist sehr gut, daß die Möglichkeit gegeben ist. Wenn wir den Art. 25 nicht hätten, würde ich in Art. 24 Abs. 6 sogar eine Änderung vorschladeren Landeszugehörigkeit verändert werden gen. Bis jetzt steht drin: soll. .". Dort soll eine Volksabstimmung stattfinden, wo der Bund die Landeszugehörigkeit zu verändern erwägt. Wenn wir den Art. 25 nicht hätten, würde ich sagen, man muß hinzusetzen: oder wo ein Drittel der Bevölkerung die Landeszugehörigkeit verändern will. Denn dann wissen wir, was die einzelnen wollen, und nur dann weiß im Falle einer Gesamtvolksabstimmung, die bei der ersten Neugliederung durchaus möglich ist, die Bevölkerung ganz Deutschlands, was das Volk in Lippe, in Oldenburg, in Rheinland-Pfalz usw. möchte, wer da etwa zugunsten von wem vergewaltigt werden muß. Darum begrüße ich, daß zwei Verfahren nebeneinander laufen. Wenn es nicht so wäre, müßte man es hineinschreiben. Ich glaube, das ist das, was Herr Wirmer möchte. Zinn: Dann würde ich eigentlich mehr sagen. Dann ist es vielleicht richtiger, das besonders hereinzuschreiben. Das sind dann Wünsche, die mit der Gesamtgliederung in Zusammenhang stehen und bei denen man nicht zu verlangen braucht, daß ein auf den konkreten Wunsch abgestelltes Gesetz vorgelegt wird. Ich stelle mir mit anderen Worten vor, daß Art. 24 unabhängig von Art. 25 die Gesamtneugliederung allein behandeln soll und daß man da durchaus vorsehen kann, daß die Wünsche der Bevölkerung vorher zum Ausdruck kommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich möchte das doch einmal zur Erwägung stellen. Wir haben dann eine Hypertrophie von Antragsmöglichkeiten. Wir hätten dann nämlich auf der anderen Seite über den Art. 25 noch die Möglichkeit, daneben weitere Anträge zu stellen. Wenn Sie die Dinge einmal von einem anderen Gesichtspunkt aus sehen, nämlich von dem Gesichtspunkt, von dem ich ausging, „.

..

.

441

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daß zunächst einmal die Gesamtneugliederung sich aus irgendwelchen Gründen hinausschieben kann, wenn sich aber an irgendeiner Stelle ergibt, daß es sehr notwendig ist, eine Einzelfrage schon vorwegzunehmen, so verbaut man sich diesen Weg. Man muß deshalb die Möglichkeit offenhalten das scheint mir wichtig zu sein —, eine Einzelregelung vorwegzunehmen, die dringend ist. Wenn man das ermöglicht, so erschwert es die ganzen Dinge sehr, wenn man auch in den Art. 24 ein Initiativrecht aufnimmt. Dr. Reif: Mir erscheint die Sache unter diesem Gesichtspunkt vollständig klar. Der Art. 25 tritt sofort mit der Verfassung in Kraft. Es ist doch praktisch so, daß eine Reihe von Wünschen jetzt bereits bemerkbar sind, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten herausgestellt haben. Vermutlich wird davon sofort Gebrauch gemacht werden. Sollte der Gesetzgeber bei der Arbeit, die er auf Grund von Art. 24 macht, schon so weit sein, wird er vermutlich diese Wünsche gleich mitberücksichtigen, weil er sie schon kennt. Ist er noch nicht so was ich vermute —, wird der Wunsch nach Art. 25 behandelt werden. weit Dann kann nichts passieren. Ich nehme an, daß der Gesetzgeber, der auf Grund von Art. 24 arbeitet, die inzwischen auf Grund von Art. 25 schon eingetretenen Veränderungen dann irgendwie besonders berücksichtigen wird. Er wird nicht den Versuch machen, sie etwa rückgängig zu machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kann einfach deshalb nichts passieren, weil die Entscheidung über beide Arten von Anträgen in der gleichen Hand liegt und weil derjenige, in dessen Hand die Entscheidung in beiden Arten von Fällen liegt, sie in einem Fall immer hinausschieben kann, bis im andern Fall alles zur Entscheidung reif ist. Dr. Reif: Wir haben in Berlin ein besonderes Interesse daran. Die SPD hat bei uns im vorigen Jahre einen Antrag gestellt, über den wir mehr oder weniger erschrocken waren, weil seine Verwirklichung nur auf dem Wege des Krieges mit dem Land Brandenburg möglich gewesen wäre. Es war der Antrag, Berlin bis zum großen Autoring auszudehnen10). Diese Frage ist für Berlin lebenswichtig. Wenn die Mark Brandenburg dazu gehört, kommen diese Dinge sehr in Betracht. Ich habe durchaus das Gefühl, daß die Regelung, wie sie hier vorgesehen ist, allen diesen Möglichkeiten Rechnung trägt. Frau Nadig: Wenn man den Abs. 2 des Art. 25 als Sicherheitsventil ansehen will, müßte man einmal überlegen, ob man hinsichtlich der Größe eine Änderung vornehmen muß. Ein Verwaltungsbezirk von der Größe eines Kreises ist sehr unterschiedlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber kann man nachher durchaus reden. Dr. Grève: Ich möchte das unterstreichen, was Frau Nadig gesagt hat. Außerdem möchte ich bitten, zu erwägen, ob man nicht eine Differenzierung insofern vornehmen soll, als man das Verfahren, das in Art. 25 Abs. 2 niedergelegt ist, auf den Fall anwendet, daß die Bevölkerung eines bestimmten Gebietes eine bestehende Landeszugehörigkeit in andere bestehende zu verändern wünscht, als man aber erschwerende Momente über die Bestimmung des Art. 25 Abs. 2 —



10) Vgl. Der Pari. Rat Bd. 3, S. 442

322 f.

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hinaus für den Fall findet, daß die Bevölkerung eine bestehende Landeszugehörigkeit nicht in eine andere bestehende ändern will, sondern ein selbständiges Land mit einer neuen Landeszugehörigkeit herbeiführen will. Wirmer: Sie werden sich wundern, damit bin ich einverstanden. Dr. Grève: Wir reden von Weitläufigkeit und von Europa und fangen jetzt möglicherweise an, Bevölkerungsteilen von der Größe eines Kreises, wie wir sie in Niedersachsen in Schaumburg-Lippe oder in Nordrhein-Westfalen in dem ehemaligen Land Lippe-Detmold haben, die Möglichkeit zu geben, auf Grund dieser Vorschrift wieder zu einer Selbständigkeit ihrer „Länder" zu kommen. Ich glaube, wir müssen hier auch das übergeordnete Interesse des gesamten Bundes und seiner Bevölkerung berücksichtigen. Denn ob Oldenburg und andere Länder als selbständige Länder wieder existent werden, das liegt nicht nur im Interesse der in Oldenburg usw. ansässigen Bevölkerung selber, sondern da haben auch andere deutsche Bevölkerungsteile ein entscheidendes Wort mitzureden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei den ganzen Verhandlungen ist mir immer als fraglich erschienen, ob schon von der Größe eines Kreises ab das Antragsrecht gegeben werden sollte. Es kann sehr zweifelhaft sein, ob diese Größe schon ausreicht. Allerdings wird man bei dem Initiativantrag kaum höher gehen können. Man könnte aber, um Ihrem Wunsch, Herr Dr. Grève, entgegenzukommen, eine Vorabstimmung, ob die Mehrheit der Bevölkerung die Abtrennung will, als besondere Sicherung einschalten. Dr. Grève: Damit wäre ich einverstanden. Heile: Zu der Frage, ob man hier unter Umständen auch kleine Bezirke berücksichtigen darf oder ob man sagen muß, das geht unter keinen Umständen, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß es schon besser ist, es bei der Formel, die gewählt wurde, zu belassen. Denn es gibt Fälle, die sonst ausgeschlossen werden und die man nicht ausschließen will. Ich denke an einen Fall in meinem engsten Heimatgebiet. Da liegt eine kleine Enklave Thedinghausen11). Das ist ein Gebiet, das zu dem einige hundert Kilometer davon entfernten Braunschweig gehört. Soll man nicht die Möglichkeit geben, dem Wunsch der Bevölkerung dieses kleinen Teils eines Kreises, der anderswo liegt, zu entsprechen? Dr. Grève: Das kann bei uns durch einfaches Landesgesetz geregelt werden, da es nicht ein Kreis im Sinne der Kreisordnung, sondern nur die Exklave eines

Kreises ist. Heile: Wenn die Dinge, die, bevor ganz Braunschweig niedersächsisch wurde, in und mit dieser Exklave geschehen sind, auf Veranlassung etwa von Politikern oder politischen Gruppen erfolgt wären, die mir nahe stehen, hätte man

hannoverschem oder weifischem Partikularismus gesprochen. Thedinghaubereits gemäß dem Willen seiner Bevölkerung in die hannoversche Graftschaft Hoya eingegliedert worden. Aber es war einem Ministerpräsidenten

von

sen war

) „Amt" Thedinghausen, ein Gebiet, ca. 20 km südlich von Bremen, bis 1972 ExHave des Landkreises Braunschweig, dann in den Kreis Verden/Aller durch das sogen. VerdenGesetz vom 6. April 1972 eingegliedert. 443

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des Landes

Braunschweig,

der

von

der Partei des Herrn Dr. Grève

vorbehalten, mit Hilfe der Engländer das Gebiet

bringen12).

von

gestellt war, Braunschweig zurückzu-

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hier taucht eine Schwierigkeit auf. Bei der Bestimmung der Größe, von der ab das Drittel der Bevölkerung das Initiativrecht haben soll, wird man auf keinen Fall unter Kreisgröße heruntergehen können. Man würde sonst die Fälle wahrscheinlich kaum erfassen können. Heile: Jedes Gebiet, das in dieser Lage ist, muß das Recht haben, zumindest einen Antrag zu stellen. Es ist nicht so, wie es soeben dargestellt wurde. Man darf nicht fragen: wie kommen wir dazu, uns im Innern von Deutschland um solche kleinen Gliederungen zu streiten? Umgekehrt, gerade weil man daran denkt, aus der furchtbaren Zersplitterung Europas herauszukommen und darüber hinaus zur Menschheitsorganisation zu kommen, muß man diese Dinge mit dem ganzen großen Ernst behandeln, der dieser Sache zukommt. Denn die Frage, was nachher eventuell in einem zu begründenden Europa zu Deutschland gerechnet werden soll oder nicht, kann auch einmal zur Entscheidung kommen, und zwar unter Umständen in der späteren Entwicklung zu einer Entscheidung, bei der nicht Waffen entscheiden, sondern bei der analog dem, wie wir es im Innern machen, verfahren wird. Es kommt also sehr darauf an, daß wir das Recht der freien Einzelmenschen, der Gruppen, der Länder, der Bezirke so stark wie möglich gestalten und so viel Demokratie, wie überhaupt technisch durchführbar ist, sichern. Sonst könnte einmal im internationalen Bereich die Demokratie dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit mit der Begründung verweigert werden: Da, wo ihr selber zuständig seid, denkt ihr anders, seid ihr nicht demokratisch! Dr. Eberhard: Ich habe bei einigen Kollegen das Gefühl, sie haben furchtbare Angst, daß etwas Törichtes passiert. Es kann gar nichts passieren, wenn nicht der Bundestag als solcher töricht handelt. Ich glaube, diese Ängste kann man daher beiseite legen. Ich glaube, wir müssen der deutschen Bevölkerung das Recht geben, in weitestgehendem Maße Wünsche zu äußern. Die Militärregierungen haben sich das Recht zur Änderung der Grenzen überall genommen. Wir müssen der deutschen Bevölkerung auch in kleinen Verwaltungsbezirken mindestens die Möglichkeit geben, ihre Wünsche zu äußern. Wenn die Wünsche erstickt werden, gibt es nacher Explosionen, die viel unangenehmer sind. Nun hat Herr Dr. Grève vorhin den vorwurfsvollen Zwischenruf gemacht: „Ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung kann das in Gang bringen." Dazu darf ich darauf hinweisen, ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung, das war die absolute Mehrheit der Abstimmenden bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Wir sehen daraus, daß ein Drittel eine ganze Menge ist. Ich erinnere mich, in der Weimarer Verfassung ist es ein Zehntel der Bevölkerung,

) Zur geschichtlichen Entwicklung der Rechtsstellung des Amtsbezirkes Thedinghausen nach 1945 vgl. das Gutachten des Referendars Werner Patett aus dem Jahre 1956, im Nds. Staatsarchiv Wolfenbüttel, 4 Nds. (Bezirksreg. Braunschweig) Zg. 1/1981, Nr. 418.

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das ein Volksbegehren machen kann13). Wenn wir für das Volksbegehren hier ein Drittel der Wahlberechtigten festsetzen, ist das sehr viel. Dr. Grève: Hier soll eine Volksabstimmung folgen. In der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sind uns wohl schon darüber klar, daß bei Abtrennungswünschen eventuell die Erschwerung einzubauen ist, während wir es bei einer bloßen Umgliederung von einem Land zum anderen einfach bei der Initiative mit der Zustimmung der Länder belassen können. Wirmer: Herr Dr. Grève, wir haben uns privat unterhalten. Sie scheinen meinen privaten Äußerungen nicht zu glauben. Wenn tatsächlich ein ganz kleines wieder selbständig werden will, bin Gebiet Sie rechnen Oldenburg dazu ich das ich durchaus Ihrer Meinung hier öffentlich —, daß Erschwerunsage werden sollen. Wir denken ja in Oldenburg gar nicht daran, gen eingebaut werden. selbständig zu (Dr. Grève: Sie nicht!) Nein, auch die anderen nicht. Wir wollen nur die Bestimmung darüber haben, wohin wir gehören. Auch im Interesse desjenigen Landes, dem Oldenburg angehören wird, ist es wirklich einmal gut, wenn eines Tages einmal Klarheit besteht und, wie Herr Dr. Eberhard oder irgendeiner sagte, durch Beschluß einmal gesagt wird: eure Wünsche sind richtig oder unrichtig. Irgendwann muß dieses schwelende Feuer einmal ausgetreten werden. Zinn: Ich habe vorhin gefragt, wie Art. 25 Abs. 2 zu verstehen ist, ob Änderung der Landeszugehörigkeit nur Wechsel der Landeszugehörigkeit oder auch Herauslösung und Entstehung eines neuen Landes bedeuten soll. Diese Frage wurde bejaht. Das ist aber mit Art. 25 Abs. 1 unvereinbar; denn dort wird nur von „Änderungen im Gebietsbestand der Länder" gesprochen. Man hat offenbar daran gedacht, daß, nachdem einmal die Generalbereinigung durchgeführt ist und festgelegt ist, daß wir die und die Länder haben, dieser Bestand, die Zahl der Länder nicht mehr verändert werden kann, sondern daß nachher nur Verschiebungen von Landesteilen zwischen diesen Ländern vorgenommen werden können. Offenbar will das auch Herr Dr. Grève. (Dr. Grève: Jawohl.) Man will gewissermaßen sagen: Schön, zunächst einmal Generalbereinigung. Unter Beachtung der Grundsätze des Art. 24 Abs. 1 und 2 wird gesagt, bei den und den Ländern ist es notwendig, aber dann hört es auf. Dann können in Zukunft neue Länder nicht mehr entstehen, sondern nur Verschiebungen zwischen den Ländern. So scheint mir das nach der gegenwärtigen Fassung des Art. 25, vor allen Dingen des Abs. 1, zu verstehen zu sein. Das ist wohl richtig. Herr Wirmer will es offenbar auch. Er ist wohl auch der Auffassung, wenn die Generalbereinigung erfolgt ist und festgelegt ist, wieviel Länder existent sind, —







4 WRV: „Der Wille der Bevölkerung ist durch Abstimmung festzustellen. Reichsregierung ordnet die Abstimmung an, wenn ein Drittel der zum Reichstag wahlberechtigten Einwohner des abzutrennenden Gebietes es verlangt." Das Referen-

13) Art. 18, Abs. Die

dum (Art. 73, Abs. 3), das von einem Zehntel der Stimmberechtigten initiiert werden konnte, bezog sich auf die Reichsgesetzgebung, nicht auf die Neugliederungsfrage. 445

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sollen neue Länder nicht mehr entstehen können. Dann soll gewissermaßen die Zahl der vorhandenen Länder verfassungsmäßig garantiert sein. Dr. Reif: Ich möchte dem durchaus zustimmen. Wir machen die Verfassung eines Bundesstaates mit stark föderalistischen Institutionen. Man kann in einem solchen Gebilde die Möglichkeit nicht ohne weiteres, sondern nur mit ganz besonderen Erschwerungen zulassen, die Zahl der Staaten zu vergrößern und damit auch die Zusammensetzung des Bundesrates und dergleichen zu verändern. Bismarck hat solche Dinge auch sehr geschickt zu machen verstanden. Es ergeben sich alle möglichen politischen Kombinationen, die sich unter Umständen in einer recht starken Veränderung der Landkarte auswirken. Das sollte man von vornherein verhindern. Ich weiß nicht, ob man so weit gehen soll, daß man sagt, die Zahl der Länder darf sich dann nicht mehr ändern. Es könnte einmal aus durchaus beachtlichen Gründen so etwas nötig sein. Es muß natürlich sehr erschwert sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Änderungen im Gebietsbestand der Länder liegen auch dann vor, wenn z. B. ein neues Land dazu tritt. Der Gebietsbestand der Länder ändert sich dann. Wenn man es so faßt, fällt darunter auch die Entstehung eines neuen Landes. Ich bin durchaus der gleichen Auffassung, daß man derartiges sehr erschweren sollte. Man sollte es aber nicht vollkommen unterbinden wollen. Über jede Regelung, die etwas Derartiges endgültig verhindern will, würde nämlich im Wege der revolutionären Änderung hinweggegangen werden, wenn die Notwendigkeit dazu wirklich vorliegt. Dann sollte man lieber den Weg einer sehr erschwerten Änderung vorsehen und sagen: an den Fall haben wir gedacht; wenn der Wille so stark ist und die Gebietsänderung wirklich notwendig ist, gibt es einen Weg, der gegangen werden kann. Dann bedürfen wir dieses revolutionären Umbruchs nicht, den man nach Möglichkeit verhindern soll. Deshalb scheint mir der gangbare Weg zu sein, entsprechend Ihren Vorschlägen, Herr Dr. Grève, vielleicht zu sagen: bei Schaffung eines neuen Landes Initiativantrag eines Drittels, dann eine Volksabstimmung und vielleicht hinterher ein Gesetz nicht mit einfacher, sondern mit verfassungsändernder Mehrheit. Zinn: Das müßten wir in Art. 25 aufnehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das müßte in Art. 25 kommen. Wirmer: Oder wegen der Wichtigkeit vielleicht ein besonderer Artikel. Zinn: Wenn ich den Art. 25 lese, wie er jetzt gefaßt ist, bin ich geneigt, nur an die Änderung des Gebietes der vorhandenen Länder zu denken. Jetzt taucht ein neuer Fall auf, nämlich die zukünftige Entstehung eines neuen Landes nach der

Generalbereinigung.

Mangoldt]: Das fällt aber darunter, genau so wie nach der Generalbereinigung irgendwelche Gebietsänderungen vorgenommen werden können. Es ist durchaus möglich, daß bei der ersten Neugliederung irgendein Gebiet gar nicht erwähnt wird, welches die Abtrennung, die Änderung seiner Landeszugehörigkeit sucht. Vors. [Dr.

v.

Zinn: Ich würde es klarer fassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können das bei der Fassung des Art. 25 durchsprechen. Wir wollen nur erst einmal die Punkte, über die wir noch reden wol446

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len, herausstellen. Wir können jetzt den Art.

24 Absatz für Absatz durchgehen. Bestehen hinsichtlich des Art. 24 Abs. 1 irgendwelche Wünsche? Wir haben hierüber gesprochen. Ich darf noch einen Punkt herausgreifen. Dem Herrn Kollegen Dr. Schmid lagen besonders die „Lehren der Geschichte" am Herzen. Diese Formulierung „die Lehren der Geschichte", was jetzt durch „geschichtliche Zusammenhänge" ersetzt ist, hat in dem Ausschuß keine Billigung gefunden. Man hat davon nichts wissen wollen. Man ist über den Vorschlag von Dr. Schmid hinweggegangen und ist zu den „geschichtlichen Zusammenhängen" gekommen. Dr. Reif: Lehren der Geschichte haben wir immer zu berücksichtigen. Dr. Grève: Unter der Formulierung kann jeder verstehen, was er will. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man hat weiter gefragt, was „kulturelle Lebenskräfte" sind. Es war die Frage, ob man das Wort „Lebens" ausstreichen sollte. Wir sind nach einigem Hin und Her dazu gekommen, die „Lebenskräfte" stehenzulassen.

Dr. Grève: Das ist Jacke wie Hose. Wirmer: Es ist ein schwammiger Begriff. Dr. Grève: Wer praktisch mit diesen Dingen zu tun hat, macht, was er will. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben uns gesagt, daß praktisch bei der Neugliederung keines dieser Merkmale allein entscheidend sein wird, genau so wie es bei dem Volksbegriff ist. Wir kennen die gleiche Schwierigkeit der Erfassung des Volksbegriffs. Entscheidend für die Volkszugehörigkeit ist keines der Merk-

male: Geschichte, rassische14) Zusammengehörigkeit, gemeinsame Sprache oder gemeinsame Kultur usw. allein. Keines der Merkmale ist allein für sich entscheidend, sondern erst der Zusammenklang der Merkmale macht die Unterscheidung der Volkszugehörigkeit möglich. Genau das gleiche gilt hier bei der Neugliederung. All die angeführten Merkmale müssen in ihrem Zusammenklang gesehen werden. Dabei kann der Betonung nach einmal das eine Merkmal eine größere Rolle spielen und das andere eine geringere Rolle, und das andere Mal umgekehrt. Insoweit muß man sich klar sein: Alles ist nicht unmittelbar gleich auf den ersten Anhieb rechtlich faßbar, sondern man muß erst einmal die Gedankengänge herausstellen, unter denen man das Ganze sehen muß. Dr. Reif: Es kann vorkommen, daß in der Struktur der vorhandenen Länder hypothetisch gesehen eine vollständige Übereinstimmung besteht, daß nur ein einziges von diesen Merkmalen entscheidend ist. Ich denke zum Beispiel an das in Mitteldeutschland seit langem aktuelle Problem der Schaffung eines besonderen staatlichen Gebildes in der Leipziger Tieflandebene. Kulturell ist es alles dasselbe, Sachsen, Thüringen usw. Aber es ist einfach wirtschaftsgeographisch falsch, daß Leipzig zu Sachsen gehört. Die Bestrebungen sind sehr stark, irgendein neues Gebilde mit Erfurt als Hauptstadt zu schaffen. Heute ist das natürlich unmöglich. Dann wird wahrscheinlich innerhalb der hier vorgesehenen zwei Jahre die Angliederung der Ostländer unter erleichterten Bedingungen möglich sein.

14) Vom Bearbeiter korrigiert

aus

„russische". 447

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v. Mangoldt]: Man muß das auch in Zusammenhang mit Abs. 2 seauf die Größe und die Leistungsfähigkeit abgestellt wird. Die Größe hen, und die Leistungsfähigkeit daran hatten wir vorher bei der Diskussion über die Abtrennung nicht gedacht muß auch bei Art. 25 berücksichtigt werden. Es wird ausdrücklich darauf verwiesen. Insofern ist schon eine gewisse Hemmung gegenüber den Abtrennungswünschen eingeschaltet, wenn das richtig geIch darf dann annehmen, daß irgendwelche Bedenken gegen sehen wird. Abs. 1 nicht erhoben werden. Heile: Bedenken nicht. Ich habe aber ein Fragezeichen zu den Worten „neu zu gliedern". Damit wird betont, daß es eine historische Zeitangelegenheit ist. Sollte man nicht sagen: es ist organisch zu gliedern? Später könnte man vielleicht sagen: die jetzige Gliederung ist nicht organisch, deswegen wird zunächst einmal neu gegliedert. Zinn: Aus Art. 24 Abs. 1 und Art. 25 Abs. 1 könnte man folgern, daß jetzt zwar die Neugliederung erfolgen soll, später aber die Bildung neuer Länder ausgeschlossen sein soll. Gerade das Wort „Neugliederung" und nachher das Wort „Gebietsbestand" lassen den Schluß zu. Das war offenbar bisher die Vorstel-

Vors. [Dr. wo







lung.

Dr. Grève: Das muß auch der Sinn der

nicht

Überlegungen

sein. Sonst hätte

man es

gefaßt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Gegenüberstellung ist natürlich in ihrer Bedeutung sehr klar gesehen worden, wenn es heißt, im Augenblick solle im Gesamtrahmen erst einmal eine Neugliederung erfolgen, es sollten aber nicht die Möglichkeiten verbaut werden, späterhin, falls sich die Notwendigkeit irgendwelcher Gebietsänderungen ergebe, Änderungen vorzunehmen. Also Art. 25 wurde schon als der auf die Dauer berechnete Artikel gesehen, der gelten soll, wenn die erste Neugliederung abgeschlossen ist. Nun hat sich nachträglich ergeben, daß der Art. 25 seine Bedeutung auch für die Zwischenzeit hat, daß er, wie wir heute herausgestellt haben, sogar eine sehr wesentliche Bedeutung für die Zwiso

schenzeit hat. Dadurch gewinnt die ganze Sache einen etwas anderen Anblick. Zinn: Man müßte den Art. 24 Abs. 1 und 2 etwas anders fassen. Man müßte sagen: Die Gliederung des Bundes in Länder hat die landsmannschaftliche Verbundenheit usw. zu berücksichtigen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir finden die Fassung hier viel besser. Dr. Grève: Ich würde es durchaus lassen, weil es zutreffend ist. Es ist absolut unmöglich, das Wort „neu" durch „organisch" zu ersetzen, ohne daß man definiert, was „organisch" bedeutet. Wenn ich das ganze Bundesgebiet betrachte und „organisch" so auffasse, daß räumlich gleich große Länder gebildet werden sollen, kann ich auch einfach nach den Längen- und Breitengraden gehen, wie es in den Vereinigten Staaten zum großen Teil der Fall ist. Dann ist das auch eine räumlich organische Gliederung, insofern als das ganze Bundesgebiet auf der Landkarte aus Rechtecken oder Parallelogrammen besteht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß die Gliederung eine organische sein soll, kommt darin zum Ausdruck, daß landsmannschaftliche Verbundenheit, geschichtliche Zusammenhänge, kulturelle Lebenskräfte berücksichtigt werden sol448

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es auch so aufgefaßt, Herr Heile, daß hier eine Anregung von Ihdie noch einmal erörtert werden sollte. Heile: Ja, so habe ich es gemeint, die Verfassung kann aber nicht damit anfangen, nur eine Gegenwartsaufgabe festzustellen. Wir wollen eine vernünftige, sinngemäße, zweckmäßige Gliederung haben. Das ist der Sinn des Artikels. Er geht von der Vorstellung aus, daß die gegenwärtige Gliederung nicht vernünftig ist; also müssen wir sie ändern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gewiß hat die Verfassung im allgemeinen den Sinn, eine auf die Dauer berechnete Regelung für Änderungen im Gebietsbestand zu geben. Aber in dem speziellen Art. 24 hat sie auch einmal die Aufgabe, einen Gegenwartszustand herauszugreifen und neu zu gestalten. Das weitere findet sich dann in Art. 25 Abs. 1 und 2, wo die Grundsätze, die wir hier vorausgesetzt haben, noch einmal als Inhalt und Sinn der ganzen Gliederung herausgestellt werden. Dr. Bergsträsser: Es ist ein ziemlich starker Unterschied zwischen Art. 24 und Art. 25. Der Art. 24 will die wirkliche Neugliederung im gesamten Bereich. Der Art. 25 will keine Neugliederung, sondern der Art. 25 will nur besagen, daß innerhalb der bestehenden Länder kleine Änderungen vorkommen können, die sich durch irgendwelche besonderen Verhältnisse nachher einmal als notwendig

len. Ich habe nen

vorliegt,

erweisen. Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Das ist aber zu wenig. Nehmen Sie den Fall an, der offen bleiben würde. Es tritt, sagen wir einmal, Mecklenburg hinzu, Mecklenburg kommt gleich auf die vernünftige Idee, sich mit Schleswig-Holstein zu vereinigen. Dann würde nicht Abs. 4 des Art. 24 in Frage kommen, sondern die Geschichte würde gleich über Art. 25 gehen. Wir dürfen nicht auf die Kleinheit oder Größe der Änderungen abstellen. Wir müssen zwar die allgemeinen Grundsätze der Abs. 1 und 2 berücksichtigen, dürfen aber hier nicht nur von kleinen Änderungen reden. Dr. Eberhard: Es sind einzelne Änderungen, im Gegensatz zur Gesamtände-

rung!

im Gegensatz zur GeVors. [Dr. v. Mangoldt]: Es sind einzelne Änderungen die auch große Gebiete betreffen können. samtänderung Dr. Reif: Sie haben das Beispiel Mecklenburg erwähnt. Mecklenburg müßte zunächst dem Bund beitreten und könnte beim Bund beantragen, das Land Mecklenburg mit Schleswig-Holstein zusammenzuschließen. Nach meinem Dafürhalten müßte das nach Abs. 4 möglich sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn es als selbständiges Land beitreten will. Den Unterschied haben wir damals gerade gemacht. Nehmen Sie einmal an, daß ein —

,



kleiner Gebietsteil

dem Osten dazu kommt. Reif: Hypothetisch ist es zunächst ein Fremdkörper. Das erste ist: Nunmehr treten wir dem Bund bei. Das zweite ist dann: Wie fügen wir uns in den Bund ein? Es kann sein, als selbständiges Land; es kann sein, daß Schleswig-Holstein dazu kommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn gleichzeitig der Antrag auf Eingliederung in ein anderes Land gestellt wird, tritt die Frage der Neugliederung gar nicht auf. Der Zutritt zum Bund muß zunächst als selbständiges Gebilde erfolgen. aus

Dr.

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Dr. Reif: Das ist wohl schon in Abs. 4 vorgesehen. Es ist durchaus möglich, daß ein Land den Antrag stellt, in den Bund aufgenommen zu werden, und gleichzeitig die im Bund bestehende Möglichkeit benutzt, auf Grund der Ermächtigung des Abs. 4 zu sagen: Macht ein Bundesgesetz, das uns unserem Wunsch entsprechend sofort mit Schleswig-Holstein zusammenfügt! Das ist doch denk-

bar. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Es ist möglich, daß es auf diese Art und Weise geschieht. Es ist eine rein juristische Frage, wie man den Fall einordnet und wie die Verhandlungen gehen, ob Mecklenburg in diesem Falle mit Schleswig-Holstein verhandelt und beide zusammen gleich das Nötige ausmachen, so daß im gleichen Zeitpunkt, zu dem der Beitritt erfolgt, die Dinge zugleich mit Schleswig-Holstein bereinigt werden. Dann bedarf es nämlich nicht mehr einer Neugliederung durch den Bund. Dr. Reif: Nein, dann nicht mehr. Dr. Grève: Lassen wir es so! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wären die Absätze 1 und 2. Wird zu Abs. 2 noch die nach Größe, das Wort gewünscht? In Abs. 2 hieß es ursprünglich: imstande sind. und ." Es trat dann die Leistungsfähigkeit Bevölkerungszahl dieser Es auf. wurde der gesagt: Verbindung Schwierigkeit Voraussetzungen „Größe, Bevölkerungszahl oder Leistungsfähigkeit". Da ergab sich wieder die Frage, ob man nicht sagen müßte: Größe oder Bevölkerungszahl und Leistungsfähigkeit. Das führt zu außerordentlichen Schwierigkeiten, wenn man etwa Hamburg, Bremen und andere Fälle berücksichtigt. Deshalb haben wir die „Bevölkerungszahl" völlig herausgelassen und haben gesagt, es genügen die Größe und die Leistungsfähigkeit. Dr. Eberhard: Größe kann sich auf die Bevölkerungszahl und auf das Gebiet beziehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, auf beides. Das zeigt, wie schwierig die Dinge lie„.

..



.

gen. Im übrigen ist nichts

zu sagen. Es ist wesentlich, daß zum Ausdruck kommt: nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben wirksam zu erfül.die ihnen len". Die Abs. 3 und 4 können wir zusammennehmen. In Abs. 3 handelt es sich um die erste Neugliederung innerhalb des augenblicklich gegebenen Bundesgebietes. In Abs. 4 ist die Notwendigkeit der Neugliederung vorhanden, wenn ein Land des östlichen Teils von Deutschland hinzutritt. Zinn: Wie soll der Beitritt erfolgen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Beitritt ist in einem anderen Artikel geregelt. In Art. 22 Abs. 2 heißt es: „Jeder andere Teil Deutschlands kann dem Bund beitreten. Seine Eingliederung wird durch Bundesgesetz vollzogen." Darauf haben wir bei der Fassung dieses Absatzes ausdrücklich Bezug genommen. Dr. Eberhard: Es kann auch ein Teil im Westen Deutschlands sein, zum Beispiel das Saargebiet. Auch dann kann sich eine Neugliederung als notwendig erweisen. Zinn: Es ist die Frage, ob man in Abs. 4 die Worte „als selbständiges Land" stehen läßt. Ich kann mir vorstellen, daß Mecklenburg beitreten und selbständiges

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Land bleiben will. Dann würde das vorgesehene Verfahren Platz greifen. Es zugleich zu überprüfen, ob aus diesem Anlaß nicht erneut eine Neugliederung erforderlich ist. Das gleiche kann der Fall sein, wenn Mecklenburg sagt: Ich will Niedersachsen angegliedert werden. Dann kann sich auch die Notwendigkeit ergeben, das Ganze neu zu gliedern, weil unter Umständen durch das mit Niedersachsen vermählte Mecklenburg ein Land entstehen würde, daß zu groß wäre. Es kann also die Frage auftauchen, ob von Niedersachsen wieder ein Teil weggenommen werden soll. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben von Anfang an darüber gesprochen. Ich muß sagen, daß die Einfügung „als selbständiges Land" von mir stammt. Wir müssen das jetzt im Augenblick klären. Die Eingliederung wird durch Bundesgesetz vollzogen. Gleichzeitig mit dem Beitritt wird das Land als selbständiges Land ausgelöscht und einem anderen Land zugeschlagen. Das steht in dem Gesetz nach Art. 22 Abs. 2 drin. Dann bedarf es aber nach meiner Auffassung keiner Neugliederung mehr. Denn bei der Beratung und Annahme dieses Bundesgesetzes wird zugleich entschieden, ob eine solche Zusammenlegung im Rahmen der Gesamtgliederung des Bundes überhaupt zu halten ist. Die Neugliederungsfrage wird im Verfahren des Art. 22 Abs. 2 also mitgeregelt. So habe ich die Dinge gesehen. Dr. Grève: Wie ist der Fall zu denken, daß ein anderer Teil Deutschlands nicht als selbständiges Land dem Bund beitritt? Soll damit etwa auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, daß diejenigen Gebietsteile, die früher zu Ländern gehörten, die heute in der britischen Zone liegen, heute aber zur sowjetischen Zone gehören, nunmehr als Teile der jetzt in der sowjetischen Zone liegenden Länder hierher kommen? Bekanntlich hat Niedersachsen oben im Gebiet der Niederelbe einen Teil an Mecklenburg abgegeben, da er auf dem östlichen Ufer der Elbe liegt15). Das ist oben bei Ratzeburg und vor allen Dingen in dem mitteldeutschen Raum von Braunschweig der Fall. Größere Gebietsteile, die früher zu dem Land Braunschweig gehörten, liegen heute in der Provinz wäre aber

Sachsen-Anhalt16).

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Gedanke lag dem wohl auch zugrunde. Im Augenblick bestehen wohl keine großen Aussichten dafür, daß die Spannungen zwischen Osten und Westen sich stark verringern werden. Wenn aber eines Tages eine Verringerung der Spannungen eintritt, ist es durchaus denkbar, daß ein Gebietsteil, der sehr ungünstig in dem anderen Teil liegt, den Schritt herüber macht und daß dann eine Übernahme als selbständiges Land nicht in Frage kommt. Dieser Schritt würde dann im Wege des Art. 25 vor sich zu gehen haben.

es sich um das rechtselbische Amt Neuhaus an der Elbe, im Jahre 1991 Hagenow gehörig, das von den Briten 1945 im Rahmen einer Zonengrenzbereinigung an die sowjetische Besatzungszone abgetreten wurde. 16) Dabei handelte es sich um Teile des Landkreises Blankenburg und Teile des Landkreises Helmstedt (insbes. um Orte der Calvörder Exklave). Vgl. Hans Gottfried Figge: Gebietsveränderungen im Bereich des ehemaligen Landes Braunschweig von 1918 bis 1972. Braunschweigisches Jahrbuch Bd. 54, 1973, S. 249—257.

15) Dabei handelte zum

Kreis

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Dr. Grève: Ich könnte mir sonst nicht vorstellen, wie es möglich sein sollte, daß ein anderer Teil Deutschlands nicht als selbständiges Land dem Bund beitritt. Als was sollte es sonst beitreten? Dr. Eberhard: Das Saargebiet könnte sich dem Land Rheinland-Pfalz, wenn dieses noch besteht, als nicht selbständiges Land anschließen. Dr. Grève: Das Saarland ist doch als selbständiges Land im Sinne des Art. 24 Abs. 4 zu bezeichnen. Dr. Eberhard: Nein. Der Ausdruck „selbständiges Land" charakterisiert das Land nicht vor dem Beitritt, sondern nach dem Beitritt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: So ist es gedacht. Das ist auch der Gedanke, den Herr Dr. Reif vertreten hat. Dr. Grève: Dann tritt es nicht als selbständiges Land bei, sondern die Selbständigkeit besteht erst nach dem Beitritt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es will selbständiges Land im gesamten Bund bleiben. Das ist hier vielleicht nicht richtig zum Ausdruck gekommen. (Dr. Grève: Das meine ich.) Darin liegt die Schwierigkeit. Das muß noch anders formuliert werden. Zinn: Die Notwendigkeit einer nochmaligen Überprüfung der gesamten Neugliederung ist weniger groß, wenn das Land selbständig bleiben will, als wenn es einem anderen Land eingegliedert werden will. Nehmen wir an, Thüringen würde dem Bund beitreten und zu der Auffassung kommen, es will Hessen angeschlossen werden. Dann ist unter Umständen die Prüfung der Frage, ob damit das ganze Gefüge grundlegend verändert wird, viel dringender, als wenn Thüringen selbständig bleibt. Die Worte „als selbständiges Land" würde ich

streichen17).

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es war eine Idee von mir wegen der Zusammenhänge zwischen Art. 22 und Art. 24, die die Dinge etwas erschweren, weil tatsächlich durch Art. 22 das Neugliederungsverfahren18) schon vorweggenommen werden kann. Dr. Grève: Das ist meines Erachtens deswegen durchaus möglich, weil nachher dem Bund bei, so soll vor gesagt ist: „Tritt ein anderer Teil Deutschlands Ablauf von 2 Jahren nach dem Beitritt eine notwendig werdende Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt sein." Wenn diese Neugliederung nicht notwendig ist, geschieht einfach nichts. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist richtig. Die Gefahr liegt nicht vor, weil es in das Ermessen der Bundesregierung gelegt ist, ob sie die Neugliederung einleitet. Es ist weiter eine Ermessensentscheidung der gesetzgebenden Körperschaften, ob die Neugliederung durchgeführt wird, selbst wenn sie beantragt wird. Insofern können wir es ohne Schaden streichen. Dr. Reif: Ich wollte die Gelegenheit benutzen, darauf aufmerksam zu machen ich habe es schon einmal im Zuständigkeitsausschuß getan19) —, es wird hier immer so getan, als ob der Anschluß der Länder der sowjetischen Besat.

.

.



17) Folgt gestrichen: „in beiden Fällen wird die Notwendigkeit geprüft." 18) Art. 22 und Art. 24; Wortlaut vgl. in: Dok. Nr. 16. 19I Vgl. die 10. Sitzung vom 8. Okt. 1948, TOP 4. Der Pari. Rat Bd. 3, S. 416 f. 452

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zungszone eine Sache ist, um die wir uns nicht zu kümmern brauchen. Ich befürchte etwas ganz anderes. Der jetzt bestehende russische Plan, eines Tages die Zone zu räumen und uns dafür die 400 000 Mann von bis an die Zähne bewaffneten Seydlitz-Leuten zu lassen20), wird unter Umständen sehr schnell eine Ergänzung dadurch finden, daß alle diese Länder auf Wunsch der Russen die Aufnahme in den Bund beantragen, um uns hier das Leben schwer zu machen. Damit müssen wir rechnen. Wir stehen dann vor der schwierigen Frage, ob wir dieses Aufnahmebegehren solcher Länder ablehnen wollen. Die Russen werden sich diese Möglichkeit nicht nehmen lassen. Daran müssen wir rechtzeitig denken. Ich glaube, wir sollten uns den Art. 22 sehr genau ansehen, damit wir nicht eines Tages in sehr große Schwierigkeiten kommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben bei Art. 22 Abs. 2 darüber gesprochen, daß man auf der einen Seite den Beitritt nicht zu sehr erschweren solle, daß auf der anderen Seite der Beitritt aber nur möglich ist, wenn die Bundesverfassung als geltend anerkannt wird. Das steht im Hintergrund. Damit treten dann die Normativbestimmungen des Art. 29 in Kraft. Wir wollten hier nur nicht politischen Gefühlsmomenten zu starke Angriffspunkte geben, indem wir zu viel von Bedingungen der Aufnahme sprechen. Die Bedingungen liegen in dem Gesamtgefüge des Grundgesetzes. Wir wollten lieber nicht deutlicher werden. Wir sind uns also darüber einig, daß wir die Worte „als selbständiges Land"

streichen. (Es erhebt sich kein Widerspruch.) Absatz 4 heißt dann: Tritt ein anderer Teil Deutschlands dem Bunde bei, so soll vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt eine notwendig werdende Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt sein. In Abs. 5 ist das verantwortliche Organ bestimmt, das die erste Neugliederung einzuleiten hat. Im Ausschuß ist nur der Satz 2 umstritten gewesen. Zu Satz 1 haben sich keine Schwierigkeiten ergeben. Zu Satz 2 hat man sich gefragt, ob man die gesetzgebenden Körperschaften so weitgehend binden soll. Es ist aber gerade von der Mehrheit des Redaktionsausschusses als dringendes Anliegen betrachtet worden, eine solche Bindung vorzunehmen. Zinn: Wie soll der Ausschuß oder sollen die Ausschüsse zusammengesetzt sein? Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Das bestimmen nachher die gesetzgebenden Körperschaften selber. Alles Nähere wollten wir nicht festlegen. Zinn: Es ist auch die Frage, ob nur Anhörungen oder ob die Zustimmung zu dem Entwurf notwendig ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist bewußt offengelassen worden. Das soll den gesetzgebenden Körperschaften überlassen bleiben. Nur wurde es als erwünscht betrachtet, hier schon in einem Vorstadium die beiden Körperschaften zu beteiligen, um das Verfahren zu erleichtern, und das zum Ausdruck zu bringen. Die

20)

Der Pari. Rat Bd. 3, S. 178, Anm. 21.

453

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überwiegende

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Mehrzahl des Ausschusses

gestimmt21).

7

von

9

Mitgliedern



hat dafür —

Zinn: Soll es in jedem Falle den Körperschaften selber überlassen bleiben, oder soll es durch Bundesgesetz geregelt werden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist weniger eine Frage eines Bundesgesetzes. Es ist eine Frage des Verfahrens, die in der Geschäftsordnung geregelt wird. Es ist nur gleich ein Hinweis, daß ein besonderer Ausschuß vorgesehen ist, der dem Zentralausschuß für die Neugliederung des Reiches entsprechen soll, wie er 1919 geschaffen worden ist22). Dr. Grève: Das würde ich ohne Bedenken lassen. Wirmer: Ich stelle jetzt den Antrag, zwischen Satz 1 und 2 den Satz einzuschieben: Wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbedie Größe soll noch festgelegt werden zirks von mindestens eine Änhat die Bundesregierung diese Änderungswünsche bei der Vorderung verlangt, bereitung des Gesetzentwurfs zu berücksichtigen. Ich gehe dabei erstens davon aus, daß das Verfahren nach Art. 24 einfacher ist als das Verfahren nach Art. 25. Zweitens gehe ich von dem Gesichtspunkt aus, den auch Herr Dr. Eberhard hervorgehoben hat, daß es praktisch ist, bei der ersten großen Neugliederung ein großes Aufwaschen zu veranstalten. Dr. Grève: Ich glaube, diejenigen Herren, die den Art. 24 so gefaßt haben, sind zunächst einmal davon ausgegangen, daß die Bundesregierung bei der Neugliederung des ganzen Bundesgebietes frei sein und nicht hier und da schon Wünsche berücksichtigen soll. Sie ist nämlich nicht frei, wenn sie in Lippe, in Oldenburg, in der Pfalz usw. die Wünsche kleiner und kleinster Gruppen berücksichtigen soll. Ich würde empfehlen, das hier nicht hineinzunehmen, zumal Sie, Herr Kollege Wirmer, uns nicht zu sagen vermögen, inwieweit das Verfahren, das Sie hier eingebaut wissen möchten, einfacher sein soll als das Verfahren nach Art. 25. Es ist doch eine reine Frage der Technik, festzustellen, ob ein Drittel der Bevölkerung das wünscht oder nicht wünscht. Wenn Sie das hineinnehmen, was Sie soeben vorgetragen haben, kann es doch nach Art. 24 nicht einfacher sein, festzustellen, welchen Wunsch ein Drittel der Bevölkerung hat, als nach Art. 25. Wirmer: Ich meine die Technik der Entscheidung über den Änderungsvor...





schlag.

Dr. Grève: Ich bin der

Meinung, daß man in Art. 24 bei der aus einer größeren Konzeption vorzunehmenden Neugliederung seitens der Bundesregierung dieser nicht von vornherein wieder Fesseln anlegen sollte. Dr. Bergsträsser: Das Wort „berücksichtigen" wird nicht möglich sein. Das Wort

„berücksichtigen" heißt den Wunsch einer Minderheit als richtig aufnehmen. Es könnte höchstens gesagt werden: einzubeziehen, nämlich in das gesamte Projekt der Neuordnung. Ich halte es auch für überflüssig. Aber es wäre so neutral, daß es nichts verschlagen würde. 21) 22) 454

S. Dok. Nr. 19. Zur Zentralstelle für die

Gliederung

des Deutschen Reiches

vgl.

Dok. Nr. 19, Anm. 9.

Sechzehnte Sitzung 29. Oktober 1948

Nr. 21

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich halte es für überflüssig und für eine Belastung diesowieso schon sehr umfangreichen und schwer verständlichen Artikels. Wir bringen eine neue Frage hinein, die die Übersicht nicht erleichtert. Wenn man Art. 24 und 25 im richtigen Verhältnis zueinander sieht, besteht diese Schwierigkeit gar nicht. Wir würden Ihnen aber entgegenkommen, Herr Wirmer, und ses

ich glaube, dagegen bestehen keine Bedenken —, daß der Berichtersagen statter bei diesen beiden Artikeln auf ihre Zusammengehörigkeit hinweist, so —

daß Ihren Wünschen Genüge

geschieht. Zusammengehörigkeit habe ich nie bestritten. Mangoldt]: Wenn Sie sich mit dieser Regelung nicht einverstanden erklären, müßten wir über Ihren Antrag abstimmen. Wir können auch einen Vermerk aufnehmen, daß der Berichterstatter ausdrücklich auf die Möglichkeit hinweist, mit Art. 25 rechtzeitig entsprechende Wünsche anzubringen. Wirmer: Darauf lege ich Wert. Eine Abstimmung ist überflüssig, weil ich auch so sehe, daß heute der Antrag abgelehnt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir stellen dann fest, daß der Berichterstatter darüber besteht Einverständnis ausdrücklich auf das Zusammenspiel hinzuweisen hat und daß damit auch dem Wunsch auf Berücksichtigung schon bei der Neugliederung Rechnung getragen werden kann. Zu Abs. 5 wird das Wort nicht weiter gewünscht. In Abs. 6 ist der Fall geregelt, daß nach Verabschiedung des Gesetzes dieses in den einzelnen Gebieten, deren Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung gebracht werden muß, und zwar nur der Teil des Gesetzes alles Nähere habe ich ausgeführt —, der dieses Gebiet betrifft, um zu vermeiden, daß Gebiete, die nicht von den Dingen betroffen werden, über eine Frage Wirmer: Die Vors. [Dr. v.







abstimmen, die

sie nicht interessiert und die sie nicht beurteilen können. Dr. Grève: Ich bitte, mir doch zu erläutern, was in diesem Falle unter den Worten „in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit verändert werden soll" zu verstehen ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich wollte darauf gerade eingehen. Das ist in Art. 18 eine umstrittene Frage gewesen. Da ist von betroffenen oder beteiligten Gebieten die Rede gewesen. Man hat das immer als eine schwere Unklarheit empfunden. Die Staatsrechtslehre hat gesagt, das Gebiet müsse hier klar bezeichnet werden. Es dre-

he sich dabei nur um das Gebiet, dessen Landesangehörigkeit verändert werden solle. Bei Anschütz heißt es: „staatliche Zugehörigkeit23)". Wir sprechen überall nur von Ländern, nicht von Staaten und haben an Stelle von „staatlicher Zugehörigkeit" „Landeszugehörigkeit" gesetzt. So ist das hineingekommen. Es soll also auf die Bevölkerung des Gebietes beschränkt sein, das aus dem einen Lande heraus in ein anderes will oder ein neues Land bilden will. um dieses Beispiel zu nehmen Heile: Das heißt, daß nur in Thedinghausen24) und nicht in Braunschweig abgestimmt wird? Dr. Grève: Es ist nicht so. Es heißt: „in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit verändert werden soll." —



23) G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 151. 24) Thedinghausen, vgl. Anm. 11. 455

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen. Wenn ein Gebiet ein neues Land bilden will, ändert es seine Landeszugehörigkeit, indem es aus der alten Landeszugehörigkeit austritt und eine neue begründet. ich meine, unabhängig Dr. Grève: Auf diese Weise ist es doch möglich, daß von dem Bundesgesetz zum Beispiel Oldenburg sagt: von Niedersachsen weg, aber kein neues Land, sondern zu Nordrhein-Westfalen. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen werden alle Hände hoch halten und werden sagen: um Gottes willen! Hier wird doch in irgendeiner Weise auch das Land NordrheinWestfalen betroffen. Sie wollen Oldenburg vielleicht nicht haben. Oldenburg hält es aber für nützlich, in einem Land zu sein, bei dem das Steueraufkommen auf den Kopf der Bevölkerung höher ist als in Niedersachsen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist durchaus berücksichtigt worden, Herr Dr. Grève. Ich verstehe durchaus, Sie würden sagen, man muß hierbei auch die Länder hören, die aufnehmen. Wir haben uns gesagt, bei der ersten Neugliederung geht die Sache von Bundes wegen, und hier ist auch die Länderkammer eingeschaltet. Es besteht also über die Länderkammer die Möglichkeit, bei der Durchberatung des Gesetzes die Wünsche oder Bedenken der einzelnen Länder vorzubringen. Wir wollten hier bei der ersten Neugliederung dieses an sich schon schwierige Verfahren nicht durch eine weitere Zustimmung der Länder belasten. Deshalb ist die Zustimmung der Länder, die bei den späteren Einzeländerungen eine hervorragende Rolle spielt, hier herausgelassen worden. Dr. Grève: Ich will keine deutsche Bundesregierung für so unvernünftig halten, Oldenburg etwa nach Nordrhein-Westfalen zu tun. Aus diesem Grunde habe ich keine großen Bedenken. Ich glaube aber, ich bin hier „föderalistischer". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir verstehen das durchaus und wir haben ausdrücklich darüber gesprochen. Bei der ersten Neugliederung wird vieles gegen die Wünsche der Länder vor sich gehen. Wir haben gesagt, das hemmende Moment bei der Neugliederung werden die Länder und nicht die Bevölkerungen sein. Weil dieses hemmende Moment eine besonders große Rolle bei der ersten Neugliederung spielt, haben wir es herausgelassen. Dr. Eberhard: Diese Vermutung ist in den Tatsachen begründet, die wir erlebt haben. Die elf Ministerpräsidenten, die die Länder vertreten haben, haben nichts zustande gebracht25). Darum müssen wir die Aufgabe dem Bund übertra—



gen. Vors. [Dr.

Wir haben gesagt, wenn einmal diese Neugliederung soll der Gebietsbestand der Länder besonders gesichert werden. Dann sollen sie nur noch innerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens ihr Wort erheben können. Zinn: Angenommen, es soll Schleswig-Holstein mit Hamburg vereinigt werden. Die Hamburger werden sagen: Um Gottes willen, wir als reiches Land müssen dann die Kosten für dieses arme Schleswig-Holstein aufbringen. In welchem v.

Mangoldt]:

stattgefunden hat,

;) Zur Rolle der Ministerpräsidenten bei der Neugliederung vgl. Dok. Nr. 17, Anm. 456

11.

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Teil soll nunmehr abgestimmt werden? Das ist hiernach nicht klar. Verändert werden beide Landesteile. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: In beiden wird selbstverständlich abgestimmt. Die Landeszugehörigkeit wird in beiden Fällen geändert. Sie behalten keine eigene Landeszugehörigkeit, sondern bekommen eine neue. Dr. Grève: Nehmen wir an, Schleswig-Holstein kommt auf den ganz schlauen Gedanken, seine Existenz als eigenes Land aufzugeben und sich selbst in Hamburg einzubringen, in das Land Hamburg einzutreten. Hiernach würde nicht die Landeszugehörigkeit des bisherigen Landes Hamburg verändert, sondern nur die Landeszugehörigkeit des bisherigen Landes Schleswig-Holstein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde Hamburg in der Länderkammer fürchterlich schreien. Zinn: Das wäre ein Wortspiel. In diesem Falle wird für beide Teile etwas Neues

gebildet.

Dann gibt jeder seine Selbständigkeit auf. Die Landesbeider Landesteile wird geändert. Deshalb muß die Abstimmung in beiden Landesteilen stattfinden. Diese Auslegungsfragen müssen wir der Rechtsprechung und der Entwicklung überlassen. Zinn: In diesem Falle müßte man sagen, daß beide gehört werden müssen. Wenn ein Landesteil einem anderen angeschlossen werden soll, zum Beispiel ein Teil von Schleswig-Holstein an Hamburg, wird wohl die Abstimmung nur in diesem Teil notwendig sein. Die Frage ist, wo es anfängt und wo es aufhört. Dr. Eberhard: Wir dürfen jetzt nicht zu spitzfindig sein. Sonst erörtern wir noch den Fall, daß das Land Niedersachsen sich etwa in Bremen eingliedern will Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

zugehörigkeit

(Heiterkeit) und sehen einen Artikel vor, der das verhindert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Über Abs. 7 ist wohl kaum zu diskutieren. Wunderlich: Der Ausdruck „Bevölkerungen" muß hier verschwinden. Ich habe mich auch mit Dr. Pfeiffer unterhalten. Er sagte, ihm sträubten sich die Haare; Bevölkerungen gebe es nicht, sondern nur Bevölkerung. Wenn der Ausschuß dem zustimmt, sagen wir: die Bevölkerung. Zinn: Oder man müßte sagen: die Bevölkerung der einzelnen beteiligten Gebiete. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man müßte dann sagen: die Bevölkerung aller einzelnen beteiligten Gebiete. Dr. Eberhard: Wir haben jetzt hier eine andere Terminologie: „aller beteiligten Gebiete". Vorher hatten wir: „der Gebiete, deren Landeszugehörigkeit verändert werden soll". Ist dasselbe gemeint? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben es verkürzt. Sonst hätten wir es noch einmal ganz wiederholen müssen. Dr. Eberhard: Wird daraus, daß es anders formuliert wird, nicht geschlossen werden können, es ist jetzt auch das größere Gebiet, in das etwas eingegliedert wird, als beteiligtes Gebiet gemeint? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein. Abs. 7 verweist auf Abs. 6. Wir haben es nur kürzer gemacht, um die Sache nicht so schwerfällig zu gestalten. 457

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geschieht, wenn in einem Gebiet oder in mehreren Gebieten das Gesetz durch die Volksabstimmung abgelehnt wird. Das Gesetz geht dann an die gesetzgebenden Körperschaften zu erneuter Beratung zurück. das ist wohl selbstverständlich —, Dabei konnte nicht ausgeführt werden dabei die daß Abstimmungsergebnisse irgendwie zu berücksichtigen sind. Das dem Wort: zur Beratung. Dann heißt es: „Nach erneuter Verabaus sich ergibt wir könnten auch sagen: als Gesetz in seiner Gesamtheit ist das schiedung „Ganzes" im gesamten Bundesgebiet zur Volksabstimmung zu bringen. Es ist In Abs. 8 wird

geregelt,

was





vielleicht etwas besser, zu sagen: als Ganzes. Wunderlich: Der Ausdruck „als Ganzes" ist sprachlich miserabel. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Betonung „als Ganzes im gesamten Bundesgebiet" könnte man vielleicht lassen. Dr. Grève: Was soll heißen: „das Gesetz in seiner Gesamtheit"? Im Gegensatz zu den Teilen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im Gegensatz zu Abs. 6, da wird es klar zum Ausdruck kommen. Wirmer: Wenn nun in diesem Gesetz verschiedene Änderungswünsche im Osten, Süden, Norden und Westen geregelt werden und wenn nur im Westen oder Osten in einem Bevölkerungsteil die Sache auf diese Weise erschwert wird, soll dann die gesamte Bevölkerung des Bundesgebietes zu dem gesamten Gesetz, also auch zu den nicht strittigen Teilen Stellung nehmen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Natürlich, das ist notwendig. Nachdem einmal an einer Stelle die Frage abgelehnt ist, tritt die Frage auf, ob die gesetzgebenden Körperschaften sich über den durch die Volksabstimmung bekundeten Willen der Bevölkerung hinweg setzen können. Gerade deshalb ist hier die Gesamtabstimmung eingeführt. Gerade aus diesem Grunde würde ich vorschlagen, es ganz deutlich zu machen. Wir würden also sagen: Nach erneuter Verabschiedung ist das Gesetz als Ganzes im gesamten Bundesgebiet zur Volksabstimmung zu bringen. Wir können es jetzt so lassen. In der zweiten Lesung können wir noch darauf zurückkommen. Dr. Eberhard: Schön. Dann sind einfach die Worte „ganzes" und „gesamt" um-

getauscht.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Abs. 9 enthält die Frage, welche Mehrheit entscheidet. Wir haben aus den schon von mir angeführten Gründen gesagt: einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

(Dr. Eberhard: Ja.) Der Abs. 10 ist selbstverständlich. Wir müssen nun noch den Vorschlag von Herrn Zinn behandeln, den er seinerzeit gemacht hat und den wir nicht drin hatten. Ich darf verlesen, was Herr Zinn hier formuliert hat: „Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung werden auf Antrag eines der beteiligten Länder durch das Bundesverfassungsgericht entschieden." Es ist nur die Frage, ob das ausreicht. Sollten wir nicht weitergehend sagen: Streitigkeiten, die sich bei der Durchführung des Gesetzes ergeben? Es könnte irgendeine Ungenauigkeit über den Zipfel irgendeines Gebietes vorhanden sein. Dann handelt es sich nicht um eine Frage der Vermögensauseinandersetzung. Nehmen wir an, es ist irgendein kleiner Teil in der gebietlichen Begrenzung der Teile unklar geblie458

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ben, die hier ausgetauscht werden sollen. Dann ist das auch ein Streit, der auf einer reinen Auslegungsfrage beruht und der daher vom Bunderverfassungsgericht entschieden werden sollte. Dr. Bergsträsser: Wenn wir ohne irgendeine feste Begrenzung „Streitigkeiten" sagen, kann die ganze Geschichte auf dem Rechtswege wieder aufgerollt werden. Das dürfen wir nicht machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein. Wir würden bei der Durchführung sagen, das Ganze wird nicht aufgerollt. Dr. Grève: Daraus machen die Juristen doch etwas. Wunderlich: Wollen wir wirklich 50 Jahre den Juristen Grund zum Streiten geben? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte es auch fristmäßig begrenzen. Wunderlich: Besteht überhaupt die Notwendigkeit das einzubeziehen? Dr. Grève: Es kann durchaus streitig sein, ob ein Teil dieses Gebietes rein territorial umfaßt wird oder nicht. Das wäre nach unserem jetzigen Rechtsbegriff keine vermögensrechtliche Auseinandersetzung, sondern eine solche, die vom öffentlichen Recht berührt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es könnte eine Streitigkeit über die Landeszugehörigkeit der Bewohner oder ähnliche Fragen auftreten. Das sind alles Fragen, die bei der Durchführung eintreten. Ich glaube, man muß einen weiteren Begriff nehmen. Dr. Reif: Ich möchte noch darauf hinweisen, daß jede solche Gebietsänderung doch durch ein besonderes Gesetz geregelt wird. Man pflegt in diesen Gesetzen alle diese Dinge, soweit es überhaupt in Gesetzen möglich ist, zu regeln. Man pflegt normalerweise in dem Gesetz zu bestimmen, daß, falls sich Streitigkeiten bei der Durchführung des Gesetzes ergeben, so und so entschieden werden wird. Wir können es ruhig dem Gesetz überlassen. Ich denke an die Auseinandersetzung beim Anschluß von Coburg an Bayern und ähnliche Dinge in der Weimarer Republik26). Damals ist ein Gesetz gemacht worden, in welchem die ganze Frage der Überleitung, des Haushalts usw. geregelt war. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht können wir es deshalb weglassen, weil die Vorschriften über das Bundesverfassungsgericht, soviel ich weiß, eine Generalklausel für Streitigkeiten der Länder enthalten. Wir können zu diesem Artikel den Berichterstatter sagen lassen: Diese Frage ist erörtert worden, wir haben uns aber gesagt, daß einmal über die Generalklausel die Möglichkeit besteht, Streitigkeiten zur Entscheidung zu bringen, daß auf der anderen Seite die Möglichkeit besteht, in das Durchführungsgesetz nach Abs. 10 eine solche Vorschrift aufzunehmen; wir haben sie daher für unnötig gehalten. Dr. Eberhard: Man könnte in den Katalog des Art. 98 des Herrenchiemseer Entwurfs27) diesen Artikel mithineinnehmen, wo Verweisungen auf viele Artikel des Grundgesetzes schon enthalten sind. Dr. Grève: Es sind Auseinandersetzungen, die sich auf Grund des Art. 24 ergeben.

26) Zum Anschluß von Coburg an Bayern vgl. Dok. Nr. 17, Anm. 21. 27) Art. 98 ChE behandelte die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 599. 459

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man müßte in das Protokoll eine Anregung an den Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege hineinnehmen, eine besondere neue Zuständigkeitsbestimmung für Streitigkeiten aus der Neugliederung in eine besondere Ziffer aufzunehmen. Dr. Eberhard: Das wäre sehr gut, weil unser Artikel so lang ist. Dr. Reif: Wir bekommen zwei Gesetze. Wir bekommen das Gesetz auf Grund des Abs. 10, das ganz allgemein die Durchführung solcher Dinge regelt. Darin kann es schon stehen. Im übrigen würde jeder Einzelfall auch durch ein Gesetz geregelt werden. Ich glaube, der Gesetzgeber hat genügend Möglichkeiten, die Dinge, die streitig werden können, zu berücksichtigen, auch nach der Verfahrensseite. Dr. Grève: Es kommt dem Herrn

Kollegen Zinn mehr darauf an, festgestellt zu nicht anderes Gericht die Dinge entscheiden soll, sondaß wissen, irgendein dern das Bundesverfassungsgericht. Ob wir das hier in diesem Artikel festlegen oder richtigerweise einem jeweiligen Bundesgesetz überlassen, das ist weniger die Frage. Es soll hier vielmehr in irgendeiner Form festgelegt werden, daß über alle Fragen, die sich aus dem Art. 24 ergeben, das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Daran muß auch der Gesetzgeber gebunden sein. Er kann in einem Bundesgesetz nicht etwa bestimmen, daß ein ordentliches Gericht darüber entscheiden soll. Deswegen ist die Anregung des Herrn Kollegen Eberhard meines Erachtens richtig. Wenn wir in Art. 98 hineinnehmen, daß das Bundesverfassungsgericht für die Entscheidungen zuständig ist, die sich bei der Auseinandersetzung auf Grund von Art. 24 ergeben, kann auch in einem zukünftigen Bundesgesetz nicht bestimmt werden, daß etwa ein ordentliches Gericht zuständig ist. Dann ist auch das Bundesgesetz an die Vorschrift des Art. 98 gebunden. Zinn: Wobei nur zu sagen ist, daß Art. 98 nur das wiederholt, was schon in dem Gesetz steht. Dr. Grève: Dann würden wir die Anregung vielleicht zurücknehmen und uns überlegen, wie es anders gemacht werden kann. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde dann als Gesamtergebnis der Diskussion feststellen können, daß wir für den Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege einen Vermerk aufnehmen: Es ist der Wunsch ausgesprochen worden, eine besondere Vorschrift in den Artikel über die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtshofs aufzunehmen, nämlich für die Streitigkeiten aus der Auseinandersetzung über die Neugliederung im Sinne des Art. 24. Würde das ausreichen? Zinn: Es würde ausreichen, wenn der Art. 98 allein die Zuständigkeit regeln und nicht einen bloßen Katalog der verschiedenen Fälle darstellen soll, eventuell die an anderer Stelle schon geregelt sind. Dr. Grève: Könnten wir nicht sagen, es ist der Wunsch des Ausschusses, der andere Ausschuß wolle eine Regelung vorsehen, daß die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtshofs für die Regelung dieser Verhältnisse besteht? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen, der Ausschuß für Grundsatzfragen empfiehlt dem Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, bei den Bestim460

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Verfassungsgerichtshof vorzusehen, daß es zur ausschließlichen Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtshofs gehören soll, Streitigkeiten bei der Auseinandersetzung aus Anlaß der Neugliederung gemäß Art. 24 zu entscheiden. Wir würden nunmehr den Art. 24 in dieser Form in 1. Lesung als angenommen ansehen können und zu Art. 25 übergehen. Wird zu Abs. 1 das Wort gewünscht? Wir haben darüber schon eingehend gesprochen. Dr. Grève: Was Sie soeben angeführt haben, Herr Vorsitzender, gilt in gleicher Weise auch für Art. 25. Wir brauchen es nicht noch einmal zu wiederholen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es gilt auch für Art. 25. Zinn: Bei Abs. 1 taucht die Frage auf, ob wir nicht eine klarere Fassung wählen, nachdem wir auf Grund der heutigen Diskussion zu der Auffassung gelangt sind, daß die spätere Bildung eines neues Landes zulässig sein soll. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnten wir in Abs. 2 zum Ausdruck bringen. Das würde genügen. Wenn es in Abs. 2 drin steht, ergibt sich, daß es unter den Abs. 1, unter „Änderungen im Gebietsbestand der Länder" fällt. Dr. Bergsträsser: Wir hatten ausdrücklich festgestellt, daß mit der Neugliederung die Länder festgelegt sein sollen und daß nur noch kleine Änderungen kommen können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eine Änderung im Gebietsbestand der Länder liegt auch dann vor, wenn ein Teil aus einem Lande herausgelöst wird und zum selbständigen Lande gemacht wird. Dann ändert sich der Bestand eines Landes, es ist also eine Änderung im Gebietsbestand eines Landes. Dr. Bergsträsser: Es entsteht aber ein neues Land. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das spielt keine Rolle. Es ist die Frage, ob es eine Änderung im Gebietsbestand der Länder ist. Darunter fällt es sicher. Dr. Reif: Es ist richtig, wie der Herr Vorsitzende sagt, daß die Neubildung eines Landes, wenn man, auf deutsch gesagt, aus einem Land zwei macht, auch eine Änderung des Gebietsbestandes mit sich bringt. Es ist aber in einem Bundesstaat sehr viel mehr als eine bloße Änderung des Gebietsbestandes. Insofern haben die Herren schon Recht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur die Frage, ob wir darauf besonders aufmerksam machen sollen. Dr. Reif: Es ist die Frage, ob der Parlamentarische Rat mit dieser Verfassung den Willen zum Ausdruck bringen soll, es nach der Neuregelung, die hier vorgesehen ist, bei der Zahl der Länder zu belassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie würden mit einer solchen Regelung eine Verfassungsgarantie für die Zahl der Länder hier aufnehmen. Dr. Reif: Insofern als die Neubildung von Ländern eine Änderung der Bundesverfassung ist. Zinn: Dann brauchen wir es nicht zu erwähnen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diesen Standpunkt teile ich nicht. Danach wird jeder fragen. Die Frage, die hier aufgetaucht ist, wird auch später auftauchen. Wir gehen einfach um diese Frage herum. Deshalb würde ich vorschlagen, daß wir etwas darüber in Abs. 2 aufnehmen, mit den erschwerten Bestimmungen bei einer Loslösung aus dem Bestand eines Landes, wenn das Ziel die Errichtung eines neuen selbständigen Lanmungen über den

461

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des ist. Dann ist es drin. In Abs. 1 würde das durch „Änderungen im Gebietsbestand" erfaßt sein, indem eine Herauslösung auch eine Änderung im Gebietsbestand bedeutet. Wir könnten einfach in Abs. 2 auf Grund der Formulierung sagen: Wird dabei die Neuschaffung eines Landes beabsichtigt, so bedarf es zunächst einer Vorabstimmung, in der die Mehrheit zu ermitteln ist, bevor das Gesetzgebungsverfahren anläuft. Das ist nur einmal ins Unreine gesprochen. Wir würden dann noch einmal in Abs. 3 aufnehmen, daß auf alle Fälle nicht ein einfaches Gesetz genügt, sondern auch bei Zustimmung der Landesregierungen ein Gesetz notwendig ist, das mit der für Verfassungsänderungen bestimmten Mehrheit ergeht. Dr. Grève: Das ist dann ein absolut logischer Aufbau. Zinn: Dann brauchen wir nur den Abs. 1 nicht mehr. Dr. Grève: Doch, als Voraussetzung, als Grundlage des Abs. 2. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade in der Gegenüberstellung gegenüber den Abs. 1 und 2 des Art. 24. Das macht es klar. Wir sind gerade dazu gekommen, daß wir das Wort „Neugliederung" nur für die erste Neugliederung verwenden wollten. Dr. Grève: Nach Ablauf der Zeit wird Art. 24 gegenstandslos. Also müssen wir in Art. 25 zumindest eine Grundbestimmung dafür haben, was im weiteren Verlauf nach Art. 25 geschehen soll. Dazu ist es notwendig, davon zu sprechen, daß Änderungen im Gebietsbestand der Länder durch Bundesgesetz erfolgen, als die Generalvorschrift für alles, was dann noch auf dem Gebiet der Änderung von Grenzen der Länder möglich ist. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: So haben wir es auch aufgefaßt. Dr. Bergsträsser: Wir waren eigentlich das letzte Mal darin einig, daß wir die Länder an sich als abgeschlossen betrachten wollten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Natürlich! Das sichern wir auch dadurch, daß eine Änderung nur im Wege der Verfassungsänderung möglich ist. Das kommt dann sehr deutlich zum Ausdruck. Das wird sehr deutlich festgelegt, wenn wir den Wünschen von Herrn Dr. Grève entsprechen. Ich würde das sehr unterstützen. Das scheint mir sehr richtig zu sein. Wunderlich: In Herrenchiemsee hat man formuliert: auf dem Gebiet eines Einzelstaates des Bundes darf kein neuer Einzelstaat gebildet werden28). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das sind fromme Deklarationen. Wenn Wünsche bestehen, kann man es nicht verhindern. Man kriegt sonst einen revolutionären Verfassungsbruch. Man soll es dann erschweren, aber die Möglichkeit offen lassen. Der erschwerte Weg wird wahrscheinlich nie begangen werden, weil man die Mehrheiten nicht zusammenbringt. Wunderlich: Ich muß ganz offen sagen, ich habe meine ursprünglichen Bedenken fallen lassen. Das Verfahren ist so erschwert, daß keine allzu große Gefahr besteht. Es bedarf doch der Zustimmung des gesamten Bundes, wenn sich in Niedersachsen ein neues Land bilden soll. Ich glaube nicht, daß die Zustimmung so leicht zu erringen ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich weiß nicht, ob man hinter den Satz 1 einen Satz 2 einschalten soll, indem man etwa sagt ins Unreine formuliert, wir könnten —

28I

Im ChE aus

462

war Art. 28 über die Neugliederung nicht formuliert worden. Das Zitat stammt dem „darstellenden Teil". Der Pari. Rat Bd. 2, S. 521.

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darüber noch reden : Wird dabei die Bildung eines neuen Landes erstrebt, so vor der Einbringung des Gesetzentwurfs durch die Landesregierung in dem betreffenden Gebietsteil oder in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, eine Volksabstimmung durchzuführen. Die Mehrheit müßte dafür stimmen. Oder: Durch eine Volksabstimmung ist zu ermitteln, ob die Mehrheit der Bevölkerung diesem Antrag zustimmt. Dr. Bergsträsser: Wir müßten dann den Artikel in zwei Teile ändern, in einen Teil, bei welchem ein Gebietsübergang von einem Land zu einem anderen bestehenden Land erfolgt, und einen anderen Teil, bei welchem ein neues Land entsteht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnten wir auch an den Schluß setzen. Dr. Bergsträsser: Ich glaube, nicht. Die Verfahrensweisen werden dann geändert. Vors. [Dr. Mangold]: Es würde Ihrem Vorschlag entsprechen. Wir würden es nicht dazwischen schalten, sondern in Abs. 2 sagen: Wird mit dem Initiativantrag der Bevölkerung die Neubildung eines Landes erstrebt, so tritt das Sonderverfahren ein. Wir würden dann gleich das Sonderverfahren mit der Zweidrittelmehrheit hineinsetzen. Das würde alles in einen letzten Absatz kommen. Wie würden Sie dazu stehen? Dr. Grève: Ja. Ich würde es auch so machen. Ich würde als letzten Absatz sagen: Hat die Änderung der Landeszugehörigkeit die Errichtung eines neuen Landes zum Ziel, so ist vorab durch Volksabstimmung festzustellen, ob die Mehrheit der Bevölkerung dem Antrag zustimmt; in diesem Fall bedarf es nach Absatz usw. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können es vielleicht gleich als Abs. 5 festlegen. Hat ein Verlangen auf Änderung der Landeszugehörigkeit gemäß Abs. 2 die Bildung eines neuen Landes zum Ziel Zinn: Soll das nur gelten, wenn die Bevölkerung es verlangt, oder auch, wenn der Bund es aus Bundesinteresse für notwendig hält? Dr. Reif: In beiden Fällen. Zinn: Sonst müßten wir schreiben: Ist die Bildung eines neuen Landes beab—

ist

..

.

—.



sichtigt.

Dr. Grève: Wenn die

Bundesregierung die Bildung

eines

neuen

Landes für rich-

tig hält, ist es etwas anderes, als wenn ein Drittel der Bevölkerung einen Initiativantrag stellt. Ein Drittel der Bevölkerung kann durch geschickte Demagogie

beeinflußt sein, daß es leicht zu erreichen ist. Aber es wird hoffentlich nicht anzunehmen sein, daß eine Bundesregierung einen derartigen Antrag aus anderen als aus sachlichen Gründen stellt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir würden sagen: In dem Fall der Einbringung durch die Bundesregierung finden die Abs. 3 und 4 Anwendung; bei Zustimmung der beteiligten Länder genügt ein einfaches Bundesgesetz; bei NichtZustimmung eines Landes hat die Volksabstimmung in dem betroffenen Land zu erfolgen. Das würde auch genügen. Dr. Grève: Dann ist die Zustimmung der Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung einzuholen. Dr. Bergsträsser: Das Verlangen auf Änderung der Landeszugehörigkeit gemäß Abs. 2 kann, wenn dabei die Bildung eines neuen Landes beabsichtigt ist, nur eingebracht werden, wenn die Hälfte der Abstimmungsberechtigten zugestimmt hat. so

463

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist unlogisch. Dr. Grève: Zunächst ist das Verlangen von einem Drittel der Bevölkerung da. Um dieses Verlangen effektuieren zu können, ist die Zustimmung der Hälfte

der

wahlberechtigten Bevölkerung notwendig. v. Mangoldt]: Wir schreiben also:...

Vors. [Dr.

bracht wird Wunderlich: Es muß heißen: kerung einzuholen. —



...

so

ist die

so

ist, bevor das Gesetz einge-

Zustimmung der Mehrheit der Bevöl-

Mangoldt: Es genügt nicht, zu sagen:... die Zustimmung der Beeinzuholen. Es muß die Zustimmung vorliegen. so ist dieses Verlangen zur Abstimmung zu Wirmer: Man muß weiter sagen: stellen. Dr. Reif: Wir haben dann noch einmal nach Abs. 4 die Volksabstimmung. Dr. Grève: Aber aus anderen Gesichtspunkten. Dr. Reif: Das ist gleich. Vielleicht muß man darauf hinweisen, daß die im Abs. 4 vorgesehene Volksabstimmung dann vorweg stattfindet. Sie braucht dann nicht noch einmal wiederholt zu werden, wenn die Mehrheit der Bevölkerung zugestimmt hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das hat nur eine Gefahr. Man müßte noch dazu sagen: Da ist nur die einfache Mehrheit der Abstimmenden erforderlich, während wir hier eine qualifizierte Mehrheit vorsehen. Dr. Reif: Wir wollen die Mehrheit der Abstimmungsberechtigten haben? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Ich schlage vor, eine Fassung für die 2. Lesung zu nehmen. Man hat dann in der 2. Lesung etwas Abstand. Wir schreiben also weiter: so ist dieser Antrag zunächst in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. Der Antrag gilt als angenommen, wenn ihm die Mehrheit der Wahlberechtigten zustimmt. Dr. Bergsträsser: Ich möchte eine vielleicht dumme Frage stellen. Solche Fragen sind manchmal nützlich. Es müßte also so sein, daß erst ein Drittel der Bevölkerung das beantragt und das Volksbegehren gemacht wird? Das gilt nur, wenn die Volksabstimmung kommt? das wird Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Gesetzesverfahren kann nur losgehen ausdrücklich gesagt —, wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten zugestimmt hat. Zu Abs. 3 und 4 müssen wir noch aufnehmen: Das Bundesgesetz bedarf in diesem Falle der Annahme mit der Mehrheit, die für Verfassungsänderungen vorgesehen ist. Eine weitere Volksabstimmung des Abs. 4 findet nicht statt. Bestehen noch irgendwelche Bedenken gegen die beiden anderen Absätze? Ich glaube, das hatten wir genügend durchgeprüft29). [Schließung der Sitzung, Termin und TO der nächsten Sitzung] Vors. Dr.

v.

völkerung

...

...





') Das Kurzprot. enthielt als Anlage die

vom Ausschuß in erster Lesung am 29. Okt. 1948 angenommene Fassung der Art. 24 (Neugliederung des Bundesgebiets) und Art. 25 (Änderungen im Gebietsbestand der Länder). Sie wurde hier nicht abgedr.; die Fassung findet sich wiedergegeben in Dok. Nr. 26 als Art. 25 (bisher Art. 24) und Art. 26 (bisher Art. 25).

464

Siebzehnte Sitzung 3. November 1948

Siebzehnte Sitzung

Nr. 22 des Ausschusses für 3. November 1948

20-481). Stenogr. Wortprot. vom 5. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 64-66. Drucks. Nr. 251

Z 5/32, Bl.

Nov. 1948,

Nr. 22

Grundsatzfragen von

Peschel gez.

Anwesend2) :

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Grève, Nadig, Wunderlich FDP: Heuss DP: Heile Mit beratender Stimme: Zimmermann (SPD) Stenografischer Dienst: Peschel Dauer: 10.25-12.33 Uhr

[1. BUNDESFARBEN (ART. 27),

1.

LESUNG]

Den Vorsitz führt Abgeordneter Dr. v. Mangoldt. Nach kurzer Geschäftsordnungsdebatte beschließt der Ausschuß auf Vorschlag des Vorsitzenden, zunächst den noch offenstehenden Artikel 27 der Zusammenstellung vom 18. Oktober

Artikel 23 des Herrenchiemseer Entwurfs zu behandeln und dann mit der zweiten Lesung der ten Artikel zu beginnen.

19483)





über die Bundesfarben Ausschuß formulier-

vom

Bergsträsser: Unsere Stellungnahme ist völlig klar. Wir wollen einfach schwarz-rot-gold ohne Gösch, weiter nichts. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In meiner Fraktion ist über diese Frage gesprochen worden4). Die Mehrheit der Fraktion ist zu dem Entschluß gekommen, daß die Regelung dieser Frage nicht hinausgeschoben werden, sondern in dem Grundgesetz erfolgen soll. Es hat der Gedanke keine Mehrheit gefunden, daß man zu einer vorläufigen Regelung der Farben kommen und die endgültige Regelung der unmittelbar vom Volk gewählten Vertretung überlassen soll. Was noch nicht endgültig entschieden worden ist, das ist die Frage der Zusammenstellung Dr.

der Farben schwar-rot-gold. Es bestehen gegen die reine Trikolore aus den verschiedensten Gründen noch gewisse Widerstände, einmal aus der schlechten Erkennbarkeit, zweitens aus dem Grunde, daß etwas Neues geschaffen werden sollte, daß die alte Trikolore aus den geschichtlichen Zusammenhängen heraus

49—50 (S. 6 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Drucks. Nr. 203, die die hier als Dok. Nr. 16 abgedr. Drucks. Nr. 200 enthielt. Zum Wortlaut von Art. 27 vgl. Dok. Nr. 16. 4) Dies war am 22. Okt. 1948 erfolgt. Vgl. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 85 f.

1) Bl.

465

Nr. 22

Siebzehnte Sitzung 3. November 1948

in ziemlich breiten Kreisen gewisse Widerstände findet5). Da müßte bei uns noch eine Entscheidung herbeigeführt werden. Dr. Bergsträsser: Dann wäre es von unserem Ausschuß aus sehr erwünscht, daß die Entscheidung möglichst bald erfolgt. Ich kann nur sagen, wir sind für das, was Sie Trikolore nennen, und für nichts anderes, wobei es nach unseren Erwägungen möglich wäre, daß man die Trikolore senkrecht legt. Dr. Grève: Ich möchte gerade in Bezug auf das, was der Vorsitzende sagte, anregen, daß Herr Dr. Heuss dazu einmal Stellung nimmt, weil ich aus dem Studium dieser Frage im Württemberg-Badischen Landtag weiß, daß Dr. Heuss dazu Stellung genommen hat und man in Württemberg-Baden doch ohne Schwierigkeiten zu der schwarz-rot-goldenen Hagge gekommen ist. Dr. Heuss: Das ist bei uns eine komische Situation gewesen, weil wir schwarzrot in Württemberg und gelb-rot in Baden hatten. Das hat man nun zusammengelegt. Darauf hat es dieses Ergebnis gegeben, das gar nicht sehr geschickt ist "id was ich nicht sehr nett finde, daß eine Landesfarbe auch die Reichsfarben hat. Es wäre mir lieber gewesen, wenn wir eine andere Farbe gewählt hätten. Das war aber keine große Deklaration für schwarz-rot-gold, sondern ergab sich aus dieser Zusammenlegung, wobei die Badener ihr gelb in gold haben verwandeln müssen. Zur Sache bin ich aber der Meinung, daß es bald geschehen soll und daß wir keine Verkünstlungen mit Kreuzen usw. vornehmen. Müßte das überhaupt schon in die Verfassung hineinkommen? Es würde schon genügen, zunächst in das Grundgesetz hineinzubringen: Die Farben sind schwarz-rot-gold, und dann ist der Fall erledigt. Oder verlangt die CDU, daß auch über die graphische, symbolische Strukturierung etwas gesagt wird? Ich selber würde die Farben in ihrer jetzigen Streifenhaltung lassen und nicht umstellen. Denn sonst fragt das Volk: warum denn eigentlich? Die Italiener und namentlich die Belgier haben das andere traditionell gehabt. Infolgedessen soll man es lassen, ohne in ein Gespräch über die senkrechte Anordnung einzutreten. Die Sache mit der ästhetischen Wirkung ist eine Gewohnheitsfrage. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für mich ist das auch die Frage. Der Vorschlag von Herrenchiemsee sagt: „Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Hagge der Deutschen Republik. Das Nähere bestimmt ein Gesetz6)." Nun könnte man bei einer solchen Formulierung auf den Gedanken kommen, daß man, wenn dort steht: „Das Nähere bestimmt ein Gesetz", in Durchführungsvorschriften solchen Vorschlägen wie dem Kreuz oder einer Umstellung oder Verwürfelung der Farben zur Durchsetzung verhelfen könnte. Das ist die Frage, ob wir das wollen.

(Widerspruch.) Dez. 1948 war in der Bevölkerung der Westzonen Für das Schwarz-Rot-Gold von Weimar 35 %; für einen neuen Entwurf, der ein schwarzes, goldumrandetes Kreuz auf rotem Grund zeigt 25 %; beides ablehnend 10 %; ohne Meinung („gleichgültig") 40 %. Schwarz-WeißRot hatte im Norden wesentlich mehr Sympathien als im Süden: 38 % in Schleswig-Holstein gegen 15 % in Bayern (Z 12/43, Bl. 184-189). ChE, Art. 23; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 583.

5) Nach einer Allensbach-Umfrage

vom

folgendes Meinungsspektrum verbreitet:

6) 466

Siebzehnte

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3.

November

1948

Nr. 22

Darüber müssen wir uns vollkommen klar sein. Ich würde es als einen wesentlichen Punkt für die Klärung in den Fraktionen betrachten, eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob man in die Vorschrift hineinlegen will, daß zwar die Farben schwarz-rot-gold gegeben sind, daß man aber, wie die Flagge nachher aussieht, ganz dem Gesetz überlassen will. Es wäre das auch insofern keine Lösung, als dieses Gesetz ja zur Zeit nicht gemacht werden kann. Für die Zeit vom Wirksamwerden des Grundgesetzes bis zum Tätigwerden der gesetzgebenden Körperschaften würde es praktisch noch keine Flagge geben. Deshalb müßte es doch hier näher umschrieben werden. Das sind auch meine Bedenken. Dr. Bergsträsser: Wenn wir nur den ersten Satz dieses Mehrheitsvorschlages von Herrenchiemsee annehmen, dann kämen wir über diese Schwierigkeit hinweg; denn dann wäre es die reine Übernahme, und das wäre das, worauf wir eigentlich hinaus wollten. Allerdings müßte man dann eines hinzusetzen. Wenn wir sagen „der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge der Deutschen Republik", übernehmen wir dann die Gösch oder nicht? Denn die Gösch wollen wir auf gar keinen Fall. Kann das auch kein Jurist daraus folgern? (Dr. Grève: Doch!) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das kann er daraus nicht folgern. Dr. Heuss: Dann lassen wir das Wort „Deutsche Republik" weg, dann ist der Fall erledigt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich hatte von vornherein gewisse Bedenken gegenüber der Einführung des Begriffs der Deutschen Republik. Ich habe von vornherein gefragt: Was ist eigentlich die Deutsche Republik? Welche Deutsche Republik ist das? Dr. Bergsträsser: Ist es die künftige oder die vergangene? Mayr: Ohne dem Beschluß meiner Fraktion vorzugreifen, darf ich wohl aussprechen, daß die überwiegende Mehrheit die Trikolore ablehnt. Grundsätzlich sind wir für die Farben schwarz-rot-gold. Wir haben sehr viel Sympathie für einen der letzten Entwürfe gezeigt. Meines Wissens hat auch Dr. Zinn den letzten das ist das Kreuz mit den Entwurf des Kaiserslautener Kunstmalers Wack7) Farben schwarz-rot-gold aufgeteilt in den vier Ecken gelobt. Gerade diese Kreuzaufteilung hat uns sehr gut gefallen. Wir bleiben also bei den Grundfarben schwarz-rot-gold, wollen aber etwas völlig Neues schaffen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dr. Suhr war auch davon sehr beeindruckt. Tatsächlich wäre die Zusammenstellung mit dem Kreuz für die See sehr viel sichtiger. Dr. Grève: Das Argument mit der Sicht auf See ist m. E. so schlecht, wie es alt —



ist. Vors. [Dr.

Mangoldt]: Ich bin zehn Jahre zur See gefahren und bin den ganKrieg auf See gewesen. Davon weiß ich auch etwas. Solange Sie direkte Sicht haben, sehen Sie die Flagge schwarz-rotgold genau so wie jede andere, im übrigen nehmen Sie das Fernglas. Auf diese mehr oder weniger an den Haaren herbeigezogenen Gründe, wie sie zur Zeit v.

letzten Dr. Grève:

zen

7) Vgl. Dok. Nr. 20, Anm.

4.

467

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Siebzehnte

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3.

November 1948

der Verfassung von Weimar zum Ausdruck gebracht wurden, einzugehen, lohnt sich wirklich nicht8). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich stimme Ihnen zum Teil zu, es wird das übertrieben; aber ganz ablehnen kann man diese Dinge nicht. Tatsächlich ist gerade diese Zusammenstellung sehr schwer zu sehen. Dr. Grève: Im wesentlichen wird die Flagge geführt, wenn das Schiff im Hafen

liegt.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auf hoher See ist das Haggenzeichen sehr wichtig. Zimmermann: Ich bin auch Seemann gewesen und muß Prof. Mangoldt widersprechen; denn wir haben, bevor wir die drahtlose Télégraphie hatten, unsere Signale mit Haggen gegeben, mit gelb usw. Als man die schwarz-weiß-rote Hagge zur Handelsflagge mit einer geradezu beschämend kleinen Gösch genommen hat, ist da mehr eine Gesinnung zum Ausdruck gekommen. Wenn man wenigstens ein Viertel der Hagge für die Gösch genommen hätte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für die Gösch kann man gar keine Gründe anführen. Zimmermann: Wenn die Hagge auf hoher See gezeigt wird, dann wird sie nur mit dem Glas erkannt. In Belgien sind es ja die gleichen Farben. Ich habe nie gehört, daß die belgische Hagge dadurch in ihrer Sichtbarkeit beeinträchtigt wird. Ich bin der Auffassung, daß wir die Gösch nicht mehr zulassen sollten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Von der Gösch ist gar nicht mehr die Rede. Es dreht sich jetzt allein um die Farbenzusammenstellung. Wenn Sie das internationale Haggenalphabet ansehen, dann finden Sie, daß dort auf diese Farbenzusammenstellung außerordentliches Gewicht gelegt ist und gut sichtbare Verwürfelungen eine besondere Rolle spielen. Sie finden dort vor allem auch die Kreuzform und die Farben rot-weiß. Sie finden die Verwürfelung in blau-weiß-rot. Gerade das ist sehr gut sichtbar, viel besser als einfache Streifen. Drei Streifen nebeneinander finden Sie im internationalen Haggenalphabet so gut wie überhaupt nicht. Das zeigt, daß die Frage der Sichtbarkeit doch nicht so unwesentlich ist, wie das hier ausgesprochen wurde. Heile: Ich bin in meiner Jugend zur See gefahren und kenne die Sichtbarkeit der Farben. Herr Dr. Grève hat vollständig recht; die Ablehnung der schwarzrot-goldenen Hagge ist lediglich durch eine politische Ideologie begründet gewesen. Das Gerede von dem Fehlen der Sichtbarkeit war reiner Unfug. Man kann das Schwarz-rot-gold von weitem genau so gut sehen. Gerade wenn man mit bloßem Auge die drei Farben nur etwas verschwommen sieht, erkennt man daran, daß dieser dunkle Streifen die deutsche Hagge ist, während man blauweiß-rot und schwarz-weiß-rot sehr leicht verwechselt. Das sind Farben, die man schwer unterscheiden kann. Es handelte sich damals nur um politische Erwägungen. Man muß sich entscheiden, ob man für schwarz-rot-gold ist oder nicht. Wenn man dafür ist, muß man auch für die schwarz-rot-goldene Hagge sein. Dr. Heuss: Über die Sache mit der See sind wir uns einig, die Sichtigkeit spielt praktisch keine Rolle, nur für den Zweck der Signalgebung. Aber da die Deut-

B) 468

Zum

Flaggenstreit

in der Weimarer

Republik vgl.

Dok. Nr. 14, Anm. 18.

Siebzehnte Sitzung 3. November 1948

Nr. 22

sehen in der überwiegenden Mehrzahl kein seefahrendes Volk sind, sondern diese Flagge bei anderen Gelegenheiten vorgesetzt bekommen, entsteht die Frage gar nicht vom Symbolcharakter, sondern von ästhetisch wirkungsvollen Charakter. Bei welchen Gelegenheiten? Bei Gelegenheiten der Beflaggung von Straßen, des Schmückens von Sälen usw. Da kommen sie mit der einfachen Trikolore viel weiter, als wenn Sie ein irgendwie kunstgewerblich, ästhetisch zurechtgemachtes Kreuz oder so etwas haben. Wenn Sie ein Bild mit Rednertribüne haben, wirken diese Dinge nicht so gut, als wenn Sie die einfache schwarz-rot-goldene Flagge ohne die Komplikation mit dem Kreuz haben. Ich finde auch, bei aller ästhetischen Wirkung hebt dieser Kreuzentwurf, der uns gemacht worden ist, die Impression der alten Farben einfach auf. Er wirkt wie ein geschmackvolles, ästhetisches Farbenarrangement. Und wenn wir vom Hakenkreuz ins andere Kreuz hineingehen, dann ist das andere Kreuz Christussymbol, ist aber in der Art nichts anderes als Geometrie. Es wirkt wie ein geometrisches Problem und nicht wie ein Symbol wie bei den Nazis, wo es noch isoliert war. Jetzt wirkt es als geometrische Raumeinteilung. Ich bin nicht obstinat, ich würde aber auf alle Fälle dafür sein, daß wir in dieser Grundformel uns davon freihalten, vom näheren Gesetz zu reden, sondern uns mit der Fassung begnügen: Die Farben sind schwarz-rot-gold. Zimmermann: Das soll auch für die Handelsflagge gelten? Dr. Heuss:

Ja.

Mayr: Zunächst darf ich sagen, daß das Kreuz schon in der alten Königsfahne war. Das wäre also nichts Neues. Die nordischen Staaten kennen auch das Kreuz. Ich bin überzeugt, daß die Flaggenfreudigkeit der nordischen Bevölkerung nicht damit beeinträchtigt wird, daß die Fahne etwas teurer wird. Uns geht es darum, die alten Farben zu halten, aber nicht den alten Flaggenstreit von neuem wachzurufen, sondern etwas Neues zu bringen, und das läßt sich doch schaffen. In Ihrer eigenen Partei haben sich die Herren, die das letzte Mal hier waren, anders geäußert, da waren auch Befürworter. Ich glaube nicht, daß meine Partei Ihnen in der reinen Trikolore folgen wird. (Die eingereichten Flaggenentwürfe werden vorgelegt.)9). Dr. Grève: Wir sind der Auffassung, daß die Trikolore in keiner Weise aus der Zeit der Weimarer Republik beschmutzt ist und daß wir auf irgendwelche politischen Ressentiments, die sicher bei den Herren der CDU nicht vorhanden sind, die aber in der Zeit von 1918 bis 1933 bei einem großen Teil der Rechtsparteien vorhanden waren, keine Rücksicht nehmen sollten. Weil schwarz-rotgold unseres Erachtens als Flagge der Deutschen Republik sauber geblieben ist, sehen wir gar keine Veranlassung, diese Flagge in Fortsetzung unseres staatlichen Fortlebens nicht auch als Bundesflagge zu übernehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Nun ist eine Flagge immer ein Symbol für die bestehende staatliche Ordnung. Die staatliche Ordnung der Weimarer Republik sah anders aus. Wenn man bei den Grundfarben bleibt, kann ich es verstehen, daß sich gewisse Widerstände finden. Vielleicht wäre es richtig, diesen Widerstän9) Welche Entwürfe Die

unter den zahlreichen

einschlägigen Eingaben, allerdings

Vorschlägen vorgelegt wurden, bleibt vollständig, in: Z 5/99—106.

unHar.

nicht

469

Nr. 22

Siebzehnte

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3.

November 1948

den aus dem Weg zu gehen. Ich glaube, wir werden die Frage aber nicht lösen können. Wir werden zwar die Gründe, die für die Ablehnung und das Zustimmen sich bisher gefunden haben, anführen können. Wir werden aber letztlich die Entscheidung den Fraktionen überlassen müssen. Das kann nur interfraktionell geregelt werden. Man könnte vielleicht sagen: Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge, und es der Klärung in den interfraktionellen Besprechungen überlassen, ob auf die Zusammenstellung dieser Farben noch näher eingegangen werden soll. Wird nicht darauf eingegangen, dann bleibt im Grunde genommen zunächst keine andere Lösung übrig als die Trikolore, oder es müßte heißen: Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge in der und der Anordnung. Dann müßte eine Beschreibung der Flagge kommen. Dr. Grève: Nach unserer Auffassung würden wir zu sagen haben: Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge in horizontaler Gliederung. In der französischen Verfassung ist auch gesagt, daß der Bund die Trikolore in der Gliederung blau-weiß-rot führt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da würde ich mich an den Worten stoßen. Dr. Bergsträsser: Anordnung oder so etwas, kann man sagen. Ich möchte einem Argument des Vorsitzenden widersprechen. Sie sagen, zwischen Weimar und Bonn wird ein Unterschied sein. Denken Sie doch daran, daß in Frankreich die blau-weiß-rote Trikolore von den verschiedensten Regierungen benutzt worden ist, nur nicht von den Legitimisten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist durchaus zuzugeben. Andere Nationen kennen überhaupt keinen Flaggenstreit. Wir haben eine laufende Änderung der Flagge

gehabt.

Bergsträsser: Nur eine einmalige. Für uns ist die schwarz-weiß-rote Fahne legitimistische Fahne, die wir heraus haben wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wobei wir nicht sagen können, daß wir die Trikolore als die Flagge des alten Reiches gehabt haben. Insofern haben wir einen ständigen Wechsel gehabt. Wenn wir darauf zurückgehen, daß wir als Unterton an den schwarz-rot-goldenen Farben festhalten, so müssen wir doch sagen, daß die Zusammenstellung dieser Farben und die Form des Flaggenbildes immer gewechselt hat und wir sogar eine andere Flagge dazwischen gehabt haben. Aber sind wir soweit einverstanden, daß wir zunächst den Vorschlag machen: Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge. Mehr können wir nach den bisherigen Fraktionssitzungen nicht sagen. Das tragen wir dann an die Fraktionen Dr.

die

heran. Heile: Kann

man nicht einfach sagen: Die Farben des Bundes sind schwarz-rotWie wir die Farben zeigen, ist eine technische Frage. Dr. Heuss: Ich halte den Vorschlag Heile für richtig. Dann ist die Hagge nicht genannt, und die Symbolik kommt zum Ausdruck. Dr. Grève: In der Weimarer Verfassung heißt es: Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold, und dann ist von der Hagge die Rede10).

gold?

10) WRV, 470

Art. 3.

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Wir müßten sagen: Die Farben des Bundes sind Dann würden wir das als Vorschlag geben mit der Beifügung, daß über die Einzelheiten die Fraktionen sich aussprechen müssen. Dr. Grève: Ich kann mich nicht dazu verstehen. Das ist ein Minimum gegenüber dem, wenn wir sagen: Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge. Wenn wir das sagen, dann ist die Flagge schwarz-rot-gold festgelegt. Es ist etwas anderes, wenn ich sage „Die Farben sind schwarz-rot-gold", als wenn ich sage „Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge". Eine Flagge hat bei uns ein ganz bestimmtes Aussehen, und demzufolge gibt es keine Zweifelsfrage, wenn ich sage: Die Flagge ist schwarz-rot-gold. Dr. Heuss: Das Flaggenführen ist ein sehr akzidentelles Mit-in-Erscheinungtreten der Flagge. Es kann einer auf die Idee kommen, bei Kokarden, auf Briefumschlägen usw. Die Flagge kommt aus dem Krieg, die Standarte oder ich weiß nicht was, deckt aber das Problem als solches nicht, daß diese Farben für Symbolanwendung genommen sind. Ich halte den Vorschlag von Heile für richtig. Wir lassen das als Flagge weg. Heile: Wenn wir sagen „Die Farben sind schwarz-rot-gold", so bleibt uns die doppelte Möglichkeit. Ich würde es persönlich am liebsten sehen, wenn die schwarz-rot-goldene Flagge lediglich in Form der Trikolore gezeigt wird, auch zur See. Aber wenn die Seeleute mit ihrer These Erfolg haben würden, würde es möglich sein, daß wir im Lande die Flagge in der historischen Trikolorenform zeigen und auf See in anderer Anordnung. Dr. Grève: Es ist auf das Sprachliche hingewiesen worden. Was heißt das: Der Bund führt die Farben schwarz-rot-gold? Was heißt das: Die Farben des Landes sind schwarz-rot-gold? Der Bund hat Farben? Nein, der Bund führt eine Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

schwarz-rot-gold.

Flagge.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Er führt nicht nur eine Flagge, sondern er hat diese Farben auch in anderer Hinsicht als Symbol, z. B. in der Kokarde, im Wappen. Es ist schon richtiger, zu sagen: Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold, als die Flagge zu erwähnen. Die Farben sind der Oberbegriff. Dr. Eberhard: Ich bin auch für die Verwendung des Wortes Bundesfarben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Soll über den Antrag Grève abgestimmt werden? (Dr. Grève: Nein!) Dann müssen wir die Sache vor die Fraktionen bringen. Die Frage des Art. 27 ist damit vorläufig abgeschlossen.

[2. ARBEITSPROGRAMM DES AFG]

Nach kurzer

Aussprache über die weitere Prozedur beschließt der Ausschuß, die Lesung mit der Präambel und den Grundrechten zu beginnen und am Freitag vormittag und am kommenden Dienstag zu tagen11). zweite

) Im Kurzprot. hieß

Lesung

es

gewonnenen

hierzu: „Der Ausschuß ist sich darüber einig, für die bisher in erster Bestimmungen noch eine zweite Lesung vorzunehmen, bevor sich 471

Nr. 22

Siebzehnte

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3.

November 1948

[3. DISKUSSION UND BESCHLUSSFASSUNG ÜBER EINGABEN]

Hierauf befaßt sich der Ausschuß mit den vorliegenden Eingaben. Dr. Eberhard: Hier ist eine Eingabe von Dietrich, Arnegg bei Ulm, mit dem Vorschlag, das Recht auf Arbeit in die Grundrechte aufzunehmen12). Die Entscheidung ist ganz einfach: Weil wir keine Lebensordnungen in den Grundrechten beschreiben, entfällt das. Ich schlage also vor, zur Tagesordnung über-

zugehen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn das die Meinung des Ausschusses ist, dann könnten wir die Frage abschließen. Es ist so beschlossen. Dr. Eberhard: Eine Eingabe von Herrn Dr. Johannes Lubahn betreffend einen Entwurf „Boden- und Heimstätte"13). Es käme in Frage, da wir inhaltlich aus denselben Gründen nichts aufnehmen wollen, das dem Zuständigkeitsausschuß zu übersenden. Im Zuständigkeitskatalog steht das Siedlungswesen bereits. (Folgt teilweise Verlesung der Eingabe.) Das entspricht etwa dem früheren Bodenreformartikel. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Er hat noch einen kurzen Entwurf eingereicht, wo er die Aufnahme in die Grundrechte beantragt. Dr. Eberhard: Ich habe nichts mehr gesehen. Wenn wir nichts über die Lebensund wir sind entschlossen, es nicht zu tun —, dann ordnungen aufnehmen entfällt das meiner Auffassung nach. Dr. Heuss: Unter den Grundrechten paßt es ja überhaupt nicht. —

der Hauptausschuß damit befaßt. Wie Dr. Heuss (FDP) hierzu bemerkt, habe man damit auch von Anbeginn der Arbeit im Ausschuß gerechnet." 12) Eingabe Nr. 3 in: Z 5/107, Bl. 12. 13) Eingabe Nr. 23 in: Z 5/107, Bl. 44—52. Lubahn schlug unter anderem folgenden Artikel für die Verfassung vor: „Der Boden ist die Grundlage für Leben und Arbeit aller Menschen. Für Zwecke des Aufbaues und Verbesserung des Wohnwesens wird durch eine Grundrentenabgabe jede Steigerung des Nutzungswertes von Grundstücken eingezogen, die nicht auf eigener Leistung, sondern auf Änderung der sozialen Verhältnisse oder Leistungen der Gemeinschaft beruhen. Zur Gewinnung für öffentliche Interessenten, Neubautätigkeit und Nutzgärten ist die Enteignung zum gemeinen Wert durch die öffentliche Hand zulässig. Volksheimstätten Ein- und Zweifamilienhäuser mit Gärten sind mit Vorzug zu fördern." Am 27. Sept. 1948 antwortete v. Mangoldt (Z 5/107, Bl. 49), die Anregungen seien sehr nützlich. „Zur Zeit geht die Tendenz dahin, in dem Grundrechtsteil nur die klassischen Grundrechte aufzunehmen und alles, was die wirtschaftlichen und kulturellen Lebensordnungen betreffen würde, aus ihnen fortzulassen." Am 10. Okt. 1948 antwortete Lubahn nochmals: „Der Hauptgedanke zu dem Ihnen übersandten Vorschlag über Boden und Heimstätte, der von Herrn Prof. Dr. v. Nell-Breuning unterstützt wird, läßt sich am besten in aller Kürze zu dem Artikel 17 der in erster Lesung angenommenen Fassung der Grundrechtsartikel einfügen." (Ebenda, Bl. 52). Heile, der ebenfalls zu dem Empfängerkreis der Eingaben von Lubahn gehörte, antwortete unter dem 4. Okt. 1948 wie folgt: „Augenblicklich ist die Stimmung der großen Mehrheit so, daß wir alle Einzelheiten herauslassen und uns nur auf die echten Grundsätze beschränken. Es ist unmöglich in der kurzen Frist, die uns für unsere Arbeit gesetzt ist, solche bis ins einzelne greifende Arbeit in wirklich endgültiger Form leisten zu können und will deswegen diese Aufgabe der künftigen Nationalversammlung für das hoffentlich kommende Deutsche Reich vorbehalten." (Heile an Lubahn vom 4. Okt. 1948 in: NL Heile/131). —

472



Siebzehnte Sitzung 3. November 1948 Dr. Eberhard: Dann wäre mein

gehen. (Zustimmung.)

Antrag, hierüber auch

zur

Tagesordnung

Nr. 22

überzu-

Dr. Eberhard: Eine

Eingabe des Bayerischen Städteverbandes14), die in der Bitte gipfelt, Sachverständige der kommunalen Spitzenverbände rechtzeitig hier zu

hören. Soweit ich weiß, hat der Finanzausschuß das getan, und wir haben selber einen Artikel formuliert, der diesen Wünschen Rechnung trägt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können sagen, das ist bereits durch Art. 25 Abs. IV als erledigt zu betrachten: „Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zu gewährleisten." Dr. Eberhard: Dann eine Eingabe des Frauenringes, Hamburg15), mit der Bitte, drei Sätze in die Verfassung aufzunehmen. Sie betreffen den Verzicht auf Rüstung, das Verbot des Zwanges zum Heeresdienst und internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Die Eingabe können wir bezüglich des Verzichts auf Rüstung und der Bereitwilligkeit, sich in eine internationale oder europäische Staatengemeinschaft einzufügen, durch den Art. 31 als erledigt erklären. Es bleibt der Satz: „Kein Deutscher darf zur Waffenführung, Herstellung von Kriegsmaterial oder Heeresdienst gezwungen werden." Wir wollten die Frage in unserer Fraktion noch einmal erörtern. Ich glaube, die anderen Fraktionen werden auch nicht darum herumkommen, da eine große Zahl von Eingaben vorliegt. Dr. Heuss: Das ist auch durch eingehende Diskussion in der letzten Sitzung erledigt16). Wir haben gesagt, daß wir in die Verfassung selber nichts hineinnehmen wollen, teils wegen der allgemeinen Inopportunität. Dann geht es bei mir um eine grundsätzliche Gegnerschaft gegen eine solche Bestimmung. Wir haben gesagt, wenn so etwas wie die englische Formulierung möglich wäre, dann ist es zu machen, aber nicht eine verfassungsmäßige Festlegung. Zimmermann: Aus religiösen, aus Gewissensgründen. Dr. Heuss: Zinn hat gesagt, wenn wir das mit den religiösen Gründen hereinnehmen, dann haben wir auf einmal alle religiöse Skrupel, die wir vorher nicht

haben. Frau Dr. Weber: Er hat gesagt: Die Feiglinge. Dr. Eberhard: In England ist das völlig ausgeschlossen, da gibt es eine richterliche Nachprüfung. Aber diejenigen, die sich im vorigen Krieg darauf berufen haben, wurden zu einem viel gefährlicheren Luftschutzdienst einberufen, so daß die Feigheit auf diese Weise als Motiv ausgeschaltet wurde. Dr. Heuss: Ich habe auch in der Sitzung gesagt, die Potenz der Kriegsleistung ist für jemand, der mit einem Gewehr eine Brücke bewacht, viel geringer als bei einem Mann, der Panzerwagen oder Bomben macht. Wo ist das zu unterscheiden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir waren uns vor allem darüber einig, daß, wenn wir es in die Verfassung hineinnehmen, das zu außerordentlichen Schwierigkeiten

gehabt

14) Eingabe Nr. 42 in: Z 5/116, Bl. 21-22. 15) Eingabe Nr. 2 in: Z 5/107, Bl. 5-18. 16) Vgl Dok. Nr. 20, TOP 1, als bereits einmal ausgiebig über Eingaben weigerung und Ächtung des Krieges gesprochen wurde.

zur

Kriegsdienstver473

Siebzehnte

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3.

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führen kann. Man muß nicht alles, was man regeln will, unbedingt in die Veraufnehmen. Wir sagten uns, daß gerade die Erfahrungen in England gezeigt haben, daß es hier sehr sorgfältiger gesetzgeberischer Formulierungen bedarf, um nicht zu Ergebnissen zu kommen, die gerade den Feigling unterstützen und zu Verhältnissen führen, die ganz unhaltbar sind. Diese entsprechende ausführliche Formulierung kann man in einer Verfassung nicht machen. Deshalb waren wir uns einig, es besser dem Gesetz zu überlassen. Dr. Eberhard: Die gegebene Begründung „um damit einen Krieg zu verhüten", ist völlig abwegig. Ich würde einen Kriegsdienstverweigerungsartikel nur aus pädagogischen Gründen drinhaben wollen, so daß niemand sich darauf berufen kann: „Befehl ist Befehl." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben ja in Art. 31 die Kriegsächtung, indem wir sagen: „Handlungen, die mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig", im Herrenchiemseer Entwurf stand früher „unterliegen den Strafgesetzen"17). Ich glaube mit der Fassung „sind verfassungswidrig" wird mehr gesagt, als mit den Worten „sind unter Strafe zu stellen". Denn die ganzen Folgen, die die Verfassung mit der Verfassungswidrigkeit verbindet, sind dadurch aufgenommen. Frau Nadig: Könnten wir nicht noch einmal auf die Einfügung eines Artikels über die Kriegsdienstverweigerung zurückkommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen über die Erledigung der Eingaben entscheiden

fassung

Dr. Heuss: Es ist zur zweiten Lesung ein Antrag gestellt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müßten entscheiden, daß wir dem Ausschuß bei Art. 31 diese Eingabe als Material zu dem Antrag zur Erwägung geben. Frau Dr. Weber: Von Lammers, Bielefeld, liegt der Vorschlag einer Präambel vor18). Sie ist so, daß sie als Material gar nicht dienen kann. —



17) Art. 26 ChE. Vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 583:.werden unter Strafe gestellt." 1S) Eingabe Nr. 201 in: Z 5/108, Bl. 21-23. Franz Lammers („Schriftsteller") schlug für die Präambel unter anderem folgenden Wortlaut vor: „Mit Gott für Volk, Heimat und Vater-

land. Deutschland ist nur noch ein Scheinstaat und hat keine Eigenmacht und kein Eigenleben und nur schwache Aussicht, jemals wieder ein voll selbständiges Reich zu werden, da nach der Lehre der Weltgeschichte und Beispielen der Völkerschicksale ein machtlos gewordenes und seines Lebensraums und aller Waffen und Kampfmittel beraubtes Volk nicht wieder zu absoluter Selbständigkeit und absolut selbständigem Eigenleben kommen kann, da Freiheit und Selbständigkeit Völkern niemals geschenkt werden, sondern stets so oder so erobert und immer mit allen Kräften, heißem Herzen und bestem Herzblut verteidigt werden müssen. Sein oder Nichtsein Deutschlands und der deutschen Nation hängen also von Umständen und Verhältnissen ab, die nur mittelbar vom deutschen Volk beeinflußt werden können: vom Bestand der christlichen Weltanschauung des Völkerbundes, des Weltfriedens und dann von seiner wirtschaftlichen Erholung und Selbständigkeit, die Deutschland zuerst zu einem wertvollen Partner werden ließe, der in absehbarer Zeit als gleichberechtigtes und -verpflichtetes Mitglied in den europäischen Völkerbund aufgenommen werden würde und müßte. In Ansehung dieses gibt der parlamentarische Rat dem deutschen Volk, das stets auf Gott, sein einiges und festes Zusammenstehen und seine Tüchtigkeit, Arbeitsamkeit und seinen Fleiß vertraut und damit unter Einsatz aller Kräfte sein staatliches, wirtschaftliches und völkisch-tradi-

474

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3.

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(Folgt Verlesung eines Teils des Vorschlages.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist also erledigt. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe, daß wir gegen das Gesetz 64 protestieren sollen, weil es die geheiligten und unverletzlichen Rechte des Individuums verletze19). Es betrifft die unterschiedliche Behandlung des Kapitalbesitzes gegenüber dem

Sachbesitz. Das betrifft wohl das Gesetz des Kontrollrats. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde Material zu den Grundrechten sein, aber wir können zur Tagesordnung übergehen, weil es nicht formuliert ist.

(Zustimmung.)

Frau Dr. Weber: Eine Kritik von „Spectator" an unserem Paragraphen über die Wohnung20). Es wird gesagt, daß der Artikel über die Unverletzlichkeit der Wohnung eine Illusion wäre, und er will uns auseinandersetzen, daß wir das nicht gewußt hätten. Das ist also durch unseren Artikel erledigt. Hier ist wieder eine Eingabe von Lubahn21). Das sind die Dinge, die Sie gemeint haben. Er will, daß wir in Art. 17 noch etwas hinzufügen. Das können wir als Material zur zweiten Lesung nehmen. Persönlich stehe ich auf dem Standpunkt, daß wir es nicht aufnehmen können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es sind sehr viel Überlegungen, wie man das einbauen könnte. Praktisch ist es nicht durchführbar im Rahmen der Grundrechtsartikel. Dr. Heuss: Ich bin dagegen. Es ist ein Steuerprogramm. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen, im Rahmen der Grundrechtsartikel ist es

nicht durchführbar und leiten es vielleicht dem Finanzausschuß zu. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe des Staatsarchivdirektors Prof. Reincke, Hamburg22). Er ist dafür, daß die Handelsflagge weiß-rot aussehen soll. Da können wir zur Tagesordnung übergehen, wir wollten die Entscheidung darüber dem

Hauptausschuß übergeben.

Gewerkschaftsbund, Düsseldorf, will eine klare Formulierung der Koalitionsfreiheit23). Das andere gehört in die anderen Ausschüsse. Das ist Der Deutsche

durch Art. 12

19)

20) 21) 22) 23)

erledigt.

tionell-kulturelles Eigenleben inmitten seiner Nachbarstaaten wiederzugewinnen hofft, die nachstehende Verfassung." Gesetz Nr. 64 der US-Militärregierung: „Vorläufige Neuordnung der Steuergesetzgebung vom 20. Juni 1948. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Amerikanisches Kontrollgebiet, Ausgabe K, S. 10. Eingabe Nr. 202 in: Z 5/107, Bl. 25. Eingaben von Lubahn s. Anm. 13. Eingabe Nr. 203 in: Z 5/108, Bl. 29. Eingabe Nr. 156 des Deutschen Gewerkschaftsbundes, gez. BöcHer, vom 12. Okt. 1948 in: Z 5/107, Bl. 276: „Der Deutsche Gewerkschaftsbund tritt beim Parlamentarischen Rat für die Arbeitergrundrechte ein. Drei wesentliche Forderungen der Gewerkschaften an den Parlamentarischen Rat über eine zukünftige Bundesgesetzgebung sind: 1) Eine Hare Formulierung der Koalitionsfreiheit, b) Zuständigkeit des Bundes für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Bildung eines Bundesarbeitsgerichts als oberste Instanz, c) Finanz- und Steuergesetzgebung ausschließlich durch den Bund. Errichtung einer einheitlichen Finanzverwaltung. Unterschiedliche Steuerabzüge bei Löhnen und Gehältern und damit verschiedene Nettolöhne in denselben Industriezweigen sind nicht tragbar für die Arbeitnehmer." 475

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November 1948

Ricking ein Vorschlag zur Präambel24). (Folgt Verlesung.) Da die Eingabe sich nur an die Christen richtet, schlage ich vor, zur Tagesordnung überzugehen. Eine Eingabe mit einem Gesetzvorschlag zur Erhaltung des Friedens von Ege, Karlsruhe25). Es kommt da die Kriegsächtung usw. Wir haben ja keine Gesetzgebungsbefugnis, sondern machen nur eine Verfassung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich schlage vor, zu sagen, das ist durch Art. 29 behandelt und im übrigen wird das als Material zur Frage der KriegsdienstverweigeVon Dr.

rung verwendet. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe der Deutschen Friedensgesellschaft aus Bochum betreffend Kriegsdienstverweigerung26). Die Eingabe kann man auch als Material behandeln. Eine Eingabe von Wilke, Düsseldorf, es möchte in die Verfassung ein Artikel kommen, der ausschließt, daß man durch Parteizugehörigkeit Vor- und Nachteile habe27). Zimmermann: Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen. Dr. Heuss: Wir haben so etwas in Art. 19 Abs. 3 drin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Wenn man eine Bevorzugung darin sieht, daß, wenn man sich am politischen Leben beteiligt wir haben ja auch einige Arbeit —, zu Ämtern kommt, dann fängt die Sache an, prekär zu werden. Wir können eigentlich zur Kenntnis nehmen und zur Tagesordnung übergehen. Frau Dr. Weber: Der Historiker Axt weist darauf hin, daß wir uns „Westdeut—

sche

Republik"

nennen

sollten28).

Dr. Heuss: Übergang zur Tagesordnung. Frau Dr. Weber: Dann eine Eingabe, daß die Entnazifizierungsgesetze zu ungerecht sind29). Die Großen gingen frei aus, und die Kleinen würden gehängt30). Wir müssen zur Tagesordnung übergehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In den anderen Ausschüssen ist darüber gesprochen

worden, daß, solange die Entnazifizierung läuft, die Vorschriften darüber der

das Verfassung einträchtigt werden. —

muß in die

Übergangsbestimmungen

hinein

24) Eingabe Nr.

25) 26) 27) 28)



104 in: Z 5/107, Bl. 189. Die Eingabe von Dr. Johannes Ricking, Bezirksleiter der Kölnischen Lebensversicherung lautete: „Ich gebe der Sehnsucht von Millionen deutscher Menschen Ausdruck, wenn ich an Sie als den Vorsitzenden des Parlamentarischen Rates die Anregung herantrage, Ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß § 1 der neuen deutschen Verfassung etwa folgende Formulierung erhält: Das Deutsche Volk, in dem Begriffe das Haus seines volklichen und staatlichen Lebens neu zu bauen, bekennt sich zu Christus als dem unüberwindlichen Eckstein dieses Hauses." Eingabe Nr. 57 ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 76a in: Z 5/107, Bl. 155-156. Eingabe Nr. 102 in: Z 5/107, Bl. 186. Eingabe Nr. 107 in: Z 5/108, Bl. 202-203. Folgt gestrichen: „Er ist der einzige, der das

verlangt."

29) Eingabe Nr. 108 in: Z 5/107, Bl. 192. 30) Folgt gestrichen: „Das können wir nicht 476

von

nicht be-

in die

Verfassung

nehmen."

Siebzehnte Sitzung 3. November 1948

Nr. 22

Frau Dr. Weber: Dann wäre das durch die Übergangsbestimmung erledigt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen zum Beispiel auch wegen der Freizügigkeit noch etwas zu den Übergangsvorschriften liefern. Das könnten wir vielleicht

als Material zu den Beratungen über die Übergangsbestimmungen nehmen. Frau Dr. Weber: Der Oldenburgische Landesbund bittet den Parlamentarischen Rat, in der künftigen Verfassung eine Bestimmung aufzunehmen, wonach die Bevölkerung der Gebiete, die ihre Selbständigkeit verloren haben, das Selbstbestimmungsrecht darüber haben, welchem deutschen Land sie angehören wollen31). Sie scheinen nicht mehr Niedersachsen angehören zu wollen. Das ist durch Artikel 24 und 25 erledigt. Wunderlich: Im Ausschuß ist neulich das Gegenteil gesagt worden. Frau Dr. Weber: In einer Eingabe von Kahlert32) wird gebeten, den Kriegsversehrten mehr Rechte zu geben. Das können wir an einen anderen Ausschuß geben. Dr. Eberhard: Das steht im Kompetenzkatalog. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das können wir an den Zuständigkeitsausschuß weitergeben, da es in den Grundrechten mit berücksichtigt werden kann. Frau Dr. Weber: Ein Aufruf zur Flüchtlingshilfe vom Weltbund Freier Christen33). Für die Flüchtlingsfürsorge ist der Zuständigkeitsausschuß zuständig. Der Ausschuß beschließt die Überweisung der Eingabe an den Zuständigkeitsausschuß. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe an Dr. Adenauer, er soll sich dafür einsetzen, daß die Generalfeldmarschälle würdiger behandelt werden und nicht vor das Gericht kämen34). Dr. Bergsträsser: Da sind wir gar nicht zuständig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe verschiedene solche Sachen, die vom Präsidium kamen, dem Präsidium wieder zurückgegeben. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe über Name, Farben und Organe des Bundes. Es wird vorgeschlagen als Name „Reichsrepublik Deutschland" und die Flagge schwarz-rot- weiß-gold35). Zimmermann: Da kann man zur Tagesordnung übergehen. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe über die Vermißten in Rußland36). Da sind wir nicht zuständig, das ist aber sehr wichtig. Es wird darauf hingewiesen, daß in Rußland nicht nur viele Kriegsgefangene, sondern auch in der russisch-besetzten Zone viele Vermißte usw. sind. Es werde von Westdeutschland und den anderen deutschen Ländern nicht genug getan. Das ist ein grauenhaftes Kapitel. Ich bin der Meinung, es geschieht tatsächlich nicht genug. Die Eingabe muß an den Ausschuß für das Besatzungsstatut gehen.

Eingabe Nr. 118 in: Z 5/107, Bl. 199-201. Eingabe Nr. 125 in: Z 5/120, Bl. 118-119. Eingabe Nr. 128 in: Z 5/108, Gl. 122-123. Eingabe Nr. 66 von Oberst a. D. Lichtschlag in: Z 5/107, Bl. 133. Eingabe Nr. 101 von Herbert Butzke in: Z 5/107, Bl. 183. Danach gestrichen „Das durchsichtig". 36) Die Eingabe Nr. 106 von Dr. Evgerius, Bonn, ließ sich nicht ermitteln. 31) 32) 33) 34) 35)

ist

477

Nr. 22

Siebzehnte

Sitzung

3.

November 1948

Eine andere Eingabe, will einen Paragraphen über die Pflicht zur Arbeit aufnehmen37). Wir haben das Recht auf Arbeit abgelehnt, weil wir die Paragraphen über wirtschaftliche und soziale Gemeinschaften nicht aufnehmen38). Da können wir auch nicht einen Paragraphen über die Pflicht zur Arbeit aufnehmen.

den Fragen des Parlamentasollten erst dafür sorgen, daß Deutschland eine Demokratie würde. Darüber können wir zur Tagesordnung Eine

Eingabe,

rischen Rates

die so

beklagt, daß die Bevölkerung wenig Interesse habe39). Wir

an

übergehen.

Ein Notschrei ehemaliger deutscher Berufssoldaten und deren Hinterbliebene40). Dafür sind wir nicht zuständig. Dr. Heuss: Ich kenne mich in der Materie sehr gut aus. Ich habe einen Versuch gemacht, aber es ist noch nicht so weit, da ich angenommen hatte, das Besatzungsstatut werde mit den Besatzungsmächten verhandelt. Das ist nach meinen Auskünften nicht der Fall. Die Besatzungsmächte werden ihr Besatzungsstatut erst herausgeben, wenn wir unsere Arbeit gemacht haben. Ich war der Meinung, man solle erwarten, im Besatzungsstatut werde das Kontrollratsgesetz aufgehoben, das die Pensionen versagt. Der Weg wird wohl nicht gangbar sein. Das Kontrollratsgesetz 3441) ist dadurch gemildert, daß eine Fürsorge besteht. Man kann nicht die alten Pensionsgesetze in Kraft treten lassen, weil sie unter ganz anderen Voraussetzungen geschaffen sind. Es muß aber etwas gemacht

werden. Entweder muß das auf das Gebiet des Lastenausgleichs abgeschoben werden, oder es muß ein neues Gesetz gemacht werden. Frau Dr. Weber: Meiner Meinung nach muß der Bund statt der Länder zustän-

dig

sein. Zimmermann:

Vorläufig werden

die Leute nach dem

stungsgesetz behandelt42). Sie bekommen bis

Körperbeschädigten-LeiMark,

wenn sie arbeitssind. Frau Dr. Weber: Es ist ein geradezu entsetzlicher Zustand, es müßte etwas geschehen. Wir sind nicht zuständig. Es klingt nur schlecht, wenn wir sagen: „zur Kenntnis genommen." Dr. Eberhard: Wollen wir nicht etwas dem künftigen Bundestag überweisen? Die Materie muß geregelt werden.

etwa 160

unfähig

37) Eingabe Nr. 3 von Konrad Dietrich in: Z 5/107, Bl. 12. 3B) Verbessert aus „Wir haben das Recht auf Arbeit abgelehnt, weil wir die ganzen Gemein-

Lebensordnung

nicht aufnehmen." Frage der Resonanz der Arbeit des Pari. Rates in der Bevölkerung vgl. den Artikel von Erhard H. M. Lange: Viel Skepsis und wenig Interesse. Die Öffentliche Meinung und die Entstehung des Grundgesetzes, in: Das Parlament Nr. 15 vom 7. April 1989. 40) Eingabe Nr. 162 von v. Donat, Stuttgart, ließ sich nicht ermitteln. 41) Kontrollrats-Gesetz Nr. 34 vom 20. Aug. 1946 betraf die Auflösung der Wehrmacht und hob in Art. III die „rechtliche und wirtschaftliche Stellung und die Vorrechte der ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht" auf. Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats in Deutschland, S. 172. 42) Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte, in Bayern ausgefertigt am 26. März 1947. LRGS S. 163.

schaftsparagraphen,

39) Eingabe Nr.

478

die

131 in: Z 5/107, Bl. 212-214. Zur

Siebzehnte

Sitzung

3. November 1948

Zimmermann: Zur Kenntnis genommen. Das ist Sache des

tages. Vors. [Dr. ten

zu

v.

Mangoldt]:

Wir haben

erteilen.

zuständigen

ja beschlossen, jetzt keine

Nr. 22

Bundes-

weiteren Antwor-

Zimmermann: Mir ist eine Eingabe zur Kenntnis gekommen, da habe ich gesagt. Lassen Sie doch, der Parlamentarische Rat hat anderes zu tun. Da haben Sie (zum Vorsitzenden) so nett geantwortet, das ist geradezu ein Anreiz für die Leute zu schreiben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe an verschiedene Stellen geschrieben, daß wir nichts machen können, zum Beispiel Forschungsinstitut für Rußland. Frau Dr. Weber: Rückführung der Sudetendeutschen und Gründung einer Bundeskirche43). Wir können weder in der einen noch in der anderen Sache etwas machen. Ich schlage vor, zur Tagesordnung überzugehen. Eine Eingabe des Tierschutzvereins München44), wir sollen einen Artikel über Naturschutz und Tierschutz aufnehmen. Wir sollten das alte Nazitierschutzge-

setz45) übernehmen. Dr. Heuss: Das

erledigt.

Tierschutzgesetz

ist noch nicht

abgeschafft

worden. Das ist also

Frau Dr. Weber: Wir können auch nicht empfehlen, ein Gesetz in die Verfassung zu übernehmen. Da können wir zur Tagesordnung übergehen. In einer Eingabe wird der Name „Deutscher Bund" für den zukünftigen Staat vorgeschlagen46). Diesen Vorschlag kann man auch nur zur Kenntnis nehmen. Eine Bitte um Pension für ehemalige Wehrmachtsbeamte47). Das ist dem künfti-

gen Bundestag zu überweisen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe des Norddeutschen Tierschutzverbandes Hamburg48) und des Bayerischen Tierschutzbundes München49) wünscht wegen Naturschutz und Tierschutz. Dieselbe Eingabe wie beim Deutschen Gewerkschaftsbund Düsseldorf von einem andern Gewerkschaftsbund über Koalitionsfreiheit50). Das ist durch Art. 12 erledigt. Es wird weiterhin der Name „Bund Deutscher Länder"51) vorgeschlagen. Ferner wird die Festlegung des Heimatrechtes in der Verfassung erwartet. Es hätte ein jeder sein Recht auch auf seine Heimat. Mayr: Das ist in den Länderverfassungen enthalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dieses Recht auf Heimat ist außenpolitisch gedacht. Dr. Eberhard: Das ist in der Präambel zu berücksichtigen, wenn man es in einer schönen Form machen kann.

43) 44) 45) 46) 47) 48) 49) 50) 51)

Es handelt sich um eine Eingabe von Krause, Ebergötzen, (Nr. 6) in: Z 5/107, Bl. 15-22. Eingabe Nr. 142 in: Z 5/107, Bl. 236. Tierschutzgesetz vom 24. Nov. 1933 (RGBl. I, S. 987). Eingabe Nr. 150 von Martens, Bonn, in: Z 5/107, Bl. 254. Eingabe Nr. 163 von Ehrhardt, Münster, ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 134 in: Z 5/107, Bl. 222-223. Eingabe Nr. 135 in: Z 5/107, Bl. 226. Vgl. Anm. 23. Eingabe Nr. 152 von Hölscher, Hangelar, in: Z 5/107, Bl. 259-261.

479

Nr. 22

Siebzehnte Sitzung 3. November 1948

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen es als Material nehmen. Frau Dr. Weber: Der Flüchtlingsausschuß des Zonenbeirats in Hamburg hat in seiner Sitzung vom 12. Oktober beschlossen52), den Parlamentarischen Rat zu bitten, das Grundrecht der Freizügigkeit in die Verfassung aufzunehmen, auch die baldige Eingliederung der Hüchtlinge in das Erwerbs- und Wirtschaftsleben sei notwendig53). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben das im Art. 5, soweit es geht, schon berück-

sichtigt.

Frau Dr. Weber: Eine Eingabe von „Nibelungen"54). Es wird eine zentralregierte Republik gefordert. Berlin soll Hauptstadt sein, schwarz-weiß-rot die Fahne. Eine der vielen Eingaben wegen Kriegsdienstverweigerung aus Mönchen-Glad-

bach von den Internationalen Kriegsdienstgegnern55). Das können wir als Material weitergeben. Eine Eingabe betreffend Miete für Möbel einer zugewiesenen Wohnung56). Dafür sind wir auch nicht zuständig.

(Zuruf: Besatzungskosten!)

Also der Ausschuß für das Besatzungsstatut ist zuständig. Eine Eingabe betreffend Pension für ehemalige Offiziere57). Sie ist wie die bisherigen Eingaben zu behandeln. In einer Eingabe wird das Recht zur Einsicht in die Personalakten gewünscht56). Das ist durch ein Beamtengesetz zu klären. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Recht zur Einsicht in die Personalakten war in der Weimarer Verfassung ausdrücklich drin59). Es ist erstaunlich, daß man solche Dinge, die nicht in das Grundgesetz gehören, hineingenommen hat. Da müssen wir zur Tagesordnung übergehen. Das ist Sache des Bundesbeamtengesetzes. Die geltenden Vorschriften enthalten im übrigen schon ein solches Recht. Eine verfassungsrechtliche Sicherung dafür kommt nicht in Frage. Das Gesetz ist nicht aufgehoben. In dem Nazibeamtengesetz60) steht es ausdrücklich drin. Zimmermann: Einsicht hat nur der Kreisleiter und Gauleiter bekommen. Frau Dr. Weber: Eine der vielen Eingaben über die Pension der Berufssolda-

ten61). 52) Eingabe Nr. 154 in: Z 5/107, Bl. 270-272. 53) Folgt gestrichen: „Das ist doch nur auf dem Wege der Gesetzgebung

zu machen, das ist Sache des Bundes." 54) Eingabe Nr. 127 in: Z 5/107, Bl. 205. In der anonymen Zuschrift in Form einer Postkarte hieß es: „Wir fordern eine freie deutsche zentralistische Republik. Berlin sei unsere Hauptstadt, schwarz-weiß-rot unsere Fahne. Wir fordern Abzug der Besatzungen und euren Rücktritt. Was ihr treibt ist Landesverrat, Verrat an unserer deutschen Heimat [. ..] Fürchtet die Rache eurer so schnöde von Euch für fremdes Gold verkauften Brüder.

Die

55) 56) 57) 5B) 59) 60) 61) 480

Nibelungen."

Eingabe Nr. 158 in: Z 5/107, Bl. 288-289. Die Eingabe Nr. 164 von Gellentin, Berlin, ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 163 (Anm. 47) ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 83 von Schmidt-Herweg, Braunschweig, in: Z 5/107, Bl.

Art. 129 WRV.

Deutsches Beamtengesetz vom 26. Jan. 1939 (RGBl. I, S. 39). Nr. 162 von v. Donat, Stuttgart, ließ sich nicht ermitteln.

Eingabe

160.

Siebzehnte

Sitzung

3.

November 1948

Nr. 22

Eingabe wünscht, daß wir nicht nur über Menschenrechte sprechen, sondern daß auch die Pflichten betont werden62). Sie kann Material zur zweiten Lesung sein. Eine andere Eingabe wünscht ein Weltparlament; sie kommt von der WeltstaatLiga München63). Wir haben einen entsprechenden Artikel über die Übertragung der Hoheitsrechte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Durch Art. 29 erledigt. Frau Dr. Weber: Die KPD-Fraktion hat eine ausführliche Eingabe über die Einfügung sozialer Grundrechte usw. gemacht64). Das kann als Material für die zweite Lesung über die ganze Verfassung verwendet werden. Zimmermann: Ironisch65); Wir können das nicht weiter behandeln, weil es zu einer Spaltung Deutschlands beitragen würde. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können das bei den einzelnen Artikeln als Material zur Behandlung der Grundrechte verwenden. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe des Gewerkschaftsrates der Vereinigten Zonen66), wir sollen uns für ein Bundesarbeitsgericht einsetzen. Dr. Eberhard: Das muß man dem Ausschuß für Rechtspflege übergeben. Frau Dr. Weber: Der wird es wahrscheinlich auch haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da muß noch etwas anderes drin sein: daß die Rechte der Arbeitnehmer einheitlich durch das Grundgesetz bestimmt werden sollen. Das ist durch unsere Fassung erfüllt. Das Recht auf Arbeit haben wir hier einzufügen abgelehnt. Die Punkte, die uns angehen, sind von uns beachtet. Frau Dr. Weber: Diese Eingabe bringt lediglich einen Appell zum Frieden. Das kann man zur Kenntnis nehmen. Eine Eingabe von Beyer zur Klärung der Rechtsbelange ehemaliger aktiver Wehrmachtsbeamter67). Das ist im selben Sinne zu beurteilen. Die Demokratische Volkspartei Württemberg-Baden macht den Vorschlag, Württemberg, Baden und die Pfalz zu vereinigen68). Das ist durch unseren Artikel erledigt. Eine

62) 63) 64) 65) 66)

Eingabe Eingabe Eingabe

Nr. 141 in: Z 5/107, Bl. 119-123. Nr. 60 in: Z 5/107, Bl. 110-112. Nr. 98 in: Z 5/203, Bl. 270-275. Als Dok. Nr. 12 hier

„Ironisch" handschr. eingefügt.

abgedruckt.

Das Schreiben des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen vom 8. Sept. 1948, gez. Fritz Tarnow, Eingabe Nr. 61 in: Z 5/107, Bl. 117 lautete: „Im Auftrag der Gewerkschaften der drei Westzonen erlaube ich mir die nachstehende Stellungnahme des Verfassungs-Ausschusses der Gewerkschaften mit der Bitte zu übersenden, sie bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates berücksichtigen zu wollen. ,Die Gewerkschaften vertreten den Standpunkt, daß die Grundrechte der Staatsbürger einheitlich durch das zentrale Grundgesetz bestimmt werden sollen. Im Grundgesetz müssen auch die Grundsätze für die Wirtschafts- und Sozialverfassung niedergelegt werden. Die Gewerkschaften werden zu einzelnen Abschnitten des Grundgesetzes noch spezialisierte Vorschläge machen. Sie weisen aber schon jetzt darauf hin, daß dazu auch die Forderung gehören wird, neben einem Bundesgericht und einem Bundesverwaltungsgericht auch ein selbständiges Bundesarbeitsgericht zu schaffen, das als oberste Instanz auch für die Entscheidungen über Streitigkeiten aus der Sozialversicherung zuständig sein soll.'" 67) Eingabe Nr. 75 von Beyer, Meckenheim, ließ sich nicht ermitteln. 68) Eingaben Nr. 73 in: Z 5/107, Bl. 146. Sie wurde auch als Drucks. Nr. 123 vervielf.

481

Nr. 22

Siebzehnte

Sitzung

3. November 1948

Wunderlich: Nicht ganz; denn gerade von dieser Seite her wird gefordert, daß wir in den Art. 24 noch das Initiativrecht hereinbringen Frau Dr. Weber: Die am 12. September versammelten Vertreter haben festgestellt, daß in beiden Landesteilen der Wunsch besteht, Württemberg-Baden und die Pfalz zu einem südwestdeutschen Staatsgebilde zusammenzuschließen. Sie richten insbesondere an den Parlamentarischen Rat die Aufforderung, die hierzu notwendigen Schritte einzuleiten. Das können wir natürlich nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Für diesen Antrag sind wir nicht zuständig. Dr. Eberhard: Dem künftigen Bundestag überwiesen. Dr. Heuss: Das ist noch im Hauptausschuß zu behandeln. Das Problem ist, daß die Militärregierung selber noch einmal bei den Ministerpräsidenten einen Anstoß geben will, die Sache nicht liegen zu lassen. Die Ministerpräsidenten bekommen also jetzt ihre dritte Ohrfeige. Wohleb dachte, es sei erledigt69). Das ist aber nicht der Fall. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe legt polizeiliche Gedanken zu den Grundrechten dar und spricht sich über verschiedene Artikel aus, die wir gebracht haben, wo —

die

polizeirechtliche Tätigkeit stärker

zum



Ausdruck kommen soll70).

Dr. Eberhard: Das ist durch Art. 3 erledigt. Frau Dr. Weber: Das würde ich als Material für die zweite Lesung empfehlen. Eine Eingabe über die Beschlagnahme von Privateigentum durch die Besatzungsmacht71). Ich schlage vor, sie dem Ausschuß für das Besatzungsstatut zu

übergeben.

Rechtsanwalt Dr. Grüttner wünscht eine andere Ausführung zu Art. 372). Das kann auch als Material bei der zweiten Lesung verwendet werden. Die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in Frankfurt hat Wünsche zu verschiedenen Fragen der Verfassung73). Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Grundrechtsfragen sind von uns bereits erledigt. Frau Dr. Weber: „Das Ziel der Verfassung muß die Sicherung des Rechtsstaates sein". Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Generalklausel haben wir drin. Die andern Fragen sind materiell schon behandelt. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe von einem gewissen Hies74) aus Württemberg. Die Deutsche Geographentagung stellt sich zur Verfügung, wenn die Landesgrenzen näher bestimmt werden sollen75).

69) Vgl.

70) 71) 72) 73)

E. Konstanzer: Die Entstehung des Landes Baden-Württemberg, S. 99 ff.; Heuss bezeichnete es auf einer Wahlversammlung der DVP in Freiburg wenige Tage später „als einen der blamabelsten Vorgänge der deutschen Geschichte", daß die Ministerpräsidenten ihren Auftrag in den Papierkorb geworfen hätten und er beschuldigte Wohleb, die Arbeit des Ländergrenzausschusses sabotiert zu haben (Der Württemberger vom 9. Nov. 1948, Ausschnitt in Z 5/181 F). Eingabe Nr. 157 von Josef Hütten in: Z 5/107, Bl. 279-283. Eingabe Nr. 204 von Müller, Karlsruhe, ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 205 ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 144 in: Z 5/107, Bl. 244-246 und zugleich Eingabe Nr. 206 in: Z 5/108, Bl. 32-34.

207 von Flies, Nürtingen, betr. die nicht ermitteln. 75I Eingabe Nr. 208 in: Z 5/108, Bl. 38-39.

74) Eingabe Nr.

482

Versorgung der Berufssoldaten ließ sich

Siebzehnte Sitzung Vors. [Dr. v. die

genheit, geln.

Mangoldt]: uns

nichts

3.

November 1948

Nr. 22

Da habe ich schon geschrieben, das sei eine Angelewir hätten nur das Verfahren zu re-

anginge, sondern

Frau Dr. Weber: Der Kreistag Wittlich im Bezirk Trier hat eine Entschließung gefaßt, daß für Trier nur ein Zusammenschluß mit Nordrhein-Westfalen in Betracht kommt76). Das ist der späteren Regelung zu überlassen. Eine Eingabe wünscht die erleichterte Beschaffung von Grund und Boden77). Das kann auch nur einer späteren Gesetzgebung überlassen werden. Die folgende Eingabe aus Düsseldorf wünscht den Namen „Staatenbund Deutschland"78). Das können wir zur Kenntnis nehmen. Von dem Volksmissionar aus Bonn, einem Flüchtling aus Ostpreußen, eine Eingabe über einen Appell an den Frieden79). Da können wir zur Tagesordnung

übergehen. Eine Eingabe

der Internationale der Kriegsdienstgegner aus Herzogenrath über Straffreiheit für Kriegsdienstverweigerung80). Material für die 2. Lesung. Eine Eingabe aus Bremen auch über Kriegsdienstverweigerung81). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Als Material für die zweite Lesung zu verwenden. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe von Dietrich aus Fritzlar, den neuen Staat einfach „Deutschland" zu nennen82). Ein Vorschlag aus Stade, man möge die Farben Helgolands grün-weiß-rot als Farben des neuen Deutschlands nehmen83). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da können wir zur Tagesordnung übergehen. Frau Dr. Weber: Eine Eingabe von der Internationale der Kriegsdienstgegner aus Hamburg über Kriegsdienstverweigerung84). Die folgende Eingabe aus Stuttgart will, daß wir beim Grundgesetz von dem Gedanken ausgehen: Sittenge-

setz-Strafgesetz85). Eine Eingabe betreffend

die Bundesfarben86). Hier wird auch bracht, daß ein Volksentscheid darüber stattfinden soll.

zum

Ausdruck ge-

Eine Eingabe aus Darmstadt wünscht ein überparteiliches Organ neben den beiden Kammern87). Sie gehört in den Organisationsausschuß.

76) Eingabe Nr.

77) 7B) 79) 80) 81) 82) 83) S4) 85) 86) 87)

32 in: Z 5/107, Bl. 73. Der Beschluß vom 26. Aug. 1948 lautote: „Der Kreistag hält sich für verpflichtet, zur Frage der neuen Länderabgrenzung zu eridären, daß für den Kreis Wittlich als Teil des Regierungsbezirks Trier nur ein Zusammenschluß mit Nordrhein-Westfalen in Betracht kommt." Eingabe Nr. 11 von Braun, Stolberg, in: Z 5/107, Bl. 35. Eingabe Nr. 18 von Wendler, Düsseldorf, in: Z 5/107, Bl. 39. Eingabe Nr. 20 von Schmid, Bonn, in: Z 5/107, Bl. 43-47. Eingabe Nr. 34 in: Z 5/107, Bl. 76. Eingabe Nr. 49 in: Z 5/107, Bl. 87. Eingabe Nr. 51 in: Z 5/107, Bl. 91. Eingabe Nr. 52 von Voje, Stade, in: Z 5/107, Bl. 95. Eingabe Nr. 54 in: Z 5/107, Bl. 102. Eingabe Nr. 53 von Schmid, Stuttgart, in: Z 5/107, Bl. 98. Eingabe Nr. 30 von Hadank, Ingolstadt, in: Z 5/107, Bl. 66. Eingabe Nr. 209 von Zander, Darmstadt, in: Z 5/116, Bl. 152-153.

483

Nr. 22

Siebzehnte

Sitzung

3.

November 1948

Das Recht auf Gesundheit soll in den Grundrechten enthalten sein88). Dr. Eberhard: Die Eingabe enthält etwas, was den Zuständigkeitsausschuß

geht.

Frau Dr. Weber: Der hat

gesundheitsamt. Die folgende Eingabe

es

sicher auch bekommen. Sie

verlangen

an-

ein Reichs-

wünscht das Recht auf Arbeit89).

Dr. Eberhard: Da bleibt noch die Eingabe des Admirals künftigen Bundestag zu überweisen.

Hansen90). Das ist dem

Ich würde anregen, bei der nächsten Pressebesprechung mitzuteilen, wieviel Eingaben aus der Bevölkerung eingegangen sind. Dr. Heuss: Tun Sie das bloß nicht. Dann wird das mitgeteilt und alle Leute sehen ein, daß sie bis jetzt etwas versäumt haben. Zimmermann : Man kann sagen, es sei nicht richtig, daß die Bevölkerung so wenig Anteil nimmt. Die Eingaben bestätigten, daß das Echo des Parlamentarischen Rates sehr stark sei. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das haben wir der Presse schon gesagt. Frau Dr. Weber: Es sind noch die Vorschläge von Redslob eingegangen91). Mayr: Ich rege an, alle diese Entwürfe auszuhängen92).

88) Eingabe Nr.

8 vom

gesundheitspolitischen Arbeitskreis, Frankfurt/Main, in: Z 5/107, Bl.

27-29.

B9) 90) 91) 92)

484

Nr. 3 von K. Dietrich, Arnegg bei Ulm, in: Z 5/107, Bl. 12. Nr. 210 betr. die Versorgung von Berufssoldaten ließ sich nicht ermitteln. Zu Redslob s. Dok. Nr. 20, Anm. 7. Nach dem Kurzprot. sollte dieser Vorschlag wie auch ein weiterer eingegangener Flaggenentwurf von Richard Singer (München), Eingabe Nr. 178 (Z 5/99, Bl. 38-39), im Gebäude des Pari. Rates ausgehängt werden.

Eingabe Eingabe

Achtzehnte

Achtzehnte

Sitzung

Sitzung

Nr. 23 des Ausschusses für 5. November 1948

5.

November 1948

Nr. 23

Grundsatzfragen

Z 5/32, Bl. 2—19, Stenogr. Wortprot. vom 6. November 1948, Kurzprot: Z 12/45, Bl. 62-63. Drucks. Nr. 262

von

Herrgesell

gez.

Anwesend1):

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Pfeiffer, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Nadig, Rosshaupter, Stock, Wunderlich FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Kaufmann (CDU), Lensing (CDU), Reif (FDP)

Stenografischer

Dienst: Dauer: 9.20-10.06 Uhr

Herrgesell

[1. BUNDESFARBEN, FLAGGENFRAGE (ART. 27)] Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

Ich eröffne die

heutige Sitzung

und bitte

um

Ihr Ein-

verständnis, die Flaggenfrage als ersten Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, nachdem jetzt ein Beschluß der CDU-Fraktion vorliegt. Herr Dr. Pfeiffer wollte dazu das Wort

ergreifen.

Dr. Pfeiffer: Unsere Fraktion hat die Frage sehr eingehend durchgesprochen2). Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, in Zusammenhang mit unserer Arbeit eine rasche Lösung dieser Frage zu suchen, kein Zwischenstadium eintreten zu lassen und möglichst eine Form zu finden, welche die Tradition der demokratischen Entwicklung und der demokratischen Ideale in Deutschland hochhält und etwas schafft, was nicht mit Gegensätzlichkeiten aus der Vergangenheit belastet ist. Unsere Fraktion ist dazu gekommen, die folgende Beschreibung der Flagge des Bundes zu geben. Die Flagge des Bundes zeigt auf rotem Grund ein schwarzes liegendes Kreuz und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz. Ich

darf Ihnen diesen Entwurf

zeigen und diese Exemplare hier

zur

Verteilung

bringen lassen. (Erfolgt Vorlage.)3) Dr.

Bergsträsser: Unsere Fraktion hat die Dinge auch genau durchgesprochen zu dem Ergebnis gekommen, das, was man Trikolore nennt, als die ein-

und ist

4) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Dies war noch am 3. Nov. 1948 geschehen. Dabei resümierte Adenauer die Diskussion mit den Worten. „Wenn wir die SPD zu einem Kreuz in der Fahne bekommen, so haben

3)

wir viel erreicht." Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 121. Der Entwurf der CDU/CSU zur Hagge war in den Unterlagen des Part. Rates nicht zu ermitteln. Eine Zeichnung befand sich im Besitz von Frau Wirmer/Bonn. Vgl. den Ausstellungskatalog: Der Parlamentarische Rat. Eine Ausstellung des Bundesarchivs. Koblenz 1988, S. 33. Nach dem Kurzprot. begann die Sitzung mit der Vorlage eines Formulierungsvorschlages zu Art. 27 durch Dr. Pfeiffer für seine Fraktion (CDU/CSU): „Die Hagge des Bundes zeigt auf rotem Grund ein schwarzes liegendes Kreuz und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz." 485

Nr. 23

Achtzehnte

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5.

November 1948

zig gegebene Lösung anzusehen, wobei die Frage offen ist, ob die Trikolore

quer oder längs angeordnet werden soll. Dr. Heuss: Ich habe neulich schon die Erklärung abgegeben, daß ich gegen Kunstgewerbe bin4). Ich halte es für ein kunstgewerbliches Unternehmen, dessen tieferen Sinn ich nicht einsehe. Denn die Symbolgewalt des Kreuzes als solche kommt hier nicht zum Ausdruck, sondern es ist nur eine geometrischgraphische Angelegenheit geworden. Ich sehe erstens nicht ein, daß sie irgendwie in dekorativem Sinn stärker wirkt; es wird ihr nach meinem Gefühl die ei-

gentliche Symbolkraft

schon von Tradition redet genommen. jetzt geläufige Kadenz mehr. Heißt es rot-schwarz-gold oder heißt es gold-schwarz-rot? Das ist an sich gar nicht gewahrt, sondern es ist ein Ausweichen und ein Tun, als ob man die Grundfarben hat. Wir hatten beschlossen zu sagen, die Farben sind schwarz-rot-gold. Hier ist mir eine Verkünstelung, ein Ausweichen vorhanden. Wenn Sie sagen, es ist ein Kreuz, wie es vom Deutschen Orden in die preußische Situation hineingeht, so ist dem auch ausgewichen. Mayr: Die Trikolore Schwarz-Rot-Gold ist doch als Revolutionsfahne in Anlehnung an die französische Trikolore entstanden. Das Kreuz hingegen haben wir in fast allen Haggen der nordischen Staaten. Das Kreuz haben wir auch in alten Königsfahnen. Das Kreuz ist also keine Geometrie. Oder wie pflegten Sie sich auszudrücken? Dr. Heuss: Graphisches Kunstgewerbe! Das ist ja kein Kreuz. Das ist eine geometrische Untersuchung mit dem goldenen Schnitt. verzeihen Sie Mayr: Ich sehe es als ein liegendes Kreuz, als ein Symbol, das mir! mehr ist als eine Trikolore. Die Farbenzusammenstellung der Trikolore verzeihen Sie den Ausdruck; Sie pflegen es auch etwas derb auszudrükist ken etwas langweilig. Sie bedeutet uns nichts, noch dazu, wenn wir wissen, daß es nur eine Nachahmung der französischen Fahne ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die vorliegende Form muß nicht ohne weiteres von uns angenommen werden. Das Kreuz ist hier mehr nach der Achse, nach dem Haggenstock zu verschoben. Man kann das Kreuz auch in die Mitte legen. Diese Frage wäre zu erörtern. Dr. Bergsträsser: Wenn Sie sagen, daß die Trikolore an die französische Revolution erinnere, so scheint mir das doch etwas künstlich zu sein. Ich glaube nicht, daß irgendein Mensch je auf den Gedanken gekommen ist, die schwarzweiß-rote Trikolore, die auch eine Trikolore war, mit der französischen Revolution auch nur im entferntesten in Verbindung zu bringen. Ich nehme an, daß weiland Herr Bismarck Tobsuchtsanfälle bekommen hätte die ihm nicht ganz fernlagen —, wenn jemand das je gesagt hätte. Das ist also ein Argument, das mir völlig unmöglich erscheint. Frau Dr. Weber: Wenn Herr Dr. Heuss sagt, daß das nur Kunstgewerbe sei, so bin ich der Auffassung, man kann die Zusammenstellung abändern. Man kann das Kreuz anders legen und gestalten. Man kann vielleicht auch die Farben anEs ist

wenn man

auch gar keine —













4) Siehe Dok. 486

Nr. 23, TOP 1.

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Nr. 23

ders abtönen. Wenn wir nur mit dem Grundmotiv einverstanden sind, wenn wir uns auf die Farben schwarz-rot-gold und auf das Grundmotiv „Kreuz" einigen, und zwar so, daß es nicht nur geometrisch, sondern auch anders wirken soll. Dr. Heuss: Hier habt ihr einfach nicht die Kadenz der Farben. Frau Dr. Weber: Das kann man umgestalten. Dr. Heuss: Wenn schon, dann müßte das Kreuz schwarz, die Leiste gold und das andere rot sein. Diese Geschichte mit gold-schwarz-rot oder rot-schwarzgold bringt einen Bruch in das gewohnte Denken. Das nenne ich Kunstgewerbe. Kunstgewerbe ist nichts Schlimmes. Stock: Hier zeigt sich wieder einmal die deutsche Eigenart, unbedingt etwas Neues zu schaffen, wenn es auch verkrampft ist. Nun haben wir die schwarzrot-goldene Flagge. Ich glaube, daß auch das ein Symbol für Deutschland ist. Sie ist auch gut eingeführt gewesen. Man sollte jetzt nicht wieder anfangen, so wie es in der Weimarer Republik war, neun Monate über die Hagge zu disku-

tieren,

(Frau Dr. Weber: Das wollen wir auch nicht!) ob diese oder jene Flagge genommen wird. Man sollte vielmehr die alte Flagge, die durch das Nazi-Reich zerstört und abgeschafft worden ist, wieder nehmen. Da brauchen wir wirklich keine langen Debatten zu führen. Dr. Bergsträsser: Wenn wir diese Flagge hier nehmen würden, auch in der Anich ordnung, daß etwa das Kreuz in die Mitte gerückt würde, dürften wir will das nur einmal äußerlich sagen, in unsere Verfassung nur hineinsetzen: schwarz, rot, gold; aber nicht: schwarz-rot-gold. Denn das ist nicht da, wie Herr Dr. Heuss gesagt hat. Es ist gar kein Zusammenhang da. Das sind drei Farben, die Sie in einen Topf werfen und von denen Sie die erste, die zweite und die dritte herausziehen. Aber es ist nicht schwarz-rot-gold. Sie könnten ebenso gut sagen, es ist rot-schwarz-gold. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zu den Ausführungen von Herrn Stock darf ich bemerken, daß die Dinge nicht ganz so einfach liegen, wie er sie darstellt. Wir haben eine Fülle von Zuschriften bekommen5) und wissen auch aus weiten Teilen des Volkes, daß gewisse Bedenken gegenüber den Weimarer Farben bestehen. Wenn diese Bedenken einmal in weiten Kreisen vorhanden sind, kann man darüber nicht einfach hinweggehen. Es ist gerade das Wesen der Vertretung eines Volkes, daß die Auffassungen einer starken Minderheit in etwa eine Berücksichtigung finden und daß über sie diskutiert wird. Das kann man nicht einfach damit abtun, daß man sie verleugnet. Von diesem Grundsatz aus kann man nicht sagen, daß es völlig überflüssig ist, uns darüber zu unterhalten. Stock: Ich habe gesagt, keine neun Monate. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kam etwas anders zum Ausdruck. Lensing: Gerade die Tatsache, daß in Weimar über die Flagge Schwarz-RotGold neun Monate diskutiert worden ist, ist ein Beweis dafür, daß leider diese Farben Gegenstand des Streites gewesen sind. Wir fürchten, daß, wenn wir —

5) Zuschriften zur Flaggenfrage liegen in nicht weniger als acht Bänden vor: Z

5/99—106.

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heute die alte Trikolore wieder hissen, der Streit von neuem aufbrechen wird. Wir hoffen, mit einer derartigen Lösung zu einer einstimmigen Billigung und Annahme durch das Volk zu kommen. Weite Kreise sind gegen die Trikolore6); ob mit Recht oder mit Unrecht spielt gar keine Rolle. Wir hoffen und wir Anzeichen daß dieser der mit haben dafür gewisse konkrete —, Lösung Flaggenstreit endlich einmal begraben und den Farben Schwarz-Rot-Gold endlich einmal Anerkennung verschafft wird. Dr. Bergsträsser: Die Situation in Weimar war doch ganz anders. Man hat davon gesprochen, daß die ganze Weimarer Republik eine Republik ohne Republikaner gewesen sei7). Wenigstens war die Weimarer Republik eine Republik, in der die monarchischen Gefühle und die gloriosen Reminiscenzen so will ich es einmal nennen noch absolut stark gewesen sind. Wir haben jetzt eine sehr starke Zäsur. Ich glaube, daß kaum mehr in irgendwelchen Kreisen des deutschen Volkes eine Rückkehr zur Monarchie erwogen wird. Das geben Sie mir wohl alle zu. Dieses Sentiment fällt also vollkommen weg. Dadurch scheint mir eine ganz andere Situation auch für die Fahne gegeben zu sein. Wir sind jetzt so weit, daß wir über dieses monarchische Gefühl, über dieses Sentiment oder Ressentiment oder wie Sie es nennen wollen hinausgekommen sind. Ich betrachte das als ein Glück, weil es einen Streitpunkt in der Bevölkerung ausgeräumt hat. So etwas bedarf einer gewissen Zeit. Wir haben dasselbe in Frankreich erlebt. Es hat noch länger gedauert als bei uns, eigentlich bis zum Jahre 18738). In Frankreich ist es auch gerade so gewesen, daß die Trikolore sich als die Fahne der Neugestaltung gegenüber der alten Monarchie durchgesetzt hat. Die Fahne der alten Monarchie war unter den Bourbonen bis 1830 die Fahne der weißen Farbe und nachher noch einmal 1873, als Graf von Chambord9) sagte, er würde nicht auf die Trikolore eingehen. Da liegt die Situation wesentlich anders. Ich sehe nicht die starken Widerstände gegen diese im weitesten Sinne des Fahne. Nach dem, was wir von unseren Anhängern Wortes gemeint wissen, sind sie allgemein für die schwarz-rot-goldene Fahne, wobei uns gleichgültig ist, ob die Farben senkrecht oder waagerecht angeordnet werden. Wenn man da eine gewisse Zäsur machen will, haben wir dagegen durchaus nichts einzuwenden. —













6) Vgl. Dok. Nr. 22, Anm. 5. 7) Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München 1962.

8) Vgl. Heinz-Otto Sieburg: Geschichte Frankreichs. Stuttgart [. .], 2. A. 1977, S. 344 ff. 9) Henri Charles Ferdinand Marie Dieudonne Comte du Chambord, ursprüngl. Duc de Bor.

deaux (1820—1883). Zum Flaggenstreit vgl. Theodor Schieder: Staatensystem als Vormacht der Welt 1848—1918, Propyläen Geschichte Europas Bd. 5. Frankfurt/Main [. .] 1980, S. 138: „Bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1871 überwogen die Monarchisten aller Schattierungen, was dazu führte, daß jetzt das Problem der Wiederherstellung der Monarchie zur zentralen Frage der französischen Politik zwischen 1871 und 1875 wurde. Daß keine Monarchie entstand, hing nicht nur von der Halsstarrigkeit des bourbonischen Prätendenten, des Grafen von Chambord, ab, der um keinen Preis die Trikolore annehmen wollte." Im Jahre 1873 wurde der monarchisch gesinnte Marschall Mac Mahon Nachfolger von Adolphe Thiers. .

488

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Reif: Eigentlich hat

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ich sagen wollnicht mehr, die hat Hitler überwunden. Die jungen Offiziere behaupteten damals, sie hätten unter Schwarz-Weiß-Rot gekämpft. Das stimmt bekanntlich nicht; denn es war keine Fahne draußen. Aber sie haben sich in diese Vorstellung hineingesteigert. Diese ganze fürchterliche Verkrampfung der Farbengeschichte ist durch die Hitlerei einfach weg. Es mag ein paar alte Leute geben, die von Erinnerungen aus der früheren Zeit, von Erinnerungen an Schwarz-Weiß-Rot leben. Sonst kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, wer in Deutschland noch ernsthaft gegen Schwarz-Rot-Gold irgendwelche Einwendungen erheben sollte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade aus Schleswig-Holstein wird berichtet, daß dort sehr starke Schwierigkeiten bestehen. Diese Schwierigkeiten können nicht einfach wegdiskutiert werden. Noch gestern hat mir Herr Schröter10), der die Stimmung dort kennt, gesagt, daß sehr starke Schwierigkeiten vorhanden sind. (Stock: Er hat sehr lange Zeit auf Schwarz-Weiß-Rot geschworen.) Das kommt nicht in Frage, das ist eine Angelegenheit, die so nicht ganz stimmt. Jedenfalls bestehen gegen diese Zusammenstellung in weiten Kreisen von Schleswig-Holstein starke Bedenken. Das hat dazu geführt, daß jetzt in besonderem Maße die schleswig-holsteinischen Farben in den Vordergrund gestellt worden sind, die auch von der Militärregierung neu sanktioniert worden sind. Diese ganzen Dinge sind nicht so wegzudiskutieren. Frau Nadig: Eigentlich hat der Parlamentarische Rat die Flaggenfrage vorweggenommen. Wir haben hier unter der schwarz-rot-goldenen Flagge getagt und haben das als etwas Selbstverständliches angesehen. Ich glaube auch nicht, daß wir mit der Schaffung einer neuen Flagge all die Widerstände, die in bestimmten Kreisen vorhanden sind, ausräumen werden. Wir sollten den Mut haben, bei der alten Flagge Schwarz-Rot-Gold zu bleiben. Ich meine, das wären wir dem demokratischen Grundsatz schuldig. Dr. Pfeiffer: Meiner verehrten Vorrednerin ist ein kleiner Irrtum unterlaufen. Die Flagge Schwarz-Rot-Gold ist hier nicht aufgezogen worden, weil die Bundesflagge antizipiert worden wäre, sondern deshalb, weil es die Landesflagge von Nordrhein-Westfalen ist11), die zu Ehren des Parlamentarischen Rates gehißt worden ist. So ist der Zusammenhang. Das ist aber letzten Endes keine maßgebliche Sache. Das läßt sich nicht so mit einer Handbewegung abtun, indem man sagt, daß die Zahl derer, die gegen die Wiederaufnahme der Trikolore sind, so unbedeutend sei. Uns liegt vielmehr eine sehr bedeutende Zahl von Dr.

Herr Prof.

Bergsträsser das gesagt,

was

te. Die Hoflieferantenkreise im weitesten Sinne existieren heute





10) Carl Schröter (1887-1952), CDU, Schleswig-Holstein. u) Schwarz-Rot-Gold waren nicht die Landesfarben von Nordrhein-Westfalen; dies wurde im Verlaufe der Diskussion noch geHärt. Die Zeitung „Die Welt" hatte bereits in ihrer Ausgabe vom 9. Sept. 1948 in einem Bericht über den Pari. Rat geschrieben: „Auf dem

Gebäude des Parlamentarischen Rates weht seit dem ersten Arbeitstag am Mittwochmorgen die schwarz-rot-goldene Fahne." Vgl. auch „Der Spiegel" Nr. 37 vom 11. Sept. 1948, S. 5 sowie Walter Henkels: Schwarz-Rot-Gold vom ersten Tage an, in FranHurter Allgemeine Zeitung vom 11. Sept. 1973, S. 7. Bei der Eröffnungsfeier des Pari. Rates waren noch lediglich die Fahnen der Länder aufgezogen worden. Vgl. Artikel im Weserkurier

vom

9.

Sept.

1949:

„Unter der Hagge Schwarz-Rot-Gold" (Z

5/118

F). 489

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Informationen vor, nach welchen sogar eine starke Opposition in den verschiedensten Teilen unseres künftigen Bundesgebietes ausgelöst werden würde und bei der unmittelbaren Wiederaufnahme der Trikolore die nationalistische Reaktion aus alten Gegensätzen heraus wieder neuen Auftrieb bekommen würde. Dr. Reif: Unter Schwarz-Weiß-Rot oder Hakenkreuz? Früher haben sie die schwarz-weiß-rote Fahne als Symbol gehabt. Als ich 1924 zu einer Versammlug nach Insterburg kam, war die ganze Stadt mit schwarz-weiß-roten Haggen geschmückt, und die Reichswehr spazierte mitten drin. Damals hatten die Leute die Möglichkeit. Diese Möglichkeit gibt es doch heute nicht mehr. Sollen die Leute das Hakenkreuz zeigen? Damals hatten die Leute ein Symbol. Das ist der große Unterschied. Man soll die Suggestivkraft der Dinge nicht unterschätzen. Die Leute würden sich genau so ein künstliches Gebilde schaffen wie dieses hier, wenn sie sich irgendetwas heraussuchen wollen. Wir haben den großen Vorzug der Tradition gegenüber solchen Bestrebungen, soweit man das schon Tradition nennen kann. Dr. Pfeiffer: Trotz alledem ist es Tatsache, daß sich bei der Wiedereinführung der Trikolore eine sehr starke nationalistische Opposition neu an diesen Dingen entzünden würde. Der Einwand bezüglich des Arrangements kann ausgeräumt werden. Man kann sich zum Beispiel sowohl nach der technischen Einteilung wie nach der Farben Verteilung andere Varianten denken. Ich darf offen sagen: je deutlicher der Symbolcharakter des Kreuzes zum Ausdruck kommt, desto lieber wäre es meinen politischen Freunden. Ich würde es als nicht der Realität entsprechend ansehen, wenn man das, was gegen die Wiedereinführung der alten Hagge ob waagerecht oder senkrecht, spielt dabei keine Rolle spricht, so leicht nehmen würde. Auf Grund dieser Informationen und auf Grand eigener Beobachtungen, sind wir dazu gekommen, zu versuchen, um einen Haggender bei der anderen Fassung entbrennen würde —, streit herumzukommen aber eine gewisse Verbindung mit der Tradition durch die Farbenwahl zu suchen. Je klarer man das macht, desto lieber ist es uns. Wunderlich: Ich habe nur die Befürchtung, wenn wir eine gänzlich neue Hagge schaffen, die an nichts Altes mehr erinnert, erreichen wir, daß die alten Anhänger von Schwarz-Rot-Gold die Fahne nicht mehr anerkennen und zum Schluß gar niemand mehr außer dem Parlamentarischen Rat hinter einer solchen Fahne steht. Mayr: Eine Fahne als Symbol der Nation muß freudig aufgenommen werden. Ich bedauere es verstehen Sie mich bitte recht, ich fühle mich im Herzen als ein guter Demokrat —, die alte Trikolore Schwarz-Rot-Gold werden Sie nicht mehr freudig bei der Bevölkerung durchsetzen können. Ich halte das für ausgeschlossen. Deshalb müssen wir nach diesem Scherbenhaufen, den wir hinter uns haben, den Mut haben, etwas Neues zu beginnen. Glauben Sie doch nicht, daß das Symbol der Weimarer Republik in weiten Kreisen freudig aufgenommen wird, wo damit so viel Enttäuschungen, so viel Versagen auf beiden Seiten, so viel Leid usw. verbunden sind. Wir müssen etwas Neues schaffen. Dr. Heuss: Ich möchte, daß der Begriff der Trikolore hier sozusagen als arbeitstechnischer Begriff behandelt wird. Wir reden nämlich immer von der Trikolore. Dabei kommt dann der Zusatz, daß es eine französische Erfindung ist. Nie—







490

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mand hat in Deutschland von Schwarz-Rot-Gold als Trikolore gesprochen, sondern erst im Zusammenhang mit der Erörterung in den Sitzungen des Parlamentarischen Rates ist mir der Begriff der Trikolore begegnet. Ich will es nur als arbeitstechnischen Begriff auffassen. Sonst würde ich anfangen, von der „Bikolore" von Bayern, von Sachsen usw. zu reden. Ich halte es nicht für sehr glücklich, daß im Augenblick das Wort Trikolore mit einem leicht herabsetzenden Unterton gebraucht wird, weil „Trikolore" ein französisches Wort geworden ist, obwohl es aus dem Italienischen stammt. Ich wollte eine ähnliche Bemerkung machen, wie sie der Herr Kollege Wunderlich gemacht hat, nicht als ob ich war selber ich jetzt den alten schwarz-rot-goldenen Reichsbannerleuten nicht sehr aktiv in den Dingen drin eine Freude machen wollte. Sie dürfen aber nicht ganz verkennen, daß dieses Schwarz-Rot-Gold für soundso viel Leute im Dritten Reich auch ein Stück ihres Martyriums bedeutet hat. Das Ausweichen vor den Dingen, das Weggehen hat leicht etwas Fatales. Und Sie kommen um jetzt den arbeitstechnischen Begriff „Trikolore" in die Situation, daß Sie meinerseits doch zu gebrauchen in der Ostzone die schwarz-rot-goldene Fahne in der bisherigen Tradition bekommen. Dann erscheinen die als die Träger einer Tradition12). Lieber Herr Mayr, die Geschichte von Weimar ist meinethalben keine Ruhmesgeschichte; aber sie ist nicht so schlimm. Ihr lebt auch etwas unter Nazipolemik. Wir haben die Zäsur erlebt, daß Schwarz-Weiß-Rot durch die Nazis versaut worden ist. Infolgedessen ist hier eine Zäsur entstanden, die psychologisch den Zugang zur Vergangenheit erleichtert. Ich überschätze die Legendenbildung vom Jahre 1848 nicht, obwohl ich mich selber an ihr beteiligt habe. (Dr. Bergsträsser: An der Legendenbildung?) Ich habe ein kleines Buch darüber geschrieben und habe unendlich viele Reden darüber gehalten13). Aber es würde mir auch jetzt ein bißchen seltsam erscheinen, nun irgendetwas Neues zu machen. Ich habe schon auf die falsche Kadenz hingewiesen. Nehmen Sie jetzt das Schwarze in die Mitte. Sie kommen dann in die merkwürdige Situation, daß das Gold als Rahmen überhaupt nicht mehr als Farbe wirkt, sondern nur als Einschnürung, als wirklich kunstgewerbliche Nebenbemerkung zu einer schwarz-roten Fahne, gegen die ich als Württemberger gar nichts haben könnte. Aber das rein dekorative Element wird dann stärker. Schwarz-Rot-Gold ist ja eine Erfindung des 19. Jahrhunderts mit allen möglichen Geschichten von goldenen Schnüren bei den Lützow-Jägem usw. Das haben wir den Bayern zu verdanken, die darüber eine wunderbare Denkschrift gemacht haben14). Man war dabei so liebenswürdig, mitzuteilen, daß im Jahre —









12) Vgl. Dok. Nr. 14, Anm. 19. 13) Theodor Heuss: Ein Vermächtnis, Werk und Erbe von 1848. Stuttgart 1948. 14) Zu Bayerns Haltung zu den Farben des Reiches von 1870/1871 vgl. Paul Wentzcke: Die deutschen Farben. Heidelberg 1955, S. 131. Ferner Egmont Zechlin; Schwarz Rot Gold

und Schwarz Weiß Rot in Geschichte und Gegenwart. Berlin 1928, S. 56 ff. Zur Auseinandersetzung um Schwarz-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold vgl. Karlheinz Weißmann: Schwarze Fahnen, Runenzeichen. Die Entwicklung der politischen Symbolik der deutschen Rechten zwischen 1890 und 1945. Düsseldorf 1991. 491

Nr. 23 1870

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Bayern den Antrag gestellt hat, Schwarz-Rot-Gold als deutsche Reichsfar-

nehmen. Die Denkschrift ist ganz nett und gut, sie ist aber geradezu einer neutralen Gleichgültigkeit. Das ist nur für Heraldiker. Und Heraldiker sind bei Licht besehen Rindviecher. Also bleibt doch im natürlichen Gang der Dinge drin! Die Heraldiker können darüber dann Aufsätze schreiben. Dr. Bergsträsser: Ich möchte Herrn Mayr noch etwas zu bedenken geben. Sie sagen, die Hagge soll freudig aufgenommen werden. Wenn Sie von SchwarzTrikolore weggehen, werden die Rot-Gold als einer technisch ausgedrückt Leute das nicht freudig aufnehmen, die die Stützen demokratischer Gestaltung in Deutschland sind. Warum sollen wir nun die Leute, die wirklich demokratisch-republikanisch sind, vor den Kopf stoßen zugunsten von anderen Leuten, die das nicht sind? Ich persönlich vermag das wirklich nicht einzusehen. Denn die Leute hängen an dieser Fahne. Abgesehen davon weiß ich nicht, daß Schwarz-Rot-Gold die Fahne von Nordrhein-Westfalen ist. Soviel ich weiß, ist es die Fahne von Württemberg. Frau Nadig: Die Fahne von Nordrhein-Westfalen ist weiß-grün. Dr. Pfeiffer: So ist es mir gesagt worden. Ich habe mich erkundigt. Schräge: Wir haben überlegt, was wir tun sollen. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist zu der Auffassung gekommen, daß irgendetwas geschehen muß, und hat die schwarz-rot-goldene Fahne hissen lassen. Dr. Bergsträsser: Also ist der Herr Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zu der Auffassung gekommen: Wenn ich ein Einheitssymbol für den Parlamentarischen Rat gestalten will, so ist es das Schwarz-Rot-Goldene. Schräge: Er konnte so schnell keine neue machen. Dr. Pfeiffer: Ich nehme dann alles zurück. Das war eine Information, die mir im Büro gegeben wurde. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herr Dr. Bergsträsser, ich halte es nicht für sehr zweckmäßig, zu sagen, jemand, der hinsichtlich der Hagge anderer Meinung ist, ist kein guter Demokrat. (Dr. Bergsträsser: Das habe ich nicht gesagt.) Sie haben gesagt, daß alle guten Demokraten diese Farben wählen würden. Insofern muß man vorsichtig sein. Das führt zu einer Verschärfung der Diskussion. Dr. Bergsträsser: Dann nehme ich das zurück und sage: die alten Demokraten. Diese waren nämlich alle dieser Fahne zugetan. Warum man die nun vor den Kopf stoßen soll, vermag ich nicht einzusehen. Ich habe noch eine Frage an den Herrn Kollegen Dr. Pfeiffer. Sie haben gesagt, daß Ihnen Zuschriften zugegangen seien und daß Sie die Dinge untersucht hät-

ben

zu

von







ten.

(Dr. Pfeiffer: Informationen!) Der Herr Vorsitzende hat

Schleswig-Holstein erwähnt. Können Sie sagen, daß diese Informationen aus bestimmten Teilen des Bundesgebietes kommen? Ich frage deswegen, weil nach meiner Kenntnis zum Beispiel in Hessen und in Württemberg, vermutlich auch in Württemberg-Baden und in anderen Teilen gar keine Abneigung gegen die schwarz-rot-goldene Trikolore vorhanden ist. Die andere interessante Frage ist lassen Sie mich einmal etwas soziologisch —

492

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welchen Schichten diese Abneigungen stammen. Ich will nicht unbedingt aus Schichten der Mitläufer des Nazisystems stammen müßten. Dr. Pfeiffer: Eine soziologische Untersuchung darüber kann ich natürlich nicht geben. Ich kann nur sagen, aus dem Kreis meiner Freunde, aus verschiedenen Teilen von Bayern ist mir impulsiv mitgeteilt worden, daß dort eine gewisse Abneigung besteht. Es war mir nicht möglich, auf die einzelnen Kreise einzugehen. Ich habe im Gespräch mit Fraktionskollegen erfahren, daß sie von solchen Gegensätzen aus anderen Teilen Deutschlands wissen. Unsere Überlegung geht dahin, daß wir versuchen müssen, ein Wiederaufflammen einer Opposition gegen ein gemeinsames Symbol für den Bund zu verhindern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die neuartigen Entwürfe, über die wir hier gesprochen haben, stammen gerade auch aus Süddeutschland. Bei den letzten Beratungen über diese Frage ist schon darauf hingewiesen worden, daß diese Farben aus der Zeit des 20. Juli herstammen15!. Es ist vielleicht wichtig, daß man sich unter den Kämpfern des 20. Juli in sehr weitgehendem Umfang auf diese Farben geeinigt hat. Lensing: Leuschner16) und Leber17) haben dieser Fahne ausdrücklich zugestimmt. Diese Fahne ist, wie Herr Kaiser berichtet, von Herrn Winner18), dem Bruder des Abg. Wirmer, entworfen worden und hat dem Kreis des 20. Juli vorgelegen19). Die Leute des 20. Juli sind der Auffassung gewesen, daß man sich von der Trikolore um den Ausdruck zu gebrauchen; das soll keine Herabsetzung Man hielt dieses Symbol für geeignet, die Einigungsfahsein sollte. trennen ne des zukünftigen Deutschlands zu sein. Dr. Reif: Es ist jetzt sehr schwer, dazu etwas zu sagen, weil der 20. Juli bei uns mit Recht eine besondere Rolle spielt. Ich weiß nicht, ob alles, was unter der

werden

gerade

—,

aus

sagen, daß sie





Führung von Herrn Gördeler20) staatspolitisch usw. vorgeschlagen wurde, von akzeptiert werden muß, nur weil es von dort kommt. Denn ein Demokrat

uns

war usw.

Herr Gördeler nicht. Damit will ich nichts gegen den Einsatz seines Lebens sagen.

15) Zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus, der zum Attentat vom 20. Juli 1944 führte, vgl. u. a. das Standardwerk von Peter Hoffmann: Widerstand, Staatsstreich, At-

Kampf der Opposition gegen Hitler. 3. A. München 1979. Ebenda auch ein über die innenpolitischen Vorstellungen. Wilhelm Leuschner (1890—1944), Gewerkschaftler, als Widerstandskämpfer (20. Juli 1944) vom Volksgerichtshof am 9. Sept. 1944 zum Tode verurteilt und am 29. Sept. 1944 tentat. Der

Kapitel

16)

hingerichtet.

17) lulius Leber (1891-1945), MdR (SPD) bis 1933; als Widerstandskämpfer vom Volksgerichtshof am 20. April 1944 zum Tode verurteilt und am 5. Jan. 1945 hingerichtet. la) Rechtsanwalt Josef Wirmer (1901—1944), der im Kreis des 20. Juli für den Posten des Justizministers vorgesehen war. Er war ein Bruder des Abgeordneten Ernst Wirmer (CDU/ CSU) (vgl. Z 5 Anhang/1, Lebenslauf Ernst Wirmer). 19) Vgl. Anm. 3. 20) Carl Friedrich Goerdeler (1884—1945), führender Kopf des konservativen Widerstands gegen Hitler, als Reichskanzler nach der Beseitigung Hitlers vorgesehen. Über Gördelers Verfassungspläne war ein Aufsatz von G. Ritter in den Nordwestdeutschen Heften, Jahrgang I, Nr. 9 erschienen, der in der Liste der Literatur, die den Mitgliedern des Pari. Rates

zugänglich

war

(Drucks. Nr. 33), aufgeführt wurde. Vgl. auch Gerhard Ritter: Carl

Gördeler. Stuttgart 1974

(Neuausgabe).

493

Nr. 23

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5.

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ebenso wie die CDU wiederholt den Versuch gemacht, bei unseren Parteitagen den Saal schwarz-rot-gold auszuschmücken. Der Russe hat das jedesmal verboten. Für uns und für die Leute in der CDU in der russischen Zone ist diese Farbe beinahe eine Selbstverständlichkeit geworden, als das Symbol der Sammlung gegen den russischen Kommunismus. Ich glaube, die Leute würden es nicht verstehen, wenn wir hier etwas anderes machen. Das ist jetzt dort eine Fahne der Widerstandsbewegung. Ich bitte, das nicht zu unterschätzen. In unserer Partei sind es immerhin etwa 200 000 Menschen, bei der CDU sind es auch 190 000 bis 200 000 Menschen, die dort im Widerstand stehen. Für die ist die Frage gelöst. Ich möchte dann noch auf etwas ganz Primitives hinweisen. Wer bezahlt eigentlich eine solche Fahne? Ich habe den Eindruck, wenn Sie diese Fahne zur offiziellen Bundesfahne machen, wird das Volk, da die Reichsfarben schwarzrot-gold sind, wahrscheinlich die alten schwarz-rot-goldenen Fahnen herausholen und bei jeder Gelegenheit mit diesen Fahnen flaggen. Die Bevölkerung hat nämlich die neuen Flaggen gar nicht, und die neuen Flaggen sind gar nicht so herstellbar, daß eine wirkliche Flagge entstehen kann. Die alte Fahne läßt sich schaffen, die neue nicht. Dr. Bergsträsser: Zur Geschäftsordnung! Mit diesen Unterhaltungen kommen wir nicht weiter. Wir haben uns in unserer Fraktion für die anderen Farben wir wollen wahrentschlossen. Da wir jetzt hier nicht abstimmen können scheinlich auch nicht abstimmen —, müssen wir das erst einmal unserer Fraktion unterbreiten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich war selbst so weit, daß ich dem Ausschuß vorschlagen wollte, diese Frage, falls nicht die Herren Mayr und Lensing dringendes Gewicht darauf legen, noch zu Wort zu kommen, zurückzustellen. Ich würde sagen, die Dinge sind jetzt genügend diskutiert. Es hat keinen Sinn, so vorzugehen, wie der Wahlrechtsausschuß vorgegangen ist, und über eine Frage abzustimmen21), die wir doch in keiner Weise hier erledigen können. Das ist vielmehr eine Angelegenheit, die in die interfraktionellen Besprechungen und zur Abstimmung im Plenum oder im Hauptausschuß gehört. Deshalb möchte ich vorschlagen, daß wir zwei Entwürfe vorlegen, den alten Entwurf, den wir das letzte Mal besprochen haben und nach welchem die Bundesfarben schwarz-rotgold sind, und den anderen Entwurf von unserer Seite, wobei die Möglichkeit besteht, das Bild umzuformen, damit die Zusammenstellung mehr den Wünschen entspricht, die Herr Dr. Heuss genannt hat und auf diese Weise vielleicht eine Möglichkeit besteht, sich näherzukommen. Frau Dr. Weber: Ich schlage vor, dieses Symbol noch abzuwandeln, so daß wir nicht nur diesen einen Vorschlag vorlegen22). Wir haben in Berlin und auch draußen







21) Im Wahlrechtsausschuß wurden häufig Entscheidungen durch Abstimmung gefällt. Vgl. die

Kurzprotokolle (

Z 12/39).

22) Das Kurzprot. gab folgenden Beschluß wieder: ,,a) die in der

17. Sitzung vom 3. Nov. Fassung des Art. 27 .Die Farben des Bundes sind Schwarz-Rot-Gold' I vorgeschlagen; b) der heutige Vorschlag der CDU-Fraktion wird als

1948 angenommene

wird als Variante 494

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Es ist nicht richtig, daß das Kreuz nicht irgendwie traditionell ist. Das richterliche Symbol der früheren Jahrhunderte war ein Kreuz, früher rot-weiß. Die Schweiz hat es heute noch, der Norden hat es übernommen. Später wurde die richterliche Fahne schwarz-rot. Das Kreuz war immer schon da. Es ist nichts Neues. Es ist kein Kunstgewerbe. Dr. Heuss: Herr Mayr, halten Sie mich denn für so dumm, daß ich nicht wüßte, daß das Kreuz auch in der Heraldik eine ungeheuer starke Symbolkraft hat? Für so dumm dürfen Sie mich nicht halten. Dieses Kreuz hier ist eine kunstgewerbliche, geometrische Aufteilung, mit dem goldenen Schnitt. Schön und gut, es ist gar nichts dagegen zu sagen. [Schließung der Sitzung nach Diskussion über Fortführung der Arbeit, Termin der nächsten Sitzung]

Mayr:

Variante daneben gestellt. Er hat den Wortlaut: ,Die Flagge des Bundes zeigt auf rotem Grunde ein schwarzes liegendes Kreuz und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz'".

495

Nr. 24

Neunzehnte

Sitzung

9.

November 1948

Nr. 24

Neunzehnte

184-2261). Stenogr. Wortprot.

Z 5/33, Bl.

Kurzprot.:

Sitzung des Ausschusses für 9. November 1948 vom

Grundsatzfragen

11. Nov. 1948,

von

Herrgesell

gez.

Z 12/45, Bl. 60-61. Drucks. Nr. 271

Anwesend2) : CDU/CSU: Fecht, Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich, Zimmermann FDP: Heuss DP: Heile

Dienst: Herrgesell Dauer: 14.00-16.02 Uhr

Stenografischer

[1. ZWEITE LESUNG DER PRÄAMBEL: BAYERISCHER VORSCHLAG, ENTWURF DER DP, VORSCHLÄGE HEUSS, KROLL, V. MANGOLDT] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben eine Reihe von neuen Vorschlägen zur Präambel. Wir werden uns darüber klar werden müssen, ob wir bei der ersten Fassung bleiben oder uns einer der neuen Fassungen anschließen wollen, ob eine der neuen Fassungen Gedanken bringt, die uns dazu veranlassen könnten, die alte Fassung zu ändern oder zu einer ganz neuen Form überzugehen. Es ist zunächst die Frage des Verfahrens, über die wir uns unterhalten müssen. Wenn wir an die verschiedenen Vorschläge herangehen, müssen wir uns noch einmal darüber klar werden, was nach unserer Meinung unbedingt in der Präambel enthalten sein muß. Herr Dr. Heuss hat allerdings Bedenken gerade darin gesehen, daß wir einen Katalog von Fragen aufgestellt haben3). Ich glaube doch, man kann nicht ganz ohne einen Gedanken darüber auskommen, welche Einzelheiten die Präambel beinhalten soll. Man könnte aus dem großen Katalog und so war es von meiner Seite von vornherein gedacht —, wenn man eine Überlastung der Präambel feststellt, einzelne Fragen herausstreichen. Es gibt gewisse ganz unverzichtbare Gedanken, die unbedingt in der Präambel auftauchen müssen, z. B. das Bekenntnis zur deutschen Einheit, der Hinweis auf die Beschränkungen durch die Besetzung, die Frage des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes. Deshalb scheint es mir notwendig zu sein, daß wir uns darüber kurz unterhalten. Manche der eingereichten Entwürfe weisen vielleicht doch gewisse Unklarheiten auf, und man müßte vielleicht schon aus diesem —

25 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Vgl. Dok. Nr. 8. V. Mangoldt spielte hier vermutlich auf Ausführungen von Heuss über die Arbeit an der Präambel an, die dieser am 20. Okt. 1948 im Plenum gemacht hatte; Sten. Berichte, S. 75.

!) Bl. 227—234 (S. 6, 7, 12, 14, 18, 24,

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Grunde darauf verzichten, sie als Unterlage für eine Präambel zu verwenden. Es würde sich vielleicht im Anschluß an die allgemeine Besprechung empfeh-

len, auf die jetzt vorliegenden einzelnen Entwürfe einzugehen und diejenigen herauszusuchen, die wir in eine engere Wahl ziehen wollen, wenn wir an eine Änderung denken, oder aus den Entwürfen die Gedanken herauszugreifen, die für eine

Änderung

dieser Präambel in

Frage kommen. Die Präambel hat in der Form, in der wir sie niedergelegt haben, doch in weiten Kreisen starke Kritik gefunden4), so daß wir uns die Frage der Präambel noch einmal durch den Kopf gehen lassen und prüfen müssen, ob wir irgend etwas von den uns eingereichten Entwürfen verwenden können. Ich möchte zu Beginn mehr nicht aus-

führen und zunächst einmal fragen, wie sich die Damen und Herren des Ausschusses das Verfahren denken. Dr. Eberhard: Ich möchte auch sagen, daß die Präambel, wie sie jetzt ist, niemand voll gefällt5). Andererseits sollten wir von dem bisherigen Text, an dem wir alle gearbeitet haben, ausgehen und uns überlegen, welche Formulierungen und welche Punkte des Inhalts man ändern und welche Formulierungen und inhaltlichen Elemente man aus den übrigen Vorschlägen hereinnehmen sollte. 4) In der Fraktion der CDU/CSU

war der bisherige Wortlaut am 14. Okt. 1948 kritisiert worden. Vgl. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 79 f. In einer „vorläufigen Äußerung", die von der Dienststelle Bonn der Bayerischen Staatskanzlei verteilt wurde (Z 5 Anhang/12, Bl. 247-258) undat. und ungez., am 26. Okt. 1948 in Bonn eingegangen, hatte es geheißen: „Die Präambel ist gebührend und eigentlich schon hinlänglich glossiert mit den Worten des Chefredakteurs des Bayerischen Rundfunks, Walter von Cube (Deutschland-Rundschau vom 16. Oktober 1948): ,Ich kenne keine Verfassungseinleitung, die mit größerem Nachdruck den ihr folgenden Inhalt entwertet.' Sie entwertet ihn insbesondere auch durch die Heraushebung des Vorläufigen, sie degradiert ihn zur .Übergangsbestimmung', beschränkt damit die Autorität des Grundgesetzes. Sie entfernt sich ganz betont von der Gliederung Deutschlands in Länder, ja sie geht hart daran vorbei, die Länder überhaupt totzuschweigen, sie kennt spitzfindig nur Abgeordnete ,aus den Ländern', nicht Abgeordnete ,der Länder', sie ignoriert das Nachverfahren der Länder und in den Ländern, das der Beschlußfassung des Parlamentarischen Rates nachfolgt, mit einem Wort, sie verleugnet in ihrem Wortlaut bewußt und gewollt den föderalistischen Typ. Von den bisherigen Formulierungen ist immer noch die beste und auch am wenigsten schwülstige der Minderheitsvorschlag im Herrenchiemseer Entwurf." 5) Seitens der SPD hatte man in Fraktionssitzungen vom 28. Okt., 2., 3., 4. Nov. 1948 im Rahmen der Diskussion der vorläufigen Fassung des Grundgesetzes vom 18. Okt. 1948 (vgl. Dok. Nr. 16) zur Präambel folgendes festgestellt: „1. Ein Teil der Fraktion ist der Meinung, daß in der Präambel die nationalsozialistische Zwingherrschaft als die Grundursache der Zerstörung der deutschen Freiheit und der heutigen Rechtlosigkeit erwähnt wird. Der überwiegende Teil der Fraktion ist der Meinung, daß die nationalsozialistische Zwingherrschaft nicht mit dieser Bezeichnung, sondern mit einer Umschreibung erwähnt werden soll; vielleicht auch nicht an erster Stelle. 2. Es besteht Einverständnis darüber, daß unter keinen Umständen auf das Wort .Republik' verzichtet werden soll. 3. Es besteht Einverständnis darüber, daß die rechtliche und politische Kontinuität präziser zum Ausdruck gebracht werden soll. 4. Es besteht Einverständnis darüber, daß keine Erwähnung Gottes erfolgen soll. 5. Es soll der Gebiete östlich der Oder/Neisse-Linie Erwähnung getan werden." (Formulierte Änderungsvorschläge der SPD-Fraktion zur vorläufigen Fassung des Grundgesetzes, ungez., undat., UB Marburg, NL Bergsträsser: Mappe Grundgesetz 1).

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Ich

glaube, mit diesem Verfahren, in dem wir von unserem bisherigen Entwurf ausgehen6), kommen wir am raschesten zum Ziel. Frau Dr. Weber: Wir sollten von dem ausgehen, was wir schon einmal aufge-

haben, und sollten uns an diesem Text klarmachen, was wir sachlich wieder übernehmen wollen oder was wir auch formal zu ändern wünschen. Denn in einem hat Herr v. Mangoldt Recht; diese Präambel ist von allen Kreisen und von den Mitgliedern aller Parteien sehr stark kritisiert worden. Wir müssen sie also noch einmal ganz durchgehen. Ich würde eine bestimmte Fassung jedoch als Grundlage nehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aus vielen Äußerungen geht die Tendenz hervor, man solle die Präambel ganz kurz halten. Sollten wir nicht zunächst einmal auf die einzelnen Entwürfe, die die Präambel kurz halten wollen, eingehen und uns vielleicht zu der Frage äußern, wieweit wir diese kurzen Entwürfe billigen oder unzureichend finden? Ich habe hier den kürzesten Entwurf, der von außen uns zugekommen ist, den bayerischen Entwurf7). Es ist eine Fassung: „Entwurf eines Grundgesetzes des deutschen Volkes". Es heißt ganz kurz: Die Länder Baden, Bayern usw. schließen sich zu einer bundesstaatlichen Gemeinschaft zusammen, der beizutreten allen übrigen deutschen Ländern offensteht, damit sich die deutsche Einheit vollende. Diese Gemeinschaft soll Träger der Bundesgewalt sein. Sie führt den Namen „Bund deutscher Länder". Für den Bund gilt diese vorläufige Verfassung. Frau Dr. Weber: Das ist doch zu wenig! setzt

(Lensing: Das ist alles?) Dann ist gesagt, es kann eine Variation gefunden Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. werden. Es heißt: Die deutschen Länder bilden zur Erfüllung der gemeinschaftlichen Aufgaben des deutschen Volkes einen dauernden Bund, der den Namen —

„Deutschland" führt. Eventuell sollte die Präambel entsprechend geändert werden. Niedergelegt finden sich hier nur folgende Gedanken. Zunächst ist von dem Zusammenschluß die Rede, indem es heißt: „Die Länder Baden, Bayern usw. schließen sich zu einer bundesstaatlichen Gemeinschaft zusammen." Für uns ist zunächst die Frage von Bedeutung, ob es wirklich ein neuer Zusammenschluß ist. (Frau Dr. Weber: Nein.) Wollten wir nicht davon ausgehen was wir ja immer tun —, daß Deutschland nicht untergegangen ist, sondern nur neu organisiert wird? (Frau Dr. Weber: Ja.) Ich glaube, wir waren uns im Ausschuß darüber klar, daß wir nicht sagen können: „schließen sich zusammen". —

6) Vgl. Abdr. im Rahmen von Dok. Nr. 16. 7) IfZ, NL Strauß (ED 94/Bd. 85): Deutsches Grundgesetz. Entwurf eines Grundgesetzes

des Deutschen Volkes auf der Grundlage des Verfassungskonventes auf Herrenchiemsee, bearb. im Bayerischen Staatsministerium des Innern, o. D. Weiteres Exemplar dieses Entwurfs im ACDP, NL Kaufmann (1-071-013/3).

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Heile: Man könnte die

ursprüngliche bayerische Fassung nehmen: „bilden eine Das ist die Fassung von Herrenchiemsee8). Dann fällt das Zusammenschließen weg. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dabei bleibt es auch offen. Es heißt dort nämlich: „Die Bundesgemeinschaft".

Länder bilden zur Wahrung der gemeinsamen Angelegenheiten des deutschen Volkes eine bundesstaatliche Gemeinschaft". Das Wort „bilden" könnte so aufgefaßt werden, daß sie sich zusammenschließen. Heile: Das Wort „zusammenschließen" ist vermieden. Der Ausdruck „sie bilden" ist eine feststehende Tatsache. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, braucht es nicht zu sein. Es kann gerade von bestimmter Seite, die das wünscht, hineingelegt werden, daß das Zusammenschließen heißen soll: sie bilden, sie bauen auf. In diesem Sinne kann es verstanden werden. Es ist vollkommen irreführend. Dr. Eberhard: Wir können das nicht behandeln und können unsere Diskussion nicht wieder von vorn anfangen, zumal eine überwiegende Mehrheit sich darin einig war, nicht die Länder zum Subjekt der Neugründung zu machen. Das hat zwar die Kürze für sich, hat aber eine überföderalistische Würze, wie ich sagen möchte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die überwiegende Mehrheit ist der Auffassung, daß wir nicht sagen können: „schließen sich zu einer bundesstaatlichen Gemeinschaft zusammen." Gerade das wollen wir nicht. Wir wollen die Kontinuität mit dem alten Deutschland zum Ausdruck bringen. Dann die Worte : schließen sich zu einer bundesstaatlichen Gemeinschaft zusammen, der beizutreten allen übrigen deutschen Ländern offensteht"! Das klingt so furchtbar nüchtern. Das ist in unserem Entwurf doch ganz anders. Gerade diese klingenden Worte zum Schluß, die wir haben, diese Worte von Herrn Dr. Heuss wirken doch ganz anders, wenn es heißt: „Sie werden aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die Ordnung der nationalen Einheit und Freiheit zu vollenden". Dr. Bergsträsser: Der bayerische Vorschlag klingt gerade so, als wenn eine neue Handelsgesellschaft gegründet und in den Zeitungen veröffentlicht wird. Das kann man doch nicht machen. Frau Dr. Weber: Irgend jemand hat in der Plenarrede gesagt, das Ganze müßte einen mehr weihevollen Charakter haben9). Was soeben vorgelesen worden ist, kann an Nüchternheit überhaupt nicht mehr übertroffen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das gilt vor allen Dingen von dem Relativsatz: „der beizutreten allen übrigen deutschen Ländern offensteht, damit sich die deutsche Einheit vollende." Wir können die „deutsche Einheit" nicht in einen Nebensatz hineinbringen. Unsere Worte „die Einheit der Nation zu erhalten" entsprechen mehr der Bedeutung. Das hier ist von Juristen gemacht, ist rein konstruktiv-juristisch aufgebaut. „

.

.

.

Rat Bd. 2, S. 579. Im Minderheitsvorschlag hieß es:.bilden eine bundesstaatliche Gemeinschaft." 9) Vermutlich wurde hier auf die Rede von Heuss im Plenum auf der 3. Sitzung vom 9. Sept. 1948 angespielt; Sten. Berichte, S. 41.

8) Der Pari.

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Wunderlich: Ich glaube nicht, daß Herr Dr. Pfeiffer mit seinem guten Sprachgefühl daran mitgearbeitet hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann heißt es: „Diese Gemeinschaft soll Träger der Bundesgewalt sein." Ich würde mich auch daran stoßen, von einer Staatenverbindung als Gemeinschaft zu reden. Dr. Bergsträsser: Das Wort „Gemeinschaft" ist anrüchig. Es stammt aus dem Nazismus und sonst aus Othmar Spann10). Das ist für mich auch keine Empfehlung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn es heißt: „der beizutreten allen übrigen deutschen Ländern offensteht, damit sich die deutsche Einheit vollende", so steht das Wesentliche in Nebensätzen drin. Ihr Schlußsatz, Herr Dr. Heuss, klingt wirklich besser: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, die Einheit zu vollenden." Das ist etwas ganz anderes als diese Nebensätze hier. Der bayerische Entwurf hat den Vorzug der Kürze. Aber Stimmung dafür ist hier wohl nicht vorhanden. Heile: Die vorgeschlagene Form paßt nicht zur Wirklichkeit. Ich halte es außenpolitisch und auf lange Sicht historisch für richtig, daß wir in dem, was wir einleitend sagen, nicht so sehr davon ausgehen, daß dieser Staat eine schon vorhandene Sache ist, sondern ausdrücklich betonen, daß wir etwas Neues schaffen. Denn das eröffnet uns die Möglichkeit, draußen in der Welt eine neue Position zu bekommen, die wir jetzt nicht haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Regierungsform ist es doch gewesen, wogegen man sich gewendet hat, nicht etwa das Staatswesen Deutschland in der Mitte Europas. Wogegen der Krieg geführt worden ist das führe ich gerade in der Schrift aus, die ich heute mitgebracht habe11) —, ist eigentlich die Regierungsform gewesen. Wir müssen in der Regierungsform etwas Neues hinstellen, was nicht zu Weimar zurückkehren kann, und tut es auch nicht. Wir sind uns darüber klar, wir können nicht nach Weimar zurückkehren wegen der Entwicklung, die von Weimar zum Nazismus geführt hat. Wir müssen also den Weg zu einem anderen Staatsaufbau finden. Gerade deshalb müssen wir uns immer wieder auf das berufen, was die Siegermächte uns stets wiederholten: Wir wollen Euer Gebiet nicht annektieren. Wenn sie das aber sagen: Wir wollten Euer Gebiet nicht annektieren und wir wollen Euer Gebiet auch weiterhin nicht annektieren, so ist das Deutschland irgendwie bestehen geblieben. Wir dürfen uns nach meiner Anschauung damit unter keinen Umständen juristisch in Widerspruch setzen. Insofern sind wir festgelegt. Ich verstehe Ihren Einwand, Herr Heile, durchaus. Heile: Da ich bei den früheren Verhandlungen nicht dabei gewesen bin, hat es jetzt keinen Zweck, meine Gedanken vorzutragen. Dr. Bergsträsser: In englischen und schweizer Berichten ist die weitere Existenz des Deutschen Reiches anerkannt. Ich sehe gar keinen Grund, warum wir dahinter zurückgehen sollen. —

10) Othmar Spann (1878—1950). Von der katholischen Gesellschaftslehre des Mittelalters und

mus

der Romantik ausgehend, kam Spann zu einer scharfen Ablehnung des Marxisund des Liberalismus und wurde zu einem der bekanntesten Vertreter des Stände-

von

staates.

n) Hermann 500

von

Mangoldt:

Die

Kriegsziele der Vereinten

Nationen.

Hamburg

1948.

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Lensing: Davon können wir nicht abgehen. Bergsträsser: Damit ist die bayerische Präambel begraben.

Wir brauchen darreden und keinen Beschluß zu fassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen die uns vorliegenden Entwürfe irgendwie besprechen. Ich glaube, hier feststellen zu können, die Mehrheit ist der Auffassung, daß wir der bayerischen Präambel nicht folgen können. Damit können wir diese Frage abschließen. In der Kürze ist der Vorschlag der DP etwa gleichzustellen12). Wir haben in Herrn Heile den hervorragendsten Vertreter der DP. Vielleicht kann Herr Heile uns dazu etwas ausführen. Heile: Der Entwurf der DP spricht für sich selbst. Man kann an zwei Stellen, wie ich es bei unseren Erörterungen im internen Kreis getan habe, Einwendungen gegen das Deutsch erheben. In der Sache selbst bedarf es keiner weiteren Erläuterung. Es ist der Versuch, alles Wesentliche in einen ganz kurzen Satz zu bringen. Der Satz wirkt dadurch schwerfällig, daß die Einfügung mit den vielen Ländernamen hineinkommt. Wenn man die Ländernamen wegläßt, ist der Satz aber leicht zu lesen. Es heißt: .Das deutsche Volk erneuert das Deutsche Reich als einen Bund deutscher Länder, der alle deutschen Staaten als gleichberechtigte Glieder umfassen soll." Hier findet sich das Bekenntnis zum Ganzen, ohne daß man die eben erwähnte Problematik betont. Man kann sich auch den bayerischen Gedanken, der soeben genannt worden ist, darin eingeschlossen denken. Man kann bei dieser Fassung beide Wege gehen. Dann heißt es: „Es will einen Bundesstaat schaffen, das deutsche Volk der in der Gemeinschaft der Völker sein Leben im Dienste des Rechtes und des Fortschrittes der menschlichen Gesellschaft in Freiheit und Frieden gestaltet." Das ist meiner Meinung nach einfach und klar und hat auch die nötige Warm-

über nicht

zu





herzigkeit.

Dr. Heuss: Ich stoße mich in logischer Hinsicht daran, daß hier das Deutsche Reich genannt wird, das gleichzeitig erneuert wird und in der Erneuerung „Bund deutscher Länder" heißt. Das ist gerade das, was Herr Heile zu vermeiden wünscht. (Heile: Es ist ein ausdrückliches Bekenntnis zur Historie.) Dadurch, daß das Deutsche Reich hier genannt wird, wirkt es ein bischen ungeschickt, das heißt von außen her gesehen. Wir haben den Kampf darum geführt, ob wir den Begriff Reich oder so etwas noch haben wollen. Ich halte den Begriff für unmöglich, weil das Heilige Römische Reich und das Bismarck'sche Reich auch in ihrer Symbolwirkung nicht mehr existent sind. Der gemeine Mann wird den Bund deutscher Länder als keine Erneuerung ansehen. Es ist auch nicht deutlich, wie die Geschichte nun heißen soll, ob sie „Bund deutscher Länder" heißen soll. Es fehlt ferner etwas der Hinweis auf die Ostsituation.

) Der Entwurf wurde von Seebohm auf der 6. Plenarsitzung am 20. Okt. 1948 vorgetragen (Sten. Berichte, S. 77 f.). Er fand in der CDU/CSU insbes. bei Dr. Lehr AnHang, Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 85; leicht verändert wurde er unter dem 19. Nov. 1948 im Rahmen der Drucks. Nr. 298 vervielfältigt. Zum Inhalt siehe die folgenden Ausführungen von Heile. 501

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube auch, daß man sich hier fragen würde, wie das neue Gebilde heißt. Die einen werden sagen, in der Überschrift heißt es: „Grundgesetz zur Erneuerung des Deutschen Reiches". Sie werden sagen: Gott sei Dank, es heißt: Deutsches Reich. Sie werden enttäuscht sein, wenn man ihnen sagt, es heißt „Bund deutscher Länder". Es werden sich je nach den Parteien zwei Gruppen bilden, von denen die einen sagen: Gott sei Dank, es heißt Deutsches Reich. Wenn dann in der Präambel selbst etwas anderes gesagt wird, sagen sie, es ist ein Verrat gegenüber der Präambel, daß es „Bund deutscher Länder" heißt. In dieser Formulierung liegt eine große Gefahr. Darin würde ich Herrn Dr. Heuss vollkommen beipflichten. Mir ist es von vorneherein auch so gegangen. Heile: Die Mehrheit bei uns war dafür, sehr stark das Reich zu betonen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben eingehend über den Namen „Deutsches Reich" gesprochen und haben uns nach sehr eingehenden Erörterungen bei allem Verständnis für diese Bewegung nicht entschließen können, das zu sagen13). Wir sind ganz bewußt davon abgewichen. Hier entsteht eine Schwierigkeit, weil es in der Überschrift „Grundgesetz zur Erneuerung des Deutschen Reiches" heißt und nachher der Ausdruck „Bund deutscher Länder" auftaucht. Frau Dr. Weber: Ich meine, es ist nicht alles zum Ausdruck gekommen. Das gilt zum Beispiel von dem Gedanken, daß wir in dem, was wir wollen, auch durch die Besatzungsmächte eingeschränkt sind, wie wir es in unserer Präambel zum Ausdruck gebracht haben, in dem Bewußtsein, daß die Besatzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts Einschränkungen unterworfen hat. Ich bin der Meinung, daß dieser Gedanke der Einschränkung der Rechte hinein müßte. Sonst könnten schwere Enttäuschungen darüber eintreten, daß wir dies und jenes nicht durchsetzen. Heile: Wenn wir ein Wörtchen dazwischensetzen, wird das Fragezeichen etwas weniger scharf. Wenn wir sagen: „das Deutsche Reich als einen Bund deutscher Länder", so ist nach außenhin gesagt, wir sind nur ein Bund deutscher Länder, aber wir reklamieren das alte Ideal, das Reich. Dr. Heuss: Dann bleibt das Reich als Titel. Heile: Ja, dann bliebe das Reich als Titel. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dagegen haben wir uns doch ziemlich eindeutig ausgenun

sprochen.

Dr. Heuss: Ich habe jetzt schon glühende Briefe bekommen, in denen es heißt, wir dürfen das Wort „Reich" nicht fallen lassen, sonst wird die ganze Verfassung abgelehnt. Wir können rein sachlich für das, was hier entsteht, weder das Bismarck'sche Reich noch das alte Heilige Römische Reich in Anspruch nehmen. Diese Begriffe sind von der Geschichte konsumiert. Der Ausdruck „das Reich", das „empire" (französich) oder „empire" (englisch) wird im Ausland auch schon zitiert, aber immer mit dem Soupçon des Imperialistischen. Das hat sich so

eingebürgert.

13) S. Dok. Nr. 13, TOP 502

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Heile: Das sind die alten Bedenken von 1918/19, die aber längst als irrtümlich erwiesen sind. Der Ausdruck „das Reich" wird auch anderswo in dem germanischen Sprachbereich gebraucht. Auch die Schweden nennen ihren Staat „Reich" und ihr Parlament heißt Reichstag14). Dr. Heuss: Wenn man in der französischen oder englischen Publizistik „le dem begegnet man jetzt manchmal, Reich", „the Reich" oder so etwas sieht früher nicht; das ist nach meinem Gefühl erst nach dem letzten Krieg üblich geworden; ich will mich da nicht als Fachmann aufspielen —, so ist es immer mit der Akzentuierung des imperialistischen, des alldeutschen Reiches gemeint. Der Begriff „Reich" hat dadurch, daß er in den fremden Sprachgebrauch hereingekommen ist, gerade den Akzent bekommen, den wir aus der kommenden Gestaltung der eine freiwillig, der andere in Anerkennung der Situation heraushaben wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Nach 1919 ist der Begriff „the German Reich" in England häufig für die Weimarer Republik verwendet worden. Den imperialistischen Beiklang hat der Begriff nicht gehabt. Er ist einfach ein Terminus technicus gewesen. Der Ausdruck hat diesen Beiklang erst durch das Dritte Reich bekommen. Das sind alles Dinge, die wir schon einmal ausgeführt haben und in die wir uns nicht wieder verlieren sollten. Ich darf nur noch einmal kurz sagen, daß dieser Reichsgedanke im Schrifttum zur Zeit des Dritten Reiches auch von Persönlichkeiten, die gar nicht so stark nazistisch angekränkelt waren, in einer Form ausgesprochen worden ist, die eben für unsere Zeit nicht paßt. Dieser —





Reichsgedanke geht

auf den alten

ein ganz anderer ist und der

gerade

das

zu

Reichsgedanken des Mittelalters zurück, der wir müssen Auffassung

einer ganz falschen

jüngere Schrifttum denken

über das führen würde, was wir mit unserer Neugründung erstreben. Gerade in dem Sinne, in dem Sie, Herr Heile, es aussprachen daß wir sehen müßten, etwas Neues zu schaffen, was in der Welt keine Widerstände findet —, müßte man eigentlich auf Grund der Entwicklung des Reichsbegriffes diesen Ausdruck in der Gegenwart vermeiden. Heile: Das würde durch das Wörtchen „einen" dazwischen stark betont werden. Wenn man sagt, man erneuert das Deutsche Reich als einen Bund deutscher Länder, so wird gesagt, dieses Reich ist etwas anderes. Das Bismarck'sche Reich war nicht ein Bund deutscher Länder, auch nicht das Heilige Römische Reich. Dieses war ein europäischer Bund von Ländern, die überwiegend deutsch waren, und der Bund war deutsch geführt. Das Bismarck'sche Reich aber war schon mehr ein Staat als ein Bund. Die neue Ordnung deutscher Staatlichkeit wünschen wir als einen Bund deutscher Länder zu bezeichnen. Es ist etwas ganz Neues, was wir hinstellen. Wir erneuern das Reich, aber sind uns dabei wohl bewußt, daß dies „Reich" etwas ganz anderes ist als das, was bisher vorhanden gewesen ist. Dr. Eberhard: Ich könnte mir denken, daß in den angelsächsischen Ländern der Widerstand gegen die Worte „Deutsches Reich" nicht sehr groß ist. Aber in alan







14) Dieser Satz wurde handschr. hinzugefügt. 503

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len kontinentalen europäischen Ländern ist ein starker Widerstand vorhanden, ganz besonders bei dem französischen Nachbarn, auf den es uns besonders ankommen muß. Wenn wir diese Formulierung wählen würden, hätten wir die Worte „Deutsches Reich", das den Widerstand bei vielen draußen erwecken würde. Wir hätten im Innern als neuen Namen den Ausdruck „Bund deutscher Länder", der uns auch nicht gefällt. Wir hatten uns über die „Bundesrepublik Deutschland" hier im Grunde geeinigt. In dieser Richtung müßte die Endlösung

gehen.

Die bloße Erwähnung des Wortes „Reich", selbst wenn man sich davon versucht, abzusetzen, würde im Ausland, speziell in Frankreich das ich ziemlich gut kenne —, als, sagen wir einmal, ein Schamtüchlein gedeutet werden, das man um seine eigenen Wünsche legt. Das geht nicht. Im übrigen haben wir uns über alle diese Dinge schon sehr eingehend unterhalten. Ich sehe nicht ein, warum wir es noch einmal tun sollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In dieser Präambel ist das deutliche Bekenntnis zur deutschen Einheit nicht enthalten. Gerade darauf müssen wir dem Osten gegenüber den größten Wert legen. Der Gedanke der deutschen Einheit kommt hier nicht in dem Maße zum Ausdruck, wie er in unserer Formulierung zum Ausdruck kommt. Deshalb scheint mir dieser Entwurf der DP unseren Anforderungen nicht zu genügen. Wenn wir sagen: „erfüllt von dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten", so ist das ein so starkes Bekenntnis, wie es in dieser Präambel hier nicht zum Ausdruck kommt. Wir müßten Gewicht darauf legen, an dieser Form und dann auch an der Form des Offenhaltens des Heuss'schen Schlußsatzes unbedingt festzuhalten. Daher können wir den Weg dieser Präambel, so wie sie hier vorliegt, nicht gehen. Dr. Eberhard: Das Bekenntnis zur Treue zu den Vätern ist kein Ersatz für das Bekenntnis zur Einheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen uns in die Wirklichkeit hineinstellen, in der wir nun einmal stehen. Wir müssen gerade gegenüber diesem Auseinanderflattern innerhalb Deutschlands betonen: jeder, der die Stimme zu dem Grundgesetz abgibt, muß sich von vornherein darüber klar sein, daß er ein Bekenntnis zur deutschen Einheit abgibt; und wer beitritt, gibt dieses Bekenntnis zur deutschen Einheit ab. Heile: Das wäre richtig, wenn wir nur nach innen sprechen würden. Ich habe das Gefühl, daß das Bekenntnis zur Einheit in Deutschland zwar wohl gemütsmäßig ganz allgemein bei den einzelnen Menschen vorhanden ist, daß dies Bekenntnis aber praktisch ohne wesentliche Bedeutung ist. Jemand, der nicht zur Einheit strebt, der nicht wünscht, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit ein einiges Volk ist, ist gar nicht vorhanden, sondern das nationale Einheitsgeund sehr oft auch gerade da, wo man am wenigsten fühl strebt meistens von nationalem Gefühl spricht über die bisherigen Grenzen hinaus und möchte das, was ehemals deutsch war, auch wieder hereinholen. Wenn aber unsere Verfassung so geformt werden soll, daß aus dem Wunsch und Bekenntnis auch eine politische Wirkung entsteht, nicht bloß im Innern, sondern auch draußen in der Welt, sollten wir die Dinge so wenig wie möglich betonen. Das Maß der deutschen Einheit wird nicht von draußen bestimmt, sondern von unDr.

Bergsträsser:







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eigenen Herzen. Und wenn wir als lauter kleine Fetzen in den europäischen Staatenbund hineingehen müßten, könnten wir genau so einig sein, als wenn wir fest verbunden in staatlicher Form hineingehen. Ich glaube sogar, wir würden sehr viel stärkere Möglichkeiten der Vereinigung haben, wenn wir ruhig aus der gegenwärtigen Situation heraus den Mut hätten, so locker, wie wir da stehen, in diese europäische Staatengemeinschaft hineinzugehen. Dann hätten wir die Chance, daß alles, was draußen am Rande ist und nicht mitkommen kann, sich im Herzen zu uns hingezogen fühlt. Je straffer wir die Einheit des Teiles herstellen, desto mehr haben wir neben der Gebundenheit im Innern dieser Einheit die abstoßenden Wirkungen nach außenhin, die gefährlich sind. Wunderlich : Herr Heile könnte Recht haben, wenn wir eine gefestigte europäische Staatenunion hätten. Diese existiert nicht, und wir wissen nicht, wann und in welcher Form sie kommen wird. Dann müssen wir doch versuchen, dem als ein möglichst einheitlicher Partner gegenüberzustehen, nicht als ein Volk, das in soundso viele Länder aufgespalten ist. Heile: Es liegt an uns, ob die europäische Einheit wird. Wir machen sie. Die Form, wie wir unsere Staatlichkeit regeln, und die Form, wie unsere Staatlichkeit nach außenhin wirkt, ist die Voraussetzung dafür, daß der europäische Staatenbund kommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Stimmung geht, wie wir immer festgestellt haben, dahin, nicht „Bund deutscher Länder" zu sagen, was ich zum Teil für richtiger halten würde. Aber wenn wir schon „Bundesrepublik" sagen, müssen wir unter allen Umständen meiner Anschauung nach die Einheit Deutschlands ganz deutlich herausstellen, weil sonst der Osten sagt: Ihr habt uns verlassen, und aus dieser Angelegenheit eine ganze üble Propaganda gegen uns macht. Das ist eine Angelegenheit, die ganz politisch zu sehen ist. Das ist der eine Punkt, auf Grund dessen wir das starke Bekenntnis zur Einheit drin haben müssen. Der Name wird aus gefühlsmäßigen Gründen gewählt. Ich habe immer gesagt, nach meiner Anschauung herrscht hier das Gefühl zu stark vor. Wenn wir diesen Weg gehen, müssen wir das nach einer anderen Richtung kompensieren durch die Betonung, daß die Bundesrepublik Deutschland eigentlich das ganze Deutschland sein soll. Deshalb zum Schluß dieser Satz von der Vollendung in der Bundesrepublik Deutschland oder im Bundesstaat Deutschland. Auf der anderen Seite glaube ich gerade Ihren (zu Abg. Heile) Ausführungen gegenüber sagen zu müssen: dem Ausland gegenüber ist es auch notwendig, diesen Zug zur Einheit zu betonen. Es ist notwendig, gerade gegenüber den Zerspaltungsversuchen von außen das Bedürfnis zur Einheit hervorzuheben. Die einzigen, die daran vielleicht Anstoß nehmen könnten, wären die Franzosen. (Heile: Das sind die wichtigsten!) Ob sie die wichtigsten für uns sind, ist mir sehr fraglich. Es ist die Frage, ob nicht über die Franzosen hinweggegangen wird und ob wir nicht politisch sehr unklug handeln würden, wenn wir nach der Richtung auf die Franzosen Rücksicht nehmen würden. Dr. Heuss: Wir sind jetzt in der Diskussion, die im Grunde genommen der Organisationsausschuß, der Kompetenzausschuß, unser Ausschuß und andere Ausserem



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Schüsse führen müßten. Wir kommen nicht ganz weiter. Die Fragestellung, die Herr Heile aufgeworfen hat, ist an sich wichtig. Wir stehen vor der Tatsache, daß wir jetzt bald 80 Jahre einheitlicher deutscher Politik haben, mit einer ungeheueren Arbeitsteilung, mit einem Gleichlaufen der Gesetzgebung; ob gut oder schlecht, ist ganz egal. Wir haben mit den entscheidenden Dingen, die gar nicht auf dem Gebiet des Staatsrechts liegen, z. B. mit der Schaffung der Sozialversicherung in den 80er Jahren, eine unitare Tatsache geschaffen, die viel wichtiger ist als andere Dinge. Das kann man doch nicht auseinanderbrechen wollen. Das sind die entscheidenden Bänder, die wir anerkennen müssen. Wir müssen den großen Körper in seiner Zuständigkeit für die ganze Sozialordnung, die ganze Wirtschaftspolitik usw. anerkennen. Das können wir nicht rückgängig machen ohne einen entsetzlichen Verarmungsprozeß und einen Notprozeß für soundso viele Länder, die zum großen Teil nicht existenzfähig sind. Aus diesem das ist Tatbestand ergibt sich, glaube ich, auch in Ansehung der Franzosen ein sehr langwieriges und schwieriges Gespräch, ich führe es immer mit ihnen daß die ruhige Lage der deutschen Dinge eine Voraussetzung für die Befriedung Europas ist. Diese ruhige Lage wird aber nicht erreicht, wenn wir allgemein sagen: Wir verzichten auf alles, was einmal traditionell imperial bestimmt war, und werden jetzt wieder europäische Gebilde. Den Luxus können wir uns nicht mehr gestatten, weil er in der ökonomischen und sonstigen das geht über Struktur zu teuer bezahlt wird. Infolgedessen glaube ich schon die Präambel hinaus, aber es steht im Hintergrund drin —, daß wir dieses Einheitsbekenntnis haben müssen, ohne daß wir darin nur eine sentimentale Sache sehen. Wir müssen das vielmehr nach meiner ehrlichen Meinung auch als ein europäisches Sachbedürfnis mit aussprechen. Wir können nicht den Zustand haben wollen, daß wir mit einer Quasi-Souveränität der Teile nun in die europäische Politik hineingeraten. Heile: Ich denke nicht an Pyrmont oder an Reuss jüngere Linie zurück. Alles das, wovon Herr Dr. Heuss soeben gesprochen hat, die grandiosen Vorteile, die für die deutsche Wirtschaft aus der Einheitlichkeit der Gesetzgebungsarbeit und der staatlichen Maschinerie in der Bismarck'schen Epoche entstanden sind, darf nicht verschwinden, ist aber jetzt, nachdem die Geschichte ihren unglücklichen Weg gegangen ist, für uns nicht mehr genug. Der Nationalstaat, der nur einen Teil der Nation umfaßte, ist vorbei, der ist tot. Wir müssen darüber hinausgehen. Wir müssen den internationalen Staat haben. Das Wirtschaftliche, für das wir Gemeinsamkeit brauchen, kann nicht in der Enge von Lippe-Detmold gedeihen, aber auch nicht im viel zu engen Rahmen dieses Dreizonen-Staatswesens, auch nicht in dem Rahmen, der entstehen würde, wenn der Osten wieder zu uns zurückkäme, sondern bedarf eines Großraumes, der sich zumindest über ganz Europa erstrecken müßte. Diese wirtschaftlichen Dinge sind nicht mehr national zu meistern, sie sind in viel größerem Rahmen zu bringen. Wenn wir das erreichen wollen, was wirtschaftlich und gesellschaftlich notwendig ist, dürfen wir nicht zu stark die Staatlichkeit dieses Teilgebildes Deutschland betonen, weil wir damit nur alle Ängste der Außenwelt wecken. Ich darf aus meinem eigenen Leben und meinen eigenen Erfahrungen kurz sagen: Ich habe zwischen 1918 und 1933 wieder und wieder versucht, das zu tun, was jetzt —

,





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abermals in meinem Hause begonnen hat, nämlich die europäische Union zu bin damals immer wieder in allen Parlamenten Europas gewesen und habe dort über das Problem der Vereinigten Staaten von Europa diskutiert. Bei allen diesen Gesprächen kam immer wieder ganz unabhängig voneinander und ohne daß ich je Suggestivfragen gestellt hätte, am Schluß der Debatte dieselbe Frage und dieselbe Antwort. Ich habe immer wieder gefragt: Wie kommt es eigentlich, daß ihr in der Schweiz, daß ihr Belgier, ihr Holländer, ihr bei allen Differenzen zwischen Berlin oder wer es gerade war Dänen und Paris immer auf die französische Seite gefallen seid, auch wenn euer wirtschaftliches oder sonstiges Interesse eigentlich auf unserer Seite lag? Immer haben die Politiker dieser kleineren Staaten geantwortet: Das ist doch ganz klar, das liegt daran, daß die zwei Machtkonzerne einander gegenüberstehen Vors. [Dr. von Mangoldt]: Brauchen wir das für die Präambel? Hier dreht es sich nur um die Frage, ob wir vermeiden müssen, wie es in Ihrer Präambel geschieht, die Einheit Deutschlands zu betonen. Man hat Heile: Gerade davon wollte ich noch einen einzigen Satz sagen. gesagt: Wir haben uns deswegen immer auf die französische Seite geworfen, weil das die schwächere Seite ist, weil ihr sonst die Franzosen über den Haufen gerannt hättet, wenn wir sie nicht gestützt hätten; das Ergebnis für uns wäre dann gewesen, daß wir das oder wer es gerade war Holländer teilen müßten; und das wollten wir nicht. Diese Schicksal Hannovers von 1866 vorhanden. Ähnliche Stimmungen sind auch in Stimmung war und ist überall es ist Frankreich vorhanden. Infolgedessen viel richtiger, möglichst wenig von der Einheit zu reden, aber die Einigkeit im Herzen zu haben und praktisch entsprechend zu handeln. Dr. Heuss: Die Einigkeit im Herzen läuft auseinander, wenn sie keine staatliche Linie hat. Die Zonenentwicklung der letzten drei Jahre ist der Beweis dafür, daß die Leute geistig in einem Land amerikanisch, im anderen russisch, im dritten französisch zu sprechen beginnen15). Das ist ganz natürlich. Das ist kein Pharisäertum. Wir müssen uns alle überprüfen, daß wir keine Pharisäer werden. In der Schulgesetzgebung laufen wir total auseinander. Das deutsche Bildungswesen wird sich in 20 Jahren nicht mehr verstehen, wenn hier englisch, hier französisch und hier russisch angefangen wird. Dr. Eberhard: Ich möchte nur kurz Herrn Heile antworten. Einheit in die Herzen geschrieben, ist ganz schön. Wir schreiben hier nichts in die Herzen, sondern schreiben etwas in die Präambel. Da wollen wir die Einheit nicht mis-

begründen. Ich















sen.

Heile: Wir wollen sie im Herzen behalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist eine hochpolitische Angelegenheit nach außen. Wenn wir uns heute die Entwicklung der Verhältnisse in Westeuropa ansehen, so sind eigentlich die einzigen, die Europa noch nicht verstanden haben, die Franzosen. Die Benelux-Staaten sind heute aufs äußerste daran interessiert, daß

15)

Zum Auseinanderleben der Zonen vgl. E. Pikard: Der Weg zum Grundgesetz, in: R. Löwenthal, Hans Peter Schwarz: 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1974,

S. 149-176. 507

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wir als eine Einheit dastehen. Ich glaube, sie würden gerade diese Betonung der Einheit als politische Tat begrüßen, weil nur diese Einheit die Gefahr des Ostens bannen kann. Sie wollen uns geradezu als einen Puffer zum Osten ansehen. Wenn wir der französischen Tendenz, Deutschland auseinanderzuteilen, möglichst nicht als Einheit zu sehen, entsprechen würden, würden wir gerade alle anderen vor den Kopf stoßen. Zimmermann: Das Wort „Einheit" hat eine so starke attraktive Wirkung, daß wir darauf nicht verzichten sollten. Was hält uns eigentlich zusammen? Unsere Sprache, unsere Kultur, unsere Vergangenheit, unsere ganze Vorstellung, unser ganzes Weltbild, unsere ganze Geschichte, unsere ganze Tradition ist doch eine Einheit, die in den Jahrhunderten geworden ist. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als in der Präambel von der Einheit, von dem Willen zur Einheit zu reden. Es gibt kein attraktiveres Element, das in der Präambel so stark diesen Magneten bilden könnte, als dieses Wort. Man kann darauf nicht verzichten. Es hat auch in der geschichtlichen Entwicklung eine tiefere Bedeutung, wenn wir herausstellen, daß wir Deutschen eine Einheit sein wollen, und wenn all diejenigen, die heute noch an den Grenzpfählen unserer Heimat stehen müssen, von dem Willen zur Einheit angezogen werden. Das ist nach meiner Auffassung überhaupt der Kardinalsatz in der ganze Präambel. Heile: Gehört Österreich dazu? Das schließen wir so aus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich kann hier feststellen wir brauchen da wohl keine Abstimmung, Herr Heile? —, daß das praktisch doch ein sehr großes Anliegen ist und man praktisch mit Ihrer Formulierung nicht durchkommen würde. Sie sehen, es klingt auf allen Seiten außerordentlich stark durch, daß es notwendig ist, gerade diese Einheit auch als politische Frage herauszustellen. Es ist vor allen Dingen deshalb eine hochpolitische Frage, weil, wenn wir es nicht sagen würden, im Osten eine Propaganda gegen das neue Grundgesetz getrieben würde, die sich vernichtend auswirken würde. Heile: Ich bin viel, viel mehr für Einheit. Ich will Österreich nicht ausschließen. Hier wird es weggelassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Über die „Heimkehr zum Reich" haben wir auch gesprochen. In dieser Frage müssen wir natürlich vorsichtig sein. Wenn wir uns hier mit der Betonung der deutschen Einheit die Tür offenlassen und nachher im Text die Sache vorsichtig so formulieren, daß man uns nicht von der „Heimkehr zum Reich" sprechen kann, haben wir vielleicht nach der Richtung auch Ihre Wünsche miterfüllt, Herr Heile. Ich darf dann fragen, ob zu diesem Entwurf das Wort noch gewünscht wird. Wunderlich: Wir kommen nur dann weiter, wenn wir versuchen, uns noch einmal auf die Grundformulierungen zu einigen, die wir in der Präambel haben wollen, und wenn wir bei der Diskussion der Entwürfe von den bereits früher niedergelegten Grundforderungen ausgehen. Sonst geraten wir ins Uferlose und kommen aus der Debatte nie wieder heraus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sind praktisch schon etwas weiter. Es kam mir darauf an, zu sehen, ob wir mit kürzeren Formulierungen weiterkommen können. Man muß von zwei Seiten an die Dinge herangehen. Wir können jetzt versuchen, noch einmal nach der anderen Seite an unsere alte Präambel heranzuge—

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hen. Oder wünscht Herr Dr. Heuss, daß wir auf seine kürzere Präambel eingehen? ich finde aber noch Dr. Heuss: Ich habe wenig dazu zu sagen. Ich bin bereit nicht, wo das zu machen ist —, diese invocatio dei aufzunehmen und entweder zu sagen: im Vertrauen auf Gott oder: in der Verantwortung vor Gott. Diese invocatio dei kommt bei mir schlecht unter. Aber man kann etwas finden. Ich sträube mich nicht dagegen, obwohl ich das Bedürfnis nach einer metaphysischen Verankerung, das bei einigen Parteien vorhanden ist, nicht für sehr theologisch halte. Meine Formulierung hat auf Details verzichtet, hat auf die Nennung von Daten und auf Ausdrücke wie „Übergangszeit" und „provisorischer Charakter" verzichtet, hat auch nicht von Besatzungsmächten unmittelbar gesprochen16). Ich habe gesagt17): .sind sich bei dem Werke der von der Machtlage erzwungenen Beschränkung ihrer freien Entscheidung bewußt gewesen", damit man nicht meint, wir hätten nur so getan, als ob wir machen könnten, was wir wollten. Ich habe formuliert: .hat in diesem Grundgesetz die verfassungsmäßige neu geformt." Den Ausdruck „die Rechtsordnung seines staatlichen Lebens staatlichen Lebens" halte ich für eine seines verfassungsmäßige Rechtsordnung nicht unglückliche Ausweitung des etwas dünnen Wortes „Grundgesetz", in dem ich also doch schon sage: was wir machen, ist so etwas wie eine Verfassung. Indem ich von der Rechtsordnung spreche, gebe ich dem rechtsstaatlichen Charakter Ausdruck. Ich bin um die Geschichte der Kontinuität oder der Neubildung so herumgekommen, daß ich das Wort „neu geformt" gewählt habe. Damit ist ausgesprochen, das Alte als solches ist im Wesen nicht untergegangen, sondern es hat jetzt eine neue Formung bekommen. Ich selber halte meine Formel für geeigneter als die andere; sie ist entstanden, ehe wir den Katalog der wünschbaren Dinge aufgestellt haben. Von diesem Katalog habe ich gesagt, wir sind etwas in den Leitartikel hineingekommen. Wir haben zuviel an Tatsächlichem und zuviel an Vorbehalten mit drin und haben damit den gewisdie ich in dem Entwurf sen Schwung, die gewisse Würde, die drin sein soll verloren. auch finde —, der Deutschen Partei10) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir an die großen Verfassungswerke anderer Völker und vor allem der internationalen Staatengemeinschaften denken, finden wir dort auch Bekenntnisse zu Grundsätzen, die nicht die Form eines Leitartikels haben. (Dr. Heuss: Aber die kein Mensch liest! Ein paar Staatsrechtler lesen sie.) Ich denke z. B. an die letzte Tagung der Interparlamentarischen Union, bei der die Vertreter, die nicht nur Juristen und Staatsmänner sind, in dieser Richtung auch Beschlüsse gefaßt haben19). Sie haben wieder dasselbe gemacht. (Dr. Heuss: Auch die UN hat vor ihren Menschenrechten einen langen —

.

.

.





Satz

16) 17) 1B) 19) 20)

gemacht20).)

Folgt gestrichen: „damit wir keinen Vorwurf bekommen." Vgl. den Vorschlag von Heuss in Dok. Nr. 8, TOP 1 b. Entwurf der DP vgl. Anm. 12. Dok. Nr. 25, Anm. 35. Dok. Nr. 10. 509

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Die französische Verfassung hat auch eine sehr eingehende Einleitung21). Wir finden überall diese großen Einleitungen. Bei englischen Gesetzen finden wir sie. Sie sind nur anders formuliert, so daß sie nicht leitartikelmäßig wirken. Deshalb hatte ich mir erlaubt, den Versuch einer anderen Formulierung zu machen, damit man überhaupt die Möglichkeit der Kritik hat. Deshalb ist es vielleicht unzweckmäßig, daß wir uns gleich jetzt über Ihren Entwurf entscheiden. Es ist ein Vorschlag gemacht worden, über den wir uns schneller entscheiden können. Der Kroll'sche Vorschlag enthält etwa das Gleiche wie unser Entwurf, nur in anderer Formulierung22); ich glaube aber, über ihn werden wir ziemlich schnell hinwegkommen können. Es ist zwar ein Entwurf, der aus meiner Fraktion hervorgegangen ist. Gleichwohl glaube ich, daß man den Weg dieses Vorschlages nicht gehen kann. Es heißt dort: „getragen von dem Vertrauen auf Gott, erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen und die Einheit der Nation zu erhalten, haben die deutschen Länder. Abgeordnete zu den in Bonn zusammengerufenen Parlamentarischen Rat entsandt.. Nein, so kann man es nicht machen. Der Satz müßte lauten: „sie haben getragen vom Vertrauen auf Gott und erfüllt von dem Willen, die Freiheitsrechte zu schützen, diese Verfassung gegeben." Das, was der Kroll'sche Vorschlag sagt, scheint mir demnach vollkommen schief. Das geht so nicht. Daher muß dieser Vorschlag abgelehnt werden. Das gilt auch aus einem anderen Grunde. In dem Vorschlage —

.

"

.

heißt es, die deutschen Länder. haben als Repräsentanten des deutschen Volkes Abgeordnete entsandt. Die Worte „als Repräsentanten" sollen sich da natürlich auf die Abgeordneten beziehen. Jeder liest aber: die deutschen Länder Baden usw. als Repräsentanten des deutschen Volkes. Das sind Formulierungen, die wir nicht annehmen können. Dadurch fällt dieser ganze Entwurf in sich zusammen. Man müßte ihn vollkommen umformulieren, um eine Präambel zu bekommen, die unseren Wünschen entspricht. Dieser Vorschlag ist zweifellos nicht besser als das, was wir gemacht haben. (Frau Dr. Weber: Er lehnt sich sonst ganz stark an.) In dieser Fassung ist er logisch unrichtig. (Frau Dr. Weber: Das finde ich auch.) Dr. Heuss: Am Anfang findet sich auch so eine theologische Sache, die vielleicht erwägenswert ist. Aber eine Staats- und Gesellschaftsordnung hat keine Ehrfurcht vor Gott. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist aus der bayerischen Verfassung abgeschrieben23). Den Anfang der Präambel dieser Verfassung habe ich auch immer für schlecht .

.



21) Dok. Nr. 15, Anm. 26. 22) Der Vorschlag Kroll wurde auch als Drucks. Nr.

215 vervielf. ; der

Wortlaut wurde im

Nachhinein verlesen.

23) Im „Vorspruch" zur Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dez. 1946 hieß es: „Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlüsse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung: ." .

510

.

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gehalten. Ich habe das gleich in meinen ersten Staatsrechtskollegs nach Verabschiedung dieser Verfassung zum Ausdruck gebracht. Ähnlich unglücklich wie diese Präambel zur bayerischen Verfassung ist keine andere in Deutschland ausgefallen. Aber gerade dieser unglückliche Satz wird hier nun wieder aufgeHerrn Dr. Kroll sofort gesagt: Das haben Sie aus der das habe ich immer für schlecht gehalten. Frau Dr. Weber: Wer ist da ohne Ehrfurcht, das deutsche Volk oder die Gesell-

nommen.

Ich habe

zu

bayerischen Verfassung,

schaftsordnung? Nein, so kann man nicht formulieren. Heile: Es fängt überhaupt negativ an. Eine Verfassung muß positiv anfangen. Frau Dr. Weber: Wir sollten von dem ausgehen, was Sie, Herr Vorsitzender, neu formuliert haben, und von dem, was in kürzerer Fassung Herr Dr. Heuss aufgesetzt hat. Wunderlich: Ich stehe auf demselben Standpunkt, daß Ihre Formulierung, Herr v. Mangoldt, eine durchaus brauchbare Diskussionsgrundlage ist. (Frau Dr. Weber: Das ist wirklich eine Grundlage.) Ich wollte nur alles andere außer unserer ersten Formulierung und Ihrer Formulierung ausgeschieden haben und eventuell den Vorschlag von Herrn Dr. Heuss

heranziehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen uns aber dabei darüber klar werden, was wir eventuell an Sätzen ausscheiden können. Ich habe von vorneherein in meine Fassung mehr hineingepackt, als man vielleicht braucht. Wenn man sich einig ist, was man eventuell fallenlassen kann, wird die Sache von selber kürzer. Man könnte die Fassung dann der Fassung von Herrn Dr. Heuss gegenüberstellen. Vielleicht könnte man auch einen Eventualvorschlag machen. In diesem Falle ist es vielleicht ganz gut. Wenn man zwei Vorschläge macht, tut man eigentlich mehr für die Sache. Dann muß die Diskussion im Hauptausschuß neu anfangen. Wenn wir zwei Formulierungen machen, schwankt der Hauptausschuß zwischen der einen und der anderen Formulierung und sagt zum Schluß: Jetzt gehen wir zu der einen Formulierung über, an der vielleicht ein paar Änderungen vorzunehmen sind. Lensing: Es wäre verkehrt, zwei Entwürfe vorzulegen. Die Diskussion wird sich dann länger hinausziehen. Wir sollten zunächst einmal Ihren Entwurf, Herr v. Mangoldt24), hier durchsehen und prüfen, ob wir nicht mit gewissen Kürzungen zu einer Einigung kommen. Ich persönlich halte diesen Entwurf für sehr brauchbar. Manches in ihm kann gekürzt werden. Ich habe den Verhandlungen über die Präambel nur bruchstückweise beigewohnt. Mir ist der Abs. 5 nicht ganz klar, wo es heißt:.in dem festen Willen, die jüngst so schwer verletzten Freiheitsrechte des deutschen Volkes zu schützen und der so schwer geschändeten Menschenwürde zur vollen Anerkennung zu verhelfen." Ich frage : Von wem sind die Freiheitsrechte des deutschen Volkes so schwer verletzt worden, von dem nationalsozialistischen Regime oder von den Alliierten? Das ist mir nicht ganz klar. Ich glaube, man kann beides mit Fug und Recht behaupten. Nach meiner Auffassung könnte der Abs. 5 überhaupt fehlen. 0 Der Entwurf

von v.

Mangoldt ließ

sich nicht ermitteln. 511

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Zu Abs. 7 möchte ich vorschlagen, anders zu formulieren und zu kürzen. Sie haben dort gesagt: „zugleich aber in dem Bewußtsein, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat.. ." Es würde nach meiner Auffassung genügen: „in der Erkenntnis, daß die Besetzung unterworfen hat." Mit diesen Worten sollte man aufhören und Deutschlands den Abs. 7 abschließen. Das ist die Einschränkung, die für das Verfassungswerk hinderlich ist. Der zweite Teil des Absatzes ist nach meiner Ansicht überflüssig. Ich schlage also vor, den Abs. 5 überhaupt fallenzulassen, zumindest zu ändern, weil er unklar ist, und den Abs. 7 so zu kürzen, wie ich es jetzt ausgeführt habe. (Frau Dr. Weber: Aber den ersten Teil würde ich lassen.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf bemerken, daß ich mit Abs. 5 selbst noch nicht einverstanden war, daß ich die Formulierung noch nicht einwandfrei finde. Ich bin darauf nur auf Grund der Wünsche gekommen, die ich gehört habe und die zum Teil auch schriftlich niedergelegt worden sind, wonach man die Freiheitsrechte und die Menschenwürde nicht nur bei den Grundrechten erwähnen, sondern auch in die Präambel hineinstellen sollte. Wir haben in allen anderen Entwürfen ich glaube, auch in dem Entwurf von Herrn Dr. Heuss diese Betonung der Notwendigkeit des Schutzes der Freiheitsrechte drin, weil man dieses Grundgesetz gerade in seine Zeit hineinstellen und sagen will: gegenüber der Unterjochung in der Vergangenheit soll jetzt die Freiheit betont und sollen die Freiheitsrechte besonders geschützt werden. Dr. Heuss: In meiner Präambel ist das nicht enthalten. Da ist wohl von der nationalen Einheit usw. die Rede. Aber sonst bin ich auf die einzelnen Dinge nicht eingegangen. Ich halte sie an dieser Stelle auch für entbehrlich, weil die ersten zwei, drei Grundrechte davon sprechen. Der Vorschlag von Herrn Lensing scheint richtig zu sein, den zweiten Passus in Abs. 7 wegzulassen. Das ist ein bißchen zu sehr Kommentar zum Verfassungs.

.

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statut.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe es mit Absicht herausgestellt, weil ich die Kritik hören wollte. Dr. Heuss: Die haben Sie jetzt zweimal gehört. Ich würde die Besatzungsmächte als solche nicht nennen. Eine solche Präambel muß etwas wie eine Liturgie im weitesten Sinne haben. Der Ausdruck „von der Haltung der Besatzungsmächte abhängt" ist ein höchst unliturgischer Begriff. Deshalb müßte es schon heraus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich wollte es drin haben, weil es mir notwendig erschien. Wir wissen nicht, ob das Besatzungsstatut veröffentlicht wird, bevor die Verfassung herauskommt25). Ich sehe die Dinge noch so kommen, daß das Besatzungsstatut erst veröffentlicht wird, wenn das Grundgesetz abgeschlossen ist. Wir können es nicht erzwingen, daß das Besatzungsstatut vorher erlassen wird. (Lensing: Nach den neuesten Pressemeldungen soll es in 8 bis 14 Tagen

kommen.)

') Zu der 512

Ungewißheit über das Besatzungsstatut vgl.

Der Pari. Rat Bd. 3, S. XIV ff.

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Es ist uns schon manches erzählt worden. Wenn es so wäre, wäre es darauf müssen wir uns einstellen —, müsschön. Wenn es nicht der Fall ist das sen wir Grundgesetz fertig machen und können, wenn wir im Dezember so weit sind, nicht erklären: Wir machen die 3. Lesung nicht, bevor ihr das Besatzungsstatut macht! Dann können sie uns ohne weiteres dazu zwingen. Wir haben alles Interesse daran, die Regierung bald zustande zu bekommen. Wir verkünden dann möglicherweise die Grundrechte, und nachher werden sie von den Besatzungsmächten nicht anerkannt. Es ist meine Sorge, ob man diese Möglichkeit nicht irgendwie zum Ausdruck bringen sollte. Dr. Heuss: „Meine Sorge"? Das ist Sorge der Besatzungsmächte. Wir kommen, wenn wir am Schluß sind, in einen Wettlauf, in welchem Adenauer und Carlo Schmid miteinander oder in Konkurrenz große Politik machen. Dann wird so getan, als ob wir wer wären. Wir werden uns wahrscheinlich zwischendurch blamieren, wie es üblich ist. Das Grundgesetz als solches, wenn es gemacht wird, liegt mehr in der Entscheidung der anderen. Dann ist es Sache der anderen, wieweit sie sich blamieren wollen. Also Schmid sagt, das ist ein Arbeiten mit Fiktionen. Wir arbeiten alle mit Fiktionen, nämlich, wieweit ein anständiges Grundgesetz im öffentlichen Bewußtsein der Franzosen, der Amerikaner und der Engländer rezipiert wird. Dann ist es Sache von deren Regierungen. Wir können immer noch national protestieren, wenn wir Lust haben und uns dazu stark genug fühlen. Die weltgeschichtliche Entscheidung liegt dann bei den anderen. Wir werden nichts Provozierendes hineinnehmen. Das wäre saudumm. Alle diese Erklärungen, der Verzicht auf die Souveränität, die Frage der Einfügung in einen größeren Überstaat kommt alles schön und gut mit herein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Schwierigkeit liegt darin, zum Ausdruck zu bringen, daß wir nicht in Illusionen leben, daß die Verwirklichung des Verfassungsgebildes, das wir niederlegen, von dem Verhalten der Besatzungsmächte abhängig ist. Frau Dr. Weber: Die Eingaben gehen immer dahin, daß wir uns Illusionen hingeben in bezug auf die Rechte, die wir aussprechen, daß diese Rechte so nicht durchführbar wären. Ich wäre mit dem ersten Teil des Satzes einverstanden. Denn unser Volk wird enttäuscht sein das Besatzungsstatut kann ausfallen, vieles nicht wie es will —, daß durchgeführt werden kann26). Dr. Heuss: Den Satz, „daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Beschränkungen unterworfen hat", würde ich nicht hineinnehmen. Ich würde einfach den geschichtlichen Tatbestand als solchen nehmen. Ich habe geschrieben: .sind sich bei dem Werke der von der Machtlage erzwungenen Beschränkung ihrer freien Entscheidung bewußt gewesen." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist besser, zu sagen, daß die Rechte eingeschränkt —





sind. Dr. Heuss: Der Ausdruck „schweren Einschränkungen unterworfen" ist zu stark. Wir waren uns bei den Grundrechten darüber klar, daß sie juristisch möglichst aus „daß alles nicht ganz so Volk nie vergessen darf, daß wir besetzt sind."

26) In der Vorlage korrigiert unser

durchgeführt werden kann,

weil

513

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brauchbar sein sollen. Zweitens sollen sie auch Zielsetzungen für Verwaltung, Gesetzgebung usw. enthalten. Das sind Dinge, die heute noch nicht verwirklicht sind und nicht verwirklicht wären, wenn die Besatzungsmächte nicht da wären. Es ist auch ganz unabhängig von den Besatzungsmächten eine innere Umformung der Deutschen zu diesen Dingen notwendig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dürfen wir sagen, daß der Abs. 7 mit dieser Umformulierung, die wir später machen würden, gebilligt wird? Also kürzer und Umfor-

mulierung!

(Widerspruch erfolgt nicht.)

Es handelt sich nur noch darum, wie wir uns zu der Frage der Freiheitsrechte stellen, ob wir sie drin lassen oder streichen. Es ist der Wunsch geäußert worden, sie hier zu streichen. Wunderlich: In unserer Fraktion sind Bedenken dagegen erhoben worden, den Nationalsozialismus zu erwähnen. Es war allgemeine Auffassung, daß wir trotzrl^rn nicht darauf verzichten sollten, in einer umschreibenden Form auf die Vergangenheit hinzuweisen27). Mir scheint auch die Formulierung von Herrn v. Mangoldt nicht gerade glücklich zu sein. Das Wort „jüngst" hat mir nicht gefallen. Ich habe es gleich unterstrichen. Mit dem Inhaltlichen könnten aber wohl ich und meine Freunde einverstanden sein. Man könnte es umformulieren. (Lensing: Aber ganz kurz!) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „In der jüngeren deutschen Vergangenheit" kann man auch nicht sagen. Dr. Bergsträsser: Vielleicht: die in Deutschland beschränkten Freiheitsrechte. Dr. Heuss: „In Deutschland und durch Deutsche" kann man auch nicht sagen. (Lensing: Kein Kollektivschuldbekenntnis!) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist wieder eine sehr gefährliche Sache. Ich habe es schnell hingeworfen und bin mir über die Unvollkommenheit der Formulierung klar gewesen. Wir müßten morgen nach einer anderen Formulierung suchen. Wir müssen uns nur darüber einigen, was wir überhaupt in der Präambel haben wollen. Dr. Bergsträsser: Es sind auch nicht die Freiheitsrechte des deutschen Volkes das wären sie von außen gesehen —, sondern es sind die Freiheitsrechte des einzelnen deutschen Menschen. Aber der „Mensch" ist gerade in diesem Fall nicht ein besonders guter Ausdruck. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist dann auch schon ein Fehler in der Formulierung unseres ersten Entwurfs28), wo es heißt: „Erfüllt von dem Willen, seine Freihat das deutsche Volk.. ." Darin liegt schon der heitsrechte zu schützen Fehler. Dr. Eberhard: Wir waren uns in der sozialdemokratischen Fraktion darüber einig, daß wir das Wort Republik auf alle Fälle in der Präambel oder überhaupt im Ganzen drin haben wollen29). Auf Grund der bisherigen Diskussionen schien es mir auch möglich zu sein, sich darüber zu verständigen. Es war wohl kein —

.

27) Vgl. Anm. 5. 28) Vgl. Abdr. in: Dok. 29) Vgl. Anm. 5. 514

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.,

Nr. 11, Anm. 21.

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großer Widerstand

gegen das Wort Republik vorhanden. Da hier „Bundesstaat" steht möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir auf das Wort Republik hier sehr großen Wert legen. Gleich noch ein zweites, worüber in unserer Fraktion auch Einverständnis bestand. Das bezog sich allerdings auf die Ausschußformulierung, aber es bezieht sich wohl auch auf dieses Dokument hier. Wir meinten, daß die rechtliche und politische Kontinuität präziser zum Ausdruck gebracht werden müßte, als es hier drinsteht. Ich glaube, in dem Entwurf des Herrn Vorsitzenden ist es auch nicht deutlicher als in dem Ausschußentwurf. Dann ist in unserer Fraktion von Vertretern der Flüchtlinge der Wunsch geäußert worden, die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie irgendwie zu erwähnen. Wieweit das möglich ist, sehe ich noch nicht. Aber das sollte man sich jedenfalls bei den weiteren Beratungen überlegen. Wunderlich: Irgendwo ist ein Entwurf von Herrn Dr. Mücke dabei30). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf bemerken, Herr Dr. Eberhard, wir haben auf Grund des Vorschlages Zinn31) versucht, die mit der Kontinuität zusammenhängenden Dinge deutlicher zu fassen. Wir sind vollkommen gestrandet und haben keine Möglichkeit gefunden. Die Zinn'sche Formulierung haben wir abge-

lehnt. Dr. Eberhard: In der Absicht sind wir wohl einig. Aber an der Ausführung mangelt es noch. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hier wird es etwas deutlicher, wenn ich sage: .an Stelle des zerstörten staatlichen Gefüges der in Weimar geschaffenen Republik eine neue staatliche Ordnung zu errichten .". Diese neue staatliche Ordnung setzt ja voraus, daß das Gebilde Deutschland als solches vorhanden gewesen .

.

ist. Dr. Eberhard: Ich habe nur die Sorge, daß Männer wie Nawiasky32) sagen werden: Eine neue staatliche Ordnung wollen sie schaffen, also es ist etwas ganz Neues; das Alte ist tot.

unter dem 3. Nov. 1948 u. a. folgende Version der Präambel vorgeschlagen (Behändigte Ausfertigung in: Z 5/94, Bl. 134, als Drucks. Nr. 255 vervielf.): „Das Gefüge der in Weimar geschaffenen Deutschen Republik wurde durch die nationalsozialistische Zwingherrschaft wesentlich erschüttert, das deutsche Volk wurde seiner Freiheit beraubt. Die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte hat das Recht des deutschen Volkes, sein Leben in Freiheit wieder zu gestalten, schweren Einschränkungen unterworfen, die Vertreibung der Bewohner aus den zur Deutschen Republik gehörigen Gebieten östlich der Oder und Neisse und die Ausweisung von Bewohnern fremdstaatlicher Gebiete wegen ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum hat viele Millionen deutscher Menschen in größte Not und Verzweiflung gestürzt. Erfüllt von

30) Dr. Mücke (SPD) hatte

dem Willen, seine unverzichtbaren Lebensrechte zu wahren und zu schützen, sowie die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk aus den Ländern ..". 31) Dok. Nr. 8, TOP 1 a. 32) Prof. Hans Nawiasky (1880—1961), ab 1909 Staatsrechtslehrer an der Universität München, seit 1933 in die Schweiz emigriert. Er verfaßte u. a. die Werke: Der Bundesstaat als Rechtsbegriff. Tübingen 1920; Die Stellung der Regierung im modernen Staat, Tübingen 1925. Beim Herrenchiemseer Konvent war er Sachverständiger im Unterausschuß I für die Grundrechte gewesen (Der Pari. Rat Bd. 2, S. LXXIII). .

515

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Dr. Heuss: Deshalb mein Ausdruck: neu zu formen. Dr. Eberhard: Ich habe sehr viel Sympathie für den Entwurf von Herrn Dr. Heuss. Dr. Heuss: Der Ausdruck „neu zu formen" ist doch sehr überlegt, statt zu sagen:

schaffen oder: sondern nur

errichten. Dabei gehe ich gar nicht vom Staatsrechtlichen der These, daß die Deutschen eine historisch-politische Rechtspersönlichkeit geworden und geblieben sind. Und jetzt tritt eine Neuformung ein. Daher auch der von mir gesuchte Ausdruck „verfassungsmäßige zu

aus,

zu

von

Rechtsordnung". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: dem: .die Grundlage

Der Gedanke der Kontinuität

liegt bei mir in folgenfür die Bundesrepublik Deutschland zu schaffen und oder in dem Bundesstaat in ihm die Einheit der Nation zu erhalten." Dr. Eberhard: Es ist etwas mehr als in der ursprünglichen Formulierung drin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnte alles umformuliert werden. Man könnte zunächst mit Herrn Dr. Heuss sagen: erfüllt von dem Willen, die staatliche Ordnung neu zu formen, um dann zu sagen: eine Bundesrepublik Deutschland zu schaffen und in ihr die Einheit der Nation zu erhalten. (Zustimmung von sehen der Abgeordneten Frau Dr. Weber, Lensing und —



Dr. Eberhard.) Es ist wesentlich, daß die deutschen Länder mit diesem Ziel Abgeordnete entsandt haben. Das könnte man voranstellen. Man würde einen kurzen einleitenden Satz haben, in welchem alles enthalten ist. Dr. Eberhard: Bei flüchtiger Durchsicht fehlt mir ein Hinweis der Art, wie er in der Ausschußformulierung enthalten war, wo es hieß: „getragen vom Vertrauen und von der Hoffnung aller Deutschen", oder wie es vielleicht noch schöner in dem Entwurf von Dr. Heuss steht: „Sie haben bei der Durchführung ihres Auftrages sich als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war." Eine Formulierung dieser Art scheint mir wichtig, und die Formulierung von Dr. Heuss gefällt mir, offen gesagt, sehr gut. Sie ist, glaube ich, in Ihrem Entwurf nicht enthalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Doch! Es heißt hier: „in der Überzeugung, daß dem deutschen Volk das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben ist und daß die entsandten Abgeordneten berechtigt sind, als Vertreter aller Deutschen zu handeln." Man hat gerade in der Formulierung „geder Hoffnung". eine zu selbstbewußte Betonung unserer Steltragen von lung gesehen. Man hat sich an dem Ausdruck „getragen vom Vertrauen und bewegt von der Hoffnung aller Deutschen" gestoßen. Hier ist das gleiche vorsichtiger ausgedrückt: „in der Überzeugung, daß wir berechtigt sind, als Vertreter aller Deutschen zu handeln". Damit ist mehr auf unsere subjektive Meinung ab.

.

.

.

gestellt.

.

Dr. Eberhard: Aber es hat nicht das Pathos, das in der Heuss'schen Formulierung liegt. Die Ausschußformulierung hält dem Einwand, der soeben von Ihnen wiederholt wurde, nicht stand. Die Heuss'sche Formulierung hält ihm meines Erachtens stand. Wenn es heißt: Wir haben uns als stellvertretend für die Deutschen empfunden, so ist das eine Feststellung über unsere eigene psychologische Lage, und, ich glaube, eine richtige. 516

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnte man in einen Absatz hineinbringen. Man könnte das auch umformulieren. Dr. Eberhard: Es ist richtig, der Ausdruck „aller Deutschen" steht bei Ihnen. Ich habe es gar nicht gemerkt. Es ist vielleicht wünschenswert, eine Formulierung mit größerem Pathos drin zu haben. Frau Dr. Weber: Eine Gruppe, mit der ich immer wieder gesprochen habe, konnte den Ausdruck „staatliches Gefüge" nicht verstehen. Man versteht darunter vielleicht mehr, als wir wollen. Wir wollen ausdrücken, daß Deutschland nicht zerstört worden ist, sondern nur eine gewisse Ordnung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten uns soeben schon darüber geeinigt, eventuell in der Heuss'schen Form an den Anfang zu setzen: die rechtliche Ordnung oder die staatliche Ordnung neu zu formen. Der Ausdruck „die Rechtsordnung seines staatlichen Lebens" ist mir etwas zuviel. Dr. Heuss: Den Ausdruck „seines staatlichen Lebens" kann man weglassen. Aber den Ausdruck „verfassungsmäßige Rechtsordnung" halte ich für eine gute Interpretation des etwas dünnen Wortes Grundgesetz. Es ist beschlossen worden, keine Verfassung zu machen. Tatsächlich machen wir eine Verfassung. Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Ich habe nicht die Bedenken, die Herr Dr. Schmid imindem er von einem Staatsfragment spricht. Wir machen tatsächlich hat, eine staatliche Ordnung. Wenn der Staat auch nicht vollendet wird, so machen wir doch eine staatliche Ordnung. Deshalb würde ich mich nicht scheuen, zu sagen: die staatliche Grundordnung neu zu formen. Dr. Bergsträsser: Wir machen eine vollständige staatliche Ordnung, aber für ein unvollständiges Deutschland. Dr. Heuss: Das Problem ist, ob man das Staatsfragment geographisch und volkspolitisch oder auch verfassungspolitisch interpretiert. Schmid geht auf das Verfassungspolitische hinaus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man wird uns nun bei der vorliegenden Fassung entgegenhalten, daß das deutsche Volk die Abgeordneten gar nicht entsandt hätte. Man wird auf das Londoner Abkommen hinweisen33). Ich glaube aber, dieses Risiko müßten wir eingehen. Ich würde sagen, wir haben die Möglichkeiten, die uns durch London gegeben waren, aufgegriffen. Dr. Heuss: Der Einwand kann nicht kommen. Ganz dumme SED-Leute können es vielleicht machen. Aber wir beziehen unsere Legitimation weder von London noch von den Ministerpräsidenten, sondern von der Tatsache, daß wir von den Landtagen entsandt worden sind. Das ist eine technische Form. Dr. Eberhard: Zu diesem Punkt scheint mir doch die Formulierung: „hat das deutsche Volk aus den Ländern ..." viel verständlicher zu sein als die Formulierung: .haben die deutschen Länder. .". Gerade weil so viel von den Ländern als Ursprung des Ganzen die Rede ist, würde ich wünschen, daß wir uns davon abheben.

mer

.

33) Zum Londoner Abkommen vgl. Dok. Nr. 11, Anm.

11.

517

Nr. 24

Neunzehnte

Sitzung

9. November 1948

bayerische Kritik geht gerade davon aus, daß wir Volk aus den Ländern" oder: „in den Ländern". Sie gesagt haben: „das deutsche deutsche Volk der Länder. müßte heißen: das sagen, es sich reden. Dr. Eberhard: Darüber läßt Dr. Bergsträsser: Wenn wir aber „die Länder" sagen, supponieren wir eine Neukonstituierung. Weil wir das vermeiden wollen, dürfen wir nicht sagen: die Länder. Das, was konstant ist, ist vielmehr das deutsche Volk. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man müßte dann sagen: das deutsche Volk in den Ländern oder: aus den Ländern. Dr. Heuss: „In den Ländern" ist besser als „aus den Ländern". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir schreiben also: in den Ländern. Neu ist bei mir eine Einschaltung, die ich bewußt hineingenommen habe, weil gegenüber unseren Grundrechten oder gegenüber der ganzen Verfassung immer der Vorwurf geäußert worden ist, daß nichts von den Kräften der Sittlichkeit oder von der sittlichen Ausgestaltung drinstehe. Ich habe hier gesagt: „im Vertrauen auf Gott und die wiedererweckten sittlichen Kräfte des deutschen Volkes." Man könnte es auch anders formulieren, wie z. B. in dem Entwurf der DP34): „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott...". Damit würde man gerade auch den Gegensatz zur Vergangenheit haben, das, was Sie, Herr Wunderlich, drin sehen wollten. Wunderlich: Ich habe gegen die „wiedererweckten sittlichen Kräfte" schwere Bedenken. Das ist ein vager und wenig faßbarer Begriff. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der Präambel braucht das Begriffliche auch nicht so fest umrissen zu sein; es muß aber überhaupt gezeigt werden, daß das ganze Werk unter dem Zeichen der Sittlichkeit steht. Dr. Bergsträsser: Man könnte vielleicht sagen: in der Überzeugung oder in dem Bewußtsein, daß ein Staat von sittlichen Kräften getragen sein muß. Gegen die Einbeziehung Gottes haben wir Bedenken. Zum Beispiel hat kürzlich gerade ein Mann wie der Bischof Dibelius35) aufs schärfste betont, daß der Staat eine säkulare Angelegenheit sei, die man fein säuberlich trennen müsse. Wenn wir eine Verfassung machen und, ich nehme einmal an, zu einem Kompromiß komich glaube, Sie sind alle dieser Überzeugung —, so ist das doch eine men Inbeziehungsetzung des politischen Ausgleichs zu Gott, die meinem Gefühl stark widerstrebt. Die sittlichen Kräfte anzuerkennen, ohne die ein Staat nicht existieren kann, das ist etwas ganz anderes. Frau Dr. Weber: Wir können das Wort „wiedererweckten" weglassen. Lensing: Vielleicht sagen wir: auf Gott und die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes. Dr. Bergsträsser: Ich würde sagen: im Bewußtsein, daß jeder Staat von sittlichen Kräften getragen sein muß, oder so ähnlich. wir müssen Frau Dr. Weber: Ich glaube, daß die Mehrheit der Deutschen keinen Anstoß an „Gott" nehmen würde. uns untereinander ausgleichen Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

Die







34) Entwurf der DP vgl. Anm. 12. 35) Otto Dibelius (1880—1967), evangelischer Theologe, Bischof 1945-1966. 518

von

Berlin in den

Jahren

Neunzehnte

Sitzung

9.

November 1948

Nr. 24

Dr. Bergsträsser: Ich nehme nur an der Kombination Anstoß. Frau Dr. Weber: Ich kann es mir nicht vorstellen. Lensing: Die Wendungen „im Vertrauen auf Gott " und „die sittlichen Kräfte" sind doch nicht etwas, was nicht zusammengehört. Es paßt sehr gut zueinan-

der.

v. Mangoldt]: Darauf wird in meiner Fraktion sehr starkes Gewicht Diese invocatio spielt auch in anderen Ländern eine starke Rolle. Denken Sie an neuere Veröffentlichungen verfassungsmäßigen Charakters bei den Angelsachsen, in denen sich die invocatio findet. Sie findet sich in der Atlantik-Charta36) und in anderen Werken. In der französischen Verfassung natürlich nicht. Dieses Anliegen ist in großen Bevölkerungsteilen sehr stark37). Man würauch dafür würde auf unserer Seite Verständnis bestehen —, wenn man de es an einer Stelle findet, dann an anderen Stellen wohl darauf verzichten kön-

Vors. [Dr.

gelegt.



nen.

Dr. Heuss: Wenn

es heißt: im Vertrauen auf Gott und die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, wird einer herausstellen, der liebe Gott ist der Beitrag der CDU, die sittlichen Kräfte sind von der Sozialdemokratie.

(Heiterkeit.) Das wird

so laufen. Da könnt ihr machen, was ihr wollt. Das muß also ein bißchen getrennt werden. Wir haben in Württemberg eine entsetzlich lange Unterhaltung über das christliche Sittengesetz usw. gehabt. Ich bin meiner Natur nach gegen diese invocatio dei, weil ich ein bißchen zu sehr von Sohm38) herkomme. Dibelius macht jetzt in scharfem antistaatlichen Klerikalismus. Das ist nicht ganz maßgebend. Die Rudolf Sohm'sche These, daß der Staat an sich ein Heide ist, wirkt bei uns noch nach. (Frau Dr. Weber: Bei uns gar nicht!) Weil ihr inzwischen das Naturrecht gelernt habt. In Ihrer Jugend hat es das auch noch nicht gegeben. Inzwischen ist das Naturrecht wieder modern geworden. „Im Vertrauen auf Gott", das haben wir bei dem Hitler in der „Vorsehung" erlebt. Gegen Schluß, als es ihm schlecht wurde, hat er auch den „Allmächtigen" angerufen. Er hat ziemlich lange gebraucht. Vorsehung, das nennt man metaphysische Bindung einer Sache. Sie können sagen, es sei die Metaphysik des Satans. Das Satanische ist auch eine Institution der Metaphysik. Mir ist es viel lieber, zu sagen: in ihrer Verantwortung vor Gott. Es ist sauberer als das andere. Den lieben Gott für all die Dummheiten, die hier gemacht werden, —



36) Atlantik-Charta s. Dok. Nr. 8, Anm. 12. 37) Vgl. z. B. die Kritik von Erwein [!] Freiherr v. Aretin in der „Münchener Allgemeinen" Nr. 7 vom 17. Okt. 1948, Artikel „Gottlose Grundrechte": „Nach einem der furchtbarsten Strafgerichte, mit dem Gott je ein gottlos gewordenes Volk heimgesucht hat, sind diese „Grundrechte" ein erschütterndes Zeugnis der Blindheit der Mitglieder jenes Ausschusses [.. .] Wo waren die Mitglieder jener Parteien, die sich chrisüich nennen und die doch wohl auch in diesem Ausschuß vertreten waren? Haben sie nicht gemerkt, wie der totge-

schwiegene

Gott in diesen Grundrechten verraten wird?"

38) Rudolph Sohm, Rechtshistoriker und Kirchenrechtslehrer, (1841—1917), Prof. in Freiburg, Straßburg, Leipzig, Anhänger Friedrich Naumanns, durch seine These, daß das Kirchenrecht mit dem Wesen der Kirche im Widerspruch stünde, bekannt geworden. 519

Nr. 24

Neunzehnte Sitzung

unmittelbar verantwortlich

einander zu stellen. Frau Dr. Weber: Sie

November 1948

Überhebung. Wenn Gott" oder: „in dem Bewußtlieber, als „Gott" und „die sittlichen Kräfte" neben-

zu

wir aber sagen: „in ihrer sein ...", so ist mir das viel

9.

machen, ist eine theologische

Verantwortung

bringen

vor

auch ohne die sittlichen Kräfte eines Volkes nichts

fertig. Dr. Heuss: Dann kann

man

sich

überlegen,

eine Formel

schlagen hat, indem nur möglich ist usw. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das können vielleicht zu Anfang man

Herr Dr. Bergsträsser vorgedaß ein findet, gesundes Gemeinschaftswas

leben

können wir an einer anderen Stelle bringen. Wir den Vorschlag von Herrn Dr. Heuss bringen: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott" so wie die DP die Präambel ananderen Stelle den sittlichen Kräften sprechen, daan von einer und fängt39) mit es nicht zusammensteht. Frau Dr. Weber: Ich finde es noch besser, zu sagen: im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott. [Schließung der Sitzung, nächster Sitzungstermin] —



9) Vgl. Anm. 520

12.

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle vom Deutschen Bundesarchiv

Herausgeg. und

vom

Bundestag

Die Dokumentation enthält den kommentierten Abdruck der bisher unveröffent-

lichten Protokolle der Fachausschüsse des Parlamentarischen Rates. Sachindizes gewährleisten die thematische Orientierung und den Überblick über die mannigfachen Verhandlungen vor der endgültigen Formulierung der einzelnen Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Bisher erschienen:

Volker Wagner (Bearbeiter)

Band 1 : 1975

Vorgeschichte

534

S„

5

T., Ln., DM

60-

-

Peter Bucher (Bearbeiter) Band 2 : Der Verfassungskonvent

auf Herrenchiemsee S., Ln„ DM 80-

1981

812 -

Wolfram Werner (Bearbeiter) Band 3: Ausschuß für

Zuständigkeitsabgrenzung

1986

S., Ln., DM 96Wolfram Werner (Bearbeiter) 848

-

Band 4 : Ausschuß für das

Besatzungs statut

S., Ln., DM 42,Pikarl/W. Werner (Bearbeiter)

389

192

-

Band 5: Ausschuß für 1993

2

Grandsatzfragen

Bde,

1160

S., Ln., DM

180-

-

Vorbereitung : -

Entwürfe Ausschuß für Finanzfragen Ausschuß für Wahlrechtsfragen Ausschuß für Organisation des

Bundes/Verfassungsgerichtshof Rechtspflege

und

Hauptausschuß -

Plenum

-

HARALD BOLDT VERLAG BOPPARD AM RHEIN

.........

(,

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle

Band 5/II Ausschuß für Grundsatzfragen

© HARALD BOLDT VERLAG



BOPPARD AM RHEIN

Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle

Band 5/II Ausschuß für Grundsatzfragen

© HARALD BOLDT VERLAG



BOPPARD AM RHEIN

Zwanzigste Sitzung

10.

November 1948

Nr. 25

Nr. 25

Zwanzigste

Sitzung des Ausschusses für 10. November 1948

Grundsatzfragen

Z 5/33, Bl. 127-1771). Stenogr. Wortprot. vom 12. Nov. 1948, Kurzprot: Z 5/45, Bl. 54-57. Drucks. Nr. 269

von

Herrgesell

gez.

Anwesend2) :

CDU/CSU: Kleindinst, Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Schmid, Wunderlich FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Maier (SPD), Suhr (SPD), Zimmermann (SPD) Stenografischer Dienst: Herrgesell Dauer: 9.15-11.30 Uhr

[1. ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN (ART. 21-32),

2.

LESUNG]

[a. Staatlicher Aufbau (Art. 21)] Der Ausschuß beschließt nach längerer Diskussion, mit Rücksicht auf die Sitzung des Hauptausschusses am 11. November 19483) von der auf der Tagesordnung stehenden weiteren Behandlung der Präambel abzusehen und die Art. 21 ff. in 2. Lesung zu behandeln4). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Art. 21 (Artikel des Grundgesetzes nach dem Stand vom 18. Oktober 19485)) betrifft den Staatscharakter des Bundes. Hierzu liegt eine Äußerung der Bayerischen Staatskanzlei vor6). Darin wird gesagt, dieser Artikel klinge wie ein staatsrechtliches Kolleg, das nicht in eine Verfassung hin-

eingehöre.

bitte, zu überprüfen, ob der Abs. 1 so stehen bleiben kann. Was dort gesagt wird, gehört eigentlich in die Präambel und sollte auf jeden Fall knapper gefaßt werden. Es muß auch geprüft werden, ob das Wort „Deutschland" gebraucht werden darf. Was ist hier Deutschland? An und für sich ist „Deutschland" von uns als geographischer Begriff benutzt. Wenn es nicht als geographischer Begriff gebraucht wurde, so ist es das gesamte Gebiet, auch das Dr. Suhr: Ich

38 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Der HptA befaßte sich dann doch erst in seiner vierten Sitzung am 17. Nov. 1948 mit Art. 21 ff.; Verhandlungen S. 46 ff. Nach Kurzprot. wurde die TO mit folgender Begründung geändert: „Auf Anregung von Dr. Eberhard (SPD) schlägt der Vorsitzende Dr. v. Mangoldt (CDU) vor, statt der vorgesehenen Diskussion über die Präambel die 2. Lesung der Artikel 21 ff. („Allgemeine Bestimmungen") vorzunehmen, da sich heute Nachmittag der Redaktionsausschuß und morgen Vormittag der Hauptausschuß mit diesen Bestimmungen befassen wollen." Vgl. Dok. Nr. 16. Vgl. die undat. „vorläufige Äußerung zu den Fachausschüssen formulierten Artikeln nach dem Stand vom 18. Okt. 1948" in: Z 5 Anhang/12, Bl. 247-258.

!) Bl. 178—183 (S. 4,10,11,18, 28, 2) 3) 4)

5) 6)

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10.

November 1948

Gebiet der ostdeutschen Länder, während hier im Unterschied zur Präambel die staatsrechtlichen Formen für den jetzigen Bund bestimmt werden. Es besteht meines Erachtens ein gewisses Bedenken dagegen, hier überhaupt von Deutschland zu sprechen. Wir können nur die Staatsform für den Bund festlegen. Ich weiß, daß es schwierig ist. Man müßte eigentlich sagen: Der Bund ist eine soziale und demokratische Republik. Ich kann noch keinen endgültigen Vorschlag machen, möchte aber Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben darüber seinerzeit eingehend gesprochen7) und sind gerade zu dem Entschluß gekommen, „Deutschland" hineinzuschreiben, weil wir nicht sagen konnten: Die Bundesrepublik Deutschland. Dr. Eberhard: Der Kollege Dr. Suhr hat die gleiche Meinung wie andere Sozialdemokraten. Er war wohl zwar in der betreffenden Fraktionssitzung nicht dabei8). Was ich sagen wollte, ist aber ungefähr dasselbe. Der erste Satz mit dem Ausdruck „bundesstaatlichen Aufbaus" schien uns auch nicht sehr schön. Das ist wirklich etwas kollegartig dargestellt. Den Ausdruck „bundesstaatlichen Aufbaus" könnte man hier vielleicht weglassen, wenn man gleich zu Anfang von dem Bund spricht und folgende Formulierung wählt: „Der Bund ist eine demokratische und soziale Republik, deren Regierung usw." Mir scheint, es ist alles enthalten, was auch jetzt drin ist, und wir haben den vagen Begriff „Deutschland", von dem der Herr Kollege Dr. Suhr sprach, vermieden. Dr. Suhr: Ich würde hinter „Republik" einen Punkt machen und im ersten Absatz weiter nichts sagen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist nicht ganz klar, weil man staatsrechtlich unter „Bund" etwas anderes versteht. Gerade das Wesentliche, was staatsrechtlich in dieser Formulierung liegt, ist der Hinweis auf den bundesstaatlichen Charakter. Wir sind praktisch auf diese Formulierung gekommen, weil wir nicht wiederholen konnten: „Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Republik." Dr. Suhr: Aber was ist Deutschland hier? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei den ganzen Unterhaltungen über den Namen ist der Ausgangspunkt gewesen, daß „Deutschland" der Name sein sollte. Wir haben von Anfang an gesagt, daß trotz der Schwierigkeiten, die in der Verwendung des Begriffes Deutschland und Bundesrepublik Deutschland liegen, dieser Begriff praktisch verwendet werden sollte, obwohl es weniger als das eigentliche Deutschland ist. Dr. Heuss: Es ist der Versuch, den Begriff Deutschland aus dem Ethnischen, Kulturellen in das Staatsrechtliche zu heben. Es wird eine Denkgewöhnung sein. „Deutschland war einmal nur ein geographischer Begriff." Wir haben die Begriffe deutsche Republik und deutsche Länder vermieden. Ich würde die Fassung: „Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik" von mir aus nicht beanstanden, weil es ein Weg zur staatsrechtlichen Begrenzung dieses Begriffes ist. nur

7) Vgl. Dok. Nr. 8, TOP 1 c. 8) Die SPD wollte Art. 21, Abs. ziale Republik. Abs. 2: Die Anm. 5 zitierte Dokument.

522

1 wie folgt fassen: „Der Bund ist eine demokratische und soStaatsgewalt geht vom Volke aus." Vgl. das in Dok. Nr. 24,

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Dr. Suhr: In der Präambel ist der Begriff Deutschland für den samtstaat genommen worden. Es heißt: „eine den Aufgaben der

Nr. 25

künftigen

Ge-

Übergangszeit

dienende Ordnung für die Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten." Da ist das Wort „Deutschland" für das künftig zu erstrebende Gesamtgebiet genommen, während die einzelnen Artikel der Verfassung sich doch nur auf das Bundesgebiet der Länder beziehen. Das ist der Unterschied. Das Wort „Deutschland" ist zweimal in verschiedenem Sinn gebraucht. Dr. Schmid: Darf ich nun fragen, wie dieser Bund heißen soll? Wir haben uns doch damals9) ausführlich darüber ausgesprochen, daß das, was hier im Westen geschieht, nicht die Begründung eines separaten Staatswesens, sondern lediglich der Versuch ist, die Organisation des desorganisierten Gesamtdeutschland, wenigstens in dem Teile Deutschlands in Angriff zu nehmen, in dem wir es können; es wird hier also Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland wenngleich nur eine fragmentarische, so doch immerhin gesamtdeutsche Hoheitsgewalt ausgeübt. Deswegen kann ich es mir nicht gut anders vorstellen, als daß wir „Bundesrepublik Deutschland, Der Minister der Finanzen" zum Beispiel firmieren. Er ist der Finanzminister, kann eben nur hier amtieren. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir zu dem übergehen, was ich vor Monaten vorgeschlagen habe, nämlich, daß man dem Gebilde, das wir schaffen, nicht einen Namen, sondern nur eine Bezeichnung geben soll. Ich habe damals „Vereinigtes Wirtschafts- und Verwaltungsgebiet" vorgeschlagen. Aus politischen Gründen haben wir davon abgesehen, diese zweifellos juristisch korrektere Bezeichnung zu wählen. Ich sehe nicht, wie wir es gut anders machen können. Man kann nicht firmieren „Der Bund" oder „Der Finanzminister des Bundes" oder „Der Bundeskanzler des Bundes". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aus diesem Grunde haben wir ausdrücklich als Überschrift genommen: „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland". Wir haben damals eingehend darüber diskutiert. Wir können das Ganze nicht noch einmal aufnehmen. (Dr. Eberhard: Um Gottes willen nicht! Frau Dr. Weber: Wir haben keine Bedenken.) Dr. Schmid: Ich hatte damals sogar vorgeschlagen, zu sagen: „Erstes Grundgesetz für die Bundesrepublik". Dr. Suhr: Ich möchte hier nicht die ganze Debatte der Präambel wieder aufrollen. Ich möchte nur, wie es auch in der sozialdemokratischen Fraktion besprochen worden ist, der Meinung Ausdruck geben, daß man den Art. 21 Abs. 1 und 2 kürzer zusammenfassen sollte. Unser Vorschlag war: „Der Bund ist eine demokratische und soziale Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus." Der zweite Satz ist die Formulierung aus der Weimarer Verfassung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Satz ist mit Bewußtsein nicht übernommen worden, weil damit aus der Zeit der alten Verfassung her wieder gewisse Streitfragen auftauchen würden. Man hat nämlich damals an dem Satz „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" Anstoß genommen, und zwar in dem Teil der Bevölke—



9) Diese Diskussion fand vor allem im Rahmen der Beratungen der Präambel statt. Vgl. u. a. Dok. Nr. 8, TOP 1

c.

523

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rung, der das Religiöse in den Vordergrund stellt. Für diesen Teil der Bevölkerung macht man die Sache leichter, wenn man nicht die alte Formulierung wählt. Es führt nicht zu den Schwierigkeiten, wenn man die Dinge mit der Formulierung zum Ausdruck bringt, die wir gewählt haben. Dr. Schmid: Der Satz „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" war nie gemeint und ist nie gebraucht worden, um damit etwa die Behauptung zu widerlegen, daß alle Obrigkeit von Gott aus gehe. Was damit gesagt werden sollte und immer nur gesagt worden ist, ist, daß, soweit hier, in Raum und Zeit, obrigkeitliche Befugnisse ausgeübt werden, diese nicht auf Privilegien, auf Erbrecht wie in der Monarchie, sondern auf dem Konsens des Volkes beruhen. Mehr ist nie

gesagt worden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben aber diese Einwände gehört. Dr. Schmid: Ich weiß nicht, ob die Einwände irgendwie pertinent sind. Ich möchte es hier in Frage stellen. Man darf nicht immer fürchten, daß der andere mit einer solchen Formulierang irgendwie in den religiösen Bezirk eingreifen

will oder auch nur eingreifen könnte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können das natürlich anders formulieren. Es ist jedoch notwendig, die hier vorgebrachten Bedenken zu erörtern und eine Formulierung zu suchen, die möglichst weitgehenden Kreisen gerecht wird. Dr. Schmid: Der Ausdruck „Träger" ist unschön. Man denkt an Lastträger. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Formulierang „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" ist auch nicht ganz vorbildlich. Wir haben uns daran gewöhnt. Ich würde nicht sagen, daß die Fassung einwandfrei und sehr schön das bezeichnet, was wir sagen wollen. Frau Dr. Weber: Ich würde sagen, daß sie es noch tut. Dr. Heuss: Vielleicht kann man statt „Träger" „Schöpfer" sagen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein. Vielleicht könnte man sagen: Die Staatsgewalt liegt beim Volke. Dr. Schmid: Am besten kommt, was gemeint ist, in der Formulierung der Weimarer Verfassung heraus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen auf alle Fälle den Nebensatz hereinbringen: „deren Regierung den Volksvertretern verantwortlich ist". Das ist das Wesen des parlamentarischen Regierungssystems. Ich hörte von einem Antrag, daß das auch gestrichen werden sollte. Dr. Eberhard: Das steht in späteren Abschnitten drin. Hier ist es überflüssig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das ist nicht überflüssig. Wenn nur drin steht: „Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik", so würde eine der verfassungsrechtlich wesentlichsten Fragen in diesem Artikel nicht angeschnitten sein. Das würde sofort zu der Frage Anlaß geben: Was habt ihr euch dabei gedacht, als ihr gerade diese Begriffsbestimmung der parlamentarischen Republik weggelassen habt? Dr. Schmid: Man muß sich entscheiden, ob man in Art. 21 mit einem, zwei oder drei Sätzen eine Definition des spezifischen Charakters dieses Gebildes geben will oder nicht. Will man sie geben, sollte man sie vollständig geben und sollte sämtliche Charakteristika hineintun. Will man das aus irgendwelchen Gründen nicht, dann sollte man überhaupt auf jedwede Charakterisierung verzichten. 524

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade diese konzentrierte Zusammenfassung am Anfang ist zweckmäßig. Dr. Schmid: Ich finde es ganz gut. Ich habe mich seinerzeit sehr darüber ge-

freut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen hier zu einer Entscheidung kommen. Frau Dr. Weber: Wir sollten es lassen. Lensing: In der Weimarer Verfassung heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Könnte man das nicht etwas mildern, indem man sagt: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus? Dr. Schmid: Das ist auch mein Vorschlag,

(Dr. Eberhard: ja) obwohl ich keinen Unterschied finde zwischen „alle

Staatsgewalt"

und „die

Staatsgewalt".

nur den Bedenken, die auf unserer Seite vorhanden sind, dadurch Rechnung tragen. Dr. Schmid: Ich darf mir einmal die brutale Frage erlauben, welches denn diese Bedenken sind. Was fürchten Sie denn für irgendeinen Bereich des Lebens, wenn es hier hieße: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus? Welche Rechtsfolgen nachteiligen Charakters für irgendein legitimes Interesse könnten sich daraus auch bei böswilligster Interpretation ergeben? Lensing: Ich fürchte gar nicht, daß sich irgendwelche Folgen ergeben. Aber die Wendung „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" hat für unsere Ohren den Charakter einer Ausschließlichkeit, die wir nicht anerkennen können10). Dr. Schmid: Wo wollen Sie in einer demokratischen Republik die Staatsgewalt hernehmen, wenn nicht vom Volke? Dr. Suhr: Das Argument von einzelnen Herren war: die Staatsgewalt geht nicht nur vom Volke aus, sondern von Gott. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es waren die Kirchen, die sich daran gestoßen haben. Dr. Schmid: Es ist vielleicht ganz sinnvoll, einen solchen Einwand einmal klar zum Ausdruck zu bringen und auszudiskutieren. Vielleicht ergibt sich, daß tatsächlich etwas dahinter ist. Vielleicht ergibt sich aber auch nur, daß er ein Scheinproblem streift, daß er mehr rhetorische als juristische Bedeutung hat. Nehmen wir einmal an, hier stehe: „Die Staatsgewalt geht von Gott aus, der sie durch das Volk ausüben läßt", was würden Sie konkret daraus vor einem Verfassungsgerichtshof oder vor einem Verwaltungsgerichtshof anderes ableiten können als aus unserer Formel? Sie könnten unter Berufung darauf doch höchstens dem Träger der obrigkeitlichen Gewalt sagen wollen: Du wirst dich für das, was du tust, einmal vor Gott verantworten müssen! Gut, aber das gehört eher in einen Katechismus als in eine Verfassung. Frau Dr. Weber: Es handelt sich nicht darum, daß daraus rechtlich etwas abgeleitet werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine Auffassung, die dadurch zum Ausdruck kommt. Wir müßten darüber eine ganze Vorlesung geben. Das

Lensing: Ich möchte

aus „hat für Ausschließlichkeit."

10) Korrigiert

unsere

Ohren ein bißchen totalitären Charakter in

bezug auf

die

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10.

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sollten wir nicht tun. Wir sollten uns auf eine Fassung einigen, die uns allen genehm ist und die wirklich eine Einwirkung auf die rechtlichen Dinge hat. Das andere müssen wir ausscheiden, das führt zu weit. Dr. Schmid: Nehmen Sie mir bitte, was ich jetzt sagen werde, nicht übel! Unter Berufung darauf, daß die Staatsgewalt von Gott ausgehe, wird z. B. in Spanien heute, im Jahre 1948, den Evangelischen noch verboten, ihren Gottesdienst öffentlich zu halten. Ich glaube nicht, daß man in Spanien diese Folgerung mit Recht aus dieser Prämisse zieht. Ich sage nur, was man alles mit der Berufung auf Gott tun kann, etwa indem man argumentiert, daß Gott nicht wollen könne, daß es auf der Welt Ketzer gibt, daß der Staat also sich versündigen würde, wenn er den Häretikern die Möglichkeit geben würde, ihre Pestilenz durch öffentlich gehaltene Gottesdienste auszubreiten. Ich sage das nur, um zu zeigen, wie wenig man mit solchen Definitionen „religiöser" Prägnanz konkret anfangen kann. Letzten Endes hängen die Dinge von der inneren Gesinnung dessen ab, der diese Bestimmungen anwendet. Und diese können Sie nicht durch Verfassungsartikel bilden und prägen. Die prägt und bildet sich anderswo. Dr. Heuss: Was Herr Dr. Schmid soeben gesagt hat, war sehr interessant. Es müssen alle theokratischen Elemente ausgeschieden werden. (Frau Dr. Weber: Das wollen wir auch.) Ich bin ganz damit einverstanden, wenn wir die invocatio dei mit hineinbringen. Ich will sie nicht haben, mich aber nicht dagegen wehren. Wir müssen gerade in der Konkretisierung der demokratischen Republik diese Bezugsmöglichkeiten, die ich durchaus in der individuellen Auffassung von diesem und jenem akzeptiere, wo es sich um rechtsverbindliche Dinge handelt, ausscheiden, weil wir nicht in eine theologische Ausdeutung der Verfassung hineinkommen können.

(Dr. Schmid: Wir kommen dann in schreckliche Dinge.) Das ist nicht zu machen. Frau Dr. Weber: Wir wollen keinen Irrtum aufkommen lassen. Wir haben gesagt, wir wollen es auch nicht. Wir wollen tatsächlich nur unsere Auffassung vom

wiedergeben.

Staat

Dr. Heuss: Dann können wir sagen: Die Staatsgewalt ruht beim Volke. Dr. Schmid: Wir dürfen nicht vergessen, es ist in Deutschland noch nicht

so

daß ernsthafte Menschen den Standpunkt vertraten, Volk und Staat seien verschiedene Dinge. Der Staat sei primär und habe zumindest die logische Priorität vor dem Menschen; die Staatsgewalt gehe also lediglich von den Wesenheiten aus, die im Staat ihre Verleiblichung fänden, der Tradition, der Oder was etwas anderes war als das Volk Geschichte, dem Volksgeist an ! oder die Einschwerter-Lehre an Sie oder die Zweischwerter-Lehre denken das „dei gratia", das Von Gottes Gnaden ist der Staat, und was in ihm an Gewalt wirksam wird, ist zumindest eine sekundäre Emanation des göttlichen Willens, sich verkörpernd im Monarchen. Um alle diese Dinge abzuschneiden, hat man in der Weimarer Verfassung klar zum Ausdruck gebracht, daß die Gewalt in diesem Staate als letzte irdische Quelle auf das Volk zurückgehen solle, nicht auf Privilegien oder auf sonstige Dinge, sondern auf das konkrete, lebennicht auf den Volksgeist, den jeder nach seinem Geschmack und de Volk

lange her,

—.





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nach seinem Interesse interpretieren kann, wie er will, sondern auf das konkrete Volk, das nichts anderes ist als die Summe der jeweils lebenden einzelnen Deutschen! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Könnten wir nicht sagen: Die Staatsgewalt ruht beim Volke? Das ist auch der Vorschlag von Dr. Heuss. Dr. Schmid: Ist das Volk eine Art von Kyffhäuser, in dem die Staatsgewalt „ruht"? Wir können sagen: geht vom Volke aus.

(Dr. Heuss: Meinetwegen.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen dann: Die

Staatsgewalt geht

vom

Volke

aus.

(Zustimmung)

Dr. Schmid: Das ist doch eine ganz einfache Sache. Dahinter ist doch keine

Teufelei verborgen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen nur eines berücksichtigen. Genau so wie der Name stark vom Gefühl beeinflußt ist, tritt hier auf der kirchlichen Seite das Gefühlsmoment in den Vordergrund. Rechtlich spielt es keine Rolle. Dr. Schmid: Wenn wir dem gerecht werden wollten, was der einzelne von seieine vage Sache, das menschliche Gefühl! nem Gefühl aus bejaht oder verneint, müßten wir auf alle Gefühle Rücksicht nehmen. Letzten Endes kann man Gefühle auch nicht überstimmen. Wenn wir das Gefühl als Argument nehmen, so gibt es kein Gegenargument. Ein Affekt kann nur durch einen anderen Affekt überdeckt werden. Frau Dr. Weber: Es ist kein Gefühl, sondern es ist eine Metaphysik, eine Weltanschauung. Wir sollten bei der Verfassung irgendwie aufeinander Rücksicht nehmen, ohne daß Metaphysisches ausgesprochen wird. Ich habe schon gesagt, ich will um Gottes willen keine Vorlesung über diese Dinge beginnen. Wir denken verschieden über diese Fragen. Man kann die Auffassung des Staates so zum Ausdruck bringen, daß die metaphysischen Ansichten der Einzelnen dabei geschont werden. Dr. Schmid: Ich könnte Ihnen bändeweise anerkannte Kirchenlehrer bringen, bei denen man diesen Satz finden könnte. Zimmermann: Aus religiösen Gründen sollte man diese Dinge aus der Verfassung herauslassen. Denken Sie daran, in der evangelischen Lithurgie war es früher vorgeschrieben, daß der Geistliche im Gebet der staatlichen Ordnung und seiner Führer, des Königs, des Großherzogs und später auch des Führers, gedenkt. Die Geistlichen kamen in höchste Gewissenskonflikte während der Nazizeit. In der ersten Zeit taten sie es, in der späteren Zeit nicht mehr, um ihr Gewissen nicht zu vergewaltigen. Vor einigen Tagen sprach in Bad Boll auf der Tagung, bei der Sie, Herr Dr. Heuss, anwesend waren, ein evangelischer Geistlicher sehr freimütig über diese Dinge. Er hat es aufs tiefste verachtet, daß man es damals gefordert hat. Wir wollen diese Dinge in Zukunft fernhalten. Was wir tun, ist auch nur unser Menschenwerk, und alles, was wir tun, ist Stückwerk. Frau Dr. Weber: Keiner hat gefordert, daß solche Ansichten zugelassen werden. Zimmermann: Ich bin der Auffassung von Herrn Dr. Schmid, man soll die Dinge herauslassen. —



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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sind jetzt zu dieser Fassung gekommen und brauchen es nicht weiter zu diskutieren. Zimmermann: Man soll auch nicht etwas hineingeheimnissen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Welche Formulierung würden Sie vorschlagen? Zimmermann: Ich würde sagen: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Lensing: Wir haben dem bereits zugestimmt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der zweite Absatz würde dann bleiben. Es würde dann heißen: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Dr. Suhr: Bleibt damit der erste Absatz? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, darüber waren wir uns einig geworden. Dr. Suhr: Nein, einig nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die größere Mehrzahl war dafür. Zimmermann: Ist „Deutschland" ein politischer, ein ethnologischer oder ein geo-

graphischer Begriff?

Dr. Heuss: Eben nicht! Der Begriff soll aus der Ebene des Ethnologischen und Geographischen in die Linie des Staatsrechtlichen gehoben werden. Dr. Schmid: So wie es heißt: „La France". Wir haben bislang „Deutschland" nie so verwendet. Wir hatten ein „Deutsches Reich", aber nicht ein Vaterland, das

„Deutschland" hieß und damit staatsrechtlich, politisch, räumlich und historisch

eine klar umrissene Sache gewesen wäre. Zimmermann: Im Bismarckschen Reich war Deutschland ein Bundesstaat. Er hieß „Das Deutsche Reich". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit diesem politischen Begriff wollten wir gerade der starken Bewegung in der Jugend entgegenkommen. Wir sagten, die Jugend verlangt, daß das Deutschland heißt. Gerade dieses gefühlsmäßige Moment hat hier dazu geführt, den Begriff zu wählen, obwohl wir uns der damit entstehenden Schwierigkeiten durchaus bewußt waren. Dr. Suhr: Die Kritik gegen den ersten Absatz betrifft nicht nur das Wort „Deutschland", sondern den zweiten Teil, der lautet: .bundesstaatlichen Aufbaus, deren Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist." Ich erinnere mich gut der Diskussion darüber. Auf der anderen Seite bestehen in der sozialdemokratischen Fraktion erhebliche Bedenken dagegen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßte man den ganzen Artikel weglassen. Zimmermann: Wir wollten hinter dem Wort „Republik" einen Punkt machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geht deshalb nicht, weil wir dann das Charakteristische nur halb bringen. Das Wesentliche ist, daß es eine parlamentarische Republik ist. Dr. Schmid: Eine Republik hieß auch die „Republik der Serinissima Venetia", die beileibe nicht das darstellte, was wir heute eine Republik heißen würden. Es war eine Oligarchie. Mit „Republik" ist nicht genügend gesagt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß Sie ein sehr starkes Interesse an der Hinzufügung „bundesstaatlichen Aufbaus" haben müßten; denn der Bund der Länder wäre ein Staatenbund. Gerade die Betonung des juristischen Begriffes „bundesstaatlicher Aufbau" macht es überhaupt klar, daß es sich hier nicht um einen Staatenbund handelt. Zimmermann: Wir wollten an Stelle von Deutschland sagen: Der Bundesstaat. 528

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Nr. 25

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Damit haben Sie nicht das, was Sie sagen wollen. Sie kommen dann ganz in die Linie etwa der Bayernpartei11) hinein. Das ist die große Gefahr. Dr. Schmid: Ich war bei der Fraktionssitzung, in der über diese Dinge gesprochen wurde, nicht anwesend. Meine Freunde fürchten wohl, man könnte aus der Apposition „bundesstaatlichen Aufbaus" eines Tages in Prozessen vor dem Verfassungsgerichtshof bestimmte Rechtsfolgen ableiten und etwa sagen: Halt! diese Fassung des Tabaksteuergesetzes widerstreitet dem Prinzip des „bundesstaatlichen Aufbaus", oder: Diese Art der Verwaltung der Wasserstraßen widerstreitet dem Prinzip des „bundesstaatlichen Aufbaus", kann also nicht eingeführt werden. Ich glaube, daß ihr das befürchtet habt (zu den sozialdemokratischen Ausschußmitgliedern). Ich glaube aber, daß diese Befürchtung keine genügende Grundlage hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß angesichts einer so vagen Bestimmung, bei einem Ding, das rechts und links so weit auseinandergesteckte Delimitationspfähle hat wie der Begriff „bundesstaatlich", irgendein Gericht ein Gericht, das Respekt vor der Wahrheit hat aus dem Terminus „bundesstaatlichen Aufbau" irgendwelche praktischen Schlußfolgerungen ziehen könn—



te.

Dr. Kleindinst: Ich bin der Meinung von Herrn Prof. Dr. Schmid. Ich glaube wir haben in all den Dingen zu viele Befürchtungen, wobei ich meine Kollegen nicht ganz ausnehmen will. Aber ich stimme Ihnen vollkommen bei, es ist uns ich will mich nicht zu sehr auf die Besatzungsbehörde stütja auch auferlegt zen12) —, eine föderative Verfassung zu schaffen. Es gehört zum Charakter des Ganzen, ohne daß man irgendwie im Einzelfall eine juristische Konsequenz ziehen will. Fürchten wir uns nicht gegenseitig vor der Zukunft! so wie der kleine MoDr. Schmid: Wenn ich machiavellistisch reden würde ritz sich den Machiavelli vorstellt —, würde ich sagen: so etwas ist eine hübsche Verzierung gegenüber den Besatzungsmächten und gegenüber einigen Leuten in Deutschland, die dieselben Auffassungen wie die Besatzungsmächte oder wie einige Besatzungsmächte haben; und es schadet nichts. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir lassen es bei diesen Formulierungen. Wird zu den Abs. 3 und 4 das Wort gewünscht? (Dr. Schmid: Das ist das Prinzip der repräsentativen Demokratie.) Und dann vor allen Dingen die Gewaltenteilung, wobei hervorgehoben ist, daß um dadurch tatsächlich nicht ein Auseinanderfallen in drei Gewalten eintritt, der nazistischen Theorie entgegenzutreten. Das ist bewußt geschehen. Die Rechtmäßigkeit der Verwaltung ist in Abs. 4 zum Ausdruck gekommen. Hierzu wird das Wort nicht gewünscht. —





") Ilse Unger: Die Bayernpartei. Geschichte und Struktur 1945-1957. Stuttgart 1979. 12) Im Dok. Nr. I der „Frankfurter Dokumente" hieß es: „Die Verfassunggebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Types schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält" (Der Pari. Rat Bd. 1, S. 31). 529

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[b. Bundesgebiet (Art. 22)] Wir kommen zu Art. 22, wo es heißt: (1) Dieses Grundgesetz gilt für das Gebiet der Länder

Baden, Bayern, Bre-

Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzolmen,

lern. Wunderlich: Die sozialdemokratische Fraktion war der Meinung, daß die nochmalige Aufzählung der Länder überflüssig ist, weil sie bereits in der Präambel enthalten ist. Sie regt daher an, den ersten Absatz zu streichen13). Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich bin nicht ganz der Auffassung. Die Präambel hat eine andere Bedeutung. Der Rechtssatz ist erst in dem Artikel der Verfassung enthalten, während die Präambel eine bloße Einführung ist, die den Geist des Ganzen und die historischen Zusammenhänge wiedergibt und insofern auch eine gewisse juristische Bedeutung erhält. Die eigentlichen Rechtssätze sind allerdings erst in den Artikeln vorhanden. Deshalb hielten wir es seinerzeit für notwendig, das hier aufzunehmen. Frau Dr. Weber: Ich halte es auch für notwendig, es hier aufzunehmen. Dr. Schmid: Es heißt hier: .gilt für das Gebiet der Länder...". So ist es nicht! Die Verfassung gilt für den Teil Deutschlands, der durch das Gebiet dieser Länder ausgefüllt wird. Das ist ein Unterschied. Wenn ich sage: gilt für das Gebiet der Länder...", dann gilt das Grundgesetz gewissermaßen „in Funktion" der Länder. Das soll es aber nach unserer aller Auffassung nicht. Ich weiß genau, was gemeint ist, aber es ist die Frage, ob wir es nicht klarer ausdrücken können. Andererseits weiß ich, wie wenig schön es ist, wenn es etwa hieße: .gilt für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, das durch die Länder Baden, Bayern usw. ausgefüllt wird." Das aber ist es, was gesagt werden soll. Es wäre gut, wenn man hier eine prägnantere Fassung finden könnte. Dr. Heuss: Vielleicht kann man sagen: Das Bundesgebiet umschließt die Länder. Dr. Schmid: Es muß anfangen: Dieses Grundgesetz gilt... Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann auch nicht sagen: gilt für das Gebiet des Bundes der deutschen Länder. Darin ist ein Fehler. Vielleicht kann man sagen: für das Bundesgebiet, das aus den Ländern besteht. Dr. Schmid: Was ist der Bund? Ist der Bund das Ganze oder der Teil? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist der Teil. Dr. Schmid: Ich möchte zum Ausdruck bringen, was an sich schon in der Präambel gesagt ist: daß, was wir organisiert, territorial gesehen Teil eines Ganzen ist und daß dieses Ganze der Substanz nach als Ganzes weiterbesteht und nur in der Möglichkeit gelähmt ist, sich organisatorisch zu realisieren und selbst darzustellen. Dr. Suhr: Ich würde diesem Gedanken Ausdruck geben, indem ich sage: Dieses beGrundgesetz gilt für das Bundesgebiet, das zunächst aus den Ländern steht. Damit ist die Erweiterung angedeutet. „.

.

.

.

..

.

.

.

..

13) Vgl. das 530

in Dok. Nr. 24, Anm. 5 benannte Dok.

.

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, man könnte sagen: das zunächst aus den Ländern besteht. Wenn man es genauer machen wollte, müßte man sagen: das zunächst aus den Gebieten der Länder besteht. Dr. Schmid: In einer päpstlichen Bulle würde es heißen: „das umschrieben ist durch das Gebiet". Das Wort „circumscribere" würde verwendet werden. Eine Zirkumskriptionsbulle führt die einzelnen Pfarreien auf, die der Diözese zugehören sollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Können wir nicht das Wort „zusammensetzen" verwenden? Dr. Schmid: Das gibt ein zu mosaikartiges Bild. Frau Dr. Weber: Das Wort „besteht" ist am besten. Das Wort „zunächst" gefällt mir nicht. Dr. Schmid: Man könnte sagen: Dieses Grundgesetz gilt für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, das vorläufig .

(Zurufe: Gegenwärtig!)

.

.

Dr. Suhr: Es ist kein Zweifel, daß das Grundgesetz für das ganze Bundesgebiet gilt. Das Bundesgebiet wechselt aber seinen Bestand, es ist ausdehnungsfähig. Folglich muß herein: Das Bundesgebiet besteht zunächst. oder: gegenwärEs ist eine mehr oder weniger stilistische Frage. Ich würde vorschlagen, tig .

.

...

sagen: gegenwärtig. Frau Dr. Weber: Am besten gefällt mir das, was da steht. Dr. Schmid: Warum soll man nicht das Wort „vorläufig" nehmen? Wir machen zu

etwas Vorläufiges. Dr. Heuss: Ich habe das

ja

„vorläufig" darf

„vorläufig"

immer

nur

geographisch begriffen.

Das

hier nicht stehen. nicht schön, aber korrekt Dr. Schmid: Korrekt wäre es zu sagen : Dieses Grundgesetz gilt für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, das durch die Länder x, y, z ausgefüllt wird, sowie für die Teile Deutschlands, die ihm in der Folgezeit beitreten werden. Wir vermeiden dann das Wort „vorläufig" und bringen die räumliche Offenheit zum Ausdruck. Frau Dr. Weber: Das steht in Abs. 2. Dr. Heuss: Der würde damit wegfallen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Er kann nicht ganz wegfallen. Die Bestimmung, daß die Eingliederung durch Bundesgesetz vollzogen wird, muß jedenfalls stehenbleiben. Es ist nicht schön, eine wichtige Sache in einen Relativsatz hineinzu—



bringen. —

Frau Dr. Weber: Ich finde

es am besten, wie wir es formuliert haben. Durch wird es nicht besser. Formulierung Dr. Suhr: Gegenüber den Ausführungen von Frau Dr. Weber möchte ich darauf aufmerksam machen, daß wir doch eine gewisse Konsequenz einhalten müssen. Wenn in Art. 21 jetzt der Begriff „Deutschland" als Gesamtgebiet genommen wird, muß auch in Art. 22 von der Gesamtgeltung des Grundgesetzes ausgegangen werden. Gilt also das Grundgesetz für das gesamte Deutschland? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das geht nicht. Dr. Suhr: Es muß aber davon ausgegangen werden, daß das Grundgesetz für das gesamte Gebiet Deutschlands Gültigkeit haben soll.

die

neue

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, kann es zunächst nicht haben. Dr. Suhr: Weil es die Gültigkeit jetzt nicht hat, muß der eine Satz eingeschränkt werden: Dieses Grundgesetz gilt für das Bundesgebiet, das vorläufig

oder:

gegenwärtig

aus

dem und dem besteht.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wollen wir auch. Dr. Suhr: Frau Dr. Weber sagte, man sollte die Fassung lassen. Frau Dr. Weber: Ich meine, man sollte das Wort „gegenwärtig" hinzufügen. Dann geht es wohl. Dr. Schmid: Man könnte sagen: Das Grundgesetz gilt für den Teil des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland, der aus den Ländern soundso besteht. Wenn wir sagen: gilt für das Gebiet, das uns jetzt gegeben ist, so sieht es so aus, als ob wir eine erschöpfende Bezeichnung wählen wollten, während wir doch nur einen Teil bezeichnen wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir „Teil" sagen, brauchen wir „Gebiet" nicht. Dr. Bergsträsser: Es gilt nicht für den Teil der Bundesrepublik Deutschland, —



sondern für den Teil Deutschlands. Dr. Schmid: Wir haben vorhin gesagt, daß wir Deutschland als Ganzes definieren als „eine demokratische und soziale Republik bundesstaatlichen Aufbaus, deren Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist". Das stimmt auch nach der Weimarer Verfassung. Wir geben damit nur eine Bezeichnung und bringen nicht zum Ausdruck, daß wir etwas kreieren wollen. Es hat deklaratorischen und nicht konstitutiven Charakter. Es ist schon besser, zu sagen: gilt für den Teil Deutschlands oder: für den Teil der Bundesrepublik Deutschland, der aus den Ländern besteht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können sagen: Dieses Grundgesetz gilt für den Teil besteht. Deutschlands, der aus den Gebieten der Länder Dr. Suhr: Ich bestreite, daß das richtig ist. Nach Art. 21 gilt das Grundgesetz für ganz Deutschland, wenn sich alle Länder anschließen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zunächst gilt es nicht für das Ganze, weil wir seine Gültigkeit soweit gar nicht ausdehnen können, weil unser Auftrag gar nicht dahingeht. Das muß einmal juristisch festgelegt werden. Wir müssen jetzt den ..

.

.

.

.

...

derzeitigen Geltungsbereich festlegen. Dr. Eberhard: Ich würde das Wort „zur Zeit" oder „vorläufig" oder so etwas hineinschreiben. Dann sind die Bedenken des Herrn Kollegen Dr. Suhr erledigt. (Dr. Suhr: Ja.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen dann sagen: Dieses Grundgesetz gilt zunächst für den Teil Deutschlands, der aus den Gebieten der Länder. besteht. (Es erfolgt kein Widerspruch.) Der zweite Absatz könnte bleiben: (2) Jeder andere Teil Deutschlands kann dem Bund beitreten. Seine Eingliederung wird durch Bundesgesetz vollzogen. Beides ist nötig. Wunderlich: Von der sozialdemokratischen Fraktion sind Bedenken geltend gemacht worden, ob aus dieser Fassung etwa die Folgerung gezogen werden kann, daß ein Land der Ostgebiete in dem verfassungsmäßigen Zustand, in dem dieses Land sich befindet, aufgenommen werden muß. .

532

.

Zwanzigste Sitzung Dr. Heuss: An anderer Stelle wird

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gesagt, welche Voraussetzungen für die Bun-

desmitglieder erforderlich sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ergibt sich

klar

aus

Art. 25. Wir haben das hier nicht hineinsetzen

der

des nicht abzuschrek-

Normativbestimmung

wollen,

um

ken. Wunderlich: Dann ist also durch die übrigen Bestimmungen eine genügende Sicherung vorhanden. Dr. Bergsträsser: Ich darf noch einmal auf Abs. 1 zurückkommen. Sie haben formuliert: aus den Gebieten. Ich halte das nicht für richtig. Es muß vielmehr heißen: aus dem Gebiet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber haben wir an anderer Stelle gesprochen. Wir sagen also in Abs. 1 von Art. 22: aus dem Gebiet der Länder. Ich darf damit die Diskussion über Art. 22 als abgeschlossen ansehen.

[c.

Mitwirkung

Berlins (Art. 23)]

Wir kommen zu Art. 23, wo es heißt: Vertreter Groß-Berlins wirken in den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes mit. Dr. Suhr: Das wird beanstandet werden. Dr. Schmid: Sollen sie es beanstanden! Der französische Botschafter hat mich neulich in Tübingen zu „beraten" versucht14). Ich habe gesagt: Bitte, wenn das Ganze vorliegt, sagen Sie ja oder nein; Sie werden es zu verantworten haben; es wird nicht ohne Folgen sein, wenn Sie nein sagen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zu Art. 23 wird das Wort nicht weiter gewünscht.

[d. Neugliederung und

Änderungen

im Gebietsbestand (Art. 24 und 25)]

Die Art. 24 und 25 betreffen die Neugliederung. Es gilt die Fassung vom 29. 10. 194815). Wir haben über das Verhältnis der Artikel eingehend gesprochen. Zur Orientierung von Herrn Dr. Schmid darf ich kurz sagen, wie die Art. 24 und 25 nebeneinanderstehen. Es handelt sich einmal um die erste Neugliederung und dann um die Änderung des Gebietsbestandes. Die Bestimmungen über die Änderungen im Gebietsbestand sollen eine Sicherung der Länder nach Durchführung der ersten Neugliederung darstellen, können aber schon gleichzeitig nebenher angewendet werden, wenn die erste Neugliederung nicht schnell genug

fortschreitet. Dr. Schmid: So habe ich es auch verstanden18). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf nur noch einmal auf den von dem Kollegen Wirmer geäußerten Wunsch zurückkommen, der zu Art. 24 von Bedeutung wer14) In der Vorlage korrigiert

aus „Der französische Botschafter kam und hat mich dort zu konfirmieren versucht." 15) Vgl. Dok. Nr. 21, Anm. 29. 16) Folgt gestrichen: „Dr. Eberhard: Meinen Sie, das gefällt uns?"

zu

mir nach

Tübingen

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den könnte. Ich habe versucht, mich immer mehr in die Auffassung des Kollegen Winner17) hineinzudenken. Ob es mir ganz geglückt ist, müssen wir noch feststellen. Ihm geht es um Oldenburg. Er sagt, das Verfahren des Art. 25 sei ein erschwertes Verfahren. Dieses erschwerte Verfahren mit Zustimmung der Länder könnte für einige Landesteile zu Schwierigkeiten führen, und man sollte, wenn eine Änderung im Gebietsbestand vor Durchführung der ersten Neugliederung erfolgen soll, in diesem Verfahren des Art. 25 Erleichterungen vorsehen. Er geht davon aus, daß die Länder, die z. Zt. in Norddeutschland bestehen zum Teil könnte man das gleiche vielleicht für die französische Zone sagen ohne einen entsprechenden Willen, ja vielleicht sogar gegen den Willen der Bevölkerung geschaffen worden sind. Ich habe gesagt, wir müssen diese Länder als Faktum hinnehmen. Dem wird aber entgegengehalten: wir garantieren im Grunde genommen durch die erschwerten Bestimmungen des Art. 25, vor allen Dingen dadurch, daß ein solches Änderungsgesetz nur mit der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften angenommen werden kann, diesen Gebietsbestand, der ohne unseren Willen geschaffen worden ist. Herr Wirmer möchte bis zur ersten Neugliederung eine gewisse Erleichterung im Verfahren vorsehen. Ich weiß nur nicht, ob man eine solche Ausnahme machen soll. Wenn man generell eine solche Vorschrift aufnehmen würde, würde man auch die Länder treffen, die den Wünschen der Bevölkerung entsprechen, die eine alte Tradition haben. Man würde auch für diese Länder die Möglichkeit einer erleichterten Änderung, einer Absplitterung schaffen. i Dr. Eberhard: Möchte er die Initiative erleichtern? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Initiative will er nicht erleichtern. Er will bei dem einen Drittel bleiben. Es liegt ihm nur daran, die Vorschrift geändert zu sehen, daß die Mehrzahl der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften erforderlich ist. Eventuell wollte er die Zustimmung der Länder herausgestrichen haben. Er denkt dabei immer an Oldenburg. Wunderlich: Er hat ausdrücklich erklärt, daß die Oldenburger keinerlei entsprechende Wünsche haben. Das steht allerdings in Widerspruch zu der berühmten Eingabe, die wir hier auch bekommen haben18). Wir waren uns grundsätzlich darüber einig geworden, daß wir eine Aufsplitterang schon bestehender Gebiete nicht für wünschenswert halten. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Oldenburger wollen zu Westfalen. Wunderlich: Sie können sich doch nicht als Gebietsteil loslösen wollen, der dann eine Exklave zu Westfalen bilden würde. Das ist doch einfach ein Unfug. Sie können sich doch nicht über das Gebiet des Regierungsbezirks Osnabrück hinweg an irgendein anderes Land anschließen wollen. Dr. Schmid: In der Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika gibt es einen sehr vernünftigen Artikel, der sagt: Es ist verboten, auf dem Gebiet eines —



17) Vgl. Dok. Nr. 21, TOPl. la) Eingabe des Oldenburger Landbundes vom 15. Sept. gabe Nr. 118). 534

1948 in: Z 5/107, Bl. 199-201

(Ein-

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Landes ein neues Land zu bilden19). Das würde auf uns angewandt bedeuten, daß es verboten ist, auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen ein neues Land Oldenburg zu bilden. (Frau Dr. Weber: Das wollen sie auch nicht, sie wollen zu Westfalen.) Wunderlich: Das wollen nur die Süd-Oldenburger. Die Nord-Oldenburger denken nicht daran. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir haben die Vorschrift im Abs. 5 des Art. 25. Wir haben nicht so weit gehen wollen, die Bildung eines neuen Landes überhaupt zu verbieten. Mit dem verfassungsrechtlichen Verbot fördert man nur allzuleicht den Verfassungsbruch. Wir haben die Bildung so erschwert, daß der Weg nur in seltenen Fällen gangbar sein wird, nämlich dann, wenn überall entscheidende Mehrheiten dafür sind. Dr. Schmid: Wenn ich daran denke, daß sich eines Tages wieder HohenzollernSigmaringen bilden sollte. Es gibt auch eine hohenzollern-sigmaringensche „Bewegung". Das ganze Land hat 5000020) Einwohner. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Besteht die Auffassung, daß wir diesem Wunsch durch Einbau einer Vorschrift entsprechen sollten? Soviel ich feststelle, besteht wenig Neigung dazu. Dr. Eberhard: Es sind genug Ventile für Äußerungen der Volksmeinung hier vorhanden. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wenn diese Angelegenheit im Wege des Art. 25 anläuft, ist die Regierung verpflichtet, das Begehren als Gesetzentwurf weiterzuleiten. Die Körperschaft, die über beide Fragen entscheidet, nämlich die gesetzgebende Körperschaft, hat nun zu erklären: Wir machen die Änderung im Gebietsbedann erledigt sich dadurch der vorgelegte Gesetstand im Wege des Art. 24 oder wir machen sie vorweg im Wege des Art. 25. Wenn sie im zesentwurf oder nehmen Wege des Art. 25 gemacht wird und die Länder widersprechen sie so zur Annahmuß wir den speziellen Fall, Niedersachsen widerspricht —, so bediese Mehrheit kommen. Kommt zustande, nicht mit me qualifizierter die im noch der immer die Neugliederung steht Möglichkeit, Wege Änderung nach dem einfacheren Verfahren des Art. 24 durchzuführen. Dann können die Vertreter in den beiden Körperschaften, in der Länderkammer wie in der Volkskammer, für die Sache eintreten. Dr. Schmid: Im Hauptausschuß werden Sie schon über die beiden Artikel referieren müssen. Es wird nicht genügen, das vorzulesen. Man wird die verschiedenen vorgesehenen Fälle klar exemplifizieren müssen, damit nicht ein endloses Palaver hin und her entsteht, was denn eigentlich gemeint ist. Die Materie ist durch sich selbst kompliziert. —





19) Verfassung der USA von 1787 Art. IV Section 3: New States may be admitted by the Congress into this Union; but no new State shall be formed or erected within the Jurisdiction of any other State ." The Constitution of the United States of America. and Interpretation. U.S. Government Printing Office. Washington 1973, S. 842. 20) Korrgiert aus 40000 Einwohner. .

Analysis

.

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Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Ich bin dazu bereit. Ich habe der Presse getan21).

auch

vor

10.

es

in der

vorigen Woche

[e. Verfassungen der Länder,

Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der (Normativbestimmungen Art. 25 a und 26)] Da das Wort zu diesem Artikel nicht weiter gewünscht wird, kommen wir zu den Normativbestimmungen der Artikel 25 a und 26. Länder

Dr. Eberhard: Dazu müßten wir den Art. 29 auf Seite 10 der Gesamtdarstel-

lung22) berücksichtigen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das haben wir seinerzeit gemacht, indem wir die sehr viel mehr ins Einzelne gehende Fassung des Art. 29 des Zuständigkeitsausschusses23) abgelehnt haben. Wir haben dabei auch berücksichtigt, daß die Vorschrift über die Sicherung gegen das Einparteiensystem im Abs. 1 des Art. 29: „dabei »".uß gesichert sein, daß sich mindestens zwei voneinander unabhängige Parteien mit eigenen Programmen und Kandidaten bewerben", bereits bei uns in den Grundrechten enthalten ist. Dr. Eberhard: Wie ist es mit Art. 29 Abs. 2 auf Seite 10? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das haben wir bewußt kürzer gestaltet, weil wir wußten, daß wir in die Normativbestimmungen nicht zuviel hineinnehmen dürfen, wenn nicht der Eindruck erweckt werden soll, daß die Länder in ihrer Staatlichkeit irgendwie angegriffen werden sollen. Deshalb haben wir alles in unserem Abs. 2 kürzer zusammengefaßt. Wir haben gesagt, man muß davon ausgehen, daß die Länder grundsätzlich in ihrem Staatscharakter nicht anders aussehen dürfen als der Bund, weil das zu ständigen Schwierigkeiten führen würde. (Dr. Schmid: Die Homogenität!) Ja. Die Homogenität ist bei uns mit kurzen Worten in Abs. 2 zum Ausdruck gebracht worden. Wir haben gesagt, wir dürfen den Ländern die Zustimmung nicht dadurch zu sehr erschweren, daß wir zu sehr in die Einzelheiten gehen. Dr. Suhr: In der sozialdemokratischen Fraktion sind dagegen erhebliche Bedenken zum Ausdruck gebracht worden, die sich nicht etwa gegen die Länder richten, die heute zum Bund gehören sollen, sondern die in Zukunft hinzukommen sollen. Das gilt insbesondere von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, vor allem von der Polizei. Diese Dinge sind unseres Erachtens in Art. 25 Abs. 2 jetzt nicht miterfaßt. Ich habe mich bei der Verabschiedung des Art. 25 auf den Standpunkt gestellt, den der Herr Vorsitzende einnimmt. Innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion ist aber nicht mit Unrecht darauf aufmerksam gemacht worden, daß hier nicht alles erfaßt ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ausdrücklich erfaßt sind die allgemeinen Grundsätze des Art. 21. In Art. 21 Abs. 4 heißt es: „Rechtsprechung und Verwaltung stehen —

21) Ein besonderes Presseecho für die Ausführungen v. Mangoldts ließ sich nicht feststellen. 22) Dabei handelte es sich um die Drucks. Nr. 203, die hinsichüich der Art. 1—32 identisch war

mit der Drucks. Nr. 200, hier als Dok. Nr. 16 567 f.

23) Der Pari. Rat Bd. 3, S. 536

abgedruckt.

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Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, insbesondere der Polizei, ergibt sich über Art. 21 Abs. 4, der in Art. 25 a Abs. 2 ausdrücklich genannt ist. Frau Dr. Weber: Ich meine auch, es ist alles drin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der schwierigen Frage der Gestaltung der Rechtspflege ist ausdrücklich auf den Abschnitt über die Rechtspflege verwiesen, in welchem die Grundsätze enthalten sind. Die Grundrechte brauchen wir nicht aufzuführen, weil die Grundrechte in Art. 1 ohne weiteres als für alle Länder verpflichtend statuiert worden sind. Das steht also im Grundgesetz drin. Wer diesem Bund beitritt, verpflichtet sich selbstverständlich, die Grundsätze der Verfassung einzuhalten, und ist durch die Grundrechte sofort, sogar sehr weitgehend, mit Rücksicht auf den Schlußartikel gebunden. Der gerichtliche Schutz gegen Mißbrauch der Staatsgewalt ist an mehreren Stellen gesichert, so z. B. indem in Art. 2 der Grundrechte, der unmittelbar die Länder bindet, ausdrücklich gesagt worden ist: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen". Das ist die weiteste Sicherung, die man überhaupt geben konnte. Es ist tatsächlich alles enthalten. Der Abs. 3 des Art. 29 ist in unseren Art. 21 Abs. 3 enthalten, der über Abs. II als Inhalt erklärt ist. Vom Kompetenzausschuß ist hier noch hinsichtlich der Selbstverwaltung ein Wunsch geäußert worden. Deren Wesen ist dort in der Schlußformulierung erklärt. Der Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses ging ursprünglich darauf hinaus, zu sagen: „Den Gemeinden und Gemeindeverbänden muß das Recht gewährleistet werden, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln." Wir haben gesagt, diese Formulierung ist unrichtig, weil die Gemeindeverbände nicht das Recht haben, alle Angelegenheiten der örtlichen Verwaltung zu regeln. Die Gemeinden allein können die All-Zuständigkeit haben, während zur Zuständigkeit der Gemeindeverbände nur das gehört, was ausdrücklich ihrer Zuständigkeit zugewiesen wird. Dadurch sind wir zu der Formulierung gekommen: „Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zu gewährleisten. Zum Wesen der Selbstverwaltung gehört, daß die Gemeinden alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln haben, soweit das Gesetz dem Lande oder einem Gemeindeverbande nicht Aufgaben zuweist." Das ist das Wesen der Selbstverwaltung. In diesem Satz wird aber zugleich auch die Zuständigkeit beider, der Gemeinden wie der Gemeindeverbände, begründet. Der Vorschlag will nun den letzten Satz abgeändert wissen, indem er sagt: Die Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze muß auch den Gemeindeverbänden für die Erfüllung der Aufgaben gewährleistet sein, die ihnen durch die Gesetze zugewiesen sind. Ich weiß nicht, ob wir so formulieren sollten. Hier spielen schwierige rechtliche Überlegungen eine Rolle. Können Sie, Herr Dr. Kleindinst, dazu vielleicht Ausführungen machen? Dr. Kleindinst: Ich bin Ihrer Anschauung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Daß man es bei unserem Abs. 4 belassen sollte? Dr. Kleindinst: Ja. unter dem Gesetz", also auch die Polizei. Die

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können auch abwarten, ob das Redaktionskomitee hier noch Bedenken zu erheben hat. Die gehen von einer anderen Seite an die Frage heran. Ich darf dann die Diskussion über den Art. 25 a als abgeschlossen betrachten. (Es erhebt sich kein Widerspruch.) Der Art. 26 lautet: Die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der Länder im Sinne des Artikels 25 wird vom Bund gewährleistet. Der Artikel findet in gewissen Kreisen Widersprach. (Frau Dr. Weber: Warum findet er Widersprach?) Weil man darin eine Gefährdung der Eigenstaatlichkeit der Länder sieht. Die Frage ist nur, ob diese Bedenken in vollem Umfange zutreffen. Es wird sich im wesentlichen darum handeln, wie dieser Satz durchgeführt wird. Wie kann eine Vorschrift des Art. 25 a, wenn sie von einem Land nicht durchgeführt wird, vom Bund durchgesetzt werden? Im Wege der Bundesexekution? Die ist an gewisse VorschrifBundesexekution das wäre die eine Möglichkeit ten gebunden, wobei wieder die Rechte der Länder berücksichtigt werden. Ich glaube also, daß die Sicherung der Länder dann in den Vorschriften über die Bundesexekution liegt. Außerdem liegt die Sicherung der Länder darin, daß eine solche Frage eventuell vor dem Bundesverfassungsgericht zum Austrag kommt. Dann ist es eine rein rechtliche Angelegenheit. Dr. Kleindinst: Ich teile die Bedenken, daß hier ein Eingriff oder gar ein unberechtigter Eingriff erfolgen könnte, durchaus nicht. Die Gewährleistung steht auch in der schweizerischen Verfassung24). Dr. Schmid: In einem anderen Sinn. In der Schweizer Verfassung gewährleistet der Bund die Verfassungen der Kantone. Wenn ein Kanton seine Verfassung ändern will, muß er die Genehmigung der Bundesorgane haben. Das ist hier nicht gemeint. Hier ist weniger gemeint. Die Länder sollen ihre Verfassungen ändern können, wie sie wollen, wenn sie nur im Rahmen der Homogenität bleiben. Hier ist etwas anderes gemeint. Wir haben darüber in Herrenchiemsee lange gesprochen25). Ein Land kann hinter einer demokratischen Fassade, hinter einer demokratischen „Papierverfassung" eine undemokratische Wirklichkeit aufbauen. Ein Beispiel: die Länder der Ostzone haben die schönsten demokratischen Verfassungen; hinter deren Fassade wird aber das betrieben, was man heute „Volksdemokratie" nennt und was man früher „Despotie" nannte. Hier sollte die Möglichkeit gegeben werden, mit einer Handbewegung die Einrede auszuräumen: Bitte, lest doch unsere Verfassung, die ist doch wunderschön, und zu sagen: Gewiß, aber hinter dieser wunderschönen Verfassung treibt ihr Despotie. Das wollen wir möglich machen. Deswegen heißt es hier: „die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der Länder". Ich hatte in Herrenchiemsee die —



24)

Verfassung gewährleistet die Verfassungen der Kantone, die also nicht angetastet werden dürfen. Art. 3 und Art. 16 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1874 (mit Änderungen). Die Schweizer

25) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 538



208 ff.

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Formulierung vorgeschlagen: „die Verfassungswirklichkeit der Länder", im Gegensatz zur bloßen papiernen Korrektheit der Verfassung26). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe formulierungsmäßig ein Bedenken. Es scheint mir noch nicht alles klar zu sein bei der Formulierung: „die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der Länder im Sinne des Artikels 25". Diese Worte fassen nicht genau das, was man sagen will. Dr. Schmid: Gemeint ist, daß die Wirklichkeit, in der sich das staatliche und individuelle Leben in den Ländern abspielt, dem Anspruch entsprechen muß, der in der geschriebenen Verfassung erhoben wird. Die geschriebene Verfassung muß ja den Mindesterfordernissen des Art. 25 entsprechen. Dr. Kleindinst: Der Zusammenhang zwischen Art. 25 und Art. 26 müßte dann ganz klar verständlich sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Worte „im Sinne des Art. 25" machen den Zusammenhang noch nicht ganz klar. Dr. Schmid: Ursprünglich stand das, was jetzt Art. 26 ist, als letzter Absatz des Art. 25. Wir könnten es ruhig wieder machen.

(Dr. Heuss: Ja.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann machen wir aus Art. 26 einen Abs. 5 zu Art. 25 a. Dr. Heuss: Die Worte „im Sinne des Art. 25" können dann wegfallen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dan würde der Satz weitergehen als das, was wir eigentlich wollen. Wir müssen irgendwie auf das Vorhergehende verweisen. Die Worte „im Sinne des Art. 25" sind nicht ganz klar. Wenn wir sagen: Die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens der Länder im Sinne der Abs. 1 bis 4 wird durch den Bund gewährleistet, so würde es klar zum Ausdruck kommen.

(Frau Dr. Weber und Dr. Kleindinst: Ja.) Dr. Schmid: In der Zeit des Regierens mit dem Art. 4827) war das staatliche Leben in Deutschland im Sinne der Weimarer Verfassung nicht „verfassungswirklich". Die Verfassung war zwar in Geltung, und man hat auf Grund eines Artikels dieser Verfassung regiert. Das Regierungssystem, das sich daraus gebildet hat, hat aber in Wirklichkeit eine völlig andere Art von Staat geschaffen, als es die Weimarer Verfassung wollte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht können wir sagen: Der Bund gewährleistet, daß das staatliche Leben der Länder den Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 ent-

spricht.

Dr. Schmid: Ist es dann nicht zu wenig? Ich denke ins Unreine: wird man, B. das Verbot des Einparteiensystems in den Grundrechten steht und wenn auf Grund des soeben formulierten Absatzes vorgegangen werden sollte, nicht etwa einwenden können: So vorgehen kannst du nur, wenn Abs. 1 bis 4 von Art. 25 beachtet wird! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht können wir sagen: den Grundrechten und den Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 entspricht. wenn z.

26) Ebenda. 27) WRV, Art. rung

von

48 betraf die Kompetenzen des Reichspräsidenten für „Maßnahmen bei StöSicherheit und Ordnung." Vgl. Teilabdr. in: Dok. Nr. 5, Anm. 27.

539

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Dr. Schmid: Ja. Ich würde davon ausgehen, daß in einem solchen Fall die vollziehende Gewalt des Bundes unmittelbar einschreiten könnte und daß es das betroffene Land ist, das sich an den Verfassungsgerichtshof wenden muß. Es sollte nicht so sein, daß erst der Verfassungsgerichtshof angerufen werden muß, also unter Umständen ein entsetzlich langes Verfahren stattfindet, und erst dann im Wege der Vollstreckung eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs gehandelt werden kann. Dr. Heuss: Das ist eine Modalität. Ich würde es von der Materie abhängig machen. Dr. Schmid: Wir müssen den Fall vorsehen, daß es brennt, daß rasch „gelöscht" werden muß. Mit dieser Formulierung würde meines Erachtens die Bundesregierung die Möglichkeit haben, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln einzuschreiten. Frau Dr. Weber: Steht in der Verfassung, daß das möglich ist? Dr. Schmid: Die Bundesexekution ist weiter unten geregelt. Die Frage ist, ob das eine bloße Bundesexekution im üblichen Sinne wäre oder nicht mehr. (Frau Dr. Weber: Notstand!) Man darf nicht immer gleich den Notstand anrufen. Man nutzt eine Institution ab, wenn man sich zu häufig auf sie beruft. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es würde immer auf die Exekution hinauskommen. Dr. Schmid: Ich verweise hierzu auf Art. 114 Abs. 3 und Art. 115 Abs. I28). —



(Folgt Verlesung.) begreife den Abschnitt so, daß die Erinnerung seitens des Bungegenüber einem Land bereits zu einem Ergebnis führen kann, ehe die Ap-

Dr. Heuss: Ich

des

paratur der Bundesexekution in Gang kommt. Aber

an sich ist die moralische, rechtliche Bevollmächtigung des Bundes zum Eingreifen vorhanden. Dr. Schmid: Wie wird es rein technisch gemacht? Nehmen wir einmal an, in einem deutschen Lande x werde unter Aufrechterhaltung der äußeren Formen des gesetzlichen Zustandes das Einparteiensystem eingeführt, meinetwegen mit dem Trick der Blockpolitik29); das wird nun von der Bundesregierung festgestellt, Bundestag, Bundesrat und Regierung sind einer Meinung, daß eine Verletzung des Art. 25 und der Grundrechte vorliegt; es wird erinnert, es wird nicht abgestellt. Wie wird nun weiter verfahren? (Frau Dr. Weber: Darüber steht nichts drin.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es muß ein Kommissar eingesetzt werden. Dr. Schmid: Die Art. 114 und 115 sagen davon nichts. Da steht nur: „Im Rahmen des Bundeszwangs hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Anweisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden." Wir werden hier

28)

Art. 114 Abs. 3 lautete in der

Fassung vom 18. Okt. 1948 (Drucks. Nr. 203; Grundgesetz, Entwürfe, S. 13): „Werden Mängel, die die Bundesregierung bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern festgestellt hat, nicht beseitigt, so beschließt auf Antrag der Bundesregierung der Bundesrat, ob das Land durch die Art seiner Ausführung das Gesetz verletzt hat. Das Recht beider Teile, das Bundesverfassungsgericht oder nach näherer gesetzlicher Bestimmung ein anderes oberstes Bundesgericht anzurufen, bleibt un-

berührt."

29) 540

Zur

Blockpolitik vgl.

Dok. Nr. 7, Anm. 27.

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eine andere Formulierung vorschlagen: „Zur Durchführung des Bundeszwangs sind alle Länder und ihre Behörden verpflichtet, den Weisungen der Bundesregierung oder ihres Beauftragten nachzukommen." Nehmen wir an, sie tun es nicht. Was dann30)? Dr. Kleindinst: Es tritt das ein, was man im Polizeirecht die Ersatzvornahme nennt. Dr. Schmid: Das Land sen,

muß, wie damals zur Zeit des Norddeutschen Bundes KurhesDas heißt, die bundesstaatliche Hoheit muß sich an die werden31). sequestriert

Stelle der landesstaatlichen Hoheit setzen, muß als Bundesgewalt Landesgesetze lassen, muß Landesverwaltung treiben und muß Landesregierung sein. (Frau Dr. Weber: Geht das nach der Verfassung?)

er-

Das müßte man später bei Art. 114 oder Art. 115 erörtern. Ich denke gerade einmal diesen Fall durch. Da wird die Sache entscheidend. In den anderen Dingen, etwa wo es sich darum handeln sollte, die Durchführung wasserrechtlicher Bestimmungen zu gewährleisten, kann man mit einer Anweisung auf dem Wege der normalen Dienstaufsicht arbeiten. Aber in Fällen, wo es sich wirklich um das politische Leben als solches, um den Stil und die Inhalte des politischen Lebens handelt, muß mehr geschehen können. Aber es ist nicht unsere Sache, das Richtige hierfür auszudenken. Das alles muß beim Bundeszwang besprochen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir können dann wohl den Art. 26 abschließen. —

[f. Bundesfarben, Flaggenfrage (Art. 27,

28

neu)]

Zu Art. 27 haben wir zwei Alternatiworschläge. Der erste Alternatiworschlag ist: Die Bundesfarben sind schwarz-rot-gold. Der zweite Alternatiworschlag beschreibt eine besondere Form der Flagge, die auf rotem Grund ein schwarzes und darauf ein liegendes goldenes Kreuz zeigt. Ich kenne den Beschluß der SPD dazu. Sollen wir die Frage hier noch einmal behandeln? Wir können sie mit dem Alternatiworschlag ohne weiteres in den Hauptausschuß bringen. Dort kann dann darüber entschieden werden. Es hat keinen Sinn, hier noch einmal

darüber

zu

diskutieren32).

(Es erfolgt kein Widerspruch.)

[g. Regeln des Völkerrechts und Grundgesetz (Art. 28, Art. 29 neu)] Wir kommen zu Art. 28, der lautet: Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bun-

desgebiets. 30) Folgt gestrichen: „Dann reichen diese Mittel nicht aus." 31) Vgl. Ernst Rudolf Hubert: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2, 3. A. Stuttgart [. .] 1988, S. 926 ff. 32) Im HptA wurde über den Alternatiworschlag in erster Lesung in der 4. Sitzung am 17. Nov. 1948 diskutiert; Verhandlungen, S. 48 ff. .

541

Nr. 25

In dem

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ist das Bedenken geäußert worden, „die allzu sagen. Es ist vorgeschlagen worden, „die des Völkerrechts" zu sagen und zu der Formulie-

bayerischen Kommentar33)

gemeinen Regeln des Völkerrechts"

allgemein anerkannten Regeln

rung von Weimar zurückzukehren. Dr. Schmid: Die Kritik ist mir bekannt. Ich habe die Gründe für meine Bitte, das Wort „anerkannten" wegzulassen, schon genügend dargelegt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben darüber eingehend gesprochen. Ich habe meine Bedenken dagegen auch geäußert. Ich nehme an, es wird nicht ge-

wünscht, noch einmal darauf zurückzukommen.

[h. Friedensverpflichtung (Art. 29, Art. 30 neu)] Wir können dann zu Art. 29 übergehen. Dr. Eberhard: In meiner Fraktion ist ein

terminologisches Bedenken gegen die Wortes „kollektive Sicherheit" geäußert worden, weil das Wort diskreditiert ist. Es wurde gefragt, ob man es nicht durch „gemeinsame Sicherheit" ersetzen könnte34). Man will statt „gegenseitiger kollektiver Sicherheit" einfach „gemeinsamer Sicherheit" sagen. Ich selber habe einige Bedenken, das Wort „kollektive Sicherheit", das sich eingebürgert hat, hier wegzulassen. Ich wollte das hier nur zur Erörterung stellen. Dr. Schmid: Ich war in der Fraktionssitzung nicht anwesend. Ich hätte den Vorschlag nicht unterstützt. Der Begriff „kollektive Sicherheit" ist ein fester juristischer Begriff. Das Wort „kollektiv" ist nicht schön. Soll man aber gegenseitige Sicherheit oder gemeinsame Sicherheit sagen? Dr. Heuss: „Gemeinsame Sicherheit" ist ein unmöglicher Ausdruck. Dr. Schmid: „Gegenseitige kollektive Sicherheit" ist ein klar umrissener BeVerwendung des

griff. Dr. Eberhard: Lassen wir es stehen. Dr. Schmid: Ich würde es lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art. 29 Abs. 1 ich habe die letzten Beschlüsse der Union Interparlementaire35) gerade bekommen wird auch im Sinne der Be—



war eine undat. „vorläufige Äußerung zu den von den Fachausschüssen des Parlamentarischen Rates bisher formulierten Artikeln des Grundgesetzes nach dem Stand vom 18. Okt. 1948" (Z 5 Anhang/12, Bl. 247-258), in der es zu Art. 28 (Anwendung des Völkerrechts) hieß: „Es wird doch nochmals zu überlegen sein, vielleicht durch Anhörung eines führenden Lehrers des Völkerrechts, wie es z. B. Professor Dr. Kaufmann an der Universität München ist, ob wirklich von der bisherigen deutschen Rechtsauffassung abgegangen und ob nicht doch wieder die verfassungsmäßige Regelung wie in Art. 4 der Weimarer Verfassung auf den Satz beschränkt werden soll: ,Die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts sind Bestandteile des Bundesrechts.'" 34) Dok. Nr. 24, Anm. 5. 35) Gemeint waren vermutlich die Beschlüsse des zweiten Kongresses der Europäischen Parlamentarischen Union vom 2.-4. Sept. 1948 in Interlaken, bei der ein Zehnpunkteprogramm für eine Europäische Föderation verabschiedet wurde, das unter anderem vorsah, für März 1949 ein Europaparlament nach Paris einzuberufen. Vgl. Keesing's Archiv der Gegenwart, 6. Sept. 1948. Über die Ziele der Konferenz von Interlaken wurden die Abgeordneten des Pari. Rates durch den Informationsdienst des Pari. Rates vom

33) Gemeint

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strebungen dieser Vereinigung bedeutsam. Denn es gibt die verschiedensten Möglichkeiten zu internationalen Zusammenschlüssen, hinsichtlich deren eine solche Beschränkung erwünscht sein könnte. Das Nebeneinander von Abs. 1 und 2 scheint mir mit Rücksicht darauf gut zu sein. (Dr. Schmid: Ja.) Frau Nadig: In Abs. 2 ist es nicht zweckmäßig, „europäische Verhältnisse" in „Weltverhältnisse" abzuändern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da ist ganz bewußt auf die europäischen Verhältnisse abgestellt worden. Die regionale Sicherheit spielt innerhalb der Weltsicherheit eine ganz bedeutende Rolle. Wunderlich: In unserer Fraktion ist das Bedenken geltend gemacht worden, ob man nicht beides, Europa und die Welt, nebeneinander setzen sollte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ist das Weltsystem der Vereinten Nationen. Nun läßt das System der Vereinten Nationen durch den Art. 53 die regionalen Pakte zu38). Die regionalen Pakte spielen im Augenblick eine sehr große Rolle, und unter den regionalen Pakten spielt die hervorragendste Rolle, gerade im Verhältnis Ost —West, die Europaunion. Deshalb ist es schon richtig, gerade dieses besondere Moment der Europaunion hervorzuheben. Dr. Schmid: Die einzige echte Realität auf dem Gebiet der Sicherheit, die im Rahmen der UN geschaffen worden ist, sind die regionalen Pakte. Dr. Heuss: Wir haben draußen keine Kolonien. Wir sind im Augenblick nicht

weltmäßig.

Dr. Schmid: Die Weltstaatbemühungen in allen Ehren! Die Idee ist des Schweißes der Edlen wert. Man sollte aufhören, bei diesen Dingen immerzu von Utopien zu sprechen, wie man es gern tut, um es sich leicht zu machen. Aber ich glaube nicht, daß wir zur Weltregierung kommen werden, ohne vorher durch Europa gegangen zu sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man den Einwand hat: Ihr habt hier die Einwilligung in Beschränkungen der eigenen Hoheitsrechte nur für die europäische Ordnung vorgesehen, so läßt darüber hinaus der Abs. 1 alle Möglichkeit in weltweitem Sinn offen. Daraus kann nichts gegen eine Einordnung in die Vereinten Nationen, gegen eine weltweite Vereinigung hergeleitet werden. Dr. Heuss: Man könnte in Abs. 2 das Wort „des Friedens" in „des Weltfriedens" oder „des allgemeinen Friedens" ausweiten. Dr. Schmid: Ich würde es so lassen. Gerade [die] Beschränkung auf Europa wird sich politischer auswirken, als wenn wir von „Weltfrieden allgemein sprechen. An das eine kommt man heute schon heran, an das andere noch nicht. Man könnte uns auch den Vorwurf machen ein Vorwurf, der häufig -

3. Sept. 1948 unterrichtet (Z 5/178 F). Zum Gesamtkomplex vgl. Wilfried Loth: Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939—1957. 2. A. Göttingen 1991. 3ß) Art. 53 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen: „The Security Council shall, where appropriate, utilize such regional arrangements or agencies for enforcement action under its authority .". S. Goodrich [und andere]: Charter of the United Nations. New York, London 1969, S. 364. .

.

543

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Ihr steckt das Ziel so weit, weil ihr wißt, daß man es nicht seid ihr zu nichts verpflichtet! Wir wollen das Ziel nahe stekken, so daß man Aussicht hat, es zu erreichen. Damit wird unsere Verpflichtung einlösbar und konkret. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf dann feststellen, daß die überwiegende Mehrheit des Ausschusses bei dieser Fassung des Art. 29 verbleiben möchte. (Es erfolgt kein Widerspruch.)

berechtigt ist greifen kann,

[i.

:



so

Übertragung

von

Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche

Einrichtungen (Art. 30)] Wir kommen zu Art. 3037). Dr. Eberhard: Hierzu liegen vor38). Die erste Bemerkung

Fraktion drei oder vier Bemerkungen sich der Stellung des Artikels. Er steht aus ergibt zwischen etwas unglücklich anderen Artikeln, die die Friedenssicherung betreffen. Mir scheint, der Artikel muß an den Schluß der völkerrechtlichen Bestimmungen, hinter Art. 31 und 32 kommen, damit das, was mit der friedlichen Regelung zu tun hat, nicht zerrissen wird. Ich glaube, dem wird der Ausschuß zuaus unserer

stimmen.

(Zustimmung

von

mehreren Seiten.)

Die zweite Bemerkung betrifft das Wort „einheimische Bevölkerung". Der Ausdruck ist hineingekommen, weil ich selber sagte, „ortsansässig" können wir nicht schreiben. In Kehl ist, so sagten wir, zur Zeit niemand ortsansässig. Dagegen sind erhebliche Bedenken zu erheben. Ich schlage vor, einfach zu sagen: wenn die beteiligte Bevölkerung zustimmt, und alles offenzulassen. Der Ausdruck „einheimisch" könnte bedeuten: ausschließlich der Flüchtlinge. Im Falle von Schleswig-Holstein wäre das katastrophal. Es wäre das, was die Dänen

möchten, daß die Neuzugezogenen dort nicht abstimmen dürfen, selbst

wenn

sie lange Jahre da sind. Dr. Heuss: Wir haben in Baden den Vorschlag, daß nur diejenigen Personen beteiligt sind, die soundso lange dort wohnen usw. Vors. jDr. v. Mangoldt]: Das ist den Durchführungsgesetzen überlassen. Erhebt Das ist sich gegen das Streichen des Wortes „einheimische" Widerspruch? nicht der Fall. Dr. Eberhard: Der dritte Punkt betrifft das Wort „Bundesgebiet". Wir haben darüber schon lange gesprochen. In unserer Fraktion waren wir aus all den Gründen, die ich hier schon einmal vorgetragen habe, der Ansicht, man müßte sagen: des deutschen Gebietes. Wir wissen, daß man durch die Formulierung in einer Verfassung irgendein Gebiet, z. B. Schlesien, nicht bei Deutschland erhalten kann. Wir glauben aber, wir sollten von seifen des Grundgesetzes aus —

alles tun, was möglich ist, um diese Dinge von Dr. Schmid: Ich würde vorschlagen, zu sagen: bietes.

37) Wortlaut in Dok. Nr. 16. 3B) Vgl das in Dok. Nr. 24, Anm. 5

-

544

zitierte Dokument.

klarzustellen. Teilen deutschen

uns aus von

Staatsge-

Zwanzigste Sitzung Vors. [Dr.

v.

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Mangoldt]: Ja.

Es erhebt sich sonst kein Widerspruch.) Sollten wir diesen Artikel als Art. 32 hinten nachsetzen oder nicht besser hinter Art. 23 als Art. 24 vor die Neugliederung bringen? (Dr. Heuss: Das hatte ich vorhin gemeint. Dr. Schmid, Dr. Eberhard und Frau Dr. Weber: Ja.) Dr. Eberhard: Der vierte Punkt betrifft Abs. 2, wo es heißt: „Ihre Vollziehung bedarf eines Gesetzes des Bundes und der beteiligten Länder." Es entspann sich in der 1. Lesung39) eine Aussprache darüber, was in folgendem Fall passiert. Der Bund hat die Kompetenz in auswärtigen Fragen, der Bund macht einen Vertrag über die Abtretung eines Gebietes und erläßt ein entsprechendes Bundesgesetz. Das beteiligte Land, sagen wir, Schleswig-Holstein, erläßt kein Landesgesetz. Was passiert dann? Ich bin gebeten worden, festzustellen, wie das in anderen Verfassungen geregelt ist. Das ist in meinem Büro sehr ausführlich geschehen. Es genügt, ein paar Verfassungen zu zitieren, in denen die Sache behandelt ist. In der jugoslawischen Verfassung heißt es unter Art. 1240): „Die Nationalversammlung setzt die Abgrenzung der Gebiete der Volksrepubliken fest; die Grenzen der Volksrepubliken können nur mit deren Zustimmung geändert werden." (Dr. Heuss: Das ist kein zusammengesetzter Staat.) Zugestanden. [Es] ist eine föderative Republik. In Abschnitt 123 der australischen Verfassung41) lautet es ähnlich: „Das Parlament des Bundes kann unter Zustimmung des Parlaments eines Staates und der Mehrheit der Wähler des Staates, die über diese Frage abzustimmen haben, das Gebiet eines Staates vergrößern, verkleinern oder in anderer Weise verändern." In Abschnitt 146, Ziffer 3, der kanadischen Verfassung42) heißt es: „Das kanadische Parlament kann jeweils unter Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften einer Provinz des Dominions den Bereich einer Provinz vergrößern ändern." oder verkleinern oder sonstwie deren Grenzen In der südafrikanischen Verfassung43) ist es so ähnlich. Es sind also immer Bund und Land, um einmal die deutschen Worte zu nehmen, beteiligt. Dr. Kleindinst: Hier handelt es sich nicht um die Neugliederung innerhalb des Bundesgebietes, sondern um eine Angelegenheit der auswärtigen Politik. Wenn

(Dr. Eberhard: Ja.





.

.

.

39) Dok. Nr. 15, TOP 5. 40) Die Verfassung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien

vom 31. Jan. 1946. Art. 12 Abs. 2 lautete: „Die Grenzen einer Volksrepublik können nicht ohne deren Zustimmung geändert werden." Der Wortlaut der Verfassung war dem Pari. Rat zugänglich in der Schrift „Bundesstaatliche Verfassungen", hrsg. von der Civil Administration Division von

OMGUS, Sept.

41 )

1948. war dem Pari. Rat zugänglich in der Schrift S. 165—188, vgl. Anm. 40. dem Pari. Rat zugänglich in der Schrift „Bundesstaatliche

Der Wortlaut der Australischen

Verfassung

„Bundesstaatliche Verfassungen",

42) Die Verfassung Kanadas

war

Verfassungen" (vgl. Anm. 40). 43) Die Verfassung Südafrikas war dem Pari. Rat zugänglich in der Schrift „Bundesstaatliche Verfassungen" (vgl. Anm. 40). 545

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schon der Bund ein Gesetz erläßt und die zweite Kammer zustimmt, brauchen wir, glaube ich, nicht noch ein Landesgesetz. Dr. Schmid: Stellen wir uns die Situation praktisch vor, denken wir an die kommende Friedensregelung. Ohne jede Frage wird sie gewisse Gebietsabtretungen vorsehen. Vielleicht findet sich kein Deutscher oder keine deutsche Mehrheit, die dem zustimmt. Nehmen wir einmal an, eine solche Mehrheit findet sich. Dann geht es doch nicht, daß, wenn der Friedensvertrag unterschrieben und ratifiziert ist, das Land x sagt: Ich stimme dem nicht zu. Das geht einfach nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen für den Friedensvertrag durch eine Übergangsbestimmung etwas anderes sagen. Wir können für den Friedensvertrag nicht bestimmen, daß die Abtretung und der Austausch von Teilen deutschen Staatsgebiets an die Zustimmung der Bevölkerung gebunden ist. Dr. Heuss: Ich glaube auch, daß wir es an dieser Stelle schwerlich so bringen können, weil die Zustimmung der Länder gefordert wird. Irgendeine Abtretung, eine Überführung von Eigentum des Landes, eine neue Kreiseinteilung bedarf dann eines Landesgesetzes. Daran ist hier nicht gedacht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist der Antrag gestellt, in Art. 30 Abs. 2 die Worte „und der beteiligten Länder" zu streichen. Dr. Schmid: Diese Worte müssen gestrichen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Wir streichen also die genannten Worte und machen in Art. 30 Abs. 2 hinter dem Wort „Bundes" einen Punkt.

[j. Friedliches Zusammenleben der Völker, Verbot bestimmter Waffen (Art. 30,

neu

31

von zur

Kriegführung

und 32)]

Der Art. 30 wäre jetzt Art. 31. Es verbleiben uns die bisherigen Art. 31 und 32. Wird zu Art. 31 das Wort gewünscht? Das Wort „verfassungswidrig" ist kritisiert worden. Man hat gesagt, dadurch wäre der Artikel nicht verfassungskräftig. Man hat vielleicht an den Schutz durch Strafgesetze gedacht. Wir sind gerade von dem Schutz durch Strafgesetze abgegangen, weil der Artikel dann nicht verfassungskräftig gewesen wäre, sondern es dazu erst eines besonderen Gesetzes bedurft hätte. Dr. Schmid: Weil hier unmittelbar eingegriffen wird. Und niemand kann sich auf den Schutz irgendwelcher formalen Gesetzesbestimmungen berufen. Das heißt „ist verfassungswidrig". Zimmermann: Das Verhältnis des Saargebietes ist ungeklärt44). Vielleicht könnte man im Hinblick auf die Entwicklung im Saargebiet hier etwas hineinnehmen. Das Saargebiet ist wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen. Politisch ist es ein

selbständiges Staatsgebiet

mit

eigener Verfassung.

(Dr. Eberhard: Es ist deutsches Staatsgebiet geblieben.)

Es ist kein

eigentliches deutsches Staatsgebiet.



44) Vgl. folgende 546

Anm.

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Dr. Schmid: Herr Kollege Zimmermann, Sie haben hier nicht Recht. Was hier vorgegangen ist, ist nach verschiedenen Gesichtspunkten zu beurteilen. Auf der Ebene des Völkerrechts sieht die Sache so aus: ein Gebiet hat völkerrechtlich den Status, der von den anderen Staaten anerkannt ist, und hat diesen Status nur im Verhältnis zu den Staaten, die ihn anerkannt haben. Der Status des heutigen Saargebietes ist bisher von Frankreich anerkannt, sonst von niemand. Diese Selbständigkeit in bezug auf Deutschland ist völkerrechtlich gesehen, lediglich eine Möglichkeit, die im Verhältnis zwischen Saargebiet und Frankreich eine Rolle spielen kann. Für die anderen Staaten, die diesen Status nicht de jure anerkannt haben, ist das Saargebiet nach wie vor ein Gebiet Deutschlands und weiter ist es gar keine Frage, daß, staatsrechtlich gesehen, das Saargebiet noch ein Teilgebiet Deutschlands ist. Wenn man uns das Saargebiet auf irgendeiner Londoner oder sonstigen Konferenz wegnimmt, so ist das ein Gewaltakt, kein Rechtsakt. Wenn man uns in einem Friedensvertrag zu zwingen vermag zu

gilt dieser Akt auch uns gegenüber als legalisiert. Aber solannicht geschehen ist, ist das Saargebiet ein Teil des deutschen Staatsge-

unterschreiben, ge

es

so

biets. Zimmermann: Die beiden Regierungen von Großbritannien und Amerika haben nicht protestiert. Dr. Schmid: Sie haben nicht de jure anerkannt. Sie haben einen modus vivendi anerkannt, aber nicht mehr. Wenn wir auf dem Standpunkt stehen würden, die separatistische Volksabstimmung über die Verfassung des Saargebiets45) habe Rechtswirkungen im Verhältnis zum deutschen Staatsverband erzeugt, würden wir anerkennen, daß Deutschland auseinandergefallen sei und nicht mehr existiere, jeder Teil dieses einstigen Deutschlands könnte sich dann die Staatlichkeit schaffen, die er wünscht. So ist es aber doch wirklich nicht! Dr. Eberhard: Wir haben die Formulierung „deutsches Staatsgebiet" jetzt drin stehen. Ich habe es mit Rücksicht auf das Saargebiet hier beantragt. Wenn ich darauf vorbereitet gewesen wäre, daß diese Dinge heute behandelt werden, hätte ich gegen den Kollegen Zimmermann Bidault46) zitieren können, der vor nicht allzu langer Zeit gesagt hat: Wir haben die anderen schon 15 mal gebeten, die Saarfrage zu regeln, und ich kann nicht ein 16. mal die Bitte an sie herantragen. Das ist ganz deutlich. Bidault wollte, daß die franz. Saarregelung anerkannt wird; aber es ist nicht anerkannt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wird zu Art. 31 und 32 noch das Wort gewünscht? Dr. Eberhard: In Art. 32 findet sich zu Anfang der Ausdruck: „Kriegsgerät jeder Art". Die Mitglieder des Ausschusses werden sich daran erinnern, daß da zu-

45) Am

5. Okt. 1947 hatten im

Saarland Wahlen

stattgefunden.

Der dabei

zu

wählende

Landtag sollte zunächst als verfassungsgebende Versammlung einen kurz vorher veröffentlichten Verfassungsentwurf verabschieden und dann als Legislative nach der neuen Verfassung in Funktion treten. In dieser Verfassung war in der Präambel der Wirt-

schaftsanschluß an Frankreich und die „Sezession" vom Deutschen Reich festgestellt worden. Sie trat am 17. Dez. 1947 in Kraft. Vgl. J. Freymond: Die Saar 1945—1955. München 1961. 46) Georges Bidault (1899-1983), in den Jahren 1946, 1949-1950 Ministerpräsident, mehrfach Außenminister in verschiedenen Regierungen der Vierten Republik. 547

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nächst „Waffen" stand. Wir wollten einen engeren Begriff haben. Ich bin nun darauf hingewiesen worden, daß das Wort „Kriegsgerät" ein fürchterlich weiter Begriff sei, daß man darunter in den Genfer Verhandlungen der Jahre zwischen den beiden Weltkriegen47) auch Rohstoffe verstanden habe, die etwa zu Kriegsgerät verarbeitet werden könnten. Darum wurde mir von einem Herrn aus meinem Büro48), der gerade diese Verhandlungen in Genf geführt hat und einen Horror vor diesem weiten Begriff hat, vorgeschlagen, zu sagen: „im Kriege verwendbare Waffen". Mir scheint, das deckt das, was gewünscht ist. Das betrifft nicht Kinderspielzeug und leichtes Jagdgerät und vermeidet das, wovor ich gewarnt

wurde.

Dr. Schmid: Ich habe gegen den Ausdruck „im Kriege verwendbare Waffen" Bedenken. Man kann sie nicht alle in den Text hineinschreiben. Man müßte zu „Kriegsgerät" in einer Fußnote sagen: nämlich im Kriege verwendbare Waffen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Waffen für Kriegszwecke ! Dr. Eberhard: Oder: für den Krieg bestimmte Geräte. Das ist ein Alternatiworschlag. Der Unterschied ist nicht so schlimm. Dr. Schmid: Sollen wir da so ängstlich sein? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das finde ich auch. Dr. Schmid: Es ist doch klar, was in dem ganzen Zusammenhang nur gemeint sein kann. Das Wort, das Sie meinen und das in Genf die unangenehme Rolle gespielt hat, ist das französische Wort ..munitions du guerre". Dr. Eberhard: Das ist immer mit „Kriegsgerät" übersetzt worden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es gibt jetzt so viele Gegenstände, die Kriegsgeräte sind und gleichzeitig für das sonstige Leben nützlich sind, z. B. Ferngläser. Dr. Eberhard: Das ist Kriegsgerät, aber es ist keine Waffe. Der Begriff „im Kriege verwendbare Waffen" ist sicher enger. Dr. Schmid: Ich würde sagen: für die Kriegführung bestimmtes Gerät jeder Art. Lensing: Ich persönlich halte Ferngläser nicht für Kriegsgerät. Dr. Schmid: Wenn Sie wüßten, was die Deutsche Rüstungsinspektion in Paris alles als Kriegsgerät deklariert hat49), um den Beuteanspruch der HLKO50) geltend machen zu können! Halbgewobene Stoffe auf dem Webstuhl, bloß weil sie khakifarben waren. Wunderlich: Ich möchte an die Berliner Geschichte mit den Meßgeräten erin-

nern51). Dr. Eberhard: Der Begriff als der

von

mir

„zur Kriegführung bestimmte vorgeschlagene Begriff.

Waffen" ist noch enger

47) Kar) Losli-Usteri: Geschichte der Konferenz für die Herabsetzung und die Begrenzung der Rüstungen 1932-1934. Zürich 1940. war das Deutsche Büro für Friedensfragen, dessen Leiter Eberhard war. Vgl. Dok. Nr. 6, Anm. 15. Die Korrespondenz von Eberhard mit Dr. Forster in dieser Frage in: Z 35/179, Bl. 146. 49) Korrigiert aus: „Wenn Sie wüßten, was die Alliierten alles als Kriegsgerät deklariert haben ..." 50) Haager Landkriegsordnung handschr. hinzugefügt; vgl. Dok. Nr. 9, Anm. 14. 51) Korrigiert aus „mit dem Meßgerät von Theo Lingen erinnern."

4B) Gemeint

548

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Frau Dr. Weber: Bei der Demontage spielt es eine große Rolle. Dr. Schmid: Dann würde ich die „Genehmigung der Bundesregierung"

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weglas-

sen.

Vors. [Dr.

fen.

v.

Mangoldt]:

Wir schreiben dann: Zur

Kriegführung

bestimmte Waf-

Dr. Schmid: Die Worte „jeder Art" würde ich weglassen. Dr. Eberhard: Das kann dann wegfallen. Der Ausdruck „im

Kriege verwendbare Waffen" findet keinen Anklang? (Dr. Schmid: Nein.) Dabei wäre es eher begründet, daß die Worte „mit Genehmigung der Bundesregierung" stehenbleiben. Gegen ihre Streichung habe ich Bedenken. Dr. Schmid: Sollen wir nicht eine klare und unverklausulierte Erklärung abgeben, daß in Deutschland keine Kanonen mehr gebaut werden sollen, nicht nur für uns nicht, sondern auch für andere nicht? Die letzten Werkstätten von Maybach52) in Friedrichshafen, wo die Franzosen durch Deutsche noch Motoren für Tiger-Panzer bauen lassen, machen wir dann auch zu. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen also : Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen weder hergestellt noch befördert oder in Verkehr gebracht werden. Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt. [Schließung der Sitzung, nächster Sitzungstermin] —

Beschlagnahme der Maybach-Werke Friedrichshafen durch die französische Besatzungsmacht s. Michael Graf Wolff-Metternich: Maybach, die Geschichte der Maybach Automobile. Lübbecke 2. A. 1978, S. 249. Karl Maybach: Leben und Werk 1879-1960, Katalog zum Maybach-Gedächtnis, Friedrichshafen 1980.

:) Zur

549

Nr. 26

„Allgemeine Bestimmungen" (Art. 21—32),

2.

Lesung

Nr. 26 Vom Ausschuß für

Grundsatzfragen in Zweiter Lesung angenommene Fassung der „Allgemeinen Bestimmungen" (Art. 21—32) 10.

Z 12/45, Bl. 56-57. Anlage zum Drucks. Nr. 269 vervielf. wurde1).

November 1948

Kurzprot. der

20.

Sitzung

vom

10. Nov. 1948, das

als

Artikel 21

(1) Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik bundesstaatlichen Aufbaus, deren Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist. y) (2) Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. x) (3) Das Volk übt diese einheitliche Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung für jeden dieser Bereiche getrennt durch besondere Organe nach diesem Grundgesetz aus. x) (4) Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem Gesetz. x)

Artikel 22

(1) Dieses Grundgesetz gilt zunächst für den Teil Deutschlands, der aus dem Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersach-

y)

sen,

Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-

Baden und Württemberg-Hohenzollern besteht. x) (2) Jeder andere Teil Deutschlands kann dem Bund beitreten. Seine derung wird durch Bundesgesetz vollzogen.

Einglie-

Artikel 23

x) Vertreter Groß-Berlins wirken in den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes mit. Artikel 24 (bisher Artikel 30)

y) (1) Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebiets sind wirksam, wenn die beteiligte Bevölkerung zustimmt. y) (2) Ihre Vollziehung bedarf eines Gesetzes des Bundes.

nur

Artikel 25 (bisher Artikel 24)

Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen Zusammenhänge, der kulturellen Lebenskräfte, der wirtschaftli(1) Unter

]) x) Text unverändert, y) Text geändert. 550

„Allgemeine Bestimmungen" (Art. 21—32),

2.

Lesung

Nr. 26

chen Zweckmäßigkeiten und des sozialen Gefüges ist das Bundesgebiet von Bundes wegen durch Bundesgesetz neu zu gliedern. (2) Diese Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit imstande sind, die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben wirksam zu erfüllen. (3) Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes durch Bundesgesetz geregelt sein. (4) Tritt ein anderer Teil Deutschlands dem Bunde bei, so soll vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt eine notwendig werdende Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt sein. (5) Die Bundesregierung hat die in Absatz 1—4 vorgesehene Neugliederung nach Übernahme ihres Amtes oder nach Aufnahme eines neuen Landes unverzüglich einzuleiten. Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs ist ein aus Mitgliedern der Volkskammer und der Länderkammer zusammengesetzter Ausschuß zu

beteiligen.

(6) Nach Verabschiedung des Gesetzes über die Neugliederung durch die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes ist dieses in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. In jedem Gebiet wird dabei nur über den Teil des Gesetzes abgestimmt, der dieses Gebiet betrifft. (7) Stimmt die Bevölkerung aller beteiligten Gebiete dem Gesetze zu, so ist dieses vom Bundespräsidenten zu verkünden. (8) Wird das Gesetz durch die Volksabstimmung in einem Gebiet oder in mehreren abgelehnt, so ist es den gesetzgebenden Körperschaften zu erneuter Beratung zuzuleiten. Nach erneuter Verabschiedung ist das Gesetz als Ganzes im

gesamten Bundesgebiet

zur

Volksabstimmung

zu

bringen.

(9) Bei den Volksabstimmungen nach Abs. 7 und 8 entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen der Wahlberechtigten. (10) Die Vorschriften für das Verfahren bei der Neugliederung und den Volksabstimmungen bestimmt ein Bundesgesetz. Artikel 26 (bisher Artikel 25)

(1) Änderungen im Gebietsbestand der Länder setz. Art. 25 Abs. 1 und 2 gilt sinngemäß.

erfolgen

durch

Bundesge-

(2) Wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbezirkes von mindestens der Größe eines Kreises eine Änderung der Landeszugehörigkeit verlangt, so hat die Bundesregierung ein diesem Antrag entsprechendes Gesetz vorzulegen. Die Bundesregierung kann ein solches Gesetz auch einbringen, wenn ein überwiegendes Bundesinteresse vorliegt. (3) Stimmen die beteiligten Länder zu, so genügt ein einfaches Bundesgesetz. (4) Stimmen die beteiligten Länder oder eines von ihnen nicht zu, so bedarf das Bundesgesetz der Zustimmung der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes. Das Gesetz ist in diesem Falle in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. Artikel 25 Abs. 9 und 10 gilt sinngemäß. 551

Nr. 26

„Allgemeine Bestimmungen" (Art. 21—32),

2.

Lesung

Änderung der LandeszugehörigAbsatz 2 die Bildung eines neuen Landes zum Ziel, so ist dieser Antrag zunächst in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. Der Antrag gilt als angenommen, wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten ihm zustimmt. Das Bundesgesetz bedarf in diesem Falle der Annahme mit der für Verfassungsänderungen vorgesehenen Mehrheit. Eine weitere Volksabstimmung findet nicht statt. (5) Hat das Verlangen der Bevölkerung auf

keit

gemäß

Artikel 27 (bisher Artikel 25)

x) (1) Die Verfassungen der Länder müssen die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger sichern. (2) Sie müssen den Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses Grundgesetzes, insbesondere der allgemeinen Vorschriften des Artikels 21 und des Teiles XII über die Rechtspflege entsprechen. Die Regierungen der Länder müssen durch das Vertrauen der aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretungen berufen sein. (3) Die Vorschriften dieses Grundgesetzes über die Parteien binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung der Länder. (4) Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zu gewährleisten. Zum Wesen der Selbstverwaltung gehört, daß die Gemeinden alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln haben, soweit das Gesetz dem Lande oder ei-

Gemeindeverbande nicht Aufgaben zuweist. y) (5) Der Bund gewährleistet, daß das staatliche Leben der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1—4 entspricht. (Vermerk: Der Artikel 29 in der vom Zuständigkeitsausschuß in 2. Lesung angenommenen Fassung wurde in der heutigen Sitzung des Grundsatzausschusses besprochen und gestrichen, da er inhaltlich im jetzigen Artikel 27, siehe oben, enthalten ist.) nem

Artikel 28 (bisher Artikel 27)

x)

(Variante I:)

Die Farben des Bundes sind Schwarz-Rot-Gold,

x)

(Variante II:)

Die

Flagge

des Bundes zeigt auf rotem Grunde ein schwarzes und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz.

liegendes

Kreuz

Artikel 29 (bisher Artikel 28)

x) Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundes-

gebiets. 552

„Allgemeine Bestimmungen" (Art. 21—32),

2.

Lesung

Nr. 26

Artikel 30 (bisher Artikel 29)

x)

(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Ein-

richtungen übertragen. (2) Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse herbeiführen und sicherstellen können. (3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund einer allgemeinen umfassenden obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten. Die in dieser Schiedsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen binden unmittelbar. Artikel 31

Handlungen, die mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.

x)

Artikel 32

y) (1) Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen weder befördert oder in Verkehr gebracht werden. x) (2) Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt.

hergestellt, noch

553

Einundzwanzigste Sitzung

Nr. 27

16.

November 1948

Nr. 27

Einundzwanzigste Sitzung

des Ausschusses für 16. November 1948

Z 5/33, Bl. 71-1221). Stenogr. Wortprot. vom 18. Nov. 1948, Kurzprot: Z 12/45, Bl. 52-53. Drucks. Nr. 277

Grundsatzfragen

von

Reynitz gez.

Anwesend2) :

CDU/CSU: Kleindinst, v. Mangoldt (Vors.), Pfeiffer, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig (zeitweise), Rosshaupter, Seibert (zeitweise) FDP: Heuss Stenografischer Dienst: Reynitz Dauer: 10.43-12.38 Uhr

[1.

PRÄAMBEL,

ZWEITE

LESUNG]

v. Mangoldt]: Ich eröffne die heutige Sitzung und würde Ihnen vorschlader Tagesordnung, die wir das letzte Mal aufgestellt haben, heuentsprechend gen, te an die Präambel zu gehen und die Formulierung zu Ende zu bringen. Trotz aller Bedenken, die vielleicht noch bestehen könnten, ob wir das hier im großen Ausschuß machen sollten, würde ich doch empfehlen, hier einen entschiedenen Schritt nach vorwärts zu tun; denn wir müssen mit unserer Aufgabe fertig werden, damit hinterher Zeit für den Hauptausschuß vorhanden ist. Ich habe gestern ein sehr interessantes, etwa eine Stunde dauerndes Gespräch mit Herrn Bürgermeister Brauer3) in Hamburg geführt; darin kam seine große Besorgnis zum Ausdruck, daß wir überhaupt nicht fertig würden. Von Herrn

Vors. [Dr.

Brauer wurde dabei ein sehr stichhaltiger Grund im Sinne meisoeben gemachten Vorschlages angeführt: über eine gewisse Vollkommenheit würden wir bei diesen Dingen nie hinauskommen, und gerade die Präambel werde doch im Volke auf sehr verschiedene Stimmungen stoßen, und allen Teilen werde man es bei der Präambel doch nicht recht machen können. Wir müssen uns also entschließen, über unseren Entwurf zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen. Eines hat nun aus der bisherigen Diskussion klar erkannt werden können: ganz entsprechend der Stimmung in unserer Jugend besteht auch sonst ein starker Zug zur Sachlichkeit und fort von allem Pathetischen. Nach zwei Richtungen müssen wir uns also in der Präambel beschränken: wir müssen auf der einen Seite das Pathetische und auf der anderen Seite den Leitartikel-Stil zu vermeiden suchen, den Herr Kollege Heuss mit Recht immer als so unerwünscht bezeichnet hat.

Bürgermeister

nes

13 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot.; demnach war Frau Nadig nur ab 11.30 Uhr und Frau Seibert bis 11.30 Uhr anwesend. 3) Max Brauer (1887-1973), SPD, nach der Rückkehr aus der Emigration von 1946-1953 und 1957—1960 Erster Bürgermeister von Hamburg.

1) Bl. 123—125 (S. 2, 6,

554

Einundzwanzigste Sitzung Aus all den

16.

November 1948

Nr. 27

Gründen würde ich vorschlagen, doch zu versuchen, Ende zu führen. Wir müssen damit rechnen, daß es im Hauptausschuß noch einmal zu einer eingehenden Aussprache kommen wird, in der die ganzen Probleme dann noch einmal durchgesprochen werden4). Wir hatten uns das letzte Mal auf Wunsch des Ausschusses mit einem Entwurf befaßt, den ich mir vorzulegen erlaubt hatte. Wir hatten einzelne Teile dieses Entwurfs schon besprochen und hatten gewisse Umstellungen und Streichungen vorgenommen. Vielleicht können wir das zunächst einmal fortsetzen. Wir hatten uns weiter vorgenommen, daneben noch den Entwurf Heuss5) zu stellen und erst dann zu entscheiden, welchen Weg wir gehen wollen. Nach einer kurzen Besprechung, die wir eben unter sechs Augen hatten Herr Dr. Bergsträsser und Herr Eberhard und ich —, habe ich schon verschiedene kleine Abänderungen an den ersten beiden Absätzen vorgenommen, die wir dann am besten auch hier gleich einmal erörtern. Ich hatte mich in meiner Fassung weitgehend an das zu halten versucht, was als bisheriges Ergebnis unserer Beratungen vorlag. Ich war so zu der in Ihrer Hand befindlichen Formulierung6) von dem „zerstörten staatlichen Gefüge" gekommen. Nun habe ich immer wieder festgestellt, daß dieser Begriff des staatlichen Gefüges doch an vielen Stellen auf Widerspruch stößt, daß er nicht recht verstanden wird, und daß das, was wir eigentlich damit sagen wollen, in recht

angeführten

dieses Werk heute

zu



4) Vgl. die 26. Sitzung des HptA vom 10. Dez. 1948; Verhandlungen, S. 306 ff. 5) Der Vorschlag von Heuss war bereits auf der 19. Sitzung vom 9. Nov. 1948 (Dok. Nr. 24, TOP 1)

besprochen worden.

6) Entwurf, handschr.

unter dem 16. Nov. 1948

datiert, mit handschr.

Änderungen,

in:

BayHStA NL Pfeiffer/180. Der Entwurf von v. Mangoldt lautete: „Erfüllt von dem Willen, an Stelle des zerstörten staatlichen Gefüges der in Weimar geschaffenen Republik eine neue staatliche Ordnung zu errichten, damit die Grundlage für

einen Bundesstaat Deutschland zu schaffen und in ihm die Einheit der Nation zu erhalten, haben die deutschen Länder Abgeordnete zu dem am 1. September 1948 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt. Im Vertrauen auf Gott und die wiedererweckten sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben ist und daß die entsandten Abgeordneten berechtigt sind, als Vertreter aller Deutschen zu handeln, in dem festen Willen, die jüngst so schwerverletzten Freiheitsrechte des Deutschen Volkes zu schützen und der so schwer geschändeten Menschenwürde zur vollen Anerkennung zu verhelfen, in der Erwartung, daß das geeinte Deutschland zum Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa als gleichberechtigtes Glied mitwirken wird, zugleich aber in dem Bewußtsein, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat und daß auch die Verwirklichung des in diesem Grundgesetz enthaltenen deutschen Willens von der Haltung der Besatzungsmächte abhängt, wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-B erlins von diesen Vertretern der deutschen Einheit dieses Grundgesetz geschaffen, dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen. Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, auf dieser Grundlage in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit im Bundesstaat Deutschland zu vollenden." .

.

.

555

Nr. 27

Einundzwanzigste Sitzung

16.

November 1948

breiten Bevölkerungskreisen keinen Widerhall findet. Aus diesem Grunde habe ich mir überlegt, ob man nicht sagen könnte7): Erfüllt von dem Willen, auf den Trümmern der in Weimar geschaffenen Republik in diesem Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben damit wollten wir an das anschließen, was Sie, Herr Kollege Heuss gesagt haben, weil wir das gut finden und in dieser die Einheit der Nation zu erhalten. Wir müßten das aber alle noch einmal geschrieben vor uns sehen, um uns endgültig entschließen zu können. Vielleicht würden wir damit auch der besseren Verständlichkeit dieser einleitenden Sätze dienen. Ich hatte mir noch eine andere Formulierung überlegt, die ich aber nicht für besser halte, etwa: an Stelle der untergegangenen oder der von innen und außen beseitigten Regierungs- und Verwaltungsorgane eine neue staatliche OrdAber ich sage selbst: das ist schlechter. nung zu schaffen. Wird das Wort zu diesen Vorschlägen oder überhaupt zum Gang des Verfah—





gewünscht?

rens

(Dr. Weber: Ich meine, der zweite Vorschlag wäre nicht ste.) Ich habe ihn friedigt davon.

nur

einmal

am

Rande vorgetragen; ich

so

war

gut wie der

er-

selbst sehr unbe-



Dr. Heuss: Das Wort „Verwaltungsorgan" kann in der Präambel nicht vorkommen, das ist eine zu technisch-dezisive Entscheidung, besonders bei dem Eindruck, den Sie von der Jugend haben, daß sie auf einmal nicht mehr pathetisch sondern nüchtern sein will. Wir müssen aber schon etwas darin haben, was ich im Plenum das Numinose genannt habe6). Das hier ist zu anuminos. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich ging davon aus, daß die Kontinuität irgendwie betont werde, wenn man sagt: Auf den Trümmern der in Weimar geschaffenen

Republik.

Dr. Heuss: Zunächst hätte ich da noch einige Hemmungen. Aber ich bin ja maßgebend; ich bin in meine Präambel verliebt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir waren davon ausgegangen, daß die Kontinuität des alten Staatsgebildes in dem neuen deutlich zum Ausdruck gebracht werden und daß irgendwie auf die zerstörte staatliche Organisation des alten Bezug genommen werden sollte. Ich habe hin- und herüberlegt. Das Wort „Organisation" kann man auch nicht in die Präambel hineinnehmen. Aber „Ordnung" könnten wir vielleicht jetzt hineinnehmen, weil wir das ja am Ende weggelassen haben. (Dr. Weber: „Auf den Trümmern der in Weimar geschaffenen Republik" finde ich nicht schön; nach allem Hin und Her, das wir hier gehabt haben, gefällt mir dann der Anfang von Herrn Heuss schon besser.) Da habe ich nur das Bedenken, daß wir damit in dem Leitartikelstil drin sind.

nicht



7) Vgl. BayHStA NL Pfeiffer/180: Diskussionsgrundlage für die

8) 556

2.

Lesung der Präambel; Sitzung.

ungez. und undat. mit handschr. Zusätzen von Pfeiffer aus der Diskussion der Der Entwurf enthält nur den Beginn der Präambel. 6. Sitzung des Plenums vom 20. Okt. 1948; Sten. Berichte, S. 75.

Einundzwanzigste Sitzung Dr. Heuss: Es

gibt gute

das,

steht,

was vorn

Vors. [Dr.

v.

Stil „erfüllt ausgesetzt ist.

November 1948

und schlechte Leitartikel. Hier handelt

um

einen

es

Nr. 27

sich mehr

um

Leitgedanken.

zu dem englischen und französischen dem Willen", weil das eine Form ist, die dieser Gefahr nicht

Mangoldt]:

von

16.

Ich

neige mehr

ja gerade das, was Sie vorhin vermeiden wollten, das ist die ausgesprochen pathetische Form. Wir haben uns schon einmal in einer der ersten Sitzungen darüber unterhalten, als Carlo Schmid und ich uns gestritten haDr. Heuss: Das ist

ben über diese Partizipialkonstruktionen lateinischer Herkunft. Wir haben es in der Sitzung auf die Formel Cicero gegen Tacitus gebracht9). Ich war für Tacitus, er war für Cicero, nämlich für die großen Partizipialkonstruktionen, die natürlich hier auch mit drin sind. In der ersten Fassung auch von Herrenchiemsee10) war das ja nur Partizipialkonstmktion mit einem unmöglichen Satz mit der Gefahr des Stotterns oder Erstickens zwischendrin, wenn man es lesen wollte. Ich habe vorgeschlagen, die Sache in eine Reihe von Sätzen aufzugliedern, weil mir das sprachlich besser schien, aber Schmid hat die Meinung gehabt, daß der große Satz, der bei uns in Mißbrauch gekommen sei, auch eine schöne Sache sei. Schiller hat ihn gehabt und Lassalle11) hat ihn auch gehabt. Aber wir sind ja hier in einer anderen Situation. Nun das Problem des Pathos. Herr v. Mangoldt meinte vorhin, die Jugend jetzt wünsche kein überflüssiges Pathos. Nun besinnen wir uns, ob „erfüllt von dem Willen" pathetischer klingt als das, was bei mir einfach eine schlichte geschichtliche Ansage sein will und ein verhaltenes Pathos in der Wortwahl, aber nicht im Satzbau; der ist bei mir, glaube ich, ganz ungezwungen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wäre nur die Frage: Wenn wir in der Einleitung, in dem ersten Satz, eine solche schlichte geschichtliche Schilderung bringen wollen, wollen wir dann auch in den weiteren Sätzen auf jene in mehr pathetischer Form erfolgte Aufzählung der Grundgedanken unseres Werks verzichten, die in meinem Vorschlag eine starke Rolle spielt? Zu Anfang ist ja allerdings in dem, was Sie soeben überreicht bekommen haben, anders formuliert, als soeben besprochen wurde. Herr Brauer hat mir im übrigen zu meinen Formulierungen gesagt, er wäre durchaus einverstanden, wenn man hinschriebe: „Im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes". Dann würde man jene von so mancher Seite geforderte invocatio drin haben. Ebenso müßten wir uns aber auch klar werden, ob wir so wie in den folgenden Sätzen einleiten wollen: „in der Überzeugung", „in der Erwartung" usw. Damit hätte man auch die Partizipialsätze nicht, sondern eine geschichtliche Einleitung und auf sie folgend eine übersichtliche Zusammenstellung der Grundgedanken. Könnten wir zunächst nicht einmal die Meinungen darüber klären? Dann könnten wir den ersten Satz in dieser schlichten Form bringen. Allerdings paßte dann manches nicht hinein, weil dieser erste Satz nur die geschichtliche Einleitung dafür ist, daß Abgeord9) Dok. Nr. 8, TOP 1 c. 10) Der Par). Rat Bd. 2, S. 579. ") Lassalle vgl. Dok. Nr. 4, Anm.

28.

557

Nr. 27

Einundzwanzigste Sitzung

16. November 1948

nete nach Bonn entsandt worden

sind; erst dann kommt die eigentliche Schafder Verfassung in dem zweiten Satz. Dr. Weber: Mir würde diese einfache schlichte Einführung und dann die Art der Satzkonstruktion und der Aufzählung, wie Sie sie hier haben, Herr Vorsitzender, gut gefallen. Ich finde, man kann auch beides zusammenstellen, wenn es auch im Stil nicht gleich ist. Aber eine Verfassung ist schließlich etwas, was eine solche Satzkonstruktion gut verträgt; sie ist gut gegliedert und nicht mehr unklar. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte hier natürlich auch beginnen: Das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen usw. Wenn man es so umstellen könnte, ginge es auch. Dr. Heuss: Das Gefühl der Kontinuität bekommen Sie nach meinem Sprachempfinden mit dem Ausdruck „auf den Trümmern der in Weimar geschaffenen Republik" nicht heraus. Ich gebe gern zu, daß diesem „zerstörten Gefüge" etwas zu Intellektuell-Literatenhaftes anhaftet, obwohl es ja an sich ein ganz gutes Wort ist. Wir geben damit etwas wieder, was eben noch vorhanden ist, während „Trümmer" mir nicht recht behagt. Ich würde diesen Satz da weglassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also : Das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern usw. hat in dem Willen, dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben, Abgeordnete zu dem am 1. September 1948 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt. Dr. Eberhard: Dann fehlt aber jede Bezugnahme auf Weimar und auch darauf, daß wir bestrebt sind, die Einheit der Nation zu erhalten. Das muß irgendwo hineinkommen. Dr. Heuss: Das würde am Schluß auf jeden Fall kommen. Dr. Eberhard: Es muß aber vorn hin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßte man sagen: eine neue Form zu geben und in dieser die Einheit der Nation zu erhal-

fung

.

.

.

ten.

Ich hatte ursprünglich etwas anderes da stehen. Jetzt bezieht sich das „dieser" in dem Halbsatz „und die Einheit... zu erhalten" auf die Form, während es sich auf „Bundesrepublik" beziehen sollte. Ich komme nicht darüber hinweg, ich finde es besser, wenn man anfängt mit „In dem Willen". Ich kann mir nicht helfen, will aber die Bedenken gern zurückstellen und den anderen Weg gehen, möchte aber zunächst eine Stellungnahme aus dem Ausschuß haben. Dr. Eberhard: Ich habe gegen das Pathos, das in der Wortfolge zum Ausdruck

kommt, nichts einzuwenden. Vors. [Dr. v. In dem

Mangoldt]:

Oder etwa

so:

Willen, anstelle der beseitigten staatlichen Ordnung der in Weimar

geschaffenen Republik.

Aber da fragt man wieder: wodurch beseitigt? Dr. Kleindinst: Warum kann man nicht einfach sagen: „Nach der Zerstörung der in Weimar geschaffenen Verfassung"? Die haben doch eigentlich die Nazis schon in den Jahren 1933/34 zerstört. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnten wir sagen: 558

Einundzwanzigste Sitzung

16. November 1948

Nr. 27

Nach der Zerstörung der in Weimar geschaffenen Verfassung hat das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern usw., in dem Willen Dr. Pfeiffer: Ich glaube, es muß schon heißen: Haben die Länder Baden, Bayern usw. die Entsendung vorgenommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber hatten wir neulich schon gesprochen, aber da war der Wunsch gewesen, es gerade so zu machen. Dr. Pfeiffer: Wenn wir eine Tatsache feststellen, dann ist es die, daß die Länder die Entsendung vorgenommen haben, die Landtage. In dem Dokument12) wird immer von den Ländern ausgegangen. Die geschichtliche Tatsache ist doch, daß die Landtage für ihre Länder uns entsandt haben. Dr. Weber: Wir sind alle von den Landtagen gewählt! Dr. Heuss: Das geht eben in die Tiefe unserer politischen Situation. Dr. Kleindinst: Aber man könnte dann hernach sagen: um der Nation wieder eine Einheit zu geben. Dr. Pfeiffer: Wenn am Eingang der ganzen Sache dieser Wille bekundet werden soll, dann würde ich glauben, die Formulierung „Erfüllt von dem Willen" oder „In dem Willen" wäre als Auftakt eine gute Wort- und Lautkadenz. Dann würde sich anschließen das Bekenntnis der Kontinuität und der Einheit, dann die Tatsache der Zusammenkunft, und dann kommt auch das Pathos, das uns bei der Schaffung der Verfassung erfüllt. So, wie dieser Entwurf auf dem roten Papier hier aufgebaut ist, liegt doch ein guter Rhythmus darin, und aus dem Entwurf des Kollegen Heuss wäre manches da hineinzubauen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ganz bewußt schon geschehen. Es würde diese geschichtliche Darstellung mehr betonen, wenn wir sagten: Nach Zerstörung der in Weimar geschaffenen Verfassung haben die deutschen Länder usw. Aber das ist geschichtlich auch nicht richtig, denn dann würde man meinen, es wäre unmittelbar hinterher gewesen; deshalb geht es nicht. Dr. Pfeiffer: Dieses post hoc ist kein propter hoc. Dr. Seibert: Ich habe bisher nicht in diesem Ausschuß mitgearbeitet und es ist beinahe vermessen, wenn ich jetzt zu diesem Thema spreche, aber gegen diese Fassung, wie sie hier vorliegt, habe ich Bedenken in der Richtung, daß man die Präambel hier mit einem gewissen Pathos anfängt und dann den Satz abschließt „haben ihre Abgeordneten nach Bonn entsandt". Das ist doch gar nicht wesentlich, daß die Abgeordneten nach Bonn entsandt sind. Dieser Anfang des Satzes in seiner pathetischen Form klingt sprachlich sehr gut, aber mir gefällt die Zusammenstellung nicht mit dem nüchternen Nachsatz „haben die Vertreter nach Bonn entsandt". Ich sehe ein, daß man diese Tatsache geschichtlich feststellen sollte, zumal hier auch die Aktivlegitimation des Bonner Rates zum Ausdruck gebracht werden soll. Aber sprachlich gesehen geht es mir etwas contre coeur. Dieser Nachsatz klingt gegenüber dem Beginn des Satzes eigentlich etwas banal. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, ganz so darf man das nicht sehen, denn es kommt dem eine sehr große Bedeutung zu. Diese Dinge müssen vielmehr in ih.

12) Frankfurter Dokument

.

.

Nr. I; Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff. 559

Nr. 27

Einundzwanzigste Sitzung

16.

November 1948

rer Beziehung zum Londoner Abkommen13) gesehen werden, wir dürfen uns nicht als bloß handelnd auf Grund eines Zwanges von außen betrachten, sondern unsere Arbeit bedeutet eben das Aufnehmen dieser Möglichkeiten, die durch London gegeben sind, durch das deutsche Volk. Das ist die Bedeutung dieses ersten Satzes, und das muß auch in ihm gesagt werden. Erst im zweiten Absatz kommt zum Ausdruck, auf Grund welcher anderen Überlegungen wir das Grundgesetz schaffen. Es ist doch aber ein sehr wesentlicher Schritt zu der Einheit Deutschlands, daß diese Abgeordneten entsandt worden sind, um dieses Werk zu beginnen. Dr. Seibert: Ich sehe ein, daß das auch staatspolitisch ein Akt ist, aber dann sollte man es nicht so banal gegenüber dem Vordersatz fassen. Es müßte dann auch sprachlich zu dem Vordersatz passen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann bitte ich um einen Vorschlag ; die Kritik allein genügt uns nicht. Dr. Seibert: Vielleicht in dem Sinne: beauftragt, eine Verfassung zu schaffen. Mir erscheint der Zusammenhang im Ganzen nicht richtig, wenn man hier von entsandt spricht und dahinter erst das Werk folgen läßt, wie es charakterisiert wird. Vielleicht könnte man besser sagen: haben ihre Abgeordneten beauftragt, eine Verfassung zu schaffen. Dr. Heuss: Ich will diesen Faden gern weiterspinnen, den ich wiederholt schon angesponnen habe, daß ich nämlich an sich gegen die Nennung des Parlamentarischen Rates in der Präambel bin. Wenn man sich vorstellt, diese Sache, dieses Grundgesetz, soll längere Zeit dauern, dann ist es für den Leser immer eine sehr bestimmte, staatsrechtlich-historisch nicht ganz uninteressante Erinnerung an die Zusammenkunft hier, an diese spezifisch-technische Limitation. Ich selber vertrete den Standpunkt: wir haben nicht die Legitimation von London, sondern nur den Anstoß, haben die Legitimation aus uns. Infolgedessen habe ich schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß ich diese verschiedenen Daten, die auch die Weimarer Verfassung nennen wollte, von mir aus hier nicht drinhaben wollte. Ich habe ein Gefühl für das, was eben gesagt worden ist, daß nämlich dann dieser technische Vorgang des Entsandtwerdens ein bißchen prosaisch klingt neben dem starken Akzent des Anfangs. Ich will keinen neuen Vorschlag machen, aber ich bin dagegen, den Parlamentarischen Rat zu nennen, auch aus politisch-historischen Gründen, rein gefühlsmäßig. Hier stoßen wir uns immer an dem sehr primären Parlamentarischen Rat, schon allein an diesem saudummen Namen; das ist doch keine Bezeichnung, das ist doch nur

ein Verlegenheitswort. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mir ist die

folgende Idee gekommen: In dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten, haben die deutschen Länder Abgeordnete zu dem in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt, um dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben. Dr. Weber: Aber wir kommen nicht am Parlamentarischen Rat vorbei. 13) 560

Zum Londoner Abkommen

vgl.

Dok. Nr. 11, Anm. 11.

Einundzwanzigste Sitzung

16. November 1948

Nr. 27

Dr. Heuss: Die Wirkungskraft dieser Geschichte liegt erst im Plebiszit. Wir sind ein technisches Vorbereitungsorgan. Dr. Weber: Aber es ist doch geschichtlich! Dr. Heuss: Wegen dieser Formulierung „haben die deutschen Länder" werden wir im Hauptausschuß eine sehr große Diskussion bekommen14). Besonders Carlo Schmid hat doch sehr lebhaft den Standtpunkt vertreten, daß wir das Genur

samtorgan „Volk" als Willensträger dieses Versuches ansehen und die Länder als die Unterfunktionen dieser historischen Volkspersönlichkeit, also als Organe der Willensbildung. (Dr. Kleindinst: Es ist doch eine reine Konstruktion!) Es ist natürlich ein Problem, wie man das Ding ansieht. Wenn man sie als kontinuierliche Rechtspersönlichkeit des Volkes ansieht, sind die Länder nur subsidiär zu nennen, während sie hier konstitutiv genannt sind. Dr. Bergsträsser: Wenn wir sagen: „die Länder", dann ist es unmöglich, die Kontinuität zu wahren, denn dann kommen wir zu der Auffassung von Nawiasky von der debellatio und der völligen Neugründung15), und die lehnen wir absolut ab. Ich glaube, es gibt da keinen anderen Weg. Der einzige Weg wäre, rein chronistisch zu sagen „die Landtage"; aber „die Länder" können wir nicht sagen, denn dann ist die Kontinuität abgebrochen, dann sind die Länder als einzelne, voll souveräne Stücke neu zusammengetreten. Das haben wir in einer der letzten Ausschußsitzungen schon einmal behandelt. Es widerspricht unserer Auffassung zu sehr, denn dann wäre keinerlei Kontinuität mit der Weimarer Verfassung mehr gewahrt. Ich habe gerade vorhin wieder ein Protokoll durchgelesen, in dem auch ausgeführt wurde, daß ja das deutsche Reich noch beich beziehe mich jetzt wiederum auf die Rede steht, daß ja die Reichsgewalt de facto vom Kontrollrat, solange er noch bevon Byrnes vom Jahre 194616) stand, ausgeübt wurde, und daß jetzt eine Wiederaufnahme durch die Deutschen stattfindet. Aber eine Neugründung à la Nawiasky wäre etwas völlig anderes. (Dr. Heuss: Und à la Hoegner17)!) Das gebe ich gern zu. Ich beziehe mich aber auf Nawiasky deswegen, weil er in der „Neuen Zeitung" und anderswo seine Theorien systematisch vertreten —







hat18). Vors. [Dr. v. und sagen: dern" ?

Mangoldt]: „.

..

Können wir nicht Herrn Dr. Pfeiffer entgegenkommen hat das deutsche Volk durch die Länder" oder „in den Län-

Dr. Pfeiffer: Ich bin nicht ganz der Meinung von Herrn Kollegen Bergsträsser. Wenn das Reich in diesem Stadium nicht handlungsfähig war, so waren aber die Länder handlungsfähig, und sie machen davon Gebrauch, um die Gemein-

schaft wieder herzustellen. 14) 15) le) 17) 18)

Vgl. Anm. 4. Auffassung von Nawiasky s. Dok. Nr. 13, Vgl. Dok. Nr. 9, Anm. 13. Vgl. Dok. Nr. 7, Anm. 33. Zu Nawiasky vgl. Dok. Nr. 24, Anm. 32.

Anm. 34.

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darf ich Sie einen Augenblick Dr. Bergsträsser: Nein, Herr Kollege Pfeiffer unterbrechen: nicht um sie wieder herzustellen, sondern um sie wieder handlungsfähig zu machen! Das ist aber etwas anderes. Sie besteht! Dr. Kleindinst: Politisch ist die Einheit vorhanden, verfassungsrechtlich ist sie —

gestört.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir an den Anfang setzen: In dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten, haben die deutschen

Länder usw., dann ist ja die Einheit der Nation bestehengeblieben und wird eben hier erhalten. Damit würde man nicht sagen: sie wird neu gegründet. Hinterher würde dann kommen: sie haben die Abgeordneten entsandt, um das staatliche Leben neu zu formen. Dr. Bergsträsser: Die Landtage, nicht die Länder haben entsandt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Landtage sind ja die Länder. Wir haben gerade den Besatzungsmächten gegenüber, die statt Länder immer „die Landtage" sagen wollten, gesagt: Das sagt man bei uns in Deutschland nicht, sondern man sagt „die Länder". Dr. Seibert: Ich glaube, der Vorschlag von Herrn v. Mangoldt wird auch dem Gedanken gerecht, den Herr Dr. Bergsträsser hier angeführt hat. Ich unterstreiche durchaus, was er gesagt hat: das Deutsche Reich besteht noch, ist nur nicht handlungsfähig; es ist sogar noch rechtsfähig, seine Kompetenz wird nur von den Militärbefehlshabern ausgeübt. Wesentlich aber erscheint mir doch folgendes: Ich fühle mich hier keineswegs als Vertreter etwa von Niedersachsen. Ich bin nicht einmal in Hessen gewählt, obwohl ich Hessin bin, sondern in Niedersachsen. Ich glaube, so soll es doch auch sein: wir fühlen uns gar nicht als Vertreter der Länder, die uns entsandt haben, sondern wir fühlen uns hier als Deutsche, als Vertreter des ganzen Volkes. Deshalb ist dieser Vorgang, daß die Länder uns entsandt haben, genau so wie das Entsenden selbst, ganz subsidiärer Natur. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Um das abzukürzen: welchen Vorschlag machen Sie denn? Dr. Seibert: „Das deutsche Volk"! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber dann müssen die Länder aufgeführt werden! Dr. Seibert: Die Fassung, wie sie hier drinsteht, gefällt mir durchaus: hat das deutsche Volk in den Ländern oder durch seine Länder. Wenn man aber sagt, wie Sie meinten, Herr Professor: „In dem Willen, die Einheit herzustellen, haben die Länder" usw., hat das staatsrechtlich schon wieder einen ganz anderen Sinn. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Formulierang, die hier steht, stammt ja von niir! Wir haben sie ja eben zum Abschreiben weggegeben. Ich bin nur eingegangen auf den Vorschlag von Dr. Pfeiffer, und über den wird diskutiert. Wir müssen doch einmal weiterkommen! Dr. Pfeiffer: Ich habe meine Auffassung nicht geändert. Entsandt wurden die Abgeordneten durch die Landtage als Vertreter der Länder, darüber gibt es keinen Zweifel. Als was wir uns fühlen, ist staatsrechtlich nicht maßgeblich. Wir sind aber alle dafür, daß wir die Synthese zwischen den Ländern und der Ge562

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samtheit möglichst glücklich für das Gemeinsame schaffen. Vielleicht könnte das etwas umstellen und sagen: Erfüllt von dem Willen, nach der Zerstörung der in Weimar geschaffenen Verfassung dem staatlichen Leben Deutschlands eine neue Form zu geben und dadurch die Einheit der Nation zu erhalten, haben die Länder Abentsandt. geordnete In dieser Fassung wären die Elemente Ihres Vorschlags enthalten. Wir hätten damit starkes Gewicht auf die neue Form gelegt, auf den Tatbestand „nach der Zerstörung der in Weimar geschaffenen Verfassung" und die Absicht, die Einheit der Nation zu erhalten. Damit hätten wir zugleich ein Bekenntnis der Länder zur Einheit der Nation. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei näherer Betrachtung finde ich die Aneinanderreihung, wie ich sie hier zunächst aufgestellt habe, auf die Dauer doch nicht gut. Ich würde das Auseinanderziehen in der Formulierung: In dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk oder haben die deutschen Länder Abgeordnete zusammengerufen, um nun dem staatlichen Leben eine neue Form zu geben, besser finden, denn dann würde das Ziel auch klarer herauskommen, und man würde nicht diese Aneinanderreihung von mehreren Nebensätzen haben. Man müßte also sagen: In dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern usw. oder „durch die Länder" zusammengetretenen Parlamentarischen Rat Abgeordnete zu dem am in um diesem entsandt, Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer Buneine neue Form zu geben. Deutschland desrepublik Dr. Eberhard: Sowohl die Anregungen, die Herr Kollege Pfeiffer für die ersten vier Zeilen machte, wie auch diese Umstellungen, wie sie Herr v. Mangoldt jetzt vorhat, scheinen mir akzeptabel. Streitig scheint bis jetzt nur noch zu sein der eine Satz: hat das deutsche Volk in den Ländern", oder: „haben die deutschen Länder Abgeordnete entsandt". Ist das letztere aber nicht nur die Beschreibung eines technischen Vorgangs? Gefühlsmäßig herrscht doch bei uns allen nur der erste Gedanke vor, und ich glaube, auch Sie, Herr Kollege Pfeiffer, fühlen sich hier nur als deutscher Abgeordneter: (Dr. Pfeiffer: Absolut!) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir brauchen die Sache hier gar nicht zu lösen; darüber wird es im Hauptausschuß noch eine Diskussion geben19). Wir könnten zwei Fassungen nebeneinander stellen, und dann mag der Hauptausschuß darüber entscheiden. Es ist ja wesentlich, daß wir diese Dinge fördern. Sind Sie damit einverstanden? Dr. Pfeiffer: Ich betrachte das als eine staatsrechtliche Frage, nicht als eine Geman

.



.

.



.

„.

.

..

.

fühlsfrage. Dr.

Bergsträsser: Ich gehe

sen

wir

überhaupt

von etwas aus, was Kollege Heuss gesagt hat: Müsdiesen Parlamentarischen Rat und seinen Zusammentritt in

19) Die Diskussion im HptA erfolgte auf der S. 306 ff.

26.

Sitzung

am

10. Dez. 1948;

Verhandlungen, 563

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nehmen? Können wir nicht einfach sagen: haben die Abgeorddes Parlamentarischen Rates diese Verfassung beschlossen? neten Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollten ja Berufung des Parlamentarisches Rates und Beschluß der Verfassung voneinander trennen, weil wir sonst einen zu langen Satz bekommen. Dr. Bergsträsser: Nein, ich meinte: überhaupt weglassen! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zunächst einmal wäre es staatsrechtlich wichtig festzustellen, daß Abgeordnete entsandt worden sind. Man könnte evtl. den Parlamentarischen Rat weglassen, indem man sagte: hat das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern usw. Abgeordnete entsandt, um dem staatlichen Leben eine neue Form zu geben, und nun käme dann die neue Form, der zweite Satz, in dem alles weitere steht. Das ist gerade wichtig, um schon am Anfang den Willen zur Einheit zu betonen. Das ist gerade der russischen Zone gegenüber so außerordentlich wichtig. Den Parlamentarischen Rat können wir natürlich

die

Verfassung

weglassen. Dr. Bergsträsser:

Aber wenn Sie nach dem Osten wirken wollen, dann ist es die Länder aufzuführen. doch falsch, Dr. Heuss: Der Osten kommt ja nachher noch herein. Die Nennung der Länder umschreibt den Geltungsbereich, das ist das Wesentliche. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man nun einfach sagte: haben die deutschen Länder oder hat das deutsche Volk Abgeordnete oder „Beauftragte" entsandt, um dem staatlichen Leben eine neue Form zu geben? Wie sind darüber die

Auffassungen?

Dr. Eberhard: Also Ort und Datum sozusagen auszulassen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, und die Anführung des „Parlamentarischen Rates". Dr. Bergsträsser: Das wäre sprachlich und im Duktus schon eine Erleichterung, denn der Parlamentarische Rat ist doch eine sehr zeitbedingte Geschichte. (Dr. Heuss: Ich habe das von Anfang an vertreten.) Ich bin nicht einverstanden mit der ausdrücklichen Hervorhebung der Län-

der. —

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ein Alternatiworschlag, den wir hier nicht entscheiden wollen. Wir würden also sagen: In dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern usw. oder zweite Fassung: haben die deutschen Länder Baden, Bayern usw. —



Abgeordnete entsandt, wollen wir sagen „Beauftragte" oder „Abgeordnete"? (Dr. Heuss: „Abgeordnete!")





Also:

Abgeordnete entsandt, um in diesem Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben. Damit wäre diese kurze geschichtliche Einleitung dann fertig. Dr. Heuss: Dann haben wir also „die Trümmer von Weimar" weggelassen; ich —

bin einverstanden. 564

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die haben wir bewußt weggelassen. Wir haben die Kontinuität in den Worten „eine neue Form zu geben"; damit ist es auch zur Genüge gesagt. Wir haben die Einleitung etwas verkürzt, aber trotzdem den geschichtlichen Vorgang dargestellt. Wir würden damit auch, was wesentlich ist, in diesem Satze zum Ausdruck bringen, daß wir nicht auf Kommando an unse-

re Arbeit haben.

herangegangen sind,

sondern die Sache

von uns aus

aufgenommen

Dr. Bergsträsser: Sollte man zu den Worten „die Einheit der Nation zu erhalten" nicht hinzusetzen „und wirksam zu machen"? Das ginge also nach der Richtung, daß wir es lieber aktivieren wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Aktivieren kommt dann doch in dem Nachsatz zum eine neue Form zu geben. Ausdruck: Abgeordnete entsandt, um Dr. Bergsträsser: Die Form geben, um die Einheit der Nation, die wir für selbst.

.

.

verständlich halten, wieder wirksam zu machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wird hier vorgeschlagen, diese Debatte jetzt abzubrechen, bis wir die neue Fassung schriftlich haben. Wir könnten dann immer noch einen kurzen Zusatz machen. Wir würden dann jetzt zu dem 2. umfangreicheren Satz kommen: Im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben ist dieses Selbstbestimmungsrecht wollten wir unter allen Umständen beto—

nen

und daß die entsandten Abgeordneten als Vertreter aller Deutschen zu handeln berechtigt sind. So würde ich jetzt umstellen. Das ist ein wesentlicher Gedanke, den Sie, Herr Kollege Heuss, nur in anderer Form haben. Ich würde also das „berechtigt sind" nicht in die Mitte, sondern an das Ende bringen. Dr. Bergsträsser: Nur eine kleine redaktionelle Änderung: daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten. Das ist besser als „freie Gestaltung". Aber die Aneinanderfügung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist wirklich besser. der beiden Sätze ist nicht schön, es klingt nicht, es hat keinen Schwung. Dr. Eberhard: Ich habe einen Alternatiworschlag dazu. Ich sagte vorhin schon, daß dieser Satz bei Dr. Heuss sehr schön ist, der diesen Gedanken so ausdrückt: „Sie haben bei der Durchführung ihres Auftrags sich als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war". Besteht nicht die Möglichkeit, diesen Satz an unseren ersten Absatz anzuhängen? Ich glaube, da ist von Abgeordneten die Rede. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Unser erster Absatz lautet jetzt: In dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk in den Ländern usw. Abgeordnete zu dem am 1. September 1948 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt, um in diesem Grundeine neue Form zu geben. gesetz dem staatlichen Leben —



.

.

.

565

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Wenn wir da noch etwas hineintun, wird es wieder zu umfangreich. Dr. Eberhard: Setzen wir einfach einen Punkt und fahren fort etwa wie in dem Heuss'schen Satz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Denn müßte man das wieder aufnehmen mit: „Diese

Abgeordneten". Dr. Eberhard: Gerade wenn wir die Aufzählung der Länder haben mit der Limitierung auf 11, wäre es der gegebene Platz, und dann wirkt es nicht mehr so

schwerfällig.

Es paßt nur nicht ganz dorthin. Gerade in der Überzeustellvertretend ist, hat man das niedergelegt. Das ist das Wesentliche. Deshalb paßt es vorn nicht hinein. Dr. Pfeiffer: Ich glaube, es würde sich sehr zwanglos einfügen lassen, nachdem diese andere Sache erledigt ist, also am Schluß: sie haben es dem Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen. Dann würde dieser Satz aus dem Vorschlage Heuss kommen. Dr. Eberhard: Darüber läßt sich auch reden. Dr. Pfeiffer: Und danach käme weiter: Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert usw. Die zweite Hälfte kommt in den ersten Abschnitt: als Vertreter aller Deutschen zu handeln, und dann die Tatsache, daß sie auch für den Osten gehandelt haben. Diese beiden Dinge könnte man da hineinnehVors. [Dr. gung, daß

v.

Mangoldt]:

man

men.

Dr. Eberhard: Das ist der bessere Platz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann wollen wir es vorn herausstreichen und sagen: in der Überzeugung, daß dem deutschen'Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten. Das ist schlanker und wirkt unter allen Umständen besser. Nun war das letzte Mal vorgeschlagen worden, daß der nächste Absatz gestri-

chen werden sollte. Ich bin nicht ganz damit einverstanden, obwohl ich auch Formulierung nicht einverstanden war. Ich habe mir inzwischen eine andere Formulierung überlegt, bin aber selbst nicht mit ihr zufrieden. Ich finde es zu wichtig, hier auch im Grundgesetz zu betonen, daß wir die Freiheitsrechte und die Menschenwürde durch dieses Grundgesetz besonders schützen wollen, selbst wenn es nachher noch einmal in den Grundrechten selber gesagt wird. Es ist geradezu ein Bekenntnis, das hier abgegeben wird. Man könnte da auch dem hier zeitweise starken Wunsche entgegenkommen, irgendwie auf die so böse Vergangenheit hinzuweisen. Also erst einmal ins Unreine: In dem festen Willen, nach jener Zeit der Tyrannei die alten unverlierbaren Freiheitsrechte und die schwer geschändete Menschenwürde erneut in Ehren zu halten und zu schützen. (Dr. Eberhard: Umgekehrt; erst muß sie geschützt werden, dann kann man sie in Ehren halten.) Man könnte sagen: die alten und unverlierbaren Freiheitsrechte, oder nur eins von beiden. Dr. Heuss: „Unverzichtbar"; „unverlierbar" ist nicht gut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann also einfach: Die alten Freiheitsrechte und die schwer geschändete Menschenwürde erneut zu schützen und in Ehren zu halten. mit der

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Pfeiffer: Können wir nicht für „Tyrannei" ein anderes Wort finden? klingt so etwas nach Schillers Jugendjahren. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich konnte im Moment nichts Besseres finden. Dr.

Das

war immer für „Zwingherrschaft".) Das wollten wir fallenlassen. Dr. Eberhard: Könnten wir nicht etwas wie „Willkürherrschaft" sagen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also: nach jener Zeit staatlicher Willkür. Dr. Bergsträsser: Ich würde nicht sagen „staatlicher" Wilkür, sondern „der Willkür und des Zwanges". Man könnte sogar sagen „des Gewissenszwanges". Dr. Pfeiffer: „Nach einer Zeit der Willkür und Gewalt". Dr. Bergsträsser: „Gewalt" ist sogar recht gut, auch für den Klang nach au-

(Dr. Weber: Herr Schmid



ßen.

Mangoldt]: Dann hätten wir den Gegensatz: die alten Freiheitsrechgeschändete Menschenwürde. Bergsträsser: Einfach „geschändet" ist besser als „schwer geschändet".

Vors. [Dr. te

v.

und die

Dr. Dr. Heuss: Muß das Wort „erneut" hier stehen? Ich finde

de

es

weglassen. v. Mangoldt]:

Vors. [Dr.

Man kann natürlich sagen:

zu

es

nicht gut und wür-

schützen und in Ehren

zu

halten. Dr. Bergsträsser: Ich würde statt „in Ehren halten" lieber sagen „zu schützen und zu wahren". verzeihen Sie, Herr Dr. Heuss: Ich bin sehr gegen „in Ehren halten". Das ist Autor ein abgegriffener Begriff. „Zu schützen und zu wahren" ist im Duktus besser. Das „in Ehren halten" ist wie das Versprechen: Jetzt wollen wir ganz brav werden. Dr. Bergsträsser: Man hält eigentlich nur das Gedächtnis eines Menschen in Ehren. Das steht in jeder Todesanzeige eines Betriebes: Wir werden das Gedächtnis in Ehren halten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann auch Grundsätze in Ehren halten. Dr. Heuss: Vor allem, wenn man sie nicht braucht. Dr. Eberhard: „Zu schützen und zu wahren" klingt gut. Die Einschaltung der Menschenwürde hier bedeutet aber für uns nicht, daß wir den Art. 1 streichen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, nein! Dann würden wir jetzt also formulieren: Im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten, in dem festen Willen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt die alten Freiheitsrechte und die geschändete Menschenwürde zu schützen und zu wahren. (Dr. Bergsträsser: Das Wort „alten" gefällt mir nicht ganz.) Das können wir dann nachher noch sehen. Nun kommt wieder eine Frage, die mir zweifelhaft schien: es wäre vielleicht ganz gut, hier auch gleich die Stellung innerhalb Europas zu berühren. Da habe —





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ich sehr gerätselt, um für diese neuartige Frage die Worte zu finden, die man wählen müßte. Ich bin zu der Formulierung gekommen: In der Erwartung, daß das geeinte Deutschland zum Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa als gleichberechtigtes Glied mitwirken wird. Dr. Heuss: „In der Erwartung" ist unmöglich, weil es soviel heißt wie „wir hoffen es". Sie können nur schreiben: In der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland usw. Das andere klingt so wie: „Wir wollen einmal abwarten, was daraus wird, vielleicht machen unsere Nachfahren das". „In der Gewißheit" ist zugleich eine Aufforderung an die andern, ist stärker als das andere, weil dann die Voraussetzung eben die Einigung ist, „daß das geeinte Deutschland", oder ich würde sagen: „daß ein geeintes Deutschland" zum Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa als gleichberechtigtes Glied mitwirken wird". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da scheint mir aber dann das „mitwirken" nicht zu passen. Wenn wir zum Schluß einen anderen Ausdruck fänden, wäre ich ganz einverstanden. Also etwa: In der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland zum Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa große Aufgaben zu erfüllen hat. Dr. Bergsträsser: Ich würde sagen: In der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland in einem vereinten Europa als gleichberechtigtes Glied zum Wohle der Menschheit fruchtbar mitwirken wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Mitwirken kann müßte man dann sagen. Dr. Heuss: Dann lieber: In der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied dem Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa dienen wird. Also nicht „fruchtbar"; das ist schon wieder eine leise Übertreibung. Dr. Eberhard: Ich würde aber „gleichberechtigt" mit dem „vereinten Europa" zu"

sammenbringen.

Dr. Heuss: Ja, das ist besser, weil dann das Zielhafte herauskommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann hätten wir jetzt: In der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Wohle der Menschheit dienen wird. Bei dem nächsten Absatz hatten wir schon darüber gesprochen, daß der zweite Halbsatz gestrichen werden sollte. Es hieße also nur: Zugleich aber in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungs-

rechts schweren

Einschränkungen unterworfen hat. Formulierung brauchen,

Da könnten wir dann evtl. auch Ihre Dr. Heuss: Bei mir heißt es, sie

Herr Dr. Heuss.

sind sich bei dem Werke der von der Machtlage erzwungenen Beschränkung ihrer freien Entscheidung bewußt gewesen. Das ist auch eine Abschirmung gegen die Vorwürfe von draußen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nämlich sehr wichtig zu betonen, daß wir tatsächlich sehr abhängig sind. Wenn die mit dem Besatzungsstatut erst hintendrein kommen, muß im Grundgesetz gerade von vorneherein drinstehen: Wir sind uns genau bewußt gewesen, daß wir nicht so können, wie wir wollen, wenn wir auch ein freies Grundgesetz machen. Dann könnten wir also sagen: 568

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Zugleich aber in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung des freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat, und das andere würde gestrichen. Dr. Eberhard: Gerade wenn jetzt nur der erste Halbsatz da steht, stoße ich mich daran, daß dieser Gedanke soweit entfernt steht von dem Absatz: in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist. Was wir jetzt formulieren, ist die gegenwärtige Einschränkung dazu. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann könnten wir es nach oben stellen. Dr. Eberhard: Jetzt wirkt es etwas merkwürdig, daß derselbe Gedanke einmal negativ, einmal positiv anklingt und daß zwei Absätze dazwischenstehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es würde oben hinpassen: Freiheitsrechte und Menschenwürde zu wahren, In dem festen Willen, und der völkerrechtliche Satz wäre zum Schluß vielleicht sogar besser. Dr. Bergsträsser: Sie sprechen hier von der Besetzung durch fremde Mächte. Die fremden Mächte sind doch in diesem Zusammenhang mit der Besetzung eigentlich selbstverständlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann also einfach „die Besetzung Deutschlands"? Dr. Kleindinst: „Fremde Mächte" ist doch etwas Konkretes. Besetzung allein wäre etwas zu abstrakt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es war ein; Wunsch besonders vom Kollegen Schmid, das hineinzuschreiben. Dr. Bergsträsser: Nach der Logik kann eine Besetzung nur durch fremde Mäch—

...

te

erfolgen.

Dr. Heuss: Der isolierte Begriff „Besetzung" paßt hier nicht. Sie müssen jetzt auch ein bißchen an später denken. Das Wort „Besetzung" für sich allein ist ein zu farbloses technisches Wort. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Wort „Fremdherrschaft" wollten wir nicht gebrauchen. Das hier ist eine etwas abgemilderte Form. Das war der Sinn. Also lassen wir es am besten drin.

(Zustimmung.)

beginnen: wurde unter Mitwirkung der AbgeordneUnd „unter beratender Mitwirkung" würde es zu schwer-

Der Schlußsatz würde dann ten Groß-Berlins

fällig machen.

usw.

Dr. Heuss: Wurde von den Abgeordneten Groß-Berlins beraten. Dr. Pfeiffer: Es ist doch ein Unterschied zwischen „mit beratender Stimme" und „sich beraten lassen". Das macht doch einen ganz anderen Eindruck: „Unter be-

ratender Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins". Dr. Weber: Ich würde das „beratend" weglassen; es gibt sonst eine große Debatte. Die Mitwirkung schließt das Beraten doch ein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Mitwirkung kann beratend und beschließend sein. Ich würde es offenlassen, um nicht anzustoßen. Dr. Weber: Aus politischen Gründen würde ich es weglassen. Dr. Heuss: Kann man nicht sagen „unter Mitberatung durch Abgeordnete GroßBerlins"? 569

Nr. 27 Dr. re

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Bergsträsser: Tätigkeit eine

arbeit"?

16.

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Wenn wir sagen „Mitwirkung", dann sagen wir schon, daß ihandere ist als unsere. Oder sagen wir statt „Mitwirkung" „Mit-

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Mitarbeit" ist weniger. Dr. Bergsträsser: „Beratende Mitwirkung" geht auch nicht. Dr. Heuss: Dann muß „Mitwirkung" bleiben. „Mitarbeit" ist ein schlechtes Wort. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also bleibt es bei „unter Mitwirkung". Nun war mir wesentlich, die „Vertreter der deutschen Einheit" hineinzubringen. Bei dem „von diesen Vertretern" stoße ich mich an dem Wort „diesen"; der Bezug ist nicht ganz klar. „Dieses Grundgesetz geschaffen" würde bleiben müssen. Mit dem weiteren Text „dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen" haben wir den Werdegang klargelegt, denn wir allein beschließen es ja nicht. Dr. Eberhard: Auf „diesen Vertretern der deutschen Einheit" könnte man viel-

leicht hier verzichten, nachdem die Einheit schon zu Beginn sehr deutlich herausgestellt ist und nachdem wir vorläufig die Absicht hatten, hier einen Satz von Dr. Heuss hineinzunehmen, der das voll zum Ausdruck brachte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es würde also heißen: wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins dieses Grundgesetz geschaffen, dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen, und dann würde dieser Satz von Dr. Heuss kommen. Dr. Heuss: Es müßte dann heißen: Die Abgeordneten haben sich bei der Durchführung ihres Auftrages als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, man könnte auch sagen: bewußt denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Dr. Eberhard: Es ist nicht ganz einfach, es einzufügen. Wir haben vorher die Passivform und vorläufig nur die Abgeordneten Groß-Berlins genannt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das war bewußt, weil es andersherum auch schlecht klingen würde. Dr. Bergsträsser: Wir müssen es mit dem Schlußsatz verbinden: Das deutsche Volk bleibt aufgefordert. Dr. Heuss: Ich wollte noch etwas aus meinem Vorschlag hineinnehmen, eine Kleinigkeit, die ich seinerzeit, als ich die Herrenchiemseer Entwürfe vor mir hatte, aufgenommen hatte. Ich wollte damit diese Debatte über Grundgesetz oder Verfassung ausscheiden, indem ich sagte: dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Rechtsordnung. Der Begriff der Verfassung wurde ja abgelehnt. Ich selbst würde ihn nicht ablehnen und würde daher dieses Grundgesetz in der Präambel gern eine verfassungsmäßige Rechtsordnung genannt wissen. Es könnte hier heißen: dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Rechtsordnung. Ursprünglich hieß das Verbum bei mir „neu geformt", aber es kann auch „geschaffen" heißen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also: „dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Ord—

nung 570



geschaffen".

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Dr. Heuss: Ich wollte hier den Begriff der Rechtsordnung zum Ausdruck bringen. Da klingt so ein bißchen das Rechtsstaatliche mit. Bei mir hieß es „dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Rechtsordnung seines staatlichen Lebens." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Rechtsordnung" können wir nicht sagen. In „verfas-

sungsmäßig" liegt Dr. Dr.

das Recht.

Bergsträsser: „Rechtsstaatliche Ordnung"?

Pfeiffer: Ich bin für die Fassung

von

Herrn Heuss, und

zwar

rein

gefühlsmä-

ßig. verfassungsmäßige Rechtsordnung" klingt für den Durchschnittsleser etwas klarer, selbst wenn es vielleicht pleonastisch wirkt. Dr. Heuss: Dieses Wort „Grundgesetz", das mir persönlich gar nicht gefällt, will ich damit auf eine etwas höhere Ebene bekommen. Dr. Eberhard: Wir wollen also vorn sagen: „um in diesem Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue verfassungs„Die

mäßige Ordnung zu geben"? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein,

es

dreht sich jetzt

gerade darum,

sagen. Dr. Heuss: Es kann auch als Abschluß kommen. Dr. Eberhard: Dann sagen wir hinten dasselbe noch

sagt haben. Vors. [Dr. v.

einmal,

das hinten

was

wir

vorn

zu

ge-

Mangoldt]:

Das wäre sogar gut, das rundet sich. Wir haben dasselsagen „die Einheit der Nation zu erhalten" und sagen es dann hinterher noch einmal. Ich würde es in dieser doppelten Betonung für

be,

wenn

wir

vorne

sehr erwünscht halten. Dr. Heuss: Für mein Gefühl kommt das Wort „Grundgesetz" damit auf eine etwas höhere Ebene. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Als Jurist muß ich mich nur stoßen an der „verfassungsmäßigen Rechtsordnung", und die Juristen werden sich alle daran stoßen; denn das ist für uns zuviel. Dr. Eberhard: Genügt nicht „verfassungsmäßige Ordnung"? Dr. Kleindinst: Das wäre die richtige Fassung. Dr. Bergsträsser: Kann man nicht sagen „verfassungsmäßige rechtsstaatliche Ordnung"? Aber das klingt auch nicht sehr hübsch. Dr. Kleindinst: Da ist der eine Begriff weiter als der andere. Dr. Bergsträsser: Mit einem Komma dazwischen: „verfassungsmäßige, rechtsstaatliche Ordnung". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßte man schon sagen „verfassungsmäßige und rechtsstaatliche Ordnung". Aber in der „verfassungsmäßigen Ordnung" liegt das Rechtsstaatliche. Dr. Pfeiffer: Eine Häufung von Adjektiven auf -mäßig und -lieh klingt auch nicht gut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man sagte „dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Ordnung geschaffen", würde das nicht genügen? Es müßte noch das staatliche Leben hinein. Dr. Heuss: Ich wollte das Wort „Verfassung" irgendwie hereinbringen, selbst in der Form verfassungsmäßig, weil mir das Wort „Grundgesetz" eine zu dünne technische Bezeichnung ist. 571

Nr. 27

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Dr. Eberhard: Nun möchte ich aber den Satz von Dr. Heuss verteidigen, den er beinahe an die Seite geschoben hat. Er paßt allerdings nicht, wie wir erst dachten, an den Schluß des zweitletzten Absatzes, denn da ist gar nicht von den Abgeordneten die Rede. Man kann es also nur als einen weiteren Absatz bringen, vor dem Absatz „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert". Dort paßt es sehr schön, wenn man nämlich vor dieser Aufforderung an das ganze deutsche Volk von denjenigen spricht, die das Ganze verfaßt haben. haben sich bei der Man kann vielleicht überhaupt sagen: „Die Verfasser Durchführung ihres Auftrags als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war". Dr. Heuss: Man hat eben erst „verfassungsmäßig" gesagt, und nun gleich wieder „Verfasser". Die „Schöpfer" wäre etwas zu pathetisch. Dr. Eberhard: Ich möchte gern vermeiden, noch einmal „die Abgeordneten" zu sagen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man müßte es so aufnehmen, wie es Dr. Heuss formuliert hat, dann klingt es: Bei der Durchführung ihres Auftrages haben sich die Abgeordneten als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Dr. Heuss: Dann ist es eine historisch-moralische Feststellung, die in sich ruht. Dr. Weber: Das ist auch für den Osten ein guter Satz. Dr. Eberhard: Eben darum habe ich darum gebeten, daß es auch noch hier hereinkäme. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hätten jetzt also : Bei der Durchführung ihres Auftrags haben sich die Abgeordneten als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Dann würde der letzte Absatz kommen in der Form, die immer wieder als die Form hervorgehoben worden ist: Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, auf dieser Grundlage in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. Dr. Heuss: Ursprünglich hieß es bei mir: Das Volk in den anderen deutschen Ländern bleibt aufgefordert, den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland zu vollziehen und in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung die nationale Einheit und Freiheit zu ..

.

vollenden,

beziehungsweise : neu zu gründen. Dr. Eberhard: Es geht jetzt grammatisch

nicht. Wir hatten vorhin die AbgeordGroß-Berlins dabei. Wenn wir schreiben „die andern Länder", wäre Groß-Berlin nicht dabei; also können wir es jetzt nicht mehr machen. Dr. Heuss: Wir wollen den Gedanken noch einmal diskutieren. Hier heißt es: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, auf dieser Grundlage in gemeinsamer Entscheidung" etwas zu vollenden. Das hatte ich ur-

neten

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sprünglich in zwei Akte geteilt, nämlich: den Beitritt zu vollziehen, und: in gemeinsamer Entscheidung zu vollenden. Ich habe hier etwas Sorge wegen dieser Worte „auf dieser Grundlage", nachdem wir doch schon „dieses Grundgesetz" gesagt haben. Wir sehen hier doch einen Doppelakt vor. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf bemerken, wie das hineingekommen ist. Es hieß ursprünglich anders: „um eine Ordnung für die Übergangszeit zu schaffen". Diese Ordnung für die Übergangszeit haben wir herausgenommen. Darauf aber bezog sich das „auf dieser Grundlage", und jetzt paßt das nicht mehr. Dr. Heuss: Entweder müßte man den Satz von mir hineinnehmen „den Beitritt zu vollziehen", oder dieses „in gemeinsamer Entscheidung" weglassen. „Auf dieser Grundlage" paßt nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden wir das „auf dieser Grundlage" streichen, so daß es hieße: Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. Nun müßten wir noch einmal von vorn anfangen anhand des Materials, das wir jetzt haben, und den ersten Satz noch einmal überprüfen. Bei diesem ersten Satz hatte Herr Dr. Bergsträsser, glaube ich, noch einen Wunsch. Dr. Bergsträsser: Es war der Gedanke, die Einheit der Nation nicht nur „zu erhalten", sondern wieder wirksam zu machen. Aber ich habe noch keine Formulierung dafür. Dr. Heuss: Ich würde es lassen, wie es ist, schon damit man sich nicht gleich am Anfang besinnen muß: Was soll das bedeuten? Soll es etwas Rechtliches oder etwas Moralisch-Politisches bedeuten? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnten wir auch noch für den Hauptausschuß offenlassen. Zunächst halten wir fest: In dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten, dann haben wir diese beiden Formulierungen, über die wir uns im Hauptausschuß noch unterhalten können hat das deutsche Volk Abgeordnete entsandt, um dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben. Dann kommt Abs. 2: Im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten, Dr. Eberhard: Wäre es nicht besser, zu sagen: „zugleich aber in dem Bewußtsein"? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Zugleich aber in der Erkenntnis" ! Dr. Weber: Ich finde das nicht schön, daß wir jetzt zweimal haben „dem deutschen Volke". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Daran kann man sich doch nicht stoßen. Dr. Heuss: Wir fangen einmal an mit „In dem Willen", und später heißt es „in dem festen Willen". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Könnte man vorn sagen „In dem Streben"? —







573

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„Absicht" wäre auch nicht gut. (Dr. Pfeiffer: „Entschlossenheit".)

Dr. Heuss: Nein.

Das ginge. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber dann paßt es nicht in den ganzen Duktus. Man könnte es nur am Anfang sagen. Da klingt es aber auch schlecht. Ist es denn überhaupt so gefährlich? Es ist doch beide Male etwas Verschiedenes. Dr. Heuss: Wenn Sie in demselben Abschnitt einmal „In dem Willen" und das andere Mal „in dem festen Willen" sagen, so ist das Spracharmut bei uns und würde zeigen, daß uns nichts Gescheites eingefallen ist. Dr. Eberhard: Wenn man dann zuerst „Entschlossenheit" sagte? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Schön finde ich es auch nicht. Aber dann müßte man als Abs. 4 doch dieses vorziehen: in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zugestalten, zugleich aber in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands die Ausübung des freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat, in dem festen Willen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt usw. Dr. Heuss: Dann würde ich vorschlagen, das „fest" wegzulassen. Dr. Bergsträsser: Man könnte im ersten Satz vielleicht sagen: „Verbunden in dem Streben, die Einheit der Nation zu erhalten". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An etwas Derartiges dachte ich auch. Dr. Heuss: Verbunden in dem Ziele, die Einheit der Nation zu erhalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Einig im Ziel, die Einheit zu erhalten, geht auch wieder nicht. „Bestreben" wäre auch wieder zu wenig. Also wenn wir nichts Besseres finden, ist „Willen" besser. Dr. Pfeiffer: Wir dürfen aber nicht zweimal „Willen" sagen; das wäre Sprachar—

mut.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder: In dem Entschluß. Dr. Heuss: „Entschluß" ist ein Akt, „Entschlossenheit" ist eine re

besser.

Haltung;

das wä-

Dr. Pfeiffer: Ich finde, es würde ganz gut klingen: „Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhalten". Dr. Heuss: Ich habe bei mir die „Entschlossenheit" unten hingesetzt, um das von der „Willkür" zu trennen. Dr. Pfeiffer: Es ist doch aber ein guter deutscher Ausdruck. Oben würde jetzt stehen: „Entschlossen, die Einheit der Nation zu wahren", und unten „in dem Willen". So würde es ganz rhythmisch durchgehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann setzen wir also an den Anfang „Entschlossen". Dr. Pfeiffer: Ja, das ist ein stark akzentuierendes Wort. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Entschlossen, die Einheit des deutschen Volkes zu erhalten. Dann kommt dieses Vorziehen des Absatzes: In der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten, und dann käme: 574

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Nr. 27

zugleich aber in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands die Ausübung des freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat. Dr. Heuss: Wir müßten das dann vorziehen als Abs. 4. Dann können wir das „aber" weglassen. Oder man müßte sagen: „zugleich jedoch in der Erkenntnis", das wäre noch stärker. Dr. Pfeiffer: Das geht nicht. Man müßte sagen: „jedoch in der Erkenntnis" oder „jedoch auch in der Erkenntnis"; das klingt aber nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „In der Erkenntnis jedoch, daß die Besetzung Deutsch-

lands".

Dr. Heuss: Wir kommen nämlich nachher wieder auf das Positive. Dr. Weber: Ich würde zuerst alle positiven Dinge bringen und dann erst die Einschränkung; das ist viel logischer. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hätten also die folgende Zusammenstellung: Im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und in der Überzeugung, daß

dem deutschen Volke usw., Willen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt die alten Freiheitsrechte zu schützen und zu wahren, in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland zum Wohle der Menschheit mitwirken wird. Dr. Heuss: „Dem Wohle der Menschheit dienen wird"! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also: in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied dem Wohle der Menschheit dienen wird, zugleich aber in der Erkenntnis, das „aber" wollten wir weglassen zugleich in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands die Ausübung seines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts Dr. Heuss: Nach meiner Meinung müßte es heißen: „die Ausübung eines freien Selbstbestimmungsrechts"; das trifft für alle Besetzungssituationen zu. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: zugleich in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat, wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins dieses Grundals staatlichen seines Lebens gesetz verfassungsmäßige Ordnung das „seines" hat keinen rechten Bezug hier. Es müßte heißen „des staatlichen Lebens". Dr. Bergsträsser: Oder „deutschen staatlichen Lebens". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: des staatlichen Lebens geschaffen, dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen. Bei der Durchführung ihres Auftrages haben sich die Abgeordneten als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Dann hätten wir vorn die einleitende schlichte Form, und wurden dann schließen: in dem

.

.

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.

.

.

..

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.



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575

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November 1948

Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. Und jetzt kommt die Flut der Kritik im Hauptausschuß20), (Dr. Pfeiffer: Die Festvorstellung!) Dann kann man sagen: „Macht es besser!" Wir haben damit die Präambel in der zweiten Lesung abgeschlossen21). Dr. Heuss: Wollen wir dem Hauptausschuß die Präambel isoliert vorlegen? Dr. Pfeiffer: Wie vereinbart ist: am Schluß im Hauptausschuß. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können sie dem Hauptausschuß zuleiten und könnten dann zu den Grundrechten übergehen. Es sind starke Bestrebungen vorhanden, erst einmal mit den Grundrechten fertigzuwerden. —



[2. VORBEREITUNG DER ZWEITEN LESUNG DER GRUNDRECHTSARTIKEL]

Dr. Heuss: Sind denn jetzt die endgültigen Vorschläge vom Redaktionsausschuß für die Grundrechte da? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, aber der Redaktionsausschuß hat das Wichtigste, was wir wollten, herausgestrichen22). Dr. Bergsträsser: Wir müßten diese Formulierungen alle noch bekommen und erst noch einmal durchsprechen.

20) Korrigiert aus „Und jetzt kommt ein Regenguß im Hauptausschuß, der große Zorn!" 21) Das Kurzprot. enthielt als Anlage die in zweiter Lesung vom AfG angenommene Fassung der Präambel: „Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhalten, (Variante I): hat das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden

und Württemberg-Hohenzollern. (Variante II:) haben die deutschen Länder Abgeordnete entsandt, um in diesem Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben. Im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten, in dem Willen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt die alten Freiheitsrechte und die geschändete Menschenwürde zu schützen und zu wahren, in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Wohle der Menschheit dienen wird, zugleich in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat, wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Ordnung des staatlichen Lebens geschaffen, dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen. Bei der Durchführung ihres Auftrags haben sich die Abgeordneten als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden." 22) Vorschläge des Allgemeinen Redaktionsausschusses als Drucks. Nr. 282 im Dok. Nr. 28 .

abgedr.

576

.

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Einundzwanzigste Sitzung

16.

November 1948

Nr. 27

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich werde versuchen, Ihnen die ersten Seiten und den Schlußartikel zu geben. Wir kommen beim nächsten Male wahrscheinlich doch nicht mit allen 20 Artikeln durch. Dr. Pfeiffer: Wenn wir sie kriegen können, wollen wir natürlich die Redaktionsvorschläge mit heranziehen, im übrigen aber bei unseren eigenen Gedanken und bei unserem Geschäftsgang verbleiben. [Schließung der Sitzung, nächster Sitzungstermin]

577

Nr. 28

Allgemeiner Redaktionsausschuß,

Art. 1—20

Nr. 28 Art. 1—20 in der

vom

Allgemeinen Redaktionsausschuß

in erster

Lesung

formulierten Fassung 16. November 1948 Z 5/127, Bl. 307-319. Als Drucks. Nr. 282 vervielf.

Ausf.1)

Artikel 1 Die Würde des Menschen

zu

achten und

tung aller staatlichen Gewalt. Anm. 1) Es ist zu überlegen, ob anstelle des druck

zu

zu

schützen, ist heilige1) Verpflich-

Wortes

setzen ist.

Artikel 1

„heilig"

ein

weniger sakraler Aus-

a

Die Freiheit des Menschen, seine Verpflichtung gegenüber dem Nächsten und gegenüber der Gesamtheit, die Gleichheit und die soziale Gerechtigkeit sind Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft. Ihrem Schutze dienen die Grundrechte.

Artikel 1 b

(1) Alle Deutschen2) sind vor dem Gesetz gleich. (2) Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich, Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. (3) Jedoch darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft, seiner religiösen oder politischen Anschauung bevorrechtigt oder benachteiligt werden. Anm. 2) Die dort A.

Begriffsbestimmung

ist in den

Übergangsbestimmungen gegeben, vergleiche

Artikel 2 ist frei zu tun und zu lassen, was die Rechte Anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Jedermann

J) Die in der Vorlage separat aufgeführten Anmerkungen wurden wegen der besseren Übersichtlichkeit den jeweiligen Artikeln mit anderer Drucktype hinzugesetzt wie das bereits in dem zeitgenössischen Abdr. im Rahmen der „Entwürfe" (S. 17—19) erfolgte. 578

Allgemeiner Redaktionsausschuß,

Art. 1—20

Nr. 28

Artikel 33)

(1) Die Freiheit der Person (2) Sie darf nur auf Grund der darin vorgeschriebenen (3) Festgehaltene Personen werden.

ist unverletzlich. eines förmlichen Gesetzes und Formen beschränkt werden.

nur

unter

Beachtung

dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt

Anm. 3) Der Inhalt der übrigen Absätze des bisherigen Artikels 3 sollte nach Ansicht des Ausschusses in den Abschnitt „Rechtspflege" als Artikel 136 a aufgenommen werden, weil er bereits eine ins einzelne gehende Regelung enthält. Vgl. die für Artikel 136 a vom Aus-

schuß

vorgeschlagene Formulierung.

Artikel 4

(1) Kein Deutscher und kein

politisch verfolgter Ausländer darf ausgeliefert

werden4). (2) Jeder Deutsche, der wegen seines Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden verfolgt wird, genießt im Bundesgebiet Asyl-

recht5).

Streichung der Worte „ins Ausland" für notwendig, um politisch verfolgte Ausländer auch vor der Auslieferung in die Ostzone zu schützen. Der Schutz politisch verfolgter Deutscher wird insoweit bereits durch Absatz 2 gewährleistet. Anm. 5) Die Gewährung des Asylrechts für politisch verfolgte Ausländer erscheint als zu weitgehend, da sie möglicherweise die Verpflichtung zur Aufnahme, Versorgung usw. in Anm. 4) Der Ausschuß hält die

sich schließt.

Artikel 5

(1) Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. (2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz und nur dann eingeschränkt werden, wenn dies zur Abwehr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, zum Schutze der Jugend, zur Behebung der Raumnot oder zur Bekämpfung von Seuchengefahr zwingend erforderlich ist.

Artikel 5

a

(1) Jeder Deutsche hat das Recht, Beruf und Arbeitsplatz Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden.

frei

zu

wählen. Die

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Ausnahmen sind nur im Interesse des gemeinen Wohls im Rahmen einer allgemeinen öffentlichen Dienstleistungspflicht und nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Im übrigen darf ein Zwang zur Arbeit nur im Vollzug einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung ausgeübt werden. 579

Nr. 28

Allgemeiner Redaktionsausschuß,

Art. 1—20

Artikel 6

Wohnung ist unverletzlich. Artikel 5 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung. (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch andere in den Gesetzen vorgeschriebene Organe angeordnet und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen durchgeführt werden. (1) Die

Artikel 7

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ist unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Die allgemeinen Gesetze bleiben unberührt. (3) Niemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder einer religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Angaben über die Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft dürfen nur verlangt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert.

Artikel 8

(1) Die Freiheit der

gewährleistet.

Meinungsäußerung in Wort, Schrift, Druck und Bild wird Eine Vorzensur der Presse, des Theaters, des Rundfunks und öf-

fentlicher Vorträge findet nicht statt6). (2) Die freie Unterrichtungs- und Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckwerken dürfen nicht beschränkt werden. (3) Diese Rechte finden ihre Grenze in der Pflicht zur Achtung der Verfassung, in den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze7), in den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, im Recht der persönlichen Ehre (und in der Rücksicht auf das religiöse Empfinden)8). Anm. 6) Es

war eine Erweiterung des bisherigen Absatzes 3 erforderlich, da sich dessen Formulierung allein auf die Berichterstattung beschränkt. Dagegen hält der Ausschuß die Streichung des Wortes „Film" für erforderlich, um eine Lichtspielgesetzgebung, die eine

vorsieht, nicht auszuschließen. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß der Berichtigungs- und Auflagezwang durch die vorgeschlagene Formulierung mit Rücksicht auf den jetzigen Absatz 3 nicht beeinträchtigt wird. Anm. 7) Der Ausschuß ist der Ansicht, daß lediglich Strafvorschriften allgemeiner Natur als Grenze dieser Rechte statuiert werden dürfen, um die Schaffung spezieller Vorschriften zu verhindern, durch die ggf. eine bestimmte Meinungsäußerung oder bestimmte Arten von Meinungsäußerungen unter Strafe gestellt werden könnten. Anm. 8) Dieser in Klammer gesetzte Zusatz beruht auf einem Antrag des Abg. Dr. von Brentano. Vorzensur

580

Allgemeiner Redaktionsausschuß, Artikel

Art. 1—20

Nr. 28

9

Das Brief- und Fernsprechgeheimnis sowie das Postgeheimnis werden gewährleistet. Beschränkungen dürfen nur durch Gesetz, zu politischen Zwecken nur im Falle der Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung zu deren Schutz angeordnet werden.

Artikel 10

(1) Die Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. (2) Die Freiheit der Lehre der Wissenschaft entbindet die Lehrer an den Schulen und Hochschulen nicht von ihrer Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung.

Artikel 11

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Bei Versammlungen unter freiem Himmel darf dieses Recht durch Gesetz, jedoch nicht aus politischen Gründen, beschränkt werden. Versammlungen unter freiem Himmel dürfen bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.

Artikel 12

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen, oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind unzulässig.

Artikel 12

(1) Das Recht, gungen

zur

Wahrung

Vereinigungen

zu

und

a

Förderung

der Arbeits- und Wirtschaftsbedin-

bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewähr-

leistet. Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden. Artikel 12 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung. (2) Das Streikrecht wird anerkannt, wenn die Gewerkschaften den Streik erklären. Wer sich an einem gewerkschaftlichen, nicht tarifwidrigen Streik beteiligt, handelt nicht rechtswidrig. Beschränkungen sind nur im Interesse des gemeinen Wohls und nur durch förmliches Gesetz zulässig9).

Bezüglich des Streikrechts beantragt Abg. bisherigen Absatz 4 niedergelegten Formulierung. Anm. 9)

Dr. Dehler

Aufrechterhaltung

der im

581

Nr. 28

Allgemeiner Redaktionsausschuß, Artikel

Art. 1—20 13

(entfällt hier)10) gehört der Inhalt

dieses Artikels nicht zu den Abschnitt „Bund u. Länder", vgl. Artikel 27 a. Der Ausschuß hat Bedenken gegen die Beibeihaltung des Absatzes 3 (z. B. im Falle des doppelten Wohnsitzes). Diese Vorschrift ist offenbar aus der Schweizer Verfassung übernommen.

Anm. 10) Nach Ansicht des Ausschusses

Grundrechten, sondern

zu

Artikel

14

(1) Die Freiheit des Rechts zu wählen oder abzustimmen und das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. (2) Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten, insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die freie Entscheidungsmöglichkeit zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen nicht genommen werden11). Anm. 11) Der Ausschuß hält diese Vorschrift für problematisch, weil sie üblichen Vorschriften über die Mindestzahl usw. ausschließen könnte.

von

Artikel

Unterstützungen

u.

U. auch die

Wahlvorschlages

15

(entfällt)12) schlägt Streichung vor, weil

Anm. 12) Der Ausschuß rantie eines Grundrechtes bedarf und ohnedies

nicht

eines

der Inhalt nicht der besonderen Gaeinen klagbaren Anspruch doch

praktisch

begründen dürfte. Artikel

15 a

(entfällt hier)13) Anm. 13) Der Ausschuß schlägt vor, den wesentlichen Inhalt, nämlich die Haftung für Amtspflichtverletzung in Artikel 20 a aufzunehmen. Die näheren Einzelheiten der Rege-

lung gehören nicht Rückgriffes.

zu

den Grundrechten, insbesondere

gilt

dies für die

Regelung des

Artikel 16

(entfällt)14) Anm. 14) Der Ausschuß hält diese

Bestimmung für nicht mehr erforderlich. Artikel

17

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch das Gesetz bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Seine Ausübung findet ihre Grenzen in den Lebensnotwendigkeiten der Gesamtheit und in der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens.

582

Allgemeiner Redaktionsausschuß,

Art. 1—20

Nr. 28

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Sie erfolgt, soweit nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt, gegen Entschädigung, die unter gerechter Abwägung der Interessen der Gesamtheit und des Berechtigten festzusetzen ist.

Artikel 18 Variante Abg. Zinn: Durch förmliches Gesetz können Bodenschätze, wirtschaftliche Unternehmen und ganze Produktions- und Wirtschaftszweige in Gemeineigentum übergeführt werden. Variante der

Abg.

von

Brentano und Dr. Dehler:

(1) Jede Enteignung von Bodenschätzen und ganzen Produktionszweigen zum Zwecke der Überführung in Gemeineigentum bedarf eines förmlichen Gesetzes.

zulässig, wenn es das Wohl der Allgemeinheit erfordert; Entschädigung gilt Artikel 17 Absatz 3 Satz 2 entsprechend. (2) Sie ist

nur

für die

Artikel 19

(entfällt hier)15) Anm. 15) Die

folgt.

Regelung

der Gleichheit

vor

dem Gesetz ist nunmehr in dem Artikel 1 b

er-

Artikel 20

(1) Die Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht. Sie binden Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt im Bund und in den Ländern. (2) Soweit ein Grundrecht nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden. (3) Die Verwaltung darf in den Rechtsbereich der Einzelnen und ihrer Verbände nur eingreifen, soweit die Rechtsordnung sie dazu ermächtigt. (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Artikel

20

a

Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff gegen ihn vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. 583

Zweiundzwanzigste Sitzung

Nr. 29

18. November 1948

Nr. 29

Zweiundzwanzigste Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 18. November 1948

Z 5/33, Bl. 34—621). Stenogr. Wortprot. vom 22. Nov. 1948, Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 51. Drucks. Nr. 293

von

Herrgesell

gez.

Anwesend2) : CDU/CSU: Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich FDP: Heuss DP: Heile Mit beratender Stimme: Dehler (FDP), Fecht (CDU) Stenografischer Dienst: Herrgesell Dauer: 11.21-12.56 Uhr

[1. GRUNDRECHTSARTIKEL, ZWEITE LESUNG UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DER NEUFASSUNG DES ALLGEMEINEN REDAKTIONSAUSSCHUSSES, DER EINGABE VON PROF. THOMA UND DER STELLUNGNAHMEN DER FRAKTIONEN: ALLGEMEINES, WÜRDE DES MENSCHEN (ART. 1)] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für uns ist der Aufbau der Grundrechte ein einheitliches Ganzes gewesen. Die Grundrechte sind unter einem ganz bestimmten Vorzeichen aufgebaut worden. Auch mit der Gruppierung haben wir uns eingehend beschäftigt. Wir sind ferner in der Formulierung einheitlich vorgegangen. Der Redaktionsausschuß ist zum Teil in den Formulierungen und in dem gesamten Aufbau andere Wege gegangen3). Wir würden von Herrn Dr. Dehler gern einmal die Gründe dafür hören. 63—69 (S. 3, 4, 10, 16, 20, 22 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Es handelte sich um die Vorschläge des Allgemeinen RedA, die dessen Mitglied Dehler später erläuterte, Drucks. Nr. 282, als Dok. Nr. 28 hier abgedr.; aus dem Kurzprot. ist ersichtlich, daß die Drucks, erst bei Beginn dieser Sitzung zugänglich war. Die Arbeit des Allgemeinen RedA wurde, wie sich aus dem Folgenden ergibt, heftig kritisiert. Dies zeigte sich auch im HptA, als es um die Frage ging, welche Fassung als Grundlage der dortigen Diskussion dienen sollte. (4. Sitzung des HptA vom 17. Nov. 1948; Verhandlungen S. 45 f.). Eine Ausarbeitung mit heftiger Kritik an der Verfahrensweise und den inhaltlichen Änderungen durch den RedA, ungez. und undat. mit der Uberschrift „Kritische Bemerkungen zu einigen grundsätzlichen Bestimmungen im Entwurf der Bundesverfassung in der Fassung des Redaktionsausschusses", vermutlich von Süsterhenn, im LHA Koblenz, NL Süsterhenn (700, 177/Nr. 6418, Bl. 128—138). Auch in der Presse attackierte v. Mangoldt den RedA heftig; vgl. seinen Artikel „Die Bonner Verfassungsarbeiten" in den Kieler Nachrichten vom 24. Nov. 1948. Über das Verhältnis der Fachausschüsse zum RedA, zum HptA und zum Plenum bei der Formulierung der Artikel des Grundgesetzes war am 11. Nov. 1948 auf einer Sitzung des Ältestenrates mit den Vorsitzenden der Fachausschüsse und den Mitgliedern des RedA folgender Arbeitsgang „verbindlich" festgelegt worden: „1. Die Fachausschüsse beraten in einer oder zwei Lesungen je nach ihrem Willen die Formulierungen der in ihr Arbeits-

1) Bl.

584

Zweiundzwanzigste Sitzung Dr. Dehler: Wir haben

18.

November

der

1948

Nr. 29

Gruppierung nichts geändert. Darin sind weitgehend gefolgt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Doch, zum Beispiel steht der Gleichheitssatz vorn. wichtigsten Artikel, die Art. 1 ff., sind anders gestaltet worden. an

wir

Ihnen

Dr. Dehler: Wir haben

uns zum

Teil auch

an

Die

die Kritik des Herrn Geheimrat

Thoma4) gehalten. Dr. Bergsträsser: Es ist zweckmäßig, daß wir erst einmal die allgemeinen Grundsätze, die den Redaktionsausschuß geleitet haben, mitgeteilt bekommen

und dann vielleicht von dem Herrn Kollegen Dr. Dehler die Amendements zu den einzelnen Artikeln erfahren. Dann wissen wir, wie es gemeint ist, und wir können uns in der nächsten Sitzung im einzelnen darüber klar werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist wesentlich, erst einmal einen Gesamtüberblick zu haben. Dr. Dehler: Es lag uns nichts daran, im Gesamten etwas an Ihrer Arbeit zu ändern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe bei der Durchsicht festgestellt, daß eine Änderung im Grundsätzlichen vorgenommen ist. Dr. Dehler: Wir haben lediglich in Art. 1 a wesentliche Grundrechte zusammengefaßt. Das ist aber nur eine Voranstellung dessen, was uns als Wichtigstes erschienen ist. Ich glaube nicht, daß es sehr fruchtbar ist, wenn ich nur aphoristisch einige Bemerkungen zu den einzelnen Artikeln mache. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da wir von Ihnen den allgemeinen Bericht, den wir uns gewünscht hätten, nicht erhalten können, bleibt nichts anderes übrig, als in die Einzelberatung einzutreten. Der Art. 1 war für uns von grundsätzlicher Bedeutung, indem er zunächst die Würde des Menschen herausstellte, deren wir uns nach den Ereignissen der Vergangenheit zu allererst annehmen mußten. Uns stand klar vor Augen, daß diese Würde des Menschen irgendwie im engstem Zusammenhang mit den Freiheitsrechten steht. Wenn in der Eingabe von Herrn Prof. Thoma gesagt worden ist, daß das Verhältnis der Menschenrechte zu der Menschenwürde ei-

gebiet

fallenden Materie. 2. Die

Ausschußfassung überprüft

das Redaktionskomitee

(Dreierausschuß) auf Rechtssprache und sonstige Formalien, insbesondere im Hinblick

auf die Angleichung an die von den anderen Ausschüssen erarbeiteten Formulierungen des Grundgesetzentwurfs sowie auf Lücken. 3. Das Redaktionskomitee befragt, wenn es Änderungen vornehmen will, vorher den Vorsitzenden des betreffenden Fachausschusses. Wenn das Komitee eine Änderung für richtig hält, leitet es seine Fassung an den Vorsitzenden des betreffenden Fachausschusses zurück. 4. Dieser legt sie, wenn erforderlich nach erneuter Beratung im Fachausschuß, dem Hauptausschuß vor. 5. Der Hauptausschuß erörtert den gesamten Entwurf, auch die strittigen Artikel, und fällt die politischen Entscheidungen. 6. Die interfraktionellen Besprechungen zur Klärung derjenigen Punkte, in denen noch keine Einigung erzielt wurde, laufen neben dem Arbeitsgang zu l)-5) weiter" (Drucks. Nr. 268). 4) Die Vorschläge von Prof. Thoma wurden als Dok. Nr. 18 abgedruckt. 585

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Angelegenheit sei, die man den Philosophen überlassen müsse, so kann ich dem nicht ganz beipflichten. Ich werde das gleich an der Präambel der Menschenrechte zeigen, die von einer Kommission der Vereinten Nationen5) herausgebracht worden ist. Dieser enge Zusammenhang zwischen den Freiheitsrechten, den Menschenrechten und der Menschenwürde wird dort durchaus anerkannt. Es ist auch für die breiten Massen durchaus klar, daß von einer Achtung der Menschenwürde nur dort gesprochen werden kann, wo eine verantwortungsvolle Freiheit der Persönlichkeit anerkannt wird. Aus diesen Gründen hielten wir es für wichtig, diese beiden Sätze in den Art. 1 aufzunehmen. Für uns hat der Art. 1 vor allen Dingen auch die Bedeutung gehabt, daß er die Berechtigung unseres Vorgehens, nur diese 18, 19 oder 20 überkommenen unverlierbaren Freiheitsrechte aufzunehmen, bestätigte. Es war also für uns sehr wesentlich, schon durch die Einleitung zu zeigen, aus welchen Gründen wir uns auf diesen kurzen Katalog der Freiheitsrechte beschränkt haben. Auf der anderen nicht an den Schluß, Seite war es uns wichtig, an den Anfang zu stellen wie es der Redaktionsausschuß tut —, daß diese Grundrechte die Niederschrift der alten Freiheitsrechte sind, wie sie die Jahrhunderte beschäftigt haben, und daß sie nun für uns, für Bund und Länder, bindendes Recht sein sollen. Diese Überlegungen, glaube ich, haben uns zu dieser Fassung bestimmt. Wir müssen daher einmal darüber diskutieren, ob wir diese Sätze wegfallen lassen könnten. Das ist ganz grundsätzlich meine Auffassung zu diesem ersten Artikel und seiner Stellung im Ganzen. Das Ganze gewinnt sonst ein vollkommen anderes Aussehen. Ich muß bedauern, daß der Redaktionsausschuß das nicht gesehen hat. Da hätten wir gefragt werden müssen. Hier haben wir eine der grundsätzlichsten Bestimmungen für das ganze Grundgesetz vor uns, worauf hier einmal klar hingewiesen werden muß. Ich schlage vor, daß wir uns mit den Varianten des Herrn Geheimrat Thoma6) und mit den Varianten, die in dem bayerischen Entwurf7) enthalten sind, bekannt machen. Dazu können wir vielleicht die Ergänzungen des Redaktionsausschusses hören. Wir können vielleicht über unsere Fassung erst entscheiden, wenn wir die Kritik von anderer Seite gehört haben. Dr. Eberhard: Ich habe nichts dagegen, hier etwas von Herrn Professor Thoma zur Kenntnis zu nehmen8). Aber diese Eingabe ist uns erst heute zugegangen. ne



5) Präambel zu den Menschenrechten der UNO vgl. Dok. Nr. 10. 6) Vgl. Dok. Nr. 18. 7) Deutsches Grundgesetz. Entwurf eines Grundgesetzes des Deutschen Volkes auf der Grundlage des Entwurfs des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee, undat. (IfZ, ED 94, NL Strauß, Bd. 85). Vgl. auch eine undat. und ungez. „Erste Ergänzung zu den Bayeri-

Bemerkungen zum Entwurf eines Grundgesetzes Grundrechte ", in dem in eiVorbemerkung von 18 Seiten Allgemeines zur Geschichte der Grundrechte gesagt

schen



ner



wurde; in einem weiteren Abschnitt (S. 19—32) wurde die bisher erarbeitete Fassung erörtert und in einem letzten Abschnitt

(S. 32—46)

(Z 12/47).

B) Stellungnahme 586

von

Prof. Thoma als Dok. Nr. 18

ein

Formulierungsvorschlag gebracht

abgedr.

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Dann müßten wir ebenso eine seit Tagen vorliegende Eingabe der Gewerkschaften behandeln, an der mir einiges wichtig scheint9). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe die gesamten Eingaben in einem Katalog zusammengefaßt und zwar zu jedem Artikel gesondert und würde zu jedem Artikel die einzelnen Eingaben vortragen, so daß wir uns auf Grund dieses Vortrages entscheiden könnten. Dr. Heuss: Wir können uns nicht mit

Privateingaben befassen. In Betracht komEingaben von Gewerkschaften, Kirchen und sonstigen Organisationen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn eine Privatperson etwas Grundsätzliches zu sagen hat, sollten wir darüber nicht hinweggehen. Die unwichtigen Eingaben habe ich schon zurückgelegt. Dr. Bergsträsser: Die privaten Eingaben sind für uns doch nicht maßgeblich; sie sind rein zufällig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn ein Jurist zu einer Formulierung etwas zu sagen hat, was uns weiterhilft, können wir uns darüber aussprechen. men nur

(Dr. Bergsträsser: Das ist etwas anderes.) Wir können nicht alles von vornherein ablehnen. Dr. Eberhard: Ich möchte das völlig unterstützen, daß wir uns bei der Anordnung des Art. 1 etwas gedacht haben. Ich möchte nicht darauf verzichten, die Absätze 1, 2 und 3 so an den Anfang zu stellen, wie wir es getan haben. Wir haben lange darüber gesprochen und haben uns dahin entschieden. Wenn wir nicht direkte Gegengründe hören, möchte ich sagen, wir sollten es bei dieser Anordnung belassen. Über ein einzelnes Wort kann man reden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mein Vorschlag geht dahin, an Hand der vorliegenden Vorschläge vielleicht gewisse Umformulierungen in unseren Sätzen vorzunehmen. Herr Prof. Thoma sagt zu unserem Art. 1 Abs. 1 folgendes: So schön und wertvoll dieser ganze Artikel ist, so gibt doch gerade seine Fassung Anlaß zu einigen kritischen Bedenken und Gegenvorschlägen. An-

gesichts der entsetzlichen, die Würde des Menschen den Entrechtungen, Erniedrigungen, Versklavungen,

unter die Füße treten-

grausame

Quälereien

und Massenmorden, deren sich die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Deutschland schuldig gemacht hat und deren sich die bolschewistische Gewaltherrschaft der Sowjetunion noch immer schuldig macht, ist es zu begrüßen, daß der Grundrechtskatalog sofort in seinen ersten Sätzen die Würde des Menschen unter den Schutz des Staats stellt. Um so mehr sollte man diesen Worten unmittelbar die Tat folgen lassen, in Gestalt eines Rechtssatzes, welcher aller öffentlichen Gewalt durch Verpflichtung zur Achtung und Schonung der Menschenwürde eines jeden und sei es auch niedrigen und strafwürdigen Menschen eine unantastbare Grenze gesetzt, und der so entschieden und allgemein gestaltet ist, daß er einzelne Aufzählungen von verbotenen Humanitätsmißachtungen (wie Grausamkeiten aller

Art,

Zwangssterilisierungen, Sippenbestrafungen, UnterstützungsverweigeVersklavung und Brandmarkung) entbehrlich macht. Rein theore-

rungen,

9) Eingabe der Gewerkschaften vgl. Dok. Nr. 33, Anm.

31.

587

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tisch wäre dann auch das in Art. 3 Abs. 4 des Entwurfs besonders ausgesprochene Verbot der Mißhandlung festgehaltener Personen entbehrlich. Praktisch aber dürfte es sich empfehlen, dieses Verbot zu verallgemeinem und es schon in Art. 1 aufzunehmen, von dessen Prinzip es ein Anwendungsfall ist. Zu erwägen wäre auch, ob man nicht dem Verbot aller inhumanen Verletzungen der Menschenwürde eine dienststrafrechtliche Sanktion beifügen sollte. Dazu gehört noch der Abs. 3 auf Seite 2: Aber mag man nun in den Menschenrechten ewige, oder spät errungene Rechte sehen, auf alle Fälle könnte man es wagen, die Verpflichtung zu ihrer Respektierung als eine heilige Verpflichtung zu bezeichnen und dadurch dem ersten Satze des Grundgesetzes einen, den Kreis der Rechtsbegriffe transzendentierenden feierlichen Klang zu geben. Daraus resultiert dann bei Herrn Prof. Thoma der erste Satz: Menschenrecht und Menschenwürde zu achten und zu beschützen ist heilige Verpflichtung aller Staatsgewalt. Diesen Satz hat in etwa der Redaktionsausschuß übernommen. Außerdem finden sich in der Formulierung von Herrn Prof. Thoma noch die folgenden Absätze: (3) Insbesondere dürfen festgenommene oder sonst in der Gewalt der staatlichen Organe befindliche Personen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. (4) Mißachtung vorstehender Grundgesetze durch Organe der öffentlichen Gewalt sind unbeschadet ihrer strafrechtlichen und bürgerlichrechtlichen Folgen, dienstrechtlich zu bestrafen. Ich würde es für sehr unglücklich halten, wenn wir in Art. 1, der von der Menschenwürde redet, solche sich vom Grundsätzlichen weit entfernenden Vorschriften aufnehmen würden. Das halte ich für völlig ausgeschlossen. (Dr. Bergsträsser und Dr. Eberhard: Ja.) Durch diese Einzelheiten nimmt man dem Ganzen die Würde und den Klang. Darüber sind wir uns wohl ziemlich einig. (Zustimmung bei der CDU.) Dr. Dehler: Das ist auch unsere Meinung. Wir sind dem nicht gefolgt. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir haben noch einen amtlichen bayerischen Entwurf10), der zu allen Artikeln etwas gesagt hat. Es heißt dazu in Art. 711) ganz schlicht: (1) Grundrechte aller Deutschen sind die Freiheitsrechte und die Bürgerrechte. (2) Die Freiheitsrechte gewährleisten Menschenwürde und freies Menschentum. Die Bürgerrechte sichern Teilnahme des Volkes am öffentlichen Leben und Wahrung seiner Rechte. Dr. Heuss: Das Wort „gewährleisten" ist unmöglich. Das ist eine Ableitung der Menschenwürde aus irgendwelcher staatlichen Haltung. Die Menschenwürde muß doch in sich ruhen. 10) Zum Bayerischen Entwurf vgl. Anm. 7. 11) Vermutlich Tippfehler; denn es handelte sich 588

um

Art. 1.

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Mangoldt]: Wir dürfen zunächst einmal unsere Fassung des Abs. 1 uns hier vorgeschlagenen Fassung vergleichen. Wenn man dem von Herrn Geheimrat Thoma entgegenkommen wollte, könnte man zu Wunsch Vors. [Dr. mit der

v.

Satz 1 : „Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung" noch etwa folgenden Zusatz machen: „Sie zu achten, ist oberste Pflicht für alle staatliche Gewalt wie für jeden Einzelnen." Dr. Eberhard: Ich sage hier gewiß dasselbe, was Herr Dr. Heuss sagen will. Herr Dr. Heuss hat hier „staatliche Ordnung" vorgeschlagen, damit nicht der Polizeistaat im ersten Artikel sichtbar ist, was der Fall ist, wenn „Staatsgewalt" dasteht. Es spricht sehr viel dafür, den Staat zunächst als „staatliche Ordnung"

unserem

vorzuführen. sich gegen den zweiten Satz. Denn der zweite Satz ist nichts anderes als eine pleonastische Kommentierung. Es ist bereits ein Kommentar. Er enthält das, was wir vermeiden wollen, um nicht so viel Deklaratorisches, was leicht zu etwas Deklamatorischem wird, hineinzubringen. Was in unserem ersten Satz steht, scheint mir eigentlich das andere zu umfassen. Frau Dr. Weber: Dieser Satz in seiner einfachen und schlichten Wucht ist viel wirkungsvoller, als wenn wir noch den zweiten Satz anfügen. Ich bin für diesen Satz allein. (Dr. Bergsträsser: Völlig einverstanden.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich kann als ziemlich einheitliche Meinung des Ausschusses feststellen, daß wir doch bei unserer alten Fassung beharren wollen. Dr. Dehler: Ich habe in dem Redaktionsausschuß hinsichtlich des ersten Satzes Ihre Fassung vertreten. Die Mehrheit hat sich anders entschieden. Besonders die Formulierung „heilige Verpflichtung" ist nicht glücklich. Ich habe auch Bedenken, hier sofort die „staatliche Gewalt", drohend einzuführen. Dr. Heuss: Der Kollege Zinn hat mich gefragt, ob mir an Stelle des Ausdrucks „heilige Verpflichtung" ein besseres Wort einfällt. Ich habe ihm gesagt, der von Herrn Dr. v. Mangoldt vorgeschlagene Ausdruck „oberste Pflicht" sei noch viel besser. Das andere hat einen sakralen Ton, der ein bißchen unangemessen Dr. Heuss: Ich bin

an

ist. Vors. [Dr.

v.

geschlagen,

Mangoldt]: um

einmal

Ich hatte die zu

zeigen,

Beifügung eines weiteren Satzes nur vorüberhaupt hinzusetzen könnte. Aber

was man

ich meine auch, man sollte es bei dem ersten Satz belassen. Ich bin durchaus der Auffassung von Herrn Dr. Heuss, daß es eine Wiederholung wäre. Herr Prof. Thoma sagt zu den Absätzen 2 und 3 folgendes: Der zweite und dritte Satz des Art. 1 sollten m. E. gestrichen werden, weil sie inhaltlich unrichtig sind. Um eine Antwort auf die Frage, worin die eigentümliche Würde begründet ist, die wir allem, was Menschenantlitz trägt, zusprechen, müssen sich Philosophen und Theologen bemühen. Der Verfassungsgesetzgeber kann diese Antwort nicht geben und jedenfalls ist die Menschenwürde nicht „in ewigen Rechten" begründet, sondern sind umgekehrt die Menschenrechte aus der Menschenwürde abzuleiten. In dem Maße, in dem sich die in der Ethik des Christentums wurzelnden humanitären Postulate der Aufklärungsphilosophie durchgesetzt haben und weiterhin durchsetzen, fordert das geläuterte Rechtsbewußtsein der Nationen des 589

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abendländischen Kulturkreises einen Ausbau des Straf-, Prozeß-, Zivil-, Staats-, Verwaltungs- und Völkerrechtes, welcher die Würde eines jeden Menschen respektiert und durch Schaffung von Rechtspositionen subjektiven Rechten und Rechtsschutzansprüchen in die Sphäre des positiven institutionell geschützten Rechts emporhebt. Der Erreichung dieses Zweckes im Rahmen der neuen Verfassungsurkunde dient der Art. 1, sofern er die weiter unten von mir vorgeschlagene Formulierung erhält. Unmöglich kann man ferner behaupten, daß die Anerkennung jener „ewigen Rechte" die Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft bilde. Es gab in der Vergangenheit und es gibt leider in der Gegenwart sehr festgefügte menschliche Gemeinschaften, welche die Menschenrechte und die Menschenwürde der von ihnen unterjochten oder bekämpften oder verfolgten Menschen mißachten. Die Behauptung des dritten Satzes sodann, es würden um der Würde des Menschen willen in der Verfassung Grundrechte gewährleistet, ist m. E. unrichtig oder zum mindesten stark übertrieben. Der Gewährleistung der Menschenwürde dient die in diesem Artikel enthaltene Grundrechtsnorm. Die in den 19 anderen Artikeln enthaltenen Gewährleistungen dienen vorwiegend der persönlichen und politischen, insbesondere demokratischen Freiheit. Deren Einschränkung oder Aufhebung würde nur z. T. eine Antastung der Menschenwürde in sich schließen. Nicht um ihretwillen sind die

gewährleistet.

Unnötig, weil selbstverständlich, ist

es m. E. zu sagen, daß ein bindender Satz der Bundesverfassung auch die Landesgewalten binde, und wenn man will, daß eine Grundrechtsnorm unmittelbar geltendes Recht schaffe, so muß man ihr eine entsprechende juristische Form geben. Versäumt man das, so kann ihr eine allgemeine Klausel, wie sie in den letzten Worten des dritten Satzes enthalten ist, keine juristisch wirksame Kraft verleihen. Im anderen Fall ist die Klausel überflüssig. Zu diesen Ausführungen muß man doch irgendwie Stellung nehmen. Der Satz über das Verhältnis der Menschenwürde und der Menschenrechte, der Freiheitsrechte ist vielleicht in unserer Formulierung, so wie sie da steht, nicht ganz zu halten. Ich würde in der Formulierung vorsichtiger sein und vorschlagen, die Fassung: „Sie ist begründet in ewigen Rechten" nicht bestehen zu lassen. Ich bin mir ganz klar darüber, daß es Menschenwürde nicht ohne Anerkennung von Menschenrechten und Freiheiten gibt. Ohne die Anerkennung einer verantwortungsbewußten und in sich freien Persönlichkeit gibt es keine Menschenwürde. Das wollen wir hier zum Ausdruck bringen. Es ist vielleicht hier nicht geschickt zum Ausdruck gebracht. Das kann man aus dieser Kritik durchaus annehmen. Aber nun zu den anderen Dingen, die Herr Prof. Thoma hier angeführt hat. Es man müßte auch hier umformulieren —, daß ist auch richtig, wenn er sagt diese ewigen Rechte nicht Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft sind und daß es tatsächlich menschliche Gemeinschaften gibt, in denen das nicht der Fall ist. Man müßte also etwa sagen: Grundlage für eine Staatsgestal—

„.

590

.

.

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tung in Freiheit, Sittlichkeit und Frieden. .". Ich komme gleich auf die Formulierung der Vereinten Nationen12). In dieser Form kann man sagen, daß jedes .

freiheitliebende Volk zu dieser Form der Menschenrechte greifen muß. Wenn das drin steht, sind wir über diese Kritik von Herrn Geheimrat Thoma, die an sich berechtigt ist, hinweg. Es ist nicht ganz richtig, wenn Herr Geheimrat Thoma sagt, die ganzen anderen 18 oder mehr Artikel dienten nicht dieser Wahrung der Menschenwürde. Denn jeder Artikel für sich gewährleistet ein Stück Freiheit, das notwendig ist, um die Menschenwürde zu gewährleisten. weil selbstverständlich —, zu sagen, daß Zum Schluß sagt er, es sei unnötig ein bindender Satz der Bundesverfassung auch die Landesgewalten binde. Wir wollten diesen Satz bewußt vorausnehmen, um ihn nachher nicht in den Normativbestimmungen der Verfassung zu haben. Er ist für uns wesentlich. Dieser Kritik können wir uns nicht anschließen. wenn man will, daß eine Wenn Herr Geheimrat Thoma weiter sagt: unmittelbar Grundrechtsnorm geltendes Recht schaffe, so muß man ihr eine Form geben", so haben wir uns bei jedem Artikel beentsprechende juristische müht, das zu tun. Wir haben versucht, beides zu tun. Wir wollen das im Anfang deutlich sagen. Daß das hier geschieht, ist nicht zum mindesten in den Verhältnissen begründet, die sich unter der Weimarer Verfassung eingestellt hatten. Wir wissen aus der Zeit der Weimarer Verfassung, wie schief die Lage damals geworden war und wie schlecht dort alles gelaufen ist, weil man sich nicht klar gemacht hat, den wir an den Anfang stellen diesen Grundsatz sondern ein Durcheinander von Programmsätzen, Deklamationen und irgend etwas anderem hatte. Erst die Staatstheorie ist nachher darauf gekommen, aus diesen Sätzen der Weimarer Verfassung zum Teil geltendes Recht zu machen. Wir hielten es gerade historisch gesehen für notwendig, das ausdrücklich zu betonen. Wenn es in der Kritik von Geheimrat Thoma weiter heißt: „Versäumt man das, so kann ihr eine allgemeine Klausel, wie sie in den letzten Worten des dritten Satzes enthalten ist, keine juristisch wirksame Kraft verleihen", so muß ich allerdings darauf hinweisen, daß diese Bindung in der Fassung von Geheimrat Thoma nicht enthalten ist. Der Redaktionsausschuß hat diese Bindung in den Schluß aufgenommen, wir haben sie am Anfang. Dr. Dehler: Unser Duktus war, die Würde des Menschen zu stipulieren und in Art. 1 a zu interpretieren. Nur wegen dieses Duktus haben wir die rechtliche Bindung weggenommen und an den Schluß gesetzt. Dr. Bergsträsser: Ich möchte hierzu eine allgemeine Bemerkung machen. Wenn wir jetzt alles wieder mit allen möglichen anderen Fassungen vergleichen, kommen wir in die Gefahr, daß wir einzelne Stücke ändern und am Ende vor etwas gänzlich Unorganischem stehen; ich will nicht sagen, in einem Trümmerhaufen. Von dem, was wir hier erarbeitet haben, können wir wohl sagen, daß innere Zusammenhänge vorhanden sind. Deswegen warne ich grundsätzlich vor —

„.



12) Vgl. Dok. Nr.

.

.



10.

591

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Änderungen.

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Ich möchte allgemein bemerken, daß wir uns im Parlamentarischen Rat augenblicklich in einem Stadium befinden, in dem wir unter einer Krankheit leiden, die ich Änderitis nennen möchte. Wir sind bestrebt, das, was einmal festgelegt worden ist, wieder zu ändern. Ich glaube, so kommen wir überhaupt nicht weiter. Zu Punkt 2 möchte ich eine spezielle Bemerkung machen. Hierzu hat Herr Geheimrat Thoma eine Begründung gegeben, die das, was wir hier gesagt haben, nicht trifft. Denn es ist bei uns gar nicht gesagt, daß diese Rechte als Grundlage für jeden Staat existieren. Es ist vielmehr nur gesagt, daß wir subjektiv als Deutsche uns entschlossen haben, sie anzuerkennen, das heißt für die Zukunft geltend zu machen. Das scheint mir etwas völlig anderes zu sein. Wir sind doch, wenn ich mich recht erinnere, auf diese Formulierung gekommen, um zu sagen: Wir wollen etwas Neues gestalten, und das soll die Grundlage dieser Neugestaltung sein. Es ist also eine Überzeugung für uns und nicht die Anerkennung eines objektiven Tatbestandes der Existenz in allen Ländern. Abgesehen von dem Wort „ewig", das bestritten ist, ist unsere Formulierung gut, und ich sehe nicht ein, weshalb wir sie noch einmal ändern sollen. Dr. Heuss: Wir könnten diese staatstheoretische Bemerkung von Herrn Geheimrat Thoma, „aller menschlichen Gemeinschaft" sei zuviel gesagt, dadurch auslöschen, daß wir das „als Grundlage seiner Gemeinschaft" anerkennen. Wenn wir einen solchen Satz hineinbringen, ist es auf das deutsche Volk bezogen, das es für sich ausspricht. Ich bin aber auch noch etwas unsicher bezüglich der Worte „begründet in ewigen Rechten". Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Präambel der Erklärung der Menschenrechte bei den Vereinten Nationen13) sagt: In der Erwägung, daß die Achtung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde sowie ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte das Fundament der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet. Sich daran anschließend könnte man etwa sagen: Zugleich mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung werden jene gleichen und unverlierbaren Freiheits- und Menschenrechte gewährleistet, die das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden. Das deutsche Volk anerkennt sie als eine der Grundlagen der rechtsstaatlichen Ordnung aller freiheits- und friedliebenden Völker. Das ist aber zu umfangreich, man müßte es zusammenstreichen. Ich habe es nur einmal zusammengestellt, um eine Unterlage für die Erörterung zu haben. Dr. Bergsträsser: Der Entschluß, sie anzuerkennen, ist nicht so deutlich. Dieser Entschluß kommt hier viel deutlicher heraus, weil das ganze Beiwerk nicht dabei ist. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich würde hier nur das Bedenken haben,- daß man dieses wichtige Bekenntnis in einen Relativsatz stellt. Dr. Bergsträsser: Das kann man ändern. Man kann sagen: Das deutsche Volk erkennt sie als Grundlage an. —

13) Vgl. Dok. Nr. 10. 592

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Mangoldt]: Man kann sagen: Das deutsche Volk anerkennt sie als aller menschlichen Gemeinschaft. Ich habe dieselben Bedenken wie Herr Dr. Heuss, wir können den ersten Satz nicht lassen. Die Fassung: „Sie ist begründet in ewigen Rechten", geht so nicht ganz. Wir müssen zu einer Umformulierung kommen. (Frau Dr. Weber: Warum nicht?) Es ist nicht ganz richtig. Man kann da gewisse Einwendungen machen. Das bedingt sich gegenseitig. Die Würde des Menschen ist nicht allein in diesen ewigen Rechten begründet. Das kann man so nicht sagen. Sie sind eine der Grundlagen dafür. In dieser Absolutheit sagt der Satz zuviel. Dr. Dehler: Wir sind der Schwierigkeit bewußt ausgewichen, indem wir an Art. 1 den Art. 1 a angefügt und dort aufgeführt haben, was uns Grundlage der menschlichen Gemeinschaft zu sein scheint. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin der Auffassung, man sollte diese Sätze nicht herauslassen. Man braucht sie auch nicht herauszulassen. Wir finden sie auch in jener Erklärung der Menschenrechte, die von der umfassendsten internationalen Körperschaft ausgearbeitet worden ist, allerdings in monatelanger Arbeit. Dort schreibt man solche Dinge nicht in zwei oder drei Wochen hin, da sind monatelange Überlegungen am Werk gewesen. Aber wenn die das können, müßten wir es eigentlich auch können. Da finden wir diese Sätze in dieser Nebeneinanderstellung, „daß die Achtung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde sowie ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte das Fundament der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet." Daher würde ich vorschlagen, hier etwas vorsichtiger zu sein und zu sagen: Zugleich mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung Die Anerkennung dieser Grundrechte ist eine Grunddas ist für die dauernde Achtung. Nur wer Menschenrechte anerkennt lage der Satz, der wieder auftaucht —, kann überhaupt auf die Dauer Menschenwürde achten. Das ist der Vorsatz, der irgendwie in Gesetzesworte gekleidet werden muß. Darin liegt die Schwierigkeit. Ich schlage vor, diesen Text zunächst einmal schreiben zu lassen.: Zugleich mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung werden jene gleichen und unveräußerlichen Freiheitsund Menschenrechte gewährleistet, die das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden. Das deutsche Volk anerkennt sie als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft. Oder: Das deutsche Volk anerkennt sie als eine der Grundlagen der rechtsstaatlichen Ordnung aller freiheits- und friedliebenden Völker. Wir können dann die Diskussion über Abs. 3 fortsetzen. Sie haben die Ausführungen von Herrn Prof. Thoma gehört. Ich glaube, feststellen zu müssen, daß der Wunsch besteht, unsere Fassung aufrechtzuerhalten, vielleicht mit einer kleinen Umformulierung. Dr. Eberhard: Wir können vielleicht die Formulierung des Redaktionsausschusses in Art. 20 Abs. 1 nehmen, diese aber vorn als letzten Absatz des Art. 1 hinstellen. Vors. [Dr.

v.

Grundlage

-

..

.



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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich hatte hier eine kleine Änderung vorzuschlagen, da mir die bisherige Formulierung noch nicht ganz paßt. Ich wollte sagen: In den nachstehenden Artikeln niedergelegt binden diese Grundrechte Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung auch in den Ländern als unmittelbar geltendes

Recht. Dr. Bergsträsser: Damit stören wir wieder den ganzen Duktus. Deswegen ist mir die Änderung unsympathisch. Dr. Eberhard: Das geht nicht mehr nach der Änderung, die wir soeben vorgenommen haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wie es jetzt da steht, geht es nicht. Dr. Bergsträsser: Ich schließe rückwärts, daß der Mittelsatz, den wir neu gemacht haben, nicht richtig ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben praktisch im Inhalt nichts geändert, wir haben nur eine andere Formulierung gewählt. An sich müßte das passen. Dr. Eberhard: Das „deshalb" paßt zum bisherigen Absatz nicht ganz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Gefühl habe ich von Anfang an auch gehabt. Der Sinn dieses Absatzes ist der, zum Ausdruck zu bringen, daß die alten gleichen und unveräußerlichen Freiheitsrechte hier für unsere Zeit neu formuliert werden und daß sie in der Formulierung, in der sie in den nachstehenden Artikeln niedergelegt sind, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege als unmittelbar geltendes Recht binden sollen. Damit ist ein für den Richter wichtiger Gedanke aufgenommen. Weil es sich danach um die Formulierung dieser alten Sätze handelt, sind sie auslegungsfähig in dem Sinne, in dem sie in der Vergangenheit gewachsen sind. Das wäre für die Rechtsprechung auch wichtig. Damit ist also dieser Gedanke des natürlichen Rechts, dieses gewachsenen Rechts, der alten Freiheitsrechte unmittelbar in diesen Grundrechten verkörpert. Und soweit die bisherige Auslegung der Grundrechte im Wandel der Zeit dem nicht mehr entspricht, läßt sie sich immer umgestalten. Das war die Idee, die am Anfang steht. Es stecken also sehr tiefgehende Überlegungen dahinter. Ich bin selber mit der Ihnen vorgeschlagenen Formulierung nicht ganz zufrieden. Aber in den letzten Tagen sind wir bei der Formulierung der Präambel auch in der Weise weitergekommen, daß wir uns gegenseitig ergänzt haben. Es ist klar, das Wort „deshalb" geht nicht. In Absatz 2 ist ganz allgemein ein Bekenntnis zu den alten unveräußerlichen Menschen- und Freiheitsrechten abgegeben, und es dreht sich nun darum, in Abs. 3 eine Formulierung zu finden, die auf unseren Gedanken überleitet. Aus den allgemeinen Ausführungen des Art. 1, die eigentlich so von uns mehr präambelmäßig für die ganzen Grundrechte gedacht waren hatten wir den Art. 1 von Anfang an aufgefaßt —, sollte nun in das unmittelbar geltende Recht übergeleitet werden. Deshalb wäre es richtig, irgendwie zu betonen, daß die nachfolgenden Artikel solches unmittelbar geltendes Recht bringen. Das ist der Gedanke. Ich habe es erst einmal niedergelegt, um es gedanklich zu erfassen. Die Worte: „In den nachstehenden Artikeln niedergelegt sind natürlich nicht schön; das paßt in den Dukfinden diese Grundrechte. nicht hinein. tus Dr. Bergsträsser: Der Sinn war, zu sagen, aus der Anerkennung dieser Grundgedanken heraus werden Grundrechte formuliert, und zwar so, daß sie die Ver—

"

.

594

.

Zweiundzwanzigste Sitzung waltung usw. binden. So Ihre Formulierung haben,

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wäre die Brücke zu schlagen. Man muß erst einmal sehen, wie man es mit einem Wort überleiten

um zu

kann.

Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

liegt eine Menge von Änderungsvorschlägen Abänderungsvorschlag der Fraktion der CDU14) be-

Zu Art. 2

Ich weiß nicht, ob ein reits in Ihrer Hand ist. vor.

(Wird verneint.) Dr. Eberhard: Ich darf zu dem Vorschlag der SPD, den Abs. 1 zu streichen15) und den Abs. 2 mit „Jedermann" anzufangen, folgendes anführen. Ich habe ähnliche Kritik bei Thoma eben gesehen. Abs. 1 ist etwas sehr deklamatorisch,

dem Besatzungsregime schon ganz besonders, aber auch sonst angesichts Wir sind eben nicht alle frei, wir möchten es sein oder möchten es werden. Wir dachten also, das Einfachste ist, solchen Einwänden zu entgehen namentlich nachdem vorher von Freiheitsrechten die Rede ist nur zu sagen: Jedermann darf tun und lassen usw., unter Weglassung des Abs. 1. Thoma gibt dazu noch andere Gründe. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei Thoma heißt es zu Art. 2 zunächst: Der Satz „Der Mensch ist frei", ist nicht nur dann, wenn man ihn für sich allein ausspricht, sondern auch dann, wenn man ihm, wie der Entwurf es tut, einen ihn im Grunde wieder aufhebenden Nachsatz beifügt, in geradezu beängstigendem Grade der kommentatorischen Erläuterung bedürftig. Legt man diesen ersten Satz des Art. 2 wörtlich aus, so hat er juristische Wirkungen von unabsehbarer Tragweite. Er modifiziert z.B. den §175 RStGB dahin, daß ein zwischen Volljährigen in beiderseitiger Freiwilligkeit stattfindender homosexueller Verkehr fortan nicht mehr strafbar ist. Und wie steht es mit einer Abtreibung, welche die werdende Mutter im Einverständnis mit dem Erzeuger vornimmt? Verletzt sie die Rechte anderer, beeinträchtigt sie die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens? Ich glaube, das bezieht sich mehr auf unseren Abs. 2, wo es heißt: „Er darf tun und lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt. ." Gerade die Beispiele beziehen sich darauf. Hier ist ein anderer Vorschlag von unserer Fraktion, worin es heißt: „Er hat ein natürliches Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit innerhalb der durch das natürliche Sittengesetz und die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens gegebenen Schranken." Weiter heißt es bei Thoma: Man kann natürlich einwenden, so sei die Sache nicht gemeint, unter der verfassungsmäßigen Ordnung sei die gesamte jeweils in Geltung stehende Rechtsordnung gemeint. Aber dann wird Satz 1 zu einer nahezu inhaltslosen Banalität, mit der man die Verfassungsurkunde nicht belasten und bagatellisieren sollte. Der Satz sagt dann nämlich nur: Der Mensch ist von Rechts wegen frei, soweit er nicht von Rechts wegen unfrei ist. unter

der

gesellschaftlichen Verhältnisse. —



.

14) Vgl. die auf der 23. Sitzung behandelten Vorschläge der CDU/CSU (Dok. Nr. 30, TOP lb). 15) Vgl. „Formulierte Änderungsvorschläge der SPD-Fraktion zur vorläufigen Fassung des

Grundgesetzes vom 18. Okt. 1948, UB Marburg, NL Bergsträsser, Mappe Grundgesetz 1.

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Der Satz steht in den alten Verfassungen auch in anderer Fassung. Zum Beispiel heißt es in Art. 1 der „Erklärung der Menschenrechte" der Vereinten Nationen16): „Alle menschlichen Wesen werden frei und an Würde und Rechten gleich geboren." In der Form hat der Satz einen Sinn. Es heißt weiter: „Die Natur hat sie mit Verstand und Gewissen ausgestattet, und sie müssen sich gegenseitig im Geist der Brüderlichkeit verhalten." Etwas Derartiges können wir nicht aufnehmen. Das folgt daraus, daß die Menschenrechte der Vereinten Nationen einen ganz anderen Sinn haben. Vielleicht ist es einmal wesentlich, daß Sie das hören. Es heißt dort: .proklamiert die Generalversammlung die vorliegende

der Menschenrechte als den Ausdruck des gemeinsamen Ideals, welches alle Völker und alle Nationen zu verwirklichen sich bemühen müssen, damit alle Individuen und alle sozialen Gruppen dadurch, daß sie diese Erklärung ständig im Sinne haben, danach trachten, durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern. ." Hier sind also die Grundrechte mehr im Sinne eines Programms zu verstehen, während wir in Art. 1 gerade sagen: Wir wollen kein Programm, sondern wir wollen nüchterne, unmittelbar geltende Rechte. Wir haben das gerade gegenüber den Formulierungen der Weimarer Verfassung immer in den Vordergrund gestellt. Die Vereinten Nationen können der Forderung eher entgegenkommen, die von vielen Pressevertretern aufgestellt worden ist: Warum bringt ihr die Grundrechte so umständlich, bringt doch einfach einen Katechismus von zehn Freiheitsgeboten und nachher irgendwo an anderer Stelle die Einschränkungen! Die begreifen gar nicht, daß wir es gar nicht so machen können, wenn wir, was auf der anderen Seite gewünscht wird, wirklich geltendes Recht in den Grundrechten bringen wollen. Das ist eine ganz grundsätzliche Frage, die man sich einmal klarmachen muß. Es heißt weiter bei Thoma: Positive Aufgabe des Art. 2 ist es, den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu statuieren und die materiellen und formellen Grundsätze des Rechtsstaates in der Verfassung zu verankern. a) Die materiellen Grundsätze des Rechtsstaates schließen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, überdies aber auch die Gesetzmäßigkeit der Rechtsprechung und die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung in sich ein. Ferner ist zu bedenken, daß ein in die Freiheit oder die Rechtssphäre eines Rechtssubjekts (in Freiheit und Eigentum, wie man früher sagte) eingreifender Staatshoheitsakt auch dann verpflichtend ist, wenn er aus einem in unbezweifelter Geltung stehenden Satz des ungeschriebenen Rechts entspringt und also insofern zwar auf Recht, nicht aber auf Gesetz im engeren und eigentlichen Sinne des Wortes Gesetz beruht. Darüber haben wir sehr eingehend gesprochen. Wir haben bei der Verwendung der Begriffe der Gesetz- und Rechtmäßigkeit auch an das ungeschriebene Recht gedacht. Bei uns heißt es: .im Rahmen der Rechtsordnung eingreifen". Dawir wollten es kurz halten mit haben wir Gesetz und Verfassung und auch das ungeschriebene Recht erfaßt.

Erklärung

.



16) Dok. 596

Nr. 10.



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Thoma sagt weiter: Man könnte den ersten Absatz des Art. 2 etwa

folgendermaßen

Nr. 29

formulie-

ren:

„In die Freiheit und die Rechte der Einzelnen und ihrer Verbände darf nur durch verfassungsmäßige Gesetze oder auf Grund ermächtigender Rechtssätze eingegriffen werden. Die Bindung von Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht und die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassungsurkunden werden gewährleistet."

an die Verfassung war für uns eine Selbstverständlichkeit, da die für uns ein Teil der Rechtsordnung, ein „Gesetz" ist. Es ist doch Verfassung kaum umstritten, daß man unter Gesetz auch die Verfassung versteht. Sie ist das oberste Gesetz. Man spricht von der Verfassung als dem obersten Gesetz. Es folgen dann noch sehr eingehende Ausführungen. Wenn wir unmittelbar geltendes Recht hinstellen wollen, müssen wir uns auch mit diesen Bedenken namhafter Juristen auseinandersetzen. Wir können nicht einfach sagen: wir arbeiten wie eine Maschine, haben heute abend die letzten Anträge abzugeben und kümmern uns um das, was die Diskussion zu den Grundrechten ergeben hat, überhaupt nicht. Sie haben jetzt die Formulierung zu Art. 1 Abs. 2 vor sich liegen, wobei hinsichtlich des zweiten Satzes die Möglichkeit der Variierung bleibt. Ich hatte hier nur möglichst viele Gedanken hineinzubringen versucht, von denen man diesen oder jenen herausstreichen kann, wenn die Belastung zu groß wird. Dr. Eberhard: „Freiheit und Frieden" haben wir oben gerade gehabt. Ich würde auch für die Variante 1 sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also die Variante 1 wäre nach Ihrer Auffassung besser. Es ist nur die Frage, ob wir den ersten Satz noch kürzen oder umgestalten kön-

Die

Bindung



nen.

der erste Satz soll Dr. Bergsträsser: Könnte man da nicht als Überleitung doch bleiben sagen: Die Würde des Menschen steht im Schutz der staatlichen Ordnung; zur Sicherung der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung werden usw.? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde ich sagen: als eine der Grundlagen für die dauernde Achtung der Menschenwürde. (Frau Dr. Weber: Das ist besser.) Dr. Bergsträsser: Das „zugleich" ist weder sprachlich schön noch gedanklich bedeutsam. Es ist auch so möglich, wie Sie es soeben gesagt haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es klingt auch nicht. Dann ist es schon richtiger, wie Sie zu sagen: zur Sicherung oder: zur Wahrung der Menschenwürde. Die Vereinten Nationen sprechen in ihrer Charta17) auch immer davon, die Beachtung der Menschenwürde zu sichern. Frau Dr. Weber: Wir würden sagen: „zur Wahrung". Dr. Bergsträsser: Wahrung ist etwas anderes als Sicherung. Wahren kann sie nur der, der einen Auftrag hat. —



17) Charta der UN vgl. Dok. Nr. 8, Anm.

_

3.

597

Nr. 29

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder man verwendet überhaupt nicht so viele Hauptworte, sondern sagt etwa: Um die dauernde Achtung der Menschenwürde zu sichern, werden gleiche und unveräußerliche Freiheits- und Menschenrechte Dann klingt es mehr. Dr. Eberhard: Ist es korrekt, zu sagen, daß sie nur deswegen gewährleistet werden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen das andere hineinbringen, was ich in meinen früheren Formulierungen schon stehen hatte: „als eine der Grundlagen". Das ist wichtig. Dr. Eberhard: Eben! Das könnte man nur mit Ihrer Formulierung machen. Heile: Am besten ist: zur Wahrung. Vielleicht könnte man auch sagen: zum Schutz der Menschenwürde. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man würde sagen können: zum Schutze der Menschenwürde. Dr. Dehler: Der Abs. 1 verwendet schon den Ausdruck „Schutz". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es dreht sich um eine Sicherung für die Anerkennung der Menschenwürde. Dieser unvermittelte Sprung der Sicherung der Menschenwürde würde auch nicht ganz haltbar sein. Kann man dann nicht sagen: Mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung werden jene gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte gewährleistet? Wir streichen dann einfach das Wort „zugleich". Wunderlich: Oder wir fangen mit dem Wort „als" an und sagen: Als eine der Grundlagen für die dauernde Achtung der Menschenwürde usw. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn Sie die Menschenwürde noch einmal als Hauptwort dahinter bringen, klingt die Sache sofort nicht mehr. Wunderlich: Wir müssen es hier wiederholen, weil das Wort „ihre" sich genau so gut auf die staatliche Ordnung wie auf die Würde beziehen kann. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann kommt dahinter der Satz: „Das deutsche Volk anerkennt sie ." Da ist auch nicht ganz klar, worauf sich das „sie" bezieht. Man müßte schon sagen: „Das deutsche Volk anerkennt diese Rechte ." Dr. Bergsträsser: Im ersten Satz muß das Wort „Grundlage" fort, und man müßte sagen: die Voraussetzung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich hatte eine andere Formulierung: „Zugleich mit der Menschenwürde werden jene gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte gewährleistet, die Voraussetzung für ihre dauernde Achtung sind." Aber das ist leitartikelmäßig, das geht nicht. Das klingt sofort nicht. Dr. Bergsträsser: Kann man die Menschenwürde überhaupt gewährleisten? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade das tritt ja hier zurück. Man müßte eigentlich sagen: Mit der Anerkennung der Menschenwürde werden die Freiheitsrechte gewährleistet. Aber der Ausdruck „mit der Menschenwürde" ist nicht ganz richtig. Dadurch machen wir das Ganze wieder nicht recht verständlich. Dr. Bergsträsser: Aber so machen wir es sprachlich falsch oder unverständlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das muß man in diesem Fall bewußt in Kauf nehmen: „Mit der Anerkennung der Menschenwürde" geht nicht. ...

.

.

.

598

.

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Nr. 29

Heile: Warum wollen Sie nicht „zur Wahrung der Menschenwürde" belassen? Dr. Bergsträsser: Das kommt auf das hinaus, was ich vorgeschlagen habe. Es ist nur ein anderes Wort. Dr. Dehler: Haben Sie Bedenken, es ohne logischen Zusammenhang wie folgt aneinanderzustellen: „(1) Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Das deutsche Volk anerkennt die unveräußerlichen Freiheitsund Menschenrechte als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft"? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Unsere Idee war, diese Verbindung zwischen Menschenwürde und Dr. Dehler: Das wird immer gequält sein. Die Verbindung stellt sich von selbst —



ein. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich verstehe es durchaus. Diese Überlegung habe ich immer gemacht. Wir wollten auf den Zusammenhang nicht ganz verzichten. Frau Dr. Weber: Ich würde wieder mit der Menschenwürde anfangen und entweder sagen: Zur Wahrung oder, wie Herr Dr. v. Mangoldt soeben vorgeschlagen hat: „Mit der Menschenwürde werden" usw. Das klingt ganz gut. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Man könnte sich noch darüber unterhalten, ob man eine Charakterisierung der Freiheits- und Menschenrechte in einen Relativwerden gleiche und unversatz aufnehmen will. Wenn man einfach sagt: äußerliche Freiheits- und Menschenrechte gewährleistet, ist es wieder zu .

.

.

nüchtern. Dr. Bergsträsser: Dann würde ich schon sagen: Sie sind Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dann kriegen wir zwei Hauptsätze. Dies können wir aber als Charakterisierung des Vorangehenden sehr gut in einem Relativsatz lassen. Wir haben dann den nächsten Satz: Das deutsche Volk anerkennt diese Das ist, glaube ich, besser. Es dreht sich anscheinend nur um den Rechte .

.

.

.

.

.

Anfang.

(Frau Dr. Weber: Ja, nur.) Was wären Ihre Einwendungen, Herr Dr. Bergsträsser, gegenüber meiner Formulierung mit der Menschenwürde? Ich habe extra den Zusatz gemacht, um das wieder gut zu machen, was ich mit der Auslassung der „Anerkennung" falsch gemacht habe. Es ist bewußt so gemacht. Wenn man einfach sagen würde: Zur Wahrung der Menschenwürde, brauchte man vielleicht das andere nicht: .und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung". Aber diese Formulierung entspricht ganz der Formulierung in der Charta der Vereinten Nationen und in den Menschenrechten. Deshalb ist es auch zweckmäßig, sie irgendwie aufzunehmen, weil wir uns damit in der internationalen Welt bewegen. (Frau Dr. Weber: Mir gefällt das ganz gut.) Dr. Bergsträsser: Sprachlich ist nur noch zu sagen, daß zweimal das Wort „Grundlagen" vorkommt. Vielleicht kann man im ersten Satz statt „Grundlagen" „Voraussetzungen" sagen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich hatte hier in dem Satz das Wort „Voraussetzungen" drin. Aber ich finde, das klingt nicht. Vielleicht könnte man den zweiten Satz noch etwas umgestalten, indem man das Wort „Grundlage" irgendwie ersetzt. Dr. Bergsträsser: „Voraussetzung" ist etwas anderes. 599

Zweiundzwanzigste Sitzung

Nr. 29 Vors. [Dr.

müßte Inhalt.

nur

18.

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Mangoldt]: Kann man nicht vielleicht vom „Inhalt" reden? Man wieder ein Beiwort hinzusetzen und etwa sagen: als unverlierbaren

v.

Dr. Bergsträsser: „Inhalt" ist auch wieder etwas anderes. Mayr: Vielleicht könnte man sagen:.. auf der seine menschliche Gemeinschaft .

ruht.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, in irgendeiner solchen Form. Dr. Bergsträsser: Vielleicht sagt man: Das deutsche Volk anerkennt, daß alle menschliche Gemeinschaft auf ihnen beruhen muß, oder: beruht. Bei dem Ausdruck „beruht" kommen wir aber zu dem, was Sie vorhin sagten. Das ist dann ein Faktum. Es ist doch kein Faktum, sondern es ist ein Programm. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir sagen: „Das deutsche Volk anerkennt diese Rechte als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft", so ist es damit auch als allgemeiner Satz formuliert. "V Eberhard: Ich würde sagen, der allgemeine Satz ist nicht mehr gut, nachdem wir im ersten Absatz am Schluß schon einmal diese Rechte als Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt anerkannt haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht können wir es weglassen und gehen nur bis zu dem Wort „bilden". Dr. Bergsträsser: Ich möchte gerade herein haben, daß das deutsche Volk sich zu den Rechten bekennt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten sagen: Mit der Menschenwürde erkennt das deutsche Volk jene gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, die das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden. Dann haben wir einen Satz gespart und bekommen eine kurze

Fassung. Heile: Der Ausdruck „anerkennt" ist kein Deutsch. Es muß heißen: erkennt an. Wunderlich: Wäre es nicht besser, zu sagen: Das deutsche Volk bekennt sich.. .? Das Wort „anerkennt" ist scheußlich. Dr. Bergsträsser: Wenn wir sagen: Das deutsche Volk bekennt sich dazu, so braucht es noch nichts zu tun. Dann bleibt es Deklaration. Wenn wir sagen: erkennt an, ist es positiv. Ich bin auch gegen den Ausdruck „anerkennt". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Weitere hinter dem Wort „bilden" lassen wir dann weg. Es bleibt dann Abs. 2 wie bisher. Hinzu kommt nun die Formulierung von Abs. 3. Dr. Eberhard: Jetzt paßt wieder das Wort „deshalb", es paßt jetzt besser als zu der ursprünglichen Fassung. (Frau Dr. Weber: Das Wort „deshalb" paßt jetzt wieder.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich hatte gegen das Wort „deshalb" von vornherein Hemmungen. An der Kritik ist etwas Richtiges. Dr. Dehler: Wir haben das Wort vermieden, wir haben es umgangen. Dr. Eberhard: Wir müssen das hineinschreiben, was wir auch gesagt haben. Es gibt diese ewigen unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte des Abs. 2, und die transponieren wir in unsere Zeit. Natürlich wird das Wort „transponieren" nicht verwendet. 600

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Nr. 29

Mangoldt]: Daher hatte ich gesagt: In den nachstehenden Artikeln binden diese Grundrechte Gesetzgebung usw. Das ist die kürzeste niedergelegt Formulierung. Das ist besser als die Verwendung des Wortes „deshalb". Frau Nadig: Das drückt am besten das aus, was wir wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist sicher. Ich finde es nur nicht schön. Der Anfang gefällt mir noch nicht. Dr. Eberhard: Die Worte „binden diese Grundrechte" sind nicht schön, da das Wort Grundrechte nicht vorkommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Menschen- und Freiheitsrechte sind diese Grundrechte. Die Überleitung zu dem anderen Begriff wird durch das Wort „diese" Vors. [Dr.

v.

hergestellt.

Dr. Eberhard: Die Verwendung des Wortes „diese" ist ein Hinweis auf das, was in derselben Form nicht schon einmal vorkam. Es geht durchaus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Beziehung ist hier klar. Es kann nicht anders sein. Ich würde es gern anders sehen. Werden dazu noch Vorschläge gemacht? Wir haben immer Bedenken gegen die Partizipialsätze gehabt. Hier sehe ich keinen anderen Weg. Dann haben wir auch das Wort „gewährleistet" heraus, woran sich Herr Dr. Heuss stößt. Vielleicht könnte man es vorläufig so lassen. Wenn uns etwas Besseres einfällt, ist das leicht zu ergänzen. Wunderlich: Könnten wir vielleicht sagen: In den nachstehenden Artikeln wer—

den Grundrechte niedergelegt, die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege binden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, dann haben wir den Leitartikelstil. Dr. Eberhard: Dann ist der Gedanke nicht drin, daß die vorher genannten Grundrechte für unsere Zeit formuliert sind. Den Gedanken sollte man festhalten.

Vors. [Dr. nen

Inhalt,

v.

Mangoldt]:

sie müssen

Die Grundrechte haben einen geschichtlich gewachseformuliert werden. Das geschieht hier. Das ist

nur neu

sehr schön zum Ausdruck gebracht und, ich glaube, eine Stütze für den Richter. Geben Sie mir darin Recht? (Dr. Dehler: Ja.) Es bleibt die Beweglichkeit der Grundrechte erhalten, die für die Vereinigten Staaten so wesentlich gewesen ist. In den Vereinigten Staaten sind die Grundrechte, die seit 1791 bestehen, in dem Wechsel der sozialen Ordnungen und Struktur immer langsam umgestaltet worden, weil die Angelsachsen viel mehr das Gefühl für das Gewachsensein und die Notwendigkeit einer inneren Umgestaltung haben. Hier wird es so sein, daß der Richter über die Grundrechte, soweit sie im einzelnen formuliert sind, nicht hinweggehen kann. Aber soweit die Fassung die Freiheit läßt, kann er sich immer auf den wechselnden Gehalt des Naturrechts berufen. Das kommt damit zum Ausdruck, und das ist so wesentlich. Dann können wir vielleicht den Art. 1 vorläufig abschließen. Ich schlage vor, daß wir die Grundrechtsartikel an die Presse erst herausbringen, wenn wir sie fertig haben.

eigentlich

(Zustimmung.) 601

Nr. 29

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Wir werden innerhalb der Grundrechte noch manches umstellen müssen und bei der Umstellung noch manches ändern müssen. Es hat wenig Sinn, das jetzt einzeln herauszubringen18). [Schließung der Sitzung, nächste Sitzungstermine]

18)

Das Kurzprot. enthielt noch folgenden Beschluß zur Bekanntgabe der Beratungsergebnisse an die Presse: „Auf Anregung des Vorsitzenden Dr. v. Mangoldt (CDU) beschließt

der Ausschuß, die Beratungsergebnisse der 1. Lesung der Grundrechtsbestimmungen erst nach endgültiger Formulierung des voliständigen Grundrechtskatalogs der Presse bekanntzugeben." Bei der Bekanntgabe von Formulierungen der Präambel war es nämlich zu Differenzen gekommen. (Vgl. Dok. Nr. 11, Anm. 21). Das Beratungsergebnis dieser 22. Sitzung wurde in einem internen Papier festgehalten (BVerfG, Z 150 Pari. Rat,

Grundsatzausschuß,

602

1.4

Kurzprotokolle).

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November 1948

Nr. 30 des Ausschusses für 19. November 1948

Dreiundzwanzigste Sitzung Z 5/33, Bl.

Kurzprot.:

2-261). Stenogr. Wortprot, undat. und

Nr. 30

Grundsatzfragen

ungez.

Z 12/45, Bl. 47-50. Drucks. Nr. 294

Anwesend2) : CDU/CSU: Blomeyer, Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 10.19-12.05

[1. ZWEITE LESUNG DER GRUNDRECHTSARTIKEL (ART. 1-6 a), FORTSETZUNG]

[a. Würde des Menschen (Art. 1)] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich eröffne die Sitzung3). Ich darf noch einmal kurz auf Art. 1 zurückkommen, in der Fassung, die wir ihm in der letzten Sitzung gegeben haben. Dazu hat Herr Dr. Eberhard vorge-

schlagen,

zu

sagen:

(3) In den nachstehenden Artikeln für

unser Volk aus unserer Zeit geformt usw. niedergelegt, binden diese Grundrechte Dr. Bergsträsser: Das wäre die Festlegung der Wandelbarkeit, der Elastizität. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist richtig. Die Worte „für unser Volk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt" klingen gut und verbessern die bisherige Verfassung. Diese Fassung gibt ziemlich genau das wieder, was wir uns gedacht ha-

und

.

..

ben.

Dr. Bergsträsser: Nur müßten wir den Herren der Redaktionskommission auch noch beibringen können, daß wir uns dabei etwas gedacht haben, was nachzudenken sie versuchen sollten4). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich schlage dafür folgendes Verfahren vor. Wir leiten das Ergebnis unserer Beschlüsse über die Grundrechte dem Hauptausschuß und dem Präsidenten zu. Gleichzeitig teilen wir mit, daß wir unsere Grundrechtsartikel unter Heranziehung und Berücksichtigung der Vorschläge des Redaktionskomitees revidiert und neu geformt haben, wobei auch der Redaktionsausschuß 27—32 (S. 7, 9, 17, 20 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Nach dem Kurzprot. wurde zunächst über das weitere Arbeitsprogramm gesprochen: „Der Ausschuß ist sich einig, zunächst den gesamten Grundrechtskatalog in 2. Lesung fertigzustellen und anschließend die einzelnen Grundrechtsbestimmungen noch daraufhin durchzusehen, ob und inwieweit .Übergangsbestimmungen' erforderlich sind." 4) Zur Kritik an der Arbeit des Allgemeinen RedA vgl. Dok. Nr. 29, Anm. 3. Bezug genommen wurde im folgenden auf die vom Allgemeinen RedA formulierten Art. 1—20, hier abgedr. als Dok. Nr. 28.

!) Bl.

603

Nr. 30

Dreiundzwanzigste Sitzung

19. November 1948

durch eines seiner Mitglieder5) vertreten war und Gelegenheit hatte, die Auffassung seines Ausschusses darzulegen. Damit ist sichergestellt, daß unsere Fassung und nicht jene des Redaktionsausschusses Grundlage der Beratung des Hauptausschusses sein wird. Ich glaube, das ist der richtige Weg.

(Zustimmung.)

[b. Freiheit des Menschen, freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2)] Ich darf nun übergehen zu Art. 2 a in der Fassung, die unser kleiner Redaktionsausschuß6) ihm gestern gegeben hat. Vorweg muß ich bemerken, daß eine Einigung über die Vorschläge der Fraktio-

der CDU/CSU über den Schutz des Lebens und den Schutz gegen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit bis jetzt nicht herbeigeführt werden konnte7), und zwar nicht etwa, weil der Grundgedanke nicht anerkannt würde, daß nen

5) Vgl. Dok. Nr. 29. Vertreter des Allgemeinen RedA war Thomas Dehler gewesen. 6) Der interne RedA hatte sein Beratungsergebnis vom 8. Nov. 1948 zu den Artikeln 2—5 in einem Papier zusammengefaßt, das hier nicht abgedruckt wird, weil die Fassung der einzelnen Paragraphen im Verlauf der Diskussion verlesen wurde. Ein Exemplar mit Kor7)

rekturen durch v. Mangoldt in: BVerfG Z 150/1.4. Zu den Vorschlägen der CDU/CSU vgl. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 152 f.; Vorschläge für neue Grundrechtsartikel betr. Recht auf Leben, Schutz der Ehe, Verhältnis von Staat und Kirchen, datiert vom 10. Nov. 1948 in: Z 5 Anhang/11. Vgl. auch die undat. und ungez. „Abänderungsvorschläge der CDU/CSU-Fraktion zu den Grundrechtsartikeln" (1—20), die vermutlich zur Vorbereitung der 2. Lesung erarbeitet wurden, in: LHA Koblenz, NL Süsterhenn (700, 177/Nr. 558, Bl. 119-120). Darin waren folgende Änderungen vorgesehen (Artikel beziehen sich auf Drucks. Nr. 203, vgl. Dok. Nr. 16): Zu Art. 1, Abs. 2: Sie ist begründet in ewigen, von Gott gegebenen Rechten, die das deutsche Volk Abs. 3 : Deshalb werden insbesondere folgende Grundrechte Zu Art. 2, Abs. 2: Er hat ein natürliches Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit innerhalb der durch das natürliche Sittengesetz und die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens gegebenen Schranken. Abs. 3: Das Wort „Verwaltung" soll ersetzt werden durch die Worte „öffentliche Gewalt" und hinter das Wort „nur" sind folgende Worte einzufügen „aus Gründen des Gemeinwohls". Er würde also heißen: „In diese Freiheit darf die öffentliche Gewalt nur aus Gründen des Gemeinwohls und im Rahmen der Rechtsordnung eingreifen." Zu Art. 2 a, Abs. 1 : Das Leben des Menschen ist unantastbar. Es kann nur auf Grund des Gesetzes als Strafe für schwerste Verbrechen durch richterliches Urteil für verwirkt erklärt werden. Abs. 2 : Eingriffe in die körperliche Unversehrheit sind unbeschadet der Pflicht zu sofortiger Hilfeleistung bei drohender Gefahr nur im Rahmen des Gesetzes und zum Zwecke der Heilung mit Zustimmung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters statthaft. Unberührt hiervon bleiben Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung. Zu Art. 7, Abs. 2: Die Worte „Im Rahmen der allgemeinen Gesetzgebung" sollen gestrichen werden. Abs. 3: Zusatz: Niemand darf „gehindert oder" gezwungen werden. Abs. 4: Der Absatz kann vielleicht ganz gestrichen werden. Zu Art. 8, Abs. 2 : Müßte noch verständlicher gefaßt werden. Zu Art. 9, Abs. 1: Neue Fassung: „Beschränkungen können nur durch Gesetz angeordnet werden." Zu Art. 12, Abs. 2: Vereinigungen, deren Zweck und Tätigkeit den Gesetzen zuwider .

.

.

.

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604

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es notwendig sei, kaum verhüllte Morde, Zwangssterilisation u. dgl. zu verhüten, sondern weil die Formulierung noch nicht allen Wünschen entspricht. Zunächst hat Abs. 1 Widerspruch gefunden8); man hat eingewendet, mit dieser Formulierung werde gleichzeitig die Todesstrafe anerkannt. Man wünscht durchaus eine Schutzvorschrift gegen Euthanasie und ähnliche Eingriffe in das Leben, aber nicht in der hier vorgeschlagenen Form. Das gleiche gilt bezüglich der Zwangssterilisation und anderer Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit. In der Tat hat sich erwiesen, daß diese Formulierung eine Reihe von Fällen mit umfaßt, die man nicht erfaßt haben will. Nach der gegenwärtigen Fassung des Abs. 2 wären z. B. Schönheitsoperationen, etwa die Umgestaltung der Nase, die nicht zu Heilungszwecken erfolgt, unzulässig. Aus Kreisen der FDP hat man eingewendet, durch diese Fassung werde die Rentenpsychose in gewisser Weise unterstützt und gefördert. Man hat die Schüttler erwähnt, deren Gesundheit durch eine ganz einfache Operation wieder hergestellt werden könne. Ich selbst habe auf die Bruchoperationen hingewiesen. Eingriffe solcher Art sind aber nach der Fassung des Abs. 2 an die Einwilligung des Betroffenen gebunden; liegt diese nicht vor, so lassen sich derartige Operationen nicht durchsetzen, mit der Folge, daß dauernd höhere Renten gezahlt werden müssen. In der Tat sind diese Bedenken gewichtig. Es bestand in unserem Ausschuß durchaus Einverständnis darüber, daß eine Verfassungsvorschrift erwünscht sei, die Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, wie wir sie aus der Nazizeit her kennen, verhüte. Aber unsere Formulierung genügt noch nicht allen Anforderungen. Wir haben uns daher entschlossen, in Anlehnung an eine Formulierung der Menschenrechte, wie sie der Entwurf der Vereinten Nationen vorschlägt9), in Art. 2 anstelle des ersten Absatzes einzufügen: (1) Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person.

Es bestand gestern Übereinstimmung darüber, daß der Satz „Der Mensch ist frei" in dieser Form nicht aufrecht erhalten werden könne, weil er nichts sagt. Wir wollten aber auch die Formulierung der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen nicht übernehmen, die lautet: „Alle menschlichen Wesen werden frei und an Würde und Rechten gleich geboren usw.", weil diese nicht Grundsatz unserem daß unmittelbar wir Fassung entspricht, geltende Grundrechte schaffen wollen. .

.

.

oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten und aufzulösen.

Abs. 4: Wird letzter Satz von Abs. 3 Zu Art. 17: Abs. 3 soll Abs. 1 werden. Zu Art. 18: Als zweiter Satz ist etwa einzufügen: „die Bestimmungen des Art. 17 sind hierbei zu beachten." In den Handakten von Pfeiffer ließ sich ein Exemplar der Drucks. Nr. 203 ermitteln, in dem die oben aufgeführten Änderungen sorgfältig eingefügt worden waren (Z 5 Anhang/11, Bl. 206-246); ein Vorentwurf hierzu ebenda Bl. 181-205. 8) Die SPD hatte die Streichung dieses Abs. gefordert. Vgl. Änderungsvorschläge (Dok. Nr. 24, Anm. 5). 9) Abdr. als Dok. Nr. 10. 605

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Immerhin ist hier ein erster Versuch gemacht, auch das Recht auf Leben zu gewährleisten. Es besteht nun die Möglichkeit, durch eine andere Formulierung den Wünschen, die in dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zum Ausdruck kommen, Rechnung zu tragen, indem man den Abs. 1 des Art. 2 entsprechend ergänzt. Was Art. 2 Abs. 2 betrifft, so haben wir uns davon überzeugt, daß unsere erste Fassung nicht aufrecht erhalten werden kann. Hier erscheint die Kritik von Thoma10) als durchaus stichhaltig, der mit Recht geltend macht, unsere Formulierung besage im Grunde nichts anderes, als daß der Mensch von Rechts wegen frei sei, soweit er nicht von Rechts-wegen unfrei ist. Er darf tun, was die verfassungsmäßige Ordnung nicht beeinträchtigt. Er darf nichts tun, was das Recht verbietet. Damit hebt man in der Tat den Vordersatz vollkommen auf. Der Redaktionsausschuß hat sich inhaltlich der Formulierung angeschlossen, welche die CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagen hat11); er hat sie nur umformuliert. Abs. 2 lautet nunmehr: (2) Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Dr. Bergsträsser: Darf ich dazu eine Frage stellen: Was heißt „Sittengesetz"? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man versteht darunter die Gesetze der Sittlich-

keit. Dr.

Bergsträsser: Was sind „Gesetze der Sittlichkeit"? Lensing: Es gibt doch Sittengesetze; das kann man nicht leugnen.

Dr. Weber: Wie wollen Sie das Strafrecht aufbauen, ohne daß Sie ein Sit-

tengesetz annehmen? Dr. Bergsträsser: Ich bin grundsätzlich gegen solche unklare Begriffe. Man kann da ungeheuer viel hineininterpretieren, z. B., daß das gemeinsame Baden von Männern und Frauen gegen das Sittengesetz verstößt. Das alles hat es schon gegeben. Kurz, der Begriff ist mir zu allgemein. Ich stoße mich auch etwas an den Worten „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit". Ist das nicht ein bißchen zu sehr ins Deklaratorische hinein gesagt? Freie Entfaltung der Persönlichkeit ist doch mehr ein innerer Vorgang. Der Einzelne soll das Recht haben, frei zu handeln, soweit er nicht die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verletzt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber das Wesen der Menschenwürde besteht ja gerade in einer gewissen Freiheit in der Entfaltung der Persönlichkeit. Dr. Weber: Eine Verfassungsbestimmung darf und muß eine gewisse Würde haben. Was freie Entfaltung der Persönlichkeit ist, das zu definieren ist nicht schwierig; darüber besteht weithin Einigkeit. Dr. Bergsträsser: Ich kann mir darunter offen gestanden nichts vorstellen, entschuldigen Sie! Ich bin vielleicht zu dürr.

10)

Zur Kritik von Thoma Anm. 7.

») Vg). 606

vgl.

Dok. Nr. 16.

Dreiundzwanzigste Sitzung Vors. [Dr. gen den

19. November 1948

v. Mangoldt]: Wenn man so argumentiert, so Begriff der Menschenwürde einwenden, daß

kann man

Nr. 30

auch gesich darunter

man

nichts vorstellen könne. Dr. Bergsträsser: Menschenwürde schließt jeden Zwang aus, gegen seine eigene Überzeugung zu handeln. Dies scheint mir eins der wichtigsten Merkmale der Menschenwürde zu sein. Menschenwürde schließt aus, daß jemand geprügelt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Menschenwürde bedeutet vor allen Dingen, frei verantwortlich zu handeln. Dr. Bergsträsser: Menschenwürde ist anders ausgedrückt die Freiheit von Zwang, gegen seine Überzeugung zu handeln. Dr. Eberhard: Ich finde es schön und gut, daß hier von dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit die Rede ist. Freie Entfaltung der Persönlichkeit ist das Gegenstück zum Roboter-System im totalitären Staat, wo es keine Persönlichkeit mehr gibt, sondern nur noch Werkzeuge der Staatsmaschine. Dr. Bergsträsser: Statt des Wortes „Entfaltung" sollte man ein Wort wählen, das die Handlungsmöglichkeit mehr hervorhebt. Dr. Eberhard: Die Persönlichkeit kann sich nur im Handeln entfalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Freie Handlungsfähigkeit der Persönlichkeit trifft auch nicht ganz, was wir ausdrücken wollen. Dr. Bergsträsser: Dies gilt auch für die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Aber vielleicht bin ich auf dem Holzweg. Dr. Weber: Gerade nach den Erfahrungen im Dritten Reich scheint es mir notwendig zu sein, die Menschenwürde hervorzuheben. Menschenwürde ist ein sehr treffender, einfacher und schlichter Ausdruck. Dr. Bergsträsser: Ich weiß genau, was gemeint ist und gemeint sein soll; nur der Ausdruck „Entfaltung" erfaßt es nicht ganz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Atlantik-Charta12) spricht von einem „freien Ausleben" der Persönlichkeit. Wunderlich: Vielleicht sagen wir statt „freie Entfaltung" „freie Entwick-

lung".

Lensing: „Freie Entfaltung" umfaßt alles.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei einem Hinweis auf die verfassungsmäßige Ordnung allein fehlt jede Berücksichtigung der sittlichen Grundlagen unseres Handelns; deshalb ist ohne einen Hinweis auf das ethische Grundgesetz nicht auszukommen. So verstehen wir den Hinweis auf das „Sittengesetz". In

den Rechtsnormen selbst wird ihr sittlicher Gehalt nur selten richtig zum Ausdruck gebracht werden können. Legt man das Gesetz nur nach seinem Wortlaut aus, so kommt man also zu einer rein positivistischen Auslegung. Wir waren uns über die Unbestimmtheit des Begriffs „Sittengesetz" durchaus bewußt und entschlossen uns, das Wort „natürlich" wegzulassen.

12)

Zur Atlantik-Charta vgl. Dok. Nr. 8, Anm. 12.

607

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Bergsträsser: Gerade die Unbestimmtheit dieses Begriffs läßt eben merkwürdige und unhaltbare Interpretationen zu. Dagegen habe ich BedenDr.

ken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eine einheitliche Rechtsprechung wird feste Rechtssätze dazu ausbilden. Auch das Verfassungsleben ist dem Wechsel unterwor-

fen.

Bergsträsser: Wie gesagt: Ich habe Bedenken gegen uferlose InterpretatioMan wird den Begriff „Sittengesetz" so weit auslegen, daß alle möglichen harmlosen Handlungen gegen das Sittengesetz verstoßen. Wir hatten Dr.

nen.

früher in Deutschland solche Auseinandersetzungen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Solche Auseinandersetzungen sind gut und fruchtbar. Ohne sie bildet das Sittengesetz sich nicht. Dr. Bergsträsser: Mir ist jedenfalls sehr unbehaglich dabei zumute. Dr. Weber: Haben Sie Angst? Dr. Bergsträsser: Ja, ich habe ausgesprochen Angst. Dr. Weber: Vor dem Sittenrichter? Dr. Bergsträsser: Vor dem engstirnigen Sittenrichter. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf auf die Erklärung der Menschenrechte im Entwurf der Vereinten Nationen hinweisen13). In Art. 27 Ziff. 2 dieses Entwurfs findet sich die Bestimmung: In der Ausübung seiner Rechte ist jeder nur den Beschränkungen unterworfen, die dazu nötig sind, um die Achtung der Rechte anderer zu sichern und den Forderungen der Sittlichkeit und der Ordnung des allgemeinen Wohlbefindens in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen. Ferner wird gesagt, daß die Erziehung die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Verwirklichung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zum Ziel haben soll. So heißt es in Art. 23 des Entwurfs der UN14). Diese Bestimmungen haben wir gestern gar nicht herangezogen. Da ist also auch von der vollen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit die Rede. Sie sind doch sonst immer für die Fassung des Entwurfs der Vereinten Nationen eingetreten, Herr Dr. Bergsträsser! Dr. Bergsträsser: Ich danke Ihnen für die kleine Bosheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben in unsere Fassung noch einen Gesichtspunkt aufgenommen, den wir zunächst nicht berücksichtigt hatten: die Verletzung der Rechte anderer. Diese Einschaltung hat uns große Schwierigkeiten gemacht. Im übrigen konnten wir uns der reichlich umständlichen Begriffsbestimmung von Thoma15) nicht anschließen. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Vorbehalt des Gesetzes bei Eingriffen in die Freiheit der Persönlichkeit. Die Formulierung von Thoma war für uns zu umständlich. Wir wollten bei unseren einfachen und klaren Formulierungen bleiben. Die in zweiter Linie vorgeschlagene Alternativfassung zu Abs. 3: „innerhalb der Schranken des für alle gleichen Gesetzes" haben wir fallen gelassen; denn sie umfaßt nicht das Gewohnheitsrecht.

13) Abdr. als Dok. Nr. 14) Ebenda. 15) Vgl. Dok. Nr. 18. 608

10.

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Wir haben statt dessen, wie zu Anfang von uns vorgeschlagen, „im Rahmen der Rechtsordnung" gesetzt. Wir sind auch nicht mit einer Verweisung auf spätere Kapitel den gleichen Weg wie Thoma gegangen, der vorschlägt, hier auf den Abschnitt über die Rechtspflege zu verweisen. Wir haben die daraus resultierende Fassung für zu umständlich gehalten und einfach formuliert: Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Alles Nähere findet sich in den Bestimmungen über die Rechtspflege. Die Verweisung darauf ergibt [sich] von selbst, da die lex specialis der Rechtspflege den allgemeinen Bestimmungen des Grundgesetzes vorgeht. Die Verweisung versteht sich von selbst, und überdies muß die Verfassung als Ganzes gesehen, gelesen und ausgelegt werden. Das Wort wird offenbar nicht mehr gewünscht. Wir belassen also das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Falls der Art. 2 zu groß wird, müßte man zwei Artikel daraus machen. Vielleicht gelingt es uns, eine Formulierung zu finden, die allgemeine Zustimmung findet. Ich darf also annehmen, daß diese Bestimmungen jedenfalls zunächst in der vorgetragenen Form angenommen sind. Wir waren uns gestern darüber einig, daß unmittelbar auf Art. 1 der Gleichheitssatz folgen soll. Wir haben ihn hier noch nicht eingeschoben, weil wir die Diskussion darüber in der alten Reihenfolge vornehmen wollten. Dr. Eberhard: Der Hauptausschuß hat beschlossen, sämtliche Artikel zunächst in Anlehnung an den Entwurf von Herrenchiemsee zu numerieren16). Was nicht hineinpaßt, soll die Bezifferung a, b, c usw. erhalten. Dabei hat es heute schon Mißverständnisse gegeben. Namentlich Herr Dr. Seebohm konnte sich gar nicht in diese Reihenfolge hineinfinden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man sollte immerhin von den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates erwarten können, daß sie nicht bloß auf die Numerierung, sondern auch auf den Inhalt sehen. Dr. Eberhard: Das mehrfache Ändern ist aber auch nicht gut. Zweifellos ist der Vergleich zwischen den Formulierungen des Redaktionsausschusses, des Ausschusses für Grundsatzfragen und des Herrenchiemseer Entwurfs schwierig, wenn man plötzlich die Numerierung ändert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man gezwungen ist, eine Bestimmung einzuschieben, dann muß man zur Bezifferung a, b, c usw. greifen. Praktisch läßt sich die Umnumerierung niemals vermeiden. Aber der Redaktionsausschuß hätte die Sache in Ordnung bringen müssen.

16)

Der Beschluß des HptA weisbar.

zur

Numerierung war in den gedruckten Protokollen nicht nach609

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[c. Freiheit der Person (Art. 3)] Wir kommen dann zu Art. 3. Hier wurde Abs. 1 Die Freiheit der Person ist unverletzlich

unverändert übernommen. Wir konnten uns aber nicht entschließen, die sehr umständlichen Regelungen der Absätze 2 ff. in den endgültigen Vorschlag zu übernehmen. Hier kommt es nach unserer Auffassung vor allem auf eine einfache und durchsichtige Sprache an. Außerdem hat der Rechtspflege-Ausschuß das Bedürfnis, die Einzelheiten in dem Abschnitt über die Rechtspflege zu regeln. So sind wir zu unserer Formulierung des Abs. 2 gekommen, die sich an das Vorbild der praktisch denkenden Angelsachsen anschließt: (2) Niemand darf willkürlich verhaftet oder festgehalten werden. Die Einzelheiten finden sich in dem Abschnitt über die Rechtspflege, weiter in den Durchführungsgesetzen. Man könnte noch hinzufügen die Bestimmung: „Das Nähere regelt das Gesetz". Daran schließt sich dann gut Abs. 3 an: (3) Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. Der Redaktionsausschuß hatte folgende Formulierung vorgeschlagen: Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Sie darf nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Ich meine, unsere Formulierung des Abs. 2 ist viel besser. Dr. Eberhard: Abs. 2 spricht von „verhaften" und „festhalten". Verhaften ist nur der Akt der Festnahme. Man muß unterscheiden zwischen Festnahme und Festhaltung. Es ist doch besser, zu sagen: Niemand darf willkürlich verhaftet oder festgehalten werden. Die Fassung des Redaktionsausschusses enthält darüber gar nichts. Sie besagt nur, daß die Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden darf. Die Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen ist namentlich für den Laien viel durchsichtiger. Die Verbindung zwischen den Absätzen 2 und 3 ist klar und logisch. Leasing: Wäre es nicht besser, in Abs. 2 statt „verhaftet" „festgenommen" zu sagen. Dann ergibt sich die Verbindung zu Abs. 3 ganz leicht, der von „festgehaltenen" Personen spricht. Der Leser hat dann sofort Klarheit darüber, daß beides gemeint ist. Ich möchte vorschlagen, in Abs. 2 zu sagen „verhaftet und festgenommen". Dr. Bergsträsser: Das ist doch dasselbe! Dr. Eberhard: Ich hatte vorgeschlagen: „festgenommen oder festgehalten". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ihre Formulierung würde nicht genügen, Herr Lensing. Der Sinn ist, daß bei der Festnahme oder Festhaltung nicht willkürlich vorge-

gangen werden darf. Lensing: Wenn jemand festgenommen Verhaftung ist eine weitere Maßnahme. 610

wird, ist

er

noch nicht verhaftet. Die

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Verhaftung ist die Durchführung eines Haftbefehls. Das ist der feststehende Inhalt des terminus technicus „Verhaftung". Jemand wird auf Grund eines Haftbefehls verhaftet, der gegen ihn erlassen ist. Diese Verhaftung ist die Festnahme. Leasing: Wenn die Polizei jemand auf frischer Tat ertappt, nimmt sie ihn fest, aber sie verhaftet ihn nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das nennt man vorläufige Festnahme. Dr. Eberhard: Das würde auch dafür sprechen, zu sagen: „festgenommen". Das entspricht auch dem Sprachgebrauch. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Um alle Fälle zu decken und jede Unklarheit zu beseitigen, müßte man vielleicht sagen: „Niemand darf willkürlich festgenommen, verhaftet oder festgehalten werden." Dann haben wir alles drin. Ich bin mir bloß über die Reihenfolge noch nicht ganz klar. Jeder kann nach der Strafprozeßordnung einen anderen auf frischer Tat festnehmen. Das ist eine vorläufige Festnahme. Dr. Eberhard: Der Begriff der Festnahme schließt nicht schon die Verhaftung ein. Dr. Bergsträsser: Die Verhaftung setzt einen Haftbefehl voraus. Festnahme ist ohne Haftbefehl möglich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist richtig. Nach der Strafprozeßordnung kann jeder, der einen anderen auf frischer Tat ertappt, diesen vorläufig festnehmen. Die Verhaftung erfolgt aber nur auf Grund richterlichen Haftbefehls. Ich glaube, wir einigen uns auf folgende Fassung des Abs. 2: Niemand darf willkürlich festgenommen, verhaftet oder festgehalten werden. Im übrigen scheinen gegen Art. 3 keine Beanstandungen mehr vorzuliegen.

[d. Auslieferung und Asylrecht (Art. 4)] Zu Art. 4 erhoben sich Bedenken gegen die Worte „ans Ausland". Man machte geltend, es verstehe sich von selbst, daß ans Ausland ausgeliefert werde. Wir haben uns gleichwohl entschlossen, die Worte „ans Ausland" stehen zu lassen; denn es muß möglich sein, daß ein Verbrecher auch an die Ostzone ausgeliefert wird. Darüber könnten Zweifel beim Wegfall der Worte „ans Ausland" bestehen. Die Fassung ist unbedenklich, zumal der politisch Verfolgte nach Abs. 2 Asylrecht genießt. Wir haben diese Bestimmung bewußt weit gefaßt, um einem politisch Verfolgten die Möglichkeit des Verbleibs im Bundesgebiet zu belassen. Wir konnten uns nicht entschließen, dem Vorschlag des Redaktionsausschusses zu folgen und zu sagen: Kein Deutscher und kein politisch verfolgter Ausländer darf ausgeliefert werden. Wir halten es nach den völkerrechtlichen Grundsätzen über das Auslieferungsrecht für eine Selbstverständlichkeit, daß ein politisch Verfolgter nicht ausgeliefert werden darf. Der Redaktionsausschuß hat den Begriff des Asylrechts enger gefaßt; er will es nur Deutschen und auch nur unter Beschränkungen geben. Er stützt sich dabei auf einen Vorschlag Thoma's17),

17) Dok. Nr.

16.

611

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der das Asylrecht zwar nicht auf Deutsche beschränken, sondern es auf Ausländer ausdehnen will, aber nur, wenn sie wegen ihres Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden politisch verfolgt werden. Wir haben indes einen besonderen Grund, nach dieser Richtung vorsichtig zu sein. Uns ist eine kommunistische Eingabe18) zugegangen, die politisch Verfolgten das Asylrecht gewähren will, wenn sie ihr eigenes oder ein anderes Land wegen antifaschistischer oder antimilitaristischer Betätigung verlassen mußten. Das ist also das Gegenstück zu dem, was Thoma empfiehlt. Nimmt man eine solche Beschränkung auf, dann kann die Polizei an der Grenze machen, was sie will. Es ist dann erst eine Prüfung notwendig, ob die verfassungsmäßigen Voraussetzungen des Asylrechts vorliegen oder nicht. Diese Prüfung liegt in Händen der Grenzpolizei. Damit wird das Asylrecht vollkommen unwirksam. Wir haben dafür Erfahrungen aus dem letzten Krieg, namentlich von der Schweiz her19). Man kann das Asylrecht nur halten, wenn man die Bestimmung ganz einfach und schlicht faßt: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Das Wort wird nicht mehr gewünscht; Art. 4 ist also angenommen.

18) Abänderungsantrag der KPD vom 27. Okt. 1948 zu der in der 1. Lesung vom AfG angenommenen Fassung der Grundrechtsartikel, vgl. Dok. Nr. 16 (S. 104 in: Z 5/203, Bl. 281): „Zu Art. 2. Absatz 3 soll ersetzt werden durch die 2. Fassung des Absatzes 3 des Artikels 2. Zu Art. 4. Absatz 2 soll lauten: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, wenn sie ihr eige-

oder ein anderes Land wegen antifaschistischer oder antimilitaristischer Betätigung verlassen mußten. Zu Art. 5. Abs. 3 soll gestrichen werden. Begründung: Der Absatz stellt eine Beschränkung der in den Absätzen 1 und 2 verkündeten Grundsätze dar. In einer demokratischen Republik wird das Volk aus dem Gefühl der Solidarität heraus bei Notzuständen ohne gesetzlichen Zwang zur Hilfeleistung schreiten. Die Arbeitsverhältnisse von Personen, die durch Gerichtsbeschluß einer Freiheitsentziehung unterworfen sind, werden durch die Strafvollzugsordnung geregelt. Zu Art. 8. Abs. 3 ist zu streichen, da sein Inhalt die in diesem Artikel gewährten Rechte einschränkt. Zu Art. 11. Dieser Artikel sollte lauten: Alle Menschen haben das Recht, sich überall ohne Anmeldung und ohne besondere Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Zu Art. 12. Abs. 3 und 4 sind zu streichen. Sie werden ersetzt durch den Artikel 7 im Antrag der Fraktion der KPD über die Gewährung der sozialen Grundrechte. Zu Art. 13. Für diesen Artikel wird folgende Fassung vorgeschlagen: Es gibt nur die deutsche Staatsangehörigkeit. Alle deutschen Staatsangehörigen haben in jedem Land die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Niemand darf in mehr als einem Land zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden. Zu Art. 15. Dieser Artikel soll lauten: Jeder Deutsche hat nach seiner charakteriichen Eignung, seinen Befähigungen und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen nes

Zugang.

streichen. Sie werden ersetzt durch Artikel 11 und folgende im Gewährung der wirtschaftlichen Grundrechte." 9) Samuel Werenfels: Der Begriff des Flüchtlings im Schweizerischen Asylrecht. Europäische Hochschulschriften, Bd. 11/868. Bern 1987. Zu Art. 17 und 18, sind

zu

Antrag der Fraktion der

612

KPD über die

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Freizügigkeit (Art. 5)]

Wir kommen zu den Art. 5 und 6, die wir gestern in unserem Ausschuß20) behandelt haben. Wir waren uns dabei darüber klar geworden, daß Freizügigkeit und freie Berufswahl zwei verschiedene Dinge sind. Wir haben geglaubt, uns dem Vorschlag des Redaktionskomitees anschließen zu sollen und diese beiden Freiheiten voneinander zu trennen: in einem Artikel die Freizügigkeit einschließlich der Freiheit in der Wahl des Ortes der Niederlassung oder des Aufenthaltes, und in einem anderen Artikel die Freiheit der Berufswahl und der Wahl des Arbeitsplatzes. Aber wegen der engen Verbindung zwischen der Freiheit in der Wahl des Aufenthaltes und Wohnsitzes und der Unverletzlichkeit der Wohnung haben wir uns entschlossen, die Bestimmung der Unverletzlichkeit der Wohnung voranzustellen. So sind wir zu folgender Formulierung des Art. 5 Abs. 1 gekommen: Alle Bundesangehörigen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Sie haben das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Wir haben dem Vorschlag Dr. Mücke's21), statt „Bundesangehörige" „Deutsche" zu setzen, nicht folgen können, weil wir damit Pflichten übernehmen würden, die zu erfüllen wir außer Stande sind. Wir würden damit den 16 Millionen Deutschen östlich unserer Grenzen die Möglichkeit geben, ohne weiteres von dem Recht der Freizügigkeit und der freien Wahl des Aufenthalts und Wohnsitzes im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Wir sind dabei von der Auffassung ausgegangen, daß die Flüchtlinge auf Grund Landesrechts innerhalb drei Monaten das Wahlrecht haben, also Staatsbürger werden und so als Bundesangehöri-

gelten. Blomeyer: Gilt diese Überlegung auch in Art. 4? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da ist es gerade umgekehrt. Da ist es wichtig, daß die Bestimmung auf die Deutschen bezogen wird. Dr. Eberhard: Hierzu wäre anzumerken, daß der Redaktionsausschuß in seinen

ge

zu den Art. 21 bis 44 eine Übergangsbestimmung vorsehen will, die bestimmt, wer Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist. Diese Bestimmung wird auch die Flüchtlinge umfassen. Es wäre zu überlegen, ob an dieser Stelle auch etwas über die Bundesangehörigen gesagt wird. Ich denke, daß alles gehört in eine Übergangsbestimmung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir werden uns am Schluß unserer Beratungen noch darüber klar zu werden haben, ob und welche Übergangsbestimmungen wir brauchen. Blomeyer: Ist der zweite Satz des Art. 5 nicht überflüssig? Ist das nicht alles schon mit dem Begriff der Freizügigkeit gesagt?

Bemerkungen

20) Gemeint ist hier der interne Unterausschuß,

tigt wurden.

21) Vorschlag Dr. Mücke als Drucks.

von

dessen

Sitzung Protokolle nicht gefer-

Nr. 255 in: Z 5/94, Bl. 134-140.

613

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Mangoldt]: Das Grundrecht der Freizügigkeit hat sich so eingebüres im Grundgesetz nicht missen wollen. Andererseits ist der Inhalt der Freizügigkeit nicht für jeden ohne weiteres verständlich. Wir bestimmen daher die Freizügigkeit als das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets Vors. [Dr.

v.

gert, daß wir

Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Übrigens ist dem Redaktionskomitee hier etwas schier Unbegreifliches passiert, indem es in den Art. 5 Abs. 2 das aufgenommen hat, was wir in Abs. 2 als Beschränkungen für die Unverletzlichkeit der Wohnung festgelegt hatten. Dieses letztere Recht darf nur durch Gesetz und nur dann eingeschränkt werden, wenn es zur Abwehr einer schweren Gefährdung der Sicherheit notwendig ist. Die Freizügigkeit kann durch Gesetz überhaupt nicht beschränkt werden. Daher muß die vom Redaktionsausschuß vorgesehene Beschränkung unter allen Umständen verschwinden. In Art. 5 sollten keinerlei Einschränkungen vorgesehen werden; wenn eine Einschränkung nötig sein sollte, dann nur in den Übergangsvorschriften. Wir sind uns völlig bewußt, daß diese Vorschrift zunächst noch nicht in vollem Umfange angewandt werden kann. In Abs. 2 sollten die Bestimmungen über die Unverletzlichkeit der Wohnung angefügt werden. Hier empfiehlt es sich, die Kritik heranzuziehen, die in verschiedenen Eingaben zum Ausdruck gekommen ist22). Zunächst geht Thoma23) im wesentlichen nur auf die Beschränkungen ein; sein Absatz 1 besagt in anderer Formulierung dasselbe wie unsere Fassung. Art. 10 des Entwurfs der Vereinten Nationen24) sagt: Niemand darf ungerechtfertigten Einmischungen in sein Privatleben oder das seiner Familie, in seine Wohnung und seine Korrespondenz oder mißbräuchlichen Angriffen auf seinen Ruf ausgesetzt werden. Die Eingriffe in die Korrespondenz sind im Schutz des Brief- und Postgeheimnisses enthalten. Es ist die Frage, ob man die anderen Sicherungen in unser Grundgesetz einbauen soll. Das wäre noch zu überlegen. Dr. Bergsträsser: Den Schutz des guten Rufs haben wir schon bei der Presse. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die ungerechtfertigte Einmischung in das Privatleben und die Familie ist in etwa schon durch die freie Entfaltung der Persönlichkeit erfaßt, wird aber freilich dadurch nicht ganz gedeckt. Dr. Weber: Ich finde die Formulierung „ungerechtfertigte Einmischung in sein Privatleben oder das seiner Familie" reichlich ungenau. Das Fürsorgerecht sieht Eingriffe in die Familie vor. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir kommen zur Unverletzlichkeit der Wohnung. Das Redaktionskomitee schlägt vor: „Die Wohnung ist unverletzlich". Diesen Absatz können wir übernehmen. Abs. 2 würde lauten: Durchsuchungen können nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. 22) Vgl. z. B. die Eingabe Nr. 23) Dok. Nr. 18. 24) Dok. Nr. 10. 614

202 in: Z 5/107, Bl. 25.

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glaube, wir können uns dem anschließen. Wir kommen zu Abs. 3, der etwas schwierig zu formulieren ist. Wir werden uns dabei auf das stützen können, was wir schon festgelegt hatten, uns aber andererseits der Formulierung des Art. 5 Abs. 2 des Redaktionsausschusses annähern können. Hierzu liegt noch eine Eingabe „Hutten"25) und des Kollegen Dr. de Chapeaurouge26) vor, die er mit seinen Freunden in Hamburg ausgearbeitet hat. Der erstere Antrag schlägt vor allem vor, einzufügen:.oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen". Ich möchte unter Berücksichtigung dieses Vorschlages folgende Fassung vorschlagen: Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot oder zur Bekämpfung von Seuchengefahr vorgenommen werden. Herausgelassen habe ich nur „zum Schutz gefährdeter Jugendlicher". Ich glaube, das brauchen wir nicht mehr anzuführen, da dieser Fall bereits durch die Worte „zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und OrdDer Redaktionsausschuß sagt hier: „dürfen". Ich

nung" gedeckt ist. Dr. Bergsträsser: Das möchte ich bezweifeln. Den Schutz gefährdeter Jugendlicher müssen wir schon expressis verbis erwähnen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann fügen wir noch ein: „oder zum Schutz gefährdeter

Jugendlicher".

Freizügigkeit. Man nimmt nun an, daß die Absätze nähere folgenden Bestimmungen über die Freizügigkeit bringen. Das ist aber nicht der Fall. Hier werden vielmehr ganz verschiedene Dinge in einem Artikel zusammengefaßt, und darin sehe ich eine Gefahr. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es dürfte tatsächlich besser sein, den Art. 5 auf die Regelung der Freizügigkeit zu beschränken und die Bestimmungen über die Wohnung in einem besonderen Artikel zusammenzufassen. Wunderlich: Wir waren uns gestern schon darüber klar geworden, daß wir diese beiden Punkte auch äußerlich trennen wollten. Wir wollten nicht den gleichen Fehler machen wie die Redaktionskommission. Dr. Eberhard: Abs. 1 behandelt die

[f. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art.

6

neu)]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir werden also die Wohnung in einem besonderen Art. 6 behandeln. Er würde dann lauten: (1) Die Wohnung ist unverletzlich. (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

25) 26)

Eine Eingabe „Hutten" ließ sich nicht ermitteln. Vgl. auch Dok. Nr. 41, Anm. 105. Die Eingabe Chapeaurouge (Nr. 616) zur Unverletzlichkeit der Wohnung ließ sich nicht

ermitteln.

615

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dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer vorgenommen werden. Dr. Eberhard: Man könnte auch sagen: „Darüber hinausgehende Eingriffe und Beschränkungen.. ." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten also sagen: „Darüber hinaus dürfen Einaber das ist nicht ganz richtig. Es handelt sich griffe und Beschränkungen" hier eigentlich um die schwereren Eingriffe. Ein Eingriff in der Form der Durchsuchung ist viel schwerer zu werten als ein Eingriff zur Behebung der Raumnot. Wenn man „Darüber hinaus" sagt, verkehrt man die Rangfolge der Eingriffe. Wir sind zu dieser merkwürdigen Anordnung nur dadurch gekommen, daß der Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung zunächst nur die Wendung gegen den Staat gehabt hat im Sinne des englischen Sprichwortes: My home is my castle. In der Gegenwart kristallisiert sich aber das Interesse viel stärker um die Wegnahme einer Wohnung. Sie fällt auch viel schwerer ins Gewicht als ein anderer Eingriff. Thoma27) weist in seiner Kritik darauf hin, der Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung könne nicht immer eingehalten werden; die Polizei müsse z. B. jederzeit in eine Wohnung eindringen können, um etwa die Begehung eines Verbrechens zu verhindern oder einem Notstand (Feuersbrunst) abzuhelfen. Nach ihm ist die Wohnung eine Freistätte, die ohne Einwilligung des Inhabers von den Organen der öffentlichen Gewalt nur auf Grund Gesetzes oder richterlicher Anordnung betreten werden darf. Was Thoma im übrigen aufführt, sind Bestimmungen der Strafprozeßordnung. Ihre Anwendung ist gedeckt durch unsere Worte „auf Grund eines Gesetzes". Merkwürdigerweise erwähnt er die anderen Fragen, die uns wichtig sind, überhaupt nicht. Dr. Weber: Thoma geht in seinen Formulierungen überhaupt nicht auf die Zustände ein, die uns in der Gegenwart auf den Nägeln brennen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir fassen also diese drei Absätze in einem besonderen Art. 6 zusammen. Dr. Eberhard: Was umfaßt der Begriff „gemeine Gefahr"? Ist der Brand eines Hauses „gemeine Gefahr"? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sobald der Brand nicht begrenzt wird, liegt immer die Möglichkeit einer gemeinen Gefahr vor. Eine andere Frage ist, ob man nicht auch noch das Ergreifen eines entsprungenen Verbrechers einfügen sollte. Aber das ist wohl schon in die Durchsuchung eingeschlossen. Im übrigen sollte man nicht einfach sagen „zur Abwehr einer Gefahr", sondern „zur Abwehr einer dringenden Gefahr" oder „zur Verhütung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit". Dr. Bergsträsser: Ich würde das Wort „dringend" unbedingt drinlassen. Es ist eine alte Erfahrung, daß die Polizeiorgane solche Bestimmungen sehr weit auslegen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Gesetze müßten den Begriff der dringenden Gefahr in ihrem Wortlaut übernehmen und näher umschreiben. Deshalb sollten wir die Ermächtigung zur Gesetzgebung nicht zu weit halten.

(3)

Eingriffe

und

Beschränkungen

gemeinen Gefahr.

.

.

usw.



27) Dok. Nr. 616

18.

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Dr. Eberhard: Was heißt heute „dringend"? Ist es dasselbe wie „große Gefahr"? Wenn man die Auslegung der Verwaltungsrechtswissenschaft heranziehen wollte, müßte man von „unmittelbarer Gefahr" sprechen. Abs. (3) hat also folgenden Wortlaut: (3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden. Dr. Weber: Der Hauptausschuß hat heute morgen beschlossen, im Anschluß an den Entwurf von Herrenchiemsee zu numerieren28). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir überlassen die Umnumerierung dem Hauptausschuß oder dem Redaktionsausschuß.

[g. Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl, Zwangsarbeit (Art.

6

a)]

Dr. Eberhard: Ich würde in einem Art. 6 die Unverletzlichkeit der Wohnung, in einem Art. 6 a das Recht der freien Berufswahl regeln. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Abs. 1 des Art. 6 a würde lauten: (1) Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen. Vielleicht sagen wir statt „und" „oder". Dr. Eberhard: Nein; das ist ein Gegensatz. Ein Mann wählt den Beruf eines Metallarbeiters und nimmt eine Stelle in der und der Fabrik an. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Abs. 1 hat noch einen Zusatz: „Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden." So schlägt der Redaktionsausschuß vor. Wir hatten früher beschlossen: „Dem Gesetz bleibt es vorbehalten, die Berufsausübung zu regeln". Der Vorschlag des Redaktionsausschusses scheint mir besser.

Hier ist

eine erhebliche Zweifelsfrage entstanden: Wie steht es mit den Zulassungsbestimmungen zu einem Beruf? Wenn ein Beruf eine besondere Vorbildung erfordert, so kann das Gesetz Vorschriften über die besonderen Voraussetzungen zur Berufsausbildung erlassen. Nur diejenigen, die gewisse Kenntnisse nachweisen, können den Beruf ausüben. Mir scheinen sie unter die angeführte Klausel zu fallen. Wie steht es nun aber mit der Frage des numerus nun

clausus?

Dr. Bergsträsser: Es gibt auch noch besondere Zulassungsvorschriften für bestimmte Berufe, z. B. die Ärzte und Apotheker. Hier erhebt sich die Frage, ob diese Fälle durch die Fassung des Redaktionsausschusses gedeckt sind, wonach die Berufsausübung durch Gesetz geregelt werden kann. Die Vorbildung für ei-

2S) Im Prot,

war

dieser Beschluß nicht nachzuweisen. 617

Nr. 30 nen

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bestimmten Beruf ist

zu

19. November 1948

unterscheiden

von

der

Ärzten, der ich im übrigen skeptisch gegenüberstehe. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Gewerbeordnung enthält

Zulassung,

z.

B. bei den

an verschiedenen Stellen der Bejahung eines Bedürfnisses abhängig machen. Es gibt Berufe, bei denen solche Vorschriften gar nicht zu umgehen sein werden. Man muß hier schon das Vertrauen zum Gesetzgeber haben, daß er die Dinge vernünftig regelt. Dr. Bergsträsser: Bezüglich der Bedürfnisfrage bin ich der Meinung, daß das den Staat nichts angeht. Der Staat ist doch kein Kindermädchen. Lensing: Man kann doch an sich sehr tüchtige Leute durch derartige Beschränkungen nicht von einem Beruf ausschließen. Ich habe gegen solche Beschränkungen die größten Hemmungen. Dr. Bergsträsser: Heute ist es so, daß die Ärztekammern junge Ärzte kaum noch zulassen. Dabei haben die Ärzte Sprechstunden von 2 Uhr bis 11 Uhr nachts. Was hier geschieht, ist weiter nichts als eine Versicherung auf hohes Einkom-

Vorschriften, die die Zulassung

zu

einem Beruf

von

men.

Dr. Eberhard: Natürlich kann da

Unfug angerichtet werden. Aber man muß auf die Vernunft des Gesetzgebers vertrauen, daß er im Einzelfalle eine zweckmäßige Regelung trifft. Dr. Weber: Nur darf eine Verfassungsbestimmung eine solche Gesetzgebung nicht unmöglich machen. Dr. Bergsträsser: Man muß zwei verschiedene Dinge trennen. Da ist zunächst die Ausbildung, die einer nachweisen muß, um einen bestimmten Beruf ausüben zu können. Wenn ich als Regierungspräsident nichts mehr zu tun habe, kann ich nicht einfach sagen, jetzt werde ich Heilkundiger. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nach der Gewerbeordnung sind die Gewerbe grundsätzlich frei, soweit sich nicht in der Gewerbeordnung Bestimmungen finden, die die Gewerbefreiheit beschränken. Die Auslegung war so, daß die Verwaltung niemand von der Zulassung zu einem Gewerbe ausschließen konnte, sofern nicht eine besondere Bestimmung vorsah, daß bei der Zulassung die Bedürfnisfrage zu prüfen sei oder daß nur eine beschränkte Zahl zugelassen war. Solche Vorschriften wird man wohl kaum entbehren können. Auf Grund des Satzes, daß die Berufsausübung durch Gesetz geregelt wird, kann die Zulassung zu einem Beruf nicht völlig gesperrt werden. Aber im übrigen muß man die Entscheidung, wo eine Vorschrift nicht mehr zur Regelung der Berufsausübung gehört und der Ausschluß von der Zulassung beginnt, doch weitgehend dem Gesetz überlassen. Thoma hat an unserer Fassung keine Kritik geübt. Ich glaube, wir können Abs. 1 in folgender Form belassen: (1) Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden. Der Redaktionsausschuß schlägt folgenden Abs. 2 vor: (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Ausnahmen sind nur im Interesse des gemeinen Wohls im Rahmen einer allgemeinen öffentlichen Dienstleistungspflicht und nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Dies entspricht im wesentlichen unserer Fassung. 618

Dreiundzwanzigste Sitzung

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Eingabe der Gewerkschaften29) zur Hand, die und die Worte „im Rahmen einer allbeanstandet ursprüngliche Fassung für alle öffentlichen gleichen Dienstleistungspflicht" für zu weit halgemeinen ten. Sie möchten eine Einschränkung auf die Behebung von Notständen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geht nicht. Die Reinigung der Bürgersteige ist kein Notstand, muß aber trotzdem gemacht werden. Es ist eine herkömmliche Dienstpflicht. „Notstand" ist viel zu eng. Es handelt sich da um eine im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen Dienstpflicht liegende Leistungspflicht, und zwar nicht nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes, sondern zum Teil auf Grund Gewohnheitsrechtes. Zu Abs. 3 hat ein Studienrat, ein „Wortverbesserer" die Worte „im Vollzug einer" beanstandet und schlägt dafür vor „bei einer"30). Das ist tatsächlich besDr. Eberhard: Ich habe hier die

unsere

ser.

Der Redaktionsausschuß hatte hier noch eingefügt: „im Interesse des gemeinen Wohls". Wir hatten Bedenken gegen diesen Zusatz. „Im Interesse des gemeinen Wohls" liegt schließlich auch die Dienstverpflichtung zum Uranbergbau in Oberschlema31). Das hat uns etwas abgeschreckt. Wir können also im Abs. 2 einfach sagen: „Ausnahmen sind nur im Rahmen einer allgemeinen öffenüichen

Dienstleistungspflicht zulässig."

Der Redaktionsausschuß hat eine außerordentliche Abneigung gegen den Begriff Zwangsarbeit bekundet. Wir haben diesen Begriff hier bewußt eingeführt,

Gegensatz zu Abs. 2 klar hervorzuheben. Es wird sich empfehlen, die Bestimmung über die Zwangsarbeit in einem besonderen Absatz zu geben. Dann ergibt sich eine gute Kadenz. Abs. 3 würde also lauten: Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

um

29)

30) 31)

den

Eingabe des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen vom Okt. 1948 (Z 5/109, Bl. 79—86, vgl. Dok. Nr. 33, Anm. 31) schlug folgenden Wortlaut vor: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Ausnahmen sind nur im Rahmen einer allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht zur Behebung oder Abwendung von besonderen Notständen zugelassen. Zwangsarbeit ist nur im Vollzug einer Die

gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig." Die Vorschläge dieses Einsenders wurden noch mehrfach Anm. 33. Zum Uranbergbau in der SBZ durch die

behandelt.

Vgl.

sowjetische Aktiengesellschaft

Dok. Nr. 33, Wismut

vgl.

Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Der Uranbergbau in der Sowjetischen Besatzungszone. Materialien zur Wirtschaftslage in der Sowjetischen Zone; als Manuskript gedruckt (1951). Ferner Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg., wissenschaftliche Leitung Peter Christian Ludz): DDR-Handbuch. 2. A. Köln 1979, Stichwort „Uranbergbau". 619

Nr. 30

Dreiundzwanzigste Sitzung

19.

November 1948

Damit haben wir unsere heutige Aufgabe erfüllt32). In unserer nächsten Sitzung werden wir die schwierigen Bestimmungen über die Religionsausübung und die Pressefreiheit zu behandeln haben.

32) Das Kurzprot. enthielt als Anlage die in sung der Art. 1—6 a. In der Text geändert. y

Vorlage

auf

2.

am 19. Nov. 1948 angenommene FasText unverändert, Seite links unten: x

Lesung

jeder

=

=

„Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung, y (2) Mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde x

Achtung

erkennt das deutsche Volk jene gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, die das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden. y (3) In den nachstehenden Artikeln für unser Volk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt, binden diese Grundrechte Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht. Artikel 2 y (1) Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person, y (2) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. y (3) In diese Freiheit darf nur im Rahmen der Rechtsordnung eingegriffen werden, x (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Artikel 3 x (1) Die Freiheit der Person ist unverletzlich. y (2) Niemand darf willkürlich festgenommen, verhaftet oder festgehalten werden, x (3) Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. Artikel 4 y (1) Kein Deutscher darf ans Ausland ausgeliefert werden, x (2) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Artikel 5 y Alle Bundesangehörigen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Sie haben das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Artikel 6 x (1) Die Wohnung ist unverletzlich. y (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. y (3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden. Artikel 6 a (bisher Artikel 5 Abs. II u. III) y (1) Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden. x (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht, y (3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zuläs-

sig." 620

Viemndzwanzigste Sitzung

23.

November 1948

Nr. 31

Nr. 31

Vierundzwanzigste

Sitzung des Ausschusses für 23. November 1948

Grundsatzfragen

Z 5/34, Hl. 201-242. Stenogr. Wortprot., undat. und ungez. Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 45-46. Drucks. Nr. 308

Anwesend1): CDU/CSU: Lensing, v. Mangoldt, Mayr, Schräge, Süsterhenn SPD: Bauer, Bergsträsser, Eberhard, Nadig FDP: Heuss DP: Heile

Stenografischer Dienst: Koppert Dauer: 16.17-18.40 Uhr [1. ZWEITE LESUNG DER GRUNDRECHTSARTIKEL, FORTSETZUNG: FREIHEIT DES GLAUBENS UND DES GEWISSENS (ART. 7)2)]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten in der letzten Sitzung die zweite Lesung bis Art. 6 a durchgeführt. Wir kommen heute zum Art. 7, der über die Glaubens- und Gewissensfreiheit handelt. Wir wenden bei der Beratung zweckmäßig dasselbe Verfahren an wie bisher, daß wir zunächst die Bedenken hören, die gegen die Fassung geäußert worden sind und zu den Eingaben Stellung nehmen. Zunächst hat der Redaktionsausschuß unter Übernahme gewisser Bedenken, die Prof. Thoma geltend gemacht hat3), den Abs. 1 wie folgt formuliert4): (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ist unverletzlich. Thoma meint hierzu, es gelte nicht so sehr, die Freiheit des Glaubens und der Überzeugung zu schützen wer sollte die auch antasten? —, als vielmehr die Freiheit, seine Überzeugung offen zu bekennen. Es besteht also der Grundsatz der unbeschränkten Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Nach dem Entwurf der VN5) hat jede Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Hier ist also nicht von Überzeugungsfreiheit, sondern von Gedankenfreiheit die Rede. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, die Religion oder den Glauben zu bekennen, wie auch die Freiheit, seine Religion oder seinen Glauben allein oder gemeindurch Erklärung und durch Befolgung von Riten sam, öffentlich wie privat. zum



.

zum

Ausdruck

zu

.

bringen.

1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Nach dem Kurzprot. sprach man zunächst über die Eingaben mit Vorschlägen über die Bundesflagge. Dr. Bergsträsser und Lensing wurden vom Ausschuß beauftragt, diese

Eingaben

3) Dok. 4) Dok. 5) Dok.

zu

sichten.

Nr. 18. Nr. 28. Nr. 10.

621

Nr. 31

Vierundzwanzigste Sitzung

23. November 1948

Der Entwurf der VN regelt sodann die Frage des Bekenntnisses in Art. 17. Danach hat jedes Individuum das Recht auf Freiheit der Meinung und Äußerung, worin das Recht einbegriffen ist, wegen seiner Meinung nicht beunruhigt zu werden. Der Redaktionsausschuß läßt in seiner Formulierung die Freiheit der Überzeugung weg und setzt dafür die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ein. Dr. Eberhard: Ich halte das für eine Verbesserung. Thoma hat mit seiner Feststellung ganz recht, daß einem die Freiheit der Überzeugung, die er in seinem Kopf hat, sowieso nicht genommen werden kann. Es kommt auf das Bekennen an.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten diese Frage in der Fraktion erörtert und sind dazu gekommen, anzunehmen, daß die Freiheit des Bekenntnisses schon in der Meinungsfreiheit liegt, also in dem folgenden Artikel. Dies entspricht auch der Absicht des Entwurfs der Vereinten Nationen. Dieser Entwurf legt ganz bewußt in seinen Menschenrechten nur das Recht auf Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit nieder und behandelt im nächsten Artikel genau wie wir bisher die Freiheit der Meinungsäußerung. Dr. Süsterhenn: Ich glaube, man kann dem Vorschlag von Thoma zustimmen. Art. 7 nimmt eine unmittelbare Verbindung von Religion und Weltanschauung an, während Art. 8 schlechthin die allgemeine Gedankenfreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung unter Einbeziehung von Presse, Rundfunk, Film usw. umfaßt. Ich glaube, die Fassung des Redaktionsauschusses, die auf eine Anregung von Thoma zurückgeht, stellt eine Verbesserung dar. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich hatte mir gestern folgende Formulierung entworfen: „Die Glaubens-, Gewissens-, Gedankenfreiheit wie die Freiheit ihres Bekenntnisses sind unverletzlich". Es fragt sich, ob wir die Freiheit der Überzeugung herausstreichen sollen. Dr. Heuss: Ist Glauben und religiöses Bekenntnis nicht das gleiche? Ich sehe darin eine gewisse Tautologie. Jedenfalls ist es nach meinem Gefühl das gleiche. Wir haben vorn den Glauben, und dann kommt noch einmal das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis. Dr. Süsterhenn: Bekenntnis ist etwas, was in die Öffentlichkeit hineintritt und hineinwirkt, während Glauben ein innerer Vorgang ist. Der Glaube soll aber auch dann geschützt werden, wenn er praktisch nicht so ohne weiteres beeinträchtigt werden kann. Dr. Bergsträsser: Das ist richtig. Glaube ist das, was ich zunächst nur privat äußern kann. Er muß aber auch vor Verfolgung geschützt werden. Nehmen wir das Beispiel der ernsten Bibelforscher6). Sie wurden in der Nazi-Zeit verfolgt wegen ihres Bekenntnisses. Man muß das irgendwo sagen. Dr. Heuss: Ich hatte zunächst die Empfindung, daß der Schutz des Glaubens beides deckt, den Glauben wie das Bekenntnis dieses Glaubens, zumal die Äußerung in einem besonderen Artikel geschützt wird.

') D. Hellmund: Geschichte der Zeugen Jehovas. Diss. Hamburg 1972. Michael H. Kater: Die ernsten Bibelforscher im Dritten Reich, in: VfZ 1969, S. 181-218. 622

Vierundzwanzigste Sitzung Dr.

23. November 1948

Bergsträsser: Die Äußerung des Glaubens ist das,

übung

was man

Nr. 31

Religionsaus-

nennt.

Dr. Heuss: Ich verstehe diese Auffassung. Nur sollten wir bestrebt sein, die Verfassung nicht mit Vorschriften zu belasten, die vielleicht überflüssig sind und eine gewisse Tautologie darstellen. Ich werde mich aber gegen die Unter-

nicht wehren. Mangoldt]: Ich habe einige Bedenken gegen die Wiederholung der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses". Ich hatte daran gedacht, dafür kürzer zu sagen: „die Freiheit ihres Bekenntnisses". Dr. Süsterhenn: Das paßt aber nicht auf das Gewissen. Dr. Heuss: Man könnte sagen: „Die Freiheit des Gewissens, des Glaubens und des Bekenntnisses". Dr. Süsterhenn: Diese Fassung beschränkt sich dann nicht auf das rein Religiöse; dann steht neben dem Religiösen das Weltanschauliche. Der Anhänger einer areligiösen Weltanschauung wird sich nicht als Anhänger eines Glaubens bezeichnen. Dr. Bergsträsser: Z. B. die Freidenker. Dr. Süsterhenn: Wir gehen zunächst davon aus, daß die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich ist. Hier sind innere Tatbestände gegeben, innere Entscheidungen. Dazu kommt nun noch das Bekenntnis des religiösen und weltanschaulichen Glaubens. Schließlich kommt die Religionsausübung dazu. Sie ist mehr als bloßes Bekenntnis, sondern drückt sich in Kulthandlungen, Liturgie usw. aus und wirkt auf diese Weise in den öffentlichen Raum hinein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben zunächst den Glauben und das Gewissen. Das ist das Innere. Dieses Innere stellen wir dem Außen, dem Bekenntnis, ge-

scheidung

Vors. [Dr. v. Worte „des

genüber. Ich würde sagen: „Die Freiheit des Glaubens wie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich". Ich glaube, diese Fassung ist richtiger; sie hebt die beiden Seiten, das Innen und das Außen hervor. Wir könnten also so formulieren: „Die Freiheit des Glaubens und Gewissens wie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Damit ist gesagt: Die innere und die äußere Freiheit in Glaubenssachen sind unverletzlich. Dr. Bergsträsser: An sich gibt es keine zwei Freiheiten dieser Art, sondern nur eine, und die hat zwei Beziehungen. Dr. Heuss: An sich ist die Freiheit nicht teilbar. Es erhebt sich hier eine Schwierigkeit, weil die Freiheit einerseits mit dem Glauben und Gewissen, andererseits mit dem religiösen und weltanschaulichen Bekenntnis kopuliert ist. Dr. Bergsträsser: Ich mache den Vermittlungsvorschlag, Herrn Dr. Pfeiffer zur Lösung dieser Grammatik-Aufgabe heranzuziehen. Er ist der beste Grammatiker unter

uns.

Dr. Eberhard: Ich würde sagen: „Die Glaubensfreiheit und die Bekenntnisfrei-

heit sind unverletzlich". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte auch sagen: „Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnis623

Nr. 31

Vierundzwanzigste Sitzung

23. November 1948

sind unverletztlich". Diese redaktionelle Frage können wir aber dem Hauptausschuß zur Lösung überlassen. Nun möchte ich mir den Vorschlag erlauben, die beiden nächsten Absätze zu verbinden. Dieser Vorschlag ist in meiner Fraktion gemacht worden. Die Fassung würde also lauten: (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet7). Niemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder einer religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu beses

nutzen. ergibt eine klare

Gliederung: auf der einen Seite das Positive, nämlich die Religionsausübung; auf der anderen Seite die Freiheit von Zwang zu einer Religionsausübung. Dr. Bergsträsser: Man hat hier an unserer Formulierung etwas geändert. Wir sprachen von „religiösen Übungen". Hier aber ist von einer religiösen Übung die Rede. Religiöse Übungen sind ein ganz bestimmter Begriff der katholischen Kirche. „Religiöse Übung" ist dagegen kein klarer Begriff. Das

Freiheit der

Dr. Süsterhenn: Der Plural scheint mir besser zu sein. Dr. Bergsträsser: Der Ausdruck „religiöse Übungen" geht auf die

„Geistlichen

Übungen"

des Ignatius von Loyola8) zurück. Dr. Süsterhenn: Ich stimme dem Plural zu, wobei ich allerdings die Begründung, die Herr Dr. Bergsträsser gegeben hat, mir nicht zu eigen machen möchte. Dr. Eberhard: Ich habe Bedenken gegen die Häufung von Substantiven. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben uns über diese grundsätzliche Frage lange unterhalten. Feierlichkeiten spielen in der Öffentlichkeit eine große Rolle, und gerade bei einer Feierlichkeit besteht eine besondere Möglichkeit, Menschen zu

einer religiösen Handlung zu zwingen. Dr. Süsterhenn: Man denke an die Teilnahme an einer Fronleichnamsprozession. Die Fronleichnamsprozession wäre eine religiöse Handlung, zu der jemand

.

gezwungen werden kann. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Verbindung einer Feierlichkeit mit einer religiösen Handlung ist häufig. Wir sollten diesen Gesichtspunkt nicht außer acht lassen. An solchen Dingen hat man sich vielfach gestoßen. Der Vorschlag, den ich mir notiert habe, hebt das schärfer heraus, macht es deutlicher. Lenslng: Wir können das ruhig akzeptieren. Das ist an sich klar. Dr. Süsterhenn: Man könnte das so interpretieren: Die Störung des religiösen Kumulativaktes soll verboten sein. Nicht so klar ist aber ausgesprochen, daß der Einzelne nicht gehindert werden darf, daran teilzunehmen. Um auch das festzulegen, wäre es zweckmäßig zu sagen: „Niemand darf gehindert oder gezwungen werden". Dr. Heuss: Man wird den Erlaß einer

Behörde, daß man an einer Feier nicht teilnehmen dürfe, nicht als Verbot ansehen können. Der Ausdruck „Störung" trifft das nicht ganz. 7) Folgt gestrichen: „Die allgemeinen Gesetze bleiben unberührt." 8) Ignatius von Loyola (1491—1556), katholischer Ordensgründer baskischer Herkunft. 624

Vierundzwanzigste Sitzung

23.

November 1948

Nr. 31

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man hat nach dem Wortlaut der Weimarer Verfassung diese Bestimmung als subjektives Recht auf Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Religionsausübung ausgelegt, wie man ja überhaupt allgemein aus diesen Sätzen subjektive Rechte hergeleitet hat. Dr. Bergsträsser: Die hessische Verfasung spricht von einer ungestörten Religionsausübung und von der Freiheit der Vereinigung zu Religions- und Weltan-

schauungsgemeinschaften9). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man sollte das hier hineinsetzen. Dazu gehört auch noch die Selbstverwaltung der Religionsgemeinschaften. Diese Dinge gehören auch zu den Grund- und Freiheitsrechten und sollten daher gewährleistet sein. Dr. Heuss: Wir geraten da nun in das grundsätzliche Problem der sogenannten Lebensordnungen hinein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten also sagen: „Niemand darf gehindert oder gezwungen werden", oder „gezwungen oder gehindert werden". Dr. Süsterhenn: „Gehindert werden" gehört nach vorn, weil es sich hier um die logische Fortentwicklung des Freiheitsgedankens handelt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann empfiehlt es sich vielleicht, hier einen selbständigen Absatz zu machen. Dr. Süsterhenn: Ja! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nach dem Entwurf der VN10) schließt dieses Recht die Freiheit ein, die Religion oder den Glauben zu wahren usw. Hier wird nur die Freiheit gewährleistet; das Gegenstück, das Verbot des Zwanges, fehlt. Ich glaube, wir müssen noch einmal zum Abs. 2 zurückkommen. Hier ergibt sich eine Abweichung zwischen der Fassung des Redaktionsausschusses und jener des Ausschusses für Grundsatzfragen. Wir hatten gesagt: „Im Rahmen des allgemeinen Gesetzes". Dr. Eberhard: Ich wäre dafür, das wegzustreichen. Dr. Heuss: Ich habe in meinen Drucksachen die Fassung gefunden: „Niemand darf gehindert oder gezwungen werden". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ein Vorschlag meiner Fraktion11). Dr. Heuss: Eine Religionsausübung ist ungestört, wenn sie nicht gestört und nicht verhindert werden kann. Die ungestörte Religionsausübung ist ein objektiver Vorgang, eine religiöse Feier oder Handlung, etwa Fronleichnam. Sie steht unter dem Schutz dieser Verfassungsbestimmung. Die kirchliche Handlung darf nicht gestört oder verhindert werden. Wer an einer Fronleichnamsprozession teilnehmen will, darf daran nicht gehindert werden. Andererseits darf keiner dazu gezwungen werden. Dr. Süsterhenn: Ursprünglich haben wir die Anregung erwogen, einzufügen: „Niemand darf gehindert oder gezwungen werden ..". Wir sind aber nachher zu dem Ergebnis gekommen: Daß einer weder gehindert noch gezwungen werden darf, an religiösen Handlungen teilzunehmen, das ergibt sich schon aus .

9) Art. 46 der hessischen Verfassung 10) Entwurf der VN vgl. Dok. Nr. 10. ") Dok. Nr. 30, Anm. 7.

vom

1. Dez. 1946.

625

Nr. 31

Vierundzwanzigste Sitzung

23.

November 1948

dem Recht auf ungestörte Religionsausübung. Dieses Recht ist nicht nur ein individuelles Recht, sondern ein Recht auf gemeinschaftliche Religionsausübung. Wenn wir die beiden Absätze verbinden, dann legen wir auf der einen Seite das Recht auf ungehinderte Religionsausübung fest, während wir auf der anderen Seite bestimmen, daß niemand zur Teilnahme an religiösen Handlungen gezwungen werden darf. Diese Fassung ist paritätisch und nach beiden Seiten hin abgewogen. Dr. Heuss: Die Worte „ungestört" und „gehindert" verkörpern zwei Akte. Das Wort „ungestört" bezieht sich auf den objektiven Akt einer religiösen Handlung, während ich das von Ihnen eingeschobene „gehindert" nicht so empfinde. Dr. Süsterhenn: In der bisherigen Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen heißt es: „Die ungestörte Religionsausübung wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet". Mit Hilfe dieses Gesetzesvorbehaltes „im Rahmen der allgemeinen Gesetze" wäre es möglich, durch einfaches Gesetz das Recht auf ungestörte Religionsausübung zu beseitigen. Wir legen aber Wert darauf, die ungestörte Religionsausübung in der Verfassung ausdrücklich festzulegen, und zwar so, daß dieses Recht nicht durch einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt aufgeweicht werden kann. Man könnte nun einwenden, ja, auch die Religionsausübung muß sich in den Rahmen der allgemeinen öffentlichen Ordnung einfügen. Diesen Gedanken bejahen wir auch. Aber die neue Formulierung des Art. 2 besagt, daß das Grundrecht der persönlichen Freiheit nur gilt, soweit es nicht Rechte anderer verletzt, soweit es nicht die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens oder das Sittengesetz beeinträchtigt. Damit sind schon die Schranken gegen einen Mißbrauch einer Berufung auf ungestörte Religionsausübung gegeben. Man darf damit nicht Firlefanz usw. treiben. Diese Begrenzung genügt mir, so daß ich auf den Gesetzesvorbehalt an dieser Stelle gern verzichten würde. Dr. Bergsträsser: Ich habe nichts dagegen. Ich bin völlig damit einverstanden. Die hessische Verfassung kennt diesen Gesetzesvorbehalt auch nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art. 2 besagt: Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er dabei nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Es fragt sich, ob man die Freiheit der Religionsausübung unter den Begriff der freien Entfaltung der Persönlichkeit bringen kann. Dr. Heuss: Natürlich! Dr. Bergsträsser: Natürlich! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben die Freiheit der Religionsausübung behandelt einmal vom Standpunkt des subjektiven Rechts. Wir haben aber auch die Auffassung vertreten gefunden, daß es sich hier um ein Gemeinschaftsrecht der Religionsgemeinschaften als solcher handelt. Es ist nun eine Auslegungsfrage, über die wir uns noch klar werden müssen, ob man dieses Recht unter das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit subsumieren kann. Das scheint mir einigermaßen zweifelhaft zu sein. Dr. Süsterhenn: Die ungestörte Religionsausübung besteht tatsächlich in der Entfaltung der geistig-seelischen Persönlichkeit, die sich in der glaubensmäßigen Betätigung nach der subjektiven Auffassung des einzelnen manifestiert. Das 626

Vierundzwanzigste Sitzung

23.

November 1948

Nr. 31

Koalitionsrecht wurzelt letzten Endes in der Menschenwürde und in der Freiheit der Person. Es scheint mir aus dem allgemeinen Koalitionsrecht, das an anderer Stelle behandelt wird, logisch abgeleitet zu sein. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir sind zu der Einschaltung „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" im Anschluß an den Wortlaut der Weimarer Verfassung gekommen12). Der bayerische Entwurf13) sagt: „innerhalb der Schranken des allgemeinen Gesetzes". Mit der uneingeschränkten Gewährleistung der Religionsausübung wird jede Regelung durch Gesetz unmöglich gemacht, und jedes Gesetz, das die Religionsausübung irgendwie einschränkt, ist insoweit verfassungswidrig. Hier erhebt sich nun eine Frage, die sehr genau untersucht werden muß: Ist jedes allgemeine Gesetz, z. B. ein Gesetz über die öffentliche Ordnung insoweit verfassungswidrig, als es einen Einfluß auf die ungestörte Religionsausübung haben kann? Die Frage ist, ob man eine solche Auslegung aufrecht erhalten kann. Dr. Bergsträsser: Danach würde etwa ein Gesetz, wie es Napoleon I. erlassen hat, wonach Prozessionen nicht stattfinden dürfen, wo eine ordentliche evangelische Kirche ist, verfassungswidrig sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde unserem Artikel 20 widersprechen. Hier dreht es sich um folgende Frage: Es ergeht ein allgemeines Gesetz, das für das gesamte öffentliche Leben gilt. Dieses allgemeine Gesetz wirkt sich an irgendeiner Stelle auch auf die Religionsausübung aus. Ist das verfassungswidrig? Dr. Heuss: Eine Frage: Darf eine Prozession verboten oder vertagt werden, wenn in einem Ortsteil Seuchengefahr ist? Darf eine Prozession, die nach alter Tradition und Gewohnheit einen bestimmten Weg nimmt, durch polizeiliche Anordnung wegen Einsturzgefahr u. dgl. umgelegt werden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ein sehr gutes Beispiel. Ein allgemeines Gesetz kann die Bewegungsfreiheit der Einwohner eines Bezirks bei Seuchengefahr einschränken, also auch Umzüge verbieten. Würde ein solches Gesetz, soweit es sich auf die Religionsausübung erstreckt, verfassungswidrig sein? Diese Frage wollen die Worte „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" klarstellen. Dr. Süsterhenn: Solche Beschränkungen im Interesse der Seuchenbekämpfung, aus Gründen der baupolizeilichen Sicherheit und des Verkehrs sind durchaus möglich, weil die Freiheit der Religionsausübung, also etwa die Durchführung einer Prozession, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung des Gemeinwesens gewährleistet ist. Zur verfassungsmäßigen Ordnung des Gemeinwesens gehören nicht nur die Artikel der Verfassung, sondern auch die Gesetze, die in Übereinstimmung mit der Verfassung zur Ordnung des Gemeinwesens ergangen sind, z. B. seuchenpolizeiliche Vorschriften usw. Solche Maßnahmen sind durch die Generalklausel des Art. 2 gedeckt. Wenn ich aber einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt mache, eröffne ich die Möglichkeit zu einer Attacke gegen die ungestörte Religionsausübung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Auslegung erscheint mir zweifelhaft. Die Freiheit der Religionsausübung ist eine lex specialis gegenüber dem allgemeinen Grund-

religiöse

12) Art. 137, Abs. 3 WRV. 13) Vgl. Dok. Nr. 24, Anm.

7.

627

Nr. 31

Vierundzwanzigste Sitzung

recht der freien

23.

November 1948

Entfaltung der Persönlichkeit.

Daher

gelten

nicht die

allgemei-

Art. 3 des Grundgesetzes beverhaftet werden darf. Die Einzelausgestaltung daß niemand willkürlich stimmt, wird aber dem Abschnitt über die Rechtspflege vorgein dieses Grundrechtes

nen

Bestimmungen, sondern die lex specialis.

die lex specialis der lex generalis vor. diese Gefahr besteht, ist das Risiko, wenn ein störrischer Pfarrer sich weigert, seine Prozession trotz der Maul- und Klauenseuche abzusagen, geringer als die Gefahr, daß die ungestörte Religionsausübung durch ein einfaches Gesetz gestört oder gar gehindert werden kann. Bei Abwägung des Für und Wider entscheide ich mich für die erstere Lösung. Nadig: In manchen Gebieten herrscht die Übung, daß Leichen vor der Bestattung in die Kirche überführt werden, wo noch ein Gottesdienst gehalten wird. Darin kann eine enorme Gefahr für die öffentliche Gesundheit liegen, namentlich, wenn der Betreffende an einer ansteckenden Krankheit gestorben ist. Um eine solche Gefahr auszuschalten, bedarf es bei der hier vorgeschlagenen Regelung eines verfassungsändernden Gesetzes. Daher halte ich es für notwendig, die Worte „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" zu belassen14). Dr. Süsterhenn: Wenn es religiöser Brauch ist, Leichen vor der Beisetzung zur Aussegnung in die Kirche zu überführen, so braucht man in diese Übung nicht einzugreifen. Wohl aber kann angeordnet werden, daß Menschen, die an ansteckenden Krankheiten gestorben sind, mit besonderen Vorsichtsmaßregeln zu behandeln sind, Zinnsarg usw. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Tatsache ist, daß durch solche Maßnahmen die Befolgung religiöser Bräuche praktisch verhindert werden kann. Man kann darin schon einen Eingriff in das Grundrecht der freien Religionsausübung sehen. Wir sind uns zunächst darüber einig, daß es wesentlich ist, zu verhindern, daß Spezialgesetze erlassen werden, die die Religionsausübung unmöglich machen. Daher wurde die Fassung „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" gewählt. Wegen dieser Vorschrift kann ein Spezialgesetz, das die Religionsausübung einschränkt oder gar unmöglich macht, nicht erlassen werden. Im übrigen können sich aber aus der neu vorgeschlagenen Formulierung bei der Auslegung erhebliche Unannehmlichkeiten ergeben. Man muß daher sehr sorgfältig vorgehen, damit man uns nicht nachher den Vorwurf macht, wir hätten etwas vergessen. Dr. Bergsträsser: Die Bestimmung in der hessischen Verfassung, die seit zwei Jahren in Kraft ist, hat bisher zu keinerlei Schwierigkeiten bei der Auslegung geführt, obwohl sie den Vorbehalt „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" nicht enthält. Im übrigen möchte ich mich als Nichtjurist in diese Feinheiten der Unterscheidung nicht einmischen. Wenn Herr Dr. Süsterhenn darauf Wert legt, so habe \ ich nichts dagegen. Dr. Heuss: Ich verstehe die Erwägungen des Herrn Dr. Süsterhenn durchaus. Ich bin von mir aus bereit, den Zusatz „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" zu streichen. Vielleicht gelingt es auf diese Weise, die Besorgnis zu beseitigen, nommen.

Auch da

geht

Dr. Süsterhenn: Selbst

wenn

14) Folgt gestrichen: „weil 628

sonst das Gesundheitsamt

überhaupt nicht tätig

werden kann."

Vierundzwanzigste Sitzung

23.

November 1948

Nr. 31

daß eine politische Mehrheit durch gesetzgeberischen Akt etwas beschließt, was das Grundgesetz verletzt. Ich bin nur etwas in Sorge, daß wir im Hauptausschuß langatmige und schwierige Auseinandersetzungen bekommen. Was wir hier erleben, ist ein typisches Juristengespräch. Wir wollen die Sache nicht in die politische Sphäre abgleiten lassen, sondern danach trachten, daß daraus keine juristischen Konsequenzen für die Verwaltungsrechtspflege entstehen. Es ist die Frage, ob Art. 2 diesen Fall deckt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bisher haben es sämtliche Juristen für notwendig gehalten, die Worte „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" aufrecht zu erhalten; auch Thoma15), auch der bayerische Entwurf16). Dr. Heuss: Ich halte die zweite Fassung des Redaktionsausschusses für besser: Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Die allgemeinen Gesetze bleiben unberührt. Diese Fassung enthält einen starken Schutz, während in den Worten „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" schon eine stille Aufforderung zum Erlaß neuer Gesetze liegt. Ich halte, wie gesagt, die Fassung des Redaktionsausschusses für eine stärkere Sicherung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Fassung des Redaktionsausschusses wiederholt die Weimarer Verfassung. Man hat aber die Weimarer Verfassung anders ausgelegt, nämlich dahin, daß auch Gesetze ergehen können, und zwar allgemein, die eine solche Auswirkung haben. Wenn die Mehrheit für Streichung der Worte „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" ist, so kann das selbstverständlich geschehen. Es wird dann aber nicht zu umgehen sein, daß bei der Beratung im Hauptausschuß die Bedenken rechtlicher Art geltend gemacht werden, die hier bestehen. Dr. Süsterhenn: Von kirchlicher Seite bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Kirchen sich schlechter gestellt fühlen als Presse, Rundfunk und Film. Für die Kirchen ist ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt vorgesehen, während für Presse, Rundfunk und Film ausdrücklich auf Vorschriften des Strafgesetzes und allgemeine gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend verwiesen ist. Hier sind die möglichen Einschränkungen also besonders aufgestellt, an denen das unbeschränkte Grundrecht seine Schranken findet. Dr. Heuss: Diese Frage geht an das Grundsätzliche heran. Die Bestimmungen für Presse, Rundfunk und Film sind nicht von uns gemacht, sondern eine Angelegenheit der Gesamtgesetzgebung. Ich habe mich mit Herrn Dr. von Mangoldt schon einmal darüber unterhalten, ob wir überhaupt kirchliche Bestimmungen in das Grundgesetz aufnehmen sollen. Bis jetzt haben wir kirchliche Angelegenheiten als solche betrachtet, die die Länderverfassungen angehen, während bei Presse, Rundfunk und Film eine bundesgesetzliche Regelung unentbehrlich ist. Dr. Süsterhenn: Aber das Recht der freien Religionsausübung gehört zu den subjektiven Rechten. Diese subjektiven Rechte, z. B. auch das Recht der freien Meinungsäußerung, werden stärker beschränkt als die Freiheit von Presse, Rundfunk und Film. Wenn man nun einwendet, in kirchlichen Angelegenheiten 15) Dok. Nr. 18. 16) Dok. Nr. 24, Anm.

7.

629

Nr. 31

Vierundzwanzigste Sitzung

23.

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handele es sich ausschließlich um solche der sich einmal vorzustellen, wie die Situation ist,

so bitte ich, die Länder der Ostzone zu uns stoßen. Dann ist es möglich, durch ein einfaches Landesgesetz die ungestörte Religionsausübung zu beseitigen oder wenigstens zu beeinträchtigen. Betrachten wir auch die Verhältnisse in Rußland, dort können Kulthandlungen vorgenommen werden. Aber es ist dem Priester nicht erlaubt, innerhalb des Gottesdienstes zu predigen. Er kann lediglich liturgische Handlungen vollziehen. Etwas derartiges könnte von einer SED-Mehrheit festgelegt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber nicht aus dieser Fassung. Bei der Fassung „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" sind spezielle gegen eine Religionsausübung gerichtete Gesetze nicht möglich. Wir waren uns darüber klar geworden, daß auch bei Art. 8 etwas über die Regelung durch Gesetze aufgenommen werden mußte. Die moderne Gesetzgebung, z. B. die Gesetzgebung in der Schweiz zur Pressefreiheit, geht dahin, die Möglichkeit zu einer gesetzlichen Regelung des Pressewesens offen zu halten17). Wir werden uns bei Art. 8 mit dieser Frage noch zu befassen haben. Heile: Meine Partei hat ähnliche Bedenken wir Herr Dr. Süsterhenn. Wir haben daher einen Antrag formuliert, der den Herren zugegangen ist18). Danach werden die Kirchen in ihrer Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen und staatlichen Lebens anerkannt und vom Staat geachtet und geschützt. Sie dürfen in ihrer freien Entfaltung nicht beschränkt werden. Die Kirchen verleihen ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen sind durch Vertrag zu regeln. Bestehende Verträge bleiben aufrecht erhalten. Wir haben gedacht, daß damit volle Klarheit geschaffen ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dieser Antrag ist in der Drucksache vom 19. November

Ländergesetzgebung, wenn

enthalten19). Dr. Süsterhenn: Das sind die üblichen grundsätzlichen kirchenrechtlichen Bestimmungen, wie sie in den Länderverfassungen, z. B. in Bayern20), enthalten sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das sind die Bestimmungen, über die wir später noch reden werden. Jetzt müssen wir aber die Beratung über den Abs. 2 abschließen. Wenn die Mehrheit es wünscht, dann lassen wir in zweiter Lesung die Worte „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" heraus. Ich bin aber gewiß, daß es darüber noch zu einer Erörterung kommen wird. Ich weiß, daß gerade die Juristen eine andere Auffassung vertreten. Dr. Bergsträsser: Ich kann nur sagen: Wenn Herr Dr. Süsterhenn die Auffassung hat, das sei für die Freiheit der Kirche richtig und notwendig, gut, wir sind einverstanden. 17) 18) 19) 20) 630

Vgl.

Dok. Nr. 32, Anm. 6. Drucks. Nr. 298. Ebenda. Art. 107 der Verfassung des Freistaates Bayern

vom

2. Dez. 1946.

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Dr. Eberhard: Wir müssen den Gesetzesvorbehalt auch beim Streikrecht erörgewisse Einschränkung ist notwendig. Ich glaube, wir können uns darüber verständigen. Wir sind uns wohl darüber einig: Wir wollen den Gesetzesvorbehalt so selten wie möglich, aber allerdings so oft wie nötig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben noch den Vorwurf von Prof. Nawiasky21), daß wir die allgemeine Regelung, wie sie der Herrenchiemseer Entwurf in tern. Eine

21)

Der im nachfolgenden noch erwähnte Artikel von Nawiasky in der Süddeutschen Zeitung 2. Nov. 1948 wurde als Drucks. Nr. 245 vervielfältigt. Darin hieß es: „Die in Herrenchiemsee ausgearbeiteten Grundrechte sind von Seiten der Sachkenner wegen ihrer knappen und präzisen Formulierang anerkannt worden. Nach dem in der Presse veröffentlichten Grundrechtsentwurf hat man sich zwar im Gesamtaufbau einigermaßen an das Vorbild der Herren-Insel gehalten, in der Textierang aber vielfach andere Fassungen gewählt, über die man verschieden urteilen kann. Gegenüber einigen Änderungen müssen geradezu Bedenken erhoben werden [. ..] Der Herrenchiemseer Entwurf schlägt im allgemeinen den Weg ein, zunächst die einzelnen Grundrechte ihrem Wesenskern nach möglichst kurz und prägnant zu umschreiben, um dann in einem abschließenden Artikel für alle gemeinsam ihre Bestandfestigkeit, ihre Wirkungskraft, ihre Grenzen und die zulässigen Einschränkungen zu normieren. Der Bonner Text verzichtet auf eine derartig umfassende prinzipielle Regelung und greift davon nur einzelne Stücke heraus wie die unmittelbare Bindung der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege auch in den Ländern, sowie die Unzulässigkeit von Einschränkungen, die den Wesensgehalt eines Grundrechtes berühren, während die Umgrenzung und die übrigen Einschränkungsmöglichkeiten bei den einzelnen Grundrechten in kasuistischer Weise geregelt werden. Daß dabei nicht alles Notwendige vorgekehrt, sondern manches vergessen wird, ist für den Kenner der Maximen der Gesetzestechnik nicht weiter verwunderlich. Erwähnt sei beispielsweise, daß die Schranken der SitÜichkeit vielfach weggeblieben sind, auch dort, wo sie niemand vermissen möchte, wie dem religiösen Kult, der Presse, dem Film und Rundfunk. Das Gleiche gilt da und dort von der allgemeinen Privatrechtsordnung, die doch durch die Grandrechte nicht soll in die Luft vom

gesprengt werden. Umgekehrt wird beispielsweise das Recht der freien Meinungsäuße-

rung und Meinungsbildung der Einschränkung durch jedes spezielle Strafgesetz überantwortet, obwohl richtigerweise nur die allgemeine, nicht gegen die Meinungsäußerung und -bildung selbst gerichtete, Strafgesetzgebung in Betracht kommen sollte. Weiter ist nicht zu verstehen, warum ein ganz besonders wichtiger, in dem Herrenchiemseer Entwurf enthaltener, Paragraph ganz unter den Tisch gefallen ist, nämlich die unbedingte Bestandsgarantie der Grundrechte, die danach überhaupt nicht beseitigt werden können, auch nicht im Wege der Verfassungsänderung. Denn schon jeder auf ein solches Ziel gerichtete Antrag ist unzulässig. Die Möglichkeit solch absoluter Sicherungen ist eine Errungenschaft der allerneuesten Staatsrechtstheorie, die vielleicht in Bonn unbekannt war. Einzusehen ist auch nicht, warum die im Entwurf der Herren-Insel klar ausgesprochene sehr wichtige allgemeine Verpflichtung zur Verfassungstreue und zum Gehorsam gegen Verfassung und Gesetz fallengelassen worden ist. Der Entwurf der Menschenrechte der U.N. verzichtet auf eine ähnliche Bestimmung nicht. Schließlich ist noch dem Bedauern darüber Ausdruck zu geben, daß im Gleichheitsartikel der Satz: ,Der Grundsatz der Gleichheit bindet auch den Gesetzgeber,' durch den eine wichtige Streitfrage der Weimarer Verfassung eindeutig entschieden werden sollte, in Bonn gestrichen worden ist." Vgl. auch den kritischen Artikel „Schulaufsatz oder Doktorarbeit. Die Kunst der Gesetzgebung" in der Zeitung „Die Welt" vom 15. Nov. 1948 von Nawiasky. Am 8. Nov. 1948 schrieb er aus St. Gallen an Pfeiffer: „Die ganz unberechtigte Verschlechterung unserer Herrenchiemseer Fassung [der Grundrechte] in Bonn läßt mich aber nicht schlafen. Ich kann nämlich nicht einsehen, warum man einen entscheidenden staatsrechtlichen und verfassungspolitischen Fortschritt, der Schule zu machen geeignet ist, aus Mangel an Einsicht einfach fallen lassen soll" (BayHStA NL Pfeiffer/212). 631

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Art. 2 622) hat, „im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung", nicht übernommen haben. Das bezog sich ebenfalls auf die Bestimmung über die freie Religionsausübung. Wir haben diese Worte mit voller Absicht gestrichen, weil wir der Auffassung waren, daß auf diese Weise eine zu weitgehende Einschränkung unserer Grundrechte hervorgerufen werden würde. Prof. Nawiasky hat uns das außerordentlich übel genommen. Er hat je einen Artikel in der „Welt" und in der „Süddeutschen Zeitung" geschrieben23). Auch hier zeigt sich wieder, daß der Widerstand gegen die Streichung der Worte „im Rahmen des allgemeinen Gesetzes" nicht nur von mir ausgeht. Vielmehr sprechen sich eigentlich alle Juristen und Kritiker dagegen aus. Aber die Mehrheit entscheidet, und so mag es bei der Streichung einstweilen sein Bewenden haben. Gegebenenfalls wird darüber noch im Hauptausschuß zu sprechen sein. Ich darf also annehmen, daß die überwiegende Mehrheit die Streichung der Worte „im Rahmen der allgemeinen Gesetze" wünscht. Ich stelle das fest. Wir haben nun folgenden Wortlaut: (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder einer religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Ei—

desformel

zu

benutzen.

Dr. Bergsträsser: Ich hatte vorgeschlagen, zu sagen „religiösen Übunger/". Dr. Heuss: Ich würde vorschlagen, zu sagen: .Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen .". Das klingt besser. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir kommen zum Abs. 4. Er ist vom Redaktionsausschuß umgeformt worden. Satz 1 lautet: Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Angaben über die Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft dürfen nur verlangt werden, wenn davon Rechte und Pflichten oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert. Die Abweichungen von unserem Wortlaut sind also ganz geringfügig. Dr. Süsterhenn: Gegen diese Fassung hatten wir gewisse Bedenken, nicht sachlicher, sondern mehr formal-redaktioneller Natur. Im ersten Satz heißt es: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren". Grundsätzlich einverstanden! Im zweiten Satz der Fassung des Grundsatzfragenausschusses heißt es: „Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft darf nur in den Fällen gefragt werden .". Nun, wenn danach gefragt wird, kann der Befragte sich auf den ersten Satz beziehen und erklären, er brauche darauf nicht zu antworten, denn niemand sei verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Darin scheint mit ein Widerspruch zu liegen. Wenn ich mitteile, daß ich Angehöriger dieser oder jener Religionsgemeinschaft bin, dann offenbare ich damit gleichzeitig meine religiöse Überzeugung. Frage: Soll man den ersten Satz nicht streichen? Oder muß man ihn nicht umredigieren, damit dieser Widerspruch beseitigt wird? .

.

.

22) Art. 26 ChE kann nicht gemeint sein, vielmehr Art. 23) Abdr. in: Anm. 21. 632

21

.

ChE (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 583).

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dieser Einwand würde gegenstandslos sein, wenn man das „nur" weglassen würde. Es würde dann heißen: „Nach der Zugehörigkeit zu es erfordert". einer Religionsgemeinschaft darf gefragt werden, wenn Dr. Süsterhenn: Das würde immerhin bedeuten, daß die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht zugleich auch eine Frage nach der religiösen Überzeugung des Befragten ist. Wenn man den zweiten Satz einleiten würde mit den Worten: „Jedoch darf .", dann hätte das den Sinn einer Ausnahme. Dr. Heuss: Wenn wir das „nur" streichen, dann läuft der Satz einfach und ohne Anstoß. Dieses „nur" macht den Satz ein bißchen ungeschickt. Dr. Süsterhenn: Das „Jedoch" hebt den Ausnahmefall klar hervor; der Satz gewinnt dadurch einen klareren Sinn. Dr. Bergsträsser: Wenn man das „nur" wegläßt, braucht man das „Jedoch" nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das „Jedoch" macht allerdings den Satz etwas dick. ...

.

.

[2. EINGABEN DER KIRCHEN: AUFNAHME WEITERER KIRCHENRECHTLICHER BESTIMMUNGEN; SCHUTZ VON EHE UND FAMILIE, ELTERNRECHT] Zu dem Artikel

liegen uns noch die Eingaben der Kirchen vor, und zwar eine der evangelischen Kirche der britischen Zone24) und eine Eingabe der Konferenz der Kirchen der britischen Zone25), also der evangelischen und kaEingabe

') Eingabe vom

Nr. 181 von der Konferenz der Kirchen der britischen Zone (Präses D. Koch) 25. Okt. 1948, die in 70 Exemplaren dem Pari. Rat übersandt wurde (Z 5/107, Bl.

315—318). Darin wurde gefordert, in das Grundgesetz aufzunehmen: „I. Die Bedeutung der christlichen Kirchen und der Religionsgemeinschaften für das Leben des Volkes wird anerkannt. Es besteht keine Staatskirche. 2. Die ungestörte öffentliche und private Religionsausübung wird gewährleistet. 2. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgemeinschaften unterliegt keiner Beschränkung. II. Die Kirchen und die Religionsgemeinschaften ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Sie verleihen und entziehen ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und der bürgerlichen Gemeinde." III. [Bestimmungen über den Rechtscharakter der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts] IV. [Bestimmungen über das Recht Steuern zu erheben und Sammlungen bei Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen zu erheben.] V. [Eigentum und Leistungen an die Kirchen.] „VI. 1. Der Sonntag und die staatlich anerkannten kirchlichen Feiertage sind als Tage des öffentlichen Gottesdienstes, der seelischen Erhebung und der Arbeitsruhe geschützt. 2. Die Kirchen und die anerkannten Religionsgemeinschaften sind berechtigt, in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten gottesdienstliche Feiern zu halten und die Seelsorge auszuüben. 3. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach an allen Schulen. VII. Die Bestimmungen dieses Grundgesetzes über Religionsgemeinschaften sind auf Vereinigungen, die sich die gemeinsame Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, entsprechend anzuwenden [. .]". ') Eine entsprechende Eingabe beider Konfessionen ließ sich nicht ermitteln. Allerdings gab es eine Eingabe der Bischöfe beider Konfessionen aus Niedersachsen, die ein Tele.

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tholischen Kirche. Diese Konferenz hat ein acht Punkte umfassendes Programm

aufgestellt26). liegt dazu noch

vor ein Antrag des Bischofs Wurm vom Rat der evangelischen Kirchen Deutschlands27). Darüber müßte noch gesprochen werden. Ein Antrag der Fraktion der CDU/CSU26) versucht, die wesentlichen Punkte, die hier eine Rolle spielen, zusammenzufassen. Vielleicht begründet Dr. Süsterhenn diesen Antrag.

Weiter

gramm unter dem 26. Nov. 1948 an den Pari. Rat (Eingabe Nr. 460, Z 5/109, Bl. 130) richteten, „mit der dringenden Bitte, bei der Gestaltung der Verfassung den Anliegen der christlichen Bevölkerung Rechnung zu tragen. Sie bitten, die gottgegebenen Lebensrechte der Menschen zu schützen, die religiöse Freiheit sowie das Recht der Eltern bezüglich der Erziehung sicherzustellen und die Gültigkeit der in der Vergangenheit mit den Kirchen abgeschlossenen Verträge in der Verfassung anzuerkennen." 26) Die acht Punkte finden sich in der Eingabe der „Konferenz der Kirchen der britischen Zone", die nur die evangelischen Kirchen umfaßte. Vgl. Anm. 24. 27) Eingabe Nr. 311 vom 9. Nov. 1948 vom Vorsitzenden des Rates der EKD, Theophil Wurm (1868-1953), in: Z 5/95, Bl. 37, als Drucks. Nr. 275 vervielf., Abdr. bei Sörgel: Konsensus und Interessen, S. 315. In ihr hieß es u. a.: „Es haben sich seit der Weimarer Verfassung nicht unerhebliche Wandlungen grundsätzlicher staatskirchenrechtlicher und kirchenrechtlicher Auffassungen im Zusammenhang mit dem Kirchenkampf ergeben. Es sollte deshalb davon abgesehen werden, ohne vorherige Fühlungnahme mit der Kirche grundlegende Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche zu formulieren, die hernach unter Umständen Schwierigkeiten und Enttäuschungen hervorrufen, die vermieden werden könnten. So halten wir es insbesondere für unerläßlich, daß in einem besonderen Artikel das Recht der christlichen Kirchen garantiert wird, in dem neuen Staat ihren Glauben auszubreiten und dafür zu werben [...] Im übrigen ist die Evangelische Kirche in Deutschland keineswegs nur an der Regelung ihrer eigenen staatsrechtlichen Stellung in der geplanten Verfassung interessiert, sondern sie hat auch auf anderen Gebieten wesentliche Anliegen. So wird insbesondere eine verfassungsmäßige Sicherung der Elternrechte auf dem Gebiet der Erziehung und Schule, ferner ein Schutz des Lebens, und zwar insbesondere auch des keimenden Lebens, und ein Schutz des Leibes, der wissenschaftliche Experimente an lebenden Menschen ohne deren ausdrückliche Einwilligung und vor allem auch die Sterilisation ausschließt, für notwendig

gehalten [...]". 28) Antrag der CDU/CSU vom 24. Nov. 1948, Drucks. Nr.

302. Zum Zeitpunkt dieser Sitzung der Antrag wohl noch im Stadium der Ausarbeitung wie das Kurzprot. und die späteren Ausführungen von Süsterhenn erkennen lassen. Er lautete : „Art.... (Schutz der Ehe und Familie) Die Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und die aus ihr wachsende Familie sowie die aus der Ehe und Zugehörigkeit zur Familie fließenden Rechte und Pflichten stehen unter dem besonderen Schutz der Verfaswar

sung. Art.... (Elternrecht und Erziehung) Abs. 1 : Pflege und Erziehung der eigenen Kinder ist das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dieses Recht ist auch bei der Bestimmung des religiös weltanschaulichen Charakters der Schule und durch Sicherung der Unterrichtsfreiheit zu wahren. Die Herausnahme von Kindern aus der Familiengemeinschaft gegen den Willen der Erziehungsberechtigten ist nur auf gesetzlicher Grundlage möglich, wenn durch ein Versagen des Erziehungsberechtigten die Gefahr der Verwahrlosung gegeben ist. Abs. 2 : Unbeschadet des Rechts der Eltern, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden, ist der Religionsunterricht schulplanmäßiges Lehrfach in allen Schulen. Er wird —

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Eingaben der Kirchen liegen vor. In engem Zusammenhang damit steht der Antrag der DP-Fraktion29), der soeben verteilt wurde. Nun erhebt sich die Frage: Kann man dieses materielle Kirchenrecht, das Staatskirchenrecht, das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen schon an dieser Stelle hier regeln, oder muß man sich an dieser Stelle hier darauf beschränken, nur das hereinzunehmen, was auf das subjektive Recht der freien Religionsausübung, auf die gemeinschaftliche Religionsausübung und auf die Freiheit der religiösen Koalition Bezug hat? Die Überlegungen, die wir hier anzustellen haben, sind mehr systematischer und gesetzestechnischer Natur. Dr. Bergsträsser: Es ist unsere Auffassung, daß man nur die subjektiven Rechte mit ihren Konsequenzen hier hereinnehmen darf. Alles andere gehört unserer Meinung nach zur Gesellschaftsordnung, die wir in diesem Grundgesetz nicht behandeln wollen. Darüber sind wir uns von Anfang an klar gewesen. Dr. Eberhard: Ich darf dazu noch bemerken: Hier handelt es sich um eine Angelegenheit der Länder. Wir können nicht alles zur Bundesangelegenheit machen. Das wird allmählich beängstigend auch für den, der an sich nicht vom überföderalistischen Standpunkt ausgeht. Dr. Süsterhenn: Auf der anderen Seite erhebt sich auch die Frage: Wenn man nicht eine gewisse Minimalregelung in die Grundrechte hineinnehmen will, indem man gewisse Grundrechte aufführt und im übrigen es den Ländern überläßt, sie entsprechend auszugestalten, welche Konsequenzen ergeben sich dann. Dr. Süsterhenn: Die

nach den Grundsätzen der Kirche in ihrem Auftrage und unter ihrer Aufsicht erteilt." hierzu einen „Entwurf von Abg. Dr. von Mangoldt", ungez. und undat. in: LHA Koblenz, NL Süsterhenn (700, 177, Nr. 649, Bl. 11). Der Art. über die Ehe war dabei bereits ausformuliert. Der Abs. über die Erziehung der Kinder lautete „(2) Pflege und Erziehung der eigenen Kinder ist das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Die Fortführung von Kindern aus der Familie zum Zwecke der Gemeinschaftserziehung ist außer bei Verwahrlosung der Kinder infolge Vernachlässigung der elterlichen Pflicht unzulässig." 29) Anträge der DP vom 19. Nov. 1948 (Drucks. Nr. 298). Die Anträge enthielten drei, unnumerierte Artikel über die Kirchen: „Artikel... : Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen und staaüichen Lebens anerkannt und vom Staat geachtet und geschützt. Aus eigenem Recht ordnen und verwalten sie ihre Angelegenheiten selbständig und dürfen in ihrer freien Entfaltung nicht beschränkt werden. Die Kirchen verleihen ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden. Die Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen sind durch Vertrag zu regeln. Bestehende Verträge sind zu erhalten. Artikel.. .: Die von den Kirchen zur Ausbildung ihrer Geistlichen sowie zur Fortbildung ihrer Glieder errichteten und unterhaltenen Hochschulen, Lehranstalten und sonstigen Einrichtungen unterliegen nicht der Aufsicht des Staates. Artikel... : Das Eigentum und andere Rechte der Kirchen und der von ihnen unabhängigen Organisationen an ihren für Kultur-, Erziehungs- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet. Ihre sozialen Einrichtungen und Schulen werden als gemeinnützig anerkannt. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden bisherigen Leistungen des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbänden an die Kirchen sowie an ihre Anstalten, Stiftungen, Vermögensmassen und Vereinigungen bleiben aufrecht erhalten. Änderungen bedürfen vertraglicher Regelung."

Vgl.

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Ich möchte nach einer Lösung suchen, die auf einen großen Katalog verzichtet, aber auf einige wenige Grundsätze Wert legt, die in einem, höchstens in zwei Artikeln zum Ausdruck kommen sollen. Dr. Heuss: Dagegen habe ich grundsätzliche Bedenken. Ich werde dagegen stimmen, daß über die Kirchen etwas in das Grundgesetz hereinkommt. Ich hoffe dabei vor dem Verdacht geschützt zu sein, daß ich kirchenfeindlich bin. Ich habe im Einvernehmen mit den Vertretern der Kirche als Kultusminister diese Fragen bei der Beratung der württembergischen Verfassung durchgepaukt30). Wir haben in einem Zuständigkeitskatalog die Gesetzgebung des Bundes klar umrissen. Danach ist der Bund weder für Kirchen- noch für Schulangelegenheiten zuständig. Die Einzelheiten bezüglich der Kirchen sind überall in besonderen Abkommen geregelt. Die Verhältnisse liegen bei den evangelischen Kirchen durchaus verschieden, je nach ihrer traditionellen Bindung. Wir haben im Ausschuß für Grundsatzfragen darin lag ein Entgegenkommen der SPD darauf verzichtet, die Lebensordnungen so lautet dieser neumodische Begriff in das Grundgesetz aufzunehmen, z. B. die Bodenreform, Betriebsräte, Sozialisierung usw.31). Nichts von alledem haben wir mit voller Absicht hereingenommen. Auch die Gewerkschaften haben Ansprüche auf Sicherung in der Verfassung angemeldet32). Man hat sich aber entschlossen, sich auf die subjektiven öffentlichen Rechte zu beschränken, die ganz gewiß nicht lauter Individualrechte, sondern Gruppenrechte sind. Wir sollten uns davor hüten, die Schleusen zu öffnen und in ein paar Sätzen die kommende Schulordnung und die Kirchenproblematik festzulegen. Wenn wir die Schleusen aufmachen, dann weiß ich nicht, ob nicht die SPD ihrerseits mit einem Katalog von Lebensordnungen anmarschieren wird. Wir würden dann überhaupt nicht fertig werden. Ein sachliches Bedürfnis für die Kirchen, ihre Gruppenrechte im Grundgesetz festgelegt zu sehen, liegt nicht vor, höchstens ein moralisches Bedürfnis, das man mit dem Hinweis auf die Weimarer Verfassung stützt. Das ging auf Friedrich Naumann33) zurück. Man stand damals unter dem Eindruck der Tätigkeit des preußischen Kultusministers Adolf Hoff mann34), und man fragte sich voll Sorge: Was kann da alles passieren? Diese Dinge sind aber heute in den Landesverfassungen geregelt. Es liegt keinerlei sachliche Notwendigkeit dafür vor, sie im -

-





Grundgesetz

zu

regeln.

Ich sehe hier aber auch ein taktisches Bedenken. Gerade diejenigen, die sehr föderativ denken, müssen spüren, daß, abgesehen von den großen Problemen der katholischen Kirche, die Dinge in der evangelischen Kirche äußerst verschieden sind. Wir können unmöglich Sätze über die Garantie der finanziellen Ansprüche der Kirchen aufnehmen. Ihr Ort sind die Länderverfassungen, wo

30) Zur Frage „Staat und Kirche" bei der Ausarbeitung der Verfassung Württemberg-Badens, s. Paul Feuchte: Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg. Stuttgart 1983, S. 66 ff. 31) Vgl. hierzu die Einleitung, XXIV ff. 32) Zu den Forderungen der Gewerkschaften für das Grundgesetz zusammenfassend vgl. 33) 34) 636

Sörgel: Konsensus und Interessen, S. 201 ff. Vgl. Abdr. von Eingabe Nr. 156 in Dok. Nr. 22, Anm. 23 sowie die Eingabe Nr. 443, vgl. Dok. Nr. 33, Anm. 31. Dok. Nr. 4, Anm. 18. Zu Adolf Hoff mann vgl. Dok. Nr. 6, Anm. 21.

Vierundzwanzigste Sitzung sie in verschiedener nen, wenn wir eine

Abtönung

Reihe

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enthalten sind. Es ist gar nichts damit gewonin den Auswirkungen gar nicht übersehba-

von uns

Sätzen hereinbringen, die im Augenblick nur eine von mir übrigens durchaus geteilte politische Deklaration darstellen. Ich habe volles Verständnis dafür. Aber in den juristischen Kompetenzen ist das, was über das Staatskirchenrecht gesagt werden soll, von uns noch gar nicht zu übersehen. Ich warne davor, und das ist sachlich auch nicht notwendig. Es ist auch taktisch bedenklich und entspricht in keiner Weise dem, was wir als in gewissem Sinne für uns verbindlich angesehen haben. Dr. Eberhard: Ich möchte das unterstreichen. Die Gewerkschaften haben davon Kenntnis genommen, daß die Fraktionen des Parlamentarischen Rates sich dahin geeinigt haben, in den Grundrechtsteil keine näheren Bestimmungen über die Wirtschafts- und Sozialverfassung des deutschen Volkes aufzunehmen. Wir, Dr. Schmid, Herr Zinn und ich, haben damals drei Stunden lang gebraucht, um ein Dutzend Gewerkschaftsvertreter dazu zu bringen, auf solche Anträge zu verzichten35). Wenn wir jetzt auf kirchlichem Gebiet Sonderbestimmungen einfügen, dann werden die Gewerkschaften ihre alten Forderungen wieder aufnehmen, und auch die sozialdemokratische Fraktion wird sich an die frühere Vereinbarung nicht mehr gebunden halten. Die Gewerkschaften haben sich ausdrücklich vorbehalten, ihre endgültigen Forderungen bei der Schaffung der Verfassung für Deutschland zu stellen. Sie werden das jetzt schon tun, wenn von anderer Seite Sonderwünsche geltend gemacht werden. Dr. Süsterhenn: Ich verkenne nicht die schwierige Situation, die durch die Behandlung solcher Themen entstehen kann. Wir wollen die Schleusen auch nicht völlig öffnen, damit nicht der ganze Strom solcher Sonderbestimmungen sich in die Verfassung hinein ergießt. Überdies möchten wir solche Grundsätze so kurz wie möglich fassen, sie gewissermaßen nur grundsatzweise, als pro memoria festhalten. Aber ganz daran vorüber zu gehen ist doch wohl nicht möglich. Auch ich bin dagegen, den Katalog, den die Kirchen aufgestellt und eingereicht haben, in das Grundgesetz aufzunehmen, wie ich auch dagegen bin, daß etwa ein gleich großer Katalog von Gewerkschaftswünschen aufgenommen wird. Wir könnten uns darauf einigen, daß wir einige Hauptgesichtspunkte in komprimierter Form als Leitsätze hineinarbeiten. Wenn wir uns dabei eine gewisse Selbstbeschränkung auferlegen, könnten wir ohne allzu große verfassungsmäßige Schwierigkeiten zu einer allseits befriedigenden Lösung komren





men.

Heile: Ich kann mich den

Argumenten des

schließen; sie decken sich mit

Überlegungen,

Herrn Dr. Heuss nicht ganz verdie wir selbst in unserem Kreis

35) Es fanden offenbar mehrere Gespräche zwischen Gewerkschaftsvertretern und der SPD

statt. Menzel berichtete über ein Gespräch am 3. Dez. an den Parteivorstand unter dem 4. Dez. 1948 wie folgt: „Am Freitag, den 3. 12. verhandelten die Gewerkschaften noch

einmal mit uns, nachdem sie vorher auch bei allen übrigen Parteien eine Rücksprache gehalten haben. Wir wurden uns sehr schnell einig. Es wurden die Fragen der sog. .unechten Grundrechte', der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Bundes-Finanzverwaltung besprochen." (FESt, NL Carlo Schmid/1162). 637

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haben. Die Vorgänge im Osten lassen befürchten, daß die Kirchen dort in eine böse Situation kommen könnten. Daher sollten wir einige wichtige Grundsätze in unsere Bundesverfassung hineinnehmen, wenn auch in Kirchenund Schulfragen grundsätzlich die Länder zuständig sind. Vielleicht genügt es, wenn wir den ersten und letzten Absatz des Antrags der DP36) in das Grundgesetz aufnehmen. Das wären also folgende Bestimmungen: Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlage des menschlichen und staatlichen Lebens anerkannt und vom Staat geachtet und geschützt. Die Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen sind durch Vertrag zu regeln. Bestehende Verträge bleiben erhalten. Dr. Bergsträsser: Der erste Satz widerspricht der Gepflogenheit, an die wir uns im Ausschuß für Grundsatzfragen bisher stets gehalten haben. Er ist vollkommen deklamatorisch und schafft keine unmittelbaren Rechte und Pflichten. Der zweite Satz betrifft eine Ländersache. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen war auch früher schon stets ländermäßig geregelt. Kurz, beide Sätze widersprechen den Grundsätzen, die wir bisher angewendet haben. Wenn Herr Dr. Süsterhenn schließlich meint, man könne einige allgemeine Sätze sagen, die das Notwendige über die Kirchen aussprechen, so steht fest: Je allgemeiner solche Sätze sind, desto schwieriger ist ihre Formulierung. Der eine legt sie so, der andere so aus. Überdies besteht die Gefahr, daß wir, wenn wir allgemeine Sätze für die Kirchen aufnehmen, auch andere Gruppen ihre Ansprüche anmelden werden. Wir werden dann auch für die sogenannten Lebensordnungen eine Reihe von Grundsätzen aufstellen müssen, und darüber werden wir viele Wochen lang sitzen. Ich habe das durchexerziert, als wir die hessische Verfassung machten37). Damals wäre an dieser sogenannten Lebensordnung beinahe das ganze Verfassungswerk gescheitert. Daher meine ich, wir sollten bei unserem bisherigen Verfahren bleiben; es hat sich bewährt. Ich verkenne nicht Ihre Motive, die aus der christlichen Gestaltung des Lebens herkommen; ich erkenne sie an. Aber die süddeutschen Verfassungen enthalten darüber bereits alles Nötige. Es ist anzunehmen, daß auch die anderen Länder sich allmählich Verfassungen geben werden, in denen dann auch die Grundsätze über die Kirchen niedergelegt sind. Ich fürchte, wenn wir auch nur 12 solcher Sätze festlegen wollen, die die sogenannte Lebensordnung betreffen, so werden wir mindestens sechs Wochen darüber sitzen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die vorliegenden Eingaben enthalten noch zwei Fragen zur Sicherung der Menschen- und Freiheitsrechte, die im Anschluß an Art. 7 durchaus noch angeführt werden könnten: zunächst das Recht der Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften. Dieses Recht fällt unter die Vereinigungsfreiheit, wie wir sie in Art. 12 niedergelegt haben. Es erscheint zweckmä-

angestellt

36) Antrag der DP vervielf. als Drucks. Nr. 298. 37) Zu Bergsträssers Arbeit an der Hessischen Verfassung vgl. sein Tagebuch. W. Mühlhausen

ter

638

(Hrsg.): L. Bergsträsser, Befreiung, Besatzung, Neubeginn. Tagebuch Regierungspräsidenten, München 1987.

des Darmstäd-

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darauf auch noch an dieser Stelle hier einzugehen. Man würde das Recht Freiheit in der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften, eine Freiheit, die auf der Religionsausübung dient, sehr gut hier unterbringen können. Dr. Bergsträsser: Einverstanden! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ferner könnte das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre Angelegenheiten selbständig und aus eigenem Recht zu ordnen und zu verwalten, hier auch noch festgelegt werden. Dr. Bergsträsser: Ihrem ersten Vorschlag stimme ich zu; dazu kann ich vorbehaltlos Ja sagen. Die zweite Anregung dagegen liegt etwas komplizierter. Das greift bereits in die gesamten Rechtsverhältnisse der Konkordate und Kirchenverträge hinein. Da gab es z. B. in Hessen bei Bischofswahlen ein Einspruchsrecht des Staates. Wir haben dieses Recht in der hessischen Verfassung beseitigt. Wir können solche Dinge nicht auf Bundesbasis machen. Die hessische Verfassung hat auf diesem Gebiet weithin reinen Tisch gemacht, und die Erfahrung zeigt, daß sich das bewährt hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie sind also, wenn ich recht verstehe, der Meinung, daß man diese grundsätzliche Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen im Grundgesetz nicht aussprechen könne. Das verstehe ich nicht ganz. Dr. Bergsträsser: Die einschlägige Bestimmung der hessischen Verfassung lautet38), daß jede Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für jedermann geltenden Gesetzes verwaltet und ordnet. Diese Bestimmung ist klar. Dr. Süsterhenn: Das Mitwirkungsrecht der Landesregierung bei der Ernennung von Bischöfen usw. war in den Konkordaten des Heiligen Stuhls mit Preußen39) und Bayern festgelegt. Dr. Bergsträsser: Nach der Zirkumskriptionsbulle für das Bistum Limburg hatte der Staat ein Einspruchsrecht gegen die Ernennung eines Kandidaten zum Bischof. Es handelt sich hier grundsätzlich um eine Länderangelegenheit. Wenn wir eine solche Regelung auf der Bundesebene schaffen wollen, dann greifen wir in die Rechte der Länder ein, z. B. des bayerischen Staates. Ich bin zwar nicht Föderalist; aber ich würde mich doch scheuen, das im Grundgesetz auszu-

ßig,

sprechen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte in den Übergangsbestimmungen festlegen, daß bestehende Verträge mit den Kirchen aufrecht erhalten bleiben40).

38) Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946, Art. 49. 39) Zum Konkordat mit Preußen vom 14. Juni 1929 (GS, S. 152) und Bayern

vom 29. März Gesetz- und Verordnungsblatt 1925, S. 53) vgl. Werner Weber: Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart. Textausgabe Göttingen

1924

(Bayerisches

1962. 233 war ein fünfseitiges Schreiben der Leitung der Evangelischen Kirche der Rheinprovinz an Oberpräs. a. D. Dr. Lehr vom 22. Okt. 1948 vervielf. worden, in der die Frage beantwortet wurde, „inwieweit die früher geschlossenen Staatsverträge mit den christlichen Kirchen vom 21. Januar 1925 und etwaige weitere Verträge noch in Kraft geblieben sind oder als in Kraft geblieben behandelt werden."

40) Als Drucks. Nr.

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von dem Grundsatz ausgehen, daß die Kirchengedie ganze Kulturgesetzgebung Sache der Länder ist. setzgebung Wir würden hier zweifellos in einem wichtigen Punkt die Zuständigkeit des Bundes überschreiten. Dr. Heuss: Ich habe nichts dagegen, wenn im Sinne des Vorschlags des Herrn Dr. von Mangoldt und der CDU etwas über die Vereinigungsfreiheit der Religionsgesellschaften gesagt wird. Ich möchte aber nicht die Vereinigungsfreiheit der Kirchen in die allgemeine Vereinigungsfreiheit einbezogen wissen. Die Kirchen sind keine Vereinigungen, sondern Organe. Die Kirchen sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes mit eigenem Steuerrecht; darauf kommt es in der praktischen Auswirkung an. Aber das gehört nicht in die Grundrechte herein. Die Vereinigungsfreiheit der Religionsgesellschaften wird von uns selbstverständlich anerkannt. Aber wenn man diesen selbstverständlichen Grundsatz neben die subjektiven religiösen Sicherungen stellt, so wird die ganze Architektur gestört und beeinträchtigt. Dieser Gesichtspunkt gehört in die Normen über die Gesellschaftsordnung. Nach meinem Gefühl müssen wir die Kirchen aus dem Status und der Situation des freien Vereins herausholen. Man tritt der Kirche nicht bei, sondern man wird in sie hineingeboren oder findet später den Anschluß an sie. Aber das ist kein Beitritt zu einem Verein. Dr. Süsterhenn: Aus diesem Grunde erscheint es immerhin bedenklich, die Frage in diesem Zusammenhang zu regeln. Dr. Heuss: Dies entspräche auch nicht der Würde der Kirche. Die rechtliche Situation ist nach meiner Kenntnis der Dinge ziemlich kompliziert, und wir müßten hier schon maßgebliche Kirchenrechtler hierhaben, um solche Fragen zu klären. Ich kenne die Dinge nur aus dem Umkreis, mit dem ich als Kultminister41) dienstlich zu tun hatte. Dr. Bergsträsser: Ich würde nach dem Vorbild der hessischen Verfassung42) folgende Formulierung vorschlagen: „Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften wird gewährleistet." Das ist eine klare Folgerung aus den subjektiven Rechten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben also zunächst den Satz: „Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens wie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Dr. Bergsträsser: Dann käme der Satz: „Die Freiheit der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird gewährleistet." Über die sprachliche Formulierung können wir uns noch einigen. Dr. Süsterhenn: Vielleicht ersetzen wir das Wort „Freiheit" durch das Wort

Dr.

Bergsträsser: Man muß wie

überhaupt

„Recht". Dr. Heuss: Das dürfte dienlicher sein. Dann müßte

man

allerdings

sagen: „Das

Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften", nicht das Recht zur Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Diese Fassung entspricht der historischen Tradition; damit ist die Kir41) Theodor Heuss war in den lahren 1945—1946 Kultminister in Württemberg-Baden gewesen.

4Z) Verfassung des Landes Hessen 640

vom 1.

Dez. 1946, Art. 48.

Vierundzwanzigste Sitzung che

aus

dem Zustand, daß sie entsteht und sich

23.

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subjektiv entschließt, herausge-

nommen. zur. .", dann könnte das auf die Zukunft bezöge. „Das Recht der ." enthält aber beides, sowohl bestehende wie zukünftige Reli-

Dr. Süsterhenn: Wenn so

man

ausgelegt werden, als ob

sagen würde: „Das Recht es

sich

.

nur

Vereinigung gions- und Weltanschauungsgemeinschaften. .

.

Dr. Heuss: Dabei erscheint mir der Ausdruck „Vereinigung" etwas zu dünn. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben also jetzt folgende Formulierung: „Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens wie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die Freiheit der Vereinigung zu

Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird gewährleistet." Dr. Heuss: Ich möchte statt „gewährleistet" „anerkannt" sagen. Das

ist besser, auch das Gewordene mit einbezieht. Doch Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Besser wäre vielleicht noch „bleibt anerkannt". das geht nicht, weil sich diese Fassung nur auf das Bestehende bezieht. Dr. Bergsträsser: Ich habe eine gewisse Befürchtung, daß der unbefangene Leser fragt: Warum wird es eigentlich noch hingeschrieben, wenn es bleibt? Dr. Heuss: Schreiben wir einfach: „wird anerkannt". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden die übrigen Absätze 2, 3 und 4 folgen. Wie steht es nun mit den Anträgen der Fraktion der CDU43)? Dr. Süsterhenn: Herr Heuss hat Recht: Es ist ungemein schwierig, in einer kurzgefaßten Bestimmung etwas Reales niederzulegen. Wir ringen um eine kurze Fassung, die aber nicht nur kurz, sondern auch brauchbar ist. Daher möchte ich vorschlagen, diese Frage weiter zu erörtern, bis es gelingt, eine klare, kurze Fassung zu erarbeiten. Wir sind grundsätzlich dagegen, einen ganzen Katalog aufzunehmen, wie es die Eingabe der Kirchenkonferenz vorschlägt44). Ein solches Verfahren würde zu weit führen und gewisse Konsequenzen auch für andere Gebiete haben. Andererseits möchten wir nicht den Versuch aufgeben, eine Formulierung zu finden, die die wichtigsten Grundsätze über die Kirchen bringt. Selbstverständlich sind wir auch bereit, komprimierte Grundsätze hinsichtlich der Wirtschaftsund Sozialordnung ins Auge zu fassen und in unseren Arbeitsplan aufzuneh-

weil

es



men.

Dr. Heuss: Die Vorschläge der CDU sind zum Teil bedenklich, namentlich im Hinblick auf ihre Konsequenzen. Ich möchte davor warnen, und zwar schon aus religiös-psychologischen Gründen, solche Sätze in das Grundgesetz aufzunehmen, die schon in den allgemeinen Bestimmungen gewährleistet sind. Die Wirkung ist nur die, daß die Kirchengegner darauf herumreiten und von dem übermächtigen Einfluß der toten Hand reden werden. Dies gilt namentlich für den Satz bezüglich des Eigentums der Kirchen, das gewährleistet bleiben soll. Dr. Süsterhenn: Man müßte diesen Satz auf das Kircheneigentum beschränken, das Wohltätigkeitszwecken dient. Dr. Heuss: An sich haben die Kirchen das Recht, Eigentum zu haben.

43) Vgl. Anm. 28. 44) Eingabe der Kirchenkonferenz

vom

25. Okt. 1948

vgl. Anm.

31.

641

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Dr. Süsterhenn : Aber nur im Rahmen der allgemeinen Eigentumsordnung und soweit es sich um Eigentum handelt, das Wohltätigkeitszwecken dient. Wir werden uns noch eine Formulierung überlegen, die allen Wünschen gerecht wird. Dr. Heuss: In den Landesverfassungen gibt es Bestimmungen, daß die religiöse Versorgung der Kranken in den Krankenhäusern gewährleistet ist. Das ist in Ordnung. Das ist eine Sache, die ausschließlich Länderangelegenheit ist. Dr. Süsterhenn: Wir möchten gar nicht so sehr ins Detail gehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Falls wir im Grundsatzfragenausschuß zu keinem Ergebnis kommen, bleibt uns immer noch der Weg offen, den Hauptausschuß mit

der Sache zu befassen. Dr. Heuss: Immerhin wäre es gut, wenn wir die Probleme schon vorher klären könnten, damit im Hauptausschuß nicht noch eine große Debatte entsteht. Das würde die Arbeiten nur noch weiter verzögern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf mit Zustimmung des Ausschusses feststellen, daß wir die Beratung über diesen Artikel in der zweiten Lesung als vorläufig abgeschlossen betrachten. Nun enthält der Antrag der CDU noch Bestimmungen über die Ehe und die Familie45). Darüber müssen wir im Grundgesetz etwas sagen, zumal auch die Menschenrechte der Vereinten Nationen Ehe und Familie behandeln. Es handelt sich um Art. 14 des Entwurfs der VN46). Dr. Bergsträsser: Diese Bestimmungen sind zum Teil auch nur eine Deklaration. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir werden in unserem Grundgesetz einen anderen Weg einschlagen müssen. Nach der Präambel des Entwurfs der Vereinten Nationen sollen doch die Grundrechte, die Menschenrechte Ausdruck des gemeinsamen Ideals sein, welches alle Völker und Nationen zu verwirklichen haben. Andererseits rechnet auch der Entwurf der Vereinten Nationen den Schutz der Familie und Ehe zu den Grund- und Freiheitsrechten. Es fragt sich, wie weit wir solche Bestimmungen in unseren Katalog aufnehmen können. Dr. Eberhard: Der Entwurf der Vereinten Nationen faßt diese Bestimmungen aus der Perspektive der Welt. Es gibt heute noch in manchen Ländern und Gegenden die Übung, daß die Tochter an den Mann verkauft wird. Darüber sind wir in Deutschland hinaus. Dr. Heuss: Diese Übung gibt es auch bei uns überall da, wo gesunde bäuerliche Verhältnisse herrschen. Die Ehen, die auf solche Weise entstehen, sind oft die glücklichsten, verständigsten und gesündesten. Dr. Süsterhenn: Über den Schutz der Ehe und Familie sagt der Vorschlag der

CDU47): Die Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und die aus ihr wachsende Familie sowie die aus der Ehe

und der Zugehörigkeit zur Familie fließenden Rechte und Pflichten stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung. 45) Vgl. Anm. 28. 46) Dok. Nr. 10. 47) Vorschlag der CDU/CSU vgl. Anm. 642

28.

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Fassung entspricht dem Inhalt nach dem Entwurf der Vereinten Natiowonach die Familie die natürliche und fundamentale Zelle der Gesellschaft ist und Anspruch auf Schutz hat. Dr. Bergsträsser: Das ist eine Deklaration. Wie wollen Sie daraus ein klagbares Recht herleiten? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Frage hat in der Weimarer Zeit eine Rolle gespielt. Die Weimarer Verfassung hat Ehe und Familie unter ihren Schutz gestellt48), so daß Gesetze, die die Grundsätze der Verfassung über die Ehe und Familie abändern wollten, verfassungsändernden Charakter haben mußten. Diese Auffassung haben auch die Kommentatoren vertreten. Nadig: Es fehlt noch der Grundsatz der rechtlichen Gleichheit der Geschlechter. Wir müssen vor allem auch das Familienrecht den modernen Verhältnissen anDiese

nen,

passen. Vors. [Dr.

Nur dürfen wir nicht den Fehler der Weimarer Verfasdie sagt, daß die Ehe auf der Gleichberechtigung der Gesung wiederholen, schlechter beruht. Dr. Süsterhenn: Die Forderung der Frau Nadig erstreckt sich vor allem auf das eheliche Güterrecht; ich erkenne sie durchaus an. Aber die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe kann nur insoweit bestehen, als sie sich mit den natürlichen Funktionen der Geschlechter vereinbaren läßt. Gleiche Rechte bedeuten gleiche Pflichten. Diese Frage hat im Verfassungsausschuß der Weimarer Nationalversammlung eine Rolle gespielt. Konrad B eyerie49) hat dazu ausgeführt, man könne nicht ohne weiteres die Pflichten des Mannes auf die Frau ausdehnen, so wenig, wie man etwa dem Mann einen Anspruch auf Schwangerschaftsfürsorge zuerkennen könne. Aus der verschiedenen Natur von Mann und Frau ergeben sich eben verschiedenartige Rechte und Pflichten. Nadig: Aber die Frau steht, was das Familienrecht angeht, noch in der Zeit von 1800. Das BGB von 1900 hat darin keine Änderung geschaffen. Inzwischen hat sich aber die soziale Stellung der Frau ganz wesentlich geändert. Dr. Süsterhenn: Kein Zweifel! Aber man kann das Problem nicht mit der einfachen Formel der absoluten Gleichberechtigung lösen. Man käme sonst zu einem Ergebnis, das der Natur von Mann und Frau nicht in allem entspräche. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei unserer starken Berührung mit dem Osten und dessen Gesetzen würde es sich vielleicht doch empfehlen, ähnliche Sätze wie der Entwurf der Vereinten Nationen in unser Grundgesetz aufzunehmen, vor allem das Recht zur Eheschließung und das Recht zur Gründung einer Familie. In Rußland liegen die Verhältnisse doch wesentlich anders. Dr. Heuss: Diese Dinge sind in Rußland wieder in Ordnung gebracht. Dr. Bergsträsser: Ich habe eine gewisse Abneigung gegen Sätze, die zu sehr ins allgemeine gehen. Wir haben uns doch bisher auch immer bemüht, so konkret wie möglich zu bleiben. v.

Mangoldt]:

48) WRV, Art. 119. 49) Konrad Beyerle: Wesen und Entstehung der Grundrechte in der Reichsverfassung deutsche Freiheit. Berlin 1929. Weimar, in: Deutsche Einheit

von



643

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zu überlegen, ob man den Grundsatz der rechtlichen Gleichheit der Geschlechter in das Grundgesetz aufnehmen soll, ohne daß dieses überlastet wird. Die Weimarer Verfassung kennt die Gleichberechtigung des unehelichen Kindes50). Dieses Problem wird voraussichtlich sehr akut werden angesichts des großen Frauenüberhangs. Es wird ledige Frauen geben, die ein Kind haben wollen, ohne daß eine Möglichkeit der Eheschließung besteht. Dieses Problem steht vor uns. Obwohl ich es für notwendig halte, daß die unehelichen Kinder keine Benachteiligung erfahren, bin ich nicht dafür, einen derartigen Grundsatz expressis verbis im Grundgesetz festzulegen. Dr. Eberhard: Wird dieser Fall nicht durch den Gleichheitsartikel gedeckt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das möchte ich nicht ohne weiteres annehmen. Vermutlich wird er dadurch nicht gedeckt. Der Gleichheitssatz hat sich nur noch nicht voll durchgesetzt. Ein minimum standard of free society ist auch dem unehelichen Kinde zugesichert; aber in der Familie ist die Stellung eine andere. Dr. Süsterhenn: Es handelt sich hier wesentlich um die Sicherstellung der sozialen Gleichstellung des unehelichen Kindes; es soll den gleichen Anspruch auf Förderung haben wie ein eheliches Kind. Man kann das, was von Natur aus anders ist, nicht mit den gleichen Rechtsnormen behandeln. Ein eheliches Kind lebt in der Familie unter der Obhut von Vater und Mutter. Das uneheliche Kind lebt nicht in einer Familie, sondern steht in einem einseitigen Verhältnis zur Mutter. Solche Verschiedenheiten kann man durch keine Verfassungsbestimmung aus der Welt schaffen. Man kann höchstens sagen: Das uneheliche Kind soll die gleiche gesellschaftliche Förderung erhalten wie ein eheliches. Dr. Bergsträsser: Das gleiche gilt für das eheliche Kind, wenn die Eltern geschieden sind und das Kind der Mutter zugesprochen ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir geraten hier in große Schwierigkeiten. Wir wollen keine Programmsätze aufstellen, sondern jeder Satz unseres Katalogs soll unmittelbar geltendes Recht sein. Das, was Frau Nadig will, kann nur durch eine Reform des Familien- und Erbrechts gemacht werden. Aber das ist nicht unsere

Dr. Heuss: Immerhin wäre

Aufgabe. Nadig: Ich glaube nicht,

daß wir noch sehr lange an dem gegenwärtigen Familienrecht festhalten können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wird eine Aufgabe des Bundesgesetzgebers sein. Was wir hier niederlegen wollen, soll unmittelbar geltendes Recht sein. Darin liegt die Schwierigkeit. Dr. Süsterhenn: Der Satz, daß das uneheliche Kind einen Anspruch auf gleiche gesellschaftliche Förderung wie das eheliche haben soll, enthält auch einen unmittelbaren Rechtsanspruch. Ich denke da etwa an die Landverschickung von Kindern, an die Verteilung von Stipendien, an Maßnahmen auf dem Gebiet der Jugenderziehung. In solchen Fällen kann ein uneheliches Kind sich auf unsere Verfassungsbestimmung berufen und geltend machen, daß es von solchen Begünstigungen und Vorteilen nicht ausgeschlossen werden darf, weil es unehelich ist.

50) 644

Art. 121 WRV.

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Dr. Eberhard: Man könnte die

Gleichstellung des unehelichen Kindes ruhig im Gleichheitsartikel unterbringen, also in Art. 19 Abs. 3, wo es heißt, daß niemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Hier könnte man sehr wohl auch den Familienstand des unehelichen Kindes hineinbringen. Dr. Süsterhenn: Dagegen habe ich Bedenken. Das uneheliche Kind gehört dem inneren Zusammenhang nach zum Familien-Komplex, wo von den Kindern im allgemeinen die Rede ist. Dr. Eberhard: Wenn wir den Familien-Komplex hereinnehmen, werden sich noch andere Komplexe anmelden. Dr. Bergsträsser: Wir kommen vor lauter Komplexen nicht mehr zu Rande. Dr. Heuss: Bei der Familie kann man nicht sagen, daß sie eine Länderangelegenheit sei. Das Familienrecht wird bundesgesetzlich geregelt. Der Gesichtspunkt der Parallelität zum Entwurf der UN51) spricht dafür, eine derartige Bestimmung in das Grundgesetz aufzunehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zur Entfaltung der Persönlichkeit gehört auch die Entfaltung in Ehe und Familie. Dieses Wirken in Ehe und Familie gehört zum Wichtigsten, was den einzelnen Menschen angeht. Es wäre schon gut, der Ehe und Familie darüber hinaus einen besonderen verfassungsmäßigen Schutz zu gewährleisten. Die Weimarer Verfassung hat diese Fragen auseinander gezogen. Ob dieses Verfahren richtig war, ist nicht ohne weiteres ausgemacht. Die Weimarer Verfassung hat diese Fragen unter die sozialen Ordnungen eingereiht. Es ist aber durchaus möglich, sie unter den allgemeinen Grundrechten zu behandeln. Heile: In Weimar stand man unter dem Eindruck, daß man die Familie unter den Schutz des Staates stellen mußte. Inzwischen haben wir erlebt, wie sehr der Staat der Nazi die Grundlagen der Familie zerrüttet hat. Ich halte den Schutz der Ehe und Familie nicht für eine Deklamation, sondern im Hinblick auf das, was wir erlebt haben, für eine Notwendigkeit. Dr. Süsterhenn: Um den Herren einen klaren Eindruck von dem zu vermitteln, was wir wollen, darf ich unsere anderen Vorschläge vorlesen, die ja alle stark ineinandergreifen. Zu Absatz Elternrecht und Erziehung sagt unser Antrag52): Pflege und Erziehung der eigenen Kinder ist das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dieses Recht ist auch bei der Bestimmung des religiös-weltanschaulichen Charakters der Schule und durch Sicherung der Unterrichtsfreiheit zu wahren. Die Herausnahme von Kindern aus der Familiengemeinschaft gegen den Willen der Erziehungsberechtigten ist nur auf gesetzlicher Grundlage möglich, wenn durch ein Versagen der Erziehungsberechtigten die Gefahr der Verwahrlosung der Kinder gegeben ist. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach in allen Schulen. Er wird nach den Grundsätzen der Kirche in ihrem Auftrage und unter ihrer Aufsicht erteilt. 51) Dok. Nr. 10. 52) Entwurf der CDU/CSU

s. o.

Anm. 28.

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Der letzte Absatz ist entnommen aus der Eingabe des Landesbischofs Wurm53). Dr. Bergsträsser: Das ist ungefähr der Wortlaut der hessischen Verfassung54). Dr. Süsterhenn: Die Bestimmung über den religiös-weltanschaulichen Charakter der Schule soll zum Ausdruck bringen, daß in dieser Hinsicht den Wünschen der Eltern mit Rechnung zu tragen ist, gleichgültig, wohin diese Elternwünsche gehen, ob auf die Konfessions- oder auf die Simultanschule. Darin liegt der Ge-

danke der Freiheit des Unterrichts nach dem Willen der Eltern auf Grund ihres natürlichen Erziehungsrechts. Nadig: Man müßte noch hinzusetzen, daß die elterliche Gewalt von Mann und Frau ausgeübt wird. Bei der ungeheuren Zunahme der Ehescheidungen spielt das eine enorme Rolle. Auch eine Reform des ehelichen Güterrechts ist notwendig, vielleicht noch notwendiger. Dr. Süsterhenn: Ich hätte nichts dagegen, zu sagen: Die Eltern entscheiden gemeinschaftlich. Aber was geschieht, wenn die Eltern nicht übereinstimmen? Nadig: Es ist unmöglich, bei diesem Fragenkomplex an [der] rechtlichen Stellung der Frau einfach vorüberzugehen. Dr. Süsterhenn: Wir müßten da gleich an die Reform des ganzen bürgerlichen Rechts herangehen, das ist schon technisch unmöglich. Auch ein Spezialgesetz würde sehr umfangreich sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist sehr schwierig, über diese Fragen zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen, wenn nicht allen Teilnehmern der Text der Vorschläge vorliegt. Ich halte es überhaupt für notwendig, daß unser Ausschuß diese Fragen vorbereitend klärt. Vielleicht empfiehlt es sich, zu diesem Zweck einen kleinen Unterausschuß zu bilden, der diese Dinge grundsätzlich durch-

spricht. Dr. Bergsträsser:

Zu allererst müssen wir den Text haben. Dann kann erst eine Generaldebatte vor sich gehen, und hieran kann sich dann die Spezialberatung anschließen. Ohne Generaldebatte können wir an die Dinge nicht herangehen. Außerdem müssen wir darüber noch in unseren Fraktionen sprechen. Dr. Heuss: Der Satz, daß der Religionsunterricht Landesangelegenheit ist, kann unmöglich hier stehen bleiben. Der Religionsunterricht ist keine Ausstrahlung des Elternrechts, sondern institutionell Recht der Konfessionen. Es handelt sich hier nicht um Familien- und Elternrecht, sondern um traditionelles Recht der Kirchen, kirchliches Bildungsrecht, Religionsausübungsrecht. Ich muß meinen Widerspruch dagegen anmelden, diesen Satz hier aufzunehmen. Die Konsequenzen sind völlig unübersehbar. Wir müssen durchdenken, welches die Folgen sind, und zwar zunächst für die einzelnen Länder, die schon ihre Gesetze auf diesem Gebiet haben. Darüber können wir aber erst sprechen, wenn wir den genauen Text vor uns haben. Bauer: In der begonnenen Aussprache sehe ich eine Gefahr, nämlich die, daß man mit der Diskussion über Elternrecht und Schule in eine Richtung steuert, die auch meine Fraktion mit gewissen Befürchtungen erfüllt. Wenn wir diesen Problemen ernstlich nähertreten, dann wird die Fraktion der SPD auch ihre

53) Eingabe Wurm vgl. Anm. 27. 54) Art. 56—58 der Verfassung des Landes Hessen 646

vom

1. Dez. 1946.

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Vorschläge über die Sozialordnung bringen müssen. Hier gilt gleiches Recht für alle. Die Folge wird dann aber sein, daß die Arbeit an der Verfassung noch weiter ausgedehnt wird und ein Abschluß zeitlich nicht abzusehen ist. Eine solche Entwicklung muß ernsthafte Bedenken und Besorgnisse auslösen. Unter diesen Umständen möchte ich doch zu bedenken geben, ob der Ausschuß überhaupt weiter in eine Aussprache über diese komplizierten Fragen eintreten soll, die noch dazu in der Formulierung mehr oder minder deklaratorischer Art sind. Die Fraktionen hatten eine Vereinbarung getroffen, solche Fragen aus der Verfassung grundsätzlich herauszulassen55). Es ist besser, diese Vorfrage zu entscheiden, ehe

in der Diskussion

Sache selbst fortfährt. darüber geeinigt, daß der Wortlaut diesollte. Dann sollte eine Generaldebatte ser Artikel darüber stattfinden. Erst dann kann die Frage geklärt werden, ob diese Bestimmungen in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen oder können. Vorläufig muß jedenfalls die Diskussion hierüber vertagt werden56). Ich darf die Sitzung schließen. Vors. [Dr.

man

zur

Mangoldt]: Wir hatten uns zunächst festgelegt werden

v.

55) Vgl. Anm. 31. 56) Das Kurzprot. enthielt Art.

7 in der in der Sitzung vom 23. Nov. 1948 in zweiter Lesung angenommenen Fassung: „1) Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens wie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Das Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird anerkannt. 2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. 3) Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. 4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert."

647

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Fünfundzwanzigste Sitzung

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für

Grundsatzfragen

24. November 1948

Z 5/34, Bl. 97-199. Stenogr. Wortprot. vom 29. November 1948. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 42-45. Drucks. Nr. 317

Anwesend1): CDU/CSU: Lensing,

v.

Mangold! (Vors.), Mayr,

SPD: Bauer (zeitweise), Bergsträsser, Eberhard, FDP: Heuss DP: Heile Stenografischer Dienst: Herrgesell Dauer: 11.00-13.16, 16.00-18.58 Uhr

[ZWEFTE LESUNG

von

Schioer (zeitweise),

Herrgesell

gez.

Schräge

Nadig

DER GRUNDRECHTSARTIKEL,

FORTSETZUNG (ART. 8-14)]

[a. Freiheit der Meinungsäußerung, Pressefreiheit (Art. 8)]

Mangoldtl: Wir kommen zu Art. 8. Der Redaktionsausschuß2) hat Art. 8 geändert, und zwar hat er sich dem Vorschlag von Thoma angeschlossen. Wir müssen daher auf den Vorschlag Thoma3) eingehen. Thoma Vors. [Dr. den Abs. 1

v.

von

sagt hierzu:

Auch die Freiheit der Meinungsäußerung sollte man nicht als unverletzlich bezeichnen, da es doch eine besonders dringliche politische Notwendigkeit ist, sie einzuschränken, um die Demokratie gegen eine erneute Unterwühlung durch eine zügellose antidemokratische Agitation zu schützen, sowie auch eine sittliche Gefährdung der Jugend zu verhindern. Hierzu ist zu bemerken, daß nach Abs. 4 unseres Artikels diese Rechte ihre Grenzen in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung finden. Unsere Absicht ging also dahin, die zügellose antidemokratische Agitation und alle diese Gefahren durch die Fassung des Abs. 4 zu verhindern. Hierzu ist nun wieder der Schluß von Thoma interessant, wo er sagt: Unüberwindliche Bedenken aber habe ich gegen den Vorschlag, die Meinungs- und Pressefreiheit an einer „Pflicht zur Treue gegen die Verfassung" eine Grenze finden zu lassen. Diese ist ein der Freiheit gefährlicher Kautschukbegriff. Außerdem beruht diese Klausel m. E. auf einer falschen Voraussetzung. Zu einer Gesinnung und Haltung, welche den Namen „Treue" verdient, sind diejenigen Volksgenossen der Verfassung gegenüber verpflichtet, welche sich willentlich in den Dienst der durch sie geordneten !) Anwesenheitsliste nach Kurzprot.; Schioer und Bauer nahmen demnach mittagssitzung teil. 2) Fassung des Allgem. RedA vgl. Dok. Nr. 28. 3) Fassung Thoma vgl. Dok. Nr. 18. 648

nur an

der Vor-

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Demokratie gestellt haben, also insbesondere die Beamten und Richter aller Arten und Stufen, die Landes- und Bundesminister, der Bundespräsident. Die übrigen Staatsbürger sind der Verfassung gegenüber nur zur Loyalität verpflichtet und diese Loyalität findet ihren Inhalt und ihre Sanktion in den Vorschriften der Strafgesetze. Das können wir vielleicht bei dem Schlußsatz diskutieren. Der Redaktionsausschuß hat nicht mehr von der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung gesprochen,, sondern hat dafür gesagt: „Diese Rechte finden ihre Grenze in der Pflicht zur Achtung der Verfassung .." Das ist die Loyalität. Das mußte hier gleich mit hineingezogen werden, weil es für die Fassung unseres Eingangsab.

satzes

irgendwie

von

Bedeutung ist.

Bei Thoma heißt es weiter: Wenn aber besonders im Hinblick auf den letzten Satz auf eine Vorzensur des Films nicht verzichtet werden kann, und wenn beim Rundfunk Vorzensur in der Natur der Sache liegt, so sollte doch andererseits das polizeistaatliche Institut der Vorzensur der Presse, des Theaters und derjenigen öffentlichen Vorträge, die nicht in „Versammlungen" gehalten werden (so, daß die Garantie der Versammlungsfreiheit ihnen nicht zugutekommt), mit klarer Entschiedenheit ausgeschlossen werden. Das hatte der auch sonst mißglückte Art. 118 der Weimarer Verfassung nicht geleistet, so daß die Pressefreiheit nach wie vor allein durch das Reichspressegesetz vom Jahre wenn man seinen Wortlaut 18744) geschützt war und das versäumt auch auf die Goldwaage juristischer Analyse legt der Art. 85) des Entwurfes. Ich möchte folgende Fassung des ersten Absatzes zur Erwägung stellen: „Es besteht grundsätzlich Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung in Wort, Schrift, Druck, Bild und Symbol. Eine Vorzensur der Presse, des Theaters und der öffenüichen Vorträge findet nicht statt." Von einer Pressefreiheit ist in dem Thomaschen Artikel ausdrücklich nicht die Rede. Neue Schweizer Bestimmungen, die in diesem Jahr eine Rolle gespielt haben6), sprechen ausdrücklich von der Gewährleistung der Pressefreiheit. Darüber wird man noch zu sprechen haben. Dann findet sich bei Thoma folgender Abs. 2: Die Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung findet ihre Grenzen an den Vorschriften der Strafgesetze usw. Unser Abs. 2 ist bei Thoma als Abs. 3 nachgesetzt. Wir müssen uns zunächst darüber klar werden, ob wir an unserer Formulierung in Art. 8 Abs. 1, an der Freiheit der Meinungsäußerung festhalten und ob wir —



4) Reichspressegesetz vom

7. Mai 1874 (RGBL, S. 65); vgl. auch Eberhard Naujoks: Die parlamentarische Entstehung des Reichspressegesetzes in der Bismarckzeit, 1848—1874. Düsseldorf 1976. 5) Korrigiert vom Bearbeiter aus „80". 6) In der Schweiz wurde auf dem Juristentag 1948 eine Reform des Presserechts diskutiert, in dessen Rahmen unter anderem der Art. 55 der Bundesverfassung geändert werden sollte. Insbesondere sollte der Begriff des Mißbrauchs der Pressefreiheit gesetzlich umschrieben werden. Realisiert wurde eine Reform erst 1950/1951. Vgl. Carl Ludwig: Schweizerisches Presserecht. Basel und Stuttgart 1964, S. 78 f.

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auf den besonderen Absatz über die Pressefreiheit und die besondere Regelung der Pressefreiheit verzichten wollen, ob wir nur sagen wollen, wie hier gesagt wird: „Eine Vorzensur der Presse, des Theaters und der öffentlichen Vorträge findet nicht statt." Dann ist die weitere Frage, ob man wie bei Thoma sagen soll: Es besteht grundsätzlich Freiheit... Ich habe hier die größten Bedenken. Das Wort „grundsätzlich" scheint mir das ganze Grundrecht in seinem Wert zu beeinträchtigen.

(Dr. Bergsträsser: Ja.)

Dr. Eberhard: Ich wollte im Anschluß an das, was der Herr Vorsitzende vorgetragen hat, berichten, daß wir in der Fraktion auch Bedenken hatten, ob die Einschränkung in Abs. 4, wie sie jetzt da steht, angesichts des Abs. 1 genügt. Ich habe keinen Antrag formuliert. Ich dachte, es ist besser, hier zu besprechen, wie man es machen kann. Ich hatte in der Fraktion auf Art. 47, den ParteienArtikel hingewiesen. Dort ist in Abs. 4 formuliert7), wann bei den Parteien etwas verfassungswidrig ist. Unser Gedanke war, etwa zu sagen, Organe der

die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, sind verfassungswidrig, und über diese Feststellung vielleicht, wie im Parteien-Artikel, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung möglich zu machen. Wir können bei Abs. 4 darüber im einzelnen sprechen. Es bestand bei uns das Bedürfnis, hier den Gegnern der demokratischen Ordnung nicht zuviel Chancen zu geben. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich habe Sie noch nicht ganz verstanden. Das geht dann über das hinaus, was in Abs. 4 steht. (Dr. Eberhard: Ja.) Wenn ich Sie richtig verstehe, soll doch stehen bleiben, daß bei der Meinungsäußerung die Achtung vor der Verfassung als Grenze gesetzt wird? Dr. Eberhard: Ja. Es muß noch etwas hinzu kommen, etwa im Sinne von Art. 47 Abs. 4. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Sie wollen, daß schon bei der Zulassung von Organen, die der Meinungsbildung dienen, wie etwa der Presse, solche Grundsätze eingeschaltet werden? Dr. Eberhard: Ich glaube nicht, daß man es auf die Lizenzierung oder Zulassung abstellen soll. Es kann etwas gegründet werden, was im Rahmen der Verfassung ganz gut aussieht, und plötzlich kauft es jemand, und es funktioniert ganz anders. Auf Zulassung wollen wir es nicht abstellen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das würde den letzten Absatz betreffen. Unser Kollege Wunderlich hat mir zu dieser ganzen Frage einen Brief geschrieben6). Er möchte einen besonderen Gesichtspunkt berücksichtigt sehen. Er schreibt, es würden laufend Presseunternehmungen lizenziert, die im Besitz von Druckmaschinen

Meinungsbildung,

4 der Formulierungen der Fachausschüsse, Stand 18. Okt. 1948 (Drucks. Nr. 203) lautete: „Parteien, die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, sind verfassungswidrig. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit erfolgt durch das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung, der der Zustimmung der Länderkammer bedarf." 6) Das Schreiben von Wunderlich vom 22. Nov. 1948 wurde später im Rahmen dieses TOP noch verlesen.

7) Art. 47, Abs.

650

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geblieben seien, weil sie ihnen in der Nazizeit nicht weggenommen seien, während diejenigen, denen die Druckmaschinen weggenommen worden seien, an solche nicht herankämen und deshalb nicht zugelassen werden könnten. Leasing: Ich mache in diesem Zusammenhang auf den Artikel aufmerksam, der in der Deutschen Zeitung erschienen ist und Ihnen allen heute überreicht worden ist9). Dieser Artikel stellt die Auffassung der Verleger in der britischen Zone dar. Die Lizenzträger in der britischen Zone wollen etwas anderes als das, was sich jetzt in dem amerikanisch besetzten Gebiet entwickelt. Da die Amerikaner die völlige Pressefreiheit angekündigt haben, wird sich, wenn die Landtage die Voraussetzung für eine völlige Pressefreiheit schaffen, vom amerikanisch besetzten Gebiet aus eine besondere Situation entwickeln. Wenn im amerikanisch besetzten Gebiet die schrankenlose Pressefreiheit kommt und wir im britischen Sektor an dem Lizenzierungssystem festhalten, wird es so kommen, daß sich am Rande der britischen Zone überall Verlagsorte bilden, die von sich aus in die britische Zone hinausstrahlen und so in der britischen Zone die Lizenzierung der Presse unmöglich machen. Ich habe das hier erwähnt, weil sie in die Diskussion hineingezogen werden. Nach meiner Auffassung müssen wir uns aber erst mit ganz anderen Problemen beschäftigen. In der Verfassung muß nichts anderes als die Freiheit der Presse festgelegt werden, während die Beschränkungen der Freiheit der Presse in einem späteren Pressegesetz enthalten sein müssen. Durch ein Pressegesetz wird die Pressefreiheit eingeschränkt werden, soweit sich das als notwendig erweisen sollte. Ich bin ferner der Auffassung, daß wir auf Grund der Erfahrungen der vergangenen Jahre an einem Passus wie: Treue gegenüber der Verfassung unbedingt festhalten sollten. Das ist nämlich die einzige Konzession an die Pressefreiheit, die wir hier in der Verfassung machen können. Alle weiteren Beschränkungen müßten dem Pressegesetz überlassen werden. In Art. 8 fehlt nur eins. In Art. 8 werden die Freiheit der publizistischen Äußerung und die passive Funktion der Pressefreiheit geschützt. Dagegen ist die Freiheit der Verbreitung von Presseerzeugnissen völlig ausgelassen worden. Ich hatte mir bei der ersten Durchsicht dieses Artikels die Sache so gedacht, daß man noch einen besonderen Absatz einfügen sollte: „Niemand darf daran gehindert werden, Presseerzeugnisse zu verlegen oder Filme herzustellen." Beim Rundfunk ist das ja etwas anderes. Ich bin aber durchaus damit einverstanden, entsprechend dem Vorschlag von Herrn Prof. Thoma zu verfahren und zu sagen: Die Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung in Wort, 9) Nach dem Kurzprot. handelte

es sich dabei um einen Artikel der Neuen Zeitung. Dort allerdings lediglich eine Notiz in der Ausgabe vom 23. Nov. 1948 erschienen: „Der Münchener Lizenzträger Werner Friedmann, der sich zur Zeit in den Vereinigten Staawar

aufhält, hat die US-Regierung ersucht, alles zu tun, um zu verhindern, daß die Betriebe der .neuen demokratischen Zeitungen' Westdeutschlands zu bald an ihre ehemaligen, zum großen Teil politisch belasteten Eigentümer zurückgegeben werden." Lensing spielte auf eine Eingabe des Nordwestdeutschen Zeitungsverlegervereins an, mit der die November-Ausgabe der Pressezeitschrift „Die Deutsche Zeitung" mit einem entsprechenden Leitartikel überreicht worden war. Die Eingabe wurde später vom Ausschuß noch behandelt. Vgl. Dok. Nr. 41, Anm. 5. ten

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Schrift

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ist unverletzlich. Ich bin nicht der Auffassung, daß man noch hinDruck und Symbol. Wenn man sagt: die Freiheit der Meinungsmuß: zufügen und äußerung Meinungsverbreitung in Wort, Schrift und Bild, so ist meiner nach der Tatbestand getroffen. Auffassung ich bin das möchte ich noch einmal wiederholen unter allen Dagegen Umständen dafür, daß wir in diesem Art. 8 die Presse an die Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung binden. Weitergehende Einschränkungen der Pressefreiheit sind nicht Sache des Art. 8 und der Verfassung, sondern sind Sache des zukünftigen Pressegesetzes des Bundes. ich habe die Geschichte von Dr. Heuss: Wir müssen bei der Pressefreiheit den britischen Verlegern10) noch nicht gelesen vor allem zwei Dinge unterscheiden. Man wirft Pressefreiheit und Gewerbefreiheit durcheinander. Wenn ich richtig verstehe, handelt es sich in der britischen Zone darum, daß die beati possidentes sich gegen die Gewerbefreiheit wehren, daß nämlich neue Unternehmen entstehen. Auf diese ganze Diskussion dürfen wir uns nicht einlassen. Wir können diesen seltsamen Zwischenzustand der verschiedenen Lizenzierungspraktiken der einzelnen Besatzungsmächte nicht irgendwie verfassungsmäßig zum Ausdruck bringen. Die eine Presse wird gut und die andere Presse wird schlecht sein. Es werden aus dem Bedürfnis der Leute heraus Heimatzeitungen entstehen. Dagegen können wir, glaube ich, keine Schutzmaßnahmen schaffen. Wenn Sie die Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsverbreitung hineinsetzen, ist dieser Einwand schon aufgehoben. Dann ist damit sozusagen die Gewerbefreiheit auf diesem Gebiet mit zum Ausdruck gebracht. Nach der Seite hätte ich also keine Bedenken. Wir wären dann den ganzen Schwärm der Einwendungen los. Die Fassung mit der Treue gegenüber der Verfassung ist etwas kritisch in dem Sinne, daß die Auslegung des Begriffs der Treue gegenüber der Verfassung in der Hand der Polizei, der Verwaltung oder des Richters sehr schwer ist. Bei soundso vielen Dingen, die wir hier schaffen, werden sogar Leute, die die Dinge annehmen, den Vorbehalt machen: Wir wollen aber kritisch bleiben, um die Entwicklung der politischen Auslegung zu beeinflussen. Bei Anerkennung dessen, was wir machen wollen und müssen, schaffen doch nicht etwas, was gegenüber der Kritik tabu ist. Wenn wir hier von Achtung sprechen, so hat das etwas Ungeschicktes in sich; aber in der Richtung wäre es mir lieber als der Begriff der Treue gegenüber der Verfassung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die erste Frage, die hier auftaucht, ist die, ob wir die Freiheit der Meinungsäußerung dahin erweitern wollen, daß wir mit Thoma sagen: und Meinungsverbreitung. Die andere Frage können wir vielleicht vorweg klären. Ich würde es für ungeschickt halten, in diesen ersten Absatz, der die Meinungsäußerung betrifft, gleich die Pressefreiheit hineinzubringen. Ich meine, wir sollten die Pressefreiheit ruhig in einem anderen Absatz lassen. Es ist nur die Frage, ob wir das usw.









10) Ebenda. 652

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Verbot der Beschränkung in der freien Unterrichtung und Meinungsbildung an zweiter Stelle bringen sollen. In dem Verbot der Beschränkung in der freien Unterrichtung und Meinungsbildung liegt ja eine Ergänzung zu der Freiheit der

Meinungsverbreitung.

(Lensing: Wie wollen Sie dann den Abs. 1 fassen?) Ich würde sagen: Die Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsverbreitung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. Dabei würde ich es belassen. —

(Lensing : Einverstanden.)

Ich würde dies sagen gegenüber den Einwänden von Thoma und gegenüber dem Einwand, der wohl aus Art. 118 herzuleiten ist. Der Art. 118 der Weimarer Verfassung sagte: „Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck oder Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern." Diese allgemeine Klausel „innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze" wollten wir nach Möglichkeit nicht haben, weil damit gerade das so gut wie wertlos gemacht wird, was wir sichern wollen. Wir haben deshalb in dem Abs. 4 zu spezialisieren versucht, welche Schranken der Meinungsäußerung gegenüber bestehen sollen. Deshalb können wir auf die Generalklausel auch verzichten und würden vor allen Dingen nicht Das geht unter keinen Umstänsagen wollen: Grundsätzlich bestehe Freiheit. den, wie schon Herr Dr. Bergsträsser sagte. Dr. Bergsträsser: Das wäre genau dasselbe wie die grundsätzliche Gleichheit von Mann und Frau, die in der Weimarer Verfassung steht. Ich darf als Nichtjurist eine Frage stellen: Warum hat Thoma den Druck ausdrücklich hineingenommen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das hat er nicht gesagt. Er hat wahrscheinlich unsere Bemerkung nicht gekannt, daß mit „Schrift" Schrift und Druck umfaßt wird. Das würden wir ja durch eine autoritative Interpretation zum Ausdruck bringen können. (Dr. Bergsträsser: Meinen Sie, daß Sie es genügend zum Ausdruck brin.

.

gen?) Ja, das scheint mir

so.

Bergsträsser: Ich habe bisher alle Druckerzeugnisse als Schrift aufgefaßt. Lensing: So fasse ich es auch auf. Der Druck ist eigentlich lediglich die technische Form. Ich glaube, daß mit der Freiheit der Schrift die Freiheit des Drucks begrifflich gewährleistet ist. Das Wort „Symbol" muß nach meiner Auffassung heraus. Das gibt zu allen möglichen Mißdeutungen Anlaß. —

Dr.

(Dr. Bergsträsser: Was ist Symbol?)

Ich würde das gerade im Hinblick auf die symbolische Frage, die wir augenblicklich zu erledigen haben, herauslassen. Da wird alles Mögliche untergeschoben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn es in dem Vorschlag des Redaktionsausschusses heißt: „Eine Vorzensur der Presse, des Theaters, des Rundfunks und öffentlicher Vorträge findet nicht statt", so scheint mir das die Frage der Pressefreiheit zu kurz zu behandeln. Das sollten wir ausführlicher machen. 653

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Bergsträsser: Wenn von Vorzensur gesprochen wird, so handelt es sich doch nur um einen kleinen Teil der Zensur. Die Nachzensur wollen wir doch auch nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde etwas Ähnliches vorschlagen. Ich würde bei Abs. 3 zunächst zu einer Umformulierung der bisherigen Sätze kommen und dann sagen: Die Vorschriften gegen den Mißbrauch dieser Freiheit werden in besonderen Gesetzen getroffen, oder ähnlich. Die Schweizer11) haben gesagt: „Die Gesetzgebung umschreibt ihren (der Pressefreiheit) Mißbrauch. Seine Ahndung ist Sache des Richters, welcher in der Anwendung die öffentlichen Aufgaben der Presse berücksichtigt. Man könnte es ungefähr so sagen. Es ist nur die Frage, ob wir den Abs. 1 nicht in der Kürze lassen sollen, wie wir ihn haben. (Dr. Bergsträsser, Dr. Eberhard und Lensing: Ja.) Wir würden in Abs. 1 nicht sagen: „im Rahmen der allgemeinen Gesetze", die Schranken werden vielmehr in Abs. 4 festgelegt. Wir bleiben also bei unserer Formulierung und fügen das Wort „Meinungsverbreitung" ein. Dann haben wir die Meinungsverbreitung zweimal drin, einmal gesehen von demjenigen, der verbreitet, und dann gleich in dem nächsten Absatz von demjenigen aus, der sich orientiert. Hier könnte man vielleicht etwas umformulieren, in dem Sinne, wie es der Redaktionsausschuß gemacht hat. Der Redaktionsausschuß spricht in Abs. 2 von der freien Unterrichtung und Meinungsbildung. Dann könnte man auch sagen: Die freie Unterrichtung und die Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckwerken, dürfen nicht beschränkt werden. (Dr. Heuss und Lensing: Ja.) Ich habe nur ein Bedenken bei dieser Formulierung. Sie klingt sehr schön. Wenn es aber heißt, insbesondere der Rundfunkempfang darf nicht beschränkt werden, so liegt eine Beschränkung des Runkfunkempfangs schon darin, daß man Rundfunk nur empfangen kann, wenn man die entsprechenden Gebühren zahlt. (Dr. Eberhard: Ein Druckwerk bekommt man auch nur, wenn man es beDr.

zahlt.) Bei der öffentlichen Einrichtung des Rundfunks, den jeder aus der Luft entnehmen kann, ist es anders als bei einem Presseerzeugnis. Dr. Bergsträsser: Wenn wir Ihre Folgerung weiter auf die Druckerzeugnisse ausdehnen, würde das heißen, daß Bibliotheken auch keine Gebühren erheben dürfen. Ich habe eine solche Folgerung bisher nicht gezogen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man weiß nicht, worauf die Juristen kommen. —

(Dr. Bergsträsser: Das ist richtig.) man vorsichtig sein. Die Parallele, die Sie hineinbringen, ist durchaus

Da muß zu

bedenken.

Dr. Eberhard: Wir können in beiden Fällen die

Kostenlosigkeit

ben, weder beim Rundfunk noch bei der Bibliothek. ") Vgl. 654

Anm. 6.

nicht vorschrei-

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das können wir nicht. Dr. Heuss: Lassen wir das Wort „frei" doch einfach weg! Dr. Bergsträsser: Man könnte sagen: ungehindert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir würden zunächst in Abs. 2 sagen: Die

ungehinderte Unterrichtung und Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen wird gewährleistet, insbesondere ist es unstatthaft, den Rundfunkempfang und den Bezug von Druckerzeugnissen zu beschränken. (Lensing: Der von dem Redaktionsausschuß verwendete Begriff „Druckwerke" ist etwas ganz anderes. Das ist ein technischer Begriff.) Der Ausdruck „Druckwerke" ist falsch. Es muß heißen: Druckerzeugnisse. Wir könnten sagen: Niemand darf in der ungehinderten Unterrichtung und Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere dem Rundfunkempfang und dem Bezug von Druckerzeugnissen, beschränkt werden. Dr. Bergsträsser: Vielleicht könnte man etwa sagen: Niemand darf gehindert werden, sich aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere durch Rundfunkempfang oder Bezug von Druckerzeugnissen, frei zu unterrichten. Dr. Heuss: Bei der Meinungsbildung haben wir seinerzeit nicht erörtert, daß neben der reinen Sachübermittlung auch Beeinflussungsmöglichkeiten da bezogen —

werden können, wo man sie herhaben will. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht kann man sagen: Niemand darf gehindert werden, sich frei zu unterrichten. Dr. Bergsträsser: Sie hatten das Bedenken gegen das Wort „frei". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müssen Bedenken aber ebenso gegen das Wort „gehindert" vorliegen. Eine Behinderung liegt auch darin, daß man erst davon Gebrauch machen kann, wenn man eine Gebühr zahlt. Dr. Bergsträsser: Dann kann es nur ein Jurist formulieren. Dr. Heuss: Ich würde die Sorge wegen der Gebühren nicht haben. Es kann eventuell bei der Berichterstattung gesagt werden, es darf um Gottes willen kein Richter auf die Idee kommen, daß sich das auf die gebührentechnischen Regelungen bezieht. Dr. Bergsträsser: Können wir es nicht so lassen, wie wir es formuliert haben? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Worte „jede Beschränkung" gehen ein bißchen zu weit.

(Dr. Bergsträsser: Warum?) Lensing: Nehmen wir die Fassung des Redaktionsausschusses.

Da steht nur: „Die freie Unterrichtung ." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es würde dann heißen: Die freie Unterrichtung und Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckerzeugnissen, dürfen nicht beschränkt .

.

werden. Dr. Eberhard: Das Wort „freie" würde ich noch streichen. Das hat keinen Sinn. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen dann also: Die Unterrichtung und die Meiusw. dürfen nicht beschränkt werden. nungsbildung erhebt sich kein Widerspruch.) (Hiergegen ..

.

.

.

.

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zu dem schwierigsten Absatz, nämlich zu der Frage der Pressefreiheit. Thoma will den dritten Absatz ganz gestrichen haben. Er sagt: Wählt man diese Formulierung des ersten Absatzes, so kann der dritte Absatz des Entwurfes gestrichen werden und er muß gestrichen werden, denn sein Wortlaut würde (was seinen Verfassern vermutlich entgangen ist) Raum lassen für ganz unerträgliche gesetzliche und polizeiliche Beschränkungen der Pressefreiheit. Der Redaktionsausschuß hat ihn wie Thoma herausgestrichen und hat nur den Satz über die Vorzensur hineingebracht. Das scheint mir zu wenig zu sein. Es scheint mir auch nicht den Bedürfnissen zu entsprechen, besonders wenn man sich die neue Entwicklung z. B. in der Schweiz12) ansieht. Bei den Vereinten Nationen13) heißt es in Art. 17 zur freien Meinungsbildung: Jedes Individuum hat das Recht auf Freiheit der Meinung und der Äußerung, worin das Recht einbegriffen ist, wegen seiner Meinung nicht beun-

Wir kommen

ruhigt

zu

werden,..

.

das braucht man nicht aufzunehmen wie auch das Recht, allerorts und ohne Ansehen der Grenzen die Informationen und die Ideen zu suchen, zu erhalten und zu verkünden, gleichviel auf welche Weise sie ausgedrückt werden. Das ist der Abs. 2. Bei uns ist es beschränkter und zweifellos besser. Leasing: Das haben wir in Abs. 2 erfaßt. Das muß auseinandergezogen wer—



.

.

.

den.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich schlage vor, die Sache etwas auseinanderzuziehen. Wir haben zu dieser Fassung schon gewisse Bedenken auch vom Rundfunk gehört. Ich würde eher vorschlagen, zu sagen: Die Pressefreiheit sowie die Frei-

heit der

Berichterstattung durch Rundfunk und Film das war neu; ich würde vorschlagen, daß man das auch offenhält wird gewährleistet. Rundfunk und Film haben beide sehr begrüßt, daß neben der Pressefreiheit auch ihnen die Freiheit der Berichterstattung gewährleistet wird. Ich weiß nicht, ob man auf —



diesen Satz verzichten soll: Presse, Rundfunk und Film haben die besondere Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Man nimmt dem Ganzen seine Gefahr etwas dadurch, daß man sagt: Sie haben die Pflicht. Lensing: An sich wird die Verpflichtung der Presse zur Wahrheit in einem zukünftigen Pressegesetz noch einmal festgelegt werden müssen. Ich betrachte das als eine besondere Aufgabe des Pressegesetzes. Ich würde es aber doch begrüßen, wenn wir auch hier die Pflicht zur Wahrheit auch in den Grundsätzen

festlegen. Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]: Das wäre auch insofern bedeutsam, als ein Gesetzgeein Pressegesetz macht, diesen Satz über die Wahrheitsver-

ber, der nachher

pflichtung

in sein Pressegesetz aufnehmen und näher umschreiben müßte. Bergsträsser: Wenn es heißt: „wahrheitsgetreu zu berichten" und eine Zeiich nehme Beispiele aus meiner Erfahrung —, in der Bautung berichtet Dr.

stoffverwaltung 12) Vgl. Anm. 6. 13) Dok. Nr. 10. 656

des



Regierungspräsidiums

in Darmstadt haben sich schreckliche

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Zustände entwickelt, die Leute sind alle bestechlich usw., so entsteht die Frage, ob das wahrheitsgetreu ist. (Dr. Heuss: Es kommt auf das Gerichtsverfahren an.) Natürlich. Wenn aber in dem Gerichtsverfahren festgestellt wird, der Mann hat sich eine Zigarre geben oder eine Zigarette anbieten lassen, so kommt es sehr auf den Richter an. Nach schärfstem Recht kann der Richter sagen, der Beamte, der sich eine Zigarette hat anbieten lassen, hat sich dadurch bestechen lassen, während der normale Mensch anders denkt. Wenn das auf mich angewandt würde, säße ich jahrelang im Kittchen; denn ich habe manche Zigarette von meinen Besuchern angeboten bekommen und auch genommen. (Dr. Heuss: Auch selber angeboten!) Auch selber angeboten; ob demselben, das ist wieder die Frage. Das Wort „wahrheitsgetreu" soll eigentlich nur ausdrücken, daß man nicht wider besseres Wissen und Gewissen etwas in die Zeitung setzt, daß man sich die nötigen Informationen zu verschaffen versucht hat. Wenn der Mann vorher zu dem Regierungspräsidenten geht und fragt, wie es damit steht, so braucht er nicht alles zu glauben, was ihm der Regierungspräsident sagt; aber er hat sich informiert. Das Wort „wahrheitsgetreu" ist sehr elastisch, darin hat Thoma Recht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Deshalb geht mein Vorschlag dahin, das irgendwie abzuschwächen, wenn wir es nicht ganz weglassen wollen. Dr. Bergsträsser: Ist nicht bei der UN von einer gewissenhaften Information die Rede? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein. Leasing: Wenn ich an die Zeit vor 1933 zurückdenke, so haben wir doch in der um es vorsichtig auszudrücken Berichterstattung gewisser Presseorgane eine gewisse Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit gehabt, die sich zur Ehrabschneidung usw. ausweitete. Selbstverständlich wird man diesen ganzen Fall in einem Pressegesetz treffen müssen. Ein Richter wird später in solchen Dingen niemals an Hand etwa dieses Artikels entscheiden, sondern wird das Pressegeohne daß wir da setz zur Hand nehmen. Wenn es uns hier gelingen würde einen falschen Zungenschlag haben —, irgendwie auch die zukünftige Pressegesetzgebung in dem Sinne zu beeinflussen, daß sie besonders auf die Verpflichtung der Presse zur Wahrheit achtet, so würde ich das begrüßen. Ich sehe natürlich gewisse Gefahren. Mit gefällt das Wort „wahrheitsgetreu" auch noch nicht restlos. Aber wenn ich die Wahl habe, das Wort „wahrheitsgetreu" mit einem gewissen Risiko hier zu übernehmen oder es völlig fallen zu lassen, so bin ich dafür, das Risiko des Wortes „wahrheitsgetreu" zu übernehmen. Dr. Eberhard: Bei der bisherigen Fassung ist an dem Einwand gegen die Verwendung dieses Wortes etwas dran. Bei der jetzigen Fassung, in der es heißt, daß die Presse die Pflicht hat, wahrheitsgemäß zu berichten, ist dagegen nichts zu sagen. Er kann sich ja auch irren. Dr. Heuss: Wir kommen über das Juristische hinaus etwas in die Situation der programmatischen Deklaration. Das Problem der wahrheitsgetreuen Berichterstattung ist von der Verfassung aus gesehen der Praxis gegenüber eine fast unmögliche Geschichte. Ich denke bloß an folgendes, was wir jetzt immer erleben und früher immer erlebt haben. Was ist eine wahrheitsgetreue Berichterstattung —









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Parlamentsverhandlung? Wenn Sie sich die früheren oder jetzigen Parteizeitungen ansehen, so stellen Sie fest, daß in jeder Parteizeitung der Parteisprecher eine kolossale Rede gehalten hat, während alle anderen mit zwei in England ist es, soZeilen abkommen. Es sind nur ganz wenige Zeitungen über eine

noch die Times —, bei denen man weiß, was los ist. Wenn der betreffende Redner dem Berichterstatter oder der Partei nicht gefällt, dann ist auf der Basis dieses Wortes „wahrheitsgetreu" nichts gelogen. Es ist nichts Falsches berichtet, sondern es ist nur eine solche Ausgewichtung erfolgt, daß das eigentliche Ereignis vollkommen verstellt ist. Können Sie das fassen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man würde noch in der Weise verfahren können, daß man die Sätze nach einer anderen Richtung ergänzt, indem man sagt: Die näheren Bestimmungen gegen den Mißbrauch dieser Rechte sind in einem Gesetz zu treffen. Dann ist auch die Frage der Verpflichtung zur Wahrheitstreue in einem Gesetz zu regeln. Dann würde vielleicht weiter hineinkommen können, daß die Feststellung, ob ein solcher Mißbrauch vorliegt, in jedem Fall Sache des Richters ist, der dabei die öffentlichen Aufgaben der Presse zu berücksichtigen hat. Leasing: Man müßte noch einen weiteren Absatz anfügen. Dr. Heuss: Ich habe ein Unbehagen, wenn wir gleich hinter die Deklaration der Pressefreiheit die uns an sich bekannte Gefahr des Mißbrauchs sozusagen als zur Presse gehörig in die Verfassung aufnehmen. Darauf kommt es nämlich her-

weit ich sehe,



nur

aus.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen irgendeine Ermächtigung für den Gesetzgeber aufnehmen. Dr. Heuss: Die müssen wir schon drin haben. Lensing: Thoma wendet sich dagegen, daß in Abs. 3 neben den Rechten auch noch eine Verpflichtung mit dem Wort „wahrheitsgetreu" stipuliert wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auf der anderen Seite wird von den Staatsrechtlern und auch von anderen Leuten immer wieder darüber geklagt, daß wir zwar lauter Rechte, aber keine Grundpflichten aufgeführt haben. Zu dem Grundrecht der Pressefreiheit gehört ganz sicher die Grundpflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Hier ist eine gute Gelegenheit, eine Grundpflicht hineinzubringen. Dr. Heuss: Dann können wir doch schreiben: haben das Recht und die Pflicht. Vors. [Dr. v. Mangoltl: Man könnte sagen: haben das Recht, zu berichten und dazu Stellung zu nehmen. Dann kommt die Formulierung: über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse. Wir waren uns etwas unklar, ob das sehr gut gefaßt ist. Da ist die Formulierung besser, in der einfach gesagt wird: Die Pressefreiheit wird gewährleistet. Dabei gehen wir allen Schwierigkeiten aus dem Wege. Pressefreiheit ist ein fester Begriff. Dann müßte man nur sagen: Die Pressefreiheit wie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film usw. Denn bei Rundfunk und Film bezieht sich die Freiheit nur auf die Berichterstattung. Die Freiheit der Meinungsäußerung durch den Rundfunk wird durch den allgemeinen Begriff erfaßt. Ist es dann aber notwendig, den Rundfunk und Film anzuführen? Lensing: Doch! 658

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Denn in der Verbreitung von Nachrichten stehen Rundfunk und Film der Presse gleich. Dr. Heuss: Ich bin dafür, daß wir es mit hineinnehmen. Ich bin mir bloß noch nicht ganz klar, ob wir damit etwas schaffen, wodurch das Wort „Mißbrauch" vermieden wird. Ich meine, das ist ein bißchen ungeschickt. Wir setzen voraus, daß diese Freiheit mißbraucht wird, und haben gleich den Finger erhoben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man den ersten Satz so faßt: Die Freiheit der Meinungsäußerung usw. wird gewährleistet, so müßte man im zweiten Satz sagen: Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten.

Dr. Heuss: Man müßte sagen: haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten, und das Recht, Stellung zu nehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßte man den Rundfunk wieder herauslassen. Lensing: Den Rundfunk müßte man dann herausnehmen. Der Rundfunk soll ja möglichst auf die objektive Berichterstattung beschränkt werden. Dr: Heuss: Wir haben doch überall im Rundfunk Kommentare. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur ein anderer Grund. Setzt man es herein, so wird jeder kleine Kommentator finden, daß hier für ihn ein Grundrecht gewährleistet ist, während der Rundfunk als eine Art Staatsmonopol oder doch wenigstens Monopol der Allgemeinheit diese Dinge und seine Leute in der Hand behalten muß. Dr. Heuss: Haben Sie eine Ahnung von Staatsmonopol! Die Amerikaner werden Schwierigkeiten machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Beim Rundfunk taucht eine andere Frage auf. Es ist ein Wunsch des Rundfunks, zur Sicherung der Freiheit der Berichterstattung des Rundfunks, überhaupt der Unabhängigkeit vom Staate, eine Vorschrift des Inhalts aufzunehmen, daß den Rundfunksendern ihre Stellung als öffentlich-rechtliche Anstalt gewährleistet wird. Dr. Heuss: Das können wir unmöglich in die Verfassung hineinnehmen. Das sieht heute in den einzelnen Zonen bzw. Ländern total verschieden aus. In der britischen Zone haben Sie eine einheitliche Organisation. Bei uns haben die einzelnen Länder Rundfunkgesetze, die alle ein klein bißchen anders ausse-

hen14). Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

Die aber überall die öffentlich-rechtliche Anstalt

vorse-

hen. Dr. Eberhard: Vorläufig sind es Sender der Militärregierung. In Stuttgart ist es ein Sender der Militärregierung15). Wir haben auch ein Gesetz gemacht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In Rheinland-Pfalz ist das Gesetz auch durch, wonach der Rundfunk eine öffentlich-rechtliche Anstalt ist. Das wäre gerade den Be-

14) Zur Entwicklung des Rundfunks in den Ländern nach 1945 s. Wolfgang Schütte: Der deutsche Nachkriegsrundfunk und die Gründung der Rundfunkanstalten, in: Winfried B. Lerg und Rolf Steininger (Hrsg.) : Rundfunk und Politik 1923-1973. Beiträge zur Rund1975, S. 217-241. Hans Bausch: Rundfunkpolitik nach 1945, I.Teil: 1945-1962. München 1980, S. 13 ff. 15) Edgar Lersch: Rundfunk in Stuttgart 1934-1949. Südfunk-Hefte Nr. 17, Stuttgart 1990.

funkforschung. Berlin

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strebungen der Militärregierung gegenüber günstig, wenn man es irgendwie aufnehmen könnte. Das würde die Freiheit des Rundfunks, ja, der Meinungsäußerung über den Rundfunk besonders gewährleisten. Dr. Bergsträsser: Tatsächlich besteht die Meinungsäußerung im Rundfunk schon in der Auswahl der Nachrichten sowie in den Kommentaren und in den Vorträgen, die die einzelnen Leute halten. Lensing: Darin sehe ich noch keine Stellungnahme des Rundfunks. Da spricht Herr Müller von der Partei und Herr Maier von jener Partei. Die bilden insofern natürlich die Meinung. Aber der Rundfunk selbst soll sich der parteipolitischen Beeinflussung enthalten. Es darf keinen sozialdemokratischen Rundfunk, keinen CDU-Rundfunk usw. geben. Dr. Bergsträsser: Nehmen Sie die beiden Kommentatoren, die ich zufällig kenne! Der eine ist der Herr Frey16) in Frankfurt, und der andere ist der Herr von Cube17) in München. Das sind doch sehr verschiedene Auffassungen; das sind doch Meinungen und zum Teil sogar prononcierte Meinungen. Wir haben diese Kommentare von Herrn von Cube bekommen. Sie werden von der bayerischen Staatsregierung zugeschickt18). Daraus können wir uns informieren. Lensing: Ich bedauere, daß es so ist. Ich will aber den Rundfunk als Monopol zu einer gewissen Objektivität zwingen. Das ist der Unterschied gegenüber der Presse. Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

Wie können Sie den Rundfunk

zu

dieser

Objektivität

zwingen? Doch nicht dadurch, daß Sie ihn unmittelbar dem Staat unterstellen.

Wenn Sie den unmittelbaren staatlichen Einfluß zulassen, würde der Staat diese und jene Leute gar nicht reden lassen. Dr. Bergsträsser: Die bayerische Staatsregierung ist offenbar mit Herrn von Cube in gewissem Maße einverstanden. (Mayr: Doch doch!) Wenn sie es nicht wäre, würde sie uns diese Kommentare nicht offiziell hierher zuschicken. Die Kommentare gehen durch das Büro der bayerischen Staats-

regierung. Dr. Eberhard: Für unser Grundgesetz möchte ich folgendes betonen. Die Frage, wie man den Rundfunk am besten behandelt, ist noch völlig ungeklärt, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Die Gesetze, die jetzt in der amerikanischen Zone gemacht werden, nehmen dazu Stellung, daß Kommentare gegeben werden. Man kann etwa hineinschreiben, wenn die eine Sei-

1B) Vermutlich Hörfehler. Gemeint

war wohl Fritz Fay (1900—1966); ein Kurzkommentar ihm für Radio Frankfurt über die Frage der künftigen Hauptstadt, in dem er sich für Frankfurt und gegen Bonn aussprach, gesendet am 7. Nov. 1948 in: Z 45 F15/148—2/3. 17) Walter von Cube (1906-1984), nach 1945 Redakteur bei der „Neuen Zeitung", 1947—1972 Chefredakteur, Programmdirektor und stellvertretender Intendant des Bayerischen Rundfunks. Ein Katalog, der Ton-, Filmdokumente und Kommentare umfaßt, ist in Vorbereitung und wird 1991 in der „Gelben Reihe" der Historischen Kommission des Bayerischen Rundfunks erscheinen. Vgl. Studienkreis Rundfunk und Geschichte, Mitteilungen 17. Jhrg., Okt. 1991, S. 144. 1B) Einige seiner Kommentare wurden auch im Informationsdienst für die Abgeordneten des Pari. Rates aufgenommen. Vg). NL Kaufmann, ACDP: 1—071-027. von

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te, etwa die Gewerkschaften, zu Worte kommt, hat die andere Seite, die Arbeitgeber, das Recht, die gleiche Zeit zu sprechen. Es ist alles ein Kompromiß, das man da irgendwie schließen muß. Es ist alles so im Fluß, daß ich das Rundfunkgesetz nicht durch etwas präjudizieren möchte, was jetzt hier hereingeschrieben wird. Wir kennen die Konsequenzen gar nicht alle. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Rundfunk selbst hat beantragt19) : rechtlich selbständige, politisch und wirtschaftlich unabhängige Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die Sendeanlagen betreiben und die Sendeprogramme bestim.



.

.

men."

Dr. Eberhard: Der Rundfunk selbst beantragt es. Wir haben es in einem LandDa kam der Intendant und die Angestellten, die alle erklärten, sie hätten die und die Forderungen an das Radiogesetz. Es ist alles sehr im Fluß. Ich würde es nicht in der Verfassung festlegen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist ganz gut, von den Leuten, die dauernd damit zu tun haben, zu hören, auf welche Schwierigkeiten sie stoßen. Wir stoßen schon

tagsausschuß erlebt.

auf

Schwierigkeiten.

Dr. Eberhard: Auch das Stellungnehmen würde ich nicht verbieten. Man kann sonst den Rundfunk sehr langweilig machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist keine Frage, der Rundfunk muß unter allen Umständen Stellung nehmen. Wenn dieses Recht der freien Stellungnahme ausdrücklich durch die Verfassung gesichert wird, führt es jedoch leicht dazu, daß der kleine Kommentator das als sein Recht ansieht, während die Stellungnahme ein Recht des Rundfunks als solchen ist und der Rundfunk als solcher die Möglichkeit haben muß, zu sagen: Das und das kannst du bei uns nicht sagen. Dr. Bergsträsser: Das kann doch die Rundfunkleitung dadurch machen, daß sie dem Mann kündigt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das kann sie nicht. Der beruft sich auf die Verfassung und ficht die Kündigung an. Dr. Eberhard: Bei der Presse entscheidet auch der Chefredakteur. Beim Rundfunk ist es der Intendant. Lensing: Hier besteht tatsächlich die Gefahr, daß der einzelne Rundfunkkommentator zu allen möglichen Dingen Stellung nimmt und sagt: Hier steht es

ja.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir den Oberbegriff der Pressefreiheit und der Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk haben, ist darin nicht auch das Recht der Stellungnahme enthalten? Dr. Heuss: In der Pressefreiheit steckt es drin. Es ist immer so verstanden worden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann ist nur die Frage, ob es in dem Ausdruck drin liegt. Rundfunkfreiheit kann man nicht sagen. Man kann nur Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film sagen. Der Film hat eine Berichterstattung in der Wochenschau. Wir würden ferner dem Satz über das Recht irgend

19) Ein entsprechender Antrag „des Rundfunks" ließ sich nicht ermitteln. 661

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etwas über die damit verbundenen Pflichten

folgen lassen. Der erste Satz mit den Worten „wird gewährleistet" kann so bleiben. Es handelt sich für uns um die Formulierung des zweiten Satzes mit der Pflicht. „Die Freiheit der Presse" kann man nicht sagen. Pressefreiheit und Freiheit der Presse sind zwei verschiedene Begriffe. Pressefreiheit ist ein ganz eingeführter Begriff. Wir müssen schon sagen: die Pressefreiheit. Wir müßten eben noch einmal aufnehmen: Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Dann würde ein weiterer Punkt (.) kommen, und wir würden sagen: Eine Zensur von Presse und Rundfunk findet nicht statt. Den Film läßt man bewußt aus, weil man da vielleicht die Zensur braucht. Nun müßte noch die Ermächtigung zur gesetzlichen Regelung kommen. Dr. Eberhard: Und vielleicht noch das, was ich über Presseorgane sagte, die darauf aus sind, die freiheitliche und demokratische Grundordnung zu beseitigen. v. Mangoldt]: Das kommt gleich.) sehr allgemein. Das möchte ich auf die Presse oder auf die Presse und den Rundfunk bezogen wissen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Was die Frage des Mißbrauchs angeht, so sprechen die Schweizer ausdrücklich davon20). Sie sagen: „Die Gesetzgebung umschreibt ihren Mißbrauch." Bei den Franzosen heißt es: „Jedermann hat die Freiheit, zu reden, zu schreiben, zu drucken und zu veröffentlichen. Er kann, sei es durch die Presse, sei es auf jede andere Weise, jede Meinung ausdrücken, verbreiten und verteidigen, solange er dieses Recht nicht mißbraucht, besonders nicht, um die in dieser Erklärung niedergelegten Freiheiten zu verletzen21)." Hier hat merkwürdigerweise der Herrenchiemseer Entwurf zwei Vorschriften, indem er nämlich in Art. 1922) für alle Artikel sagt: „Jeder hat die Pflicht der Treue gegen die Verfassung und hat Verfassung und Gesetz zu achten und zu befolgen." In Art. 20 heißt es dann: „Wer die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit oder der Vereinigungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf diese Grundrechte zu berufen." Dr. Bergsträsser: Art. 20 ist aus der hessischen Verfassung23). Dr. Eberhard: Das wäre in der Richtung, wie ich es gern haben möchte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnten wir in Abs. 4 machen. Es dreht sich jetzt nur um die Ermächtigung für den Gesetzgeber. Um Vorschriften über den Mißbrauch kommt man nicht herum. Lensing: Die Formulierung der französischen Verfassung könnte man übernehmen, natürlich etwas geändert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es heißt dort nur: „solange er dieses Recht nicht mißbraucht." Wir wollten ja eine so allgemeine Formulierung nicht hineinsetzen.

(Vors. [Dr.

Hier ist

es

20) Vgl. Anm. 6. 21) Weder in Art.

14 noch anderswo war dieser Passus in der franz. Verfassung von 1946 enthalten. Vgl. Civil Administration Division: Bundesstaatliche Verfassungen, S. 342—360. 22) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. 23) Art. 17 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946.

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Gerade das, was Mißbrauch ist, soll durch ein Gesetz bestimmt werden. Die Vorschriften gegen den Mißbrauch dieser Rechte werden durch Gesetz getroffen. (Lensing: Aber nur für die Presse!) Nur für die Presse. Dr. Heuss: Nicht nur das gehört in das Pressegesetz. Sehr viele andere Dinge, wie Haftung, Redaktionsgeheimnis usw., kommen in das Pressegesetz hinein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Natürlich, das würde ohne weiteres auch gehen. Es würde dies nur für einen Teil des Pressegesetzes gelten. In das Pressegesetz würde auch noch der Abs. 4 hereinschlagen, wonach nämlich die Rechte ihre Grenze an den Vorschriften der Strafgesetze usw. finden. Die strafrechtlichen Bestimmungen würden durch Abs. 4 umfaßt werden. Man kann nicht sagen: Die Grenzen des Mißbrauchs oder: Da, wo der Mißbrauch anfängt, wird durch ein Gesetz geregelt. Darauf wollen wir hinaus. Wenn man die Pressefreiheit gewährleisten will, muß man den Satz ganz allgemein fassen und die Mißbrauchsvorschriften in ein besonderes Gesetz aufnehmen. Man muß ganz eingehend formulieren, was Mißbrauch ist. Man muß gleichzeitig sicherstellen, daß gegen den Mißbrauch nur ein Vorgehen durch den Richter möglich ist. Das ist ein echter Schutz der Pressefreiheit. (Dr. Eberhard: Ja.) Diese beiden Dinge müßten hier noch hineinkommen. Dr. Bergsträsser: In der hessischen Verfassung heißt es: „Auf das Recht der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinsfreiheit sowie auf das Recht der Verbreitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke kann sich nicht berufen, wer den verfassungsmäßigen Zustand angreift oder gefährdet. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet im Beschwerdewege der Staatsgerichtshof24)." Dann ist ein zweiter Artikel drin, in dem es heißt: „Auf das Recht der freien Meinungsäußerung, der Verbreitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke und der freien Unterrichtung kann sich ferner nicht berufen, wer Gesetze zum Schutze der Jugend verletzt." Lensing: In Hessen kommt jetzt ein neues Gesetz, weil die Amerikaner ein Gesetz verlangen, durch das alle Beschränkungen der Pressefreiheit aufgehoben —

werden25). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht kann man kurz sagen: Der Mißbrauch dieser Rechte wird in einem Gesetz geregelt. (Dr. Eberhard: Das klingt sehr komisch. Dr. Heuss: Den Mißbrauch kann man nicht regeln.) Lensing: Man müßte sagen: Die Ahndung des Mißbrauchs wird durch ein Ge—

setz

geregelt.

v. Mangoldt]: Nicht nur die Ahndung wird geregelt, es wird vielmehr auch geregelt, wann ein Mißbrauch vorliegt. Vielleicht kann man sagen: Das Nähere über den Mißbrauch dieser Rechte enthält ein besonderes Gesetz.

Vors. [Dr.

24) Art. 17, Satz 1 der Verfassung vom 1. Dez. 1946. 25) Zum Pressegesetz in Hessen vgl. Harold Hurwitz: Die Stunde Null der deutschen Presse. Köln 1972, S. 183 ff.

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Man kann auf keinen Fall sagen: ein Gesetz. Das erweckt den Einnur mit dem Mißbrauch beschäftigt. Man muß sagen: im Pressegesetz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann auch nicht sagen: Der Mißbrauch wird im Pressegesetz geregelt. Man müßte sagen: Wegen Mißbrauchs dieser Rechte kann nur verfolgt werden, wer die Vorschriften eines besonderen Gesetzes

Leasing:

druck, daß das Pressegesetz sich

übertritt.

Lensing: Es wird niemals ein besonderes Pressegesetz für den Mißbrauch der Pressefreiheit gemacht werden, sondern das ist nur ein Abschnitt des zukünftigen Pressegesetzes. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen dann wie

folgt formulieren: Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur verfolgt werden, wer gegen die gesetzlichen Vorschriften über die Presse verstößt. Die Entscheidung über den Mißbrauch darf nur im ordentlichen gerichtlichen Verfahren erfolgen. Bei der Bedeutung ,W presse würde es zu verantworten sein, einen solchen ausführlichen Artikel zu machen. Dr. Eberhard: Sind da einstweilige Anordnungen des Richters möglich? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde ich bejahen. Das ordentliche Verfahren kennt die einstweiligen Anordnungen. Das würde man anwenden müssen. Dr. Heuss: Vielleicht können wir sagen: Die Entscheidung darf nur im ordentlichen gerichtlichen Verfahren erfolgen. Ich würde das Wort Mißbrauch hier vermeiden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es würde sich somit folgende Formulierung ergeben: Die Pressefreiheit wie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film wird gewährleistet. Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Eine Zensur von Presse und Rundfunk findet nicht statt. Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur verfolgt werden, wer gegen die gesetzlichen Vorschriften über die Presse verstößt. Die Entscheidung darf nur im ordentlichen gerichtlichen Verfahren erfolgen. Daraus ergibt sich, daß eine nähere Regelung durch ein besonderes Gesetz zu erfolgen hat. Dr. Heuss: Man kann nicht sagen: darf erfolgen. Vielleicht kann man sagen: Die Entscheidung liegt bei den ordentlichen Gerichten. Bauer: Vielleicht kann man sagen: Das Nähere regelt ein Gesetz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir „Das Nähere" sagen, wird alles Mögliche in Zweifel gesetzt. Schioer: Können wir nicht sagen: Die Entscheidung liegt bei den ordentlichen Gerichten? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann kann vielleicht vorher von der Verwaltungsbehörde eingeschritten werden, aber die Entscheidung liegt beim ordentlichen Gericht. Man könnte offenlassen, ob ein Einschreiten zunächst verwaltungsmäßig erfolgen könnte. Dr. Bergsträsser: Das ist sehr bedenklich. Wenn die Verwaltungsbehörde einschreiten darf, so kann sie ein Zeitungsunternehmen durch wiederholtes Einschreiten schon totmachen, ohne daß eine gerichtliche Entscheidung, die sich 664

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monatelang hinzieht, das verhindern kann. Nehmen wir an, die Verwaltungsbehörde sagt: Es ist ein so großer Mißbrauch, ich schreite ein und wochen- oder

verbiete die Zeitung auf vier Wochen; nach vier Wochen erscheint die Zeitung wieder, es wird wieder ein Mißbrauch konstruiert, und die Zeitung wird wieder verboten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sollten wir diese Erwägungen nicht dem Gesetzgeber überlassen? Wir könnten sagen: Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über die Presse eingeschritten werden. Im letzten Satz könnten wir sagen: Die Entscheidung erfolgt im ordentlichen gerichtlichen Verfahren. Dr. Bergsträsser: Dann wird die Möglichkeit des Einschreitens durch die Verwaltung nicht aufgehoben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, die Gesetze sagen, wer einschreiten darf. Das Pressegesetz muß erst gemacht werden, in diesem Gesetz sind die Überlegungen anzustellen, die Sie anstellen. Wir lassen dem Gesetzgeber offen, irgendwelche Dinge, die wir im Augenblick nicht übersehen, anders zu regeln. Dr. Bergsträsser: Wenn aber der Gesetzgeber dann doch eine solche Vorschrift erläßt! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei der bisherigen Formulierung würde offen bleiben, wie die gesetzlichen Vorschriften aussehen und wen die gesetzlichen Vorschrifzu einem Vorgehen ermächtigen. Dr. Bergsträsser: Ich möchte verhindern, daß die Verwaltung einschreiten kann. Die Verwaltung schreitet immer einseitig ein, weil sie immer einen gewissen Haß und ein gewisses Mißtrauen gegen die Zeitung hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht könnte man es noch näher definieren, indem man sagt: Die Entscheidung über die Beschlagnahme oder das Verbot von Presseerzeugnissen bedarf stets einer richterlichen Entscheidung. Bauer: Vielleicht könnte man sagen: Der ordentliche Rechtsweg muß offengehalten werden. Dr. Heuss: Er muß beschritten werden! Dr. Bergsträsser: Das genügt nicht. Dann kann es drei Monate dauern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es dreht sich im wesentlichen um Beschlagnahme und Verbot von Presseerzeugnissen. Da ist die Sicherung notwendig. Dr. Heuss: Es kann auch die Anklage erfolgen. Heile: Könnte man nicht einfach so sagen: Gegen Mißbrauch dieser Rechte darf nur eingeschritten werden, wenn in einem ordentlichen gerichtlichen Verfahren ein Mißbrauch festgestellt worden ist? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das allein genügt nicht. Dann haben wir die Ermächtigung für den Gesetzgeber nicht drin. Man könnte so sagen: Wenn in einem ordentlichen Verfahren gemäß den gesetzlichen Vorschriften über die Presse ein Mißbrauch festgestellt worden ist. Heile: Das ist ein Antrag in dem Sinne von Herrn Dr. Bergsträsser. Wenn ich mir nun vorstelle, daß eine boshafte Presse existiert, die dauernd im übelsten Sinne krakeelt, wie wir es in der Nazizeit gehabt haben, müßte die Verwaltungsbehörde, ehe sie einschreitet, erst ein Gerichtsverfahren einleiten. Das dauert ewig lange.

ten

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Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ihr Vorschlag ist aufgenommen, nur an anderer Stelle. Wir sagen: Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über die Presse nur eingeschritten werden, wenn usw. Dann kommt das, was Sie sagen. Bauer: In der Praxis wird die Verwaltung zunächst einschreiten. Nun gibt es doch Leute, die sich dagegen nicht wehren. Es muß doch der Grundsatz gelten: Wo kein Kläger ist, da ist kein Richter. Der ordentliche Rechtsweg kann nur eröffnet werden, wenn der Betroffene an das ordentliche Gericht geht. Es kann nicht ein Zwang festgesetzt werden, daß im ordentlichen Gerichtsverfahren entschieden wird, wenn der Betroffene nicht will, sondern sich der Verwaltungs-

behörde fügt. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Verfolgung wegen Mißbrauchs erfolgt von Amts wegen auf Anzeige. Das ist eine Sache der Staatsanwaltschaft. Das kann überhaupt nur in Frage kommen. Andererseits gibt es die Möglichkeit, daß ein Mißbrauch in einer Ehrverletzung liegt. Dr. Heuss: Eine einstweilige Verfügung kann von irgend jemand erwirkt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Einstweilige Verfügungen und strafrechtliche Verfolgung sind ohne weiteres nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen möglich. Wir wollen zunächst wie folgt formulieren: Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über die Presse nur eingeschritten werden, wenn in einem ordentlichen gerichtlichen Verfahren ein Mißbrauch festgestellt worden ist. Schioer: Bevor ein gerichtliches Urteil da ist, soll überhaupt nicht eingeschritten werden können? Ich glaube, das ist unmöglich. Dr. Heuss: Das ist unmöglich. Das Einschreiten kommt vorher. Dr. Bergsträsser: Wir sind in einer Zwickmühle. Wenn das Einschreiten vorher erfolgt, kann man die Presse kaputt machen. Wenn es nachher erfolgt, kann man überhaupt nichts machen. Schioer: Dann kann die Presse schließlich machen, was sie will. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen es doch in zwei Sätzen sagen. Wir müssen sagen: Die Verfolgung erfolgt im ordentlichen gerichtlichen Verfahren. Dr. Bergsträsser: Das Einschreiten bleibt dann frei? Schioer: Man müßte sagen: Für die Verfolgung sind die ordentlichen Gerichte

zuständig.

Dr. Heuss: Für die Entscheidung! Schioer: Wer verfolgt es zunächst, die Verwaltungsbehörde oder der Staatsanwalt? Zunächst müßte der Staatsanwalt einschreiten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir würden also im zweiten Teil sagen: Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über die Presse eingeschritten werden. Die Entscheidung erfolgt im ordentlichen gerichtlichen Verfahren. Dr. Bergsträsser: Die Formulierung: „Eine Zensur findet nicht statt" ist schlecht. (Dr. Eberhard: Diese Formulierung ist sehr alt.) Ich weiß es. Kann man nicht sagen: Es gibt keine Zensur? —

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Dr. Eberhard: Ich denke, wir lassen es bei der alten Fassung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte sagen: Die Zensur von Presse und Rund-

funk ist unstatthaft. (Dr. Eberhard: Schön ist das auch nicht.) Oder vielleicht: Die Zensur von Presse und Rundfunk ist verboten. Heile: Wollen wir grundsätzlich jede Zensur unmöglich machen? Es könnte eine Zeit kommen, in der wir wieder eine Zensur brauchen. Sonst könnte man einfach sagen: Die Einführung einer Zensur ist unzulässig. Ich bin der letzte, der eine Zensur wünscht. Aber die Erfahrungen der Nazizeit beeinflussen mich. Dr. Heuss: Dann kommen die Notstandsartikel in Betracht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben nun noch den Abs. 4 zu behandeln: „Diese Rechte finden ihre Grenze in der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung .." Hier müssen wir auf die Bedenken eingehen, die von Thoma und anderen angeführt worden sind. Der Redaktionsausschuß sagt: „Diese Rechte finden ihre Grenze in der Pflicht zur Achtung der Verfassung .26)" In der alten Formulierung von Herrenchiemsee27) heißt es: „Wer die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit oder der Vereinigungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht,. ." Da haben wir wieder den Mißbrauch, das könnten wir jetzt hier kürzer fassen, weil wir den Mißbrauch schon in Abs. 3 geregelt und dem Gesetz überlassen haben. Das brauchten wir nicht noch einmal aufzunehmen. Die Ausführung von Thoma, daß der gewöhnliche Volksgenosse keine Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung habe, teile ich nicht ganz. Dr. Eberhard: Es ist eine Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung insgesamt. Man hat natürlich nicht die Verpflichtung, daß man jeden einzelnen Artikel für richtig hält. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir die Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung noch besonders erzwingbar machen würden, könnten wir schwere Bedenken dagegen haben. Anders ist es, wenn sie negativ als eine Grenze angesehen wird. Dr. Bergsträsser: Welchen Unterschied würden Sie als Jurist zwischen Achtung und Treue sehen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich kann keinen Unterschied sehen. Thoma will es ganz herausgestrichen haben. Der Redaktionsausschuß hat leider keine Zeit gehabt, es sich fertig zu überlegen. Er hat diese Formulierung mit der Achtung .

.

.

.

gefunden.

Bauer: Die Begriffe Achtung und Treue sind nach meiner Ansicht grundverschieden. Achtung ist mehr eine innere Einstellung, die man schwerlich von jedem fordern kann. Treue ist dagegen schon etwas Greifbares. Treue gegenüber der Verfassung bedeutet, daß ein Verstoß dagegen nicht statthaft wäre. Ich bin unbedingt dafür, den Ausdruck Achtung durch Treue zu ersetzen. (Dr. Bergsträsser: Achtung bedeutet nur: nicht Mißachtung.)

26) Fassung des Allg. Redaktionsausschusses vgl. Dok. 27) Art. 20 ChE; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582.

Nr. 28.

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Achtung ist kein juristischer Begriff. Treue ist dagegen schon mehr ein juristischer Begriff. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde ich nicht ganz sagen. Ich würde es umgekehrt sagen. Von der Treue hat man gerade in der Nazizeit soviel geredet, sie

erklärt worden. Wenn ich z. B. Treue zum Führer ist als etwas Inneres achte oder so werden die beachte, die Verfassung Bestimmungen der Verfasrichte mich danach. von mir und ich als maßgeblich betrachtet, sung Bauer: Kennt einer der Herren vielleicht den Inhalt des Eides, der den Beamten abgenommen wird? Darin ist etwas derartiges28). Ich kenne die Formulierung nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es heißt: Ich schwöre Treue der Verfassung. Es kommt auch die Wendung vor: die Gesetze zu achten. In der Fassung von Herrenchiemsee29) finden Sie das in folgender Form: „Jeder hat die Pflicht der Treue gegen die Verfassung und hat Verfassung und Gesetz zu achten und zu befolgen." Daß wir das nicht übernommen haben, das ist auch ein Vorwurf, den Nawiasky30) uns gemacht hat. Wir haben diesen Gedanken aber bewußt nicht bei jedem Artikel übernommen, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie man z. B. bei der Berufswahl oder bei der Freizügigkeit die Treue gegenüber der Verfassung irgendwie verletzen kann. Ich habe auch in einer Entgegnung zu Nawiasky gesagt: zu jedem Artikel könne eine solche Vorschrift auch gar nicht Geltung beanspruchen; man brauche sie nur bei den Artikeln anzuführen, bei denen sie in Frage komme. Den Herrenchiemseer Entwurf haben größtenteils Juristen gemacht. Deshalb sehe ich gar keine Schwierigkeiten. Vielleicht könnte man in Abs. 4 nur sagen: Diese Rechte finden ihre Grenze in der Treue gegen —

die

Verfassung



usw.

Dr. Heuss: Das ist besser, weil die Treueverpflichtung etwas spezifisch Beamtliches geworden ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Thoma hat noch andere schwere Bedenken. Er sagt: „Es soll einerseits (a) die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Freiheit der Presse, mit Verfassungsrechtskraft sichern gegenüber der Polizeigewalt" „wie das ist ganz eindeutig durch unseren Absatz über die Presse geschehen —

auch gegenüber einfachen Mehrheiten der gesetzgebenden Versammlungen der Länder und des Bundes31)." Er sagt weiter: „Er soll andererseits (b) einem Mißbrauch dieser Freiheit zur Unterwühlung der demokratischen Verfassungsordnung entgegenwirken." Das wollen wir durch den Schlußabsatz. Es ist nur die Frage, ob man es so fassen kann. Es wird nur sehr viel umständlicher, wenn —

28)

29) 30) 31) 668

Die Eidesformel eines bayerischen Beamten im lahre 1947 lautete: „Ich schwöre, daß ich die mir obliegenden Amtspflichten gewissenhaft und nach den Weisungen meiner Vorgesetzten erfüllen und daß ich innerhalb und außerhalb des Amtes die durch die Verfassung gewährleistete demokratisch-konstitutionelle Staatsordnung unterstützen werde, so wahr mir Gott helfe." Der Eid konnte auch ohne die Schlußworte geleistet werden. Neben dem Diensteid waren die Beamten auch noch auf die Verfassung zu vereidigen. Vgl. Claus Leusser: Bayerisches Beamtengesetz vom 28. Okt. 1946. München 1947. Art. 19 ChE; Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. Zu den Vorwürfen von Nawiasky vgl. Dok. Nr. 31, Anm. 21. Folgt gestrichen: „Das ist auch rein auf den Mißbrauch der Rechte beschränkt."

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die Grenze zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht. Dann würden wir wieder den Mißbrauch drin haben, den wir in dem Satz vorher haben. Deshalb können wir das hier vielleicht kürzer fassen. Dr. Bergsträsser: Wollen wir noch einen Artikel nehmen, in dem wir sagen, daß sich auf die Grundrechte nicht berufen kann, wer usw.? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist mir zweifelhaft, ob man das so allgemein hineinbringen kann. Ich muß wieder auf das Beispiel der Freizügigkeit verweisen. Dr. Bergsträsser: Man könnte vielleicht hineinbringen: wer sich auf die Freiheit der Meinungsäußerung nicht beziehen darf. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte eine solche Vorschrift vielleicht noch an den Schluß bringen. Aber der Artikel wird dann sehr überladen. Der Entwurf von Herrenchiemsee beschränkt eine ähnliche Vorschrift auf die freie Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit und Vereinigungsman

sagt:

.

.

.

freiheit32). Dr. Bergsträsser:

In der hessischen

Verfassung steht: „Auf das Recht der freien der Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinsfreiheit sowie auf das Recht zur Verbreitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke kann sich nicht berufen, wer den verfassungsmäßigen Zustand angreift oder gefährdet33)." Das ist wohl die einzige Formulierung eines generellen Schutzes der Demokratie, um es so auszudrücken. Dann brauchten wir die ganze Geschichte von der Treue zur Verfassung nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, dann kann man sich darauf nicht berufen. Die Worte „zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung" dekken das Ganze. Dr. Eberhard: Eigentlich kann man auch gegen einzelne wichtige Artikel der Verfassung verstoßen, ohne daß das notwendigerweise gleich ein Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung ist. Es ist also weiter. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist meine Idee. Praktisch ist es weiter. Dr. Eberhard: Da wir sagen, die Rechte finden ihre Grenze an den Vorschriften der Strafgesetze, müssen wir unseren Verfassungsartikel mindestens ebenso wichtig nehmen. Das muß wohl auf alle Fälle bleiben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Könnten wir da nicht einfach sagen: Die Rechte finden ihre Grenze an der Verfassung oder: an dem Geist der Verfassung, oder so ähnlich? Heile: Ich habe zwei Dinge miteinander zu vereinen gesucht und schlage vor zu sagen: Diese Rechte haben ihre Grundlage in der Verpflichtung zur Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit und zur Treue gegenüber der Verfassung und finden ihre Grenze an den Vorschriften der Strafgesetze, an den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen usw. Das ist die Voraussetzung dafür, daß man die Pressefreiheit überhaupt gibt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hinsichtlich der Meinungsfreiheit geht das viel zu weit. Jemand darf sich ruhig unsachlich äußern. Es wird soviel Blech geredet. 32) Anm. 29. 33) Art. 18 der Verfassung des Landes Hessen

vom

1. Dez. 1946.

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Heile: Das ist aber gerade das, was man nicht soll. Die Verfassung kann zwar niemals alles bis zum letzten I-Punkt durchsetzen, was sie will. Wenn wir für die Presse als die Grundlage der öffentlichen Meinung Gesetze geben, sollten wir doch sagen, ein Mensch, der nicht sachlich bleibt, gehört überhaupt nicht in die Presse. Dr. Heuss: Die Schwierigkeit liegt darin, daß der Artikel nicht bloß die Presse, sondern auch das öffentliche Reden usw. mit umfaßt. Heile: Die wirklichen Schwierigkeiten fangen erst da an, wo der persönliche Ehrenschutz beginnt, wo jemand, um eine politische Meinung durchzusetzen, den gegnerischen Vertreter mit Dreck beschmeißt. Da nutzen die Strafgesetze auch nichts. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Kann man nicht sagen: Diese Rechte finden ihre Grenze an den Grundsätzen der Verfassung, an den Vorschriften der Strafgesetze usw.? Bauer: Davor würde ich warnen. Das rührt an einen sehr neuralgischen Punkt. Da kommt schon wieder die Frage der Grundsätze hinein, die man bei dieser Verfassung gegenüber der Verfassung von Weimar tunlichst herauslassen sollte. Ich bin der Meinung, daß man es schon juristisch möglichst konkret halten sollte. Dr. Bergsträsser: Ich würde sagen, nein. Wir haben doch den allgemeinen Satz, der Bund ist eine demokratische, parlamentarische Republik. Das ist ein Grundsatz. Wer diesen Grundsatz nicht anerkennt, kann sich nicht darauf berufen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist auch deshalb wesentlich, weil man dann die Meinungsäußerung nicht so weit einschränkt. Man kann es nur auf die tragenden Grundsätze abstellen. Dr. Eberhard: Der einzelne schwört doch keine Treue dem jetzigen Zuständig-

keitskatalog.

v. Mangoldt]: Das festzustellen ist gewiß wesentlich. „Die Treue geder ganzen Verfassung" geht dann zu weit. Dr. Heuss: Es kann einer ein Buch über Hobbes34), ein Buch über Machiavelli35) schreiben. Einer kann ein Buch schreiben, in dem er die Charakteristika der Demokratie in Amerika beschreibt, rein als historisches Essay. Das eine kann wie eine Apotheose des autoritären, totalitären Staates wirken, das andere mehr wie eine Verunglimpfung der demokratischen Institutionen. Das kann man nicht verbieten. Ich wollte nur auf die Konsequenzen hinweisen. Es ist ein Problem der literarischen Geschicklichkeit. Jemand kann in der wissenschaftlich vollendetsten Form die furchtbarsten Dinge sagen. Wir haben es vor Hitler erlebt. Die ganze Arbeit des „Tat-Kreises"36) ging in dieser Richtung. Diese Meldereiter der kommenden Zeit waren intellektuell gute Literaten, die literarisch gute Sachen geschrieben haben.

Vors. [Dr.

genüber

34) Thomas Hobbes vgl. Dok. Nr. 5, Anm. 18. 35) Niccolo Machiavelli (1469—1527), politischer Schriftsteller aus Florenz. 38) Ein „Kreis", der sich um die Zeitschrift „die Tat" gebildet hatte, Herausgeber

war

1929—1933 Hans Zehrer. Vgl. Klaus Fritzsche: Politische Romantik und Gegenrevolution, Fluchtwege in der Krise der bürgerlichen Gesellschaft: Das Beispiel des „Tat"-Kreises. Frankfurt 1967.

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festhalten, was hier gemeint ist. Es heißt: absolute Pressefreiheit, und der Abs. 4 soll nichts anderes bedeuten als mehr oder minBauer: Wir müssen klar

der die Ausnahme. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das stimmt nicht. Abs. 4 bezieht sich auf Abs. 1 bis 3, er bezieht sich gar nicht nur auf die Pressefreiheit. Dr. Eberhard: Nach dem Beispiel von Herrn Dr. Heuss bekomme ich Sorge hinsichtlich der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung. Auch hinsichtlich der Grundsätze der Verfassung habe ich Sorge. Wir müssen es beschränken, indem wir sagen, die Rechte sollen nicht benutzt werden, um die von uns geschaffene Grundordnung umzustoßen. Eine ernste Diskussion kann von uns nicht verboten werden, z. B. über die Grundsätze in Artikel soundso. Wir müssen eine ernste Diskussion über Monarchie zulassen. Dr. Heuss: Es muß offen bleiben. Wir dürfen uns in der Welt nicht selbst sterilisieren. Dr. Eberhard: Etwas anderes ist es, von den Strafgesetzen zu reden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müßten doch dazu kommen, zu sagen: Diese Rechte finden ihre Grenze an den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze, und wir würden uns vorbehalten, die Vorschrift des Art. 20 des Entwurfs von Herrenchiemsee37) zum Schluß aufzunehmen und irgendwie mit der über den Wesensgehalt der Grundrechte zu verbinden. Dr. Heuss: Diese These hat etwas Journalistisches und nicht etwas Rechtsverbindliches. Es ist mir sympathisch, generell mit hineinzubringen: Auf den Schutz der Verfassung kann sich nicht berufen usw. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist auch ungefährlich. Es ist eine Warnung, weil es unserem Satz entspricht, daß es unmittelbar zu verwirklichen sein muß. Die Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung ist demgegenüber schwer zu verwirklichen. Das ist ein Satz, der nicht unmittelbar Geltung beanspruchen kann. Ich würde auch gegen Art. 19 des Herrenchiemseer Entwurfs38) sein, wonach jeder die Pflicht zur Treue gegen die Verfassung hat. Wie soll das verwirklicht werden? Dann würde ich vorschlagen, auch zur Sicherung der Pressefreiheit und der Meinungsfreiheit zu sagen: Diese Rechte finden ihre Grenze an den allgemeinen Vorschriften. Wenn man sagt: an den Vorschriften der Strafgesetze, können Sondervorschriften gemacht werden, die die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit beschränken. Nach „allgemeinen Vorschriften" würde es dann nur heißen: die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, insbesondere im Filmwesen usw. Dr. Heuss: Das Wort „allgemeinen" kann man das zweite Mal weglassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann es vielleicht zusammenziehen und sagen: an den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze und der Gesetze zum Schutze der Jugend. Dr. Heuss: Es handelt sich hier um drei Dinge. Sie ziehen dann den Jugendschutz zu sehr in das allgemeine Strafgesetz hinein.

37) Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. 38) Ebenda, S. 582. 671

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man müßte dann sagen: an den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend. Der Redaktionsausschuß hat die Worte „insbesondere im Filmwesen" gestri-

chen. Dr. Eberhard: Wenn wir „allgemeinen" streichen, ist es auch nicht mehr nötig. Dann sind Spezialgesetze wie über das Filmwesen nicht mehr ausgeschlossen. v. Mangoldt]: Gerade zur Ergänzung wichtig, das hineinzunehmen.

Vors. [Dr. re es

unserer

Vorschrift des Abs.

3 wä-

Dr. Heuss: Ich würde es so lassen, wie wir es haben. Ich bin nur der Meinung, daß das Wort „allgemeinen" nicht zweimal gebraucht werden muß. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Redaktionsausschuß hat am Ende hinzugefügt: „und in der Rücksicht auf das religiöse Empfinden". Dr. Bergsträsser: Ist das nicht sehr subjektiv? Dr. Heuss: Ich habe die Empfindung, daß das schon in den Bestimmungen über die Religionsübung erfaßt worden ist. Dr. Eberhard: Gotteslästerung steht schon im Strafgesetzbuch39). Die schärfsten Verletzungen des religiösen Empfindens sind da sowieso gesichert. Ich würde sagen, das brauchen wir hier nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der kommunistische Vertreter hat hier noch Aufnahme

des Verbotes der Rassenhetze gefordert40). (Dr. Heuss: Das steht bei uns an anderer Stelle.) Das steht bei uns in dem Gleichheitssatz. Damit ist, glaube ich, gewährleistet, daß niemand benachteiligt werden kann. Dr. Bergsträsser: Bezieht sich das „benachteiligt" nicht nur auf die Gesetzge-

bung?

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, auch Verwaltung, Rechtsprechung usw. Dr. Bergsträsser: Aber nicht auf Zeitungen, nicht auf die Presse? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein. Der Gleichheitssatz richtet sich gegen den Staat. Dr. Bergsträsser: Dann müßte man es doch mit hineinnehmen, um z. B. eine Schrift wie den „Stürmer"41), dieses Schandblatt, zu verhindern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist die Frage, ob es nicht unter die allgemeinen Vor-

schriften der

Strafgesetze

Dr. Eberhard: Und

der

wenn

fällt.

nicht, dann ist die persönliche Ehre aller Angehörigen

Gruppe angegriffen, weil wir den Gleichheitsartikel drin haben. v. Mangoldt]: Man müßte bei den Strafgesetzen darauf achten, daß entsprechende Vorschrift hereinbekommt. Dann geht es ohne weite-

Vors. [Dr. man eine res.

Dr. Eberhard: Ich würde sagen, dem anderen ist ausreichend.

unser

Gleichheitsartikel im

Zusammenhang

39) Strafgesetzbuch § 166 betraf den Tatbestand der Gotteslästerung. 40) Vgl. Dok. Nr. 6, TOP le. 41) Der Stürmer vgl. Dok. Nr. 6, Anm. 32. 672

mit

Fünfundzwanzigste Sitzung Vors. [Dr.

lassung

v.

zur

Mangoldt]: Die letzte Presse. Hierzu hat der

24.

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Nr. 32

Frage ist die gewerberechtliche Seite, die ZuAbg. Wunderlich (mit Schreiben vom 22. No-

vember 1948) geschrieben42): Mir scheint, daß grundsätzlich unterschieden werden muß zwischen der Meinungsfreiheit und der Gewerbefreiheit für die Presse. Für die völlige Wiederherstellung der Gewerbefreiheit scheint mir jedoch die Zeit noch nicht reif zu sein, und zwar deshalb nicht, weil die Chancen für die Ausübung der Meinungsfreiheit durch die Presse außerordentlich ungleich sind. Nur wer zufällig im Besitz von Druckmaschinen geblieben ist, könnte Zeitungen herausgeben, während dagegen die Betriebe, denen 1933 das Betriebsvermögen entzogen worden ist, deren Eigentumsrechte bis heute durch keine Wiedergutmachung hergestellt wurden, nicht in der Lage sind, von dieser Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen. Der Nazi von gestern kann eine Zeitung aufmachen, wenn er eine Maschine hat. Der Demokrat muß schweigen, weil sie ihm die Nazis weggenommen haben! Hier scheint mir irgendetwas nicht zu stimmen. Abgesehen davon zeigt die Erfahrung der Lizenzierungsausschüsse in der britischen Zone, daß sich heute schon in größerer Zahl Strohmänner melden, die ganz offen zugeben, daß sie das Kapital für ihre beabsichtigten Zeitungsgründungen von Banken- oder Industriekonsortien erhalten. Hier steuern wir bereits ganz offensichtlich wieder dem Meinungskauf durch Interessengruppen zu. Dr. Bergsträsser: Gehört das nicht in das Pressegesetz? Leasing: Das gehört hier nicht hinein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es heißt weiter in dem Schreiben: Das ganze Pressewesen muß durch ein Pressegesetz geregelt werden, an dessen Entwurf zur Zeit alle interessierten Kreise, Journalisten, Verleger und die zeitungswissenschaftlichen Institute der Universitäten arbeiten. Ich möchte deshalb beantragen, entsprechend den Vorschlägen von Herrn Geheimrat Thoma43) im Artikel 8 einen einschränkenden Absatz einzufügen: „Diese Freiheit findet ihre Grenze an den Vorschriften der Strafgeset." Falls Sie aus juristischen Gründen eine andeze, des Pressegesetzes, an re Formulierung für richtiger und zweckmäßiger halten oder diese Beschränkung an anderer Stelle dieses Artikels einfügen wollen, erkläre ich mich selbstverständlich auch damit einverstanden. Nun haben wir die gesetzliche Ermächtigung sehr deutlich in Abs. 3 drin. Darunter fällt wohl auch der Mißbrauch der Pressefreiheit. Nein, es ist .

.

schwierig. Lensing: Es ist Sache eines Pressegesetzes, die besonderen Vorbedingungen für die Ausübung des Presseberufes, sei es verlegerischer, sei es journalistischer Art, zu regeln. Damit können wir uns hier nicht beschäftigen. Hier in der Verfassung handelt es sich nur um grundsätzliche Fragen. —

42) Die behändigte Ausf. des Schreibens

vom

Abg.

Wunderlich

(vgl.

Anm. 8) ließ sich nicht

ermitteln. 43) Dok. Nr. 18. 673

Nr. 32 Dr.

Fünfundzwanzigste Sitzung

Bergsträsser:

24.

November 1948

Von dem Mißbrauch des

Kapitals

müßte in dem

Pressegesetz

gesprochen werden, etwa in dem Sinne, daß jeder Zeitung zur Pflicht gemacht wird, ihre Bilanzen zu veröffentlichen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Thoma hat es nicht drin44). Er sagt: „Die Freiheit der

Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung schriften der Strafgesetze usw." Er hat nicht

findet ihre Grenze an den Vorden Ausdruck „allgemeinen Vor-

was besser ist. Dr. Heuss: Lassen wir es so! Auf die Problematik der Gewerbefreiheit und der Pressefreiheit können wir hier nicht eingehen. Da gibt es unendlich viele Spielarten. Eine Zeitschrift wird von irgend jemand persönlich gegründet, wird von ihm hoch gebracht, er scheidet meinethalben aus, und es wird eine Gesellschaftsform. Das kann man nicht regeln wollen. Das gehört nicht mehr zu den individuellen Rechten. Bauer: Vielleicht legen wir als Meinung des Ausschusses im Protokoll fest, daß

schriften",

nur an die freie Meinungsäußerung gedacht ist, daß der Ausschuß sich mit den wirtschaftlichen Fragen, mit der Zensierung usw. nicht befaßt, daß das vielmehr einem Pressegesetz vorbehalten bleibt. Schräge: Zur Zeit besteht nicht nur in der britischen Zone, sondern ganz allgemein eine ziemliche Verworrenheit in bezug auf die Presse, nicht nur ideenmäßig, sondern besonders auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Diese Zustände finden wir auch auf manchen anderen Sektoren. Wenn wir glauben, wir könnten in der Verfassung gegen diese Verworrenheit etwas tun, so bewegen wir uns auf einem falschen Geleis. Heute morgen ist oft zum Ausdruck gebracht worden, daß dafür ein Pressegesetz erforderlich ist. Wir können nur in der knappsten Form Grundsätze herausstellen. Wo soll es hinführen, wenn wir uns hier mit Gewerbefreiheit und ähnlichen Dingen beschäftigen wollen? Ich habe nichts dagegen, im Protokoll zu erwähnen, daß das die Auffassung des Ausschusses ist. Ich halte es aber für abwegig, daß wir uns noch weiter damit beschäftigen. Leasing: Ich möchte dringend davor warnen, hier in dem Protokoll irgendwie festzulegen, daß der Ausschuß etwa der Auffassung ist, daß man die Frage einer Lizenzierung in einem Pressegesetz hier gewissermaßen präjudizieren sollte. Das ist ganz ausgeschlossen. (Dr. Heuss: Das hat Herr Bauer so nicht gemeint.) Ich möchte darum bitten, es überhaupt nicht zu erwähnen. Das überlassen wir alles dem späteren Pressegesetz. Im Moment ist es doch so: eine Besatzungsmacht wie die amerikanische hat plötzlich das Steuer um 180 Grad herumgeworfen und bietet dem deutschen Volk eine schrankenlose Pressefreiheit an. Ist es dann für uns richtig, daß wir als Deutsche in diesem Moment hingehen und sagen: diese völlige Pressefreiheit wollen wir nicht haben? Mit diesen Dingen wird man sich bei der Schaffung eines Pressegesetzes beschäftigen müssen. Wenn ich an meine Zeit vor 1933 zurückdenke45), so sind mir gewisse Mißstände absolut bekannt. Es ist einmal der Mißstand, daß gegen den Staat und die Verfassung gehetzt wurde, zweitens,

bezüglich Pressefreiheit

44) Ebenda. 45) Lensing 674

seit 1919 in der Leitung des väterlichen Verlags- und Zeitungshauses Lensing Verlagsanstalt tätig gewesen.

war

Gebrüder

Fünfundzwanzigste Sitzung

24.

November 1948

Nr. 32

daß wir eine Art von Geschäftspresse hatten und drittens, daß wir eine Anonymität in der Presse hatten. Mit diesen Dingen müssen wir uns selbstverständlich in dem künftigen Pressegesetz befassen. Aber, bitte, lassen Sie das alles heraus und vermeiden Sie auch in dem Protokoll jeden Hinweis, der etwa eine bestimmte Meinungsbildung ergeben könnte ! Bauer: Ich wollte nur ganz negativ zum Ausdruck bringen, es ist nicht die Meinung des Ausschusses, daß durch dieses Grundrecht der freien Meinungsäußerung etwa in das wirtschaftliche Presserecht eingegriffen werden soll. Dr. Heuss: Ich habe es auch so verstanden, daß wir in das Protokoll aufnehmen: Der Grundsatzausschuß hat keine Zuständigkeit, die Frage der wirtschaftlichen oder rechtlichen Ordnung der Presse irgendwie zu behandeln. Dann ist der Fall erledigt. Das ist ein gewisser Schutz gegenüber den Eingaben, die verlangen, wir sollen das und das mit regeln. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man muß sich natürlich darüber klar sein, daß eine Möglichkeit bestände, über die Beschränkung in der Lizenzierung gewisse Meinungen nicht zu Worte kommen zu lassen. Lensing: Und umgekehrt! Auf der einen Seite kann es Monopole der Druckmaschinen geben, auf der anderen Seite gibt es Monopole der Presse. Mit beiden man ungeheuren Unfug machen. Beides zu beseitigen, wird Aufgabe der künftigen Pressegesetzgebung sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß wir das auch mit der Anführung eines Pressegesetzes ermöglicht haben, wenn wir sagen: Die Pressefreiheit wird ge-

kann

währleistet, und dann fortfahren: Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf

nur

im

Rahmen des Gesetzes eingeschritten werden. Der Vorsitzende unterbricht die Sitzung um 13 Uhr 6 Minuten. Die Sitzung soll um 16 Uhr fortgesetzt werden. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung wieder um 16 Uhr 15 Minuten.

[b. Behandlung

von

Einzelanträgen

zu

den

Grundrechten]

Erledigen Sie die kommunistischen Anträge46) nebenher? Ich habe nie gesehen. Eberhard: Die Anträge sind politisch interessant. Sie sind nicht verteilt worden.

Dr. Heuss:

die

Anträge

Dr. Dr. Heuss: Ich habe nur die Sache von der Deutschen Partei47) erhalten. Dann ist von uns zu einer Streitfrage etwas gesagt worden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Kommunisten haben zu Art. 8 Abs. 3 eine Streichung beantragt48). Dann liegt eine Eingabe der KPD-Fraktion betreffend die Aufnahme eines Abschnitts über die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte vor49). Die beiden Eingaben werden Ihnen zugehen.

4B) Anträge der KPD vgl. Anm. 48 und 49. 47) Antrag der DP (Drucks. Nr. 298); Teilabdr. in Dok. Nr. 42, Anm. 29. Er wurde in der 30. Sitzung noch eingehend behandelt (Dok. Nr. 39, TOP 7). 48) Antrag der KPD zu der in der 2. Lesung des AfG angenommenen Fassung der Grund-

49)

rechts-Artikel vom 27. Okt. 1948, abgedr. in: Dok. Nr. 30, Anm. 18. Die Eingabe der KPD vom 12. Okt. 1948 abgedr. als Dok. Nr. 12.

675

Nr. 32

Fünfundzwanzigste Sitzung

24.

November 1948

liegt noch eine Eingabe eines Bekannten von unserem Kollegen Blomeyer ihn vor, worin es heißt, daß eine Vorschrift in die Verfassung aufgenommen werden müsse, die das Bespitzeln verhindere50). Das Bespitzeln sei die Hauptwaffe des totalitären Regimes gewesen und müsse deshalb von vornherein bekämpft werden. Vielleicht könne man folgenden Satz in die Verfassung bringen: „Das demokratische Leben fußt auf gegenseitigem Vertrauen. Ein solches wird durch das System des Bespitzeln untergraben. Deswegen wird dieses als ein Vergehen gegen die Demokratie unter Strafe gestellt." Das ist nun sicher einfacher gedacht als getan. Dr. Heuss: Das ist vollkommen unmöglich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht eventuell in einer gewissen Beziehung zur Freiheit der Meinungsäußerung. Aber es ist nicht unterzubringen. Dr. Heuss: Das Bespitzeln ist ein Privatvergnügen, das man bestimmten Leuten nicht verbieten kann. Das gibt es halt. Der Agent provocateur ist eine Institution des politischen Lebens. Das können wir nicht in die Grundrechte bringen. Genau so müßte der Denunziant hier herein. Den kann man auch nicht verfassungsmäßig erfassen. Ich wäre dafür, daß das Strafgesetz hierzu eventuell ein paar schärfere Bestimmungen bringt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Über eine Strafbestimmung gegen den Denunzianten haben wir in Schleswig-Holstein schon einmal gesprochen. Es ist sehr schwer, eine Bestimmung zu finden, die nicht irgendwelche Bedenken hat. Schräge: Es gibt draußen im öffentlichen Leben mehr unliebsame Erscheinungen. Wenn man das alles in die Verfassung hineinbringen wollte, was uns nicht paßt! Dr. Eberhard: Wie ist es mit dem Vorbehalt für den Fall, daß die freie Meinungsäußerung zur Beseitigung der demokratischen Grundordnung benutzt wird? Wollen wir das in einem Artikel bringen, so daß er mehrere Artikel deckt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es müßte in diesen Artikel vor allen Dingen auch die Freiheit der Lehre von Kunst und Wissenschaft hinein. Bei der Lehre hatten wir die Verpflichtung zur Treue gegenüber der Verfassung. Wenn wir diese Verpflichtung bei der Meinungsäußerung herausgenommen haben, können wir sie schlechterdings nicht bei der Lehre, als Beschränkung der Lehre, lassen. Das ist die Schwierigkeit. Es

an

Postgeheimnis (Art. 9)] Briefgeheimnis des Art. 9. Die CDU-Fraktion will die politischen Zwecken" gestrichen haben51). [c.

Wir kommen zu dem Worte „jedoch nicht zu

Thoma

sagt52):

50) Eingabe Nr. 611 in: Z 5/111, Bl. 119. 51) Beschlossen wurde dies auf der Fraktionssitzung CDU/CSU im Pari. Rat, S. 123. 52) Vgl. Dok. Nr. 28. 676

vom

3. Nov. 1948.

Vgl.

Salzmann: Die

Fünfundzwanzigste Sitzung



24. November 1948

Nr. 32

Da der Art. 117 der Weimarer Verfassung trotz einer gewissen Sorglosigkeit der Formulierung seinen Dienst getan hat, kann man auch seine durch einen guten Zusatz verbesserte Nachbildung der gute Zusatz ist: „jedoch nicht zu politischen Zwecken" in Art. 9 des Entwurfes passieren lassen, nur daß wiederum das Wort „unverletzlich" durch einen weniger übertreibenden Ausdruck zu ersetzen und —

zu

betonen wäre, daß

ten werden.

Einschränkungen

dem

Bundesgesetzgeber vorbehal-

Er kommt dann

zu der Formulierung: Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis werden gewährleistet. Beschränkungen können nur durch Bundesgesetze, jedoch nicht zu politischen Zwecken angeordnet werden. Dr. Eberhard: Wir haben die Worte „jeoch nicht zu politischen Zwecken" hinzugefügt, um zu sichern, daß nicht die Verletzung des Briefgeheinmisses als Mittel des politischen Kampfes benutzt wird. Ich erinnere mich, daß Dr. Schmid mit großem Pathos dafür eingetreten ist53). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es handelte sich darum, daß man eine Devisenkontrolle macht und dann die sich damit ergebenden Möglichkeiten zu politischen Zwekken ausnutzt. Das war meiner Fraktion zu weit gefaßt. Dr. Eberhard: Ich hatte auch das Gefühl, daß es jetzt sehr weit gefaßt ist, wenn man die politischen Zwecke herausläßt. Aber ich habe mich den Gegenargumenten nicht verschlossen, daß die Kontrolle von Briefen, die durch die Post gehen, gegen einen politischen Aufstand doch nichts nützt. Diese Briefe werden dann anders befördert. Ebenso teilt man sich den Termin des Aufstandes auch nicht per Telegramm mit, so daß für die Erhaltung der Demokratie nicht viel gewonnen ist, wenn wir es hier herausstreichen. Wenn wir es drin lassen und jegliche politische Behandlung ausschließen, ist vielleicht viel gewonnen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Redaktionsausschuß hat gesagt54): „Beschränkungen dürfen zu politischen Zwecken nur im Falle der Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung zu deren Schutz angeordnet werden." Dr. Bergsträsser: Was heißt „im Falle der Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung?" Das bedeutet also im Notstand? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Das würde in das Notverordnungsrecht gehören. Dann kommt es hier nicht herein. Dr. Eberhard: Hat der Redaktionsausschuß die Einschränkungen der Grundrechte im Falle des Notstandes vielleicht auf die Artikel verteilt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Da ist sowieso eine gewisse Eingriffsmöglichkeit vorgesehen. Da muß aufeinander ausgeglichen werden. Dann scheint die Stimmung dafür zu sein, daß wir die Worte „zu politischen Zwecken" streichen? Oder wird großes Gewicht darauf gelegt? Dr. Bergsträsser: Sie wollen also sagen: Beschränkungen können nur durch Gesetz angeordnet werden?

53) Im AfG und bar. 54) Dok. Nr. 28.

im

HptA waren entsprechende Ausführungen

von

Schmid nicht nachweis-

677

Nr. 32

Fünfundzwanzigste Sitzung

24.

November

1948

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Dr. Bergsträsser: Dann kommen wir weg

von der ganzen Teilung, die wir nach längeren Debatte gemacht haben, daß wir gerade die Beschränkungen „zu politischen Zwecken" unbedingt nicht wollten, aber darin übereinstimmten, daß eine Beschränkung aus devisenrechtlichen Gründen usw. möglich sein müßte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Beschränkung bleibt ohne weiteres möglich. Wie

einer

steht

es

dann mit

unserem

Schlußartikel, nach welchem ein Grundrecht in sei-

Wesensgehalt nicht angegriffen werden darf? Bergsträsser: Ich würde finden, daß dieses „nicht zu politischen Zwecken" dem ganzen Inhalt unserer Grundrechte entspricht; denn wir wollen die politinem

Dr.

sche Willkür ausschließen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist eine Weisung an den Gesetzgeber. Der Gesetzgeso muß die Auslegung doch sein —, ber soll kein Gesetz machen können das rein zu politischen Zwecken das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis beschränkt. —

(Dr. Bergsträsser: Ja.)

Aufrechterhaltung unserer Fassung. Über die läßt sich auch sprechen. Redaktionsausschusses des Fassung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man sollte den Fall der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, der Verfassungssicherheit einheitlich im Notverordnungsrecht regeln und nicht plötzlich in den Grundrechten damit kommen. (Dr. Bergsträsser: Sonst geht das ganz auseinander.) Ich habe es damals auch in der Fraktion nicht richtig vorbringen können. Wenn ich es mir überlege, so ist es wohl richtig, Beschränkungen können nur durch Gesetz angeordnet werden, jedoch nicht zu politischen Zwecken. Was heißt nun „zu politischen Zwecken"? Da fängt die Schwierigkeit an. Dr. Heuss: In dem Augenblick, in dem man von Devisenpolitik redet, sind Devisenangelegenheiten in höchstem Maße politisch, wenn sie auch zunächst in der wirtschaftlichen Sphäre liegen. Man denkt natürlich an die Beobachtung bestimmter politischer Gruppen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht müßte man dann sagen: jedoch nicht zu parteipolitischen Zwecken. Dr. Eberhard: Das können wir in unserem Grundgesetz sicher nicht sagen. Es gibt nur registrierte Parteien. Gerade die anderen könnten so etwas tun. Wir machen ein Parteiengesetz. Als Partei wird nur das zugelassen, was gewisse Mindestbedingungen erfüllt. Aber gerade andere Gruppen, die nicht dem Parteiengesetz entsprechen, bilden hier unter Umständen eine Gefahr. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßte man sagen: jedoch nicht zu Ungunsten irDr. Eberhard: Ich wäre für die

gendeiner politischen Gruppe.

nicht machen. Es kann ein bestimmter Mann aus Gründen unter solche Beschränkungen gesetzt werden, nicht eine

Dr. Heuss: So können wir

es

allgemeinen politische Gruppe.

(Dr. Eberhard: Etwa Herr Loritz!55). 55) Vgl. Hans Woller: Die Loritz-Partei. Geschichte, Struktur und Politik der wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945-1955. Stuttgart 1982. 678

Fünfundzwanzigste Sitzung

24.

November 1948

Nr. 32

Ja. So etwas ist durchaus möglich. Jemand kann sich durch Hochverrat, durch eine Verschleierung oder irgend etwas verdächtig machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da hilft ein Gesetz nicht. Dr. Bergsträsser: Gibt es im Strafrecht eine Beschränkung? Dr. Heuss: Das Brieföffnen ist strafrechtlich verboten. Sonst gibt es nichts. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit Verletzung des Briefgeheimnisses beschäftigt sich ein Paragraph des Strafgesetzbuches56). Dr. Bergsträsser: Ich bin dafür, daß man es läßt. Dr. v. Mangoldt: Was heißt: jedoch nicht zu politischen Zwecken? Dr. Bergsträsser: Das ist der Fall, wenn eine Partei registriert ist und wenn die Briefe, die an eine bestimmte politische Persönlichkeit kommen, geöffnet werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man muß sich einmal fragen, wie das Gesetz aussehen würde, das sich gegen eine solche Verletzung wendet. Es kann sich auf eine einzelne Person kaum beziehen. Dr. Eberhard: Für Zwecke der politischen Polizei wäre es unzulässig. Vors. IDr. v. Mangoldt]: Ja, das geht schon eher. Dr. Eberhard: Das kann sich gegen eine einzelne Person und gegen eine Gruppe richten, die gar keine Partei ist. Dr. Bergsträsser: Da wir im Augenblick keine politische Polizei haben, wenigstens nicht in der amerikanischen Zone, sagen wir vielleicht besser: zu Zwekken politischer Überwachung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geht. Man kann sagen: jedoch nicht zu Zwecken —

politischer Überwachung. (Dr. Eberhard: Ja.)

von einer politischen Polizei ausgeübt keine Polizei ist. Darunter fällt auf keinen Fall werden, die offiziell politische eine Devisengesetzgebung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese ist nicht eine politische Überwachung. Da würde es mit zum Ausdruck kommen. Ich glaube, da würden in meiner Fraktion keine Bedenken sein, daß man das Briefgeheimnis nicht durch Gesetz zu Zwecken der politischen Überwachung aufheben oder beschränken darf. Ich glaube, darüber sind wir uns vollkommen einig. Der Redaktionsausschuß sagt nur57): Brief- und Fernsprechgeheimnis. Er meint, die Télégraphie fällt unter das Fernsprechwesen. Dr. Eberhard: Fernmeldewesen ist der Oberbegriff. Fernsprecher ist nicht der Oberbegriff für Télégraphie. Dr. Heuss: Wir müssen sagen: das Brief- und Fernmeldegeheimnis. Dr. Eberhard: Das wäre nach dem heutigen technischen Sprachgebrauch richtig. Ich würde es lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen also in Art. 9: Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen können nur durch Gesetz, jedoch nicht zu Zwecken der politischen Überwachung angeordnet werden.

Dr.

Bergsträsser: Denn die kann auch

56) § 219 StGB. 57) Dok. Nr. 28. 679

Nr. 32

Fünfundzwanzigste Sitzung [d. Freiheit

von

24.

November 1948

Kunst, Wissenschaft und Forschung (Art. 10)]

Wir kommen zu Art. 10. Der erste Absatz lautet. Die Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. Hierzu bemerkt Thoma58), es sei eine wichtige und wertvolle Ausgestaltung, daß die Worte „und Forschung" hineingekommen seien. Gegen den Abs. 2 hat er aus den gleichen Gründen wie bei der Meinungsäußerung schwerste Bedenken. Er will an Stelle des Abs. 2 sagen: „Die Freiheit der Lehre der Wissenschaft entbindet die Lehrer an öffentlichen Schulen und Hochschulen nicht von ihrer Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung." Die Frage ist, ob wir die Verwirkung des Rechts ebenfalls in den Schlußartikel aufnehmen sollten. Dr. Eberhard: Es spricht alles dafür. Nach der Diskussion von heute morgen habe ich bei der jetzigen Fassung auch Sorge. Ich stelle mir einen juristischen Dozenten vor. Darf dieser dann noch an den Verfassungsartikeln Kritik üben? Das könnte bezweifelt werden. Nach dem, was wir heute morgen sagten, ist eine gewisse Kritik ausgeschlossen. Ich würde das für falsch halten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten damals gesagt, daß die Treue gegenüber der Verfassung gerade darin besteht, sich zu schlechten Artikeln zu äußern und für ihre Verbesserung zu sorgen. Natürlich ist das eine gefährliche Sache. Jemand, der es anders auslegen will, kann auch das Gegenteil herauslesen. Dr. Eberhard: Es ist besser, das in die allgemeine Formulierung einzubeziehen, die wir bei der Pressefreiheit machen wollen. Wir wollen denjenigen fassen, der die Freiheit der Lehre mißbraucht, um die demokratische Verfassung zu

stürzen, nicht den anderen.

Bergsträsser: Da gibt es doch einen Unterschied. Wir haben heute morgen gesagt, die Achtung vor der Verfassung muß jeder haben, die Treue gegenüber der Verfassung muß der Beamte haben. Meine Absicht ist es gerade gewesen, gewisse Herren Professoren daran zu hindern, daß sie in ihren Vorlesungen die Treue gegen die Verfassung bewußt brechen, wie sie es unter der Republik geDr.

haben59) und wie es in einem Fall jetzt auch vorgekommen ist. Das gehört sich für die Herren nicht. Da sie Beamte sind, kann man es nicht unter die Freiheit der Presse usw. bringen. Hier liegt vielmehr ein Sonderfall vor. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Thoma60) hat hierzu einen Abs. 3 verlangt, der die Sache erleichtern würde. Es heißt dort: Einem Hochschullehrer kann die Lehrbefugnis [wegen] Verletzung der Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung nur durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entzogen oder beschränkt werden. Befugt zur Erhebung der Klage beim Bundesverwaltungsgericht sind die zuständige Landesregierung und die Bundesregierung. Mayr: Das geht zu weit.

tan

5e) Dok. Nr. 18. 59) Hans Peter Bleuel: Deutschlands Bekenner. Professoren zwischen Kaiserreich und Diktatur. Bern

60) Dok. 680

[

.

Nr. 18. .

.

] 1968.

Fünfundzwanzigste Sitzung

24.

November 1948

Nr. 32

Dr. Bergsträsser:51) Das ist die alte seltsame Auffassung von der Freiheit der Wissenschaft. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es besteht ein gewisses Interesse daran, daß der Hochschullehrer, der ein solches Verfahren an den Hals kriegt, nicht ohne weiteres entlassen wird, sondern die Möglichkeit hat, sich in einem ordentlichen Verfah-

dagegen zu verteidigen. (Dr. Bergsträsser: Das kann jeder Beamte.)

ren

Dem Privatdozenten, der eine sachliche Kritik übt, würde möglicherweise einfach die Lehrbefugnis entzogen werden. Dr. Bergsträsser: Nicht bei einer sachlichen Kritik! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kommt auf den Standpunkt der Unterrichtsverwal-

tung

an.

Bergsträsser: Erlauben Sie ein Beispiel! Wenn er sagt, der Art. 13 der Grundrechte sei völlig falsch gefaßt, so würde ich darin nichts Verwerfliches sehen. Wenn er aber durch seine ganze Vorlesung hindurch sagt, die Demokratie sei die blödeste Staatsform, die es gebe, und das mit irgendwelchen aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen von Plato bis Othmar Spann62) oder sonst jemand belegt, so gehört er nicht auf eine Hochschule. Dr. Eberhard: Das ist richtig. Aber dann kann er nach Art. 20 des Entwurfs von Herrenchiemsee63) gefaßt werden, wenn wir die Lehrfreiheit einbegreifen. Denn er hat die Freiheit der Lehre zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht. Das ist ein ganz klarer Fall. Ich würde nichts dabei sehen, daß wir Professoren und Journalisten mit demselben Paragraphen Dr.

schlagen.

Dr. Heuss: An sich haben die Professoren eine gewisse Sonderstellung. Sie sind auch Beamte, aber nicht bloß; sie sind eine besondere Kategorie von Beamten. Ich habe ein peinliches Gefühl, wenn wir hier noch eine spezielle Polizeidrohung machen. Da wir vielfach aus guten Gründen die Nazierfahrung mit in die Verfassung hineinbringen wollen, müssen wir auch zusehen, daß wir es nicht zu

sehr tun.

Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

Nachdem wir es bei der Meinungsäußerung herausgees auch hier tun. es, aber wir machen es besser als Herr Dr. Eberhard

strichen haben, müssen wir

Dr. Heuss: Wir bringen und führen es dort auf. Dr. Eberhard: Dann nehmen wir dort, wo von den Grundrechten der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit usw. die Rede ist, die Lehrfreiheit hinein. Dr. Heuss: Dann sieht es nicht so mißtrauisch aus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können dann den Abs. 2 von Art. 10 streichen.

(Zustimmung.)

Die DP hat

61) 62) 63) 64)

zu

Art. 10

folgende Fassung vorgeschlagen64):

Folgt gestrichen: „Das muß Vgl. Dok. Nr. 24, Anm. 10.

wohl der Bundesminister machen können."

Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. Anm. 47.

Antrag der DP vgl.

681

Nr. 32

Fünfundzwanzigste Sitzung

24.

November 1948

Das kulturelle Leben ist der Gewalt des Staates nicht unterworfen. Der Staat gewährt ihm Schutz und nimmt an seiner Pflege teil. Kunst und Wis-

senschaft, Forschung und Lehre sind frei.

Dr. Eberhard: Der entscheidende Satz steht auch bei uns. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das andere brauchen wir nicht. Vor allen Dingen ist es gefährlich, zu sagen: „Das kulturelle Leben ist der Gewalt des Staates nicht unterworfen." Die Länder sagen wieder, sie wollen das kulturelle Leben allein re-

geln.

heißt, das kulturelle Leben ist der Gewalt des Staabedeutet das auch, daß die Schutzvorschriften für Jugendliche beim Film nicht angewendet werden können. Auch da kann man sagen, das ist kulturelles Leben, wenn wir es auch als kulturloses Leben bezeichDr.

Bergsträsser:

tes nicht

Wenn

unterworfen,

es

so

nen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Einrichtung der Universitäten, der HochschuJen, der Schulen usw. gehört doch auch zum kulturellen Leben. Das alles würde nicht mehr der Einwirkung des Staates unterworfen sein. Dr. Heuss: Die Fassung: Der Staat gewährt ihm Schutz, ist Unsinn. Dr. Bergsträsser: Nein, das wollen wir einfach weglassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Redaktionsausschuß hat nichts Wesentliches dazu beigetragen. Die Vereinten Nationen haben hier eine Sondervorschrift, die bei uns nicht enthalten ist65). Art. 25 lautet: Jede Person hat das Recht, sich an dem kulturellen Leben der Gemeinschaft zu beteiligen, die Künste zu genießen und an den Fortschritten der Wissenschaft teilzuhaben. Bei uns ist das Grundrecht enthalten, daß der Künstler, der Wissenschaftler und der Lehrer in ihren Funktionen frei sein sollen. Es ist die Frage, ob dabei irgendwie an die Möglichkeit einer Beschränkung desjenigen gedacht ist, der das genießen will. Ich überlege nur, auf Grund welcher Gedankenassoziationen das bei den Vereinten Nationen hereingekommen ist. Dr. Eberhard: Die sklavenartigen Verhältnisse in manchen Staaten können dazu

führen,

es zu

verlangen.

Dr. Heuss: Es hat vielleicht dort einen Sinn, wo eine Bestimmung vorhanden ist, daß zum Beispiel den Negern der Zutritt zu Theatern oder Museen verboten ist. Dr. Bergsträsser: Das geht uns nichts an. Dr. Heuss: Darauf können wir verzichten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das scheint mir auch so zu sein.

65) Dok. Nr. 682

10.

Fünfundzwanzigste Sitzung

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Nr. 32

Versammlungsfreiheit (Art. 11)] Wir können zu Art. 11 übergehen: Thoma sagt: Der Artikel entspricht mit geringen als Verbesserungen anzusehenden Änderungen dem Art. 123 der Weimarer Verfassung66), ersetzt aber ohne ersichtlichen Grund das Wort „Reichsgesetz" im zweiten Absatz durch das Wort „Gesetz". Im Interesse der bei einer so wichtigen Frage erforderlichen Rechtseinheit müßte man m. E. sagen: „Bundesgesetz". Über den Antrag können wir hinweggehen. Wir haben uns darauf geeinigt, in den Grundrechten überall nur von Gesetz zu sprechen, weil alle Zuständigkeitsvorschriften dem Zuständigkeitskatalog überlassen werden sollen. Für Versammlungsrecht ist die Vorranggesetzgebung vorgesehen. [e.

Der Redaktionsausschuß sagt67): „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Dr. Bergsträsser: Das ist dasselbe. Nur in Satz 2 ist der Unterschied. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Kommunisten sagen etwas zu Abs. I68). Danach soll der Artikel lauten: „Alle Menschen haben das Recht, sich überall ohne Anmel-

Anmeldung

dung und ohne besondere Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Sie wollen auch allen Ausländern das Recht geben. Der Hintergrund ist klar. Schräge: Wir wollen es für die Deutschen machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Unterschied ist sonst nicht groß. Es betrifft nur das Menschenrecht. Dr. Eberhard: Auch die Beschränkung durch Gesetz erkennen sie an. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das erkennen sie an. Sie haben zu Art. 11 nichts weiter.

Dann liegt noch ein Vorschlag des Gewerkschaftsrats der vereinten Zonen69) In dem Schreiben vom Oktober 1948 heißt es unter Ziff. 3: Die in Artikel II vorgesehene Regelung des Versammlungsrechtes begegnet bei den Gewerkschaften starken Bedenken. Wenn in Absatz 2 vorgesehen ist, daß das Recht der Versammlung unter freiem Himmel durch Gesetz beschränkt werden kann und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit solche Versammlungen verboten werden können, gibt das sehr weitgehende Möglichkeiten, das Versammlungsrecht zu beeinträchtigen und durch polizeiliche Maßnahmen in dieses Recht einzugreifen. Artikel II Absatz 1 sieht vor, daß alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die hier vorgesehene Einschränkung der Versammlungsfreiheit gilt auch für Versammlungen unter freiem Himmel. Ver-

vor.

Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden." 67) Dok. Nr. 28. 68) Abdr. der Eingabe in: Dok. Nr. 30, Anm. 18. 69) Eingabe des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen vom Okt. 1948 in: Z 5/109, Bl. 79-86. Vgl. Dok. Nr. 33, Anm. 31.

66)

Art. 123 WRV lautete: „Alle Deutschen haben das

683

Nr. 32

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24. November 1948

die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, sind friedlich und daher durch Artikel II Absatz I nicht verfassungsnicht mehr rechtlich gesichert. Für sie kann auch ohne entsprechende Verfassungsbestimmung durch Gesetz das Notwendige bestimmt werden. Es kann aber nun so sein das kennen wir aus der Praxis —, daß eine zu friedlichen Zwecken veranstaltete Versammlung unfriedlich wird. Dann könnten sich aus der Fassung vielleicht gewisse Schwierigkeiten ergeben. Dann muß sofort eingeschritten werden können. Dr. Bergsträsser: Bei den öffentlichen Versammlungen muß die Polizei, wenn zwei gegensätzliche Gruppen an demselben Tag eine Demonstration machen, schon die Möglichkeit haben, den einen zu sagen: Geht nach dem Osten der Stadt, und den anderen zu sagen: Geht nach dem Westen der Stadt! Sonst prügeln sie sich, und es gibt Tote und einen Skandal. Dr. Eberhard: Ich hatte mich mit einigen Verfassern der Denkschrift unterhalten und gesagt, ich würde den Punkt nicht vertreten, in der Weimarer Verfassung haben wir auch den Abs. 270), und heute sind die Verhältnisse mindestens so labil wie damals. Dr. Bergsträsser: Die einzige Frage scheint mir die zu sein, ob wir aus der Fassung des Redaktionsausschusses71) die Worte „jedoch nicht aus politischen Gründen" hereinnehmen. Dr. Heuss: Das scheint mir glatter Unsinn zu sein. Denn es kommen überhaupt nur politische Gründe in Frage. Dr. Bergsträsser: Jawohl, da bin ich derselben Meinung. Dr. Eberhard: Bei den Briefen kann man es hereinschreiben, aber nicht bei Versammlungen unter freiem Himmel. Dr. Heuss: Die Verwaltung kann damit nichts anfangen. Sie wird, wenn sie überhaupt herankommt, im wesentlichen aus politischen Gründen kommen. Dr. Bergsträsser: Selbst in dem Beispiel, das ich soeben nannte, handelt es sich doch um politische Gründe. Da kann man doch nicht sagen, die Sicherheit der Menschen vor der Todesgefahr sei der alleinige Grund. Nein, das ist völlig falsch. Bleiben wir doch einfach bei unserer Fassung! Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dann muß es nur heißen: Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Dr. Bergsträsser: Ist es nicht besser, zu sagen: Dieses Recht kann bei Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz beschränkt werden? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das Allgemeine ist die Regelung: Alle Deutschen haben das Recht, sich zu versammeln. In Abs. 2 kommt das Besondere bei Versammlungen unter freiem Himmel. Wir wollen sehen, wie es in der Weimarer Verfassung lautet. Es heißt: „Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden72)." Wir haben daraus zwei Sätze gemacht und gesagt: Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch

Sammlungen,



70) Abs. 2 von Art. 71) Dok. Nr. 28. 72) Vgl. Anm. 66. 684

123 WRV zitiert in Anm. 66.

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Gesetz beschränkt werden; solche Versammlungen können verboten werden. Dr. Eberhard: Es ist kein wesentlicher Unterschied. Die Anmeldepflicht kommt selbstverständlich in das Gesetz hinein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Gewerkschaftsbund wollte den Abs. 2 vollkommen gestrichen haben. Das geht nicht. (Dr. Bergsträsser: Das machen wir nicht mit.) Die Eingriffsrechte des Staates sind im übrigen sehr weitgehend eingeschränkt. Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Die Verwaltung kann nicht unmittelbar eingreifen, sondern nur auf Grund eines Gesetzes, das eine solche Beschränkung vorsieht. Das haben wir vor allen Dingen gemacht ich erinnere mich jetzt an die Zusammenweil die über die Bannmeile irgendwie verfassungsrechtGesetze wir —, hänge lich untermauert sehen wollten. Ohne die Aufnahme einer solchen Bestimmung wäre es nicht möglich, ein solches Gesetz über die Bannmeile zu erlassen. In Satz 2 von Abs. 2 ist dann für die Verwaltung die Möglichkeit gegeben, bei unmittelbarer Gefahr sofort, auch ohne Gesetz einzugreifen. Das ist notwendig. Dr. Eberhard: Ich denke, wir lassen es so. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir lassen es also bei Art. 11. ..

.



(Zustimmung.) [f. Vereinigungsfreiheit (Art. 12)] Wir kommen zu Art. 12. Die meisten Vorschläge sind zu Abs. 3 und 4. Die Vereinten Nationen haben das in Art. 21 Ziff. 3 geregelt73). Unser Abs. 1 lautet: Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Die Fassung des Redaktionsausschusses ist die gleiche74). Der Abs. 2 lautet in der Fassung des Redaktionsausschusses:

Vereinigungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen, oder die sich gegen die

verfassungsmäßige Ordnung oder Völkerverständigung richten, sind unzulässig.

gegen den Gedanken der

Wir haben gesagt: sind verboten. Es ist besser, bei dem Ausdruck bleiben.

„verboten"

zu

(Zustimmung.) Nun hat der Redaktionsausschuß aus den beiden nächsten Absätzen einen neuen Artikel 12a gemacht, und zwar mit der Begründung: „Bezüglich des Streikrechts beantragt Abg. Dr. Dehler Aufrechterhaltung der im bisherigen Abs. 4 niedergelegten Formulierung." Sonst hat der Redaktionsausschuß nicht gesagt, weshalb er einen neuen Artikel gemacht hat. Dr. Eberhard: Ich bin dafür, einen neuen Artikel zu machen. Das Streikrecht sowie das Koalitions- und Gewerkschaftsrecht ist ein Komplex für sich, dem man

73) Dok. Nr. 10. 74) Dok. Nr. 28. 685

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schon einen besonderen Artikel geben sollte. Die Gewerkschaften bitten sehr darum. Das könnte man auf die Eingabe hin tun75). Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Hat es nicht eine bedenkliche Seite? Wir haben es hier hineingenommen, weil wir gesagt haben, das gehört zu den Grundrechten. Wenn wir es in einem besonderen Artikel regeln, kann man leicht sagen: Ihr habt die sozialen Ordnungen nach dieser Richtung doch angegriffen. (Dr. Heuss: Das ist auch meine Empfindung.) Aus diesem Grunde müßte man es drin lassen. Wir müßen auch an die Menschen- und Freiheitsrechte denken. Dann gehört es unbedingt unter die Vereinsbildung als ein Teil davon. Die Menschen- und Freiheitsrechte haben sich eben im 19. und 20. Jahrhundert nach dieser Richtung fortentwickelt. Dr. Heuss: Es bildet in sich eine geschlossene Sache. Es öffnet etwas die Tür zu den berühmten Lebensordnungen. Dr. Eberhard: Lassen wir es vorläufig als Abs. 3 und 4! Wenn wir über die Gesamtheit der Artikel blicken, können wir es noch einmal prüfen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: In Art. 21 Ziff. 3 der Vereinten Nationen76) heißt es: „Jede Person kann frei Gewerkschaften bilden und sich ihnen zur Verteidigung ihrer Interessen anschließen." In dem Schreiben des Gewerkschaftsrats der vereinten Zonen77) heißt es hierzu unter Ziff. 4 : Besonders wichtig ist für die Gewerkschaften die Formulierung des Koalitionsrechtes. Mit der im Artikel III vorgesehenen Fassung können wir uns nicht einverstanden erklären. Eine Abänderung ist in folgenden Punkten unbedingt erforderlich: a) Die Koalitionsfreiheit (Vereinsfreiheit) muß in einer eigenen Bestimmung des Grundgesetzes verankert werden und darf, ebenso wie in der Weimarer Verfassung, mit der allgemeinen Vereinsfreiheit nicht in einer Bestimmung zusammengefaßt werden. Das ist u. a. namentlich deshalb notwendig, weil die allgemeine Vereinsfreiheit nur eine Freiheit gegenüber dem Staate ist, während die Koalitionsfreiheit auch gegen soziale Gewalten und private Personen besonders geschützt wird. Das ist nicht ganz richtig. Dr. Heuss: Die allgemeine Vereinsfreiheit ist nicht nur eine Freiheit gegenüber dem Staat, sondern eine solche gegenüber der ganzen Gesellschaft. Dr. Eberhard: Ich schlage vor, das zurückzustellen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Weiter heißt es dort: Die bewährte Fassung des Artikels 159 der Weimarer Reichsverfassung78) muß beibehalten werden.

75) 76) 77) 78)

686

Vgl. Anm. 69.

Dok. Nr. 10. Anm. 69. Art. 159 WRV lautete: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig."

Vgl.

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Wir hatten den Art. 159 bei aus

unserer Fassung zugrunde gelegt und sind dann irgendeinem Grunde teilweise davon abgegangen. In dem Schreiben des

Gewerkschaftsrats heißt

es weiter: im Artikel III Absatz 3 Satz 2 davon

verfehlt, zu sprechen, daß Abreden und Maßnahmen nichtig sind. Darüber hatten wir gesprochen, insbesondere über den Begriff rechtswidrig. Wir waren nach einer Unterhaltung gerade auf den Ausdruck „nichtig" gekommen. In dem Schreiben wird weiter ausgeführt: Diese Formel trifft zwar für die Abreden das Richtige, aber nicht für die Maßnahmen. So ist etwa die Weigerung eines Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer einzustellen, der einer Gewerkschaft angehört, eine koalitionsfeindliche Maßnahme; sie ist nicht nichtig, aber rechtswidrig und verpflichtet zum Schadenersatz. Das Wort „nichtig" muß daher durch „rechtswidrig" ersetzt werden, wobei alle Abreden und rechtsgeschäftlichen Maßnahmen rechtswidrig, damit ohne weiteres auch nichtig sind. In der Kritik liegt etwas Richtiges. Es ist nur die Frage, ob man nicht beides sagen kann: „Abreden und Maßnahmen, durch die dieses Recht eingeschränkt, behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll, sind rechtswidrig Es ist

und

nichtig."

Dr. Eberhard: Vielleicht kann man sagen: Abreden sind nichtig, und Maßnahmen sind rechtswidrig. Das würde dem Sprachgebrauch wohl am meisten ent-

sprechen.

v. Mangoldt]: Dann müßte man es so fassen: Abreden, durch die dieRecht eingeschränkt, behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll, sind nichtig. Man müßte mit den Maßnahmen dann irgendwie hinterher kommen. Dr. Eberhard: Spricht etwas dagegen, einfach die Fassung des Art. 159 der Weimarer Verfassung zu nehmen? Ich weiß nicht, ob Art. 159 der Weimarer Verfassung zu Schwierigkeiten geführt hat. Dann müßte man es bedenken. Wenn nicht, wäre es nicht schlecht, einfach die Tradition beizubehalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit der Rechtswidrigkeit ist nicht ohne weiteres die Nichtigkeit verknüpft. Ich überlege, ob man sagen könnte: sind rechtswidrig und als nichtig zu behandeln, oder ähnlich. Dr. Heuss: Vielleicht kann man sagen: sind wegen Rechtswidrigkeit nichtig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann nicht sagen, daß eine Maßnahme nichtig ist. Dr. Eberhard: Auf die Abreden paßt das Wort „nichtig", auf die Maßnahmen das Wort „rechtswidrig". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben es etwas verändert, indem wir gesagt haben: Alle Abreden und Maßnahmen, die dieses Recht einschränken, behindern oder einen Zwang zum Beitritt ausüben, usw. Man kann das auch aktiv sagen. Wir haben hinzugefügt: oder einen Zwang zum Beitritt ausüben. Dr. Eberhard: Dagegen wenden sich die Gewerkschaften auch. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eben! Es heißt hier weiter79):

Vors. [Dr.

ses

79) Vgl. Anm.

69.

687

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Artikels III wird der Versuch gemacht, die Koalitionsfreiheit als verfassungsrechtliches Grundsogenannte negative recht festzulegen. Diesem Versuch müssen die Gewerkschaften schärfstens widersprechen. Das Koalitionsrecht hat sich als positive Koalitionsfreiheit entwickelt, ist der Schutz der arbeitenden Menschen, die sich in jahrzehntelangem Kampf das Recht erstritten, Gewerkschaften zu bilden. Weiter wird geSie wollen also einen Zwang zum Beitritt ausüben können. In der

gleichen Bestimmung des



sagt:

Der Schutz der

Unorganisierten,

wie ihn früher namentlich der § 153 Ge-

werbeordnung enthielt, war eine gewerkschaftsfeindliche Maßnahme des damaligen Staates. Auch zur Zeit der Weimarer Verfassung stand die durchaus herrschende Meinung auf dem Standpunkt, daß Artikel 159 die positive Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich gewährleiste. Das Recht, einer Koalition fernzubleiben, ergibt sich aus der allgemeinen Freiheit, ist aber kein verfassungsmäßiges Grundrecht. Aber man kann es doch verfassungsrechtlich sichern, daß kein Zwang nach der Richtung ausgeübt wird. Dr. Eberhard: Das ist sowieso gesichert. Ich weiß, daß die Gewerkschaften sich sehr beleidigt fühlen würden, wenn es ausdrücklich hier hereingeschrieben wird. Sie sagen, so etwas kommt auch nicht in andere Artikel hinein. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Bei der Religion steht es ausdrücklich drin. Schräge: Ich bin bis 1930 Gewerkschaftler gewesen und weiß aus eigener Erfahrung, daß der gewerkschaftliche Zusammenschluß ein ganz freiwilliger ist und daß ein ordentlicher Gewerkschaftler es verschmäht, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Dieser Grundsatz ist meines Erachtens in den Gewerkschaften nie verlassen worden. Wenn es in Einzelfällen zu Zwang gekommen ist, so ist das von der Gewerkschaft selber nie gebilligt worden. Ich sehe also keinen Grund, das besonders zum Ausdruck zu bringen. Dr. Eberhard: Das war der Grund dafür, daß man sagte, die Worte „behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll" sollten heraus. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das ist doch etwas anderes. In dem Schreiben des Gewerkschaftsrats wird dann gesagt80): Die jetzige Fassung könnte dazu führen, daß nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen durchaus zulässige Maßnahmen der Gewerkschaften auf umfassende Organisierung der einzelnen Gruppen der Arbeitnehmer rechtlich beanstandet werden könnten. „Durchaus zulässige Maßnahmen der Gewerkschaften auf umfassende Organisierung" bedeutet die Ausübung eines leichten Drucks, daß man einer Gewerkschaft beitritt. Ich finde, gerade diese Ausführungen sind sehr gefährlich. (Frau Nadig: Das sind sie auch, daran ist kein Zweifel.) Das bestätigt eigentlich, daß es notwendig ist, den „Zwang zum Beitritt" drin zu lassen. Schräge: Die umfassende Organisierung dürfte nicht sein.

80) Vg). Anm. 688

69.

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v. Mangoldt]: Es heißt dort weiter: Selbstverständlich werden sich die Gewerkschaften in ihren Maßnahmen an die allgemeinen Gesetze halten. Ein verfassungsmäßiger Schutz der negativen Koalitionsfreiheit würde ihre Entwicklung in bedenklicher Weise

Vors. [Dr.

stören. Dr. Heuss: Von der Nähe besehen ist das Problem einfach

das, ob ein gewisser Druck ausgeübt werden kann, um nicht Organisierte!!] von dem Arbeitsplatz fernzuhalten. Die Gewerkschaften haben ein Recht darauf, die Leute alle zu sammeln; denn ihr Kampf gilt auch denen, die nicht mitgekämpft haben. Es war im Werden der Gewerkschaften immer eine verhältnismäßig kleine Gruppe, die für die anderen etwas erreicht hat. Auf der anderen Seite gehört es sicher zu den Individualrechten, zu sagen: Nein, ich will nicht. Die Solidarität ist dann ein Problem der Erziehung, aber nicht des Zwanges. Schräge: Ich habe vorhin schon gesagt, daß es immer Grundsatz der Gewerkschaften gewesen ist, die freiheitliche Entwicklung ihrer Organisation, das heißt den freiwilligen Zusammenschluß zu fördern. Dabei kann es der Fall sein, daß sie ganz deutlich an das Solidaritätsempfinden innerhalb einer Belegschaft usw. appellieren. Das ist meines Erachtens auch erlaubt. Anders ist es, wenn, wie es in Einzelfällen nach dem ersten Weltkrieg der Fall war, eine kleine Belegschaft sagt: Wir fangen an zu streiken, wenn nicht dafür gesorgt wird, daß bestimmte Leute aus dem Betrieb herauskommen oder aber in die Organisation eintreten. Ich wüßte nicht, daß die Gewerkschaften jemals den Grundsatz aufgegeben haben, daß der Beitritt zur Organisation ein freiwilliger sein muß. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube nicht, daß die Gewerkschaften es wirklich als so schlimm empfinden könnten, wenn gesagt wird: Abreden und Maßnahmen, durch die ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll, sind rechtswidrig oder nichtig. Frau Nadig: Ich denke jetzt an die Probleme, die sich beim Akkordlohn ergeben. Ich denke daran, daß eine bestimmte Gruppe durch ihre Arbeitsleistung immer wieder weit über das Maß hinausgeht und [die] Durchschnittsleistung stört. Es ist möglich, daß in solchen Fällen ein Druck ausgeübt und gesagt wird: Wie ihr es macht, kann es nicht gehen, weil der Durchschnittsarbeiter nicht mehr zu seinem Lohn kommt. (Dr. Heuss: Das ist aber ein Problem der Tarifregelung.)81) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das betrifft nicht den Beitritt zur Gewerkschaft. Hier dreht es sich nur um den Beitritt zu den Verbänden zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, also um den Beitritt zu den Gewerkschaften. Es soll kein Zwang zum Beitritt zu den Gewerkschaften ausgeübt werden können. Ich glaube, dagegen können sich die Gewerkschaften mit vernünftigen Gründen gar nicht sträuben. Mayr: Ich bin dafür, daß die Formulierung „behindert oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden soll" beibehalten wird. Wir haben bei uns in der ersten 81) Folgt gestrichen noch von Frau Nadig gesagt: „Dann erfolgt manchmal doch ein gelinder Druck auf diesen Teil der Arbeiterschaft."

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Zwangsbewirtschaftung erlebt, daß nur diejenigen, die gewerkschaftlich organisiert waren, Bezugsscheine für Arbeitskleidung, Arbeitsschuhe usw. beNot der

kommen haben. Bei uns in Bayern mußten verschiedene Arbeitnehmer, Straßenbahner usw., zur Gewerkschaft gehen, um das für sie notwendige Berufsbekleidungsstück zu erhalten. Die Bezugsscheine sind damals in Bayern restlos über die Gewerkschaften gegangen. Wer nicht gewerkschaftlich organisiert war, konnte keinen Bezugsschein bekommen und keine verbilligte Ware kaufen. Das war ein indirekter Zwang. Jetzt ist dieser indirekte Zwang durch die Währungsreform usw. beseitigt. Schräge: Ich wüßte nicht, daß in Nordrhein-Westfalen irgendwo die Bezugsscheine über die Gewerkschaften gelaufen sind. (Lensing: Über die Betriebsräte geht es.) Dr. Heuss: Da war irgendwo ein tüchtiger Gewerkschaftler, und es fehlten die anderen Organisationen, die völlig auseinandergefallen waren. Die Gewerkschaften wurden hier in solche Situationen hineingestellt, weil sie einfach da waren. Sie sind als erste lizenzierte Vereine in eine gewisse Hypertrophie hineingekommen. Das ändert sich jetzt wieder. Schräge: In der vergangenen Zeit ist manches Anormale passiert. Denken wir an die Sonderkontingente von Kleidung und Schuhwerk, die für bestimmte Gruppen ausgegeben wurden. Ich habe selbst veranlaßt, daß die Gewerkschaften bei der Beratung über die Verteilung mit eingeschaltet wurden. Die Verteilung der Sonderkontingente war manchmal so merkwürdig, daß Beschwerden aus dieser oder jener Gruppe von Arbeitern berechtigt waren. Da mußte mit den Gewerkschaften der Ausgleich gesucht werden. Das sind Dinge, die alle mit den damaligen schweren Verhältnissen zusammenhängen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hängt es nicht stark mit dem Tarifrecht zusammen? Wenn wir wieder die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge bekommen würden, würden die Nichtanhänger einer Gewerkschaft die gleichen Vorteile genießen wie diejenigen, die einer Gewerkschaft angehören. Wenn das Tarifrecht in der Weise durchgebildet wird, daß nur die Angehörigen der Gewerkschaft die sich aus den Verhandlungen ergebenden Vorteile genießen, würde diese Schwierigkeit nicht bestehen. Dann würde ein gewisser Zwang, der rechtmäßig ist, ohne weiteres darin liegen, daß derjenige, der sich dieser Gewerkschaft nicht anschließt, nicht die Vorteile der Arbeitsbedingungen genießt, die die Gewerkschaft vereinbart. Dr. Heuss: Das ist eine vollkommen unmögliche Meinung. Man kann nicht sagen: Diejenigen Angehörigen eines Betriebes, die in der Gewerkschaft sind, kriegen diese Löhne, und diejenigen, die nicht in der Gewerkschaft sind, kriegen jene Löhne. Wie soll da eine Kalkulation der Ware usw. erfolgen? Es war immer so, daß die Gewerkschaften auch für die Nichtmitglieder Erfolge gehabt haben. Es war ihr moralischer Anspruch, daß die anderen in die Gewerkschaften

hineingehen. v. Mangoldt]:

Ich hatte eine andere Idee. Wenn ein Betrieb gewerkschaftlich organisiert ist und der andere Betrieb der gleichen Art nicht, würden eventuell mit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung für das gesamte Gewerbe die Vorteile auch dem anderen Betrieb zugute kommen. Vors. [Dr.

690

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Dr. Heuss: Es kommt auf die

branchenmäßige oder die bezirkliche Tarifordnung die zwischen Unternehmern und Gewerkschaften abgeschlossen ist. Dr. Eberhard: Wie der Fall in der Praxis aussieht, will ich dahingestellt sein lassen. Interessant war mir, daß Herr Dr. v. Mangoldt selber sagte, es wird ein gewisser, allerdings rechtmäßiger Zwang zum Beitritt ausgeübt. Da liegt eben die Sorge der Gewerkschaften, die ich teile, daß irgend so etwas, was Herr Dr. v. Mangoldt als einen gewissen rechtmäßigen Zwang bezeichnet, der keine weiteren Konsequenzen hat, von einem Gericht als ein Zwang zum Beitritt ausgelegt und dann gesagt wird, es ist nichtig oder rechtswidrig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das kann nicht eintreten, weil auf dem Gebiete des Tarifvertragsrechts die entsprechenden Bestimmungen unmittelbar durch Gesetz ergehen. Ein Richter kann niemals das Gesetz für rechtswidrig erklären. Dann müßte er schon mit der Behauptung einer Verfassungsgerichtswidrigkeit kommen. Dr. Heuss: Wenn wieder Verbindlichkeitserklärungen eingeführt werden die sicher wieder kommen werden —, sind diese Sachen alle mit gedeckt. Hier ist nur das Individualrecht geschützt, daß jemand sagt: Ich will nicht in diese Gewerkschaft hinein. Es gibt Menschen, die in diesem Sinne Individualisten sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da verstehe ich die Gewerkschaften eben nicht. Mit dem Antrag, die Worte: Abreden, die auf Zwang zum Beitritt gehen, zu streichen, sagen sie negativ: Wir wollen gern einen Zwang ausüben. Dr. Eberhardt: Nein, das sagen sie nicht und das wollen sie nicht. Sie wollen nicht, daß durch den Artikel, nach welchem der Zwang zum Beitritt ausdrücklich als nichtig erklärt wird, einmal etwas gegen sie unternommen werden kann, selbst wenn sie nur das tun, was Herr Dr. v. Mangoldt soeben als einen gewissen, allerdings rechtmäßigen Zwang bezeichnet hat. Irgendein Richter bezeichnet das vielleicht als Zwang. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Aufgabe der Gewerkschaften ist es, für verbesserte Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen zu sorgen. Dadurch haben sie eine natürliche werbende Kraft. Sie üben keinen Zwang aus, sondern erfüllen damit ihre an,



Aufgabe.

Dr. Eberhard: Sie

sprachen selbst

von

einem

gewissen, allerdings rechtmäßigen

Zwang. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist vielleicht falsch ausgedrückt. Sie geben dadurch natürlich einen gewissen Anreiz, in die Gewerkschaft einzutreten, um mit der Vorteile teilhaftig zu werden. Dr. Eberhard: Es mag Grenzfälle geben, wo es strittig ist. Darum möchten die Gewerkschaften das nicht drin haben. Ich beantrage also, die Worte „oder ein Zwang zum Beitritt ausgeübt" herauszulassen. Schräge: Die Gewerkschaften sehen darin eine Ausnahmebehandlung ihrer Bestrebungen. Ich weiß nicht, ob man das bei einer anderen Gruppe tun würde. Im Mittelalter wurden ähnliche Methoden angewendet, um die Angehörigen eines Gewerbes in die Organisationen zu bekommen. Man kann das tatsächlich als eine Ausnahmebehandlung empfinden. Ich verstehe das, weil ich weiß, daß die verantwortlichen Stellen in der Gewerkschaftsbewegung immer und immer 691

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wieder den Gedanken des freiwilligen Beitritts nicht nur propagieren, sondern auch dafür eintreten, daß sie Auswüchse solcher Art verurteilen. Im Gewerkschaftsleben bezeichnet man Leute, die den Beitrag sparen, aber die Erfolge der Gewerkschaften einheimsen wollen, als Schmarotzer. Wenn das hier ausdrücklich gesagt wird, kann es Leute geben, die sagen: Es darf uns nichts geschehen, wer will uns etwas? Auch der moralische Druck, der nun einmal in diesem oder jenem Fall angewandt werden muß, würde illusorisch werden. Ich würde mich dem Antrag anschließen, dies zu streichen. Auch durch das Gesetz wird ja ein Druck ausgeübt, der der Arbeitgeberseite nicht angenehm ist. Die Verbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages zwingt den nicht organisierten Arbeitgeber, auch die von der Gewerkschaft mit dem Arbeitgeberverband vereinbarten Löhne zu zahlen. Darauf legt auch die Arbeitgeberseite Wert. Hinsichtlich der Verbindlichkeitserklärung sagen sich die Arbeiter oder sagt sich eine großer Teil der Arbeiter: Die Verbindlichkeitserklärung kommt, wir kriegen dann unsere Löhne doch und brauchen der Gewerkschaft nicht beizutreten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber auf Grund des Gesetzes! Das ist der große Unterschied. Keine Verwaltungsbehörde und niemand sonst kann das machen, sondern das kann nur auf Grund des Gesetzes geschehen. Dr. Heuss: An sich ist hier nicht bloß von Gewerkschaften die Rede. Es heißt vielmehr: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet." Also der ganze Komplex der Innungen usw. fällt mit darunter. Das gilt hier genau 'so. Zwangsinnungen gibt es ja nicht mehr. Ihre Sorge, daß das eine Art Sondergesetz in Ansehung der Gewerkschaften sei, trifft nicht zu. Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen spielen nicht nur im Lohnarbeiterverhältnis eine Rolle, sondern ebenso im Handwerk, bei Verbänden von Kaufleuten und von Industriellen, bei Arbeitgebervereinigungen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Jede dieser Vereinigungen würde also, wenn das nicht drin steht, einen Zwang zum Beitritt ausüben können. Dr. Eberhard: Das glaube ich nicht. Die Gewerkschaften treten, wenn sie das gestrichen haben wollen, nicht für die Ausübung des Zwanges ein, weder hier noch allgemein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Gewerkschaften sagen aber hier ausdrücklich das kann doch stutzig machen —, daß sie zur umfassenden Organisierung eine Möglichkeit haben müssen. Das ist ein gelinder Zwang. Hier heißt es: „Die jetzige Fassung könnte dazu führen, daß nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen durchaus zulässige Maßnahmen der Gewerkschaften auf umfassende Organisierung der einzelnen Gruppen der Arbeitnehmer rechtlich beanstandet werden könnten." (Dr. Eberhard: Es steht da: „zulässige Maßnahmen".) Das ist zu allgemein. „Umfassende Organisierung" bedeutet Ausübung eines letzten Drucks auf den Eintritt. (Dr. Heuss: Das kann nichts anderes heißen.) Es heißt weiter: „Ein verfassungsmäßiger Schutz der negativen Koalitionsfreiheit würde ihre Entwicklung in bedenklicher Weise stören." Das heißt: Wenn wir —



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nicht einen leichten Zwang zum Eintritt in die Gewerkschaften ausüben können, werden wir nicht zu der Weiterentwicklung kommen. Dann kann jeder Verband, der hierunter fällt, z. B. auch der Verband der Textilkaufleute, sagen: Wir kommen nicht zu einer entsprechenden Entwicklung, wenn wir nicht einen leichten Zwang, eine umfassende Organisierung ausüben können. Damit sind wir bei den Zuständen, die wir gerade mit den Trustvorschriften u. a. bekämpfen. Das ist nun allerdings sicher eine leichte Übertreibung. Ich halte die VorVielleicht können schrift, die wir hier drin haben, nach wie vor für richtig. wir es noch einmal eingehend erörtern, im Hauptausschuß kann es dann immer noch gestrichen werden. Dr. Eberhard: Wir können es im Hauptausschuß noch einmal erörtern82). Leasing: Das möchte ich auch. Dr. Heuss: Ich will nicht auf Abstimmung drängen. Dr. Eberhard: Wir können es mit einer Variante an den Hauptausschuß geben. Vors. [Dr. v. MangoldtJ: Ja, wir geben an den Hauptausschuß zwei Fassungen. Das ist die beste Vorbereitung für die Arbeit des Hauptausschusses. Dr. Eberhard: Die Worte „nichtig" und „rechtmäßig" sind noch zu bedenken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wollen Sie den Absatz so haben, wie der Gewerkschaftsbund es beantragt hat? In dem Schreiben des Gewerkschaftsrats83) heißt es: Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Maßnahmen und Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu verhindern suchen, sind rechtswidrig. Dr. Eberhard: Ich würde den Unterschied nur in den Worten „rechtswidrig" darüber können wir uns sicher verständigen —, andeund „nichtig" sehen rerseits in dem Zwang zum Beitritt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können bei uns in dem zweiten Satz auch sagen: Abreden und Maßnahmen, die dieses Recht einschränken, behindern oder einen Zwang zum Beitritt ausüben Kann man von Abreden sprechen, die einen Zwang zum Beitritt ausüben? Vielleicht ist die Formulierung des Redaktionsausschusses84) besser. Dort ist der erste Satz geblieben, während der zweite Satz wie folgt formuliert ist: „Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden." Dr. Eberhard: Dann sind die Worte „rechtswidrig" und „nichtig" nicht drin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es heißt in der Fassung des Redaktionsausschusses: „Art. 12 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung." Darauf ist verwiesen. Es ist doch besser, bei der Fassung zu bleiben: „Abreden und Maßnahmen, durch die dieses Recht eingeschränkt..." Dr. Eberhard: Diesen Zusatz hat der Redaktionsausschuß nur nötig gehabt, weil es ein neuer Artikel ist. —



..

B2) Vgl. 16. Sitzung des HptA 83) Vgl. Anm. 69. 84) Dok. Nr. 28.

vom

.

13. Dez. 1948;

Verhandlungen,

S. 210 f.

693

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das kommt von der Umformulierung her. Der Redaktionsausschuß hat sich gedacht, daß die Abreden unzulässig oder, wie wir sagen, verboten sind. Aber das ist auch nicht richtig überlegt. Es geht so nicht. Dr. Heuss: Dann kann man doch einfach die Fassung des Redaktionsausschusses übernehmen. Die Worte „nichtig" und „rechtswidrig" fallen weg. Es wird auch die neue Zäsur gemacht, indem es hier heißt: „Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden." Das ist wieder etwas Neues. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nur müßten wir dann sagen, daß diese Abreden und Maßnahmen rechtswidrig und nichtig sind. Darauf wird besonderes Gewicht

gelegt.

Dr. Heuss: Die Wendung: Dieses Recht darf nicht behindert werden, ist dann noch nicht scharf genug. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn es heißt, dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt werden, so ist damit noch nicht gesagt, daß die Abrede unmittelbar nichtig ist. Dann könnte man das aufnehmen und sagen: Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. Dann würde es auch mit den Maßnahmen gehen. (Dr. Eberhard: Dann geht es.) Wir können es also so machen: Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden. Dazu müßte man noch nachsetzen: Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. Das ist noch nicht schön, weil die Maßnahmen nicht nichtig sein können. Es bezieht sich an sich nur auf die Abreden. Dr. Eberhard: Wir können schreiben: Solche Abreden sind nichtig, und solche Maßnahmen sind rechtswidrig. Dann haben wir das, was richtig paßt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann wäre es schon richtiger, zu sagen: Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig, die Abreden auch nichtig. Dr. Eberhard: Genügt das Wort „rechtswidrig" nicht? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit der Rechtswidrigkeit ist es etwas zweifelhaft. Im Verwaltungsrecht hat die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme in sehr vielen Fällen noch nicht ihre sofortige Nichtigkeit zur Folge. Die Tatsache, daß sie rechtswidrig ist, hat vielmehr erst dann eine Folge, wenn sie in einem gerichtlichen Verfahren geltend gemacht und die Maßnahme dann für nichtig erklärt wird. Damit wird der betreffende Verwaltungsaki als nicht vorhanden behandelt. Nun steht hinter einer solchen Abrede eine gewisse Autorität, nehmen wir an, die Autorität einer Gewerkschaft. Auch wenn ein Staatsbetrieb eine solche Abrede trifft, steht eine gewisse Autorität dahinter. Wenn man sie nicht gleich als nichtig bezeichnen will, so hat man jedenfalls mit der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit noch nichts gewonnen. Mit der Berufung darauf ist man keinen Schritt weiter, sondern muß erst in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgehen. Lassen wir es einfach so: Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. Man bezieht es dann auf das, worauf es ankommt. 694

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Dr. Eberhard: Die Variante besteht darin, nur die sechs bis sieben Worte wegzulassen. Dann hat der Hauptausschuß es zu entscheiden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Variante würde dann nur den Satz 2 betreffen.

(Dr. Eberhard: Ja.]

Die Kommunisten haben hierzu noch einen Vorschlag. Sie verlangen, Abs. 3 und 4 zu streichen und durch den Art. 7 in dem Antrag der Fraktion der KPD über die Gewährung der sozialen Grundrechte zu ersetzen85). In dem Antrag der KPD heißt es: Das Recht, Vereinigungen zur Förderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zu bilden, ist für jedermann gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche dieses Recht einzuschränken oder zu behindern suchen, sind verboten. Die Gewerkschaften sind die anerkannten Vertreter der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Ihre Aufgabe und ihre Verwaltung bestimmen die Mitglieder. Sie sind zur gleichberechtigten Mitbestimmung und Durchführung aller Maßnahmen von sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung berufen. Unternehmerverbände sind verboten. Dr. Eberhard: Das ist zu simpel. Das lehnen wir einstimmig ab. Dr. Heuss: Darüber brauchen wir uns nicht aufzuhalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kommt noch ein zweiter Artikel hinzu, der lautet: Das Streikrecht ist anerkannt. Aussperrungen sind rechtswidrig. Sie haben darüber weiter nichts drin. Dr. Heuss: Zum Streikrecht liegt von uns ein Antrag vor86). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zum Streikrecht liegt von der Gewerkschaft Deutscher Beamtenbund87) der folgende Antrag vor: Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze anerkannt. Das gilt nicht für die auf beiderseitiger Treuepflicht beruhenden Dienstverhältnisse der Beamten.

Die wollen für die Beamten das Streikrecht ausdrücklich in der

Verfassung

aus-

sehen. Dr. Eberhard: Zu dem Satz in unserem Ausschußentwurf: „Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze anerkannt" darf ich bemerken, daß wir kürzlich bezüg-

geschlossen

85) Anträge der KPD vgl. Dok. Nr. 12 Anm. 1. 86) Der Antrag der FDP zum Streikrecht wurde später von Heuss verlesen. Er war Teil des Fraktionsantrages vom 18. Nov. 1948 (Drucks. Nr. 296), der für die Grundrechte folgendermaßen lautete:

87)

Art. 12, Ziff. 4 abändern in: „Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung, um eine Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durchzuführen, wird im Rahmen der Gesetze anerkannt." Art. 17 (Fassung des Redaktionsausschusses): Ziffer (3) abändern in „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes oder durch ein solches zulässig. Wer durch eine Enteignung betroffen wird, hat einen vor dem ordentlichen Gericht verfolgbaren Anspruch auf angemessene Entschädigung." Art. 18 (Fassung des AfG): „Ziffer (2) ergänzen wie folgt: Für die Entschädigung gilt Artikel 17, Abs. 3, Satz 2 entsprechend." Eingabe Nr. 253 vom 29. Okt. 1948 in: Z 5/108, Bl. 76.

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lieh der kirchlichen Feierlichkeiten dasselbe besprochen haben. Wir haben die Worte „im Rahmen der Gesetze" gestrichen. Ich habe damals schon angemeldet, ich würde beantragen, daß auch hier die Worte „im Rahmen der Gesetze" gestrichen werden. Das ist sehr kautschukartig. Dafür empfehle ich sehr, aus vielen offensichtlichen Gründen das Streikrecht der Gewerkschaften besonders herauszuheben. Der Redaktionsausschuß scheint das auch zu beabsichtigen. Wir alle sind hier sehr daran interessiert, daß nicht von irgendeiner Gruppe wilde politische Streiks gemacht werden. Das erleben wir jetzt in Frankreich. Wir wollen die Möglichkeit dazu nicht in der Verfassung verankern. Die Fassung der Gewerkschaften scheint mir gut zu sein: „Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet. Wer sich an einem gewerkschaftlichen nicht tarifwidrigen Streik beteiligt, handelt nicht rechtswidrig." Das ist ähnlich der Fassung des Redaktionsausschusses. Dr. Heuss: In unserer Fraktion ist die Sache durchgesprochen worden. Vielleicht in Auswirkung des letzten Streiks88) ist die Formel: „Das Streikrecht wird. anerkannt" als etwas zu große Geste bezeichnet worden, weil das Streikrecht nicht in seinem Sinne umschrieben worden ist. Wir haben infolgedessen den Antrag eingebracht, zu sagen: „Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung, um eine Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durchzuführen, wird im Rahmen der Gesetze anerkannt." Das ist also eine Absage an den politischen Streik, und es ist eine Hinleitung auf den Arbeitskampf. Ein politischer Streik als solcher wird immer wieder möglich sein. Ich will gar nicht sentimental sein; das gehört zum öffentlichen politischen Leben. Das ist eine politische Aktion als solche, während die gemeinschafltiche Arbeitseinstellung, um eine Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durchzuführen, das Streikrecht auf seine klassische Funktion zurückführt. Das würde der Antrag sein, den wir entweder hier zur Diskussion stellen oder den meine Freunde im Hauptausschuß vorlegen wollen. Ich selber für meine Person habe etwas Sorge, die Gewerkschaften hier als wir reden von ihnen und denken an sie die der in Rechtsperson sozusagen Verfassung einzuführen, a) wegen allgemeinen Lebensordnungsgeschichte, b) aber auch sonst. Wer sind die Gewerkschaften? Wer gibt die Parole aus, die lokale Gewerkschaft, oder die Gesamtgewerkschaft? Das ist in der Praxis der Dinge eine sehr offene Frage. Ein Mann, der selber sehr in sozialpolitischen Dingen drin steht, hat gemeint, wir müßten bei was ich für unmöglich halder Streikfrage in der Verfassung hineinbringen te, obwohl es meines Wissens in England die Praxis ist, daß einem Streik eine Abstimmung voranzugehen hat. Ich halte das nicht für eine Angelegenheit der verfassungsmäßigen Regelung. Die Gewerkschaft kann unmöglich als Träger einer Entscheidung angesehen werden. Ich kenne die Geschichte sehr gut aus der Situation des Jahres 1913 bei Bosch —Stuttgart89). Die Dinge habe ich alle quellenmäßig durchgearbeitet. Die lokale Stuttgarter Gewerkschaft hat Bosch bestreikt, aber der Metallarbeiterverband hat sich geweigert, diesen Streik, den er mißbilligt hat, zu unterstützen. Die Zentrale hat den Kampf verbluten lassen, ..







88) Vgl. Anm. 102 89) Vgl. Dok. Nr. 9, Anm. 42. 696

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weil man das für einen Unsinn gehalten hat. Wer ist also in diesem Falle die Gewerkschaft? (Schräge: Die Hauptverwaltung, die Zentrale.) Verzeihung, das ist eine innere Ordnung der Gewerkschaftszuständigkeit. Die Zentrale des Metallarbeiterverbandes kann Entscheidungen minderen Grades an die Hannoversche, die Stuttgarter oder irgendeine Verwaltungsstelle delegieren. Die Gewerkschaften sind kein Rechtsbegriff. Sie sind sich selber nicht —

immer

einig.

Ich stelle die Form, die wir gesucht haben, zur Diskussion. Es liegt übrigens auch von der Deutschen Partei eine Formulierung vor90), die heißt: „Das Recht, bei wirtschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen zu streiken, wird im Rahmen der Gesetze anerkannt." Meine Freunde wollen nicht, daß das Streikrecht oder die Streikfreiheit so in der Verfassung drin steht, sondern wollen mehr das Sachliche, das Recht auf gemeinschaftliche Arbeitseinstellung, was der Sinn des wirtschaftlichen Streiks ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Thoma91) will an die Stelle des Streikrechts die Streikfreiheit gesetzt haben. (Dr. Heuss: Das ist kein Gewinn.) Nein, das ist kein Gewinn. Man könnte es so formulieren: „Das Streikrecht wird anerkannt, das Nähere regelt ein Gesetz." Die Worte „im Rahmen der Gesetze" könnten vielleicht irreführend sein oder zu falschen Auffassungen füh—

ren.

Dr. Bergsträsser: Mit dieser Fassung kommen wir gerade auf das, was wir vermeiden wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, davon sind wir ursprünglich ausgegangen. Wir wollten alle näheren Einzelheiten einem Gesetz überlassen. Dr. Eberhard: Ein besonderes Streikgesetz? Das wünsche ich dem künftigen Parlament nicht als Arbeit aufzugeben. Dr. Heuss: Ein Streikgesetz kommt in das allgemeine Arbeitsrecht mit hinein. Es wird die Haftbarkeit und solche Dinge enthalten. Es wird bestimmen, ob der neutrale Schlichter vom Arbeitsminister ernannt wird oder in Bereitschaft steht, wenn die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände sich schon vorher sich für irgendeinen Fall auf irgendeinen Mann verständigt haben. Darüber können wir nichts sagen. Dr. Eberhard: Dem, was Herr Dr. Heuss für die demokratische Partei vorschlägt, und dem, was ich im Anschluß an den Vorschlag der Gewerkschaften vorgeschlagen habe, liegt das Gemeinsame zugrunde, daß man das Streikrecht nicht so allgemein proklamieren sollte. Darin besteht Einigkeit. Könnte man nicht ähnlich definieren wie in Abs. 3, wo von Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und W/rfscna/ïsbedingungen die Rede ist? Wenn man nur das sagt, was in dem Antrag der demokratischen Partei enthalten ist, nämlich: „Regelung der Lohn- und /Irbe/fsbedingungen", so ist das bei der heutigen Tätigkeit der Gewerkschaften zu eng gefaßt, die nicht nur an den Nominallohn denken kön-

90) Formulierung der DP vgl. Anm. 47. 91

) Dok. Nr. 18. 697

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sondern immer an die gesamte Wirtschaftpolitik denken müssen, nachdem erlebt hat, daß der Nominallohn nichts Festes ist. Dr. Heuss: Es führt die organisierte und verantwortliche Gewerkschaft auf den klassischen Ausgangspunkt zurück. Sie kam in eine Hypertrophie ihrer Bedeutung hinein. Es ist eine geradezu grotesk-komische Geschichte, daß man das Wort Arbeitgeberverbände oder Unternehmerverbände vermieden hat. Dann ist irgendeiner auf den Einfall gekommen, das schöne Wort „Sozialrechtliche Ausschüsse" zu ersinnen. Mir ist das Streikrecht als Recht der Gemeinschaft zu weitgehend. Es könnte einer auf die Idee kommen, daß auch die Aussperrung mit umfaßt wird, wenn die Unternehmer die gemeinsame Arbeitseinstellung vollziehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Meine Fraktion hatten den Antrag gestellt,92) daß der Abs. 4 mit Abs. 3 verbunden wird, weil er ein Recht betrifft, das unmittelbar mit der Koalitionsfreiheit zusammenhängt. Wenn man das machen würde, könnte man dann vielleicht sagen: das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung. Dann ist die Beziehung zu dem Vorangehenden vorhanden. Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung wird anerkannt, und nun müßte man dazusetzen: im Rahmen der Gesetze oder: vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Regelungen. Schräge: Der Begriff „gemeinsame Arbeitseinstellung" wäre schon etwas weiter, als wenn man sich auf die Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse beschränkt. Es gibt auch andere Streitigkeiten, z. B. wegen Nichtbeachtung des nen,

man

Betriebsrätegesetzes usw. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde sich dann auf den ersten Satz des Abs. 3 beziehen, wenn es im gleichen Absatz wäre. Wir brauchten es dann nicht noch

einmal aufzunehmen. Heile: Ich glaube, daß die Fassung in unserem Antrag alles deckt: „Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitsniederlegung bei wirtschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen". Dann sind alle diese Dinge drin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir es schon in dem gleichen Absatz drin haben, brauchen wir es nicht zu wiederholen. Es heißt hier: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung Vereinigungen zu bilden." Wir sagen in dem gleichen Absatz, wie es hier in dem Vorschlag steht: Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung usw. Man könnte hier auch Arbeitsverweigerung sagen, um nicht mit Arbeitseinstellung zur Aussperrung zu kommen. Heile: Jemand könnte auch meinen, daß man aus politischen Gründen eine Arbeitseinstellung beschließen könnte. Das wollte man doch gerade nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In diesem Absatz ist ausdrücklich gesagt, daß dieses Recht nur zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gewährt wird, nicht zu politischen Zwecken. Darin ist es enthalten. Wenn es in dem gleichen Absatz steht, reicht es aus. Schräge: Man darf nicht zuviel sagen. Sagt man in diesem Punkt zuviel, kommt man ins Uferlose. Das muß man schon den Gewerkschaften selber überlassen. Es muß eng begrenzt sein, und die Form, die vorhin vorgeschlagen wurde, scheint mir das Richtige zu sein. .

92) 698

..

Der CDU-Antrag zum Streikrecht wurde nicht CSU im Pari. Rat, S. 124.

vervielfältigt. Vgl.

Salzmann: Die CDU/

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vor allen Dingen muß die Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung der Sache offengehalten werden. Heile: Wenn Sie es nicht wiederholen wollen, müssen Sie sagen: In Ausübung dieses Rechts usw. Dr. Heuss: Ich glaube auch, Herr Heile" hat nach dieser Seite hin Recht. Man springt nicht unmittelbar, wenn man es sozusagen gedanklich wiederholt. Es muß schon noch einmal in die Erinnerung gebracht werden. Heile: Das Bilden von Vereinigungen und das Niederlegen der Arbeit sind zwei grundverschiedene Sachen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte eventuell so sagen: Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung zu den gleichen Zwecken oder: Das Recht, zu den gleichen Zwecken die Arbeit einzustellen, wird anerkannt. Noch besser sagt man: Das Recht, zu den gleichen Zwecken gemeinschaftlich die Arbeit einzustellen, wird im Rahmen der Gesetze anerkannt. Irgendeine Ermächtigung für eine gesetzliche Regelung muß vorgesehen bleiben. Dr. Heuss: Steht darüber etwas im Zuständigkeitskatalog drin? Dr. Eberhard: Ja, das Arbeitsrecht gehört zur Vorranggesetzgebung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben den Zuständigkeitsausschuß aufmerksam gemacht. Dieser Ausschuß hat darauf seine Auffassung mitgeteilt, daß es unter Wenn wir es nicht sagen, wird das Streikrecht absolut „Arbeitsrecht" fällt93). anerkannt. Es ist verfassungsmäßig verankert, und es gibt keinerlei einschränkende Regelung. Dr. Eberhard: Bei Art. 7 hatten wir die Worte „im Rahmen der Gesetze" heraus—

gestrichen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte auch so sagen: Das Recht kann durch besonderes Gesetz geregelt werden, oder: Dieses Recht kann durch Gesetz geregelt werden. Dr. Eberhard: Ja. Dabei bleibt auf alle Fälle bestehen, daß der Wesensgehalt nicht angetastet werden darf. Aber Verantwortlichkeit, Haftbarkeit usw. würden darin geregelt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht könnte man sagen: Das Recht, zu den gleichen Zwecken die Arbeit gemeinschaftlich einzustellen. Dr. Heuss: Es ist etwas ungeschickt, weil erstens dazwischen der Satz über die Abreden usw. steht. Es schließt sich nicht recht an. Die Fassung „zu den gleichen Zwecken" gefällt mir nicht. Es ist ein sehr dünnes Wort. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann sagen. Das Recht, zur Wahrung der Zwecke des Abs. 3 die Arbeit gemeinschaftlich einzustellen. Heile: Man müßte sagen: in Ausübung dieses Rechts. Dr. Eberhard: Das geht gerade nicht. Das Recht, Vereinigungen zu bilden, steht hier überhaupt nicht zur Diskussion. Heile: Wir können dann sagen: Das Recht, die Arbeit niederzulegen oder: die Arbeit einzustellen.

93) In den Protokollen dieses Ausschusses schlug sich diese Frage nicht nieder. Vgl.

Der

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Dr. Eberhard: Nein, niemand will ein Streikrecht haben, um zu erzielen, daß eiGewerkschaft gebildet wird. Daran denkt in diesem Kreis nur Herr Heile. Wollen wir die Worte aus Absatz 3 nicht einfach wiederholen und sagen: Zur ne

Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnnte dann sagen: Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gemeinschaftlich die

Arbeit einzustellen, wird anerkannt. Dr. Heuss: Dann ist unsere Fassung mit den Worten „Das Recht zur gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung" fast noch besser, weil der Begriff des Streiks deutlicher wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte sagen: Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung mit dem Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren oder zu fördern, oder: Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wird anerkannt; seine Regelung erfolgt durch Gesetz. Heile: Wir müßten den Satz betreffend die Beamten hinzunehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollten alle Einzelheiten dem Gesetz überlassen. Schräge: Ich würde nicht auf ein Gesetz hinweisen. Ich würde es der Zukunft überlassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geht nicht. Wenn wir es nicht aufnehmen, haben wir ein ganz weites Streikrecht, in das der Gesetzgeber nicht regelnd eingreifen kann. (Schräge: Früher hat es das nicht gegeben.) Früher ist es nicht notwendig gewesen, weil nach der Weimarer Verfassung das Streikrecht nicht unter das Koalitionsrecht fiel und weil das Streikrecht nicht verfasssungsrechtlich gesichert war. Wenn wir das Streikrecht verfassungsrechtlich in dieser weiten Form sichern, kann überhaupt kein Gesetz mehr dazu gemacht werden. Das ist eine große Gefahr. Wir haben bei allen Grundrechten, die wir gewährleisten, die Ermächtigung für den Gesetzgeber vorgesehen, weil sonst der Gesetzgeber ausgeschlossen ist. Schräge: Sie werden sich erinnern, daß wir in der Fraktion darüber gesprochen haben und daß ich gesagt habe, man solle das Streikrecht überhaupt nicht erwähnen, man solle es wie bei der Weimarer Verfassung machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber ist hier im Grundsatzausschuß von vornherein gesprochen worden. Schräge: Ich habe nichts dagegen, daß es erwähnt wird. Dr. Heuss: In den meisten Landesverfassungen, soweit ich sie kenne, ist das Streikrecht als solches enthalten94). Ich teile Ihre Auffassung, daß es vorausgesetz wird und keiner besonderen verfassungsmäßigen Weihe bedarf. Dr. Bergsträsser: In der hessischen Verfassung ist es enthalten mit dem Zusatz: „wenn die Gewerkschaften den Streik erklären95)." Dadurch will man wilde Streiks verhindern. —

94) 95) 700

Die Bestimmungen in den einzelnen Länderverfassungen wurden im nachhinein noch im einzelnen behandelt. Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946, Art. 29.

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Dr. Eberhard: Der Redaktionsausschuß hat es auch so aufgenommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Redaktionsausschuß sagt: „Beschränkungen sind nur im Interesse des gemeinen Wohls und nur durch förmliches Gesetz zulässig96)." Dr. Bergsträsser: In der Verfassung von Württemberg-Baden heißt es: „Das Streikrecht der Gewerkschaften im Rahmen der Gesetze wird anerkannt. Ein-

schränkende und hemmende Abreden und Maßnahmen sind nichtig97)." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das faßt das nicht, was wir darin fassen wollten. Es ist besser, das Wort „regeln" zu verwenden. Eine Regelung braucht keine Beschränkung zu bedeuten. Dr. Heuss: Nein. Es muß so etwas wie: spätere Regelung durch Gesetz hinein. Aber von dem gemeinen Wohl würde ich nichts sagen. Ich würde es als rein formale Ermächtigung ansehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die wilden Streiks usw. würden in einem Gesetz geregelt werden können. Dr. Bergsträsser: In der bayerischen Verfassung steht: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche die Vereinigungsfreiheit einzuschränken oder zu behindern versuchen, sind rechtswidrig und nichtig96)." Dr. Heuss: Das Streikrecht selber ist nicht genannt. Schräge: Denken wir doch einmal daran, daß die Überführung der Grundstoffindustrien an die Allgerneinheit erfolgt, daß die Sozialisierung des Bergbaus, der Eisenindustrie usw. durchgeführt wird. Die Folge wird sein, daß ein ganz neuartiges Arbeitsrecht geschaffen werden muß. Das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter in den Betrieben bekommt in diesem Rahmen gesehen eine ganz andere Form. Auch das Streikrecht sieht nachher ganz anders aus, weil auf der einen Seite die Verantwortung der Arbeiterschaft und auf der anderen Seite ihre Rechte gewachsen sind. Die ganzen Dinge sind im Fluß. Keiner von uns kann sagen, was sich auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten vollziehen wird. Deshalb meine Erwägung, man sollte nicht mehr sagen, als unbedingt notwendig ist. In Verfolg der Dinge, die sich in der Wirtschaft tun, wird es andere Gesellschaftsformen geben, es wird ein neues Arbeitsrecht geben, es wird ein anderes Betriebsrätegesetz geben müssen. Dr. Heuss: Das stimmt nicht. Die preußischen Gruben im Saargebiet waren im Gemeineigentum. Sehr viele Salzwerke sind im Gemeineigentum. Schräge: Die waren staatlich. Ein Mitbestimmungsrecht der Arbeiter bestand besonders im Saargebiet noch viel weniger als hier in Norddeutschland. Dr. Heuss: Der Staat ist hier der Funktionär des Gemeineigentums gewesen. Die Situation war nach der arbeitsrechtlichen Seite etwas besser seit dem Jahre 1906, als von den preußischen Bergbehörden die Arbeiterausschüsse eingeführt

96) Dok. Nr. 28. 97) Verfassung von Württemberg-Baden vom 98) Verfassung des Freistaates Bayern vom 2.

28. Nov. 1946, Art. 23, Abs. 3. Dez. 1946, Art. 170.

701

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glaube nicht, daß das Sache werden wird. eine so entscheidende Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können vielleicht sagen: Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt. Dr. Bergsträsser: Die Bremer Verfassung hat das Streikrecht100). Es heißt: „Das Streikrecht der wirtschaftlichen Vereinigungen wird anerkannt", ohne irgendwelchen weiteren Verweis, genau so wie in der hessischen Verfassung. In der hessischen Verfassung heißt es nur: „Das Streikrecht wird anerkannt, wenn die Gewerkschaften den Streik ausüben." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geht nicht. Der Absatz würde zu groß werden. Wir müßten zwei Absätze machen, für das Streikrecht müßten wir einen besonderen Absatz machen. Es würde dann heißen: Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wird anerkannt. Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt. Heile: Die Frage des Streikrechts der Beamten ist nicht geregelt. Wir hatten dafür die Formel vorgeschlagen: „Dies gilt nicht für die auf beiderseitiger Treupflicht beruhenden Dienstverhältnisse der Beamten." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten seinerzeit im Ausschuß darüber gesprochen, daß wir auch das der Regelung durch das Gesetz überlassen wollen. Heile: Die Beamten legen großen Wert darauf, daß es reinkommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ist es nicht einfacher, hierzu einen Antrag im Hauptausschuß einzubringen? Dann kann dort darüber gesprochen werden. Ich bin nicht ganz sicher, ob nicht an irgendeiner anderen Stelle etwas über die Beamtenrechte in die Verfassung hineinkommt. Wenn etwas über Beamte gesagt wird, gehört es mehr dort hin. Sonst könnten wir auch hier eine Form finden, die dem Antrag der Deutschen Partei entspricht101). Heile: Wenn es hier nicht herein soll, müßte im Protokoll festgelegt werden, daß wir an ein Beamtenstreikrecht nicht denken. Was wir hier verhandeln, gehört ja später zu den Motiven für die Auslegung der Absicht des Gesetzgebers. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kann ohne weiteres im Protokoll festgelegt werden, es besteht darüber Einverständnis, daß an ein Streikrecht der Beamten nicht gedacht wird. Wenn wir hier von Beamten sprechen, taucht sofort die Frage der öffentlichen Angestellten auf. Dr. Heuss: Bei der Übergangssituation ist es in Württemberg Praxis gewesen, viele frühere staatliche Hoheitsaufgaben in die Hände von Angestellten zu geben worüber sich die alten Beamten geärgert haben —, weil am Anfang die wurden"). Sonst

ist das Problem davon nicht berührt. Ich



") Die Arbeiterausschüsse wurden in Preußen 1905 eingeführt. Klaus Saul: Zwischen Repression und Integration. Staat, Gewerkschaften und Arbeitskampf im kaiserlichen Deutschland 1884 bis 1914, in: K. Tenfelde und H. Volkmann (Hrsg.): Streik, zur Ge-

schichte des Arbeitskampfs in Deutschland während der Industrialisierung. München 1981, S. 209-236. 10°) Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 12. Okt. 1947, Art. 51, Abs. 3. 101) Antrag der DP vgl. Anm. 47. 702

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Hälfte des Beamtentums durch die blöden Denazifizierungsgeschichten draußen Diese Leute haben nicht das Treueverhältnis zu dem Staat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei dem Verbot des Streiks von Beamten spielt nicht nur der Gedanke der Treupflicht des Beamten eine Rolle. Auch der Gedanke des öffentlichen Interesses spielt hinein. Man kann es nicht dulden, daß z. B. die Polizei ihre Tätigkeit einstellt. Wenn man es auf diesen Punkt des öffentlichen Interesses abstellt, ist es sehr zweifelhaft, ob z. B. bei der Polizei die Angestellten, die für das Funktionieren des Apparates wesentlich sind, ihre Arbeit einstellen können. Dr. Eberhard: Wir können hier über Beamte nichts festlegen. Einerseits gibt es z. B. in einem Wasserwerk Arbeiter, die keine Beamten sind. Hier liegt es vielleicht im öffentlichen Interesse, daß sie weiterarbeiten. Andererseits gibt es bei der Post Arbeiter, bei denen man sich fragen muß, weshalb sie anders als Arbeiter in einem sonstigen Betrieb behandelt werden sollen. Ich könnte also nicht einer allgemeinen Formulierung zustimmen, daß Beamte auf alle Fälle ausgenommen sind. Es ist außerdem flüssig, wer Beamter bleiben wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten vielleicht dem Wunsch von Herrn Heile entsprechend einen Vermerk in das Protokoll aufnehmen, daß über den Grundsatz, daß Beamte nicht von dem Streikrecht, von der Arbeitseinstellung Gebrauch machen können, Einigkeit besteht, daß hier aber von einer Formulierung abgesehen wird, da sich eine Reihe von anderen Fragen ergibt, die es unmöglich machen, das in einer kurzen Verfassungsvorschrift niederzulegen. Dr. Heuss: Wir können heute in der Verfassung das Problem der öffentlichen Angestellten nicht regeln, weil es ein vollkommen schwebendes Verhältnis ist. Heile: Wir brauchen nur an den Streik vor acht Tagen zu denken102). Da war die Frage, was die Behörden tun sollen. (Dr. Bergsträsser: Die Behörden haben sehr verschieden gehandelt.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Meine Fraktion hat noch den Antrag gestellt, den Abs. 2 wie folgt zu fassen: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Gesetzen zuwiderlaufen .103)" Vereinigungen können eine Tätigkeit ausüben, die zeigt, daß sie einen ganz anderen Zweck haben, daß der Zweck ein getarn-

lag.

.

.

102) Zum Streik

103)

vom 12. Nov. 1948 hatte der Informationsdienst für die Abgeordneten des Pari. Rates am 10. Nov. 1948 folgende Analyse gebracht: Die Gewerkschaften würden um Einfluß bei den zentralen Führungsstellen des bizonalen Wirtschaftsgebietes ringen. Er habe keineswegs in erster Linie den Sinn, die Empörung weiter Kreise gegen die überhöhten und weiter steigenden Preise zu beweisen, sondern vielmehr würden die Forderungen der Gewerkschaften auf eine grundsätzliche Einschaltung in den gesamten Wirtschaftslenkungsprozeß hinauslaufen. „Dieser Machtanspruch greift weit über Einzelforderungen hinaus, und es gibt viele Kritiker, die meinen, daß die Gewerkschaften schlecht beraten waren, wenn sie statt begrenzten und diskutablen Ansprüchen ein so großes Bukett grundsätzlichere Wünsche anmelden" (Z 12/53, Bl. 25). Vgl. auch G. Beier: Der Demonstrations- und Generalstreik vom 12. November 1948 im Zusammenhang mit der parlamentarischen Entwicklung Westdeutschlands. Frankfurt/Main Köln 1975. Dok. Nr. 30, Anm. 7. -

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Verfassung enthält die Formulierung: .den Strafgesetzuwiderlaufen .104)". Das hat seinen bestimmten Sinn gehabt. Dr. Heuss: Ich würde es bei den Strafgesetzen belassen. (Zustimmung seitens des Abg. Dr. Eberhard.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es besteht dann Einverständnis darüber, daß wir es bei den Strafgesetzen belassen, daß wir nur formulieren: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die Verfassung richten, sind verboten." Dr. Eberhard: Das war schon sehr weit gefaßt, wenn es hieß: Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Das schloß die Tätigkeit ein. Wir haben jetzt nicht sehr viel geändert. Schon bisher war eine Vereinigung verboten, die sich durch ihre Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die Völkerverständigung richtete. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Unter die verfassungsmäßige Ordnung fällt nur nicht jedes Strafgesetz. Dr. Heuss: Wir können die Tätigkeit schon hineinbringen. ter ist. Die Weimarer zen

.

.

[g. Staatsangehörigkeit, „Deutscher", Wechsel der Staatsangehörigkeit (Art. 13)] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Art. 13 ist neulich unter die allgemeinen Bestimmungen aufgenommen worden. Wir haben ihn im Hauptausschuß schon behandelt, allerdings in einer sehr verkürzten Form. Es ist die Frage, ob wir die Diskussion darüber noch aufnehmen sollen. Die vom Hauptausschuß angenommene Fassung des Art. 27a lautet: „Jeder Deutsche hat in jedem Land die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst105)." Weggefallen ist die Vorschrift betreffend Bundes- und Landesangehörigkeit. Wir hatten uns bei Art. 13 an die Weimarer Verfassung gehalten106). Dr. Eberhard: Im Kompetenzkatalog steht, daß der Bund die Vorranggesetzgebung über diese Dinge hat107). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Satz: „Jeder Landesangehörige ist zugleich Bundesangehöriger" muß natürlich an eine andere Stelle. Aber es ist die Frage, ob man das überhaupt dem Staatsangehörigkeitsgesetz überläßt. (Dr. Eberhard: Das war auch der Gedanke im Hauptausschuß.) Die ganze Frage ist nicht weiter diskutiert worden. Dr. Eberhard: Fraglich ist mir, ob Abs. 3 ganz wegfallen darf. Das ist an sich etwas

Selbstverständliches.

104) Art. 124 WRV. 105) Grundgesetz, Entwürfe, S. 49. 10B) Art. 110 WRV. 107) Es kann eigentlich nur die ausschließliche Gesetzgebung gemeint sein. Vgl. Bd. 3, S. 642.

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Redaktionsausschuß hat den Abs. 3 einfach weggestrichen und hat gesagt, er sei wahrscheinlich aus der Schweizer Verfassung108) übernommen und sei überflüssig. Dr. Eberhard: Wir hatten die Sorge, man könnte aus den vorhergehenden Absätzen den Schluß ziehen, jemand, der in Baden wohnt, kann auch in Hessen oder in Bayern seine staatsbürgerlichen Rechte ausüben, indem er sagt: Ich habe in jedem Land die gleichen Rechte. So kamen wir dazu, den Abs. 3 zu formulieren. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der doppelte Wohnsitz ist durchaus möglich. Dr. Bergsträsser: Jeder Student zum Beispiel hat einen doppelten Wohnsitz. Dr. Eberhard: Kann man das aus der jetzigen Fassung ableiten: Jeder Deutsche hat in jedem Land die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten109)? Heile: Der Ausdruck „Jeder Deutsche" ist unklar, unter Umständen sogar ein ganz großer Quatsch. Ist z. B. ein Schweizer nicht auch ein Deutscher? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde jeder Deutsche aus der Ostzone auch die vollen Rechte haben. Das geht nicht. Dr. Eberhard: Wir hatten an anderer Stelle auch „Bundesangehörige" geschrie-

ben. Heile: Dann muß genau formuliert werden, was unter „Deutscher" verstanden wird. Dr. Bergsträsser: Das ist am Schluß definiert. Aber es geht nicht, daß man jedem Deutschen das Recht gibt. Man muß es auf die Bundesangehörigkeit abstellen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der 2. Lesung des Hauptausschusses können wir darauf hinweisen, daß es heißen muß: Jeder Bundesangehörige hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst. Dr. Eberhard: Wir haben auch in einem anderen Punkt die Umänderung in „jeder Bundesangehörige" vorgenommen. Wir müßten auch entscheiden, wer Bundesangehöriger ist. Ebenso muß gesichert werden, daß Flüchtlinge in keiner Weise als Bundesangehörige zweiter Klasse figurieren können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie würden dann den Abs. 2 doch aufrechterhalten? (Dr. Eberhard: Es war Abs. 3.) Der bisherige Abs. 3: „Niemand darf in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte ausüben" würde Abs. 2 werden. Hierzu liegt noch ein Antrag von der kommunistischen Fraktion vor, in welchem folgende Fassung vorgeschlagen wird: „Es gibt nur die deutsche Staatsangehörigkeit. Alle deutschen Staatsangehörigen haben in jedem Land die glei-

108) 109)

Art. 43 Satz 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossschaften vom 29. Mai 1874 (mit Änderungen bis 1948) lautete: „Jeder Kantonsbürger ist Schweizerbürger". Diese Fassung hatte die SPD-Fraktion beschlossen. Vgl. Formulierte Änderungsvorschläge (Dok. Nr. 24, Anm. 5).

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chen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Niemand darf in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte ausüben und zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden110)." Im übrigen haben sie das übernommen, was wir haben. Weiter liegt hierzu eine Eingabe des Abg. Dr. Mücke vor111) vor, in welcher an Stelle des bisherigen Art. 13 der folgende Wortlaut vorgeschlagen wird: „Jeder Deutsche hat in jedem Land im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die gleichen Rechte und Pflichten, gleichgültig ob er infolge seiner Geburt im Lande oder aus anderen Gründen dort seinen ständigen Aufenthalt hat. Niemand darf in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte ausüben und zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden." Das letztere ist wie bei uns. Das andere will nur die Flüchtlinge berücksichtigen. Wir würden das in der Schlußbestimmung über den Bundesangehörigen machen. Wir müßten versuchen, dort den Bundesangehörigen bzw. den Deutschen irgendwie zu definieren.

Dr. Eberhard: Ich

glaube nicht,

daß Dr. Mücke da ein Bedenken hat.

[h. Wahlfreiheit (Art. 14)] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zu Art. 14 hat der Redaktionsausschuß die gleiche Fassung. Thoma hat zu Art. 14 nichts zu bemerken. Heile: Was heißt: „Die Freiheit des Rechts"? Dr. Heuss: Ich würde vorschlagen, zu sagen: das Recht zu wählen oder: die

Freiheit zu wählen. Heile: Das Recht zu wählen schließt eine Verpflichtung in sich. Man kann das Wahlrecht nicht auf die gleiche Stufe mit jedem beliebigen anderen Recht stellen. Es ist die wichtigste Bürgerpflicht, die es überhaupt gibt. Genau so wenig, wie ich einem Menschen erlaube, zu sagen: Ich bin frei, ich habe also auch die Freiheit, Steuern zu zahlen, wenn es mir paßt, oder die Zahlung von Steuern zu verweigern, genau so wenig darf ich die Erfüllung dieser wichtigsten Bürgerpflicht verweigern. Ich meine, dem Recht zu wählen entspricht die Pflicht zu wählen. Jeder Bürger ist verpflichtet, sein Wahlrecht auszuüben. Durch die Gesetze wird ihm garantiert, daß er in seinen Rechten nicht bedrückt werden kann, daß er wählen kann, wie es ihm Spaß macht, und seiner Gesinnung folgen kann, aber wählen muß er. Augenblicklich ist in anderen Ländern ebenso wie bei uns eine Drückebergerei bei der Erfüllung dieser wichtigsten Bürgerpflicht gegenüber dem Staat entstanden. Stellenweise hat auch in Amerika bei den letzten Wahlen weniger als die Hälfte der Leute gewählt. Es gibt auch in

110) KPD-Antrag vgl. Dok. Nr. 12, Anm. 1. m) Die Eingabe vom 3. Nov. 1948 in: Z 5/94, Bl. 134-140, wurde als Drucks. Nr.

fältigt.

706

255 verviel-

Fünfundzwanzigste Sitzung

24. November 1948

Nr. 32

Deutschland Fälle, namentlich auf Dörfern, in denen zwei Drittel und mehr der Leute einfach nicht zur Wahl gehen. Das Wählen hat den Zweck, daß der Staat, also diejenigen, die den Staat zu führen haben, erkennen könnnen, wie das Volk denkt. Darum müssen die Staatsbürger zur Wahl gehen. Man kann sagen, das Nichthingehen zur Wahl ist auch eine Wahl. Nein, das ist sehr oft keine Wahl, wenigstens nicht eine freie Wahl. Das ist die Konsequenz des Terrors, den wir in der Nazizeit erlebt haben und vor dem die Leute sich auch heute noch oder wieder fürchten. Die Leute sagen einfach: Wir wollen mit den Dingen nichts zu tun haben, mögen die oben machen, was sie wollen; wenn z. B. die Rußkis kommen, sind alle, die zu einer anderen Partei gerechnet werden können, in schrecklicher Gefahr. Das ist die Meinung, die wir täglich zu hören kriegen. Ich lege deshalb großen Wert darauf, ausdrücklich in die Verfassung aufzunehmen, daß neben dem Recht des Wählens die Pflicht des Wählens steht. (Dr. Bergsträsser: Um Gottes willen!) Ich würde die Wahlpflicht mit der äußersten Konsequenz durchführen, indem ich sage, wer seine Bürgerpflicht des Wählens nicht erfüllt, bekommt eine Verdoppelung der Einkommensteuer. Das ist das Einfachste. (Mayr: Nein, das wäre furchtbar.) Dr. Eberhard: Ich möchte fragen, ob wir den Abs. 1 hier brauchen. Wir haben in Art. 25 eine Vorschrift über die Wahlen in den Länderverfassungen und haben den Art. 45 über die Wahl des Bundestages. Muß dann ausdrücklich noch in einem Artikel das Recht zu wählen oder abzustimmen gewährleistet werden? Mir scheint das überflüssig zu sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist notwendig. Die Normativbestimmungen der Länder fassen das nicht. Nach den Normativbestimmungen der Länder können allgemeine gleiche Wahlen stattfinden. Aber der Obersatz, aus dem das hergeleitet wird, ist doch der, daß jeder das Recht und die Freiheit zu wählen oder abzustimmen hat. Über die Frage der Wahlpflicht haben wir damals hier im Ausschuß eingehend gesprochen. Dr. Bergsträsser: Auch über die Freiheit abzustimmen, weil wir gesagt haben, Wählen und Abstimmen ist etwas Verschiedenes. Das eine bezieht sich auf Wahlen, das andere auf das Referendum. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das muß herein. Dr. Heuss: „Die Freiheit des Rechts" geht nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Richtig, das geht nicht. Ich weiß nicht, wie das herein-

gekommen

ist.

Heile: Dem Wortlaut kann das doch nichts anderes heißen, als daß das Recht des Schwänzens bei der Wahl verfassungsmäßig garantiert werden soll. Dr. Heuss: Es soll heißen, daß man nicht unter Druck wählt. Die freie Entscheidung soll nicht durch irgendwelche Androhungen gehemmt werden, meinethalben durch die Drohung: Du wirst entlassen, wenn hier in der Gemeinde soundso viel kommunistische Stimmen abgegeben werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht in Abs. 2. Heile: Wir haben solche Fälle schon gehabt, bevor die Nazis ihre Patente anwendeten. Als wir zum Beispiel in Hannover um 1923 herum unsere Abstim707

Fünfundzwanzigste Sitzung

Nr. 32

24. November 1948

Loslösung von Preußen machen wollten112), erklärte der Provinz Hannover: geht nicht hin zur Abstimpreußischen Oberpräsident und Beamten Angestellten der Staatsbehörden, diejenigen mung! Diejenigen

mung betreffend die

der

Lieferanten, die für den Staat liefern usw., werden, wenn sie zu dieser Abstimmung hingehen, dadurch als Leute erkannt, die dafür sind. Der so sprach und handelte, war Herr Noske113). Nicht ein Nazi, sondern ein Sozialist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In dem Herrenchiemseer Entwurf heißt es: „Wahl- und Stimmrecht der Staatsbürger wird gewährleistet114)." Wir könnten einfach sagen: Das Recht zu wählen oder abzustimmen sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Wir hatten damals die Weimarer Verfassung herangezogen115). Sie war uns nicht genügend. Können wir sagen: Das Recht, frei zu wählen oder abzustimmen, sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet?

(Es folgt kein Widerspruch.)

das die Verfassung überhaupt maDemokratie retten wollen, müssen wir die Bürger dazu erziehen, ihre Pflicht zu erfüllen. An diesem Wählerstreik geht die Demokratie vor die Hunde. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Redaktionsausschuß hat den Abs. 2 in gleicher Fassung übernommen. Er hat aber dazu vermerkt: „Der Ausschuß hält diese Vorschrift für problematisch, weil sie unter Umständen auch die üblichen Vorschriften über die Mindestzahl von Unterstützungen eines Wahlvorschlages usw. ausschließen könnte116)." Das verstehe ich nicht ganz. Dr. Heuss: Es kann heißen, wenn von vornherein feststeht, daß eine Gruppe nicht 5 % oder 10 % der Stimmen bekommt, kommt sie nicht zum Zug. (Mayr: Siehe bayerische Verfassung!)117) Dem Mann ist die Entscheidungsfreiheit genommen, weil ihm gesagt wird: Deine Stimme hat sowieso keinen Sinn. So kann ich es nur verstehen. Hier soll demgegenüber zum Ausdruck gebracht werden, daß das Ein-Parteiensystem abgelehnt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß man das nicht sagen kann. Der Sinn geht hier auf etwas anderes. Man hat an die Vorschrift mit der Mindestzahl gedacht, die an anderer Stelle in die Verfassung aufgenommen wird. Da würde die Lex specialis an anderer Stelle der Lex generalis widersprechen. Jedenfalls Heile:

Wahlpflicht

ist das

chen könnte. Wenn wir

wichtigste Gesetz,

unsere

112) Die deutsch-hannoversche Partei hatte vorschriftsmäßig den Antrag gestellt, die Provinz Hannover mit Ausnahme des Regierungsbezirks Aurich von Preußen abzutrennen, um ein

selbständiges Land Hannover zu bilden. Am 18. Mai 1924 fand hierüber eine Vorab-

stimmung statt, bei der das vorgeschriebene Drittel der Stimmenzahl jedoch nicht

lla)

114) 115) 116) 117)

708

er-

reicht wurde. Gustav Noske (1868-1946), SPD, 1919-1920 Reichswehrminister, 1920-1933 Oberpräsident der Provinz Hannover. Günter Bode: Gustav Noske als Oberpräsident der Provinz Hannover 1920-1933. Diss. Karlsruhe 1981, Bd. 1, S. 360 ff. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 581. Art. 125 WRV. Dok. Nr. 28. Art. 14 Abs. 4 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dez. 1946: „Wahlvorschläge, auf die nicht mindestens in einem Wahlkreis zehn von Hundert der abgegebenen Stimmen fallen, erhalten keinen Sitz zugeteilt."

Fünfundzwanzigste Sitzung hat die Ausnahme

von

dieser Lex

generalis

nur

24.

November 1948

Nr. 32

für diesen besonderen Fall Be-

deutung. Heile: Das niedersächsische Wahlgesetz118) enthält die seltsame Bestimmung, daß nur Parteileute gewählt werden können, daß jemand Mitglied einer Partei sein muß, um überhaupt als Kandidat aufgestellt zu werden. Gerade jetzt bei den Wahlen für die Kreise und Gemeinden sind wir da in die größten Schwierigkeiten gekommen, weil unsere Leute von den Parteien nichts mehr wissen wollen. Sie wollen Menschen wählen, nicht Parteien. Dr. Eberhard: Die Frage wird hier nicht berührt. Herr Heile müßte da vollkommen zufrieden sein. Der Ausdruck „die freie Entscheidungsmöglichkeit" ist häßlich. Ich würde sagen: die Möglichkeit freier Entscheidung. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir sagen dann: die Möglichkeit freier Entscheidung. (Es erhebt sich kein Widerspruch.) Die Freiheit wird dem Wähler nicht genommen, sondern beim Ergebnis wird seine Stimme eventuell nicht berücksichtigt. Das ist eine Frage, die auch im Hauptausschuß besprochen werden muß. Ich darf noch einen Gedanken zu dem vorhergehenden Artikel nachtragen und die Frage stellen, ob wir die entsprechende Vorschrift aus der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen berücksichtigen sollten119). Es heißt dort in Art. 13: „Niemand kann willkürlich seiner Staatsangehörigkeit oder des Rechtes beraubt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln." Das bezieht sich auf die Ausbürgerungsgesetze der Nazizeit120). Es gab doch das berüchtigte Gesetz über die Aberkennung der Staatsangehörigkeit. Es ist die Frage, ob man gegen Gesetze über die Aberkennung der Staatsangehörigkeit eine verfassungsrechtliche Sicherung vorsehen sollte. Mayr: Ja, das sollte man tun. Frau Nadig: Ich bin auch dafür. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Bestrebungen in der zwischenstaatlichen Welt gehen dahin, die Möglichkeit der Entstehung der Staatenlosigkeit zu beschränken. Die Frage der Staatenlosigkeit spielt jetzt im Verhältnis zu den Oststaaten eine große Rolle. Das Verfahren der Aberkennung der Staatsangehörigkeit, das wir in der Nazizeit gehabt haben, wird jetzt im Osten in großem Umfange geübt, anfangend mit den Weißrussen, denen nach dem 1. Weltkrieg die Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Genau das gleiche ist mit einer großen Anzahl anderer Menschen getan worden, die so in der Welt herumschwimmen, ohne ir11B) Niedersächsisches Wahlgesetz

Verordnungsblatt,

vom

31. März 1947 in:

Niedersächsisches Gesetz- und

S. 3-52.

119) Dok. Nr. 10. 12°) Gesetz über den Widerruf

von

Einbürgerungen

und die

Aberkennung

der deutschen

(RGBl. I, 1933, S. 480). Manfred Hirsch, Diemut Majer, Jürgen Meinck (Hrsg.): Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus, ausgewählte Schriften, Gesetze und Gerichtsentscheidungen von 1933-1945. Köln 1984, S. 334. Michael Hepp (Hrsg.): Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933—1945

Staatsangehörigkeit

vom

14.

Juli

1933

nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, Bd. 1, München [. ..] 1985; lem die Einleitung.

vor

al-

709

Nr. 32

Fünfundzwanzigste Sitzung

gendwo Fuß fassen

zu

24.

November 1948

können, und dadurch in eine sehr bedenkliche Situation

geraten. Dr. Heuss: Gibt es etwas, was den Nansen-Paß121) ersetzt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Nansen-Paß wird heute noch ausgestellt. (Dr. Heuss: Wer ist dafür zuständig?) Das wird bei den Vereinten Nationen liegen, das ist vom Völkerbund übernommen. Die International Refugee Organisation wird es haben, die IRO122), die als

der UNRA123) jetzt hier herumfährt. Jedenfalls würde der Wunsch bestehen, eine solche Vorschrift aufzunehmen. Zu dem Wahlrecht sagt Art. 19 der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen124): „Jede Person hat das Recht, an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten ihres Landes unmittelbar oder mittels von ihr frei gewählter Vertreter teilzunehmen." Das ist bei uns einmal in der Wahlfreiheit und dann vor allen Dingen in dem Recht auf das Amt drin. Dr. Bergsträsser: Ich glaube, es bezieht sich nicht auf Ämter. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber es schließt doch auch die Ehrenämter ein. Dr. Bergsträsser: Das ist die parlamentarische Demokratie. (Dr. Heuss: Oder plebiszitäre!)

Nachfolgerin

Das müßten wir noch formulieren.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. In Abs. 2 des Art. 19 der Erldärung der Menschenrechte heißt

es:

„Jede

Person

hat das Recht des Zugangs zu den öffentlichen Ämtern ihres Landes." Der Abs. 3 lautet: „Jede Person hat das Recht darauf, daß die Regierung ihres Landes sich nach dem Willen des Volkes richtet." Das Problem der Volkssouveränität haben wir an anderer Stelle geregelt. Dr. Heuss: Haben die Kommunisten etwas zu der Entscheidungsfreiheit zu sa-

gen125)?

v. Mangoldt]: Nein. Sie haben nur zu Art. 15 vorgeschlagen: „Jeder hat nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung oder LeiDeutsche zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang." stung [Schließung der Sitzung126), nächster Sitzungstermin]

Vors. [Dr.

von Fridtjof Nansen für politische Flüchtlinge geschaffen wurde. Aufgrund des Genfer Abkommens vom 5. Juli 1922 sollte es als Ersatz für einen Paß dienen. IRO: International Refugee Organization. UNRRA: United Nations Relief and Rehabilitation Administration, 1945 von der UNO übernommen, 1947 aufgelöst. Ihre Aufgaben übernahm zum Teil die Internationale Flüchtlingsorganisation und der Hochkommissar der Vereinten Nationen. Dok. Nr. 10. Eingabe KPD vgl. Anm. 46. Das Kurzprot. enthieit als Anlage die in 2. Lesung vom AfG am 24. Nov. 1948 angenomText unverändert, y Text geänmene Fassung der Art. 8—14. Anm. im Kurzprot.: x dert.

121) Ein Dokument, das auf Initiative 122) 123)

124) 125) 126)

=

710

=

Fünfundzwanzigste Sitzung

24.

November 1948

Nr. 32

„Artikel 8 y (1) Die Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsverbreitung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. y (2) Die Unterrichtung und die Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen insbesondere der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckerzeugnissen dürfen nicht

beschränkt werden. y (3) Die Pressefreiheit wie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film wird gewährleistet. Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Eine Zensur von Presse und Rundfunk findet nicht statt. Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über die Presse eingeschritten werden. Die Entscheidung erfolgt im ordentlichen gerichtlichen Verfahren, y (4) Diese Rechte finden ihre Grenze an den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze, an den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, insbesondere im Filmwesen und an dem Recht der persönlichen Ehre. Artikel 9 y) Das Briefgeheimnis, sowie das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen können nur durch Gesetz, jedoch nicht zu Zwecken der politischen Überwachung angeordnet werden. Artikel 10 Die Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. (Vermerk: Bisheriger Abs. II in 2. Lesung weggefallen) Artikeln x) (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. x (2) Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Artikel 12 x (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, y (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. y (3) Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. (Vermerk: Abs. 3 S. 2 und 3 Variante I:) Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert werden und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden. Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. (Vermerk: Abs. 3 S. 2 und 3 Variante II:) Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert werden. Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. y (4) Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wird anerkannt. Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt. Artikel 13 x (1) Jeder Bundesangehörige hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst. x (2) Niemand darf in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte ausüben und zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden. Artikel 14 y (1) Das Recht zu wählen oder abzustimmen, die Wahlfreiheit sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. y (2) Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die Möglichkeit freier Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen nicht genommen werden." 711

Nr. 33

Sechsundzwanzigste Sitzung

30.

November 1948

Nr. 33

Sechsundzwanzigste Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 30. Z 5/34, Bl.

Kurzprot:

November 1948

1—941). Stenogr. Wortprot.

vom

8. Dez. 1948,

von

Herrgesell

gez.

Z 12/45, Bl. 40-41. Drucks. Nr. 338

Anwesend2) : CDU/CSU: Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Schioer, Weber SPD: Bergsträsser, Nadig, Mücke, Wunderlich FDP: Dehler

(zeitweise), Heuss (zeitweise)

Dienst: Herrgesell Dauer: 10.33-12.42, 15.50-19.00 Uhr

Stenografischer

[1. ZWEITE LESUNG DER GRUNDRECHTSARTIKEL, FORTSETZUNG (ART. 13a-20)]

[a. Wahlfreiheit, insbes.

Wahlberechtigung (Art. 14), Forts.] Art. 14 habe ich noch einen Nachtrag. Wir

hatten wählen oder abzustimfrei zu beschlossen3), in Abs. zu sagen: „Das Recht, men." Nachträglich sind mir Bedenken gekommen. Man müßte nämlich sagen: Das Recht, in voller Freiheit zu wählen oder abzustimmen. Ich habe mit einem Teil der Mitglieder des Ausschusses Rücksprache genommen und gebeten, mich zu ermächtigen, dafür zu sagen: Das Recht zu wählen oder abzustimmen, die Wahlfreiheit, sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Es könnte, wenn das Recht zum Wählen vorhanden ist, noch die Freiheit, dieses Wahlrecht auszuüben, beschränkt werden. Heute ist mir noch das Bedenken gekommen: das Recht zu wählen oder abzustimmen kann ja nicht allgemein gewährleistet werden. Zum Beispiel haben Kinder das Recht nicht. Es gibt weitere Ausnahmen. Deshalb ist es notwendig, irgendeine Verweisung auf das Gesetz auszusprechen. Insoweit bedarf diese Vorschrift noch einer Ergänzung. Wenn allgemein gesagt wird, das Recht zu wählen oder abzustimmen wird gewährleistet, bedeutet es, daß für jeden Staatsangehörigen dieses Recht gewährleistet wird. Ich möchte deshalb fragen, ob man nicht einen Zusatz folgenden Inhalts machen sollte: Wer wahlberechtigt ist, entscheiden Verfassung oder Gesetz. Dr. Bergsträsser: Wenn Sie das als Jurist sagen, muß ich es wohl hinnehmen. Ich mache dabei allerdings die Reservatio, mir erscheint es als selbstverständlich, daß unmündige Kinder usw. nicht wählen können. Man kann doch nicht voraussetzen, daß das Gesetz Unsinn will. Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

Zu

1

95-96 (S. 15, 16 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Dehler war demnach nur nachmittags anwesend. Heuss ergriff gegen Ende der Nachmittagssitzung das Wort, er wurde in der Anwesenheitsliste im Kurzprot. nicht aufgeführt. 3) Vgl. Dok. Nr. 32, TOP 1 h.

1) Bl.

712

Sechsundzwanzigste Sitzung

30. November 1948

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v. Mangoldt]: Es müßte eigentlich heißen: Jeder Deutsche hat das wählen oder abzustimmen, oder: Jedem Deutschen wird dieses Recht gewährleistet. Es taucht die Frage auf, ob wir damit etwas Falsches festlegen. Man könnte natürlich auch sagen: Das Recht zu wählen oder abzustimmen wird im Rahmen der Gesetze gewährleistet. Aber die Wahlfreiheit und das Wahlgeheimnis müssen unbedingt gesichert werden. Dr. Bergsträsser: Ist das nicht selbstverständlich? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dem Juristen gegenüber, der das auslegt, ist es nicht selbstverständlich. Denken Sie vor allen Dingen an die Kommunisten, die die Auffassung vertreten, daß jemand bereits mit 18 Jahren wahlberechtigt ist. Daraus können Folgerungen hergeleitet werden, die unabsehbar sind. Es findet sich immer ein Jurist, der feststellt, daß das in der Verfassung vergessen ist. Frau Dr. Weber: Wenn es zweifelhaft ist, dürfen wir es nicht so ausdrücken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist es ganz sicher. Dr. Bergsträsser: Dann würde ich schon für den Extrasatz sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Fassung „im Rahmen des Gesetzes" geht schlecht, weil man den Satz nicht unterbrechen kann. Man müßte dann sagen: Das Recht zu wählen oder abzustimmen wird im Rahmen des Gesetzes gewährleistet, und müßte die Wahlfreiheit sowie das Wahlgeheimnis noch einmal dahinterbringen. Das geht natürlich schlecht. Frau Nadig: Sollten wir nicht zu unserer ersten Fassung zurückkommen? Die erste Fassung scheint mir beinahe besser als die jetzige zu sein. Sie lautete: „Die Freiheit des Rechts zu wählen oder abzustimmen sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ungenau. Die Fassung „die Freiheit des Rechts zu wählen" versteht kein Mensch. Das haben wir damals zusammengekriegt. Als ich es hinterher nach mehreren Wochen sah, habe ich es selber nicht mehr verstanden. Frau Nadig: Die Weimarer Verfassung sagt, Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis werden gewährleistet4). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da fehlt etwas, nämlich die Gewährleistung des Wahlrechts. Das ist das Wichtigste. Dr. Bergsträsser: Es müßte noch hinzu: Wahlausübung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, die Anweisung an den Gesetzgeber, das Recht zur Wahl überhaupt zu gewähren und es nicht auszuschließen. Wenn hier drin steht, das Recht zu wählen wird gewährleistet, so kann es der Gesetzgeber nach dem Gleichheitssatz in seiner Grundsubstanz nicht entziehen, er muß es nach dem Gleichheitssatz allen in gleicher Weise gewähren. Das ist sehr wichtig. Die Wahlfreiheit ist etwas anderes, es ist die Freiheit, das Wahlrecht auszuüben; und das steht hinter der Gewährung des Rechts zum Wählen. Schioer: Ist die Wahlfreiheit darin nicht inbegriffen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Recht kann gesetzlich gewährt werden, wie es z. B. in der Nazizeit der Fall war und wie es heute in der Ostzone der Fall ist. Da

Vors. [Dr.

Recht

zu

4) WRV, Art.

125.

713

Sechsundzwanzigste Sitzung

Nr. 33

30.

November 1948

wird das Recht in der Verfassung verankert, während die Freiheit der Ausübung des Wahlrechts nicht gewährleistet ist. Dr. Bergsträsser: Dagegen haben wir es eben gemacht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Wahlfreiheit ist gleichzusetzen der Freiheit, das Wahlrecht auszuüben. Ich glaube, das kann man so lassen. Das ist in sich verständlich. Jede Kürzung ist erwünscht. Dann sehe ich nur die eine Möglichkeit, etwa hinzuzusetzen: Wer wahlberechtigt ist, entscheiden Verfassung oder Gesetz.

Dr.

Bergsträsser: Ja,

fassung

so

ist

es

schöner: Wer

wahlberechtigt ist,

entscheiden Ver-

oder Gesetz.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde Abs. 1 wie folgt lauten: Das Recht zu wählen oder abzustimmen, die Wahlfreiheit sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Wer wahlberechtigt ist, entscheiden Ver-

oder Gesetz.

fassung

Der Abs. 2 würde

so

bleiben, wie

(Es erhebt sich kein

er

ist.

Widerspruch.)

[b. Staatsangehörigkeit (Art. 13a), Forts.] Wir haben uns das letzte Mal über die Anregung des Art. 13 der Erklärung der Menschenrechte unterhalten5), worin festgelegt war: „Niemand kann willkürlich seiner Staatsangehörigkeit oder des Rechtes beraubt werden, seine Staatsange-

hörigkeit zu wechseln." Wir haben darüber gesprochen, ob man nicht in die Verfassung eine Vorschrift aufnehmen sollte, die die Aberkennung der Staatsangehörigkeit verbietet, um gegen den Mißbrauch der Aberkennung der Staatsangehörigkeit, der in der Nazizeit getrieben worden ist und heute auch im Osten getrieben wird, eine verfassungsrechtliche Sicherung zu schaffen. (Mayr:

Unter allen Umständen!) ein Bedenken gekommen, über das

man vielleicht hinwegkommen kann. Jedes Staatsangehörigkeitsgesetz wird nämlich gewisse Vorschriften über den Verlust der Staatsangehörigkeit enthalten müssen. Zum Beispiel verliert die Frau, die einen Ausländer heiratet und eine ausländische Staatsangehörigkeit erwirbt, ihre Staatsangehörigkeit. Das gleiche gilt von dem Deutschen, der sich ins Ausland begibt und dort ohne im Inland um eine entsprechende Genehein Amt übernimmt oder in das ausländizu sein nachgekommen migung man denke an die Fremdenlegion usw. —, der somit die sche Militär eintritt fremde Staatsangehörigkeit erwirbt und sich den Pflichten in Deutschland entzieht. Für diesen Fall muß die Möglichkeit des Verlustes der Staatsangehörigkeit gegeben sein. Auch die Doppelstaatlichkeit ist ja teilweise von Übel, wenn sie auch nicht zu vermeiden ist. Ich sehe dann eigentlich nur die Möglichkeit, etwa im ersten Satz des neuen Artikels so zu formulieren: Niemand darf willkürlich seiner Bundesangehörigkeit beraubt werden. Das kann man ohne Schwie-

Mir ist

nur







rigkeiten

sagen.

5) Vgl. Dok. 714

Nr. 32, TOP 1 g.

Sechsundzwanzigste Sitzung

30.

November 1948

Nr. 33

Dr. Bergsträsser: Was heißt „willkürlich"? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Gesetzgeber darf es nicht willkürlich machen. Dr. Bergsträsser: Wäre es nicht besser, zu sagen: Niemand darf aus politischen Gründen oder: wegen seiner politischen Einstellung seiner Bundesangehörigkeit beraubt werden? Dagegen wenden wir uns doch. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade in dem zweiten Fall, daß jemand seinen Pflichten in Deutschland nicht nachkommen will und danach strebt, eine fremde Staatsangehörigkeit zu erwerben, liegt ein politischer Grund vor. Wenn jemand in den fremden Staatsdienst eintritt oder für den fremden Staat Spionage treibt und sich nachher von diesem Staat aufnehmen läßt, so handelt es sich um politische Gründe. In diesem Fall haben wir kein Interesse, ihn festzuhalten. Wir müssen aber nach Möglichkeit verhindern, daß es neue Staatenlose gibt. Es gibt es gibt darüber auch Vereinbaim Völkerrecht einen allgemeinen Grundsatz

daß die schränkt werden soll.

rungen

Lensing:

—,

Die

v.

der

Entstehung —

von

Staatenlosigkeit einge-

Herr Professor Dr. Bergsträsser hier vorträgt, scheint haben. Sie wollen Sicherungen gegen Doppelstaatlichkeit

Fassung, die

vieles für sich schaffen. Vors. [Dr.

Möglichkeit

zu

Mangoldt]: Gegen Staatenlosigkeit

will ich

Sicherungen

schaf-

fen. sei auch von Übel. Neben der Staatenlosigkeit. Wir sind von der Staatenlo-

Lensing: Sie sagten vorhin, Doppelstaatlichkeit

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: ausgegangen. Lensing: Dann könnte man sagen: Niemand darf aus politischen Gründen seiner Staatsangehörigkeit beraubt werden. Um dann Ihre Befürchtung, daß jemand eine andere Staatsangehörigkeit zu erwerben sucht, zu beseitigen, würde ich vorschlagen, daß man etwa hinzufügt: Doppelstaatlichkeit wird nicht zuge-

sigkeit

lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geht nicht. Zum Beispiel wird der Professor, der etein Fall, der heute leider nicht mehr paswa in der Schweiz angestellt wird siert, der aber immer wieder passieren könnte —, bestrebt sein, Doppelstaater zu bleiben. Ebenso werden die Schweizer, die als Beamte nach Deutschland kommen, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, aber bestrebt sein, die schweizerische Staatsangehörigkeit zu behalten. Solche Fälle kann man nicht ausschließen. Auf der anderen Seite sehe ich die Möglichkeit, aus politischen Gründen seiner Bundesangehörigkeit beraubt zu werden. Es gibt Fälle, in denen jemand die fremde Staatsangehörigkeit aus politischen Gründen erwirbt und in denen wir gerade auf einen Verlust der Bundesangehörigkeit hinwirken müßten. Das Gesetz müßte gerade etwas derartiges enthalten. Dr. Bergsträsser: Wir sind also darin einig, daß wir die doppelte Staatsangehörigkeit nicht ausschließen wollen. Das können wir auch nicht, weil zum Beispiel jeder, der in England oder in einer englischen Kolonie geboren ist, automatisch die englische Staatsangehörigkeit hat. Sehr viele Leute haben darauf zurückgegriffen, als sie nach England emigrierten, weil sie dadurch die Staatsangehörigkeit und mit der Staatsangehörigkeit sofort das Arbeitsrecht bekamen. —

715

Nr. 33 Vors. [Dr.

Sechsundzwanzigste Sitzung v.

Mangoldt]:

30.

November 1948

Wir müssen auch

an

die deutschen Südwestafrikaner

denken, die optieren konnten6).

Dr. Bergsträsser: Man müßte einfügen: aus politischen Gründen. Frau Dr. Weber: Das kann man nicht sagen. Leasing: Man kann auch nicht sagen: willkürlich. Frau Nadig: Doch, das muß hinein. Lensing: Was bedeutet willkürlich? Dr. Bergsträsser: Dann wird ein Gesetz gemacht, nach welchem Leute, die nicht einer bestimmten politischen Überzeugung sind, oder Leute, die einer bestimmten politischen Überzeugung sind, der Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt werden können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist Willkür. Dr. Bergsträsser: Sie wollen gewisse Leute schon selber ausschließen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde in einem zweiten Satz folgendes sagen: Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf in Gesetzen nur für Fälle festgelegt werden, in denen der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. Das Gesetz kann also einen solchen Verlust der Staatsangehörigkeit vorsehen, aber nur für Fälle, in denen der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. Frau Nadig: Ich wollte noch einen anderen Gedanken hineintragen. Uns ist die Verpflichtung auferlegt, all die durch den Nationalsozialismus so willkürlich Ausgebürgerten mit einem Schlage wieder einzubürgern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist sehr überlegt worden. Man hat diesen Schritt in den Ländern aber nicht getan, weil es eine große Zahl von Ausgebürgerten gibt, die gar nicht wieder eingebürgert werden wollen. Man macht die Sache so, daß man zwar die Möglichkeit des Zurück läßt, aber nur auf Antrag. Es geht nicht, das durch ein Gesetz mit einem Schlage zu machen, weil die Betroffenen selber es nicht wollen. Frau Nadig: Es ist eine mühsame Angelegenheit, nach der Ausbürgerung wieder die Staatsangehörigkeit zu bekommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei den Personen, denen die Staatsangehörigkeit nach dem Gesetz von Juli 19337) aberkannt ist, geht es erheblich schneller. Es sind nur die Militärregierungen eingeschaltet. Frau Nadig: Es ist eine Mordsangelegenheit, das durchzuexerzieren. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das andere geht auch nicht. Darüber hat man eingehend gesprochen. Wir haben im übrigen an anderer Stelle auch den Ausdruck „willkürlich". Wir haben zum Beispiel gesagt: Niemand darf willkürlich festgenommen, verhaftet oder festgehalten werden. Frau Dr. Weber: Willkürlich heißt doch einfach: gegen die bestehenden Grund-

rechte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist mehr: ohne einen sachlichen Grund. Willkürlich ist das, wofür kein sachlicher Grund beigebracht werden kann. 6) Zur Frage der Staatsangehörigkeit der Deutschen

in der ehemaligen Kolonie Südwestafrika nach 1919 vgl. Hans Ernst Blumenhagen: Die Doppelstaatigkeit der Deutschen im Mandatsgebiet Südwestafrika und ihre völkerrechtliche Auswirkungen. Berlin 1938. 7) Vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 120.

716

Sechsundzwanzigste Sitzung

30.

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Nr. 33

Frau Nadig: Wäre es möglich, hineinzubringen, daß die Frau bei der Heirat mit einem Ausländer selber entscheiden darf, welche Staatsangehörigkeit sie haben will? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das müßte durch das Gesetz geregelt werden. Damit kann man die Verfassung kaum belasten. Darüber gibt es im übrigen Abkommen, an denen wir auch weitgehend beteiligt sind. Es gibt ein internationales Abkommen gerade über die Staatsangehörigkeit der Frau. Frau Nadig: Nach deutschem Recht verliert die Frau die Staatsangehörigkeit bei der Eheschließung mit einem Ausländer. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der letzten Zeit sind Änderungen geschaffen worden. In den Fällen, in denen keine neue Staatsangehörigkeit erworben wird, ist man jetzt in der völkerrechtlichen Praxis auf Grund von Abkommen dazu gelangt, daß die Staatsangehörigkeit nicht verloren gehen soll. Das wäre in dem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten der Fall. Es bleibt die Frage offen, ob wir eine solche Bestimmung vorsehen wollen. Frau Dr. Weber: Ich meine, ja. Dr. Bergsträsser: Die Vorschrift halte ich für richtig. Ich möchte nur irgendetwas hineinhaben, wodurch das Wort „willkürlich" nur speziell auf bestimmte —

politische Überzeugungen bezogen

ist. Frau Dr. Weber: Das könnte man nicht machen. Dr. Bergsträsser: Sie wollen es ausdrücklich auch so formulieren, daß nur Leute davon betroffen werden können, die schon eine fremde Staatsangehörigkeit ha-

ben? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Dr. Bergsträsser: Muß das nicht auch hinein? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das habe ich hier hineingesetzt. Ich habe gesagt: Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf in Gesetzen nur für Fälle bestimmt werden, in denen der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. Mir scheint, diesen zweiten Satz kann man im Interesse der augenblicklichen Situation im Völkerrecht nicht missen. Dr. Bergsträsser: Den billige ich vollkommen. Ich bitte noch einmal um Ihre er-

Formulierung. v. Mangoldt]: Ich sagte: Niemand darf willkürlich seiner Bundesangeberaubt werden. Wir können nicht sagen: Kein Deutscher darf seiner hörigkeit Staatsangehörigkeit beraubt werden; wir müssen hier von der Bundesangehörigkeit sprechen. Ich überlege dann, ob man weiter sagen könnte: insbesondere nicht seiner politischen Überzeugung wegen. Weiter: Von den Bayern ist vorgeschlagen worden8), ein Verbot des Zwanges zur Offenbarung der politischen Überzeugung aufzunehmen. Man könnte eventuell im Anschluß an Art. 14 eine Bestimmung aufnehmen, in der gesagt wird: Jeder Zwang zur Offenbarung der politischen Überzeugung ist unzulässig. Dr. Bergsträsser: Richten würde es sich nur gegen Leute, die längst ihre politiste

Vors. [Dr.

sche Überzeugung durch Anteilnahme also den Fall nicht.

an

der Politik offenbart haben. Das trifft

8) Erste Ergänzung zu den Bayerischen Bemerkungen zum Entwurf eines Grundgesetzes Grundrechte S. 33 (Z 12/47).



-

717

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Frau Dr. Weber: Wie ist es bei den Beamten? Würde das, was Sie, Herr Dr. v. Mangoldt, vorschlugen, die Beamten davor schützen? Dr. Bergsträsser: Sie meinten, wegen der Offenbarung? Frau Dr. Weber: Das meinte ich. Vors. [Dr. v. Mangold]: Das würde darunter fallen. Dr. Bergsträsser: Das hat auch wiederum seinen Haken im Staatsleben. Sie können nicht jemandem bestimmte Exekutivstellungen innerhalb des Staates geben, von dem Sie wissen, daß er ein grundsätzlicher Gegner bestehender staatlicher Einrichtungen ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich wollte diese Frage jetzt zurückstellen. Wir müssen erst einmal die Frage zu Ende führen, ob wir sagen können: Niemand darf willkürlich, insbesondere seiner politischen Überzeugung wegen, seiner Bundesangehörigkeit beraubt werden. Gehen wir damit nicht zu weit? (Frau Dr. Weber: Es würde zu weit gehen.) Wenn verfassungsrechtlich ausgeschlossen wird, den Verlust der Staatsangehörigkeit aus diesem Grunde auszusprechen, würde es eventuell auch unmöglich gemacht werden, für jemand den Verlust der Staatsangehörigkeit auszusprechen, der sich seiner Pflicht zur Übernahme von Ämtern in Deutschland entziehen will, dadurch daß der ins Ausland geht, der nichts von sich hören läßt und bewußt sagt: Ich will der deutschen Staatsangehörigkeit los und ledig sein, mir passen die ganzen politischen Verhältnisse dort nicht. Ist das nicht ein Grund, bei welchem man gerade sagen muß, er hat die andere Staatsangehörigkeit erworben, infolgedessen können wir ruhig den Verlust durch Gesetz aussprechen? Sollte man das nicht dem Gesetz überlassen? Mit scheint es richtiger zu sein, das dem Gesetz zu überlassen und nur die Sicherung einzuschalten, daß es keine Staatenlosen geben soll, daß man den Verlust der Staatsangehörigkeit nicht aussprechen darf, wenn nicht inzwischen eine andere Staatsangehörigkeit erworben ist. (Frau Dr. Weber: Ja.) Frau Nadig: Das ist vielleicht richtiger. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann haben wir damit diese Dinge auch gemäß dem Satz der Vereinten Nationen9) geregelt. Die Art der Regelung der Frage der Aberkennung der Staatsangehörigkeit war ein Schandfleck für uns und ist heute ein Schandfleck für den Osten. Wie sich der Satz praktisch in der Rechtsprechung auswirken wird, muß man erst abwarten. Dr. Bergsträsser: Wie war es eigentlich unter dem Sozialistengesetz10)? Da konnte die Aufenthaltserlaubnis entzogen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ob eine Aberkennung der Staatsangehörigkeit möglich war, weiß ich nicht. Soviel mir bekannt, ist von der Aberkennung der Staatsangehörigkeit erst durch das Gesetz von Juli 193311) Gebrauch gemacht worden.

9) Dok. Nr. 10. 10) Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Okt. 1878 (RGBL, S. 351-358). Hier hieß es in § 28 Abs. 3: Es können Anordnungen „für die

von längstens einem Jahr getroffen werden [...], daß Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu besorgen ist, der Aufenthalt in

Dauer

den Bezirken oder Ortschaften versagt werden kann."

") Vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 718

120.

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Nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 191312) hat es die Aberder Staatsangehörigkeit nur für Leute gegeben, die sich dem Wehrdienst entzogen, die ohne deutsche Genehmigung in einem anderen Land ein Amt annahmen usw. Die Aberkennung aus politischen Gründen hat es nicht gegeben, dieser Fall ist erst durch das Gesetz von Juli 1933 eingeführt. Wir würden dann vielleicht so sagen: Niemand darf willkürlich seiner Bundesangehörigkeit beraubt werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf in Gesetzen nur für die Fälle vorgesehen werden, in denen der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. Dr. Bergsträsser: Kann man nicht sagen: Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf in Gesetzen nur für Personen vorgesehen werden, die bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der Fassung „für Personen" liegt auch ein Fehler. Man könnte sagen: Durch Gesetz darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur für den Fall ausgesprochen werden, daß der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. Wunderlich: Sollte man nicht das Wort „darf" durch das Wort „kann" ersetzen? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Verwendung des Wortes „kann" wäre falsch. Es muß heißen: darf. Dr. Bergsträsser: Könnten wir auch sagen: Das Gesetz darf usw.? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Daran würde ich mich stoßen, weil „das Gesetz" Einzahl ist. Es muß heißen: durch Gesetze oder: durch Gesetz. Dr. Bergsträsser: Man könnte sagen:... nur ausgesprochen werden, wenn bereits Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Darin steckt noch ein kleiner Fehler. Schioer: Kann man nicht sagen: nur beim Vorhandensein einer doppelten

kennung

...

Staatsangehörigkeit usw. ? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Nein.

Wir wollen zunächst einmal hinschreiben: Durch Gesetz darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur für die Fälle vorgesehen werden, in denen der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. Der Verlust der Staatsangehörigkeit wird durch das Gesetz nicht ausgesprochen, sondern er wird nur durch das Gesetz vorgesehen, und der Ausspruch erfolgt durch behördlichen Akt, wie überhaupt die Verleihung und Entziehung der Staatsangehörigkeit einen solchen ausdrücklichen behördlichen Akt verlangt. Wir lassen die Fassung zunächst einmal so stehen und warten ab, ob wir von irgendeiner Seite noch einen anderen Vorschlag bekommen. Nun ist die Frage, wo wir diese Bestimmung einschalten. Der Art. 13 ist an eine andere Stelle gekommen. Das Recht zu wählen haben wir in Art. 14. Frau Nadig: Sollte man es nicht doch zu Art. 13 nehmen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Art. 13 ist jetzt in das folgende Kapitel, in die allgemeinen Sätze gekommen. Dies ist im Grunde genommen ein Grundrecht, es ist eines der staatsbürgerlichen Rechte. Es ist schlecht, es vor das Wahlrecht

12) Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz

vom

22.

Juli

1913

(RGBl. S. 583). 719

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und die Wahlfreiheit

zu

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stellen. Es könnte als Art. 13a eingeschaltet werden. zu einer Umordnung der Artikel kommen.

Wir müssen nachher noch

[c. Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 15)] Wir können nunmehr zu Art. 15 übergehen. Ich darf zunächst wieder anführen,

Eingaben vorliegt. Die Vereinten Nationen13) sagen: „Jede Person hat das Recht des Zugangs zu den öffentlichen Ämtern ihres Landes." Der Satz ist also dort ganz weit gefaßt. Wir haben gesagt: Jeder Deutsche hat im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung und nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang. Thoma14) will hier noch die Garantie des Berufsbeamtentums aufgenommen haben. Darüber haben wir bei Art. 15a zu sprechen, in den vom Zuständigkeitsausschuß außerdem die Frage der Beamtenhaftung hineingeschmuggelt worden ist. Wir können es aber auch hier besprechen. Auch vom Redaktionsausschuß wird darauf Gewicht gelegt15). An weiteren Eingaben liegt ein Antrag der Kommunisten vor16). Es heißt dort in Art. 15: „Jeder Deutsche hat nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang." Die Kommunisten wollen also keine Vorbildung. Es ist die Frage, wie wir uns dazu stellen wollen. Frau Dr. Weber: Wir wollen die Vorbildung drin haben. Mayr: Wir wollen an der Formulierung festhalten. Auch die Worte „im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen" wollen wir lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da sich kein Widerspruch erhebt, belassen wir es dabei. Es liegt noch ein Vorschlag von der DP vor17). Die DP will in Art. 15 auch die Vorschriften über das Berufsbeamtentum haben. Es heißt: „Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, Berufsbeamten zu übertragen, ." Dr. Bergsträsser: Das geht zu weit. Dann stehen wir gleich wieder vor der Notwendigkeit, einzelne Gruppen und Stände in die Grundrechte aufzunehmen. Das ist kein Ausfluß der persönlichen Rechte mehr. Es ist ein Ausfluß der persönlichen Rechte, daß jeder unter bestimmten Voraussetzungen gleichen Zutritt zu Ämtern hat. Aber es ist kein Ausfluß persönlicher Rechte, daß ein bestimmtes Amt von einem Beamten ausgeübt werden muß. Denn niemand braucht Beamter zu werden, das ist seine freie Wahl. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf noch einmal an den Art. 1 erinnern, der der große Obersatz ist, unter dem die ganzen Rechte dieser zwanzig Artikel stehen. Hier handelt es sich nur um Menschen- und Freiheitsrechte, und unter die Menschen- und Freiheitsrechte fällt zweifellos die Garantie des Berufsbeamtenwas uns an

.

13) 14) 15) 16) 17) 720

Dok. Nr. 10. Dok. Nr. 18. Dok. Nr. 28.

KPD-Antrag vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 48. DP-Antrag vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 47.

.

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nicht in diesen Rahmen hinein, genau so wenig wie die Bestimmungen über die Kirchen hier hineinpassen. Noch weniger paßt die Amtshaftung des Staates hinein. Wenn man gesagt hat, daß damit dem Einzelnen ein Schutz seiner Vermögensrechte gewährt werde, so muß ich darauf hinweisen, daß gerade die Nationen, die besonders freiheitlich gesinnt gewesen sind und die seit Jahrhunderten die Freiheitsrechte haben, die Amtshaftung des Staates nicht kennen. Weder die Engländer noch die Amerikaner kennen sie. Die bill of rights18) und die petitions of rights19), so wie sie drüben entstanden sind, enthalten darüber nichts. Man kann daher nicht sagen, daß zu den Menschen- und Freiheitsrechten, die wir hier für unser Volk und unsere Zeit niedergelegt haben, diese Amtshaftung irgendwie gehört. Ich bin der Auffassung, daß man aus diesem Grunde die beiden Fragen hier nicht unterbringen kann. Frau Dr. Weber: Kommt an anderer Stelle irgend etwas von Berufsbeamtentum vor? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist durchaus die Möglichkeit, daß man etwas derartiges in die Vorschriften über die Verwaltung aufnimmt. Über die Normativbestimmungen für die Länderverfassungen ist dann die Möglichkeit, das als einen Grundsatz des öffentlichen Lebens auch für die Länder gelten zu lassen. Einen anderen Weg sehe ich praktisch nicht. (Zustimmung bei der SPD.) Der Zuständigkeitsausschuß hat die Dinge einfach abgeschoben, weil er zu bequem war, sich zu überlegen, wo sie wirklich hingehören20). Der Ball muß zurückgeworfen werden. Der Redaktionsausschuß hat mit dieser Angelegenheit auch nichts anfangen können und hat sie als letzten Artikel, als Art. 20a gebracht21). Man hat sich nicht entschließen können, sie an anderer Stelle zu behandeln, und hat sie daher hinter den Grundrechtsartikeln eingeschoben. Wir sind uns ziemlich einig, daß wir die Vorschriften da nicht unterbringen können. Wenn Sie mich dazu ermächtigen, werde ich an die zuständigen Stellen Briefe richten. Wir werden dann sehen, wo die Frage im Hauptausschuß wieder auftaucht22). Erheben sich irgendwelche weiteren Bedenken gegen den Art. 15? Wunderlich: Die sozialdemokratische Fraktion hat in ihren Beratungen zu dem Art. 15 Stellung genommen und hat den Antrag gestellt, den Art. 15 überhaupt turns

zu

nicht. Sie

paßt

streichen23).

Mangoldt]: Das ist deshalb interessant, weil das Recht auf das Amt sich auch in den Erklärungen der Menschenrechte der Vereinten Nationen24) befindet und eines der wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte ist. Ich bitte Sie, diesen Antrag zu begründen. Vors. [Dr.

18) 19) 20) 21) 22) 23)

v.

Bill of Rights vgl. Dok. Nr. 4, Anm. 7. Petition of Rights vgl. Dok. Nr. 4, Anm. 6. Vgl. Der Pari. Rat Bd. 3, passim. Dok. Nr. 28. 18. Sitzung des HptA vom 4. Dez. 1948; Verhandlungen, S. 219-220. Vgl. „Formulierte Änderungsvorschläge der SPD-Fraktion zur vorläufigen Grundgesetzes vom 18. Okt. 1948", undat. und ungez., UB Marburg, NL

Mappe Grundgesetz 24) Dok. Nr. 10.

Fassung des Bergsträsser,

1.

721

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Wunderlich: Die sozialdemokratische Fraktion geht im wesentlichen von den Gedanken aus, die Sie vorhin hinsichtlich der Amtshaftung und des Beamtenrechts angeführt haben. Die Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß das kein Grundrecht berührt, sondern an anderer Stelle der Verfassung, bei den Beamtenrechten usw., verankert werden müßte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist wohl nicht ganz richtig. Frau Nadig: Man war der Meinung, daß der Zugang zu einem öffentlichen Amt nicht ausdrücklich festgehalten zu werden braucht und daher überflüssig ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Zulassung zum Amt, auch zum Ehrenamt, ist ein alter Grundsatz, der in den Demokratien sehr umkämpft gewesen ist. Gerade in den angelsächsischen Ländern ist die Frage der Zulassung zum Amt einer der umstrittensten Punkte gewesen. Frau Dr. Weber: Es ist tatsächlich ein Grundrecht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir brauchen kaum eine längere Unterhaltung darüber. Wir könnten es drin lassen und im Hauptausschuß zur Abstimmung bringen. Wenn der Satz gestrichen werden soll, müßte ein entsprechender Antrag eingebracht werden. Man kann auch im Hauptausschuß darauf aufmerksam machen, daß es noch drin ist. Dort kann es leicht bereinigt werden. Aufgabe unseres Ausschusses ist, in Fällen, in denen verschiedene Meinungen auftauchen, eine gemeinsame Formulierung zu finden, auf die man sich allenfalls einigen könnte. Vor allen Dingen muß der Hauptausschuß eine Unterlage haben, über die er abstimmen oder sich einigen kann. Sonst geht die Sache im Hauptausschuß schief. Wenn Sie Bedenken hinsichtlich des Inhalts haben, wollen wir diese gleich besprechen, damit es im Hauptausschuß keine Überraschungen gibt. Wunderlich: Nein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ein Einsender, der sich besonders über die Grundpflichten geäußert hat, hat hierzu einiges Interessante beigetragen25). Es heißt dort: „Der Bürger hat in gleicher Weise wie gegenüber dem einzelnen Mitmenschen

auf Wahrung der gemeinschaftlichen Belange und auf die dazu erforderliche Aufmerksamkeit und Pflichterfüllung bedacht zu sein und hinzuwirken." Es ist etwas schwierig, das als Grundpflicht zu sichern. Es heißt weiter: „Er ist verpflichtet, seine gesamten geistigen und körperlichen Kräfte in den Dienst des Volkes zu stellen und für sein Wohl tätig zu sein." Wenn man etwas derartiges aufnehmen könnte, wäre es sehr schön. So ist es aber zu sehr eine bloße Deklamation. Besonders von Staatsrechtlerkreisen wird gewünscht, die Grundpflichten stärker zu betonen. Ich stelle das hier zur Diskussion, weil wir uns einmal an solchen konkreten Vorschlägen klar machen müssen, wieweit man so etwas sichern und praktisch durchsetzen kann. Dr. Bergsträsser: Man kann doch eigentlich von den Pflichten nur zum Beispiel die Übernahme von Ehrenämtern durchsetzen. Sonst wüßte ich im Augenblick nichts. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auch das ist zweifelhaft. Es gibt im Grunde genommen da auch nur die Beugungsstrafe, mit der jemand, der das Ehrenamt nicht übernimmt, zu soundso viel hundert Mark Geldstrafe verknackt wird. Eine Ersatzvornahme durch einen anderen gibt es nicht.

25) 722

Die

Eingabe

ließ sich nicht ermitteln.

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Wunderlich: Wir können auf Leute, die Ehrenämter nicht haben wollen, ruhig verzichten. Dr. Bergsträsser: Ich erinnere an die Ausführungen, die der Herr Kollege Heile mit Empressement über die Wahlpflicht gemacht hat26). Ich bin ein absoluter Gegner der Wahlpflicht. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Derselbe Einsender bringt noch einen anderen Punkt vor: „Er hat die Verpflichtung, nach Maßgabe seiner Kräfte nutzbringende Arbeit zu leisten, deren Verweigerung den Verlust des Bürgerrechts nach sich zieht." Das widerspricht dem Geist der freiheitlichen Verfassung. Mit der Aufnahme von Grundpflichten kommt man sehr stark in eine andere Gefahr. Man muß sagen, jede Freiheit trägt in sich die Verpflichtung, sie sachgemäß wahrzunehmen. (Dr. Bergsträsser: Die moralische Verpflichtung, aber nicht eine solche Verpflichtung, daß die Unterlassung eine strafbare Handlung wird.) Deshalb ist der Vordersatz, bei dem Sie gewisse Bedenken hatten, doch wohl gut: „Das freie Recht der Entfaltung seiner Persönlichkeit im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung des Sittengesetzes." Da ist dann die sittliche Pflicht, sich zu beteiligen, tatsächlich als Obersatz drin, während wir bei jeder speziellen Formulierung in den Grundpflichten in die größten Schwierigkeiten kommen. Wir kommen damit zu einer Staatsgewalt, die etwas von außen zwangsweise verwirklichen will, was von innen herausfließen soll. (Dr. Bergsträsser: Dann kommen wir zum Unteroffizierstaat.) Wir sind darüber einig. Wir mußten einmal über die Frage sprechen. Wir dürfen dann den Art. 15 in dem Sinne abschließen, daß wir vorläufig nichts daran ändern.

[d. Petitionsrecht (Art. 16)] zu bemerken. Er betrifft das Petitionsrecht. Der Redaktionsausschuß wollte den Art. 16 streichen. Es heißt in der Begründung des Redaktionsausschusses: „Der Ausschuß hält diese Bestimmung für nicht mehr erforderlich." Frau Dr. Weber: Das ist keine Begründung. Wunderlich: Historisch ist die Bedeutung des Petitionsrechts überwunden. Ich habe aber auch keine Bedenken, das Petitionsrecht stehenzulassen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Für uns war es sogar sehr modern, weil wir damit die Möglichkeit, sich auch an die Welt zu wenden, nämlich an die Vereinten Naan die tionen, offen lassen wollten. Deshalb unsere Formulierung: .sich zuständigen Stellen zu wenden." Wunderlich: Wahrscheinlich hat der Redaktionsausschuß es nur von dem innerdeutschen Gesichtspunkt aus gesehen. (Frau Dr. Weber: Er hat nicht begriffen, was wir wollen.) Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir können vielleicht über Art. 16 hinweggehen.

Zu Art. 16 ist wohl nichts

...

...

26) Dok.

Nr. 32, TOP lh.

723

Nr. 33

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Verpflichtung des Eigentums (Art. 17)] Wir kommen nun zu einem schwierigeren Artikel, nämlich zu Art. 17, der die Gewährleistung des Eigentums betrifft. Liegt da ein Vorschlag Ihrer Fraktion vor? Dr. Bergsträsser: Rein sprachlich scheint mir eine Änderung nötig zu sein. In Abs. 3 muß vor den Worten „der öffentlichen Ordnung" das Wort „in" eingefügt werden. Das entspricht auch der Fassung des Redaktionsausschusses27). und in der öffentliVors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir schreiben also in Abs. 3: chen Ordnung des Gemeinwesens. Von meiner Fraktion liegt ein Vorschlag vor28), an den Anfang zu setzen: „Eigentum verpflichtet. Seine Ausübung findet ihre Schranken in den Lebensbedürfnissen der Allgemeinheit und in der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens." Ich darf gleich sagen, welche Schwierigkeiten sich dabei ergeben. Herr Prof. Thoma29) hat dazu geschrieben: Immerhin sei die Bemerkung gestattet, daß die beiden letzten Sätze (Eigentum verpflichtet usw.) stilwidrig und völlig entbehrlich sind. Sie sind entbehrlich, weil alles, was sie an juristisch Greifbarem enthalten, [e.

Gewährleistung

und

.

..

bereits im zweiten Satz des 1. Absatzes (Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt) enthalten ist. Sie sind stilwidrig, weil sich der Grundsatzausschuß erfreulicherweise zur Regel gemacht hat, in seinen Grundrechtskatalog möglichst keine sozialethischen Belehrungen und legislatorischen Programme ohne unmittelbare Rechtswirkung aufzunehmen. Das ist ein Einwurf, mit dem man sich auseinandersetzen muß. Wunderlich: Mit den beiden Sätzen in Abs. 3 kann man juristisch nichts anfangen. Das ist eine reine Deklamation. Das Ganze stammt wohl aus der Weimarer

Verfassung.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im Schlußsatz des Art. 153 der Weimarer Verfassung heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das gemeine Beste." Ich bin jetzt auch etwas bedenklich geworden, dem Vorschlag, das an den Anfang zu setzen, zuzustimmen. Die Grundrechte und die Menschen- und Freiheitsrechte wollen in erster Linie nicht Pflichten, sondern Rechte feststellen. Wir könnten den Satz, daß das Eigentum verpflichtet, höchstens hinterher stellen. Ich komme also doch dazu, daß man den Anfang so lassen und zuerst mit dem Recht anfangen sollte. Das entspricht besser dem Aufbau der übrigen Artikel. (Frau Dr. Weber und Frau Nadig: Ja.) Dr. Bergsträsser: Welcher Unterschied besteht zwischen unserer Fassung und der Fassung des Redaktionsausschusses? Bei uns heißt es: „Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet." Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet."

27) Dok. Nr. 28. 28) Hierüber hatte die CDU/CSU Fraktion CDU/CSU im Pari. Rat, S. 127 f. 29) Dok. Nr. 18. 724

am

4. Nov. 1948

beraten.

Vgl.

Salzmann: Die

Sechsundzwanzigste Sitzung Mangoldt]: geschrieben:

Vors. [Dr.

hat

v.

Das ist dem Einfluß

von

30. November 1948

Nr. 33

Thoma zuzuschreiben. Thoma

Der erste Satz ist so seltsam formuliert, daß man meinen könnte, hinter dem „zugleich mit" stecke eine juristische Finesse, was doch wohl nicht zutrifft. Meines Erachtens sollte man sagen:

„Das Eigentum und das Erbrecht", oder noch besser, da ja hier mehr als das Eigentum im juristisch-technischen Sinne gemeint ist, „Privatvermögen und Erbrecht werden gewährleistet." Ich muß sagen, an die Formulierung „Privatvermögen" möchte ich gar nicht heran. Frau Dr. Weber: Unter keinen Umständen. Frau Nadig: Das können wir nicht. Dr. Bergslrässer: Es ist sehr strittig, was Privatvermögen ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Privatvermögen ist jedes geldwerte Recht. Bei Thoma steckt die Erinnerung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts dahinter. Das Reichsgericht versteht darunter in Auslegung des Eigentumsschutzartikels jedes Vermögenswerte Recht. Thoma hat das einfach übernommen, was das Reichsgericht zu Art. 153 der Weimarer Verfassung ausgeführt hat30). Der Art. 153 sagte: Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet, sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. Wir waren auf das Erbrecht nur gekommen, weil wir uns sagten, eigentlich gehört das Erbrecht als ein Institut zu dem Schutz der Familie; es ist eigentlich ein Institut, welches zusammen mit der Familie gewährleistet werden müsse. Da wir aber über die Familie nichts sagen und auf der anderen Seite das Erbrecht in gewissem Sinne mit dem Eigentum zusammenhängt, sind wir zu dieser Formulierung gekommen: „zugleich mit dem Erbrecht". Dr. Bergsträsser: Ich sehe nicht ein, weshalb wir unsere alte Fassung nicht lassen: „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt." Warum: durch das Gesetz? Es sind doch Gesetze. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich wäre auch damit einverstanden, es einfach zu lassen.

Man könnte nun auch den Abs. 3: „Eigentum verpflichtet" usw. heraufziehen. Dr. Bergsträsser: Das wäre dann logischer. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin dafür, den Satz drin zu lassen, weil es wichtig

ist, die Grundpflicht hier hervorzuheben. Über dieses soziale Eingeordnetsein des

Eigentums sind wir uns alle einig. Bergsträsser: Es ist in diesem Falle nicht

nur eine Deklaration, sondern eine die auch eine rechtliche Bedeutung hat. (Frau Dr. Weber: Ja, das ergibt sich aus Abs. 3.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Den würden wir als Abs. 2 nehmen. Dr. Bergsträsser: Als Abs. 2 in unserer Formulierung, nur mit dem Wort „in". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Stößt es sich dann nicht etwas, wenn hier oben als zweiter Satz steht: „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt",

Dr.

bestimmte

Auffassung,

30) G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S.

715.

725

Nr. 33

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30.

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und es hier unten heißt: „Seine Ausübung ..."? Das ist dasselbe, nur in einer anderen Formulierung. In der Weimarer Verfassung ist das anders ausgedrückt und ist insofern richtiger. In dem zweiten Satz des Art. 153 der Weimarer Verfassung heißt es: „Der Gebrauch ist zugleich Dienst für das gemeine Beste." Bei uns ist der Fehler der, daß wir im zweiten Satz den Gedanken der Grundpflicht verlassen und plötzlich wieder in der Freiheit drin sind. Das ist falsch. Es würde gehen, wenn wir einen zweiten Satz formulieren könnten, der dem ersten Satz: „Eigentum verpflichtet", entspricht. Wunderlich: Auch der Ausdruck „Ausübung" gefällt mir nicht. Dr. Bergsträsser: Das ist nicht schön. Man kann ein Eigentum nicht ausüben, sondern nur gebrauchen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das ist schlecht. Jedenfalls muß es Abs. 2 werden. Abs. 2 sieht sehr dünn aus, wenn man nur sagt: Eigentum verpflichtet. Das geht nicht. Frau Nadig: Vielleicht könnten wir hinzusetzen: Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das gemeine Beste. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dann sagen die Leute: denen ist auch nichts eingefallen. Das könnten wir höchstens oben hineinsetzen, indem wir sagen. Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet, es findet seine Schranken in den Lebensbedürfnissen, die durch die Gesetze bestimmt werden. Das geht aber alles nicht. Wunderlich: Die Gewerkschaften31) regen an, hier die Formulierung hineinzubringen: „Mißbrauch des Eigentums genießt daher keinen Rechtsschutz." 31) Eingabe des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen vom Okt. 1948 (ohne Tagesdatierung), gez. Böckler, in: Z 5/109, 79—86, Eingabe Nr. 443, mit Bearbeitungsvermerken durch v. Mangoldt. Hierin wurden folgende zusätzliche Artikel zu den Grundrechten vorgeschlagen: Zwischen Art. III und IV „Die Arbeit ist die persönliche Leistung für die Gesellschaft. Sie darf nicht als Ware ge-

wertet werden. Die arbeitenden Menschen stehen unter besonderem Schutz. Dieser

Schutz hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes." Art. V, Abs. 4 sollte lauten: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Ausnahmen sind nur im Rahmen einer allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht zur Behebung oder Abwendung von besonderen Notständen zugelassen. Zwangsarbeit ist nur im Vollzug einer gerichtlich angeordneten Freiheitsent-

ziehung zulässig." Die in Art. XI vorgesehene Regelung des Versammlungsrechts sollte revidiert werden; Abs. 2 sollte gestrichen werden. Die in Art. XII erfolgte Formulierung des Koalitionsrechtes sei unzureichend. Die bewährte Fassung von Art. 159 WRW solle wiederhergestellt werden. Gegen die Fassung von Art. XII wurde schärfstens widersprochen. Die Fassung von

Art. XII, Abs. 4, in dem das Streikrecht im Rahmen der Gesetze anerkannt werde, sei ein „inhaltsloser Satz." Dagegen wurde folgende Fassung vorgeschlagen: „Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Maßnahmen und Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu verhindern suchen, sind rechtswidrig. Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet. Wer sich an einem gewerkschaftlichen nicht tarifwidrigen Streik beteiligt, handelt nicht rechtswidrig." Ferner wurde ein Artikel gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit gefordert: „Gewerbefreiheit und freier Leistungswettbewerb sind nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet. 726

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man muß auf die verschiedenen Eingaben eingehen, die dazu Wesentliches bringen. Wir sollten uns aber erst einmal selber darüber klar werden, wie wir es wollen. Dr. Bergsträsser: Wir sind uns darüber klar, daß der Ausdruck „Ausübung" fallen muß. Es empfiehlt sich, daß Sie über die Anregungen referieren. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei den Vereinten Nationen32) heißt es: „1. Jede Person hat das Recht, Güter zu besitzen, sowohl allein wie in Gemeinschaft. 2. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden." Ein Studienrat (Eingabe Journal Nr. 105 0)33) wendet sich zunächst gegen das Wort „Ausübung" in Abs. 3. Dann sagt er: „Ich schlage vor: Die Ausübung des Rechts auf Eigentum findet ihre Schranken ..." Da hat er die Dinge in ihrem logischen Zusammenhang nicht richtig begriffen, das geht auch nicht. In einer Eingabe der Kommunisten34) wird beantragt, die Art. 17 und 18 zu streichen und zu ersetzen durch Art. 11 ff. des Antrages der Fraktion der KPD über die Gewährung der wirtschaftlichen Grundrechte35). Dort heißt es:

Art. 11 Das Eigentum der

nalsozialistischen überführen.

Kriegsverbrecher

und der großen Nutznießer des natioohne sind Entschädigung in Volkseigentum zu Regimes

Art. 12

Alle privaten Monopolorganisationen, wie Kartelle, Syndikate, Konzerne, Trusts und ähnliche auf Gewinnsteigerung durch Produktions- Preis- und Absatzregelung gerichteten privaten Organisationen sind aufgehoben und verboten. In Art. 13 ist von den Bodenschätzen die Rede. In Art. 14 heißt es: Die Veräußerung von Volkseigentum kann nur mit der Zustimmung von 2/3 der gesetzlichen Mitgliederzahl der zuständigen Volksvertretung erfol,

gen. Damit werden die landeseigenen Betriebe gewährleistet. Der Art. 15 lautet: Der private Großgrundbesitz, der mehr als 100 ha umfaßt, sowie das dazugehörige lebende und tote Inventar wird entschädigungslos enteignet und an Landarbeiter, landarme Bauern und Flüchtlinge übereignet. Fideikommisse sind aufgehoben.

Vertragliche Abreden oder Maßnahmen,

32) 33) 34) 35)

die eine Beseitigung oder Einschränkung dieser Freiheiten herbeiführen oder bezwecken sind rechtswidrig. Jeder Mißbrauch der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, insbesondere zu monopolistischer oder monopolähnlicher Machtzusammenballung ist gleichfalls rechtswidrig." Schließlich wurde ein Recht auf Freiheit zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und zur Ausübung öffentlicher Ehrenämter gefordert und ein Zusatz zu Art. XVII, Abs. 3 als dritten Satz: „Mißbrauch des Eigentums genießt daher keinen Rechtsschutz." Die Artikel bezogen sich auf die Fassung des AfG in erster Lesung (Dok. Nr. 16). Dok. Nr. 10. Eingabe Nr. 172 von Studienrat und Vikar Arno Mahnert, Siegen, in: Z 5/107, Bl. 303. Zum KPD-Antrag vom 27. Okt. 1948 vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 48. Dok. Nr. 12. 727

Nr. 33

Sechsundzwanzigste Sitzung 30. November 1948

In Art. 16 heißt

es:

Grundbesitz, dessen Erwerb zur Erreichung gemeinnütziger Ziele, wie Wohnungs- und Straßenbau, Siedlung und Urbarmachung und dergleichen im öf-

fentlichen Interesse liegt, kann nach näheren gesetzlichen Bestimmungen gegen Entschädigung eingezogen werden. Die Bearbeitung und Nutzung des Bodens ist Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Grundbesitz, den sein Eigentümer einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung entzieht, kann nach näherer gesetzlicher Bestimmung eingezogen werden. Das betrifft alles die Bodenreform. Nachdem das alles niedergelegt ist, wird in Art. 18 gesagt: Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen und den sozialen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft. Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts gewährleistet. Der Anteil der öffentlichen Hand bestimmt sich nach den Gesetzen. Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und Künstler genießen den Schutz und die Fürsorge der Gesetze. Darüber haben wir schon einmal gesprochen und wollten wir noch einmal reden. Dann kommt Art. 19:

Beschränkungen des Eigentums und Enteignung können nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgen gegen angemessene Entschädigung, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfall der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offenzuhalten, soweit das Gesetz nichts

In Art. 20 heißt

anderes bestimmt. es:

Eigentum verpflichtet,

sein Gebrauch darf dem Gemeinwohl nicht zuwider-

laufen. Das ist

so ein Satz, der in den zweiten Absatz hineinkann. Mit folgendem Satz wird aber nicht genützt: „Der Mißbrauch des Eigentums zur Begründung wirtschaftlicher und politischer Machtstellung zum Schaden des Gemeinwohls hat die entschädigungslose Enteignung und Überführung in Volkseigentum zur Folge." Der Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen36) hat in seiner Ziffer 7 darüber foluns

gendes gesagt: Der Formulierung über das Eigentum stimmen wir im allgemeinen zu. schlagen jedoch in Art. 17 Abs. 3 als dritten Satz folgenden Zusatz „Mißbrauch des Eigentums genießt daher keinen Rechtsschutz." Die Frage des Mißbrauchs könnte ohne weiteres hineingebracht werden.

Wir vor:

Das

fällt darunter.

(Dr. Bergsträsser: Ja.)

Dr. Mücke: Das Wort „Ausübung" ist schlecht. Man könnte vielleicht sagen: sein Gebrauch. Das Eigentum wird gebraucht.

36) Eingabe des Gewerkschaftsrates vgl. Anm. 728

31.

Sechsundzwanzigste Sitzung

30.

November 1948

Nr. 33

v. Mangoldt]: Die Schranken haben wir schon in Abs. 1 Satz 2. Wenn den zweiten Absatz mit der Grundpflicht hineinbringt, müßte in den zweiten Satz auch etwas über die Grundpflicht hinein, etwa: Sein Gebrauch dient dem gemeinen Besten, wie die Weimarer Verfassung es gesagt hat. Dr. Bergsträsser: Und dann: Mißbrauch des Eigentums genießt keinen Rechtsschutz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Schön ist das auch nicht. Aber es ist eine Idee. Man könnte die Frage des Mißbrauchs aufnehmen, nur müßte man es irgendwie besser zum Ausdruck bringen. Die Fassung: „Mißbrauch des Eigentums genießt daher keinen Rechtsschutz", ist nicht schön und fällt aus dem Rahmen unserer ganzen Formulierungen heraus. (Dr. Bergsträsser: Ich meinte es auch nur in diesem Sinne, nicht im Wort-

Vors. [Dr.

man

laut.)

Das ist durchaus zu überlegen. Die Fraktionen der DP und der FDP haben hierzu auch etwas vorgeschlagen. Die DP hat folgende Fassung vorgeschlagen37): Das Eigentum ist als ein natürliches Recht gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. Jedermann darf im Rahmen der Gesetze Eigentum erwerben und darüber verfügen. Das Erbrecht

und das Recht der

Schenkung werden gewährleistet. des Aushöhlung Eigentums durch Entzug der wesentlichen Verfügungsrechte oder durch die Steuergesetzgebung ist unzulässig. Das würden wir mit unserem allgemeinen Satz erfassen, daß kein Grundrecht in seiner Substanz angegriffen werden darf. Dann heißt es weiter: „Eigentum verpflichtet." Abs. 2 behandelt die Entschädigungsfrage. Weiter hat die DP dazu nichts. Die FDP38) hat gesagt: Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes oder durch ein solches zulässig. Wer durch eine Entscheidung betroffen wird, hat einen vor dem ordentlichen Gericht verfolgbaren Anspruch auf angemessene Entschädigung. Praktisch sind wir leider ohne große Anregungen. Dr. Bergsträsser: Außer der Anregung der Gewerkschaften betreffend den Mißbrauch. Wunderlich: Der Satz „Eigentum verpflichtet" besagt allein nichts. Es muß in irgendeiner Form gesagt werden, wozu und gegenüber wem es verpflichtet. (Frau Dr. Weber: Das sagt aber Abs. 2.) Wir waren uns aber darüber klar, daß wir den Abs. 2 als Wiederholung nicht in dieser Form verwenden und zu einer neuen Formulierung kommen wollen. Wir müßten dann eigentlich logisch so aufbauen: Eigentum verpflichtet Eine



usw.

Dr. Mücke: Man muß hier doch von zwei sich mit dem Begriff des Eigentums der

Dingen ausgehen. Der Abs.

Eigentumsbegriff

1 befaßt soll durch das Ge-



37) Anträge der DP 38) Antrag der FDP

vom vom

19. Nov. 1948 18. Nov. 1948

vgl.

Dok. Nr. 32, Anm. 47.

(Drucks. Nr. 296) vgl. Dok. Nr. 32, Anm.

86.

729

Nr. 33

Sechsundzwanzigste Sitzung

festgelegt

werden befaßt. gentums setz

—,

30.

November 1948

während der Abs. 2 sich mit dem Gebrauch des Ei-

(Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, sondern mit der Grundpflicht.) So fasse ich es auf. Für den Gebrauch des Eigentums sind dann Schranken was allergesetzt, das sind die bestehenden Lebensnotwendigkeiten und die öffentliche dings, das muß ich zugeben, hier etwas Doppeltes bedeutet Ordnung des Gemeinwesens. Die Formulierung „in der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens" deckt sich insoweit mit dem Abs. 1, wo gesagt ist: „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt." Inhalt und Schranken befassen sich nicht nur mit dem Begriff, sondern auch mit dem Gebrauch. Dr. Bergsträsser: Könnte man nicht in Abs. 1 sagen: Sein Inhalt wird durch die Gesetze bestimmt, und dann fortfahren: Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch findet seine Schranken usw.? Dann haben wir das zweite Mal die Schranken heraus. Wir haben dann im ersten Absatz eigentlich nur die Begriffsbestimmung, im zweiten Absatz die moralische Einschränkung und im dritten Absatz —





die Enteignung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, man sollte doch vielmehr sagen: Eigentum verpflichtet, und das noch mehr dahingehend ausgestalten, daß etwa der Gebrauch des Eigentums den Zielen der Gesamtheit dienen soll. Vielleicht könnte man sagen: Sein Gebrauch dient den Zielen der Gesamtheit oder: soll den Zielen der Gesamtheit dienen. Also derjenige, der Eigentum verwaltet, soll es so verwalten, daß er damit zu den Zielen der Gesamtheit beiträgt. (Wunderlich: Und dann als drittes den Mißbrauch.) Ja. Dann kann man es auch in einen zweiten Absatz hineinbringen. Das ist eine Idee, die praktische Förderung verdient. Wenn man sagt: Eigentum verpflichtet, so meint man, daß derjenige, der Eigentum hat, dieses Eigentum auch so gebrauchen soll, daß damit den Zielen der Gesamtheit gedient und genützt wird. (Dr. Bergsträsser: Und daß es nicht zu Sonderzielen mißbraucht wird.) Das ist dann die negative Seite. Das müßten wir formulieren. Wir könnten sagen: Der Mißbrauch liegt vor, wenn jemand sich nicht innerhalb der Lebensbedürfnisse der Gemeinschaft und innerhalb der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens hält. Wie aber kann der Satz verwirklicht werden, der hier steht: „Mißbrauch des Eigentums genießt daher keinen Rechtsschutz"? Was wir in der Verfassung drin haben, soll unmittelbar geltendes Recht sein. Frau Dr. Weber: Übermäßig gehortete Waren könnten es sein. Wunderlich: Oder Kartelle könnten eine politische Machtausübung anstreben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Was heißt: genießt keinen Rechtsschutz? Heißt es, daß solches Eigentum beschlagnahmt werden kann? Die wichtigsten Rechtsfolgen, was auf Grund eines solches Satzes unmittelbar geltendes Recht ist, ergibt sich also gerade aus ihm nicht. Dr. Bergsträsser: Was keinen Rechtsschutz genießt, kann der Staat an sich ziehen. Dr. Mücke: Es ist doch wohl stärker, wenn man das Positive hier ausdrückt und den Gebrauch sowie die Grenzen des Gebrauchs festlegt. Das ist weitergehend. —



730

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßten wir, wie wir es beim Mißbrauch der Pressefreiheit getan haben, etwa sagen: Die Vorschriften gegen den Mißbrauch werden durch Gesetz getroffen. Dr. Bergsträsser: Vielleicht könnte man sagen: Auf das Grundrecht kann sich nicht berufen, wer es mißbraucht. (Wunderlich: Der Gedanke wäre vertretbar.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht könnte man als letzten Satz sagen. Wer diese Rechte mißbraucht, kann sich auf die Eigentumsfreiheit oder: den Eigentumsschutz oder: die Gewährleistung des Eigentums nicht berufen. Dann fehlt uns immer noch der zweite Satz, der etwa lauten könnte: Sein Gebrauch soll den Zielen der Gemeinschaft dienen oder ähnlich. Frau Dr. Weber: Vielleicht: den Lebensnotwendigkeiten oder: Lebensbedürfnissen der Allgemeinheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man sagt: den Lebensnotwendigkeiten, so klingt das sehr materialistisch. (Frau Dr. Weber: Aber es geht darauf hinaus.) Das Eigentum, das der Mäzen zur kulturellen Förderung verwendet, dient zweifellos den Zielen der Gemeinschaft und dem gemeinen Besten, aber nicht den Lebensnotwendigkeiten. Das darf man nicht angreifen. (Dr. Bergsträsser: Es ist nicht notwendig, daß man sich einen Raffael ansieht, wenn es auch sehr schön ist.) In der Weimarer Verfassung ist es ganz gut ausgedrückt39). Wenn uns nichts Besseres einfällt, müssen wir sagen: Besseres haben wir nicht finden können. Dr. Bergsträsser: Dann würde ich nur sagen: Sein Gebrauch soll zugleich dem gemeinen Besten dienen. Wunderlich: Der Ausdruck „das gemeine Beste" gefällt mir nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht sagen wir: den Zielen der Gemeinschaft dienen.

Dr.

Bergsträsser: „Gemeinschaft"

kann

ist ein Wort, das ich nicht liebe. Vielleicht

Allgemeinheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann sagen: Allgemeinheit dienen. Natürlich muß jeder man

sagen: der

Sein Gebrauch soll dem Wohl der ein gewisses Vermögen und ein ge-

wisses Eigentum haben, mit dem er sich erhält, um nicht der Allgemeinheit zur Last zu fallen. Insofern dient dieses Eigentum auch dem Wohl der Allgemein-

heit. Schioer: Es soll nicht bloß dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßten wir sagen: Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Dr. Bergsträsser: Vielleicht ist es richtig, vom Mißbrauch auszugehen und zu sagen, daß ein Mißbrauch vorliegt, wenn das Eigentum gegen das Wohl der Allgemeinheit gebraucht wird, wie zum Beispiel die gehortete Ware, oder wenn es gebraucht wird, wie gewisse große Firmen es getan haben, um Herrn Hitler gegen das Wohl der Allgemeinheit zu subventionieren. Darauf wollen wir hinaus.

39)

Art. 153 WRV.

731

Nr. 33

Sechsundzwanzigste Sitzung

Wenn wir

uns

30.

November 1948

darüber klar sind, kommen wir vielleicht auch

lierung.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das könnte im ersten Satz sagt: Eigentum

man

tung wird verletzt,

zu

einer Formu-

höchstens auf dem Wege machen, daß verpflichtet, und fortfährt: Diese Verpflich-

man

wenn usw.

Dr. Bergsträsser: Vielleicht: wenn das Eigentum zu egoistischen Zwecken gegen die Interessen der Allgemeinheit benutzt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur sehr schwer zu formulieren. Man hat dann das Negative. Man sollte es erst einmal positiv sagen. Man könnte den zweiten Satz so fassen: Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen, und dann vom Mißbrauch reden. Dr. Bergsträsser: Gerade nach den Erfahrungen, die wir mehrfach gemacht haben, wäre es gut, es hineinzubringen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Mißbrauch liegt dann vor, wenn das Eigentum einmal nicht dem Wohl der Allgemeinheit dient und zum anderen auch nicht für die berechtigten Zwecke des Einzelnen Verwendung findet. Man kann es kaum definieren. Man müßte einfach irgendeine Rechtsfolge des Mißbrauchs nennen und etwa sagen: Wer das Eigentum mißbraucht, kann sich auf den Schutz dieses Artikels nicht berufen. Schioer: Das genügt, glaube ich, vollkommen. (Frau Dr. Weber: Ja.) Irgendeine Definition des Mißbrauchs ist nicht möglich. (Wunderlich: Das ist nicht möglich.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann könnten wir als dritten Satz nehmen: Wer das Eigentum mißbraucht, kann sich auf den Schutz dieser Bestimmungen nicht berufen. Dr. Mücke: Ich würde sagen: Wer das Eigentum gegen das Wohl der Allgemeinheit mißbraucht. (Schioer: Was ist Wohl der Allgemeinheit?) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Liegt das nicht schon im Begriff des Mißbrauchs? Mißbrauch ist ein Gebrauch, der nicht den Forderungen der Allgemeinheit ent-

spricht. Dr. Bergsträsser: Ich würde formulieren: Eigentum, das dem Wohl der Allgemeinheit entzogen wird. Das wären die gehorteten Waren. Wunderlich: Damit kann man den typischen Mißbrauch durch Konzerne nicht fassen.

gibt drei Formen, die eine Form, daß man das Eigentum eiBedarf entzieht, die zweite Form, daß man das Eigentum mißbraucht, um andere Leute Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn Sie Schokolade essen, entziehen Sie sie dem allgemeinen Gebrauch. (Dr. Bergsträsser: Sie gebrauchen sie selbst.) Sie entziehen sie dem allgemeinen Gebrauch gerade in einer Zeit, in der Not besteht. Wie ich soeben in der Zeitung gelesen habe, sind in Nordrhein-Westfalen die ganzen Bestände an Tafeln Schokolade beschlagnahmt worden, weil Sie eben keine Schokolade essen sollen, ich auch nicht, weil vielmehr nur die Kranken, die Genesenden und die Kinder Schokolade essen sollen. Dr.

Bergsträsser:

nem

Es

allgemeinen



732



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Nr. 33

Wunderlich: Hierbei ist die Frage des Preiswuchers entscheidend, weil die Tafel DM kostet, im Laden zu 6 DM verkauft wird. Es ist nicht der Mißbrauch durch das Essen, sondern der Mißbrauch der Mangelware. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Es wird zum Mißbrauch deshalb, weil es nicht die Leute bekommen, die es eigentlich haben sollen. Sie unterstützen den Mißbrauch, wenn Sie die Schokolade kaufen und selber essen. Dr. Bergsträsser: Dieser Fall ist sehr extrem. Der richtige Fall ist der, daß jemand 10 000 Paar Schuhe hortet oder so etwas. Die zweite Art des Mißbrauchs ist die, daß ein Konzern seine wirtschaftlichen Möglichkeiten benutzt, um die Preise sehr hoch zu treiben. Die dritte Form ist [die] von mir vorhin erwähnte, daß eine wirtschaftliche Gruppe ihre Macht benutzt, um in irgendeiner Form politische Bestechung auszuüben. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Glauben Sie, daß wir das hier vollendet formulieren können? (Dr. Bergsträsser: Das glaube ich kaum.) Das können wir wohl nicht. Sollen wir uns dem Vorschlag von Dr. Mücke anschließen, indem wir sagen: Wer das Eigentum gegen das Wohl der Allgemeinheit mißbraucht? Ich finde, das ist ein Pleonasmus. Dr. Bergsträsser: Wenn wir vorher sagen: dient der Allgemeinheit, so ist es ein Pleonasmus. Dr. Mücke: Ich bin davon ausgegangen, daß lediglich gesagt wird: Eigentum

Schokolade, die 1,30

verpflichtet.

Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir haben den Satz: Eigentum verpflichtet. Als zweiten Satz haben wir: Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Dann kommt der dritte Satz: Wer das Eigentum mißbraucht, kann sich auf den Schutz dieser Bestimmungen nicht berufen. Dr. Mücke: Dann erübrigt sich mein Vorschlag. Ich bin davon ausgegangen, daß der zweite Satz in Wegfall kommt. Frau Dr. Weber: Darf man „Mißbrauch" sagen? Wird das Eigentum miß-

braucht? Dr. Bergsträsser: Kann man sagen: das Eigentum? Das ist doch zu allgemein. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Vielleicht: Eigentum oder: sein Eigentum. Dr. Bergsträsser: Es ist manchmal nicht „sein" Eigentum. Denken wir zum Beispiel an eine Aktiengesellschaft. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Es soll noch eine Bestimmung hineinkommen, nach welcher die Grundrechte zum Teil auch auf Körperschaften bezogen werden. Der Eigentumsschutz wird nicht nur dem Einzelnen, sondern auch der Gemeinschaft gewährt. Wir sagen also: Wer sein Eigentum mißbraucht, kann sich dieser auf den Schutz Bestimmungen nicht berufen. erhebt sich nicht.) (Widerspruch Dann würden wir als dritten Absatz haben: Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Dr. Bergsträsser: Warum steht hier in dem Vorschlag des Redaktionsausschusses: „nur durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines förmlichen Gesetzes?" Ich möchte mich juristisch belehren lassen. —

733

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kann die Enteignung unmittelbar in einem Gesetz ausgesprochen werden. Es kann aber auch, wie es gewöhnlich ist, die Enteignung auf Grund eines Gesetzes ausgesprochen werden, indem es nämlich ein Enteignungsgesetz mit allgemeinen Normen gibt und die Enteignung durch einen Verwaltungsakt ausgesprochen wird. Frau Nadig: Wie wäre es zum Beispiel bei der Bodenreform? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Enteignung erfolgt nicht durch das Gesetz, sondern auf Grund eines Gesetzes. Wenn demgegenüber zum Beispiel ein Gesetz erlassen wird, durch welches die Hibernia-Grube40) in Staatsbesitz überführt wird, so erfolgt die Enteignung durch förmliches Gesetz und nicht auf Grund eines Gesetzes. Im allgemeinen erfolgt bei uns die Enteignung auf Grund eines Gesetzes. In der Weimarer Verfassung heißt es:41) „Eine Enteigung kann nur zum Wohl der Allgemeinheit und nur auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden." Dr. Bergsträsser: Der Ausdruck „gesetzliche Grundlage" deckt beides. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Terminus technicus ist da nicht: lex specialis, sondern: das Gesetz für den Einzelfall. Die Angelsachsen sind schärfste Gegner dieses Gesetzes für den Einzelfall. Sie lassen es überhaupt nicht zu. Die Engländer haben allerdings die sogenannte Private Bill die Amerikaner haben das Verfahren gar womit sie den Einzelfall regeln. Vielleicht sollten wir sagen: auf gesetzlinicht cher Grundlage. Wir machen es damit aber etwas unklar. Dr. Bergsträsser: Dann müßten wir die Formulierung des Redaktionsausschusses —

,



nehmen.

(Schioer: Vors. [Dr. 14.

v.

Auflage42):

Die wäre

besser.)

Mangoldt]: Wichtig ist,

was

Anschütz dazu sagt. Es heißt in der

Art. 153 Abs. 2 hat seine Vorbilder im alten Recht: in jenen Sätzen der alten Einzelstaatsverfassungen, die an die Proklamation der „Unverletzlichkeit" des Eigentums den Ausspruch knüpfen, daß eine staatshoheitliche Entziehung des Eigentums „nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen vorgängige, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig festzustellende Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes" zulässig sei. Das ist die Formulierung der preußischen Verfassung von 185043). Dann kommen die Grundsätze darüber, was Enteignung ist. Schließlich heißt es: Die Entstehungsgeschichte des Art. 153 bietet für die Auslegung nicht viel. Dr. Bergsträsser: Es muß ein verfassungsmäßig zustande gekommenes Gesetz sein, nicht eine Verordnung. —

40) Hibernia AG, Bergwerksgesellschaft Mehrheit des Kapitals ging 1917 besitz.

an

mit Sitz in Herne/Westfalen. 1873 gegründet, preußischen Staat. Nach 1949 noch in Bundes-

den

41) Art. 153 WRV. 42) G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 703 ff. 43) Preußische Verfassung vom 31. Jan. 1850, Art. 9. Vgl. Fritz Härtung: Die Entwicklung der Menschen- und

734

Bürgerrechte, S. 65.

Sechsundzwanzigste Sitzung (Schioer:

Das

Wichtigste ist,

gegeben werden.)

der

Verwaltung

30.

November

darf kein

zu

1948

Nr. 33

großer Spielraum

Lassen wir es doch einfach bei der Formulierung des Redaktionsausschusses. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sagen also: Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Der Vorschlag meiner Fraktion44) lautete noch etwas anders, nämlich: „Enteignung ist nur zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit es erfordert. Sie darf nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, die unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen festzusetzen ist." Meine Fraktion wollte den Satz gestrichen haben: Soweit eine Entschädigung gesetzlich nicht vorgesehen ist. Frau Nadig: Das würde doch bedeuten, daß es eine entschädigungslose Enteignung überhaupt nicht gibt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Frau Nadig: Das ist eine Gefahr. Es kann auch notwendig sein, entschädigungs-

los zu enteignen. Schioer: Es kann der Fall sein, daß jemand etwas pekziert hat. Es ist aber unmöglich, aus einem anderen Grunde eine entschädigungslose Enteignung festzusetzen. Das ist doch der Zustand im Osten, wo man es den Leuten einfach abnimmt. Das wollen wir doch nicht. Frau Nadig: Nicht schlechthin. Aber es ist doch wohl nicht richtig, die entschädigungslose Enteignung auszuschließen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es heißt, die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen festzusetzen. Wenn irgendwelche Vermögenswerte unter Verletzung der Verpflichtungen erworben worden sind, die mit dem Eigentum verbunden sind, würde die Entschädigung eventuell nur in einem Nominalbetrag bestehen können. Diese Möglichkeit würde durch diese Formulierung offengehalten werden. (Dr. Bergsträsser: Vielleicht ist die Entschädigung 1 Pf.) Ja. Diese Möglichkeit besteht, weil wir es anders als in der Weimarer Verfassung formuliert haben. Wir haben nicht gesagt: angemessene Entschädigung. An Stelle der angemessenen Entschädigung haben wir gesagt, daß die beiderseitigen Interessen abzuwägen sind. Damit kann auch unser neuer Abs. 2 zum Zuge kommen. Der doppelte Relativsatz ist nicht gut. Man müßte sagen: Sie darf nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, müßte einen Punkt machen und dann fortfahren: Diese Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen festzusetzen. Die DP geht viel weiter45). Hier heißt es: Einschränkung oder Entziehung des Eigentums sind nur auf gesetzlicher Grundlage zum Wohle der Allgemeinheit und grundsätzlich nur gegen vol—

44) Vgl. Anm. 28. 45) Antrag der DP vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 47 735

Nr. 33

Sechsundzwanzigste Sitzung

30.

November

1948

le Entschädigung zulässig. Wegen der Einschränkung oder der Enteignung oder wegen der Höhe der Entschädigung kann der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden. Dr. Bergsträsser: Vielleicht kann man statt „wenn das Wohl der Allgemeinheit es erfordert" sagen: zum Wohle der Allgemeinheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Wir sagen also: Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines förmlichen Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Diese ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen festzusetzen.

(Widerspruch erhebt sich nicht.) Thoma46) geht davon aus, daß die Enteignung

eine Besteuerung nicht verhindern darf und formuliert so: Mindest-Vorschlag der Fassung des Art. 17 : „(1) Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet, Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. bis festzusetzen,". Unter Streichung der beiden letzten (2) Enteignung Sätze. Er will also streichen: Eigentum verpflichtet; sonst will er alles lassen. Der Alternativ-Vorschlag von Thoma lautet: (1) Unbeschadet der staatlichen Besteuerungs- und Sozialisierungsgewalt gewährleistet die Verfassung die Privatvermögensrechte, das Institut des Familienerbrechtes und die Testierfreiheit. Inhalt und Schranken dieser Rechte ergeben sich aus den Gesetzen. Das würde unserer kurzen und klaren Fassung widersprechen. Wir haben uns jetzt bemüht, kurze Sätze zu bringen, die jeder behält. Der Abs. 2 lautet bei Thoma: (2) Die einzelnen und die rechtsfähigen Verbände, denen durch Enteignungen oder enteignungsähnliche Staatsakte ein besonderes Opfer auferlegt wird, haben einen bei unabhängigen Gerichten einklagbaren Rechtsanspruch auf angemessene Entschädigung in Geld oder nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Regelung in Sachen oder Rechten. Dann folgen weitere fünf Absätze. In Abs. 3 heißt es: (3) Die über Entschädigungsansprüche entscheidenden Gerichte haben sich leiten zu lassen von Erwägungen der Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit unter Berücksichtigung des Gemeinwohls. Demgegenüber ist unsere Fassung viel besser, wenn es heißt: „Diese ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen fest...

zusetzen." Weiter heißt es bei Thoma: (4) Soweit die Entschädigung nicht von der Staatskasse selbst haftet sie den Entschädigungsberechtigten als Ausfallbürge.

46) Dok. 736

Nr. 18.

zu

leisten ist,

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aus Tatsachen hervorgeht, daß von einer bestimmten Persönlichgewärtigen ist, sie werde ihre Finanzkraft mißbrauchen zur Unterstützung von Bestrebungen, die auf Untergrabung der Demokratie oder Störung des Weltfriedens abzielen, kann durch besonderes Bundesgesetz der

(5) Soweit

keit

zu

ganz oder teilweise konfisziert werden. die durch gesetzmäßige Gerichtsurteile oder Verwal(6) Statthaft bleiben tungsakte verhängten Einziehungen oder Verwirkungen. (7) Andere als in den beiden vorhergehenden Absätzen, zugelassene Konfiskationen sind unstatthaft. Das können wir unter keinen Umständen machen, das paßt nicht in unseren Duktus hinein. Frau Dr. Weber: Gehört das nicht in die Gesetze? Dr. Bergsträsser: Das gehört weitgehend in die Gesetzgebung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Abs. 1 von Art. 17 bleibt also bestehen, und hinsichtlich Abs. 2 und Abs. 3 bleiben wir bei den vorhin festgelegten Fassungen. (Es erhebt sich kein Widerspruch.)

Entschädigungsanspruch

[f. Sozialisierung (Art. 18)] Wir können nun noch Art. 18 erledigen, der mit Art. 17 in Verbindung steht. Thoma hat zu Art. 18 nichts zu bemerken. Dr. Bergsträsser: Zu Art. 18 hat meine Fraktion den Wunsch, daß statt „Boden-

schätze" „Naturschätze" gesagt wird47). Frau Nadig: Wir wünschen noch die

Einfügung:

zum

Zwecke der Enteig-

nung. Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Die Weimarer Verfassung sagt in Art. 155 Abs. 4: „Alle Bodenschätze und alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte stehen unter Aufsicht des Staates." Dr. Bergsträsser: Bodenschätze sind nur die Schätze, die im Boden liegen. Naturschätze sind auch Wasser, Elektrizität usw. (Frau Nadig: Und neue Dinge, die gefunden werden.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist interessant, wie ungleichmäßig die Terminologie der Weimarer Verfassung ist. In der konkurrierenden Gesetzgebung des Art. 7 ist unter Ziff. 13 von der Vergesellschaftung von Naturschätzen und wirtschaftlichen Unternehmungen die Rede, während in Art. 155 nur von Bodenschätzen gesprochen wird. Die Naturschätze gibt es in der Weimarer Verfassung auch, aber nur in dem Zuständigkeitskatalog. Wollen wir nur die Bodenschätze oder auch die Naturschätze aufnehmen? Dr. Bergsträsser: Logisch ist es nur, wenn wir sagen: Naturschätze. (Schioer: Dann ist auch die weiße Kohle mit drin.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen uns wohl dem Wunsch ohne weiteres anschließen und Naturschätze sagen. Frau Dr. Weber: Gehört zu Naturschätzen auch der Wald?

47) Formulierte Änderungsvorschläge, vgl. Dok.

Nr. 24, Anm. 5.

737

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Mayr: Nein, Wald ist Grund und Boden. Dr. Bergsträsser: Dann war noch der Wunsch, hinter den Worten „in Gemeineigentum" einzufügen: „im Wege der Enteignung".

v. Mangoldt]: Das würde dem Wunsch entgegenkommen, der in unFraktion serer besteht. Wir haben gesagt: ist nur unter Beachtung der Vorschrifdes Art. ten 17 zulässig. Das würde die Parallele sein. (Dr. Bergsträsser: Ja, das ist dasselbe.) Ich weiß nicht, ob wir die Verweisung auf Art. 17 haben müssen. Schioer: Die Verweisung muß hinein. Sie ist sowohl im Redaktionsausschuß als auch in unserer Formulierung eingearbeitet worden. Dr. Mücke: Wenn gesagt wird: Im Wege der Enteignung und wenn in dem vorhergehenden Artikel die Enteignung sowie das Verfahren festgelegt ist, ist der Hinweis auf den Art. 17 unnötig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht sagen wir: im Wege der Enteignung des Art. 17. Der Art. 18 würde dann lauten: Die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum im Wege der Enteignung des Art. 17 ist nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zuläs-

Vors. [Dr.

sig. (Zustimmung.)

Die Sitzung wird um 12 Uhr 42 Minuten unterbrochen. Sie soll um 15 Uhr 30 Minuten fortgesetzt werden. Der Vorsitzende, Abg. Dr. v. Mangoldt, eröffnet die Sitzung wieder um 15 Uhr 50 Minuten.

[g. Gleichheit Vors. [Dr. v. wir nachher ren

vor

dem Gesetz (Art. 19)]

Wir kommen zu dem Gleichheits-Artikel, Art. 19, den eine andere Stelle setzen wollen. Ich nehme an, daß Sie unse-

Mangoldt]: an

Antrag auf Änderung des Gleichheits-Artikels bekommen haben48). Nadig: Der Antrag der SPD-Fraktion49) geht dahin, im zweiten Absatz

Frau

zu

sagen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Der erste Satz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", sollte so stehen bleiben. Frau Dr. Weber: Eigentlich sind die Frauen darin eingeschlossen, denn wir ge-

hören auch

zu

den Menschen.

48) Der CDU/CSU-Antrag auf Änderung von Art.

19 war bereits am 4. Nov. 1948 in der Fraktion beschlossen worden. Im Prot, hieß es: „Frau Dr. Weber möchte vorschlagen: .Männer und Frauen stehen bei Wahl und Ausübung des Berufes gleich, verrichten sie gleiche Arbeit, so haben sie Anspruch auf gleiche Entlohnung.'" Es sei mit einem Antrag der SPD zu rechnen, und es wäre besser, dem zuvorzukommen und den vorstehenden Satz hineinzunehmen (Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 128). 49) SPD-Antrag in Form eines ungez. „Papierschnipsels" vom 3. Dez. 1948: „Antrag der SPDFraktion. Art. 4 Abs. 2 ist wie folgt abzuändern: Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (BayHStA, NL Peiffer/180).

738

Sechsundzwanzigste Sitzung Frau

30.

November 1948

Nr. 33

Nadig: Weiter hatten wir gebeten, im dritten Absatz zu sagen: „Niemand Abstammung, seines Geschlechts usw. wegen benachteiligt oder be-

darf seiner

vorzugt werden50)."

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herr Geheimrat Thoma51) hat hierzu sehr grundsätzliche Bedenken angeführt, die nach meiner Auffassung durchaus stichhaltig sind. Er weist einmal darauf hin, daß die Fassung: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", gegenüber dem Gesetzgeber zu weitgehend ist, daß wir vielmehr, wenn wir die Dinge richtig zum Ausdruck bringen wollen, sagen müssen: daß Ungleiches vom Gesetzgeber auch ungleich behandelt werden kann. Der Redaktionsausschuß hat diese Frage aufgenommen und im Abs. 1 nur gesagt: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich52)." Aus welchen Gründen ist das erfolgt? Dr. Dehler: Wir wollen statt „Bundesangehörige" grundsätzlich „Deutsche" sagen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir gehen da weiter, weil wir sagen, der Gleichheitssatz ist auch dem Ausländer gegenüber in Deutschland anzuwenden. Da wir den Freiheitssatz auf alle anwenden, schien es uns nicht möglich zu sein, den Gleichheitssatz nicht auf alle anzuwenden. In dem Freiheitssatz heißt es auch: „Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person. Die Freiheit der Person ist unverletzlich." Damit sind diese Rechte als allgemeine Menschenrechte erklärt. Der Gleichheitssatz würde in diesen ersten Teil kommen, und es müßte dann wohl auch heißen: Alle Menschen sind vor dem Gesetz

gleich.

Thoma sagt dazu: Die verbreitete (auch in die Denkschrift des Herrenchiemseer Verfassungskonvents eingedrungene) Irrlehre, der Satz „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", verpflichte auch den Gesetzgeber selbst dazu, allen Menschen gleiche Rechte und Pflichten zuzuteilen, ist offensichtlich falsch. Sie wird von ihren eigenen Anhängern nicht ernst genommen, sondern (nach dem Vorbild schweizerischer und amerikanischer Rechtsprechung) dahin umgedeutet: Die Gerichte dürfen und müssen einem Gesetz die Anwendung versagen, wenn es die Differenzierung enthalte, die nach Ansicht des Richters „ungerecht" oder ..unreasonable" sei. Indes hat diese aus Mißachtung des demokratischen Gesetzgebers und aus Überschätzung der akademisch gebildeten Berufsjuristen entspringende Lehre soviel Anhänger, daß es sich m. E. empfiehlt, den Absätzen 2 und 3 des Art. 19 einen weiteren Absatz folgen zu lassen, der ausspricht, daß es im übrigen Pflicht und Recht der Gesetzgebung sei, im Dienste der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls Gleiches gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln. Also etwa: „(4) Im übrigen ist es Aufgabe der Gesetzgebung, im Streben nach Gerechtigkeit und im Dienste des Gemeinwohls Gleiches gleich, Ungleiches verschieden zu behandeln", oder auch: „nach seiner Eigenart verschieden zu behandeln."

50) Vgl. Formulierte 51) Dok. Nr. 18. 62) Dok. Nr. 28.

Änderungsvorschläge der SPD-Fraktion (Dok.

Nr. 24, Anm. 5).

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Im zweiten Absatz sollte m. E. nach dem Vorbild der Weimarer Verfassung das Wort „grundsätzlich", welches Ausnahmen für statthaft erklärt, wieder eingefügt werden. Es gibt nämlich außer der Wehrpflicht, die doch nur den Männern obliegt, auch noch andere staatlich-bürgerliche Pflichten, die nur den Männern nicht auch den Frauen auferlegt werden, so insbesondere die Dienstverpflichtung zur Wasserwehr und Feuerwehrmannschaften und zum Polizeihilfsdienst. Das ist sicher richtig. Dr. Bergsträsser: Bei der Wehrpflicht ist es schon sehr zweifelhaft. Denn die Wehrpflicht war in gewisser Form auch für die Frau eingeführt, sagen wir, in ähnlicher Form wie für die zum Dienst an der Front nicht fähigen Männer.

Wunderlich: Im Luftschutz und in der Feuerwehr waren die Frauen überall. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das betrifft erst den zweiten Satz. Wir wollen auf den ersten Satz zurückkommen, der viel wichtiger ist. Ich weiß nicht, ob wir den Weg gehen sollen, der hier vorgeschlagen ist. Mir scheint noch eine andere Gedankenkette hier hereinzuspielen. Ich selbst habe mich einmal im amerikanischen Recht mit den Fragen beschäftigt. Dort wird gesagt, alle Menschen müssen gleich behandelt werden, es soll ihnen in der gleichen Behandlung ein sogenannter „minimum standard of free society" gewährleistet werden. Das ist die Verbindung von Gleichheitssatz und Freiheitssatz. Die Gleichheit besteht darin, daß ein „minimum standard of free society" allen gewährleistet wird. Ich habe es noch nicht zu Ende durchdenken können. Man müßte sich einmal fragen, ob man die unbedingte Gleichheit vom Gesetzgeber für die Durchführung aller der Sätze fordern müßte, die in den Grundrechten enthalten sind, und ob dann in Einzelheiten Verschiedenes auch verschieden behandelt werden kann. Also die Sätze der persönlichen Freiheit, der Freiheit der Persönlichkeit, der Schutz des Lebens gelten für alle gleich, weiter der Satz, daß die volle Freizügigkeit gewährleistet, daß die Wohnung unverletzlich sein soll. Das ist der „minimum standard". Man müßte bei allen unseren Grundrechten überprüfen, ob diese Erwägungen das Richtige treffen. Was zum Beispiel die Freiheit der Meinungsäußerung angeht, so soll es keine Nuancierungen geben; da soll nicht auf Grund der menschlichen Verschiedenheit eine Verschiedenheit der Rechte gewährt werden. So wie der Satz hier aufgestellt wird, besagt er nachher gar nichts. Es erscheint mir zweifelhaft, ob man sagen kann: Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich behandeln. Meiner Anschauung nach muß der Gesetzgeber hinsichtlich eines Mindestmaßes an Rechten alle gleich behandeln. Dann gibt es darüber hinaus einzelne Rechte und Pflichten, bei denen er auf Grund einer es gibt die verschiedensten MöglichVerschiedenheit, sagen wir, des Berufes keiten verschieden behandeln kann. Zum Beispiel im Gewerberecht werden die einzelnen Berufe vom Gesetzgeber vollkommen verschieden behandelt. Das muß möglich sein. Dr. Bergsträsser: Wenn das Wort „grundsätzlich" wieder hineinkäme, könnte man den ganzen Artikel streichen. Das hat doch gar keinen Sinn. Was wir wollen, ist vielmehr, daß Frauen nicht benachteiligt werden dürfen, wie es lange Zeit der Fall war. —



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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das alles bezieht sich jetzt nicht auf die Frauen, sondern auf den Satz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", und auf den zweiten Satz, den der Redaktionsausschuß eingefügt hat: „Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich, er kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln." Dr. Bergsträsser: Aber der Satz: Gleiches gleich, Verschiedenes nach seiner Eigenart, bezieht sich wieder auf die Geschlechter. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Satz soll sich auch auf die Geschlechter beziehen. Zum Beispiel kann der Gesetzgeber einen Schutz der Mutterschaft nicht für die Männer einführen. Dr. Bergsträsser: Muß man so etwas im Gesetz sagen? Das ist doch wirklich etwas absolut Selbstverständliches. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man sagt: Alle Menschen sind gleich, so zeigt sich eben, daß sie praktisch nicht vollkommen gleich sind, sondern daß es gewisse Dinge gibt, die auf Grund der bei den Menschen nun einmal naturgegebenen Nuancierungen zu einer anderen Regelung führen müssen. Zum Beispiel könnte der Zigeuner, der herumwandert, gewissen gesetzlichen Sonderregelungen unterliegen. In Staaten wie den Vereinigten Staaten wird die Vorherrschaft einer Rasse praktisch niemals zugegeben. Man wird dort auf der einen Seite von dem Gedankengut der französischen Revolution so beherrscht, daß man nach außen immer wieder sagt: völlige Gleichheit. Aber im Grunde genommen schwebt über dem ganzen Recht der Vereinigten Staaten doch der Gedanke: Wir können und werden es niemals zulassen, daß wir von einer fremden Rasse überfremdet werden. Das betrifft nicht nur die schwarze Rasse, sondern in der Gesetzgebung über die Einwanderung wird gesagt: Wir müssen das Übergewicht der nordischen Rasse in den Vereinigten Staaten erhalten. Dr. Bergsträsser: Es ist vielleicht mehr das Übergewicht des abendländischen Kulein mir nicht ganz sympathisches Wort. So ungefähr ist es doch. turkreises, Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Praktisch steht man vor einer Schwierigkeit. Der Gesetzgeber kann sich praktisch einer solchen Verpflichtung gar nicht entziehen, nur sagen kann man es nicht. Dr. Bergsträsser: Ich möchte, daß mit diesem Artikel bestehende Ungleichheiten beseitigt werden. Niemand will, daß sinnlose Ungleichheiten eingeführt werden. Der Schutz der „männlichen Mutterschaft" ist doch eine Sinnlosigkeit. Frau Dr. Weber: Werden mit dem Satz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", alle Gesetze gemeint oder nur gewisse Gesetze, die auf diesen Grundrechten fußen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dies ist eine Anrufung des Gesetzgebers auch über den Art. 1 darin liegt die Schwierigkeit —, alle Menschen, gleichgültig, wie sie aussehen, was sie tun usw., grundsätzlich gleich zu behandeln. Frau Dr. Weber: In jeder Beziehung? Ich dachte, nur in den Fällen, in denen die von uns aufgestellten klassischen Grundrechte betroffen sind. Dr. Bergsträsser: Das ist eine ganz allgemeine Anweisung. Frau Dr. Weber: Dann darf ich ruhig sagen: Alle Menschen sind nicht gleich, auch die Männer untereinander nicht, die Frauen untereinander nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Denken wir zum Beispiel an Kinder, die geistig minderbemittelt sind und auf Grund des Gesetzes in eine Hilfsschule geschickt wer—



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den. Diese Kinder werden durch das Gesetz ungleich behandelt. Das würde nicht mehr gehen, wenn wir diesen Satz drin stehen haben. Auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen ist zugelassen, eine Sonderschule für minderbegabte Kinder, eine Hilfsschule einzurichten. Wenn man es so allgemein faßt, würde das nicht mehr möglich sein. Wenn man nachdenkt, kommt man zu einer ganzen Fülle von Beispielen, in denen eine so allgemeine Anweisung an den Gesetzgeber nicht möglich ist. Frau Dr. Weber: Hat der Gleichheitssatz in der Weimarer Verfassung gestanden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Gleichheitssatz hat in der Weimarer Verfassung bestanden53). Nur ist die Ausdeutung, daß er eine Weisung an den Gesetzgeber ist, erst durch die Rechtsprechung hereingekommen. Das hat dazu geführt, daß er in der Rechtsprechung vorsichtiger ausgelegt worden ist. Frau Dr. Weber: Ich muß sagen, auch bei den Männern ist keine Gleichheit vorhanden. Von dem Unterschied zwischen Männern und Frauen will ich gar nicht sprechen. Es müßte nur eine Formulierung gefunden werden, die zum Ausdruck bringt, daß die Frauen nicht minderen Rechts sind. Das will ich unter keinen Umständen. Mayr: Die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts werden dadurch nicht berührt, zum Beispiel die Schlüsselgewalt der Ehefrau und die ehemännliche Zustimmung hinsichtlich des eingebrachten Guts der Frau usw. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn es heißt: Allen Menschen sind gleich, und dies eine Anweisung an den Gesetzgeber ist, sind solche Bestimmungen nicht mehr haltbar. Mayr: Dann würden wir doch gewisse Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches aufheben. Dr. Bergsträsser: Es heißt doch: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Sie sind nicht nach dem Gesetz gleich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir gehen hier schon einen Schritt weiter und sagen, diese Norm bindet auch den Gesetzgeber. Wenn ein Gesetz einmal erlassen ist, sind im Sinne dieses Gesetzes alle Menschen gleich zu behandeln. Nun kommt aber der Grundsatz, daß dieser Satz auch den Gesetzgeber bindet. Daraus könnte man herleiten, der Gesetzgeber kann keine Gesetze machen, in denen er Menschen ungleich behandelt. In der Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz liegt die Schwierigkeit. Frau Nadig: Ich darf auf die Fassung der UN54) verweisen, wo es heißt: „Alle sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Recht auf gleichen Rechtsschutz gegen jegliche, die vorliegende Erklärung verletzende Diskrimination und gegen jede Herausforderang zu einer solchen Diskrimination." Vielleicht kann man es mit dieser Ergänzung erreichen. Es ist ein bißchen lang. Es wird aber das unterstrichen, was wir wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Vereinten Nationen können sich das leisten, weil sie nur Programmsätze aufstellen und weil der Gesetzgeber dadurch nicht gebunden wird. 53) Art. 109 WRV. 54) Dok. Nr. 10. 742

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Sie haben es wahrscheinlich im Redaktionsausschuß geprüft? Dr. Dehler: Wir haben uns schon Gedanken gemacht, nämlich über die Konsequenz, daß unser bürgerliches Recht nicht mehr haltbar ist. Es müßte eine gewisse Frist bestimmt werden, innerhalb deren das bürgerliche Recht zu ändern ist. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Über diese Konsequenz muß man sich völlig klar sein. Frau Dr. Weber: Aber der Redaktionsausschuß hat doch auch den Satz von der

Ungleichheit hereingebracht. Dr. Dehler: Ja, das halten wir für richtig, und zwar als Weisung an den Gesetzgeber, wie Herr Dr. v. Mangoldt sagt. Frau Dr. Weber: Ich stelle mich auch hinter diesen Satz. Aber er gilt ebenso für die Männer, auch unter Männer besteht Ungleiches. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Gesetzgeber ist durch Art. 1 an den Satz gebunden: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Ich würde nun einen zweiten Satz für den Gesetzgeber einfügen, daß er Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln kann. Dabei muß nach meiner Anschauung ich bitte, das zu überlewieder die Ausnahme daß was unter die Grundwerden, alles, gemacht gen rechte fällt, dem Sinne nach zu den Grundrechten, den Freiheitsrechten gehört, nicht verschieden behandelt werden kann. Bei der Würde des Menschen und bei der menschlichen Freiheit kann es nach meiner Anschauung keine Unterschiede geben. Es ist undenkbar, daß hinsichtlich der Freiheit für den Gesetzgeber die Möglichkeit besteht, etwas ungleich zu behandeln. Niemand kann als —



Sklave behandelt werden. Niemand kann Beschränkungen etwa hinsichtlich der unterworfen werden. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit muß allen Menschen in vollkommen gleicher Weise gesichert werden. Das Recht zu klagen muß ohne Rücksicht auf die Persönlichkeit gelten. Der Minderjährige kann auch klagen, er klagt zwar nicht selber, aber vertreten durch einen anderen. Aber zum Beispiel die Sonderbehandlung des Minderjährigen durch Gesetz wäre nicht zu halten, wenn wir nicht diese Bestimmungen für den Gesetzgeber hätten. Der Gesetzgeber kann Verschiedenartiges verschieden, entsprechend seiner Eidenken wir an das genart behandeln. Die Gesetze zum Schutz der Jugend Filmwesen wären nicht möglich, wenn man nicht die Einschränkung für den Gesetzgeber hätte. Die Freiheit der Person ist, glaube ich, ohne weiteres ein „minimum standard". Der Satz, daß niemand willkürlich festgenommen werden darf, gilt für jeden, auch für den Irren. Da ist es nicht mehr willkürlich, sondern es ist zum Schutz der Persönlichkeit. Da ist eine Verschiedenheit schon in der Person vorhanden. Die besonderen Gesetze, die für den Geisteskranken gemacht werden, sind auch nur über diese Anweisung an den Gesetzgeber zu halten, daß er Verschiedenartiges seiner Eigenart entsprechend behandeln kann. Dr. Bergsträsser: Kann der Gesetzgeber daraus nicht folgern, daß zum Beispiel ein Kind, das von einem Neger und einer Deutschen stammt, verschiedenartig

Verhaftung





sei? Dr. Dehler: Das ist die Ausnahme, daß niemand wegen seiner Rasse benachteiligt werden darf. '

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade aus diesem Grunde müssen wir unter allen Umständen diesen „minimum standard of free society" festhalten. Dieser „minimum standard" liegt in den Grundrechten. Ich würde sagen: absolutes Verbot der ungleichen Behandlung hinsichtlich der Grundrechte. Wir müssen nur einmal überprüfen, ob es praktisch geht. Bei Art. 2 ist es klar. Bei der Auslieferung und bei der Freizügigkeit ist es auch klar. Die Freizügigkeit kann aus irgendeinem Grande, der in der Ungleichheit der Person liegt, nicht beschränkt werden. Bei der Unverletzlichkeit der Wohnung und bei der freien Berufswahl ist es auch klar. Es ist weiter klar bei der Religionsausübung, bei der Meinungsäußerung, bei dem Post- und Briefgeheimnis, bei der Kunst und Wissenschaft, beim Versammlungsrecht, bei der Vereinigungsfreiheit. Beim Wahlrecht haben wir schon die Beschränkung, daß die Wahlberechtigung durch Gesetz festgelegt wird. Es ist auch klar, daß da kein Unterschied gemacht werden kann. Bei den Ämtern, beim Petitionsrecht, beim Eigentum ist es klar. Das ist ein Mindestmaß an Rechten, das allen unbedingt gewährleistet werden muß. Es kommt jetzt auf die Formulierung an. Wenn Einverständnis besteht, würde ich vorschlagen, an den ersten Satz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", einen zweiten Satz anzufügen. Dr. Dehler: Dieser müßte lauten: Jedoch muß der Gesetzgeber Ungleiches nach seiner Eigenart behandeln. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sollen wir den Gesetzgeber da hineinbringen oder einfach sagen: das Gesetz? Wir können einfach sagen: das Gesetz. Wir würden sagen: Jedoch kann das Gesetz usw. Dr. Bergsträsser: Dann ist es vielleicht besser, den Satz des Redaktionsausschusses wieder aufzunehmen und zu sagen: Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das genügt nicht. Man müßte vielmehr sagen: Das Gesetz muß jeden im Sinne dieser Grundrechtsartikel als gleich behandeln. Das ist der „minimum standard". Oder man müßte sagen: Das Gesetz muß jeden, sodas ist weit die Rechte aus diesen Grundrechtsartikeln in Frage kommen sehr ins Unreine gedacht kann aber im behandeln, gleich übrigen jeden nach seiner Eigenart behandeln. Dr. Bergsträsser: Wenn es heißt, jeder kann nach seiner Eigenart behandelt —



so können für jede Ungleichartigkeit wieder spitzfindige Gründe gefunden werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Sicherung ist in den Grundrechten drin. Was die persönliche Freiheit usw. betrifft, so muß jeder gleich behandelt werden. Frau Nadig: Ich fürchte, daß man auf Grund des Zusatzes: „verschieden behandeln" doch wieder eine ganze Reihe von Ausnahmebestimmungen gegen die Frau bekommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde ich vorschlagen, für die Frau einen besonderen Absatz hineinzubringen. Dr. Bergsträsser: Wir hatten doch den Abs. 3: Niemand darf wegen seines Geschlechts usw. bevorrechtigt oder benachteiligt werden. Frau Dr. Weber: Darin ist es enthalten.

werden,

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Dr. Dehler: Ich wollte dasselbe sagen. Die Möglichkeit der verschiedenartigen Behandlung sollte durch Abs. 3 wieder eingeschränkt werden. Frau Nadig: Man müßte vorher im zweiten Absatz noch sagen: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Frau Dr. Weber: Wenn wir sagen: Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich,

ist es darin enthalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diesen Satz könnte man noch dadurch ausgestalten, daß man etwa sagt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Dann könnte man im dritten Absatz das Geschlecht weglassen. Dr. Bergsträsser: Ich glaube, das Geschlecht im dritten Absatz ist eine gute Siso

cherung. Frau Dr. Weber: Ich möchte es auch drin lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann braucht man es im zweiten Absatz nicht. Dr. Bergsträsser: Ich insistiere bei den Frauen so, weil die Verwaltung, wenn sie sich vor einem sogenannten Notstand befindet, die Frauen sozusagen immer in die Ecke schmeißt. Wenn gekündigt werden soll, werden die Frauen gekündigt. Wenn zu den Universitäten nicht zugelassen werden soll, werden die Mädchen ausgeschlossen. In Hessen habe ich mühsam erreicht, daß das nicht getan wird, und habe den Spaß gehabt, daß der Dekan einer Fakultät in Frankfurt allen Mädchen gesagt hat: Das verdanken Sie nur der SPD. Frau Nadig: Das kann man noch durch Bestimmungen des Beamtenrechts ergänzen. Auf diesem Gebiet gibt es eine ganze Reihe von Ausnahmebestimmun-

gen gegen die Frauen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich sehe in Abs. 1 Satz 2 immer noch die Klippe hinsichtlich des Gesetzgebers. Es wird leichter sein, sich über die Frage der Frauen zu einigen, als darüber, wie der Gleichheitssatz auf den Gesetzgeber anwendbar gemacht wird. Man könnte vielleicht sagen: Das Gesetz muß, soweit die Grundrechte betroffen werden, alle Personen gleich behandeln. Dr. Bergsträsser: Wenn die Grundrechte besonders hervorgehoben werden,

kann der Gesetzgeber folgern, das bezieht sich nur auf die Grundrechte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dieser „minimum standard" muß irgendwie hereinkommen, weil er unverzichtbar ist. Wenn wir nur sagen, daß der Gesetzgeber Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln kann, kann der Gesetzgeber auf den Gedanken kommen, daß er auch hinsichtlich dieser Grundrechte Verschiedenes verschieden behandeln kann. Man könnte vielleicht so sagen: Der Gesetzgeber kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln, mit Ausnahme der Rechte aus den Grundrechten. Das ist sehr ins Unreine gedacht. Dr. Bergsträsser: Das wollte ich soeben auch sagen. Frau Dr. Weber: Das ist das, was wir meinen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Rechte aus dem Grundrechtskatalog bilden die unüberschreitbare Grenze für die verschiedene Behandlung. Wenn man sagt, wie wir es in unseren bisherigen Artikeln hatten: Dieses Recht findet seine Grenze usw., so steckt dahinter auch wieder die Möglichkeit der ungleichen Behandlung. Dr. Bergsträsser: Es wäre diskutabel, zu sagen: Die Vollmacht für den Gesetzgeber in bezug auf die Ungleichheit findet ihre Grenze an dem Grundrechtskata-

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde hinter dem Satz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" fortfahren: Das Gesetz kann jedoch Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Den Satz: „Das Gesetz muß Gleiches gleich behandeln", würde ich weglassen, weil das schon vorn drin steht. Es ist wohl nicht richtig, zu sagen: Verschiedenes. Es handelt sich hier um die Gleichheit der Person.

(Dr. Dehler: Es können verschiedene Lebenslagen sein.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber immer bezogen auf die Person. Dr. Bergsträsser: Das Wort „Verschiedenes" ist so quabbelig. Kann man dafür nicht ein besseres Wort finden? Gemeint ist doch das natürlich Ungleiche. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht können wir sagen: bei vorhandener Ungleichheit. Wunderlich: Das geht wieder zu weit. Man kann damit schon wieder Ungleichheiten zwischen arm und reich usw. herauslesen. Der Herr Kollege Dr. Bergsträsser hat schon Recht; das Richtige ist: von Natur ungleich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eigentlich werden die Personen verschieden behandelt, nicht das Ungleiche. Das Ungleiche wird bei den Personen berücksichtigt. Die Personen werden ungleich behandelt, weil in der Situation, in der sie sich befinden, eine natürliche Verschiedenheit liegt. Dr. Dehler: Der Begriff der natürlichen Verschiedenheit ist unklar. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte sagen: Jedoch gilt das nicht, soweit die Grundrechte in Frage stehen. Das wäre der Schlußsatz. Jetzt fehlt nur der Mittelsatz. Dr. Bergsträsser: Wir können von naturbedingter Verschiedenheit und naturbedingter Eigenart der einzelnen Personen sprechen. Es handelt sich hauptsächlich um die physischen Unterschiede der Menschen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nicht nur um das, sondern auch um die Verschiedenheit der Situation in der Umwelt. Die Personen, die verschiedene Berufe haben, werden vom Gesetzgeber vollkommen verschieden behandelt. Der Ausdruck „naturbedingt" paßt auch nicht. Man muß einfach von Verschiedenheit der Situationen sprechen. Dr. Bergsträsser: Dann ist eigentlich der Satz des Redaktionsausschusses das Beste. Dann ist der Gegensatz zwischen Gleiches gleich und Verschiedenes nach seiner Eigenart erläutert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen zunächst im ersten Satz sagen: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Durch Art. 1 ist die Weisung an den Gesetzgeber gegeben, daß er diesen Satz zu beachten hat. Wenn wir dann sagen würden: „Das Gesetz muß Gleiches gleich behandeln", so ist das eine Wiederholung des ersten Satzes. (Dr. Bergsträsser: Schadet das etwas?) Der Absatz wird nur unnötig lang. Dr. Bergsträsser: Ich würde so sagen: Das Gesetz muß Gleiches gleich, kann aber Verschiedenes verschieden behandeln. Zwischen „vor dem Gesetz gleich" und „im Gesetz gleich" ist doch noch ein Unterschied. Wenn es heißt: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, müßte umso mehr gesagt werden, daß der Gesetzgeber in einem Gesetz, das er schafft, alle Menschen als gleich zu —

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behandeln hat, mit der Ausnahme, daß er Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln darf. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist nicht richtig. Der Gesetzgeber muß nicht Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln; er kann es. (Dr. Bergsträsser: Das hatte ich gesagt.) Die Formulierung geht so nicht. Es müßte heißen: Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich behandeln, er kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Das klingt auch wieder nicht, das ist irgendwie doppelt. (Dr. Bergsträsser: Das geht doch sehr gut.) Dann müßte man sagen: Jedoch gilt das nicht, soweit die Grundrechte in Frage stehen. Wir wollen es zunächst einmal so lassen. Frau Nadig: Kann man da nicht zusetzen: Männer und Frauen sind gleich? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das müßte in einen zweiten Absatz. Wir sprechen hier von dem ersten Absatz. Dr. Dehler: An sich ist der Grundgedanke: Suum cuique. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Können wir das nicht sagen: Das Gesetz soll jedem das Seine gewähren? Frau Dr. Weber: Das klingt so allgemein. Für die Verfassung paßt es nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für den letzten Satz von Abs. 1 müssen wir noch eine andere Formulierung finden. Zunächst haben wir gesagt: Jedoch gilt das nicht, soweit die Grundrechte in Frage stehen. Mayr: Vielleicht kann man sagen: soweit die Grundrechte nicht entgegenstehen.

(Frau Nadig: Ja.) v. Mangoldt]: Nein, das soll nicht gesagt werden. Wunderlich: Das ist nicht präzise. Es soll nicht gesagt werden: soweit die Grundrechte nicht entgegenstehen, sondern: die Grundrechte dürfen überhaupt nicht berührt werden. Das ist weitergehend. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann könnten wir so sagen: Jedoch dürfen die Grundrechte nicht berührt oder: nicht angetastet werden. Wir würden damit in Abs. 1

Vors. [Dr.

sagen:

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. (Hiergegen erhebt sich kein Widerspruch.) In den Abs. 2 könnten wir die Männer und Frauen hineinnehmen. Es heißt: „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten." Frau Nadig: Nein, das wollen wir nicht hervorheben. Es ist besser, zu sagen: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Wunderlich: Ist es nicht eine dreifache Wiederholung? Frau Nadig: Das schadet nichts. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wollen Sie diese Vorschrift auf irgendwelche Rechte erstreckt sehen, die nicht staatsbürgerliche Rechte sind? An was denken Sie? Frau Nadig: Ich denke an das, was unbedingt kommen muß, an die Neugestaltung des Familienrechts, insbesondere die Stellung der Ehefrau. Die Gütertren747

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nung, die wir an Stelle der ehelichen Gütergemeinschaft bekommen müssen, ist ein Punkt, der uns wichtiger scheint als das Elternrecht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darin sehen Sie große Schwierigkeiten, Herr Dr. Deh-

ler?

Dr. Dehler: Dann ist das Bürgerliche Gesetzbuch verfassungswidrig. Frau Nadig: In den Übergangsbestimmungen muß eine Regelung bis

zur

Neuge-

staltung des Familienrechts getroffen werden. Dehler: Ich würde es für richtig halten, es so zu lassen, wie Sie, Herr Vorsitzender, es zuerst formuliert haben, vielleicht mit der Einschränkung: Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden Sie im Schlußsatz noch einmal sagen: Niemand darf seines Geschlechtes usw. wegen benachteiligt oder bevorzugt werden? Das haben Sie ja auch drin? (Dr. Dehler: Ja.) Dann müßte man in den Übergangsvorschriften sagen, daß der Abs. 3 nach manchen Richtungen hin noch auszusetzen ist. Frau Dr. Weber: In dem Satz: Niemand darf seines Geschlechtes usw. wegen benachteiligt oder bevorzugt werden, ist doch schon enthalten, daß die betreffenden Bestimmungen geändert werden müssen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist darin enthalten. Den Frauen kam es besonders auf die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten an, worin sie zurückgesetzt waren. Darunter würde zum Beispiel auch das Recht der Beamtin fallen. Die übrigen Dinge des bürgerlichen Rechts, die unabsehbar sind, würden unter Abs. 3 fallen. Es wäre ein Fortschritt, wenn Sie sich damit einverstanden erklären.

Dr. Dehler: Es ist eine Bindung. Das Doppelverdienertum könnte gesetzgeberisch in sozialen Krisen nicht unterbunden werden. Das kann auch wieder un-

billig

sein. Frau Nadig: Das ist richtig, wenn man es so betrachtet. In der Praxis haben sich diese Dinge aber immer gegen die Frau ausgewirkt. Ich habe unendlich viele Zuschriften bekommen, nach welchen man gerade den Satz der Weimarer Verfassung, daß die Frauen grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben, als ein besonderes Hindernis empfunden hat. Man hat gesagt: Grundsätzlich, und wir legen das Gesetz so aus, wie wir denken55). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zum Beispiel bei dem Doppelverdienertum tritt eine

große Zweifelsfrage auf. Frau Nadig: Es ist häufig so, daß die Frau mehr verdient als der Ehemann. Besonders bei den selbständigen Berufen kann das vorkommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann sich nur schlecht vorstellen, daß der Mann, wenn eine Ehe mit Kindern vorhanden ist, die Kinder besorgen soll.

') Korrigiert aus.und wir machen 748

es

so, wie wir

denken."

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Dr. Bergsträsser: Das geht doch den Gesetzgeber nichts an. Wenn er grundsätzlich festsetzt, daß eine gleiche Behandlung erfolgen muß, kann es kein Gesetz gegen das Doppelverdienertum geben. Damit wird eine Möglichkeit verbaut, die nicht verbaut werden sollte. Es kann Gesetze gegen das Doppelverdienen geben. Man muß sie nur richtig anwenden, indem man die Wahl läßt, wer aus dem Beruf ausscheidet. So habe ich es gemacht, als bei uns im August die Verordnung gegen die Doppelverdiener herauskam56). Ich habe gesagt: Wenn bei uns jemand ist, dessen Ehepartner ebenfalls verdient, sollen sie vor die Wahl gestellt werden, wer ausscheidet. Aber die Frau soll nicht mechanisch ausgeschlossen werden. Frau Dr. Weber: Wir dürfen ruhig sagen, daß es unerfreulich ist, wenn die Frau aus der Familie ausscheidet und wenn der Mann zu Hause bleibt und die Kinder sowie die Frau besorgt. Ich trete dafür ein, daß die Frau für das Familienleben frei wird. Dr. Bergsträsser: Heute gibt es doch sonderbare Fälle, in denen ein Mann sehr wenig und eine Frau sehr viel verdient, in denen eine Familie mit Kindern in die Notlage käme, daß sie ihren Lebensstandard stark reduzieren muß und vielleicht überhaupt nicht aufrechterhalten kann, wenn die Frau den Verdienst nicht behält. Frau Dr. Weber: Es gibt eben heute solche Fälle, in denen wir aufs tiefste bedauern, daß man die Männer nicht besser einstellt, in denen kleine Kinder da sind, die von der Frau gepflegt werden müßten, in denen Hausangestellte und Hilfskräfte nicht zu bekommen sind und in denen es jammervoll ist, daß die Frau zu Ungunsten der Familie und der Kinder berufstätig sein muß. Ich kann diese Entwicklung weder für die Frau noch für den Mann noch für die Kinder gut finden. Das sind unheimliche Zustände, die wir gern ändern möchten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es handelt sich darum, ob wir den Abs. 2 in der Form: „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten", in dieser Form belassen und in Abs. 3 sagen können: „Niemand darf seines Geschlechtes wegen benachteiligt oder bevorzugt werden." Mit diesem Abs. 3 wären wir schon reichlich weit gegangen. Diese Gleichheit der staatsbürgerlichen Rechte hat sich ja in Europa durchaus noch nicht überall durchgesetzt. In der Schweiz kann die Frau immer noch nicht wählen. Wir würden in dieser Richtung schon weit voraus sein und wir würden gerade nach dieser Richtung das betonen, was bisher umstritten gewesen ist. Frau Nadig: Eigentlich sagt der Satz nichts anderes als das, was wir bereits haben: Wir sind staatsbürgerlich gleichberechtigt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist doch wesentlich, diesen Satz, der ein Menschenund Freiheitsrecht ist, verfassungsmäßig sicherzustellen, damit in diesen Satz durch das Gesetz nicht mehr eingegriffen werden kann. Das ist der Fortschritt. .

.

.

56) Eine VO in Hessen gegen Doppelverdiener ließ sich für die infrage kommende Zeit nicht ermitteln, sie dürfte auch nicht erlassen worden sein. Vgl. den Aufsatz des Präs. des Landesarbeitsgerichts Hessen, Dr. Müller, über Doppelverdiener in: Sozial- und Arbeitsrecht, hrsg. vom Institut für Arbeitswissenschaft Dr. Dressel in Idstein, Kurzbrief Nr. 12/48 (Hessisches HStA Wiesbaden Abt. 634, Nr. 72). 749

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umkämpft worden ist und der nun verfassungsrechtdaß auch der Gesetzgeber keine Gesetze erlassen kann, lich gesichert wird, so die in denen staatsbürgerlichen Rechte der Frau gegenüber denjenigen des Mannes irgendwie geringer behandelt werden. Dr. Bergsträsser: In Abs. 2 steht noch: „seiner Heimat und Herkunft". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist durch Herrn Dr. Mücke hineingekommen57). Dr. Dehler: Es ist schon die soziale Herkunft. Es war eine Anregung von Thoma58). Wir haben überlegt, daß auch niemand wegen seiner sozialen Lage benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Wir haben es mit „Heimat und Herkunft" umschrieben und besonders an die Vertriebenen gedacht. Dr. Bergsträsser: Es ist vielleicht wegen der Flüchtlinge ganz gut, das hineinzunehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sollen wir nicht zuerst sagen: seines Glaubens? Dr. Bergsträsser: Dann trennen Sie die natürlichen Dinge. Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft sind die äußeren Dinge, das andere sind die inneren Dinge. Sie können es auch ganz umstellen, indem Sie den Glauben sowie die religiösen und politischen Anschauungen vorn bringen. Das ist mir auch recht. Nur der Duktus darf nicht zerrissen werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Redaktionsausschuß hat die Worte „seines Glaubens" ausgelassen. Man sollte es ruhig drin lassen. Dr. Bergsträsser: Ich habe nichts dagegen, es drin zu lassen. Wunderlich: Der Redaktionsausschuß wollte es nicht doppelt aufführen. Aber ich habe keine Bedenken dagegen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Abs. 3 würde dann lauten: Niemand darf seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. Es ist ein Satz, der einmal

(Zustimmung.)

Damit haben wir den Art. 19 erledigt. Dr. Bergsträsser: Der Glauben ist den religiösen Anschauungen nahe. Vielleicht ist es richtig, zu sagen: Konfession. Die Konfession schließt die Äußerungen des Glaubens ein. Es ist das Sichtbare am Glauben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also: seines Bekenntnisses? Dr.

Bergsträsser: Ja.

(Frau Dr. Weber: Das ist besser.) Ich bestehe gerade in diesen Dingen auf der absoluten Toleranz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Unter Glauben wird hier auch das Bekenntnis verstanden. Dr. Bergsträsser: Dann ist es mir recht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eine ungleiche Behandlung würde sich erst aus dem Bekenntnis herleiten können. Anders wird der Glaube nicht offenkundig. Der Redaktionsausschuß hat vorgeschlagen, diesen Gleichheitsartikel unmittelbar hinter den allgemeinen Freiheitsartikel zu setzen. 57) Eingabe Mücke vgl. Dok. Nr. 24, Anm. 58) Dok. Nr. 18. 750

30.

Sechsundzwanzigste Sitzung Dr.

Bergsträsser: Das

30.

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Nr. 33

ist der Wunsch der SPD-Fraktion.

(Dr. Dehler: Es ist der Thoma'sche Gedanke.)

v. Mangoldt]: Die allgemeine Freiheit müßte wohl davor stehen. Für Staatswesen ist nicht nur die reine Gleichheit kennzeichnend. Die reine Gleichheit kann stark zur Massendemokratie führen und würde gerade den Grundsatz, den wir nach einer Zeit der Unterjochung der Freiheit glauben betonen zu müssen, in den Hintergrund drängen. (Dr. Bergsträsser: Die allgemeine gleiche Unfreiheit!) Die allgemeine gleiche Unfreiheit. Das ist die Gefahr. Deshalb müssen wir die Freiheit unbedingt vorher bringen. Darin ist auch ein gewisser Duktus. Es ist mir nur zweifelhaft, ob man das nicht hinter Art. 3 setzen müßte. Wir haben in Art. 2 das Recht auf Leben, auf Freiheit, auf Sicherheit der Person, auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit usw., wir haben in Art. 3 die Freiheit der Person. Das sind zwei Freiheitsartikel. Bestehen Bedenken, unseren Artikel als Art. 3a dahinter zu bringen?

Vors. [Dr.

unser



(Wird verneint.) Ich darf noch einmal die verschiedenen Eingaben zu diesem Artikel durchgehen. Der schon erwähnte Studienrat59) hat gesagt, das Wort „dieselben" in Abs. 2 sei in guter deutscher Sprache abzuweisen, es könnten hier nur die gleichen Rechte gemeint sein. Das Wort „gleichen" ist besser. Wenn Sie einverstanden sind, ändern wir unsere Fassung entsprechend.

(Zustimmung.) Bei den Vereinten Nationen60) heißt es in Art. 2: „Jede Person ohne irgendwelchen Unterschied, sei es der Rasse, der Farbe, des Geschlechts, der Sprache ..." Hier ist noch die Frage des Minderheitenschutzes. Müssen wir das nicht noch hineinsetzen? Dr. Dehler: In „Heimat" ist es etwas eingeschlossen. Wunderlich: „Der Sprache" geht mir zu weit. Dr. Bergsträsser: Es kommt die dänische Minderheit in Betracht, dann die

Wenden61). Frau Dr. Weber: Eines Tages können wieder Polen bei uns sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist schon richtig, das aufzunehmen. Wir fügen also in unserer Fassung ein: „seiner Sprache" und sagen: „Niemand darf seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft. wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. In Art. 2 der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen heißt es dann weiter: der politischen oder sonstigen Meinung, des Vermögens oder .

„.

.

..

sonstigen Standes, des nationalen oder sozialen Ursprungs, kann sich auf alle

in der vorliegenden Erklärung proklamierten Rechte und Freiheiten berufen." Herr Dr. Mücke hat noch einen Vorschlag dazu62). Hinter „seiner Rasse" soll eingefügt werden: „seiner Zugehörigkeit zu einer Landsmannschaft". Das betrifft aber Heimat und Herkunft.

59) 60) 61) 62)

Vgl.

Dok. Nr. 33, Anm. 33. Dok. Nr. 10.

Folgt gestrichen: „die irgendwo in Sachsen wohnen." Vorschlag Dr. Mücke vgl. Dok. Nr. 24, Anm. 30. 751

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folgenden Satz drin: „Männer, Frauen und Jugendliche erhalten für gleiche Arbeit den gleichen Lohn." Das ist das, was hier unter dem Gleichheitssatz drin steht. dem Frau Nadig: Noch weiter geht die SED64). Es heißt dort: „Die Frau ist Mann gleichgestellt. Alle gesetzlichen Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben. Für gleiche Arbeit hat die Frau das Recht auf gleiche Entlohnung wie der Mann. Die Frau genießt besonderen Schutz im Arbeitsverhältnis." Mayr: Die bayerische Verfassung enthält die Bestimmung, daß die Frau bei gleicher Arbeit gleichen Lohn wie der Mann bekommt65). (Dr. Bergsträsser: Die hessische Verfassung auch.)66). Was ich soeben gesagt habe, ist in dem Satz: „Niemand darf seines Geschlechtes wegen benachteiligt oder bevorzugt werden", enthalten. (Frau Dr. Weber: Die Gleichheit des Lohns brauchen wir dann nicht?) Nein, das ist in Abs. 3 enthalten. Frau Dr. Weber: Ich wollte den Antrag stellen, aufzunehmen: „Männer und Frauen stehen in der Wahl und Ausübung ihres Berufes gleich. Verrichten sie gleiche Arbeit, so haben sie Anspruch auf gleiche Entlohnung." Wenn Sie sagen, daß es enthalten sei, ist es gut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist enthalten. (Dr. Bergsträsser: Bei minderer Entlohnung wäre sie geschädigt.) Dr. Dehler: Es ist kaum enthalten, weil die Bestimmung sich an den Gesetzgeber wendet, nicht an den Dienstherrn. Das bedeutet nicht, daß die Frau, die das gleiche leistet wie der Mann und schlechter besoldet wird als der Mann, gegen den Dienstherrn eine Klage auf gleichen Lohn erheben kann. Nur insoweit der Gesetzgeber die Dienstverhältnisse regelt, darf er die Frau nicht benachteiligen. Frau Dr. Weber: Meine Fraktion hat mir erlaubt, den Antrag einzubringen67). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist drin enthalten. Frau Dr. Weber: Ich möchte bitten, daß es zu Protokoll genommen wird. Dr. Bergsträsser: Ein neuer Tarifvertrag dürfte es nicht enthalten? Dr. Dehler: Nein. Ein neuer Tarifvertrag, der von irgendeiner staatlichen Stelle sanktioniert wird, dürfte die Frauenarbeit nicht schlechter als die Männerarbeit bewerten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nach dieser Bestimmung nicht. Frau Dr. Weber: Ich möchte nur bitten, es zu Protokoll zu nehmen, damit es festgehalten wird. Das ist wichtig. Wir haben viele Briefe bekommen68). Wir werden viel bedrängt und müssen Antwort geben. Es kann festgestellt werden, daß wir den Antrag eingebracht haben und daß in der Diskussion erklärt wurDie Kommunisten63) haben

...

...



63) Dok. Nr. 12. 64) Vgl. Art. 26 des Entwurfs der SED einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Re65) 6B) 67) 68) 752

publik vom 14. Nov. 1946. Abdr. bei W. Benz: Zur Geschichte des Grundgesetzes, S. 455. Art. 168 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dez. 1946. Art. 33 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946. Vgl. Anm. 48. Vgl. die Eingaben an den Ausschuß in: Z 5/107-115.

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de, der Antrag braucht nicht mehr angenommen zu werden, weil er durch Abs. 2 und 3 dieses Artikels erledigt ist. Frau Nadig: Ich glaube nicht, daß es stimmt. Das betrifft dann nur diejenigen, die im öffentlichen Dienstverhältnis stehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein. Frau Nadig: Alle Tarifverträge brauchen doch nicht von einer staatlichen Stelle genehmigt zu werden. Die Verbindlichkeitserklärung ist doch nicht staatlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Verbindlichkeitserklärung ist immer staatlich. Nur könnte eventuell ein Unternehmer einen verschiedenen Lohn gewähren. Es besteht die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag mit verschiedenem Lohn abzuschließen. Genau so gut wie der Unternehmer Leute zu verschiedenen Tarifen annehmen kann, kann er beim Abschluß eines Vertrages mit einer Frau weniger an Lohn vereinbaren als mit einem anderen. Dr. Dehler: Das Ganze hat unabsehbare Konsequenzen. In Tarifverträgen wer-

den oft Kinderreiche bevorzugt. Auch ältere Angestellte und Arbeiter werden Das alles wäre gefährdet, wenn man feststellt, Männer und Frauen haben ohne weiteres die gleichen Rechte. Das müßte man schon mit einem Sozialrechtler einmal durchsprechen. Frau Dr. Weber: Dieser Satz steht so in der Verfassung von Südbaden69) und von Württemberg-Baden70). Ich habe ihn mit Juristen durchgesprochen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen einmal überprüfen, ob unser Satz: „Niemand darf seines Geschlechtes wegen benachteiligt oder bevorzugt werden", haltbar ist. Ist dadurch nun jeder Unternehmer gebunden, gleichen Lohn bei gleicher Beschäftigung zu zahlen? Frau Dr. Weber: Hier heißt es: „Verrichten sie gleiche Arbeit, so haben sie Anspruch auf gleiche Entlohnung." Frau Nadig: Herr Dr. Dehler hat soeben schon ausgeführt, unsere Fassung richtet sich an den Gesetzgeber. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nicht nur an den Gesetzgeber, sie bindet ebenso Verwaltung und Rechtsprechung. Das steht in Art. 1. Dr. Bergsträsser: Die Bindung der Verwaltung würde in diesem Falle bedeuten, daß ein neuer Tarifvertrag, wenn er ungleichen Lohn enthält, von der Verwaltung nicht mehr sanktioniert werden kann.

begünstigt.

.

Vors. [Dr.

v.

.

.

Mangoldt]: Ja.

Mayr: Beziehungsweise

eine Frau kann beim Arbeitsgericht darauf klagen, daß sie gleichen Lohn wie der Mann bekommt, der in der gleichen Firma die gleiche Arbeit verrichtet. Wunderlich: Das Gericht hat dann zu entscheiden, ob die gleichen Bedingungen

vorliegen.

69) In der Verfassung des Landes Baden

vom 22. Mai 1947 hieß es in Art. 2: „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Es bestehen keine Vorrechte der Geburt, des Standes und des Geschlechts." 70) In der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946 hieß es in Art. 2: „Alle Menschen ohne Unterschied des Geschlechts und der Herkunft sind frei und gleich vor dem Gesetz".

753

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Dr. Dehler: Es gibt die soziale Privilegierung. Es ist häufig der Fall, daß der Verheiratete bevorzugt wird und einen höheren Lohn bekommt. Diesen dürfte er nicht mehr bekommen, wenn nur noch auf die Arbeitsleistung abgestellt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nach der Formulierung des Abs. 3 wieder nicht. Eine solche Fassung wäre gefährlicher als der Abs. 3. Der verheiratete Mann oder die verheiratete Frau, die einen Zuschlag bekommen, weil sie verheiratet sind, würden nicht unter Abs. 3 fallen. Die Zahlung eines Zuschlages würde möglich sein. Frau Dr. Weber: Es muß möglich sein, daß sowohl die Frau wie der Mann nach sozialen Gesichtspunkten bezahlt wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur die Frage, ob das unter Abs. 1 : „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" fallen würde, ob sie auf Grund dieser Bestimmung gleichen Lohn beanspruchen könnten. Das ist vielleicht zweifelhaft. Ich glaube aber, das würde keiner daraus herleiten. Auf Grund des von uns beigefügten Satzes: .kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln", würde die verschiedene Entlohnung wieder möglich sein. Das ist sogar die beste Lösung. Sie ist besser als die Lösung, die Frau Dr. Weber vorschlägt, weil sie die Möglichkeit läßt, Verschiedenartiges auch verschieden zu behandeln. Wir könnten wohl Hunderte von Beispielen bringen. Wir müßten eigentlich über einen solchen Satz tagelang sprechen. Wir müßten immer wieder an neuen Beispielen überprüfen, ob es geht. Das können wir nicht, weil wir in Zeitdruck sind. Ich glaube, wir lassen es. Frau Dr. Weber: Ich bitte nur, es in das Protokoll aufzunehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir dürfen damit den Art. 19 abschließen.

[h. Unantastbarkeit des Wesensgehalts der Grundrechte,

„Grundrechtsgarantie" (Art. 20)] Unser Art. 20 lautet bisher: Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet

werden. Thoma hat keine

Einwendungen. Der Studienrat, der uns so viel geholfen hat71), sagen: „Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetz ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf der eigentliche Sinn und Zweck der Grundrechte in keiner Weise eingeschränkt werden." Wunderlich: Unser Ausdruck „Wesensgehalt" gefällt mir noch besser. Dr. Dehler: Der Redaktionsausschuß hat die Fassung übernommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen dabei verbleiben. schlägt

vor,

zu

(Zustimmung.)

Zu Abs. 3 sagt der Redaktionsausschuß: „Die Verwaltung darf in den Rechtsbereich der Einzelnen und ihrer Verbände nur eingreifen, soweit die Rechtsord-

71) Vgl. Anm. 754

33.

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nung sie dazu ermächtigt." Das haben wir in unserem Vorbehalt des Gesetzes, in Art. 2 Abs. 3: „In diese Freiheit darf nur im Rahmen der Rechtsordnung eingegriffen werden." Das ist wohl das Gleiche. Daß der Rechtsweg offensteht, haben wir in Art. 2 Abs. 4. Insoweit sind wohl die Vorschläge des Redaktions-

ausschusses

berücksichtigt.

Wir wollten

nun noch in diesen Artikel folgendes aufnehmen: „Wer die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit oder der Vereinigungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf diese Grundrechte zu berufen." So heißt es im Herrenchiemseer Entwurf72). Wir müßten unseren bisherigen Satz als Abs. 1 lassen und müßten dies als einen zweiten Absatz anfügen. Wir dürften auf keinen Fall mehrere Artikel bringen, sondern müßten die generellen Vorschriften in einem Artikel zusammenfassen. Dr. Bergsträsser: In der hessischen Verfassung lautet die Vorschrift: „Auf das Recht der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinsfreiheit, sowie auf das Recht zur Verbreitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke kann sich nicht berufen, wer den verfassungsmäßigen Zustand angreift oder gefährdet. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet im Beschwerdeweg der Staatsgerichtshof73)." Vors. [Dr. v. Mangolt]: Ich würde doch eine Formulierung vorschlagen, wie sie der Art. 20 des Herrenchiemseer Entwurfs vorsieht. Das klingt prägnant. Es ist schlecht, zu sagen: „verwirkt damit das Recht, sich auf diese Grundrechte zu berufen." Man müßte sagen: Er verwirkt die Rechte, die ihm in dem Artikel verliehen sind. Das ist kurz und bündig.

(Zustimmung.)

nun noch einmal prüfen, welche Grundrechte dafür in Frage kommen. Ich würde nicht sagen: „Wer die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung .", sondern: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung usw. zum Kampfe ausnutzt. In Betracht kommt zunächst die Freiheit der Meinungsäußerung. Das Recht auf Leben, auf Freiheit und Sicherheit der Person sowie das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit kann man kaum gegen die demokratische Grundordnung ausnutzen, auch nicht die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person, ebenfalls nicht die Freizügigkeit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Freiheit der Berufswahl. Zweifelhaft ist es bei der Religionsfreiheit, der Glaubensfreiheit. Wunderlich: Jemand kann eine eigene Sekte gründen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist möglich, daß man die Religionsfreiheit zum Kampf gegen die Verfassung ausnutzt. Dr. Dehler: Zu denken ist an die Unterdrückung der Bibelforscher, denen man Staatsgefährlichkeit unterstellt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An sich ist es möglich, daß die Religionsfreiheit zum Kampf gegen die Verfassung ausgenutzt wird, vor allen Dingen wenn man darunter auch das weltanschauliche Bekenntnis versteht. Mit dem weltanschauli-

Wir müssen .

.

72) Art. 73) Art.

20 ChE, s. Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. 17 der Verfassung des Landes Hessen

vom

1. Dez. 1946.

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chen Bekenntnis kann man geradezu einen neuen Nazismus aufmachen. Es könnte eine neue Weltanschauung sein, die sich religiös tarnt und auf Grund dieser Tarnung nachher die Verfassung bekämpft. Wunderlich: Mathilde Ludendorff ist das beste Beispiel dafür. Vors, [Dr. v. Mangoldtl: Solche Möglichkeiten sind also gegeben.

(Frau Nadig: Deutschgläubigkeit.)

klingt schlecht, wenn man das hier hereinbringt. Mangoldtl: Wir könnten es vielleicht an den Anfang setzen und

Frau Dr. Weber: Es

Vors. [Dr. gen: Wer die Freiheit der v.

sa-

Meinungsäußerung einschließlich der Freiheit der Reoder die mißbraucht. Bekenntnisfreiheit ligionsübung Frau Dr. Weber: Dann kommt gleich das Wort Kulturkampf auf. (Dr. Bergsträsser: Daran habe ich auch gedacht.) Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dann sagen wir, wir verstehen es unter Freiheit der Meinungsäußerung, und wenn jemand es tarnt, fällt es unter Freiheit der Mei.

.

.

nungsäußerung. Frau Nadig: Das müßte dann aber im Protokoll festgehalten werden. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Da wir jetzt Presse, Rundfunk und Film darin haben,

müßten wir vielleicht sagen: Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit. Es ist aber wohl nicht notwendig, weil es unter Freiheit der Meinungsäußerung fällt. Wir können vielleicht die Pressefreiheit besonders anführen und auf den Artikel verweisen. Wir beginnen also so: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insWir haben dann noch die Versammbesondere die Pressefreiheit (Artikel 8) Das lungs- und Vereinigungsfreiheit. Briefgeheimnis kann man nicht ausnutzen. Das muß man absolut schützen. Dr. Bergsträsser: Dafür bin ich auch. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis muß man schützen. Die Kunst und die Wissenschaft müssen nicht hereinkommen. Aber die Lehrfreiheit muß hereinkommen. .

.

.

Dr. Bergsträsser: Ja. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Auch die Streikfreiheit kann

zum Kampf gegen die demokratische Grundordnung benutzt werden. Dr. Bergsträsser: Das liegt in der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit drin. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das liegt darin. Wie ist es mit der Wahlfreiheit? Dr. Bergsträsser: Die kann man nicht zum Kampf ausnutzen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das Recht auf ein Amt? Dr. Bergsträsser: Auch nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Eigentumsfreiheit kommt auch nicht in Frage. Dr. Bergsträsser: Doch. Wir haben gerade gesagt: Wer die Eigentumsfreiheit ausnutzt, um den Staat zu untergraben. Wir hatten vorhin von dem Mann ge-

74) Mathilde Ludendorff (1867—1966), Ehefrau von General Ludendorff, die eine völkische Sekte („Deutschglaube", „Deutsche Gotterkenntnis") schuf, die aggressiv den „Kampf dem

Judentum,

Freimaurerei und Christentum" verfocht. Nach 1945 gründete sie einen e. V.", der 1961 als verfassungsfeindlich aufgelöst wurde.

„Bund für Gotterkenntnis 756

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der Mißbrauch treibt, indem er Hitler unterstützt oder 10 000 Paar Schuhe hortet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ist das nicht schon in unserer Formulierung drin? Dr. Bergsträsser: Ich erinnere mich, daß wir es hier aufnehmen wollten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Den Mißbrauch haben wir drin. Dr. Bergsträsser: Aber nicht, daß er sich auf den Schutz nicht berufen kann. Das wollten wir in diesen Gesamtartikel hineinbringen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben heute morgen in Art. 17 am Ende gesagt: „Wer sein Eigentum mißbraucht, kann sich auf den Schutz dieser Bestimmung nicht berufen." Dr. Bergsträsser: Dann brauchen wir es hier nicht mehr. Dr. Heuss: Nun muß ich Herrn Dr. v. Mangoldt als Juristen fragen, ob er sich vorstellen kann, was Mißbrauch des Eigentums ist. Ich habe in meinem Leben noch nie Roulette oder Lotto gespielt. Ich bin nach dieser Seite hin völlig integer. An sich halte ich das für einen Mißbrauch des Eigentums. Aber es ist eine sehr legitime Angelegenheit geworden. Mayr: Zum Beispiel derjenige, der mit seinem Geld, das er ausleiht, wuchert. Dr. Heuss: Nach der moralischen Seite hin ist es mir vollkommen klar. Wer meinetwegen Getreide gehortet hat, wird bestraft, weil er gegen bestimmte Vorschriften verstoßen hat. Hier handelt es sich nur um den Ausdruck „Mißbrauch des Eigentums". Mit der Tendenz bin ich einverstanden. Ich möchte nur, daß wir nicht eine Unterhaltung darüber bekommen, was das heißt. Wunderlich: Wenn sich einer Zeitungen kauft, um damit Interessenpolitik zu treiben, oder wenn ein Konzern die Nazis gegen die Verfassung finanziert! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es war beantragt worden, zu sagen: Wer sein Eigentum entgegen dem Wohl der Allgemeinheit mißbraucht. Das ginge gar nicht. Wir versuchten dann, zu bestimmen, wann ein Mißbrauch vorliegt. Dann haben wir davon abgesehen, es festzulegen, weil wir es einfach nicht konnten. Wir haben beschlossen, nur einen solchen allgemeinen Satz hineinzusetzen, der die Bedeutung hat, daß der Schutz des Eigentumsartikels etwa gegenüber der Enteignung und gegenüber den Gewährleistungsvorschriften des Abs. 1 nicht in Anspruch das dem gegenommen werden kann, wenn ein Mißbrauch des Eigentums meinen Besten dienen soll vorliegt. Dr. Bergsträsser: Zumindest ist klar, daß wir es hier nicht hineinzunehmen brauchen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es handelt sich aber um die Bedenken des Kollegen Dr. Heuss. Der Abs. 2 (Art. 14, bisher Art. 17) ist, weil er zunächst einmal eine Grundpflicht enthält, mehr eine Deklamation. Er fällt aus dem ganzen Rahmen. Das sagt auch Thoma75). Wir wollten darauf aber nicht verzichten, weil wir uns sagten, beim Eigentum muß die soziale Bindung besonders herausgestellt werden. Dr. Heuss: Ich habe nichts dagegen. Meine Frage richtete sich nur an Sie als

sprochen,





Jurist.

75) Dok. Nr.

18.

757

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im Prozeß wurde es darauf ankommen, daß der Richter sagt: Hier ist das Eigentum mißbraucht, du kannst den Einwand des Schutzes

deines tum

Eigentums nicht erheben, weil der Gebrauch, den du

von

deinem

Eigen-

gemacht hast, nicht dem Abs. 2 der Verfassung entspricht.

Dr. Heuss: Es komt darauf an, ob mit diesem Zusatz dem Rechtsanwalt ein Ar-

gument entzogen wird.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darauf kommt es hinaus. Mehr ist der Schutz nicht. Dadurch soll erreicht werden, daß jemand nicht einen zu weitgehenden Gebrauch von dem Schutz machen kann. Es ist sehr schwer, generell festzustellen, wo der Mißbrauch anfängt. Dr. Bergsträsser: Wir haben an das Beispiel gedacht, daß jemand aus egoistischen Zwecken gegen das Interesse der Allgemeinheit eine ganz notwendige Ware hortet oder daß jemand aus einem Betrieb heraus den Staat unterwühlt. Dr. Heuss: Ich denke daran, was der mittelbegabte Amtsrichter, den wir als Typus haben, damit anfangen soll. Die mittlere Begabung eines Amtsrichters ist diesem Satz gegenüber etwas unsicher. Dr. Bergsträsser: Da werden die Kommentare unserer führenden Juristen helfen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Amtsrichter wird sich scheuen, diese Vorschrift anzuwenden. Die Sache wird sicher an ein höheres Gericht gehen. Dr. Heuss: Dahinten hin würde ich es nicht bringen. Wir haben an irgendeiner Stelle die Verfolgbarkeit von Vereinigungen usw., die gegen die Verfassung gerichtet sind. Ich habe nichts dagegen, daß man versucht, das zu fassen. Nur die Konsequenz ist mir unsicher. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Jedenfalls würde es hier in diesen Schlußartikel nicht

hineinpassen. Dr. Bergsträsser: Nein. Darüber sind wir

uns

einig.

Dr. Heuss: Nehmen wir an, jemand macht eine große Spekulation, die schief geht, und dadurch werden soundso viele Leute getroffen. Dr. Bergsträsser: Eine Spekulation ist kein Mißbrauch in diesem Sinne. Dr. Heuss: Innerhalb des vorhandenen kameralistischen Systems kann eine Spekulation etwas sehr Fruchtbares sein. Dr. Bergsträsser: Es ist dann höchstens eine Fehldisposition. Dr. Heuss: Jemand kann sagen, die Wirkungen der Spekulation treffen nicht bloß den Mann, sondern treffen auch Angestellte, die Arbeiterschaft, die Kunden usw. Es gibt auf dem Gebiet betrügerische Unternehmungen. Wenn irgendwo in Argentinien ein anderes Wetter eingetreten ist und die Sache für den Mann schief gegangen ist, kann einer sagen, das war ein Mißbrauch. Ich will nicht den Spekulanten schützen. Ich will nur die Möglichkeit einer ganz reellen Spekulation in Getreide, in Kupfer usw. sehen, die für die Weltmarktsituation eine günstige Auswirkung bringen und durch irgendwelche Wendung, Kriegsgefahr usw., schief gehen kann. Dann ist der Mann der Verursacher von sehr viel Not geworden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Spekulationsgewinne könnten praktisch ein Mißbrauch des Eigentums sein. Es ist eine sehr schwierige Auslegungsfrage. 758

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Können Spekulationsverluste ein Mißbrauch des Eigentums Herr Dr. Heuss soeben konstruiert hat? Wunderlich: Nehmen wir an, ein Bankier spekuliert mit dem Geld seiner Bank, wie wir es erlebt haben, die Bank macht pleite, Zehntausende von Sparern sind geschädigt. Der Mann hat zweifellos Mißbrauch getrieben; er hat kein Recht, so weit zu gehen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Er hat das Eigentum nicht mehr, das durch Art. 17 geschützt wird. Mayr: Der Mann wird nicht bestraft, aber die Bank, die fahrlässig den Kredit gegeben hat. (Dr. Bergsträsser: Wenn es der Bankchef selber ist!) Dann erst recht. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Hier dreht es sich nur um den Schutz des Eigentums und der Vermögensrechte. In dem Beispiel ist nichts mehr vorhanden. Der Mann braucht nicht mehr geschützt zu werden. Wir können so formulieren: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit oder die Vereinigungsfreiheit zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht. Dr. Bergsträsser: In der hessischen Verfassung heißt es76): „Wer den verfassungmäßigen Zustand angreift oder gefährdet." Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das ist nicht schön. An dem Wort „und" zwischen „freiheitliche" und „demokratische" muß man sich stoßen. Wir lassen das Wort also weg und fahren fort:. verwirkt diese Grundrechte. Dr. Heuss: Ich würde sagen: verwirkt die Geltung der Grundrechte für sich. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Bei unserer Fassung kann es sich nur auf die Person beziehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Den Abs. 1 müßen wir wohl lassen. Der Abs. 2 regelt dann einen Spezialfall. Dr. Bergsträsser: Sollen wir das in einem Artikel bringen? Das eine ist ein Tatbestand für eine gesetzgebende Regierung, während das andere ein Tatbestand für einen einzelnen ist. Ich würde das trennen. Dr. Heuss: Wir wollen doch nicht neue Artikel erfinden. Nach meinem Gefühl kann man es zusammen bringen. Zunächst einmal wird die Unabdingbarkeit generell festgestellt, dann ist von der Wirkung für den Einzelnen die Rede. Man kann es in einem Artikel bringen. Dr. Bergsträsser: Gut, nehmen wir es zusammen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Es ist nur noch die Frage, ob wir noch den Satz aufnehmen sollen: „Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet auf Beschwerde das Bundesverfassungsgericht." Das gehört eigentlich in den Artikel über die Rechtspflege. Das brauchten wir hier nicht aufzunehmen. Dr. Heuss: Es gehört dort hin. Wir müßen nur dafür sorgen, daß es dort aufgenommen wird. Dr.

BeTgsträsser:

sein, wie

es



..



..

;) Art.

17 der

Verfassung

des Landes Hessen

vom

1. Dez. 1946.

759

Nr. 33

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen in das Protokoll schreiben: Der Abs. 2 des Art. 20 des Herrenchiemseer Entwurfs77) wird nicht übernommen, da er nach Auffassung des Grundsatzausschusses in die Bestimmungen über die Rechtspflege, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts gehört. Auszug aus diesem Protokoll müssen wir mit einem Anschreiben an den Rechtspflegeausschuß sen-

den. waren uns darüber einig, daß wir den allgemeinen Art. 19 des Herrenchiemseer Entwurfs: „Jeder hat die Pflicht der Treue gegen die Verfassung und hat Verfassung und Gesetz zu achten und zu befolgen", nicht aufnehmen wollen. Wir hatten gegen das Allgemeine dieser Bestimmung gewisse Bedenken.

Wir

(Zustimmung.)

abgeschlossen. Ich möchte noch einige BeEingaben hervorheben, an die wir eventuell noch zu den-

Damit haben wir die Grundrechte

sonderheiten ken hätten.

aus

den

[i. Kriegsdienstverweigerung (Art. 7, Abs. V)] Dr. Heuss: Ist der Antrag über die Kriegsdienstverweigerung schon behandelt78)? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Antrag ist noch nicht vorgelegt. Frau Dr. Weber: Wir haben noch Anträge. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben keine formulierten Anträge mehr. Was uns bisher an formulierten Anträgen von der CDU vorgelegt wurde, haben wir besprochen. Wir können jetzt nicht warten, weil weitere Anträge nicht vorliegen. Dr. Heuss: Ich habe Herrn Dr. Süsterhenn

zurückzuziehen, weil ins Gesicht

schlägt,

er

aber

det79).



beschworen, seinen Kirchenartikel ich will nicht sagen, den Interessen der Kirchen die Kirchen in ihrem öffentlichen Ansehen gefähr-



Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In meiner Fraktion ist Einigkeit darüber erzielt worden, daß diese Bestimmungen nicht in den Grundrechtsartikeln erscheinen sollen80). Eventuell soll der Antrag an einer anderen Stelle gestellt werden. Die Grundrechtsartikel werden dadurch nicht belastet. Dr. Heuss: Was ist mit dem vielgerühmten Elternrecht? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Eherecht, das Familienrecht und das Elternrecht müssen erst formuliert werden. Wir können es im Augenblick nicht behandeln, weil keine Formulierungen da sind. 2 ChE lautete: „Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet auf Beschwerde das Bundesverfassungsgericht." Der Pari. Rat Bd. 2, S. 582. Laut Kurzprot. lag als Tischvorlage ein Antrag der SPD vor, der lautete: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz". Nach dem Kurzprot. beschloß der Ausschuß, diesen Antrag dem

77) Art. 20, Abs.

78)

HptA „mit vorzulegen". 79) Vgl. die Drucks. Nr. 231, die in Dok. Nr. 39, TOP sitzung der CDU/CSU S. 241-243.

80) Ebenda. 760

vom

3

behandelt wurde. Vgl. die FraktionsDie CDU/CSU im Pari. Rat,

gleichen Tag, Salzmann:

Sechsundzwanzigste Sitzung

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Nadig: Es wäre wünschenswert, den Antrag der SPD auf Aufnahme der Bestimmung über die Kriegsdienstverweigerung zu behandeln. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur die Frage, wo man das unterbringen kann. Man könnte es eventuell in die Bestimmungen über die Kriegsächtung usw. Frau

hineinbringen.

Dr. Bergsträsser: Da wäre der Artikel organischer als hier. Frau Dr. Weber: Ich würde es nicht unter die Menschen- und Freiheitsrechte bringen, sondern in Verbindung mit dem Artikel über die Kriegsächtung. Dr. Heuss: Da gehört er auch nicht hin. Es heißt dort: „Handlungen, die mit

der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker sind verfassungswidrig." Nachdem Sie vorher den Krieg für verstören, fassungswidrig erklärt haben, können Sie nicht die Unlogik begehen, dann doch den Tatbestand eines Krieges anzunehmen und dem Einzelnen die Gewissensgründe zu konzedieren. Das ist auch ein Bruch. Dr. Bergsträsser: Wenn die Kriegsvorbereitung verfassungswidrig ist, widerspricht dieser Artikel überhaupt der Verfassung. Vors. [Dr. v. MangoIdt]m): Ja. Der Artikel paßt auch nicht bei der Freiheit der Person, nicht bei der Freizügigkeit, nicht bei der Berufswahl, nicht bei der Meinungsäußerung, nicht bei der Versammlungsfreiheit hinein. Vielleicht paßt er bei den staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten. Dr. Heuss: Der Artikel würde hineinpassen, wenn nicht schon andere Dinge, die eine spezifische Färbung bekommen haben, drin wären. Man könnte dran denken, es unter die Freiheit des Gewissens und der Überzeugung zu bringen, weil jemand aus Gewissens- und Überzeugungsgründen keinen Kriegsdienst machen will. Wir fahren dann aber mit der Religionsübung, mit den kirchlichen Handlungen, mit der kirchlichen Eidesformel usw. fort, so daß der Duktus gestört ist. Es würde dahin gehören, wo von Gewissen und Überzeugung die Rede ist. Ich möchte das aber nicht vorschlagen, weil ich den Artikel überhaupt nicht herein haben will. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für uns kommt es darauf an, dem Hauptausschuß die Möglichkeit der Verhandlung zu geben. Wir müssen also sehen, wo die Vorschrift hinpassen würde. Es wäre richtig, das als Alternativantrag vorzubereiten, um es irgendwo einzuschalten. Dr. Bergsträsser: Wenn wir sagen, die Freiheit des Gewissens usw. ist unverletzlich, so können wir fortfahren: „Jedermann ist berechtigt, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern." Dann könnten wir die ungestörte Religionsübung usw. bringen. Das wäre gar nicht unorganisch. Dr. Heuss: Es paßt in diesen Rahmen hinein. Dort bekommt es einen moralischen Akzent. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten den Artikel als zusätzlichen Absatz zu dem Artikel über die Freiheit des Glaubens und des Gewissens usw. bringen und darüber setzen: Antrag der SPD-Fraktion. An dieser Stelle wäre es richtig eingeordnet. Soll die Fassung so bleiben, wie sie hier ist: „Jedermann ist bezu

.

.

.

81) Gestrichen: „Er widerspricht der Verfassung fügt „Ja".

an

jeder Stelle." Dafür handschr. hinzuge761

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rechtigt,

aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Das Nähere bestimmt ein Gesetz"? Dr. Bergströsser: Ja. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dieser Antrag der SPD-Fraktion könnte als Abs. 2 aufgenommen werden. Es paßt bloß noch nicht ganz in den Duktus. Dr. Heuss: Die kirchlichen Dinge kann man nicht trennen. Man könnte den An-

trag als Abs.

5

hineinnehmen.

Mangoldt]: Vielleicht könnte man besser sagen: Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, darf zu ihm nicht Vors. [Dr.

v.

gezwungen werden. Oder man könnte sagen: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden; das Nähere bestimmt ein Gesetz. Wunderlich: Es paßt deshalb sehr gut an diese Stelle, weil häufig religiöse Gründe zur Kriegsdienstverweigerung führen. Denken wir an die Bibelfor-

scher82). (Dr. Heuss: Die Mennoniten!) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden wir als Abs. 5 sagen: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

(Zustimmung.) [j. Ungestörte öffentliche Religionsausübung] Die Kirchen möchten gern noch folgenden Satz haben83): „Die ungestörte öffentliche und private Religionsausübung wird gewährleistet." Dr. Bergströsser: Diesen Zusatz hatte ich wohl einmal vorgeschlagen. Es wurde gesagt, das sei nicht nötig. Frau Nadig: Was heißt private Religionsausübung? Dr. Heuss: Die private Religionsausübung ist eine württembergische Spezialität. Wenn Sie am Sonntagnachmittag ab 2 Uhr durch ein württembergisches Dorf gehen, hören Sie fast aus jedem vierten oder fünften Haus Gesang, weil eine Sekte ihren Spezialgottesdienst abhält. Der normale Pfarrer ist ihnen nicht fromm genug, sie holen sich am Nachmittag noch ihren Kreis zusammen. (Mayr: Die Herrenhuter zum Beispiel!) Die Herrenhuter kommen nicht dazu. Das sind die Sabbatisten usw. Da haben wir einen ganzen Katalog von ehrbaren Leuten. Irgendein Bauer legt dann das Wort aus, und dazu werden bestimmte Gesänge gesungen. Wir nennen sie die Stundenleute. (Dr. Bergsträsser: Die Stundisten!) Das ist etwas anderes. Die Stundisten waren eine russische religiöse Bewegung in den 60er oder 70er Jahren. Ich halte es für einen Pleonasmus. Es ist keine Verbesserung, wenn es hineinkommt. —



82) Vgl. Dok. Nr. 31, TOP Anm. 6. °3) Solches wurde in der Eingabe der Konferenz der Kirchen der britischen Okt. 1948

762

gefordert (Z

5/107, Bl. 315-318).

Vgl.

Dok. Nr. 31, Anm. 24.

Zone

vom 25.

Sechsundzwanzigste Sitzung Dr.

Bergsträsser:

juristischen

Mir ist

es

recht,

wenn es

30.

November

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hineinkommt. Es wurde damals

aus

gestrichen. Mangoldt]: Ich halte es nicht für notwendig. Es ist durchaus anerkannt, daß die ungestörte Religionsausübung sich sowohl auf die öffentliche als auch auf die private Religionsausübung bezieht. Das ist nie umstritten gewesen. Frau Dr. Weber: Gibt es Beispiele dafür, daß solche privaten Religionsausübungen gestört worden sind? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein. Dr. Heuss: Man kann den theoretischen Fall konstruieren, daß in irgendeinem Krankenhaus jemand einen Gottesdienst veranstaltet und ein anderer die KranVors. [Dr.

Gründen

v.

zu remonstrieren. Sonst kann ich es mir nicht vorstellen. Weber: Man hat vor allem an Anstalten gedacht. Ich kenne schon FälFrau Dr. man von der Anstalt aus, weil man anders eingestellt war, die Rein denen le, verboten hat. ligionsausübung Dr. Heuss: Da ist der Begriff des Privaten schon fragwürdig. Handelt es sich um eine öffentliche Krankenanstalt oder ein privates Sanatorium? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sollten es lassen, wie es in der Weimarer Verfassung ist84). Da hat es funktioniert und zu keinen Schwierigkeiten geführt. Frau Dr. Weber: Unter dem Dritten Reich hat es nicht funktioniert. Dr. Bergsträsser: Das ist kein Gegenbeweis. Dr. Heuss: Die Störung eines Hausgottesdienstes ist Hausfriedensbruch. Wunderlich: Es handelt sich darum, daß in öffentlichen Krankenhäusern, wo meinethalben Protestanten, Katholiken und Juden in einem Raum sind, Gottesdienste in die Krankenzimmer verlegt worden sind und ein Teil der Kranken dagegen Protest eingelegt hat, indem er gesagt hat: Wir sind katholisch, wir wollen in unserem Krankenzimmer keinen evanglischen Gottesdienst haben. Ich habe in einem evangelischen Krankenhaus gelegen, da kamen jeden Abend die Schwestern und sangen. Ich fand das sehr nett und habe mich nicht daran gestoßen. Aber andere Leute könnten sich daran stoßen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Stellen Sie sich vor, daß in einem Gemeinschaftsraum eine religiöse Veranstaltung, etwa das heilige Abendmahl für einen Sterbenden, stattfindet und jemand sich daran stößt. Dr. Heuss: Das kann er nicht. Dr. Bergsträsser: Da würde er das subjektive Recht des Einzelnen beeinträchtigen. Die Frage wäre eher zu stellen, wenn Leute verschiedener Konfession oder ohne Konfession in einem Saal zusammenliegen und ein gewöhnlicher Gottesdienst, der sich nicht auf den Einzelnen bezieht, abgehalten werden soll. Frau Dr. Weber: Im Dritten Reich konnten die Leute nicht hineinkommen, weil es verboten war, dort Gottesdienste abzuhalten. Daran denken die Geistlichen. Dr. Bergsträsser: In der hessischen Verfassung haben wir einen Artikel, nach welchem dieses Recht für die Kirchen besteht85).

ken veranlaßt

84) 85)

Art. 135 WRV. Art. 54 der Verfassung des Landes Hessen

vom

1. Dez. 1946.

763

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Dr. Heuss: Das haben wir auch86). Ich halte es für überflüssig. Aber es ist nach der Nazizeit verständlich. Wunderlich: Das müßte durch allgemeine gesetzliche Bestimmungen, durch ein Kirchengesetz geregelt werden. Dr. Bergsträsser: Es ist nur die Frage, ob man die Worte „öffentliche und private" hereinnehmen soll. Seinerzeit wurde gerade von Juristen gesagt, es sei vollkommen überflüssig, das Ungestörtsein sei immer so ausgelegt worden. Frau Dr. Weber: Die Kirchen wünschen, daß es hineinkommt. Sie haben unangenehme Erfahrungen gemacht. Die Erfahrungen gehen allerdings sehr stark auf das Dritte Reich zurück. Dr. Heuss: Mich stört die Überlastung der Bestimmung. Die Fassung „ungestörte Religionsausübung" ist eigentlich umfassender, als wenn wir es noch spezialisieren. Es ist schwierig, zu sagen, was öffentlich und was privat ist. Es ist an Anstalten mit öffentlichem Charakter zu denken, in denen eine private Gruppe, sagen wir, die Oxford-Bewegung87), die keine offizielle Kirche ist, etwas veranstalten will. Da ist es zweifelhaft, ob es öffentlich, privat oder eine Zwischenform ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man sagt: Die ungestörte Religionsübung wird gewährleistet, so ist das am weitestgehenden. Dr. Heuss: Es geht weiter als: öffentlich und privat. Dr. Bergsträsser: Lassen wir es doch ruhig so, wie es ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Antrag könnte noch im Hauptausschuß gestellt werden. Dr. Heuss: Dann entsteht bei dem einen das Gefühl, die Kirchen wollen immer noch etwas, immer noch ein neues Komma. Bei den anderen entsteht das Gefühl, es ist überflüssig, aber man will mit der Kirche nicht streiten. Beide Kirchen sind in ihrer Angst, irgendetwas zu verhindern, was als eine Beeinträchtigung der kirchlichen Interessen erscheinen könnte, von einer Wichtigtuerei, die weit über das Maß hinausgeht. [2. REIHENFOLGE, GLIEDERUNG UND UMNUMERIERUNG DER

GRUNDRECHTSARTIKEL)

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen uns einmal über die Anordnung der Artikel unterhalten. Der Art. 1 mit der Menschenwürde bleibt. Das Leben, die Freiheit und die persönliche Sicherheit müssen als Art. 2 bleiben. Art. 3, der die Freiheit der Person betrifft, bleibt. Dahinter kommt als Art. 4 der Gleichheitssatz. Der frühere Art. 4, der das Asylrecht und die Auslieferung betrifft, paßt nicht mehr hier her. Man könnte ihn dort stehen lassen, wenn man sagt, es ist eine Garan-

86) Art. 33 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946. 87) Oxford-Bewegung: Eine hochkirchliche in den anglo-katholischen Prinzipien der Theo-

logen des

17.

Jahrhunderts wurzelnde theologisch-liturgische Bewegung, die

seit 1833

versuchte, die anglikanische Kirche durch Rückführung auf die „katholische" und apostolische

764

Überlieferung zu erneuern.

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tie, daß der Deutsche nicht mit der Auslieferung zu rechnen hat. Oder paßt es besser unter die staatsbürgerlichen Rechte? Dr. Heuss: Es wird dort als selbständiger Artikel geführt werden müssen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Zu der Reihenfolge: Freizügigkeit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Freiheit der Berufswahl waren wir gekommen, weil wir gesagt haben: mit der Freizügigkeit ist die Niederlassungsfreiheit verbunden, und das hängt mit der Wohnung zusammen. Dr. Bergsträsser: Das Asylrecht hängt damit zusammen. Sie können jemandem das Asylrecht nur geben, wenn Sie ihm die Möglichkeit lassen, sich überall in dem Gebiet, das ihm Asyl gibt, niederzulassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde gewiß mit Abs. 2 gehen. Aber Abs. 1 sagt, kein Deutscher darf ausgeliefert werden. Dr. Heuss: Ich meine, wir sollten hinter den Gleichheitssatz die geistigen Freiheitsrechte voranziehen, also zuerst die Glaubensfreiheit, die Meinungsäußerung, die Freiheit der Kunst usw. und dann als Überleitung das Briefgeheimnis usw., dann erst die Wohnung und die Auslieferung. Die Glaubensfreiheit, die Meinungsfreiheit usw. würde ich gern vor der Unverletzlichkeit der Wohnung, vor dem Asylrecht und vor dem Briefgeheimnis haben. (Frau Dr. Weber: Ich bin auch dafür.) Es geht jeden mehr an und hat auch etwas von dem Pathos, während das andere schon wieder mehr in das Gesetzgeberische hineingeht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es paßt auch sehr gut im Anschluß an die Freiheitsrechte. Dann würde also die Religionsfreiheit kommen, die Meinungsfreiheit, die Lehrfreiheit, das Briefgeheimnis, die Versammlungsfreiheit, die Vereini—

gungsfreiheit. Dr. Heuss: Ich würde gern die Versammlungsfreiheit noch vor dem Briefgeheimnis haben. Dr. Bergsträsser: Dann müßte hinter dem Briefgeheimnis das Petitionsrecht kommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist wohl ein staatsbürgerliches Recht. Man könnte es als weniger wichtiges Recht an den Schluß des Kataloges der staatsbürgerlichen Rechte bringen. Unsere Reihenfolge würde dann so sein: Gleichheitssatz, Religionsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung, Lehrfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Briefgeheimnis, Freizügigkeit, freie Berufswahl, Unverletzlichkeit der

Wohnung. (Dr. Heuss: Dann kommen die staatsbürgerlichen Rechte.) Da kommt an den Anfang das Verbot der Aberkennung der Staatsangehörigkeit, also die Garantie, daß die Staatsangehörigkeit nicht willkürlich entzogen werden kann. Darauf folgt die Wahlfreiheit. Dr. Bergsträsser: Wäre es nicht richtig, hinter der Aberkennung der Staatsangehörigkeit das Asylrecht unterzubringen. Das ist doch das Korrespondierende. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Wir würden dann hinter der Aberkennung der Staatsangehörigkeit bringen: das Verbot der Auslieferung eines Deutschen sowie das Asylrecht, dann das Wahlrecht und die Wahlfreiheit, weiter das Recht auf das öffentliche Amt, das Petitionsrecht. Dann müssen wir das Eigentums—

765

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recht woanders hinbringen. Es ist zweckmäßig, das Eigentumsrecht hinter die Unverletzlichkeit der Wohnung zu setzen. Dr. Bergsträsser: Ich glaube auch, daß es da am besten hin gehört. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es paßt ganz gut hinter die Unverletzlichkeit der Wohnung, weil in dem dritten Absatz des Artikels betreffend die Unverletzlichkeit der Wohnung die Einschränkungen betreffend die Wohnung vorgesehen sind. Das leitet geradezu zu dem allgemeinen Eigentumsartikel über. (Dr. Heuss: Ich habe nichts dagegen.) Wir bringen den Eigentumsartikel also hinter der Unverletzlichkeit der Wohnung. Dann kommen die staatsbürgerlichen Rechte, und mit dem Art. 20 schließt es ab. Hinter den Eigentumsartikel müßten wir die Sozialisierung und die Bodenschätze bringen. Am Schluß kommt der Artikel betreffend den Wesensgehalt und die Verwirkung der Grundrechte88). [3. ANTRAG ZUR PRESSEFREIHEIT] Von der

„Aktionsgruppe Heidelberg"89) ist ein Antrag betreffend die Pressefreiheit eingegangen. Die wollen die Informationsfreiheit der Presse gesichert sehen. Sie wollen nicht nur die Gewährleistung der Informationsfreiheit, die wir in Abs. 2 des Artikels über die Meinungsäußerung haben, sondern wollen ein Informationsrecht der Presse auch verfassungsrechtlich sichern. Dr. Bergsträsser: Also der Presse zum Beispiel gegenüber den Behörden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wahrscheinlich. Dr. Bergsträsser: Oder soll es Informationsrecht der Presse sein, Informationen zu benutzen? Das wäre schon durch das gedeckt, was wir bisher haben. Das wäre doch eine Informationspflicht der Behörden, wenn man der Presse ein Informationsrecht geben würde. ich bin selber alter Pressemann kann Dr. Heuss: Nach meiner Meinung man eine verfassungsmäßige Auskunftspflicht der Behörden gegenüber der Presse nicht aussprechen. Das ist ein Qualitätsproblem a) des Journalisten, b) des Behördenmannes. Wenn beide tüchtig sind, werden sie selbstverständlich miteinander reden, und ein verständiger Journalist bekommt von einer guten was da an junBehörde auch Auskunft. Bei der Qualität der heutigen Presse anmaßender besteht die ein Leuten Gefahr, daß herumläuft! —, Anspruch gen bei den Bürokraten das Gegenteil hervorruft und die Kerle gegenüber dem gesunden Anspruch der Presse versteift. Wunderlich: Es ist praktisch unmöglich, jemand zu einer Information in diesem Sinne zu zwingen. —



-

zur Umgestaltung der Reihenfolge den Fortgang in TOP 4. „Aktionsgruppe Heidelberg", deren „führender Kopf" Alfred Weber war, zu der auch Dolf Sternberger und Alexander Mitscherlich, und zu deren Referenten u. a. Adolf

88) Vgl.

e9)

Zur

Arndt, Heinrich v. Brentano, K. H. Knappstein und Carlo Schmid zählten, s. Die Wandlung Jg. 1, 1945/46, Heft 1, S. 54 f., zitiert in: „Als der Krieg zu Ende war", literarisch

politische Publizistik 1945—1950, Ausstellungskatalog des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. 1973, S. 71 ff. Die Eingabe vom 27. Nov. 1948 (Nr. 557) in: Z 5/110, Bl. 43 wurde im Verlauf der Sitzung noch verlesen. —

766

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unserem Pressegesetz in der amerikanischen Zone haben wir diese Frage stark diskutiert90). Die Amerikaner legen Wert darauf, daß so etwas hereinkommt. Das Verhältnis zwischen Presse und Behörden kann in dem Pressegesetz umschrieben werden. Dr. Bergsträsser: Als wir die hessische Verfassung machten, haben die Amerikaner es uns schon einmal gesagt. Dr. Heuss: Bei dem Pressegesetz des Länderrats91) haben wir lange daran gearbeitet. Ein verfassungsmäßiger Anspruch der Presse würde die Strafbarkeit der Behörde nach sich ziehen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Nach dem Schreiben der „Aktionsgruppe Heidelberg" vom 27. November 1948 hat eine Kommission getagt, die sich zusammengesetzt hat aus: Ministerialdirektor Knappstein92), Pressechef des Verwaltungsrats für Wirtschaft, Dr. Eugen Kogon93), Dr. Dolf Stemberger94) und Dr. Ernst Walz95). Es heißt in dem Schreiben: Ich darf hier kurz die Erwägungen wiedergeben, die die Kommission wie die Versammlung zu dem Entschluß geführt haben, diese Materie als eine auf Verfassungsangelegenheit zu betrachten und den Vorschlag darum von Herrn der Ihrem Ausschuß Anregung angehört Lamberg Lensing, Ihnen zu unterbreiten und seine Aufnahme in das Grundgesetz des deutschen Bundes dringend zu empfehlen. Es waren zwei Erwägungen: Erstens erkannte die Versammlung, daß dem in allen Verfassungen, auch denen der deutschen Länder, verankerten traditionellen Grundrecht der freien Meinungsäußerung ein Grundrecht der Informationsfreiheit zur Seite treten müssen, wie es übrigens in Ansätzen bereits im Artikel 13 der hessischen Verfassung ausgedrückt ist; erst die Unterrichtung, und zwar die stetige und möglichst umfassende Unterrichtung erlaubt es dem Bürger, sich eine Meinung zu bilden. Zweitens betrifft dieser Grundsatz der Informationsfreiheit, da dem journalistischen Fragerecht eine behördliche Auskunftspflicht entsprechen muß,

Dr. Heuss: Bei





90) 91)

92)

93)

Pressegesetzgebung nach 1945 in der US-Zone vgl. Harold Hurwitz: Die Stunde Null der deutschen Presse, die amerikanische Pressepolitik in Deutschland 1945—1949, Köln 1972, insbes. S. 179. Zur Pressegesetzgebung des Länderrates der US-Zone vgl. Akten zur Vorgeschichte Bd. 1, insbes. S. 1022 ff.; das dort beschlossene Länderratsgesetz wurde dann nach Beschluß der US-Militärregierung doch als von den Ländern zu erlassendes Gesetz genehmigt (Akten zur Vorgeschichte Bd. 2, S. 254). Ministerialdirektor Karl Heinrich Knappstein (1906—1989), seit Juli 1948 Leiter der Presseabteilung des bizonalen Verwaltungsrates für Wirtschaft, nach 1949 Karriere im Diplomatischen Dienst. Dr. Eugen Kogon (1903-1987), Verfasser des eigenes Erleben verwertenden Buches „Der SS Staat das System der deutschen KZ", 1. A. Frankfurt 1946, 3. A. 1948, seit April 1946 Herausgeber der Frankfurter Hefte. Dr. Dolf Sternberger (1907-1989), nach 1945 Mitherausgeber der Zeitschrift „Die WandZur

-

94) 95)

lung".

Dr. Ernst Walz (1859-1941). In den

berg.

Jahren

1918-1928

Professor für öffentliches Recht mit Publikationen

Oberbürgermeister zum

von

Heidel-

badischen Recht. 767

Nr. 33

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mindestens zwei Personenkreisen, deren jeder einer spezifischen Gesetzgebung unterliegt, nämlich die Presse und die Beamtenschaft. Will man für beide Rechtsgebiete, das Presserecht und das Beamtenrecht, die nötigen Folgerungen ziehen, so muß der Grundsatz der Informationsfreiheit selber logischerweise einem übergeordneten Rechtsgebilde eingefügt werden, und das kann nur die Verfassung sein. Ich darf noch hinzufügen, daß die Tagungsteilnehmer eine zweite Kommission damit beauftragt haben, sich mit einer Reihe weiterer Probleme zu befassen, die dem engeren Gebiete des künftigen Pressegesetzes zugehören. Da Herr Lensing an unserer Diskussion teilgenommen hat und mündlich freundlicherweise weitere Erläuterungen geben wird, darf ich mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung, zugleich im Namen und Auftrag von Herrn Geheimrat Professor Dr. Alfred Weber, schließen als Ihr ergebener gez. Dolf Sternberger. In dem Vorschlag der „Heidelberger Aktionsgruppe" für einen Verfassungsartikel über das Informationsrecht heißt es zunächst: „Jedermann hat die Freiheit, sich aus allen Informationsquellen zu unterrichten." Das ist bei uns besser drin. Weiter heißt es: „Presse und Rundfunk haben darum das Recht, bei politischen Vertretungen, Behörden und allen sonstigen vom Volk gestellten Organen Auskünfte zu verlangen, die dieser Unterrichtung dienen." Da fängt es an, gefährlich zu werden. Dr. Heuss: Das ist eine alberne Formel:.haben das Recht, Auskünfte zu Mache mich wenn eine ich ich falsche Auskunft schuldig, gebe? verlangen." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es heißt weiter: „Solche Auskünfte müssen erteilt werden, soweit es das öffentliche Interesse gestattet und ein schutzwürdiges privates Interesse nicht entgegensteht. Das Nähere über Grenzen und Formen der Auskunftserteilung bestimmt ein Gesetz." Ich glaube, das kann man nicht machen. Wunderlich: In Amerika wird auch nicht jeder Journalist das Recht haben, zu jeder Behörde hinzugehen und zu sagen: Du mußt das und das erzählen. Hingehen kann er. Es ist eine Frage des persönlichen Kontaktes. Mayr: Das kollidiert mit dem Amtsgeheimnis. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wie ist dieses Recht durchsetzbar? Mit dem Satz: „soweit es das öffentliche Interesse gestattet", wird die Pflicht praktisch aufgehoben. Denn jede Behörde kann jederzeit sagen: Das öffentliche Interesse gestattet es leider nicht. Was für einen Sinn hat dann das Verlangen? Dr. Bergsträsser: Wenn die Frage des öffentlichen Interesses strittig ist, ist die Folge, daß der betreffende Journalist an das Verwaltungsgericht geht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Verwaltungsgericht steht dann plötzlich vor einer .

politischen Frage. Dr. Bergsträsser: Die schon längst nicht

mehr aktuell ist,

..

wenn es

sich damit

befaßt. Frau Dr. Weber: Jeder Spion kann das ausnutzen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, das geht nicht. Ich darf vielleicht einen kurzen Brief schreiben, in welchem ich für die Anregung danke und erkläre, daß wir es eingehend im Ausschuß besprochen hätten. —

768

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[4. UMNUMERIERUNG DER GRUNDRECHTSARTIKEL (FORTS.)] Wir wollen

unsere Artikel neu numerieren. Art. 1, 2 und 3 bleiben. Art. 4 betrifft die Gleichheit, Art. 5 die Religionsfreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, Art. 6 die Freiheit der Meinungsäußerung, Art. 7 die Kunst und Wissenschaft, die Freiheit der Lehre, Art. 8 die Versammlungsfreiheit, Art. 9 die Vereinigungsfreiheit, Art. 10 das Briefgeheimnis, Art. 11 die Freizügigkeit, Art. 12 die freie Berufswahl, Art. 13 die Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 14 das Eigentum, Art. 15 die Überführung in Gemeineigentum, Art. 16 die Beraubung der Bundesangehörigkeit, Art. 17 die Auslieferung an das Ausland, worin auch das Asylrecht ist, Art. 18 das Wahlrecht und die Wahlfreiheit, Art. 19 das Recht auf das Amt, Art. 20 das Petitionsrecht. Art. 21 ist der allgemeine Schlußartikel96).

[5. VERSCHIEDENES] nun noch eine Reihe von Anregungen durchsprechen, insbesondeden Vorschlag der Gewerkschaften über weitere Rechte. Wunderlich: Herr Dr. Eberhard hat ausführlich mit den Vertretern der Gewerkschaften konferiert. Er hat von unserer Fraktion den Auftrag, über das Ergebnis der Verhandlungen zu berichten. Es wäre uns angenehm, wenn Herr Dr. Eberhard bei der Besprechung dieser Anregung zugegen wäre. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben bei der Pressefreiheit gesagt: „Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über die Presse eingeschritten werden." Müßten wir hier nicht sagen: Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über

Wir müssen re

96) Nach dem Kurzprot. sah die neue Reihung folgendermaßen aus: Art. 1 („Würde des Menschen" usw.) Art. 2 („Recht auf Leben" usw.) Art. 3 („Freiheit der Person" usw.) Art. 4 („Gleichheit vor dem Gesetz" usw.) bisher Art. 19 Art. 5 („Freiheit des Glaubens" usw.) bisher Art. 7 Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

21

(„Meinungsfreiheit" usw.) bisher Art. 8 („Lehrfreiheit" usw.) bisher Art.

10

(„Versammlungsfreiheit" usw.) bisher Art. 11 („Vereinigungsfreiheit" usw.) bisher Art. 12 („Postgeheimnis" usw.) bisher Art. 9 („Freizügigkeit" usw.) bisher Art. 5 („Berufswahl" usw.) bisher Art. 6a („Wohnungsfreiheit") bisher Art. 6 („Recht auf Eigentum" usw.) bisher Art. 17

(„Sozialisierung" usw.) bisher Art. 18 („Willkürl. Beraubung der Bundesangehörigkeit") („Auslieferung" usw.) bisher Art. 4 („Wahlfreiheit" usw.) bisher Art. („Recht auf Amt") bisher Art. 15 („Petitionsrecht") bisher Art. 16

(„Grundrechtsgarantie")

14

bisher Art. 21. 769

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Sechsundzwanzigste Sitzung

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Presse, Rundfunk und Film eingeschritten werden? Der Mißbrauch kann auch bei Rundfunk und Film erfolgen. In Abs. 4 heißt es: „Diese Rechte finden ihre Grenze an den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze ..." Wunderlich: Hier ist noch eine Frage zweifelhaft. Ich weiß nicht, ob im Kompetenzkatalog die Zuständigkeit der Gesetzgebung für Presse, Rundfunk und Film enthalten ist97). Augenblicklich ist man in allen 11 Ländern dabei, Pressegesetze zu machen. Es gibt einen Unfug sondergleichen, wenn jedes Land ein besonderes Pressegesetz macht. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich darf bitten, hier einzufügen: „im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über Presse, Rundfunk und Film". Das muß man sagen, sonst ist die Sache nicht vollständig.

(Zustimmung.)

Die Bayern haben an einer Stelle gesagt, es fehle eine Bestimmung über das Verbot des Zwanges zur Offenbarung der politischen Überzeugung98). Wunderlich: Es ist zunächst die Frage, wo und unter welchen Umständen jemand überhaupt gezwungen werden kann, seine politische Überzeugung zu of-

fenbaren. Dr. Heuss: Bei einer Anstellung oder Beförderung kann der Behördenleiter oder der Personalleiter eines Werkes sagen: Bitte, wo sind Sie politisch organisiert? Ein Behördenleiter kann sagen: Ist es richtig, daß Sie CDU-Mann, bzw. KPDMann, bzw. SPD-Mann sind?

Der Ausschuß beschließt, die zuletzt angeschnittene zung zu behandeln. [Schließung der Sitzung, nächster Sitzungstermin]

97)

Nur das Presserecht und das

in der

folgenden

Sit-

Lichtspielwesen gehörten nach dem Stand der Beratungen des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 18. Nov. 1948 zur Vorranggesetzgebung des Bundes. Vgl. Der Pari. Rat Bd. 3, S. 642.

98) Vgl. Anm. 770

Frage

8.

Siebenundzwanzigste Sitzung

1.

Nr. 34 des Ausschusses für Dezember 1948

Siebenundzwanzigste Sitzung 1.

Dezember 1948

Nr. 34

Grundsatzfragen

Z 5/35, Bl. 199-222. Stenogr. Wortprot., undat. und ungez. Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 35-37. Drucks. Nr. 326

Anwesend'): CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Mayr, SPD: Bauer, Bergsträsser, Nadig FDP: Heuss Stenografischer Dienst: Meidinger Dauer: 15.00-16.00 Uhr

Schräge, Weber

[1. GLEICHHEITSGRUNDSATZ: ANWENDUNG FÜR JURISTISCHE PERSONEN (ZU ART. 4)]

Mangoldt]: Ich eröffne die Sitzung. Frage aufgetaucht, inwieweit die Grundrechte, wie sie hier in unserer enthalten sind, nur Grundrechte der Einzelperson sind und wieweit juVorlage ristische Personen daraus Rechte herleiten können. Diese Frage ist bedeutsam und man muß sie im einzelnen prüfen. Sie wird bedeutsam für das Eigentum Vors. [Dr. Es ist die

v.

und wird weiter bedeutsam für den Gleichheitssatz. Nach der Weimarer Verfassung war es so, daß der Gleichheitssatz unter dem Kapitel „Die Einzelperson" stand, und infolgedessen sagte man, für die juristische Person gilt der Gleichheitssatz nicht2). Man kam aber doch wieder zu einer Ausdehnung des Gleichheitssatzes auf die juristische Person, indem man sagte: Die juristische Person setzt sich zusammen aus Einzelpersonen, und da die Einzelperson Anspruch auf Gleichheit hat, so gilt diese Gleichheit dann auch für die juristische Person. Nun gibt es juristische Personen, für die das zweifelhaft ist, z. B. Aktiengesellschaften, bei denen der Kapitalanteil von stärkerer Bedeutung ist und bei denen die Einzelperson sehr zurücktritt. Hier taucht ferner die Frage auf, inwieweit die Garantie des Eigentums für juristische Personen eine Rolle spielt. Auf der anderen Seite erhebt sich die Frage, ob man nicht gewisse Gemeinschaften wie die Kirchen oder andere Lebensgemeinschaften den Einzelpersönlichkeiten bezüglich der Grundrechte gleichstellen könnte. Man müßte das bei den einzelnen Artikeln überprüfen, und damit steht man vor einer schwierigen Frage. Die Frage taucht auch im bayerischen Entwurf auf, aber ob man sie so regeln kann, wie sie dort geregelt ist, erscheint zweifelhaft. Dort steht am Schluß eine Vorin Art. 29 des bayerischen Entwurfs3)—: „Die Grundrechte gelten, soschrift —

J) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Überschrift des Zweiten Hauptteiis der WRV: Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen. Erster Abschnitt. Die Einzelperson. (Art. 109 ff. WRV). 3) Vgl. Dok. Nr. 24, Anm. 7. Auch die Erste Ergänzung zu den Bayerischen Bemerkungen 771

Siebenundzwanzigste Sitzung

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1. Dezember 1948

weit anwendbar, für die juristischen Personen, die im Bundesgebiet ihren Sitz haben, entsprechend." Man überläßt alles der weiteren Regelung und sagt einfach: „soweit anwendbar". Das kann man doch nicht machen. Da müßte man schon sehr genau überprüfen, um welche Grundrechte es sich handelt und was anwendbar ist. Dr. Heuss: Eine grundsätzliche Frage. Ich begreife nicht ganz die von Ihnen als Juristen gemachte starke Unterscheidung der juristischen Persönlichkeiten. In der Frage des Eigentums ist an sich eine objektive Rechtsvorstellung begründet, die nicht an die Einzelperson, sondern z. B. auch an die Kirchen, an die Gesellschaften und an den und den gebunden ist, so daß sich für mein Laiengemüt die Sache beim Eigentum eigentlich von selber ergibt, wenn man das als in sich ruhenden und vom Menschen getrennten Sachbegriff zum Ausdruck gebracht hat: Das Eigentum wird gewährleistet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nun stehen ja unter der Überschrift des Art. 1, wenn ich so sagen darf, die gleichen, unveräußerlichen Freiheits- und Menschen-

rechte. Dr. Heuss: Freilich. Die

juristische Persönlichkeit

ist natürlich eine fiktive Per-

sönlichkeit, begrenzt auf Menschen, die in ihrer Summierung eine juristische Person darstellen, aber doch in ihrer individuellen Bezogenheit auf diesen Gesamttatbestand. Die Menschen- und Grundrechte auch auf juristische Persönlichkeiten insofern für anwendbar zu erklären erscheint mir ein bißchen überflüssig. Aber ich lasse mich gerne belehren. Dr. Bergsträsser: Es wäre vielleicht das Geschickteste, wenn Sie, Herr v. Mangoldt, das noch einmal durchsehen und uns im einzelnen sagen würden, welche Artikel unseres Werkes für eine derartige Bestimmung überhaupt in Betracht kommen, wenn Sie also eine Art Rechtsgutachten machen würden. Dazu sind Sie der gegebene Mann; wir brauchen uns dann weniger zu plagen und Sie auch, weil dann der Ausschuß kürzer tagt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich will das gerne machen. Ich habe schon versucht hineinzusteigen, aber es fehlt bei den vielen Sitzungen etwas die Zeit. Dr. Bergsträsser: Deshalb sollte man diese Frage zurückstellen, bis Sie die Zeit gehabt haben, sich zu orientieren4). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde vorschlagen, daß wir uns nun noch einmal über die weiteren Aufgaben klar werden. [2. VERBOT EINES ZWANGES ZUR OFFENBARUNG DER POLITISCHEN ÜBERZEUGUNG (ZU ART. 3)]

Ich habe gestern schon einen Satz erwähnt, über dessen Einreihung wir uns schlüssig werden sollten und der von einer starken verfassungsrechtlichen Bedeutung ist. Es ist das auch einer der bayerischen Vorschläge, in dem zum Ausenthielt den im folgenden benannGrundrechte Entwurf eines Grundgesetzes (Z 12/47). 4) Die Frage wurde fortgesetzt in der 28. Sitzung, TOP 1 (Dok. Nr. 36, TOP 1). zum

ten Satz

772





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1.

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druck gebracht ist, daß der Zwang, seine politische Überzeugung zu offenbaren, verboten werden sollte. Dieses Verbot des Zwangs zur Offenbarung einer politischen Überzeugung finden wir in der Kritik des Herrenchiemseer Entwurfs, die die Bayern gegeben haben und wo es heißt, daß man ein Verbot, die persönliche Freiheit durch Zwang zur Offenbarung der politischen Überzeugung einzuschränken, vermisse5). Man sollte sich klar werden, ob man darüber etwas aufnehmen soll. Frau Nadig: Ob man diesen Gedanken aufnehmen soll, hätten wir gerne in der Fraktion besprochen. (Zuruf: Hat es die Fraktion beschlossen?) Nein, wir haben es noch nicht beschlossen. Dr. Bergsträsser: Wir haben inzwischen keine Fraktionssitzung gehabt und ich glaube, daß wir, solange der Hauptausschuß in so schnell rotierender Bewegung ist, auch keine Fraktionssitzung haben6). Dr. Heuss: Aber eine Meinung kann man dazu schon haben. Dr. Bergsträsser: Meine persönliche Meinung geht dahin: Warum nicht? Dr. Heuss: Es hat schon etwas für sich, eine Bestimmung hineinzubringen. Es spielt praktisch eine Rolle bei öffentlichen Angestellten und bei Beamten, inwieweit dadurch, daß sie vielleicht zur KPD, zur CDU oder sonst wohin gehen, ihre Anstellungs- und Aufrückungschancen schon psychologisch beeinflußt werden können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben etwas ähnliches bei der Religionsfreiheit. Da haben wir die klare Bestimmung, daß ein Zwang zur Offenbarung der religiösen Überzeugung nicht ausgeübt werden darf. Dr. Bergsträsser: Das können wir vielleicht jetzt schon formulieren. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sollte man die Vorschrift nicht mit der Meinungsfreiheit in Verbindung bringen? Frau Nadig: Da gehört es hin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei der Freiheit der Person gehört es nicht hin. Dr. Heuss: Nein, da geht der Duktus wo anders hin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In Art. 6 wäre es möglich. Dr. Bergsträsser: Und zwar müßte es nach Abs. 2 sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nach der Freiheit der Unterrichtung könnte man es als Abs. 3 bringen: 1. Freiheit der Meinungsäußerung, 2. Freiheit der Unterrichtung und 3. Verbot des Zwangs zur Offenbarung der politischen Überzeugung. Dr. Bergsträsser: Das kann man machen. Frau Nadig: Man kann es auch an vierte Stelle setzen. Dr. Heuss: Da habe ich eine andere Auffassung. Sie können es nicht zwischen Abs. 2 und 3 bringen, Sie können es nicht nach der Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild und nach der Unterrichtungsfreiheit bringen. Sie können es nur als Abs. 5 hinten anhängen als neuen Gedanken, der etwas Umgekehrtes bringt, nämlich die Verweigerung der Meinungsäußerung.

5) Erste Ergänzung

zu

Art. 3, Abs. 6

den

Bemerkungen zum Entwurf eines Grundgesetzes

(Z 12/47). 6) Der HptA hatte am 30. Nov., 1. Dez. und te

-

Grundrech—

2. Dez. 1948

jeweils

zweimal getagt. 773

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Noch eine Frage: Gibt es bei der Offenbarung der politischen Überzeugung Fälle wie bei der Offenbarung der religiösen Überzeugung, in denen man sie zulassen sollte, Fälle, in denen ein Recht davon ab-

hängt? Frau Nadig:

Bis jetzt noch nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Innerhalb der Parteien selbst? Dr. Bergsträsser: Die Parteien sind Privatangelegenheiten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie sind das nicht; sie werden sogar

sungsrechtlichen Regelungen

des

Grundgesetzes

den verfas-

erfaßt.

Mayr: Aber der Eintritt erfolgt freiwillig. Dr. Bergsträsser: Die Parteien sind, vom einzelnen

genheit und Vors. [Dr. v.

von

aus

gesehen, Privatangele-

irgendwelche Rechte hängen davon nicht ab. Mangoldt]: Können Rechte von der Zugehörigkeit

zu

einer Partei

abhängen?

Dr. Heuss: Gott sei Dank noch nicht. Das Problem spielt aber in der Ostzone eine große Rolle bei der Zulassung zur Universität, zu Beamtenstellungen usw. Ob auch bei der Wohlfahrtsunterstützung, weiß ich nicht; da wohl kaum. Jedenfalls aber muß der, der auf einer Universität studieren will, eine politische Bestätigung der SED bringen. Dr. Bergsträsser: Es war so bei den Nazis. Nun wäre noch eine Frage bei der Formulierung: Wir müssen doch wohl eine besondere Regelung treffen für die ehemalige Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Partei. Dr. Heuss: Das können wir nicht machen. Wir können in der Verfassung nicht auch noch einen Anhang über das Denazifizierungsgesetz bringen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht in den Schlußbestimmungen. Da heißt es, daß die Bestimmungen über die Entnazifizierung nicht betroffen werden. Das würde keine Schwierigkeit bedeuten, und eines Tages muß ja auch einmal Schluß sein mit dieser Offenbarungspflicht. Es sind auch heute Fristen gesetzt in den verschiedenen Ländern, bis wann ein Verfahren noch aufgenommen werden kann, jedenfalls bei uns in der britischen Zone. Frau Dr. Weber: In der amerikanischen auch7). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Schwierigkeiten liegen nicht vor. Man könnte formulieren: Niemand darf gezwungen werden, seine politische Überzeugung zu offenbaren. Frau Dr. Weber: Das ist der Sinn dessen, was wir sagen wollen. Schräge: Ist das notwendig? Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, daß man Freiheit einschränkt, statt die Dinge laufen zu lassen. Im allgemeinen offenbare ich meine politische Überzeugung nicht, und sollte eine Situation kommen, so ist u. a. Robert Fritsch: Entnazifizierung. Der fast vergessene Versuch einer politischen Säuberung nach 1945. In Aus Politik und Zeitgeschichte 1972, H. 24, S. 11—30. Justus Fürstenau: Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik. Neuwied 1969. Irmgard Lange: Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen. Richtlinien, Anweisungen, Organisation. Siegburg 1976. Lutz Niethammer: Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung. Frankfurt 1972. Clemens Vollnhals (Hrsg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945—1949. München 1991.

7) Zur Entnazifizierung vgl.

774

Siebenundzwanzigste Sitzung es

1.

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Angelegenheit, ob ich den Mut dazu habe. Das haben durchgemacht. Warum muß das in die Verfassung hinein? [Dr. v. Mangoldt]: Es spielt bei der Stellenbesetzung und bei der

meine innere

schon

Nr. 34 wir

ja

Zulasden Betreffenden zwingt, seine politische Überzeugung zu offenbaren, und ihn eventuell zu falschen Äußerungen veranlaßt. Das ist natürlich ein Gewissenszwang, der hier ausgeübt wird. Frau Dr. Weber: Speziell an der Universität! Dr. Bergsträsser: Bei der Zulassung zur Universität in Hessen ist es so, daß danach gefragt wird. Es ist dort ein gewisses Punktsystem ausgearbeitet8). Mayr: In Bayern gibt es auch ein Punktsystem. Dr. Bergsträsser: Das ist erfunden von der technischen Hochschule Darmstadt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte sagen: „Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung zu offenbaren." Das wäre dann eine Parallele zum Artikel über die Religionsfreiheit. Dr. Heuss: Damit machen wir das Punktsystem verfassungswidrig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das finde ich auch. Bei uns gibt es ein solches Punktsystem nicht. Dr. Bergsträsser: Ich halte es in manchen Fällen für notwendig. Solange man nicht jedermann zulassen kann, bin ich der Meinung, daß die Leute, die am Nazisystem beteiligt waren, in zweiter Linie zu stehen haben. Frau Dr. Weber: Das geschieht auch ohne Punktsystem. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das geht auf die Entnazifizierungsbestimmungen zurück. Diese Bestimmungen werden nicht betroffen; darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Wir könnten also sagen in Art. 6 Abs. 5 : „Niemand ist verpflichtet, seine zu offenbaren." politische Überzeugung Dr. Bergsträsser: Warum: „ist verpflichtet" und nicht: „darf gezwungen werden"? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist eine Parallele zu Art. 5 Abs. 4. Dr. Heuss: Ich glaube, das Wort „offenbaren" paßt in die religiöse Sphäre ganz gut hinein, aber hier würde ich sagen: „kundzugeben". Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung kundzugeben oder kundzutun. „Offenbaren" ist zu Vors. sung

zur

Universität eine Rolle,

wo man



-

pathetisch. Dr. Bergsträsser: Dann wäre es richtiger zu sagen: Niemand darf nach seiner politischen Überzeugung gefragt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Fragen kann man. Es handelt sich darum, ob der Gefragte verpflichtet ist, zu antworten. Ich schlage also vor: „Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung bekanntzugeben". (Der Ausschuß ist damit einverstanden.)

8) Eike Woigast: merus

Die Universität Heidelberg 1386-1986, Berlin [. .] 1986, S. 171. Zum „nus. a. Hansmartin Decker-Hauff und Wilfried Setzier (Hrsg.): Die Universivon 1477 bis 1977 in Bildern und Dokumenten, Tübingen 1977. Ein

clausus"

.

Tübingen Punktsystem für Zulassungen wurde 1947 durch die bayerische Rektorenkonferenz erfassen; vgl. Ursula Huber: Die Universität München nach 1945, in: Friedrich Prinz tät

-

(Hrsg.): Trümmerzeit in München, Kultur und Gesellschaft einer deutschen Großstadt im Aufbruch 1945-1949. München 1984, S. 156 ff. 775

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[3. RECHT AUF SOZIALE SICHERHEIT, RECHT AUF NAHRUNG UND AUF ARBEIT 20 UND 21 DER UN-MENSCHENRECHTSERKLÄRUNG) IN VERBINDUNG MIT DER FRAGE DER GLEICHBERECHTIGUNG VON MANN UND FRAU]

(ART.

Es liegen noch eine Reihe von Anträgen vor, die ich mir notiert habe. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, welche Anregungen wir von anderer Seite haben. Wir müssen auch noch über einzelne Fragen aus der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen sprechen. In Art. 20 und 21 dieser Erklärung9)

heißt

es:

Art. 20: Jede Person hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit sowie auf die Verwirklichung der vorstehend beschriebenen wirtschaftli-

chen, sozialen und kulturellen Rechte durch die eigenen Bemühungen jedes Landes und durch internationale Zusammenarbeit, unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsquellen jedes einzelnen Landes. Art. 21: l.Jede Person hat Recht auf Arbeit unter gerechten und zufriedenstellenden Arbeits- und Lohnbedingungen und auf Schutz gegen Arbeitslosig-

keit.

Bergsträsser: Der Schutz gegen Arbeitslosigkeit ist in der Arbeitslosenversicherung enthalten und überdies, wenn wir mit dem sozialen Kapitel anfangen, Dr.

dann ist es wie mit dem kirchlichen und kulturellen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Nach der Überschrift soll das unmittelbar geltendes Recht sein. Wie ist das zu verwirklichen? Das Verlangen nach Vollbeschäftigung ist ein Schlagwort geworden, aber es wird im Rahmen unserer Artikel, die unmittelbare Grundrechte sein sollen, praktisch schwer zu verwirklichen sein. In Abs. 2 des Art. 21 der Menschenrechte heißt es dann weiter: Jede Person hat Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Frau Dr. Weber: Das habe ich schon für die Frau beantragt. Gestern ist der Antrag, den ich eingebracht habe, zurückgestellt worden, weil es hieß, das wäre durch einen anderen Artikel erledigt. Deshalb ist er nicht hineingekommen10). (Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Durch Art. 4.) Ich habe gefragt, ob das nicht mehr notwendig sei, weil hier in Art. 4 steht: „Niemand darf seines Geschlechtes wegen benachteiligt oder bevorzugt werden." Ich habe gefragt, ob in diesem Satz auch enthalten sei, daß man der Frau für gleiche Arbeit den gleichen Lohn gibt. Es ist erklärt worden, das sei der Fall. Ich will die Debatte jetzt nicht fortführen, aber ich behalte mir vor, darauf zurückzukommen. Schräge: Die bayerische Verfassung hat es11). Dr. Bergsträsser: Die hessische auch12). .

9) 10) ") 12) 776

Dok. Dok. Dok. Dok.

Nr. Nr. Nr. Nr.

10.

33, TOP 1 g. 33, Anm. 65. 33, Anm. 66.

..

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1. Dezember 1948

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An sich fällt das unter den Gleichheitssatz. Aber wenn wir damit anfangen, den Gleichheitssatz auszubauen, kommen wir in die soziale Ordnung hinein. Dr. Heuss: Man könnte hinzufügen: „Dieser Gesichtspunkt gilt auch für den Lohn", um damit diesen Gedanken mit hineinzubringen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In Art. 4 Abs. 3? Frau Dr. Weber: Man sollte nicht unnötig spezialisieren. Frau Nadig: Ich habe die Frage auch mit unseren Leuten besprochen und die waren der gleichen Auffassung, daß diese Bestimmung des Abs. 3 nicht ohne weiteres auf die arbeitsrechtlichen Bestimmungen ausgedehnt werden könne. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Gleichheitssatz kann auf die arbeitsrechtlichen Fragen nicht ausgedehnt werden, denn sonst fangen wir an, in die soziale Ordnung hineinzugehen. Es will dann jeder Stand in der Verfassung seine bestimmte Ordnung geregelt haben. Entweder bleiben wir bei den Menschheitsrechten, die wir kurz gefaßt haben, oder wir gehen in die Einzelheiten, dann müssen wir einen großen Abschnitt über die soziale und kulturelle Ordnung

bringen.

Frau Dr. Weber: Das will ich nicht, aber wir müssen diese Frage der Gleichberechtigung der Frau klären. Frau Nadig: Wenn ich etwas sagen darf zu dem Vorschlag Heuss: Wäre das vielleicht eine Zwischenlösung? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß diese Zwischenlösung unorganisch am Schluß des Art. 5 hängen würde. Art. 1 behandelt die Menschenwürde, die Freiheits- und Menschenrechte, Art. 2 das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit alles ganz große Sätze —, Art. 3 die Unverletzlichkeit der persönlichen

Freiheit, Art.

4 bestimmt, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, das Gesetz muß Gleiches gleichbehandeln ein ganz allgemeiner Satz —, Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, niemand darf seines Geschlechtes, seiner Abstammung wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. Da käme jetzt ein ganz spezielles Gebiet über die Löhne dazu und man würde fragen: Wo sind die anderen Gebiete, bei denen die Gleichbehandlung auch noch irgendwie bedeutsam ist? Ich bin der Meinung, daß das schon darin steht, denn sobald ein Tarifvertrag abgeschlossen ist, steht die staatliche Gewalt dahinter und dann gilt der Gleichheitssatz. Frau Nadig: Trotzdem glaube ich, daß durch den Zusatz Heuss die Auslegung des Abs. 3 eine andere sein wird. Frau Dr. Weber: Aber wenn die Erklärungen hierzu gegeben worden sind und zu Protokoll genommen wurden, dann haben sie ihre Gültigkeit. Frau Nadig: Auch mit dem zweiten Satz: „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten" sind wir nicht einverstanden; die jetzige Formulierung ist eine Feststellung, die juristisch längst da ist, [es] ist viel wichtiger, daß man feststellt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt, daß diese Formulierung im Grundgesetz klar und eindeutig verankert wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht in Abs. 3. Das Mißverständnis beruht darauf, daß die Dinge nicht richtig gelesen werden. Es heißt: „Niemand darf seines Geschlechtes wegen benachteiligt oder bevorzugt werden." —



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Frau Dr. Weber: Ich mache darauf aufmerksam, daß die Frauen die größte Wählerschaft darstellen in allen Parteien und daß daher bei den Verhandlungen im Plenum die Dinge in einer ausführlichen Weise erklärt werden müssen und zwar nicht nur von den Berichterstattern das würde ich nicht für ausreichend halten —, sondern hier müssen alle Parteien so vernünftig sein, auch die Frau zu Wort kommen zu lassen für die Frauen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich möchte sagen, daß sehr weitgehende Übereinstimmung in den Fraktionen bestehen dürfte, zu dem Gleichheitsartikel Frauen sprechen zu lassen. Man muß sie ausdrücklich herausstellen aus allen Fraktionen, damit es in gleicher Weise hervortönt. Dann ist diese Frage für die spätere —

Auslegung klargestellt. Frau Nadig: Halten Sie

den Vorschlag Heuss für eine allzu große Beschwerung des Artikels? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde sagen, er durchbricht den ganzen Artikel vollkommen. Dr. Heuss: Ich habe es nur als Anregung mitgegeben. Für den Fall, daß man große Sorge hätte, würde ich mir vorstellen können, daß man die Sache in dieser Form macht. Ich würde es von mir aus nicht beantragen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es sollen doch alle Artikel kurz und einprägsam gefaßt sein. Frau Nadig: Ich verschließe mich diesem Gedanken nicht. Das ist schon richtig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müßten sonst damit rechnen, daß bei jedem Artikel die gleichen Schwierigkeiten auftreten werden. Von jedem Berufsstand und von jeder Gruppe von Menschen wird die gleiche Frage gestellt werden: wo sind wir bedacht? Wir müssen abstrakt formulieren, wenn wir kurz formulieren wollen. Frau Nadig13): Die uns neu zugegangene Verfassung der SED enthält ausführliche Bestimmungen über die Rechte der Frau14). Da ist es nicht verwunderlich, daß sich die Frauenorganisationen mit diesen Fragen auseinandersetzen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man muß den Frauen sagen, daß man das im Osten auf dem Papier niederlegt. (Frau Nadig: Darüber sind wir uns klar.) Man kann mit kurzen Bestimmungen die Dinge oft besser sichern als mit langen, die man nicht einhält. Frau Nadig: Ich wollte nur sagen, daß diese Dinge stark diskutiert werden und im Fluß bleiben15). Man erwartet, daß das Grundgesetz auch der Gegenwart

Rechnung trägt. aus dem Osten her versucht, mit diesen Methoden die Frauen erfassen." 14) Dok. Nr. 33, Anm. 64. 15) Diese Frage wurde zwischen SPD und CDU/CSU auch im Nachhinein noch polemisch behandelt. Angriffe der SPD in Presseorganen führten zu verschiedenen Reaktionen der CDU/CSU. Dr. Albert Finck nahm in der Drucks. Nr. 345 „Um die Gleichberechtigung der Frau" (undat.) Stellung, die mit folgenden Aussagen endete: „Wir erkennen also, die CDU kann sich mit ihrer Haltung gegenüber den Grundrechten der Frau sehr wohl sehen lassen. Was aber die Würde der Frau anlangt, so stellt niemand mit größerem Eifer sich schützend vor diese, als derjenige, der eine christliche Grundlegung unserer Politik

13) Folgt gestrichen: „Es wird zu

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir sind uns einig, daß dies bei unserer Besprechung im Plenum deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Dr. Bergsträsser: Das bindet den Kommentator. Es muß schon jetzt bei den Beratungen im Hauptausschuß hierzu das Wort genommen und Gewicht darauf

das klarzustellen. Wenn man sagt: „gleiche Lohn- und Arbeitsbedingundann man auch überlegen, daß die Frau im Grunde genommen müßte gen", nach unseren Gewerbeschutzbestimmungen teilweise erleichterte Arbeitsbedingungen hat und einen gewissen Schutz genießt. Da muß man vorsichtig sein, denn man kann dann nicht von gleichen Arbeitsbedingungen sprechen, sondern man muß sagen: Da wird die Frau eine gewisse Bevorzugung genießen. Dr. Bergsträsser: Die Frage ist einfach. Wenn die beiden weiblichen Mitglieder diese Erklärungen im Hauptausschuß abgeben, ist das genügend, damit die spätere Auslegung durch die Juristen diese Folgerungen ziehen kann, oder nicht? Das wäre die Frage, die ich an Sie als Juristen zu stellen habe. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde ich durchaus bejahen. Dr. Bergsträsser: Wenn Sie einen Kommentar verfassen, würden Sie schreiben: Das ist so? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Ich würde hinweisen auf diese Auslegung, die der Vorschlag gefunden hat. Dr. Bergsträsser: Wobei darauf hinzuweisen ist, daß alle zugestimmt haben, als eine Deklaration der Fraktionen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Getragen von der Gesamtheit der Fraktionen. Ich meiWir dürfen diese Frage damit als erne, man kann das schwer formulieren. ledigt ansehen. In der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen heißt es weiter in Abs. 3 des Art. 2116): Jede Person kann frei Gewerkschaften bilden und sich ihnen zur Verteidigung ihrer Interessen anschließen. Das Koalitionsrecht haben wir bereits. Art. 22 ist interessant; denn das ist etwas, was wir nicht haben. Er lautet: 1. Jeder hat, namentlich für die Ernährung, Bekleidung, Wohnung und die ärztliche Fürsorge, Recht auf ein ausreichendes Lebensniveau und auf

gelegt werden, Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:



erstrebt; denn in der christlichen Religion ist die Würde der Frau in einzigartiger Weise

In der Drucks. Nr. 372 gab die Fraktion der CDU/CSU unter dem 8. Dez. 1948 nochmals ihre Haltung kund: „Die Presse der SPD und der Stuttgarter Rundfunk haben nun eine Berichterstattung gebracht, die vollkommen irreführend war. Sie haben nämlich behauptet, daß die CDU gegen die Gleichberechtigung gestimmt habe. Diese Nachricht ist überall verbreitet worden und hat große Verwirrung angerichtet [. .] Es ist Absicht der CDU, eine Formulierung mit den Vertretern der anderen Fraktionen über die Gleichberechtigung der Frau zustande zu bringen, die alle einigt." Als Drucks. Nr. 376 beantragte die CDU/CSU für die 2. Lesung im HptA folgenden Art. 4, Abschnitt 2 : „Männer und Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten. Die Gesetzgebung hat dies auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen." Vgl. auch 42. Sitzung des HptA; Verhandlungen, S. 538 ff. 16) Dok. Nr. 10.

verpflichtend sanktioniert."

.

779

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genügende soziale Dienste, um seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden zu gewährleisten, sowie auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Alter oder jedweder Art unverdienten Verlustes des Unterhalts. 2. Mutter und Kind hat Recht auf besondere Hilfe und Unterstützung. Der erste Teil betrifft eine Frage, die in Deutschland die Gemüter sehr stark bewegt. Ich habe hier einen Zeitungsausschnitt aus der Zeitung „Das Andere Deutschland"17), da weist Prof. Dr. Forsthoff darauf hin, wir hätten die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Dr. Heuss: Der alte Nazi-Forsthoff18)? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, aber Forsthoff hat sich in Wien sehr stark vom Nationalsozialismus gelöst. Dr. Heuss: Ich habe ihn in Heidelberg sehr schätzen gelernt. Am Anfang ist er einer von den Privatdozenten gewesen, die Nazibücher geschrieben haben, um eine Professur zu bekommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, am Anfang. Es gibt ein Buch von ihm, wo das stark zum Ausdruck kommt19). In dem Artikel von diesem Prof. Forsthoff heißt es: „Die Androhung des Entzuges der Lebensmittelkarte oder des Wohnrechts bei Nichtbefolgung behördlicher Anordnungen ist nichts anderes als eine Erpressung der Verwaltung." Dagegen müßten wir uns im Grundrechtskatalog sichern. Das ist eine Frage, die die Bevölkerung bewegt. Dr. Heuss: Das habe ich in der ersten Lesung das „Recht auf Nahrung" genannt und zur Diskussion gestellt20). Herr Schmid hat es damals als einen Verwaltungsunfug bezeichnet, daß man jemandem die Lebensmittelkarte entzieht, wenn er nicht die und die Dinge annimmt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Prof. Forsthoff schreibt weiter: „Der Bonner Entwurf läßt hier den einzelnen im Stich. Der Grundsatzausschuß ist dem gleichen Fehler erlegen, der den Vätern der Weimarer Verfassung zum Verhängnis wurde. Er ist in den traditionellen Bahnen stecken geblieben und hat nicht erkannt, daß eine veränderte Wirklichkeit neue Lösungen fordert. Ein wirksamer Schutz des einzelnen gegen die Übermacht der modernen Verwaltung verlangt die grundrechtliche Sicherung des gleichen Anspruchs aller 17) Artikel von Forsthoff in: „Das andere Deutschland" vom 15. Okt. 1948. Darin wurde gefordert, verfassungsmäßig abzusichern, daß dem Menschen der Erwerb der zur Ermögli-

chung einer menschlichen Existenz notwendigen Bedarfsgüter (Nahrung, Kleidung, Wohnung) nicht versagt werde und die Androhung des Entzuges solcher Leistungen als Mittel des Verwaltungszwanges nicht angewandt werde. Der allgemeine Grundsatz von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sei kein ausreichender Schutz. 18) Ernst Forsthoff (1902-1974), Prof. für Staats- und Verwaltungsrecht in Hamburg (1935), Königsberg (1936), Wien (1941), Heidelberg (1943), 1945 auf Anordnung der US-Militärregierung entlassen, in der Landesverwaltung von Schleswig-Holstein tätig, 1949—1967 wieder Ordinarius in Heidelberg. 19) Ernst Forsthoff: Der Totale Staat. Hamburg 1933. 20) Dok. 9, TOP 8, insbes.

780

Anm. 52.

Siebenundzwanzigste Sitzung

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den Leistungen der Verwaltung zur Ermöglichung einer menExistenz (Wohnung, Kleidung, Nahrung usw.), verlangt weiter schenwürdigen einen Rechtssatz, der die Androhung des Entzuges dieser Leistungen als Mittel

auf Teilhabe

des

an

Verwaltungszwangs schlechthin ausschließt."

Dr. Bergsträsser: Das letztere würde in unseren Duktus hineinpassen. Frau Dr. Weber: Das andere ist die Gewährung des Existenzminimums. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das können wir nicht durchführen. Dr. Bergsträsser: Den Schutz der Minimalexistenz gegen Verwaltungsmaßnahmen könnten wir doch hineinnehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Etwa so, daß wir sagen: „Niemandem darf durch Hand-

die Existenzgrundlage für Nahrung, Kleidung welcher Stelle wollen wir das hineinbringen? Aber an usw. entzogen werden." über die Wohnung. der Weber: Bei Frau Dr. Bestimmung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da paßt es wohl kaum. Frau Dr. Weber: Vielleicht bei Art. 2. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Recht auf Leben? Frau Nadig: Da paßt es hin. auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit". Ja, Vors. [Dr. v. Mangoldt]: man kann sagen, wenn einer nicht das Notwendige zum Leben hat, keine Kleidung usw., wie soll dann ein Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verwirklicht werden? Da würde man es unterbringen können, vielleicht im zweiten Satz. Dr. Bergsträsser: Vielleicht durch einen Zusatz nach der Bestimmung: „In diese Freiheit darf nur im Rahmen der Rechtsordnung eingegriffen werden." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Beim Gesetz ist die Gefahr nicht gegeben. Deshalb paßt es da nicht hinein. Es heißt, es darf nur eingegriffen werden im Rahmen des Gesetzes. Das Gesetz kann solche Eingriffe zulassen. Aber es würde so hineinpassen, daß man sagt, daß insbesondere die Verwaltung diese Rechte nicht entziehen darf. „Insbesondere" ist dann allerdings nicht richtig, sondern es müßte heißen: „keinesfalls." Dr. Heuss: Oder man müßte einen neuen Satz anfügen: „Die Verwaltung darf nicht usw.". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte es etwa in der Form hineinbringen, daß man sagt: „Keinesfalls darf die Existenzgrundlage entzogen werden." Da könnte man dann anführen etwa Nahrung, Kleidung und Wohnung. Das sind wohl die drei Dinge, auf die es ankommt. Frau Dr. Weber: Eigentlich gehört dazu auch die Arbeit. Dr. Heuss: Wir müssen vorsichtig sein mit der Wohnung, weil es den gesetzlichen Akt der Exmittierung von unliebsamen Mietern gibt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da hat die Polizei eine Verpflichtung, Obdach zu verschaffen. Dieses Minimalrecht ist gewährleistet. Frau Dr. Weber: Ist da nicht eingeschlossen das Zuzugsverbot? Das besteht in den Städten21). Wird das nicht eingeschränkt?

lungen der Verwaltungsbehörden

.

) Die Stadt München 1945 eine

z.

B. hatte wegen der außerordentlichen Wohnungsnot am 14. Sept. ein Zuzugsverbot erlassen; bei Verstößen wur-

„Rückkehrbeschränkung" und

781

Nr. 34 Vors. [Dr.

Siebenundzwanzigste Sitzung v.

derungen für so ähnlich. Dr.

1.

Dezember 1948

Mangoldt]: Man müßte sagen: „Keinesfalls dürfen die MindestforNahrung, Kleidung und Wohnung in Frage gestellt werden," oder

Bergsträsser:

Wenn

jemand illegal

in ein Gebiet

hineinkommt, wie ist

es

dann? Vors. [Dr.

v. Mangoldt]: Auch dann! Man darf einen nicht verhungern lassen. Nadig: Ich finde, gerade mit Rücksicht darauf ist eine solche Bestimmung

Frau

nötig. Vors. [Dr.

muß

man

v. Mangoldt]: Das ist Inhalt der Menschenwürde. Wenn einer da ist, ihn entweder zurückstellen oder man muß ihm die Mindestforderun-

gen gewähren. Frau Dr. Weber: Es kommt vor, daß die Leute zurückgeschickt werden. Es heißt dann: Wir haben für Sie weder Wohnung, noch Nahrung und Kleidung. Es wird ihnen das Mindestmaß nicht gewährt und sie werden einfach zurückgeschickt. Ist das hierdurch unmöglich gemacht? , Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Daß man sie zurückschickt, das bleibt offen und das würde ich auch offen lassen. Es gibt Elemente, die sich drüben der Arbeit entziehen und Ansprüche erheben. Die kann man zurückschicken. Frau Nadig: Man muß sie aber an diesem Tag oder an den zwei Tagen ernähren.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das entspricht der Menschenwürde. Man kann einen nicht verhungern lassen. Aber das Zurückschicken kann man nicht verhindern. Es gibt Fälle, wo das durchaus gerechtfertigt ist. Was haben wir in Hannover für Zustände gehabt mit den Schwarzhändlern aus der russischen Zone! Der ganze Bahnhof in Hannover war überfüllt von diesen Schwarzhändlern. Wir haben keinen Grund, diese Elemente für dauernd aufzunehmen. Dr. Bergsträsser: Wir haben keinen Grund, Leute aufzunehmen aus der Ostzone, denen es dort unbehaglich ist. Wir können nicht unbeschränkt Leute aufnehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen die Formulierung fertig machen, damit wir sehen, wie sie hineinpaßt. Man könnte sagen: „Keinesfalls darf ein Mindestmaß oder Mindesterfordernis an Nahrung, Kleidung und Wohnung verweigert werden." Dr. Bergsträsser: Oder wir sagen: .dürfen die Mindesterfordernisse ." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder: .das zum Leben erforderliche Mindestmaß ." Dr. Heuss: Ist es nicht nötig zu sagen: „behördlich verweigert." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das ist nicht richtig. ein zum Leben notwendiges Mindestmaß". Mayr: Ich würde vorschlagen: .

.

..

„..

.

den keine Lebensmittelkarten bewilligt. Vgl. Marita Kraus: Deutsche sind Deutsche, aus welchem Teil Deutschlands sie stammen. Flüchtlinge und Vertriebene im Trümmermünchen. In: Friedrich Prinz (Hrsg.): Trümmerzeit in München 1945—1949, Kultur und Gesellschaft einer deutschen Großstadt im Aufbruch 1945—1949. München 1984, S. 320 ff. .

gleichgültig

782

.

.

Siebenundzwanzigste Sitzung

1.

Dezember 1948

Nr. 34

v. Mangoldt]: „Keinesfalls darf das zum Leben erforderliche MindestNahrung, Kleidung und Wohnung verweigert werden." Oder wir sagen: „das lebensnotwendige Mindestmaß".

Vors. [Dr.

maß

an

Dr. Heuss: Das ist schlecht. Höchstens kann

wendige

sagen:

„das

zum

Leben not-

Mangoldt]: Fassen wir es so: „Keinesfalls darf das Mindestmaß der notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung verweigert werden." wäre diese Frage auch erledigt.

Vors. [Dr. zum

man

Mindestmaß". v.

Leben

Damit Zum zweiten Absatz des Abs. 22 der Menschenrechte22): „Mutter und Kind" ist nur zu sagen, daß es sich hier um einen Satz handelt, der anerkannt ist und in die sozialen Artikel hineingehört. Art. 23: 1. Jede Person hat Recht auf Erziehung. Der Elementar- und Grundunter-

richt soll kostenlos und obligatorisch, der Zugang zum Hochschuldstudium allen gleichmäßig nach Maßgabe des Verdienstes jedes einzelnen offen sein. 2. Die Erziehung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Verstärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zum Ziele haben und überall den Geist der Unduldsamkeit und des Hasses gegenüber anderen Nationen sowie gegenüber rassischen und religiösen Gruppen bekämpfen. Das haben wir an anderer Stelle, nämlich bei den Bestimmungen über die freie

Meinungsäußerung. Art. 26: Person hat das Recht

darauf, daß auf sozialem und auf internationalem Gebiet rechte Ordnung herrscht, damit die in der folgenden Erklärung aufgeführten Rechte und Freiheiten zu voller Entfaltung gelangen kön-

Jede

nen.

Damit wollen wir schließen. Unsere nächste Donnerstag oder Freitag halten.

22) Dok. Nr.

Sitzung werden

wir voraussichtlich

10.

783

Nr. 35

Art. 1-21, 2.

Lesung Nr. 35

Art. 1—21 in der

vom

Ausschuß für

Grundsatzfragen

in zweiter

Lesung

angenommenen Fassung [1. Dezember 1948] Z 12/45, Bl. 36-37. Anlage zum Kurzprot. der 27. Drucks. Nr. 326 vervielf. wurde1).

Sitzung

vom

1.

Dezember 1948, das als

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung erkennt das deutsche Volk jene gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, die das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden. (3) In den nachstehenden Artikeln für unser Volk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt, binden diese Grundrechte Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht. Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person.

(2) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (3) In diese Freiheit darf nur im Rahmen der Rechtsordnung eingegriffen werden. Keinesfalls darf das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung verweigert werden. (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Artikel 3

(1) Die Freiheit der Person ist unverletzlich. (2) Niemand darf willkürlich festgenommen, verhaftet oder festgehalten werden. (3) Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden.

15 und 21 handschr. Verbesserungen bei der Bezifferung der Artikei, auf die wiesen wurde, vermutlich vom Protokollführer Wernicke.

J) Bei Art.

784

ver-

Art. 1-21, 2. Artikel 4

Lesung

Nr. 35

(bisher Artikel 19)

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. (2) Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Niemand darf seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. Artikel 5 (bisher Artikel 7)

(1) Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens wie die Freiheit des religiöund weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Das Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird anersen

kannt. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert. (Antrag der SPD-Fraktion:) (5) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz. Artikel 6 (bisher Artikel 8)

(1) Die Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsverbreitung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. (2) Die Unterrichtung und die Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen insbesondere der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckerzeugnissen dürfen nicht beschränkt werden. (3) Die Pressefreiheit wie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film wird gewährleistet. Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Eine Zensur von Presse und Runfunk findet nicht statt. Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über Presse, Rundfunk und Film eingeschritten werden. Die Entscheidung erfolgt im ordentlichen gerichtlichen Verfahren. (4) Diese Rechte finden ihre Grenze an den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze, an den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, insbesondere im Filmwesen und an dem Recht der persönlichen Ehre. (5) Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung bekanntzugeben. 785

Nr. 35

Art. 1—21, 2.

Lesung Artikel 7 (bisher Artikel 10)

Die Kunst, Wissenschaft und

Forschung

und ihre Lehre sind frei.

Artikel 8 (bisher Artikel 11)

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.

Artikel 9 (bisher Artikel 12)

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. (3) Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. (.Vermerk: Abs. 3 S. 2 u. 3 Variante I:) Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden. Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. (Vermerk: Abs. 3 S. 2 u. 3 Variante II:) Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert werden. Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und

nichtig.

(4) Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wird anerkannt. Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt. Artikel 10 (bisher Artikel 9) Das Briefgeheimnis, sowie das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen können nur durch Gesetz, jedoch nicht zu Zwekken der politischen Überwachung angeordnet werden.

Artikeln (bisher Artikel 5) Alle Bundesangehörigen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Sie haben das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. 786

Art. 1-21, 2.

Lesung

Nr. 35

(bisher Artikel 6 a) (1) Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf und Arbeitsplatz frei Artikel 12

zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungs-

pflicht. (3) Zwangsarbeit zulässig.

ist

nur

bei einer

gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung

Artikel 13 (bisher Artikel 6)

(1) Die Wohnung ist unverletzlich. (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. (3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Artikel 14 (bisher Artikel 17)

(1) Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Wer sein Eigentum mißbraucht, kann sich auf den Schutz dieser Bestimmungen nicht berufen. (3) Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines förmlichen Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Diese ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen zu bestimmen. Artikel 15 (bisher Artikel 18) Die

Überführung

von

Grund und Boden,

von

Naturschätzen und Produktionsnur auf

mitteln in Gemeineigentum im Wege der Enteignung des Artikels 14 ist Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Artikel 16

Niemand darf willkürlich seiner Bundesangehörigkeit beraubt werden. Durch Gesetz darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur für die Fälle vorgesehen werden, in denen der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. 787

Nr. 35

Art. 1-21, 2.

Lesung Artikel 17 (bisher Artikel 4)

(1) Kein Deutscher darf ans Ausland ausgeliefert werden. (2) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Artikel 18 (bisher Artikel 14) zu wählen oder abzustimmen, die Wahlfreiheit sowie das Wahlwerden geheimnis gewährleistet. Wer wahlberechtigt ist, entscheiden Verfasoder Gesetz. sung (2) Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die Möglichkeit freier Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen nicht genommen werden.

(1) Das Recht

Artikel

19

(bisher Artikel 15)

im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbilund nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang.

Jeder Deutsche hat

dung

Artikel 20 (bisher Artikel 16) in Gemeinschaft mit anderen schriftlich zuständigen Stellen sowie an die Volksver-

Jeder hat das Recht, sich einzeln oder mit Bitten oder Beschwerden tretung zu wenden.

an

die

Artikel 21 (bisher Artikel 20) (1) Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden. (2) Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 6), die Lehrfreiheit (Artikel 7), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8) oder die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte.

788

Achtundzwanzigste Sitzung

3. Dezember 1948

Nr. 36

Nr. 36

des Ausschusses für 3. Dezember 1948

Achtundzwanzigste Sitzung

Grundsatzfragen

Z 5/35, Bl. 179—198. Stenogr. Wortprot. vom 11. Dezember 1948, Z 12/45, Bl. 33. Drucks. Nr. 339

von

Kurzprot:

Herrgesell

gez.

Anwesend1): CDU/CSU: Lensing, v. Mangold (Vors.), Mayr, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich

FDP: Heuss Mit beratender Stimme: Reif (zeitweise) Stenografischer Dienst: Herrgesell Dauer: 9.20-10.18 Uhr

[1. JURISTISCHE PERSONEN UND GRUNDRECHTE (ART. 21, ABS. III)] Der Vorsitzende, ten. Auf der gen.

Abg. Dr. v. Mangold, eröffnet die Sitzung um 9 Uhr 20 MinuTagesordnung stehen Ergänzungen zu den Grundrechtsbestimmun-

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich war beauftragt worden, die Frage zu untersuchen, wie weit die Grundrechte auf juristische Personen anwendbar gemacht werden sollten2). Ich habe die einzelnen Artikel durchgeprüft und komme zu folgendem Vorschlag. Hinsichtlich des Gleichheitssatzes des Art. 4 hat man nach der Weimarer Verfassung3) gesagt, der Gleichheitssatz könne zwar nicht unmittelbar auf juristische Personen Anwendung finden, er werde aber dadurch anwendbar, daß die juristischen Personen sich aus Einzelpersönlichkeiten zusammensetzten. Trotzdem ist es vielleicht richtig, den Gleichheitssatz hier noch einmal besonders anzuführen. Ich schlage vor zu sagen: Der Gleichheitssatz (Art. 4) sowie die Grundrechte der ungestörten Religionsübung (Art. 5) weil dieses Grundrecht nicht nur dem einzelnen, sondern auch den Religionsgesellschaften zustehen soll —, der Freizügigkeit (Art. 11), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. es war bei der Weimarer 13) Verfassung schon so, daß unter die Wohnung auch das befriedete Besitztum der juristischen Personen fiel und des Privateigentums (Art. 14 und 15) sind auf Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit entsprechend anzuwenden. Ich nehme an, daß wir das so —





aufnehmen dürfen.

(Zustimmung.) Dr. Heuss: Wo wollen Sie es hinsetzen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde an den Schluß als Art. 21 Abs. 3 kommen. Dr. Reif: Deckt das auch den Verein?

1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot.; die Anwesenheit von Reif ergibt sich

Wortbeiträgen. 2) Vgl. Dok. Nr. 34,

3) Es handelte sich

nur aus

seinen

TOP 1. Art. 109 WRV.

um

789

Nr. 36

Achtundzwanzigste Sitzung

3. Dezember 1948

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, soweit er eigene Rechtspersönlichkeit hat. Dr. Heuss: Irgendein Verein, zum Beispiel eine Museumsgesellschaft? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn der Verein eingetragen ist, gewinnt

er

eigene

Rechtspersönlichkeit. Man weiß

schaften

nicht, ob jede Einzelheit der Grundrechte tatsächlich auf die Körper-

Anwendung

finden kann.

Reif: Wir müssen wissen, was wir wollen. Wir müssen jetzt entscheiden, ob wir wollen, daß das Grundrecht in jeder Einzelheit auf die juristischen Personen angewendet wird, oder ob wir das nicht wollen. Dr. Heuss: Wir haben einige Grundrechte aufgezählt, bei denen wir die Anwendung wollen. Dr. Reif: Es handelt sich um die Frage, ob wir es in der ganzen Ausdehnung anwenden wollen oder nicht. Herr Dr. v. Mangoldt sagte soeben, man wisse nicht, wie es im einzelnen sei. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nicht ohne weiteres zu entscheiden, das hängt vom Einzelfall ab. An sich sind es Menschen- und Freiheitsrechte. In irgendeiner Weise kann eine persönliche Verknüpfung vorhanden sein. Diese einzelnen Artikel sind zusammengesetzt worden, sie enthalten mehrere Bestimmungen. Es kann im einzelnen zweifelhaft werden, ob gewisse Vorschriften dieser Artikel überhaupt auf juristische Personen anwendbar sind. Hier möchte ich einen Ausweg lassen, indem ich sage: „entsprechend anzuwenden". Dr. Reif: Das kann also nicht bedeuten, daß der Richter unter Umständen die Möglichkeit hat, Einschränkungen zu machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde ich nicht annehmen. Dr. Reif: Wir wollen ja, daß der Richter von uns den Auftrag erhält, es in möglichst weitem Sinne anzuwenden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Entsprechend" heißt: der Besonderheit der Körperschaft entsprechend anzuwenden. Das würde die Auslegung sein. Soweit die juristische Person gegenüber der Einzelperson Besonderheiten aufweist, sind diese Besonderheiten entsprechend zu berücksichtigen. Es ist furchtbar schwer zu übersehen. Läßt man es heraus oder nennt man jede Einzelheit, so gibt es Dr.

irgendwelche Schwierigkeiten. [2. GARANTIE DES BERUFSBEAMTENTUMS (ART.

20 a, ABS.

II), BEAMTENHAFTUNG]

nun noch zu einem Antrag Stellung nehmen, der vom Zuständigkeitsausschuß an uns gelangt ist. Der Zuständigkeitsausschuß hat mit Beschluß vom 17. November 19484) einen Art. 15 a formuliert, der in Abs. 1 lautet: Dauernde Aufgaben in Ausübung öffentlicher Gewalt sind in der Regel nur Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis zu ihrem Dienstherrn stehen, sofern nicht durch Gesetz solche Aufgaben Ehrenbeamten übertragen werden oder im Hinblick auf die Art der Dienstleistung durch Gesetz etwas anderes bestimmt wird.

Wir müssen

4) Der Pari. Rat Bd. 3, S. 790

588-597.

Achtundzwanzigste Sitzung

3.

Dezember

1948

Nr. 36

In Abs. 2 kommt dann die Amtshaftung bei Amtspflichtverletzungen. Wir waren uns darüber klar, daß wir das keinesfalls unter die Grundrechte aufnehmen können. Wir müssen uns jetzt entschließen, mit welcher Empfehlung wir das weitergeben wollen, ob wir vorschlagen wollen, diese Grundsätze an anderer Stelle aufzunehmen. Gestern sind die Vertreter der Beamtengewerk-

schaft hier gewesen und haben bei den Fraktionen vorgesprochen5). Dr. Heuss: Diese Sache wird hin und her geschoben. Sie kann hier nicht aufgenommen werden. Das muß an den Schluß der Bestimmungen über die Verwaltung kommen, hinter Art. 119 oder 120. Wir haben hierzu auch einen Antrag mit einer anderen Formulierung eingebracht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es entsteht nur die Schwierigkeit, daß die Bestimmung dann nur für den Bund gilt. Dr. Reif: Wir waren im Zuständigkeitsausschuß auf die Angelegenheit bei der Formulierung des Art. 296) gekommen. Wir wollten die Institution des Rechtsstaates als für die Länder verbindlich noch einmal feststellen, vor allem als Propagandawirkung nach dem Osten. Als wir zur Proklamation der Selbstverwaltung gekommen waren, haben wir beschlossen, dort das Institut des Berufsbeamtentums und auch die Behördenhaftung als Elemente des Rechtsstaates mit zu nennen. Man hat uns dann gesagt, das gehöre dort nicht hin. Der Redaktionsausschuß hat den ganzen Art. 29 anders formuliert. Außerdem war zu erwägen, daß es dann zunächst nur eine Vorschrift für die Länder und nicht eine solche für den Bund sein würde. Jetzt irrt diese Formulierung herum und sucht eine Heimstätte in dem System der Verfassung. Man könnte eventuell noch einen Satz hineinbringen, mit welchem auf die Länder hingewiesen wird. Das geht aber nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es würde einerseits zu den Normatiworschriften gehören. Das ist jetzt Art. 277). (Dr. Reif: Da müßte es hinein). Dahinein geht es nicht. Ich habe noch einen anderen Vorschlag. Man könnte es auch so machen, daß man hinsichtlich der Amtshaftung den Art. 131 der Weimarer Verfassung weiter gelten läßt, indem man in den Übergangsbestimmungen sagt: Die Grundsätze des Art. 131 der Weimarer Verfassung finden weiter Anwendung. Dr. Bergsträsser: Das geht. Das bezieht sich aber nur auf die Amtshaftung, nicht auf das Berufsbeamtentum. —

(Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]: Nein.)

Wir möchten über das Berufsbeamtentum nichts in die gen. Frau Dr. Weber: Wir aber wohl.

Verfassung

hineinbrin-

5) Unterlagen über die Gespräche der Beamtenvertreter mit den Fraktionen am 2. Dez. 1948 ließen sich nicht ermitteln. Über die Behandlung der Forderungen der Beamten im Pari. Rat zusammenfassend vgl. Werner Sörgel: Konsensus und Interessen, S. 120—133. B) Der Pari. Rat. Bd. 3, S. 233 ff. 7) Vgl. Dok. Nr. 26. 791

Nr. 36

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3.

Dezember 1948

Reif: Wir auch. Der Kollege Schönfelder hat bei uns im Ausschuß den Standpunkt vertreten8), die Formulierung solle nicht so gemacht werden, daß etwa Hamburg zum Beispiel im Fürsorgewesen, wo jetzt die Dinge anders geregelt worden sind, gezwungen würde, die Regelung rückgängig zu machen. Das Ausmaß der Verwendung von Berufsbeamten ist sehr verschieden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde vorschlagen, in den Übergangsvorschriften einfach zu sagen: Die Grundsätze des Art. 131 der Weimarer Verfassung finden weiter Anwendung. (Dr. Reif: Das bezieht sich aber nur auf die Amtshaftung?) Ja. Die paßt überall schlecht hinein. Die würden wir auch nicht bei Art. 27 bringen können. Dr. Bergsträsser: Sie paßt am besten in die Übergangsvorschriften. Dr. Reif: Es ist aber eigentlich keine Übergangsbestimmung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Doch, es handelt sich um die Weitergeltung einer BeDr.



stimmung. ur. Reif: Es ist die Frage Weimar genau entspricht.

zu

prüfen, ob der Inhalt der Formulierung der

von

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit ganz geringen Ausnahmen. Dr. Reif: Wir sind meines Wissens über die Formulierung der Weimarer Verfassung etwas hinausgegangen. Das spielt aber keine Rolle. Ich habe es überprüft. [Ich] habe im Zuständigkeitsausschuß stark betont9), daß wir uns nicht die Einschränkung unbedingt zu eigen machen sollten, die man in der Weimarer Verfassung noch hinsichtlich des Bürgerlichen Gesetzbuches macht. Wir stehen auf dem Standpunkt, in einer Zeit, in der der Staat sich in einem derartigen Umfang, wie man das bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches noch gar nicht voraussehen konnte, sich in das Privatleben der Menschen einmischt, können wir einfach nicht sagen: Die Amtshaftung setzt deshalb aus, weil der

davon betroffene Staatsbürger sich nicht rechtzeitig irgendwelcher Rechtsmittel bedient hat. Das BGB verlangt zum Beispiel, daß die Behörde nicht haftet, wenn der Staatsbürger das und das nicht gemacht hat. Das kann man heute vom Staatsbürger überhaupt nicht mehr verlangen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ist es wirklich so wichtig, diese kleinen Änderungen hier hereinzubringen, wenn wir den Grundsatz als solchen aufrechterhalten? Der Grundsatz kann später immer umgestaltet werden.

Dr. Reif: Das ist ungeheuer wichtig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Unterschied besteht in folgendem. In Art. 131 der Weimarer Verfassung heißt es: „Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt. ." Da ist es auf den Beamten abgestellt. Hier ist es umgestellt, hier heißt es: „Bei Amtspflichtverletzung in Ausübung der öffentlichen Gewalt ist der daraus entstandene Schaden ." Aber unter den Begriff des Beamten ist nach der Rechtsprechung unter der Weimarer Verfassung jeder gefaßt worden, der öffentliche Gewalt ausübte. Praktisch ist das nur eine Umformulierung, die der Rechtsprechung entspricht. Diese Änderung brauchte .

.

8) Der Pari. 9) Der Pari. 792

Rat Bd. 3, S. 589 f. Rat Bd. 3, S. 560.

.

Achtundzwanzigste Sitzung

3.

Dezember 1948

Nr. 36

nicht durchgeführt zu werden. In der Fassung des Zuständigkeitsausschusses so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat heißt es weiter: oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht." In unserem Vorschlag heißt es: „ist der daraus entstandene Schaden nach Maßgabe der Gesetze zu ersetzen. Der Anspruch ist gegen den Dienstherrn zu richten. Diesem bleibt bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit der Rückgriff vorbehalten." Da würde das Bürgerliche Gesetzbuch die Hauptrolle spielen. Dr. Reif: Das interessiert mich im Augenblick weniger. Der Rückgriff gegen den Beamten ist eine Sache des Beamtenrechts. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Ich sehe gar nicht, daß hier gegenüber dem Art. 131 der Weimarer Verfassung eine wesentliche Änderung vorgenommen ist. (Dr. Bergsträsser: Mir scheint, Herr Dr. Reif will eine Änderung.) Aber der Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses vom 17. November 194810) enthält gar keine wesenüiche Änderung. Vielleicht können wir sagen: Die Grundsätze des Art. 131 der Weimarer Reichsverfassung finden weiter Anwendung. Dr. Reif: Nein, das wollen wir unter gar keinen Umständen. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Man kann hinzufügen, mit der und der Änderung. Ist die Sache wirklich so wichtig? Dr. Reif: Sie ist ungeheuer wichtig. Es gibt Leute, die heute schon davon sprechen, daß Verfassungsarbeit eigentlich überflüssig sei; denn der moderne Staat sei ein Administrationsstaat und kein Rechtsstaat im alten Sinne. Davon ist leider sehr viel wahr. Ich wünsche nicht, daß Vertreter meiner politischen Grundauffassung diese Dinge noch über das, was leider schon Wirklichkeit ist, hinaus betreiben, indem ich ihnen juristisch Rechnung trage. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Wie weit spielt das hier herein? Dr. Reif: Das ist jetzt die abstrakte Umschreibung dessen, was ich vorhin gesagt habe, daß der moderne Staat sich in einer solchen Fülle von Fällen in das Leben des einzelnen einmischt, das der einzelne Vors. [Dr. v, Mangoidt]: Wir wollen den Grundsatz der Amtshaftung aufrechterhalten. Dr. Reif: Verzeihen Sie, aber nicht: im Rahmen der Gesetze. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Das steht bei uns gar nicht drin. Das steht gerade in der Fassung, die der Zuständigkeitsausschuß vorgeschlagen hat. Dr. Reif: Das weiß ich. Das wollen wir nicht. Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Das steht nicht in der Weimarer Verfassung. Dr. Reif: Das ist in der Weimarer Verfassung so gewesen. Darauf hat sich Herr Dr. Laforet berufen11). Vors. [Dr. v. Mangoidt]: Was Herr Dr. Laforet ausgeführt hat, stimmt nicht. Hier (in der Weimarer Verfassung) steht: „Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht." Klarer kann es nicht sein. Es steht nichts von den Gesetzen drin. Anschließend heißt es (gleichfalls in der .





10) S. Anm. 6. ») Der Pari. Rat Bd. 3, S.

479



f. 793

Nr. 36

Achtundzwanzigste Sitzung

3.

Dezember 1948

Weimarer Verfassung): „Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob." Das muß drin sein. Dr. Reif: Das heißt, daß darüber noch eine Gesetzgebung erfolgen müßte. Das ist etwas anderes. Ich möchte nur erreichen, daß die Berufung auf das BGB, die im Jahre 1875 durchaus ihr Recht hatte12), heute nicht mehr zu Recht be-

von dem Staatsbürger nicht mehr verlangt werden kann, daß all die vorgeschriebenen Einspruchsmöglichkeiten usw. überhaupt kennt. Es kann sich überhaupt keiner mehr mit der öffentlichen Hand auseinandersetzen, ohne nicht nur mit einem Rechtsanwalt, sondern mit einem Spezialanwalt ausgerüstet zu sein. Ich brauche nur das Wort Steuerrecht zu nennen. Dr. Heuss: Mir ist es ein bißchen unsympathisch, diese Sache in die Übergangsbestimmungen zu nehmen. Ich weiß nicht ganz, welches der Rechtscharakter von Übergangsbestimmungen ist. Es sieht fast so aus, als ob das Dinge zweiter Ordnung sind, die man in Kraft läßt, bis eine andere Regelung getroffen ist. Wenn wir auf die Weimarer Verfassung verweisen, kommt der Laie, der sich orientieren will, in Verlegenheit. Er muß sich, wenn er diese Verfassung kauft, gleichzeitig um die nicht mehr vorhandene Weimarer Verfassung bemühen. Vielleicht könnte man einfach den Artikel der Weimarer Verfassung, wie er dort steht, hineinsetzen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir wollen die Ordnungen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens nicht aufnehmen. Da wir sie nicht aufnehmen, fehlen gewisse Grundsätze, die sich in der Weimarer Regelung bewährt haben, bei uns. Deswegen ist die einfachste Lösung, auf diese Grundsätze als weitergeltend zu verweisen. Man kann sagen, die allgemeine Auffassung ist, daß die Weimarer Verfassung nicht mehr weitergilt, jedenfalls nicht als Grundordnung. Man sagt aber, einzelne Vorschriften der Weimarer Verfassung gelten heute noch als einfaches Gesetzesrecht weiter, so der Art. 131. Man könnte in den Übergangsvorschriften ausdrücklich sagen: Es gilt das und das Recht weiter, es gilt dieses Recht als Landesrecht, dieses Recht als Bundesrecht weiter. Deshalb würde es sehr gut in den Rahmen passen, wenn man sagt: Der Art. 131 der Weimarer

steht, weil heute er

weiter Anwendung. Dr. Reif: Er bezieht sich dann auf Bund und Länder? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auf Bund und Länder. Die Vorschrift müßte in den Art. 139 hinein13).

Verfassung findet

(Zustimmung). Man müßte

verfassung

formulieren: Die Grundsätze des Art. 131 der Weimarer Reichsgelten fort. so

(Zustimmung.) 12) Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) wurde von einer am 22. Juni 1874 vom Bundesrat eingesetzten Juristenkommission erarbeitet, die erst am 31. Jan. 1888 einen ersten Entwurf veröffentlichte. 13) Art. 139 in der Fassung der Drucks. Nr. 291 vom 18. Nov. 1948 lautete: „Recht aus der Zeit vor dem in Art. 138 d festgelegten Zeitpunkt gilt fort, soweit es dem Grundgesetz nicht 794

widerspricht.".

Achtundzwanzigste Sitzung

3.

Dezember 1948

Nr. 36

Dr. Heuss: Wir wollten unter Art. 120 a sagen: Das Berufsbeamtentum bleibt erhalten. Seine

hergebrachten Grundsätze und beschränkendes Richtmaß aller gesetzlichen Regeverpflichtendes der des Berufsbeamten. lung Rechtsstellung Das ist nicht sehr scharf. Aber es ist eine Deklaration. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Kompetenzausschuß hat es so gefaßt14): Dauernde Aufgaben in Ausübung öffentlicher Gewalt sind in der Regel nur Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis zu ihrem Dienstherrn stehen, sofern nicht durch Gesetz solche Aufgaben Ehrenbeamten übertragen werden oder im Hinblick auf die Art der Dienstleistung durch Gesetz etwas anderes bestimmt wird. Das ist fürchterlich umständlich. Dr. Heuss: Es hat auch den Nachteil, daß der Staat auf absehbare Zeit Hoheitsrechte auch Angestellten übertragen hat. Dr. Reif: Das tut er hiernach auch. Dr. Heuss: Nein, hier heißt es: „in der Regel nur Berufsbeamten". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „In der Regel nur Berufsbeamten" ist eine schlechte Formulierung. Das Wort „nur" ist nicht nötig, es genügt zu sagen „in der Regel". Die Gewerkschaft Deutscher Beamtenbund15) hat folgendes beantragt: Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zu ihren Dienstherren stehen und grundsätzlich auf Lebenszeit mit gesetzlich zu regelnder Alters- und Hinterbliebenenversorgung anzustellen sind. Für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten aus dem Dienstverhältnis steht ihnen der ordentliche Rechtsweg offen. Das ist etwas anders als die Fassung des Kompetenzausschusses, aber meiner Anschauung nach besser formuliert. Dr. Reif: Ich übersehe jetzt nicht die Bedeutung der Formulierung der Beamtengewerkschaft für alle die Fälle, die wir dort durchexerziert haben, nämlich die verschiedenen Fälle, die heute durch englisches Recht usw. bei den Kommunalverwaltungen auftreten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das haben die hier drin, wenn es heißt: „Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind .". Dr. Reif: Der Bürgermeister zum Beispiel ist nicht Ehrenbeamter. Der wird bezahlt. sind

.

.

14) Der Pari. Rat Bd. 3, S. 645 ff. 15) Eingabe des Deutschen Beamtenbundes vom 29. Okt.

1948 (Eingabe Nr. 253) vervielf. als behändigte Ausf. in: Z 5/108, Bl. 76. Das folgende Zitat war die erste von vier Forderungen. Sie sollte als Art. 30 a in den Abschnitt „Bund und Länder" aufgenommen werden. Ferner wurde verlangt: 2. Die Vorranggeselzgebung des Bundes über „Grundsätze für die Gestaltung des Beamtenrechts" (Art. 36 Ziff. 14 a), 3. Als Auswirkung der Sonderstellung des Berufsbeamten: Ausschluß des Streikrechts für Beamte und 4. eine klare Trennung der Begriffe „Beamter und Angestellter" und „öffentlicher

Drucks. Nr. 286. Als

Bediensteter".

795

Nr. 36 Dr.

Achtundzwanzigste Sitzung

Bergsträsser:

beamter. Vors. [Dr.

Wenn

er nur

3.

Dezember 1948

Aufwandsentschädigung bekommt,

ist

er

Ehren-

Mangoldt]: Wir müssen uns entscheiden, ob wir diese ins einzelne gehende Formulierung oder eine Formulierung wählen wollen, wie sie hier, von Herrn Dr. Höpker-Aschoff16) vorgeschlagen worden ist: „Das Berufsbeamtentum bleibt erhalten. Seine hergebrachten Grundsätze sind verpflichtendes und beschränkendes Richtmaß ." Das ist nicht gut. Das paßt wenig in unsere bisherigen Formulierungen. Frau Dr. Weber: Ich möchte Herrn Dr. Heuss fragen, ob darin alles enthalten v.

.

.

ist. Ich kann es nicht so übersehen. Dr. Heuss: Ich bin kein Beamtenrechtler. Aber die hergebrachten Grundsätze bleiben das Richtmaß der gesetzlichen Regelung der Rechtsstellung der Berufsbeamten. Aus der deutschen Tradition ist die Anweisung an den Gesetzgeber der Gegenwart und der Zukunft hier ausgesprochen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Unterschied liegt im wesentlichen darin, daß bei der Formulierung des Kompetenzausschusses und der Beamtengewerkschaft Gewicht darauf gelegt wird, daß Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt grundsätzlich Berufsbeamten zu übertragen sind, womit natürlich auch eine Garantie für das Berufsbeamtentum gegeben ist, während dieser Grundsatz in dem Vorschlag von Herrn Dr. Höpker-Aschoff in dieser Stärke nicht zum Ausdruck kommt. Da heißt es einfach, das Berufsbeamtentum bleibt erhalten. Dr. Reif: Es hat auch die Bedeutung, daß unter Umständen gefolgert wird, jeder, der bei der Post Briefmarken verkauft, müsse ein Beamter sein. Dagegen bin ich absolut. (Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde etwas zu weit gehen.) Die andere Formulierung sagt, soweit Hoheitsaufgaben berufsmäßig ausgeübt werden, sollen es Berufsbeamte sein. Diese Regelung halte ich für richtig. Aber aus der Berufung auf das, was bisher in Deutschland war, könnten die Beamten herleiten, es müsse jetzt so bleiben, wie es früher einmal war. Dr. Heuss: Das ist nicht gesagt. Es handelt sich nur um das Grundsätzliche.. Dr. Reif: Nach der Formulierung des Zuständigkeitsausschusses würden 90 % der Beamten beseitigt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte beide Formulierungen vereinigen. Man könnte sagen: Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, Berufsbeamten zu das ist der Vorschlag der Gewerkschaft Deutscher Beamtenübertragen bund und nun das aufnehmen, was Herr Dr. Höpker-Aschoff gesagt hat: Die hergebrachten Grundsätze für das Berufsbeamtentum bleiben verpflichtendes und beschränkendes Richtmaß aller gesetzlichen Regelungen der Rechtsstellung der Berufsbeamten. —

,



16) Dr. Hermann Höpker-Aschoff (1883-1954), FDP, Nordrhein-Westfalen, 1921 Mitglied des preußischen Landtages (DDP), 1925—1931 preußischer Finanzminister, 1945 Generalreferent für Finanzen in der westfälischen Provinzialregierung, danach Finanzminister in der ersten ernannten Regierung von Nordrhein-Westfalen.

796

Achtundzwanzigste Sitzung Dr.

Reif: Ich möchte noch

üblich, Zwölfender17)

zu

Grundsätzen?

3.

Dezember 1948

Nr. 36

vorsichtige Frage als Laie stellen. Bisher war es verwenden. Das gehört nicht zu den hergebrachten eine

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das sind keine hergebrachten Grundsätze. Dr. Reif: Das möchte ich unter gar keinen Umständen wiederholt wissen. Dr. Heuss: Mir ist etwas nicht klar. Wir nennen hier die Ehrenbeamten. Wir müssen mit der großen Zahl von Angestellten rechnen, die wir nicht alle ins Berufsbeamtentum überführen können. Das ist vollständig ausgeschlossen. Von der Beamtengewerkschaft aus verstehe ich es durchaus, daß sie nur die Ehrenbeamten nennt. Was heißt hoheitliche Gewalt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ausübung öffenüicher Gewalt liegt vor, wenn mit zwingender Kraft die Staatsmacht dahinter steht. Das Wesen des Staates liegt darin, daß er mit unwiderstehlicher Kraft gebieten kann. Wo etwas derartiges ausge-

übt wird, Dr.

Reif:

Gewalt vor. kann bei der Eisenbahn heißen, die öffentliche Gewalt wird Das

liegt öffentliche

vom

Zugführer ausgeübt.

Frau Dr. Weber: Würden die Lehrer und die Lehrerinnen darunter fallen? Bis jetzt sind sie doch Beamte. Würden wir sie nicht mehr dazu rechnen, wenn wir es so einschränken? Ich finde die Fassung sehr einschränkend. Dr. Reif: Ich habe schon den Fall erwähnt, bei der Gründung der Freien Universität in Berlin18) sind wir in der furchtbaren Kalamität, daß die Mehrheit in Berlin sich bisher hartnäckig geweigert hat, auch nur andeutungsweise das Beamtentum anzuerkennen. Die Folge ist jetzt, daß wir niemand finden, der nach Berlin kommt. Man sagt sich: Ich werde nicht meine Position aufgeben, um

dort wieder

herausgeschmissen zu werden. Mangoldt]: Bei den Schulen betonen wir hier gerade immer wieder, daß sie Aufgabe des Staates sind. Es besteht die Schulpflicht. Die Lehrer haben die Durchführung der Schulpflicht natürlich auch nicht in der Hand. Dr. Bergsträsser: Ich darf nur halb fragend sagen: dann würde der KreisschulVors. [Dr.

v.

aber nicht der Studienrat für Griechisch, Lateinisch Wohl Direktor usw. würde der Hoheitsaufgaben haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man müßte das noch einmal näher prüfen. Frau Dr. Weber: Ich stelle die Frage, weil ich jetzt höre, daß es bestritten wird und daß sich Tendenzen nach einer Richtung hin durchzusetzen beginnen, die wir nicht verantworten können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß in dieser Beziehung keine Schwierigkeiten auftauchen. Die Frage ist nach unserem Recht kaum umstritten. Man hat diese Lehrpersonen immer zu den Beamten gerechnet. rat

Hoheitsaufgaben haben,

17) Zwölfender waren Soldaten, die nach 12jähriger Dienstzeit im öffentlichen Dienst Ver-

1B)

wendung fanden. Zur Gründung der

Freien Universität s. Hans Gollwitzer, Richard Loewenthal, E. LämJahre Freie Universität Berlin. Berlin 1979. S. a. Laetitia Boehm und Rainer A. Müller (Hrsg.): Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz, eine Universimert: 30

tätsgeschichte

in

Einzeldarstellungen,

Düsseldorf und Wien 1983.

797

Nr. 36

Achtundzwanzigste Sitzung

3. Dezember 1948

Reif: Jedenfalls schließt diese Formulierung nicht aus, daß man in einem Länderschulgesetz andere Personenkreise gleichstellt. Nach der Formulierung Dr.

würde es heißen, daß alles so bleibt wie bisher. ich auch nicht mache mit. Das Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es heißt bei der Beamtengewerkschaft: „Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, Berufsbeamten zu übertragen. .." Das müßte man einschränken, indem man entsprechend der Formulierung des Kompetenzausschusses hinzusetzt: „in der Regel". Dr. Heuss: Bei öffentlicher Gewalt denkt man an die Administration. Frau Dr. Weber: Man muß einmal die Praxis hören. Die Tätigkeit einer Stenotypistin im Verwaltungsdienst der Städte gilt als Ausübung der Hoheitsgewalt. (Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, die Stenotypistin ist niemals Beamtin.) Ich habe praktische Beispiele, Herr Vorsitzender. Ich könnte die Städte nennen. Ich führe im Augenblick mit einer ganzen Gruppe den Kampf in diesen Dingen und habe die praktischen Beispiele, daß man wer weiß wen in das Beamtenverhältnis übernimmt, aber die Fürsorgerin zum Beispiel unter allen Umständen ausschaltet. Ich bin auf Ansichten gestoßen, die falsch sind. (Dr. Reif: Die Fürsorgerin übt öffentliche Gewalt aus.) Das wird aber abgeleugnet. Heuss: Da wird es so sein, daß die Stenotypistin die öffentliche Gewalt Dr. nicht in ihrer Eigenschaft als Stenotypistin ausübt, daß der Bürgermeister sie vielmehr in das Beamtenverhältnis hereingebracht hat, weil sie kolossal tüchtig ist. Die ist Sekretärin geworden. Frau Dr. Weber: Ich führe jetzt in drei Städten einen Kampf. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Schreiben auf der Schreibmaschine ist keine Ausübung öffentlicher Gewalt. Wenn etwas falsch gemacht wird, ist es doch nicht Recht. Es gibt doch auch viele andere Dinge, die falsch gemacht werden und die längst nicht Recht sind. Frau Dr. Weber: Ich warne davor, Ausdrücke zu verwenden, die in ihrer Auslegung ganze Schichten beeinträchtigen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn die Gewerkschaft Deutscher Beamtenbund ausdrücklich anführt, daß diese Beschränkung notwendig ist, können wir nicht sagen, daß diese Beschränkung falsch ist. Dann dürfen wir überhaupt den Schutz des Berufsbeamtentums nicht aufnehmen. Dann widersprechen Sie auch den Grundsätzen? Frau Dr. Weber: Doch, doch. Dr. Reif: Für die Fürsorgerin ist es mir klar. Die Fürsorgerin hat in vielen Fällen der

Beamtengewerkschaft19)





Polizeigewalt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Welchen Vorschlag machen Sie denn? Frau Dr. Weber: Wir sprechen heute zum ersten Mal darüber. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen jetzt damit fertig werden. Der Kompetenzausschuß hat sich eingehend damit beschäftigt20), und die Gewerkschaft Deut19) Anm. 15. 20) Der Pari. 798

Rat Bd. 3, S. 645 ff.

Achtundzwanzigste Sitzung

3.

Dezember 1948

Nr. 36

scher Beamtenbund hat denselben Vorschlag gemacht21). Vielleicht können wir darauf zunächst bestehen bleiben. Wir können es im Hauptausschuß noch immer ändern. Frau Nadig: Wir dürfen auf keinen Fall über den Begriff der hoheitlichen Gewalt hinausgehen. Wir kommen sonst in unmögliche Verhältnisse. Die Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes müssen einmal die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Rechte und die Funktionen der Beamtenschaft auseinanderhalten. Die Forderung nach weiterer Einreihung in die Beamtenverhältnisse entspringt doch sehr oft dem Gedankengang, seine wirtschaftlichen Rechte zu sichern, und nicht den Funktionen des Berufsbeamtentums. Dr. Bergsträsser: Das ist vollkommen richtig. Wir haben in Hessen zum Beispiel den Fall eines beamteten Schreiners an einer Anstalt für Geisteskranke, der Beamter in irgendeiner Gruppe ist. Wunderlich: In Wilhelmshaven laufen Buchdrucker, Schlosser usw., die aus der Kaiserlichen Marinewerft hervorgegangen sind, alle mit Beamtencharakter herum. Das können wir doch nicht konservieren. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Formulierungen der Gewerkschaft Deutscher Beamtenbund und des Kompetenzausschusses stimmen in folgender Richtung überein. In der Formulierung der Gewerkschaft Deutscher Beamtenbund heißt es: „Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind..." In der Fassung des Kompetenzausschusses lautet es zunächst genau so, dann heißt es aber: .sofern nicht im Hinblick auf die Art der Dienstleistung durch Gesetz etwas anderes bestimmt wird." Das bleibt immer offen. Müssen wir das unbedingt drin haben? Meiner Anschauung nach nicht. Dr. Reif: Ich übersehe es nicht so ganz. Der Ehrenbeamte allein ist nicht die Ausnahme. Es gibt heute die Zwischenstellungen, zum Beispiel Wahlbeamte. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das kann das Gesetz immer regeln. In dem Ausdruck „in der Regel" ist schon enthalten, daß durch Gesetz Ausnahmen vorgesehen werden können. Deshalb würde ich doch vorschlagen die Worte „sofern nicht im Hinblick auf die Art der Dienstleistung durch Gesetz etwas anderes bestimmt wird" herauszulassen. Ich würde also folgende Formulierung wählen: Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlichen-rechtlichen Treueverhältnis zu ihrem Dienstherren stehen. Dr. Bergsträsser: Dann würden die Postschalterbeamten nicht darunter fallen? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Nein. Dr. Bergsträsser: Das ist sehr wichtig. Die sind alle überflüssig22), können durch Frauen ersetzt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: In der Fassung der Deutschen Beamtengewerkschaft23) heißt es dann weiter: und grundsätzlich auf Lebenszeit mit gesetzlich zu „.

.

.

21) Vgl. Anm. 15. 22) Der folgende Teilsatz handschr. hinzugefügt. 23) Vgl. Anm. 15. 799

Nr. 36

Achtundzwanzigste Sitzung

3.

Dezember

1948

regelnder Alters- und Hinterbliebenenversorgung anzustellen sind. Für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten aus dem Dienstverhältnis steht ihnen der ordentliche Rechtsweg offen." Das müßte man mit der Formulierung von Herrn Dr. Höpker-Aschoff erfassen, indem man weiter sagt: Die hergebrachten Grundsätze des Beamtenrechts bleiben verpflichtendes und beschränkendes Richtmaß aller gesetzlichen Regelung der Rechtsstellung der Berufsbeamten. (Zustimmung).

(Es findet nunmehr eine Aussprache über die Fortsetzung der Arbeiten des

Grundsatzausschusses statt.) Ich möchte nunmehr folgende Fassung vorschlagen: Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zu ihrem Dienstherren stehen. Die hergebrachten Grundregeln über die Rechtsstellung der Berufsbeamten bleiben verpflichtendes und beschränkendes Richtmaß. (Von dieser Fassung soll zunächst ein Umdruck hergestellt werden.)24) Wir haben in Art. 21 Abs. 2 die Verwirkung gewisser Grundrechte für den Fall vorgesehen, daß sie zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung verwendet werden. Ich würde vorschlagen, daß Sie mich ermächtigen, ein Schreiben an den Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege oder an den Hauptausschuß zu richten, daß für diesen Fall eine Verfassungsbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof vorgesehen werden muß. Wenn also in einem gerichtlichen Verfahren oder von einer Verwaltungs336: „In der Sitzung vom 3. Dez. 1948 hat der Ausschuß für Grundsatzfragen folgende Änderungen bzw. Ergänzungen zum Grundrechtskatalog beschlossen:

24) Drucks. Nr.

1. In Art. 12 Abs. I

(.Berufswahl' usw.)

aufgenommen worden.

ist die Freiheit der Wah) auch der Arbeitsstätte

Art. 12 Abs. I (2. Les.) hat nunmehr folgenden Wortlaut: Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden'. 2. Dem Art. 21 (2. Les.) betr. .Grundrechtsgarantie' usw. ist folgender Abs. III angefügt worden: .Der Gleichheitssatz (Art. 4), sowie die Grundrechte der ungestörten Religionsübung (Art. 5), der Freizügigkeit (Art. 11), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13) und des Privateigentums (Art. 14 und 15) sind auf Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit entsprechend anzuwenden.' 3. Zu Art. 20 a (früher 15 a) in der Fassung des Zust[ändigkeits]Aussch. vom 23.11. 48 Umdruck PR. 315. Der Ausschuß für Grundsatzfragen schlägt vor: a) statt des Art. 20 a Abs. I in die .Allgemeinen Bestimmungen' hinter Art. 27 folgende Vorschrift aufzunehmen: Artikel 27 a: Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zu ihrem Dienstherren stehen. Die hergebrachten Grundsätze über die Rechtsstellung der Berufsbeamten bleiben verpflichtendes und beschränkendes Richtmaß'. b) statt des Art. 20 a Abs. II in die .Übergangs- und Schlußbestimmungen' hinter Art. 139 folgende Vorschrift aufzunehmen: Art. 139 a: Die Grundsätze des Art. 131 der Weimarer Reichsverfassung gelten fort'." 800

Achtundzwanzigste Sitzung

3. Dezember 1948

Nr. 36

behörde jemandem erklärt wird: Du hast keinen Anspruch auf die Grundrechte, du hast sie nach Art. 21 verwirkt, muß der Betreffende eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof haben. Das ist die Sicherung dafür. Sonst kann ein

vjrober Unfug geschehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.)

[3. FREIHEIT DER BERUFSWAHL (ZU ART. 12)]

Dr. Bergsträsser: In Art. 12 Abs. 1 heißt es: „Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen." Einer Anregung aus studentischen Kreisen folgend möchten wir die Worte „die Stätte seiner Ausbildung" herein haben25). Es kommt öfter vor, daß ein Student, der zum Beispiel ein werdender Künstler ist, gerade bei einem bestimmten Mann, der ihm liegt, studieren will. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können dann sagen: Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.

(Zustimmung)

Dr. Heuss: In Württemberg wird sich dann jemand auf Grund der Verfassung gegen den Numerus clausus an dieser oder jener Universität beschweren26). In Heidelberg werden jetzt zum Beispiel keine Mediziner mehr angenommen, weil alle Plätze besetzt sind. Der Betreffende will zu Siebeck27) oder zu Weizsäkker28), weil er es gerade für seine Weiterbildung in der Inneren Medizin

braucht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die völlige Freiheit der Berufswahl kann jetzt noch gar nicht gewährleistet werden. Wir müssen in die Übergangsvorschriften beschränkende Bestimmungen für die Freizügigkeit und für die Berufswahl aufnehmen29)

[Schließung

25) 26) 27) 2B) 29)

der

Sitzung, nächster Sitzungstermin]

Eingabe

Nr. 628 in: Z 5/110, Bl. 147. Zum Numerus Clausus s. Dok. Nr. 34, Anm. 8. Richard Siebeck (1883-1965), Internist, von 1941-1952 in

Heidelberg tätig.

Viktor von Weizsäcker (1886—1957), Professor der Neurologie. Nach dem Kurzprot. dieser Sitzung (Punkt 6) ermächtigte der AfG den Vorsitzenden zu einem Schreiben an den HptA und den Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, „worin der Ausschuß empfiehlt, bei den Vorschriften über den Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung aufzunehmen, durch die im Falle der Verwirkung eines Grundrechts (Art. 21 Abs. I) das Recht der Verfassungsbeschwerde sichergestellt wird." 801

Nr. 37

Hauptausschuß,

Art. 1—9,

vom

Art. 1—9, 1.

Lesung

Nr. 37 in erster Lesung angenommene

Hauptausschuß Grundrechtsbestimmungen. 3.

Fassung der

Dezember 1948

Z 5/128, Bl. 87-88. Als Drucks. Nr. 337 vervielf. Ausf.

Artikel

1

(1) Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung erkennt das deutsche Volk jene gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, die das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden. (3) In den nachstehenden Artikeln für unser Volk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt, binden diese Grundrechte Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person.

(2) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (3) In diese Freiheit darf nur im Rahmen der Rechtsordnung eingegriffen werden. Keinesfalls darf das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung verweigert werden. (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Artikel 3 (1) Die Freiheit der Person ist unverletzlich. (2) Niemand darf willkürlich festgenommen, verhaftet oder festgehalten werden. (3) Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. Artikel 4

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. 802

Hauptausschuß,

Art. 1—9, 1.

Lesung

Nr. 37

(2) Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (2) Niemand darf seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Artikel 5

(1) Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens wie die Freiheit des religiöund weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Das Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird anersen

kannt.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert. (5) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz.

Artikel 6

(1) Die Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsverbreitung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. (2) Die Unterrichtung und die Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen insbesondere der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckerzeugnissen dürfen nicht beschränkt werden. (3) Die Pressefreiheit wie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film wird gewährleistet. Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Eine Zensur von Presse und Rundfunk findet nicht statt. Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über Presse, Rundfunk und Film eingeschritten werden. Die Entscheidung erfolgt im ordentlichen gerichtlichen Verfahren. (4) Diese Rechte finden ihre Grenze an den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze, an den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, insbesondere im Filmwesen und an dem Recht der persönlichen Ehre. (5) Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung bekanntzugeben.

Artikel 7

Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. 803

Nr. 37

Hauptausschuß,

Art. 1—9, 1.

Lesung

Artikel 8

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Artikel 9

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. (3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden. Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. (4) (Vermerk: Beschlußfassung ausgesetzt und an Grundsatzausschuß zurückverwiesen.)

804

Neunundzwanzigste Sitzung

4.

Dezember 1948

Nr. 38

Nr. 38

Neunundzwanzigste Sitzung 4.

des Ausschusses für Dezember 1948

Grundsatzfragen

Z 5/35, Bl. 85-162.1) Stenogr. Wortprot, undat. und ungez. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 30-32, Drucks. Nr. 373

Anwesend2): CDU/CSU: Blomeyer, v. Mangoldt (Vors.), Süsterhenn, SPD: Bergsträsser, Eberhard, Grève, Menzel

Weber

FDP: Heuss DP: Heile Mit beratender Stimme: Fecht (CDU, zeitweise), Maier (SPD, zeitweise) Stenografischer Dienst: Senz Dauer: 16.20-19.40 Uhr

[1. BESPRECHUNG DES WEITEREN VERLAUFS DER ARBEITEN] Vors. Dr.

v.

Mangoldt: Ich eröffne die heutige Sitzung. Ich darf vielleicht

vor-

ausschicken, was uns noch an Aufgaben bevorsteht, damit wir einen Plan machen, wie wir diese Aufgaben zu Ende führen. Es sind das noch die Anträge der CDU3) über Familie, Ehe, Staat und Kinder; als weitere Aufgabe bleibt uns, den

Übergangsvorschriften beizutragen.

Das wäre eine Aufgabe, die ich vorvoranzustellen. Wir haben solche Übergangsvorschriften noch zu machen zu den Art. 11 und 12, Freizügigkeit und Berufswahl, weil wir in der gegenwärtigen Notlage diese Artikel nicht in vollem Umfange durchführen können. Dann ist noch die Frage von Herrn Koll[egen] Dr. Löwenthal zu Art. 16 aufgetaucht4). Ich glaube, daß weitere Artikel für solche Übergangsvorschriften kaum in Frage kommen werden. Dann haben wir noch die verschiedenen Anträge, die von den Fraktionen eingegangen sind, durchzugehen5). Wir können diese aber nicht vollkommen behandeln. Das wäre das Programm. Ich würde vorschlagen, in folgender Reihe vorzugehen: zunächst die restlichen Grundrechte, also Familie, Ehe usw., das Elternrecht, dann die Fragen der Kirche, dann diese Übergangsvorschriften und dann schließlich den Rest. Dr. Eberhard: Im Hauptausschuß wurde die Abstimmung über Art. 29 b zurückgestellt6). Da machte Herr Kollege Kaufmann den Vorschlag, etwas aus der zu

schlage,

J) Bl.

163-177 (S. 3, 4, 12, 13, 15, 19, 25-27, 31, 32, 36, 37, 77 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Die Anwesenheit von Fecht und Maier ergibt sich aus

3) 4) 5) 6)

Wortbeiträgen. Vgl. den Wortlaut in Dok. Nr. 31, Anm. 28. Vgl. Dok. Nr. 39, TOP 2. Die Anträge wurden im folgenden behandelt. Vgl. die Sitzung des HptA vom 19. Nov. 1948; Verhandlungen,

S. 71 ff. 805

Neunundzwanzigste Sitzung

Nr. 38

4.

Dezember 1948

Ich könnte heute darüber berichten. Dann ist heute früh der Art. 27a, Beamte, offengeblieben8). Wir müssen da etwas zu formulieren versuchen. Ich habe eine Formulierung mitgebracht. Dazu kommt die Freizeit für die Arbeit in öffentlichen Ämtern. Ich würde vorschlagen, das als Absatz 3 zu Art. 18 zu überlegen. Vors. Dr. v. Mangoldt: Es wäre am besten, das dazwischenzuschalten, damit Es besteht Einverständnis über wir es am Montag gleich erledigen können. diese Tagesordnung. Dann würde ich vorschlagen, daß wir erst in die Besprechung dieser Artikel Schutz der Ehe und Familie, Unterricht und Erziehung ein-

württembergisch-badischen Verfassung aufzunehmen7).



treten.

[2. SCHUTZ DER EHE UND FAMILIE, UNEHELICHE KINDER, ELTERNRECHTE] Frau Dr. Weber: Schutz der Ehe und Familie hat auch schon in der Weimarer

Verfassung gestanden9), und wir sind der Meinung, daß der Schutz der Ehe und der Familie als Grundlage des Gemeinschaftslebens auch in dieser Verfassung stehen sollte. Wir schlagen folgende Fassung vor10): (1) Die Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft

Mann und Frau und die sich aus ihr entfaltende Familie sowie die aus der Ehe und der Zugehörigkeit zur Familie fließenden Rechte stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Dr. Menzel: Ehe wir in die Gesamtdebatte eintreten, sollte man folgendes überich erinnere an die erste Plenarsitlegen: Wir haben als Ausgangspunkt damals uns dahin verständigt, daß wir keine echte Verfassung mazung11) den aus Gründen, die ich nicht zu wiederholen brauche, und daß chen können wir uns auf die Niederlegung der notwendigen administrativen Grundlagen beschränken müssen. Wir haben uns absichtlich auf die klassischen Grundrechte beschränkt, und bei den Verhandlungen mit den Gewerkschaften, die mit der mit Forderung auf Aufnahme der unechten Grundrechte an uns herantraten den Grundrechten der sozialen Lebensordnung erklärt, daß wir diesen Forderungen zwar dem Inhalte nach sympathisch gegenüberstünden, aber aus der verfassungspolitischen Lage nicht aufnehmen können. Ich fürchte, daß wir die Grundlagen unseres Ausgangspunktes von damals verlassen, wenn wir jetzt diese Probleme mit anschneiden. Im übrigen bin ich der Auffassung, daß, wenn man den Charakter des Föderativen wirklich bejaht, dann alle Fragen, die auf dem kulturellen und sozialen Gebiet liegen, überhaupt gar nicht dem Bunde zugestehen sollte, auch wenn wir eine echte Verfassung machen könnten, sondern daß das Punkte sind, die allein die Länder in eigener Zuständigkeit erledigen sollten, und daß aber darüber hinaus ein Teil dieser Aufgaben reine Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung sein sollten. von









7) 8) 9) 10) n] 806

Vgl. Vgl.

Dok. Nr. 39, TOP 5. die 18. Sitzung des HptA

vom 4. Dez. 1948; Verhandlungen, S. 221. Art. 119 WRV. WorÜaut des Antrages vervielf. als Drucks. Nr. 302. Abdr. in: Dok. Nr. 31, Anm. 28. Gemeint war wohl die zweite Plenarsitzung; Sten. Berichte, S. 7 ff.

Neunundzwanzigste Sitzung

4.

Dezember 1948

Nr. 38

Noch ein weiteres: wenn wir die kulturellen und sozialen Grundrechte aufnehdann sehe ich gar keine Möglichkeit mehr, die Wünsche der Gewerkschaften abzulehnen, denn es ist aus ihrem Lebensbereich heraus die These des Schutzes für den arbeitenden Menschen genau so wichtig wie die Grundsätze, die hier angesprochen werden sollten. Ich glaube, wir kommen dann zwangsläufig in eine Debatte hinein über alle Probleme auf dem Gebiete des sozialen und wirtschaftlichen Lebens, eine Debatte, die heute recht schwierig sein würde. Ich glaube nicht, daß wir dann auch nur die erste Lesung vor Weihnachten erledigen könnten. Vors. Dr. v. Mangoldt: Darf ich noch kurz sagen, daß wir bei den Menschenrechten der Vereinten Nationen festgestellt haben, daß sich diese auf die eigentlichen Menschen- und Freiheitsrechte beschränken, daß jedoch der Schutz der Ehe und der Familie dort aufgenommen ist12). Das hat uns mit veranlaßt, diese Dinge hier hereinzubringen. Dr. Süsterhenn: Es ist richtig, daß zu Beginn dieser Verhandlungen und auch schon bei den Verhandlungen in Chiemsee sehr stark der fragmentarische Charakter dieses Verfassungswerks betont worden ist, obwohl auch die Entschiedenheit, mit der der fragmentarische Charakter betont worden ist, etwas abgestuft war. Es hat sich aber bei den ganzen Verhandlungen, wie sie bis zum heutigen Tage gediehen sind, herausgestellt, daß das, was hier im Entwurf vorliegt, eigentlich doch schon de facto eine Vollverfassung im wirklichen Sinne des Wortes ist, und das Fragmentarische lediglich noch darin bleibt, daß wir gebietsmäßig ein Fragment darstellen und bezüglich der Ausübung der Hoheitsrechte im Verhältnis zu den Besatzungsmächten nur gewisse fragmentarische Befugnisse besitzen. Im übrigen ist das System und der Aufbau dieser Verfassung, jedenfalls wie der Entwurf sich heute darbietet, durchaus der Aufbau eimen,

ner

Vollverfassung.

Hinzu kommt

noch, daß wir uns gesagt haben, daß wir zumindest mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß das, was hier als Provisorium betrachtet wird, sich unter Umständen für einen recht langen Zeitraum als eine Art Definitivum auswachsen kann. Daß Provisorien diese Neigungen an sich haben, ist eine Erfahrungstatsache, die durch die Geschichte belegt ist. Infolgedessen hielten wir es für notwendig, wenn schon so manches in der Verfassung geregelt worden ist, doch auch an diesen Dingen nicht einfach still-

schweigend vorüberzugehen.

Was die Frage des Föderalismus und der Zuständigkeit der Länder angeht, so stehen wir selbstverständlich auf dem Standpunkt, daß für die Zukunft Kulturund Kirchenfragen in die gesetzgeberische Zuständigkeit der Länder fallen sollen. Hier handelt es sich aber gar nicht darum, diese gesetzgeberische Zustän-

digkeit der Länder auf diesen Gebieten aufzuheben,

sondern

es

handelt sich

darum, gewisse Grundsätze aufzustellen, die im ganzen Bundesgebiet Geltung haben sollen, wie wir auch den Ländern für ihre Verfassungen gewisse Richtlinien auf den Weg gegeben haben, die zumindest erfüllt sein sollen, unbescha12) Dok.

Nr. 10.

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det des Rechts der Länder, abgesehen von diesen Grundmaximen, ihre Verfassungen auszugestalten. Die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder wird durch die Aufnahme derartiger Artikel in keiner Weise berührt. Es scheint uns, wenn wir den Gedanken des Föderalismus vertreten, notwendig zu sein, und das haben wir nicht nur in diesen Fragen, sondern auch in allen andern Fragen vertreten, daß der Föderalismus nicht nur ausschließlich Länderrecht bedeutet, sondern auch eine gewisse Gemeinsamkeit bei gewissen Grundfragen dazugehört. Was die Forderungen der Gewerkschaften angeht, auch gewisse Bestimmungen hinsichtlich der Gestaltung der sozialen Lebensordnung aufzunehmen, so habe ich schon in einer der letzten Ausschußsitzungen hier gesagt, daß wir uns in gar keiner Weise dagegen sträuben13). Ich bin sogar persönlich der Auffassung, daß es einfach von unseren arbeitenden Menschen gar nicht verstanden würde, wenn wir diesen Komplex überhaupt mit Stillschweigen übergehen würden, als wenn er gar nicht existierte. Sowohl bei diesen Fragen, die die sozialen Lebensordnungen angehen, wie bei diesen Fragen der elementaren Lebensordnung, wozu Familien-, Elternrecht usw. gehören, kommt es darauf an, daß wir, wie ich das letzte Mal sagte, nicht die Schleuse soweit öffnen, daß sich ungeheure Sturzfluten über uns ergießen, sondern daß wir in weiser Selbstbeschränkung sowohl in der einen wie in der andern Frage gewisse Grundsätze, wesentliche Dinge, in der Verfassung festhalten. Wenn die Verfassung tatsächlich eine Lebensgrundlage für unser Volk sein soll, dann kommen wir an der Formulierung gewisser minimaler Thesen in dieser Richtung nicht vorbei. Aus diesen Erwägungen heraus haben wir diese Anträge gestellt. Vors. Dr. v. Mangoldt: Darf ich noch einmal kurz auf die Weimarer Verfassung hinweisen? In der Weimarer Verfassung steht Ehe- und Erziehungsrecht unter Gemeinschaftsleben und nicht unter den Sozialartikeln. Es folgt dann Vereinigungs- und Versammlungsrecht. Es folgt auf Art. 119, Ehe und Familie, Art. 120, Erziehungsrecht, Art. 123, das Versammlungsrecht und die Vereinigungsfreiheit. Dr. Heuss: Daß wir diesen Eheparagraphen eventuell hereinnehmen, hat mit dem Problem der föderalen Struktur nichts zu tun, weil wir die Gesetzgebung über diese Dinge auf der Bundesebene haben. Nach meinem Gefühl sollte man es weglassen, und zwar aus einem einfachen Grunde, weil es in die Formgesetzgebung nicht hereinpaßt, die wir gesucht haben, aus diesen Artikeln unmittelbare wirkungsvolle Rechtsfolgen herauszuholen, während wir hier mehr eine moralische Sache aussprechen, oder eine traditionell-biologische, von der moralischen Seite her vom Staate jetzt klären und unterstreichen. Da aber die UN diesen Komplex hereingenommen hat14), habe ich gegen diesen ersten Satz, obwohl ich ihn nicht in unsere Anlage hereinpassend finde, nichts. Die anderen sind alle so konstruiert, daß sie eine Rechtswirkung haben, hier ist von einer Rechtswirkung nicht die Rede, denn was heißt in dem Falle „besonderer Schutz der Verfassung"? Da müßte dieses noch deklariert werden, in welcher Form die

13) Vgl. Dok. Nr. 31, TOP 2. 14) Dok. Nr. 10. 808

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die Ehe schützt; das ist aber nicht der Fall. Aber wenn wir den Satz als solchen hereinnehmen, und meine Freunde sind bereit, diesen Satz zu akzeptieren, dann komme ich auf das, was ich in der ersten Besprechung dieser Sache schon gesagt habe15) und was ich in der Form eines Antrags, der nicht ganz dazu paßt, stellen will. Als ich neulich über die Flagge etwas gesagt habe, ist es mir sehr schlecht bekommen, da bin ich in einem Blatt der Union als Verächter des Kreuzes beschrieben worden16). Wenn ich jetzt sage, daß ich mit Rücksicht auf die Situation, in der wir stehen, auch ein Wort über uneheliche Kinder in der Weise haben will, wird es mir vielleicht auch schlecht bekommen. Es müßte dieser Satz eine Ergänzung haben. Es entsteht dann eine Rechtsfolge. Ich würde vorschlagen, einzufügen: Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Uneheliche Kinder stehen in ihren Rechten den ehelichen gleich. Das ist einfach ein Aussprechen der Tatsache, vor der wir stehen, die tragisch genug ist bei dem sehr großen Frauenüberschuß, den wir haben. Wir müssen jetzt mit diesem Tatbestand rechnen, daß diese Frauen ein Kind haben wollen. Wir müssen den Verhältnissen einfach realistisch Rechnung tragen und es scheint mir notwendig, wenn schon in dem Gesamtzusammenhange etwas gesagt wird, daß das uneheliche Kind den Schutz der Verfassung, d. h. der aus der Verfassung fließenden Gesetzgebung haben muß. Zu den übrigen Vorschlägen ist ja schon eine Generaldebatte durch Herrn Dr. Menzel eingeleitet und durch Herrn Dr. Süsterhenn aufgenommen worden. Dazu möchte ich folgendes sagen: Wir können natürlich auch mit einem gewissen Pathos davon sprechen. Das ist aber nicht eine Angelegenheit der Verfassung, sondern des Lebens, des natürlichen Lebens schlechthin, daß die Eltern die Pflicht der Erziehung der Kinder haben. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Dazu ist weniger zu sagen als zu dem ersten Artikel. Aber der zweite Satz, der hier weitergeht und einen Rechtsanspruch der Eltern auf die Gestaltung des Charakters der Schule gibt, ist keine Deklaration mehr, sondern daraus entsteht ein materielles, verbindliches Recht. Nun will ich keine große Debatte hier über Konfessionsschule oder Simultanschule und diesen ganzen Komplex eröffnen. Aber hier geben wir eine Rechtsanweisung, die in die materiale [!] Landesgesetzgebung eingreift, und, wenn sie durchgeführt wird, heute eine Reihe von deutschen Ländern bereits zu einer Änderung der Verfassungsbestimmungen zwingen würde. Ich würde also hier diese Position als unvereinbar ansehen mit den Grundlagen des Föderativen. Ich selbst habe in meiner ersten Rede da oben bedauert, und in gewissem Sinne halte ich das Bedauern aufrecht, daß wir nicht bestimmte Artikel dieser Art hereinbringen. Ich glaube, man wird Formen finden müssen, so wie es früher im Reichsministerium gewesen ist, laufende Konferenzen oder Abteilungen dafür zu haben, daß wir in den Schuldingen und in den Bildungszielsetzungen nicht zu sehr mit diesem Gesetz auseinanderlaufen.

Verfassung

15) Vgl. Dok. Nr. 31, TOP 2. 16) Ein Artikel gegen Heuss „als Verächter des Kreuzes" ließ sich nicht ermitteln. 809

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Bestimmungen über die Schule und bei der Sider zu wahren. Jeder von uns weiß, was darunter Unterrichtsfreiheit cherang vorbehaltsweise der Gesetzgebung oder Stück entweder ist. Das ist ein gemeint eine Aufhebung der Gesetzgebung, wie sie für Württemberg-Baden, für Südbaden, für Hessen-Nassau und Hessen-Darmstadt gilt. Infolgedessen halte ich es vom föderativen Gesichtspunkt aus das für eine Unmöglichkeit. Ich bitte, nicht falsch verstanden zu werden. Ich halte es für selbstverständlich, daß der Religionsunterricht ein ordentliches Lehrfach ist. Ich habe als Kultusminister sogar versucht, zu sagen, ich würde fast bereit sein, die Kinder von Eltern, die aus der Religionsgemeinschaft ausgetreten sind, zu zwingen17), einen Religionsunterricht zu besuchen, weil die ganze deutsche Geschichte nicht verstanden werden kann, ohne daß man den fundamentalen Beitrag des Christentums für den Aufbau des geistigen und kulturellen Lebens begreift. Das sind Dinge, die überall in den Verfassungen der Länder bereits geregelt sind und wo es Verfassungen noch nicht gibt, sind sie in den vorläufigen Verfassungen darin. Hier ist eine Vorwegnahme, eine Wegnahme der materialen Gesetzgebung der Länder, der unter großem Nachdruck geforderten kulturpolitischen Selbständigkeit der Länder. Das Gleiche gilt für den ganzen Komplex der Kirchensätze. Dr. Bergsträsser: Ich möchte zunächst das eine sagen, daß die Berufung auf die Grundrechte der UN mir nicht stichhaltig zu sein scheint, denn dieser Paragraph der UN18) ist ausschließlich gegen Länder gerichtet, in denen es keine ordentliche Ehegesetzgebung gibt, und er enthält auch in einem andern Abschnitt zum Beispiel etwas, was wir hier nicht haben durchführen wollen oder was noch zu diskutieren ist, nämlich das gleiche Recht, das wir gestern im Hauptausschuß19) diskutiert haben, die Folgerungen, die für das Bürgerliche Gesetzbuch zu ziehen wären bei der Gleichstellung von Mann und Frau. Wenn wir noch weitergehen und die Artikel von Art. 20 ab ansehen, dann sind diese Artikel von den ersten Artikeln sehr verschieden, indem sie das nicht geben, worauf wir größten Wert gelegt haben, nämlich Formulierungen, die ein wirklich anwendbares bindendes Recht geben können, sondern sie entwickeln sich zu reinen Deklarationen, ich möchte sagen Deklamationen. Das sind Programme, aber nichts Positives. So scheinen mir diese ganzen Anträge aus dem Rahmen dessen, was wir gemacht haben, herauszufallen, und es scheint mir nicht, daß man sich auf die UN berufen kann, denn wenn wir uns auf die UN berufen, so steht in Art. 21 etwas von Recht auf Arbeit. Wir hätten dann noch diese ganze Materie aufzuarbeiten und die Zeit bis Weihnachten würde dazu nicht ausreichen. Aber vor allen Dingen, wir können uns in dieser Angelegenheit nicht auf die UN berufen, besonders nicht in dieser Beziehung. Dieses Recht ist auch bei den

17) Folgt gestrichen: „Ich konnte es aber nicht. An einer höheren Schule bin ich aufgefordert worden."

1B) Dok. Nr. 10. 19) 17. Sitzung des HptA vom 810

3. Dez. 1948;

Verhandlungen,

S. 206.

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Frau Dr. Weber: Die Familie gehört zu den natürlichen Gemeinschaften. Sie muß herausgehoben werden aus allen anderen Gemeinschaften, man kann sie nicht in Vergleich bringen mit wirtschaftlichen oder sozialen Gemeinschaften. Die Familie ist die Grundlage aller Gemeinschaften und alles volks- und staatlichen Lebens. Und noch ein Zweites. Es wurde von Herrn Dr. Heuss gesagt, wir hätten soviel Frauen. Das Wort „Frauenüberschuß" lehne ich ab. Wir sind kein Überschuß, weil wir nicht geheiratet haben. Deutschland hat mehr Frauen als Männer. Aber diese unverheirateten Frauen haben kein Recht auf ein uneheliches Kind. (Dr. Heuss: Aber sehr viele haben das Bedürfnis nach einem Kinde!) Wollen wir diese Debatte führen? Ein Recht auf eine uneheliches Kind hat niemand. Man soll aber unter allen Umständen für das uneheliche Kind sorgen. Schon in der Weimarer Verfassung haben wir diese Meinung vertreten. Es heißt dort in Art. 121: Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Diesen Artikel vertreten wir auch heute. Wie oft habe ich in Ausschüssen an dieser Frage mitgearbeitet! Juristen, Männer und Frauen aller Konfessionen haben trotzdem die Reform des Rechtes für uneheliche Kinder nicht zustande gebracht, weil es sich um eine außerordenüich schwierige Frage handelt. Nicht nur das Weltanschauliche wird berührt, sondern auch die Familie. Ich wollte bei diesem Paragraphen vermeiden, auf Elternrecht und Erziehung einzugehen. Herr Dr. Heuss ging darauf ein. Deshalb spreche ich unsere Ansicht aus. Es ist das Recht der Eltern, die weltanschauliche Gestaltung der Schule zu bestimmen und auch die Privatschule neben der öffentlichen Schule zu fördern. Dr. Süsterhenn: Es ist dies ein Grundproblem, das für uns von außerordentlicher, geradezu zentraler Bedeutung ist. Um auf den erstvorgeschlagenen Artikel einzugehen, habe ich aus den Ausführungen des Kollegen Dr. Heuss entnommen, daß er unter Umständen geneigt wäre, da irgendwie eine Regelung aufzunehmen. Er hat diese eventuelle Bereitschaft davon abhängig gemacht (Dr. Heuss: Nicht abhängig gemacht!) hat Er in diesem Zusammenhange vorgeschlagen, daß eine Ergänzung dieses Artikels stattfinden solle in Richtung auf den Mutterschutz, und zwar den Schutz einer jeden Mutter, und weiter einer Ergänzung hinsichtlich der Stellung der unehelichen Kinder. Ich kann zu diesen beiden Anregungen sagen, daß wir ihnen prinzipiell bejahend gegenüberstehen. Wir sind auch der Auffassung, daß die Bestimmungen über den Mutterschutz selbstverständlich für jede Mutter zu gelten haben, sowohl für die eheliche wie für die uneheliche. Wir sind aber auch der Überzeugung, daß die unehelichen Kinder unbedingt gesellschaftlich so gestellt werden müssen, daß sie die gleichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten haben wie die ehelichen. Ich habe allerdings erhebliche Bedenken gegenüber den Vorschlägen bezüglich der gleichen Rechte, weil das gegen einen Grundsatz verstoßen würde. Man kann ja de facto Ungleiches nur dieser tatsächlichen Ungleichheit entsprechend behandeln. Ich habe schon in der letzten Sitzung des —





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Grundsatzausschusses

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ausgeführt20), daß

man

an

der Tatsache nicht vorbei-

kommt, daß ein uneheliches Kind eben nicht in der Familie lebt, da die unmittelbare Gemeinschaft mit Vater und Mutter nicht gegeben ist und allein aus dieser Verschiedenheit sich auch verschiedene Konsequenzen hinsichtlich des Rechts zwangsläufig ergeben. Mit dieser Formulierung würden wir natürlich das ganze bis jetzt bestehende soziale und bürgerliche Recht vollkommen revolutionieren und es würde eine absolute Rechtsunsicherheit in diese Dinge hineingetragen werden. Wir sind bereit, der Formulierung der Weimarer Verfassung zuzustimmen, die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, daß es im öffentlichen Leben die gleichen Rechte hat, den gleichen Anspruch auf Förderung usw. In diesem Sinne würden wir den Artikel akzeptieren. Dr. Eberhard: Mir liegt sehr daran, auf möglichst breiter Basis eine Einigung zu erzielen. Bei der schwierigen internationalen Situation ist das unbedingt geboten. Es geht nicht mit einer 40, 50 oder 52% Basis. Wir müssen diese Basis breiter in der Bevölkerung haben. Aus diesem Gesichtspunkte heraus haben wir auf die Gewerkschaften eingewirkt: Drückt uns nicht mit dem, was ihr beHerr Dr. sonders hereinhaben wollt. Wir haben auch hier bei der Arbeit Süsterhenn wird sich erinnern —, in bezug auf Kirche, Religionsausübung usw. den Wünschen, die von Ihrer Seite vorgebracht worden sind, voll Rechnung getragen. Wir haben den Artikel über Religionsausübung so weit und breit gefaßt, daß jeder auf Ihrer Seite zufrieden sein kann. Wir haben ferner dem Abs. 3 des Gleichheitsartikels zugestimmt, der die Körperschaften öffentlichen Rechtes den Einzelpersonen gleichstellt. Wir haben versucht, Ihren Wünschen Rechnung zu tragen. Es kann nun sein, daß wir uns in einer Fraktionssitzung über den Punkt, der hier vorgebracht ist, noch einmal verständigen müssen, ob wir da etwas in der Richtung, die Sie vorgeschlagen haben, tun können. Ich würde es nicht für unmöglich halten, einen Artikel über die Ehe und die unehelichen Kinder in der Verfassung unterzubringen, aber unser Katalog der Grundrechte darf nicht zerstört werden. Ferner haben wir immer Artikel mit recht klaren Rechtsfolgen aufgeschrieben. Ich bin mir über die Rechtsfolge des vorgeschlagenen Eheartikels nicht klar, aber ich frage die Juristen: Wäre hier die Rechtsfolge, wenn da steht, daß jeder Ehebruch mit Zuchthaus bestraft werden muß? Das müßte man prüfen. Aber in der Frage des Elternrechts halte ich nichts für möglich. Ich erinnere an das, was Herr Dr. Heuss schon einmal gesagt hat: es besteht die Gefahr kleiner Schulen, wo die eine eine Flüchtlingsschule ist, die andere eine der Einheimischen, nämlich wenn Leute einer anderen Konfession neu in den Ort hineingekommen sind. Und das halte ich für einen gewichtigen Einwand. Hier handelt es sich um ein Pressen, entschuldigen Sie den Ausdruck, denn wenn man den Gedanken hat, mit sehr knapper Mehrheit das durchzudrücken, geht das in der Richtung des Pressens und nicht in der Richtung, eine gemeinsame breite Basis zu finden. Ich würde doch bitten, die Notwendigkeit der breiten Basis für die Gesamtheit der Grundrechte im Auge zu haben. —

20) In den Protokollen 812

war

dies nicht nachzuweisen.

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Dr. Bergsträsser: Wir haben in Hessen die Gemeinschaftsschule in einem Artikel21) und nur gesagt, daß die konfessionelle Schule von 1950 ab eventuell wiederhergestellt werden kann, wo sie vorher bestand. Es ist das ein Kompromiß

mitgemacht. Wir haben uns da auf den status quo plus etwaige Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts loyal geeinigt. (Blomeyer: Ich habe nur gesagt, daß der Wille der Eltern berücksichtigt gewesen. Ich habe das selbst

wird.)

Der Wille der Eltern ist nur das Mitbestimmungsrecht der Eltern durch den Elternrat, weiter nichts. Ich kenne die Dinge ziemlich genau, nur möchte ich davon ausgehen, wenn wir einen loyalen Kompromiß herbeiführen wollen, dann muß ich doch sagen, daß der Antrag, den Sie gestellt haben, auf nichts anderes hinausgeht als auf die Abschaffung der Simultanschule als einer Schulform, die in verschiedenen Staaten als die hauptsächliche Schulform festgelegt wird. Das werden Sie zugeben müssen. Wir sind der Meinung, daß die Simultanschule in einem Lande, das bikonfessionell ist, eine Notwendigkeit ist, auch im Interesse des Staates, weil sie die Form der Schule ist, die die Kinder von Jugend an dazu bringt, tolerant gegeneinander zu sein. Ich bin selbst in einer bikonfessionellen Gegend aufgewachsen und Sie werden mir nicht nachsagen können, daß ich intolerant sei. Ich weiß, es ist notwendig, daß wir die Kinder zu Toleranz erziehen, gerade jetzt, wo wir hier zum Beispiel jetzt praktische Beispiele bekommen haben. Wir haben in Oberhessen eine Masse von katholischen Einwanderern aus dem Sudentengebiet bekommen. Die konfessionellen Verhältnisse sind jetzt ganz andere geworden. Es ist das ein natürliches Recht der Eltern, das ihnen niemals abgesprochen werden sollte, und wenn wir uns leidenschaftlich für die Menschenrechte einsetzen, weil sie mit Füßen getreten worden sind, so setzen wir uns ebenso, weil das im Dritten Reich auch mißachtet wor-

den ist, für die Elternrechte ein, und zwar um der Gewissensfreiheit willen, und auch zum Wohle des Staates. Die Eltern müssen das Recht haben, auch grundsätzlich gewährleistet in einer Verfassung, wie wir sie jetzt gestalten wollen. Ich möchte hier nur sagen, uns liegt nichts an einem Kampfe, wir sollten uns einigen, wir wollen nicht nur unsere Schule durchsetzen, sondern wollen auch den andern die weltanschauliche Ausgestaltung ihrer Schule zugestehen, und möchten Sie bitten, dafür Verständnis zu haben, daß wir nichts anderes wollen, als das natürliche Recht aller Eltern zu verteidigen und als Grund- und Leitsatz aufzunehmen, ohne daß wir sonst an die Gestaltung des Schulwesens rühren wollen, denn das gehört zu den kulturellen Aufgaben der Länder. Blomeyer: Nachdem der Ausschuß doch schon einmal über die klassischen Grundrechte in dem einen oder andern Fall hinausgegangen ist, haben wir geglaubt, das Elternrecht in einem besonderen Artikel hier bringen zu müssen. Wenn hier gesagt wurde, daß damit die süddeutschen Verfassungen einer Änderung bedürfen, so kann ich das nicht einsehen, denn irgendwelche Gegensätze zu den süddeutschen Verfassungen bestehen meines Wissens nicht. (Dr. Heuss: Selbstverständlich, wir haben das Elternrecht nicht!)

21) Art.

56

und 156 der Verfassung des Landes Hessen

vom

1. Dez. 1946.

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Es steht in Südbaden22) Dr. Heuss: Wir haben das Elternrecht nicht in Württemberg-Baden, haben es nicht in Hessen-Darmstadt, in Hessen-Nassau ist es in Aussicht genommen, in —



Nordhessen, Kurhessen soll

es nach fünf Jahren wiedereinführbar sein23). Württemberg-Baden ist die Gemeinschaftsschule zugelassen, wenn sie den in den Schulgesetzen gestellten Anforderungen genügt24). Es ist das etwas anderes, aber es hat damit zu tun. In Hessen steht25): Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, die Gestaltung des Unterrichtswesens mitzubestimmen. In Württemberg-Hohenzollern steht dasselbe. In Baden steht darin26): In allen Erziehungsfragen ist der Elternwille entscheidend, nach Maßgabe der Verfassung. In Rheinland-Pfalz27) steht ähnliches. Ich habe nicht das Gefühl, daß wir uns in einen Gegensatz setzen. Wir sind doch schon weitergegangen und ich glaube, es würde bei der jetzigen politischen Situation einfach nicht verstanden werden, wenn wir an dieser Frage vorbeigehen würden. Ich möchte darauf hinaus, daß es in Norddeutschland einigermaßen schwerfällt, das Elternrecht durchzusetzen. Wir sind in Süddeutschland in einer glücklicheren Situation. Ich möchte auch noch folgendes sagen: Gegenüber dem Osten wollen wir uns doch nicht so stellen, als wollten wir alles anerkennen, was dort gesche-

Blomeyer:

In

hen ist, sondern wir wollen uns bewußt mit dem, was hier gesagt wird, vom Osten distanzieren. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich darf vielleicht darauf hinweisen, daß wir bewußt in allen Bestimmungen uns immer wieder an den Art. 1 erinnert haben, in dem wir gesagt haben, wir nehmen nur die Menschen- und Freiheitsrechte auf. Es ist nicht richtig, wenn Sie sagen, daß wir uns von dem Grundsatze entfernt hätten. Wir haben uns bewußt an den Grundsatz gehalten und wollen uns auch, wenn wir den gegenwärtig diskutierten Vorschlag machen, weiter an den Grundsatz halten. Wir wollen, weil wir diese Rechte als Menschen- und Freiheitsrechte empfinden, sie deshalb diskutieren. Das ist die Basis, auf der wir stehen und auf der wir weiter fortfahren müssen; anders geht es nicht. Von

22) Art. 25 der Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947. 23) Hierzu Burkhard van Schewick: Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945—1950. Mainz 1980 passim. Als Heuss im Gespräch mit Prälat Böhler im Jan. 1949 äußerte, in Württemberg-Baden und Hessen habe man die Simultanschule, und die Kirchen hätten die Verletzung des Reichskonkordates danach akzeptiert, übersandte ihm dieser Material um zu beweisen, daß dies nicht zutreffe (Böhler an Heuss vom 24. Jan. 1949, Kopie in: StBKAH 09/07). In einem mehr als vier Seiten umfassenden Schreiben vom 12. Jan. 1949 versuchte Böhler, nachdem er auch mit Heuss gesprochen hatte, seine und die Position der katholischen Kirche noch einmal nahezubringen (NL Heuss/418). 24) Vgl. Art. 56, letzter Satz der hessischen Verfassung vom 1. Dez. 1946: „Es (das Gesetz bzw. die Gesetzgebung) muß Vorkehrungen dagegen treffen, daß in der Schute die religiösen und weltanschaulichen Grundsätze verletzt werden, nach denen die Erziehungs-

berechtigten

ihre Kinder erzogen haben wollen."

25) Art. 56 Abs. 6 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946. 26) Vgl. Anm. 22. 27) Art. 27 der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947: „Das natürliche Recht der Eltern, über die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage für die

814

Gestaltung

des Schulwesens."

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dieser Grundlage muß ausgegangen werden, denn sonst können wir es an dieser Stelle nicht diskutieren. Zu der Frage des Im-Widerspruch-stehen mit einigen süddeutschen Verfassungen wird Herr Dr. Heuss, der sehr orientiert ist, etwas sagen. Man muß sich klarmachen, welche Folgerungen sich daraus ergeben und sich dann dazu äußern. Diese Frage wäre zunächst einmal richtigzustellen. Das ändert nichts an der ganzen Situation und an der Frage, ob wir nicht, da ja Bundesrecht Landesrecht bricht, nun evtl. dazu kommen könnten, eine solche Vorschrift aufzunehmen. Aber sachlich muß festgestellt werden, daß dieser Gegensatz tatsächlich

vorliegt.

Dr. Süsterhenn: Frau Dr. Weber hat bereits dargetan, welche grundsätzliche Bewir gerade dieser Frage beimessen. Es handelt sich hier um Fragen, die für uns so fundamental sind, daß sie weit über die sonstigen strittigen

deutung

Punkte, beispielsweise Landes- oder Bundesfinanzverwaltung, hinausgehen. Hier wird der weltanschauliche Bereich berührt, da liegt für uns die Möglich-

keit zu einem Kompromiß oder zu einem Entgegenkommen gegenüber einer andern Auffassung viel, viel geringer, als auf sämtlichen übrigen Gebieten, die hier die Verfassung berühren. Es ist für uns eine der ernstesten Fragen, und diese Frage wird zweifellos für unsere Gesamthaltung in der ganzen Verfassungsfrage einen entscheidenden Einfluß mit ausüben. Dr. Menzel: Eine Zwischenfrage. Warum wird das nach einem Vierteljahr vorgebracht, wo wir vor der Abstimmung stehen? Frau Dr. Weber: Ich habe vor Wochen schon den Anspruch des Elternrechtes

angeregt. Vors. Dr. v. Mangoldt: Wir hatten den Antrag gestellt und Sie hatten sich einverstanden erklärt, daß das in der zweiten Lesung vorgebracht werden sollte28). Dr. Menzel: Wenn das für Sie ein Problem ist, von dem Sie die Annahme oder Ablehnung des Grundgesetzes abhängig machen wollen, dann ist das nicht ein Problem für die zweite Lesung. Dr. Bergsträsser: Das ist aber nicht vorher gesagt worden. Wir haben mehrfach gebeten, solche Anträge vorzulegen und es ist gesagt worden, Sie seien noch nicht soweit. Ich habe in der Diskussion über diese Sache im Hessischen Landtag darauf hingewiesen, daß wir eine Reihe von staatlich genehmigten konfessionellen Schulen in Hessen hatten, die eigentlich nichts anderes als Standesschulen gewesen sind; gerade eine evangelische höhere Mädchenschule in Darmstadt war eine ausgesprochene Standesschule, wie man sie sich überhaupt nur denken konnte. Wir haben diese Schule nachher nicht mehr konzessioniert, weil wir davon ausgingen, daß man die Standesschulen nicht haben will. Diese beiden Punkte verteidigen die Standesschule. (Zuruf: Die wollen wir auch nicht!) Aber Sie schaffen sie tatsächlich. Das Zweite ist die Toleranz. Ich persönlich vermag auch nicht einzusehen, daß Kinder, wenn sie Religionsunterricht haben,

28) Vgl. Dok.

Nr. 31, TOP 2.

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und der sollte ihnen ja erteilt werden, dann in ihrer kirchlichen Gesinnung irgendwie beeinflußt oder erschüttert werden können dadurch, daß sie in eine Schule gehen, in der Kinder, die schließlich auch christliche Kinder sind, in ihich rer großen Mehrheit einer anderen Konfession sind. Meine Erfahrungen bin im Elsaß aufgewachsen und habe eine Reihe anderer Gebiete Deutschlands gut kennengelernt geht dahin, daß überall, wo konfessionelle Schulen waren ich spreche nicht von katholischen Gegenden, sondern auch von evangelikeine Toleranz war. Die Toleranz brachte die Simultanschuschen Gegenden le. Deshalb bin ich für die Simultanschule und kann erklären, daß meine Fraktion überall für die Simultanschule eingetreten ist und eintreten wird, und wenn Sie sagen, daß es für Sie eine ernste Frage sei, kann ich nur betonen, daß das für uns eine ebenso ernste und grundsätzliche Frage ist. Wir haben das in Hessen durchgekämpft. Bitte erkennen Sie das auch an. Dr. Heuss: Ich bin unbefangen genug, um bestreiten zu wollen, daß es ein natürliches Elternrecht in bezug auf die Staatsschule gibt. Warum denn? Das Elternrecht in bezug auf die Schule ist im wesentlichen eine Erfindung ich bitvorher 19. nehmen des das nicht mir zu Wort denn übel te Jahrhunderts, Problem Schule dem nicht. von Sinne Haus es in Die Schulen sind das der gab aus kirchliche Veranstaltungen gewesen. Es ist die merkwürdige Situation, daß dann das Problem, dem Staate bzw. der Öffentlichkeit, dem Gemeinwesen, den Auftrag der Schule zu geben, von Luther ausgeht. Der ist der Erfinder der Vorstellung, daß der Staat oder die Stadt, an die er sich gerichtet hat, die Pflicht hätte, Schulen zu bilden. Das ist der historische Vorgang. Es ist dann das Problem der Schule als einer Veranstaltung zur Bildung vom Staate in die Hand genommen worden, und zwar im ausgehenden 18. Jahrhundert ist die Schulpflicht, der Schulzwang vom Staat, nicht von der Kirche, nicht von den Eltern, gekommen. Erst dann entstand das Problem, das wohl zunächst gar keine vertiefte konfessionelle Bedeutung hat, weil an sich die Religion als ein Kernstück der Erziehung und der Bildung begriffen wird. Das Merkwürdige ist nur dies, daß die Schule dann als Pol der konfessionellen Diskrepanz empfunden wird. Die Diskussion ging zum ersten Mal 1848 los. Vorher hat es diese Diskussionen nicht gegeben. Die Eigentümlichkeit der Situation ist, daß in der ganzen Frage der höhere Bildungswille nie eine Rolle gespielt hat. Ich habe in der württembergischen Auseinandersetzung die Leute ein bißchen gekränkt, weil ich sagte, daß alle Herren, die für die konfessionelle Schule eingetreten sind, Schüler der Simultanschule gewesen waren, von Schulen, wo immer der Simultancharakter der gegebene gewesen ist und bei den Universitäten auch. Ich will aber hier nur an die höhere Schule, an das Gymnasium und an die Realschule denken. Warum sollen die Eltern weniger berechtigt sein an dem Anspruch, hier den weltanschaulichen Charakter der Schule zu bestimmen, als bei der Volksschule. Ich will jetzt nicht über die Frage der pädagogischen Wirkungskraft der Simultanschule und der konfessionellen Schule diskutieren. Das kommt auf den Lehrer an, der ist viel wichtiger als das, was in Paragraphen steht. Ich habe seinerzeit in meiner Rede oben gesagt und sage es auch jetzt: wenn Herr Kollege Dr. Eberhard hat das schon herausgestellt wir daran denken —













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die vertriebenen Kinder in ihrer neuen Heimat anzusiedeln, dann darf da nicht konfessioneller Zwang sein. Sie erfahren dann folgendes, daß in einer kleinen Gemeinde, wo ein neuausgebautes vierklassiges Schulsystem entsteht, eine einklassige Schule dann für katholische und für evangelische Kinder bestehen bleibt, denn die Sudentendeutschen, die Schlesier, die Ungarländer, kommen gar nicht in den Betrieb der andern herein. Da wird auf einmal die konfessionelle Zufälligkeit zum Anlaß der volksanschaulichen Differenzierung. Das ist meine größte Sorge in dieser ganzen Auseinandersetzung, denn ich gehe von der Praxis der Schulpolitik aus. Hier entsteht dann, daß eine konfessionelle oder weltanschauliche Minderheit einen Anspruch hat, von diesem finanziell so geschwächten Staate die Übernahme von Kleinschulen zu verlangen. Das ist das Entscheidende. Die Privatschule ist eine Sache für sich. Ich habe mich dafür eingesetzt, daß bei uns Privatschulen möglich sind. Ich bin nicht für das Staatsmonopol. Wir haben, obwohl mir Rudolf Steiner29) durchaus fernsteht, zugelassen, einige dieser Waldorf-Schulen aufzumachen, weil sich hier interessante Experimente ergeben, die für die öffentlichen Schulen wichtig sein können. Aber auch bei einer Ablehnung des Begriffs des Staatsmonopols sage ich, es ist die Schule eine Veranstaltung der Öffentlichkeit, repräsentiert durch Staat und Gemeinde. Es besteht der Schulzwang, und die Eltern werden unter Strafandrohung gezwungen, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Das war so lange, bis sich im Verlauf der Jahrhunderte herumgesprochen hat in der Elternschaft, daß eine gute Allgemeinbildung für das Kind etwas Wertvolles ist. Das ist von Haus aus nicht so gewesen. Was haben wir für Kämpfe in Württemberg gehabt, vor 30 Jahren, als die siebenjährige Schulzeit durch die achtjährige abgelöst werden sollte. Es lag mir daran, Sie auch auf die historische Situation hinzuweisen, die sich uns darstellt und andererseits auch auf die finanzielle Seite. Ich habe mich als evangelischer Mann schützend vor die katholischen Kinder gestellt, damit sie nicht schlechter behandelt werden, als die evangelische Schule behandelt wird. Wir wollen das mit allem Ernst und Nachdruck zum Ausdruck gebracht haben. Heile: Was Herr Dr. Heuss gesagt hat, hat mich sehr beeindruckt. Diese Ausführungen haben mich aber, so sehr die Motive seines Denkens auch die meinen sind, vom Gegenteiligen überzeugt. Ich komme vom alten liberalen Standpunkte her. Ich gehe von dem Grundgedanken aus, daß der Mensch das Maß aller Dinge ist und lehne mit Entschiedenheit einen Staat ab, der über das Recht der Eltern hinweg bestimmt, wie es die Eltern mit ihren Kindern halten sollen. Ich glaube nicht, daß man ein aufrechter und freier Mensch bleiben kann, wenn man den wesentlichen Inhalt des Familienlebens verneint, indem man das Recht der Eltern auf Bestimmung über die Kinder verneint. Ich kann den Eltern das Recht nicht bestreiten, daß sie bestimmen müssen und sie allein bestimmen können, wie sie ihre Kinder erziehen oder erziehen lassen wollen.

irgendwelcher

29) Rudolf Steiner (1861-1925), Begründer der Anthroposophie. 817

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sie etwa eine religiöse Auffassung haben, die der meinigen nicht und wenn sie der Meinung sind und das Gefühl haben, daß der entspricht Zwang zum Besuch einer Simultanschule eine Vergewaltigung der Kinderseele und ihrer Elterngefühle sei, soll ich sie dann trotzdem zwingen, ihre Kinder in die Simultanschule zu schicken? Ich ziehe die Simultanschule vor und würde mich mit Händen und Füßen wehren, wenn irgendeine Macht versuchen wollte, die Simultanschule zu verbieten. Aber ebensowenig, wie ich die Simultanschule verboten haben möchte, möchte ich die Konfessionsschule verboten haben. Damit komme ich auf das, was mich veranlaßt hat, mich zum Worte zu melden, nämlich die Veränderung der Bevölkerungsverhältnisse durch die große Völkerwanderung. Wir haben in unserer Heimat jetzt den Zustand, und das ist besonders in den Dörfern so, daß die Zugewanderten oft die Mehrheit bilden. Und da die meisten eine große Kinderzahl haben, haben wir jetzt sehr oft mehr fremde Kinder als einheimische. Und weil der Hauptstrom aus Schlesien kam, haben wir in die überwiegend protestantische Gegend überwiegend katholische Kinder bekommen. Da stehe ich vor der Überlegung: soll ich diesen katholischen Eltern, die jetzt da sind, sagen, sie müßten jetzt ihre Kinder in die evangelische Schule hineinbringen, die unsere Gemeinschaftsschule in ihren Augen doch tatsächlich ist. Ich will niemand zwingen. Ich will nicht die Konfessionsschule von Staats wegen anordnen, aber den katholischen Eltern doch die Möglichkeit geben, ihre Kinder in eine katholische Schule zu schicken. (Dr. Menzel: Wer soll das bezahlen?) Die Beschulung der Kinder kostet immer das gleiche.

Und



wenn

(Widerspruch.)

Dr. Heuss: Wenn sie zwei Schulgebäude haben müssen, zwei Lehrer haben müssen, das ist hier das Problem. Es gibt aber soviele Dinge, die nicht in das Weltanschauliche hereingehen, es gibt kein evangelisches Rechnen und kein

katholisches Rechnen. Heile: Daß mehr Lehrer mehr Geld kosten, wissen wir auch, aber sollen wir den Zustand aufrechterhalten, daß wir stellenweise Schulen mit 150 und mehr Kindern in einer Klasse haben, mit einem einzigen Lehrer? Da kann man doch nicht bloß rechnen, da müssen wir auch trotz des finanziellen Elends versuchen, neue Schulen zu schaffen. Und wenn wir dem Dorfe eine zweite Schule geben müssen, weshalb sollen wir dann nicht auf die Empfindung der Eltern Rücksicht nehmen? Aber das andere Argument widerspricht diesem Argument, das ich vortrage. Ich sage das mit aller Offenheit. Wenn in einzelnen Teilen Deutschlands die einzelnen Gliedstaaten Deutschlands von sich aus, aus der Konstruktion ihres Landes und aus der Empfindung der großen Mehrheit ihrer Bevölkerung eine gesetzliche Regelung getroffen haben, die anders ist, als sie von mir gewünscht wird, so kann ich als föderalistisch denkender Mensch nicht die Zentralgewalt des Bundes dagegen mobil machen wollen. Denn es gehört zu den Grundrechten unserer einzelnen Staaten und Länder, daß sie diese Dinge nach ihrem Wunsch und Willen regeln. Ich würde als Bürger eines Landes, das das Elternrecht nicht anerkennt, in diesem Lande für eine andere Regelung kämpfen. 818

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Dt. Menzel: Jedes Land soll selbst entscheiden, ob es Ihren Standpunkt einnimmt oder einen andern. Dann darf das hier nicht hinein. Dt. Heuss: Hier wird ein bundesmäßiger Rechtsanspruch geschaffen. Heile: Wir sind einen falschen Weg gegangen, indem wir über das Problem der Konfessionsschule gesprochen haben. Nachdem das aber geschehen ist, habe auch ich mich dazu geäußert. Obwohl ich von einem ganz anderen politischen Herkommen bin, stimme ich den Herren von der CDU, die hier sitzen, in der Sache selbst mit meinem Denken und Fühlen zu, aber wenn ich vom föderalistischen Gedanken ausgehe, dann möchte ich, daß nicht der Bund in dieser Sache entscheidet, sondern daß man den einzelnen Staaten und Ländern das Recht läßt, die Angelegenheit nach ihrer Weise zu regeln, und daß der Gesamtstaat sich nicht zu sehr in Dinge einmischt, die in einzelnen Gegenden ver-

schieden aussehen. Dt. Menzel: Herr Heile hat recht, wenn er sagt, die Diskussion habe sich vom Ausgangspunkte verschoben. Ich hatte nicht die Absicht und hielt es nicht für richtig, eine Debatte über die konfessionelle Schule zu entfesseln; Ausgangspunkt muß die Frage sein, unabhängig von dem, was wir in der Sache selbst wollen, solle das der Bund machen oder die Länder? Herr Heile, und ich sage das betont, da ich zu Unrecht als Zentralist verschrieen bin, hier gibt es keine andere Lösung als die Länderlösung. Was wollen Sie den Ländern dann noch lassen, wenn Sie jetzt die Auffassung vertreten würden, daß die Schul- und Kirchenangelegenheiten zur Zuständigkeit des Bundes gehören. Was bleibt denn da an echter Zuständigkeit für die Länder? Gar nichts mehr! (Frau Dr. Weber: Sehr viel!) Sie kämpfen hauptsächlich um den Grundsatz, weil das der tragende Pfeiler ihrer Schulpolitik werden soll. Ich bin über die Erklärung des Herrn Kollegen Dr. Süsterhenn etwas bestürzt. Ich bin dankbar, daß er klar erklärt hat, wie die Dinge für ihn und seine Fraktion stehen. Es hätte keinen Sinn, darum herumzureden, aber ich muß sagen, wenn man jetzt nach einem reichlichen Vierteljahr ein Problem zur Formulierung bringt, von dem man erklärt, die Entscheidung darüber könnte für die Ablehnung oder die Annahme des Grundgesetzes entscheidend oder maßgebend sein, ich verstehe nicht, daß man so spät damit kommt. Das hat man nicht nur schon am 1. September gewußt, das hat man wahrscheinlich schon gewußt, als überhaupt in Deutschland nach der Kapitulation die Verfassungsdebatte eröffnet wurde. Ich kann mir nicht die Gründe vorstellen, warum man jetzt, wo man kurz vor dem Abschluß der ersten Lesung steht, mit der Forderung kommt, die derart entscheidend und schwerwiegend ist. Herr Dr. Heuss hat das Problem als solches angeschnitten, aber ich glaube, wir könnten bis morgen abend mit Engelszungen reden, wir kommen in der Sache nicht zusammen. Auch hier hat es keinen Sinn, darum herumzureden. Wir müssen die Tatsache erkennen und versuchen, daraus einen Ausweg zu finden. Ich bin der Meinung, daß der einzige Ausweg ist, daß man das den Ländern überläßt, vor allem aus einem Grunde: Es ist sicher richtig, wenn Frau Weber sagt, daß es sich bei diesem Problem um die nach ihrer Auffassung wichtige Frage der Grundlagen des menschlichen 819

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Zusammenlebens handelt, um wichtigere Fragen, als die Forderungen der Gewerkschaften. Ich weiß nicht, ob Sie bei einer solchen Beurteilung die Gesamtsituation, wie sie heute in Europa besteht, richtig übersehen und bewerten. Sie verkennen, glaube ich, den funktionellen Zusammenhang und die Forderung nach dem Schutz der Ehe. Man übersieht nicht, wie heute diese Fragen der Ehe in Rußland gelöst sind, dazu sind die Nachrichten zu spärlich. Nach dem, was man hört, sind die Russen zu der alten Lösung zurückgegangen. Aber wir wissen auch, daß Rußland heute ein imperialistischer Staat ist, der wahrscheinlich die Ehe unter den Gesichtspunkten der reinen Bevölkerungspolitik, der Wehrhaftmachung und des Imperialismus sieht. Hier sehen Sie den Zusammenhang zwischen der sozialen Situation eines Volkes und der Ehe. Es ist nicht richtig, daß wir nur sagen können, lediglich die Frage der Ordnung des Ehelebens hat primären Charakter und die sozialen Forderungen der Gewerkschaften nur sekundären. Das ist in der Situation, in der Europa seit Jahrzehnten sich befindet, nicht mehr richtig. Sie könnten die Forderung nach der Aufrechterhaltung des Schutzes der Ehe nicht mehr aufrechterhalten, wenn ihr nicht eine ausgeglichene soziale Situation im Volke entspricht. Das beweisen die Vorgänge, die vielleicht etwas mehr als 10 Jahre in Rußland zurückliegen. Ich erwähne das deshalb, weil ich keine Möglichkeit sehe, diese Sache zu regeln, wobei ich Herr Kollege Dr. Eberhard einschalten darf, ich würde von meiner Fraktion kaum eine Schwierigkeit sehen, wenn der Zusatz hat das schon angedeutet von Kollege Dr. Heuss berücksichtigt wird, in diesem Umfange etwas über die Fundamente der Ehe zu sagen; da würden wir keinen Punkt sehen, um den sich ein großer politischer Kampf lohnen würde, nicht etwa, weil wir gegen die Ehe sind, sondern weil wir der Meinung sind, das gehört nicht hierher. Aber ich bin der Meinung, daß Sie keine Begründung gegenüber den Gewerkschaften finden, wenn Sie das Eherecht verankern. Bei dem Ernst, mit dem Herr Kollege Dr. Süsterhenn diese Frage betont hat, ich habe mit meinen politischen Freunden nicht sprechen könglaube ich, nen sollte man die Debatte über das Elternrecht doch zurückstellen, bis wir in den Fraktionen darüber gesprochen haben. Weil ich weiß, wie ernst diese Frage ist, möchte ich nicht mit leichter Hand darüber hinweggehen. Sie sollten aus diesen letzten Worten noch einmal sehen, wie ernst wir das Problem nehmen und daß wir um eine Verständigung ringen werden, aber nur auf dem Gebiete des Verfassungsformalen. Wir möchten keine Debatte entfachen, weil wir dann noch wochenlang zusammensitzen müßten. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich würde vorschlagen, daß wir jetzt die Rednerliste schließen. (Dr. Heuss: Ich bitte, mir noch zum Schluß das Wort zu geben.) Nachdem wir dann die Damen und Herren gehört haben, würde ich vorschlagen, uns klar zu werden, wie wir weiter vorgehen wollen. Es müssen die Erwägungen angestellt werden, die Herr Dr. Menzel angedeutet hat. Ich möchte nur noch eines sagen: daß diese ganze Frage jetzt in der Fraktion man muß es der CDU eine so starke Rolle spielt, ist darauf zurückzuführen, Presse diesen sehr stark besich mit Grundrechten die daß objektiv sehen, und Anschuldigungen schäftigt hat und in der Presse erhebliche Forderungen —











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erhoben worden sind und dort diese Frage in viel stärkerem Maße diskutiert worden ist als zu Anfang30). Es hat sich doch andererseits auch ergeben, daß die Gewerkschaften erst nach einer gewissen Zeit gekommen sind und diese Dinge erst anlaufen müssen. Bei ihnen ist es so gewesen, daß man von vornherein vielleicht stärker herangegangen ist. Darauf ist das etwa zurückzuführen. Das Wort hat jetzt der Herr Abg. Maier. Maier: Mit Rücksicht darauf, daß noch einige Redner vorgemerkt sind, möchte ich mich kurz fassen. Herr Kollege Dr. Heuss hat das meiste, worauf es ankommt, vorweggenommen. Ich möchte nur Herrn Blomeyer hinsichtlich der Apostrophierung der Verhältnisse in der badischen Verfassung korrigieren. Herr Kollege Dr. Fecht31) sitzt hier, der Vorsitzender des Verfassungsausschusses gewesen ist und der die Dinge also aus der Quelle kennt. In Baden hat diese Frage eine ebenso große Rolle gespielt wie hier bei uns, und es waren dort Ihre politischen Freunde, die in unserem Lande die absolute Mehrheit haben, die den Einwänden der Gegenseite sich nicht verschlossen hatten. Es war Ihr Erzbischof in Baden, der sich selbst für die Simultanschule aussprach, und wenn in unserer Verfassung trotzdem dieser von Herrn Blomeyer zitierte Satz, daß der Elternwille maßgeblich sei, steht, so ist er an eine Stelle in die Verfassung aufgenommen, die keinerlei Beziehungnahme zu den Schulparagraphen herstellen läßt. Die CDU in Baden hat sich für die christliche Simultanschule erklärt und hat auch durch ihre gesetzliche Verankerung in der Verfassung der traditionellen badischen Simultanschule den Vorzug gegeben. So läßt sich aus unserer badischen Verfassung nicht die Möglichkeit, konfessionelle Schulen einzuführen,

herleiten.

Herr Kollege Dr. Heuss hat schon hervorgehoben, was das in praxi bedeutet. Für uns in Südbaden würde der vorgeschlagene Satz bei Annahme wie für alle

30) In einer Ausarbeitung des Sekretariates über Probleme aus der Arbeit der Fachausschüsse (Ergänzung zur Übersicht vom 22. Okt. 1948, Drucks. 247, in: Z 5/127, Bl. 210-212) vom 31. Okt. 1948 hatte es geheißen: „Von den bisher der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Artikeln des Grundgesetzentwurfs haben die Bestimmungen über die Grundrech-

größte Interesse, aber auch scharfe Kritik sowie verschiedene Änderungsund Ergänzungsvorschläge hervorgerufen. Es geht dabei in der Hauptsache um folgende Punkte: a) Naturrecht. Die Begründung der Grundrechte im Naturrecht wird als überholt angesehen. Die Lehre vom Naturrecht gehöre sowohl in ihrer rationalen wie in ihrer christlichen Gestalt einer überwundenen Epoche an. Sie gehe von dem anfechtbaren Begriff des vorstaatlichen Rechts aus. Nicht der .imaginäre vorstaatliche Mensch' sondern der Mensch als .verantwortlicher Mitträger des Staates' müsse der erste Gegenstand des Grundgesetzes sein. b) Individualrechte. Die Beschränkung der Grundrechte auf die Individualrechte wird als Rückschritt in die Gedankenwelt des Zeitalters der Aufklärung ,Sieg des 18. über das 20. Jahrhundert' bezeichnet. c) Gemeinschaft und Gesellschaft. Das fast völlige Fehlen der die Gemeinschaft und Gesellschaft, insbesondere Familie, Schule, Kirche, Beamtenrecht betreffenden Grundrechte wird als Rückschritt gegenüber der Weimarer Verfassung empfunden." 31) Dr. Hermann Fecht (1880-1952), Justizminister, CDU-Südbaden. te das relativ





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Länder rechtsverbindlich werden. Es ist nicht so, Herr Kollege Heile, daß damit die gleiche Erziehung für alle Kinder gewährleistet ist, im Gegenteil. Wir sind ein Land mit überwiegend katholischer Bevölkerung, mit einer größeren Zahl von Diaspora-Gemeinden. Nun erwarten wir noch eine größere Anzahl von

FlüchÜingen.

(Frau Dr. Weber: Haben Sie schon Flüchtlinge?) Keine große Zahl, etwa 30 000. Wir sind der Struktur nach ein anderes Land als das Rheinland, als Nordrhein-Westfalen, oder Niedersachsen. Wenn nun für unsere schon sehr stark differenzierte Schule noch die konfessionelle Scheidung der Schüler in Konfessionsschulen hinzukäme, würde das bedeuten, daß wir Zwergschulen bekämen, die eine einheitliche Erziehung der Kinder nicht mehr gewährleisteten. Der Satz, daß jeder Staatsbürger das Recht auf eine gleichmäßige Ausbildung hat, daß er zu allen höheren Berufen usw. zugelassen werden soll, würde praktisch keine Geltung mehr haben, weil das Fundament der Erziehung in der Schule nicht mehr gegeben ist. Mein Land wäre finanziell gar nicht in der Lage, die Lasten zu tragen, die bei einer solchen Differenzierung unseres Schulwesens entstehen würden. Aus diesem Grunde hat auch bei uns die Regierungspartei, die wie gesagt die absolute Mehrheit hat, sich auf den Boden der seit 80 Jahren bewährten Simultanschule gestellt. In dem Augenblick, wo Sie die vorgeschlagene Formulierung annähmen, würde die badische Simultanschule gefährdet sein, denn durch den entgegenstehenden Artikel im Grundgesetz würde unsere badische Verfassung in ihren Schulartikeln außer Kraft gesetzt. Dr. Süsterhenn: Ich verzichte auf eine Erwiderung auf die von verschiedenen Seiten gemachten vergleichenden Ausführungen, so reizvoll es wäre, auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Heuss einzugehen. Ich glaube, daß wir mit diesen Erörterungen keinen Schritt weiterkämen. Es ist zu diesem ganzen Kernproblem seit 1919 soviel Geist, Tinte und Druckerschwärze verspritzt worden. (Frau Dr. Weber: Auch Ungeist!) Es ist nicht möglich gewesen, daß die eine Gruppe die andere wirklich zu überzeugen vermocht hat. Was in den zurückliegenden 25 Jahren nicht möglich war, wird uns auch nicht gelingen. Deshalb bin ich der Meinung, daß wir die Debatte über diesen Punkt, sofern sie den sachlichen Kern angeht, zweckmäßig abbrechen. Ich bin, wie Herr Kollege Dr. Eberhard erfreulicherweise hervorgehoben hat und auch von Herrn Kollegen Dr. Menzel unterstrichen worden ist, auch der Meinung, daß es notwendig ist, irgendwie zu einer Verständigung und angesichts der ganzen schwierigen politischen Situation zu einer Lösung zu kommen, und zwar zu einer Mehrheitslösung. Deshalb möchte ich aus allem, was gesagt worden ist, nicht nur das Nein herauslesen, sondern möchte auch versuchen, festzuhalten, wo wenigstens ein schwaches Ja oder eine Bereitschaft in den Ausführungen der Herren der anderen Auffassung zu erkennen gewesen ist. Eine solche Bereitschaft zu einer Verständigung bestand, glaube ich, sicherlich hinsichtlich des Artikels über den Schutz der Ehe und der Familie. Sowohl die Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Heuss wie auch von Herrn Dr. Eberhard —

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und Dr. Menzel ließen eine solche erkennen, sofern in dem Punkte Mutterschutz und Schutz des unehelichen Kindes gleichfalls eine Regelung erfolgt. (Dr. Heuss: Das wurde von mir nicht als Bedingung gemacht, sondern nur als Ergänzung!) Da sehe ich Möglichkeiten. Außerdem hat Herr Kollege Dr. Bergsträsser erklärt, Religionsunterricht sei eine Selbstverständlichkeit, werde nicht bestritten, wenigstens dem Prinzip nach, (Dr. Bergsträsser: Auch praktisch nicht!) so daß ich hinsichtlich des Abs. 2 des zweiten Artikels immerhin Möglichkeiten einer Verständigung sehe aus dem, was da gesagt worden ist. Ich glaube, daß wohl auch keine unüberwindlichen Bedenken bestehen werden jedenfalls glaubte ich das, ich spreche durchaus mit dem positiven Willen, auch das Mögliche zu einer Verständigung herauszusehen —, daß nicht viel Bedenken bestehen könnten gegen den ersten Satz in Abs. 1, wo es heißt: Pflege und Erziehung der eigenen Kinder ist das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Weiter bin ich der Meinung, daß der letzte Satz: Die Herausnahme von Kindern aus der Familiengemeinschaft gegen den Willen der Erziehungsberechtigten ist nur auf gesetzlicher Grundlage möglich, wenn durch ein Versagen der Erziehungsberechtigten die Gefahr der Verwahrlosung der Kinder gegeben ist, etwas besagt, worüber man jedenfalls durchaus reden kann. Zwangserziehung in Lagern, Staatsjugend und ähnliche Dinge lehnen wir in jeder Hinsicht nach der sachlichen Seite hin ab, so daß ich eigentlich sagen darf, daß, um den zentralen Konfliktpunkt herauszuschälen, nur der Mittelsatz des Abs. 1 nach dem jetzigen Stand der Debatte unüberwindliche Schwierigkeiten zu machen scheint. Der lautet: Dieses Recht ist auch bei der Bestimmung des religiös-weltanschaulichen Charakters der Schule und durch Sicherung der Unterrichtsfreiheit zu wah—

ren.

Ich habe hier lediglich einmal wiedergeben wollen, wie ich das mögliche Ergebnis der Diskussion sehe und habe mich bemüht, das Positive aus der Diskussion einmal herauszuschöpfen, wobei noch hinzukommt, daß Herr Kollege Dr. Heuss auch bei diesem an sich den Streit bildenden Absatz den Gedanken der Ermöglichung von Privatschulen noch bejaht hat. Ich glaube, das ist der Stand oder das Ergebnis der Diskussion, wie ich es sehe, wobei ich mich bemüht habe, klarzustellen, wo unüberwindliche Schwierigkeiten zu bestehen scheinen und in welchen Fragen immerhin Verständigungsmöglichkeiten sich nach meinem Dafürhalten ergeben haben. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich von den Herren auf der Gegenseite hören könnte, ob ich die Situation so richtig gesehen habe. Dr. Menzel: Sie haben das insofern nicht ganz richtig gesehen, weil wir der Meinung sind, daß, von der Ehe abgesehen, diese ganzen Fragen überhaupt nicht in das Grundgesetz hineingehören. Wir bestreiten nicht die materielle Richtigkeit dieser Sätze, sondern nur die systematische Einordnung. Frau Dr. Weber: Ich schicke voraus, daß ich alle Schularten kenne und in al823

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len Schulen unterrichtet habe, die ganzen Debatten in Weimar32] mitgemacht habe und auch im Reichstag Mitglied des Ausschusses für die Schulen war. Ich möche nun folgendes über die Elternrechte sagen. Sie vertreten den Standpunkt, daß der Staat das erste Recht auf die Schule hat. Ich gebe dem Staat auch ein Recht an die Schule, selbstverständlich, aber ich gebe es ihm in der religiös-weltanschaulichen Ausgestaltung nicht, wohl in dem Plan der Bildungsfragen. Er hat eine solch große Aufgabe, daß das Kultusministerium nicht in die Gefahr kommt, bedeutungslos zu werden. Wir wollen den Eltern nur das Recht der religiös-weltanschaulichen Ausgestaltung der Schule geben, das ist für mich und für die Anhänger meiner Partei eine Gewissenspflicht, den Eltern dieses Recht zu gewähren. Sie haben dieses Recht von Natur aus. Eine irrige Anschauung vom Staat und eine falsche Meinung von der Einschränkung der Elternrechte hat in früheren Zeiten schon die Elternrechte beeinträchtigt. Wir sind in allen diesen Fragen verantwortungsvoller geworden, besonders seit dem Dritten Reich, verantwortungsvoller, als wir früher waren. Wir können nicht darauf verzichten, daß das Elternrecht in die Grundrechte aufgenommen wird. Ich spreche keine Drohung aus. Ich sage nur, für uns ist es einfach Gewissenspflicht, daß wir das Elternrecht verlangen. Ich fürchte allerdings, gerade, weil ich die Debatten darüber früher mitgemacht habe, daß sich zwei verschiedene Weltanschauungen in der Auffassung des Staates und der Eltern und ihrer Rechte gegenüberstehen. Die Bildungsausgestaltung der Schule gehört dem Staat. Die Privatschule ist allerdings auch eine Forderung der Eltern. Davon können wir nicht lassen. Wer die Gemeinschaftsschule haben will, soll das Recht haben, seine Kinder in die Gemeinschaftsschule zu schicken. (Dr. Eberhard: Dann haben wir in einem kleinen Dorf drei Schulen!) Das ist eine Frage der Unterrichtsverwaltung und der Organisation, die die Bundesverfassung nichts angeht. Die Bundesverfassung muß die obersten Leitsätze über Menschenrechte aussprechen. Wir können nicht anders urteilen, es ist eine Gewissensfrage, und auch für Sie. Wie wir uns einigen können, weiß ich nicht. Es gibt Fragen, über die wir uns vielleicht nicht einigen. Dr. Heuss: Ich will zu dieser Frage nicht mehr reden, nein, obwohl sehr viel zu sagen wäre, vor allen Dingen über die Gemeinschaftsschule. Ich halte auch nichts von Konzessionen an die weltliche Schule. Ich wollte, ähnlich wie es Herr Kollege Dr. Süsterhenn gemacht hat, sagen, der Stein des Anstoßes ist dieser Zwischensatz, denn er verläßt den föderativen Gedanken der Schulverwaltung und der Schulgesetzgebung als Aufgabe der Länder. Die Frage stellt sich im nächsten Satz so dar, daß dieses Recht der Eltern, das ihnen genommen wird, von mir bejaht wird. Das ist einer von den Artikeln, die in die Verfassung hereinkommen sollen als Spiegelung unserer Erfahrung aus der Nazizeit. Früher ist man nicht darauf gekommen, das in die Verfassung hereinzuschreiben, aber was wir jetzt erlebt haben, wirkt ein bißchen zu aktuell nach meinem Gefühl. Wir kriegen da einen sehr zeitbedingten Abwehrsatz her—

32) Vgl. Günther Grünthal: Reichsschulgesetz und Zentrumspartei in der Weimarer Republik. Düsseldorf 1968. Beiträge Parteien Bd. 39.

824

zur

Geschichte des Parlamentarismus und der politischen

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eine spezifische Naziangelegenheit gewesen sind. für die Redaktion anheimstellen, ob unser Satz in Art. 5: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet", wobei an etwas ganz anderes gedacht war, als an diese schwere Problematik, nicht eine Interpretation oder Formung finden könnte, wonach der Religionsunterricht nicht als Lehrfach angesehen wird. Es liegt mir an sich daran, daß Sie das Gefühl haben, daß weder von der Sozialdemokratischen Partei, für die ich nicht zu sprechen habe, noch von mir aus der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach nicht erwünschbar angesehen wird. Ich habe immer zu denen gehört, die eine weltliche Schule nicht sehr geliebt haben, weil ich sie als eine Verarmung der Schule angesehen habe. Die religiöse Überzeugung gewinnt der Mensch aber erst, wenn er älter ist. Ich möchte deshalb bitten, zu überlegen, ob nicht eine solche Interpretation gefunden werden kann, daß wir, ohne daß wir in diesen Satz eine obligatorische Verpflichtung hineinbringen, alle Bedenken nach der Seite hin auslöschen können. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich darf damit diese Frage abschließen. Wir müssen uns der Aufgabe bewußt werden, daß wir für das Plenum oder den Hauptausschuß diese Frage vorzubereiten haben und es war wichtig, daß wir einen Text haben, den wir einmal durchgesprochen haben und den wir als unsere Formulieich spreche nur über den Artikel: Schutz der Ehe und der Familie rung vorschlagen könnten, damit die Fraktionen sich über diese Fragen klar werden können. Ich darf annehmen, daß darüber Einvernehmen besteht, und das hat durch die Ausführungen klar durchgeklungen, jede Fraktion hat die Freiheit, entweder Zusatzanträge zu stellen oder das ganze abzulehnen. Nur dadurch werden wir unserer Vorbereitungspflicht gerecht. Wir können nicht beide Artikel zusammen behandeln, sondern müssen Satz für Satz vorwärts gehen. Da sind wir jetzt bei dem Schutz der Ehe und der Familie. Es nützt nichts, wenn wir die ganzen Dinge zuspitzen, sondern wir wollen sachlich diskutieren. Wir kommen gleich an das Elternrecht und an die Erziehung heran, daß ist der zweite Artikel, von dem wir zu sprechen haben. Ich darf aber annehmen, daß wir uns zuerst auf den ersten Artikel beschränken wollen, für den ganz klar sich aus der Diskussion ergeben hat, daß dafür die Möglichkeit der Einbringung einer gemeinsamen Vorlage gegeben sein würde, wobei die letzte Entscheidung ja noch offenbleibt wie überall. Also würden wir das so handhaben, daß wir das erst durchgehen, daß wir uns klarwerden, sind Zusatzanträge dazu gemacht worden, und wie wir diese Zusatzanträge formulieren und daß wir dann, wenn wir eine solche Klarheit haben, uns klarwerden, an welcher Stelle das eingefügt werden müßte. Sie haben den Text vor sich und ich frage, ob Ausstellungen am ersten Satz zu machen sind. Heile: Der Antrag von meiner Fraktion33) war kürzer, klarer und besagt alles: Ehe und Familie sind die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft. Sie stehen unter dem Schutz des Staates.

ein gegenüber Ich wollte nun

Dingen, die

nur





33) Anträge der

DP

vom

19. Nov. 1948,

vervielf. als Drucks. Nr. 298. 825

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Darüber haben wir auch gesprochen, über diese Formuunter dem Schutz des Staates", während die Formulierung: unter dem Schutz der Verfassung", eine rechtliche Bedeutung hat, in-

Vors. Dr.

v.

Mangoldt:

lierung: „stehen „stehen

dem nämlich die grundlegenden Sätze dann, das ist nach der Weimarer Verfassung auch so gewesen, über Ehe und Familie einen gewissen verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Ehe und Familie sind die Grundlage der menschlichen Gesellschaft. In Weimar war die Auslegung so, daß das nicht nur eine Deklaration ist, sondern daß er wirklich jene Bedeutung hat. Hier ist bei Anschütz im Abs. 1 Satz 1 ge-

sagt34):

Wenn Abs. 1 Satz 1 die in der abendländischen Welt seit Jahrtausenden bestehende Institution der monogamischen Ehe in bewußter und gewollter

Ablehnung gewisser kommunistischer Lehren unter den besonderen Schutz der Verfassung stellt, so bedeutet das, daß dieses Fundament unseres Familienlebens nicht ohne Verfassungsänderung abgeschafft oder in seinen überlieferten Grundzügen verändert werden kann. Darin würde eine gewisse rechtliche Bedeutung liegen, während in der anderen gar keine liegt, sie eine reine Deklaration darstellt. Den Weg kann man nicht gehen. Dr. Bergsträsser: Wenn durch einfaches Gesetz für die Eingehung und Auflösung der Ehe die Formlosigkeit eingeführt oder jeder Rechtsunterschied zwischen ehelichen und außerehelichen Kindern beseitigt wird? Dr. Grève: Ich möchte sagen, daß nicht, wie man hier anzunehmen scheint, mit dem Satz: „Ehe und Familie sind die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft", dasselbe gesagt ist, was im Antrage der CDU zum Ausdruck kommt. Da

heißt

es:

Die Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und die ihr entfaltende Familie sowie die aus der Ehe und der Zugehörigkeit zur Familie fließenden Rechte und Pflichten stehen unter

dem besonderen Schutz der

Das ist konkreter und nicht

so

Verfassung.

anmaßend, wenngleich ich nicht sagen will, daß

nicht zutreffend sei, Ehe und Familie sind die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft. Das sind aber auch noch andere als Ehe und Familie, so daß mir insbesondere dann, wenn man auf die Konkretisierung der möglicherweise hier festzuhaltenden Formulierung ablegt, es besser ist, was im Antrag der CDU/ CSU gesagt ist. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich freue mich über die konkrete Besprechung, denn dann ist jetzt leichter eine Formulierung zu finden. Ich bin der Auffassung, daß es etwas anderes ist, Sie haben durchaus recht, es ist nicht genau das gleiche. Heile: Ich hätte das, was in dem Antrag der CDU steht, ohne weiteres so verstanden, der Schutz einer Familie ist nicht die Sprache eines Gesetzes. Ich ziehe zu Gunsten des Antrags der CDU meinen Antrag zurück. es

34) G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 559, Kommentierung Art. 119 WRV.

826

von

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Vors. Dr. v. Mangoldt: Es soll unmittelbar geltendes Recht sein. Da ist es richtiger und da gebe ich Herrn Grève recht, daß wir die andere Formulierung wählen. Nun käme die Frage der Zusätze. Dr. Eberhard: Mir hat ein Jurist gesagt, wenn so formuliert würde, könnte man Zuchthaus für jeden Ehebruch erwarten. Dr. Süsterhenn: Das ist blühender Unsinn, selbstverständlich. Diese Folgerung vermag niemand aus diesem Artikel zu ziehen, sondern es handelt sich lediglich darum, daß die Ehe so, wie sie hier geschildert ist, als Institution im Prinzip aufrechtzuerhalten ist. Ein Verfassungsartikel hat niemals irgendwelche strafrechtlichen Wirkungen, es sei denn, daß ausdrücklich dazu eine strafrechtliche Sanktion zugesagt wird. Dann müßte es heißen: Ehebruch wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich darf bemerken, daß zur Zeit nur eine Strafvorschrift für Verfolgung auf Antrag besteht und also keine Möglichkeit bestünde, das hineinzunehmen. Auch aus diesem Grunde kann man das nicht machen. Es heißt, die Institutionen sollen so erhalten bleiben, wie sie in ihren überlieferten Grundzügen vorhanden sind. Nach den überlieferten Grundzügen ist die Frage des Ehebruchs klar im Strafgesetzbuch geregelt. Dr. Grève: Ich wollte ungefähr dasselbe sagen. Nur wenn ich einen Schritt weitergehe, komme ich natürlich zu der Konsequenz, daß das, was Herr Kollege Dr. Eberhard gesagt hat, zutreffend sein könnte: durch ein Gesetz könnte der Ehebruch mit bestimmten Strafen belegt werden. Zur Zeit ist das richtig, was Sie sagen, da die strafgesetzlichen Bestimmungen keine Handhabe geben, daß das so behandelt wird. Vors. Dr. v. Mangoldt: Dazu würde das Vorhandensein des Parlaments genügen, damit sich das nicht durchsetzt. Maier: Wenn ich die Rechtsfolgen richtig verstehe, ist es wohl so, daß, wenn etwa der Bundestag mit Mehrheit die jetzige Institution der Ehe aufheben wollte, dann dieses Gesetz eine Verfassungsänderung bedeutete. Dr. Süsterhenn: Das ist die einzige Rechtsfolge. Vors. Dr. v. Mangoldt: Wenn man sagen würde: „Die Ehe als die Form der dauernden Lebensgemeinschaft. .", das geht nicht. Wir brauchen eine adjekti.

vistische Bestimmung. Dr. Süsterhenn: Wir können formulieren wie wir wollen, oder auf jede Formulierung verzichten, diese natürlich rein juristische Möglichkeit bestünde immer. Das Strafgesetzbuch ist mit einfacher Mehrheit zu verändern. Da könnte durch eine Mehrheit im Bundestag jeder Unsinn hineingesetzt werden. Das von Herrn Kollegen Dr. Eberhard aufgenommene und von Dr. Grève weiter behandelte Problem hat wirklich mit der Formulierung oder mit der Weglassung dieses Artikels nicht das mindeste zu tun. Vors. Dr. v. Mangoldt: Es wird gesagt, daß die Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft unter dem Schutze der Verfassung steht, aber nicht das Konkubinat. In dem Schutz der rechtmäßigen Form der dauernden Lebensgemeinschaft liegt, daß die Ehe geschützt ist. Dr. Heuss: Kann man vielleicht statt „rechtmäßige" sagen „wesensgemäße"? 827

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Bergsträsser: Ich möchte

zu zwei Worten eine Bemerkung machen, nämlich ihr entfaltende Familie" und „zur Familie fließenden Rechte und Pflich„aus ten". Diese Worte scheinen mir überflüssig zu sein und passen auch da sehr schlecht hinein. Wir müssen hier mehr Acht als bisher auf die Formulierung

Dr.

zu

geben.

Dr. Heuss: Bei mir war es etwas dinglicher ausgedrückt. Vors. Dr. v. Mangoldt: Oder wir können sagen: „mit ihr entstehende Familie". Dr. Heuss: Das ist falsch. Es gibt Ehen, die keine Kinder haben. Sagen wir: „die mit ihr gegebene Familie". Vors. Dr. v. Mangoldt: Mit der Ehe ist die Familie noch nicht gegeben. Dr. Süsterhenn: Ich bin nicht ganz der Auffassung, daß das dasselbe ist. Dr. Heuss: Es ist so, daß die Ehe, die kinderlos geblieben ist, sozusagen als solche minderen Rechts erscheinen könnte. Vors. Dr. v. Mangoldt: „Die mit ihr gegebene Familie", dann wäre eine Familie schon mit der bloßen Ehe gegeben. Es kann die Ehe diese Gemeinschaft der Familie sein, aber es kann die Familie auch Ehe plus Kinder sein. Dr. Grève: „Mit ihr gegeben" ist deshalb besser, weil eine Familie gegeben sein kann, ohne daß die Familie aus der Ehe wächst. Ich denke an das Zusammenleben der Eltern mit Adoptivkindern. Auch das muß man als Familie bezeichnen, ohne daß die Familie aus der Ehe gewachsen ist. Ich glaube, daß es richtiger ist, zu sagen, „die mit ihr gegebene Familie", weil das umfassender ist. Vors. Dr. v. Mangoldt: Schön, es kann ja weiter überlegt werden. Sagen wir also: „die mit ihr gegebene Familie". Dr. Bergsträsser: Sagen wir doch: „aus ihr erwachsende Familie". Dr. Heuss: Nun kommt mein Antrag, der offenbar einer Änderung bedarf in bezug auf die Konsequenzen: Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Nun kommt als Konsequenz der nächste Satz: Uneheliche Kinder stehen in ihren Rechten den ehelichen gleich. Da hat Herr Kollege Dr. Süsterhenn darauf aufmerksam gemacht, daß dies etwas zu streng ist. Dr. Süsterhenn: Deshalb habe ich den Vorschlag gemacht: Uneheliche Kinder haben den gleichen Anspruch auf gesellschaftliche Förderung wie die ehelichen. Dr. Grève: Das, was Herr Dr. Heuss sagt, kann zur Zeit aber nur insoweit ein Postulat sein, wie wir das heute morgen bei der Behandlung eines anderen Falles gehabt haben, denn nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen ist es nicht so. Wir müßten dann in die Übergangsbestimmungen einen Artikel hineinbringen, der vorsieht, daß bis zum Ablauf einer gewissen Zeit diesem Postulat, das wir hier fixiert haben, in der Gesetzgebung Rechnung getragen wird. Wir sind der Auffassung, daß die unehelichen Kinder in ihrem Recht ich erinnere an das Erbrecht durchaus den ehelichen Kindern gleichgestellt wer—

den sollen. 828



Neunundzwanzigste Sitzung Vors. Dr.

v.

Mangoldt:

4.

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So läßt sich die Sache nicht lösen. Dann müssen Sie be-

stimmen, daß der Vater des unehelichen Kindes mit der Mutter zusammenleben muß, weil das mit dem Sorgerecht zusammenhängt und sehr wesentlich ist; denn es ergibt sich eine Verschiedenheit der Rechte einfach daraus, daß der

Vater mit der Mutter nicht zusammenlebt. Darin liegt die Schwierigkeit. Deshalb läßt sich das in dieser einfachen Form nicht machen. Dr. Süsterhenn: Der Art. 121 der Weimarer Verfassung lautet: Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Dr. Bergsträsser: Das ist eine reine Deklaration. Vors. Dr. v. Mangoldt: Wollen wir erst mal auf den ersten Satz

lautet:

eingehen:

Er

Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Nun kommen wir an eine Schwierigkeit dadurch, daß wir sagen „jede". Der Satz soll geltendes Recht sein. Welche Konsequenzen sind da herzuleiten? Wir müßten diesen Satz so umgestalten, daß er unmittelbar geltendes Recht ist. Dr. Süsterhenn: Dieser Satz hat große Bedeutung. Der Staat darf keine differenzierende Behandlung zwischen ehelichen und unehelichen Kindern machen, zwischen reichen und armen, sondern jede Mutter hat kraft dieses natürlichen biologischen Tatbestandes, daß sie Mutter wird, Anspruch auf Schwangerschaftsfürsorge, Aufnahme in ein Heim usw. Das scheint mir eine sehr reale rechtliche Bedeutung zu haben. Dr. Heuss: Es ist hier an die Mutter des Kleinkindes und an die werdende

Jede

Mutter gedacht. Vors. Dr. v. Mangoldt: Dem kann ich nicht beistimmen. Wir haben gesagt, wir wollen unmittelbar geltendes Recht. Damit sind wir im Gesetzgebungsprogramm. Anschütz35) sagt in Abs. 3: .enthält lediglich Anweisungen auf künftige Gesetze .." Dr. Grève: Wir müssen unterscheiden. In der Weimarer Verfassung heißt es „Mutterschaft", hier heißt es „Mutter". Wir können die Kommentierung von Anschütz nicht übertragen auf einen Rechtssatz, den wir niederlegen, wenn wir sagen: Die Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates. Dann ist in dem Wort „Mutter" schon der Anspruchsberechtige genannt und im Worte „Anspruch" ist durchaus die nach rechtlichen Grundsätzen gegebene .

Möglichkeit, diesen Anspruch geltend zu machen, gegeben. Dr. Bergsträsser: Sollte man das dahin deutlicher machen, daß man sagt: „Jede Mutter hat gleichen Anspruch ..", daß es damit etwas präzisiert wird. Dr. Grève: Jetzt kommt die schwierige Frage des Abs. 3. Sollen wir da drei Ab.

sätze machen. Erster Absatz: Die

Ehe, wie wir sie festgelegt haben, mit den Rechten und

Pflichten:

35) Ebenda S.

560.

829

Nr. 38

Jede

Neunundzwanzigste Sitzung Mutter hat

4.

gleichen Anspruch

Dezember 1948 auf den Schutz und die

Fürsorge der

Gemeinschaft. Und jetzt kommt der Satz mit den unehelichen Kindern. Dr. Süsterhenn: Das müßte auch ein neuer Absatz sein, weil das ein neuer Gedanke ist. Vors. Dr. v. Mangoldt: Dann ist es die Frage der Formulierung: Uneheliche Kinder stehen den ehelichen in ihren Rechten gleich. Dr. Heuss: Bei mir heißt es: „stehen den ehelichen gleich". Also sagen wir: „stehen in ihren Rechten den ehelichen gleich". Da hat Herr Dr. Süsterhenn gesagt, so geht es nicht. Dr. Weber: Die Fassung ist unmöglich, das müssen die Juristen doch zugeben. Dr. Grève: Das ist das gleiche wie bei der Formulierung: „Mann und Frau sind

gleichberechtigt".

Dr. Süsterhenn: „Uneheliche Kinder haben den gleichen Anspruch auf Förderung wie eheliche Kinder". Dr. Bergsträsser: Das ist verkürzt die Weimarer Verfassung36). Das würde in einer Beziehung ein Recht bedeuten, zum Beispiel bei der Vergebung von Stipen-

dien

usw.

Dr. Heuss: Das ist mir ein bißchen zu eng. Dr. Grève: Was Herr Dr. Süsterhenn sagt, ist weitergehend als das, was Herr Kollege Dr. Heuss gesagt hat, als hier ein Rechtsanspruch niedergelegt ist, aber im engeren Verhältnis zu dem, was Herr Dr. Heuss gesagt hat, Herr Dr. Heuss

will darauf hinaus, daß die allgemeine Rechtsstellung der unehelichen Kinder denen der ehelichen angepaßt sein soll. Das ist nach der Formulierung von Herrn Dr. Süsterhenn nicht möglich. Dr. Süsterhenn: Wenn es im Interesse der Förderung auch der unehelichen Kinder liegt, ihre Rechtsstellung zu verbessern, also eine Neuerung des Bürgerlichen Rechts durchzuführen, findet das auch darin seine Stütze. Der Begriff der Förderung ist allgemein. Der gilt nicht nur für die Förderung der Gesundheit, der Ausbildung, der gilt auch für die Förderung ihrer rechtlichen Position. Das ist der universellste Begriff. Dr. Heuss: Ich habe eine ähnliche Empfindung wie Herr Kollege Dr. Grève, daß es unter Umständen nur auf die Ausbildung interpretiert werden könnte. Ich sehe die Möglichkeit, die Herr Dr. Süsterhenn angedeutet hat, in der Interpretation, weil mit der Förderung auch die Besserung des Rechtsstandes gegeben ist. Das sehe ich noch nicht als Konsequenz der Formulierung. Dr. Grève: Wenn wir sagen würden, daß die unehelichen Kinder den Anspruch auf gleiche Rechtsstellung wie die ehelichen Kinder haben, dann geben wir in gewissem Sinne einen Anspruch gegen den Gesetzgeber, sie in ihrer Stellung den ehelichen Kindern gleichzustellen. Dr. Süsterhenn: Was hundertprozentig nicht möglich ist, weil der Vater und der Familienverband fehlt.

36) 830

Art. 121 WRV.

Neunundzwanzigste Sitzung 4.

Dezember 1948

Nr. 38

Dr. Grève: Damit muß sich der Gesetzgeber auseinandersetzen. Dr. Süsterhenn: Das ist das Verlangen von etwas Unmöglichem. Etwas,

was

gesellschaftlichen Tatbestand aus verschieden ist, kann ich nicht rechtlich automatisch gleichstellen. Ich kann das gleiche Öffentliche Recht geben, Familienrecht kann ich nicht geben. Dr. Weber: Ich schließe mich dem an, was Herr Dr. Süsterhenn vorgeschlagen hat und halte die volle gleiche Rechtsstellung der ehelichen und unehelichen Kinder für unmöglich. Sie machen sich aber keinen Begriff, welche Konsequenzen das hat, zum Beispiel für das Erbrecht usw. Das geht bis an die Wurzel vom

des Familienlebens37). Dr. Fecht: In der badischen Verfassung heißt es38): Im beruflichen und gesellschaftlichen Leben stehen eheliche und uneheliche Kinder gleich. Das scheint dem zu entsprechen, was Herr Dr. Grève angeregt hat. Dr. Süsterhenn: Damit nehmen wir die Möglichkeit der Verbesserung der Rechtsposition, die in der Weimarer Verfassung enthalten ist. Das ist mir zu wenig. Dr. Bergsträsser: Sie sagen, der Vater fehlt im Familienverband. Aber nehmen Sie den andern Fall, eine Familie kommt, kurz nachdem ein Kind da ist, zur Scheidung. Dann fehlt auch der Vater. Dr. Süsterhenn: Das ist nicht der Normalfall. Ich bedauere das sehr, ich bedauere alle diese Kriegsehen. Wenn der Vater stirbt, ist es wieder eine andere Sache. Dr. Heuss: Es gibt soviele uneheliche Kinder, wo der Vater nicht nachgewiesen werden kann. Dr. Süsterhenn: Ich bin der Meinung, daß die Ehescheidung nur durch das Gesetz positiv zu regeln ist. Wir können keine Formulierung bringen, die sich als Sprengkörper auf den gegenwärtigen Rechtszustand auswirkt und ein völliges Durcheinander schafft, aber auch keine Formulierung, und die scheint mir in der badischen Verfassung zu sein, die dahin ausgelegt werden könnte, daß die Förderung sich nur auf das berufliche und öffentliche Leben erstreckt. Wir sind der Meinung, daß innerhalb des Zivilrechts das Problem der unehelichen Kinder einer neuen Lösung in Richtung einer Verbesserung der Position bedarf. Da möchte ich folgendes vorschlagen: Uneheliche Kinder haben den gleichen Anspruch auf Förderung durch die Gemeinschaft wie eheliche Kinder. Vors. Dr. v. Mangoldt: „Durch die Gemeinschaft gefördert zu werden." Dann könnte man auf die Formulierung der Weimarer Verfassung kommen, wo es

heißt39):

Den unehelichen Kindern sind durch die gungen für ihre leibliche, seelische und schaffen wie den ehelichen Kindern.

Gesetzgebung die gleichen Bedingesellschaftliche Entwicklung ge-

37) Folgt gestrichen: „Hier einen Grundsatz bringen, von dem wir sagen, der Gesetzgeber kann ihn nicht durchführen, können wir nicht." 3B) Art. 23, Satz 2 der Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947. 39) Art. 121 WRV. 831

Nr. 38

Neunundzwanzigste Sitzung

4.

Dezember 1948

Bei „seelisch" ist wohl „geistig" gemeint. Dr. Heuss: Ich kann mir denken, daß dabei daran gedacht ist, daß das uneheliche Kind nicht sozial diffamiert erscheint und mit einem Minderwertigkeitskomplex herumläuft und seelisch bedrückt wird. Dr. Grève: Wenn wir verzichten wollen, hier die Gleichstellung bis zu einem gewissen Zeitpunkte zu postulieren, ist das, was Kollege Dr. Süsterhenn vorgeschlagen hat, das richtige. Dr. Bergsträsser: Wenn wir spezifizieren, schließen wir aus, was hier spezifiziert worden ist. Das möchten wir vermeiden. Vors. Dr. v. Mangoldt: Dann sagen wir: Uneheliche Kinder haben den gleichen Anspruch, durch die Gemeinschaft

gefördert

zu

werden

.

.

.

Dr. Süsterhenn: „Uneheliche Kinder haben Anspruch auf Förderung durch die Gemeinschaft wie eheliche Kinder." Dr. Heuss: Die Schwierigkeit ist, daß wir zweimal den „Ansprach" hintereinander haben. „Gleiche Rechte" wäre mir lieber. Dr. Bergsträsser: Dann können wir sagen: haben die gleichen Rechte auf Förderung durch die Gemeinschaft wie ...

eheliche Kinder. Dr. Süsterhenn: Wollen wir die Systemfrage nicht zurückstellen? Dr. Heuss: Die müssen wir zurückstellen, weil sie im logischen Zusammenhang steht mit dem letzten Kapitel über Erziehung. Dr. Süsterhenn: Wenn man sich sachlich einig ist, ist die Frage der systematischen Einordnung nachher leicht zu finden. Vors. Dr. v. Mangoldt: Diesen Fehler haben wir bei dem Kompetenzausschuß erlebt. Wir dürfen nicht einfach abschreiben. Ich sehe auch nicht ein, wir haben eine furchtbare Angst, das zu diskutieren. Wenn wir das zurückschieben, zeigen wir eine gewisse Furcht. Dr. Süsterhenn: Ich hielt es nur für richtig, daß wir uns materiell weiterunterhalten. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich würde doch bitten, zu erörtern, an welche Stelle dieser Artikel kommen könnte. Er soll ja in den Grundrechtsteil kommen, dann kann er aber nur in Anlehnung an Artikel 2 kommen: Leben, Freiheit und Sicherheit der Person, also anschließend an den Artikel. Der erste Artikel ist der Eingangsartikel, der zweite Artikel enthält das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, da gehört es in gewissen Sinne dazu. Dann kommt die Unverletzlichkeit der Freiheit, dann kommt der Gleichheitssatz, dann die Freiheit des Glaubens, Gewissensfreiheit, die freie Meinungsäußerung der Kunst und der Lehre, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Briefgeheimnis, Freizügigkeit, Unverletzlichkeit der Wohnung, staatsbürgerliche Rechte. Es paßt nur an den Anfang. Dr. Süsterhenn: Würde es nicht nach dem Art. 7 passen, weil wir dann schon etwas auf das Soziale übergehen: Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, wo wir eigentlich den Einzelnen in seiner Isolierung verlassen. Dr. Heuss: Ich wollte denselben Vorschlag machen. Daß andere sind die Individualrechte, während hier hereits das kleine Gruppenrecht beginnt und nachher das sich erweiternde Gruppenrecht im sozialen Gebiet. 832

Neunundzwanzigste Sitzung 4.

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Nr. 38

Vors. Dr. v. Mangoldt: Das ist die Gedankenführung der Weimarer Verfassung gewesen. Dr. Heuss: Wenn wir die Familie als die große Individualität ansehen, dann ge-

hört es am besten da herein. Dr. Süsterhenn: Man kann es logisch genau so gut im Anschluß an den Familienartikel bringen. Dr. Eberhard: Dann würde ich anordnen: 1) Familie, 2) Verein und Gesellschaft, 3) Versammlung. Die Familie kommt vor der Versammlung. Dr. Süsterhenn: Die Familie gehört in den Bereich der natürlichen Vereine. Dr. Eberhard: Diese Reihenfolge ist mir ganz klar. Dr. Heuss: Bei der Ehe ist es so: zuerst ist sie eine Versammlung, dann ein Verein. Vors. Dr.

v. Mangoldt: Wir können jetzt zu der Behandlung des Verfahrens hindes letzeren Artikels übergehen. Hier liegen die Verhältnisse erheblich sichtlich schwieriger als bei dem vorhergehenden Artikel. Soviel ich aus Ihrer Stellung, Herr Dr. Menzel, herausgehört habe, haben Sie erklärt, daß Sie diesen Artikel überhaupt ablehnen, weil er Ihnen in das ganze System der Grundrechte nicht hineinzupassen scheint. Es würde also keine Möglichkeit bestehen, aus dieser Situation heraus zu einem praktisch werdenden Alternatiworschlag zu kommen, indem der eine Vorschlag den Antrag in seiner Gänze bringen würde, wie ihn der Vorschlag der CDU40) enthält, und der andere Alternatiworschlag den Mittelsatz auslassen würde, oder einen Teil. Das scheint mir nach den Erörterungen nicht der Fall zu sein. Dr. Grève: Wir werden gar keinen Vorschlag machen, überhaupt keine materielle Erklärung dazu abgeben. Dr. Süsterhenn: Sie waren bei der vorangegangenen Diskussion nicht dabei. Abgesehen von den formalen Bedenken, daß das Ihrer Meinung nach nicht hereinpaßt, schien andererseits eine gewisse Neigung zu bestehen, einmal zu prüfen, ob man sich nicht in einem gewissen Umfange unterhalten kann, ob Lösungsmöglichkeiten sich finden ließen. Ich will mich vorsichtig ausdrücken, so vorsichtig, wie es nur geht: diese Möglichkeit wurde zumindest nicht rundweg abgelehnt. Diese Möglichkeit deutete sich so an, wie Herr Kollege Dr. v. Mangoldt bereits umrissen hat, daß immerhin gewisse Diskussionsmöglichkeiten bei Ihnen vorhanden sind mit Ausnahme dieses speziellen Mittelsatzes, der sich ausdrücklich auf das Schulwesen erstreckt. Das war der Stand der Diskus-

sion.

Ich würde empfehlen, daß wir angesichts der grundsätzlichen Bedeutung und ihrer möglichen Konsequenzen gerade dieses Artikels diesen sich anbahnenden Ansatz einer evtl. Verständigungsmöglichkeit nicht verschütten, sondern darüber noch einmal in den Fraktionen gesprochen wird. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich würde dasselbe vorschlagen, nämlich, daß die Besprechung über diesen Artikel zunächst vertagt wird, weil sie jetzt zu keinem Ergebnis führen kann. Ich würde auch noch nach einer anderen Richtung die

40) Abdr.

in: Dok. Nr. 31, Anm. 28.

833

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Sache

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Dezember

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betrachten bitten. Ich würde sagen: zur Zeit liegen nach den ErkläVerhältnisse so, daß wir jedenfalls nicht zu einem einheitlichen Vordie rungen kommen können. Einmal ist die Sache so, daß die CDU-Fraktion auf schlag dem Vorschlag des Abs. 1 als einer Einheit besteht41), auf der anderen Seite kommen wir zu keinem echten Minderheitsvorschlag. Ich sehe das auch bei Ihzu

nen.

Dr. Heuss: Ich würde die Streichung dieses Satzes beantragen. Dr. Süsterhenn: Dann wäre ein kleiner Vorschlag da. Dr. Heuss: Der Satz 1 und Satz 3 gefällt mir nicht recht. Es ist mir da zuviel gesagt, aber ich verstehe den Satz als Abwehrhaltung gegenüber der Nazizeit. Da wäre zu überlegen, ob man nicht eine knappere Formulierung machen kann. Ich halte die Fassung so als nicht ganz in die Verfasung hereingehörend, aber beim zweiten Satz bin ich unerbittlich, da will ich nicht von einem Gesetz her die Situation gesprengt haben. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich darf fragen, ob, wenn dieser Satz 2 herausgestrichen das ist die Frage, die ich an Sie stelle zwei würde, es dann möglich wäre

gleichberechtigte Alternatiworschläge einzubringen. Dr. Bergsträsser: Soweit ich die Sache im Augenblick übersehe, glaube ich, daß —



der Satz 3, die Herausnahme von Kindern, durchaus in den Rahmen unserer Grundrechte paßt. Das ist die Sicherung eines, sagen wir, Gruppenindividualrechts. Dr. Heuss: Das ist nicht Elternrecht. Das Wort „Elternrecht" hat seine spezifische Färbung bekommen. Dr. Bergsträsser: Das ist das Recht der Familie, daß sie zusammenbleibt, das Recht einer Familiengruppe. Dr. Grève: Abgesehen davon, daß ich den Standpunkt meiner Fraktion wiedergegeben habe, ist das, was ich jetzt sage, kein Geheimnis, daß wir, für den Fall, daß mit Mehrheit beschlossen werden sollte, den Abs. 1 in die Verfassung hineinzunehmen, selbstverständlich für die Streichung des Satzes 2 stimmen würden, falls Dr. Heuss das beantragt. Das ist selbstverständlich. Das würde eine Konsequenz sein, wenn sich ergeben würde, den Gedanken dieses Abs. 1 in die Verfassung aufzunehmen und das durch Mehrheit beschlossen würde. Vors. Dr. v. Mangoldt: Dann würde ich es für zweckmäßig halten, daß man sich zunächst einmal über die Formulierung der einzelnen Sätze unterhält, um sich dann nicht erst bei einer Abstimmung darüber unterhalten zu brauchen. Der Vorschlag von Herrn Kollegen Dr. Bergsträsser geht dahin, die drei Sätze des Abs. 1 als neuen Absatz an den Artikel über Ehe und Familie anzuhängen, so daß man auf die Art und Weise das als Eventualantrag ansehen könnte als Art. 7 a. Dann würden wir das als Vorschlag machen können. Dr. Bergsträsser: Ich glaube nicht, daß wir uns an einer Formulierung beteiliaber ich spreche nur gen würden. Ich habe vorhin schon gesagt, das Einzige für meine Person —, was mir als diskutabel erscheint, ist der letzte Satz als ein Ausfluß dessen, was ich als das Recht einer Gruppe bezeichnen könnte, was —

41) Ebenda. 834

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man in die Ehe hineinnehmen könnte, aber die Formulierung wäre Ihre Sache, wir legen ja keinen Wert darauf. Dr. Süsterhenn: Wir würden die Formulierung nehmen, wie sie als Satz 3

steht. Dr. Eberhard: Falls die CDU erklärt, daß sie auf den Satz 2 verzichtet, sind wir bereit, uns über die anderen Sätze zu unterhalten. Dr. Süsterhenn: Diese Erklärung können wir nicht abgeben. Die Frage ist, wie ich ja den Versuch machte, ob man einmal feststellt und zu formulieren versucht. Wenn sich keine überwindlichen Meinungsverschiedenheiten ergeben, dann müßte der Rest, dieser Mittelsatz, zunächst vertagt werden. Dr. Heuss: Wir wollen uns über den Satz 2 nicht unterhalten, denn hier eine Kompromißformel herauszukriegen, würde eine Selbstbelügung sein. Wir haben unsere feste Meinung dazu über Staat und Schule. Man könnte sich unterhalten, wenn man den überflüssigen Satz nicht hereinnimmt. Dann könnte man sich darüber unterhalten, ob der Gedanke stilistisch äußerungsfähig ist und ob etwas Rechtsverbindliches ausgesprochen wird oder nicht. Dr. Bergsträsser: Wir halten das für überflüssig und haben kein Interesse. Vors. Dr. v. Mangoldt: Dann muß die Entscheidung einer Besprechung in den Fraktionen vorbehalten werden. Dr. Süsterhenn: Wäre nicht Kollege Dr. Heuss bereit, um überhaupt außer dem CDU-Antrag42) einen weiteren Vorschlag zu haben, wenigstens offiziös seinen Vorschlag in die Debatte zu werfen. Dr. Heuss: Das Bedürfnis ist nicht sehr groß. Ich weiß nicht, ob bei mir die stilistische Schöpferlust erwacht. Ich habe an sich Verständnis dafür als Abwehr dieser Nazizeit, wo die Kinder in die Organisationen hineingezwängt worden sind. Ich will sehen, ob mir etwas einfällt, was nicht so sehr ins Detail geht. Vors. Dr. v. Mangoldt: Dann würden wir damit die Diskussion über diesen Antrag abbrechen. [3. ANTRAG DER CDU/CSU, ZENTRUM UND DP BETR. STAAT UND KIRCHE]

Es ist dann hier ein Antrag, der von den drei Fraktionen CDU/CSU, Zentrum und DP gestellt ist zu der Frage Staat43) und Kirche44). Es ist wohl am besten, wenn Herr Dr. Süsterhenn die Begründung dafür gibt.

42) Ebenda. 43) Korrigiert aus „Reich". 44) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, Zentrum und DP

vom 29. Nov. 1948, „eine Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat wie folgt vorzunehmen und einen entsprechenden Artikel an geeigneter Stelle in das Staatsgrundgesetz einzufügen" (Drucks. Nr. 321): „1. Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlage des menschlichen Lebens anerkannt. Es besteht keine Staatskirche. 2. Die Kirchen und Religionsgesellschaften ordnen ihre Angelegenheiten selbständig aus eigenem Recht. Sie haben das Recht, ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und der politischen Gemeinden zu verleihen und zu entziehen.

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Dr. Süsterhenn: Wir sind der Überzeugung, daß das Recht auf Glaubensfreiheit, auf Gewissensfreiheit, Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bezirks und das Recht auf Freiheit der Religionsausübung zweifellos ein von allen Seiten unbestrittenes echtes klassisches Grundrecht darstellt. Ich betrachte den Passus über die Kirche als eine logische Fortsetzung dieses Gedankens. Wir haben auch sonst über das Individuum hinaus gewisse Gruppierungsrechte anerkannt, etwa in der Vereinigungsfreiheit, in dem Wirtschaftsrecht, in der wirtschaftlichen Koalitionsfreiheit. Ich sehe hier etwas die Konkretisierung des Rechts der religiösen Koalitionsfreiheit, und dieses Recht jetzt nicht nur abstrakt zum Ausdruck gebracht, sondern dieses Recht angewandt auf die konkrete geschichtliche Situation, in der wir uns einmal in Deutschland befinden, wo dieses demokratische Recht der Religionsfreiheit zwar von Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften geübt wird. Ich will zunächst rein systematisch zu diesem kirchlichen Komplex Stellung nehmen. Dr. Bergsträsser: Wir sind der Meinung, daß Bestimmungen über die Kirche, die ja in den süddeutschen Verfasungen enthalten45) sind, in die Länderverfassungen und nicht in die Bundesverfassung hineingehören, schon deshalb, weil Kirchen und Religionsgesellschaften sowie ihre Einrichtungen behalten, ohne deshalb einer besonderen Staatsaufsicht zu unterliegen, die Rechte von Körperschaften öffentlichen Rechts, soweit sie diese bisher besaßen. Anderen sind die gleichen Rechte auf Antrag zu verleihen, wenn sie durch die Verfassung oder die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Bei der Ausübung des ihnen eigenen Rechts, Steuern zu erheben, können Kirchen und Religionsgesellschaften sich der staatlichen Steuerlisten bedie3.

nen.

Eigentum und andere Rechte der Kirchen und Religionsgesellschaften sowie ihEinrichtungen an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstige Vermögen sowie das Recht zum Neuerwerb von Eigentum, auch von Grundbesitz, zur Erfüllung ihrer Aufgaben werden gewährleistet. 5. Die den Kirchen und Religionsgesellschaften gemäß Gesetz, Vertrag oder anderen Rechtstiteln zustehenden Leistungen des Staates, der politischen Gemeinden oder Gemeindeverbände können nur durch Vereinbarungen abgelöst werden. 6. Die von den Kirchen und Religionsgesellschaften oder ihren Organisationen unterhaltenen Wohlfahrts- und Erziehungseinrichtungen werden als gemeinnützig im Sinne der Steuergesetzgebung anerkannt. 4. Das rer

7. Die am 1. Jan. 1945 bestehenden Verträge mit den Kirchen bleiben in Kraft, bis sie durch neue von den Ländern abzuschließende Vereinbarungen abgelöst werden." Der Antrag war zunächst als Art. 7 a formuliert worden, vgl. Entwurf vom 24. Nov. 1948 in: LHA Koblenz, NL Süsterhenn 700, 177/Nr. 649, Bl. 12. Ebenda (Bl. 41) ein Schreiben von Blomeyer (CDU/CSU) vom 17. Nov. 1948 mit dem Vermerk „nicht eingereicht" an den Vorsitzenden des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung, in dem er um Aufnahme folgender Formulierung bat: „Den Kirchen und den Religionsgemeinschaften wird das Recht gewährleistet, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, sowie ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und der politischen Gemeinden zu verleihen und zu entziehen. Sie bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie es bisher waren, und können es werden, soweit sie es bisher nicht waren. Ihr Recht, auf Grund der staatlichen Steuerlisten Steuern zu erheben, bleibt aufrecht erhalten. Die ihnen gemäß Gesetz, Vertrag oder andern Rechtstiteln zustehenden Staatsleistungen dürfen nur durch Vereinbarung abgelöst werden." 45) Art. 29-34 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946; Art. 142-150 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dez. 1946.

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durch jede Bestimmung über diese Angelegenheiten ja Rechtsgrundlagen der einzelnen Länder affiziert werden, genau so, wie das bei der Schule und der Familie wäre, denn das Verhältnis der verschiedenen Länder zu den Kirchen nehmen Sie die katholische Kirche, wo die Dinge auf verschiedene Konkordate zurückgehen —, ist absolut verschieden. Ich glaube, man sollte an dieser Verschiedenheit nicht rühren. Wir haben in Hessen eine Regelung getroffen, wonach die Kirche ihre Angelegenheiten absolut selbst verwaltet, so daß die alte Möglichkeit des Staates bei der Bischofswahl einen Kandidaten als minderbeliebt abzulehnen, wegfällt, wie das jetzt in Limburg der Fall gewesen ist. Aber in anderen Ländern besteht dieses Recht noch, so in Bayern, und in Baden auch. Wir glauben nicht, daß es möglich ist, in diese Sachen von hier einzugreifen. Wir lehnen deshalb diesen ganzen Antrag schon aus diesem Grunde als nicht hierhergehörig ab. Dr. Heuss: Zunächst eine taktische Unterhaltung, da Herr Kollege Dr. Süsterhenn die Sache auch von der taktischen Seite angefangen hat. Die Kirchen sind kein Ergebnis der Koalitionsfreiheit, sondern historische Stiftungen von ganz anderer Ebene aus gesehen. Wir würden das nicht unter dem Gesichtspunkte sehen, daß das eine Ausweitung der Menschenrechte sei, sich zu Kirchen zusammenzuschließen. Die Kirchen sind historische Persönlichkeiten ganz anderer Natur als irgendein Verein. Wir wissen, daß da weltanschauliche Bindungen in den Länderverfassungen sind, und es ist schon in Weimar gesagt worden, es kann der Augenblick entstehen, wo sie Körperschaften des öffentlichen Rechtes werden. Diese ganze Regelung der Kirche in einer Gesamtverfassung stammt aus dem Jahre 1918/19 und ist damals entstanden, immer mit dem Hintergrunde, daß Adolf Hoffmann der böse Bruder gewesen ist, der Zehn-Gebote-Hoff mann46), der in Preußen eine Zeit lang Kultusminister war und es waren alle jene Entscheidungen eine Frage der Abwehr gegenüber dieser historischen Situation. Es gab noch eine Reihe historischer Situationen, die merkwürdig waren. Als 1870 Bismarck die Reichsgründung einleitete, war auf einmal der Antrag gekommen, der ja die Vorstufe des Kulturkampfes war, daß Windthorst47) den Antrag stellte, aus der preußischen Verfassung bestimmte Elemente mit in die Reichsverfassung hereinzunehmen, wogegen sich Bismarck aus sehr klaren Gründen stemmte. Weil er diese historisch gegebene Situation, daß die Kirche in höchst merkwürdiger Verfilzung in den einzelnen Ländern gewachsen und geworden war, nicht vom Reiche her in irgendjeiner Weise] glaubte tangieren zu können. So ist die deutsche Reichsentwicklung ohne verbindliche kirchliche Sätze vom Reich her gelaufen, ist im ganzen gut gelaufen, hat dann im Jahre 1918 also diese Schockwirkung von Adolf Hoff mann gehabt, und damals war es die Leistung von Naumann48), der Meerfeldt49) und Katzenstein50) —

46) Zu Adolf Hoffmann vgl. Dok. Nr. 21, Anm. 21. 47) Ludwig Windthorst (1812—1891) führender Vertreter des politischen Katholizismus des 19. Jahrhunderts, Mitglied des Reichstages, Führer des Zentrums, ohne Fraktions- oder Parteiführer zu sein. Vgl. Margaret Lavinia Anderson: Windthorst. und Gegenspieler Bismarcks. Düsseldorf 1988. 4B) Zu Naumann vgl. Dok. Nr. 4, Anm. 18.

Zentrumspolitiker

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Nr. 38

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4.

Dezember 1948

gewonnen hat, diese Dinge als Sicherungsmaßnahme hineinzubringen. Ich glaube, daß ungeachtet der Tatsache, daß nun überall die Dinge so kolossal kompliziert sind, sie doch spezifische Länderangelegenheiten sind, im Verwaltungstechnischen, in der Frage der finanziellen Auseinandersetzung, daß hier einmal ein kirchenrechtlicher Spezialist gehört werden müßte, um die einzelnen Silben

in ihrer Rechtskonsequenz herauszustellen. Ich war Kultusminister und habe diese ganzen Schwierigkeiten mitgemacht, die wir in Württemberg selbst gehabt haben. Es sind uns diese Anträge der evangelischen und katholischen Kirche in Baden zugewachsen, mit vollkommen anderen Gesetzen, mit einer ganz anderen Art der finanziellen Auswirkung. Ich habe das in Württemberg nie ganz begriffen, diese Kompliziertheit: altes Recht, neueres Recht, neuestes Recht. Ich glaube, an diese Dinge sind wir herangeich weiß nicht, ob auch der katholischen Kirche kommen durch den Eifer aber jedenfalls der evangelischen Kirche, die uns Sachen zugeschickt hat51), auch mit einer gewissen Angstvorstellung, zu der kein Anlaß vorhanden war. Die Kirchen sind, soweit ich das sehe, in den Verfassungsauseinandersetzungen absolut als historisch gegeben für das Volksleben wichtig und notwendig und sind in ihrem Recht nicht zu tangierende Körperschaften nicht bloß des öffentlichen Rechts, sondern sie sind auch in ihrer Lebensfähigkeit bejaht worden. Hier wäre eine absolute Trennung des föderativen Charakters des Bundes, wenn Sie diese Bestimmungen hereinnähmen, die in ihren Auswirkungen auf überall verschiedene historische Positionen stoßen. Ich würde dankbar sein, wenn sie darauf verzichten würden, das hereinzunehmen, und noch dankbarer, wenn Sie, wenn wir das ablehnen, nicht draußen durch die Presse schreiben ließen, daß wir kirchenfeindlich seien. Ich bleibe in dieser Sache ebenso fest. Dies ist keine Angelegenheit der Bundesregelung, nachdem jetzt der föderative Charakter des Bundes besonders herausgearbeitet ist. Dt. Süsterhenn: Die historischen Darlegungen des Kollegen Dr. Heuss waren sehr interessant, aber ich kann den daraus gezogenen Schlußfolgerungen nicht ohne weiteres zustimmen. Wenn Windthorst52) bereits daran gedacht hatte, die Stellung der Kirche auch in die 1871er Verfassung aufzunehmen, dann hat er mit dieser Forderung recht gehabt, wie der kurz darauf ausgebrochene Kulturkampf bewies. Auf Adolf Hoffmann ist Adolf Hitler gefolgt, der einen nicht wesentlich verschiedenen Weg auch in dieser Richtung beschritten hat. Gerade die allerjüngste Geschichte beweist an mehreren Beispielen die sachliche Begründung einer Befürchtung, daß auf diesem Gebiete nicht so gehandelt wird, wie das in vielen Länderverfassungen zum Ausdruck gebracht worden ist. Aus diesem Grunde sind wir der Meinung, daß gerade die Geschichte die Notwendigkeit einer solchen verfassungsmäßigen Regelung beweist. Was die sehr starke —



49) Johannes Meerfeldt (1871—1956), SPD, Journalist und Verfasser sozialpolitischer Schriften.

50) Simon Katzenstein (1868—1945), 1919 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung. 51) Vgl. Eingabe der Konferenz der Kirchen der britischen Zone vom 15. Okt. 1948, vervielf. als Drucks. Nr. 273.

52) Windthorst vgl. Anm. 838

47.

Neunundzwanzigste Sitzung Rechtszersplitterung

4.

Dezember

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Nr. 38

auf dem Gebiete des Verhältnisses zwischen Kirche und

ist mir diese natürlich auch bekannt. Unser Antrag, den wir eingebracht haben, entspricht im wesentlichen den kirchenrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Verfassung, und diese kirchenrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Verfassung haben diese rechtliche Entwicklung, die in den einzelnen Ländern bestand, in keiner Weise tangiert, im Gegenteil, auch unter der Geltung der Weimarer Verfassung ist die länderrechtliche Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche durchaus weitergebildet worden, wie der

Staat betrifft,

so

Abschluß des preußischen Konkordats, des bayerischen und badischen Konkordats, beweist, also alle diese geschichtlich gewordenen Differenzen zwischen altem, neueren und neuestem Recht. Die Schwierigkeiten innerhalb der einzelnen Länder werden durch diesen Antrag in jeder Hinsicht berücksichtigt und es wird die individuelle Entwicklung und Fortbildung des Verhältnisses in den einzelnen Ländern nicht berührt, wie es die Praxis unter der Weimarer Verfassung bewiesen hat. Aber immerhin sind das allgemeine Gesichtspunkte, die bundeseinheitlich festgelegt werden müssen. Es ist sozusagen eine allgemeine Rechtsbasis, auf der die individuelle partikuläre Entwicklung auf Grund der Länderzuständigkeit der Kulturhoheit durchaus weitergehen kann. Helle: Ich möchte ganz klar sehen und frage deshalb, inwiefern vom Standpunkt der einzelstaatlichen Kultusminister aus in diesem Antrag eine Bedrohung der Kulturautonomie der Länder gegeben sein sollte. Materiell stehe ich zu dem Inhalt dieses Antrags aus den gleichen Gedankengängen. Ich möchte unter keinen Umständen das Recht der Länder antasten und möchte wissen, wieso durch diesen Antrag das Recht der Länder angetastet werden soll. Dr. Heuss: Ich habe das nur einmal durchgelesen. Es heißt hier53): Den Kirchen und Religionsgesellschaften wird das Recht gewährleistet, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, sowie ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und der politischen Gemeinden zu verleihen und zu entziehen. Dr. Bergsträsser: Das ist das Ausschlußrecht, von dem ich vorhin gesprochen habe, daß man einen Kandidaten als Landesbischof als nicht erwünscht betrachtet. Dr. Süsterhenn: Das wird nicht aufgehoben, weil in Abs. 7 das durch Verträge gebildete Recht aufrechterhalten wird, und damit auch das dem Staate zugebilligte Recht, wonach die Kirche auf ihr Urrecht, es allein zu machen, aus Gründen der Notwendigkeit des Zusammenlebens und der freundschaftlichen Vereinbarung zwischen Staat und Kirche verzichtet hat. Der ganze bestehende Rechtskomplex wird dadurch nicht berührt, weil der alte Rechtszustand aufrechterhalten werden soll, bis er durch die Länder durch etwaige neue Vereinbarungen abgelöst wird. Vors. Dr. v. Mangoldt: Nachdem nunmehr keine Wortmeldungen mehr vorliegen, stehen wir vor der Situation, daß die eine Hälfte die Aufnahme dieser Bestimmung in die Verfassung will, die andere Hälfte die Aufnahme in diese Ver53) Vgl. den Wortlaut

in Anm. 44.

839

Neunundzwanzigste Sitzung

Nr. 38

4.

Dezember 1948

Damit ist natürlich die Möglichkeit, einen Vorschlag des Ausschusses zu machen, nicht gegeben. Es bleibt nur der Weg, daß die antragstellende Fraktion diesen Antrag im Plenum selbst einbringt. Ich weiß nicht, ob hier überhaupt die Bereitschaft besteht, die noch festgestellt werden müßte, über die einzelnen Artikel zu diskutieren. Diese Frage muß ich stellen. Dann würde damit die Situation klargestellt sein und es würde diese Frage in den Fraktionen geklärt werden müssen, ob dieser Antrag beim Hauptauschuß eingebracht wird54). Ich glaube, das übrige läßt sich jetzt kurz erledigen.

fassung ablehnt.

[4. ÜBERNAHME VON EHRENÄMTERN DURCH IM ARBEITS- BZW. IM BEAMTENVERHÄLTNIS STEHENDE PERSONEN (ZU ART. 18)]

Ich darf jetzt noch den Ergänzungsantrag

von

Herrn Dr. Eberhard

zu

Art. 18 hö-

ren.

Wer in einem Arbeitsverhältnis als

Arbeiter, Angestellter oder Beamter für die zur hat das Recht Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte steht, und der Ausübung der ihm übertragenen Ehrenämter nötige freie Zeit. Der Anspruch auf Vergütung bleibt vorbehalten. Das ist ähnlich wie in der Weimarer Verfassung Art. 160. Die Stellung wäre jetzt Art. 18 Abs. 3: Wer in einem Arbeitsverhältnis als Arbeiter, Angestellter oder Beamter steht, hat das Recht für die zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und zur Ausübung der ihm übertragenen Ehrenämter nötige freie Zeit. Der Anspruch auf Vergütung bleibt vorbehalten. Vors. Dr. v. Mangoldt: Es hieß in der Weimarer Verfassung: Wer in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis als Angestellter oder Arbeiter steht, hat das Recht auf die zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und, soweit dadurch der Betrieb nicht erheblich geschädigt wird, zur Ausübung ihm übertragener öffentlicher Ehrenämter nötige freie Zeit. Wieweit ihm der Anspruch auf Vergütung erhalten bleibt, bestimmt das Gesetz. Bei Ehrenämtern war es in Weimar eingeschränkt. Dann wurde in Weimar die Frage des Anspruchs der Vergütung nicht durch die Verfassung geregelt, sondern einem besonderen Gesetz vorbehalten. Dr. Heuss: Das ist in gewissem Sinne bürgerliches Recht aus der spezifischen Entwicklung der sozialen bürgerlichen Auffassung. Ich bin da ungewiß. Gegen das Materielle der Entscheidung habe ich natürlich nichts. Aus der Urlaubsgewährung da einen verfassungsmäßigen Ansprach zu machen, entspricht nicht meinem Grandgefühl. Ich bin nicht klar, ob wir da nicht ein Schleuslein geöffnet haben, das wir nicht aufmachen wollen. Vors. Dr. v. Mangoldt: Beziehen sich Ihre Ausführungen auf die Freizeit oder auf die Entschädigung? Dr. Heuss: Auf beides. Ich bin dafür, aber ich habe im Gefühl, es ist eine Spe-

zialgeschichte. 54)

Zur weiteren Behandlung dieser Frage vgl. das Prot, der Fraktionssitzung der CDU/CSU 6. Dez. 1948. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 258 f.

vom

840

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Dr. Grève: Es ist im Grunde genommen nichts anderes, als was wir den Abgeordneten der Länder auch gewähren. Es ist so, daß es neben der Tätigkeit als Abgeordneter eines Parlaments vergleichsweise bedeutsame staatsbürgerliche Pflichten wie die Übernahme eines Stadtverordnetenmandats gibt, die wir nicht anders stellen55) können. Die Konsequenz, die sich für die einzelnen Betriebe ergibt, ist eine viel weniger weitergehende als etwa bei dem Abgeordneten. Ich glaube, daß es richtig ist, das hier in die Verfassung hineinzubringen, um die Gewähr zu haben, daß diese Regelung eine allgemein gleiche über das gesamte Bundesgebiet hinaus ist. Aus diesem Grunde halte ich es für richtig, das in die

Verfassung hineinzubringen. Dr. Süsterhenn: Ich bin der

Meinung, daß selbstverständlich jedermann einen die notwendige Freizeit für die Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte, auch für die Übernahme von Ehrenämtern usw., haben muß. Etwas anderes ist die Frage der Aufrechterhaltung der Verpflichtung gegenüber seinem Arbeitgeber. Wenn es sich da um einen großen Betrieb handelt, und wenn bei der I. G. Ludwigshafen56) ein paar Abgeordnete sind, spielt das keine Rolle, wenn dagegen bei einem Bäckermeister, der nur einen Gesellen hat, dieser zufälligerweise Stadtverordneter oder Abgeordneter ist und seine halbe Zeit aus dem Betrieb weg ist, und dann der Bäckermeister den Lohn weiterzahlen muß, scheint mir das sozial nicht gerechtfertigt zu sein gegenüber einem kleinen Handwerker. Wenn ein Zeuge vor Gericht erscheinen muß, damit er eine Bürgerpflicht erfüllt, ist es so geregelt, daß ihm das Straßenbahnfahrgeld vergütet wird, und wenn er im Stundenlohn steht, dann wird gesagt, du hast drei Stunden gewartet, dann soundsoviel Fahrzeit, das macht den und den Lohn[aus]fall aus, und den bekommt er dann von der Gerichtskasse vergütet. Ich bin deshalb der Meinung, daß, wenn der kleine Geselle des kleinen Bäckermeisters Stadtverordneter ist, dann auch die Stadt die Stelle ist, in der er sein Ehrenamt ausübt, und sie diesen Verdienstausfall vergüten muß. Aber hier ist der Ansprach gegen den Arbeitgeber gerichtet. Ich habe nichts dagegen, wenn das ein großes Unternehmen ist, daß aber ein kleiner Mann selbst diesen Ausfall tragen soll, halte ich für ungerecht. Das ist das einzige Bedenken, das ich habe. Vors. Dr. v. Mangoldt: Ich weiß nicht, ob diese Bestimmung unter den Art. 18 paßt oder ob es nicht richtiger wäre, sie unter Art. 19 einzuschalten. Zu den Ausführungen von Herrn Dr. Heuss möchte ich bemerken, daß ja praktisch dieses Recht auf ein Amt als Grundrecht natürlich seine Bedeutung verliert, wenn nicht die Freizeit gewährt wird. Es dient also diese Bestimmung der Sicherung eines Grundrechtes. Ich glaube, deshalb bestünden keine Bedenken. Dr. Heuss: Es bestehen auch Bedenken gegen den zweiten Satz. Dr. Grève: Der Vergleich zwischen einem Zeugen und einem Stadtverordneten ist nicht ganz zutreffend. Als Zeuge aufzutreten ist sicher eine bürgerliche Pflicht, bedeutet aber noch nicht Erfüllung von Aufgaben im Interesse der All-

Anspruch auf

55) „Stellen" vermutlich versehentlich in der Vorlage gestrichen. Hinter „können" wurde nämlich „als die Abgeordneten auch" gestrichen. 56) I. G. Ludwigshafen: Gemeint war die aus der Liquidation der I. G. Farben entstandene BASF. 841

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gemeinheit, wie das bei einem Stadtverordneten oder bei einem Bundestagsabgeordneten der Fall ist. Ich teile die Bedenken vollkommen. Ich glaube aber, man sollte es hier dabei belassen, den Satz so aufzunehmen und es durch unsere Einwirkung den

Städten zur Pflicht machen, in den Fällen, in denen soziale Härten dadurch auftreten, daß der Anspruchsberechtigte seinen Lohn bei seinem Arbeitgeber geltend macht für die Tätigkeit, die ihm aus der Ausübung seines Ehrenamts erwächst, den Dienstausfall zu ersetzen. Ich glaube, das ist der richtigere Weg, sonst würden wir uns generaliter etwas verbauen, was schlechter zu bereinigen wäre, als wenn wir den umgekehrten Weg gehen. Die Fälle sind gar nicht so zahlreich. Dr. Heuss: Bei uns war ein Techniker, der hatte fünf Arbeiter, darunter einen qualifizierten Mann. Der wird nun gewählt und damit ist das Geschäft kaputt die Geschichte stammt nicht von mir —, weil dieser Mann nur für die notwendigen Reparaturen in Frage kam. Nun kommt der Mann und sagt: was geschieht mit meinem Geschäft, mein bester Mann wird jetzt Stadtverordneter, ich darf ihn aber nicht entlassen. Es ist das ein sehr kompliziertes Problem mit wirtschaftspolitischen Rückwirkungen auf den Spezialbetrieb. Dr. Grève: Ich glaube, wenn der tüchtigste Beamte von Kollegen Dr. Süsterhenn Bundestagsabgeordneter würde, würde sein Ministerium nicht kaputt sein, aber empfindlich zu leiden haben. Dr. Heuss: Da trägt der Staat die Kosten und geht dabei nicht kaputt. Dr. Grève: Dann darf ein qualifizierter Angestellter nicht gewählt werden. Dr. Heuss: Wenn der einmal im Rathaus ist, kommt er überall in die Ausschüsse herein und damit ist diesem Mann das Geschäft kaputt gegangen. Vors. Dr. v. Mangoldt: Die Schwierigkeit ist, wenn Sie dieses Thema weiterführen, daß Sie die angeführten Einzelheiten generell regeln müssen. Darin, daß der betreffende Betrieb den Mann weiterbezahlen muß, liegt die Schwierigkeit. Wir können deshalb schwer eine generelle Regelung in diesem Umfange machen, wenn diese Konsequenzen sich ergeben; auch wenn ein einzelner Fall eine Rolle spielt, dann kann man die Sache nicht gesetzlich so regeln. Ich weiß nicht, ob man empfehlen sollte, den Satz ähnlich wie in der Weimarer Verfassung aufzunehmen, also nicht, wie die Weimarer Verfassung sagt57), „wieweit der Anspruch erhalten bleibt, bestimmt das Gesetz", sondern zu sagen, daß das nicht auf einen Mann abgewälzt werden kann, der diese Last nicht zu tragen vermag. Das müßte durch ein Gesetz erreicht werden, das beide Seiten sieht. Dr. Süsterhenn: Wenn einer ein öffentliches Ehrenamt übernimmt und sich daher für die Gemeinschaft verdient macht, dann ist es auch primär die Aufgabe der Gemeinschaft, ihn für diese gemeinschaftsfördernde Tätigkeit zu bezahlen, denn das kommt ja der gesamten Gemeinschaft zugute, nicht nur dem Herrn X, seinem Arbeitgeber. Man kann sich auch auf den Standpunkt stellen, daß man vom Großbetrieb eine solche Loyalität erwarten könnte, nicht kleinlich zu sein. Deshalb wären zwei Formulierungen erwähnenswert, entweder zu sagen: Jedermann, der ein öffentliches Ehrenamt bekleidet, hat Anspruch auf die dazu notwendige Freizeit und Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalles —

57) Art. 842

160

WRV, der oben durch

v.

Mangoldt zitiert worden ist.

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Dezember

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und vielleicht noch dazu zu sagen durch die Körperschaft, in deren Interesse er tätig ist. Damit hätte jeder einen klaren Anspruch. Da müssen wir aber sagen: jeder; dann können Sie den Handwerksmeister nicht ausschalten, das kann nicht nur den Angestellten und Beamten treffen, das trifft auch den Handwerksmeister, wenn er den ganzen Tag auf dem Rathaus sitzen muß, und nicht mit der Lötlampe herumziehen kann. Wenn wir hier einfügen: „Das Nähere regelt das Gesetz", dann würde sich ergeben, daß das Gesetz auch die ausgleichende Entschädigung für den Dienstausfall zu regeln hat. Vors. Dr. v. Mangoldt: Das wäre durchaus möglich. Erhebt sich Widerspruch? Wer in einem Arbeitsverhältnis als Arbeiter, Angestellter oder Beamter steht, hat das Recht, für die zur Wahrnehmung staatsbürgerlichen Rechte und der Ausübung der ihm übertragenen Ehrenämter nötige freie Zeit. Der Anspruch auf Vergütung bleibt vorbehalten. Das Nähere regelt das Gesetz. Dann wäre das eine Anweisung, daß für diesen Fall eine gesetzliche Regelung Zu welchem Artikel wollen wir das nun nehmen? vorzusehen ist. Dr. Eberhard: Ich bin auch für Art. 19, das ist der bessere Platz. —

[5. FREIZÜGIGKEIT UND RECHT AUF FREIE WAHL DER ARBEITS- UND AUSBILDUNGSSTÄTTE (ÜBERGANGSBESTIMMUNGEN ZU ART. 11 UND 12)] Vors. Dr.

v.

stimmungen

Dann käme die letzte Frage für heute, die ÜbergangsbeArt. 11 und 12. Es dreht sich darum: Artikel 11 behandelt die

Mangoldt: zu

die Gewährleistung der Freizügigkeit. Jeder hat das Recht, an jedem Ort Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Wir waren uns bei der Festlegung klar, daß, solange die augenblickliche Notlage erhalten bleibt, dieser Artikel in vollem Umfange nicht geltendes Recht sein kann, und man müßte in den Übergangsbestimmungen etwas vorsehen, durch das gesagt wird, daß bis zur Beendigung der Notlage der Gesetzgeber ermächtigt ist, eine Regelung dieses Rechts des freien Aufenthalts und Wohnsitzes vorzunehmen. Dann kommt der zweite Punkt zu Art. 12 Abs. 1: Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Auch das ist eine umstrittene Frage, ob das schon voll durchführbar ist. Für die übrigen Abschnitte kommt das nicht in Frage. Verbot des Arbeitszwanges ist klar, muß aufrecht erhalten werden. Also die Absätze 2 und 3 sind klar. Dr. Grève: Zum Absatz 1: Ich verkenne keineswegs, daß an sehr vielen Stellen eine Notlage im Hinblick auf die Beschaffung von Wohnraum besteht, für den Fall, daß einer den Wunsch hat, Aufenthalt zu nehmen. Entgegenstehende Bestimmungen in Landessgesetzen und zum Teil in Gemeinderechtssätzen halte ich für gefährlich. Es ist so, daß keine Gemeinde und kein Land die Verpflichtung hat, für irgend jemand Wohnraum zu beschaffen. Da aber keine Gemeinde verpflichtet ist, Wohnraum irgend jemand zur Verfügung zu stellen, halte ich es für bedenklich, in die Übergangsbestimmungen etwas hineinzunehmen, was die

Freizügigkeit,

843

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Wahl des Wohnsitzes bzw. des Aufenthaltsortes einschränken könnte. Es gibt sehr große Länder und Gemeinden mit dem Charakter eines Landes, die sich alles durch Landesgesetzgebung vom Leibe halten und weithin heute ihr Gebiet solchen Menschen, die dort ihren Wohnsitz nehmen wollen, verschließen, und die nur deshalb ihren Wohnsitz dort nicht finden können, weil entgegenstehende landesgesetzliche Bestimmungen vorhanden sind. Ich würde es für bedenklich halten, wenn wir die Möglichkeit, den Wohnsitz oder den Aufenthalt zu wählen, so einschränken würden. Vors. Dr. v. Mangoldt: Wir haben hinsichtlich der Wohnungsfrage das Kontrollratsgesetz58); es würde dann bezüglich der Zuzugsgenehmigungen und allen dessen, was damit zusammenhängt, bei den Gesetzen der Militärregierung bleiben. Dr. Eberhard: Es kommt die Zeit, wo das Militärregierungsgesetz durch ein deutsches Gesetz abgelöst wird. Vors. Dr. v. Mangoldt: Darf ich fragen wie Ihre Meinung ist, ob wir hier auf jede Übergangsvorschrift verzichten sollten. Wir waren uns zu Anfang klar, daß es nicht ganz ginge. Dr. Grève: Es handelt sich hier darum, das Recht der Wahl des Wohnsitzes für eine gewisse Zeitspanne zu beschränken. Das ist etwas anderes, als was in den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen seinen Niederschlag gefunden hat. Ich würde das Recht der Wahl des Wohnsitzes nicht beschränken. Dr. Eberhard: Würde das ein künftiges deutsches Wohnraumbewirtschaftsgesetz nicht praktisch unmöglich machen? Oder würde das mit Art. 11 vereinbar sein? Dr. Grève: Daß die Länder generaliter den Zuzug verbieten, geht nicht. Dr. Süsterhenn: Ich glaube, es geht dem Herrn Kollegen Grève als Motiv im wesentlichen darum, daß sich irgendein Land durch Zuzugsverbot etwa vor Flüchtlingen schützen will. An sich hat der Bund nach dem Zuständigkeitskatalog das Recht die Gesetzgebung über das Flüchtlingswesen, und da kann die entsprechende Regel aufgestellt werden. Wir halten es aber auch für notwendig, eine gewisse sinnvolle Verteilung der Flüchtlinge vorzunehmen, nicht, daß etwa die Flüchtlinge dorthin rennen, wo sie es für subjektiv richtig sich vorstellen, sondern wir hätten ein Interesse, daß sie in gewisse Gebiete gehen. Eine solche Lenkung wäre aber durch diese absolute Fassung des jetzigen Wohnrechts ausgeschlossen. Das ist eine Unmöglichkeit. Dr. Bergsträsser: Ich wäre schon dafür, daß man es den ganzen Ländern unmöglich macht, sich gegen Flüchtlinge und Zuwanderung zu sperren, aber innerhalb eines Landes gibt es noch Fälle, wo man den Zuzug in eine Gemeinde sperren muß. Ich habe das in meinem Regierungsbezirk59) verschiedentlich gehabt. Wir haben den Begriff des Brennpunktes des Wohnraummangels, wo man zum Beispiel in einem Badeort wieder den Kurbetrieb in Ordnung bringen

58) Kontrollratsgesetz Nr. 18 vom 8. März 1946, Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats in Deutschland, S. 117. 59) Bergsträsser war Präsident des Regierungsbezirkes Darmstadt. Vgl. das von Walter Mühlhausen

844

hrsg. Tagebuch für die Jahre

1945—1948 (s.

Literaturverzeichnis).

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will, der



unter Umständen wirtschaftlich, auch devisenwirtschafüich ein Faktor ist. Da muß man etwas Derartiges machen. In diesem Falle dreht es sich um Nauheim. Dr. Grève: Ich kann das nicht einsehen. Wenn ich zum Beispiel, der ich jetzt in Hannover als Anwalt zugelassen bin, auf den Gedanken komme, ich will einmal sehen, wie es in München oder Stuttgart aussieht, unabhängig ob ich eine Zulassung kriege, könnte mir lediglich aus den Gesichtspunkten, wie wir sie eben erörtert haben, gesagt werden, du kriegst für Stuttgart oder München keinen Zuzug. Ich verlange nun von keinem Menschen, daß er mir eine Wohnung besorgt, das mache ich selbst, und selbst wenn bekannt wäre, daß ich das selbst machen wollte, würde mir einfach der Zuzug gesperrt sein, weil dieses Recht auf die Wahl des Wohnsitzes durch irgendein Gesetz in Bayern oder in Württemberg-Baden eingeschränkt würde. Dr. Eberhard: Herr Grève wohnt zunächst im Bunkerhotel in Stuttgart, dann in einem Hotel, dann in einem möblierten Zimmer, und dann geht es weiter, und dann kommt er doch endgültig herein. Ich kann mir nicht denken, daß man die Wohnungswirtschaft aufrecht erhalten kann, ohne das Mittel der Zuzugssperre zu

haben.

v. Mangoldt: Vor allem ist die Frage: wenn ich die Freizügigkeit für den Flüchtling gewähre, schaffe ich damit eine Unordnung, es wird aber gerade versucht, diese Verhältnisse durch die Gesetzgebung in Ordnung zu bringen. Aber es ist vielleicht richtig, daß diese Frage, nachdem sie angeschnitten ist, zunächst in den Fraktionen diskutiert wird, damit man sich etwas darüber unterhält, ob man in die Übergangsbestimmungen eine solche Vorschrift hineinnehmen will, und weiter kommt die Frage der Formulierung hinzu. Man muß dann die Formulierung etwas weiter machen, wird sie nicht eng lassen können, muß mit der Vernunft des Gesetzgebers rechnen, des Parlaments, in dem die bedeutendsten Mitglieder der Gruppen und der Parteien im Lande mitarbeiten werden und zu weite Vorschriften beschränken können, so daß nach den gemachten Erfahrungen man in etwa in einem oder zwei Jahren sagt, jetzt ist es so weit, daß das mit Ende dieses Jahres aufhört, oder man sagt, das hat sich bewährt, und der Bundesgesetzgeber sagt, wir müssen diese Vorschrift einengen. Ich würde bitten, das noch einmal zu überlegen. Das muß noch einmal durchdacht werden. Bei dieser Gelegenheit könnten wir dann vielleicht auch die Vorschrift zu Art. 16, die noch übrigbleibt, besprechen. Dann kann ich für heute die Sitzung schließen. Wir setzen dann unsere Verhandlungen am Montag früh 9 Uhr fort.

Vors. Dr.



Nr. 39

Dreißigste Sitzung

6.

Dreißigste Sitzung

Dezember 1948 Nr. 39 des Ausschusses für 6. Dezember 1948

Grundsatzfragen

Z 5/35, Bl. 34-791). Stenogr. Wortprot., undat. und ungez. Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 28-29. Drucks. Nr. 360

Anwesend2):

CDU/CSU: Finck (zeitweise), v. Mangoldt (Vors.), Watter (zeitweise), Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Kuhn (zeitweise), Maier, Wunderlich FDP: Heuss DP: Heile (zeitweise) Stenografischer Dienst: Senz Dauer: 9.20-10.10, 16.25-18.00 Uhr

[1. FREIZÜGIGKEIT UND RECHT AUF FREIE BERUFSWAHL (NEU ART.

139

d), FORTS.)

v. Mangoldt]: Ich eröffne die Sitzung. Ich würde vorschlagen, daß wir zunächst einmal mit der Frage beschäftigen, wieweit die Artikeln, Freizügigkeit und Artikel 12, Freie Berufswahl in vollem Umfange sofort in Kraft treten können. Wir haben am Samstag darüber gesprochen3) und waren uns in der größeren Mehrheit mit Ausnahme von Herrn Dr. Grève einig, daß irgend eine Vorschrift vorgesehen werden muß, daß entweder der Gesetzgeber ermächtigt wird, hier noch Beschränkungen oder Regelungen auf diesem Gebiete vorzunehmen, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, den man vielleicht mit Ende 1951 abschließen lassen könnte. Dann würde die Gelegenheit bestehen, vorher festzustellen, ob diese Bestimmung verlängert werden muß oder ob dann diese Einschränkungen wegfallen können oder ob man nur sagen sollte, daß nur das, was an Regelung zur Zeit besteht, bis zu diesem Datum aufrechterhalten bleibt. Dr. Eberhard: Ich würde vorschlagen, einen festen Termin „bis Ende 1951" festzusetzen, weil möglicherweise schon vorher mildere Gesetze Platz greifen könnten und in der französischen Zone, wenn dort die Flüchtlingsmassen hereinkommen, vielleicht eine verschärfende Rechtssetzung nötig wäre. Walter: Wir wollen die Freizügigkeit ohne jede Einschränkung in unserem Grundgesetz gewährleisten, und ebenso das Recht der freien Berufswahl, mit einer kleinen Einschränkung, daß die Berufsausübung durch das Gesetz geregelt werden kann. Wir stehen vor der Frage, daß wir tatsächlich in der augenblicklichen Notlage diese Vorschriften in dieser Weite nicht gewährleisten können. Nun würde es sich um einen Artikel handeln, in dem man sagt, daß Gesetze,

Vors. [Dr.

uns

80—83 (S. 7, 11, 13, 18 der ursprünglichen Zählung wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat entfernt und neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot.; Walter, Finck, Kuhn und Heile nahmen nur an der Vormittags-Sitzung teil. 3) Vgl. Dok. Nr. 38, TOP 5.

J) Bl.

846

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die die Grundrechte der Freizügigkeit der freien Berufswahl einschränken, erlassen werden können. Ich habe in dem Entwurf gesagt4): Diese Gesetze bleiben für die Dauer der Notlage, jedoch spätestens bis zum 31. 12. 1951 in Kraft. Es wird jetzt gewünscht, daß das noch erweitert wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sollen wir das in die Übergangsbestimmungen einfügen? Dann hätte der Organisationsausschuß heute nachmittag das noch zu beschließen5). Es wäre sehr wesentlich, wenn wir das gleich formulieren könnten, damit der Organisationsausschuß sich mit diesen Übergangsbestimmungen heute nachmittag beschäftigen kann. Es dreht sich dann nur um die Formulierung. Man könnte sagen: Gesetze, welche die Freizügigkeit und die freie Berufswahl einschränken, bleiben bis zum 31.12. 1951 zulässig. Dr. Bergsträsser: Sollte man „für die freie Berufswahl" auch einfügen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist im Augenblick unumgänglich. Es ist nicht möglich bei der Arbeitslenkung, die wir haben, daß wir darauf schon jetzt vollkommen verzichten. Bei „Freizügigkeit" bin ich einverstanden, bei „freier Berufswahl" weiß ich es nicht. Dr. Bergsträsser: Das würde immer bedeuten, daß eine merkwürdige Organisation wie die Ärztekammer keine Ärzte zulassen will, wobei wir wissen, daß jeder Arzt heute von frühmorgens bis spät abends Sprechstunde hat. Dr. Eberhard: Es genügt das vielleicht für Art. 11, für die Freizügigkeit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gesetze, welche das grundsätzliche Recht der Freizügigkeit Art. 11 einschränken, bleiben für die Dauer der gegenwärtigen Notlage jedoch höchstens bis zum 31. 12 1951 zulässig. Dr. Heuss: Man könnte sagen: „bleiben bis zum 31. 11. 19516) zulässig"; von der Notlage wissen wir nicht, wie es gehen wird, wir stellen der Notlage eine Frist. Es kann darin stehen bleiben, aber es scheint mir eine Hyperbel zu sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also dann sagen wir: „bleiben bis zum 31.12. 1951 zulässig". Dann würde dieser Artikel also lauten: Gesetze, welche die Grundrechte der Freizügigkeit (Art. 11) einschränken, bleiben bis zum 31. 12. 1951 zulässig.

4) Auf welche Fassung sich Walter hier berief, ließ sich nicht klären. 5) Vgl. das Kurzprot. des Ausschusses für Organisationsfragen vom gleichen Tag (27. Sit-

zung vom 6. Dez. 1948, Drucks. Nr. 389). Dort wurde der Antrag des AfG verlesen und beschlossen, die Vorschläge bei der Beratung des Abschnittes XIII zu berücksichtigen. 6) Tippfehler, denn gemeint war der 12. (Dez.), wie auch im Kurzprot. und bei der nochma-

ligen Zitierung

weiter unten

aufgeführt.

847

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[2. ANTRAG DR. LÖWENTHAL (SPD) ZU ART. DER IM DRITTEN REICH

16

(138 b), WIEDEREINBÜRGERUNG

AUSGEBÜRGERTEN]

Das Letzte wäre der Antrag des Herrn Dr. Löwenthal zu Art. 167). Wir haben in Art. 16 vorgesehen, daß die Staatsangehörigkeit nicht willkürlich entzogen werden darf, und es ist hier die Frage der Bereinigung in den Fällen, in denen auf Grund des Gesetzes von 19338) die Staatsangehörigkeit aberkannt war. Diese Frage wird durch den Antrag Dr. Löwenthal in Ordnung zu bringen versucht. Ich würde dabei vorschlagen, das ebenfalls nicht in den Art. 16 aufzunehmen, sondern in eine Übergangsvorschrift. Das paßt schlechterdings nicht in unser

Grundrecht hinein.

Dr. Bergsträsser: Dann müßte es auch heißen „8. Mai", nicht „5. Mai". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Frühere deutsche Staatsangehörige, denen die Staatsandas Datum ist reichgehörigkeit in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933"

lich früh, damals bestand das Gesetz noch nicht und ich würde deshalb einfach das Jahr 1933 nehmen und nicht auf ein bestimmtes Datum abstellen; das Gesetz ist im Juli 19339) erlassen worden. Ich würde also sagen: denen die Staatsangehörigkeit seit 1933 aberkannt worden ist. Nach 1945 ist wohl die Staatsangehörigkeit nicht mehr aberkannt worden. Dann sagen wir doch einfach: „seit 1. Januar 1933". Dr. Heuss: Ich würde 31. Januar und 8. Mai stehenlassen, das ist die Umgrenzung der Nazizeit. Die Leute, die nach dem 30. Januar ins Ausland gegangen sind, sind später von der Ausbürgerung erfaßt worden. Dr. Finck: Sagen wir: „im Dritten Reich". Dr. Heuss: Das können wir nicht in das Grundgesetz hereinnehmen. Dann würde ich einfach die Daten geben: am 30. Januar und am 8. Mai. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden wir also sagen: Frühere deutsche Staatsangehörige, denen in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, sind auf ihren Antrag wieder einzubürgern. Dr. Bergsträsser: Die automatische Einbürgerung wollten wir nicht machen, um ihnen keine Schwierigkeiten zu machen, wenn sie irgendwo im Auslande bleiben wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen irgendeinen Antrag stellen; das geht da etwas durcheinander. Dr. Bergsträsser: Wenn es nun hier heißt „auf ihren Antrag", so kann es auch Fälle geben, daß jemand inzwischen verstorben ist und daß das Rechtsfolgen hätte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist gar nicht möglich, daß man Tote wieder einbür—

gert. 7)

Dr. Fritz Löwenthal (1888-1956), SPD, Nordrhein-Westfalen. Er trat kurz vor dem Abschluß der Arbeit des Pari. Rates Anfang Mai aus der Fraktion der SPD aus. Ein Antrag Dr. Löwenthal zu Art. 16 in Form einer Drucks, oder eines eigenständigen Dok. war nicht zu

ermitteln.

8) Staatsangehörigkeitsgesetz 9) Ebenda. 848

vom

14.

Juii

1933

(RGB). I, S. 480).

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Dr. Bergsträsser: Hat das Rechtsfolgen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das kommt auf das Recht des Ortes an, wo er gelebt hat. Wenn er Angehöriger der Vereinigten Staaten geworden ist, ist die Frage, wieweit das Recht der Vereinigten Staaten hinsichtlich seines Erbrechts auf deutsches Recht verweist. Das tut es hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens, hinsichtlich des

beweglichen Vermögens

werden keine

Schwierigkeiten

bestehen, da wird auf die Gesetze der Vereinigten Staaten verwiesen werden. Es ist andererseits eine Fülle von Problemen, die da auftritt, wenn er staatenlos

geworden ist. Es würde dann der Grundsatz gelten, daß maßgebend ist. Das ist eine ganze Fülle von Fragen.

sein früherer Wohnsitz

Maier: Wie ist es mit Kindern? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Kinder haben die neue Staatsangehörigkeit erworben. Da ist die Frage, inwieweit diese aufzuheben sind. Dr. Bergsträsser: Aber als Staatenlose haben sie da die neue Staatsangehörig-

keit? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kommt darauf an, wo sie wohnen. Dr. Bergsträsser: Muß man nicht auch denen eine Möglichkeit

geben, die spägeboren sind? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist eine neue Frage, die hier auftaucht. Man müßte sagen: „frühere deutsche Staatsangehörige und ihre Abkömmlinge in direkter Linie". Das müßte man wahrscheinlich einfügen. Dann sagen wir: Frühere deutsche Staatsangehörige, denen in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf ihren Antrag wieder einzubürgern. Dann bleibt alles offen, wenn sie verstorben sind. Das gilt nur für die Abkömmlinge, und wenn die Ausgebürgerten nicht gestorben sind, gilt es auch für ter als staatenlos

sie.

[3. ÜBERWEISUNG VON ART.

138

a

DEN AUSSCHUSS

UND 138 b (DEFINITION DES „DEUTSCHEN") AN FÜR ORGANISATIONSFRAGEN]

von uns aus über die Frage des „Deutschen"10) sprechen. Darüber findet sich in dem Sammelband in Art. 138 b eine Vorschrift: Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Gatte oder Abkömmling in den Gebieten deutschen Reiches nach dem Stande vom 31.12. 1937 Aufnahme gefunden hat. Dr. Eberhard: Ich würde nicht sagen „des Deutschen Reiches", sondern „Deutschland" oder „in dem deutschen Staatsgebiet", weil wir diese Formulierung sonst auch haben, und die Dinge so liegen, daß das mit dem Datum verkoppelt ist. Darüber wird heute nachmittag im Organisationsausschuß gesprochen, daß wir also sagen statt „im Gebiet des Deutschen Reiches" „im deut-

Wir wollten auch noch

10) Korrigiert

aus

„Großdeutschen". 849

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6.

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1948

sehen Staatsgebiet". Wir haben das in Art. 24: „Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebietes ." Dann würde es dieser Formulierung entsprechen, wenn wir sagen: „oder Abkömmlingen im deutschen Staatsgebiet nach dem Stand vom 31.12. 1937 Aufnahme gefunden haben". Dr. Bergsträsser: Wir haben mehrfach gesagt: „deutsche Bundesangehörige". Hinten wird dann definiert, was Deutscher ist. Dann müssen wir das auch an dieser Stelle tun, um zu sichern, daß die Flüchtlinge damit darin sind. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir haben an vielen Stellen „Bundesangehörige" gesagt. Der Begriff des Bundesangehörigen versteht sich von selbst. Im übrigen werden hier auch keine Schwierigkeiten bestehen. Die Aufnahme in den Staatsverband wird praktisch begründet auf Grund der Vorschriften des Wahlgesetzes. Es kann kaum jemand nicht als Staatsbürger bezeichnet werden, dem man durch das Wahlgesetz die Wählbarkeit und das Wahlrecht verliehen hat. Dr. Bergsträsser: Es heißt hier „Aufnahme gefunden hat". Kann man dafür setzen: „aufgenommen worden ist"? Vors. [Dr. v. Mangoldtl: In Art. 138 b steht am Schluß: wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling deutscher Volkszugehörigkeit. aufgenommen ist. Das kann man ohne weiteres sagen. Dr. Bergsträsser: Dann bin ich dafür. Dr. Heuss: Man nimmt jemand auf, und kann ihn wieder wegschicken; wenn jemand „Aufnahme gefunden hat", so hat das etwas Tragenderes im Sinne der .

.

.

..

.

.

Dauer. Dr. Bergsträsser: Könnte

man nicht sagen, nicht „in dem Gebiet", sondern „in das Gebiet". Dr. Heuss: Das kommt ihm näher. Dr. Bergsträsser: Ich verstehe, was gemeint ist. Ich bin nur gegen dieses „Aufnahme finden". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder „als Flüchtling in das Gebiet aufgenommen worden ist". Das liegt mir nicht. Dr. Heuss: Das hat auch vorübergehenden Charakter. in dem er Aufnahme gefunden hat" klingt besser. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: uns unser Eberhard: Da Redaktionsausschuß einen kritischen Brief geDr. hat könnten nicht allen wir Deutschen die Freizügigkeit und die Beschrieben11), rufswahl geben. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Den 16 Millionen aus der Ostzone können wir nicht die freie Berufswahl und die Freizügigkeit in den Westzonen gewähren. Das können wir nicht machen. Es ist jetzt die Frage, wo wir die Staatsangehörigkeit hineinbringen. Unter Art. 139 paßt sie nicht. Wir müssen irgendeinen Ort ungefähr finden. Erlaß von Rechtsverordnungen kommt im Art. 141, in Art. 143 Verwaltungsorgane, die aufrechterhalten werden. Vielleicht können wir diese Vorschrift in die Gegend von Art. 143 b bringen und sie dort einschalten. „.

.

.

) Ein „kritischer Brief des Redaktionsausschusses" ließ sich nicht ermitteln. Sehr wahrscheinlich bezog sich die Bemerkung aber auch auf die Bemerkung des RedA zu Art. 11 in der Fassung der 1. Lesung des HptA. (Vgl. Grundgesetz, Entwürfe, S. 88). 850

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Nr. 39

Dr. Eberhard: Würde es nicht in die Gegend des Art. 138 a passen; danach kommt die Definition des Deutschen. Dr. Finck: Als Abs. 2 von Art. 138 b. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das überlassen wir Ihnen. Wir sagen jetzt 138 bb12). Das soll der Organisationsausschuß machen. Dr. Finck: Sagen wir als Übergangsbestimmung nach 138 b. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das waren alle Anträge, die wir vorliegen hatten. Dann kommen noch die Beamten. Dr. Eberhard: Dann kommen noch die Kriegsvorbereitungssachen. [4. GARANTIE DES BERUFSBEAMTENTUMS]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müssen wir noch auf den Antrag des Kompetenzausschusses zurückgehen13). Darüber ist auch im Hauptausschuß14) gesprochen worden, indem gesagt wurde, es genüge nicht mehr, nicht die Ehrenbeamten auszuschalten, sondern es müßten darüber hinaus noch weitere Fälle ausgeschaltet werden, in denen es auch möglich wäre, daß kein Berufsbeamter eingesetzt wird. Ich bin über diesen Zusatz gestolpert, weil ich mir seine Bedeutung nicht recht erklären kann. Wir haben da noch „in der Regel" einge-

fügt15):

Dauernde Aufgaben in Ausübung öffentlicher Gewalt sind in der Regel nur Berufsbeamten Da haben wir das „nur" gestrichen, Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zum Dienstherrn stehen, sofern sie nicht Ehrenbeamten übertragen werden oder im Hinblick auf die Art der Dienstleistung durch das Gesetz etwas Anderes bestimmt wird. Dr. Eberhard: Das ist nicht nötig, wenn man „in der Regel" geschrieben hat. Das Wort „Dienstherr" ist scheußlich. Wenn man sagt „öffentlich-rechtliches Treueverhältnis", das ist zum Gemeinderat oder zum Lande; das Wort „öffentlich-rechtliches Treueverhältnis" ist doch sehr schön. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben darüber gesprochen und uns noch nicht einigen können. Es ist das vorläufig so angenommen. Ich glaube, daß gar keine .

..

Schwierigkeiten vorliegen.

Dr. Heuss: Mir schien die

Formulierung

nicht

ungeschickt

zu

sein.

12) Nach Drucks. Nr. 344, die die Beschlüsse der 30. Sitzung des AfG zusammenfaßte, lautete Art. 138 bb: „Frühere deutsche Staatsangehörige, denen in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf ihren Antrag wieder einzubürgern." 13) Vgl. die Diskussion vom 23. Nov. 1948 im Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung (Der

Pari. Rat Bd. 3, S. 645 ff.). 18. Sitzung des HptA vom 4. Dez. 1948; ses in Dok. Nr. 36, Anm. 24. 15) Vgl. Dok. Nr. 36, TOP 2.

14) Vgl.

Verhandlungen, S. 219. Abdr.

des Beschlus-

851

Nr. 39

Dreißigste Sitzung

6. Dezember 1948

Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dann können wir uns diesem Antrag anschließen und ihn als Antrag des Grundsatzausschusses übernehmen. Es kann das noch einmal in den Fraktionen besprochen werden. Da sind ja die Mitglieder des Kompetenzausschusses anwesend, die ihre Abänderungswünsche dann vorbringen könDarüber besteht Einvernehmen, daß wir diese Formulierung zu Art. 27 a nen. vorschlagen16). Dann hätten wir diese Sache auch erledigt. Es würde dann noch über die verschiedenen anderen Anträge zu diskutieren sein. Das könnten wir für heute verschieben. —

[5. VERFASSUNGSWIDRIGKEIT VON HANDLUNGEN, DIE DIE FÜHRUNG EINES KRIEGES VORBEREITEN, VERBOT VON WAFFEN (ART. 29 b UND 29 c)J Dr. Eberhard: Könnten wir Art. 29 b noch erledigen? Der Grundsatzausschuß hatte dem Hauptausschuß folgende Fassung vorgelegt17): Handlungen, die mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Damit erklärte sich der Hauptausschuß grundsätzlich einverstanden und lehnte die Formulierung des Redaktionsausschusses18) ab, die nur auf den Angriffskrieg abgestellt war. Aber Kollege Kaufmann sagte, in der württembergischen Verfassung stehe so ein schöner Satz19). Ich sagte ihm, daß er identisch ist mit unserem Art. 3120). Er erinnerte sich, in den Vorbereitungen zur württembergisch-badischen Verfassung sei ein einzelner Satz gewesen: „Der Krieg ist kein Mittel der Politik", aber Kollege Kaufmann machte dann den vergleichenden Vorschlag, damit der Artikel nicht mit den bösen Handlungen anfängt, zu sa-

gen: Der

Krieg als Mittel der Auseinandersetzung zwischen den Völkern wird

abgelehnt.

Mir schien es nicht schlecht, den Positivsatz fortzusetzen. Dr. Bergsträsser: Das wird abgelehnt, das ist eine Deklaration. Dr. Heuss: Gewonnen ist nicht viel damit. Dr. Eberhard: Der Hauptausschuß hat die Abstimmung ausgesetzt.

18)

Art. 27

a

lautete nach Drucks. Nr. 344, die die Beschlüsse der 30.

menfaßte, wie folgt:

Sitzung des AfG zusam-

„1) Die dauernde Ausübung hoheitlicher Aufgaben ist, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis stehen. 2) Den hergebrachten Grundsätzen über die Rechtsstellung der Berufsbeamten ist Rechnung zu tragen." 17) Vgl. Dok. Nr. 26, Art. 31 der alten Zählung. 18) 22. Sitzung des HptA vom 8. Dez. 1948; Verhandlungen, S. 255 ff. 19) Art. 47 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946: „Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, eine friedliche Zusammenarbeit der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, ist verfassungswidrig". 20) Vgl. Dok. Nr. 26. 852

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir schon eine Formulierung wählen müssen, müssen wir die des Kellogg-Paktes21) nehmen und sagen: „Der Krieg wird geächtet". Das ist ein terminus technicus geworden, dann müßte man schon sagen: „wird abgelehnt". Heile: „Der Krieg wird als Mittel der Politik geächtet". Wenn wir überfallen werden und uns dagegen wehren, dann ist das nicht Politik, sondern Notwehr, das wollen wir natürlich nicht ächten. Dr. Heuss: Carlo Schmid war sehr stolz: „Der Krieg ist kein Mittel der Politik". Ich habe gesagt, das ist eine Deklaration22). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da war die ursprüngliche Fassung viel besser: „Handlungen, die in der Absicht vorgenommen werden ..." Dr. Eberhard: Es ist keine große Neigung für diesen Satz, sprechen Sie doch einmal darüber. Übrigens könnte der Grundsatzausschuß sagen, wir möchten unsere alte Fassung behalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sagen wir: .der in der Absicht vorgenommen zu stören". Ich glaube, das ist etwas besser. wird, Dr. Eberhard: Nun zum zweiten Absatz ein Wort. Es war vorgeschlagen, ihn zu streichen. Diese Streichung ist mißlungen, weil Herr Kollege Dr. v. Mangoldt im Hauptausschuß nicht dabei war. Die anderen Herren Ihrer Fraktion haben sich nicht rasch entschlossen, meinem Antrag zuzustimmen23). Wie es jetzt dasteht, geht es nicht. Wir müssen mindestens schreiben: „zur Kriegführung geeignete Waffen" und dürfen nicht sagen: „zur Kriegführung bestimmte Waffen". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist jetzt Art. 29 c des Hauptausschusses. Dr. Eberhard: Mit der Absicht, zum Krieg bestimmte Waffen zu machen, kann sich die Bundesregierung überhaupt nicht befassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten darüber gesprochen, daß wir einverstanden wären, wenn das ganze gestrichen würde. Walter: Die ganze Sache ist Theorie. Dr. Bergsträsser: Wenn die Bundesregierung zustimmt, dann ist das die Festlegung einer Erlaubnis. Dr. Heuss: Das jetzt zu streichen, würde ich in der augenblicklichen Situation für Unsinn halten, dann würde es heißen: „Im September haben sie das hereingenommen, und im Dezember haben sie die Meinung, jetzt hat es an Aktualität verloren." Das klingt im Augenblick fast wie eine politische Stellungnahme. Ich halte es für richtig, daß wir für „bestimmte" „geeignete" sagen. Ich würde den Artikel aber nicht streichen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich hatte dasselbe ausgeführt wie Sie, da hatte Herr Kollege Dr. Eberhard gesagt, das könnte man nur machen mit einem spontanen kurzen gemeinsamen Antrag der Parteien. Aber das scheint mir richtig zu sein, „geeignete" statt „bestimmte" zu sagen. Heile: Es wurde auf internationalen Kongressen, z. B. kürzlich in Rom, darüber gesprochen, die Deutschen ständen vor einer Situation, die sie zwänge, zur Fra...

21) Kellogg-Pakt s. Dok. Nr. 15, Anm. 14. 22) Dies geschah nicht im Pari. Rat; vgl. Dok. Nr. 20, Anm. 21. 23) Vgl. 6. Sitzung des HptA vom 19. Nov. 1948; Verhandlungen, S.

71

ff. 853

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6.

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ge der Beteiligung an einer internationalen Verteidigung Stellung zu nehmen24). Da hieß es sogar, in Deutschland wäre die militärische Organisation bereits in vollem Gange. Uns ist davon nichts bekannt. Aber wenn wir den fraglichen Passus jetzt streichen, wird man sagen, daß wir einem amerikanischen Militarismus den Weg ebnen, indem wir der Bevölkerung erlauben wollten, amerikani-

sche

Dienstpflicht

zu

übernehmen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann sind wir darüber einig, statt „bestimmte" „geeignete" zu sagen. Also Antrag Art. 29 c Fassung des Hauptausschusses statt „bestimmte" „geeignete Waffen" zu sagen. Es würde wenig Sinn haben, wenn wir jetzt noch weiter diskutieren. Unsere nächste Sitzung kann, wenn der Hauptausschuß nicht länger als bis 18 Uhr tagt, im Anschluß an die Sitzung des Hauptausschusses stattfinden. Dann unter-

breche ich jetzt die

Sitzung. (Unterbrechung der Sitzung 10. 10 Uhr) (Fortsetzung der Sitzung 16.25 Uhr). [6. GEWERBEFREIHEIT UND BERUFS FREIHEIT]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich eröffne die Sitzung wieder. Die Eingaben der Gewerkschaften habe wir durchbehandelt mit Ausnahme der Gewerbefreiheit25). Vielleicht sehen wir die einzelnen Eingaben noch einmal durch und werden uns dann klar, wie weit wir den geäußerten Wünschen entgegenkommen. Dr. Eberhard: Ich verzichte darauf, das vorzubringen. Dr. Heuss: Ich bin über die Gewerbefreiheit in den Grundrechten interpelliert worden und habe gesagt, daß wir im Begriff der Berufsfreiheit die Gewerbefreiheit einfügen, weil wir uns gesagt haben, daß die Berufsausübung dem Gesetz unterworfen werden kann, wobei an Ärzte oder Schornsteinfeger gedacht werden kann, die kein freies Gewerbe sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ist das nicht gleichzusetzen? Dr. Heuss: Wir haben in der Bizone dieses Recht der Gewerbefreiheit bekommen. Da hat mich ein Journalist angesprochen, er habe das bei uns nicht gefunden. Als ein subjektives Recht würde ich es unter Berufsfreiheit rechnen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Seinen Beruf frei zu wählen, umfaßt das nicht. Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen, haben wir gesagt. Dr. Heuss: Ist die Gewerbefreiheit ein subjektives Recht? Dr. Bergsträsser: An sich gehört es in die Sozialordnung. Dr. Heuss: Dann lassen wir es hier weg. Ich wollte nur fragen, denn ich wurde

interpelliert. 24) Angespielt wurde auf einen Kongreß der föderalistischen Friedensunion in Rom, von der Eugen Kogon auf einer Pressekonferenz vom 24. Nov. 1948 berichtete, daß dort von einer Remilitarisierung Westdeutschlands als Konsequenz einer Remilitarisierung der Ostzone

gesprochen

worden sei.

Vgl.

Der Pari. Rat Bd. 3, S. 598, Anm. 14.

25) Vgl Eingabe der Gewerkschaften der vereinten Zonen vom Okt. 1948 (Z 5/109) (Dok. Nr. 33, Anm. 31), in der es hieß: „Gewerbefreiheit und freier Leistungswettbewerb sind nach

854

Maßgabe

der Gesetze

gewährieistet."

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß das nicht ganz unter unseren Begriff fallen würde, den Beruf frei zu wählen, denn das geht noch einen Schritt weiter, da ist noch die Niederlassung für einen bestimmten Gewerbebetrieb mit allem Drum und Dran. Dr. Heuss: Dann steht im letzten Satz, daß die Berufsausübung durch Gesetz geregelt wird. Denn gewisse Berufe wie Apotheker, Ärzte, Schornsteinfeger, ich glaube auch Drogisten, müssen irgendwelche Voraussetzungen erfüllt haben. Das ist aber die Ausübung. Die Wahrnehmung eines erwählten Berufs, der sich dann in einen gewerblichen verwandelt, wird an anderer Stelle von uns formal

gedeckt.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich kann einen Beruf als Schlosser, Schneider usw. wohl frei wählen, aber ob ich mich als solchen niederlassen und diesen Beruf frei betreiben kann, ist eine Sache, die damit noch nicht erfaßt wird, sondern das ist ein zweiter Schritt. Dr. Bergsträsser: Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Dr. Heuss: „Die Berufsausübung kann durch besonderes Gesetz geregelt werden". Da wird das berufliche Leben von uns erfaßt. Ich wollte nur zur Interpretation, wenn ich gefragt werde, etwas hören. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir kommen damit in die Sozialordnung herein. Da müssen wir vorsichtig sein. Damit würde dieser Antrag zurückgestellt sein. Dann hatten sie noch einen Antrag26): Die Arbeit ist die persönliche Leistung für die Gesellschaft. Sie darf nicht als Ware gewertet werden. Darüber haben wir uns immer wieder unterhalten, daß wir das unter die Sozialordnung rechnen und es sehr schwierig ist, das zu einem unmittelbar geltenden Menschenrecht, zu einem Grundrecht, zu machen. Wir müßten dann dazu kommen, daß wir sagen: „Das Recht auf Arbeit wird gewährleistet". Das führt zu außerordentlichen Schwierigkeiten. Das wäre das Recht der Vollbeschäftigung. Das wollen wir zurückstellen.

-

[7. ANTRAG DER DP VOM 19. NOVEMBER 1948, DRUCKS. NR. 298 BETR. UNTER ANDEREM DIE

GRUNDRECHTE]

Ich darf dann die Anträge, wie sie hier vorliegen, noch einmal durchgehen. Da ist dieser Antrag der Fraktion der Deutschen Partei27). Zu den einzelnen Artikeln haben wir das schon durchgesehen. Artikel 1 soll danach folgende Fassung erhalten: Freiheit und Würde des Menschen stehen im Schutze der staatlichen Ordnung. Sie sind begründet in ewigen Rechten, die das deutsche Volk als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft anerkennt. Der Staat hat mit der ihm anvertrauten Gewalt Recht und Gerechtigkeit zu verwirklichen. 26) Ebenda.

-

27) Antrag der DP als Drucks. Nr.

298

vervielfältigt. 855

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Die selbstverantwortliche Persönlichkeit und die Familie bilden die Grundlage für einen gesunden Gemeinsinn, auf dem Selbstverwaltung und Staat

beruhen. Was der Einzelne in erlaubter Weise aus eigener Kraft leistet, darf der Staat nicht zerschlagen, aufsaugen oder zu ersetzen suchen. Deshalb werden Grundrechte gewährleistet, die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht binden. Das Ganze ist eine Einleitung, die keine unmittelbare Rechtswirkung beansprucht, über die wir nach unserer Formulierung hinweggehen können. Dann ist ein besonderer Antrag der Deutschen Partei, in den Artikel 1 folgenden Absatz einzufügen, worüber wir noch sprechen müssen: Jeder Mensch hat das Recht auf eine Heimat. Die vornehmste Pflicht des Staates ist, seinen Bewohnern Heimat, Geborgenheit und Frieden zu gewährleisten. L)as ist unterschrieben „Seebohm". Dr. Eberhard: Das ist aus dem gedruckten Programmheft28). Dr. Bergsträsser: Was heißt „Recht auf Heimat"? Darunter kann sich kein Mensch etwas vorstellen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vor allem ist die Frage, welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich daraus. Dr. Heuss: „Heimat" ist kein Begriff. Ich habe 25 Jahre in Berlin gelebt und habe dort nie meine Heimat gefunden. Dr. Bergsträsser: Das ist ein subjektiver Begriff. Dr. Heuss: Mein Sohn ist in Berlin geboren, und hat nicht die Vorstellung, daß er dort seine Heimat hat. Bei alten Berlinern ist das umgekehrt, die haben ein

furchtbares Dr.

für Berlin. Ich bin im Elsaß geboren, habe kein

Heimatgefühl

Bergsträsser:

Heimatgefühl für

Hes-

sen29). Dr. Heuss: Das ist ein zu diffiziler Begriff. Vielleicht ist es das Recht auf Unterstützungswohnsitz. Das ist wohl etwas anderes. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Je mehr man überlegt, umso mehr sieht man, wie wenig das praktisch zu verwerten ist. Dr. Weber: Die Ausweisungen waren unmenschlich. Was kann man dagegen tun? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie müßten sehen, eine konkrete Formulierung zu finden. Der Gedanke an sich würde nicht abgelehnt, aber wir sehen nicht die rechtlichen Konsequenzen, die bei allen Sätzen sonst zu sehen sind. Wunderlich: Hier hat es den Begriff eines Gefühlswertes, weiter gar nichts.

vermutlich die Broschüre „Verfassungsvorschläge der Deutschen Partei", ZSG 1 34/1 (5)). 29) Korrigiert aus „für das Elsaß". Bergsträsser wurde am 23. Febr. 1883 im elsässischen Altkirch als Sohn reichsdeutscher Eltern, die ursprünglich aus Hessen stammten, geboren. Sein Vater war später Amtsgerichtsrat in Kaysersberg; das Gymnasium absolvierte er in Colmar.

26)

Damit

war

Druck 1947

856

gemeint (BARCH,

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann hat die DP noch weitere Anträge gestellt30): Hinter Art. 3 folgenden Artikel einzufügen: Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das

keimende Leben wird geschützt. Körper- und Leibesstrafen sind verboten. Die Todesstrafe wird abgeschafft. Das sind Ideen, die bei uns noch erörtert wurden. Man will jetzt bei uns versuchen, diese Frage zur zweiten Lesung in den Hauptausschuß zu bringen. Dann müßten sie noch einmal besprochen werden. Vielleicht kann man das zurückstellen. Dr. Heuss: Dann ist hier noch ein Antrag: „Die Schutzhaft ist unzulässig". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber ist nichts zu sagen. Dr. Bergsträsser: Hier kommt es ungemein auf die Einzelheiten der Formulierung an. Darüber müßten wir uns noch unterhalten können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Jedenfalls besteht die Möglichkeit, auf Ihren Einwand wegen der Frage der Todesstrafe einzugehen. Dr. Heuss: Dann kommt auch noch die Geschichte, die ich vorgetragen habe von dem Nichteingreifen der Rentenaufsicht, daß sich jemand wehrt. Kollege Dr. Schäfer hat mir das vorgehalten, daß das in der sozialfürsorgerischen Praxis oft genug vorkommt, daß jemand sich wehrt gegen irgendwelche Eingriffe, um seine Rente zu erhalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da kommt es außerordentlich auf die Formulierung an. Das Recht auf das Leben haben wir schon darin. Ich würde vorschlagen, diese Dann die übrigen Artikel, die haFrage zurückzustellen, sie ist nichts Neues. ben wir berücksichtigt. Art. 4 Abs. 1: Kein Deutscher darf ins Ausland ausgeliefert, des Landes verwiesen oder ausgebürgert werden. Wir haben in Art. 16 die Auslieferung; die Landesverweisung ist eine Frage, die wir offengelassen haben. Ich würde es für durchaus möglich halten, daß ein Bundesangehöriger aus einem Lande verwiesen wird, daß das eine Rolle spielt, kann aber die Konsequenzen nicht übersehen. Ich halte es für möglich, daß es irgendeine Aufenthaltsbeschränkung gibt für Verbrecher, daß für sie auf eine Aufenthaltsbeschränkung erkannt wird, weil sie der Überwachung unterlie—

gen. Dr. Heuss: Kann da Bayern nicht auf die Idee kommen, jemand nach Württemberg oder Hessen abzuschieben? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kann der Fall eintreten, daß jemand aus einem anderen Lande sich zurückzieht, weil ihm der Boden dort zu heiß wird, aus einem anderen deutschen Land. Nehmen wir einmal an, es wird einem in SchleswigHolstein oder Hamburg der Boden zu heiß. Er begibt sich, um seine dunkle Tätigkeit fortzusetzen, nach Bayern. Dann soll Bayern nichts gegen ihn unternehmen

30)

können?

Die

folgenden

_

Punkte ebenfalls in Drucks. Nr. 298 enthalten. 857

Nr. 39

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Dr. Heuss: Wenn er straffällig ist, kann man das tun. Dr. Bergsträsser: Dann müßte das Gericht die Möglichkeit haben, eine Wohnsitzbeschränkung auszusprechen, die es aber, soviel ich weiß, nicht hat. Vors. [Dr. v. Mangoldtj: Es gibt eine polizeiliche Überwachung. Dr. Bergsträsser: Das ist keine Wohnsitzbeschränkung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Damit hängt das zusammen. Dr. Heuss: Es kann einer auch jetzt gezwungen werden, sich bei der Polizei je-

den Tag zu stellen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eine Überwachung des Verbrechers nach der Verurteilung wegen einer Straftat ist durchaus möglich. Das ist ganz richtig. Mit der Freizügigkeit haben wir dies erfaßt, deshalb brauchen wir auf diese Frage nicht

einzugehen.

Dr. Eberhard: Aber ob wir Freiheitsbeschränkungen nach Art. 11 noch machen mir jetzt nach dieser Diskussion fraglich. Jeder hat das Recht, überall seinen Wohnsitz zu nehmen, da kann die Polizei doch nicht eine Auf-

können, wird

enthaltsbeschränkung verfügen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Polizei nicht. Es ist die Frage, wieweit die Vorschriften des Strafgesetzes gehen; das müßte man noch prüfen. Dr. Eberhard: Vielleicht ist eine ähnliche Ausnahme notwendig, wie wir sie

auch bei der Freiheitnahme sowieso haben. Dr. Bergsträsser: Es gibt in unserem Strafgesetzbuch, soweit ich orientiert bin, eine Aufenthaltsbeschränkung nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Soviel ich weiß, ist es so, daß eine gewisse Polizeiüberwachung bei Verbrechern üblich ist. Dr. Bergsträsser: An dem Ort, wo der Verbrecher seinen Aufenthalt hat. Wenn er an einen anderen Ort gehen will, unterrichtet er dort die Polizei, aber die Polizei kann ihn nicht hindern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich kann im Moment nicht sagen, wieweit sich das auf das Strafgesetzbuch stützt; ich müßte mich orientieren. Das müßten wir noch einmal prüfen. Man müßte sich da einmal mit einem Strafrechtler in Verbin-

dung

setzen.

wäre die Vorschrift auch nicht mehr möglich. v. Mangoldt]: Das ist immer eine zweifelhafte Frage gewesen, die Polizeivorschrift für Zigeuner. Das würde schon nicht mehr gehen aus dem Gleichheitssatz heraus. Wir sagen, niemand darf seiner Rasse wegen benachteiligt werden. Das geht also schon nicht mehr bei Zigeunern. Der einzige Grund, aus dem das im Interesse der öffentlichen Sicherheit zu rechtfertigen wäre, wäre die Überwachung des Verbrechers. Das hängt wieder mit dem anderen Problem zusammen. Man wird darauf verzichten können, wenn man bei der Sicherungsverwahrung bleibt. Nach der Richtung ist man zu neuen Erkenntnissen gelangt. Soviel ich weiß, wird bei den Strafrechtlern großer Wert darauf gelegt, so etwas wie Sicherungsverwahrung im Interesse der Allgemeinheit beizubehalten. Das ist aber auch eine zweifelhafte Frage. Das hängt damit unmittelbar zusammen. Dann könnte man sagen, in anderen Fällen muß es ohne solche polizeiliche Überwachung gehen. Ich glaube, das ist eine Frage, die man hier nur Maier: Bei Vors. [Dr.

antasten

Zigeunern

kann, und dann genau untersuchen lassen müßte.

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Dr. Heuss: Haben wir keinen Strafrechtler im Hause? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, aber wir könnten uns an Herrn Prof. v. Weber31) in Bonn wenden, der ein Experte auf strafrechtlichem Gebiete ist, und der diese

Bestimmungen erhalten und sich dann äußern könnte.

Dr. Eberhard: Wir wollen mit dem Art. 11 mit dieser Freizügigkeit nichts Dummes anrichten; zum Beispiel einen Verbrecher aus dem Hamburger Hafen aus-

zuschließen, dafür spricht doch manches. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich werde Herrn Prof. v. Weber anrufen und ihn bitten, uns irgendeine Unterlage zu geben. Das können wir dann noch zurückstellen und zur zweiten Lesung vorsehen. Wir könnten dann diese Bedenken gleich vorbringen, weil das dann bei Vorliegen von Unterlagen keine Schwierigkeiten machen würde. Zu Art. 10 sagt die DP: Das kulturelle Leben ist der Gewalt des Staates nicht unterworfen. Diese Formulierung finde ich wenig schön und kommt für uns nicht in Frage. Dann heißt es weiter: Der Staat gewährt ihm Schutz und nimmt an seiner Pflege teil. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Wir haben dies im Grundgedanken bereits erfaßt. Dann kommt hier das Streikrecht, das haben wir erledigt. Bei Art. 15 will die DP an geeigneter Stelle folgenden Artikel einschalten: Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, Berufsbeamten zu —

übertragen

Das haben wir als Art. 27 a behandelt. Über diese Frage haben wir neulich mit Herrn Heile gesprochen. Zu Art. 17 sind besondere Wünsche hinsichtlich des Eigentums ausgesprochen, über die wir auch eingehend gesprochen haben. Ich glaube, diese Fragen sind zu den einzelnen Artikeln berücksichtigt worden. Nun kommen die Wünsche der DP hinsichtlich weiterer Artikel. Ich glaube, man kann das nur kursorisch machen: Ehe und Familie sind die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft. Sie stehen unter dem Schutz des Staates. Dann kommt das Elternrecht. Darüber haben wir Das haben wir behandelt. heißt hier in dem Abs. 3: Es eingehend gesprochen. Die Jugend ist gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche Verwahrlosung durch staatliche und gemeindliche Maßnahmen und Einrichtungen zu schützen. Fürsorgemaßnahmen im Wege des Zwanges können nur auf Grund des Gesetzes angeordnet werden. Hier erscheinen die ganzen Grundsätze aus der sozialen und kulturellen Ordnung bei der DP, wie sie im übrigen in ähnlicher Weise auch die Kommunisten geregelt sehen wollen32). Man kann da ja einzelnes durchgehen, aber im allge.

.

.



31) Prof. Hellmuth (!) zeßrecht und 32) Dok. Nr. 12.

von

Weber (1893-1970), seit 1937 Professor für Strafrecht,

Kriminologie

in Bonn.

Strafpro-

859

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Stellungnahme doch die, daß wir aus dieser kulturellen und nichts aufnehmen wollen. Dr. Bergsträsser: Ich würde beantragen, daß wir die Teile, die sich damit beschäftigen, zunächst nicht behandeln, denn solange wir auf der alten Linie bleiben, hat es keinen Zweck, daß wir uns damit die Zeit stehlen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man weiß nicht, ob etwas dahintersteckt. Dr. Eberhard: Der erste Artikel zeichnet sich durch große Kürze aus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben am Sonnabend darüber gesprochen. Das sind die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft. Dr. Eberhard: Diese prägnante Kürze hat unser Artikel leider nicht. Dr. Bergsträsser: Wir haben in der Fraktion eine andere Formulierung gefunden: Ehe, Familie und Kinder genießen den besonderen Schutz des Grundgesetzes. Das uneheliche Kind ist dem ehelichen gleichberechtigt. Dann müßte ein Zusatz kommen, genau wie bei der Gleichstellung der Frau, daß die betreffenden Gesetze mit einer Frist zu ändern sind. Dr. Heuss: Ich habe diesen Antrag auch gestellt33): .genießen die gleichen Rechte wie die ehelichen." Da haben die Juristen Dr. Süsterhenn und Dr. v. Mangoldt, und ich glaube auch Herr Dr. Grève Bedenken gehabt wegen der Auswirkung, weil das Problem auch neben dem Namen und anderen Geschichten eine starke Rolle spielt, so daß wir auf die Weimarer Verfassung in der Fassung zurückgekommen sind. Mein Antrag lautete ursprünglich genau so wie dieser, aber die Juristen haben in den Konsequenzen Bedenken gehabt. Dr. Bergsträsser: Deshalb wollten wir einen dritten Satz hinzunehmen, daß das Gesetz in einer bestimmten Frist Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es geht überhaupt nicht, weil praktisch die Lage in der Familie eines unehelichen Kindes eine andere ist als bei ehelichen Kindern. Man würde gleiche Rechte nur gewähren können, wenn der Vater gezwungen würde, mit der Mutter zusammenzuleben. Wenn es überhaupt den Begriff des unehelichen Kindes gibt, dann liegt das in der Sache selbst. Wenn es keine unehelichen Kinder geben würde, würde die Frage nicht auftreten, wenn Vater und Mutter immer gezwungen wären, in einer Familie zusammenzuleben. Dr. Weber: Ich habe mich zehn Jahre mit der praktischen und theoretischen Frage beschäftigt. Es ist unmöglich, diese Formulierung zu nehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es gibt einfach ein Sorgerecht. Da gibt es Unterschiede in der Namensführung und in all diesen Fragen, wo einfach keine Gleichheit herrschen kann. Dr. Weber: Wir wollen auch den Schutz und die Förderung, das andere, was Sie wollen, ist nicht durchführbar. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man kann zu dieser Frage stehen, wie man will, es muß sich die Mutter einer gewissen Verantwortung bewußt sein in der ganzen Situation, in der sie sich befindet. Die rechtlichen Konsequenzen können wir nach der Richtung nicht ändern. meinen ist

sozialen

unsere

Ordnung



33) Dok. 860

Nr. 38, TOP 2.



Dreißigste Sitzung Dr.

Bergsträsser:

gendwie

zu

Es würde sich darum

spezifizieren.

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handeln, das Wort „gleichberechtigt" ir-

Dr. Heuss: Darauf sind wir herausgekommen, ich habe es aber nicht vor mir. Ich habe mich von Juristen überzeugen lassen, weil ich die Konsequenzen nicht sah. Dr. Weber: Die Praktiker können einen noch mehr überzeugen. Wir hatten formuliert: Uneheliche Kinder haben die gleichen Rechte auf Förderung durch die Gemeinschaft wie eheliche Kinder. In der Weimarer Verfassung war eine ähnliche Bestimmung34). Dr. Bergsträsser: Diese Formulierung hat der Fraktion nicht genügt. Dann ist die andere beschlossen worden mit „gleichberechtigt". Ich gebe zu, daß die Gleichberechtigung noch irgendwie spezifiziert werden muß. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht könnte man sagen, die unehelichen Kinder haben gleiches Erbrecht. Aber nun denken Sie an die Fälle, wo mehrere Väter in Frage kommen, oder der Vater nicht festzustellen ist. Dr. Bergsträsser: Da ist es selbstverständlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber dann stimmt das Gesetz nicht. Dr. Bergsträsser: Nur die Durchführung ist unmöglich, der Satz stimmt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Satz stimmt nicht, denn es gibt Fälle, in denen es unmöglich ist. Wunderlich: Eine eheliches Waisenkind wäre auch nicht außerhalb des Familienrechts behandelt und hat auch kein Erbrecht, wenn keine Erbmasse da ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist anders bei Waisenkindern. Da ist die Vermögensmasse der Eltern oder des Vaters da. Da wird diese Vermögensmasse ererbt; das ist der Unterschied. Es liegt an der Ungleichheit zwischen Waisen-

kindern und unehelichen Kindern, indem das Waisenkind die Vermögensmasse der Eltern oder des Vaters erbt, während es bei unehelichen Kindern Fälle gibt, wo das nicht möglich ist. Deshalb ist da keine Gleichheit vorhanden. Wunderlich: Wie steht es beim Findelkind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht rein tatsächlich in vielem dem unehelichen Kinde gleich. Wunderlich: Wir haben Zehntausende von Kindern, wo wir nicht feststellen können, wo sie herkommen, sollen diese nun den unehelichen Kindern gleichgestellt werden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das steht nicht in der Vorschrift darin, sondern das steht nur für die unehelichen Kinder darin. Es wird versucht, das uneheliche Kind durch diesen Satz besserzustellen. Dieser ganze Satz will nicht etwa Kinder, die sowieso arm sind, nichts haben, noch schlechter stellen als sie sind. Es ist dies ein Grundsatz, dem wir beipflichten, daß diese armen Kinder, die nicht dafür können, was geschehen ist, die Last für etwas tragen, für das sie keine Verantwortung trifft. Das ist durchaus richtig, nur muß man sehr vorsichtig 34)

Art. 121 WRV. 861

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sein, daß sich nicht Konsequenzen ergeben, wegen deren

man sagen könnte, es ist das, was hier steht, gar nicht möglich. Dr. Bergsträsser: Es ist in der Mehrzahl der unehelichen Kinder doch der Vater nachweisbar und in der Mehrzahl der Fälle erfüllt der Vater die Unterhaltspflicht. Und da wäre es auch möglich, das uneheliche Kind am Erbe zu beteiligen, indem es genau so wie die andern das Pflichtteil bekommt. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Dann müßte man das hineinsetzen, diese Sondervorschrift. Ich glaube aber, wir können diese Diskussion jetzt abbrechen, denn wir können sie doch nicht zu Ende führen. Es hat keinen Sinn, dafür die Zeit zu

verschwenden.

gibt jetzt Zehntausende von Kindern, bei denen nicht zu ermitteln die Eltern sind, wer die Eltern waren, die ohne Papiere irgendwo aufgeist, worden sind im Zuge dieser Völkerwanderung, und die wir alle unter griffen Vormundschaft gestellt haben. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Was wollen Sie über diese Kinder in die Verfassung hineinbringen. Diese Kinder werden durch die Verfassung in keiner Weise schlechter gestellt, als die Kinder, die in einer Familie aufwachsen. Sie sind gleichgestellt, nur daß eine Familie nicht da ist. Dr. Weber: Diese Kinder sind unter das Jugendamt gestellt, und dort wird für Maier: Es wo

sie Sorge getragen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Die Findelkinder würden, sobald man die Zusammenhänge kennt, die Namen ihrer richtigen Eltern führen und alle Rechte ehelicher Kinder haben. Daß sie diese Rechte ausüben können, wird nur dadurch verhin-

dert, daß

die Eltern nicht kennt. in der Ausübung ihrer Rechte behindert. Uneheliche Kinder dagegen stehen den ehelichen Kindern gleich, haben dieselbe Stellung wie die übrigen. Findelkinder stehen nicht den ehelichen Kindern gleich, sie sind dadurch behindert, daß man gewisse Zusammenhänge nicht feststellen kann. Wenn diese festgestellt werden, ist ihre Stellung vollkommen gleich. Was wollen Sie nun da hineinsetzen, um die Stellung der Findelkinder zu verbessern, wenn dadurch diese unglücklichen Kinder, die keine Eltern haben, durch die Verfassung schlechtergestellt werden. Dr. Weber: Sie fallen alle unter das bestehende Reichsjugendwohlfahrtsgesetz35). Durch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, das in den zwanziger Jahren verabschiedet worden ist, unterstehen sie dem Jugendamt, kommen z. B. in Pflegestellen oder werden adoptiert. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Sie sind arm, weil sie keine Familie haben, das ist das eine, während das uneheliche Kind die Mutter hat, die sich um das Kind kümmern kann. Diese Findelkinder haben überhaupt nichts, müssen vom Staat versorgt werden. Dr. Weber: Im Dritten Reich wurde das Jugendwohlfahrtsgesetz niemals aufgeDr.

man

Bergsträsser: Sie sind aber

hoben.

35) Reichsjugendwohlfahrtsgesetz 862

vom

9.

Juli

1922

(RGBl. I, S. 633).

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Nr. 39

schlage vor, daß die Herren von der SPD mit einigen ihrer Juridarüber sprechen und nach einer gemeinsamen Formel suchen, die die Rechtskonsequenzen nicht unübersehbar macht. Wir haben die Diskussion auf Grund meines Antrags schon einmal geführt, und ich für mich persönlich habe mich überzeugen lassen, daß die Form in der Konsequenz zu weitgehend ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dürfen wir jetzt weitergehen. Die nächsten Artikel36) behandeln Schulpflicht, Erziehung. Hier heißt es: Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, gesund an Leib und Seele, in Lebenszuversicht, Gemeinsinn, Vaterlandsliebe und Heimattreue fest zu gründen und zu stärken. Es ist schwer, das als unmittelbar wirksames Grundrecht bei uns festzulegen. Dr. Bergsträsser: Ich beantrage Übergang zur Tagesordnung ohne Diskussion. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann kommt der Artikel über die allgemeine Schulpflicht. Das Schulwesen untersteht der allgemeinen Aufsicht des Staates. Diese ganzen Schulfragen sollten wir unter keinen Umständen in der Verfassung behandeln. Die Lehrer an öffentlichen Schulen haben die Rechte und Pflichten der Staatsbeamten. Über alle diese Fragen haben wir uns klar ausgesprochen. Die theologischen Fakultäten an den öffentlichen Hochschulen bleiben erhalten. Alle diese Fragen sind angeschnitten. Zeugnisse anerkannter Lehranstalten, Schulen und Hochschulen gewährleisten die damit verbundenen Rechte für das ganze Bundesgebiet. Dr. Heuss: Ich sten

Das ist eine Zweifelsfrage. Dr. Bergsträsser: Darüber ließe sich

reden, aber das würde nur unter der Vorwerden können, daß eben die Vorbildung die gleiche ist. aussetzung gemacht Wir können im Westen nicht junge Leute an die Hochschule lassen, die in einem Preßkursus von sechs Monaten im Osten zugerichtet worden sind, während wir Zeugnisse anerkennen können, wenn sie gleichberechtigt sind. Aber gehört das in unser Grundrecht? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben in unserer Fraktion darüber gesprochen, daß die kulturellen Angelegenheiten, darunter auch die Schule, zu den Länderangelegenheiten gehören und für uns die Verpflichtung erwächst, für eine einheitliche Anerkennung und gleiche Grundsätze in der Schulbildung zu sorgen37). Das geht nur durch irgendwelche Einrichtungen, die man über den Ländern hat, durch eine Kultusministerkonferenz oder, was ein wichtiges Bindeglied wäre, daß der Hochschultag, diese Vereinigung der Hochschulrektoren, diese Dinge in die Hand nimmt. Es ist unbedingt notwendig, daß wir ein einheitliches Abgangszeugnis von der höheren Schule haben. Das ist klar. Nur auf diese Art und Weise kann man bei dieser betonten Alleinzuständigkeit der Länder für Schulangelegenheiten eine gewisse Einheitlichkeit sichern. 36j Es wurden noch immer die Vorschläge der DP behandelt (vgl. Anm. 27). 37) Fraktionssitzung der CDU/CSU vom 4. Nov. 1948. Salzmann: Die CDU/CSU Rat, S.

129

im Pari.

f. 863

Nr. 39 Dr.

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Bergsträsser: Dafür ist notwendig, daß die Schultypen nicht radikal

schieden sind. Dr. Heuss: Ich habe

ver-

der Gefahr ja geredet, daß wir im Bildungsfundament der Hochschultag nicht genügen. Da muß eine Es wird auseinanderdrängen. Koordinationsstelle vorhanden sein rein technischer Natur, daß man sich über Lehrpläne usw. verständigt. Es darf dies aber kein Ministerium werden, es muß das im Innenministerium sein. Es hat etwas Ähnliches schon gegeben. Vor 1918 gab es solche Dinge nicht. Es gab aber regelmäßige Konferenzen der Kultusminister, und etwas Ähnliches muß ja vorhanden sein. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ohne gewisse Richtlinien des Bundes wird man nicht von

auskommen können. Dr. Bergsträsser: Das müßte in den Kompetenzausschuß38). Dr. Heuss: Das muß sich aus der Praxis der Länder ergeben. Grundsätzlich würde ich nichts dagegen haben. Das schafft dann eine Bundeszuständigkeit auf einem Gebiete, von dem man behauptete, daß es Länderangelegenheit sei. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin auf diesen Vorschlag mit dem Hochschultag nur gekommen aus diesen Gründen. Man hat hin- und herüberlegt, wie man es machen wollte. Man wollte auf eine Grundsatzgesetzgebung nicht hinaus, und da sagte man, es bleibt nichts anderes als eine besondere Instanz, in der man diese Dinge verhandelt. Man wollte es auf die Kultusministerkonferenz abschieben. Dr. Bergsträsser: Es bleibt nur eine Vereinbarung der Länder untereinander. Es ist die Frage, ob da eine Instanz geschaffen werden soll. Das wird sich im Laufe der Dinge ergeben. Ich glaube auch, es ist besser, wir sagen in der Verfassung nichts darüber, das kommt dann ex se. Es wird sich als notwendig herausstellen und alle werden froh sein, wenn einer das macht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit dem föderalistischen Element haben wir immer den Zweikampf zwischen diesen beiden Elementen. Im Bundesstaat ist er immer vorhanden, sonst gibt es keinen Bundesstaat mehr. Dann würden wir über diesen Artikel auch klar sein, daß man das nicht aufnehmen kann, so interessant und wesentlich diese Frage auch ist. Das künstlerische und kulturelle Schaffen ist als wichtiger Ausgleich gegen die Verarmung der Gemütskräfte zu fördern. Ich glaube, mit diesen Dingen können wir in unserem ductus nichts anfangen. Die Teilnahme an den Kulturgütern ist dem gesamten Volk zu erschließen. Das ist ein Satz, der bei den Vereinten Nationen in den Menschenrechten auf-

taucht39). Dann kommt die

von uns am

Sonnabend

ausgiebig

behandelte

Frage der Stel-

lung der Kirche. 3B) Im Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, der am

39) 864

te, wurde die Dok. Nr. 10.

Frage nicht mehr behandelt.

7. Dez. 1948 seine letzte

Sitzung hat-

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Dr. Heuss: Die Deutsche Partei ist eine tapfere Partei, sie hat vor dem Wort „Brauchtum" keine Angst. Dieses Wort „Brauchtum" ist in der Nazizeit erfunden

worden und hat sich verbraucht. Dr. Bergsträsser: Das Wort „Brauchtum" ist alt,

es

stammt

aus

dem Deutschen

Sprachverein.

Dr. Heuss: Ich halte das für ein saudummes Wort. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die nächsten drei Artikel betreffen die Kirche. Das ist

hier schon sehr eingehend besprochen worden. Sie enthalten die Dinge, über die wir am Sonnabend gesprochen haben: Bedeutung der Kirche, Selbstverwaltungsrecht, Verleihung der Ämter durch die Kirche, Beziehungen zwischen Staat und Kirche und Verträge zwischen ihnen. Der nächste Artikel enthält die von der Kirche unterhaltenen Einrichtungen zur Fortbildung der Geistlichen usw.; sie unterliegen nicht der Aufsicht des Staates, also auch Selbstverwaltungsrecht. Dann folgt das Thema des Eigentums der Kirche, das ist im nächsten Artikel. Wir brauchen da die Diskussion nicht mehr aufzunehmen. Dann kommt das Gemeinschaftsleben: Jedermann hat im Rahmen der Erfordernisse des Gemeinwohls Anspruch auf Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und Verhältnisse. Dr. Bergsträsser: Wir haben heute eine Eingabe von den Privatschulen40) bekommen, die erweist, daß die meisten Lehrer nicht deutsch können. Sie sprechen von Interessen und Belangen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Für unser Bemühen nur unmittelbar geltendes Recht aufzunehmen, fürchte ich, wenn es im nächsten Satz heißt: Die Vielfalt der persönlichen, beruflichen und sozialen Unterschiede im Aufbau der Gesellschaft wird als naturgegebene Notwendigkeit und Voraussetzung jeden Fortschrittes anerkannt. Das ist für uns schwierig zu übernehmen. Ich glaube, darüber brauchen wir nicht zu reden. Dann kommen Vorschriften, die in das Rechtliche hineingehen. Niemanden darf eine Handlung oder Unterlassung zugerechnet werden, für die er nicht persönlich verantwortlich ist. Das gehört in den Rechtspflege-Katalog, da finden sich alle diese Dinge. In diedas spielt im bürgerlichen Leben überall eine Rolle ser Allgemeinheit die Zurechnung einer Handlung regeln zu wollen, gehört nicht zu den Freiheitsrechten. Obrigkeitliche Anordnungen und Befehle eines Vorgesetzen entbinden nicht von der Verantwortung für Handlungen, die den Rechtsgedanken dieses Grundgesetzes oder den Strafgesetzen klar erkennbar widersprechen. Ein alter Grundsatz, der bei uns im Strafgesetzbuch immer so behandelt worden ist, den wir aber verfassungsrechtlich kaum verbürgen können. Bei Verfassungsbruch sowie rechts- oder sittenwidrigem Mißbrauch der Staatsgewalt wird ein Widerstandsrecht anerkannt. Das haben wir erörtert. —

40) Eingaben



Nr. 563 und 568 in: Z 5/110, Bl. 36-37.

865

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Öffentliche Amtsträger sind in diesen Fällen

zum

Widerstand

verpflich-

tet.

Die Armen, kann

man nur

sagen, auf der einen Seite haben sie eine besondere Seite eine Widerstandspflicht.

Treuepflicht, auf der anderen

Dann kommt der Presse- und Rundfunkartikel: Presse und Rundfunk stehen als Sachwalter der öffentlichen Meinung unter besonderer Verantwortung. Sie haben in direkter Weise allen Gruppen und Meinungen der Gesellschaft zur Verfügung zu stehen. Presse und Rundfunk haben wir ja geregelt. Bei uns heißt das: „die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk". Diese Frage ist gar nicht angeschnitten.

Wunderlich: Da ist noch eine Zweifelsfrage. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist richtig, daß solche Zweifelsfragen klargestellt werden müssen. Das ist nur zu begrüßen. Dr. Bergsträsser: Rundfunkfreiheit wäre gleich Pressefreiheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ausdrücklich nicht gesagt worden. Es ist das auch so beim Film, wenn Sie das nebeneinander halten. Beim Film ist sogar eine Zensur ausdrücklich zugelassen, da ist die Zensurfreiheit weggelassen. Dr. Eberhard: Es kann aber jeder ohne Zulassung einen Film machen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht wäre noch zu erörterrn, ob nicht doch dieser Vorschlag des NWDR41) noch einmal erörtert würde und wir sagten, daß zum Schutze der Freiheit der Meinungsäußerung diese Rundfunkgesellschaften als Anstalten des öffentlichen Rechts aufzuziehen sind. In Rheinland-Pfalz ist das auch so geregelt. Das ist eine Frage, die noch einmal erörtert werden kann. Dadurch würden die Zweifel ausgeräumt. Dr. Heuss: Die Amerikaner wehren sich dagegen42). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Weil sie private Rundfunkgesellschaften haben. Das wollen wir unter keinen Umständen. Daran würde das Grundgesetz wohl kaum scheitern, wenn wir das aufnehmen. Deshalb würde die Zustimmung der Besatzungsmächte wohl kaum verweigert werden. Das wäre eine geeignete Gelegenheit, diese Frage so zu regeln. Dann haben wir mit der Anstalt des öffentlichen Rechts zwar ein Aufsichtsrecht des Staates, aber nicht unmittelbar als eine Einrichtung des Staates, ähnlich wie in England. Das wäre sehr zu erwägen. Dann kommt ein Artikel bezüglich des Angriffs auf die verfassungsmäßigen

Grundlagen: Wer darauf

ausgeht, die christlichen, sittlichen oder verfassungsrechtlichen zu untergraben oder aufzuheben, Grundlagen des Gemeinschaftslebens ist nach Maßgabe des Gesetzes zu verfolgen. ...

41) Der Vorschlag des NWDR zur Rundfunk-Freiheit ließ sich nicht ermitteln. Zu den allge-

meinen Aspekten der unterschiedlichen Auffassung über die Gestaltung des Rundfunks in den Zonen und Ländern zwischen Deutschen und westlichen Alliierten vgl. Hans Bausch: Rundfunkpolitik nach 1945, 1. Teil München 1980, S. 13 ff. 42) Zur Rundfunk-Politik der Amerikaner vgl. Barbara Mettler: Demokratisierung und Kalter Krieg. Zur amerikanischen Informations- und Rundfunkpolitik in Westdeutschland 1945-1949. Berlin 1975. 866

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entspricht auch nicht unserer Art und Weise, die Dinge aufzuziehen. Aber Frage, die bei uns geregelt ist: Als Angriff auf die verfassungsmäßigen Grandlagen des Staates und der Gesellschaft gilt insbesondere: 1. der Mißbrauch staatlicher Befugnisse oder gesellschaftlicher Möglichkeiten zur Einschüchterung der öffentlichen Meinung oder der staatsbürgerlichen Entschließungsfreiheit. Das haben wir konkreter gesagt; darüber können wir nicht hinausgehen. Nun kommen die Artikel 21 und folgende. Damit wären die Grundrechte erledigt. Diese Fragen haben wir behandelt, da war Herr Heile selbst dabei. Artikel Das eine

21, die Staatsform; Abs. 2: Volk und Länder sind Träger der Bundesgewalt. Darüber ist auch gesprochen. Alle Rechte, die nicht durch Grundgesetz dem Bund übertragen sind, verbleiben den Ländern. Darüber haben wir auch gesprochen bei der Neugliederung; das Bundesgefüge darf nicht durch das Übergewicht eines Landes gestört werden. Da haben wir gesagt, der Bundesrat ist beteiligt, und die Frage, wann das Bundesgefüge gestört wird, kann man nicht festlegen, das ist ein Satz, der gar nicht in seinen rechtlichen Konsequenzen zu bestimmen ist. Dann kommt ein Sondervorschlag gegen Separationsbestrebungen oder Abtrennungsbestrebungen irgendeines Landes. Der Fall Oldenburg ist da besonders behandelt. Dann kommen die Normativbestimmungen: Die Verfassungen der Länder müssen die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger und namentlich die in diesem Grundgesetz niedergelegten Grundrechte sichern. Das wollten wir durch die Fassung unseres Abs. 1 erreichen. Dr. Eberhard: Was heißt das, Abs. 5 von Art. 27 streichen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber besteht auch bei uns Einigkeit. Dr. Heuss: Das haben sie gestrichen, weil sie in ihrer Fassung in Abs. 1 das gleiche schon sagen. Das ist nur ein redaktioneller Vorschlag. Dr. Eberhard: Art. 29 a ist durch den Grundsatzausschuß entschieden43). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Zusatz der hinzukommt: Das Gesetz bedarf der Zustimmung der Mehrheit der Länder, ist bisher von keiner Seite verlangt worden, daß bei irgendwelchen Entscheidungen, die die Führung der Bundesgeschäfte betreffen der Bundesrat ist sowieso an der Genehmigung beteiligt —, die Mehrheit der Länder eingeschaltet wird, zum Beispiel bei der Bildung der Europa-Union oder beim Beitritt zur UN. Da müßte jedesmal die Zustimmung der Mehrheit der Länder eingeholt werden. Das wirkt komisch. Dr. Eberhard: Wir haben den Beschluß gefaßt, daß das durch einfache Mehrheit beschlossen werden kann44). —

43) Vgl. Dok. Nr. 40. 44) Vgl. Dok. Nr. 25, TOP i. 867

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An den übrigen Anträgen der DP sind wir nicht beteiligt. Dann müßten wir noch die Anträge der KPD durchsprechen45). Die Anträge der FDP haben wir schon besprochen46). Der Artikel 12 betrifft die Monopolorganisationen, Art. 17 die Enteignung, Art. 18 die Entschädigung, darüber haben wir auch gesprochen. Die anderen Artikel stehen hier nicht in Frage. Das ist er-

ledigt.

[8. ANTRAG DER KPD BETR. SOZIALE GRUNDRECHTE (EINGABE NR. 98)] Dann kommt die KPD47). Das können wir auch

so

wichtigsten Punkte haben wir schon besprochen. für Kapitel besprochen worden.

kursorisch durchgehen. Die Der eine

Antrag ist Kapitel

Art. 1, überschrieben: „Soziale Grundrechte". Das geht schon in die Sozialordnung hinein: Die menschliche Arbeitskraft genießt den besonderen gesetzlichen Schutz. Darüber haben wir gesprochen; das sind Dinge, die nach eingehender Besprechung nicht behandelt werden sollen. Dr. Bergsträsser: Ich bin der Auffassung, daß wir die sozialen Grundrechte zurückstellen, bis die Frage entschieden ist, ob wir noch darauf kommen oder nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, darüber besteht Einvernehmen, daß diese Dinge zurückgestellt werden, bis diese ganze Frage geklärt ist. Wir müssen nur durchsehen, wieweit sich diese Anträge textlich auf die soziale Ordnung bezie-

hen. Durch Gesetze wird ein einheitliches Arbeitsrecht und Arbeitsschutzorgane maßgeblicher Mitwirkung der Gewerkschaften geschaffen. Das fällt auch unter Arbeitsrecht. Arbeitsbedingungen, 40 Stunden-Woche, das ist gesetzliche Regelung, das fällt alles darunter. Das Arbeitsentgelt muß der Leistung entsprechen und zur Befriedigung des Lebensbedarfs der Arbeiter und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen ausreichen. Dann kommt Art. 3: Männer, Frauen und Jugendliche erhalten für gleiche Arbeit gleichen Lohn. Die Frau genießt besonderen Schutz im Arbeitsverhältnis Die Frau hat während der Mutterschaft Anspruch auf besonderen Schutz und Fürsorge des Staates. unter

..

45) Anträge der KPD vgl. Dok. Nr. 12. 46) Anträge der FDP vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 47) Anträge der KPD vgl. Dok. Nr. 12. 868

86.

.

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Außereheliche Geburt darf weder der Mutter noch dem Kinde zum Nachteil gereichen. Das würde in unsere geregelten Fragen hineinfallen. Die Jugend wird gegen Ausbeutung geschützt. Das hatten wir schon bei den Anträgen der DP besprochen. Kinderarbeit ist verboten. Artikel 4 : Das Recht auf bezahlten Urlaub ; Artikel 5: Der Sonntagsschutz und der Feiertagsschutz; Artikel 6: Einheitliches soziales Versicherungswesen; Artikel 7 : Das Recht der Vereinigung zur Förderung der Lohn- und Arbeitsbe-

dingungen.

Das ist das Koalitionsrecht, das wir erfaßt haben. Darin steht dann auch, daß Abreden und Maßnahmen, die dieses Recht einschränken, verboten sind,

Artikel 8: Streikrecht Artikel 9: Betriebsvertretung, Betriebsräte, Aufgaben der Betriebsräte. Das ist dieser erste Abschnitt „Soziale Grundrechte". Ich glaube, das fällt alles unter das, was Herr Dr. Bergsträsser vorgebracht hat, was zurückgestellt werden soll. Dann kommt „Wirtschaftliche Grundrechte". Artikel 10: Die Wirtschaft hat dem Wohle und dem Bedarf des ganzen Volkes zu dienen und jedermann einen gerechten Anteil an dem Ergebnis der Produktion zu sichern. Dr. Eberhard: Es interessiert vielleicht, daß das Sätze aus der Verfassung des deutschen Separatstaates im Osten sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die wirtschaftliche Freiheit wird durch Gesetz gewährleistet: Durch Gesetz sind bei gleichberechtigter Mitbestimmung der Gewerkschaften alle erforderlichen Maßnahmen zu schaffen, um die Rohstoffgewinnung, die Erzeugung von Lebensmitteln und Fertigwaren planvoll zu lenken und die Erzeugnisse gerecht zu verteilen. Dann kommen diese Eigentumsvorschriften: Das Eigentum der Kriegsverbrecher und der großen Nutznießer des nationalsozialistischen Regimes sind ohne Entschädigung in Volkseigentum zu

überführen. Artikel 12: Alle privaten Monopolorganisationen sind aufgehoben und verboten. Diese Fragen sind alle bei der Frage des Privateigentums behandelt worden. Artikel 13: Alle Bodenschätze, alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte, sowie die für ihre Nutzbarmachung bestimmten Gebiete des Bergbaues, der Eisen- und Stahlerzeugung, der Energiewirtschaft und der chemischen Großindustrie sind in Volkseigentum zu überführen. Das gleiche gilt für Bankinstitute und Versicherungsunternehmen. Artikel 14: Veräußerung von Volkseigentum. Artikel 15: Privater Großgrundbesitz. .

.

.

869

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Artikel 16:

Grundbesitz, dessen Erwerb zur Erreichung gemeinnütziger Ziele wie WohStraßenbau, Siedlung und Urbarmachung und dergleichen im

nungs- und

öffentlichen Interesse liegt, kann nach näheren gesetzlichen Bestimmungen gegen Entschädigung eingezogen werden. Artikel 17: Private wirtschaftliche Unternehmen, die auf Grand ihrer allgemeinen volkswirtschaftlichen Bedeutung dafür geeignet sind, können durch Gesetz nach den für Enteignung geltenden Bestimmungen in Volkseigentum überführt werden. Nach all diesen Vorschriften kommt, daß das Privateigentum gewährleistet wird. Artikel 19: Beschränkungen des Eigentums und Enteignung können nur zum Wohle der Allgemeinheit vorgenommen werden. Artikel 20: Eigentum verpflichtet. Dann kommen die ganzen Sätze der Weimarer Verfassung dahinter, dann kommt eine Sondervorschrift für selbständige kleine und Mittelbetriebe, Landwirtschaft, Gewerbe und Handwerk zu fördern und zu schützen. Artikel 22: Zur Sicherung der Lebensgrundlage und zur Steigerung des Wohlstandes seiner Bürger ist durch die gesetzgebenden Organe unter unmittelbarer Mitwirkung der Bürger ein öffentlicher Wirtschaftsplan aufzustellen. Die Kontrolle seiner Durchführung ist Aufgabe der Volksvertretungen im Einvernehmen mit den Gewerkschaften. Artikel 23: Das Vermögen und das Einkommen werden progressiv nach sozialen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der familiären Verhältnisse besteuert. Das ist dieses Kapitel über die wirtschaftlichen Grundrechte. Das fällt entweder unter unser Kapitel Privateigentum oder unter die soziale Ordnung, ist also vorDamit sind Sie einverstanden. läufig zurückzustellen. Dann kommt „Erziehung und Bildung". Dafür sind fünf Artikel vorgesehen: Gleiches Recht auf Bildung. Das sind Dinge, die in die Kulturordnung hereingehören und die ebenfalls zurückzustellen wären. Allgemeine Schulpflicht, Verbot der Privatschulen, durch Vorstudienanstalten den Besuch der Hochschulen zu ermöglichen; Berufs- und Fachschulen sind an—

geführt. Artikel

26:

Jedem Kind muß die Möglichkeit zur allseitigen Entfaltung seiner körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte gegeben werden. Der Bildungsstand der Jugend darf nicht abhängig sein von der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Elternhauses.

Artikel 28: Die Kinder aller

Religionsbekenntnisse und Weltanschauungen werden geReligionsunterricht ist Angelegenheit der Religions-

meinsam erzogen. Der

gemeinschaften. 870

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Auch darüber brauchen wir nicht viele Worte zu verlieren. Das fällt unter diese kulturelle Ordnung und müßte auch einmal durchgesehen werden. [9. ARTIKEL AUS DEM RHEINISCHEN MERKUR VOM

30. OKTOBER 1948 ZUM

„FRAGEBOGEN-PROBLEM"] Ich habe hier noch einen Vorschlag aus dem „Rheinischen Merkur"48). Da heißt es: Ein geschändetes Grundrecht. Zu den vornehmsten Pflichten unserer Richter gehört es, jeden Angeklagten darauf hinzuweisen, daß er bei seiner Vernehmung sich nicht selbst zu belasten braucht und daß jeder Zeuge das Recht hat, die Aussage zum Nachteil seiner nächsten Verwandten und Angehörigen zu verweigern. Und nun kommt man zu folgendem Vorschlag: „Niemand darf unter Androhung oder Anwendung von körperlichem oder seelischem Zwang, vor allem nicht durch eidlichen oder eidesähnlichen Gewissensdruck zu Handlungen gezwungen werden, die ihn oder seine Angehörigen der Gefahr der Strafverfolgung oder der Bedrohung der Existenz aussetzen."

Das wollen sie als Grundrecht aufgenommen haben. Es heißt hier weiter: Um ihm Nachdruck und Rechtsschutz zu verleihen, sollte er als feierliches Grundrecht in folgender Form verankert werden. Dann kommt dieser Vorschlag. Weiter heißt es noch: Diese statistische Ausplünderung der Gewissen, die nur ein Volk von verzweifelten und zynischen Lügnern erzeugt, muß aufhören. Der kleine Bürokrat, der ein Formular entwirft, muß gezwungen werden, auf die seit Jahren vergebens gerügten Foltermethoden zu verzichten. Dahinter steht der Gedanke sich gegen den Fragebogen zu wehren. Das ist auch an anderer Stelle ausgeführt worden, diese Manie der Fragebogen. Ich weiß nicht, ob wir ein Grundrecht gegen die Fragebogen machen können. Ganz kann man die Fragebogen nicht abschaffen. Dr. Heuss: Es genügt vollständig für die große Statistik. Bei den Amerikanern ist es eine Volkskrankheit, die nicht für uns erforderlich ist. Wunderlich: Das ist ein recht heikles Kapitel. Es könnte jemand sagen, ich belaste mich, wenn ich über mein Vermögen Auskunft gebe. Da würden wir zu allen möglichen Konsequenzen kommen.

48) Laut Kurzprot. handelte es sich um einen Artikel aus dem Rheinischen Merkur vom 30. Okt. 1948 mit der Überschrift „Ein geschändetes Grundrecht" (Zeitungsausschnitt in Z 5/110, Bl. 151). Er war von Paul Wilhelm Wenger von der Redaktion des Rheinischen Merkurs unter dem 15. Nov. 1948 mit einem Begleitschreiben an v. Mangoldt gesandt worden. In ihm hieß es: „Herr Justizminister Dr. Süsterhenn und einige andere Mitglieder des Parlamentarischen Rates, mit denen ich über die Möglichkeit eines verfassungsmäßigen Schutzes gegen den allerorts üblichen Selbstbezichtigungszwang gesprochen habe, hat mir nahe gelegt, eine diesbezügliche Formulierung bei Ihnen als dem Vorsitzenden des Ausschusses für Grundrechte einzureichen." (Ebenda, Bl. 150, vom Sekretariat als Eingabe Nr. 629 bezeichnet). 871

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Mangoldt]:

Volkszählungen

Vors. [Dr.

v.

Bei

kommt

man um

den

Fragebogen

nicht herum. Dr. Heuss: Bei der

Vergebung von Stipendien ist das auch notwendig, damit Hintergrund hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Niemand darf unter Androhung oder Anwendung von körperlichem oder seelischem Zwang ." Das ist sehr schwer, das rechtlich man

einen

.

.

festzustellen. Wir können da vielleicht sagen, daß in dieser Form die Sache nicht durchführbar ist. Dr. Weber: Das ist eine vorübergehende Erscheinung. Wunderlich: Das läßt sich nicht generalisieren. Ich würde auch sagen, wenn die Besatzung aufhört, dann hört auch die Fragebogen-Manie auf. Dr. Eberhard: Nachher kommt das Besatzungsstatut, dann werden uns auch wieder Fragen vorgelegt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist aber kaum eine Möglichkeit, das so generell zu fassen, daß man zu einer befriedigenden Fassung kommen könnte, oder sehen Sie einen Weg? Aus diesem Grunde müssen wir dies ablehnen. Dr. Heuss: In die Grundrechte möchte ich das gar nicht hinein haben, vielleicht in die Rechtspflege. Wunderlich: Das liegt auf derselben Ebene, wir haben es oft festgestellt, daß es möglich ist, alles verfassungsrechtlich festzulegen. [10. EINGABE VON STUDENTEN ZUR AUSBILDUNG, FREIHEIT DER BERUFSWAHL UND ZUSTÄNDIGKEIT DES BUNDES] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe dann noch eine Eingabe von Studenten, die beim Parlamentarischen Rat gewesen sind49). Zu Punkt 1 sind wir ihrem Vorschlage nachgekommen, indem wir die Stätten der Ausbildung aufgenommen haben. Dann schreiben sie weiter: Wir halten es für ungerecht, wenn die qualifizierte Ausbildung nur den Personen zugänglich ist, die die Kosten dieser Ausbildung selbst tragen können. Nur durch das Erfassen aller begabten Kräfte und ihre bestmöglichste Ausbildung wird eine Überwindung des geistigen und materiellen Tiefstandes unserer Zeit möglich sein. Wir glauben, daß die Beibehaltung der bisherigen stark an finanzielle Voraussetzungen gebundenen Zugangsmöglichkeiten zu den Hochschulen den Widerstand dagegen vermehren und die berechtigten Forderungen der sozial Benachteiligten verstärken wird. Die damit auftretende Radikalisierung würde bewirken, daß mit dem nicht mehr Zeitgemäßen auch die wesentlich größere und lebendige Tradition unserer Hochschulen zerstört wird. Wir halten es deshalb für selbstverständlich, daß das natürliche Grundrecht auf Bildung in der Verfassung eines fortschrittlichen Staates verankert wird und schlagen folgende Formulierung vor:

49) Eingabe der „Studentischen Vertreter" beim Pari. Rat vom 25. Nov. 558

872

a

in: Z 5/95, Bl. 88, ferner als

Eingabe

1948 als

Nr. 628 in: Z 5/109, Bl. 147.

Eingabe

Nr.

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„Jeder Deutsche hat das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Ausbildung." Als unmittelbar zu verwirJdichendes Grundrecht ist das schlechterdings nicht zu denken. Wie wird das unmittelbar verwirklicht? In Kiel sind die Dinge sehr merkwürdig gelaufen. Dort ist auch diese außerordentliche Nachfrage gewesen. Wir haben sehr viele Anmeldungen gehabt, und schon im ersten Monat hat sich herausgestellt, daß von denen, die sich gemeldet haben, soviele nicht gekommen sind von den Zugelassenen, daß selbst die auf der Reserveliste Aufgestellten nicht mehr ausreichten. Es scheint der Zudrang stark nachzulassen. Dr. Eberhard: In Bonn ist es anders. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist aber interessant, daß diese Sache vollkommen anders verläuft, daß da schon ein Abflauen festzustellen ist. Dann kommt da noch eine Sache, die uns nichts angeht. Der Bund hat den Vorrang in der Gesetzgebung über (Art. 36): die Grundsätze für das Schulwesen einschließlich Hochschulwesen 1. und das wissenschaftliche Büchereiwesen. 2. Die Anerkennung und die gleiche Bewertung der in einem Land abgelegten staatlichen Prüfungen im gesamten Bundesgebiet. Die Frage haben wir auch schon besprochen50). Damit haben wir unser Material, das zu den Grundrechten vorgesehen war, durchgesehen und können abwarten, wie die Dinge im Hauptausschuß weiter verlaufen. —

[11. WEITERE BEHANDLUNG VON EINGABEN AN DEN AUSSCHUSS FÜR GRUNDSATZFRAGEN, ALLGEMEINES] Dr. Heuss:Wie ist diese Geschichte mit der Flaggensache? Dr. Bergsträsser: Wir haben uns die Sachen angesehen, Herr Lensing, Herr Dr. Reif und ich. Ich habe hier einen kurzen Bericht, möchte diesen aber Herrn Lensing und Herrn Dr. Reif geben. Er geht nicht an den Grundsatzausschuß, sondern wir sind vom Hauptausschuß eingesetzt51).

50) Vgl. S. 863. 51) Der Bericht

vom 6. Dez. 1948 als Entwurf, jedoch bereits von allen Beteiiigten gez., im NL Bergsträsser (UB Marburg, NL Bergsträsser, Pari. Rat, Mappe 3): „Die Zahl der Eingaben zur Fahnenfrage ist verhältnismäßig groß. Trotzdem ist sich der Unterausschuß darüber einig, daß sie exakte Rückschlüsse auf die Einstellung der Bevölkerung nicht erlaubt. Das zeigt sich schon darin, daß eine beträchtliche Anzahl der Einsendungen Vorschläge macht, die ihrer Art nach nur aus dem Hirn des betr. Verfassers entsprungen sein können. So kommen alle möglichen Farbkombinationen vor, auch fehlt es nicht an Vorschlägen, wie in der amerikanischen Fahne die Zahl der Länder durch Sterne zu bezeichnen; auch hat ein Einsender das Modell einer Fahne geschickt, wo auf weißem Grunde schwarz-rot-goldene Kreise oder zur Auswahl auch schwarz-weiß-rote Kreise angebracht werden. Der Ausschuß hat all diese Sonderbarkeiten beiseite gelegt. Wenn man den Rest einteilt, so findet sich neben einer Befürwortung der Hakenkreuzfahne, die vereinzelt ist, eine Reihe von Vorschlägen mit Schwarz-Weiß-Rot und eine ganze Anzahl von Vorschlägen, die Schwarz-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold zu einer neuen Einheit zu kombinieren versuchen. Auch diese sind nicht mehr zu berücksichtigen, nachdem der Hauptausschuß beschlossen hat, daß eine Kombination aus den Farben

873

Nr. 39

Dreißigste Sitzung 6. Dezember 1948

Dr. Weber: Ich habe noch eine ganze Mappe mit Eingaben52). Vors. Dr. v. Mangoldt: Wir müssen einmal noch über die Eingaben sprechen. Dr. Weber: Diese Eingaben erstrecken sich vor allem auf die Elternrechte usw., aber immerhin müssen wir wenigstens einen Rückblick darüber gewinnen, damit wir sehen, welche Kreise sich zu Wort melden. Dr. Eberhard: Wir müssen das bei der zweiten Lesung durchsehen. Vors. Dr. v. Mangoldt: Dann sind wir uns einig, daß wir einmal zusammentreten, um diese Eingaben zu besprechen53). Dann schließe ich die Sitzung.

[...]



Schwarz, Rot und Gold genommen werden soll. Die Einsender, die sich mit diesen Fahnenelementen beschäftigten, sprechen sich teils für Beibehaltung der alten Fahne, teils für eine Verbindung mit dem Kreuz aus, wobei mehrfach Einsender darauf hinweisen, daß die Kreuzfahne die Fahne der Männer des 20. Juli gewesen sei [. .] Im Ausschuß wurde noch zur Sprache gebracht, daß bei einigen Entwürfen die Farbelemente in der Reihenfolge Schwarz-Gelb-Rot angeordnet sind und damit zu Verwechslungen mit der belgischen Fahne Anlaß geben können." 52) Zur Flaggenfrage waren die Eingaben und Gestaltungsvorschläge so zahlreich, daß sie im Sekretariat des Pari. Rates in einer eigenen Bandserie gesondert abgelegt wurden (vgl. Z 5/99-106). 53) Vgl. Dok. Nr. 42, TOPl. .

874

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Nr. 40

Nr. 40

Präambel, Art.

1—29

c

in der

vom

Allgemeinen Redaktionsausschuß redigierten aus Teil A, Art. 1—85. Dezember 1948

Fassung. Abdruck 13.

Z 5/128, Bl. 168-189. Als Drucks. Nr. 370 vervielf.

Vorbemerkungen zur Präambel: Wesensgehalt einer Verfassung

Ausf.1)

Eine Präambel sollte

nur wenige markante, den kennzeichnende Gedanken in einer jedermann einprägsamen Form enthalten. Der Entwurf der Präambel, wie er vom Hauptausschuß am 10. Dezember 1948 beschlossen worden ist2), ist nach Auffassung des Redaktionsausschusses zu umfassend; er enthält eine historische Schilderung des Zustandekommens dieses Grundgesetzes und verbindet damit eine Reihe von Bekenntnissen, die in ihrer Häufung zu Wiederholungen führen. So wird von der Erhaltung der Einheit der Nation, der freien Gestaltung ihres nationalen Lebens, einem geeinten Deutschland in einem vereinten Europa, der Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts, der Vollendung der nationalen Einheit und Freiheit des deutschen Volkes gesprochen Formulierungen, in denen dieselben Gedanken immer wiederkehren. Ebenso spricht der I.Absatz davon, daß durch das Grundgesetz dem staatlichen Leben eine neue Form gegeben werden solle, sodann wird die freie Gestaltung des nationalen Lebens und schließlich das Grundgesetz als verfassungsmäßige Ordnung des staatlichen Lebens erwähnt. Die Entsendung von Abgeordneten, von denen mehrfach gesprochen wird, und die Unterbreitung des Grundgesetzes zur Annahme durch das Volk sind technische Vorgänge, die in der Präambel keine Erwähnung finden sollten, um so mehr als sie bereits aus den Übergangs- und Schlußbestimmungen ersichtlich sind. Ausgangspunkt sollte die Annahme des Grundgesetzes durch das Volk sein, das allein kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt die politische Entschei—

dung trifft.





Die Präambel gibt die subjektiven Empfindungen der Abgeordneten wieder, statt die politische Entscheidung des Volkes zu motivieren. Es kommt vielmehr darauf an, daß das deutsche Volk, soweit es über das Grundgesetz frei entscheiden kann, stellvertretend für seine von der Mitwirkung ausgeschlossenen Teile handelt.

!) Der Abdr. folgt in der typographischen Gestaltung dem Abdr. in den „Entwürfen" (S. 85—92), in dem auch die Drucks. Nr. 374 berücksichtigt wurde, durch die einige Korrekturen der Drucks. Nr. 370 erfolgten. Die in Drucks. Nr. 370 vorhandenen zahlreichen Unterstreichungen, deren Sinn nicht ersichtlich war, wurden nicht mit übernommen. In den „Entwürfen" war die Überschrift geändert worden in „Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13./16. Dezember 1948 zur Fassung der 1. Lesung des

Hauptausschusses."

2)

Die Präambel in der vom Dok. Nr. 44, Anm. 11.

HptA angenommenen Fassung

vom

10. Dez. 1948

abgedr.

in

875

Nr. 40

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Auch die Präambel der Verfassung von Weimar hat deren Vorgeschichte, insbesondere die Nationalversammlung mit keinem Wort erwähnt. Die Verfassung von 1849 hat auf eine eigentliche Präambel verzichtet. Die seither stets betonte Auffassung von der Fortexistenz des deutschen Staates kommt nicht oder nur unzulänglich zum Ausdruck. Im 1. Absatz wird davon gesprochen, daß dem staatlichen Leben in der Bundesrepublik „Deutschland" eine neue Form gegeben werden soll. Diese Fassung läßt es offen, ob die staatliche Fortexistenz Deutschlands bejaht wird oder nicht. Der Hinweis auf die Beschränkung der Souveränität durch die Besetzung klingt sehr nach Resignation. Der Wille zur Überwindung dieser Beschränkung sollte zum Ausdruck kommen. Die Erwähnung der Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins im Grundgesetz erscheint bedeutsam und notwendig, fedoch nicht unbedingt in der Präambel, da dadurch deren Gestaltung ganz auf die Tätigkeit der Abgeordneten abgestellt wird. Es wird empfohlen, in Artikel 148 f, in dem die Feststellung der Annahme des Grundgesetzes, seine Ausfertigung und Verkündung geregelt ist, die Mitwirkung von Abgeordneten Groß-Berlins als historisch bedeutsam festzuhalten. Der Redaktionsausschuß schlägt unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte

nachfolgende gekürzte Neufassung

vor:

PRÄAMBEL Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen,

Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-

Baden und Württemberg-Hohenzollern kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

I. DIE GRUNDRECHTE

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie

zu

achten und

zu

schützen ist

Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Die Freiheit und die Gleichheit des Menschen, seine Verpflichtung gegenüber dem Nächsten und gegenüber der Gesamtheit sind die Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. 876

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Nr. 40

(3) Dem Schutze dieser unveräußerlichen Güter dienen die Grundrechte. Sie binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Anm.: Die Würde des Menschen darf nicht nur im Schutz der staatlichen Ordnung stehen, sondern die staatliche Gewalt muß in erster Linie verpflichtet sein, sie auch selbst zu achten. Es empfiehlt sich, die einzelnen Menschenrechte, wie das Recht auf Freiheit, auf Gleichheit und deren Begrenzung durch die Verpflichtung gegenüber dem Nächsten und der Gesamtheit ausdrücklich zu erwähnen. Die Worte „auch in den Ländern" erscheinen überflüssig, da die Grundrechte infolge ihrer unmittelbaren Geltung auf jeder Ebene binden.

Artikel 2

Jedermann hat die Freiheit,

zu

verletzt und nicht gegen die verstößt.

tun

und

zu

die Rechte anderer nicht Ordnung oder das Sittengesetz

lassen,

verfassungsmäßige

was

Anm.: Artikel2 Absatz 1 in der Fassung des Hauptausschusses vom 10. Dezember 19483) spricht vom Recht auf Leben, das an keiner Stelle des Grundgesetzes eingeschränkt ist. Damit wäre die Todesstrafe abgeschafft. Abgesehen davon gehört das Recht auf Leben systematisch nicht in die Freiheitsartikel. Er spricht von dem Recht auf Freiheit, das oben in Artikel 1 Absatz 2 ganz allgemein erwähnt ist. Im übrigen in seinen einzelnen Erscheinungsformen in den Grundrechten

behandelt wird.

auf Sicherheit der Person ist ein Ausfluß der persönlichen Freiheit, die in Artikel 3 behandelt wird. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist ein Vorgang, der sich im wesentlichen außerhalb der staatlichen Ordnung vollzieht. Das Recht auf Nahrung, Kleidung und Wohnung kann nur im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung verweigert werden. Das Verbot einer solchen Beschränkung sollte in die Schluß- und Übergangsbestimmungen aufgenommen werden, da es nur während der zeitbedingten öffentlichen Bewirtschaftung von Wohnraum, Nahrung usw. Bedeutung hat. Bei Absatz 3 ist unklar, in welche Freiheit im Rahmen der Rechtsordnung eingegriffen werden darf. Sollte sich dieser Vorbehalt auf Absatz 1 und 2 beziehen, so stünde die gesamte menschliche Freiheit schlechthin unter Gesetzesvorbehalt und in denkbar weitestem Sinne, so daß hier im Grunde nur das rechtsstaatliche Prinzip der Verwaltung konkretisiert und damit „das Grundrecht" völlig leerlaufend wäre. Sollte es sich nur auf Absatz 2 beziehen, so wäre die Bestimmung widerspruchsvoll. Es ist ja wohl nicht beabsichtigt, in die freie Entfaltung von staatswegen einzugreifen. Wird Absatz 4 an dieser Stelle beibehalten, so würde er sich nur auf die in Artikel 2 garantierten Rechte beziehen: da aber jeder Eingriff in ein Recht den Rechtsweg eröffnen soll, ist es angebracht, diese Vorschrift am Schluß des Grundrechtteiles, etwa in Artikel 20 c, zu bringen. Ohne Rücksicht auf die Einordnung ist folgende Ergänzung nötig: „Soweit keine andere Zuständigkeit begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben (vgl. Artikel 138 c-1)". (Anmerkung berichtigt gemäß Anlage zu Drucksache Nr. 374). Das Recht

Artikel 3

11) Die Freiheit der Person ist unverletzlich. (2) Sie darf nur auf Grund eines Gesetzes und

vorgeschriebenen 3) Vgl. Dok. Nr.

nur

unter

Beachtung der darin

Formen beschränkt werden.

37.

877

Allg. Redaktionsausschuß,

Nr. 40

Personen dürfen weder

Festgehaltene

(3)

Art. 1-29

c

körperlich

noch seelisch mißhandelt

werden.

„willkürlich" in der Vorlage des Hauptausschusses ist in Artikel 7 des des Sozialausschusses der UN4) entnowmen; es ist zu wenig präzise Entwurfs und gibt der Rechtsprechung keinen Anhalt, ob und inwieweit ein Eingriff zulässig ist. Die vow Redaktionsausschuß vorgeschlagene Fassung enthält die bedeutungsvolle Vorschrift, daß nur auf Grund eines förwlichen Gesetzes im Gegensatz zur Verfassung einalso nicht auf Grund einer Verordnung oder Gewohnheitsrecht von Weimar gegriffen werden kann (vgl. Art. 20 c Abs. 1). Anw.: Das Wort ersten





Artikel 4

(entfällt) Artikel 5

(1) Die Freiheit des Glaubens1, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ist1 unverletzlich. Das Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird anerkannt. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete Erhebung2 es erfordert. (5) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz3. Anm. gen. Anm. Anm.

geringfügige

redaktionelle

Änderung vorgeschla-

1

In Absatz 1 Satz 1 wird eine

2

In Absatz 4 empfiehlt der Ausschuß Streichung des Wortes „statistische". In Absatz 5 scheint es erforderlich, ausdrücklich zu betonen, daß die nähere

3

Regelung

nur

durch

Bundesgesetz erfolgen

kann.

Artikel 6

(1) Die Freiheit der Meinungsäußerung1 in Wort, Schrift und Bild ist unverletz-

lich. (2) Die

die Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen insbesondere der Quellen, Rundfunkempfang und der Bezug von Druckerzeugnissen dürfen nicht beschränkt werden. (3) Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet2. Eine Zensur der Presse, des Theaters3, des Rundfunks und der öffentlichen Vorträge3 findet nicht statt4.

Unterrichtung und

4) Vgl. Dok. Nr. 878

10.

Allg. Redaktionsausschuß, Art.

1-29

Nr. 40

c

(4) Diese Rechte finden ihre Grenze in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend5 und in dem Recht der persönlichen Ehre6. (5) Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung zu offenbaren7. Anm. 1 Die in der Fassung des Hauptausschusses erwähnte Meinungsverbreitung ist ein Teil der Meinungsäußerung, deshalb empfiehlt der Ausschuß Streichung. Anm. 2 Pflicht der Presse usw., wahrheitsgetreu zu berichten als Grundpflicht zu erwähnen, erscheint überflüssig. Der Grundrechtsteil enthält sonst keine Grundpflichten. Die Folgen einer wahrheitswidrigen Berichterstattung ergeben sich aus den Vorschriften der Straf- und Zivilgesetze. Anm. 3 Das Verbot der Zensur muß auch für Theater und den öffentlichen Vortrag vorgesehen werden. Durch Artikel 7 wird die Freiheit des Theaters und der öffentlichen Vorträge noch nicht garantiert, da nicht jede Theateraufführung Kunst und nicht jeder öffentliche Vortrag Wissenschaft zu sein braucht. Anm. 4 Die Möglichkeit des Eingriffs, wegen Mißbrauchs der Pressefreiheit usw. sowie die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs ergeben sich bereits aus Absatz 3 und der Vorschrift des Artikels 20 c, Absatz 3. Es ist zu erwägen, ob in Artikel 7 1. Absatz hinter Abstammung einzufügen ist: „seiner ehelichen oder unehelichen Abstammung". Damit würde das uneheliche Kind dem ehelichen gleichgestellt werden. Artikel 7 a Absatz 3 wäre damit zu streichen. In den Übergangsvorschriften wäre sodann in Artikel 138c—2 hinter dem Wort „Frau" einzufügen „und des unehelichen Kindes". (Anmerkung berichtigt gemäß Anlage zu Drucksache Nr. 374). Anm. 5 Nicht allein die allgemeinen Strafgesetze, sondern die allgemeinen Gesetze müssen die Grenze bilden, wie z. B. ein Pressegesetz nicht nur strafrechtliche Vorschriften enthält. Anm. 6 Die Worte „insbesondere im Filmwesen" können gestrichen werden, da sie in der Fassung des Hauptausschusses nur einen Sonderfall der Jugendschutzbestimmungen darstellen. Anm. 7 In Absatz 5 ist aus sprachlichen Gründen das Wort „bekanntzugeben" durch —

„offenbaren"

zu

ersetzen.

Artikel

7

(1) Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. (2) Die Freiheit der Lehre der Wissenschaft entbindet die Lehrer an den Schulen und Hochschulen nicht von ihrer Pflicht zur Treue gegenüber dem Grund-

gesetz.

Anm.: Der

Redaktionsausschuß gibt wiederholt zu erwägen, ob nicht der oben vorgeAbsatz 2 des Artikels 7 beibehalten werden soll, durch den von den Lehrern an Schulen und Hochschulen eine besondere Loyalität gegenüber dem Grundgesetz verlangt wird. schlagene

Artikel 7-1

(1) Alle Deutschen1 sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln2. (2) Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden3. 879

Nr. 40 Anm.

Allg. Redaktionsausschuß, 1

Der

Redaktionsausschuß

Art. 1-29

c

hatte absichtlich die Gleichheit

vor

dem Gesetz

nur

für „alle Deutschen" und nicht für „alle Menschen" vorgeschlagen. Das entspricht auch

der Weimarer Verfassung. Der Ausländer kann verfassungsrechtlich dem Inländer gleichgestellt werden, z. B. nicht hinsichtlich Wahlen, Versammlungsfreiheit und Grunderwerbsfreiheit. Die Rechtsgleichheit für „alle Menschen" wäre allenfalls in einer Satzung der UN angebracht. Anm. 2 Absatz 1 Satz 3 erscheint überflüssig. Denn die dort verlangte Beschränkung des Gesetzgebers kommt bereits in Artikel 20 c Absatz 2 generell für alle Grundrechte zum Ausdruck. Anm. 3 Auch der seitherige Absatz 2 erscheint überflüssig, denn die staatsbürgerliche Gleichheit von Mann und Frau ergibt sich aus der Gleichstellung in Absatz 3. Im übrigen können staatsbürgerliche Pflichten von Mann und Frau nie gleich sein, andernfalls würde die Frau in gleicher Weise wie ein Mann zu einer Dienstpflicht z. B. zum Feuerwehrdienst usw. herangezogen werden können. nicht

Artikel 7 a

(1) Ehe und Familie stehen

unter

dem besonderen Schutze der staatlichen Ord-

nung.

(2) Jede Mutter hat gleichen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (3) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Anm.: Wenn Ehe und Familie unter den Schutz der staatlichen Ordnung gestellt werden, so sind damit zugleich die aus ihnen fließenden Rechte unter deren Schutz gestellt. Im übrigen bedarf es keines Hinweises auf die rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, wenn die Ehe als solche unter den besonderen Schutz des Staates gestellt wird. Artikel 7 a Absatz 3 hat nur programmatische Bedeutung. Er stellt grundsätzlich nur Richtlinien für den Gesetzgeber auf und hat darüber hinaus nur den Charakter einer Auslegungsvorschrift für die rechtsanwendenden Instanzen. Damit wird der Grundsatz durchbrochen, in den Grundrechtsteil nur unmittelbar geltendes Recht aufzunehmen.

Artikel 7 b

(1J Pflege und Erziehung des Kindes ist natürliches Recht und oberste Pflicht der Eltern1. Dieses Recht darf nur auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Ein Kind kann gegen den Willen der Erziehungsberechtigten von der Familie nur getrennt werden, wenn die Gefahr der Verwahrlosung besteht. (2) Der Religionsunterricht ist in allen Schulen ordentliches Lehrfach. Er wird nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften in ihrem Auftrag und unter ihrer Aufsicht erteilt2. „Das Recht der Erziehungsberechtigten, über die Teilnahme der Kinder am Religionsunterricht zu entscheiden, bleibt unberührt"3. ' Dieser Satz entspricht im wesentlichen Artikel 120 Wehn. Verf., der von dem natürlichen Recht der Eltern spricht und nur besagte, daß das Recht der Eltern nicht vom Staate verliehen sei, nicht aber besagen wollte, daß es der Gesetzgebungshoheit des Staates entrückt ist. Er enthält nur eine institutionelle Garantie. (Anmerkung berichtigt gemäß Drucksache Nr. 394.)

Anm.

880

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Nr. 40

2 Absatz 2 gehört eigentlich nicht in die Grundrechte, da er Regeln für das Schulwesen enthält. In den Grundrechten wird nur die Individualsphäre gegenüber dem Staat abgegrenzt. Zweifelhaft ist, ob der Religionsunterricht nur in Volks-, Mittel- und höheren Schulen oder auch in Berufs-, Fortbildungs- und Fachschulen ordentliches Lehrfach sein soll. Der Begriff Kirchen dürfte zu eng sein, da es Religionsgemeinschaften gibt, die nicht als Kirchen im eigentlichen Sinne anerkannt sind. Die Lehrer sind nach dieser Vorschrift, soweit der Religionsunterricht in Frage kommt, der unmittelbaren Aufsicht der Religionsgemeinschaften im Gegensatz zur Regelung der Weimarer Verfassung unterstellt. Anm. 3 Fassung berichtigt gemäß Anlage zu Drucksache Nr. 374.

Anm.





Artikel 8 (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden1. 1 Es taucht die Frage auf, ob z. B. aus Anlaß des Ausbruchs einer Seuche die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden kann. Dies ist notwendig. Nach seitheriger Rechtsauffassung war dies möglich, weil eine solche Beschränkung im Interesse der Versammlungsteilnehmer liegen konnte. Daher erscheint eine förmliche Einschränkung des Versammlungsrechtes nicht notwendig. (Anmerkung hinzugeßgt gemäß Anla-

Anm.

ge

zu

Drucksache Nr. 374).

Artikel 9

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. (3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden und Maßnahmen, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig. Ein Zwang zum Beitritt ist unzulässig.

Artikel 10

(1) Das Post-, Brief-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis ist unverletzlich. (2) Beschränkungen, dürfen nur auf Grund eines Bundesgesetzes, zu politischen Zwecken nur im Falle der Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung zu deren

Schutz

angeordnet

Anm.: Das

legrafen-

werden.

Briefgeheimnis ist teils enger, teils weiter Fernsprechgeheimnis gehen über den

und

als das Postgeheimnis. Auch TeBereich des Postalischen hinaus 881

Nr. 40

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

(vgl. z. B. die Benutzung der Fernsprech- und Telegrafeneinrichtungen der Eisenbahn für den Privatverkehr). Deshalb ist das Postgeheimnis selbständig neben Telegrafen-

und Fernsprechgeheimnis zu stellen. Satz 2 des Entwurfs des Hauptausschusses verbietet Beschränkungen zu Zwecken der politischen Überwachung. Gerade bei Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung muß zu deren Schutz ein Eingriff in dieses Recht möglich sein.

Artikel 11

(1) Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. (2) Dieses Recht darf auf Grund eines Gesetzes und nur dann eingeschränkt werden, wenn dies zur Abwehr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, zum Schutze der Jugend, zur Behebung der Raumnot oder zur Bekämpfung von Seuchengefahr zwingend erforderlich ist. Anm.: Wenn die Freizügigkeit auf „Bundesangehörige" beschränkt werden soll, macht sich ein Gesetz notwendig, in dem der Begriff der Bundesangehörigkeit genau um-

schrieben wird. Nicht nur aus diesen gesetzestechnischen, sondern auch aus politischen Gründen empfiehlt es sich, statt dessen „von Deutschen" zu sprechen. Der Redaktionsausschuß hat in den Übergangsbestimmungen eine Vorschrift vorgesehen, wer „Deutscher" ist. Im übrigen ist entweder Satz 1 oder Satz 2 überflüssig, da beide inhaltlich dasselbe besagen. Der Hauptausschuß hat in Artikel 139 d eine Einschränkung der Freizügigkeit bis auf weiteres für zulässig erklärt. Die Möglichkeit der Einschränkung der Freizügigkeit muß aber immer gegeben sein aus den in der Fassung des Redaktionsausschusses ersichtlichen Gründen.

Artikel 12

(1) Jeder Deutsche hat das Recht, Beruf und Arbeitsplatz1 frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer Dienstleistung2 gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen gesetzlichen Pflicht. Im übrigen darf ein Zwang zur Arbeit nur im Vollzug einer gerichtlich angeordneten Freiheitsbeschränkung3 ausgeübt werden. Anm. 1 „Ausbildungsstätte" wird zu streichen empfohlen, weil damit der Lehrlingszüchterei Vorschub geleistet werden könnte, da sich jeder Handwerksmeister auf dieses

Grundrecht berufen und beliebig viel Lehrlinge einstellen dürfte. Auch hier muß „Bundesangehöriger" durch „Deutscher" ersetzt werden. Anm. 2 Es wird vorgeschlagen, statt „bestimmten Arbeit" „Dienstleistung" einzusetzen, um einer nichtbeabsichtigten zu engen Auslegung entgegenzutreten. Es wird empfohlen, sowohl „herkömmlichen" als auch „für alle gleichen" zu streichen, da auch die Einführung einer neuen Dienstleistungspflicht unter gewissen bisher noch nicht aufgetretenen Gesichtspunkten nicht unmöglich gemacht werden darf; „für alle gleichen" ist zu eng, weil dann z. B. Spanndienste nicht mehr zulässig wären. Anm. 3 Die vorgeschlagene Fassung wird für ausreichend gehalten, da jede Zwangsarbeit, sei es im Strafvollzug, sei es etwa in der Fürsorgeerziehung nur auf Grund gerichtlicher Entscheidung, die die Strafhaft oder die Fürsorgeerziehung anordnet, möglich ist.

882

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Nr. 40

Artikel 13

(1) Die Wohnung ist unverletzlich. (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch andere in den Gesetzen vorgesehene Organe angeordnet und nur in den dort

vorgeschriebenen

Formen

durchgeführt

werden.

(3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen nur im Rahmen der Rechtsordnung zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden1. Der weggelassene Teile erscheint überflüssig, da hier nur Eingriffe und Beschränkungen von Seiten der öffentlichen Gewalt zu regeln sind und diese mit der vorgeschlagenen Fassung in vollem Umfang gedeckt werden.

Anm.

1

Artikel 14 (1) Das Eigentum und1 das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch das Gesetz bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Seine Ausübung findet ihre Grenzen in den Lebensnotwendigkeiten der Gesamtheit und in der öffentlichen Ordnung des Gemeinwesens2. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zulässig. Sie darf nur durch förmliches Gesetz131 oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, diese ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen zu bestimmen. aus sprachlichen Gründen vorgeschlagen. Gegen Sätze 2 und 3 der Fassung des Hauptausschusses bestehen Bedenken. Nicht jeder zulässige Gebrauch des Eigentums braucht zugleich dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen. Es gibt auch selbstsüchtigen Gebrauch des Eigentums, den man nicht verbieten kann. Im übrigen läßt die Fassung des Hauptausschusses völlig offen, was im einzelnen ein „Mißbrauch" ist. Das ist um so bedenklicher, als sich der mißbrauchende Eigentümer nicht auf die verfassungsmäßige Garantie seines Eigentums berufen darf und damit insofern vogelfrei wäre. Ein Mißbrauch würde bei der Fassung des Redaktionsausschusses vorliegen, wenn durch den Gebrauch des Eigentums die Lebensnotwendigkeiten der Gesamtheit verletzt oder die öffentliche Ordnung des Gemeinwesens beeinträchtigt würde. Wenn dies nicht genügt, und man deshalb Satz 3 bestehen lassen will, müßte man im einzelnen regeln, was Mißbrauch ist und die Eingriffe der öffentlichen Gewalt oder Dritter in solch mißbrauchtes Eigentum gesetzlich regeln. Alle diese Schwierigkeiten werden in der vom Redaktionsausschuß vorgeschla-

Anm. Anm.

1

2

Änderung

genen Fassung vermieden. Anm. 3 Der Redaktionsauschuß hält die von ihm vorgeschlagene Fassung weil in ihr ein förmliches Gesetz vorgesehen ist, vergleiche Artikel 20 c.

für besser,

Artikel 15 Wohle der Allgemeinheit und nur durch ein förmliches Gesetz dürfen Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel unmittelbar in Gemein-

Nur

zum

883

Allg. Redaktionsausschuß, Art.

Nr. 40

eigentum1 überführt werden. sprechend2.

Für die

1-29

c

Entschädigung gilt Artikel 14 Absatz 3

ent-

Anm. 1 Die rechtliche Bedeutung des Artikels 15 liegt darin, daß hier eine Enteignung nicht auf Grund eines Gesetzes in den darin vorgesehenen Verfahren und vermittels eines Verwaltungsaktes oder einer gerichtlichen Entscheidung erfolgen kann, sondern unmittelbar durch Gesetz. Der Ausspruch des Gesetzgebers führt den beabsichtigten Erfolg herbei, ohne daß es der sonst für einen Eigentumsübergang erforderlichen Formen bedarf. Das Gesetz hat in diesem Fall unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung. Insoweit ist Artikel 15 ein Sonderfall des Artikels 14 Absatz 3, soweit dort eine Enteignung durch Gesetz zulässig ist. Die Zuständigkeit ergibt sich aus Artikel 36 Zif-

fer 14 a. Anm. 2 Fassung berichtigt gemäß Anlage

zu

Drucksache Nr. 374.

Artikel 16 Die Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund politischen Gründen entzogen werden1.

eines Gesetzes,

jedoch

nicht

aus

Bundesangehörigkeit noch nicht geregelt ist, und es vorläufig Staatsangehörigkeit gibt, empfiehlt es sich, kurzer Hand von Staatsangehörigkeit zu sprechen. Der mit Artikel 16 beabsichtigte Gesetzeszweck dürfttle mit der vorstehend vorgeschlagenen Fassung voll erreicht werden. Im übrigen ist in der

Anm. nur

1

Da

zur

Zeit die

die deutsche

Fassung des Hauptausschusses das

Wort

„willkürlich"

zu

beanstanden, da damit

nur

gesetzloses Handeln erfaßt werde, nicht aber die Ausbürgerungen in einem gesetzlichen Verfahren ausgeschlossen werden. (Anmerkung berichtigt gemäß Drucksaein

che Nr. 394). Satz 2 der Fassung des

Hauptausschusses würde eine zu weitgehende Bindung des Gesetzgebers bedeuten, da es neben der beanstandeten Ausbürgerung im Staatsangehörigkeitsrecht auch berechtigte Fälle geben kann, in denen ein Verlust der Staatsangehörigkeit vorgesehen ist, auch wenn der Betroffene keine andere Staatsangehörigkeit besitzt oder erwirbt.

Artikel 171

(1) Kein Deutscher und kein

politisch verfolgter

Ausländer darf einer auswärti-

Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung ausgeliefert werden. (2) Jeder Deutsche, der wegen seines Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden verfolgt wird, genießt im Bundesgebiet Asylgen

recht.

1 Es empfiehlt sich nicht, das Asylrecht auch auf die politisch verfolgten Ausländer auszudehnen, da kein Anlaß besteht, das unbeschränkte Asylrecht auch unerwünschten Ausländern zu gewähren, insbesondere auch solchen, die aus ihren Heimatstaaten wegen aktiver Betätigung gegen die Demokratie in das Bundesgebiet geund das dürfte ein völlig ausreichender Schutz sein flüchtet sind. Dagegen soll jeder Deutsche und politisch verfolgte Ausländer nach dem Vorschlag des Redaktionsausschusses gegen eine Auslieferung an auswärtige Regierungen geschützt werden. Im übrigen erschien es angebracht, bei der Auslieferung sich der Formulierung der Weimarer Verfassung zu bedienen. Die vorgeschlagene Fassung gibt den Ausländern zwar ausreichenden Schutz gegen Auslieferung, läßt es aber zu, daß gegebenenfalls eine

Anm.



Ausweisung erfolgt.

884



Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Nr. 40

Artikel 18

(1) Das Recht zu wählen oder abzustimmen, die Wahlfreiheit und1 das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Wer wahlberechtigt ist, entscheidet das Gesetz2. (2) Jede Beschränkung der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die Möglichkeit freier Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten oder Parteien3 nicht genommen werden. 1 Aus sprachlichen Gründen. Im übrigen bedarf noch der Klärung, was unter Wahlfreiheit zu verstehen ist; soll damit etwa für Bund, Länder und Gemeinden die gesetzliche Einführung einer Wahlpflicht verfassungsrechtlich verboten werden? Anm. 2 Gesetz umfaßt sowohl Verfassung wie Wahlgesetz. Anm. 3 Parteigruppen ist zu streichen. Es ist nicht recht verständlich, was unter Partei-

Anm.

gruppen

zu

verstehen ist.

Artikel 19

(1) Jeder Deutsche hat nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen1 zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang. (2) Wer in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis steht, hat das Recht auf die zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und zur Ausübung ihm übertragener öffentlicher Ehrenämter nötige freie Zeit. Der Anspruch auf Vergütung bleibt erhalten, soweit nicht eine Entschädigung gewährt wird. Das Nähere regelt das Gesetz. Anm.

1

Wenn

man

diesen Artikel, dessen Inhalt durch den Grundsatz der Rechts-

gleichheit bereits verfassungsmäßig erfaßt ist, beibehalten will, dann wird man die Worte „im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung" insoweit abändern müssen, als weitere gesetzliche Bestimmungen zulässig sein müssen, in denen z. B. ein bestimmtes Alter der Amtsinhaber verlangt wird. Artikel 20

Jeder hat das Recht, sich einzeln oder gemeinsam mit anderen schriftlich Bitten oder Beschwerden

zu

an

die

zuständigen

Stellen und

an

die

mit

Volksvertretung

wenden. Artikel 20 a1

Die Grundrechte gelten auch für inländische Körperschaften und sonstige Vereimit eigener Rechtspersönlichkeit, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

nigungen

Die vom Hauptausschuß beschlossene Fassung erscheint teils zu weitgehend, insofern als auch eine Religionsausübung der juristischen Personen vorgesehen ist, teils zu eng, insofern auch noch andere Grundrechte, etwa das Briefgeheimnis in Anm.

1

885

Nr. 40

Allg. Redaktionsausschuß,

Im schen Personen den

Frage kommen.

Art. 1-29

c

übrigen dürfte kein Anlaß bestehen, auch ausländischen juristiverfassungsmäßigen Schutz der Grundrechte zu gewähren. Artikel 20 b

(1) Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 6), die Lehrfreiheit (Artikel 7), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9) oder das Post-, Brief-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis (Artikel 10) zum Kampfe gegen die freiheitliche oder2 demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. (2) Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen. (3) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Der Redaktionsausschuß hat Bedenken gegen die im Hauptausschuß angenomFormulierung. Die Feststellung allein, daß die Grundrechte verwirkt werden, würde bedeuten, daß jede Verwaltungsbehörde sich im Einzelfall, vielleicht sogar gegen Gruppen von Personen auf diese Bestimmung berufen könnten. Das würde bedeuten, daß die Grundrechte durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt werden. Der Schutz des Betroffenen, gegen eine solche Entscheidung ein Gericht anzurufen, reicht nicht aus. Vielmehr muß bei der außerordentlichen Bedeutung eines solchen Eingriffs verlangt werden, daß er nur durch das Bundesverfassungsgericht vorgenomAnm.

1

mene

men

Anm.

werden kann. 2

Fassung berichtigt gemäß Anlage

zu

Drucksache Nr. 374.

Artikel 20 c

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht nur auf Grund eines Geeingeschränkt werden kann, muß die Einschränkung des Grundrechtes in dem Gesetz allgemein geregelt sein. Es darf nur als förmliches Gesetz erlassen werden und muß das Grundrecht namentlich unter Angabe der es regelnden Gesetzesstelle bezeichnen. (2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. (3) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. setzes

II. ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN

Artikel 21

(1) Deutschland ist eine demokratische und soziale Bundesrepublik. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. (3) Sie wird vom Volk nach diesem Grundgesetz durch Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Rechtsprechung

und der vollziehenden Gewalt wortlich. 886

ausgeübt.

Die

Regierung

ist dem Volke verant-

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Nr. 40

(4) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die Rechtspreund die vollziehende Gewalt sind an Gesetz und Recht gebunden.

chung

Artikel 21

a

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre ist frei1. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen ent-

Gründung sprechen2.

(2) Eine Partei, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche oder demokratische Grundordnung zu beseitigen, ist durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig zu erklären.

(3) Die Vorschriften über Parteien finden auf andere Vereinigungen Anwen-

dung,

soweit sie Wahlvorschläge zum Bundestag oder zu Volksvertretungen in den Ländern einreichen oder ein Volksbegehren betreiben. (4) Das Nähere regeln Gesetze des Bundes3. Der Ausdruck „Bildung" ist, weil mißverständlich, ersetzt durch „Gründung". Der Gesetzgeber sollte sich bei einer Regelung der inneren Ordnung der Pardarauf beschränken, daß ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entspricht, (z. B. Wahl der Organe der Parteien durch regelmäßig wiederkehrende geheime Wahlen, Notwendigkeit der Aufstellung von Satzungen und Programmen, die einer Abstimmung zu unterziehen sind. Aufsteilung von Kandidaten auf Grund von Vorschlagslisten, auf die die Mitglieder Einfluß haben sollen. Ablegung von RechenAnm. Anm. teien

1

2

schaftsberichten über die politische Tätigkeit und der Finanzwirtschaft gegenüber den Mitgliedern.) Anm. 3 Fassung berichtigt gemäß Anlage zu Drucksache Nr. 374. Artikel 21 b Die Farben des Bundes sind

Beschlußfassung

über die

Schwarz, Rot und Gold.

Gestaltung

vom

Hauptausschuß ausgesetzt.

Artikel 22

(entfällt) Artikel 23

(entfällt, vgl. Artikel

45

und 66 Absatz 3)

Artikel 24

Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebiets sind nur wirksam, wenn das beteiligte Land und die beteiligte Bevölkerung zustimmen1. Anm.

1

nicht

nur von

notwendig, die Wirksamkeit der Abtretung und des Austauschs der Zustimmung der beteiligten Bevölkerung, sondern wie das die

Es erscheint



887

Nr. 40

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

auch von der Zustimmung des beteiligten Landes Verfassung von Weimar vorsah abhängig zu machen. Absatz 2 kann gestrichen werden, da die Gültigkeit von Staatsverträgen nach Artikel 81 bereits eines Bundesgesetzes bedarf. —

Artikel 25

(entfällt) Anm.: Der Artikel

daktionsausschuß kung dort.

gehört seinem Inhalt nach in die Ubergangsbestimmungen. Der Reempfiehlt, ihn dort als Artikel 138 aa aufzunehmen, vgl. die Anmer-

Artikel 261

(1) Der Gebietsbestand der Länder kann durch Bundesgesetz geändert werden. (2) Wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbezirkes von mindestens der Größe eines Kreises eine Änderung der Landeszugehörigkeit verlangt, so hat die Bundesregierung ein diesem Antrag entsprechendes Gesetz einzubringen. Im übrigen kann ein Gesetz zur Änderung des Gebietsbestandes nur eingebracht werden, wenn ein überwiegendes Bundesinteresse es erfordert. (3) Stimmen die beteiligten Länder zu, so genügt ein einfaches Bundesgesetz. (4) Stimmen die beteiligten Länder oder eines von ihnen nicht zu, so bedarf das Bundesgesetz der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags und der Stimmen des Bundesrats. Das Gesetz ist in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen, bei der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. (5) Die Bildung eines neuen Landes kann nur erfolgen, wenn mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung des Gebiets, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, es verlangt2. Das von der Bundesregierung einzubringende Gesetz bedarf zur Annahme der für eine Änderung des Grundgesetzes vorgesehenen Mehrheiten. Eine weitere Volksabstimmung findet nicht statt. (6) Bei Streitigkeiten über Vermögensauseinandersetzungen aus Anlaß der Änderung des Gebietsbestandes der Länder entscheidet das Bundesverfassungsgericht. (7) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Bezugnahme auf Absatz 1 des bisherigen Artikels 25 ist fortgelassen worÄnderung des bloßen Gebietsstandes nach erfolgter Neugliederung auch andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. Anm. 2 Nach der seitherigen Fassung wäre die Bildung eines neuen Landes wegen überwiegendem Bundesinteresse durch einfaches Gesetz oder durch Gesetz nach Maßgabe des Artikels 26 Absatz 4 möglich. Nach der Neugliederung der Länder sollte aber die Bildung eines Landes nur möglich sein, wenn die Bevölkerung es verlangt und nur unter den erschwerenden Voraussetzungen einer Änderung des GrundgesetAnm.

1

Eine

den, weil bei der

zes.

888

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Nr. 40

Artikel 27

(1) Die

verfassungsmäßige Ordnung

in den Ländern muß den Grundsätzen des

republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. (2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten

der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln und durch eigene der gewählten Vertretung des Volkes verantwortliche Organe auszuführen. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbst-

verwaltung. (3) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern und ihre Übereinstimmung mit den Vorschriften dieses Grundgesetzes wird vom Bund gewährleistet1.

1 Der Ausschuß empfiehlt Streichung des Absatzes 4. Die Verfassungswirklichkeit wird durch die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts, nötigenfalls durch Ausübung des Bundeszwanges gewährleistet. Der Absatz 4 könnte dahin ausgelegt werden, daß Rechte dem Bund darüber hinaus eingeräumt werden sollen, um zu erreichen, daß das staatliche Leben in den Ländern dem Grundgesetz entspricht. Außerdem ist die daß das staatliche Leben der Länder den Grundrechten und den BeFassung: stimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht" wenig schön.

Anm.

„.

.

.,

Artikel 27 a in jedem Lande die des Landes selbst.

Jeder Deutsche hat

Angehörigen

gleichen

Rechte und Pflichten wie die

Artikel 27 b

Ausübung hoheitlicher Aufgaben ist übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen

(1) Die dauernde ten

zu

nis1 stehen. (2) Den hergebrachten Grundsätzen über die ist Rechnung zu tragen.

in der Regel BerufsbeamDienst- und Treueverhält-

Rechtsstellung

der Berufsbeamten

Anm. 1 In einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zum Staate stehen nicht nur Beamte, sondern auch Angestellte des Staates, wie der weitergehende Begriff des Beamten im Strafrecht erkennen läßt; auch wird durch die förmliche Verpflichtung eines Angestellten auf Grund bestehender Gesetze ein Treueverhältnis in gewissem Umfang begründet. Schließlich steht jeder Staatsbürger in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zum Staat. Deshalb muß auf Dienst- und Treueverhältnis abgestellt wer-

den.

Artikel 29

allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind sungsrechts1 und erzeugen Rechte und Pflichten des Bundesgebiets. Die

Bestandteil des Bundesverfasunmittelbar für alle Bewohner

889

Nr. 40

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Anm. 1 Es wird angenommen, daß unter den allgemeinen Regeln des Völkerrechts solche zu verstehen sind, die von der Allgemeinheit der Völkergemeinschaft anerkannt sind, ohne daß es dabei auf die Anerkennung durch den Bund ankommt. Der Aus-

druck „Bundesrecht" führt an dieser Stelle zu Auslegungsschwierigkeiten. Wird darunter nur gewöhnliches Bundesrecht verstanden, so würde die Anwendung einer allgemeinen Regel des Völkerrechts durch gewöhnliches Bundesgesetz ausgeschlossen werden können. Der Sinn des Artikels 29 soll wohl der sein, daß die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" durch einfaches Gesetz nicht außer Kraft gesetzt werden können, also den Rang von Bundesverfassungsrecht haben sollen. Eine allgemeine Regel des Völkerrechts soll offenbar nur dann keine Anwendung finden können, wenn sie entweder im Laufe der Entwicklung des Völkerrechts ihren Charakter als allgemeine Regel des Völkerrechts verliert oder aber ihre Nichtanwendung durch verfassungsänderndes Gesetz festgelegt wird. Nur dann, wenn die allgemeine Regel des Völkerrechts den Charakter von Bundesverfassungsrecht hat, wird ihr gegenüber entgegenstehendes Bundesrecht zurücktreten müssen. Aus diesem Grunde muß es nach Auffassung des Redaktionsausschusses heißen: „sind Bestandteil des BundesverfassungsUnter Völkerrecht im Sinne des Artikels 29 kann nur das Völkerrecht im rechts. engeren Sinne und nicht das internationale Privatrecht verstanden werden." (Anmerkung berichtigt gemäß Anlage zu Drucksache 374). —

Artikel

29-1

Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte1. Anm.

1 Die Aufnahme dieses Artikels ist erforderlich, um den deutschen Kauffahrteischiffen die Rechte zu sichern, die nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts oder nach bestehenden Völkerrechtsverträgen eine nationale Handelsflotte besitzt.

Artikel

29

a

(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrich-

tungen übertragen.

(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anschließen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern1. (3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund einer allgemeinen, umfassenden, obligatorischen, internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten. Die in dieser Schiedsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen binden unmittelbar. Anm.

1 Die Beschränkung auf die Einordnung des Gebiets in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit erscheint zu eng. Die Wahrung des Friedens kann eine Einordnung in ein derartiges System erforderlich machen, ohne daß das Gebiet als solches eingegliedert werden muß.

Artikel 29 b

Handlungen, die geeignet sind,

das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören1 und in dieser Absicht vorgenommen werden, sind verboten und unter Strafe zu stellen2. 890

Allg. Redaktionsausschuß,

Art. 1-29

c

Nr. 40

1 Die Worte „insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten", sind zu streichen, weil die Vorbereitung eines Krieges zu den Handlungen gehört, die das

Anm.

friedliche Zusammenleben

stören.

„verfassungswidrig" ist an dieser Stelle nicht ausreichend solche Handlungen sollten bereits kraft Verfassung verboten sein. An dieses Verfassungsverbot muß sich dann ein Bundesgesetz mit entsprechenden Rechtsfolgen anschließen. Deshalb wird die alte Formulierung des Redaktionsausschusses vorgeschlagen. In diesem Fall hat die Exekutive sofort eine Handhabe, um kraft des verfassungsrechtlichen

Anm.

2

Der Ausdruck



Verbotes einzuschreiten. es bei dem Ausdruck „verfassungswidrig" bleibt, muß digkeit des Bundesverfassungsgerichtes zur Feststellung der schaffen werden. Wenn

zwangsläufig die ZustänVerfassungswidrigkeit ge-

Artikel 29 c

Kriegführung geeignete Waffen dürfen nur mit Genehmigung der desregierung hergestellt, befördert oder in Verkehr gebracht werden1. (2) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. (1) Zur

Anm.

1

Fassung berichtigt gemäß Anlage

zu

Bun-

Drucksache Nr. 374.

891

Einunddreißigste Sitzung

Nr. 41

16.

Dezember 1948

Nr. 41 des Ausschusses für 16. Dezember 1948

Einunddreißigste Sitzung

2-26.J) Stenogr. Wortprot. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 25-27. Drucks. Z 5/35, Bl.

vom

5.

Jan. 1949,

von

Grundsatzfragen Herrgesell

gez.

Nr. 488

Anwesend2): CDU/CSU: Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Schräge, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich FDP: Heuss DP: Heile Dienst: Herrgesell Dauer: 13.34-17.08 Uhr

Stenografischer

[1. BEHANDLUNG VON EINGABEN INSBES. AUS DER

BEVÖLKERUNG]

Dr. Eberhard: Die

Eingabe Nr. 2603) enthält ein neues Deutschland-Lied nach der Melodie des Deutschland-Liedes. Man kann darüber vielleicht zur Tagesord-

übergehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Der Einsender der Eingabe Nr. 5804) hat schlechte Erfahrungen mit Finanzämtern gemacht. Er meint, die Finanzämter gingen so vor, wie ein Bürger im privaten Geschäftsleben wohl nicht vorgehen würde, ohne vor den Strafrichter zu kommen. Er wünscht keine Gesetze und Verordnungen mehr, die so gestaltet sind, daß die allgemeine Rechtsmoral letzten Endes unterhöhlt wird. Zu diesem nung

Punkt ist nichts weiter zu sagen. Dann will der Einsender eine Sicherung dagegen haben, daß man keine 8—9jährige Grundschule in Deutschland einrichtet. Er behauptet, das würde nur von Leuten befürwortet, die hohe Begabungen auf alle Fälle unten halten wol-

len. Ich würde darüber zur Tagesordnung übergehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 5725) betrifft die Pressegesetzgebung. Das ist der allen Anwesenden wohlbekannte Aufsatz aus der Deutschen Zeitung. Es wird dort besonders befürwortet, die Gewerbefreiheit nicht voll einzuführen. Das ist bei dem Artikel über die Meinungsfreiheit berücksichtigt. Wir können die Eingabe als erledigt erklären. !) Bl.

2) 3) 4) 5)

892

27—32 (S. 5—7 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen vom Sekretariat aus dem Prot, entfernt und neu geschrieben. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Die Eingabe Nr. 260 ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 580, in: Z 5/110, Bl. 73. Eingabe Nr. 572, in: Z 5/110, Bl. 65. Der Nordwestdeutsche Zeitungsverleger-Verein e. V„ gez. Emil Gross, übersandte die November-Ausgabe der Pressezeitschrift „Die Deutsche Zeitung" mit einem Leitartikel zu Fragen der künftigen Pressegesetzgebung. Die Zeitung wurde nicht mit zu den Akten genommen.

Einunddreißigste Sitzung

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Nr. 41

In der Eingabe Nr. 5636) des Westdeutschen Autorenverbandes e. V., Düsseldorf, wird demgegenüber für völlige Pressefreiheit eingetreten. Es heißt, das heutige Lizenzierungssystem dürfe nicht durch Bundesgesetz verewigt werden. Auch diese Eingabe ist durch den bezeichneten Artikel als erledigt zu erklären. (Widerspruch erhebt sich nicht.) In der Eingabe Nr. 5417) wird gesagt, wir möchten bedenken, daß eine kleine Militärmacht in Deutschland wiederaufgebaut wird. Wir können hierüber zur

Tagesordnung übergehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 5658) des Oldenburgischen

Landesbundes betrifft die Neugliedaß alle eine Denkschrift bekommen Es ist wir erinnerlich, derung der Länder. haben. Dieser Brief gibt zunächst einmal die Fassung unseres Artikels wieder und moniert, spätere Gebietsänderungen würden im allgemeinen durch Volksbegehren herbeigeführt, dabei würde ein sehr hoher Prozentsatz von einem Drittel der Bevölkerung gefordert, ferner werde für die Bildung neuer Länder verfassungsändernde Mehrheit verlangt. Wir sind bei der Gebietsaufgliederung von dem gegenwärtigen Tatbestand ausgegangen. Der Einsender möchte, daß die ihrer Selbständigkeit beraubten und in andere Länder eingegliederten Länder nachträglich die gleichen Rechte haben, wie sie Art. 24 der Bevölkerung der anderen Gebiete gibt. Er denkt an Oldenburg, also nur an die britische Besatzungszone. Er will folgenden Artikel haben: „Auch für die Gebiete, deren Länderzugehörigkeit nach 1945 verändert worden ist, ohne daß die Bevölkerung Gelegenheit hatte, durch Volksabstimmung ihren Willen kundzutun, ist eine Volksabstimmung herbeizuführen." Man dürfe das nicht ins Belieben der Bun-

desregierung stellen.

(Dr. Heuss: Wollen die Oldenburger auch wieder Birkenfeld und Eutin ha-

ben?) Das steht nicht da. Das eine Drittel liegt ihnen noch sehr am Herzen. Er sagt: Wir haben so viele Flüchtlinge, wir müßten zwei Drittel der ursprünglichen Bevölkerung mobil machen, um das eine Drittel zu erreichen, weil die Hälfte der Bevölkerung, die Flüchtlinge, sich für die Sache nicht interessiert. Das Ganze geht von dem Mißverständnis aus, daß die Änderung nach dem zweiten Artikel nicht sofort schon möglich sei. Der Einsender meint, dieser Artikel gelte erst später. Das ist der grundlegende Irrtum des Schreibens. Es ist die Frage, ob man das dem Einsender mitteilen sollte. Dr. Heuss: Die beiden Artikel kommen im Hauptausschuß noch einmal dran9), weil von der CDU-Fraktion die Zurückstellung der Abstimmung beantragt worden ist. Dr. Eberhard: Will die CDU gerade diesen Fall mitberücksichtigen? Wunderlich: Bis jetzt geht aus der Haltung der CDU klar hervor, daß sie im Grunde genommen das Gegenteil, eine Verschärfung der Bestimmungen betref—

6) 7) 8) 9)

Eingabe Nr. 563, in: Z 5/110, Bl. 61. Eingabe Nr. 541, in: Z 5/110, Bl. 11-12. Eingabe Nr. 565, in: Z 5/95, Bl. 2-12. Vgl. 27. Sitzung des HptA vom 15. Dez. 1948; Verhandlungen,

S. 322. 893

Nr. 41

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Dezember 1948

fend die Neugründung von Ländern auf dem Gebiet schon bestehender Länder will. es ist noch nicht Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Anträge gehen vorläufig dahin endgültig darüber beschlossen worden —, daß die Zustimmung der Länder noch weiter eingeschaltet wird. Wunderlich: Das bedeutet, daß eine Neugründung praktisch nicht mehr möglich ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist gerade gegenüber der Oldenburger Frage gefährlich. In unserer Fraktion wird das noch besonders besprochen, weil ein Vertreter, den wir hier im Grundsatzausschuß erlebt haben, mit aller Energie den —

oldenburgischen Standpunkt

vertreten

wird10).

Wunderlich: Herr Wirmer hat den entgegengesetzten Standpunkt vertreten. Er hat gesagt, Oldenburg will sich nicht selbständig machen, sondern will nur, daß seine Volkstumsrechte nicht angetastet werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Er will aber bei der ersten Neugliederung auf keinen Fall eine Zustimmung der niedersächsischen Regierung haben. Dr. Heuss: Hält er im Falle von Oldenburg die Voraussetzung eines tragfähigen Landes für gegeben? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das glaubt er nicht. Sie wollen nur eine andere den Zusamdas geht aus der Denkschrift11) hervor Regelung, entweder Westfalen oder die aus Teilen eines Weser-Ems mit Landes menschluß Bildung von Niedersachsen; Oldenburg und Westfalen. Dr. Eberhard: In einem Punkt des Schreibens wird gesagt, daß man bei der Neugliederung auf die Lage vor den Änderungen durch die Militärregierung zurückgehen sollte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist zu überlegen, ob man tatsächlich für die Länder der britischen Zone eine Sonderbestimmung vorsehen sollte, die den Ländern, deren Grenzen verschoben worden sind, ohne das Volk zu befragen, die Möglichkeit einer Volksabstimmung gibt. Dr. Eberhard: Im Fall von Hessen und von Hohenzollern gilt das auch. Dr. Heuss: So etwas Blödes wie Braunschweig war kaum zu finden. Es war ein aus einer Reihe von größeren Exklaven bestehendes Gebiet12). Oldenburg ist etwas ganz anderes, es ist als Komplex geschlossen. Braunschweig war das Ver—



zetteiste,

gab. Mangoldt]:

was es

Die Frage müßte von außen gestellt werden. Die Bevölnicht selber stellen. Die Frage könnte vielmehr nur laukann die kerung Frage ihr oder dem Land angehören, wollt ihr dem Land Niedersachdem ten: Wollt sen angehören, ja oder nein? Es würde also nachträglich eine Befragung bezüglich der jetzt vorgenommenen Eingliederung stattfinden. Man müßte zum BeiVors. [Dr.

v.

10) Dies war der Abgeordnete Wirmer, vgl. jedoch den Fortgang der Diskussion. ") Denkschrift als Anlage zur Eingabe Nr. 565 vom 26. Nov. 1948 in: Z 5/95, Bl. 3-12. 12) Vgl. hierzu Hans Gottfried Figge: Gebietsveränderungen im Bereich des ehemaligen Landes Braunschweig S. 249-257.

894

von

1918 bis 1972.

Braunschweigisches Jahrbuch

Bd. 54, 1954,

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Nr. 41

spiel in Oldenburg eine Volksabstimmung über die Frage machen: Wollt ihr Niedersachsen angehören? Heile: Ich kenne die oldenburgischen Verhältnisse, weil ich sozusagen mit einem Bein Oldenburger bin; ein Teil der Äcker und Wiesen meines Heimatdorfes liegt auf oldenburgischem Boden. Es gibt in Oldenburg zwar einige wenige Leute, die darüber sprechen, ob es nicht besser wäre, nach Rheinland-Westfalen hinüberzugehen. Das ist aber überwiegend eine katholische Angelegenheit das ganze südliche Oldenburg ist katholisch und hängt mit den Bistümern von Münster und von Osnabrück zusammen. Solche Strömungen kreisen aber lediglich um den kirchlichen Komplex und haben mit den politischen Wünschen der Bevölkerung an sich nichts zu tun. Im Norden Oldenburgs ist auch die Idee, ein neues Gebiet Weser-Ems zu bilden, gelegentlich erörtert worden. Die Idee stammt noch aus der Zeit, als Tantzen13) dort regierte. Tantzen hatte damals andere Pläne, als mit der Bildung des Landes Niedersachsen verwirklicht wurden. Als aber die englischen Militärs sich zugunsten der Bildung größerer Gebiete entschieden, haben viel Leute, die vorher anderer Ansicht gewesen waren, sich diesem Gedanken angepaßt. Und schließlich ist bei dem Entschluß, das Land Niedersachsen zu formen, auch Tantzen mitgegangen. Ich hatte damals als stellvertretender Ministerpräsident des Landes Hannover den Sonderauftrag, Verhandlungen über die Vereinigung und Flurbereinigung der Länder Niedersachsens zu führen. Damals habe ich mit Tantzen, der dort der tragende Mann war, oft über diese Dinge gesprochen. Ich habe damals im Auftrag des Ministerpräsidenten Kopf mit Tantzen und mit den Oldenburgern so verhandelt: Wenn ihr euch anschließt, soll das keine „preußische" Annektierung sein; das liegt uns Niedersachsen nicht, sondern ihr sollt soweit als irgend möglich im Rahmen von Niedersachsen dieselbe Autonomie, eure Angelegenheiten zu regeln, haben, wie bisher im Rahmen des Reichs. Daraufhin entschloß sich Tantzen und mit ihm sein ganzer Anhang, mitzumachen. Es ist nicht so, daß Tantzen sich bloß dem Diktat der Militärregierung gefügt hätte, sondern er hat sich im Vertrauen auf den föderalistischen Geist Niedersachsens für die Eingliederung Oldenburgs in Niedersachsen entschieden. Nun ist es das Unglück gewesen, daß in den Regierungsstellen unseres Landes Hannover fast ausschließlich fassen Sie das nicht als etwas Feindseliges auf alte preußische Bürokraten sitzen. Wir Hannoveraner waren, bis wir unseren eigenen Staat bilden konnten, preußische Provinz, und waren darauf angewiesen, um unseren neuen Staat aufzubauen, den größten Teil unserer höheren Bürokratie aus dem Bereich der früheren preußischen und reichsdeutschen Ministerien von Berlin zu übernehmen. Diese Bürokratie denkt aber bei ihrer Verwaltungstätigkeit nach wie vor in dem alten preußisch-zentralistischen Geist. Durch nichts hat man die Oldenburger mehr verärgern können als durch die Neigung zur bevormundenden Vielregiererei und den herrischen Befehlston, der von Hannover jetzt genau so ausgeht wie früher von Berlin. Ich höre in Oldenburg —







13) Theodor Tantzen (1877-1947), FDP. Zur Rolle von Tantzen bei der Vorgeschichte der Gründung Niedersachsens vgl. Thilo Vogelsang: Hinrich Wilhelm Kopf und Niedersachsen. Hannover 1963, S. 68 f., 75, ferner Akten zur Vorgeschichte Bd. 1, passim. 895

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immer wieder die Klage: Wir sind noch niemals so preußisch behandelt worden wie jetzt von Hannover. Genau so aber sagt auch in Hannover jedermann: Wir sind in den ganzen 80 Jahren, als wir preußische Provinz waren, noch nie so verpreußt gewesen wie in der Zeit, seitdem wir den Staat Niedersachsen haben; während wir früher zum Teil Provinzialbeamte hatten, die in stiller Opposition gegenüber dem preußischen Zentralismus standen, haben wir jetzt nur Beamte aus dem Osten und besonders aus Berlin, die den niedersächsischen Staat „preußisch" führen. Das ist eine Tragödie oder, wenn Sie wollen, oft auch Wenn viele Oldenburger infolgedessen jetzt mit dem Schickeine Komödie. sal ihrer Heimat nicht zufrieden sind, sollte man in Oldenburg darüber abstimmen lassen, ob Oldenburg bei Niedersachsen bleiben soll oder nicht. Wenn die Oldenburger sich dann entscheiden, daß sie nicht bei uns bleiben wollen, sollen sie unseren Segen haben. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Ich bin —

aber sicher, daß die ren

große Mehrheit

nicht

von uns

fort will, sondern

nur

wah-

Föderalismus14).

wollen nicht zu einer Abstimmung darüber Niedersachsen loszulösen ist, sondern sie wollen sozusagen zum Jahre 1945 zurückgehen und darüber abstimmen, ob sie sich irgend jemand anschließen wollen und wem. Sie wollen noch einmal den Anfangszustand haben und den Zustand aufheben, den die Militärregierung geschaffen hat. Wunderlich: Dann müßten wir ja Preußen wiederherstellen. Das ist doch nicht Dr. Eberhard: Die

Oldenburger

kommen, ob Oldenburg

möglich. Vors. [Dr.

v.

Mangoidtl:

von

Man kann

es nur

in der Weise machen, daß

man

fragt:

Wollt ihr Niedersachsen angehören? Dann wird man sehen, ob sich eine Mehrheit findet. Man ist dann einen Schritt weiter und muß untersuchen, ob man das Land aufteilen muß und die Frage getrennt an verschiedene Landesteile zu stellen hat. Wunderlich: Ich möchte davor warnen, an dem jetzigen Bestand etwa zu rütteln. Das könnte sehr gefährlich werden. Dr. Heuss: Das Problem ist, wieweit wir in der Verfassung Möglichkeiten schaffen. Diese Möglichkeiten sind vorhanden. Das Problem für die Oldenburger ist wohl lediglich die Prozentzahl derjenigen, die sich melden müssen. Grundsätzlich brauchen wir an unseren Beschlüssen nichts zu ändern. Es ist eine politische Frage, ob man sagt, ein Drittel, ein Viertel, die Hälfte usw. Wunderlich: Gerade die CDU hat die Bestimmungen vom Gesichtspunkt Bayerns aus erschwert, weil man Angst hat, dort könnte jemand den Willen haben, sich loszulösen. Die Oldenburger wollen das Gegenteil. Diese beiden Standpunkte werden sich niemals auf einen Nenner bringen lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde nicht vorschlagen, zur Klärung der Frage noch einen besonderen Antwortbrief zu senden. Wenn wir damit anfangen, kommen wir vom Hundertsten ins Tausendste. Das spricht sich dann herum. 14) Zur Entstehung des Landes Niedersachsen vgl. Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsen. Begründet von Heinrich Körte, fortgeführt von Bernhard Rebe unter Mitarbeit von Manfred Berenskötter und anderen. Göttingen, 2. A. 1986, S. 59 ff. 896

Einunddreißigste Sitzung Dr. Eberhard: Die

Eingabe

16. Dezember 1948

Nr. 41

ist dann Material für die nächste Debatte des

Hauptausschusses15)? (Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 8916) des Oberregierungspräsidenten Bögler, Neustadt/[Hardt] u. a. betrifft die Wiedervereinigung der rechts und links des Rheins gelegenen Gebiete der Kurpfalz. Dafür sind wir nicht zuständig. Die Eingabe ist für uns durch die Art. 25 und 26 erledigt. Interessant ist, daß es ein linksrheinisches und ein rechtsrheinisches Aktionskomitee gibt. Dazu gehört die Eingabe Nr. 17617) der Studentenschaft der Universität Heidelberg. Man ist enttäuscht, daß der Landesgrenzenausschuß der Ministerpräsiden-

ten18) nicht mehr arbeitet. Es wird gesagt, wir sollten alles tun, damit die Pfalz wieder mit Württemberg-Baden zusammenkäme. Die Eingabe ist durch die beiden Artikel ebenso für erledigt zu erklären. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Eingabe könnte höchstens zur Berücksichtigung an den Bundestag und die Bundesregierung weitergegeben werden, weil es sich um die Aufführung der Art. 25 und 26 handelt. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 52219) des Freideutschen Kreises, Hamburg, fordert vor allem die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aus sittlichen und religiösen Gründen. Diese Forderung ist durch Art. 5 Abs. 5 als erledigt zu erklären. Die Eingabe fordert zweitens eine Bestimmung gegen die Verwendung junger Deutscher als Söldner in fremden Heeren. Darüber müssen wir zur Tagesordnung übergehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Wunderlich: Es ist vielleicht zweckmäßig, die Oldenburger Eingabe auch als Material an den kommenden Bundestag zu überweisen, weil sie mit der Grenzregelung zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in engem Zusammenhang steht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das können wir gleich vorsehen. Dr. Eberhard: Die Eingabe Nr. 45220) von König, Thalersdorf, macht Vorschläge zum Beamtengesetz. Der Einsender wünscht, daß die Flüchtlingsbeamten nicht schlechter behandelt werden als andere Beamte. Ich bitte, das durch den Gleichheitsartikel, Art. 4, für erledigt zu erklären. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Herr Oskar Ege21), Karlsruhe-Durlach, sendet uns eine allgemeine Formulierung über die Sicherung des Friedens. Kriege sollen verboten werden. Die Eingabe ist durch Art. 29 b erledigt. (Widerspruch erhebt sich nicht.)

15) 16) 17) 18) 19) 20) 21)

Vgl.

Anm. 13. Die Eingabe Nr. 89 ließ sich nicht ermitteln. Die Eingabe Nr. 176 Heß sich nicht ermitteln. Zum „Lüdemann-Ausschuß" s. Dok. Nr. 17, Anm. 11. Die Eingabe Nr. 522 ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 452, in: Z 5/109, Bl. 176. Eingabe Nr. 502, in: Z 5/109, Bl. 182.

_

897

Nr. 41

Einunddreißigste Sitzung

16.

Dezember

1948

Eingabe Nr. 49922) von Rademacher, Bonn, besagt, ein Angriffskrieg und die Provozierung eines Krieges müßten als gemeines Verbrechen bezeichnet werden. Die Eingabe ist durch denselben Artikel erledigt. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 5 0 023) des Niedersächsischen Zeitungsverleger-Vereins wendet sich gegen die schrankenlose Pressefreiheit. Auch diese Eingabe ist durch Art. 6 für erledigt zu erklären. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 49624) von Heimann in Ost-Bevern wünscht ein Streikgesetz, um Mißstände, die bei Streiks entstehen können, auszuschließen. Dafür sind wir nicht zuständig. Wir können ebenso sagen: Material für den Bundestag. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 38525) von Koepp, Oberursel, wünscht in dem Parteienartikel ein Verbot, Kampfgruppen für die Parteien zu unterhalten oder zu gründen. Mit der Eingabe ist hier nichts anzufangen. Wir können davon nur Kenntnis nehDie

men.

(Widerspruch

erhebt sich nicht.)

Die Eingabe Nr. 3 5 326) der Kölner Turnerschaft von 1843 fordert eine Bestimmung, nach welcher die Förderung der körperlichen Erziehung eine wichtige Aufgabe von Staat und Gemeinde ist. Solche Deklamationen haben wir auch sonst in den Grundrechten nicht aufgenommen. (Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist schlecht bei den Grund- und Freiheitsrechten

unterzubringen.)

Wir können davon nur Kenntnis nehmen. Die Eingabe Nr. 38327) des Freiwirtschaftsbundes,

Heidelberg-Ziegelhausen, beWährung, Grund und Boden usw. Ich würde darüber zur Tagesordnung übergehen. (Es erhebt sich kein Widerspruch.) Die Eingabe Nr. 3 1 828) von Frau Stackfleth, Vallendar, sagt, die Freiheit des Intrifft stabile

dividuums müsse garantiert werden. Es müsse dem Individuum auch freistehen, ob es Militär- oder Kriegsdienst leisten will. Diese Eingabe ist durch Art. 2 und 5 Abs. 5 erledigt. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 31129) von dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, gezeichnet Wurm, ist im Hauptausschuß behandelt worden, also für erledigt zu erklären. (Widerspruch erhebt sich nicht.)

22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 898

Eingabe Eingabe Eingabe Eingabe Eingabe Eingabe Eingabe Eingabe

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

499, 500, 496, 385, 353, 383, 318, 311,

in: in: in: in: in: in: in: in:

Z Z Z Z Z Z Z Z

5/109, 5/109, 5/109, 5/108, 5/108, 5/108, 5/108, 5/108,

Bl. Bl. Bl. Bl. Bl. Bl. Bl. Bl.

176. 179. 170. 250-251. 189. 243. 147. 132. Vgl. auch Teilabdr. in: Dok. Nr. 31, Anm. 27.

Einunddreißigste Sitzung

16.

Dezember 1948

Nr. 41

Die Eingabe Nr. 2 3 6 30) der Leitung der Evangelischen Kirche der Rheinprovinz ist im Grunde ein Begleitschreiben zu der Eingabe der Konferenz der Kirchen der britischen Zone. Sie ist auch als erledigt zu erklären. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 18131) der Konferenz der Kirchen der britischen Zone ist das Originalschreiben dazu. Es gilt das gleiche. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 2 3 3 32) von Hanz Hertz, Hamburg, möchte etwas über Denkmalsschutz aufgenommen haben. Das ist an sich eine beachtliche Eingabe. In dem Eigentumsartikel haben wir etwas über den Mißbrauch des Eigentums gesagt. Das könnte vielleicht angewendet werden. Heile: Wenn die Besatzungstruppen jetzt in dem Naturschutzpark der Lüneburger Heide mit ihren Raupenschleppern usw. herumfahren und dadurch das letzte Bild unserer alten Heide zerstören, so betrifft das auch den Naturschutz. Dr. Bergsträsser: Wir haben in der hessischen Verfassung einen Artikel, nach welchem Kunstgüter, die auf einer bestimmten Liste stehen, nicht ausgeführt werden dürfen33). Dr. Heuss: Der Bund als solcher hat keine Kunstdenkmäler. Das ist immer Lan-

desangelegenheit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade die Kulturfragen sind Landesangelegenheit. Dr. Eberhard: Ich schlage vor, Kenntnis zu nehmen, weil es zur Zuständigkeit der Länder gehört. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 28434) von Landgerichtsdirektor i. R. von Pfister, Wiesbaden, macht einen Vorschlag für die Fahne. Die Eingabe muß an den Unterausschuß für die Flaggenfrage gegeben werden. Das gleiche gilt von der Eingabe Nr. 281 35) Körner, Berne.

(Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 28536) aus Gofeld besagt: „Gebt uns unsere schwarz-weiß-rote Fahne wieder. Jetzt ist noch Zeit dazu!" Obwohl der Beschluß gefaßt ist, Schwarz-Rot-Gold zu nehmen, könnten wir die Eingabe an den Unterausschuß für die Flaggenfrage geben. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die anonyme Eingabe Nr. 30637) hat ein gewisses Interesse wegen der Kuriosität. Der Einsender ist in den Buchstaben G verliebt und schlägt als Bundesfahne grau-gelbgrün vor. Die Eingabe ist ebenfalls dem Unterausschuß zu überweisen. 30) 31) 32) 33)

Nr. 236, in: Z 5/108, Bl. 57-58. Nr. 181, in: Z 5/107, Bl. 320-323. Nr. 233, in: Z 5/108, 53. Gemeint war wahrscheinlich Art. 62 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dez. 1946: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Kultur sowie die Landschaft genießen den Schulz und die Pflege des Staates und der Gemeinden ." Eingabe Nr. 284, vom Bearb. korrigiert aus 384, in: Z 5/108, Bl. 110-111. Eingabe Nr. 281, in: Z 5/108, Bl. 104. Eingabe Nr. 285, in: Z 5/108, Bl. 114. Eingabe Nr. 306, in: Z 5/108, Bl. 126.

Eingabe Eingabe Eingabe

.

34) 3r>) 3,i) 37)

.

899

Nr. 41

Einunddreißigste Sitzung

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In der Eingabe Nr. 25938) von Ege, Karlsruhe, wird ein Gesetz zur Erhaltung des Friedens vorgeschlagen. Die Eingabe ist zum Teil durch unseren Beschluß erledigt, den Krieg als Mittel der Politik auszuschließen. Die Eingabe enthält zum Teil völligen Unsinn. Sie ist durch Art. 29 b für erledigt zu erklären. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die anonyme Eingabe Nr. 2 5 8 39) aus Köln verlangt eine Überprüfung derjenigen Personen, die seit 1918 Renten empfangen, damit auf diese Weise Geld für solche Personen gewonnen wird, denen heute aus finanziellen Gründen keine Renten ausgezahlt werden. Dafür sind wir nicht zuständig. (Vors. [Dr. v. Mangoldtj: Es ist Material für den Bundestag.) Ich würde uns für unzuständig erklären. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn Sie sagen: für unzuständig erklären, müssen Sie auch sagen, wer zuständig ist. Man könnte einfach sagen: Bundesregierung. Dr. Eberhard: Wir können die Eingabe der künftigen Bundesregierung überweisen.

(Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 26340) der Deutschen Friedensgesellschaft, Hamburg, verlangt einen Artikel, der das Recht auf Gesundheit als staatsbürgerliches Grundrecht verfassungsmäßig sichert. Wie es rechtlich gesichert werden kann, steht nicht dabei. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist erledigt. Darüber haben wir im Ausschuß gesprochen. (Widerspruch

erhebt sich nicht.) Dr. Eberhard: Die Eingabe Nr. 27441) von Wilhelm Baumecker, Malente-Gremsmühlen, ist dem Inhalt nach unqualifizierbar. Er will ein Staatsfundament schaffen, in welchem Renten ausgezahlt und eingezahlt werden. Es ist eine komplizierte Geschichte. Ich würde sagen: zur Tagesordnung übergehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 19 3 42) von Frau Rosina Brummer, München, betrifft die Präambel. Es ist ein Protest gegen eine Äußerung in Radio München, man dürfe den lieben Gott nicht für die Präambel bemühen. Ich würde die Eingabe für erledigt erklären. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 18 5 43) von Müller, Bremerhaven betrifft die Anrufung Gottes in der Präambel. Damit kann man nichts machen. Die Eingabe ist für erledigt zu

erklären.

(Widerspruch erhebt sich nicht.)

30) 3n) 40) 41) 42) 43) 900

Eingabe Nr. 259 ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 258 ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 263, in: Z 5/108, Bl. 06. Eingabe Nr. 274, in: Z 5/108, Bl. 90-96. Eingabe Nr. 193, in: Z 5/100, Bl. 11-12. Eingabe Nr. 185, in: Z 5/107, Bl. 341. Die Die

Einunddreißigste Sitzung Die

Eingabe

Nr. 20044) der Internationalen

16.

Frauenliga

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Nr. 41

für Frieden und Freiheit,

Stuttgart, verlangt eine Strafbestimmung für die Vorbereitung

von

Handlungen,

die das friedliche Zusammenleben der Völker stören. Weiter wird eine Bestimmung vorgeschlagen, nach welcher kein deutscher Staatsangehöriger in irgendeiner Form zu Wehr- oder Kriegsdienst gezwungen werden darf. Die Eingabe ist durch die Artikel 5, 29 b und 29 c erledigt. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 6745) von Franz Meuthen, Alsdorf, beruft sich auf die AtlantikCharta46). Es werden Vorschläge zum Lastenausgleich und anderen Dingen gemacht. Darüber muß man zur Tagesordnung übergehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 18447) von Stuttkowski, Pinneberg, ist das furchtbarste Dokument. Der Einsender möchte Unterrichtsstunden in den Schulen für die Lehre der Demokratie eingeführt haben. Er hat dann noch den besonderen Gedanken, daß man eine E. D.-Gesellschaft, eine Gesellschaft mit „erträglichem Dasein" gründen solle. Hierüber können wir zur Tagesordnung übergehen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die anonyme Eingabe Nr. 60548) fordert ein zentralistisches Deutschland. Man solle sich nicht durch das bayerische Geschrei beirren lassen. Hiervon können wir lediglich Kenntnis nehmen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 5 9 949) von Dr. Schulenburg, Soest, enthält eine längere Ausführung über das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Wiederherstellung unserer nationalen Grenzen, Zurückführung der unschuldig aus ihrer Heimat Vertriebenen, die Freilassung der Kriegsgefangenen, die Demontage und die Kolonien. Die Eingabe ist teils durch einige Artikel über das Staatsgebiet erledigt, teils müssen wir zur Tagesordnung übergeben. (Widerspruch erhebt sich nicht.) Die Eingabe Nr. 62650) des Presserats für die britische Besatzungszone, Bielefeld, betrifft das Pressegesetz für die britische Zone. Es heißt, man solle nicht auf die Publikationsfreiheit verzichten, aber man solle die Notwendigkeit einsehen, die Erlaubnis für die gewerbliche Herausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift an Bedingungen zu knüpfen. Als Begründung wird gesagt, man müsse die charakterliche und berufliche Eignung, vor allem auch die politische Zuverlässigkeit der Verleger und Journalisten gewährleisten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das sollte nach unseren Besprechungen in dem Pressegesetz geregelt werden, das wir ausdrücklich vorgesehen haben.

44) 45) 46) 47) 4B) 49) 50)

Nr. 200, in: Z 5/108, Bl. 18. Nr. 67, in: Z 5/107, Bl. 150. Zur Atlantik-Charta vgl. Dok. Nr. 8, Anm. 12. Eingabe Nr. 184, in: Z 5/107, Bl. 327-338. Eingabe Nr. 605, in: Z 5/110, Bl. 112. Eingabe Nr. 599, in: Z 5/110, Bl. 103-104. Eingabe Nr. 626, in: Z 5/110, Bl. 140-141.

Eingabe Eingabe

-

901

Nr. 41

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Dr. Eberhard: Die Erfahrungen, die wir in der amerikanischen Zone mit der politischen Zuverlässigkeit der von amerikanischen Dienststellen eingesetzten Schriftleiter usw. gemacht haben, sind sehr schlecht. Es ist zum Teil anders als in der britischen Zone, so daß sich daraus manche Verschiedenheit der Auffassungen ergeben kann. Frau Dr. Weber: Ich bringe zunächst eine Reihe von Eingaben betreffend die Elternrechte. In der Eingabe Nr. 54451) wird gewünscht, das Recht der Men-

schen, auch der ungeborenen, auf Leben und Körper und Unverletzlichkeit, die Ehe und die Familie als Urzelle des Volkes und des Staates sicherzustellen, das

natürliche Recht und die oberste Pflicht der Eltern auf Leben und Erziehung ihrer Kinder anzuerkennen usw. Die Eingabe kommt von der Erzdiözese Köln. Eine zweite Eingabe, Nr. 53 1 52), kommt von dem Katholikenkomitee von Paderborn. Die Eingabe ist fast gleichlautend. Die Eingabe Nr. 52853) von dem Katholikenausschuß Osnabrück betrifft das gleiche. Die Eingabe Nr. 53254) von der Arbeitsgemeinschaft katholischer Frauen in Köln ist etwas anders. Wir können von all diesen Eingaben sagen, daß sie durch die Beratungen im Grundsatzausschuß erledigt sind. (Dr. Heuss: Vermutlich haben die Eingaben ein gemeinsames Modell.)55) Es sind die sogenannten Katholikenausschüsse der verschiedenen Diözesen. Nur die Eingabe der Frauen ist anders. Sie ist nicht so von irgendeiner zentralen Stelle beeinflußt. Die Eingabe Nr. 5 5 856) kommt von der Kolpingsfamilie Steinhausen Krs. Düren. Es handelt sich um die Gesellenvereine. Eine gleiche Eingabe Nr. 481 57) kommt von dem Katholikenausschuß des Dekanates Viersen. Bis auf die Eingabe der Frauen haben die Eingaben ungefähr die gleiche Fassung. In Viersen hat man auch eine Reihe von Einzelunterschriften gesammelt. In der Eingabe aus Viersen ist die Freiheit der Errichtung von Privatschulen noch besonders genannt.

51) 52) 53) 54) 55)

Eingabe Eingabe Eingabe Eingabe

Nr. Nr. Nr. Nr.

544, 531, 528, 532,

in: in: in: in:

Z Z Z Z

5/110, 5/110, 5/109, 5/110,

Bl. Bl. Bl. Bl.

19. 4. 193-194. 7-8.

Massenhaft gleichförmige Eingaben zum Elternrecht, die im Pari. Rat bereits als „Weglegesachen" formiert waren, sind seinerzeit kassiert worden. Nach einem Bericht des Sekretariats II vom 18. Jan. 1949 (Z 5/94, Bl. 7) waren bis dahin zur Frage des Elternrechts, der Schule und Kirchen bisher insgesamt rund 520 Eingaben eingegangen. In etwa 398 Eingaben wurde die Anerkennung des Elternrechts hinsichtlich der Erziehung gefordert. In etwa 325 Fällen wurde in Verbindung mit dem Elternrecht oder ohne besondere Erwähnung des letzteren die konfessionelle Schule verlangt. Im Frühjahr 1949 wurde die Eingabenkampagne noch verstärkt. Nach einem Vermerk vom 8. März 1949 (ebenda, Bl. 11) waren zur Frage des Elternrechts, der Schule und Kirchen außer den Eingaben der Kirchenleitungen insgesamt 1690 Eingaben mit ca. 20 —30000 Unterschriften vom Sekretariat des Pari. Rates eingetragen worden. In etwa 140 Eingaben von SPD-Organisationen, Eltern- und Lehrervereinigungen und einigen Einzelpersonen wurde allerdings auch für die Gemeinschaftsschule Stellung genommen.

56) Eingabe Nr. 558, in: Z 5/110, Bl. 57) Eingabe Nr. 481, in: Z 5/109, Bl. 902

50. 152.

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Nr. 41

Die Eingabe Nr. 49758) kommt von einem einzelnen Pfarrer. Er spricht dieselben Wünsche aus. Aber man muß den Eindruck gewinnen, daß er eine Volksabstimmung über diese Fragen will. Nr. 48 559) ist eine Eingabe des Katholikenausschusses Krefeld mit sehr vielen Einzelunterschriften. Es sind dieselben Forderungen. Das gleiche gilt für die Eingaben Nr. 48460) vom Katholikenausschuß Kasselsweiler und Nr. 48361) vom Katholikenausschuß Aachen, ferner für die Eingaben Nr. 48262) vom Katholikenausschuß Dülken, Nr. 36763) vom Katholikenausschuß Erkelenz, Nr. 37764) vom Katholikenausschuß Brand, Nr. 3 7 965), vom Katholikenausschuß Jülich, Nr. 44666) vom Katholikenausschuß Rheydt, Nr. 361 67) von der Kath. Frauenjugend des Bistums Aachen, Nr. 44568) vom KathoJikenausschuß Mönchen-Giadbach, Nr. 4 5 669) vom Katholikenausschuß Gmünd, Nr. 4 5 7 70) vom Katholikenausschuß Dülken, Nr. 45571) vom Kath. Männerwerk Dülken, Nr. 4 1 572) vom Katholikenausschuß Eschweiler, Nr. 4 1 673) vom Katholikenausschuß Alsdorf-Baesweiler und Nr. 54874) vom Katholikenausschuß Nörvenich. Dann ist hier die Eingabe Nr. 46475J des Erzbischofs von Köln.

58) 59) 80) 81) 62) B3) 64) 85) 86) 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75)

Eingabe Nr. 497, in: Z 5/109, Bl. 173. Eingabe Nr. 485, in: Z 5/109, Bl. 167. Eingabe Nr. 484, in: Z 5/109, Bl. 164. Eingabe Nr. 483, in: Z 5/109, Bl. 160-161. Eingabe Nr. 482, in: Z 5/109, Bl. 156. Eingabe Nr. 367, in: Z 5/108, Bl. 222. Eingabe Nr. 377, in: Z 5/108, Bl. 233. Eingabe Nr. 379, in: Z 5/108, Bl. 237. Eingabe Nr. 446, in: Z 5/109, Bl. 94-98. Eingabe Nr. 361, in: Z 5/108, Bl. 213. Eingabe Nr. 445, in: Z 5/109, Bl. 90-91. Eingabe Nr. 456, in: Z 5/109, Bl. 119. Eingabe Nr. 457, in: Z 5/109, Bl. 127. Eingabe Nr. 455, in: Z 5/109, Bl. 116. Eingabe Nr. 415, in: Z 5/109, Bl. 14. Eingabe Nr. 416, in: Z 5/109, Bl. 19. Eingabe Nr. 548, in: Z 5/110, Bl. 29. Eingabe Nr. 464, in: Z 5/109, Bl. 142. Auch als

Drucks. Nr. 319 vervielf. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz unterbreitete Josef Kardinal Frings darin Folgendes: „Ich möchte an erster Stelle auf das Fehlen einer Vorschrift über die Unverietzlichkeit des Lebens und des menschlichen Körpers hinweisen. Nach dem vollständigen Verfall jeglicher Achtung vor diesen Grundwerten und vor der Würde des Menschen, die wir unter dem Nationalsozialismus erlebt haben, aber auch heute noch erleben, begründet sich die Forderung nach einer Sicherung dieser Güter aus sich selbst. Christen, denen die Heiligkeit dieser Lebenswerte noch lebendig vertraut ist, empfinden es nach den Erfahrungen der vergangenen Zeit als absolut verbindliche Pflicht, für ihren Schutz mit dem größten Nachdruck einzutreten. Das katholische Volk hat ferner den dringenden Wunsch, Ehe und Familie als die dem Menschen nächstliegenden Lebensgemeinschaften und Träger natürlicher Rechte und Pflichten unter den besonderen Schutz des Staates gestellt zu sehen. Die Würde der Ehe und der Familie muß durch grundrechtliche Gewährleistung gegen öffentliche Angriffe geschützt werden. In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt das Elternrecht von grundlegender Bedeutung. Das Fehlen einer Garantie für dieses Recht in den bisherigen Vorschlägen des Parlamentarischen Rates wird von der kath. Öffentlichkeit ganz besonders schmerzlich empfunden. Die Anerkennung des Elternrechts ist eine der elementaren Grundforderungen, die der kath. 903

Nr. 41

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Dr. Eberhard: Dieses Schreiben ist besonders interessant für den Grundsatzausschuß. Darin wird der Grundsatzausschuß völlig zu Unrecht angegriffen. Es

heißt: „Das katholische Volk würde es nicht verstehen, wenn die Bundesverfassung sich auf negative Vorschriften über den Schutz gegenüber religiöser Beeinflussung und weltanschaulichem Zwang beschränken würde." Dagegen ist zu sagen, daß dieser Artikel sich bereits in der ersten Fassung des Grundsatzausschusses keineswegs nur darauf beschränkte, sondern eigentlich in vollem Ausmaße dem Rechnung trug, was die Kirche mit Recht forderte. Das Schreiben ist am 20. November 1948 abgesandt worden. Das heißt, diejenigen, die dem Herrn Kardinal den Brief geschrieben haben, haben nicht richtig zur Kenntnis genommen, was wir hier gearbeitet haben. (Frau Dr. Weber: Ich habe den Kardinal in dieser Angelegenheit niemals gesprochen. Ich möchte glauben, daß er es gar nicht gesehen hat, sondern daß es einfach aus Sorge geschrieben worden ist.) Man sollte sich doch auf richtige Informationen stützen. Die Artikel waren verfügbar. Ich bin überzeugt, daß sie in Köln gelesen worden sind. Mehr will ich dazu nicht sagen. Frau Dr. Weber: Die Eingabe Nr. 46876) von den Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der DP über Kirche und Staat ist Ihnen allen bekannt und hat dem Grundsatzausschuß vorgelegen. Dr. Eberhard: Es ist zu überlegen, ob wir auf diesen einen Satz in dem Schreiben des Erzbischofs von Köln nicht antworten sollen. Frau Dr. Weber: Ich denke, wir haben alle den Brief bekommen, und zwar schon vor längerer Zeit. Der Brief ist nicht nur an den Grundsatzausschuß, sondern an jeden gekommen. Die Eingabe Nr. 46077) kommt von evangelischen Bischöfen. Hier ist die Eingabe Nr. 48070) vom Katholikenausschuß Mechernich mit denselben Ausführungen, ferner Nr. 5 7 5 79) von dem Katholikenausschuß Geilenkirchen. Die Eingabe Nr. 609ao) stammt von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland, Wiesbaden. Das hat jeder in der Mappe von Niemöller gehabt. (Folgt teilweise Verlesung des Schreibens.)81) —

76) 77) 78) 79) 80) 81)

904

Volksteil gegenüber jeder Verfassungsregelung erheben muß [.. .]" Weitere Forderungen betrafen die grundrechtliche Sicherung eines ausreichenden Religionsunterrichtes und Vorschriften über die Stellung der Kirche im Staat, unter besonderer Berücksichtigung der Konkordate. Eingabe Nr. 468, in: Z 5/109, Bl. 146, als Drucks. Nr. 321 vervielf. Vgl. den Abdr. in: Dok. Nr. 38, Anm. 44. Die Eingabe Nr. 460, in: Z 5/109, Bl. 130. Teilabdr. in: Dok. Nr. 31, Anm. 25. Eingabe Nr. 480, in: Z 5/109, Bl. 149. Eingabe Nr. 575, in: Z 5/110, Bl. 68. Eingabe Nr. 609, in: Z 5/110, Bl. 116. Gemeint war die Eingabe Nr. 609 (Z 5/110, Bl. 116), in der Niemöller mit dem Briefkopf Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland, Der Vorsitzende, unter dem 8. Dez. 1948 sich mit der Eingabe der Landeskirchen in der Britischen Zone vom 25. Okt. (vgl. Dok. Nr. 31, Anm. 24) solidarisierte und forderte: „Als Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland, der die gemeinsame Ausrichtung der christlichen Verkün-

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Eine Reihe der hier

ausgesprochenen Forderungen, die Forderungen betreffend die Ehe und die Familie sowie betreffend die Kirche, sind in der letzten Hauptausschußsitzung angenommen worden82). Einzelne Forderungen, das Recht der Eltern für die Ausgestaltung der Schule, die Privatschule und die körperliche Unversehrtheit, die wir angemeldet haben, haben wir schon einmal durchgesprochen83). Wir waren damals inhaltlich einer Meinung, glaubten nur, daß die Fassung noch einmal geändert werden sollte. In dieser Eingabe wird manches verlangt, was durch die Grundrechte gewährleistet ist. Vors. [Dr. v. Mangold]: Alles was darin steht, ist gewährleistet. Ich weiß nun nicht, ob die Eingabe von Niemöller und die Eingabe des Erzbischofs von Köln beantwortet werden sollen. Das möge der Ausschuß hier überlegen. Ich glaube, wir haben unsere Stellungnahme schon abgegeben, indem wir gesagt haben, daß die Forderungen durch die eingehenden Verhandlungen im Grundsatzausschuß und im Hauptausschuß nach allen Richtungen behandelt worden sind. Was die Frage von Herrn Dr. Eberhard betreffend einen Protestschritt angeht, so glaube ich, daß wir in diesem Fall davon absehen sollten. Wir hätten bei der Besprechung mit den Kirchenvertretern84) die Gelegenheit dazu gehabt. Sie digung obliegt, möchten wir nachdrücklich hervorheben, daß ein besonderer Artikel in dem Grundgesetz nicht entbehrt werden kann, der den christlichen Kirchen das Recht sichert, ihre Botschaft inmitten unseres Volkes auch außerhalb gottesdienstlicher Veranstaltungen auszubreiten und dafür zu werben. Wir bitten ferner dringend, ins Auge zu fassen, daß den Kirchen ihren Gliedern und Dienern das Recht der freien Stellung—



nahme

zu den Vorgängen im öffentlichen Leben des Volkes und der Völker in keiner Weise durch gesetzliche Bestimmungen verkürzt wird." 82) In der 21. Sitzung des HptA vom 7. Dez. 1948; Verhandlungen, S. 239 ff. und in der 22. Sitzung vom 8. Dez. 1948; Verhandlungen, S. 255 ff. 83) Vgl. Dok. Nr. 38, TOP 2. 84) Diese Besprechung hatte am 14. Dez. 1948 stattgefunden. Menzel berichtete über sie an Schumacher unter dem 17. Dez. 1948 wie folgt: „Am Dienstag, den 14.12. erschien eine offizielle Abordnung der katholischen und evangelischen Kirche, um in Gegenwart der Vertreter aller Parteien ihre Forderungen noch einmal mit Nachdruck zu vertreten. Von der evangelischen Kirche waren der frühere deutschnationale Reichstagsabgeordnete und Präses Koch Bielefeld, von der katholischen Seite Bischof Keller aus Münster, Prälat Böhler aus Köln u. a. erschienen. Gleich zu Beginn der Unterredung wies Keller mit Nachdruck darauf hin, daß es sich bei ihrem heutigen Besuch nicht darum handele, Anregungen zu geben, sondern um Forderungen zu stellen, die er dann im einzelnen durch Böhler Köln vertreten ließ. Neben den üblichen Erklärungen über Familie und Ehe standen dann zwei Forderungen im Vordergrund: das Elternrecht und die Anerkennung des 1933 zwischen Rom und Hitler abgeschlossenen Konkordats. Das Elternrecht wurde mit den üblichen Thesen begründet, wobei besonders auffiel, daß Böhler erklärte, er wisse gar nicht, woher die Abgeordneten des Pariamentarischen Rates die Befugnis hernehmen könnten, ein Naturrecht (das Elternrecht) irgendwie zu beschneiden [. .] Bei der Forderung, das mit den Nationalsozialisten abgeschlossene Konkordat anzuerkennen, verstieg sich Böhler zu der mehr als befremdenden Argumentation, daß der Nationalsozialismus den Vertrag mit der Kirche seinerzeit gebrochen habe und daß, wenn der Parlamentarische Rat ebenfalls diesen Vertrag nicht anerkenne, er so handele wie Hitler. Es war klar, daß ihm auch insoweit energisch widersprochen wurde [.. .] Entscheidend in der Unterredung mit den Vertretern der Kirche waren jedoch die Schlußworte des Bischofs Keller. Zunächst führte er über den Abschluß des Konkordates aus, er, Keller, sei s. Zt. in Rom beim Papst gewesen, als der Konkordatsvertrag unterschrieben werden —



.

905

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wissen, daß ich sonst sehr dafür bin, für den Ausschuß einzutreten. Aber wenn wir das jetzt tun würden, würde es etwas post festum kommen und etwas

wirken. Wunderlich: Ich würde ein Antwortschreiben nicht als Protest, sondern in Form eines höflichen Briefes mit dem Hinweis vorschlagen, daß der Grundsatzausschuß in den Artikeln der Verfassung einmütig die Auffassung ausgedrückt hat, diese Rechte zu gewährleisten. Darüber ist niemals ein Streit gewesen. Dr. Heuss: Lassen wir es doch! Vors. [Dr. v. Mangold]: Sollen wir es noch machen, nachdem wir die Besprechung hatten? Wunderlich: Ich lege keinen Wert darauf. Dr. Bergsträsser: Wenn wir nicht jedem Petenten antworten, sollen wir auch dies lassen. Jedermann hat die Möglichkeit, sich in der Presse zu informieren. Dr. Heuss: Der Kardinal wartet sicher auf keine Antwort. Frau Dr. Weber: Die Kreise, die Gelegenheit haben, mit dem Kardinal zu sprechen, mögen dafür sorgen. Ich habe den Kardinal niemals in der Angelegenheit gesprochen. Es wird auch durch die Presse bekannt werden, was in den Grundrechten über die Ehe, die Familie, den Schutz des unehelichen Kindes usw. steht. Vors. [Dr. v. Mangold]: Wir werden es gern den Herren in unserer Fraktion sagen, daß das zu einer gewissen Verstimmung im Grundsatzausschuß geführt hat, damit sie es einmal laut werden lassen. Frau Dr. Weber: Wir haben kein Interesse daran, daß die Wahrheit nicht zu Ehren kommt. Wenn wir die Verfassung fertigbringen wollen, müssen wir vielmehr alles, was uns einigt, hervorheben, auch den Kirchen gegenüber. Dr. Bergsträsser: In bezug auf das, was Niemöller über die Möglichkeit gesagt hat, das Christentum zu verkünden, genügt unser Artikel über die Freiheit der

merkwürdig

Religion jedem Anspruch.

Frau Dr. Weber: Es wird nichts eingeschränkt. Dr. Eberhard: Es heißt: .und dabei eine gemeinsame Ausrichtung zu verlangen." Ich danke schön! Frau Dr. Weber: Ich weiß nicht recht, was er darunter versteht. Der Einsender der Eingabe Nr. 55985) bittet, die Flüchtlinge nicht schlechter zu stellen als die Pgs86), die heute entnazifiziert sind. Da können wir ruhig sagen,

sollte [. .] Er setzte dann seine Schlußerklärung dahin fort, daß die Kirche mit Einsatz der letzten Kräfte darauf bestehen werde, daß das Elternrecht und die Gültigkeit des Konkordats bejaht werde. Er habe zwar keinen amtlichen Auftrag, spreche aber im Namen des Episkopats. Die Kirche wolle den Frieden, aber nicht um den Preis, das Elternrecht zu opfern. Aus der Ablehnung des Elternrechts in der Grundverfassung (die Uberlassung an die Länder genügte ihm nicht) würden die Kirchen die ,vollen Konsequenzen' ziehen müssen" (FESt, NL Carlo Schmid/1162). Vgl. auch v. Schewick: Die Katholische Kirche und die Entstehung der Verfassung in Westdeutschland, S. 98 ff., wo insbes. die kirchlichen Quellen über die Unterredung ausgewertet werden. Ein ausführliches Prot, auch in: LHA Koblenz, NL Süsterhenn (700, 177, Nr. 646, Bl. 58-65). 85) Eingabe Nr. 559, in: Z 5/110, Bl. 58. .

88) Parteigenossen (der NSDAP). 906

Einunddreißigste Sitzung

16.

Dezember 1948

Nr. 41

daß die Grundrechte auch für die Flüchtlinge gelten. Wir können darüber zur Tagesordnung übergehen. wird gefordert, in die Aktionsausschuß Birkenau In der Eingabe Nr. 501 87) Verfassung eine Bestimmung aufzunehmen, nach welcher in den Grenzgebieten die Grenzen auf Verlangen der Bevölkerung festgestellt werden. Wir werden in den Artikeln 25 und 26, selbst wenn sie noch verändert werden, dieser Frage Rechnung tragen. Die Eingabe ist also durch diese Artikel erledigt. wird gesagt, daß der In der Eingabe Nr. 50 488) Windberg, Schwaneburg auf Erhaltung der Selbständigkeit Oldenburgs völlig unbegründet sei. Antrag Einsender ist dafür, daß Oldenburg bei Niedersachsen bleibt. Die Eingabe Der ist durch die Art. 25 und 26 erledigt. Die Eingabe Nr. 3 5 789) von der Freien Großdeutschen Jugend, München, fordert gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Verbot jeglicher Kinderarbeit usw. Wir können darüber zur Tagesordnung übergehen. In der Eingabe Nr. 38090) von Dr. Günther, Leverkusen, wird die Rückgabe der Kolonien gefordert. Darauf haben wir keinen Einfluß. Zur Tagesordnung! In einer Eingabe ohne Nummer (Nr. 244)91) an Herrn Dr. Adenauer teilt Frau —







Dr. Lindt aus Mönchen-Gladbach mit, daß einer ihrer Bekannten von den Engländern in Haft genommen worden ist und den Polen ausgeliefert werden soll. Wir haben darauf keinen Einfluß. Ich weiß nicht, ob das Besatzungsstatut diese Dinge regeln wird. (Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ausschuß für das Besatzungsstatut!) Wir können es an den Ausschuß für das Besatzungsstatut geben. Der Einsender der Eingabe Nr. 44092) wünscht, daß der Naturschutz in die Verfassung aufgenommen wird. Wir sollten zur Tagesordnung übergehen. Dr. Eberhard: Das ist eine sehr ernsthafte Sache. Aber es ist Länderangelegenheit. Frau Dr. Weber: Wir sind unzuständig, weil es Länderangelegenheit ist. Der Einsender der Eingabe Nr. 35693) aus Altenerding meint, daß alle vorgeschlagenen Namen falsch sind, und wünscht den Namen „Westdeutsche Republik". Wir können zur Tagesordnung übergehen; denn wir haben uns inzwischen darüber geeinigt, welchen Namen wir führen wollen. Die Eingabe Nr. 36594) der Deutschen Postgewerkschaft, Frankfurt a. Main, betrifft die Kriegsdienstverweigerung. Das ist durch Art. 5 Abs. 5 erledigt. Die Eingabe Nr. 41895), die das Verbot der Herstellung von Kriegsmaterial betrifft, ist durch Art. 29 c erledigt. —

87) 86) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95)

Eingabe Nr. 501, in: Z 5/95, Bl. 64. Die Eingabe Nr. 504 ließ sich nicht ermitteln. Eingabe Nr. 357, in: Z 5/108, Bl. 206. Eingabe Nr. 380, in: Z 5/108, Bl. 240. Eingabe Nr. 244, in: Z 5/98, Bl. 21-25. Eingabe Nr. 440, in: Z 5/109, Bl. 76. Eingabe Nr. 356, in: Z 5/109, Bl. 199. Eingabe Nr. 365, in: Z 5/108, B. 217-218. Eingabe Nr. 418, in: Z 5/108, Bl. 38. 907

Nr. 41

Einunddreißigste Sitzung

Eine anonyme

Eingabe

aus

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Freiburg-Elbe (Nr. 417)96)

sender will die strikte Neutralität Deutschlands. Wunderlich: Wollen wir uns mit anonymen

betrifft dasselbe. Der Ein-

Eingaben überhaupt beschäfti-

gen?

Anonyme Eingaben aus der Ostzone würde ich beachten; denn der Betreffende kann es nicht anders machen. Frau Dr. Weber: Die Eingabe kommt aus der Ostzone. Mayr: Wir müssen solchen Eingaben besondere Aufmerksamkeit schenken. Vors. [Dr. v. Mangold]: Der Gegenstand ist in Art. 29 a behandelt. Frau Dr. Weber: Die Eingabe Nr. 3 5 5 97) von Erich Mann, Hamburg-Altona, die die Kriegsdienstverweigerung betrifft, ist gleichfalls erledigt. Das gleiche gilt von der Eingabe Nr. 24498) aus Mönchen-Gladbach, die das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen betrifft. Es ist interessant, daß alle bis auf die Eingabe des Frauenringes Eingaben betreffend den Kriegsdienst von Männern kommen. und des Verbandes katholischer Frauenvereine Verbandes der der In Journalisten in Niedersachsen hanEingabe Nr. 46199] des delt es sich um die Pressefreiheit. Die Journalisten-Verbände wollen die sogenannte schrankenlose Pressefreiheit nicht, weil sie im tiefsten Grunde auf ihren Lizenzen sitzen. Es heißt: „Die schrankenlose Freiheit zur Herausgabe von Drucksachen aller Art würde praktisch nur zu einer Begünstigung kapitalstarker Unternehmer führen, die zum größten Teil im Dienste des Naziregimes eine verhängnisvolle Rolle gespielt haben." Sie wollen eine stärkere Einschränkung der Pressefreiheit. In der Eingabe Nr. 54 7100) von Meinhold, Kempten, wird eine Nationalhymne Dr. Eberhard:





vorgeschlagen. Vors. [Dr.

v.

Mangold]:

Das muß dem

zukünftigen Bundestag gegeben

wer-

den.

96) 97) 98) 99)

Eingabe Eingabe

Nr. 417, in: Z 5/109, Bl. 34-35. Nr. 355, in: Z 5/108, Bl. 397.

Nach Kurzprot. handelte es sich dabei um die Eingabe Nr. 354, Z 5/108, Bl. 193. Eingabe des Verbandes der Journalisten Niedersachsens e. V. (Eingabe Nr. 461) vom 23. Nov. 1948 (Z 5/109): „Wie wir erfahren besteht die Absicht [. .] daß eine absolute Freizügigkeit bei einer Herausgabe von Zeitungen, Zeitschriften und Druckwerken aller Art eingeführt wird. Der Verband der Journalisten in Niedersachsen, als Berufsvertretungskörperschaft der Journalisten, hält sich für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß durch eine derartige Auslegung der Pressefreiheit die größten Gefahren für die demokratische Erziehung des deutschen Volkes und für die Entwicklung einer wirklich unabhängigen deutschen Presse entstehen müssen. Die schrankenlose Freiheit zur Herausgabe von Druckwerken aller Art würde praktisch nur zu einer Begünstigung kapitalstarker Druckunternehmen führen, die zum größten Teil im Dienst des Nazi-Regimes eine verhängnisvolle Rolle gespielt haben, heute die ohnehin begünstigten und im Gegensatz zu den Zeitungsherausgebern ausgezeichnet verdienenden Inhaber von Druckereibetrieben sind und dadurch eine wirtschaftlich überragende Stellung besitzen." Ähnlich argumentierte eine Eingabe des Nordwestdeutschen Zeitungsverleger-Vereins (vgl. Dok. Nr. 41, Anm. 5). 10°) Die Eingabe Nr. 547 ließ sich nicht ermitteln. .

908

Einunddreißigste Sitzung Frau Dr. Weber: Die

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Eingabe

Nr. 555101) der Arbeitsgemeinschaft Deutscher etwas über Leibesübungen, Turnen und Sport in die Verfassung hereingebracht wird. Es geht den Kompetenzausschuß an, zu entscheiden, ob es eine Frage der Kompetenz des Bundes ist. Die Kulturangele-

Sport, Darmstadt, wünscht, daß

genheiten sind doch alle bei den Ländern geblieben. Und die Eingabe Nr. 553102) des Verbandes der Privatschulen, Hamburg,

will die Aufnahme eines Artikels über die Privatschulen in die westdeutsche Verfassung. Dazu liegen schon verschiedene Anträge vor. Mit den Privatschulen müssen wir uns wohl noch beschäftigen. Wir müssen die Eingabe als Material verwenden.

(Vors. [Dr. v. Mangold]: Hauptausschuß.) Eingabe Nr. 546103) des Landesverbandes der Volkshochschulen betrifft die Sicherung der Erwachsenenbildung in der Verfassung. Für die Bildungsfragen sind die Länder zuständig. Die Eingabe Nr. 545104) des Verbandes katholisch kaufmännischer Vereine Deutschlands betrifft zunächst die Familie und das Eigentum. Beide Gegenstände sind durch die entsprechenden Artikel in den Grundrechten erledigt. Die Eingabe wünscht ferner, daß grundlegende Artikel über Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen in die Grundrechte aufgenommen werden. Das haben wir bisher nicht getan. Das ist durch die Dinge erledigt, die wir angenommen haDie

ben. Es ist noch eine sehr häßliche Postkarte angekommen, die die Unterschrift „Ullrich von Hutten" trägt105). Sie ist unverschämt. betrifft die Flüchtlingsbeamten. Die Eingabe Nr. 526106) Petereit, Malente Das ist durch den Gleichheitssatz erledigt. Die Eingabe Nr. 3 2 2107) von Dr. Ricking, Damme i. O., verlangt das Bekenntnis zum Christentum in Art. 1 der deutschen Verfassung. Wir können darüber zur —



Tagesordnung übergehen.

101) Eingabe Nr. 555, in: Z 5/110, Bl. 41. 102) Eingabe Nr. 553, in: Z 5/110, Bl. 36-37. Die Eingabe vom 3. Dez. 1948 ging auch an Theodor Heuss (NL Heuss/418). Darin hieß es u. a.: „Der Verband erlaubt sich daher die

-

auszusprechen, daß Sie sich für die Aufnahme eines solchen Privatschulartikels in die Verfassung einsetzen. Des ferneren äußert der Verband den Wunsch, daß dieser Privatschulartikel möglichst weitgehend dem Artikel 147 der Weimarer Reichsverfassung angeglichen wird. In diesem die Stellung der Privatschulen innerhalb des deutschen Schulwesens regelnden Artikels sind in wohiabgewogener Weise die Elternrechte einerseits, die Belange und Interessen des öffentlichen und des privaten Schulwesens andererseits berücksichtigt." Eingabe Nr. 546, in: Z 5/110, B. 25. Eingabe Nr. 545, in: Z 5/110, Bl. 22. Die Eingabe ließ sich nicht ermitteln. Vgl. auch Dok. Nr. 30, Anm. 25. Eingabe Nr. 526, in: Z 5/109, Bl. 188. Eingabe Nr. 322, in: Z 5/108, Bl. 154. Bitte

103) 104) 105) 106) 107)

909

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Januar

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Nr. 42 des Ausschusses für

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Grundsatzfragen

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Z 5/36, Bl. 151-233. Stenogr. Wortprot., undat. und ungez. Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 20-24. Drucks. Nr. 578

Anwesend1} : CDU/CSU: Lensing (zeitweise), v. Mangoldt (Vors.), Süsterhenn, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich FDP: Heuss DP: Heile Mit beratender Stimme: Kaiser (CDU) Stenografischer Dienst: Moidinger Dauer: 16.20-19.30 Uhr

[1. GRUNDRECHTE. VERGLEICHENDE DURCHSICHT DER FORMULIERUNGEN DES ALLGEMEINEN REDAKTIONSAUSSCHUSSES, DES HAUPTAUSSCHUSSES (1. LESUNG) UND DER NEUEN FASSUNG V. MANGOLDT]

[a. Würde des Menschen (Art. 1)] Der

Vorsitzende, Abg. Dr.

v.

Mangoldt,

eröffnet

um

16 Uhr 20 Minuten

die Sit-

zung:

Ich würde vorschlagen, daß wir uns heute noch einmal mit den Artikeln der Grundrechte befassen, bei denen sich die Notwendigkeit oder der Wunsch zu einer Änderung herausgestellt hat. Ich selbst habe mir während der Weihnachtszeit die Arbeit gemacht, mir einmal zu überlegen, wie weit wir dabei den redaktionellen Wünschen des Redaktionsausschusses2) entgegenkommen können. Außerdem bekam ich kurz vor Weihnachten noch eine Ausarbeitung des Deutschen Sprachvereins3). Der Deutsche Sprachverein war mit acht Mitgliedern zusammengetreten und übersandte eine Formulierung, die tatsächlich nur redaktionelle Änderungen vornimmt und den sachlichen Inhalt der Bestimmungen vollkommen unangetastet läßt. Er hat also die Aufgaben eines Redaktionsausschusses wirklich in sehr sachlicher Form erfüllt. In diesem Ausschuß des Deutschen Sprachvereins, der manche wirklich zu beherzigende Vorschläge macht, waren vertreten zwei Philologen und sechs Juristen. Insofern ist das auch eine gewisse Kontrolle, eine gewisse beruhigende Kontrolle in der Richtung, daß diese Vorschriften überhaupt juristisch haltbar sind. Es sind allerdings auch einige Vorschläge herausgekommen, die hier nicht vollen Beifall finden werden. Ich habe sie übernommen als Eventualfassung, damit wir darüber sprechen können.

*)

Anwesenheitsliste nach Kurzprot.; nicht

ergriff.

aufgeführt wurde Lensing,

der jedoch das Wort

2) Drucks. Nr. 370 als Dok. Nr. 40 abgedr. 3) Die Eingabe des Deutschen Sprachvereins ließ sich nicht ermitteln. Sie wurde allerdings im

910

folgenden weitgehend

verlesen.

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Nr. 42

Ich dachte mir nun, es würde die Arbeiten im Hauptausschuß sehr erleichtern, wir uns vorher noch einmal über diese Fragen aussprechen würden. Wenn Sie damit einverstanden sind, daß wir so verfahren und daß wir uns noch einmal über diese Artikel unterhalten, soweit sich Abänderungsvorschläge ergeben, ist es vielleicht am zweckmäßigsten, daß wir die Vorschläge des Redaktionsausschusses4) und die Beschlüsse des Hauptausschusses 1. Lesung5) nebeneinanderlegen und dann als 3. danebenlegen die Vorschläge, die ich zu machen habe6), so daß wir das miteinander vergleichen können. Dann brauche ich nicht alles vorzutragen, was die Behandlung der Dinge sehr lange hinziehen würde. Ich darf dann mit den Vorschlägen beginnen.— Unser 1. Absatz „Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung" ist doch immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen gewesen und man hat immer wieder betont, daß man hinzufügen müsse, damit dieser Satz wirklich etwas enthalte, daß hier eine besondere Verpflichtung gegeben sei. Es taucht das auch wieder auf in dem Art. 1 Abs. 1 der Fassung des Redaktionsausschuswenn





ses7): „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Der Deutsche Sprachverein hat eine Formulierung vorgeschlagen, die ich als Eventualfassung aufgenommen habe, obwohl sie mir nicht sehr schön erscheint: „Die Würde des Menschen ist die Richtschnur der staatlichen Ordnung." (Dr. Heuss: „Richtschnur" ist scheußlich!) Das ist genau meine Auffassung, und ich habe es nicht ganz verstanden, daß gerade der Deutsche Sprachverein diese Fassung vorschlägt. (Dr. Eberhard: Bedeutet auch etwas ganz anderes!) Ich habe mir den Vorschlag gestattet, das zusammenzuziehen, was der Redaktionsausschuß gesagt hat „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." —, denn mir scheinen diese beiden Sätze etwas den Gedankengang zu unterbrechen. Ich habe mir deshalb erlaubt vorzuschlagen: „Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen ist unlösbare Verpflichtung für alle staatliche Gewalt, wie für jedermann", wobei das Wort „unlösbare" mir noch nicht ganz das richtige zu sein scheint. —

4) Dok. Nr. 40. 5) Beschlüsse des HptA abgedr. als Dok. Nr. 37. 6) Entwurf Dr. v. Mangoldt für die Art. 1-20 vom

8. Jan. 1949 als Umdruck S 7 in: Z 5/202. Die Außenstelle Bad Godesberg des Büros der Ministerpräsidenten übersandte die Ausarbeitung unter dem 10. Jan. 1949 an das Büro in Wiesbaden mit dem Bemerken,

auf einer Konferenz der maßgeblichen CDU/CSU-Politiker Westdeutschlands und Beram Wochenende in Berlin stattfand, sei verlangt worden, die kulturpolitischen Forderungen der beiden großen Kirchen in Deutschland in präziser, wenn auch knapper Form im Grundgesetz zu verankern. Die Vorstellungen, die die CDU/CSU sich hiervon macht, würden sich aus dem in der Anlage beigefügten Entwurf des Abgeordneten von Mangoldt der Artikel 1-20, die Grundrechte betreffend ergeben (Z 12/120, Bl. 173, der Entwurf ebenda, Bl. 175—176). Die Fassung wurde im folgenden im Rahmen dieser Sitzung weitgehend verlesen. 7) Dok. Nr. 40.

lins, die

911

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Dr. Süsterhenn: Ich möchte vorschlagen, es bei der Formulierung des Redaktionsausschusses zu belassen, und zwar aus folgenden Gründen. In dem ersten Satz ist klargestellt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das ist eine absolute Feststellung, die sich gegen jedermann wendet, sowohl gegen die staatliche Gewalt wie auch gegen jeden Privaten und gegen jede gesellschaftliche Institution. Dann kommt der zweite Satz: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Es scheint mir das sprachlich besser zu sein als der Vorschlag Dr. v. Mangoldt. Ich finde es unschön, wenn man wie für jedermann", ob mit oder ohne Komma, hinten die Worte anhängt: ich habe sprachliche Bedenken gegen diese Formulierung. Außerdem ist es sachlich nicht ganz richtig, daß jedermann verpflichtet ist, die Würde des Menschen zu schützen. Diese Schutzfunktion ist Aufgabe der öffentlichen Gewalt des Staates. Dagegen die Menschenwürde zu achten ist Verpflichtung für jedermann. Diese Dinge scheinen mir klarer und sprachlich schöner in Art. 1 Abs. 1 der Fassung des Redaktionsausschusses zum Ausdruck gebracht. Dr. Heuss: Zunächst möchte ich mich dem anschließen, was Herr Kollege Dr. wie für jedermann" hinkt nach und hat nur deklaSüsterhenn gesagt hat matorischen Charakter, keine Rechtsverbindlichkeit, was wir an sich haben wollten. Dann möchte ich natürlich, wie ein in sein Kind verliebter Vater, die ursprüngliche Fassung: „Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung" etwas verteidigen und für besser halten als das, was jetzt vorgeschlagen ist. Vor allem stört mich der Begriff der „staatlichen Gewalt". Ich habe mit voller Bewußtheit die „staatliche Ordnung" eingeführt. Mit dem Begriff „staatliche Gewalt" sieht die Würde des Menschen von vornherein als eine bedrohte Angelegenheit aus, für die der Staat als Gewaltenträger aufmarmenschlichen wie auch schieren muß, während nach meinem Gefühl das in-die-staatliche-Ordnung-Eingebettetsein der sprachlichen Gefühl menschlichen Würde besser entspricht. Sie steht im Schutze, im Gehege, in der Getragenheit der staatlichen Ordnung, aber nicht so, daß staatliche Gewalt sie fortgesetzt überwacht, damit ihr keine Gewalt angetan wird. Er ist selber dann Gewaltenträger gegenüber einem Zustand, den wir schützen wollen. Ich sehe auch in der vom Redaktionsausschuß vorgeschlagenen Fassung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar" keine bessere Lösung. Sie hat zwar eine bessere Kadenz, aber was heißt: „unantastbar"? Wir geben nachher an manchen Stellen eine stärkere Interpretation, was alles unter den Begriff Freiheits- und Menschenrechte fällt. Ich würde dafür plädieren, es bei der ursprünglichen Fassung, die sprachlich in ihrer Knappheit den Vorzug verdient, zu belassen, auch wenn man beanstanden könnte, daß in ihr keine Verpflichtungsübernahme, kein Verpflichtungszwang zum Ausdruck kommt. Ich finde in beiden Vorschlägen keine wesentliche, ja überhaupt keine Verbesserung dessen, was wir ursprünglich gesagt haben. Aber ich gebe zu, es ist eine gewisse persönliche Verliebtheit in die Satzkadenz, die da ausgesprochen ist. Dr. Süsterhenn: Ich habe persönlich auch keine sachlichen Bedenken, es bei der ursprünglichen Fassung, wie sie der Hauptausschuss beschlossen hat, zu belassen. Es wurden einige Bedenken laut, indem es hieß, durch diese Fassung sei nicht genügend garantiert, daß der Staat selbst die Menschenwürde achte. „.

.

.

„...





912

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Ich glaube, wenn man sagt: „Die Menschenwürde steht im Schutze der staatlichen Ordnung", ist in dieser Schutzpflicht auch enthalten, daß der Staat die Menschenwürde selbst anerkennt und achtet. Es ist auch in dieser Formulierung, wie sie der Grundsatzausschuß damals beschlossen und wie sie Herr Dr. Heuss jetzt verteidigt hat, die Menschenwürde gegen jeden Angriff abgeschirmt dadurch, daß sie in den Mittelpunkt und in das Gehege dieser staatlichen Ordnung gestellt ist. Ich glaube, es ist darin alles enthalten, was man hervorheben will. Ich habe keine Bedenken, es so zu belassen, auch ohne in diese Fassung persönlich verliebt zu sein. Kaiser: Ich bin der gleichen Auffassung. Ich finde die Formulierung der ersten Lesung passender und schöner wie alle anderen. Dr. Eberhard: Ich bitte es dabei zu belassen. Ich glaube, die Einwände, die gemacht worden sind, sind von Herrn Dr. Süsterhenn schlagend widerlegt. Ich wollte etwas Ähnliches sagen. Aber das ist sicher richtig, was Sie gesagt haben. Frau Dr. Weber: Ich bin der gleichen Meinung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf bemerken, daß ich mich auch gestoßen habe an den Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar". (Dr. Heuss: Ein scheußliches Wort!) Ja, es ist sprachlich nicht schön und was wird damit gesagt? (Dr. Bergsträsser: Sie sollte unantastbar sein!) Ich habe auch wegen des 2. Absatzes, wegen der Überleitung gewisse Bedenken und ich möchte fragen, ob man es nicht so machen könnte, daß man sagt: „Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. Sie zu achten und zu schützen ist besondere Verpflichtung". Sonst ist der 2. Absatz, die Überleitung auf die Grundrechte, sehr schwer zu machen. Ich habe mir wegen dieser Überleitung lange überlegt, wie man zu einer vernünftigen Fassung kommen könnte. Dr. Süsterhenn: Ich finde, offengestanden, dieser 2. Satz ist eine Tautologie, und zwar eine abschwächende, die den Eindruck des 1. Satzes verwischt. Wir müssen so vorgehen, daß wir diesen lediglich zur Überleitung gewünschten Satz nicht nötig haben. Frau Dr. Weber: Ich würde es auch nicht noch einmal sagen. Dr. Bergsträsser: Wenn wir von unserer Fassung ausgehen, so finde ich, daß sich der 2. Absatz an den ersten ganz gut anschließt. Indem wir die Menschenwürde wieder aufnehmen, ist eine formale Verbindung gegeben und es ergibt sich daraus ein gewisser Duktus. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es haben sich gewisse Schwierigkeiten aus der Gegenüberstellung ergeben: „Mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung erkennt das deutsche Volk. .", also dieses Nebeneinander: „Mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen" ist nicht schön und deshalb habe ich nach einer anderen Formulierung gesucht und nur diese zwei gefunden, von denen eine beeinflußt ist vom Deutschen Sprachver.

ein. Dr. Süsterhenn: Vielleicht sagen wir

folgendes

Menschenwürde erkennt das deutsche Volk jene

als Abs. 2: „Zur Sicherung der gleichen und unveräußerlichen 913

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Freiheits- und Menschenrechte an, die das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden". Dann ist der Gedanke, der in dem Wort „Grundlagen" zum Ausdruck gebracht ist, aufgenommen. Wenn ich sage, es ist eine Grundlage der Menschenwürde oder es dient der Menschenwürde, so ist das sachlich das gleiche. Die Anerkennung der Menschenwürde noch einmal auszusprechen, wie das in der alten Formulierung des Grundsatzausschusses geschehen ist, ist nicht notwendig, weil das bereits in Abs. 1 erfolgt ist. Man könnte auch sagen: „Als Grundlage für ihre dauernde Achtung erkennt das deutsche Volk..." Dr. Bergsträsser: Oder man sagt: „Damit die Menschenwürde gesichert und dauernd geachtet werde." Dr. Süsterhenn: Das halte ich für sehr gut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist eine Formulierung, der ich durchaus zustimmen könnte. Dann würden Sie weiterfahren: bekennt sich das deutsche Volk"? erkennt das deutsche Volk. an". Das ist juristischer und Dr. Eberhard: „...

.

.

.

präziser.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde es also heißen: „Damit die Menschenwürde dauernd geachtet und gesichert werde ..." In dem „gesichert" liegt der „erkennt das deutsche Volk. .". Vollzug der Achtung Wunderlich: Mir gefallen die Worte „in der Welt" nicht. Man könnte das als einen gewissen Gegensatz zu dem Zustand bei uns auffassen. Können wir das nicht streichen? Dr. Süsterhenn: Dann gilt es im innerstaatlichen und im zwischenstaatlichen Bereich. Dr. Bergsträsser: Können wir „Fundament" nicht ersetzen und statt „Grundlagen" sagen: „tragende Kräfte"? Dr. Süsterhenn: „Grundlagen" ist besser als „tragende Kräfte". Da ist zuviel Dynamik darin, es schwimmt etwas. „Grundlagen" ist stabiler und klingt stabiler. Dr. Bergsträsser: Der Begriff „tragende Kraft" ist subjektiver, vom einzelnen Menschen aus gesehen, „Grundlage" ist objektiver. Dr. Süsterhenn: Ich möchte das objektiv verankern. Dr. Heuss: Ich habe ein bißchen Sorge, daß das Wort „Grundlage" sich entfernt hat von der Plastik des Grundes, auf dem es ruht. Es ist etwas verwaschen geauf denen Freiheit, Gerechtigkeit und worden. Vielleicht können wir sagen: Frieden ruhen." Ich würde am liebsten „Fundament" mit „Grund" übersetzen, aber „Grund" ist gleichzeitig ein kausaler und ein plastisch-örtlicher Begriff, und das kausale wäre hier ganz sinnlos. —

.



.

(Dr. Bergsträsser: Unterpfand!)

Fundament ist deutlicher. Das Wort Grundlage ist abgegriffen und hat auch so ein bißchen einen kausalen Klang, den es hier nicht haben soll. Es soll damit erfaßt sein das Ruhen in den Dingen. Ich würde sagen: „Auf denen Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden ruhen". Frau Dr. Weber: Mir würde „Unterpfand" besser gefallen. die ein Unterpfand für Freiheit, Gerechtigkeit und Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Frieden sind." .

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jedenfalls Grundlage oder Unterpfand vor. Ich die auf denen bin für Formulierung von Herrn Dr. Heuss: Lensing: und Frieden ruhen." Freiheit, Gerechtigkeit Wunderlich: Ich finde das sprachlich sehr schön. auf denen Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Also: ruhen." Ich habe noch ein Bedenken. Wenn wir sagen: „Damit die Menschenwürde dauernd geachtet und gesichert sei, erkennt das deutsche Volk jene unveräußerlichen und unantastbaren Freiheits- und Menschenrechte an", so könnte man uns den Vorwurf machen: Nicht nur deshalb werden Freiheits- und Menschenrechte anerkannt, sondern das ist nur einer der Gründe dafür, weshalb Menschenrechte anerkannt werden. Daher stammt die Formulierung: als eine der Grundlagen". Man müßte das irgendwie in den Satz 1 hineinbekommen. Dann wäre es richtig. Aber so in dieser Formulierung ist es philosophisch nicht zu halten. Dr. Süsterhenn: Ich bin gegenteiliger Meinung. Alles menschliche Leben, auch das Leben in der Gemeinschaft, dient doch der Menschenwürde und ihrer Verwirklichung. Zur Verwirklichung der Menschenwürde gehört natürlich auch die Eingliederung des Menschen in die Gemeinschaft, seine Entfaltung in der Gemeinschaft, die Reziprozität zwischen ihm und der Gemeinschaft. Aber Menschenwürde ist doch der tragende Grundpfeiler von allem menschlichen Dasein. Also deshalb können wir meines Erachtens ruhig in der jetzigen Formulierung sagen: „Damit die Menschenwürde .", wie Herr Dr. Bergsträsser vorgeschlagen hat. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich glaube, wir haben uns nicht ganz verstanden, sondern aneinander vorbeigesprochen. Meine Ausführungen gingen dahin, daß Freiheits- und Menschenrechte nicht nur da sind, weil sie zur Sicherung der Menschenwürde dienen, sondern Freiheits- und Menschenrechte haben noch eine andere Aufgabe, die etwa darin liegt, der Entfaltung und der Fortentwicklung der Persönlichkeit zu dienen. Dr. Süsterhenn: Das gehört alles zur Menschenwürde, auch die Entfaltung der Persönlichkeit, auch die Fortentwicklung, das paßt alles unter den Begriff Menschenwürde. Frau Dr. Weber: Ich muß Herrn Dr. v. Mangoldt recht geben. Es gibt noch andere Gründe als die Menschenwürde; die Würde des Menschen ist nicht das einzigste. Ich sehe das auch nur als eine der Grundlagen an, und vor allem baich weiß nicht, wer von Ihnen so oder so gerichsiert die Menschenwürde auch noch auf tieferen Gründen. tet ist Dr. Süsterhenn: Der eine sieht die Menschenwürde begründet in der Humanität, der andere in der christlichen Auffassung von der Gottähnlichkeit des Menschen. Aber in dem Begriff der Menschenwürde als dem in der Diesseitigkeit höchsten Wert stimmen wir überein. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Vielleicht würde es richtiger sein ich spreche jetzt ins Unreine, der Satz ist unschön und vielleicht können Sie mir weiterhelfen etwa zu sagen: „Um der dauernden Achtung der Menschenwürde zur Durchsetzung zu verhelfen, erkennt das deutsche Volk an.. .". Dann wäre der GedanFrau Dr. Weber: Ich ziehe

.

.

..









kengang richtiger. 915

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Dr. Bergsträsser: Dem entspricht aber doch diese Formulierung: „Damit die Menschenwürde geachtet und gesichert werde." Dr. Siisterhenn: Es ist sachlich dasselbe. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder: „Als ein Mittel, der Menschenwürde zur Sicherung zu verhelfen, werden diese Grundrechte ." Dr. Siisterhenn: Ich vermag keinen sachlichen Unterschied zu erkennen. Dr. Heuss: Herr v. Mangoldt hat die Empfindung, daß hier eine gewisse Einschränkung erfolgt, die nicht zweckmäßig ist. Da stimme ich zu. Aber ich suche auch noch nach einer Formulierung. Sie wollen sie breiter gehalten haben. Dr. Siisterhenn: Ich stimme der Formulierung von Herrn Dr. Bergsträsser zu. Da ist alles darin enthalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben einmal schon bei einem ähnlichen Satz diese Schwierigkeiten durchgemacht und haben von philosophischer Seite Einwände bekommen, die berechtigt waren. Frau Dr. Weber: Vielleicht darf ich zur Geschäftsordnung den Vorschlag machen, daß sich einige Herren noch einmal mit dieser Formulierung befassen, damit wir jetzt weiterkommen. Dr. Heuss: Ich will ins Unreine sagen, worauf es ankommt: „Indem das deutsche Volk die Menschenwürde als die Mitte des Seins geachtet und gesichert wissen will...". Es ist zwar ein ungeschicktes Pathos, aber sachlich handelt es sich darum. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, darum handelt es sich. Kaiser: „In Erfüllung dieser Pflichten erkennt das deutsche Volk an .". Dr. Heuss: Das Wort „Pflicht" haben wir vorne nicht darin. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn wir versuchen würden, das umzudrehen, dann wäre es ganz klar. Kaiser: Es fällt aber dann leicht aus der Ordnung. Dr. Bergsträsser: Das eine ist Pflicht der staatlichen Ordnung, das andere Pflicht der Menschen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die staatliche Ordnung kann keine Pflichten haben, ist besonders verpflichtet." Wenn man diesen sondern man müßte sagen: Satz anhängen würde, wäre es sehr einfach. Deshalb habe ich vorgeschlagen, diesen Satz anzuschließen: „Sie zu achten und zu schützen ist besondere Pflicht. In Erfüllung dieser Pflicht erkennt das deutsche Volk. ..". Dann würden keine Schwierigkeiten bestehen. Dr. Eberhard: Nehmen Sie einen Absatz 2: „Bereit, für die dauernde Achtung und Sicherung der Menschenwürde einzutreten, erkennt das deutsche Volk an .". Diese Kombination ist möglich. Dr. Siisterhenn: Sachlich habe ich keine Bedenken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nur sind die Worte auf „ung" nicht schön. Vielleicht könnte man sagen: „Bereit, dafür einzustehen, daß die Menschenwürde dauernd geachtet und gesichert werde, erkennt das deutsche Volk. .". Dr. Siisterhenn: Ich glaube gerade, daß die Worte auf „ung" die Begriffe wuchtiger und konzentrierter hinsetzen. Dr. Eberhard: Sie haben das Wort „Erfüllung" vorher auch gehabt. Sie können also nicht gegen die Worte auf „ung" plädieren. .

.

.

.

„.

.

..

.

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916

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Mangoldt]: Es würde dann heißen: „Bereit, für die dauernde Achtung und Sicherung der Menschenwürde einzustehen, erkennt das deutsche Volk jene gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, auf denen Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden ruhen." Dr. Bergsträsser: „Einzustehen" gefällt mir nun wirklich gar nicht. Dr. Süsterhenn: Das ist die stärkste Form des Begriffs „garantieren", und das wollen wir doch. Das „einstehen" umfaßt den objektiven Begriff der Garantie und den subjektiven des Eintretens. Frau Dr. Weber: Wenn es auch nicht gut klingt, so ist es sachlich doch gut. Im übrigen möchte ich zu Abs. 2 noch Dr. Süsterhenn: Das klingt auch gut. bemerken, daß der Wunsch geäußert wurde, daß wir diese gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte als dem staatlichen Zugriff entzogen herausarbeiten sollen, daß sie „überpositiv" sind, wie es Radbrach8) einmal genannt hat. Das scheint mir in dem Begriff „unveräußerlich" nicht genügend zur Geltung zu kommen. „Unveräußerlich" heißt, daß der Träger dieser Rechte sich dieser Rechte nicht begeben kann. Das Wort „unveräußerlich" bildet aber noch keine Schranke gegen die Entziehung dieser Rechte durch die staatliche Gewalt oder irgendwelche andere gesellschaftliche Faktoren. Deshalb hätten wir es am liebsten, wenn gesagt würde: „Jene gleichen, unveräußerlichen, von Gott gegebenen" oder eventuell „von Natur gegebenen Rechte" oder wenn sonst irgendwie, etwa durch den Ausdruck „vorstaatliche Rechte" zum Ausdruck gebracht würde, daß diese Rechte dem Zugriff der Staatsgewalt entzogen sind. ich meine, der GeDr. Heuss: Ich würde vorschlagen, statt „unveräußerlich" vielleicht „unverletzbar" zu sagen. dankengang ist zutreffend Dr. Bergsträsser: „Unverletzlich und unveräußerlich". Dann kommt es von beiVors. [Dr.

v.







den Seiten und enthält auch das andere, was Sie wollen. Dr. Süsterhenn: Ja, das ist objektiv und subjektiv. Dr. Heuss: Wir haben an anderer Stelle, juristisch umschrieben, den Tenor dieser Ausführungen aufgenommen, aber ich bin einverstanden, wenn wir es vorne hineinnehmen. Nur möchte ich nicht gerne, daß wir „von Natur gegebene Rechte" oder „von Gott gegebene Rechte" sagen, weil das bei der Interpretation Schwierigkeiten geben würde. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir würden also sagen: „Jene gleichen, unverletzlichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte". Dann möchte ich noch fragen, ob der Vorschlag, der bei mir unter Ziff. 3 aufgeführt ist, Ihre Zustimmung findet: „Diese Grundrechte, für unser Volk aus unserer Zeit geformt...". Es ist nur eine redaktionelle Änderung gegenüber dem

bisherigen.

Dr. Eberhard: Zwei Genitive hintereinander „des Bundes und der Länder wirken bißchen ..." ein veraltet. Gesetzgebung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es klingt aber sehr gut. Dr. Heuss: Hier bin ich dagegen. Diese Fassung: „binden des Bundes und der Länder Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung" hat mir zu sehr den —



8) Gustav Radbruch (1878—1949), Professor für Strafrecht an der Universität Heidelberg, Justizminister im Kabinett Wirth und im Kabinett Stresemann. 917

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Anspruch des Numinosen, des Mythischen. Das ist aus einer pathetischen Lyrik von Hölderlin oder etwas Ähnlichem, aber es paßt nicht in diese Bestimmung hinein. An dieser Stelle ist mir eine kühle, nüchterne Fassung lieber als die numinose. Es kommt durch die vorgeschlagene Fassung ein Pathos hinein, ein falsches Stilgefühl. Wir haben mit Recht in den Worten „unverletzlich und unveräußerlich" ein gewisses Pathos, aber dann gehen wir schon über auf die Gesetzgebungstechnik des Grundgesetzes und sagen etwas aus über die Bindungen. Ich würde an dieser Stelle, bei aller Anerkennung des Deutschen Sprachvereins, seinem Vorschlag nicht folgen9). Hier an dieser Stelle waren offenbar die zwei Nichtjuristen beteiligt. Dr. Bergsträsser: Kann man es nicht so machen, daß man die Worte umdreht und sagt: „binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung des Bundes und der Länder"? Dr. Süsterhenn: Dann ist das Numinose weg, wenn es heißt: „Diese Grundrechbinden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung des Bundes und te der Länder als unmittelbar geltendes Recht." Dr. Heuss: Damit bin ich einverstanden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde also die Formulierung lauten: Diese Grundrechte, für unser Volk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt, binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung des Bundes und der Länder als unmittelbar geltendes Recht. Ich darf dazu Ihr Einverständnis annehmen. Ich werde das noch einmal schreiben und an die Mitglieder verteilen lassen10). ...

[b. Recht auf Leben, Freiheit der Person (Art. 2)] Dürfen wir jetzt zu Art. 2 übergehen? Hier hat der Redaktionsausschuß11) etwas vollkommen Neues gemacht. Er ist wieder zurückgekehrt zu der „Freiheit, —

tun und zu lassen .", einer Formulierung, zu der man auch an anderer Stelle wieder zurückgekommen ist und die wir wenig schön finden. Ich habe mich nicht entschließen können, dazu zurückzukehren und habe auf einen Vorauf Freiheit und Sicherheit schlag des Deutschen Sprachvereins12) hin statt: der Person" gesagt: auf persönliche Freiheit und Sicherheit". Das ist sachlich keine Änderung, aber es klingt besser: „Jeder hat das Recht auf Leben, auf wenn ich das einmal persönliche Freiheit und Sicherheit." Es ist überhaupt praktisch der Art. 2 die Generalklausel für die ganzen Grundsagen darf rechte. Wir haben folgenden Aufbau: Oben darüber steht die Menschenwürde, dann kommt die allgemeine Freiheit, die alles in sich schließt. Art. 3, 4 und 5 sind alles Freiheiten, die aus dieser allgemeinen Freiheit fließen und eine Spezialisierung dieser allgemeinen Freiheit darstellen. So muß der ganze Aufbau gesehen werden. zu

.

.

.

„.

.

.





9) 10) ») 12) 918

Vgl.

Anm. 3.

Drucks. Nr. 493, hier Dok. Nr. 40.

Anm. 3.

abgedr.

als Dok. Nr. 43.

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das stand noch aus einen Vorschlag für Abs. 2, für die körperliche Unversehrtheit, erlaubt und habe das anders aufgezogen, nämlich umgekehrt. Mein Gedanke war dabei folgender, daß man überhaupt nur so an die nicht der Heilung diedie Dinge herankommt, daß man sagt: „Eingriffe und alle die Dinge, die ausan an nen". Da ist gedacht die Zwangssterilisation werden sollen. geschlossen (Dr. Süsterhenn: Ärztliche Experimente!) Das übrige habe Es sei denn, daß sie auf Wunsch der Betroffenen erfolgen. ich bei den Eingriffen, die nicht der Heilung dienen, bewußt kurz gehalten und habe es nicht weiter ausgeführt, weil man sonst vom hundertsten ins tausendste kommt. Man kann nur unterscheiden: Eingriffe, die nicht der Heilung dienen, und Eingriffe, die der Heilung dienen. Dr. Eberhard: Wie ist es mit der Impfung? Ich habe mir hier





...,



(Vors. [Dr. Ist das

gewiß?

ten bei

dem,

v.

Mangoldt]: Heilung!) Impfen ist keine Heilmaßnahme.

Das

was

glaube,

Aber ich

wir soll-

Europa vielleicht noch droht, die Zwangsimpfung nicht

un-

möglich

machen. Dr. Süsterhenn: Ich bin auch dafür, daß man das nicht unmöglich machen darf. Wunderlich: Wie ist es in folgendem Fall: Ein Mann erleidet einen Unfall, wird bewußtlos in das Krankenhaus eingeliefert und dann muß der Arzt ohne seine Einwilligung eine Operation vornehmen? Vors. [Dr. v, Mangoldt]: Das ist vorgesehen. Im Rahmen der geltenden Rechtsordnung ist es zulässig, in einem solchen Fall auch ohne Einwilligung des Betroffenen eine Operation vorzunehmen. Wunderlich: Wie ist es mit der Behandlung von Geisteskranken? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auch das ist in der geltenden Rechtsordnung geregelt. Das einzige Bedenken ist die Impfung. Dr. Eberhard: Die Impfung dürfen wir nicht ausschließen. Dr. Süsterhenn: Sie ist auch durch die geltende Rechtsordnung vorgesehen. Die Impfung ist doch eine vorbeugende Maßnahme. oder der Vorbeugung dieDr. Bergsträsser: Dann müßte man hinzufügen: .

nen." Dr. Süsterhenn: Ich verstehe das

die nicht der Satz 1 sagt: „Eingriffe das sind also Eingriffe, Heilung dienen, sind unzulässig". Andere Eingriffe die etwa nicht nur der Heilung, sondern auch der Vorbeugung dienen können, können ohne Einwilligung des Betroffenen nur ausnahmsweise und nur im Rahmen der geltenden Rechtsordnung vorgenommen werden. Darunter fallen so:

.

.

.



die

Zwangsbehandlung

Geschlechtskranker und ähnliches.

Schwierigkeit hinweg, wenn wir den Ausausnahmsweise" „nur wegstreichen, der an sich nicht in die Verfassung Süsterhenn meint Herr Dr. was Das, Heilung von Geschlechtshineinpaßt. krankheiten, Impfen usw. —, das läuft dann ganz von selber. Ich wäre dafür, dieses „nur ausnahmsweise" wegzulassen. Mir ist auch nicht klar, ob der Satz: es sei denn, daß sie auf Wunsch des Betroffenen erfolgen" zutreffend ist. im Einverständnis des Betroffenen." Ich würde sagen: Dr. Heuss: Wir kommen über die

druck



.

.

919

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Mangoldt]: Vertretungsberechtigten". Vors. [Dr.

v.

v.

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Es fehlt noch etwas:

Frau Dr. Weber: Ist die Euthanasie

(Vors. [Dr.

11.

.

oder mit

Zustimmung des

ausgeschlossen?

Mangoldt]: Ja.)

es heißt: „auf Wunsch". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Euthanasie ist ausgeschlossen durch Abs. 1. Wunderlich: Ich habe die gleichen Bedenken wie Frau Dr. Weber, ob nicht im Wege der Rechtsordnung die Euthanasie doch eingeführt werden kann. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das kann man nicht. Hier handelt es sich um die körperliche Unversehrtheit, während das Leben durch Abs. 1 geschützt ist. Dr. Süsterhenn: Dann handelt es sich noch um die Frage der Schönheitsoperationen. Wenn eine Schönheitsoperation auch nicht im engeren Sinne der Heilung einer direkten gefährlichen Krankheit dient, so dient sie doch der, wenn auch nur ästhetischen, Verbesserung des körperlichen Zustandes und infolgedessen ist sie in weiterem Sinne auch unter den Begriff der Heilung, der Sanie-

Weil

rung zu stellen. Dr. Eberhard: Das ist aber sehr weitgehend interpretiert. es sei denn, daß sie Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht können wir sagen: mit Zustimmung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters erfol.

gen." im Einvernehmen mit". Frau Nadig: Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das paßt nicht. Dr. Süsterhenn: Ich habe Bedenken gegen die Worte: „es sei denn". Ich würde es positiv so fassen: „Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit sind nur zum Zwecke der Heilung und mit Zustimmung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters zulässig." Dr. Eberhard: Dann wären kosmetische Operationen nicht zulässig. Frau Nadig: Das wäre eine zu starke Einschränkung. Dr. Süsterhenn: Wir könnten diese Interpretation, daß die kosmetische Operation darunterfällt, ausdrücklich und einstimmig in den Motiven feststellen. Dr. Bergsträsser: Dann sagen doch die Juristen das Gegenteil. Frau Nadig: Es wäre eine zu starke Einschränkung und würde der Entwicklung zu weit vorgreifen. Sie haben vorhin die Pockenimpfung erwähnt. Die ist durch ein besonderes Gesetz geregelt, nicht aber die Schutzimpfung gegen Diphtérie und Scharlach, Dinge, die noch im Flusse sind. Das dürfen wir nicht verges„.

.

.

sen.

Dr. Süsterhenn: Das ist durch Abs. 2 ausdrücklich ermöglicht. Frau Nadig: Wenn Sie das aber so eng fassen, wie Sie gesagt haben, schneiden Sie die weitere Entwicklung ab. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Satz 2 können wir nicht so lassen, im Hinblick auf die Formulierung von Satz 1. Dr. Süsterhenn: Dann müssen wir ihn anders formulieren. Frau Nadig: Mir scheint der Vorschlag von Herrn Dr. Heuss richtig zu sein, daß wir die Worte: .es sei denn, daß sie auf Wunsch des Betroffenen erfolgen" ändern und die Worte: „nur ausnahmsweise" weglassen. 920

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Dr. Süsterhenn: Nach der jetzigen Formulierung wäre es möglich, daß sich einer im Interesse der Selbstverstümmelung ein Bein abschneiden läßt. Wenn das auf seinen Wunsch erfolgt, wird es hier für zulässig erklärt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das ist eine Operation, die kein Arzt vornehmen

wird. Dr. Süsterhenn: Es heißt doch: „Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, die nicht der Heilung dienen, sind unzulässig, es sei denn, daß sie auf Wunsch des Betroffenen erfolgen." Diese beiden Voraussetzungen müssen gleichzeitig vorhanden sein. Hier heißt es: wenn der Betroffene etwas wünscht, kann es gemacht werden. Dr. Bergsträsser: Wenn Sie diese beiden Punkte zusammennehmen, dann ist die Schönheitsoperation untersagt. Dr. Süsterhenn: Die Schönheitsoperation fasse ich unter den Begriff der Heilung, und eine übereinstimmende Erklärung des Hauptausschusses in dieser Sache würde es klarmachen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das reicht nicht aus. Wir sind in demselben Dilemma, in dem wir von vornherein waren. Wenn wir nicht negativ formulieren, kommen wir nicht heraus. Dr. Süsterhenn: Dieser Formulierung könnte ich meine Zustimmung nicht geben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Beispiel, das Sie brachten, ist unmöglich und wieder alle Vorschriften. Es wird kein Arzt ermächtigt, einem gesunden Menschen ein Bein zu amputieren. Das ist ausgeschlossen. Dr. Süsterhenn: Das steht aber hier. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es kann niemand den Wunsch nach etwas Ungesetzlichem äußern, und kein Gesetz ermächtigt einen Arzt zu etwas, was allen gesetzlichen Vorschriften widerspricht. Jedes Gesetz muß grundsätzlich so ausgelegt werden. Dr. Bergsträsser: Sonst würden wir mit diesem Satz die Euthanasie für zulässig erklären; denn dann könnte man dem Arzt gegenüber nicht nur den Wunsch aussprechen: ich wünsche ein Bein abgeschnitten zu haben, sondern man könnte auch wünschen, den Kopf abgeschnitten zu bekommen. Dr. Süsterhenn: Ich kann nicht umhin, in der jetzigen Formulierung steht das darin. Dr. Eberhard: Das Kopfabschneiden ist ausgeschlossen durch Abs. 1, aber das Beinabschneiden sehe ich auch noch als möglich an. Dr. Bergsträsser: Das darf der Arzt nach den allgemeinen Gesetzen nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Jedes Gesetz ist so auszulegen, daß es sich im Rahmen der geltenden Auffassung hält. Wenn wir von Treu und Glauben ausgehen und jedes Gesetz ist so auszulegen —, dann kann man nichts Unsittliches in ein Gesetz hinein interpretieren. Dr. Süsterhenn: Wir brauchen nichts interpretieren; es steht im Wortlaut da. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es steht nichts darin, was unsittlich ist oder der Auffassung von Recht und Gerechtigkeit widerspricht. Dieser Satz ist nur nötig, um die Schönheitsoperation möglich zu machen. Die kann gemacht werden. Es sind auch noch andere Eingriffe denkbar, die nicht der Heilung dienen. -

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dann daraus interpretiert wird! Wir wollen ja nichts an das Dritte Reich! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann kommen wir überhaupt zu keiner Fassung. Frau Dr. Weber: Ich habe mit sechs Juristen gesprochen. Sie sagen immer wieder: Aber das muß möglich sein und das muß möglich sein. Meiner Meinung ist dann auch eine Euthanasie möglich. Dr. Eberhard: Nein, das Recht auf Leben ist durch Abs. 1 geschützt. Dr. Süsterhenn: Kopf abschneiden ist ausgeschlossen. Aber alle übrigen Körperteile Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das auch nicht. Dr. Süsterhenn: Die positive Formulierung würde lauten: „Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit sind nur zulässig zum Zwecke der Heilung und mit Zustimmung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters." Dr. Bergsträsser: Dann nehmen Sie einer Schauspielerin die Karriere, weil sie keine Schönheitsoperation ausführen lassen kann. Frau Nadig: Denken Sie an die vielen Unfälle und an die Operationen, die sich daraus ergeben! Hier handelt es sich nicht nur um Schönheitsoperationen aus geringfügigen Gründen, sondern um ernste Angelegenheiten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn Eingriffe nur zur Heilung und nur mit Zustimmung des Betroffenen zulässig sind, dann ist der Fall denkbar, daß bei einem, der sich einer kleinen Bruchoperation zu unterziehen hätte, dauernd dem Staate mit einer Rente zur Last fällt, die Operation nicht durchgeführt werden kann, weil er seine Zustimmung verweigert. Dr. Süsterhenn: Wenn sich bei der Sozialversicherung der Versicherte nicht dem vorgesehenen Heilverfahren unterwirft, geht er des Versicherungsanspruchs verlustig. Er steht vor der Wahl, entweder sich dem Heilverfahren zu unterwerfen oder keine Rente mehr zu bekommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wird sich aber dann auf den Grundrechtsartikel berufen und sagen: Eingriffe zu meiner Heilung können nur mit meiner Zustimmung vorgenommen werden; infolgedessen muß weiter gezahlt werden. Das geht also nicht. Dr. Süsterhenn: Dann bin ich eher damit einverstanden, daß wir eine Formulierung finden mit dem ganz generellen Zusatz: .im Rahmen der Rechtsordnung", so daß dann die Einzelheiten durch die Rechtsordnung festgelegt werden können. Aber der Satz .es sei denn, daß sie auf Wunsch des Betroffenen erfolgen" öffnet Tür und Tor für alles Beliebige. Wir könnten sagen: „Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit sind nur im Rahmen der Rechtsordnung Frau Dr. Weber: Aber

was

Unsittliches; aber denken Sie



zulässig". Frau Nadig:

Sollte man nicht diesen ganzen Abschnitt zusammenfassen und es bei dem ersten Satz bewenden lassen: „Jeder hat das Recht auf Leben"? Damit ist ja alles festgelegt, was von ausschlaggebender Bedeutung ist. Frau Dr. Weber: Es sind so schreckliche Dinge in den Konzentrationslagern vorgekommen und wir haben heute ein ganz anderes Verantwortungsgefühl dafür, daß der Körper weitgehend unverletzlich sein soll, daß unsere Zeit verpflichtet ist, hierüber doch etwas in der Verfassung zu bringen. 922

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Dr. Süsterhenn: Noch ein kürzerer Vorschlag: Wir streichen den Abs. 2 und sagen in Abs. 1 : „Jeder hat das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, auf persönliche Freiheit und Sicherheit". Wunderlich: Was machen daraus die Juristen? Dr. Süsterhenn: Wenn wir sagen, daß durch die Formulierung: „Jeder hat das Recht auf Leben" die Möglichkeit der gesetzlichen Einführung der Todesstrafe im Strafgesetzbuch nicht ausgeschlossen wird das war ja unsere Überzeugung auch und wir haben in der Fraktion zu dieser Frage gesprochen13) —, dann gilt dasselbe, was hier für das Recht auf Leben gilt, auch für das im Anschluß daran statuierte Recht auf körperliche Unversehrtheit, denn hier kann im Wege der Rechtsordnung die Möglichkeit der Zustimmung gegeben werden. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Mir scheinen hier die gleichen Schwierigkeiten aufzutauchen. Dann sagt derjenige, der operiert werden soll: „Ich habe das Recht, das unbeschränkte Recht der körperlichen Unversehrtheit. Infolgedessen lasse ich die Operation nicht machen. Zahlt mir meine Rente weiter." Dr. Heuss: Mir leuchtet das, was Herr Dr. Süsterhenn gesagt hat, ein. Ich glaube nicht, daß sich ein Versicherter in einem Rentenstreit auf diese Bestimmung von der körperlichen Unversehrtheit berufen kann. Gedacht ist hier an die Zwangssterilisation und beim Recht auf Leben an die Abtreibung. Dr. Süsterhenn: Und an die Euthanasie. Dr. Heuss: Ich könnte mir vorstellen, wenn die Motive das zum Ausdruck bringen, daß wir damit über die Schwierigkeiten hinwegkommen könnten. Dieses Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein Recht, das der Einzelne hat. Er hat sich im Falle der Schönheitsoperation dieses Rechtes freiwillig begeben. Das wird hier nicht ausgeschlossen. Es ist eine Schutzmaßnahme, daß an ihm nicht experimentiert werden darf. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das könnte man zum Ausdruck bringen im Kommentar und in den Motiven. Dr. Heuss: Ja, daß der Berichterstatter das zum Ausdruck bringt. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Es kann zum Ausdruck gebracht werden, daß dadurch die ärztlichen Eingriffe nicht ausgeschlossen werden, die geeignet sind, solche dauernden Rentenansprüche auszuschließen, wenn sie sich aus Krankheiten ergeben, die beseitigt werden können. Dr. Süsterhenn: Das ist schon nach der bestehenden Gesetzgebung, Reichsversicherungsordnung usw., der Fall. Können wir die Bestimmung nicht einfach so formulieren: „Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit —

und Sicherheit"? Dr. Bergsträsser: Eine dumme Laienfrage: Wenn ich das Recht auf körperliche Unversehrtheit habe, habe ich dann das Recht, dem Arzt mein Einverständnis zu erklären zu einem Eingriff, mit dem er mir eine neue Nase aufsetzt?

13) Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 123, ebenda, S. 125 f. ein Formulierungsantrag von Süsterhenn, der mit den Worten endete: „Vertrauliche Bemerkung: Durch die obige Fassung des Artikels über Schutz des Lebens und der körperlichen Integrität ist auch die

Ablehnung

verankert."

der

Abtreibung

aus

Gründen der sozialen Indikation

verfassungsrechtlich 923

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Dr. Süsterhenn: Ja, es ist hier ein individuelles Recht festgesetzt. Dr. Bergsträsser: Das wollte ich ganz klargestellt haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann ist aber rechtlich keine Grenze zwischen dem Aufsetzen einer neuen Nase und dem Abschneiden eines Beines. Dr. Süsterhenn: Es ist aber dann nicht in dieser ausdrücklichen Form festgelegt, die geradezu einen solchen Rechtsanspruch nicht nur stützt, sondern dazu er-

mutigt.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist künstlich hineininterpretiert. Dr. Süsterhenn: Es steht wörtlich darin. Frau Dr. Weber: Ich möchte zurückkommen auf den Vorschlag von Herrn Dr. Süsterhenn, daß wir von körperlicher Unversehrtheit sprechen im Rahmen der

Rechtsordnung. „Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit sind nur im Rahder Rechtsordnung zulässig." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das fällt aus dem Prinzip heraus. Dr. Süsterhenn: In Satz 2 sagen Sie selbst: „im Rahmen der geltenden RechtsDr. Süsterhenn:

men

ordnung". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist etwas ganz anderes. In Satz 1 habe ich den Gesetzgeber ausgeschlossen, indem ich sage: „Eingriffe, die nicht der Heilung dienen, sind unzulässig." Eingriffe, die der Heilung dienen, sind in dem Rahmen, in dem sie bisher nach der Rechtsordnung möglich waren, erlaubt. Wunderlich: Folgen wir dem Vorschlag des Kollegen Dr. Süsterhenn und nehmen wir den Begriff der körperlichen Unversehrtheit in Abs. 1 hinein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Dr. Bergsträsser: Es macht sich sogar sprachlich ganz gut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde Art. 2 Abs. 1 lauten:

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf persön-

liche Freiheit und Sicherheit. Abs. 2 fällt damit weg. In Art. 2 hat noch zu gewissen Schwierigkeiten geführt „das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit". Da sind von verschiedenen Seiten Bedenken geäußert worden, auch im Redaktionsausschuß, weil man sagte: Das paßt nicht recht in diese ganze Aufzählung; was bedeutet „freie Entfaltung der Persönlichkeit"? Ich habe hin und her überlegt, wie man das ändern könnte. Ich wollte auch nicht, weil wir lang und breit darüber gesprochen hatten, zu der Fassung zurückkehren, die der Redaktionsausschuß gebilligt hatte: „Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen usw.", die sehr schlecht klingt, und ich machte deshalb den Vorschlag, daß man sagt: Diese beiden Rechte, die oben aufgeführt sind, nämlich das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit das ist das allgemeine Grundrecht ihre ihre Grenze wo finden dort, Ausübung die Rechte Dritter verletzt usw. Alles übrige würde bleiben, es würde im Inhalt nichts geändert. Dieses allgemeine Recht würde so begrenzt werden wie die „freie Entfaltung der Persönlichkeit". Dies bedeutet nur eine Aufführung des Inhalts des Begriffes der „persönlichen Freiheit". Dr. Eberhard: Ich finde die „freie Entfaltung der Persönlichkeit" sehr schön. Frau Dr. Weber: Ich möchte nicht darauf verzichten. —

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur eine Verschlechterung. Dr. Heuss: In dem Vorschlag von Herrn Dr. v. Mangoldt ist mir eines nicht klar: Kann das Recht auf Sicherheit die Rechte Dritter verletzen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Durchaus. Man kann die Sicherheit übertreiben, man kann zum Beispiel einen Weg nachts sperren, weil er die Sicherheit des eigenen Grundstückes beeinträchtigt. Dann kann der Nachbar nicht zu seinem

Grundstück. Dr. Süsterhenn: Das Recht auf Sicherheit ist

zu verstehen insbesondere als das Recht der Sicherheit vor ungerechtfertigter Verhaftung, also ein absolutes Schutzrecht, während das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein gewisses Aktivitätsrecht ist, ein Recht, sich auszuwirken im Sinne der Persönlichkeitsentfaltung. Da kann ich in den Rechtsbereich anderer eindringen, dagegen mit dem Sicherheitsrecht nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dieses Recht auf Sicherheit geht weiter. Es ist nicht das Recht auf Sicherheit im Sinne des Art. 3, es ist die allgemeine Sicherheit des Lebens des Einzelnen. Dr. Süsterhenn: Es ist ein Schutzrecht, ein negatives Recht, während das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein aktives Recht ist, durch das in andere Rechtsbereiche eingedrungen werden kann. Das Recht auf Sicherheit dagegen befindet sich in Ruhe. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist das Recht auf persönliche Freiheit. Dr. Süsterhenn: Ich stimme Herrn Dr. Heuss zu, daß die Sicherheit hier nicht

hineinpaßt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Sicherheit kann tatsächlich auch so übertrieben werden, daß sie in die Rechte Dritter eingreift. Das habe ich mir auch überlegt. Frau Nadig: Ich finde auch, daß das Recht Dritter als Grenze der Sicherheit da-

zugehört.

Dr. Heuss: Ich kann mir das plastisch vorstellen: Habe ich das Recht, aus meiGefühl für Sicherheit einen scharfen Hund zu halten, der alle Leute, die in die Nähe kommen, bedroht? Ist das mein Recht? Dr. Süsterhenn: Das Recht auf Sicherheit ist ein Recht auf Schutz gegen Eingriffe anderer. Sicherheit ist nichts, was von meiner Person ausgeht und in andere Rechtsbereiche hineingreift, sondern sie ist nur die Wahrung meines nem

Rechtsbereiches. Ich würde es bei dem bisherigen Abs. 2 belassen. Dr. Eberhard: Zu Abs. 3 würde ich mich gerne dem Redaktionsausschuß anschließen, der die Bestimmung über die Verweigerung von Nahrung, Kleidung und Wohnung in die Übergangsbestimmungen verweist. Herr Dr. Heuss hat auch schon in den ersten Sitzungen darauf hingewiesen, daß diese Bestimmung hier den größeren Zusammenhang etwas stört14). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf bemerken, daß in dem Satz: „In diese Freiheit darf nur im Rahmen der Rechtsordnung eingegriffen werden." die Worte: „in diese Freiheit" umzuändern sind in: „in diese Rechte". Denn vorher heißt es,

14) Vg). Dok. Nr. 9, TOP

8.

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daß jeder das Recht auf Leben, auf Freiheit, auf Sicherheit der Person und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit hat, und darum muß es, schon um die richtige Bezugnahme herzustellen, heißen: „In diese Rechte .". Frau Dr. Weber: Ich bin nicht für den Vorschlag des Redaktionsausschusses, daß die Bestimmung über das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung in die Übergangsbestimmungen genommen wird. Nahrung, Kleidung und Wohnung sind grundsätzlich zu garantieren. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich habe eine ganze Menge Stimmen aller Parteirichtungen, die gerade auf diese Bestimmung außerordentliches Gewicht legen. Frau Dr. Weber: Man hat mir geschrieben: Das ist einmal ein vernünftiger Grundsatzausschuß gewesen, der gespürt hat, was heute an Lebensgütern fehlt: Es fehlt Nahrung, Kleidung und Wohnung. Frau Nadig: Es liegt ein rein erziehlicher Gedanke darin, die Öffentlichkeit wieder zu der Verantwortung zu bringen, daß ein Mindestmaß an Nahrung, Kleidung und Wohnung gewährt werden muß. Dr. Süsterhenn: Es soll durch diese Formulierung zum Beispiel erreicht werden, daß niemandem vom Arbeitsamt die Lebensmittelkarten gesperrt werden. Dr. Heuss: Das ist der Ausgangspunkt. Ich habe das seinerzeit beantragt rein wegen dieser Situation, daß die Nichtannahme einer bestimmten Arbeit mit dem Entzug der Lebensmittelkarten bestraft wurde15). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Bestimmung ist so zu sehen: Der Satz 1 beinhaltet den sogenannten Vorbehalt des Gesetzes, d.h. die Verwaltung darf in diese Freiheiten des Einzelnen nur eingreifen im Rahmen der Rechtsordnung, d. h. im Rahmen des geschriebenen Gesetzes oder des Gewohnheitsrechts. Deshalb heißt es: „im Rahmen der Rechtsordnung." Wir müssen bei dem Gewohnheitsrecht bleiben, weil die Polizei in vielen Ländern auf gewohnheitsrechtlichen Sätzen beruht und es dafür keine Gesetze gibt. Da paßt dann diese Bestimmung gut hinein, daß diese Eingriffe keinesfalls diese Grenzen überschreiten dürfen. Die sechs Juristen beim Sprachverein haben diesen Gedanken wie folgt formuliert : „Dabei darf und dieser Formulierung möchte ich mich anschließen aber das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung nicht verweigert werden". Es ist sachlich dasselbe. Dr. Heuss: Es ist richtig, weil hier der logische Zusammenhang etwas deutlicher wird. Der Satz, dessen Verursacher ich seinerzeit gewesen bin, hat natürlich, so für sich genommen, den Charakter: Wer verweigert? Also doch nur die Behörden. Die Stelle wird hier im Anschluß an die Rechtsordnung deutlich gemacht. Wir geben hier an die Behörde eine generelle Anweisung und es wird auch deutlich in der Motivgestaltung. Dr. Bergsträsser: Das Wort „aber" widerspricht dem guten Sprachempfinden, weil es überflüssig ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das „aber" können wir weglassen. Dann heißt es: Dabei darf das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung nicht verweigert werden. .

.



15) Ebenda. 926



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Abs. 4 lautete in unserer Formulierung: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen." Hierzu hat der Redaktionsausschuß ausgeführt, daß dieser Satz weiter unten hineingehört. Das halte ich nicht für richtig. Wenn man den Art. 2, so wie ich zeigte, als eine Generalklausel ansieht, dann kann man diese Bestimmung genau so gut hier hereinnehmen, denn es ist neben dem Vorbehalt des Gesetzes ganz gut, das als weiteren Schutz einzuschalten. Der Sprachverein hat folgende Formulierung vorgeschlagen: „Wer durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, dem steht der Rechtsweg offen". Ich weiß nicht, ob das besser ist. Ich habe da Bedenken. Dr. Heuss: Ich halte unsere Fassung für besser. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde auch vorschlagen, bei unserer Fassung zu bleiben. „Wer. dem steht der Rechtsweg offen" ist sprachlich nicht gut. Dr. Süsterhenn: Wenn dieser Satz auch an sich eine Verfahrensregelung darstellt, so hat er gewissermaßen doch nach der formellen Seite grundrechtlichen Charakter. Es ist ein Verfahrensgrundrecht. Deshalb halte ich es doch für gut, wenn er vorne stehenbleibt, weil er allgemein ist. Dr. Eberhard: Daß er in die Grundrechte soll, darüber besteht Einverständnis. Aber wir müssen uns fragen: Deckt er alles: Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Sicherheit? Jetzt kommt dann die Gleichheit, und die möchte ich auch mit gedeckt haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Er deckt alles. Dr. Süsterhenn: Wenn dieser Satz hier als Abs. 4 steht, bezieht er sich gesetzgeberisch nur auf die vorangegangenen drei Absätze. Es wäre richtiger, ihn hier vorne als besonderen Artikel aufzustellen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also einen Art. 3 daraus zu machen: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt usw.". Dr. Eberhard: Der Redaktionsausschuß wollte ihn als letzten Artikel hinten hin.

.,

setzen.

Dr. Süsterhenn: Wenn wir schon einen selbständigen Artikel daraus machen, dann ist es richtig, ihn an den Schluß zu setzen, um das Verfahren zu kennzeichnen, wodurch die materiellen Grundrechte verfahrensmäßig gesichert sind. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es steht in Art. 20 c am Schluß. Aber dann sollte man daraus überhaupt einen selbständigen Artikel machen. Dann darf ich Ihr Einverständnis hierzu annehmen und diesen Artikel als 20 d bezeichnen.

[c. Unverletzlichkeit der Freiheit der Person (Art. 3)] In Art. 3 ist

wenig geändert. Ich habe

nur

einen Wunsch des

Sprachvereins16)

oder sonst festgehalten werden.", so daß die übernommen, der gesagt hat: Formulierung heißt: „Niemand darf willkürlich festgenommen, verhaftet oder „.

sonst

festgehalten

16) Vg). Anm.

.

.

werden." Für Abs.

3 ist

vorgeschlagen,

statt

„festgehaltene

3.

927

Nr. 42

Zweiunddreißigste Sitzung

11.

Januar

1949

Personen" nur „Festgehaltene" zu sagen: „Festgehaltene dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden." Der Vorschlag des Redaktionsausschusses zu Abs. 217) hat starke Bedenken auf verschiedensten Seiten hervorgerufen, weil er nicht das ausdrückt, was wir ausdrücken wollen. In unserer Fassung kommt die Absolutheit des Grundrechtes viel stärker zum Ausdruck, während in der Fassung des Redaktionsausschusses gesagt ist, daß die Freiheit der Person „nur auf Grund eines Gesetzes" beschränkt werden darf und alles weitere dem Gesetz überlassen wird. Im übrigen können wir darauf hinweisen, daß diese Fragen gerade sofern sie unter Abs. 2 fallen in dem Abschnitt über die Rechtspflege eingehend geregelt sind. —



[d. Gleichheit der Menschen

vor

dem Gesetz (Art. 4)]

Zu Art. 4 ist zu sagen: Der Redaktionsausschuß18) wollte den Gleichheitsartikel nach hinten verschoben haben. Wir haben ihn extra nach vorne gezogen. Der Redaktionssausschuß wollte ihn hinter Art. 7 (Freiheit der Wissenschaft) bringen. Wir haben ihn seinerzeit vorgezogen, weil wir sagten, Freiheit und Gleichheit sind die beiden großen bestimmenden Rechte. Nach dem allgemeinen Satz über die Freiheit sollte man den Gleichheitsartikel bringen; damit wäre die Gleichwertigkeit der Sätze betont. Den Gleichheitssatz voranzusetzen ging nicht; wir müssen die Freiheit in den Vordergrund stellen, gerade nach dem, was wir in der Vergangenheit erlebt haben. Die Freiheit muß der Gleichheit vorgezogen werden. Dann aber ist die Frage, ob es nicht gleich so stehenbleiben kann. In sprachlicher Hinsicht ist nur eine Frage aufgetaucht: Der Deutsche Sprachverein19) hat vorgeschlagen, das Wort „wegen" nach vorne zu ziehen, so daß es jetzt heißt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden", eine ganz einfache Umstellung. .

..

[e. Freiheit des Glaubens, des Gewissens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Art. 5)] Art. 5. Hier war ein kleiner Fehler im zweiten Satz des Abs. 4. Es hieß dort: „Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgese/Zsc/îo/ï darf gefragt werden ..". Da wir in Abs. 1 von Religionsgeme/nscna/iten gesprochen haben, müssen wir auch hier sagen: „Religionsge/ne/r/scAo/r". Dr. Bergsträsser: Sonst bleibt es bei unserer Fassung? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, sonst bleibt es bei unserer Fassung. Dr. Süsterhenn: Die Fassung des Abs. 4: „Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft darf gefragt werden ." ist nicht konsequent, weil wir in Abs. 1 von „Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften" sprachen. Man könnte daraus schließen, nach der Zugehörigkeit zu einer Weltanschauungsgemeinschaft darf unbeschränkt gefragt werden. Da wir auch in Abs. 1 beide Be.

.

17) Dok. Nr. 40. 18) Ebenda. 19) Vgl. Anm. 3. 928

.

Zweiunddreißigste Sitzung

griffe aufgeführt haben,

lenswert,

es

auch hier

zu

wäre

es

der

11.

Nr. 42

Januar 1949

praktischen Konsequenz

wegen

empfeh-

tun.

das könnte man tun. Was bedeutet aber die Frage einer Weltanschauungsgemeinschaft, wenn jemand überhaupt nichts nach der Richtung aufzuweisen hat? Dr. Süsterhenn: „Entfällt." der berühmte Strich. Dr. Eberhard: Der Redaktionsausschuß20) empfiehlt, im letzten Satz zu sagen: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz." Ich glaube, es ist allgemein so, daß es nun immer heißt: „Bundesgesetz", wo ein Bundesgesetz gemeint ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben nur gesagt: „Gesetz" und haben die Zuständigkeit im Katalog geregelt. Dr. Eberhard: Nun steht aber die Kriegsdienstverweigerung bis jetzt nicht im Zuständigkeitskatalog21). Das ist die Frage. Dr. Süsterhenn: Steht nicht darin: „Schutz nach außen"? Dann würde das darunterfallen. Dr. Eberhard: Das scheint eindeutig klar zu sein; es gehört zur Außenpolitik. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sonst müßten wir es in diesem Fall ausdrücklich sagen. Aber wir würden damit unseren Grundsatz durchbrechen. Wunderlich : Ich glaube nicht, daß es da einen großen Streit zwischen Ländern und Bund geben wird. Vors. [Dr. nach der

v. Mangoldt]: Ja, Zugehörigkeit zu



[f. Freiheit der Meinungsbildung, Presse, Rundfunk, Film (Art. 6)] „Die UnMangoldt]: Art. 6. Bei diesem Artikel ist mir zu Abs. 2 und die aus allgemein zugänglichen Quellen dürterrichtung Meinungsbildung fen nicht beschränkt werden" noch einmal ein Gedanke aufgetaucht, den wir seinerzeit schon hier erörtert haben, ob nämlich in der Gebührenerhebung eine solche Beschränkung liegen könnte22). Ich habe im Ausschuß darauf hingewiesen, daß einer sagen könnte: Wenn Rundfunkgebühren erhoben werden, so liegt darin eine Beschränkung. Oder wenn einer eine Bibliothek benützt eine allgemein zugängliche Quelle der Unterrichtung —, so könnte er in der Erhebung von Bibliotheksgebühren eine solche Beschränkung erblicken und sagen: Das muß wegfallen auf Grund dieser allgemeinen Fassung. Dr. Süsterhenn: Hier wollen wir doch die Sache von der ideellen Seite regeln und nicht von der organisatorisch-materiellen. Ich glaube, keiner kann aus dieser Bestimmung einen Anspruch auf Gebührenfreiheit herleiten. Wunderlich: Mit demselben Recht könnte einer verlangen, daß er seine Zeitung kostenlos geliefert bekommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist etwas anderes. Hier liegt ein Privatvertrag vor. Da ist die Sache anders als bei staatlichen Einrichtungen. Vors. [Dr.

v.







20) Dok. Nr. 40. 21) Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung sprach über diese Frage

nur einmal in eianderen Zusammenhang. In den Zuständigkeitskatalog wurde die Kriegsdienstverweigerung nicht aufgenommen. Der Pari. Rat Bd. 3, S. 171. 22) Eine solche Diskussion hatte es in der 25. Sitzung des AfG gegeben. Vgl. Dok. Nr. 32, TOP 1 a. nem

929

Nr. 42

Zweiunddreißigste Sitzung

Dr. Heuss: Wir müssen die

den

11.

Januar

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Bestimmung über die Gebühren

unter

allen Umstän-

optischen Gründen, 2.) weil kein Mensch auf die Idee

weglassen: 1.) kommt, auf Grund dieses Artikels Gebührenfreiheit aus

zu beanspruchen, und 3.) weil das Radio gar keine Staatsinstitution ist. Dr. Eberhard: Es kommt schon jemand auf die Idee. In Stuttgart gibt es gerade in diesem Punkt einen Streit, und der „Kulturpfennig"23) wird abgelehnt mit Bezug auf die Pressefreiheit. Wenn wir diese Bestimmung hereinbringen, dann wäre das die Antwort. Dr. Süsterhenn: Wir dürfen nicht jeden dummen Gedanken, auf den einer kom-

men

könnte, berücksichtigen.

Dr. Heuss: Sie dürfen Ihren Kollegen Köhler24) nicht so schlecht behandeln. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die juristische Auslegung kann darauf kommen. Frau Dr. Weber: Ja, die juristische Auslegung kommt darauf. Dr. Süsterhenn: Man mache die Juristen nicht gar so schlecht! Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich wollte nur hören, wie hier die Meinung steht. Es ist eine Frage, die besprochen werden kann. Man kann das auch als Berichterstat-

ter sagen, daß Bibliotheks- und Rundfunkgebühren nicht darunterfallen. Zu Abs. 1 wollte ich noch sagen: Das Redaktionskomitee wollte die „Meinungsverbreitung" in Abs. 1 ausgeschlossen sehen. Aber wir bleiben bei unserer Fas-

sung. Zu Abs. 3 ist mir noch einmal die Frage des Rundfunks aufgetaucht, die gerade in der neueren Zeit eine gewisse Rolle gespielt hat, und ich habe hier den Versuch einer Formulierung gemacht. Ich habe schon im Ausschuß darüber gesprochen, daß man durch die Form der Ausübung des Betriebs der Sendeanlagen eine Sicherung der Rundfunkfreiheit noch erreichen könnte. Ich habe vorge-

schlagen: „Zur Sicherung dieser Freiheit und der Überparteilichkeit des Rundfunks werden die Sendeanlagen durch selbständige Anstalten des öffentlichen Rechts betrieben, die auch die Sendeprogramme bestimmen". Es wäre vielleicht sehr günstig, wenn man erreichen könnte, das mit aufzunehmen, weil man dann eine gewisse Sicherung den Amerikanern gegenüber hätte25). Ich glaube nicht, daß an dieser Vorschrift die Zustimmung der Gouverneure scheitern würde. Dr. Heuss: In Abs. 3 müßte es vorne heißen: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet", weil es zwei Freiheiten sind. Dann würde ich aber diese Geschichte mit den Sendeanlagen und den Anstalten des öffentlichen Rechts doch nicht hier hineinnehmen, denn das ist die Vorwegnahme einer Gesetzgebung, die heute sehr —

23) Gesetzesvorhaben des Landes Württemberg-Baden vom 16. Dez. 1948 betr. Sondersteuer auf Zeitungen und Zeitschriften von einem Pfennig für jedes verkaufte Exemplar, die

kulturellen Zwecken dienen sollte. Ferner sollte ein Kulturgroschen in Verbindung mit der Vergnügungssteuer eingeführt werden. Das viel bekämpfte und umstrittene Gesetzesvorhaben wurde dann doch nicht eingeführt. Vgl. Paul Sauer: Das Land Württemberg-Baden von 1945 bis 1952. Ulm 1978, S. 415-417. 24) Erich Köhler (1892-1948), Präsident des bizonaien Wirtschaftsrates (CDU), erster Präsident des Deutschen Bundestages. 25) Vgl. Barbara Mettler, in Dok. Nr. 39, Anm. 42 zitierte Literatur. 930

Zweiunddreißigste Sitzung 11. Januar 1949

Nr. 42

bunt durcheinandergeht und die wir selbstverständlich in die Hand des Bundes bekommen wollen. Wir wollen nicht drei- oder viererlei Radiorecht haben. Das wird zwar für die amerikanische Militärregierung kein Grund für die Ablehnung des Ganzen sein, aber sie wird darauf hoffen, weil sie gerade hier bestrebt ist, die staatlichen Dinge möglichst in den Hintergrund zu schieben.

(Zuruf: Die Engländer nicht.) Bei den Amerikanern ist es aber so. Wir haben viermal das Radiogesetz26) zurückbekommen. Herr Eberhard und ich sitzen in dem Ausschuß. Ich weiß nicht, ob wir das machen sollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hier könnten uns die Franzosen und die Engländer gegen die Amerikaner helfen. Dr. Süsterhenn: Ich halte es für falsch, die zukünftige Form des Rundfunks ein für allemal in der Verfassung festzulegen. Ich könnte mir vorstellen, daß wir eine Form des Rundfunks für das Richtige halten, wie sie in Holland besteht, oder einen Rundfunk, wie ihn die Amerikaner haben, die private Rundfunkgesellschaften nach einem bestimmten Verfahren geschaffen haben. In Holland hat zum Beispiel die katholische und die evangelische Kirche einen Rundfunksender. Ich will nicht sagen, daß das notwendig ist, aber wollen wir uns das nicht verbauen und nicht von vornherein in der Verfassung etwas vorsehen, dessen Güte wir noch nicht erproben konnten. Dann der Begriff „selbständige Anstalten". Was heißt das? Soll damit jeder staatliche Einfluß ausgeschaltet werden? Kann man nicht daraus folgern, daß nicht einmal staatliche Vertreter in die Rundfunkparlamente und in den Beirat hinein dürfen? Alle diese Fragen sind so ungeklärt, daß man sie nicht verfassungsrechtlich festlegen soll. Dr. Heuss: Die Sendeanlagen sind Angelegenheiten der Post. (Zuruf: Das Technische!) Die Sendeanlagen bis an das Rundfunkhaus heran. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist in der britischen Zone anders27). Dr. Heuss: Bei uns hat die Post einen Kampf geführt, daß bis an den Senderaum heran sie zuständig ist. Frau Dr. Weber: Ich würde im Hinblick auf die Verschiedenheit des Rundfunks in der amerikanischen, britischen und französischen Zone davor warnen28). Wir haben eine solche Anstalt des öffentlichen Rechts und ihr untersteht alles29). Lensing: Diese Anregung geht vom Nordwestdeutschen Rundfunk30) aus, und ich glaube, die Herren meinen etwas anderes. Die Freiheit einer Zeitung, eine politische Richtung zu vertreten, steht außer Zweifel. Aber der Kommentator des Rundfunks unterliegt viel engeren Grenzen der Freiheit. Es darf meiner Auffassung nach im Rundfunk Partei-Politik betrieben werden vom Redner ei26) Zum Rundfunk-Gesetz 27)

in Württemberg-Baden vgl. Edgar Lersch: Rundfunk in Stuttgart 1934-1949. Südfunk-Hefte 17. Stuttgart 1900, S. 173 ff. Zum Rundfunk in der brit. Zone vgl. Hans Bausch: Rundfunkpolitik nach 1945. 1. Teil: 1945-1962, S. 46 ff. Vgl. Wolfgang Schütte (Dok. 32, Anm. 14) passim sowie Hans Bausch (Anm. 27), S. 13 ff.

28) 29) Folgt gestrichen: „obwohl schwere Angriffe der Engländer dagegen gerichtet wurden. 30)

Ich würde diese Bestimmung herausnehmen." Die bereits in Dok. Nr. 39, TOP 7 besprochene

Anregung ließ

sich nicht ermitteln. 931

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Zweiunddreißigste Sitzung

Partei, aber nicht

ner

vom

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offiziellen Kommentator. Er muß sich einer gewissen

parteipolitischen Neutralität befleißigen, und das, glaube ich, meint Herr v. Mangoldt und das ist auch vom Nordwestdeutschen Rundfunk angeregt worden.

v. Mangoldt]: Der Vorschlag lautete anders. Es wurden unabhängige Anstalten vorgeschlagen, die auch das Sendeprogramm bestimmen sollten usw. Das ging auf keinen Fall. Aber auf der anderen Seite ist gerade nach der Art wie durch Herrn Goebbels vom Rundfunk Gebrauch gemacht worden ist31) hinsichtlich des staatlichen Rundfunkbetriebs zu sagen: „vestigia terrent", und zwar in aller Schärfe. Wir müssen zur Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks praktisch mehr tun, als nur sagen: Die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk wird gewährleistet. Damit ist gar nichts gesagt. Es wäre tatsächlich ein gewisser Schritt nach der Richtung hin, dem Rundfunk eine gewisse Unabhängigkeit vom Staat zu sichern, wünschenswert. Auch bei einer selbständigen Anstalt, die öffentlich-rechtliche Körperschaft ist, bleibt die Staatsaufsicht erhalten. Das ist gar keine Frage. Infolgedessen würde ich keine Bedenken haben, diesen Schritt zu tun. Dr. Heuss: Ich bin der Meinung von Herrn Süsterhenn. Es ist noch eine Frage der Wellenlänge, aber die Möglichkeit, daß meinethalben der Staat sich einen Rundfunk macht und auf der anderen Seite Gruppen privater oder kirchlicher Organisationen das gleiche tun, sollte gegeben sein. Es ist geplant, in Bamberg einen gemeinsamen christlichen Sender von beiden Kirchen aufzubauen so war es wenigstens in den Zeitungen zu lesen —, und das sollte man an sich nicht beschneiden. Die Entwicklungen sind auf dem Gebiet vorhanden. Dann kann der Hörer sich aussuchen, was er hören will. Ich bin nicht dafür, staatliche oder staatlich konzessionierte Monopole von vornherein zu begünstigen. Dr. Eberhard: Ich meine, wir sollten darauf verzichten, im Grundgesetz die Gesetze der nächsten zehn Jahre im voraus zu bestimmen. Die technische Entwicklung kann es vielleicht bald ermöglichen, daß beinahe jeder seine eigene Wellenlänge hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es war nur eine Frage. Dr. Eberhard: Es war sehr dankenswert, daß Sie dazu die Anregung gaben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde dann vorschlagen, daß wir den sehr großen Abs. 3 zerteilen und so lassen, wie ich vorgeschlagen habe: „Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten." Und dann habe ich mich hier dem Vorschlag des Redaktionsausschusses angeschlossen und dem Gedanken Rechnung getragen, daß Theater und öffentliche Vorträge nicht darin enthalten waren und daß etwas mehr gesagt werden müsse: „Eine Zensur von Presse, Theater, Rundfunk und öffentlichen Vorträgen findet nicht statt." Dr. Eberhard: Der Zusatz ist wichtig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Werden dagegen keine Bedenken erhoben? Dann ist die Frage des Mißbrauchs, die hier schlecht hineinpaßt, einfach an eine andere Stelle gekommen. Es ist inhaltlich dasselbe geblieben, nur ist es klarer gewor-

Vors. [Dr.









31) Vgl. Ansgar Diller: Rundfunkpolitik im Dritten Reich. München Deutschland Bd. 2.

932

1980.

Rundfunk in

Zweiunddreißigste Sitzung

11.

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den: „Die Rechte aus Abs. 1 und 3 finden ihre Grenzen in den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze usw.". In unserer Formulierung hieß es: „Diese Rechte" damit wäre auch das Recht der Meinungsbildung umfaßt „finden ihre Grenze in den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze usw.". Die Meinungsbildung muß aber absolut frei sein; sie findet keine Grenze. Die Freiheit der Meinungsäußerung, die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit finden ihre Grenzen in den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze, in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend hier ist gewünscht worden, daß „insbesondere im Filmwesen" darin bleibt, was der Redaktionsausschuß gestrichen haben wollte und in dem Recht der persönlichen Ehre. „Wegen Mißbrauchs der Rechte aus Abs. 3" das gilt also für die Presse-, Rundfunk- und Filmfreinur im heit Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über Presse, Rund„darf funk und Film eingeschritten werden". Statt „ordentlichen Verfahren" haben wir „gerichtlichen Verfahren" gesagt, um auch die Verwaltungsgerichte einzuschalten: „Die Entscheidung erfolgt in einem gerichtlichen Verfahren". Abs. 6 soll im Text so bleiben wie der bisherige Abs. 5: „Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung bekanntzugeben." Wunderlich: Was mir nicht gefällt, ist die Zitierung von Abs. 1 und 3. Das durchbricht den Fluß dieser Bestimmung. Wir haben schön angefangen und kommen nun in den Gesetzestext hinein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten sagen: „Die Rechte der freien Meinungsäußerung und der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit finden ihre Gren—











zen

Dr.

.

..".

Bergsträsser: Dann würde ich schon

nungsäußerung und das Recht ..". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder: „Das Recht

sagen: „Das Recht der freien Mei-

.

der freien

Meinungsäußerung und die

Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit ..". Wunderlich: „Das Recht der freien Meinungsäußerung und die Freiheit von Presse, Rundfunk und Film". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sagen wir: „Das Recht der freien Meinungsäußerung und die Freiheit von Presse, Rundfunk und Film finden ihre Grenzen ..."! Dann müßte man auch sagen: „Wegen Mißbrauchs der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über Presse, Rundfunk und Film eingeschritten werden". Es ist schlecht, weil wir es wieder.

holen müssen. Dr. Eberhard: Könnten wir das nicht an Abs. 3 anhängen, der jetzt nur aus einem einzigen Satz besteht? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hier wird es klarer, daß beide Begrenzungen gelten und Sondervorschriften für Presse, Rundfunk und Film in besonderen Gesetzen erlassen werden. Das kommt damit klarer und deutlicher zum Ausdruck. Lensing: Durch ein späteres Rundfunkgesetz können besondere Bestimmungen für den Rundfunk festgelegt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würde also Abs. 5 lauten: Das Recht der freien Meinungsäußerung und die Freiheit von Presse, Rundfunk und Film finden ihre Grenzen in den allgemeinen Vorschriften 933

Zweiunddreißigste Sitzung

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11.

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Strafgesetze, in den gesetzlichen Bestimmungen gend, insbesondere im Filmwesen, und in dem Recht

Schutze der Juder persönlichen Ehre. Wegen Mißbrauchs dieser Rechte durch Presse, Rundfunk und Film darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über Presse, Rundfunk und Film eingeschritten werden. Die Entscheidung erfolgt in einem gerichtlichen Verfahren. Dr. Eberhard: Darf man allein auf die Strafgesetze abstellen? Sie bringen die anderen gesetzlichen Vorschriften nur im Falle des Mißbrauchs, im zweiten Teil. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bewußt. Denn die Freiheit der Meinungsäußerung soll immer als etwas Besonderes geschützt werden und in sie darf nur im Rahmen der Strafgesetze eingegriffen werden, bei der Presse aber im Rahmen der dafür geltenden besonderen Gesetze. Wir müssen die Freiheit der Meinungsäußerung möglichst breit gestalten. Dr. Eberhard: Einverstanden. der

[g. Freiheit

Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 7)]

Mangoldt]: Bei Art. 7 ein kleiner Änderungsvorschlag. Er kommt Sprachverein32). Beim Sprachverein war die Formulierung allerdings etwas

Vors. [Dr. vom

von

zum

v.

anders; ich habe sie im Moment nicht hier. Man muß meines Erachtens sagen: „Kunst und Wissenschaft wie ihre Lehre und die Forschung sind frei"; denn „Lehre der Forschung" geht nicht. Dr. Heuss: „Kunst, Wissenschaft, Forschung und ihre Lehre sind frei". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da bezieht sich „Lehre" auch auf „Forschung".

Dr. Heuss: Die Forschung wird auch gelehrt. Dr. Bergsträsser: Die Forschung ist doch untrennbar mit der Lehre verbunden. Am Kaiser-Wilhelm-Institut33), einem reinen Forschungsinstitut, sind Assistenten und da wird gelehrt. Wenn ein Forscher ein Buch schreibt, ist es Lehre. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Kunst und Wissenschaft, ihre Lehre und die Forschung

sind frei". Dr. Süsterhenn: Ich möchte vorschlagen, es bei der Fassung des Redaktionsausschusses34) zu belassen. Denn die Forschung kann auch gelehrt werden, zunächst einmal als Forschungsmethode und außerdem auch als lehrmäßige Auswertung der Ergebnisse der Forschung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist „Lehre der Wissenschaft". Frau Dr. Weber: Denken wir zum Beispiel an die Experimente auf dem Gebiete der Atomenergie. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Kunst und Wissenschaft, ihre Lehre und die Forschung sind frei". 32) Vgl. Anm. 3. 33) Vgl. Rudolf Vierhaus, Bernhard

vom Brocke (Hrsg.): Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft aus Anlaß ihres 75jährigen Bestehens. Stuttgart 1990. 34) Dok. Nr. 40.

934

Zweiunddreißigste Sitzung Dr. Heuss: Das

geht doch nicht.

11.

Sie bekommen hier eine

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gruppenmäßige Auf-

teilung; „ihre Lehre" und „die Forschung" sind mit einem „und" verbunden, während sich „die Lehre" auf das Vorangegangene bezieht. Das ist rein sprach-

lich schon schlecht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Setzen wir uns über diese kleinen Fehler hinweg und lassen wir die Formulierung stehen: „Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei". Dr. Bergsträsser: Ich bin auch dafür, daß wir die vom Redaktionsausschuß empfohlene Fassung wählen. Frau Dr. Weber: Damit ist alles gesagt.

[h. Ehe als rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft (Art. 7 a)]

Mangoldt]: Zu Art. 7 a haben wir eine Forderung des Deutschen Sprachvereins, der diese Bestimmung nur anders formuliert haben will. Sachlich hat sein Vorschlag genau den gleichen Inhalt. Er hat das nur meiner Ansicht nach besser formuliert. Wir haben gesagt: „Die Ehe als die rechtmäßige Form .". Der Sprachverein formuliert: „Die Ehe ist die rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Sie bildet die Grundlage der Familie". Unsere Fassung: und die mit ihr gegebene Familie" ist in der Formulierung Vors. [Dr.

v.

..

.

nicht schön. Man könnte höchstens noch sagen, wie wir getan haben: stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung". Im Vorschlag des Sprachstehen unter dem Schutz der Verfassung". Inhaltlich ist es vereins heißt es: genau dasselbe, aber in der Formulierung besser. Dr. Süsterhenn: Es ist das Wort „fortdauernde" vor „Lebensgemeinschaft" weggefallen. Ich halte es zwar nicht für nötig, aber doch für wünschenswert, um diese Beziehung von Mann und Frau als eine Dauerbeziehung herauszustellen und nicht irgendwie als eine flüchtige Begegnung. Heile: Es heißt hier „Lebensgemeinschaft" und darin liegt schon der Begriff des dauernden. Frau Nadig: Würde das nicht ausgelegt werden im Sinne der niemals-Trennung? Wenn nicht, dann könnte man auch das Wort „dauernde" stehen las.

„...

sen.

Dr. Süsterhenn: Ich lege keinen besonderen Wert darauf. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Abs. 3 ist etwas umgeformt: „Den unehelichen Kindern

sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihren gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen wie den ehelichen Kindern." Dr. Süsterhenn: Diese Formulierung des Sprachvereins gibt noch mehr, nämlich den Anspruch auf Entwicklung und gesellschaftlichen Aufstieg. An sich ist das auch in „Entwicklung" enthalten, aber hier ist es noch positiver zum Ausdruck

gebracht.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist besser, ohne daß rung darstellt.

es

eine

grundsätzliche Ände935

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11.

Januar

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Dr. Eberhard: Der Redaktionsausschuß hat das kürzer gefaßt35). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Er hat gesagt: „Ehe und Familie stehen unter dem be-

sonderen Schutz der staatlichen

Ordnung."

[i. Elternrecht, Religionsunterricht (Art. 7 b)] Bei Art. 7 b ist nichts weiter als eine redaktionelle Änderung. „Pflege und Erziehung der Kinder" das „eigenen" ist weggelassen, denn das ist selbstverständlich „ist das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht". Das Wort „Herausnahme" im nächsten Satz „die Herausnahme von Kindern aus der Familiengemeinschaft gegen den Willen der Erziehungsberechtigten" klingt schlecht und ich halte die jetzige Formulierung für besser: „Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen und deshalb die Kinder zu verwahrlosen drohen." Die Worte in der nur auf gesetzlicher Grundlage" sind abgeändert in: bisherigen Fassung: nur auf Grund eines Gesetzes." Die vielen Substantiva „Versagen der Ersind der Verwahrlosung" aufgelöst in Verziehungsberechtigten" und „Gefahr die ben, was besser klingt: .wenn Erziehungsberechtigten versagen und desin halb die Kinder zu verwahrlosen drohen." Inhaltlich ist es das gleiche Abs. 2 ist nur „unbeschadet" aufgelöst und die entsprechende Bestimmung an den Schluß gesetzt: „Die Eltern sind berechtigt, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden". Dr. Bergsträsser: „Abzumelden" ist nicht richtig. Sie sind nicht verpflichtet, sie —







.

„.

.

.





hineinzuschicken. Dr. Süsterhenn: Das widerspricht dem ersten Satz, wo es heißt: „Der Religionsunterricht ist schulplanmäßiges Lehrfach". Dann ist eine besondere Anmeldung nicht nötig, sondern es kommt nur eine Abmeldung in Frage.

Dr. Heuss: Hierzu haben wir eine andere Fassung vorgeschlagen. Ohne jetzt in die denn mir ist nicht klar, inwieweit im HauptausDiskussion eintreten zu wollen möchte ich sagen: Ich selber habe etschuß diese Dinge durchdiskutiert werden was das Empfinden, ob man nicht das ganze Problem des Religionsunterrichts, wenn es schon angeschnitten werden soll, dort behandeln soll, wo von den Religionsgemeinschaften und dem Schutz des religiösen Lebens die Rede ist, und ob man nicht dort diesen Satz hineinbringen kann. Aber wenn er an dieser Stelle bleiben soll, möchte ich folgenden Vorschlag machen: Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Volks-, Mittel- und Berufsschulen und in höheren Lehranstalten ordenliches Lehrfach. Er wird, unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes, nach den Grundsätzen und Lehren der Religionsgemeinschaft erteilt. Kein Lehrer kann gegen seinen Willen verpflichtet oder verhindert werden, Religionsunterricht zu erteilen. —



_

35) Dok Nr. 936

40.

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An sich möchte ich diesen ganzen Komplex nicht darin haben, weil er schultechnische Dinge mit hineinbringt. Aber wir haben gegenüber der jetzt vorgeschlagenen Fassung: „Er wird nach den Grundsätzen der Kirchen in ihrem Auftrag und unter ihrer Aufsicht erteilt" Bedenken. Es erscheint uns zweckmäßiger,

sagen: „Er wird, unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes, nach den Grundsätzen und Lehren der Religionsgemeinschaft erteilt". Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wir würden damit sachlich nichts ändern. Dr. Heuss: Es würde hineinkommen die staatliche Aufsicht und die Abgrenzung der Schulen. Dr. Eberhard: In Ihrem Antrag wird der Religionsunterricht an den Berufsschulen ausdrücklich erwähnt, der keineswegs in ganz Deutschland üblich war. Ich weiß nicht, wie es im einzelnen von Land zu Land war. Ich kenne Fälle, wo er nicht schulplanmäßiges Unterrichtsfach war. Dr. Bergsträsser: In der Mehrzahl der Länder war er nicht ordentliches Lehrzu

fach36).

Jugendliche über 14 Jahren. Es wonach hier das jeder Jugendliche mit 14 Jahgilt Religionsmündigkeitsgesetz37), teilnimmt er am bestimmen oder nicht. Infolgeob kann, ren Religionsunterricht dessen besteht gar keine Gefahr. Der Religionsunterricht ist hier in der praktischen Auswirkung ein fakultatives Fach, wo niemand gezwungen werden kann. Dr. Eberhard: Es bestehen mehrere Bedenken dagegen. In den Berufsschulen sind zum Teil sehr wenig Wochenstunden und die müssen auf ganz wenige beruflich wichtige Fächer verteilt werden. Eine Vorschrift über die Einführung des Religionsunterrichts an den Berufsschulen würde bedeuten, daß eine Wochenstunde woanders weggenommen wird. Dr. Bergsträsser: Das wäre wieder ein Eingriff in die althergebrachte Zuständigkeit der Länder. Frau Dr. Weber: Wir haben in Essen den Religionsunterricht an den Berufsschulen in einer Form, daß der andere Unterricht nicht gestört wird. Er ist fakultativ. Ich kenne die Lehrerin, die diesen Unterricht gibt, und ich weiß, was dieser Unterricht für eine Wirkung hat bei den heute von ihren Familien oft fast ganz verlassenen Kindern. Denken wir doch an den geistigen und sittlichen Aufbau unseres Volkes in den Großstädten und daran, wie diese Kinder von den Eltern getrennt sind! Wir leben heute nicht mehr in der Zeit vor dem Kriege, sondern in einer Zeit, die einen ganz anderen sittlichen Aufbau unseres Volkes verlangt. Ich meine das von jeder Sicht aus, auch von der Sicht derer, die nicht den Religionsunterricht, sondern nur den Unterricht auf sittlicher Grundlage wollen. Aber daß die Jugendlichen neben dem rein Beruflichen irgendwie eine Einführung in ewige Werte erhalten, das halte ich heute für unDr. Süsterhenn: Wir haben in den Berufsschulen

bedingt notwendig.

36) Zum Religionsunterricht in den Ländern vgi. Handbuch des katholischen Kirchenrechts.

Regensburg

1983, S. 549, Anm. 6.

37) Gemeint ist das Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 17. Juli 1921 (RGBL, S. 939); nach § 5 war ein Kind mit dem vollendeten 14. Lebensjahr in vollem Umfang re-

ligionsmündig.

937

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wollen wir diese Diskussion heute fortsetzen? Ist es nicht richtiger, einen Abänderungsantrag einzubringen, über den wir uns einigen könnten? Dann könnte noch ein Zusatzantrag eingebracht werden wegen der Berufsschulen. Dr. Eberhard: Wir sollten die grundsätzliche juristische Formulierung festlegen. Dr. Süsterhenn: Ich weiß

nicht, ob darin das enthalten ist, was in der evangelischen Kirche die vocatio38) und in der katholischen Kirche die missio canonica39) ist. Diese Grundsätze müßten festgehalten werden und kämen durch die Worte „im Auftrage der Kirchen" zum Ausdruck. Dr. Heuss: Wir haben diese Worte „im Auftrage der Kirchen" in unserem Antrag nicht darin. Weil es aber heißt: „nach den Grundsätzen und Lehren der Religionsgemeinschaft", glaube ich, daß darin sowohl die vocatio als die missio canonica enthalten ist. Dr. Süsterhenn: Unter „Grundsätzen" könnte verstanden werden: nach den Lehren, nach den dogmatischen Prinzipien, während die vocatio die Berufung ist. Dr. Heuss: Für mein Gefühl liegt beides darin: sowohl der religiöse Inhalt wie die Beauftragung. Dr. Süsterhenn: Dann wäre es mir lieber, wenn die Beauftragung erwähnt würde. Dr. Bergsträsser:. im Auftrag" geht zu weit, indem dann statuiert wird, daß der Auftraggeber im einzelnen auch das Recht der Aufsicht, der Inspektion hat. Ich habe nichts dagegen, daß derjenige, der den Unterricht gibt, sich an generelle Aufträge seiner Religionsgemeinschaft halten muß. Dr. Heuss: Sie haben auch ein Überprüfungsrecht. Dr. Bergsträsser: Natürlich, es kann kein Religionsunterricht gegeben werden

gegen eine Religionsgemeinschaft. Dr. Süsterhenn: Es müßte eine andere Formulierung gefunden werden, damit diese Begriffe mit umfaßt und damit klargestellt wird, daß die Kirchen das Recht der Überprüfung haben müssen. Dr. Heuss: Man kann sagen: „Nach den Grundsätzen und Lehren". Dr. Süsterhenn: Es ist vielfach üblich gewesen, wenn der Diözesanbischof auf der Firmungsreise in ein Dorf kam, daß er auch den Religionsunterricht in der Schule besuchte, um sich zu vergewissern, welche Fortschritte die Kinder im Religionsunterricht gemacht haben. Das soll nicht ausgeschlossen werden. Dr. Heuss: Ich bin inhaltlich damit absolut einverstanden. So haben wir es immer gehabt. Aber an sich sehe ich den Artikel nicht gerne hier an dieser Stelle, weil er schon ein spezielles Schulproblem enthält, und ich bitte Sie zu überle-

ein geistliches Amt der evangelischen Kirche; besonders die von den evangelischen Landeskirchen ausgesprochene Berufung und Verpflichtung evangelischer Religionslehrer, an öffenüichen Schulen den Religionsunterricht gemäß dem Bekenntnis der Landeskirche zu erteilen. 39) Missio canonica: Begriff des katholischen Kirchenrechts. Die von der zuständigen kirchlichen Stelle ausgesprochene Beauftragung mit einem kirchlichen Amt oder mit der öffentlichen Verkündigung des Wortes Gottes in Predigt und Religionsunterricht.

38) Vocatio: Berufung in

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gen, ob wir ihn eventuell

an der Stelle, wo wir von den Religionsgemeinschafder freien Religionsausübung reden, placieren könnten, so daß wir ihn gewissermaßen als Ergebnis des Anspruchs der Kirchen ansehen. Dr. Süsterhenn: Das kann man dort machen, man kann es aber auch hier machen. Sie sagen selbst in Ihrem Vorschlag: Die Eltern bestimmen über die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht. Insofern würde die Bestimmung auch in diesem Zusammenhang des Elternrechts hineinpassen. Dr. Heuss: Sie paßt auch hier hinein, bloß schließt sie sich dann ungeschickt an an die Bestimmung über die Verwahrlosung der Kinder. Dr. Süsterhenn: Deshalb hatten wir in unserer Formulierung eingesetzt: „Unbeschadet des Rechtes der Eltern, über die Teilnahme der Kinder am Religionsunterricht zu bestimmen", um damit den Zusammenhang mit dem Elternrecht herzustellen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das kann durch Anträge geregelt werden. Dann würde jetzt zu diesem Abs. 2 keine neue Formulierung beschlossen werden.

ten

und

von

[j. Demonstrations- und Versammlungsrecht, (Art.

8

Vereine und

Vereinigungen

und 9)]

Bei Art. 8 Abs. 2 hat das Redaktionskomitee40) beantragt, statt „durch Gesetz" sagen: „auf Grund eines Gesetzes". Da hat der Redaktionsausschuß nicht benicht auf Grund eines griffen, was wir wollen. Wir wollen durch Gesetz Gesetzes die Bannmeile um das Parlament schaffen. Für diese Bannmeile sollen durch Gesetz Beschränkungen für Versammlungen unter freiem Himmel möglich sein. Wir wollten nicht so weit gehen, daß wir sagen „auf Grund eines Gesetzes" und damit der Verwaltung eine Ermächtigung geben. Wir müssen bei zu





unserer

Formulierung bleiben; denn durch die Formulierung des RedaktionskoFrage nicht erledigt werden, die wir erledigt zu sehen wün-

mitees würde diese

schen. Bei Art. 9 war immer die Fassung unklar geblieben und es war die Formulierung in Abs. 3: „Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig" unschön. Das Redaktionskomitee hat vorgeschlagen: „Abreden und Maßnahmen, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig". Ich habe versucht, das zu klären, und habe auch den Gedanken, den das Redaktionskomitee eingefügt hat, nämlich daß ein Zwang zum Beitritt unzulässig sein soll, aufgenommen. Im übrigen ist es genau das gleiche, nur in der Formulierung anders: „Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, zu diesem Zweck getroffene Maßnahmen rechtswidrig. Ein Zwang zum Beitritt darf nicht ausgeübt werden." Nun ist eine neue Frage aufgetaucht: Wie ist es mit Zwangs- oder Berufsverbänden, zum Beispiel Ärztekammern, Apothekerkammern usw.? Dr. Eberhard: Ich werde beantragen, den letzten Satz zu streichen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Oder wir müßten noch einen Zusatz machen:

40) Dok.

Nr. 40.

-

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„Ein Zwang zum Beitritt darf nicht ausgeübt werden. Das gilt nicht für öffentlich-rechtliche Berufsverbände im Rahmen der darüber erlassenen Gesetze". Die Zwangsinnungen sind auch öffentlich-rechtlich. Werde ich ermächtigt, einen solchen Zusatz aufzunehmen? Dr. Eberhard: Als Vorlage an den Hauptausschuß? Wenn Sie im übrigen den Zwang zum Beitritt verbieten, daß Sie dann die Ärztekammern usw. ausnehmen? Bitte. Das erleichtert es mir, im Hauptausschuß die Streichung zu begrün-

den41). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen diesen Satz darin haben: „Das gilt nicht für öffentlich-rechtliche Berufsverbände". Es müssen öffentlich-rechüiche Verbände, öffentlich-rechtliche Körperschaften im Rahmen der gesetzlichen Ordnung möglich sein. Dieser Satz ist dann die Ermächtigung für den Gesetzgeber. Wunderlich: Die Frage ist, ob es noch Berufsverbände geben wird, wenn der Standpunkt der Amerikaner nach vollkommener Gewerbefreiheit sich durchsetzen

wird42).

Dr. Heuss: Die Amerikaner setzen in ihrer Deklaration eine Grenze bei den Ge-

sundheits- und Wohlfahrtsangelegenheiten. Sie haben aus ihrer amerikanischen Nomenklatur drei Begriffe, die ausgeschlossen sind. Darunter fallen sowohl Ärzte wie Apotheker und auch Anwälte. Um die handelt es sich im wesentlichen. Dann haben wir natürlich noch die Zwangsinnungen der Handwerker. Frau Dr. Weber: Ich möchte fragen, ob die Ärztekammern verboten werden können. Dr. Heuss: Nein, deshalb machen wir eine Ausnahme. Die brauchen einen gewissen Zwang, da muß man Mitglied sein, wenn man die Zulassung zu den Kassen usw. anstrebt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auch bei den Anwälten ist eine öffentlich-rechtliche

Berufsvertretung notwendig. [k. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13)] Art. 13. Hier ist immer wieder aufgefallen, daß zwischen Abs. 1 und 3 keine rechtliche Beziehung bestand. Da hat mir auch ein Vorschlag, den ich von anderer Seite bekam, geholfen. Ich würde vorschlagen, daß man an Stelle dieser aus der früheren Fassung übernommenen Formulierung: „Die Wohnung ist undie ebenso wenig hineinpaßt wie an anderer Stelle die Formulieverletzlich" Würde des Menschen ist unantastbar" rung: „Die sagt: „Die Wohnung ist als Heim und Freistätte geschützt". Dann ergibt sich die verfassungsrechtliche Sicherung der Wohnung als Freistätte aus den Absätzen 2 bis 3. Abs. 2, wonach —



Durchsuchungen nur unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen zulässig sind, ist die Geltendmachung des Satzes von der Unverletzlichkeit der Woh41) Der letzte Satz handschr. hinzugefügt. Der HptA beriet hierüber auf der 44. Sitzung am 19. Jan. 1949 in 2. Lesung; Verhandlungen, S. 569 ff. 42) Vgl. Christoph Boyer: Zwischen Zwangswirtschaft und Gewerbefreiheit. Handwerk in

Bayern 1945-1949. München

940

1992.

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nung, und in Abs. 3 sind die Eingriffe in die Wohnung, die heute bedeutsam sind, geregelt. Das würde alles besser zusammenpassen. Dann können wir also Abs. 1 so formulieren: „Die Wohnung ist als Heim und Freistätte geschützt." Kaiser: Was heißt Freistätte? Wunderlich: Wir haben lange darüber diskutiert, daß wir „Freistätte" nicht woll-

ten43).

Vors. [Dr. v. Mangoldth Wir haben den Begriff nicht gewollt, weil er uns nicht Abs. 3 paßte. Der Gedanke ist: My home is my castle". Man müßte sagen: „als Freistätte oder Heim geschützt" oder man müßte die Absätze umstellen. Es klingt aber schlecht, wenn man sagt: „Die Wohnung ist als Freistätte und als Heim geschützt". Der Umfang des Schutzes und die verfassungsrechtliche Sicherung ergibt sich aus den beiden folgenden Absätzen. Dr. Heuss: Die jetzige Fassung ist weniger als: „Die Wohnung ist unverletzzu

lich". Vors. [Dr. v. Mangoldth Natürlich. Sie gewinnt aber ihre Bedeutung durch die beiden folgenden Absätze und wird dadurch erst verständlich.

[1. Freizügigkeit (Art. 11)] Zu Art. 11 möchte ich folgendes sagen: Hier hat der Redaktionsausschuß44) das Wort „Freizügigkeit" überhaupt gestrichen. Trotz der doppelten Feststellung, die wir in Art. 11 hatten: „Alle Bundesangehörigen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet" und „Sie haben das Recht, an jedem Ort des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen", wollten wir das so lassen, weil wir den Begriff der Freizügigkeit unbedingt erwähnen wollten. Dieser Begriff wird hier bestimmt, und wir waren uns darüber einig, daß Abs. 2 nicht dorthin gehört, sondern in Art. 13, der die Wohnung betrifft. Das ist der gleiche Fehler, der

schon bei der ersten

Vorlage

des Redaktionsausschusses

gemacht worden

war.

wichtigste Streitpunkt ist der: „Alle Bundesangehörigen" oder Deutsche". „Jeder Vors. [Dr. v. Mangoldth. Darüber haben wir uns mehrfach unterhalten. Wir können praktisch nicht jedem Angehörigen der östlichen Länder das Recht, an jedem Ort des Bundesgebietes Wohnsitz zu nehmen, geben. Das können wir praktisch nicht, sondern nur, wenn sie Bundesangehörige werden. Das ist klar. Wunderlich: Wenn wir allen das Recht, Bundesangehörige zu werden, weitestgehend einräumen, sehe ich keine Bedenken. Vors. [Dr. v. Mangoldth Außerdem gewähren wir das Asylrecht, wenn sie Flüchtlinge sind, und dann werden sie sofort überstellt in den Status. Dr. Eberhard: Soll man dann nicht großzügig gleich sagen: „Jeder Deutsche"? Dr. Bergsträsser: Dann können wir nicht unterscheiden zwischen denen, die gefährdet waren, und denen, die nicht gefährdet waren. Dr. Eberhard: Der

43) Dok. Nr. 6, TOP 44) Dok. Nr. 40.

lc.

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Und dann können wir gesetzwidrigen Zwecken ausnützen, nicht mehr

auch die Elemente, die das fernhalten.

zu

[m. Berufswahl (Art. 12)] In Art. 12 will der Redaktionsausschuß „Ausbildungsstätte" gestrichen haben, weil er der Auffassung ist, es könnte damit der Lehrlingszüchterei Vorschub geleistet werden. Es steht aber darin: „Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden". Das ist gar keine Schwierigkeit. Dr. Bergsträsser: Das Zahlenverhältnis zwischen denen, die lehren können, und denen, denen etwas beigebracht werden muß, kann festgelegt werden. Es ging grundsätzlich nur um die Studenten. Dr. Heuss: Dort war es aber in der gewerblichen Sphäre. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben uns lang und breit darüber unterhalten, daß wir in Abs. 2 bei der Formulierung bleiben wollten: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden". Daß Zwangsarbeit nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig sein soll, war von Anfang an gewährleistet, und hat seinen Sinn. Deswegen ist, glaube ich, zu Art. 12 Abs. 2 in der Fassung des Redaktionsausschusses nicht viel zu sagen. „Niemand darf zu einer Dienstleistung gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen darüber haben wir mit den Gewerkschaften gesprochen gesetzlichen Pflicht" und haben auf Wunsch der Gewerkschaften unsere Fassung hineingebracht45), die das noch einschränkt. —

[n. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13), Forts.] Art. 13 haben wir schon behandelt. Es wäre nur noch die Frage, ob wir nicht in Satz 3 unserer Fassung statt „auf Grund eines Gesetzes" sagen sollten: „im Rahmen der Rechtsordnung", so daß diese Bestimmung dann lauten würde: Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, im Rahmen der Rechtsordnung auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot,

Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden. Das würde dann auch dem Art. 2 entsprechen. Dr. Heuss: Dann haben wir zweimal das Wort „Ordnung". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ein terminus technicus. Da kommen wir nicht herum. zur

45) Dok. Nr. 30, TOP lg und Dok. Nr. 28, TOP 942

3.

Zweiunddreißigste Sitzung [o.

Gewährleistung

Bei Art. 14 sind

es

des

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Eigentums und des Erbrechtes (Art. 14)]

im wesenüichen

nur

redaktionelle

Änderungen.

Der

Sprachver-

ein46) schlägt vor: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet". Sollen wir

die Worte: „zugleich mit dem wegnehmen oder sollen wir bei unserer Fassung bleiben: „Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet"? Dr. Eberhard: Ich würde dabei bleiben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Inhalt und Schranken bestimmen die Gesetze" schlägt der Sprachverein weiter vor. Dr. Heuss: Das ist schlecht, das ist ein Lapsus des Sprachvereins. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In Abs. 2 nur eine kleine Änderung, die auf Wunsch meiner Fraktion hineingekommen ist: „Wer sein Eigentum mißbraucht, kann sich insoweit nicht auf den Schutz dieser Bestimmungen berufen". Dr. Bergsträsser: Das würde bedeuten, daß nur der mißbrauchte Teil des Eigentums ungeschützt ist, und das scheint doch etwas wenig zu sein. Nehmen wir an, Herr Kirdorff47) redivivus gibt Hitler eine Million. Er hat aber 100 Millionen. Dann ist die eine Million nicht geschützt, aber die 99, mit denen er es wieder so machen kann. Das geht aber nicht. Dann soll der Kerl seine 99 auch zum Teufel gejagt kriegen. Dr. Heuss: Ich weiß nicht, wer von der CDU das erfunden hat. „Insofern" ist ein Saudeutsch und ist an sich überflüssig. Das lassen wir doch weg. Da muß man dabei etwas denken und es fällt einem nichts Gescheites ein. Dr. Bergsträsser: Zu Abs. 3 würde ich vorschlagen, das Wort „Belange" zu streichen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir können bei unserer alten Fassung bleiben und schließen uns nicht der Fassung des Sprachvereins an. Dr. Eberhard: Wie ist das mit dem „förmlichen Gesetz", das der Redaktionsausschuß vorschlägt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ein Gesetz, das durch den ordentlichen Gesetzgeber gemacht wird, nicht im Wege der Notverordnung. Dr. Heuss: Ich habe auch eine gewisse Sympathie dafür, daß wir das Wort „Betroffenen" durch „Eigentümer" ersetzen, weil das Wort „Betroffener" in den Denazifizierungssprachgebrauch hineingekommen ist und es wird bei diesem Wort immer so etwas wie Schuld angenommen. „Eigentümer" ist besser. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wollen wir nicht sagen: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der des Eigentümers zu bestimmen"? Dr. Eberhard: Warum „der"? Sagen wir bloß: „des Eigentümers". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Eigentümers zu bestimmen". Dr. Bergsträsser: „Bei der Entschädigung sind die Interessen des Eigentümers und der Allgemeinheit gerecht abzuwägen". "

46) Anm. 3. 47) Emil Kirdorf (1847-1937), Großindustrieller, der die NSDAP förderte. Vgl. H. A. Turner jr.: Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Göttingen 1972. 943

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das finde ich nicht besser. Kaiser: Das gibt Rätsel auf. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist noch ein Ergänzungsvorschlag gemacht worden, nämlich den Satz anzufügen: „Streitigkeiten über die Entschädigung entscheiden nach Maßgabe der Gesetze die Gerichte". Ich weiß nicht, ob man das hineinsetzen soll. Dr. Bergsträsser: Dann ist die Frage, ob durch die ordentlichen Gerichte oder

durch die Vors. [Dr.

Verwaltungsgerichte entschieden werden soll. v. Mangoldt]: Lassen wir es offen. Dr. Bergsträsser: Ja, es ist überflüssig. Dr. Heuss: Es liegt in der Natur der Sache. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann kann die Behörde die Entschädigung festsetzen. Wir haben also für Abs. 3 folgende Fassung : Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Eigentümers zu bestimmen. Einverstanden?

(Einverständnis.) Frau Dr. Weber: Streichen wir Abs. 4? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja

[p.

Überführung

Wir kommen dann

von zu

Grund und Boden

Art. 15. Hier

Gemeineigentum (Art. 15)] schlägt der Sprachverein48) vor: „In Gemein...

in

eigentum (die Gemeinwirtschaft?) dürfen Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel durch Enteignung nach Art. 14 nur auf Grund eines besonderen Gesetzes überführt werden". Wir haben die Überführung von Grund und Boden usw. in Gemeineigentum oder Gemeinwirtschaft auch unter den Zustän-

digkeiten aufgenommen.

Kaiser: Wir haben gesagt: „In Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft". Dr. Bergsträsser: Dann würde ich einen Schritt weitergehen und sagen: „Grund und Boden usw. dürfen in Gemeineigentum nur auf Grund eines besonderen Gesetzes überführt werden." Rein sprachlich ist das schon viel besser. Kaiser: In Art. 36 Ziff. 14 a kommt dasselbe im gleichen Wortlaut noch einmal. Wir müssen das in Übereinstimmung bringen. Dr. Eberhard: Das ist nicht Enteignung. Kaiser: Ich meine nur, die Begriffe sind dieselben. Dr. Eberhard: Der Begriff „Gemeinwirtschaft" ist hier bei der Enteignung nicht am Platze. Kaiser: Nach unserer Auffassung ist „Gemeinwirtschaft" der höhere, der umfassendere Begriff als „Gemeineigentum".

48) Anm. 944

3.

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v. Mangoldt]: Eine Überführung in Gemeinwirtschaft ohne eine Entwürde aber doch eine so weitgehende Entziehung des Eigentums beeignung deuten, daß sie mit einer Enteignung gleichbedeutend wäre. Dr. Heuss: Aber ich bitte Sie! Nehmen Sie doch die ganze Verbundswirtschaft der Stromerzeugung, wo öffentlich-rechtlich und privatrechtlich ganze Betriebe verbunden sind, ohne daß das Eigentum tangiert wird. Das hat durchaus gemeinwirtschaftlichen Charakter. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber hier dreht es sich um die Überführung von Naturschätzen und Produktionsmitteln. Nur darum kann es sich handeln, nicht um den Begriff des Stromes, der in der Luft liegt, sondern um etwas Konkretes, um die Elektrizitätswerke, um den Boden, auf dem ein Wasserkraftwerk errichtet wird und das in die Gemeinwirtschaft überführt werden soll, oder um die Kohle. Wenn das im Eigentum des bisherigen Eigentümers bleibt, der aber seine Eigentumsrechte nicht ausnützen kann, weil ihm die ganze Nutzung dieses Eigentums vollkommen genommen wird, so geschieht das nicht nur vorübergehend. Dr. Bergsträsser: Das ist keine Enteignung. Es bleiben ihm die Rechte des Ei-

Vors. [Dr.

gentümers.

Dr. Heuss: Wieviele Besitzer eines Betriebes haben sich einmal ein Elektrizitätswerk gebaut für ihren Betrieb und wurden dann angeschlossen an ein Elektrizitätswerk. Sie haben ein Bezugsrecht für ihren Betrieb, geben aber das übrige ab und sind nur kapitalmäßig beteiligt an einem solchen Unternehmen, ohne daß sie ihr Eigentumsrecht verkauft haben. Sie können es behalten; das können sie machen wie sie wollen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das müßte noch überlegt werden. Kaiser: In Art. 36 Ziff. 14 a heißt es: „Die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft." So ist es einstimmig beschlossen worden. Dr. Eberhard: Damit ist nicht gesagt, daß es eine Enteignung ist, wenn man sie in Gemeinwirtschaft überführt. Es ist klar, wenn man sie in Gemeineigentum überführt, daß dann eine Enteignung vorliegt. Aber der andere Fall geht ohne

Enteignung.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel dürfen durch Enteignung nach Art. 36 Ziff. 14 a in Gemeineigentum nur auf Grund eines besonderen Gesetzes überführt werden".

[q. Bundesangehörigkeit, Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16)] Fraktion gebeten worden, einen Satz vorzuschlanicht enthalten ist: „Jeder Angehörige eines Landes ist zugleich Bundesangehöriger"49). Es wurde gebeten, diesen Satz hier hineinzunehmen. Man kann ihn redaktionell und sprachlich an dieser Stelle bringen, wo er hingehört, weil wir hier diese Landesangehörigkeit haben. Das ist einfach herBei Art. 16 bin ich gen, der in Art. 27

von unserer a

49) Sitzung der CDU/CSU-Fraktion

vom

13. Dez. 1948. Salzmann: Die CDU/CSU im Pari.

Rat, S. 274.

945

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bei der Arbeit des Hauptausschusses. Sonst würden wir von uns den Antrag stellen, diese Bestimmung aufzunehmen. Kaiser: Das schließt aber ein, daß die Menschen aus der Sowjetzone keine Bundesangehörigen sind, und berührt die Frage Berlin. Ich habe gewiß Verständnis dafür, daß die Menschen aus der Sowjetzone jetzt nicht Bundesangehörige sein können. Aber bei den Berlinern, die demnächst sogar ihre Vertreter im Parlament haben sollen, wird es notwendig sein, das noch einmal zu über-

ausgefallen aus

prüfen. Vors. [Dr. Bundes.

v.

Mangoldt]: Jeder Angehörige des Landes Berlin

ist

Angehöriger

des

Kaiser: Wir sind in der Präambel nicht aufgeführt als Bundesangehörige, sondern nur getrennt davon erwähnt. Das muß noch geprüft werden. Wunderlich: Wird dadurch statuiert, daß es eine Staatsangehörigkeit der Länder

Ich kann das nicht daraus ersehen. v. Mangoldt]: Die Frage der Staatsangehörigkeit der Länder wird geregelt durch den Bund. Wir haben die Zuständigkeit des Bundes für die Gesetzgebung, und zwar die ausschließliche: „die Staatsangehörigkeit im Bund und in den Ländern". Es wird in Zukunft der Bund regeln, ob es wieder so wird, wie es unter dem bisherigen Recht war, daß die Bundesangehörigkeit durch die Landesangehörigkeit erworben wird. Wunderlich: Ich frage nur, ob das nicht vorher schon statuiert wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Soweit es Angehörige eines Landes gibt, sind sie zugleich Bundesangehörige. Das ist wichtig, weil es in einzelnen Ländern sehr weit getrieben worden ist. In der südbadischen Verfassung hat die Staatsangehörigkeit50) eine besondere Rolle gespielt und auch in der bayerischen Verfas-

gibt?

Vors. [Dr.

sung51).

Der Abs. 2 ist nur eine Umformulierung. Da hatten wir gesagt: „Die Bundesangehörigkeit". Es ist richtiger, nicht von Bundesangehörigkeit zu reden, sondern von

Staatsangehörigkeit.

Wunderlich: Ist das auch vom Sprachverein? Ich kann mir unter „Staatsangehörigkeit des Bundes" nichts vorstellen. Dr. Bergsträsser: Man kann nur sagen: „Die Bundesstaatsangehörigkeit". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann kann man genau so sagen: „Die Staatsangehörigkeit des Bundes." Dr. Bergsträsser: Dann hat der Bund eine Staatsangehörigkeit. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man sagt ja auch: „Die Staatsangehörigkeit des Landes Preußen". Dr. Bergsträsser: Nein, die preußische Staatsangehörigkeit. Dr. Heuss: Das kann man doch nicht aussprechen: „Die nordrheinisch-westfälische Staatsangehörigkeit". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Die Staatsangehörigkeit des Landes Nordrhein-Westfalen". Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Wenn einer dem Bund angehört, dann kann man von ihm sagen, er hat die Staatsangehörigkeit des Bundes.

50) Art. 51) Art. 946

53 der Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947. 6 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dez. 1946.

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Dr. Bergsträsser: Nein, die vom Bund ausgehende Staatsangehörigkeit. Dt. Eberhard: Bleiben wir bei „Bundesangehörigkeit". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darin hat man sehr große Schwierigkeiten gefunden. Wir sprechen von einem Staatsangehörigkeitsgesetz. Vielleicht kann man dann sagen: Die Staatsangehörigkeit im Bund. Dr. Heuss: „Das Recht der Staatsangehörigkeit im Bund". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Das Recht" ist zuviel. Es genügt: „Die Staatsangehörigkeit im Bund". Früher hat man gesagt: „Die Staatsangehörigkeit des Reiches und der Länder". Dr. Bergsträsser: Man hat gesagt: „Die deutsche Staatsangehörigkeit". Da wir die Verfassung für Deutschland machen nach einem Satz in unserer Präambel sollen wir sagen: „Die deutsche Staatsangehörigkeit". Wir machen doch eine Verfassung, zu der wir die anderen Deutschen einladen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Einverstanden. Wir sagen also: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden." Der Redaktionsausschuß hat das Wort „willkürlich" beanstandet. Ich schlage vor, dabei zu bleiben. „Willkürlich" heißt: „Nicht ohne wesentlichen Grund". Gerade diese kurzen Formulierungen sind gut für unsere Grundrechte; man muß sich darunter etwas vorstellen können. Dann kommt die Ausnahme: „Durch Gesetz darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur für den Fall vorgesehen werden, daß der Betroffene eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat." Das ist sehr gut, weil wir mit dieser Bestimmung darauf hinweisen: Wir machen diese Sache nicht wie ihr mit der Austreibung der Deutschen. Es handelt sich um einen Satz, der völkerrechtlich eine Rolle spielt, und wir können damit vielleicht mehr für unsere vertriebenen Leute auftreten. Die Frau verliert ihre Staatsangehörigkeit nicht durch Verheiratung. Ein Gesetz kann nicht den Verlust vorsehen, wenn es nicht gleichzeitig vorsieht, daß eine andere Staatsangehörigkeit erworben wird. Nur unter der Voraussetzung kann —

,



vorgesehen werden. Bergsträsser: Die Frau eines amerikanischen Soldaten kann die amerikanische Staatsangehörigkeit erst nach zwei Jahren erwerben. Dr. Heuss: Sind die Worte „Durch Gesetz" notwendig? Kann es nicht heißen: „Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur für den Fall vorgesehen werder Verlust Dr.

."? Ich bin mir nicht klar, warum dieses „Durch Gesetz" notwendig ist. Verlust einer Staatsangehörigkeit ist doch nicht immer ein Gesetzesakt. Jeder Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das wäre sehr gefährlich. Wenn wir nicht hineinschreiben: „Durch Gesetz", dann würde unter Umständen die Verwaltung es machen. Durch Gesetz muß die Möglichkeit vorgesehen werden und auf Grund des Gesetzes wird dann der Verwaltungsakt vorgenommen. Vielleicht könnte man es umdrehen: „Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit darf durch Gesetz nur für den Fall vorgesehen werden, daß der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat". Dr. Eberhard: Wenn man das so gedruckt weitergibt, dann ist das kein Grundrecht mehr. Bringen Sie das mit der Landesangehörigkeit als Antrag zur dritten Lesung! Es sieht hier so merkwürdig aus in diesem System. Dr. Heuss: Wollen Sie es hier haben?

den

.

.

947

Nr. 42

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In Art. 27 a. Aber hineinkäme. Also, Antrag zu Art. 27 a.

[r. Verbot der Art. 17 betrifft das

man

hat gemeint, daß

es

sonst nicht

Auslieferung, Asylrecht (Art. 17)]

Asylrecht.

[s. Wahlfreiheit, Gewährleistung des

Wahlgeheimnisses (Art. 18)]

Art. 18: „Das Recht zu wählen oder abzustimmen, die Wahlfreiheit sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Wer wahlberechtigt ist, entscheidet Verfassung oder Gesetz." Ich würde das ruhig darin lassen. Heile: Heißt diese Bestimmung, daß man eine Wahlpflicht durch Gesetz nicht einführen könnte, sondern nur durch verfassungsänderndes Gesetz? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es soll einmal gewährleistet werden, daß jemand zu seinem Recht kommt, überhaupt zu wählen, und ferner, daß ihm das Recht, zu wählen, nicht durch eine Norm entzogen wird. Weiter bedeutet es, daß er dieses Recht frei ausüben kann. Das ist die Wahlfreiheit. Heile: Mißverständnismöglichkeiten sind gegeben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Recht, zu wählen, wird gewährleistet. Dr. Eberhard: Ein Gesetz, das die Wahlpflicht statuiert, ist ausgeschlossen. Dr. Heuss: Wahlfreiheit heißt: Ich darf wählen, wenn ich will. Dr. Eberhard: Der Redaktionsausschuß52) stellte die Frage, ob die gesetzliche Einführung der Wahlpflicht möglich ist. Man hat nirgends die Wahlpflicht statuiert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da steht nur die Wahlfreiheit darin. Frau Dr. Weber: Man muß ein Volk zum Wählen erziehen.

[t. Zugang

zu

öffentlichen

Ämtern, Ausübung öffentlicher Ehrenämter (Art. 19)]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zu Art. 19, wo es heißt: „Wer in einem Arbeitsverhältnis als Arbeiter, Angestellter oder Beamter steht...", wurde vorgeschlagen: „in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis". Aber das kann ich nicht ganz einsehen. Ist das eine Verbesserung? Dr. Eberhard: Wollen die Beamten in einem „Arbeitsverhältnis" stehen? Sind die nicht beleidigt, wenn es heißt: „in einem Arbeitsverhältnis?" Der Beamte beansprucht, in einem „Dienstverhältnis" zu stehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist ferner zu dem Satz: „Jeder Deutsche hat im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung und nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang" die Frage aufgetaucht, ob man nicht die Worte

„im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung" umstellen

52) Dok. Nr. 40, Anm. 948

zu

Art. 18.

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dann heißt: „Jeder Deutsche hat nach seiner charakterlichen Eigund seinen Leistungen im Rahmen der gesetzlichen über die zu jedem öffentlichen Amt gleichen ZuVorbildung Bestimmungen irgendeiner der Außenstehenden gang". Es ist weiter die Frage aufgetaucht hat das angeregt —, ob man nicht die Worte „charakterliche Eignung" streichen sollte, weil man dann, wenn man dieses Erfordernis der charakterlichen Eignung aufstelle, zu den gleichen Ergebnissen kommen würde wie bei den Nazis. Da hat man auch die charakterliche Eignung in den Vordergrund gestellt und deshalb sollte man dieses Erfordernis hier streichen. Wir sind den umgekehrten Weg gegangen. Dr. Eberhard: Da bleiben wir dabei. Dr. Heuss: Der Mann, der gegen die „charakterliche Eignung" Einspruch erhoben hat, hat meine Sympathie. Das habe ich als Kultusminister erlebt, wie sie alle gesagt habe: „Wir müssen für den Charakter sorgen". Ich habe das Gefühl, daß das Wort „Charakter" saumäßig demoliert worden ist. Aber ich will weiter nichts dagegen sagen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Wie ist die Stimmung?

soll,

so

daß

es

nung, seiner

Befähigung



(Zurufe: Beibehaltung.) [u. Petitionsrecht (Art. 20)] Art. 20: „Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schrifüich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen sowie an die

Volksvertretung

zu

Hierzu keine

wenden".

[v. Gleichheitsgrundsatz

Bemerkungen.



.

.

.,

Geltung für Körperschaften, Anstalten (Art.

usw.

a)] Art. 20 a: Hier ist das Redaktionskomitee53) dafür eingetreten, daß man die Bestimmung allgemein faßt und daß man sagt: „Die Grundrechte gelten auch für inländische Körperschaften und sonstige Vereinigungen mit eigener Rechtspersönlichkeit, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind". Dazu ist von einigen Professoren ausgeführt worden54), daß dieser Satz, so bezogen auf alle Grundrechte, nicht stimme; es sei viel besser, einzeln anzuführen, auf welche der Grundrechte er Anwendung finde; denn bei manchen Grundrechten, 20

zum Beispiel Art. 16 (Entziehung der Staatsangehörigkeit), dann dem Asylrecht und ähnliche Dinge könne er keine Anwendung finden. Andererseits gibt es aber eine ganze Anzahl von Rechten, die auf Körperschaften Anwendung oder entsprechende Anwendung finden können. Es überhaupt dem einzelnen zu überlassen, welche Grundrechte auf Körperschaften für anwendbar zu erklären sind, ist eine Ungenauigkeit, die man doch nicht in Kauf nehmen sollte. Es wurde sogar noch mehr verlangt: diese Rechte herauszusuchen und im einzelnen zu sagen, ob sie unmittelbar oder nur entsprechend angewendet werden können. Das können wir allerdings schlechterdings nicht machen.

wie

53) Dok. Nr. 40. 54) Ein entsprechendes Schreiben ließ sich nicht ermitteln. 949

Nr. 42

Zweiunddreißigste Sitzung

11.

Januar

1949

Dr. Heuss: Die Bestimmung: „soweit sie ihrem Wesen nach anwendbar sind" deckt doch die ganze Frage. „Nach ihrem Wesen" bezieht sich auf „die Grundrechte". Ich finde das nicht zu beanstanden. Eine Enumeration ist hier unmög-

lich.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Der Gleichheitssatz sowie die Grundrechte der ungestörten Religionsausübung, der Freizügigkeit, der Unverletzlichkeit der Wohnung und des Privateigentums gelten für inländische Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit entsprechend". Ich bin schon dafür, daß man eine Aufzählung vornimmt, weil es klarer ist. Dr. Bergsträsser: Bringen wir nur das Wort „inländische" hinein und lassen wir es im übrigen bei der alten Fassung.

[w.

Einschränkung

der Grundrechte (Art. 20 b und 20 c)]

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art 20 b. Hier hat der Redaktionsausschuß55) eine Umstellung vorgenommen. Er hat in seiner Fassung genau wie wir die Verwirkung vorgesehen, aber zu „Brief- und Postgeheimnis" noch hinzufügt: „Telegraphenund Fernsprechgeheimnis". Ich habe das nicht hineingesetzt, weil ich den ganzen Art. 10 angeführt hatte und das als summarische Inhaltsangabe ansah,

„Art. 10" dahinter stand. Dr. Eberhard: Weil wir auch nur die Lehrfreiheit aufgeführt haben, könnte man vielleicht beim Brief- und Postgeheimnis daran denken, daß wir auch nur diese beiden meinen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn ich „die Lehrfreiheit" gesagt habe, so ist die Freiheit der Kunst und Wissenschaft, ihrer Lehre und der Forschung geschützt. Aber es kann praktisch nur die Lehrfreiheit herausgegriffen werden. Dr. Eberhard: Es ist eine Parallele. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müssen wir doch noch einsetzen: „Telegraphenund Fernsprechgeheimnis". Es bleibt jetzt nur eine Frage offen: Der Redaktionsausschuß sagt, daß unbedingt der Abs. 2 hinzugefügt werden müsse : „Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen". Meiner Anschauung nach nimmt man damit dem Abs. 1 die ganze Wirkung. Das geht unter keinen Umständen. Dr. Bergsträsser: Es kann nur der Rekurs an das Bundesverfassungsgericht gewenn

hen.

Vors. [Dr.

Mangoldt]:

Es kann sein, daß die Verwaltungsbehörde eine unriches muß dann über eine Klage dagegen entschieden werden. Es kann aber dann nur den Rekurs geben. Die vorgeschlagene Formulierung von Abs. 2 müssen wir unter allen Umständen abstellen, sonst wird dem Artikel die ganze Wirksamkeit genommen. Dr. Heuss: Darüber brauchen wir nichts zu schreiben. v.

tige Verfügung getroffen hat, und

55) Dok. Nr. 950

40.

Zweiunddreißigste Sitzung

11.

Januar

1949

Nr. 42

Dr. Eberhard: Können wir nicht sagen: „gegen die freiheitliche oder demokratische Grundordnung"? Wir haben das entsprechend auch in Art. 21 a, wo es

heißt: „Eine Partei, die

Grundordnung

zu

.

darauf

.

ausgeht,

die freiheitliche oder demokratische

beseitigen". .

Dr. Heuss: Ich habe ein etwas sonderbares Gefühl bei dieser

Formulierung: „die

freiheitliche oder demokratische Grundordnung". Ich weiß, was gemeint ist. Aber wenn einer das liest, dann kommt er auf die naheliegende Idee, daß „demokratisch" und „freiheitlich" nicht identische Begriffe sind. Dr. Eberhard: Es war gemeint, daß einer die freiheitliche Grundordnung bekämpft oder die demokratische. Dr. Heuss: Es klingt etwas sonderbar. Ich denke dabei an den naiven Leser oder an den boshaften. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich finde „freiheitliche demokratische Grundordnung" eine ganz gut. Es gibt eine demokratische Ordnung, die weniger frei ist und eine, die freiheitlich ist. „volksdemokratische" Dr. Heuss: Der Sinn ist völlig deutlich. Aber es werden hier die Dinge antithetisch gesehen. Sie sollen aber im Volksbewußtsein in sich zusammenfließen. Kaiser: Es genügt, wenn wir sagen: „gegen die demokratische Grundordnung". Das schließt die Freiheit ein. Dr. Heuss: Das tut sie nicht. Jean Jacques Rousseau56), der die Demokratie erfunden hat, war zugleich der Erfinder des Totalitarismus. Lassen wir es doch so stehen: „die freiheitliche demokratische Grundordnung", ohne Komma. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte höchstens sagen: „zum Kampf gegen die demokratische Freiheitsordnung". Dr. Eberhard: Ich würde schon „Grundordnung" lassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art. 20 c. Der erste Satz scheint mir in der Fassung des Redaktionskomitees57) zu weit zu gehen, daß die Einschränkung des Grundrechtes in dem Gesetz allgemein geregelt sein muß. Welche Anforderungen werden an den Gesetzgeber gestellt, wer überprüft das und wie sollen diese ganzen Dinge laufen? Soll man diese Überprüfung des Gesetzes noch einschalten? Das scheint mir zweifelhaft. Genügt es nicht, wenn der Richter die eine Grenze hat, die wir klar herausstellen, daß durch ein Gesetz niemals ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf? Derjenige, der sich auf die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes beruft, beruft sich auf Art. 20 b Abs. 1 : „Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden". Das alles sind hier formale Bestimmungen. Der Gesetzgeber, der ein dringendes Gesetz macht, kann das alles von vornherein gar nicht übersehen. Dann greift es aber einer heraus und dann ist das ganze Gesetz hinfällig. Das geht meines Erachtens zu weit. Dr. Bergsträsser: Das kommt grundsätzlich unter Umständen in Betracht bei den Dingen, die wir heute besprochen haben, nämlich beim Notstand, und im Notstand wird noch schludriger gearbeitet als sonst. Deswegen sind solche ge—



56) Jean Jacques Rousseau (1772—1778), französischer Schriftsteller. 57) Dok. Nr. 40. 951

Nr. 42

Zweiunddreißigste Sitzung

11.

Januar

1949

Vorschriften in diesen Bestimmungen ganz gut, denn ich habe immer die Beobachtung gemacht, daß bei solchen gesetzlichen Bestimmungen die Neigung besteht, sie lax anzuwenden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist ja noch eine andere Sicherung vorhanden: Es darf in Grundrechte überall nur in dem Umfang eingegriffen werden, in dem eine Ermächtigung durch den Gesetzgeber gegeben ist. Also, der Richter kann ohne weiteres prüfen, ob eine solche Ermächtigung durch den Gesetzgeber vorlag. Lag sie nicht vor, dann ist das Gesetz verfassungswidrig, von ihm für verfassungswidrig zu erklären. Ist aber die andere Möglichkeit gegeben, dann führt das nur zu einem Rattenschwanz von Prozessen, die praktisch zu einer Wiederholung des Gesetzgebungsverfahrens führen. Dr. Bergsträsser: In manchen Dingen bin ich formalistisch. Ich habe es erlebt, daß in Hessen eine Bestimmung des Notstandsparagraphen in einer Weise ausgelegt wurde, die absolut verfassungswidrig war. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich bin auch, wo es notwendig ist, für das Formalistische, aber das scheint mir hier doch über das Notwendige hinauszugehen. Die Stimmung der Mehrheit ist wohl dafür, daß wir das nicht hineinnehmen. Dr. Eberhard: Aber wir müssen Abs. 3 in der Fassung des Redaktionsausschusses hineinnehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur die Frage, ob wir dafür einen eigenen Artikel nehmen oder diesen Absatz anhängen sollen. Dr. Eberhard: Der Redaktionsausschuß arbeitet noch einmal daran. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Er muß noch die Redaktion machen, aber nur nach der Ich darf fragen, wie nun formell verfahren werden soll. redaktionellen Seite. Sollen wir das, was wir besprochen haben, als Antrag des Ausschusses einreichen? Es ist überall Einverständnis vorhanden mit Ausnahme von Art. 7 b; der letzte Abschnitt bleibt heraus. Dr. Eberhard: Wir sollten die neue Zusammenfassung möglichst bald bekommen58). Es wäre gut, wir sprechen darüber, wenn wir das haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich werde versuchen, es gleich morgen früh schreiben zu lassen. Dr. Eberhard: Es bleibt dann noch die Frage der Ländergrenzenartikel und auch noch die Präambel. An die müssen wir noch herangehen, aber das wird sich in einer kurzen Sitzung machen lassen59). Kaiser: Was die Präambel betrifft, so bitten die Vertreter Berlins ganz ausdrücklich darum, daß vor der Behandlung eine Besprechnung zwischen den Berliner Vertretern und dem Ältestenrat stattfindet. Es hat ein Briefwechsel stattgefunden zwischen Herrn Reuter und Herrn Dr. Adenauer, und Herr Dr. Adenauer hat in einem Antwortschreiben das zugesagt60). nauen





58) Drucks. Nr. 393, Abdr. als Dok. Nr. 43. 59) Die Präambei wurde in Dok. Nr. 44, TOP 1, die Neugiiederung in Dok. Nr. 45, TOP 2 weiterbehandelt.

am 18. Dez. 1948 an Adenauer geschrieben, er sähe die Tendenz, die Frage Beriin alliierten Stellen gegenüber zur Erörterung zu bringen und bat, die Abgeordneten Berlins im Pari. Rat zu beteiligen. Adenauer antwortete prompt unter dem 19. Dez. 1948,

60) Reuter hatte

952

Zweiunddreißigste Sitzung 11. Januar 1949

Mangoldt]: Das würde unsere Verhandlungen nicht berühren, Verhandlungen im Hauptausschuß. [Schließung der Sitzung, nächster Sitzungstermin]

Vors. [Dr.

dern

Nr. 42

er

nur

v.

son-

die

halte den Wunsch nach Beteiligung für richtig (BKAH 09/03). Zur Besprechung selbst Hinweis bei Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 300.

vgl. den

953

Nr. 43

Grundrechtsbestimmungen Nr. 43

Abänderungsvorschläge des Auschusses für Grundsatzfragen zur Fassung Grundrechtsbestimmungen der ersten Lesung des Hauptausschusses1)

der

[11. Januar 1949] Z 5/128, Bl. 251-255. Als Drucks. Nr.

Abänderungsvorschläge

4932) vervielf. Ausf.

des Grundsatz-

ausschusses

(beschlossen

am

11.

Januar

1949 unter

der

Vorschläge

gleichzeitiger Beratung des Allg. Red. Aussch.

vom

Fassung der

1. Lesung des Hauptausschusses, eingearbeitet die Abände-

rungsvorschläge des Grunds.Aussch.

13. 12. 48

Umdruck PR. 370 -)3) -

Artikel 1

Artikel 1

(1) (Text unverändert)

(2) Bereit, für die dauernde Achtung

und

Sicherung der Menschenwürde

(1) Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. (2) (s. nebensteh. Fassung)

einzustehen, erkennt das deutsche Volk jene gleichen unverletzlichen

und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, auf denen Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden ruhen. (3) Diese Grundrechte, für unser Volk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt, binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung des Bundes und der Länder als unmittelbar geltendes Recht.

(3) (s. nebensteh. Fassung)

Artikel 2

Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf per-

(1) (s. nebensteh. Fassung)

sönliche Freiheit und Sicherheit.

1) VgL hierzu Dok. Nr. 37, das die Art.

2)

In der Vortage handschr.

3) Abdr. als Dok. Nr. 954

40.

Lesung des HptA wiedergibt. Die Drucks. Nr. 393 betraf jedoch eine Ent-

1—9 der 1.

korrigiert in Nr. 393. schließung zur Frage der Kriegsgefangenen.

Grandrechtsbestimmungen Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

ausschusses

Fassung der

Lesung des Hauptausschusses, eingearbeitet die Abände1.

rungsvorschläge (2) (Text unverändert)

Entfaltung

nur auf Grund der Rechtsordnung eingegriffen werden. Dabei darf das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung nicht verweigert werden. (4) (Absatz 4 wird Artikel 20 c)

(2) Niemand darf willkürlich festgeverhaftet oder sonst festgehalten werden. (3) (Hier ist das Wort „Personen" zu

seiner

Persönlichkeit,

so-

nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (3) (s. nebensteh. Fassung) er

(4) (entfällt hier)

Artikel 3

(1) (Text unverändert)

des Grunds.Aussch.

(2) Jeder hat das Recht auf die freie weit

(3) In diese Rechte kann

Nr. 43

Artikel 3

(1) Die Freiheit der Person ist letzlich. (2) (s. nebensteh. Fassung)

unver-

nommen,

streichen)

(3) Festgehaltene dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden.

Artikel 4

(1—2) (Text unverändert)

Artikel 4

(1) Alle Menschen sind

vor dem GeDas Gesetz muß Gleiches

setz gleich. gleich, es kann

Verschiedenes nach Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. (2) Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauunseiner

(3) (Das fünftletzte Wort „wegen" ist nach vom zu ziehen und als 3. Wort einzusetzen.)

955

Nr. 43

Grundrechtsbestimmungen

Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

Fassung der

1.

Lesung des Hauptaus-

Schusses, eingearbeitet die Abände-

ausschusses

rungsvorschläge gen

den.

benachteiligt

Artikel 5

(1—3) (Text unverändert)

des Grunds.Aussch.

oder

bevorzugt

wer-

Artikel 5

(1) Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens wie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Das Recht der Vereinigung zu Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften wird anerkannt. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen.

„Religionsgesellschaft" setze in Satz 2 „Religions- und WeltanSchauungsgemeinschaft") (4) (Statt

(5) (Text unverändert)

(4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft darf gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert. (5) Niemand darf gegen sein GewisKriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz. sen zum

Artikel 6

(1—2) (Text unverändert)

Artikel 6

(1) Die Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsverbreitung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. (2) Die

Unterrichtung und die Meinungsbildung aus allgemein zugängli956

Grundrechtsbestimmungen Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

ausschusses

Fassung der

1.

Nr. 43

Lesung des Hauptaus-

schusses, eingearbeitet die Abände-

rungsvorschläge des Grunds.Aussch. chen

Quellen, insbesondere der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckerzeugnissen dürfen nicht be(3) (Ersetze in Satz 1 das 3. Wort „wie" durch „und" und das vorletzte Wort „wird" durch „werden". Die Sätze 2—5 entfallen in diesem Absatz) (4) Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Eine Zensur

von

(4) (s. nebensteh. Fassung)

Presse, Theater,

Rundfunk und öffentlichen Vorträgen findet nicht statt. (5) Das Recht der freien Meinungsäußerung und die Freiheit von Presse, Rundfunk und Film finden ihre Grenzen in den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze, in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, insbesondere im Filmwesen, und in dem Recht der persönlichen Ehre. Wegen Mißbrauchs dieser Rechte durch Presse, Rundfunk und Film darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über Presse, Rundfunk und Film eingeschritten werden. Die

Entscheidung erfolgt

schränkt werden. (3) Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.

in einem

(5) (s. nebensteh. Fassung)

gericht-

lichen Verfahren. (6) (Text wie bisheriger Absatz 5)

Artikel 7

(Text unverändert)

Artikel 7 a

(1) Die Ehe ist die rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann

(6) Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung bekanntzugeben. Artikel 7

Kunst, Wissenschaft und und ihre Lehre sind frei.

Forschung

Artikel 7 a

(1) (s. nebensteh. Fassung) 957

Nr. 43

Grundrechtsbestimmungen

Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

ausschusses

Fassung der

1. Lesung des Hauptausschusses, eingearbeitet die Abände-

rungsvorschläge des Grunds.Aussch. und Frau. Sie bildet die Grundlage der Familie. Ehe und Familie und die damit verbundenen Rechte und Pflichten stehen unter dem Schutze der

Verfassung. (2) (Text unverändert)

(3) Den

unehelichen

Kindern

sind

durch die

Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihren gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen

(2) Jede Mutter hat gleichen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (3) (s. nebensteh. Fassung)

wie den ehelichen Kindern.

Artikel 7 b

(1) Pflege und Erziehung der Kinder ist das natürliche Recht der Eltern

Artikel 7 b

(1) (s. nebensteh. Fassung)

und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen und deshalb die Kinder zu verwahrlosen drohen.

(2) (Text unverändert)

Artikel 8

(Text unverändert)

958

(2) Unbeschadet des Rechts der Eltern, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden, ist der Religionsunterricht schulplanmäßiges Lehrfach in allen Schulen. Er wird nach den Grundsätzen der Kirchen in ihrem Auftrage und unter ihrer Aufsicht erteilt. Artikel 8

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

Grundrechtsbestimmungen Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

ausschusses

Nr. 43

Fassung der 1. Lesung des HauptausSchusses, eingearbeitet die Abänderungsvorschläge des Grunds.Aussch. (2) Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.

Artikel 9

(1 —3 Satz 1) (Text unverändert)

Artikel 9

(1) Alle Deutschen haben das Recht zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der VölkerverstänVereine und Gesellschaften

sind verboten. Wahrung und Förder Arbeits- und Wirtschafts-

digung richten, (3) Das Recht,

zur

derung bedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe (3) (Satz 2 und 3:) Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, zu diesem Zweck getroffene Maßnahmen rechtswidrig. Ein Zwang zum Beitritt darf nicht ausgeübt werden. Ausnahmen von diesem Verbot können für öffentlich-rechtliche Berufsverbände durch Gesetz zugelassen werden. Artikel 10

(Text unverändert)

gewährleistet. (3) Satz 2 und 3:) (s. nebensteh. Fassung)

Artikel 10 Das Briefgeheimnis, sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheim-

nis sind unverletzlich, Beschränkungen können nur durch Gesetz, jedoch nicht zu Zwecken der politischen Überwachung angeordnet werden. 959

Nr. 43

Grundrechtsbestimmungen

Abänderungsvorschläge des Grundsatzausschusses

Fassung der

1.

Lesung des Hauptaus-

Schusses, eingearbeitet die Abände-

rungsvorschläge des Artikeln

(Text unverändert)

Artikel 11

Bundesangehörigen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Sie haben das Recht, an jedem Ort des Bundesgebietes Aufenthalt und

Alle

Wohnsitz

zu

Artikel 12

(Text unverändert)

Grunds.Aussch.

nehmen.

Artikel 12

(1) Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz gere-

gelt

werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen

Dienstleistungspflicht. (3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichüich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. Artikel 13 (1) Die Wohnung ist als Heim und Freistätte geschützt. (2) (Text unverändert)

(3) (Ersetze die Worte „auf Grund eiGesetzes" durch „im Rahmen der

nes

Rechtsordnung")

Artikel 13

(1) (s. nebensteh. Fassung) (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. (3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, im Rahmen der Rechtsordnung auch zur VerGefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung,

hütung dringender 960

Grundrechtsbestimmungen Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

ausschusses

Fassung der

1.

Nr. 43

Lesung des Hauptaus-

schusses, eingearbeitet die Abände-

rungsvorschläge

des Grunds.Aussch.

insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden. Artikel 14

Artikel 14

(1-3 Satz 2) (Text unverändert)

(1) Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Wer sein Eigentum mißbraucht, kann sich auf den Schutz dieser Bestimmungen nicht berufen. (3) Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.

(3) (Ersetze in Satz 3 das erste Wort „Diese" durch „Die Entschädigung" und das dritüetzte Wort „Betroffenen" durch „Eigentümers".

Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allge-

Artikel 15

Artikel 15

(3) (Satz 3:)

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel dürfen durch Enteignung nach Artikel 14 nur auf Grund eines besonderen Gesetzes in Gemeineigentum überführt werden. Artikel 16 Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht willkürlich entzogen werden.

Die

meinheit und des

Eigentümers

zu

be-

stimmen.

(s. nebensteh. Fassung)

Artikel 16

(s. nebensteh. Fassung) 961

Nr. 43

Grundrechtsbestimmungen

Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

ausschusses

1. Lesung des Hauptausschusses, eingearbeitet die Abände-

Fassung der

rungsvorschläge Der Verlust

der darf durch Gesetz

des Grunds.Aussch.

Staatsangehörigkeit

für den Fall daß der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. nur

vorgesehen werden,

Artikel 17

Artikel 17

(Text unverändert)

(1) Kein Deutscher darf

ans

Ausland

ausgeliefert werden. (2) Politisch Verfolgte genießen Asyl-

recht. Artikel 18

Artikel 18

(Text unverändert)

(1) Das Recht zu wählen oder abzustimmen, die Wahlfreiheit sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Wer wahlberechtigt ist, entscheidet

Verfassung oder Gesetz. (2) Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesonde-

darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die Möglichkeit freier Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen nicht genommen werden. re

Artikel 19

(1) (Die Worte „im Rahmen der setzlichen Bestimmungen über Vorbildung" sind nach hinten zu hen und nach den Worten „und

Artikel 19 ge-

die

zieseinen Leistungen" einzufügen. Ferner streiche das Wort „und" vor den Worten „nach seiner charakterlichen Eig-

nung") 962

(1) Jeder Deutsche hat nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang.

Grandrechtsbestimmungen Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

ausschusses

Fassung der 1. Lesung des Hauptausschusses, eingearbeitet die Abände-

rungsvorschläge (2) (Text unverändert)

Nr. 43

des Grunds.Aussch.

(2) Wer in einem Arbeitsverhältnis als Arbeiter, Angestellter oder Beamter steht, hat das Recht auf die zur Wahr-

nehmung staatsbürgerlicher Rechte und zur Ausübung ihm übertragenen öffentlichen Ehrenämter nötige freie Zeit. Der Ansprach auf Vergütung bleibt erhalten, soweit nicht bei Verdienstausfall eine diesen ausgleichende Entschädigung gewährt wird. Das Nähere regelt das Gesetz. Artikel 20

(Text unverändert)

Artikel 20

Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen sowie an die

Volksvertretung Artikel 20 a

(Füge

vor

den Worten „Körperschaf-

ten" das Wort

„inländische" ein)

zu

wenden.

Artikel 20 a Der Gleichheitssatz (Artikel 4) sowie die Grundrechte der ungestörten Religionsausübung (Artikel 5), der Freizü-

gigkeit (Artikel 11), der UnverletzlichWohnung (Artikel 13) und des Privateigentums (Artikel 14 und 15) gelten für inländische Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit entsprechend. keit der

Artikel 20 b (1) (Text unverändert)

Artikel 20 b

(1) Soweit nach den Bestimmungen Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet dieses

werden.

963

Nr. 43

Grandrechtsbestimmungen

Abänderungsvorschläge

des Grundsatz-

ausschusses

Fassung der 1. Lesung des HauptausSchusses, eingearbeitet die Abände-

rungsvorschläge des Grunds.Aussch. (2) (Ersetze die Worte „Brief- und durch die Worte „Brief-, Post-, Fernsprech- und Tele-

Postgeheimnis"

graphengeheimnis")

(2) Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 6), die Lehrfreiheit (Artikel 7), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9) oder das Brief-, Post-, Fernsprech- und Telegraphengeheimnis (Artikel 10) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordmißbraucht, verwirkt diese nung Grundrechte.

Artikel 20 c

Artikel 20 c

(Der Text des Artikels 2 Abs. 4 ist nach hier als selbständiger Artikel zu

Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.

übernehmen)

964

Dreiunddreißigste Sitzung

19.

Januar 1949

Nr. 44

Nr. 44

Dreiunddreißigste Sitzung

des Ausschusses für

19.

Januar

Grundsatzfragen

1949

Z 5/36, Bl. 125-150. Stenogr. Wortprot, undat. und ungez. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 18-19. Drucks. Nr. 5591)

Anwesend2):

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Pfeiffer SPD: Bergsträsser, Eberhard FDP: Heuss Stenografischer Dienst: Jonuschat Dauer: 17.30-18.30 Uhr

[1. PRÄAMBEL, DURCHSICHT DER FASSUNG AUS DER

1. LESUNG DES

HAUPTAUSSCHUSSES] Der Ausschuß beschließt zunächst, seine nächste Sitzung Mittwoch, 26. Januar 1949, 15.30 Uhr zu halten mit der Tagesordnung: Fragen der Ländergrenzen,

Neugliederung, Eingaben.

Der Ausschuß tritt dann in die Tagesordnung ein: Präambel des Grundgesetzes. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir stehen vor der Frage, ob wir die Präambel in der gedrängten Kürze haben wollen, wie sie etwa der Redaktionsausschuß3) oder die DP4) vorschlägt, oder ob wir es doch für notwendig halten, sie etwas ausführlicher zu machen. Der Redaktionsausschuß hat diese Frage mit einer Behauptung am Anfang erledigt, der man eine gleiche Behauptung entgegengesetzten Inhalts gegenüberstellen könnte. Er sagt:

1) Das Kurzport, datierte die Sitzung auf den 12. Jan. 1949. Sie fand jedoch am Mittwoch, den 19. Januar 1949 statt, wie dies im Sten. Prot, vermerkt ist. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Der Vorschlag des Redaktionsausschusses (Drucks. Nr. 370) vom 13. Dez. 1948, abgedr. in Dok. Nr. 40.

4) Der Vorschlag der DP vom 16. Dez. 1948, vervielf. als Drucks. Nr. 395 lautete : „Grundgesetz zur Erneuerung des Deutschen Reiches. Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott, in Treue zu seinen Vätern und zum Nutzen der kommenden Geschlechter, erfüllt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu wahren, erneuert das deutsche Volk in den Ländern [folgt Auf-

zählung] unter Mitwirkung

der Vertreter Groß-Berlins das Deutsche Reich als Bund deutscher Länder, dem alle deutschen Staaten als gleichberechtigte Glieder angehören sollen. Das deutsche Volk will einen Bundesstaat schaffen, der in der Gemeinschaft der Völker sein Leben im Dienste des Rechtes und des Fortschritts der menschlichen Gesellschaft in Freiheit und Frieden gestaltet." Für den Fall der Ablehnung dieses Antrages sollte der HptA u. a. beschließen: ,,a) Die Überschrift des Grundgesetzes in der Fassung der 1. Lesung wird gestrichen. An ihre Stelle tritt folgende Fassung: .Grundgesetz für den Bundesstaat Deutschland', b) Die Präambel, erster Absatz, letzter Halbsatz in der Fassung der 1. Lesung erhält folgende Fassung:.. ,um in diesem Grundgesetz das Deutsche Reich als Bund Deutscher Länder zu erneuern.'" Der vorgeschlagene Wortlaut der Präambel war bereits in der Drucks. Nr. 298 vom 19. Nov. 1948 enthalten. .

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Eine Präambel sollte nur wenige markante, den Wesensinhalt einer Verfassung kennzeichnende Gedanken in einer jedermann einprägsamen Form

enthalten.

klingt sehr schön. Nur hat man sich bei bedeutenden Verfassungen und Grundgesetzen nicht an diesen Satz gehalten. Ich brauche nur zu erinnern an die Charta der Vereinten Nationen5), an die französische Verfassung6), auch die italienische Verfassung7), um zu zeigen, daß dieser Satz, in dieser Form gesagt, zwar eine Behauptung ist, die aber durch das Geschehen in der Welt nicht bestätigt wird. Nun scheint mir doch, daß wir uns mit unserem Grundgesetz in einer so exzeptionellen Lage befinden, daß diese Lage in etwa auch in dieser Präambel zum Ausdruck kommen müßte. Denn es ist ja die Aufgabe der Präambel, den geschichtlichen Stand zu zeigen, aus dem heraus dieses Grundgesetz gewachsen ist. Ich glaube, nach der Richtung wäre es doch noch einmal nötig wir haben das zuerst gemacht; ich weiß, daß ich mich da in gewissem Sinne nicht in Übereinstimmung mit dem Herrn Kollegen Heuss befinde —, daß wir uns überlegen, was wir herausnehmen könnten und was wir unbedingt drin haben müßten. Das sind die allgemeinen Erörterungen, die ich einmal voranstellen möchte. Mir erscheint es z. B. notwendig, daß wir zweierlei ganz unbedingt betonen: auf der einen Seite das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes, aus dem dieses Grundgesetz in dieser Zeit überhaupt nur hat wachsen können, und auf der anderen Seite demgegenüber doch den anderen Satz, daß wir letzten Endes bei all dem, was wir taten, doch nicht vollkommen frei waren. Das ist also der Hinweis auf dies Handeln in einer Zeit, in der eine fremde Macht dieses Land besetzt hält. Denn beides ist ganz sicher von grundlegendem Einfluß auf diese Verfassung gewesen. Dieser Einfluß spielt gerade in diesen Tagen eine große Rolle, wo immer wieder gesagt wird: Die Arbeit kann nur zu Ende geführt werden, wenn das Besatzungsstatut vorliegt8). Aber es hat doch von Anfang an die Idee geherrscht, daß wir frei aus unseren Auffassungen heraus diese Verfassung gestalten, und nun kommt der andere Gesichtspunkt, daß auf die Besatzungsmächte Rücksicht genommen werden müsse, daß die Verfassung in etwa dem Besatzungsstatut angepaßt werden müßte, jedenfalls daß man auf dieses irgendwie Rücksicht nehmen müsse. Gerade aus diesen Gründen scheint es mir ganz ausgeschlossen, auf diese beiden Gedanken zu verzichten. Im übrigen hat man mit Recht darauf hingewiesen, daß wir uns nach manchen Richtungen in der Präambel wiederholen. Vorn steht etwa drin: „um in diesem Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer Dieser Satz



5) Dok. Nr. 8, Anm. 3. 6) Franz. Verfassung von 1946 vgl. Dok. Nr. 4, Anm. 16. 7) Die Verfassung von Italien war am 1. Jan. 1948 inkraft getreten. Ihr Wortlaut stand den

Mitgliedern des Pari. Rates in dem von der Civil Administration Division von OMGUS im Sept. 1948 herausgegebenen Sammelband „Bundesstaatliche Verfassungen" zur Verfügung (S. 361 ff.). Eine Präambel enthielt sie allerdings nicht. 8) Vgl. hierzu Der Pari. Rat Bd. 4 passim. 966

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Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben", und hinterher taucht die Ordnung des staatlichen Lebens wiederum auf. Es ist also Verschiedenes doppelt. Wenn man andererseits sagt: „Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche Volk Abgeordnete entsandt", dann fehlt mir etwas. Das steht zu nackt da. Wenn man schon überhaupt auf das Historische eingeht, dann muß man auch etwas näher umschreiben, wann das geschehen ist. Denn so klingt es nicht.

Aber das sind nur ein paar einleitende Worte, die ich vorausschicken wollte, damit wir uns darüber unterhalten können. Es wäre zunächst die Frage, ob wir an dieses Zusammenstreichen herangehen wollen, so wie es der Redaktionsausschuß vorgesehen hat, oder ob wir an der etwas weiteren Form festhalten wollen. Dr. Eberhard: Ich bin nicht für das Zusammenstreichen nach Art des Redaktionsausschusses. Wir müssen in einer würdigen Form eine gewisse Reihe von Gesichtspunkten geben. Es bleibt offen, ob man vielleicht den einen und anderen herauslassen und manches zusammenfassen könnte, aber wir sollten nicht so straff und kurz zusammenfassen, wie es der Redaktionsausschuß versucht. Mayr: Ich habe in fünf Versammlungen gesprochen, zum Teil vor geladenen Gästen, bestehend aus Vertretern der Wissenschaft, der Industrie, des Handels, der Politik, und auch vor Parteifreunden und schließlich vor jedermann. Ich habe in jedem Falle unsere Präambel vorgelesen und ganz kurz berichtet, wie sie hier entstanden ist und wie sehr wir um den Inhalt der Präambel gerungen haben, auch weshalb wir alle diese Hinweise auf die Vergangenheit, die Gegenwart und auf das, was wir anstreben wollen, hier in der Präambel wiedergegeben haben. Ich muß Ihnen gestehen, daß diese Präambel ausnahmslos ich war selbst überrascht darüber Es wiehat. hat sich gefunden Zustimmung derum gezeigt, wenn man den Bevölkerungskreisen, den Wählern, erklärt, warum die Präambel diese Form bekommen hat, dann geben sie auch ihre Zustim—



mung. Dr. Bergsträsser: Ich bin auch für die größere Präambel, und zwar noch aus einem anderen Grunde. Wenn wir die Präambel ungefähr so halten, wie wir sie konzipiert haben, ist sie eine wirkliche Einleitung. Wenn man sie z. B. im staatsbürgerlichen Unterricht an einer Schule durchgeht, so wird damit den Leuten die Motivierung des Ganzen gegeben. Sie bringt etwas Seelisches hinein und nicht nur die juristischen Paragraphen. Das ist für eine Verfassung notwendig. Eine Verfassung lebt doch nicht nur von der Juristerei, sondern von

den Menschen, die dahinter stehen oder nicht dahinter stehen. Pfeiffer: Ich teile die Auffassung dieser beiden Herren und darf nur noch erweiternd hinzufügen: Die Verfassung ist ein großes Dokument, und ein Dokument muß alles Wesentliche zu seinem Verständnis in sich tragen. Da gehört dies dazu, und zwar insbesondere deshalb: Wir sind doch in der immer wieder aufblitzenden Zwielichtsituation, daß wir einerseits auf Grund einer von den Alliierten erlassenen Sache mit einem Auftrag berufen sind, den wir erfüllen müssen, daß wir uns aber bemühen, den Auftrag aus deutscher Sendung heraus in die Tat umzusetzen. Wir sind in einem gewissen Zwiespalt: de facto berufen auf Grund eines Dokumentes der Alliierten, das von den Ministerpräsidenten Dr.

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und den Landtagen akzeptiert wurde9) auch wir Abgeordnete haben es akdurch Annahme der aber wir sind uns klar, daß wir diesen —, Wahl10) zeptiert nach wirklich Abgeordnete des deutweiter der müssen, Richtung gehen Weg schen Volkes zu sein, wenn wir es auch der Form nach nicht unbedingt sein können. Und das kommt in dieser Präambel zum Ausdruck. Ein Wort zu dem, was Herr Bergsträsser eben sagte. Ich habe in höheren Schulen bei jungen Leuten, die auf die Universität gingen, in der Nazizeit meinen fremdsprachigen Unterricht benutzt, über Verfassungen der Engländer und Amerikaner zu reden, habe lauter Sachen aus Verfassungen der demokratischen Länder gelesen. Wenn ich mir nun vorstelle, ich würde irgendwo im staatsbürgerlichen Unterricht zu 18-, 19-jährigen Menschen sprechen, so wäre mir eine derartige Präambel eine außerordentlich wertvolle Hilfsquelle, um zu zeigen, daß die Verfassung in Paragraphen geformte Ideologie ist. Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß wir grundsätzlich bei dem bleiben, wobei ich sagen möchte: Ob wir bessere Formulierungen und Zusammenstreichungen zuwege bringen, müßten wir erst ausprobieren. A priori kann ich das nicht sagen. Mayr: Die Verfassung soll ein würdevolles Antlitz haben, und das sehe ich in dieser Präambel. Dr. Bergsträsser: Überdies zeigt sie auch, daß die, die die Verfassung gemacht haben, ein Gefühl der moralischen Verantwortung und Verpflichtung hatten, das uns ja von sehr vielen Leuten im deutschen Volke abgesprochen wird, die ich will es einmal volksmäsagen: Ein Politiker ist doch ein Schweinehund ßig ausdrücken. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, daß trotz der Schwierigkeiten über den Umfang volle Einigkeit besteht, und daß wir uns die Frage vorlegen müßten, ob wir am Text etwas ändern können. Da ist der erste Gesichtspunkt, der mir aufgetaucht ist ich habe hier nur gewisse Vorschläge zu machen versucht —, daß es meiner Anschauung nach nicht klingt, wenn wir sagen „hat Abgeordnete entsandt". Dr. Pfeiffer: Das ist dann in der alten Form. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In der vom Hauptausschuß angenommenen Form11) heißt es: „Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das deutsche —





9) Frankfurter Dok. Nr. I, Abdr. in: Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30-32. 10) Zur Einberufung des Pari. Rates siehe Der Pari. Rat Bd. 1, S. LIV ff. ") Die Präambel war am 10. Dez. 1948 im HptA behandelt worden; Verhandlungen, S. 306-311. Zum beschlossenen Wortlaut vgl. Drucks. Nr. 340, Abdr. in: Entwürfe, S. 41: „Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das Deutsche Volk in den Ländern [folgt Aufzählung] Abgeordnete entsandt, um in diesem Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer

Bundesrepublik Deutschland

eine

neue

Form

zu

geben.

Im Bewußtsein der

Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten, in dem Willen, nach einer

Zeit der Willkür und Gewalt, die alten Freiheitsrechte und die Menschenwürde zu schützen und zu wahren, in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Wohle der Menschheit dienen wird, zugleich in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Aus968

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Volk Abgeordnete entsandt". Da fehlt mir etwas: wohin, und wann das geschehen ist. Das möchte ich irgendwie zum Ausdruck gebracht sehen. Dr. Pfeiffer: Es ist beim Verbum „entsenden" entweder im Satz vorher oder im Satz selber ein Lokativ anzugeben, eine Versammlung oder irgend etwas, und das fehlt hier. Dr. Heuss: Wir haben ganz am Anfang noch mehr Geschichtsphilologie getrieben: Weimar und Bonn usw. Da wäre nämlich die Nacktheit, von der Sie reden, noch sehr viel stärker geworden, weil da gleichzeitig eine historische Chronik aufgestellt wird, die eine Dauerbindung an die Voraussetzungen, unter denen wir zusammen gekommen sind, enthält. Also diese Dinge wollte ich vermieden wissen: Bonn, 1. September, Weimar, 1919. Das haben wir alles am Anfang drin gehabt. Das ist alles wie ein historischer Kommentar und gibt der Geschichte für mein Gefühl den Eindruck eines Notariats. Das „entsandt" haben wir deshalb gebraucht, um von Berlin reden zu können. Der Redaktionsausschuß hat Berlin weggelassen. Es ist ein Problem, ob man es weglassen soll und darf. Ich glaube, man darf es nicht weglassen. Es ist ja ein exzeptioneller Zustand, in dem sich die Berliner Frage innerhalb der gesamtdeutschen Frage befindet. Aber wenn wir es jetzt streichen würden, nachdem es vorher veröffentlicht war, würde das als eine Politik des Abstreichens der Berliner Frage gewertet werden. Ich war jetzt in Berlin. Die Leute stehen da etwas unter dem Eindruck, daß Berlin vom Westen abgeschrieben ist. Wenn wir Berlin drin lassen, könnte man statt „entsandt" auch „beauftragt" oder „bestimmt" sagen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Abgeordnete mit der Aufgabe betraut" könnte man ja sagen und dann das so zusammenfassen: „das staatliche Leben in einem Grundgesetz neu zu formen", oder in der anderen Formulierung: „dem staatlichen Leben in Deutschland in einem Grundgesetz eine neue verfassungsmäßige Ordnung zu geben." Dr. Heuss: Ich wollte den Ausdruck

„Grundgesetz", der mehr ein Verlegenheitsausdruck ist, nicht. Aber ich wollte mich nicht dagegen sträuben und habe dafür den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung seinerzeit schon vorgeschlagen. Ich bin ganz dankbar, wenn er hier mit aufgenommen wird. Carlo Schmid hat ihn, glaube ich, für eine Tautologie angesehen; aber mir soll er recht sein. Dr. Pfeiffer: Unsere ganze Arbeit hat ja nicht nur die eine Anomalie, daß wir von einem Grundgesetz reden müssen, weil das Wort „Verfassung" auf Grund der Vereinbarung der Ministerpräsidenten mit den Generälen in jeder Kombinaübung

eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat, wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Ordnung des staatlichen Lebens geschaffen, dem deutschen Volk in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen. Bei der Durchführung ihres Auftrags haben sich die Abgeordneten als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden."

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tion vermieden werden soll12). Wir haben noch die andere Anomalie, daß wir natürlich nur in gedämpfter Form ein Parlament sind. Wir sind nicht eine verfassunggebende Versammlung oder gar Nationalversammlung, sondern wir sind eben ein Parlamentarischer Rat. Diese Frage mit dem „entsandt" würde sich, wenn man den Parlamentarischen Rat auch anführen wollte, nur so lösen lassen, daß man sagt: „haben die Landtage der deutschen Länder.. Abgeordnete in einen Parlamentarischen Rat entsandt". Ich sage nur, das kann man feststellen. Wir lassen diese Anomalie des Parlamentarischen Rates also weg. Wenn wir darauf aber nicht Bezug nehmen wollen, sondern bei dem vorliegenden Wortlaut bleiben, müssen wir „Abgeordnete beauftragt" oder „mit der Aufgabe betraut" sagen. Dann können wir den Parlamentarischen Rat und Bonn usw. .

weglassen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das würde ich für sehr viel richtiger halten, weil es gerade notwendig ist, der Außenwelt gegenüber zu betonen, daß diese uns gegebene Möglichkeit von uns ausgenutzt wurde, indem der Parlamentarische Rat durch die Länder beschlossen und dieser Gedanke vom deutschen Volk über die Landtage aufgenommen wurde. Damit ist der Wiederaufbau einer deutschen Staatsgewalt dann als deutsche Aufgabe in die eigene Hand genommen worden. Dr. Pfeiffer: Ich hätte ja lieber die Nennung der Landtage gesehen: die Landtage haben entsandt. Aber dann wäre es mehr eine notarielle Urkunde. Dr. Eberhard: Wir wollten den technischen Prozeß nicht so beschrieben sehen. Dr. Pfeiffer: An und für sich hätte ich das als politicum auch für richtig gehalten. Aber ich mache keine Schwierigkeiten. Dr. Bergsträsser: Wenn wir sagen „Abgeordnete mit der Aufgabe betraut", ist das auch insofern geschickt, als die meisten von uns auch Abgeordnete in ihren Landtagen sind. Dr. Pfeiffer: Hier sind wir auf alle Fälle Abgeordnete, gleichgültig ob wir es im eigenen Landtag sind oder nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden wir vielleicht zunächst sagen „mit der Aufgabe betraut". Dr. Eberhard: Dann fällt „entsandt, um" weg. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir würden dann sagen entweder: „das staatliche Leben Deutschlands in einem Grundgesetz neu zu formen" oder „dem staatlichen Leben Deutschlands in einem Grundgesetz eine neue verfassungsmäßige Ordnung zu geben", oder auch andere Varianten. Ich hatte mir die nur überlegt, weil sie sich an das halten, was wir früher gesagt hatten. Dr. Pfeiffer: Die zweite Variante, die Sie vortrugen, würde mir besser gefallen: mit der Aufgabe betraut, dem staatlichen Leben Deutschlands da ist der Ausdruck Deutschland wieder in seiner klaren Geltung ge—

nannt —

in einem

Grundgesetz

eine

neue

12) Vgl. Der Par). Rat Bd. 1, Einleitung. 970

verfassungsmäßige Ordnung

zu

geben.

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Das klingt sehr sympathisch und sachlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich wollte auch aus einem anderen Grunde die Bundesrepublik Deutschland herausbringen. Wir sagen nachher, die Bundesrepublik Deutschland soll vollendet werden. Erst Gesamtdeutschland soll diese Bundesrepublik bilden. Wenn wir sie hier oben hinsetzen, wo wir sie noch nicht bilden können, haben wir sie zweimal in verschiedener Gestalt. Darüber stolpert man auch. Wenn wir vorn nur den Begriff Deutschland hinsetzen, haben wir das, was man gewollt hat, haben aber die Bundesrepublik Deutschland als den Begriff, dem wir zustreben. Dr. Heuss: Ganz zustreben tun Sie ihm nicht; denn Sie haben in der Überschrift stehen „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland". Das muß schon bleiben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, das war ja die Schwierigkeit von Anfang. Dr. Bergsträsser: Gerade bei dieser Schwierigkeit ist aber die Frage: Sollen wir das Wort „verfassungsmäßige Ordnung" gebrauchen? Wir hatten es drin; aber es fällt mir jetzt auf. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich finde es sehr gut, daß es einmal gesagt wird. Denn praktisch ist das, was wir machen, eine Verfassung. Dr. Eberhard: Es steht auch irgendwo etwas von Verfassungsänderungen drin13). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir sollten es ruhig einmal sagen. Dr. Pfeiffer: Wir sind uns doch alle miteinander vollkommen darüber klar, daß die andere Bezeichnung ein Herumreden taktischer Art gewesen ist, aus verschiedenen Gründen. Wenn wir 46 Millionen Leute auf eine staatliche Form bringen sollen, muß ein sehr festes Gerippe von ganz zuverlässigen Dingen gemacht werden. Da können noch ein paar fehlen, die später dazukommen, aber das Wesentliche einer Verfassung muß enthalten sein. Darum ist der Ausdruck

„verfassungsmäßige Ordnung" gut.

Dr. Eberhard: Es hat auch niemand vorgeschlagen, die Briefbogenköpfe abzufassen „Deutsches Staatsfragment, Der Minister der Justiz". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es scheint dann mehr Neigung für die zweite Fassung zu sein: „dem staatlichen Leben Deutschlands in einem Grandgesetz eine neue

verfassungsmäßige Ordnung

zu

geben".

Dr. Heuss: Sie haben es aber nachher noch einmal unten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da kommt es weg. Darauf wollte ich gleich noch einmal eingehen. An den eingerückten Sätzen habe ich nichts geändert; da habe ich auch keine Kritik gehört. Aber zu dem darauf folgenden Satz „wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins dieses Grundgesetz geschaffen, dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen" ist mir gerade auch aus Ihrer Fraktion von Herrn Höpker-Aschoff14) gesagt worden, daß das zu neutral, zu passiv ist; man müßte sagen „haben diese Abgeordneten dieses Grundgesetz geschaffen".

13) Im Entwurf der ersten Lesung im HptA fand sich der Begriff „Verfassung" nicht bei dem Artikel 106, der die Änderung des Grundgesetzes betraf; allerdings sprach Art. 111 von „durch die Verfassung auferlegte Aufgaben" (Grundgesetz, Entwürfe, S 63 f.). 14) Höpker-Aschoff vgl. Dok. Nr. 36, Anm. 16. 971

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Nun scheint es mir bei dem Ganzen auf folgendes anzukommen. Die Absätze, die wir vorher machen: „im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott", „in der

Uberzeugung,

daß dem deutschen Volke das

Selbstbestimmungsrecht geblieben

ist" sollten in gleicher Weise die Motive für die Abgeordneten sein, die, wie ich sagen würde, dieses Grundgesetz entworfen haben, wie für das Volk bei der Annahme dieser Verfassung in der Volksabstimmung. Und das kommt hier nicht zum Ausdruck. Denn hier sieht es so aus, als ob sich das Ganze nur auf die Abgeordneten bezieht, die dieses Gesetz geschaffen haben. „Geschaffen", ist praktisch auch nicht ganz richtig. Es ist ja erst geschaffen, wenn entweder die Zustimmung der Landtage oder die Zustimmung des Volkes in der Volksabstimmung da ist. Insofern ist dieser Absatz, wie er unter den eingerückten Sätzen steht, noch nicht ganz richtig. Man kommt da nur wieder in einen neuen Parti-

zipialsatz hinein. Dr. Pfeiffer: Erstens:

Was da steht, ist grammatikalisch falsch, und zwar deswewer trägt das Bewußtsein? Die Abgen: „Im Bewußtsein der Verantwortung" die haben die Abgeordneten. Die Abgegeordneten. „In der Überzeugung" —

Subjekt dieser adverbialen Ausdrücke. Grammatikalisch bei diesem Passivum „wurde geschaffen" noch dazulässig, beistünde „von diesen Abgeordneten". So aber wie jetzt ist es grammatikalisch falsch. Denn nicht das Grundgesetz hat das Bewußtsein der Verantwortung vor ordneten sind nämlich

wäre das

nur



wenn

Gott, hat die Überzeugung, hat den Willen, hat die Gewißheit, hat die Erkenntnis, sondern die Leute, die es geschaffen haben. Das müßte unter allen Umständen geändert werden. Es wäre gerade noch erträglich, wenn es hieße „wurde dieses Grundgesetz von den Abgeordneten geschaffen". Zweitens: Ist das weitere richtig, was Herr v. Mangoldt sagt, daß nicht bloß die Abgeordneten das gemacht haben, sondern daß auch das deutsche Volk dabei beteiligt ist. Ich würde vorschlagen, daß wir diesen Absatz in zwei Teile zerleich will es roh formulieren sägen: „haben die Abgeordneten ungen und ter Mitwirkung von Abgeordneten von Groß-Berlin usw. dieses Werk geschaffen". Dann würde man einfach in einem kurzen Satz beifügen müssen: „Das deutsche Volk hat in den beteiligten Ländern seine Zustimmung erteilt und für —



deren Bereich beschlossen". So kommen wir aus diesem gequälten Absatz in eine einfachere Konstruktion hinein. Dr. Eberhard: Ich bin sehr für diese aktive Form „haben die Abgeordneten" usw. Aber ich möchte im selben Satz das deutsche Volk stehen haben, weil ich zum Ausdruck bringen möchte, daß auch das deutsche Volk im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott usw. dabei handelt. Ich glaube, daran müßte uns allen liegen, diese eingerückten fünf Absätze sowohl auf die Abgeordneten als auch auf das deutsche Volk zu beziehen. Das läßt sich, glaube ich, leicht machen. Wir haben eine Schwierigkeit, weil wir dazwischen von der Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins sprechen. (Dr. Pfeiffer: Da könnten wir „Vertreter" sagen!) Ich überlegte mir schon, ob wir die Berliner nicht vorn hineinbringen könnten, weil es hinten eine Belastung für den Satzbau ist. Im übrigen betrachte ich die Berliner Abgeordneten natürlich nicht als Belastung. Aber der Satzbau wird dann leichter, weil wir die Abgeordneten und das Volk durch das Wort „und" 972

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verbunden haben wollen. Wenn wir unten sagen „haben diese Abgeordneten geschaffen", so liegt eine Schwierigkeit darin, daß die Berliner Abgeordneten hier in Bonn nicht stimmberechtigt sind. Aber das Wort „schaffen" könnte man auch auf die Abgeordneten von Berlin beziehen. Dr. Heuss: Das Wort „Mitwirkung" besagt das ja auch. Das ist eine ideelle Mit-

wirkung.

Formulierung „haben die Abgeordneten geschaffen" würde Abgeordneten mit einschließen. Wir sagen ja nicht „beschlossen". Pfeiffer: Mitarbeit kann etwas sehr Wertvolles sein. Wenn wir die Abgeord-

Dr. Eberhard: Die

die Berliner Dr.

erwähnen, müssen wir eine Änderung beim Verbum vornehmen, weil es Plural ist. Daher war ich dazu gekommen, einen eigenen Satz zu nehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit dem eigenen Satz ist die Sache nur so zerrissen. Dr. Eberhard: Könnten wir nicht sagen: „haben die Abgeordneten geschaffen neten und das deutsche Volk in einem Satz

und hat das deutsche Volk beschlossen"? Dr. Pfeiffer: Dann ist es falsch. Inversionssätze sind immer falsch. Grammatikalisch müßte es heißen „haben die Abgeordneten geschaffen" und „hat das deutsche Volk". Aber das hat keine Kadenz. Man könnte sagen „haben diese Abgeordneten unter Mitwirkung der Vertreter Groß-Berlins dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Ordnung des staatlichen Lebens geschaffen". Bis dahin wäre es ein richter deutscher Satz. Dr. Heuss: Diesen Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung des staatlichen Lebens will man ihn hier streichen, weil man ihn oben hat. Das ist an sich eine

Entlastung.

Bergsträsser: Dann könnte man vielleicht so sagen: „sie haben es dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt". Dr. Heuss: Sie haben es nicht vorgelegt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Außerdem ist immer die Beziehung auf die Partizipialsätze da. Man könnte es höchstens in der Form machen, daß man sagt „hat das deutsche Volk in den beteiligten Ländern dieses Grundgesetz beschlossen" und daß man nun hereinbringt sehr ins Unreine gedacht „nachdem es von diesen Abgeordneten entworfen war". Dr. Pfeiffer: Nachdem-Sätze sind nicht pathetisch, nicht gemeißelt. Man könnte das erste lassen, wie wir es besprochen haben, und sagen: „Das deutsche Volk hat in den beteiligten Ländern seine Zustimmung ausgesprochen" oder „dieses Dr.





Grundgesetz gebilligt".

Dr. Heuss: Das scheint mir die bessere Form zu sein. Diesen Katalog von Wohlverhalten noch auf das deutsche Volk zu beziehen, gelingt schlecht. Das ist auch ein bißchen anmaßlich. Dr. Pfeiffer: Und daß man es vorgelegt hat, ist selbstverständlich; sonst hätte das Volk nicht darüber abstimmen können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, dann werden wir sagen „unter Mitwirkung der Vertreter von Groß-Berlin dieses Grundgesetz geschaffen". Dr. Pfeiffer: Das nächste würde ich als eigenen Satz nehmen: „Das deutsche Volk in den beteiligten Ländern" usw. Dr. Heuss: „Beteiligten Ländern" ist ja saumäßig. 973

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Dr. Eberhard: „Betroffenen" ist noch schlimmer. Dr. Heuss: „Betroffenen" ist noch schlimmer; da denkt man an die Entnazifizierung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann müßte man aber vielleicht dazwischen setzen: „Das deutsche Volk hat in den beteiligten Ländern". Dr. Pfeiffer: Verzeihung, das ist eine andere Nuance. Das deutsche Volk ist Kollektiv: das ganze deutsche Volk. Und hier ist immer ausdrücklich der Teil ge-

meint, auch da oben. Dr. Heuss: Es muß heißen: „Das deutsche Volk in den

hat".

beteiligten Ländern

Dr. Pfeiffer: „dieses Grundgesetz gebilligt". Dr. Heuss: Ist das Wort „gebilligt" nicht zu schwach? Dr. Pfeiffer: „Durch seine Zustimmung in Kraft gesetzt". Dr. Heuss: Das ist wieder zuviel. Dr. Pfeiffer: „seine Zustimmung erteilt". Dr. Heuss: „erteilt" kann es nicht heißen, sondern „gegeben" oder „hat zugestimmt". Dr. Bergsträsser: Es klingt nur das alles ein bißchen mager. Dr. Pfeiffer: Gegenüber der großen Präambel. Ich finde, das klingt jetzt gut her-

ausgemeißelt.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dazu paßt dann allerdings dieser Schlußsatz nicht; der ist zu dünn. Dr. Eberhard: Können wir nicht überhaupt zunächst den nächsten Absatz nehmen, weil der sich auf die Abgeordneten te heranhängen? Dann käme zuerst der

bezieht, und ihn

an das bisher GesagBeschluß des deutschen Volkes, und daran schließt sich wieder das deutsche Volk in seiner Gesamtheit. Ich glaube, dann ist das sprachliche Bedenken ausgeräumt. Dr. Pfeiffer: Sie haben recht. Man läßt den Satz mit dem deutschen Volk heraus, schließt bei der Durchführung an, und dann kommt „das deutsche Volk bleibt aufgefordert". Bis daher sind die Abgeordneten genannt, welche dieses Grundgesetz gemacht haben, und dann kommt zum Schluß eine Feststellung, die doch dünner sein kann als oben. Dr. Bergsträsser: Man kann dann einfach sagen: „Das deutsche Volk in den be-

teiligten

Ländern hat dieses

Grundgesetz".

Dr. Eberhard: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt

aufgefordert, dieWerk zu vollenden". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Manche sind darüber gestolpert, daß es heißt „haben sich als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden". Das Partizipium hat Anstoß erregt. Vielleicht könnte man sagen: „Dabei sollte auch für jene Deutschen mit gehandelt werden". Dr. Heuss: Das ist unmöglich. Wir können nur sagen: „Dabei wurde auch für jene Deutschen mit gehandelt." Dr. Eberhard: Das kann man auch nicht ins Passiv umsetzen. Dr. Pfeiffer: Man könnte aber sagen: „Bei der Durchführung ihres Auftrags haben sich die Abgeordneten als Stellvertreter auch jener Deutschen betrachtet, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt wurde." ses

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Dr. Heuss: „Betrachtet" ist besser als „empfunden". „Empfunden,, ist zu subjektiv. Dr. Pfeiffer: Ich bin nur in dem einen Punkte anderer Meinung als Herr v. Mangoldt. Ich meine, daß der Satz „das deutsche Volk bleibt aufgefordert" auf die Abgeordneten geht: die Abgeordneten fordern auf. Ich würde das, was das deutsche Volk tut, als Schlußsatz nehmen. Oder wollen Sie mit dieser pathetischen Aufforderung noch einmal auf die Abgeordneten zurück-gehen? Ich würde meinen, den zweiten Absatz so zu ändern, wie eben besprochen, und den Schlußabsatz zu lassen. Dann hätte der einfache Satz, den wir bringen könnten, einen lapidaren Charakter, indem dann dasteht: „Das deutsche Volk in den beteiligten Ländern hat dieses Grundgesetz gebilligt." Dr. Heuss: Ich würde jetzt fast den Vorschlag machen, daß wir diesen Satz dort einfügen, wo wir uns als Stellvertreter bezeichnet haben, und die Perspektive in die Zukunft an den Schluß setzen. Dr. Eberhard: Optisch ist es mir recht, weil das der Ausblick auf die Zukunft ist. Aber wir bringen dann noch einmal die Abgeordneten. „Das Volk bleibt

von wem aufgefordert? Mangoldt]: Ich würde sagen, daß diese Aufforderung gleichzeitig auch durch die Volksabstimmung erfolgt. Denn wir sind ja viel zu wenig, als daß wir diese Aufforderung erlassen könnten, sondern gerade bei dem Erlaß dieses Grundgesetzes soll diese Aufforderung auch in der Volksabstimmung von jedem ausgesprochen werden. Dr. Bergsträsser: Käme man über die Sache hinweg, wenn man sagt „Dem deutschen Volke in seiner Gesamtheit bleibt die Aufgabe"? Dr. Pfeiffer: Ich möchte meine Auffassung, daß die Abgeordneten es sind, die

aufgefordert" Vors. [Dr.



v.

das Volk auffordern, durch die Präambel stützen, in der es heißt: „In der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten", haben die Abgeordneten dieses Grundgesetz gemacht. Aus dieser Überzeugung heraus bleibt durch die Abgeordneten das

deutsche Volk aufgefordert, „in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden". Das gehört logisch vor die Feststellung, daß das deutsche Volk das gebilligt hat. Dr. Bergsträsser: Das ist richtig. Aber wenn wir einfach die Feststellung treffen „Dem deutschen Volk bleibt die Aufgabe", ist es etwas anderes. Dr. Pfeiffer: Dann kann man sagen: Durch die Volksabstimmung ist das, was die Abgeordneten gemacht haben, gebilligt. Dr. Bergsträsser: Das Volk in den beteiligten Ländern hat gebilligt, dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit bleibt die Aufgabe. Das wäre auch eine Möglichkeit. Dr. Heuss: Die Wendung mit der Aufgabe kommt schon ein paarmal vor. Dieses „bleibt aufgefordert" ist natürlich logisch so, daß man fragen kann: von wem denn, von den Abgeordneten oder von den anderen? Ich würde vielleicht interpretieren: von der Geschichte aufgefordert. Ich würde also dieses Auffordern nicht als ein Suchen nach dem, der die Aufforderung gestellt hat, sondern mit einem gewissen Pathos von der Geschichte her nehmen. 975

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Dr. Pfeiffer: Wir sprechen hier eine Art kategorischen Imperativ des echten vaterländischen Ethos aus, das hier einen kategorischen Imperativ an das deutsche Volk aufstellt. Aber damit sprechen wir eine Erklärung aus. Dr. Heuss: Mir ist „Aufgabe" etwas vergriffen, und es kommt vorher schon vor.

Pfeiffer: Wir sprechen damit einen ganz hohen Gedanken aus. Und wer spricht ihn wirklich in dieser Präambel aus? Wie ist das unterzeichnet? Das erste ist eine Aussage über die Abgeordneten. Diese Aussage macht der ParlaDr.

mentarische Rat. Das zweite ist eine Feststellung über die Verhaltensweise des deutschen Volkes gegenüber diesem Vorschlag des Parlamentarischen Rates. Dr. Bergsträsser: Des direkt beteiligten deutschen Volkes. Dr. Pfeiffer: Und nun schwebt mir das zu frei in der Luft, wenn nicht ein Subjekt der Aufforderung oder eine Umschreibung gegeben ist. Dr. Heuss: Es ist wahrscheinlich zu pathetisch, wenn man sagt „bleibt in dem geschichtlichen Gesetz". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde trotz dieser Bedenken doch bei diesem Schluß bleiben. Ich würde die Frage, wer das Volk auffordert, ruhig offenlassen. Denn da kann man ja verschiedenes hineinlegen. Man kann sagen: die Abgeordneten, oder: das ganze deutsche Volk. Man kann sagen; es ist ein geschichtlicher Auftrag, der hier erteilt ist. Ich glaube, daß sich kaum jemand daran stoßen kann. Dr. Eberhard: Da die Präambel dem Volksentscheid oder der Landtagsabstimmung unterliegt, würden das Volk oder die Abgeordneten das mitbeschließen. Dr. Pfeiffer: Wenn Sie auch recht haben, so habe ich doch ein Gefühl, das sich bei mir ein bißchen dagegen wehrt, und ich muß sagen, Ausdrücke, bei denen man zuviel interpretieren kann, liegen mir nicht ganz. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Bild ist doch das schönste, in das sich jeder hineindenken kann. Dr. Pfeiffer: Aber wir sind über die anderen Dinge klar geworden. Vielleicht können wir das zunächst unklar lassen bis zur dritten Lesung. Dr. Eberhard: Haben wir wirkJich eine Einigung über die Stellung der beiden letzten Sätze? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, auch nicht über den Satz. Dr. Heuss: Ich würde zu dem letzten Satz vorschlagen, daß wir bei unserer alten Fassung bleiben. Denn das Wort „Selbstbestimmung" gehört zu denen, die ich nicht mehr hören kann, weil es erstens durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker und ebenso von der Minderheitenpolitik her ein etwas verbrauchtes Wort geworden ist. Ich finde, daß das, was wir zuerst hatten, „in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung", kräftiger ist. Das Wort „Selbstbestimmung" ist etwas ramponiert. Dr. Pfeiffer: Ich finde diese alte Fassung sehr gut. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es geht nur um die Verantwortung. Dr. Heuss: Das finde ich sehr schön. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Verantwortung des einen dem andern gegenüber? Dr. Heuss: Das ist der ethische Volksgeist, der spazieren geht, wo auch Verantwortung mit drin ist: gemeinsame Entscheidung und Verantwortung. Man kann 976

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natürlich sagen, das sind Sprüche. Aber es ist für mein Gefühl besser als „Selbstbestimmung". Und es sind zwei Vorgänge, zwei seelische Haltungen: die Entscheidung, und daß ich mich in der Entscheidung verantwortlich fühle. Dr. Bergsträsser: Was auch die Verpflichtung zum Streben gibt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es bleibt dann nur der eine Satz: wo wir ihn einschieben, und die Formulierung des Satzes. Dr. Eberhard: Nur die Stellung ist noch unklar. Dr. Heuss: „Das deutsche Volk in den beteiligten Ländern hat diesem Grundge-

zugestimmt." Pfeiffer: Ich würde meinen, wenn das am Schluß steht, ist das eine dokumentarische, schlicht gemeißelte Bemerkung. Dr. Bergsträsser: Andererseits ist es doch so, daß dieser letzte Satz die Perspektive eröffnet und deshalb besser am Ende steht. Ich finde, es klingt auch ganz gut, wenn man sagt: Das deutsche Volk in den beteiligten Ländern hat zugedas deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert. stimmt Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde vorschlagen, daß man folgendes macht: „haben diese Abgeordneten geschaffen" und dann in den gleichen Absatz hinein: „Bei der Durchführung ihres Auftrags haben sich die Abgeordneten als Stellvertreter auch jener Deutschen betrachtet, denen die Mitwirkung an dieser Aufgasetz

Dr.



be versagt war." Dann kommt ein neuer Satz, in dem steht: „Das deutsche Volk in den beteiligten Ländern hat diesem Grundgesetz zugestimmt", und als Gegenstück dazu: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert". Dr. Pfeiffer: Ich verstehe den Gegensatz schon. Für meine Vorstellung und Erfahrung ist es aber so: es geht dynamisch aufwärts, und es ist zum Schluß eigentlich im Gefühl eine starke Pathoskulisse. Dann folgt ein Raum des Schweigens, und in diesem Räume des Schweigens steht fast kühl und nüchtern dieser dokumentarische Satz. Das ist die Vorstellung dabei. Dr. Bergsträsser: Dieser Satz ist aber so klein, daß er durch den nächsten Satz, der mit dem Pathos des Zukunftswillens erfüllt wird, eingewickelt ist. Dr. Heuss: Das, was Sie sagen, ist dann der nüchterne, klare Schlußpunkt, der ja in sich ein sachliches Pathos hat. Aber was zuerst etwas unbequem war, hat natürlich dann unabhängig einen kompositionellen Charakter bekommen: das das Volk in der Gesamtheit. Das war nicht Volk in den beteiligten Ländern

geplant.



Dr. Bergsträsser: Es ist ganz richtig, daß das eine Steigerung ist. Dr. Eberhard: Ich schlage vor, wir bekommen beides für die nächste Sitzung am Mittwoch geschrieben, dann können wir es noch einmal überlegen. Dr. Pfeiffer: Ich lege keinen Wert darauf. Ich will es auch nicht in der Sitzung vorbringen. Wenn Sie diese Auffassung haben, haben Sie doch eine Vorstel-

lung

davon.

Dr. Heuss: Wenn wir nicht gerade diese beiden Satzanfänge hätten, würde ich Ihrer Auffassung zustimmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich finde, daß wir es umgekehrt nicht machen können. Ich glaube nicht, daß wir sagen können „Das deutsche Volk in seiner Gesamt-

heit bleibt aufgefordert" und hinterher das Kleinere nehmen: „das deutsche Volk in den beteiligten Ländern". 977

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Pfeiffer: Das eine war eine fast akute Wirkung, die ich erstrebt habe, und das andere war, daß ich das, was die Abgeordneten tun, voraus haben wollte. Aber wir wollen uns damit nicht aufhalten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann schlage ich vor, daß wir jetzt unsere Beratung abbrechen. Die Sitzung ist geschlossen. Dr.

978

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des Ausschusses für

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Z 5/36,

Öl.

Kurzprot.:

73—124.

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Grundsatzfragen

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Stenogr. Wortprot, undat. und 5801)

ungez.

Z 12/45, Bl. 15-16. Drucks. Nr.

Anwesend2) : CDU/CSU: Lensing, v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Pfeiffer, Weber, Wirmer (zeitweise) SPD: Bergsträsser, Eberhard (zeitweise), Nadig, Schmid, Wunderiich FDP: Reif DP: Heile Mit beratender Stimme: Fecht (CDU) Stenografischer Dienst: Koppert3), Jonuschat Dauer: 11.13-13.00 Uhr

[1.

PRÄAMBEL]

Ich darf unsere heutige Sitzung eröffnen. Was die Tawerden wir noch einmal kurz auf die Präambel eingegesordnung betrifft, hen und im Anschluß daran die Ländergrenzenfragen behandeln. Schließlich wird uns noch Art. 138—5 beschäftigen. Die Erörterung darüber wird aber nur wenig Zeit in Anspruch nehmen; denn wir haben uns darüber seinerzeit in der berühmten Nachmittagssitzung eingehend unterhalten4). Bei der Beratung dieser letzteren Frage wollte Herr Dr. Süsterhenn zugegen sein; er hat dazu einen Antrag gestellt oder wollte ihn stellen. Dr. Eberhard: Der Antrag sollte uns vorliegen, ehe wir uns damit befassen5). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Antrag, den Dr. Süsterhenn stellen will, ist mir bekannt. Er ist so einfach gehalten, daß es keine großen Schwierigkeiten machen wird, sich sofort mit ihm zu befassen. Nun zum ersten Punkt unserer Tagesordnung: Die Präambel. Sie haben die Neufassung der Präambel vor sich liegen6). Wir haben uns in einer vorbereitenVors. [Dr.

v.

Mangoldt]: so

!) Die Drucks. Nr. 580 handschr. korrigiert aus 560. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot., die Anwesenheit

von Eberhard und Wirmer ergibt ihren Wortbeiträgen. Nach der 6. Seite (Bl. 78) übernahm der Stenograf Jonuschat die Protokollierung wie aus seiner Paraphe auf Z 5/36, Bl. 78 zu ersehen ist. Vgl. Dok. Nr. 38. Vgl. TOP 2. Die Präambel lautete nach den Beratungen der 33. Sitzung vom 19. Jan. 1949 (vgl. Dok. Nr. 44) in der Tischvorlage wie folgt: „Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhaben, hat das Deutsche Vo)k in den Ländern [folgt Aufzählung] Abgeordnete mit der Aufgabe betraut, dem staatlichen Leben in einem Grundgesetz eine neue verfassungsmäßige Ordnung zu geben. Im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten, in dem Willen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt, die alten Freiheits-

sich

3) 4) 5) 6)

aus

979

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den Unterhaltung vor Beginn der Sitzung mit der Frage befaßt, wie man die stilistische Unschönheit beseitigen könnte, die darin besteht, daß es in dem zweiin dem Willen, nach einer Zeit der Willkür und ten großen Absatz heißt: Gewalt. .". Um diese Unebenheit auszumerzen, habe ich vorgeschlagen, die Worte „in dem Willen" an den Beginn der Präambel zu setzen, der also lauten würde : In dem Willen, die Einheit der Nation zu erhalten, hat das Deutsche Volk in den Ländern Abgeordnete mit der Aufgabe betraut, dem staatlichen Leben in einem Grundgesetz eine neue verfassungsmäßige Ordnung zu geben. Der dritte Halbsatz des zweiten Absatzes würde dann lauten: entschlossen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt die alten Freiheitsrechte und die Menschenwürde zu schützen und zu wahren, Dr. Weber: Ich halte diese Fassung für besser. Nadig: Auch mir erscheint sie zweckmäßiger. Dr. Bergsträsser: Auf diese Weise wird aber der Rhythmus und Klang etwas gestört. Es heißt sonst immer: „Im Bewußtsein", „in der Überzeugung", „in der Gewißheit", „in der Erkenntnis". Der Ausdruck „entschlossen" unterbricht den Fluß der Darstellung. Dr. Eberhard: Der Ausgangspunkt unserer Überlegung war, daß es nicht gut klingt, zu sagen: „in dem Willen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt die alten Freiheitsrechte und die Menschenwürde zu schützen und zu wahren,". Daher wollten wir den Ausdruck „in dem Willen" an den Beginn der Präambel .

.

.

.

.

setzen.

Mayr: Nun beginnt die Präambel der Weimarer Verfassung mit den Worten: „Das Deutsche Volk, von dem Willen beseelt. ..". Sie wissen, man wirft uns zu gerne vor, daß wir die Weimarer Verfassung in vielen Punkten nachahmen. Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Ich meine, die Präambel unseres Grundgesetzes ist so völlig anders, daß wir einen derartigen Vorwurf in diesem Punkt nicht befürchten brauchen. Übrigens heißt es in der Weimarer Verfassung: „Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich... zu erneuern .". .

.

rechte und die Menschenwürde zu schützen und zu wahren, in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Wohle der Menschheit dienen wird, zugleich in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat, haben diese Abgeordneten unter Mitwirkung der Vertreter von Groß-Berlin dieses Grundgesetz geschaffen. Bei der Durchführung ihres Auftrages haben sie sich als Stellvertreter auch jener Deutschen betrachtet, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Das Deutsche Volk in den beteiligten Ländern hat diesem Grundgesetz zugestimmt. Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden." (BVerfGer. Z 150 Pari. Rat, Ausschuß für Grundsatzfragen, Kurzprotokolle Teil 1, Bd. 4)). 980

Vierunddreißigste Sitzung Ich habe mich

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Anfang an daran gestoßen, daß die Präambel mit dem Wort „Entschlossen" beginnt. „In dem Willen" ist zweifellos besser. Die Frage ist nur, wie wir dem an sich berechtigtem Einwand des Herrn Dr. Bergsträsser abhelvon

fen können. Dr. Eberhard: Man könnte statt dessen sagen: „in dem Entschluß". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte statt „entschlossen" sagen: „in dem Streben". Dr. Eberhard: Das ist zu schwach. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „entschlossen" ist beinahe besser als „in dem Willen". Dr. Eberhard: Ich finde das auch. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „entschlossen" ist jedenfalls weit stärker als „in dem Willen". Dr. Bergsträsser: Sachlich ist das richtig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können uns das bis zur Behandlung der Präambel im Hauptausschuß noch überlegen. Vielleicht finden wir noch eine bessere Lösung. Vorläufig einigen wir uns aber wohl dahin, daß wir die Worte „In dem Willen" an den Beginn der Präambel setzen, während wir die gleichen Worte in dem dritten Halbsatz des zweiten Absatzes durch das Wort „entschlossen" ersetzen.

Dr. Eberhard: Die beiden letzten Absätze sind so, wie sie hier stehen, sehr gut. Wir haben das letzte Mal lange darüber gesprochen. Der letzte Absatz: „Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, ." gibt einen Ausblick in die Zukunft. Ich darf also Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wird dazu noch das Wort gewünscht? die Übereinstimmung des Ausschusses darüber annehmen, daß wir die Präambel in dieser Form dem Hauptausschuß zur Beratung in 3. Lesung vorlegen7). ..



[2. NEUGLIEDERUNG DES BUNDESGEBIETES, ÄNDERUNG IM GEBIETSBESTAND DER LÄNDER (ART. 25 UND 26, NEU 138 aa)] Der zweite Punkt der

Tagesordnung betrifft die Art. 25 und 26, die sich mit befassen. Wir stehen in diesen Fragen noch vor einer etwas ungeklärten Situation. Der Hauptausschuß hat seinerzeit den Art. 25 in der Fassung des Art. 138 aa angenommen, aber gleichzeitig, wenn ich mich recht erinnere, beschlossen, diese Bestimmung wieder nach vorne zu nehmen, den Art. 25 also wieder einzuschalten8). Die Gründe dafür sind klar. Es handelt sich hier um eine der grundlegendsten Fragen für das neue Deutschland. Die Neugliederung wird auf das den

Ländergrenzen

7) Vgl. die handschr. Verbesserungen durch v. Mangoldt in der Vorlage (vorige Anm.). Die

beschlossene Fassung wurde als Drucks. 557 vervielfältigt. Sie wurde hier nicht erneut abgedruckt, da sie bis auf die zwei kleinen Veränderungen identisch mit der in der vorigen Anm. abgedr. Fassung ist. Die im Kurzprot. festgehaltene Fassung wies leichte Unterschiede in einigen Unterstreichungen auf. °) Beschluß des HptA auf seiner 39. Sitzung vom 14. Jan. 1949; Verhandlungen, S. 483-485. 981

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ganze Leben in Deutschland von starkem Einfluß sein, und schon aus diesem Grunde können wir die Bestimmungen darüber nicht in die Übergangsvorschriften

aufnehmen und

an

den Schluß des

Grundgesetzes stellen.

Wir werden zunächst zweckmäßigerweise den Art. 25 behandeln. Im Anschluß daran müssen wir uns über die Fassung des Art. 26 klar werden. Dazu liegen uns vor die Fassung des Hauptausschusses in 1. Lesung9) und die Fassung des Redaktionsausschusses10). Darüber ist noch nicht entschieden worden. Praktisch gehen wir wohl bei Art. 25 von der in der zweiten Lesung des Hauptausschusses angenommenen Fassung11) aus, beim Art. 26 von der in erster Lesung beschlossenen Formulierung12). Wir müssen den Art. 26 irgendwie dem Art. 25 angleichen. Darüber müssen wir noch genaue Überlegungen anstellen, weil Art. 25 bzw. Art. 138 aa vom Hauptausschuß in der Fassung des Redaktionsausschusses übernommen worden ist. Zunächst darf ich zu Art. 25 folgendes ausführen: Wir haben darüber in der

CDU/CSU-Fraktion gestern noch einmal eingehend gesprochen13). Bei dieser Aussprache tauchte erneut die alte Frage auf, ob es nicht notwendig sein werde, in die Bestimmung noch eine Vorschrift aufzunehmen, wonach die Gebietsteile, welche nach dem 8. Mai 1945 ihre Landeszugehörigkeit verändert haben, die Möglichkeit haben müssen, sich in einem Volksentscheid zu einer Änderung ihrer Landeszugehörigkeit zu äußern. Ich lege dem Ausschuß eine neue Fassung des Art. 25 vor, die allerdings noch gewisser Änderungen bedarf. Zunächst darf ich kurz die Schwierigkeiten erörtern, die hierbei auftauchen. Nach dem 8. Mai 1945 sind eine ganze Reihe von Gebietsteilen neuen Ländern zugeschlagen worden. Bei der Neugliederung taucht nun die Gefahr auf, daß solche Gebietsteile und ihre Bevölkerung überhaupt nicht zu Worte kommen, daß über die Neugliederung entschieden wird, ohne daß die Bevölkerung solcher Gebietsteile jemals die Möglichkeit zu einer Volksabstimmung gehabt hat. Wenn nun aber über dem Art. 25 als Grundgedanke die Idee steht, daß bei der Neugliederung der Wille der Bevölkerung

9) Fassung des HptA

von

Art. 25 und 26. in erster Lesung

vgl. Grundgesetz, Entwürfe,

S. 77.

10) Fassung des Allg. RedA, Grundgesetz, Entwürfe, S. 20. n) Art. 25 in der 2. Lesung des HptA, Grundgesetz, Entwürfe, S. 77. 1Z) Art. 26 in der vom HptA in 1. Lesung angenommenen Fassung, Grundgesetz, Entwürfe, S. 48.

13) Salzmann: Die CDU/CSU im Pari. Rat, 362 f. Dabei wurde, von Wirmer veranlaßt, von der Fraktion folgender Antrag für den Ausschuß für Grundsatzfragen angenommen: „In Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit geändert haben, kann binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Volksbegehren eine Änderung der über die Landesangehörigkeit getroffenen Entscheidungen gefordert werden. Das Volksbegehren bedarf der Zustimmung eines Zehntels der zum Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung. Kommt das Volksbegehren zustande, so hat die Bundesregierung in dem Gesetz über die Neugliederung eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit des Gebietsteiles zu treffen. Wird dabei die bestehende Landeszugehörigkeit nicht geändert, so ist dieser Teil des Gesetzes in dem Gebietsteil zum Volksentscheid zu bringen." Diese Bestimmung sollte in Art. 25 Abs. 6 oder in Art. 138 aa nach Satz 2 eingesetzt werden.

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entscheiden soll, so ist hier eine gewisse Lücke enthalten. Dieser Grundgedanke, daß der Wille der Bevölkerungsteile entscheiden soll, war nur in einer Hindas ist sicht etwas durchbrochen worden. Wir haben nur an einer Stelle daß es sein aus daß Erfordernissen Abs. 3 kann, größeren gesagt, möglich der Neugliederung, aus allgemeinen Interessen heraus auch einmal in einem Fall über den Willen der Bevölkerung eines kleinen Gebietsteils hinweggegangen wird, daß das aber nur auf Grund einer Volksabstimmung geschehen soll, die dann im ganzen Deutschland, im ganzen Bundesgebiet über das ganze Gesetz vorzunehmen ist. Dieser Grundsatz würde natürlich auch für die Gebietsteile gelten, die nach dem 8. Mai 1945 ihre Zugehörigkeit geändert haben. Dieser Grundsatz würde ihnen irgendwie die Möglichkeit geben, bei der Abstimmung über dieses Gesetz über die Neugliederung einmal zu Worte zu kommen und ihre Stimme zu erheben. Das würde ich doch für erwünscht halten. ich darf das nur noch weiterführen, Nun hat sich gestern14) die Diskussion bei die Frage ist ja sehr schwierig uns darum gedreht: Die eine Richtung hat für unter allen Umständen jeden dieser Gebietsteile, die nach dem 8. Mai 1945 ihre Landeszugehörigkeit geändert haben, einen solchen Volksentscheid vorsehen wollen. Demgegenüber ist in diesem Zusatz, den ich vorschlagen würde, als Abs. 2 einzuschalten und dann noch etwas anders im Schlußsatz zu gestalten, zum Ausdruck gebracht worden, das solle man nicht machen, sondern man solle nur den Gebietsteilen diese Möglichkeit geben, in denen mit einer entsprechenden Zahl von Stimmen in einem Volksbegehren der Wunsch geäußert worden ist, diese Frage doch einmal erörtert zu sehen. Man sollte es also hier auf ein Volksbegehren abstellen. Wir gingen dabei davon aus, daß es eine gandenken wir nur etwa an Hessen, an ze Reihe von Gebietsteilen geben wird an auch andere Gebietsteile —, bei denen die FraWürttemberg-Hohenzollern, ge kaum auftauchen wird, ob diese Bevölkerung eine Änderung ihrer Zugehörigkeit wünscht. Da sollte man nicht neue Beunruhigungen und nicht eine Fülle von Volksentscheiden schaffen, die immer diese ganzen Dinge nur erschweren würden. Deshalb ist hier auf das Volksbegehren abgestellt worden. Es muß in der vierten Zeile heißen „des Grundgesetzes". Und dann sollte in dem Schlußsatz „auch dann" gestrichen werden. Wenn man das als Abs. 2 bringen sollte, dann würde ich vorschlagen, im jetzigen Abs. 2, der Abs. 3 wird, diesen letzten Satz in der Form zu bringen. Dr. Eberhard: Ich bin auch durchaus der Ansicht, man sollte diesen Gebieten, die, ohne daß sie vorher gefragt worden sind, zu anderen Ländern geworfen worden sind aus irgendwelchen strategischen oder sonstigen Gründen, von anderen Mächten —, jedenfalls eine Chance geben, ihren Wunsch zu äußern. Ich glaube, ehe wir in Einzelheiten eingehen, müßten wir zwei Dinge klären. Einmal: Welche Gebietsteile kommen bei dem vorgeschlagenen Volksbegehren in Frage? Ich will einmal eine Aufzählung versuchen. Bei Braunschweig und Oldenburg ist mir ganz klar, daß sie dafür in Frage kommen. Das ist wohl auch —











gemeint. 14) Ebenda. 983

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(Zustimmung.)

Aber kommen alle

preußischen Nachfolgeländer in Frage? Nach dieser FormuDas müßten wir also klären. ich, glaube ja. lierung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade dann ist es doppelt wichtig, daß man das Volksbegehren vorsieht und nicht grundsätzlich für alle Länder den Volksent-

scheid. Dr. Eberhard: Ganz richtig.— Ich glaube, daß auch der gesamte heutige Gebietsinhalt des Landes Rheinland-Pfalz in Frage kommt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ohne weiteres, und Hessen. Wunderlich: Praktisch kommt das gesamte Bundesgebiet in Frage. Bayern wird ja z. B. im Falle von Rheinland-Pfalz auch gewisse Ansprüche geltend machen. Dr. Pfeiffer: Ich glaube, Ansprüche in Bayern im alten Sinne kann es ja nicht mehr geben, sondern Bayern beansprucht, wenn die Frage Rheinland-Pfalz ak+,:oll werden sollte, das Recht, daß es die gleichen Werbemöglichkeiten hat wie jede andere Lösungsform15). Nur das kann in Betracht kommen. Denn Bayern wird selbstverständlich eine nach den Gesetzen getroffene demokratische Entscheidung anerkennen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Herr Dr. Eberhard war, glaube ich, unterbrochen worden. Dr. Eberhard: Wir müssen das Gebiet, das in Frage kommt, einfach feststellen. Ich begann mit der Aufzählung. Ich weiß nicht, ob sie vollständig ist. Im Südwesten kommt ein Volksbegehren nach dem Vorschlag auch in Frage. Denn das neue Land Württemberg-Baden ist auch etwas Neues. Südbaden ist natürlich etwas Neues, obgleich das vielleicht bestritten wird, weil es das „Traditionsland" genannt wird. Es ist da also manches strittig. Ob wir da nicht großzügiger sein und ein Volksbegehren für jedes Gebiet zulassen sollten? Ich glaube nicht, daß Augsburg oder Bamberg sich von München loslösen wollen. Vielleicht sollte man das Volksbegehren für alle Gebiete zulassen und den Prozentsatz ein bißchen höher als 1/10 setzen. Das ist vielleicht einfacher, als einen Streit darüber heraufzubeschwören, ob ein Gebiet seine Landeszugehörigkeit geändert hat. Niedersachsen hat seine Landeszugehörigkeit geändert. Das ist höchstens in Bremen und Hamburg und in Bayern nicht der Fall. Wunderlich: Bremen ist durch niedersächsisches Gebiet vergrößert worden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Alle die Gebietsteile, die ihre Zugehörigkeit geändert haben, müßten befragt werden. Das ist sicher. Dr. Eberhard: Also der Kern Hamburgs, der Kern Bremens und der sehr große Kern Bayerns wären unbetroffen. Da kann kein Volksbegehren kommen, und ') Initiativen für eine Propaganda in der Pfalz für eine Rückkehr an Bayern waren im Sept. 1948 in einem Gespräch mit katholischen Geistlichen aus der Pfalz überlegt worden. Dabei sollte nach Vorschlägen der pfälzischen Gesprächspartner als erste Maßnahme u. a. ein Aktionskomitee geschaffen werden und über den Speyerer Bischof die Geistlichkeit unterrichtet werden. Vgl. Vermerk vom 3. Sept. 1948 über ein Gespräch zwischen Freiherrn v. Brand und Prälat Walzer und J. Rössler in Begleitung von drei weiteren pfälzischen Geistlichen in: BayHStA NL Pfeiffer/212. Zum Kontext vgl. Peter Jakob Kock: Bayerns Weg in die Bundesrepublik. Stuttgart 1983, S. 126 ff.

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praktisch überall. Es gibt noch ein gewisses Kemgebiet Hessens, in dem Volksbegehren gäbe. Aber in Groß-Hessen, den Gebieten, die dazukamen, wäre es möglich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müssen ja davon ausgehen, daß ein Grund für einen Volksentscheid nur dort gegeben ist, wo die Landeszugehörigkeit geändert sonst es

auch kein

worden ist. In andern Ländern ist natürlich ein Grund für einen solchen Volksentscheid nicht gegeben. Zu dem Zehntel will ich nur eins zur Klärung ausführen, weil ich das vergessen habe. Wir haben daran gedacht, daß hierbei das schwierige Problem der Flüchtlinge auftaucht. Wir haben in diesem Fall einmal den Prozentsatz tief angesetzt, damit die Alteingesessenen entsprechend zum Zuge kämen. Das schadet hier gar nichts. Im Volksentscheid entscheiden die Flüchtlinge selbstverständlich mit. Dr. Eberhard: Aber noch einmal: Bin ich jetzt korrekt in der Darstellung: In allen Gebieten kann die Bevölkerung dieses Volksbegehren machen, ausgenomwas zu Groß-Hessen kam, men Bayern, ausgenommen das Kernland Hessen kann es bereits machen —, ausgenommen den Kern von Hamburg, den Kern von Bremen. Zu Bremen sind auch kleine Gebiete dazu gekommen. Das wird nicht wichtig sein. Aber abgesehen von diesen vier Gebieten sehr verschiedener Größe und Bedeutung können alle anderen Gebiete das Volksbegehren machen. Wenn das so ist, würde ich es einfacher darstellen und sagen: es kann überall gemacht werden. Dr. Bergsträsser: Für das Kernland Hessen ist das schon eine schwierige Situation, weil das Kernland Hessen nur ein Drittel vom jetzigen Hessen ist. Also das ist auch zu etwas Anderem gekommen. Dr. Eberhard: Also das Gebiet, das ich genannt habe, wird noch ausgeweitet. Wirmer: Wir sind bei der ersten Erörterung des Problems zunächst von einer verhältnismäßig technischen Frage ausgegangen, nämlich von der Frage, wieviel Gebiete davon erfaßt werden und wie man die ganze Frage technisch regeln kann. Ich glaube, daß das nicht der richtige Ausgangspunkt ist. Wir müssen von dem Zustand ausgehen, der am 8. Mai 1945 und im Jahre 1946 bestanden hat. Die Militärregierung stand in Deutschland vor der Aufgabe, allmählich die Regierungs- und Verwaltungsfunktionen, die bis dahin den Deutschen völlig abgenommen waren, auf deutsche Regierungsstellen zu übertragen. Aus diesen Erder allmählichen Abgabe von allein der Besatzungsmacht fordernissen suchte in dem Räume Deutschland, heraus die Militärregierung Zuständigkeiten der zunächst völlig ohne staatliche Organe war, nach irgendwelchen Gebilden, denen sie Zuständigkeiten übertragen konnte. Bei dieser Suche ist die Militärregierung rein nach ihren Bedürfnissen und vor allem nach den zufällig gezogenen Zonengrenzen vorgegangen. So konnte es passieren, daß im Südwestraum das alte Land Baden auseinandergeschnitten wurde, nur weil zufällig die Zonengrenze hindurch führte16). Das war derselbe Fall wie in der französischen —





16) Vgl. hierzu E. Konstanzer: Die Entstehung des Landes Baden-Württemberg, S.

1 ff.

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Zone bei Rheinland-Pfalz17). Kurze Zeit gehörte der Regierungsbezirk KoblenzTrier noch zur britischen Zone. Dann wurde den Franzosen ein weiteres Gebiet gegeben, und schon mußte dieses Gebiet nur aus diesem Grunde seine Landes-

zugehörigkeit ändern. Also der Ausgangspunkt für die Militärregierung bei der Gründung dieser neuen Länder war lediglich ein Bedürfnis der Besatzungsmacht und die schrittweise Übertragung von Verwaltungszuständigkeiten. Nun ist es bemerkenswert, daß die Militärregierungen, auch selbst die französische, bei allen diesen Länderkonstitutionen immer wieder ausgesprochen haben: Wir machen das vorläufig, und sobald das Deutsche Volk die Möglichkeit hat, seinem Willen Ausdruck zu geben, ist selbstverständlich das deutsche Volk die Instanz, die die Länder endgültig konstituieren muß. Der damalige stellvertretende Militärgouverneur in der britischen Zone, Robertson, hat am 23. Oktober 1946 vor dem Zonenbeirat in Hamburg gesagt18): Es ist klar, daß eine endgültige Entscheidung über die künftige Struktur Deutschlands nicht gegeben werden kann, bevor nicht Deutschland geeint ist, bevor in dieser Frage nicht völlige Übereinstimmung der Alliierten er-

reicht ist und bevor das deutsche Volk nicht in der Lage ist, seinen nationalen Willen zum Ausdruck zu bringen. Also diejenigen Stellen, die für die Neukonstituierung von Ländern verantwortlich waren, haben damals ausdrücklich gesagt: Diese ganze Sache ist vorläufig. Es war alles vorläufig außer der Auflösung des Landes Preußen, bei der wir tatsächlich feststellen können, daß in diesem Falle die Militärregierung mit dem absoluten Konsens der Mehrheit des deutschen Volkes gehandelt hat. Nun meine ich, wenn derartige aus Bedürfnissen der Besatzungsmacht vorgenommene Länderkonstituierungen in unsere Zuständigkeit kommen, wenn nach den Londoner Empfehlungen zunächst ein Ländergrenzenausschuß der Ministerpräsidenten gegründet wurde19), der mit seiner Sache nicht zu Rande kam, und nunmehr wir hier im Parlamentarischen Rat uns mit diesen Dingen beschäftigen müssen, so müssen wir doch versuchen, daß diese Länder so gegründet werden, wie es einzig möglich ist: demokratisch, nämlich auf Grund einer Befragung der Bevölkerung. Da ist es falsch, sofort mit den technischen Problemen anzufangen und zu sagen: Volksabstimmungen sind sehr schwierig usw.; sie erfassen vielleicht auch Gebiete, die gar nicht voneinander wegwollen, darum wollen wir vorher ein Volksbegehren einführen. Wenn z. B. in Hessen die Bevölkerung mit ihrem neuen Lande absoder Fall wurde hier erwähnt und das ist ja allgemein behauptet —, so mögen, wenn lut einverstanden ist dann ein Volksentscheid kommt, meinetwegen in Hessen nur 2% zur Wahlurne gehen; dann ist die Sache erledigt. Sie können das aber auf der anderen Seite —





17)

Zur Schaffung der französischen Zone vgl. insbesondere Hans-Jürgen Wünschel: Die Teilungspläne der Alliierten und die Forderung Frankreichs nach Abtrennung des linken Rheinufers 1943—1947. Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 5 (1979), S. 357-372.

zur Vorgeschichte Bd. 1, S. 966. Die Erklärung von Robertson beruhte auf einer Erklärung des britischen Außenministers im Unterhaus vom Vortag. 19) Zum „Lüdemann-Ausschuß" und den Londoner Empfehlungen, bzw. Frankfurter Dokumenten vgl. Der Pari. Rat Bd. 1, S. 30 ff.

1B) Abdr. in: Akten

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nicht bei Ländern machen, die in Deutschland etwas unbekannt sind. Wenn ich 90% der deutschen Bevölkerung frage, wo Oldenburg liegt, dann wissen die das nicht genau.

(Widerspruch.)

Es ist doch so. Von der Pfalz hat jeder gehört, weil er Pfalzwein getrunken hat. Von Baden weiß auch jeder etwas. Aber wir können doch nun nicht ein die Länder dort oben besteeinzelnes kleines, lange Zeit bestehendes Land von der Möglichkeit ausschließen, die wir ihm hen seit etwa 400 Jahren vielmehr sofort geben müssen, durch einen Volksentscheid zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Wir dürfen ein solches Land nicht zwingen, daß es seinen auch hier als absolut gerechtfertigt anerkannten Anspruch erst im Wege eines Volksbegehrens erkämpfen muß. Nun zu der Frage des Volksbegehrens. Die in diesem Vorschlag gemachten 10% hören sich zunächst etwas gering an. Herr Eberhard sagte sogar, man solle vielleicht diese 10% erhöhen. Dr. Eberhard: Wenn man das Volksbegehren gleichzeitig überall möglich macht. Das war mein Gedanke. Wirmer: Ich habe lange mit Herrn Finck20) gesprochen, der aus der Pfalz kommt und der sich dieses Problem vom Standpunkt der früher bayerischen Pfalz angesehen hat. Selbst in der Pfalz, wo wir keine Flüchtlinge haben, ist es außerordentlich schwer, einen Bauern zu veranlassen, seinen Namen in die Liste eines Volksbegehrens zu schreiben. Wenn die Bauern am Sonntag nach dem Gottesdienst in das Wahllokal nebenan gehen und ein Kreuzchen machen, so ist das leicht. Aber die Leute zu veranlassen, in einer Frist von 8 bis 14 Tagen ihren Namen zu schreiben, ist außerordentlich schwierig, selbst in Rheinland-Pfalz, wo keinerlei Flüchtlinge vorhanden sind. Dort sind wenigstens 90% der Bevölkerung nach der Schätzung nicht mit dem Lande Rheinland-Pfalz einverstanden. Wo sie allerdings hin wollen, ob nach Bayern oder in einen Südweststaat, ist nicht klar. Aber jedenfalls sind sie nicht mit Rheinland-Pfalz einverstanden. Also selbst der Sachverständige für dieses Gebiet sagt, ein Volksbegehren sei außerordentlich schwierig durchzuführen. Nun kommen Sie aber zu den Ländern in der britischen Zone. In Niedersachsen ist die durchschnittliche Flüchtlingsbelegung nahe an 40%, in Oldenburg höher. Wenn Sie da ein Volksbegehren von 10% verlangen, dann ist das, obwohl die Oldenburger natürlich sagen werden: wir werden es schaffen, eine außerordentlich starke Belastung dieses alten Landes, das sich mit diesem sehr schweren Volksbegehren erst das hier allgemein anerkannte Recht darauf erzwingen muß, daß es überhaupt gefragt wird. Darum sollten wir uns, wenn wir —





das noch einmal überlegen, nicht allzusehr von diesen technischen Dingen bedas war vielleicht das Bedenken von einflussen lassen. Wir können ja auch Herrn Eberhard die Nachfolgerschaft Preußens aus dieser Sache herausnehdaß men. Denn Preußen wiederkäme, daß ein Volksbegehren gemacht würde: Wollt ihr wieder die früheren preußischen Provinzen zu einem Lande Preußen —



20)

Dr. Alber Finck (1895-1956), CDU,

Rhein)and-Pfalz, Mitglied des Pari. Rates. 987

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vereinen? ist unmöglich. Da kann man wirklich sagen, daß die Militärregierung den Konsens des deutschen Volkes hat. Dr. Eberhard: Aber ob die neuen Länder so oder anders voneinander geschieden werden sollen, ist strittig. Wirmer: Aber selbst wenn in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen ein Volksdas ist die Meinung sobegehren durchgeführt wird, so wollen wir doch wohl derer, die föderalistisch denken, als auch derer, die weniger förderalistisch denken Länder haben, die sich nach einiger Zeit wirklich darauf berufen können, daß dieses Volk diesen Staat auch mit Mehrheit will. Diesen Zustand haben wir zu einem großen Teil im Südweststaat; in Rheinland-Pfalz und oben in Niedersachsen noch nicht. Warum sollen wir von vornherein diesen Bundesstaat mit der Hypothek einer, ich möchte einmal sagen, deutschen Irredenta belasten? Also ich glaube, wenn wir uns die Sache ernstlich überlegen und bei dieser grundsätzlichen demokratischen Frage nicht technische Bedenken an die Spitze setzen, dann sollten wir ohne Zwang dem Volke geben, worauf das Volk Anspruch hat, nämlich daß es von vornherein gefragt wird und sich dieses Recht nicht erst erkämpfen muß. Dr. Eberhard: Wie wollen Sie es technisch machen? Sie wollen auf alle Fälle einen Volksentscheid in diesen Ländern anordnen? —



(Wirmer: Jawohl!) Bergsträsser: Wenn wir diesen Art. 138 aa noch einmal lesen, müssen wir und ich tue das von dem ersten Satz, nämlich doch entweder ausgehen

Dr.

daß das Bundesgebiet durch ein Bundesgesetz unter Berücksichtigung bestimmter Umstände neu zu gliedern ist und daß die Neugliederung Länder schaffen soll, die leistungsfähig sind. Wenn wir das vornean stellen, dann scheint mir dieser ganze Zusatz nicht richtig zu sein. Denn dann gehen zwei Strebungen und zwei Möglichkeiten parallel, und da in der Politik wenig parallel geht, kommen sie gegeneinander. Sie lassen also zwei, ich will nicht sagen, Züge, aber zwei Triebwagen gegeneinander los. Das scheint mir nicht richtig zu sein. Der Sinn dieses Artikels widerspricht dem nämlich. Der Sinn dieses Artikels ist doch, den Versuch zu machen, in gewissem Sinne verwaltungsmäßig und bundesmäßig vernünftige Länder zu schaffen. Ich glaube nicht, daß dieser Zweck erreicht würde, wenn man nun diese Schleusen so öffnete. Denn das betrifft ja auch 90% aller deutschen Länder. Es ist eben von Hessen gesprochen worden. Ich habe schon den Einwand gemacht, das Kernland Hessen ist jetzt eine Minderheit geworden. Da müßte man logischerweise oder loyalerweise das Kernland Hessen fragen, ob es auch Lust hat, mit den anderen Teilen21) zusammenzusein, oder ob es nicht vielmehr Lust hat, sein altes Reich zu behalten und seine rheinhessische Provinz dazuzunehmen, wobei ich der Meinung bin, daß an sich dieses Hessen ganz gut funktioniert. Also ich sehe darin einfach eine Gegensätzlichkeit gegen diesen Artikel selbst, der nach Abschnitt 1 von einer ganz anderen Notwendigkeit ausgeht, nämlich von der Idee, daß ein Bund besser funktioniert, wenn er leistungs—

21) Korrigiert 988

aus

„Krempel".



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Länder hat. Es ist eigentlich die Fortführung dessen, daß der Bund dadurch nicht richtig organisiert war, daß er ein präponderierendes Land, nämlich Preußen, hatte. Wenn man mechanisch sagt, die Länder müssen auch in ihrer Gebietsgröße oder ihrer Bevölkerungszahl möglichst gleichmäso weit will ich beileibe nicht gehen, darum habe ich mich geßig sein gen diesen ersten Abschnitt erklärt —, wenn man das wirklich machen will, dann glaube ich, daß man nicht so weit gehen kann, wie der Herr Kollege Wirmer das vorschlägt, indem er sagt, es muß überall ein Volksentscheid herbeigeführt werden, sondern dann sollte man, ehe man die große Maschine in Bewegung setzt, erst die kleinere Maschine in Bewegung setzen und fragen, ob überhaupt ein Bedürfnis vorliegt. Daß man dieses Bedürfnis an ein Zehntel der Stimmen hängt, halte ich für zu wenig. Da bin ich mit meinem Freund Eberhard einig. Man sollte diese Zahl etwas erhöhen. Ich habe überhaupt gegen alle diese Volksabstimmungen ein Bedenken, weil man nicht weiß, wie sie laufen. Wenn wir das annehmen, dann gibt es im Grunde überhaupt keinen Bund in der jetzigen Form, sondern dann sagen wir welbst: Der Bund in der jetzigen Form ist absolut falsch, und alle bestehenden Länder mit der einzigen Ausnahme von Bayern, Bremen und HamHamburg hat sein Gebiet, soviel ich weiß, auch vor 1945 arrondiert22) burg existieren auf dem Papier, aber sie existieren nicht in der demokratischen Wirklichkeit. Heile: Ich meine, wir müssen es umgekehrt machen, wie mein Freund Bergsträsser sagt, indem man vom Bund ausgeht. Es kommt darauf an, ob sich auch die Menschen wohlfühlen. Wir brauchen einen Staat. Wir können sagen: Der Staat ist notwendig. Man kann auch sagen: Er ist ein notwendiges Übel. Notwendig ist er unter allen Umständen, wir kommen ohne ihn nicht aus. Aber wir haben den Staat nicht um des Staates willen, sondern um des Menschen Willen, und es kommt darauf an, eine Staatsordnung zu schaffen, in der sich die Menschen wohlfühlen. Wenn es irgendwo einen Staat gibt, wo sich die Menschen nicht wohlfühlen, weil sie gezwungen werden, zu einem Staate zu gehören, bei dem sie nicht sein wollen, dann sollte man ihnen demgegenüber das Recht geben, ihre Zugehörigkeit in Freiheit zu wählen. Wenn nun in irgendeiner Gegend abgestimmt wird, so entsteht die Frage, die schon eben angedeutet worden ist, nämlich wer mitstimmen darf. Das wird schwierig sein, weil viele Neubürger aus dem Osten da sind. Es ist seltsam, die auch früfremden Völker, die über Deutschland eine Zeitlang regiert haben, her schon, nicht erst jetzt —, sind darin sehr viel vorsichtiger gewesen als wir. Wir lassen jetzt ohne weiteres auch in solchen Dingen jeden mitstimmen, der da wohnt. Jeder, der neu hingezogen ist, ist von demselben Tage an mit einem Mal stimmberechtigt. Daraus entstehen Schwierigkeiten, die sich namentlich bei Gemeindeaufgaben sehr drückend und lästig bemerkbar machen, und zwar entgegen den Interessen der Gemeinde und der Flüchtlinge selbst. Aus doktrinärer Gerechtigkeit haben wir da Vorschriften geschaffen, die nach meiner Meinung

fähige









22) Hamburg arrondierte sein Gebiet durch das Großhamburg-Gesetz

(RGBl. I, S. 91);

im Austausch mit Preußen wurden dabei Exklaven

vom

26.

bereinigt.

Jan.

1937

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nicht mehr dem Wesenskern der Demokratie entsprechen. Wenn es sich aber um die Frage handelt, in einem ganzen Land meinetwegen in Oldenburg ob alle die, die erst jetzt hineingezogen sind, bei der Frage der Zugehörigkeit zu Niedersachsen auch mit entscheiden sollen, so ist das eine Frage, die man wohl überlegen muß. Ich habe sie mir bisher noch gar nicht gestellt, sondern bin eben erst auf diese Idee gekommen. Es ist doch eine Frage, die ganz ernstlich überlegt werden muß, ob das berechtigt ist, ob man nicht die alte bodenständige Bevölkerung fragen muß, ob sie mit dem Zustand einverstanden ist. Die anderen sollen, wenn sie dort wohnen, sich ihre Gleichberechtigung zu diesem Land erkämpfen, oder sie brauchen das nicht einmal, sondern man gibt ihnen ihr Recht. Aber diese Frage hat mit ihrer Gleichberechtigung gar nichts zu tun. Bei ihr handelt es sich um eine Entscheidung, die von jenen zu treffen ist, die dort ihre angestammte Heimat haben und für diese Heimat, nicht für ihr —



persönliches

Interesse sorgen. wir müssen uns zunächst einmal darüber klar werden, was eigentlich wollen. Es sind zwei ganz verschiedene Dinge. Das eine ist der Auftrag, den der Art. 138 aa gibt. Das ist der frühere Art. 25, den wir damals im Plenum beschlossen haben, weil wir uns darüber klar waren, daß die Länder, so wie sie heute sind, zum Teil durch blödsinnige Zufälligkeiten, durch den Schneid eines amerikanischen oder englischen Bataillonsführers in ihrer

Dr. wir

Reif: Ich glaube,

Grenzziehung bestimmt worden sind oder dergleichen mehr, daß infolgedessen vernünftige Neuordnung dieser Grenzen durchgeführt werden soll. Das ist

eine

das eine. ich war nicht dabei —, diesen Artikel Nun hat man, wie ich gesehen habe damals mit allerlei Dingen vollgepackt: landsmannschaftliche Verbundenheit, geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge, wirtschaftliche Zweckmäßigkeit, soziales Gefüge. Das soll alles dabei berücksichtigt werden. Das erinnert mich etwa an die Erörterung über die optimale Betriebsgröße in der Wirtschaft, wo —

eine technische, finanzielle, organisatorische, absatzmäßige, rohstoffmäßige optimale Größe gibt. Es gibt fünf bis sechs verschiedene optima, und es ist die Frage, wie man sich da durchfindet. Diese Gesichtspunkte alle zu vereinigen und danach rational die Größe der Länder zu bestimmen, ist unmöglich. Nach meinem Dafürhalten verlangt Abs. 1 etwas Unmögliches. (Dr. Eberhard: Es heißt: Berücksichtigung!) Aber Berücksichtigung ist doch ein Hinweis auf das Kriterium, nach dem die Entscheidung gefällt werden soll. „Schonung" könnte man sagen; das wäre es



dann milder.

gibt es aber das zweite, wovon die Herren Kollegen Heile und Wirmer gesprochen haben. Man kann ja auch in der Demokratie das Volk fragen, was es eigentlich will. Da ist nach meinem Dafürhalten zunächst vielleicht das Dringlichste die Frage an die Leute, die durch die Zufälligkeiten der letzten Ereignisse zu einem Gebiet gekommen sind, zu dem sie vorher nicht gehört haben. Das gilt sowohl für den Bevölkerungsteil, der zu einem anderen süddeutschen oder westdeutschen Staat gekommen ist, als für den, der bis dahin dazu gehört hatte. Das gilt natürlich ebenso für Leute, die evtl. aus einer preußischen Provinz Nun

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in eine andere preußische Provinz jetzt Staat gekommen Provinzen in Denn diesem sind. die Zusammenhang als Staaten. Nach gelten ja meinem Dafürhalten wäre es die eigentliche Aufgabe, diese Leute erst einmal zu fragen: Wollt ihr das auch? Im Gegensatz zu dem, was Herr Heile gesagt hat, würde ich nicht die Stammbevölkerung dieses Staates fragen; denn die entscheidet unter Umständen sehr leicht dafür, daß das neue Territorium dabei-

jetzt Staat









bleibt. Sondern man müßte die Neuhinzugekommenen fragen: Wollt ihr dort bleiben, oder wollt ihr wieder zurück zu dem Territorium, zu dem ihr vorher gehört habt? Das wäre doch wahrscheinlich die richtige Frage. Wenn man nun eine solche Sache durch ein Volksbegehren einleitet, was der einzige Weg dazu ist, dann sind 10% nach meinem Dafürhalten eine sehr hohe Ziffer. Denn wenn wir damit rechnen können, daß doch zahlreiche Flüchtlinge an dieser Frage zunächst weniger interessiert sind, sondern daß das die Alteingesessenen sind, so bedeuten doch diese 10%, da sie von den Stimmfähigen errechnet werden, praktisch 15, 17, 18%. Nehmen Sie den Fall Schleswig-Holstein oder, was vorhin genannt wurde, Oldenburg mit 40% Flüchtlingen, so heißt das doch praktisch, daß die 10% zunächst von der Gesamtzahl errechnet werden, oder, rund gesagt, von 1 Million. Es sind also 100000. Diese 100000 machen aber von den Alteingesessenen ungefähr 17 bis 18% aus, so daß der Quotient von 10% sehr hoch ist. Winner: Die Flüchtlinge sind altersmäßig sehr ungünstig zusammengesetzt. Bei ihnen ist der Prozentsatz Stimmberechtigter wesentlich höher. Dr. Reif: Das erhöht dann noch im Grunde genommen die Quote, die der andere Teil aufbringen muß. Infolgedessen ist die Erhöhung der Quote unter gar keinen Umständen notwendig; sie erhöht sich selbst. Sie ist beinahe schon zu hoch. Aber wir müssen uns über diese Frage entscheiden. Der Bund hat den Auftrag, nach bestimmten landsmannschaftlichen usw. Gesichtspunkten das Bundesgebiet innerhalb einer gestellten Frist auf Grund eines Gesetzes neu zu gliedern. Nun hatten wir ursprünglich im Ausschuß davon gesprochen, daß der beabsichtigte Art. 26, der dann die Dauerregelung darstellt, von Anfang an, da er sofort in Kraft tritt, auch die Möglichkeit geben sollte, solche Wünsche noch vor Erlaß des Bundesgesetzes zur Geltung zu bringen. Dr. Eberhard: Aber mit einem Drittel, was wirklich sehr viel ist. Dr. Reif: Das ist eine technische Frage; darüber können wir dann reden. Wenn wir die Absicht haben, jetzt wieder etwas dem Art. 26 Adäquates zu bringen ich weiß nicht, ob die Absicht besteht —, dann hätten wir von vornherein in der Verfassung die Möglichkeit, daß Bevölkerungsteile durch Volksbegehren auch vor der neuen Bundesregelung eine Regelung schaffen helfen, und diese würde unzweifelhaft in dem Bundesgesetz berücksichtigt werden müssen. Denn ich kann mir nicht denken, daß man ein so törichtes Gesetz macht, daß man Bevölkerungsteile, die eben erst durch Volksabstimmung ihre Neuzugehörigkeit durchgesetzt haben, nun durch ein Bundesgesetz wieder dahin zurückverweist, wohin sie nicht wollen. Das kann man sich doch kaum vorstellen. Mit dem Art. 26 hätten wir dann ein brauchbares Instrument. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da ist nur die Zustimmung der Landesregierungen notwendig, und die ist nicht zu bekommen. —

991

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Winner: Diese späteren Änderungen sollte man nach meiner Ansicht sehr erschweren23). Wenn wir die Länder einmal konstituiert haben, wollen wir nicht

nach

Augenblickslaune

eines kleinen Kreises

Änderungen

vornehmen.

Reif: Das ist richtig. Dann müßten wir zwei erleichterte Wege schaffen. Die spätere Sache ist sehr erschwert. Es müßte dann erstens der Auftrag an den Bund selbst kommen, und zweitens müßte man für die Übergangszeit zunächst Dr.

überhaupt grundsätzlich,

wie es hier gesagt worden ist, doch eine Befragung die aber dann nur bei dem neuangegliederten Bevölkerungsteil ervornehmen, der Da müßte. bin ich Meinung, es ist eine gewisse Beunruhigung. Aber folgen das betrifft nur Teile, die, wie wir annehmen können, wenn ein Volksbegehren stattfindet, ohnehin durch ihre jetzige Situation sich beunruhigt fühlen und denen man dann ein für allemal Ruhe schafft, indem man sie durch Volksbegehren zum Volksentscheid kommen läßt. Nach meinem Dafürhalten sollte man also diese demokratische Befragung wirklich durchführen, aber nur bei diesem neu irgendwohin gekommenen Teil. Der einzige Fall, der mir als Ausnahme erscheint, ist der Fall Hessen, wo man sagen kann, daß die Minderheit, die dem Ganzen den Namen gegeben hat, vielleicht selbst nicht damit einverstanden ist. Man müßte in Hessen eigentlich sagen, daß die Mehrheit, die Teile, die zu dem hessischen Kernstück hinzugekommen sind, das Recht haben, sich zu entscheiden. Man wird ja sehen, ob die ein Volksbegehren machen. Halten Sie das für möglich, dann ist eine Gefahr von dieser Seite überhaupt nicht vorhanden, dann kann man es wirklich darauf beschränken, daß man sagt: Die überall neu angegliederten Bevölkerungsteile sollen jetzt die Möglichkeit haben, durch Volksbegehren zu sagen, ob sie damit einverstanden sind oder nicht. Das ist aber eigentlich unerläßlich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie wollen also doch auf das Volksbegehren hinaus. Dr. Reif: Ich bin der Meinung, daß man sie erst einmal durch Volksbegehren vor die Frage stellen müßte. (Wirmer: Unter diesen erschwerten Bedingungen?) Über die Bedingungen können wir noch reden. Wir können sie ja für diesen einmaligen Fall erleichtern. Aber ich bin der Meinung, daß das Volksbegehren hier doch notwendig ist. Wir wollen nicht unsinnigerweise überall da, wo gar kein Bedürfnis besteht, die Leute zwingen, irgendeine Wahl durchzuführen. Sonst kommen wir wieder in die Wahlverdrossenheit. Dr. Pfeiffer: Die Möglichkeit und Notwendigkeit, die Ländergrenzen zu überprüfen und dann gegebenenfalls Gebietsveränderungen, Neugliederungen zwischen den Ländern zu machen, zerfällt in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt begann mit dem Frankfurter Dokument II24), bei dem die Ministerpräsidentenkonferenz als Gremium beauftragt wurde, bis zum Zusammentritt des Parlamentarischen nach Rates die Ländergrenzen zu überprüfen und Vorschläge zu machen, die durch die Alliierten auf dem von in Billigung Volksabstimmungen den Wege betreffenden Ländern zur Entscheidung gestellt werden sollten. Der von der Ministerpräsidentenkonferenz eingesetzte Ländergrenzenausschuß hat die Dinge —





23) Korrigiert aus „empfehlen". 24) Frankfurter Dokument Nr. II vgl. Der Pari. Rat Bd. 1, S. 992

32-33.

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überprüft und ist zu dem Ergebnis geWeiterleitung als Vorschlag an die Milidie nur zur Bildung eines südwestdeutschen Staates, Anregung tärgouverneure aus dem früheren Württemberg und Baden bestehend, zu geben25). Alle anderen Vorschläge und Anregungen sind vom Ländergrenzenausschuß nicht weitergereicht worden, ein bedeutender Teil aus außenpolitischen Überlegungen heraus, besonders alles das, was in irgendeiner Form eine Rückwirkung auf das linke Rheinufer oder unter Umständen eine internationale Rückwirkung auf das Ruhrgebiet hätte haben können. Infolgedessen ist, obwohl die Frist dann bis zum 15. Oktober verlängert wurde26), der Auftrag der Ministerpräsidenten erfüllt gewesen, und die Veränderungsmöglichkeiten, die sich daraus ergaben, sind praktisch nicht ausgeschöpft worden. Vielmehr gab man nur eine Empfehlung zur Errichtung eines südwestdeutschen Staates. Nun kommt die zweite Phase. Es handelt sich um eine Sanktionierung des gegenwärtig gegebenen Zustandes oder gegebenenfalls um Abänderungsvorschläge, die auf dem Wege einer Volksabstimmung zustande kommen. Die Staatenbildung im jetzigen Deutschland in den drei Westzonen ist ja in gewissem Sinne mit Gebietsveränderungen in der Zeit des allerstraffsten Absolutismus vergleichbar. Die Leute sind einfach nicht gefragt worden. nach allen Seiten hin sehr eingehend

kommen, den Ministerpräsidenten

zur

Nun kommt eine dritte Phase: nämlich unter gewissen Voraussetzungen werden Umgliederungen möglich sein. In diesem Augenblick steht wegen Oldenburg

und einiger anderer Gebiete die mittlere Phase zur Debatte. Ich glaube, es wäre ungerechtfertigt, wenn im Zeitalter der Demokratie, ausgerechnet in der Zeit zwischen 1945 und 1949 die Bevölkerung in einer ganzen Reihe von betroffenen Gebieten nicht das Recht hätte, zu diesen Dingen Stellung zu nehmen und entweder ihrer inneren Verbundenheit mit dem Staatsgebilde Ausdruck zu verleihen, dem sie jetzt durch die Entwicklung angehört, oder den Willen zum Ausdruck zu bringen, wie sie sich eine Änderung vorstellt. Das halte ich überhaupt für selbstverständlich. Nun kommt dabei die Frage: Soll man an und für sich eine Volksabstimmung anordnen, oder soll ein Volksbegehren vorausgehen? Wie ich die Situation auf Grund der sehr eingehenden Erörterungen im Ländergrenzenausschuß überblikke, glaube ich, daß nicht in allen Gebieten, die theoretisch in diese Sache hineinfallen, die innere Situation gleich ist. Sie ist in einzelnen Teilen einzelner Länder gespannt, und es gibt dort einen konzentrierten Willen, eine Änderung das gilt z. B. nach meiner Beobachtung für Hesherbeizuführen. In anderen wird man von einer solchen Möglichkeit Kenntnis nehmen; aber es ist sen nicht sehr wahrscheinlich, daß ein breiter Kreis diese Sache praktisch in Angriff nehmen möchte. —



25) 26)

Der Pari. Rat Bd. 1, S. LXI ff. Der Termin war bei einer Besprechung vom 12. Aug. 1948 zwischen MinPräs. Stock, Arnold und Altmeier in Frankfurt mit Verbindungsoffizieren der Miiitärregierungen verlängert worden. Vgl. Bericht vom 1. Okt. 1948 (ungez.) über die Tätigkeit der von der Mini-

sterpräsidentenkonferenz eingesetzten Ausschüsse zur Überprüfung durch die Ministerpräsidentenkonferenz (Z 12/67, Bl. 115—141).

der

Ländergrenzen 993

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organisatorisch

mit

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Nun wissen wir alle, die wir

26.

parteipolitischen Volksbegeh-

hatten, daß Volksbegehren sehr schwer

zu organisieren sind. Hier sich um ein Volksbegehren, das ja keinen parteipolitischen Hintergrund, sondern eine Großkulisse hat, nämlich, den Zustand des politischen Wohlbehagens in der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staatswesen zu dokumentieren oder zu erstreben. Ich bin der Meinung, man sollte wohl ein Volksbegehren [vorsehen], aber mit nicht sehr schwierigen Bedingungen. Wenn man sich vorstellt, daß in Oldenburg bei einem Volksbegehren mindestens 60 bis bei 10% einschl. der Flüchtlinge —, 70000 Unterschriften notwendig wären so ist das meines Erachtens nicht billig. Das erschwert die Situation so stark, daß ich meine, die Demokratie als Prinzip sollte doch so fair und gerecht sein, daß sie dem Kleinen und Schwachen genau so viel Chancen gibt, sein Recht geltend zu machen, wie dem Großen. Deshalb meine ich, man sollte eine faire Form des Volksbegehrens vorschreiben, die es auch dem Kleinen und auch in den durch das Flüchtlingsproblem geschaffenen schwierigen Verhältnissen ermöglicht, von seinem Recht Gebrauch zu machen. (Wirmer: Wieviel dann?) Das müßte man bei den einzelnen in Betracht kommenden Gebieten ausrechnen je nachdem, wie die Dinge liegen, um zu einem Schlüssel zu kommen, der den Grundsatz aufrecht erhält und auch gewisse Anforderungen stellt, die aber erfüllbar sind. Dann noch etwas anderes. Bei den Vorschriften über die dritte Phase, die wir werden erlassen müssen, und bei dem, was man tun kann, gehen gewisse Wurzeln auch auf den Ländergrenzenausschuß zurück. Hier kommt ein ganz anderes Problem, auf das ich bei Art. 138 aa auch aufmerksam machen möchte. Das ist, daß der Bundesregierung durch die Verfassung der Auftrag erteilt wird, von sich aus eine Überprüfung der Grenzen vorzunehmen und dann Umgliederungsvorschläge oder hier noch mehr Neugliederungsvorschläge zu machen. Diese Neugliederung ist eine außerordentlich weitgehende Sache. Wir haben es im Ländergrenzenausschuß erlebt, daß uns 1 V2 oder fast 2 Tage Referate gehalten wurden27) und zwar an Hand einer Reihe von Blankolandkarten, in die Neukonstruktionen eingetragen wurden: die Einteilung nach Flußgebieten, oder die Einteilung nach anderen Gesichtspunkten in 4, 5, 6, 7 Länder. Es war das ein für mich sehr amüsantes Exerzieren. Es war die Möglichkeit einer Fabrikation deutscher Länder ohne Rücksicht auf politische Gegebenheiten. Es war ein Konstruktionsversuch mit einer Philosophie des Als-ob darin. (Zuruf der Frau Abg. Dr. Weber). Ich glaube für mich in Anspruch nehmen zu dürfen, daß ich alle diese Probleme in ihrer Natur als gesamtdeutsche Probleme nicht bloß zu erkennen versucht, sondern auch erkannt habe. Die Protokolle der Sitzungen des Ländergrenzenausschusses28) werden beweisen können, daß ich in einer Reihe von Fragen einen ausgeprägt gesamtdeutschen Standpunkt eingenommen habe, wie

ren zu

tun

handelt

es







27) Vgl. Anm. 28. 28) Protokolle der Sitzungen des Ausschusses 27.-28.

994

Aug.,

30.

Sept.

1948 in: Z 12/66.

zur

Überprüfung

der

Ländergrenzen

vom

3.,

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ihn sich nur denken kann, und daneben die Interessen, die der Bayer sehr gut hätte geltend machen können, überhaupt nicht gestreift oder in der gesamtman

deutschen Aufgabe als nicht zur Diskussion stehend zurückgestellt habe. Ich habe aber als bayerischer Abgeordneter auch meine Aufgabe, die ich nicht verleugne und nie verleugnen werde. Aber wir wollen zum Art. 138 aa zurückkommen. Wenn man sich die Dinge an Hand der Entwicklung seit dem Ländergrenzenausschuß vorstellt, so gibt es doch einige Bedenken, die insbesondere in der Frage des Auftrags liegen können. Deswegen werden verschiedene Mitglieder meiner Fraktion einen Vorschlag machen29). Ob die Fraktion sich anschließen wird, weiß ich nicht, aber insbesondere z. B. der Kollege Laforet. Auch ich selber habe mir das sehr ernst überlegt. Wir werden zu dem Art. 138 aa einen Umbildungsvorschlag machen. Die Tendenz dieser Anregungen geht dahin, im Umlauf einer angemessenen Frist von Jahren zu einem Punkte zu kommen, der dann Beharrungszustand sein muß und wo es bei einer Umgliederung des Bundesgebietes nach dem Willen der Bevölkerung gehen muß. Dabei muß natürlich den Vertretern von Umgliederungsvorschlägen eine pädagogische Gabe eigen sein, durch eine gewisse Kunst die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß das ihren Interessen entspricht. Das wollte ich nur vorsorglich ankündigen. Ich glaube, in der nächsten Sitzung des Grundsatzausschusses wird der Herr Kollege Laforet, der die Detailarbeit dazu gemacht hat, selber anwesend sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Des Hauptausschusses. Dr. Pfeiffer: Nein, des Grundsatzausschusses30), dachte ich. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Grundsatzausschuß muß die Sache ja jetzt vorbereiten.

Dr.

Pfeiffer: Herr Laforet kommt heute nachmittag. Können wir

es

morgen

ma-

chen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir haben keine Zeit mehr. Dr. Bergsträsser: Die Tendenz Ihres Antrags zu kennen, ist ja für uns sehr wichtig. Sie geht also dahin, daß, wenn die Sachen einmal auf Grund von Art. 138 aa festgelegt sind, möglichst nichts mehr geändert wird. Dr. Pfeiffer: Daß die Änderungen schwierig sein sollen. Dr. Bergsträsser: Dann sind wir vollkommen einig. Dr. Pfeiffer: Und daß vor allen Dingen bei der Umgliederung der Wille der Be-

völkerung festgestellt werden muß. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art. 138 aa geht ja von dem Grundsatz der Feststellung des Willens der Bevölkerung aus. Dr. Pfeiffer: Daß hier betont wird: nach dem Willen der Bevölkerung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ja der Grundsatz des Ganzen überhaupt. Dr. Pfeiffer: Aber hier sieht es anders aus. Uns kommt es darauf an, das bei dem Auftrag schon zu betonen. Die Ziffer sagt, daß zuerst das Gesetz gemacht wird und daß es dann zur Volksabstimmung zu bringen ist. Ich werde Ihnen den Entwurf überreichen, dann können wir darüber reden.

29) Vgl. Dok. Nr. 46, 30) Vgl. Dok. Nr. 46.

Anm. 2.

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist hier genau so. Es ist genau das gleiche. Dr. Pfeiffer: Es ist nach meiner Auffassung nicht genau das gleiche. Dr. Eberhard: Ich will gleich an diese Bemerkung anknüpfen. Es ist wirklich nicht das gleiche. Der Herr Kollege Dr. Pfeiffer hat völlig recht. Es fehlt nämlich in dem Art. 138 aa die Initiative der Bevölkerung; dort ist keine Möglichkeit gegeben, und ich meine, wir sollten sie geben. Wir wollen auch den Beharrungszustand dann erreichen. Aber bis er erreicht ist, soll eben nicht nur der Militärgouverneur, sondern die Initiative der Bevölkerung Gelegenheit zur Willensäußerung gehabt haben. Ich glaube, daß ist gerade nach dem Verhalten des Ministerpräsidentenausschusses nötig, der sich nur mit einer sehr geringen Mehrheit entschieden hat, die Arbeiten jetzt ruhen zu lassen31). Es wurde mit Recht gesagt, wir wollen heute in Deutschland keine Beunruhigung schaffen. Ich glaube aber, der Einwand zieht bei unserem Artikel nicht, wenn wir ein Ventil für die Beunruhigung ganz und gar öffnen. Denn ich prophezeie Ihnen, was passiert, wenn wir eine Initiative der Bevölkerung hier nicht einbauen. Es wird sich dann eine ganze Reihe privater Organisationen auftun und unendlich lange Listen sammeln, die dann kein Mensch richtig kontrollieren kann. Damit kann kolossal viel Unfug und noch viel mehr Beunruhigung geschaffen werden. Ich möchte das hier kanalisiert sehen in einem ordentlichen Volksbegehren. Nun kann ich mich da allerdings nicht mit dem Kollegen Wirmer einig erklären, daß wir auf alle Fälle in allen diesen Gebieten abstimmen sollten. Ich glaube, das ist nicht notwendig. Ich würde es bei der Kannvorschrift lassen: Es kann ein Volksbegehren in Gang gebracht werden, und dann kommt, wie es hier weiter heißt, die Bundesregierung mit ihrem Neugliederungsgesetz zum Zuge, das alle Gedanken irgendwie zusammenfassen muß, und wenn dabei die Landeszugehörigkeit eines Gebiets mit Volksbegehren nicht geändert wird, soll in dem betreffenden Gebietsteil auch ein Volksent-

scheid stattfinden.

Wir haben heute mit einem technischen Punkt angefangen, mit dem Volksbegehren. Ich glaube, Herr Wirmer, Sie waren nicht bei allen Erörterungen mit dabei. Wir haben das Politische dabei immer in den Vordergrund gestellt und haben uns überlegt, wie dann der politische Wille zu einer bestimmten Landeszugehörigkeit zum Ausdruck kommen kann. Ich möchte ihn auch vor dem Bun-

desgesetz zum Ausdruck gebracht sehen, so daß sich das Bundesgesetz mehr oder weniger danach richten wird, und nicht erst hinterher durch eine Volksabstimmung über das Gesetz zum Ausdruck bringen. Wir haben in Deutschland ein gewisses Mißtrauen gegenüber Regierung und Parlament, und es ist mir in manchen Gebieten zu unserer bisherigen Formulierang sehr deutlich gesagt

worden: „Dann geschieht in Frankfurt oder Bonn doch nichts, wir wollen daher die Chance haben, für unseren Gebietsteil selber etwas in Gang zu bringen." 31

) Die Ministerpräsidentenkonferenz beendete praktisch auf der Tagung auf Jagdschloß Niederwald am 31. Aug. 1948 die Arbeit des Ländergrenzausschusses, indem sie es ablehnte, die Frage eines Zusammenschlusses mehrerer norddeutscher Länder zu einem neuen „Elbestaat" und die Frage „Rfieinland-Pfalz" weiterzubehandeln. Vgl. den in Anm. 26 benannten Bericht vom 1. Okt. 1948.

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Es bleibt dann wieder eine technische Frage übrig, nämlich: Wer soll sich bei dem Volksbegehren in die Listen eintragen? Es war der Wunsch geäußert worden: nur die Stammbevölkerung. Ich glaube, wir können nur die gegenwärtige Bevölkerung abstimmen lassen. Das Ideale wäre eigentlich, die künftige Bevölkerung abstimmen zu lassen, d. h. diejenigen, die nach vier, fünf Jahren noch dort sein werden, also dann von der Landeshauptstadt aus, die sie gewählt haben, verwaltet werden. Aber diese künftige Bevölkerung kennen wir nicht. Erstens werden manche Flüchtlinge im Laufe der Zeit in die französische Zone abströmen, weil dort erst wenige Flüchtlinge sind. Sodann wissen wir nicht, wieviel in die Ostgebiete abströmen können. Da also die künftige Bevölkerung nicht bekannt ist, können wir nur auf die gegenwärtige zurückgreifen. Ich glaube, wir sollten nicht auf eine Stammbevölkerung zurückgehen. Denn da bleibt technisch gar keine Wahl, um einen solchen Volksentscheid einigermaßen rasch

durchzuführen. Nun wäre der Prozentsatz noch zu erörtern. Ich muß zugeben, ich hatte an Gebiete gedacht, wo nicht viel Flüchtlinge sind. Da meinte ich, das Zehntel ist vielleicht zu niedrig. Wenn man an andere Gebiete mit Flüchtlingen denkt, ist das Zehntel vielleicht schon recht hoch. Also könnte man es bei dem Zehntel lassen. Nun noch ein Wort zu dem Satz, der hier steht: „kann nach Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Volksbegehren eine Abänderung gefordert werden." Was heißt das? Soll eine bestimmte Abänderung gefordert werden, oder soll einfach gefordert werden, daß etwas geändert wird? Wenn wir Rheinland-Pfalz nehmen und sagen, daß etwas geändert werden soll, dann würden sich sehr viele Stimmen finden. Aber die haben ganz verschiedene Absichten. Wir müssen vielleicht einfügen „eine bestimmte Abänderung". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eine „bestimmte" Abänderung ist selbstverständlich, weil sonst kein Volksentscheid gemacht werden kann. Dr. Eberhard: Dann würde ich vorschlagen „eine bestimmte Abänderung" zu sagen. Wir haben dann die Möglichkeit, ein Volksbegehren einzubauen. Die Einzelheiten muß ich mir noch einmal überlegen, weil man das Ganze wirklich im Zusammenhang lesen muß. Im großen und ganzen bin ich einverstanden. Heile: Nach dem, was ich jetzt gehört habe, sind die Bedenken, die ich vorhin angemeldet habe, noch verstärkt worden. Der Begriff des Volksbegehrens ist eine absolute Notwendigkeit als Idee. Man braucht die Initiative. Aber ich stelle mir vor, wir verlangen ein Volksbegehren mit der vollen Öffentlichkeit dieses Verfahrens bei der Unterschriftensammlung, oder indem abgestimmt wird. Da behaupte ich, daß dieses Volksbegehren, wie wir es auch machen, von böswilliimmer sehr und die Welt ist leider nicht frei von solchen gen Elementen Ich kann. der bin, werden ich, ins verkehrt einzige in leicht glaube Gegenteil bereits Gebiet auf diesem der diesem Kreise, praktische Erfahrungen hat. Ich habe seinerzeit in Weimar den Antrag gestellt, der den Art. 18 der Verfassung32) ergeben hat, also die Grundlage für das, was wir auch heute bespre-

-

18 WRV betraf die Gliederung des Reiches und die Modalitäten ihrer Änderung. Zur Genese vgl. G. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reichs, S. 140 ff.

32) Art.

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chen, und habe später, als dieser Art. 18 der Verfassung Gesetz geworden war, auch dafür gesorgt, daß nun in meinem Heimatland der Versuch gemacht wurde, auf Grund dieses Artikels eine Volksabstimmung durchzuführen33). Der Artikel war nicht so geworden, wie ich ihn selber gewollt hätte. Sonst wäre vielleicht nicht das passiert, war wir dann erlebt haben. Es muß also erst das Volksbegehren durchgeführt werden, erst einmal über die Frage abgestimmt werden: Wollt ihr überhaupt, daß abgestimmt wird? Da suchte der damalige Oberpräsident für die Provinz Hannover34) das Volksbegehren mit allen Mitteln zu verfälschen35). Ich will keinen Namen nennen; aber viele wissen, wer es gewesen ist. Ich nenne den Namen absichtlich nicht, damit mir nicht bestimmte parteipolitische Tendenzen unterstellt werden. Aber dieser Oberpräsident brachte es mit seiner ganzen Energie und Brutalität fast so, wie es die Nazis später getan haben, dahin, daß dieses Volksbegehren zu einer Farce wurde, indem bis zum letzten Dorfbürgermeister kommandiert wurde: Keiner geht hin, wer aber hingeht, ist bereits gestempelt. Wer hingeht und ist Staatsbeamter, hat damit zu rechnen, daß er nicht mehr Staatsbeamter bleibt. Wer hingeht und ist Geschäftsmann oder Handwerker, der für den Staat liefert oder arbeitet, ist verloren, kriegt nie wieder einen Auftrag. So wurde bis zur letzten Konsequenz mit eiserner Energie ein solcher Terror durchgeführt, daß ich behaupte, daß es ein Beweis von einer ungeheuren Leidenschaft der Bevölkerung war, daß wir trotzdem das Drittel, das verlangt wurde, beinahe bekommen haben. Wir haben es nicht ganz bekommen, aber ziemlich. Es ist ganz klar, daß wegen dieses Terrors viele, die nicht so an der Sache interessiert waren, und viele Beamte, die unter Druck gesetzt wurden, nicht abgestimmt haben, obwohl sie an sich berechtigt gewesen wären. Durch ein solches Gesetz kann man also unter Umständen das Gegenteil von dem erzielen, was man meint. Das Ergebnis eines so durchgeführten Volksbegehrens ist kein Beweis, daß es der Wille der Bevölkerung ist.

(Frau Dr. Weber: Aber wir sind jetzt eine Demokratie!) Damals, nach Weimar, auch. Und der fragliche Oberpräsident nannte sich auch Demokrat. Bei den Abstimmungen in Oberschlesien, Ostpreußen36) usw., die international geregelt wurden, hat die Bestimmung gegolten, daß man schon eine gewisse Zeit in dem Lande gewohnt haben, ansässig gewesen sein mußte, um überhaupt mitstimmen zu dürfen. Es durften andererseits Leute, die dort heimatberechtigt und bis zu einem Stichtage ansässig waren, hinreisen, um an —

dieser Abstimmung über Verbleib bei Deutschland oder Schicksal ihrer Heimat wesentlich war, teilzunehmen.

33) Vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 112. 34) Zu Noske vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 113. 35) Korrigiert aus „verhindern". 36) Zu den Abstimmungen nach dem Versailler Vertrag

Abtrennung, die für das

in Ostpreußen (11. Juli 1920) und Oberschlesien (20. März 1922) vgl. die Einleitungen in den jeweiligen Bänden der Edition Akten der Reichskanzlei: Kabinett Fehrenbach bearb. von Peter Wulf. Boppard 1972; Kabinette Wirth I und II bearb. von Ingrid Schulze-Bidlingmaier. Boppard 1973.

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Dr. Reif: Es handelt sich da jetzt um Veränderungen in einer Reihe von Gebieten, die ohne Befragung der Bevölkerung und ohne Rücksicht auf deutsche geschichtliche Vergangenheit und dergleichen jetzt einfach durch die Willkür der Verhältnisse nach dem Mai 1945 entstanden sind. Darum handelt es sich jetzt in allererster Linie. Das andere ist der Auftrag zur Neugliederung. Das ist eine grundsätzliche Sache. Wieweit das später durchgeführt werden kann, ist eine ganz andere Frage. Aber könnte man nicht z. B., wenn die Verfassung selbst zur Volksabstimmung gestellt wird, vorschreiben, daß mit dieser Volksabstimmung in diesen betroffenen Gebieten gleichzeitig eine Abstimmung über die Landeszugehörigkeit durchgeführt wird? Das würde praktisch bedeuten, daß man nicht zweimal eine Volksabstimmung machte, wodurch die Beunruhigung vergrößert würde, sondern man würde mit dieser Verfassungsfrage, in die ja für diese Menschen diese andere Entscheidung mit hineingehört, gleichzeitig die Frage verbinden: Wollt ihr da bleiben, wo ihr jetzt seid, oder wollt ihr wieder dahin zurück, wo ihr vorher wart? Da könnte man ohne Volksbegehren auskommen. Das müßte man grundsätzlich in allen diesen Gebietsteilen machen, die ihre staatliche Zugehörigkeit in den letzten drei Jahren geändert haben. Wirmer: Das war mein Vorschlag. Dr. Reif: Ich meine: in Verbindung mit der Abstimmung über die Verfassung. Wirmer: Mein Vorschlag ginge dahin, daß dieses Bundesgliederungsgesetz auch in den Fällen, in denen eine Änderung nicht durchgeführt wird, die Bevölkerung auffordert: Bitte schön, sagt ja zu dem, was der Bund jetzt anordnet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie reden etwas aneinander vorbei, weil Herr Dr. Reif

diese

Befragung

bei der

Volksabstimmung

über die

Verfassung

veranstalten

will, und das ist ganz etwas anderes, als was Sie wollen. Dr. Reif: Ich will zwei Dinge unterscheiden: einmal die Durchführung des Auf-

an den Bund zur Neugliederung, die dann selbstverständlich von den betroffenen Bevölkerungsteilen durch Volksabstimmung bestätigt werden muß. Das ist die eine, die spätere Sache. Wir sind aber doch davon ausgegangen, daß es gegenwärtig eine Reihe von kleinen Territorien gibt, die ihre staatliche Zugehörigkeit geändert haben, ohne daß jemand gefragt worden ist. Es handelt sich jetzt nur um die Frage, daß vielleicht ein Teil davon uninteressiert ist. Gut, das mag sein. Aber offensichtlich wäre doch die Frage für uns nicht akut geworden, wenn wir nicht annehmen könnten, daß ein Teil der betroffenen Landesteile nicht einverstanden ist. Da bin ich der Meinung, man könnte mit der Volksabstimmung, bei der die Verfassung selbst ratifiziert werden soll, gleichzeitig in den betreffenden Territorien eine Befragung durchführen: Wollt ihr hierbleiben, wo ihr jetzt seid, oder wollt ihr dahin zurück, wo ihr wart? Wirmer: Das wäre ein ausgezeichneter Vorschlag. Dr. Eberhard: Auf welcher juristischen Grundlage soll das geschehen? Dr. Reif: Auf Grund der Verfassung selbst, in dem wir es da hineinschreiben. Dr. Bergsträsser: Ich habe gegenüber dem Vorschlag ein Bedenken. Sie wollen fragen: Wollt ihr weg? und wollen damit gleich die Frage verbinden: Wo wollt ihr hin? (Dr. Reif: Oder: Wollt ihr wieder zurück?)

trags

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Wollt ihr bleiben, wollt ihr weg, und

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wenn

ihr

ten Status haben oder einen anderen? Aber diese —

diziell

wegwollt,

Frage

wollt ihr den al-

ist dann

gerade präju-

Sie geben ein gutes Beispiel für die Neugliederung. (Dr. Reif: Soll sie auch sein!) Aber sie wird in einem Augenblick gestellt, wo die, die die Frage beantworten sollen, noch gar nicht wissen, wie die Bundesregierung etwa die Neugliederung machen will. Es ist also eine Frage in den leeren Raum hinein. Dr. Reif: Aber, Herr Professor, sie wird doch nur an die Bevölkerungsteile gestellt, die bereits ihre staatliche Zugehörigkeit in den letzten drei Jahren gewechselt haben. Dr. Bergsträsser: Ja, das sind 80% in dem Bundesgebiet. Dr. Reif: Nein, das kann ja gar nicht sein. Da rechnen Sie die Auflösung des preußischen Staates mit. Dr. Bergsträsser: Ja, na rechnen wir 65%. Es kommt mir nicht auf 10 oder 20% an. Aber es ist ein sehr hoher Prozentsatz. Ich würde begreifen, wenn man sagt, sie sollen die Frage beantworten, von wo sie weg wollen. Aber die Frage, wo sie hin wollen, ist deswegen schwierig, weil das Wohin noch gar nicht bekannt ist. Dr. Reif: Aber dann entsteht ja ein Vakuum. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich zu der Frage ausführen: Ich glaube, Herr Dr. Bergsträsser hat vollkommen Recht mit seinen Einwänden, und zwar aus folgendem Grunde. Stellt man diese Frage: Willst du dort bleiben, wo du hingeschoben bist? dann werden soundsoviele Leute sagen: Nein, wir wollen nicht da bleiben. Stellt man sie aber vor die Frage: Dann kommt ihr zu dem und dem dann sagen sie: Nein, das haben wir auch nicht gewollt, und lehnen es ab. Man kann praktisch den Volksentscheid nur in der Form machen, daß man vorher klärt: Willst du bei dem bleiben, oder willst du zu dem und dem anderen? (Dr. Bergsträsser: Zu welchem andern Land?) Das kann er im Volksentscheid nicht beantworten. Da kann er nur mit Ja und Nein antworten. Man kann nur fragen: Willst du bleiben, oder willst du zu dem und dem Land? Wenn man die Auswahl zwischen den beiden hat, kann der Betreffende wirklich wählen. Aber er kann unter keinen Umständen wirklich wählen, wenn er nicht weiß, wo er dann hinkommen soll. Dr. Pfeiffer: Nur eine kleine Feststellung! Wir haben in dem Ländergrenzenausschuß einen Katalog der Fragen, die in Deutschland auf dem Gebiet der Gebietsveränderungen und Grenzänderungen möglich sind oder öffentlich diskutiert wurden, aufgestellt37). Dieser Katalog ergab in der ersten Lesung ungefähr 50 Probleme. Er wurde dann überarbeitet, und es blieb dann eine Liste von ca. von 20 bis 25 von in der Öffentlichkeit erörterten Dingen übrig. Dabei stellte sich heraus, daß bei jedem einzelnen Gebiet, wo irgendeine Diskussion kommen könnte, mehrere Lösungsmöglichkeiten aufgetaucht sind. Im Falle Oldenburg wäre die erste Frage: Weg aus dem jetzigen Staatsverband? Aber dann —









37)

Der war

1000

Katalog der möglichen Probleme eine Anlage zum Bereich vom 1.

im

Ländergrenzausschuß der Ministerpräsidenten Tätigkeit (vgl. Anm. 26).

Okt. 1948 über seine

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Unterfrage: Wieder selbständiges Oldenburg, oder aber anderswohin angeschlossen, oder Neubildungen? Da ergibt sich also, daß es bei jedem Versuch so angeht, wie bei einem Reißverschluß: man weiß, wie es anfängt, und dann galoppiert es durch. Das Musterbeispiel ist Rheinland-Pfalz. Damals war bekannt, daß die Franzosen ein Veto gegen eine Vergrößerung der Rheinprovinz einlegen würden. Es ging um Abtrennung von Westfalen oder Angliederung an Westfalen, Ruhrstaat usw. Diese Untersuchung aller bis dahin diskutierten Probleme war hochinteressant. Dort blieb bei Oldenburg aber ein Haken. Die Ablehnung dessen, was im Augenblick ist, ist verhältnismäßig einfach. Die Zusammenlegung mit der Abstimmung über die Verfassung ist etwas Günstiges, weil die Unauffälligkeit der an der Abstimmung Teilnehmenden und damit auch ihre Freiheit bei der Abstimmung gewahrt wäre, und es wäre auch die Unbequemlichkeit mit dem Motor des Volksbegehrens vermieden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Mit dem Ergebnis, wenn ich das dazwischen sagen darf, daß die Bevölkerung sagen kann: Ja, daß wir nicht richtig abgestimmt haben, liegt nur an den Flüchtlingen. Dr. Pfeiffer: Ich darf darauf hinweisen, wenn nach der Ablehnung des Bestehenden die Frage des Wohin kommt, gibt es immer eine Reihe von Varianten, die, wenn sie durchgeführt werden, wieder andere Varianten zur Folge hakommt die

ben.

Dr. Bergsträsser: Und die dann andere Abstimmungsergebnisse erzielen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man mehrere Fragen stellt, wird es folgendermaßen gehen. Man fragt zuerst: Willst du bei dem jetzigen Lande bleiben? Nein, sagt der Betreffende. Dann kommen die weiteren Fragen: Willst du zum Lande X? Willst du zum Lande Y? Willst du zum Lande Z? Dann wird der eine für X, der andere für Y, der dritte für Z stimmen. Mit dem Ergebnis kann man überhaupt nichts anfangen. Man darf vielmehr nur eine Gegenfrage stel—

len, weil die Aufsplitterung der Stimmen, die sich ergibt, die ganze Frage doch nicht löst. Ich glaube also, diesen Punkt müssen wir von vornherein zurückstellen. Dr. Reif: Praktisch gibt es dann eine solche Regelung vor der Beendigung der Arbeit des Bundes inbezug auf die Neugliederung überhaupt nicht. Die wäre ja dann in jedem Falle nicht sinnvoll. Dr. Bergsträsser: Das ist ja das, was ich zum Anfang gesagt habe. Dr. Reif: Ich hatte meinen Vorschlag nur für den Fall gemacht, daß wir vorher etwas machen wollen. Da war ich der Meinung, daß man es mit der Abstimmung vereinigen kann. Aber ich sehe ein, restlos sinnvoll wird die Sache nur, nachdem der Bund die Neugliederung vorgearbeitet hat. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich zu ein paar Fragen Stellung nehmen, damit wir zu Resultaten kommen. Zunächst wollte ich zu den Ausführungen von Herrn Dr. Bergsträsser sagen: Daß wir mit diesem Antrag eine zweite Strömung hineinbringen, ist nicht richtig. Dieser Antrag will nicht zwei Strömungen hineinbringen, sondern will nur Landesteilen, die nicht in einem Volksentscheid befragt worden sind, die Möglichkeit geben, sich in einem Volksentscheid überhaupt zu äußern, ob sie mit der Zuteilung, die in dem Neugliederungsgesetz vorgenommen wird, einverstanden sind. Die Sache läuft so: Auf das Volksbe1001

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hin muß jedenfalls irgendeine Bestimmung getroffen werden. Die Bestimmung kann lauten: Ihr bleibt bei dem Gebiet, dem ihr nach dem 8. Mai 1945 zugeteilt worden seid. Es wird also an dem gesamten Verfahren praktisch

gehren nichts

geändert.

Bergsträsser: Sie wollen also sagen: Wenn dieses Volksbegehren durchgeführt wird, so heißt das nur: Du, Bundesregierung, mußt in diesem Fall etwas Dr.

Spezielles

tun.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Etwas Spezielles in das Gesetz hineinnehmen, damit es zu einer Volksabstimmung kommen kann. Da taucht nur die eine Schwierigkeit auf. Es heißt: Kommt das Volksbegehren zustande, so hat die Bundesregierung in dem Gesetz über die Neugliederung über die Landeszugehörigkeit des Gebietsteiles etwas zu bringen. Dieses Volksbegehren ist nur vorgesehen, damit die Möglichkeit einer Abstimmung darüber besteht. Nun war noch eine Schwierigkeit, nämlich die: Diese Entscheidung könnte lauten: ihr bleibt da, wo ihr seid. Dann würde auf Grund unserer Fassung des Art.

der Volksentscheid, den diese Bevölkerung dringend wünscht, doch nicht zustande kommen, weil sie nämlich nicht abstimmt, wenn sich bei der Neugliederung ihrer Landeszugehörigkeit nichts ändert. Deshalb ist der letzte Satz, und diesen würde ich in diesen Abs. 2 in folgender Form eingliedern: Das Gesetz ist nach seinem Zustandekommen in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit geändert werden soll, im Falle des Abs. 2 auch in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit nicht geändert werden soll, zur Volks25

abstimmung

zu

bringen.

Dann kann der letzte Satz des Vorschlags weg. So ist es systematisch dann richtig. Wir wollen den Willen der Bevölkerung voranstellen, und die Bevölkerung soll die Möglichkeit haben, sich zu äußern. Dr. Bergsträsser: Dann wäre es im Grund genommen so geordnet, daß eine Initiative aus der Bevölkerung bei der Neuordnung möglich ist. Es ist also eine

Förderung der Neuordnung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nun zu dem weiteren Punkt. Der Herr Kollege Pfeiffer betont, daß der Vorschlag Laforet36) die Initiative der Bevölkerung erstmalig vorsieht.

(Dr. Eberhard: Mit 1/3!) Dazu darf ich bemerken, daß wir diese Initiative der Bevölkerung über Art. 26 immer vorgesehen haben39). Das, was in dem Vorschlag Laforet steht, steht bei uns in Art. 26 mit genau den gleichen Worten. Sofort nach Inkrafttreten der Bundesverfassung kann also in jedem Gebietsteil ein Drittel der Bevölkerung verlangen, daß sie irgendwie zu einem anderen Lande hinzukommen. Nun hat in die Bundesregierung das war das, was wir uns klar gemacht hatten diesem Fall zwei Möglichkeiten. Es ist sogar günstiger als nach dieser Fassung. Die Bundesregierung kann sagen: Schön, wir wollen euch bei der ersten Neugliederung des Bundes berücksichtigen. Das Verfahren verläuft dann nach 25 ohne Zustimmung der Länder. Oder die Bundesregierung sagt: Nein, das kön—



3B) Zum Vorschlag Laforet vgl. Dok. Nr. 46, Anm. 39) Art. 26 vgl. Dok. Nr. 45, Anm. 12. 1002

2.

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unseren ganzen Grundsätzen für die Verfahren nach 26 verlaufen lassen, nämlich muß das sie Neugliederung. Dann mit Zustimmung der Länder. Also wir haben tatsächlich alle Möglichkeiten bei unserer Fassung der Art. 25 und 26 berücksichtigt. Wenn wir diesen Zusatz aufnehmen, wäre es eine Besserstellung der Gebiete, die bisher nicht gefragt worden sind. Nun möchte ich auch noch auf die Ausführungen von Herrn Wirmer etwas eingehen. Herr Wirmer will die Volksabstimmung in allen Gebieten, die ihre Zugehörigkeit geändert haben. Hierzu möchte ich sagen: Wir müssen ja bei der Neugliederung von irgendeiner Grundlage in der Gliederung des heutigen Bundes ausgehen. Das kann, so bedauerlich es ist, nur die Gliederung sein, die eben jetzt nach 1945 geschaffen worden ist. Wir können nicht einfach sagen: Wir gehen auf die Gliederung zurück, die vorher bestand. Das ist eine vollkommene Unmöglichkeit. Wenn wir aber so vorgehen, komme ich immer wieder dazu, daß ich sage: Eine Volksabstimmung überall zu veranstalten, würde nur nen

wir nicht

machen, das widerspricht

Verwirrung erzeugen. (Wunderlich: Und eine chaotische Landkarte!)

Es würde die ganze Aufgabe der Neugliederung für die Bundesregierung ungeheuer erschweren. Die Bundesregierung muß von irgendeiner Grundlage ausgehen und muß dieser Grundlage gegenüber Änderungswünsche in die Hände bekommen. Das würde nach meiner Anschauung auch viel mehr den Interessen der beteiligten Bevölkerungsteile entsprechen. Was Herr Heile gegen das Volksbegehren ausgeführt hat, gilt meiner Anschauung nach für den Volksentscheid, den Herr Wirmer in den Vordergrund stellt, in viel schärferem Maße. Wenn Sie ausgeführt haben, Herr Heile, daß der Innenminister die Leute veranlaßt, nicht hinzugehen, so kann er das beim Volksentscheid noch viel besser, indem er sagt: Jeder, der hingeht und abstimmt, ist ein Schuft, deshalb bleibt ihr beim Volksentscheid schön alle zu Hause. Darin unterscheidet sich das Volksbegehren gar nicht vom Volksentscheid. Ich würde sogar ein Volksbegehren für leichter durchführbar halten. Heile: Beim Volksentscheid kann er das nicht sagen. Da würde er riskieren, daß eine erhebliche Mehrheit gegen seinen Willen entsteht. Er darf da seine Leute nicht zurückhalten. Dr. Eberhard: Es wird ja immer eine Mindestzahl der Abstimmenden festge-

legt.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nun möchte ich etwas anderes sagen. Wenn hier von Herrn Wirmer ausgeführt worden ist, daß es außerordentlich schwer sein werde, die Bevölkerung zur Eintragung in die Liste für das Volksbegehren zu veranlassen, so mag das schwer sein. Wenn aber diese Frage der Zugehörigkeit zu einem Lande wirklich eine Frage ist, die die Bevölkerung bewegt, dann muß man von ihr auch verlangen, daß sie dann ihrer demokratischen Pflicht nachkommt und sich sagt: Denen werden wir es zeigen, wir werden hingehen und werden es dazu kommen lassen, daß darüber abgestimmt wird. Ich glaube, gerade wenn die Sache wirklich ein solches Anliegen ist, dann werden die Leute auch zu einem Volksbegehren hingehen. Dr. Eberhard: Auch das kann am Sonntag nach dem Kirchgang geschehen! 1003

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Heile: Die Schwierigkeit wäre zu beseitigen, wenn man meiner früher vorgebrachten Anregung40) folgen würde, daß man bei allen Wahlen und Abstimmungen die Abstimmungspflicht einführt. Dr. Eberhard: Aber doch nicht beim Volksbegehren die Pflicht, hinzugehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zu Abs. 1 hat Herr Dr. Reif ausgeführt, daß dieser Abs. 1 des Art. 25 ein Sammelsurium darstelle, das im Sinne eines optimum nie zu erfüllen sei. Wir haben hier im Grundsatzausschuß ausdrücklich gesagt, daß zwar jeder dieser Punkte als Einzelpunkt entscheidend sein könnte, daß man aber niemals damit rechnen könne, das alle diese Punkte nun wirklich erfüllt würden. Es ist ähnlich wie beim Begriff das habe ich damals als Parallele der Nation oder des Volkes, der eine Fülle von Einzelmerkmalen entgesagt hält, von denen jedes nicht allein entscheidend ist, sondern nur in dem Zusammenklang mit den andern betrachtet werden kann. So ist es auch hier bei dem Abs. 1. Es wird einmal mehr auf das eine Merkmal ankommen, ein andermal mehr auf das andere. Wirmer: Der Wille der Bevölkerung wird in Abs. 1 nicht erwähnt. Er ist lediglich aus dem Gesamtzusammenhang des Artikels zu schließen. Ich glaube darum, daß es durchaus praktisch ist, zu sagen: Das Bundesgebiet ist nach dem Willen der Bevölkerung unter Berücksichtigung der und der Momente neu zu das ist die gliedern. Damit ist klargestellt, daß der Wille der Bevölkerung hier Aber durch das verbindende ist. der Hauptpunkt einmütige Meinung „und" ist klargestellt, daß die anderen Gesichtspunkte auch zu berücksichtigen sind und daß sie vielleicht auch einmal überwiegen können. Also warum soll man das Wichtigste nur aus dem Zusammenhang schließen und es nicht hier auch noch hineinsetzen? Dr. Eberhard: Ich hoffe, Bundesgesetze kommen immer nach dem Willen der Bevölkerung zustande. Warum soll man das hier besonders erwähnen? Mit dem Willen der einzelnen Teilbevölkerungen geht es in diesem Falle eben auch wieder nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man aber die Dinge dadurch erleichtern könnte, würde ich kein Bedenken haben, zu sagen „ist unter Berücksichtigung des Willens der Bevölkerung usw.". Bestehen dagegen Bedenken? Ich würde darin keine Gefahr sehen. Wunderlich: Ich sehe auch keine Bedenken wesentlicher Art dagegen. Niemand wird doch daran denken, gegen den Willen der Bevölkerung eine Neugliederung durchzuführen. Dr. Bergsträsser: Es handelt sich aber darum, was der Kollege Eberhard eben sehr klar ausführt: Was ist Wille und was ist Bevölkerung? Ist Bevölkerung die Gesamtbevölkerung oder die Teilbevölkerung ? Wenn wir das hineinsetzen, würden wir unter Umständen Auslegungen bekommen, in denen es heißt: Jeder Teil einer Bevölkerung muß berücksichtigt werden. Dann wird es entweder gar nichts geben oder einen Wirrwarr sondersgleichen, und wir lösen uns auf und kriegen lauter kleine Landkreise. —







40) Dok. 1004

Nr. 32, TOP 1 h.

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dasselbe, was Sie sagen, habe ich gestern angeführt. Aber ich würde trotzdem kein Bedenken tragen, weil die Spezialbestimmung vorsieht, daß über das Gesamtgesetz in einer Gesamtabstimmung zu entscheiden ist. Dr. Bergsträsser: Haben Sie nicht auch manchmal Angst vor den Auslegun-

gen?

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Natürlich habe ich sie. Aber ich glaube, daß ich sie in diesem Fall nicht zu haben brauche, weil Abs. 3 es klar sagt. Ich glaube, es ist dann, soviel ich feststelle, die Stimmung so, daß der Abs. 2 aufgenommen werden sollte. Ich möchte nur die Frage stellen, ob der Wunsch besteht, daß darüber abgestimmt wird. das sollte man einfügen. Dr. Eberhard: „Eine bestimmte Abänderung" Also eine bestimmte Ab: „In Gebietsteilen kann Vors. [Dr. v. Mangoldt]: gefordert werden." änderung Dr. Eberhard: Ich glaube, wir müssen es hineinnehmen. Wirmer: Dies sollte ja lediglich der Anstoß sein, um die Dinge in das Gesetz —

.

.

.

.

..

.

.

.

hineinzubekommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, man muß das „bestimmt" hineinnehmen. Aber vielleicht kann man sagen „eine bestimmte Änderung". Mit den Worten „des Gebietsteiles zu treffen" würde dann der Absatz schließen. Der bisherige Abs. 2 wird Abs. 3, und in den Abs. 2 kommt hinter „geändert werden soll": Im Falle des Abs. 2 auch in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit nicht

geändert

werden soll.

Das wären die fragen, ob eine

Änderungen,

die wir hier herausgearbeitet hätten. Ich darf nur Abstimmung darüber gewünscht wird; dann könnten wir sie ja

machen. Ich darf einmal fragen, wer gegen diese Änderung ist. Dr. Bergsträsser: Ich halte sie für falsch. Ich bin dagegen, weil sie mit dem andern kollidiert. Heile: Soll nun jeder, der wahlberechtigt ist, dabei mitstimmen? Die Frage müssen wir ja auch entscheiden. Soll bei Fragen der Gebietszugehörigkeit derjenige, der zufällig in die Gegend verschlagen ist, genau dasselbe Recht zur Abstimmung haben? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: In dem Volksentscheid, der sich ja auf mindestens ein oder zwei Jahre hinausschieben wird, stimmt er mit. Das ist auch kaum zu umgehen. Denn demjenigen, der in ein oder zwei Jahren sich in dem Gebiet eingelebt hat, wird man schlecht klar machen können, daß er sich bei dieser wichtigen Frage nicht beteiligen kann. Heile: Vielleicht läßt es sich auf dem Verwaltungswege ermöglichen, daß in gedie Einheimischen und die Neuen. trennten Urnen abgestimmt wird

(Widerspruch.)



Dann könnte man sehen, wie wirklich die Entscheidungen liegen. Dr. Eberhard: Zerreißen Sie die Bevölkerung doch nicht noch an der Wahlurne.

Pfeiffer: Ich glaube, man könnte eher die zum Landtag wahlberechtigte Bevölkerung nehmen. Denn die Landtagswahlgesetze schreiben im allgemeinen Dr.

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gewisse Aufenthaltsdauer vor, ehe der Betreffende zum Landtag wahlberechtigt wird. Bei uns in Bayern sind es, glaube ich, sechs Monate41). Das ist immerhin ein gewisser Filter für die Verbundenheit mit dem Lande. Ich glaube nicht, daß die Unterschiede in der Zahl sehr groß sind. Aber es wäre doch der eine

Landescharakter ein bißchen unterstrichen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann könnten wir statt „der zum Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung" sagen „der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung". Darüber besteht wohl Einverständnis. Dr. Bergsträsser: Das ist aber auch ein Schritt zur Zerreißung der Bevölkerung. Nehmen Sie an, daß Flüchtlinge von Schleswig-Holstein auf andere Gebiete verteilt werden. Sie werden von einer derartigen Abstimmung dann glatt ausgeschlossen. Heile: Sollen denn die Leute, die aus Oberschlesien jetzt nach Oldenburg gekommen sind, schließlich den Ausschlag geben, ob Oldenburg bei Niedersachen bleiben soll oder nicht, also in einer Frage, die sie gar nicht interessiert? Dr. Eberhard: Die Zahl der Flüchtlinge erhöht doch höchstens die Zahl der wahlberechtigten Bevölkerung. Aber wir haben den Prozentsatz mit einem Zehntel doch tief genug angesetzt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf dann feststellen, daß eine überwiegende Mehrheit jedenfalls für die Einfügung dieses Abs. 2 ist, und daß diese paar Worte in den früheren Abs. 2, jetzigen Abs. 3 eingefügt werden sollen. Es bleibt nur die Frage und da erhebt sich Widerspruch —, ob wir in Abs. 1 noch hineinsetzen sollten „nach dem Willen der Bevölkerung". Dr. Pfeiffer: Ich bitte, daß ich den Änderungsvorschlag in aller Form einbringen darf42). Wir könnten morgen, da, wie ich gehört habe, keine Hauptausschußsitzung sein wird, den Artikel in der vorgeschlagenen anderen Fassung in Ruhe durchsprechen. Dann ist es keine Überraschung. Ich würde dann dafür sorgen, daß jedes Mitglied die Neufassung in der Hand hat. Wir haben dann Zeit, diese so ernsthafte Sache in vielleicht 1 bis 1 1/2 Stunden in Ruhe besprechen zu können. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir würden vielleicht sagen, daß wir uns morgen um 11 Uhr treffen. Wunderlich: Vorbehaltlich dessen, daß sich nicht an der ganzen Situation etwas ändert. Dr. Eberhard: Die Sache mit der stimmberechtigten Bevölkerung ist also noch —

ungeklärt.

Nr. 45 betreffend den Volksentscheid über die Bayerische Verfassung und die Wahl des Bayerischen Landtags vom 3. Okt. 1946. Bayerisches GVOB1. Nr. 21 vom 25. Nov. 1946, S. 309-315. Zur Entwicklung der Wahlgesetzgebung nach 1945 vgl. Erhard H. M. Lange: Wahlrecht und Innenpolitik. Meisenheim am Glan 1975. 42) S. Dok. Nr. 46, Anm. 2.

41) Gesetz

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[3. WEITERE ARBEIT DES AUSSCHUSSES] Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich darf wegen der Tagesordnung auf folgendes hinweisen. Wir haben noch Art. 26 und Art. 138 c—5, Staat und Kirche. Ich habe mir auch erlaubt, die Frage der gesetzlichen Ermächtigungen bei der Freizügigkeit zu überlegen. Das ist die Sache, die ich im Hauptausschuß vortrug. Wir müssen da wahrscheinlich noch eine Ermächtigung für den Gesetzgeber vorsehen. Ich habe Ihnen da ganz bestimmte Vorschläge zu machen. Da könnte ich auch schon einen Durchschlag von dem Vorschlag bringen43). Ich habe ihn mit ein paar Herren besprochen, die das juristisch verstehen. Es ist, glaube ich, eine ganz im Rahmen der bisherigen Ermächtigungen sich haltende Ermächtigung. Wirmer: Die Regelung der Vermögensauseinandersetzung bei Auflösung und Neubildung von Ländern ist bisher nicht hier behandelt worden, sondern an einer anderen Stelle. Das muß eine außerordentlich genaue und technisch nach Lage des einzelnen Landes verschiedene Regelung sein. Es ist in Art. 143 f bisher gesagt worden, daß das Vermögen einfach übergeht, während in Niedersachsen von der Militärregierung gesagt ist44), daß das neue Land dafür sorgen muß, daß das Vermögen der übernommenen Länder für die kulturellen und sonstigen Bedürfnisse sichergestellt wird. Ich glaube darum, daß das, was in dem andern Ausschuß mit der sehr groben Regelung „Das Staatsvermögen geht über" gemacht ist, nicht richtig ist. Auch bei den Änderungen von Gemeindegrenzen müssen die Vermögensangelegenheiten der einzelnen Gemeinden sehr diffizil behandelt werden. Darum wäre es praktisch, daß eine Bestimmung aufgenommen wird, daß über die Vermögensauseinandersetzung und über den Vermögensübergang das zu erlassende Bundesgesetz die Entscheidung trifft und daß dieses Bundesgesetz dafür Sorge zu tragen hat, daß die jeweils infrage kommenden Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da das mit der Änderung der Ländergrenzen zusammenhängt, würde ich vorschlagen, daß wir diese Frage auch bei Art. 143 f be-

sprechen. (Zustimmung.)

Dann schließe ich die

Sitzung.

43) Vgl. Dok. Nr. 47, TOP 2. 44) Heinrich Körte (und andere): Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsens.

Göttingen

1986, S. 66. 1007

Nr. 46

Fünfunddreißigste Sitzung

Fünfunddreißigste Sitzung

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Januar

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Nr. 46 des Ausschusses für

27.

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Grundsatzfragen

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Z5/36, Bl. 17-71. Stenogr. Wortprot., undat. und ungez. Kurzprot.: Z 12/45, Bl. 7-9. Drucks. Nr. 581

Anwesend1) :

CDU/CSU: Laforet, v. Mangoldt (Vors.), Weber, Wirmer SPD: Bergsträsser, Eberhard, Nadig, Wunderlich FDP: Reif DP: Heile Stenografischer Dienst: Jonuschat Dauer: 11.17-13.03 Uhr

[1. NEUGLIEDERUNG DES BUNDESGEBIETES, ÄNDERUNG IM GEBIETSBESTAND DER

LÄNDER, FORTS.)

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Meine Damen und Herren! Wir wollten heute noch einmal in die Diskussion des Art. 25 eintreten. Wir hatten uns ja gestern auf den einzuschiebenden Abs. 2 und eine Änderung des Abs. 3 geeinigt. Es lag nun nur noch ein Antrag des Herrn Kollegen Dr. Laforet vor, (Dr. Laforet: Ein Antrag Pfeiffer!) nicht nur zu dem Art. 138 aa, der ja nach unseein bayerischer Antrag2) werden rem Vorschlag Art. 25 soll, —



1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Der Antrag Laforet (Pfeiffer), ungez.

unter dem 18. Jan. 1949 datiert in: LHA Koblenz, NL Süsterhenn 700, 177/Nr. 449, Bl. 62 63: Änderungen im Gebietsbestand der Länder. Art. 24 Änderungen im Gebietsbestand der Länder unter Änderung der Bundesgrenzen. 1) Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebietes sind nur wirksam, wenn das beteiligte Land und die beteiligte Bevölkerung zustimmen (bisherige Fassung) ; durch Bundesgesetz wird bestimmt, wie der Wille der Bevölkerung festgestellt wird. 2) Die Vollziehung der Gebietsänderung bedarf eines Gesetzes des Landes. Art. 25 entfällt. Art. 26 Änderungen im Gebietsbestand der Länder ohne Änderung der Bundesgrenzen. 1) Änderungen im Gebietsbestand der Länder ohne Änderung der Bundesgrenzen bedürfen mit Ausnahme bloßer Grenzberichtigungen der Zustimmung des Bundes durch Gesetz. 2) Streitigkeiten aus Anlaß der Änderung des Gebietsbestandes der Länder entscheidet das Bundesverfassungsgericht, soweit nicht die Länder schiedsgerichtliche Entscheidung vereinbart haben. —

Übergangsbestimmungen. Art. 138 aa Neugliederung von Ländern.

1) Binnen längstens drei Jahren nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ist das Bundesgebiet nach dem Willen der Bevölkerung neu zu gliedern. 2) Auf Verlangen eines Drittels der zum Bundestag wahlberechtigten Einwohner eines Landes oder eines Teilgebietes eines Landes hat die Landesregierung den Willen der Bevölkerung durch Volksabstimmung festzustellen. Hat sich bei dieser die Mehrheit der abgegebenen Stimmen für eine Änderung ausgesprochen, so ist der Wille der Bevölke1008

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(Dr. Eberhard: Dafür müssen wir uns also alle einsetzen!) sondern auch zu den übrigen Artikeln. Ich glaube, daß es notwendig sein wird, wenn wir vielleicht vorher den Herrn Kollegen Dr. Laforet gehört haben, dann gleich noch einmal auf den Art. 26 einzugehen, da der bayerische Vorschlag ja ein Gesamtvorschlag ist, der nur in Verbindung mit dem Art. 26 gesehen werden kann. Aber ich glaube, es wird sich empfehlen, daß wir zunächtst einmal den Vortrag des Herrn Kollegen Dr. Laforet hören. Wenn Sie damit einverstanden sind, so würden wir damit ja auch gleichzeitig an die anderen noch offengebliebenen Fragen herankommen, z. B. an die, ob in Art. 138 aa bzw. 25 Abs. 1 die Worte vom Willen der Bevölkerung einzusetzen sind. Denn wie ich sehe, spielt das in dem bayerischen Antrag auch eine gewisse Rolle. Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich zunächst Herrn Dr. Laforet das Wort erteilen. Dr. Laforet: Meine Damen und Herren! Ich habe hier einen Antrag zu vertreten, der Ihnen ausgearbeitet vorliegt3). Zunächst eine Bemerkung zu Art. 24. Ist es nicht notwendig, zu sagen „Durch Bundesgesetz wird bestimmt, wie der Wille der Bevölkerung festgestellt wird" also unter Änderung der Bundesgrenzen ? Art. 25 trifft eine Neugliederung ohne Änderung der Bundesgrenzen. Muß nicht in Art. 24 der eben erwähnte Satz noch hinein? Denn Art. 26 erstreckt sich nicht ohne weiteres auf Art. 24. Dann eine mehr redaktionelle Erwägung: Wo bekommt die Bundesgesetzgebung ihre Befugnis her, festzustellen, wer beteiligte Bevölkerung ist? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich dazu gleich sagen, daß wir das vielleicht zu den redaktionellen Änderungen nehmen, die wir hier nicht noch besonders besprechen wollen, um die Arbeit nicht hinauszuzögern. Wir haben an sich nur den Auftrag, Art. 25 und 26 zu erörtern. Vielleicht könnte man sich bei redaktionellen Änderungen auf das vorgeschlagene Verfahren einigen. Dr. Eberhard: Ich hätte kein Bedenken, daß wir das hinzufügen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gut; dann würden wir es gleich in die redaktionellen Änderungen, die vorgeschlagen werden, aufnehmen. Dr. Laforet: Dann eine Erinnerung grundsätzlicher Art. Ein Teil meiner Parteifreunde und auch ich stehen auf dem Standpunkt, daß, wenn die große darf ich den Ausdruck gebrauchen Länderbereinigung, Flurbereinigung nach —







rung auch in dem Lande oder Teilgebiet, in dem sich ein Land oder Teilgebiet zusammenschließen will, durch Volksabstimmung festzustellen. Ergibt sich dabei eine Übereinstimmung in den beteiligten Ländern oder Teilgebieten, so ist die Neugliederung vorzunehmen. 3) Wird der Zusammenschluß von dem anderen Lande oder Teiigebiet abgelehnt, so kann die Neugliederung durch Bundesgesetz beschlossen werden. Das Gesetz bedarf der Annahme im Bundestag mit zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl und der Zustimmung des Bundesrats mit zwei Dritteln der Stimmen. 4) Tritt dem Bund ein diesem bisher nicht angehöriger Teil Deutschlands bei, so beginnt die Frist für die Neugliederung mit dem Beitritt. 5) Streitigkeiten aus Anlaß der Neugliederung von Ländern entscheidet das Bundesver-

fassungsgericht.

3) Ebenda.

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erfolgt ist, Ruhe sein soll, so daß nachher nur die allgemeinen Grundsätgelten, daß Änderungen im Gebietsbestand der Länder ohne Änderung der Bundesgrenzen mit Ausnahme von Grenzberichtigungen der Zustimmung des Bundes durch Gesetz bedürfen. Nicht ausgesprochen zu werden braucht, daß 138

aa

ze

im Gebietsbestand der Länder ohne Änderung der Bundeseines Staatsvertrages der beteiligten Länder erfolgen Grund auf grenzen können. Das würde in der Fassung liegen. Die Vollziehung erfolgt durch den Staatsvertrag. Es wäre jedoch möglich, daß die beteiligten Länder eine schiedsgerichüiche Entscheidung vereinbaren, die dann das Bundesverfassungsgericht aussähließt. Das ist der ganze Inhalt. Es ist natürlich eine grundsätzliche Änderung gegenüber dem von Ihnen sehr wohl überlegten Art. 26. Es will damit ausgesprochen werden, daß nach der großen Gebietsbereinigung nur noch die Länder durch Staatsvertrag über ihr Gebiet entscheiden können. Dr. Eberhard: Darf ich vielleicht kurz antworten? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wollten Sie zunächst noch weitere Ausführungen machen, Herr Dr. Laforet? Dr. Laforet: Zu 138 aa nein. Das andere kommt nachher. Dr. Eberhard: Es besteht Einigkeit in diesem Ausschuß, daß wir nach der ersten großen „Flurbereinigung" möglichst Ruhe haben wollen. Nur wollten wir nicht anders als alle Ventile völlig zustopfen. Wir waren auch der Ansicht, daß bei einer späteren Änderung die Zustimmung bei der großen Flurbereinigung der beteiligten Länder ein sehr wesentlicher Punkt ist. Wir haben die spätere Änderung sowieso nicht leicht gemacht. Ein Drittel der Bevölkerung ist antragsberechtigt. Als wir das schrieben, haben wir gerade die Wahlen von NordrheinWestfalen4) zur Verfügung gehabt, und ein Drittel der Stimmberechtigten war dort praktisch die Majorität derer, die abgestimmt haben. Also da haben wir schon eine erhebliche Erschwerung. Dann brauchen wir die Zustimmung der beteiligten Länder, damit ein einfaches Bundesgesetz genügt. Wenn die beiden beteiligten Länder zustimmen, haben wir praktisch ja auch einen Staatsvertrag zwischen den zwei Ländern, die dann im Rahmen dieses Verfahrens beide zustimmen. Wenn sie nicht beide zustimund den Fall halten wir für nicht ganz ausgeschlossen —, dann geben men wir eine so große zusätzliche Erschwerung, daß sicher nicht leichtsinnig eine Änderung gegen den Willen der beiden oder etwa der drei beteiligten Länder gemacht wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich da eine Zwischenfrage stellen. Da es sich tatsächlich bei der Änderung des Gebietsbestandes um eine Verfassungsänderung handelt, sollte man sich da nicht evtl. doch einigen, daß wir die Zahl für die Verfassungsänderung hineinsetzen: „Zweidrittelmehrheit beider Häuser" statt

diese

Änderungen nur







„Mehrheit"?

4)

Am 17. Okt. 1948 hatten in Nordrhein-Westfalen Gemeinde-, Landkreis- und Stadtkreiswahlen stattgefunden, bei denen die Wahlbeteiligung mit 68,1 % niedriger war als bei

_

der Wahl 1010

von

1946.

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gemacht5). (Widerspruch.) „Der qualifizierten Mehrheit," könnte man sagen. Dr. Eberhard: Aber durch verfassungsändernde Mehrheiten Dr.

Laforet:

Im Redaktionsausschuß ist das

so

können wir sowieso alles ändern. Da brauchen wir den ganzen Artikel nicht mehr. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nur daß es dazu der Volksabstimmung in jedem Falle bedarf, da der Wille der Bevölkerung berücksichtigt werden muß. Dr. Eberhard: Ich möchte das jetzt nicht geändert sehen. Es ist schon eine qualifizierte Mehrheit, die da steht, und außerdem muß eine Volksabstimmung in dem betroffenen Gebiet stattfinden, wobei die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Dann kommt noch die Frage, ob wir nicht entsprechend dem Vorschlag des Redaktionsausschusses die Bildung eines neuen Landes besonders erschweren sollten. Ich wäre bereit, dem zuzustimmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir hatten das auch erörtert. Unser Vorschlag geht sogar noch weiter. Dr. Eberhard: Wir können das ja nachher noch näher erwägen. Ich wollte nur Herrn Laforet antworten. Grundsätzlich stimmen wir überein. Grundsätzlich auch wollen wir für später Ruhe. Aber wir wissen nicht, wie sich die Dinge ändern können. Ich glaube, deshalb müsaußerhalb Deutschlands in Europa sen hier einige Möglichkeiten offen gelassen werden. Man soll aber jedenfalls nicht leichtfertig irgend etwas in Gang bringen lassen. Dr. Laforet: Es ist eine politische Frage und eine Frage der Zweckmäßigkeit. Natürlich ist eine derartige Regelung, wie ich sie im Auftrage hier vorschlage, eine klare Entscheidung: Es kann überhaupt nur noch etwas geändert werden, wenn die Verfassung geändert wird. Sollte diese nicht gegeben sein, so entscheidet allein die Vereinbarung der Länder. Dr. Eberhard: So schwer, glauben wir nun, sollte man es doch nicht machen, obgleich wir es schwer machen. Sie müssen zugeben, wir machen es schwer. Dr. Laforet: Sie können es auch durch qualifizierte Mehrheit in Abs. 4 erschwe—



ren. v. Mangoldt]: Nach dem, was wir gestern z. B. über die Schwierigkeides ten Volksbegehrens gehört haben, ist ja die Forderung des Drittels schon eisehr starke Erschwerung. ne Dr. Bergsträsser: Gestern ist schon gegen die 10 % protestiert worden. Wenn wir das Dreifache nehmen, ist es von diesem Standpunkt aus fast eine Unmöglichkeit. Dr. Eberhard: Wenn wir Schleswig-Holstein nehmen mit 100 % Flüchtlingen, sind es praktisch 2/3 der Einheimischen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es wurde der Gesichtspunkt in den Vordergrund gestellt, daß man, falls in der Bevölkerung eine gewisse Unruhe entsteht, oder sich eine besonders starke Bewegung bemerkbar macht, eine Möglichkeit geben sollte, daß sich dieser Wille äußert. Man muß die Dinge praktisch sehen. Dreht

Vors. [Dr.

5) Dok.

Nr. 40.

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alle Ventile ab, so bleibt im Untergrund diese Unruhe, und diese Unruhe ist dann vielleicht viel schlimmer, als wenn sie mit einem Volksbegehren zwar keinen Erfolg, aber einen Kanal hat, zum Ausdruck zu kommen. Es ist für die Erhaltung der Staatswesen, die dadurch angegriffen werden sollen, wahrscheinlich besser, daß man diesen Kanal offen läßt, als daß man ihn verschließt. Es ist das eine Korrektur, die wir immer wieder gemacht haben. Daß man mit Volksbegehren nicht viel erreicht, wissen wir. Aus allen diesen Gründen würde ich es auch für besser halten, wenn wir bei diesem Ventil blieben. Dr. Laforet: Ich bedauere, ich bin nicht in der Lage und berechtigt, den Antrag zurückzuziehen. Aus geschichüichen Gründen möchte ich ihn unter allen Umständen gestellt wissen, selbst wenn er nicht die Mehrheit in diesem Kreis findet. Ich bin der Meinung, daß auch alle Erschwerungen, die Sie vielleicht jetzt noch in den Art. 26 hineinsetzen, eine große Schwierigkeit haben. Das, was im Übergangswege im Hinblick auf die derzeit unhaltbaren Lagen vertreten werden kann, soll nicht grundsätzlich festgelegt werden, damit nicht ein Land als Gliedstaat in seiner Souveränität bedroht wird. Davon ausgehend wird eben der Vorschlag gemacht: Wenn nicht die Verfassung geändert wird, bleibt es beim Gebietsbestand der Länder und deren ausschließlicher Zuständigkeit, über ihren Gebietsbestand zu befinden, mit Ausnahme von bloßen Grenzberichtigungen, durch besonderen Staats vertrag. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich einmal fragen, ob das Wort hierzu noch gewünscht wird. Dr. Eberhard: Ich möchte nur eine Einschaltung von Herrn Geheimrat Laforet aufnehmen: „mit Ausnahme bloßer Grenzberichtigungen." Eine solche Einschaltung haben wir bis jetzt in Art. 26 nicht. Das heißt, auch für Grenzberichtigungen wäre ein Bundesgesetz erforderlich. Das schiene mir ungünstig. Ich glaube wirklich, daß solche Grenzkorrekturen zwischen zwei Ländern allein vereinbart werden könnten. Dr. Laforet: Das ist nebenbei auf Grund meiner langjährigen Ministerialtätigkeit6) von mir hereingekommen. Stellen Sie sich die Lage an irgendeiner Grenze vor. Ich selbst habe einen Amtsbezirk verwaltet, der an einer Dreigrenze liegt: Bayern, Baden, Württemberg. Das ist der Bezirk Ochsenfurt. Derlei Verhältnisse müssen unbedingt einfach und leicht geregelt werden. Es ist theoretisch denkbar, daß die Grenze durch ein Anwesen geht. Nun haben die Herren vom Katasteramt natürlich aus grundsteuerlichen Erwägungen die berechtigte Neigung, daß ein Anwesen tunlichst einem Land angehören soll, so daß also auch neu zu schaffende Plannummern dann dem andern Land zugeeignet werden. Vielleicht nehmen Sie doch die Anregung entgegen, daß Sie die Grenzberichtigungen aus Art. 26 herausnehmen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man könnte sagen „Der Gebietsbestand der Länder kann, soweit es sich nicht um bloße Grenzberichtigungen handelt" etwa in dem Sinne. Dr. Laforet: Nein, Sie müssen es ganz am Schluß sagen: „Auf Grenzberichtigungen findet diese Bestimmung keine Anwendung". man



6) Prof. Dr. Wilhelm Laforet (1877-1959) schen Innenministerium gewesen. 1012

war von

1908-1927 Ministerialrat im

bayeri-

Fünfunddreißigste Sitzung Wirmer: Oder besser:

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man nur

wie es praktisch laufen soll. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Richtig:

Staatsvertrag erfolgen."

werden lediglich durch Staatsversagt „keine Anwendung", weiß man nicht,

„Bloße Grenzberichtigungen können durch

Dr. Eberhard: Ja, zwischen den beteiligten Ländern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Grenzberichtigungen können durch

beteiligten

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„Grenzberichtigungen

trag durchgeführt". Wenn

schen den

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Ländern

Staatsvertrag

zwi-

geregelt werden."

Dr. Laforet: Nein: „werden vorgenommen". Dr. Eberhard: Das wäre ein Antrag des Grundsatzausschusses

an den Hauptausschuß für die dritte Lesung7). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, am Schluß von Art. 26. Dr. Bergsträsser: Wäre es nicht besser, einfach zu sagen: „Auf bloße Grenzberichtigungen findet Art. 26 keine Anwendung"? Dr. Laforet: Wie Sie wollen, das ist ganz gleichgültig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber können wir bei dem Schlußsatz noch reden, wenn wir so weit sind. Wir müssen nun erst zu der Hauptfrage zurückkehren, wie wir zu dem bayerischen Antrag Stellung nehmen wollen. Ich glaube, Sie stellen selbst fest, Herr Kollege Laforet, daß die Stimmung nicht sehr stark dafür ist. Dr. Laforet: Nein, davon bin ich überzeugt. Ich möchte aus geschichüichen Gründen das ruhig abgelehnt wissen. Die Herren werden sich kaum auf unseren Standpunkt stellen können. Aber es ist mir wichtig, daß das im Protokoll festgelegt wird. Heile: Darf ich fragen: Soll das für die spätere Dauer gelten, daß ein Drittel für das Volksbegehren verlangt wird, oder auch für die Übergangszeit? Dr. Eberhard: Nein, für die Übergangszeit, wo wir uns bereits fragten, ob nicht ein Zehntel zuviel ist. Heile: Das ist doch ein unmöglicher Zustand, wenn jetzt diese Länder, die durch Engländer und Amerikaner zusammengeflickt sind, nicht die Möglichkeit haben sollen, die Initiative zu ergreifen. Dr. Laforet: Es kommt ja nachher Art. 138 aa. Das, was ich hier allein für wichtig halte, ist der Dauerzustand nach Vornahme der Gebietsbereinigung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann würden Sie gern eine Abstimmung über diese Frage im Ausschuß sehen. Dr. Bergsträsser: Das ist sehr ungewöhnlich. Wir haben noch nie abgestimmt8). Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir können ja vielleicht feststellen, um Ihren Wünschen entgegenzukommen, wer für Ihren Antrag ist. Ich bitte die Damen und Das ist eine Stimme. Sie seHerren, die dafür sind, die Hand zu erheben. also hen, daß im übrigen keine Stimmung dafür vorhanden ist. Das ist damit ja klar festgestellt, und das genügt Ihnen wohl. —

7) Vgl. Anm. 35. 8) Ganz trifft das nicht zu. In der achten Sitzung des Ausschusses (Dok. Nr. 9, TOP 5) hatte man

bereits einmal ausnahmsweise

abgestimmt.

1013

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das darf ich einmal sagen, da Sie unser VerfahWir haben unsere Aufgabe darin gesehen, die Entscheidungen vorzubereiten, und ren nicht kennen wenn wir verschiedener Meinung waren, haben wir zwei Fassungen vorgelegt, wenn eine stärkere Minderheit vorhanden war das würden wir in diesem Falle natürlich nicht machen können —, um die Entscheidung des Hauptausschusses entsprechend vorzubereiten. Es bleibt dann immer noch die Möglichkeit, diesen Antrag im Hauptausschuß einzubringen. Dr. Laforet: Da muß ich sehen, ob sich das empfiehlt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich für das weitere Verfahren vorschlagen, daß unser Art. 25 noch nicht vollkommen abgeschlossen wir, weil Art. 138 aa worden war, zunächst die bayerischen Vorschläge zu Art. 25 hören, damit wir Art. 25 ganz abschließen und dann zu 26 übergehen können. Dr. Laforet: Art. 26 ist für mich erledigt; denn der will ja für den Dauerzustand ersetzt werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir würden jetzt gern Ihre Vorschläge zu 138 aa9) hö—









ren.

Dr. Laforet: Er betrifft die Neugliederung. Den meinen Sie jetzt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, der soll Art. 25 werden. Dr. Eberhard: Alle Artikel, die das Gebiet betreffen, sollen vorn beisammen sein. Es sind etwa vier Artikel. Dr. Laforet: Da sind die Meinungen verschieden. Was ich gern gehabt hätte, wäre, daß der leitende Gesichtspunkt in 138 aa in den Vordergrund gerückt wird: In längstens drei Jahren ist das Bundesgebiet nach dem Willen der Bevölkerung neu zu gliedern. Das soll entscheidend betont werden. Nach Art. 138 aa wird die Bundesregierung von Amts wegen tätig. Was wir als Gedanken gehabt haben, ist, daß zunächst der Wille der Bevölkerung zum Ausdruck kommen muß und dann die Bundesregierung einzutreten hat. Deshalb haben wir in Abs. 2 auch ein Volksbegehren vorgesehen: Auf Verlangen eines Drittels der zum Bundestag wahlberechtigten Einwohner eines Landes oder eines Teilgebietes hat die Landesregierung den Willen der Bevölkerung durch Volksabstimmung festzustellen. Nun bestimmt ja das Nähere ein Gesetz. Es würde also hier auch eine Regelung für das Volksbegehren notwendig sein. Ein weiterer Gesichtspunkt ist der: Ist nicht auch hier eine qualifizierte Mehrheit erforderlich? Auch das sind reine Erwägungen der Gestaltung, der Zweckmäßigkeit. Wir sind von dem Gedanken ausgegangen: Auf Verlangen eines Drittels der zum Bundestag wahlberechtigten Einwohner eines Landes oder Teilgebietes hat die Landesregierung zunächst den Willen der Bevölkerung durch Volksabstimmung festzustellen. Hat sich bei dieser die Mehrheit der abgegebenen Stimmen für eine Änderung ausgesprochen, so ist der Wille der Bevölkerung auch in dem Lande oder Teilgebiet, mit dem sich ein Land oder Teilgebiet zusammenschließen will, also im Ganzen, durch Volksabstimmung festzustellen. Ergibt sich dabei eine Übereinstimmung, so ist die Neugliederung natürund das ist das Entlich durch den Bund vorzunehmen. Wird abgelehnt —

9) Vorschlag Laforet abgedr. in Anm. 1014

2.

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scheidende —, so kann die Neugliederung durch Bundesgesetz beschlossen werden. Wir meinen aber, ein solches Bundesgesetz müßte der qualifizierten Mehrheit bedürfen, also im Bundestag und im Bundesrat eine qualifizierte Mehrheit haben. Heile: Es soll also über den Willen der Bevölkerung, der bereits festgestellt ist, hinweg bestimmt werden? Dr. Laforet: Die Konsequenz der ersten Flurbereinigung geht auch über den Willen der beteiligten Bevölkerung hinweg. Nur sind diese Sicherungen hier gegeben. Sie müssen sich sehr überlegen, ob Sie bei der Neugliederung, die jetzt erfolgt, nicht einen Ausnahmefall anerkennen, der tatsächlich im Grunde erlaubt, auch gegen den Willen der beteiligten Bevölkerung durch Bundesgesetz eine Entscheidung zu fällen. Andernfalls kann ich mir nicht recht vorstellen, wie Sie zu einer Lösung kommen sollen. Es ist für denjenigen, der von der Staaüichkeit der Länder ausgeht, eine schwere Sache, sich zu entschließen, daß gegen den Willen eines Landes und gegen den Willen der Bevölkerung hier durch Bundesgesetz eine Regelung erfolgen soll. Sie werden sie wohl von Ihrem Standpunkt aus nicht ausschließen wollen. Es wird sich nur darum drehen, ob Sie nicht erhöhte Sicherheiten geben. Wirmer: Darf ich eines sagen: Sie stellen den Willen der Bevölkerung an die Spitze, machen aber seine Äußerung unmöglich, indem Sie beim Volksbegehren ein Drittel verlangen. Dr. Reif: Soweit ich Herrn Dr. Laforet verstanden habe, ist eigentlich der Wille der Bevölkerung nur in der Präambel dieser Regelung gewahrt. Dann kommt einmal das Volksbegehren mit einem Drittel der Bevölkerung. Dr. Laforet: Und dann durch Volksabstimmung feststellen. Dr. Reif: Aber, Verzeihung, ein Drittel der Bevölkerung beim Volksbegehren heißt doch, daß es nie zustande kommt. Wir haben uns schon überlegt, ob bei dem Antrag, den Prof. v. Mangoldt gestellt hatte10), ein Zehntel der Bevölkerung nicht zu hoch wäre. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich zur Aufklärung Herrn Dr. Laforet auf das hinweisen, was wir gestern angenommen haben. Wir haben gestern das Volksbegehren auch in unsere Fassung des Art. 25 eingeschaltet, indem wir vorgesehen haben, daß in allen Gebietsteilen, die ihre Landeszugehörigkeit seit dem 8. Mai 1945 geändert haben, ein Volksbegehren stattfinden kann, aber schon mit einem Zehntel der Stimmberechtigten bei der Einbringung, und zwar mit Rücksicht auf die Flüchtlinge11). Auf dieses Volksbegehren hin muß die Bundesregierung nun in dem Neugliederungsgesetz eine Entscheidung über dieses Teilgebiet treffen, wenn das Volksbegehren durchgeht. Dadurch ist gesichert, daß diese Bevölkerung irgendwie zur Volksabstimmung kommt. Dr. Bergsträsser: Das ist das Initiativrecht. Dr. Laforet: Das ist in unserem Antrag selbstverständlich: mit einem Drittel beantragt. Dann kommt: Der Wille der Bevölkerung muß durch Volksabstimmung festgestellt werden. 10) Zur Diskussion über den Antrag TOP 2.

von v.

Mangoldt

zur

Neugliederung vgl.

Dok Nr. 45,

») Ebenda. 1015

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Wirmer: Aber wollen Sie sich vorstellen, wie Sie ein Drittel auf die Beine bringen. Dr. Reif: Nehmen Sie den Fall Oldenburg mit 40 % Flüchtlingen. Da werden die 30 % errechnet aus der Summe der Alteingesessenen und der dort anwesenden FlüchÜinge. Da man annehmen kann, daß nur die Alteingesessenen an der Regelung interessiert sind, verlangen Sie praktisch, daß 50 bis 55 % der Alteingesessenen die Stimmen für das Volksbegehren aufbringen. Das ist ja eine Forderung, die das praktisch ganz unmöglich macht. Ich bin sogar der Meinung, wir sollten uns doch einmal einen Augenblick überlegen, ob die 10 % nicht zu hoch sind, weil sie praktisch in manchen Ländern beinahe 20 % bedeuten. Man kann darüber sprechen. Aber 33 1/3% bedeuten praktisch mehr als 50%. Wirmer: Das ist, wie ich eben schon sagte, ein Widerspruch zu den eigenen Darlegungen von Herrn Prof. Laforet. Denn der Wille der Bevölkerung soll entscheidend sein, und es wird der Bevölkerung unmöglich gemacht, weil wir ja auch mit der Faulheit der Leute rechnen müssen. Dr. Laforet: Weil die Zahl für das Volksbegehren zu groß wäre? Wirmer: Das dürfen höchstens 10 % sein, nach meiner Meinung noch weniger. Heile: Als wir noch keine Flüchtlinge hatten, sondern nur einheimische Bevölkerung, mit Ausnahme von Beamten, hat Hannover bei der Abstimmung, ob es sich selbständig machen könnte, das erforderliche Drittel für das Volksbegehren nicht aufbringen können, weil der Oberpräsident der damaligen preußischen Provinz12) in seiner diktatorischen Art einfach erklärte: Geht nicht hin zur Wahl; wer hingeht, ist gestempelt. Infolgedessen genügte dieser Terror vollständig, um dieses Drittel zu verhindern. Wo sollen jemals Verhältnisse sein können, daß unter solchen Umständen ein Drittel aufgebracht werden kann? Es heißt also, das Volksbegehren überhaupt unter allen Umständen unmöglich machen, wenn man ein Drittel verlangt. Dr. Bergsträsser: Dann können wir den Satz streichen. Dr. Eberhard: Ich wollte Herrn Dr. Laforet kurz darauf antworten, daß er sagt, es wäre peinlich, gegen den Willen eines Landes vorzugehen. Mir ist das auch in vielen 13) anderen Fällen peinlich. Aber gegen den Willen eines Landes wie Rheinland-Pfalz, das nun nicht irgendwie auf deutschen Wunsch besteht und erst sehr kurzfristig am Leben ist, etwas zu machen, habe ich nicht die Bedenken, die ich in dem Fall hätte, wo etwa gegen den Willen von Bayern als Gesamtheit etwas geschieht. Weil wir so verschiedene Länder von ganz verschiedener Tradition haben, haben wir eben in den Gebietsteilen, wo nach dem 8. Mai 1945 eine Änderung erfolgt ist, diese Erleichterung eingefügt. Wir haben für die übrigen Gebietsteile Deutschlands gar kein Volksbegehren vorgesehen. Ich hatte mich gestern gefragt: Soll man nicht doch für alle Gebietsteile etwas vorsehen, was ja Herr Dr. Laforet auch hier mit dem Drittel tut? Aber ich halte das nicht für so wichtig. Wichtig ist es jetzt für die Neugliederung, nicht für Bremen, Hamburg und Bayern, die ja im Augenblick die einzigen Traditionslän-

12) Vgl. Dok. Nr. 32, Anm. 13) Korrigiert aus „allen". 1016

113.

Fünfunddreißigste Sitzung der sind.

Wichtig

ist

es

27.

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für alles andere Gebiet. Da ist ein Zehntel vielleicht

viel, aber jedenfalls nicht

zu

zu-

wenig.

sagen, Herr Dr. Eberhard, wir sind wir Art. 26 annehmen, haben wir für alle Landesteile auch diese Möglichkeit des Volksbegehrens drin, unter den erschwerten Bedingungen. Es entspricht das genau dem bayerischen Antrag. Auf dieses Drittel hin kann nun die Bundesregierung sagen: Wir machen dies im vereinfachten Verfahren nach Art. 25 und nicht nach Art. 26. Sie hat dann Vors. [Dr.

uns

v.

Mangoldt]: Darf ich dazwischen

ja gestern darüber klar gewesen:

wenn

die Wahl. Dr. Eberhard: Im Grande wird uns also jetzt empfohlen, als erleichtertes Verfahren in die Übergangsbestimmungen zu schreiben, was wir für die Dauer vorgesehen haben, nämlich Mitwirkung der Länder und ein Drittel für das Volksbegehren. Das scheint mir eine zu große Erschwerung für diese Übergangszeit zu sein. Ich würde dem neuen Art. 138 aa, wie er jetzt dasteht, damit es korrekt ist, lieber die Überschrift geben: „Verhinderung der Neugliederung von Ländern." Dr. Laforet: Wir wollen durchaus nicht verkennen, daß die Länder einzubauen sind, Bremen, Hamburg, Bayern und alle die anderen. Was wir überlegt haben, war, jedem Teil das Volksbegehren zu geben und dann die Mehrheit der abgeder abgegebenen Stimmen in der Volksabstimmung entscheiden zu lassen, das nicht dann kommt Gesetz Stimmen. Ist ein des Bundes der Fall, gebenen mit erhöhter Erschwerung. Sind die Beteiligten in den Gebieten einverstanden, dann ist alles glatt. Das einzige, was ich persönlich als Bedenken hätte, ist die Begrenzung auf ein Mindestmaß. Nun ist aber Art. 138 aa eine Übergangserscheinung, und es kommen nur große Gebiete in Betracht. Ich wollte eine ganz strenge Scheidung zwischen dem Dauerzustand mit besonderen Erschwerungen (Wirmer: Den haben wir!) und den Übergangsbestimmungen, bei denen die Verhältnisse erheblich erleichtert sind. (Wirmer: Die haben wir sowieso!) Wesentlich weicht dieser Vorschlag ja hier nicht ab, außer in dem einen Punkt: Das Gesetz bedarf der Annahme im Bundestag mit zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl und der Zustimmung des Bundesrats mit zwei Dritteln der Stimmen. Wirmer: Das ist eine juristische Betrachtungsweise. Aber wenn Sie nicht auf das Drittel eingehen, hat die ganze Sache keinen Zweck. Dr. Laforet: Über dieses Drittel ließe sich doch reden. Ihnen ist das Volksbegehren mit einem Drittel mit Rücksicht auf Schleswig-Holstein usw. zuviel. Ich dachte an Absplitterungen einzelner Teilbezirke, die jetzt in den ersten drei Jahren möglich wären. Die sollen dann doch verhindert werden. Es kann nicht ein Landkreis oder gar eine Gemeinde oder einzelne Gemeinden jetzt diesen Anlaß der Neugliederung von Ländern benutzen, um von einem Gliedstaat in den anderen abzuwandern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das können einzelne Gemeinden nach unserer Fassung auch nicht. Dr. Eberhard: Die Bundesregierung würde in ihr Neugliederungsgesetz hineinschreiben: Der Landkreis soundso behält seine Landeszugehörigkeit X. Dann ist —

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darüber in diesem Teilgebiet abzustimmen. Aber die Abstimmung wird vielfach keine besondere Bedeutung haben. Dr. Laforet: Nehmen Sie das einmal klar. Die Neugliederung soll Länder schaffen. Hier ist nicht an eine Absplitterung gedacht, höchstens daß bei der Gestaltung einige Landkreise da und daher kommen. Dr. Eberhard: Bei der Aufgliederung von Rheinland-Pfalz ist es bei einigen Landkreisen meines Erachtens eine Streitfrage. Heile: Nehmen Sie Lippe-Detmold. Ich habe Monate14) lang fast jeden Tag Deputationen von da bekommen, die protestierten, daß sie, ohne befragt zu werden, nach Rheinland-Westfalen gekommen wären15). Denen muß man doch die Möglichkeit zur Äußerung geben, ob sie das auch wollen, was die Engländer verordnet haben. Sie sind nicht gefragt worden. darin Frau Dr. Weber: Bei reiflicher Überlegung ist das, was Sie vorschlagen trete ich Herrn Eberhard und Herrn Bergsträsser bei —, eine Verhinderung der Neugliederung. In der Weimarer Verfassung war die Lage noch anders. Wenn keine Neugliederung kam, war es nicht tragisch. Jetzt muß aber eine Neugliederung erfolgen, und weil sie erfolgen muß, muß eine Möglichkeit gegeben werden, daß sie erfolgen kann. Das, was Sie einbringen, mag in jeder Beziehung theoretisch-juristisch einwandfrei sein; aber politisch ist es unmöglich, hier zu einem Erfolge zu kommen. Es wird einfach eine Neugliederung, wie wir sie beabsichtigen müssen, verhindert. Dr. Bergsträsser: Wenn Sie die Zweidrittelmehrheit bei der Abstimmung im Bundestag und Bundesrat verlangen, so ist das eine Verschiebung auf den St. Nimmerleinstag. Ich gebe da der Frau Kollegin Weber vollkommen recht. (Dr. Laforet: Glauben Sie das nicht!) Ich glaube es. Über den Glauben können wir ja nicht weiter streiten.— Es ist doch auch so: Wenn nun eine Neugliederung kommt, dann muß dabei die Gelegenheit gegeben werden, daß den wirtschaftlichen Verhältnissen absolut widersprechende Grenzziehungen zwischen den einzelnen Ländern dabei aufgewaschen werden. Ich will Ihnen nur einen Fall sagen. Wir haben jetzt die Sache mit der Zugehörigkeit eines Teils des Landkreises Bergstraße zu Baden oder zu Hessen18). Das ist eine geradezu groteske Grenze. Sie ist auf dieser Karte noch nicht ganz da. Denn zu Hessen gehören das ist auf dieser Karte nicht Hirschhorn17) und Neckarsteinach18). (Dr. Laforet: Die berühmten Enklaven!) —







14) Gestrichen „viele". 15) Zum Anschluß von Lippe-Detmold

an Nordrhein-Westfalen vgl. Peter Hüttenberger: Nordrhein-Westfalen und die Entstehung seiner Parlamentarischen Demokratie 1973, S. 310 ff. Wolfgang Hölscher (Bearb.): Nordrhein-Westfalen. Deutsche Quellen zur Entstehungsgeschichte des Landes 1945/46. Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe Bd. 5. Düsseldorf 1986. 1B) Bergsträsser war Präsident des Regierungsbezirkes Darmstadt gewesen und war über diese Probleme daher bestens informiert. 17) Hirschhorn, Ort am Neckar im Kreis Bergstraße/Hessen. 18) Neckarsteinach, Stadt im Kreis Bergstraße/Hessen.

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Nein, es sind keine Enklaven. Das ist ein abgerundetes Territorium. Nekkarsteinach und Hirschhorn gehören wirtschaftlich absolut zu Heidelberg und sind gebietlich Hessen. Ich will gar nicht von der Stadt Wimpfen19) reden. Wenn übrigens abgestimmt würde und entsprechend Ihrem Zusatz „nach dem Willen der Bevölkerung" die Zustimmung der Bevölkerung unbedingt notwendig wäre, dann würde die ganze Bevölkerung von Wimpfen für Hessen stimmen und wieder zu Hessen wollen, obwohl es 11/2 Zugstunden von dem nächsten hessischen Gebiet wegliegt. Also diesen Willen der Bevölkerung können wir, wenn wir halbwegs aufwaschen wollen, gar nicht hineinbringen. Dann ist die andere Grenze: Weinheim und das Weschnitztal20). Das kann man vielleicht gegeneinander austauschen. Aber daß man die Dinge so läßt, wie sie —

jetzt sind,

ist unmöglich. Dann haben wir die Gemeinde

Viernheim21) nahe bei Mannheim. Die wollte Mannheim. Inzwischen will sie nicht mehr zu Mannheim, weil der Bürgermeister es fertig gebracht hat, eine Reihe von Industrien dort anzusiedeln. Jetzt wollen sie bei Hessen bleiben, einfach deswegen, weil die ausgebombten Industrien von Mannheim zum Teil nach Viernheim gezogen sind und die Arbeiter es viel bequemer haben, wenn sie in Viernheim bleiben und da ihre Arbeit haben. Früher war das eine Industrievorstadt von Mannheim. Wenn wir diese Dinge nicht ein bißchen in Ordnung bringen und immer auf den Willen der einzelnen Bevölkerung etwa in irgendeiner Gemeinde sehen, bringen wir niemals etwas zustande. Deswegen bin ich absolut gegen diese Einschaltung „nach dem Willen der Bevölkerung". Es gibt ja auch schließlich noch Ge1945

zu

samtinteressen. Dr. Laforet: Es wird

das eine bei diesen durchaus beachtenswerten Erwägelassen. Sie wollen auch gegen den Willen der Bevöleine kerung Organisationsänderung durch Bundesgesetz vornehmen? (Dr. Bergsträsser: Jawohl, absolut, aber nur einmalig!) Ohne Volksabstimmung? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Immer mit Volksabstimmung. Dr. Laforet: Ja, die Volksabstimmung geht voraus. Dr. Reif: Nein, sie folgt dann. Dr. Laforet: Ist die Volksabstimmung der entscheidende Faktor? Dr. Bergsträsser: Nicht in jedem Fall. Dr. Laforet: Sehen Sie, das ist der entscheidende Punkt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei Ihnen ist es auch nicht so. Wirmer: Sie haben dann die Zweidrittelmehrheit. Dr. Laforet: Ich habe das deshalb erschwert. Dr. Bergsträsser: Wir wollen das deswegen erleichtern. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir machen eine zweite Volksabstimmung, die über die erste im Gesamtrahmen entscheidet, weil wir sagen: Die Bundesregierung kann nur

gungen außer Betracht

19) Bad Wimpfen gehörte der

an

zu

Württemberg

und fiel erst 1951 durch

Volksabstimmung

wie-

Hessen.

20) Weinheim, Stadt im Rhein-Neckar-Kreis, Württemberg-Baden. 21) Viernheim, seit 1948 Stadt, Kreis Bergstraße/Hessen. 1019

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nicht über einen Volksentscheid entscheiden, sondern da muß das gesamte Volk über das Gesamtgesetz entscheiden. Dr. Bergsträsser: Wir stipulieren dabei die Souveränität des deutschen Volkes, und Sie stipulieren die absolute Souveränität des Teilstücks. (Dr. Laforet: Ja, der Gebietsbevölkerung!) Und was ist dann Gebiet? Dann ist auch wieder die Frage: Ist Gebiet der einzelne Kreis, der sich verändern will, oder ist Gebiet das Land? Wir stipulieren in der ersten Abstimmung die Souveränität der Gebietsbevölkerung im engeren Sinne, und in der zweiten Abstimmung die Souveränität des deutschen Volkes. Dr. Laforet: Das Volk kann also auch gegen den Willen des einzelnen Gebietes eine Verfügung vornehmen? Dr. Bergsträsser: Das nennen wir eben eine Gemeinschaft. Dr. Laforet: Da werden Sie in vielen Teilen schwere Bedenken bekommen. Und das soll nun durch einfaches Bundesgesetz vorgenommen werden? Dr. Bergsträsser: Als einmalige große Neugliederung. Und nachher sind wir bereit, jede Erschwerung, die Sie wollen, bis in die Puppen mitzumachen. (Dr. Eberhard: Auch nicht jede!) Doch, ziemlich viele. Wir haben uns ja schon auf die Erschwerungen geei—

nigt. Dr. Laforet: —

Das ist der Kernpunkt des Ganzen, ob man das mitmachen kann. Wirmer: Herr Professor, ich möchte eines sagen. Obwohl ich hier zum Teil für wenn der Bund Oldenburg stimme und für oldenburgische Belange eintrete, ein Gesetz in diesem Verfahren erläßt und sagt, Oldenburg darf nicht mehr selbständig bleiben, dann muß Oldenburg auch damit einverstanden sein. Ich halte in diesem Falle oldenburgische Wünsche für berechtigt. Aber wenn dann wirklich das Bundesinteresse sagt: Ihr Oldenburger müßt jetzt mit einer anderen Regelung zufrieden sein, dann muß ich auch erklären, daß das richtig ist. Ich will ja mit meinem Antrag22) in Parenthese gesagt lediglich erreichen, —

daß der oldenburgischen, der braunschweigischen Bevölkerung usw. jedenfalls die Möglichkeit ihrer Stimmenabgabe verbleibt. Aber im Gegensatz zu Ihnen ist der Wille der Bevölkerung Oldenburgs und Braunschweigs nicht ausschlaggebend. Er ist maßgeblich, aber nicht ausschlaggebend. Dr. Bergsträsser: Denn sonst würde ja die Minderheit die Mehrheit majorisie—



ren.

Wirmer: Zu dem weiteren, Herr Prof. Dr. Laforet: Ich habe Ihnen gestern meiAntrag gegeben, den ich gestern hier vertreten habe23). Sie haben mir heute morgen gesagt, daß Sie mit diesem Antrag durchaus einverstanden seien. Das verstehe ich nicht. Denn wenn ich hier erreichen will, daß sofort eine nen

Volksabstimmung überhaupt

ohne

Volksbegehren durchgeführt werden soll, und

Sie führen dann eine Grenze von 30 % für ein Volksbegehren ein, dann ist das so weit auseinander, daß ich da kein Einverständnis feststellen kann.

22) Vgl. Dok. Nr. 45, TOP 23) Ebenda. 1020

2.

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Dr. Laforet: Also über die Prozentzahl beim Volksgebehren läßt sich reden, insbesondere wenn Sie in Betracht ziehen, daß bei flüchtlingsdurchtränkten Gebieten die Flüchtlinge an der ganzen Frage nicht dieses Lebensinteresse haben. Dr. Eberhard: Verzeihung, Herr Wirmer möchte überhaupt kein Volksbegehren, weder mit 1/3 noch 1/5 noch der Hälfte der Stimmberechtigten, sondern er möchte, daß unter allen Umständen abgestimmt wird. Dr. Laforet: Damit bin ich ganz einverstanden. Das sind zwei Sachen, die nebeneinander liegen. Er will auch eine Abstimmung in den Gebieten, die durch Anordnung der Besatzungsmacht hier entstanden sind. Er will praktisch, daß eine nach dem 8. Mai 1945 ohne Feststellung des Willens der Bevölkerung verfügte Neugliederung zur Volksabstimmung zu bringen ist, auch soweit Änderungen nicht erfolgen sollen. Er will nur das Volksbegehren auf Änderung weggenommen haben. Das scheint mir vereinbar zu sein. Aber ich gebe zu, daß es natürlich ganz etwas anderes ist, ob man von dem Ausgangspunkt ausgeht: zuerst muß ein ordnungsmäßiges Volksbegehren vorliegen, dann erst wird entschieden. Gegen die Einbeziehung auch in solchen Fällen und bei solchen Tatbeständen, in denen Änderungen nicht erfolgen sollen, habe ich nichts. Dr. Eberhard: Ich möchte ein paar Worte aus Abs. 1 gleich aufnehmen. Wir haben gestern schon darüber gesprochen, ob man dort die Worte „nach dem Willen der Bevölkerung" aufnimmt. Es geht nicht, daß wir schreiben: Das Bundesgebiet ist nach dem Willen der Bevölkerung unter Berücksichtigung der und der Momente neu zu gliedern. Aber ich könnte mir denken, daß es geht, wenn wir den Willen der Bevölkerung als ein zu berücksichtigendes Element neben die vier anderen stellen. Dagegen hätte ich keine Bedenken. Aber das andere geht ja nicht, wie wir gerade in dieser Diskussion wieder gesehen haben, daß denn so wird es jeder auslegen wolwir den Willen aller Teilbevölkerungen len zugrunde legen. Dr. Laforet: Aller derjenigen, die abstimmen. (Dr. Eberhard: Das geht auch nicht!) Sie haben ja noch eine Sicherheit drin, daß, wenn die Bevölkerung aller beteiligten Gebiete nicht zustimmt, dann das Gesetz bei einer erneuten Verabschiedung als Ganzes im gesamten Bundesgebiet zur Abstimmung zu bringen ist. Das ist die Sicherheit, die Sie einbauen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Und das ist eine sehr weitgehende Sicherheit. Dr. Laforet: Also nehmen wir beispielsweise den Fall Hirschhorn24). Das würde bereinigt. Dann würde im gesamten Bunde eine Abstimmung erfolgen, ob Hirschhorn zu Baden oder zu Hessen gehört. Dr. Eberhard: Das würde ein zu großer Apparat sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Während wir nicht glaubten, zu Anfang das entsprechene Interesse des ganzen Volkes voraussetzen zu können, sagen wir uns: Wenn man sich zwei Jahre über die Dinge unterhalten hat, wenn man in den Landes—





24) Hirschhorn

s.

Anm. 17.

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teilen, die ihre Gebietszugehörigkeit verändern, eine Volksabstimmung gemacht hat, wird das schlafende deutsche Volk so aufmerksam geworden sein, daß es nun sere

auch eine

Gesamtentscheidung Auffassung.

über dieses Gesetz treffen kann. Das ist

un-

Dr. Laforet: Es ist aber hier in Abs. 2 vorgesehenDr. Reif: Das bezieht sich auf Art. 26. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Auf 25. Dr. Laforet: Es ist vorgesehen, daß es in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen ist. Das ist auch im

Hirschhorner Fall so. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Im Hirschhorner Fall gibt es eine Volksabstimmung nicht, weil dort nicht die Kreisgröße erreicht ist. Dr. Eberhard: Das ist Sache der kleinen Grenzberichtigungen. Dr. Laforet: Aber es ist auch bei 138 aa eine Begrenzung auf ein kleineres Gebiet nicht gegeben. Sie haben bei 138 aa nicht an die Mindestgröße eines Gebietes angeknüpft. Sie haben nichts drin. Dr. Bergsträsser: Das wollen wir auch nicht drin haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir haben es drin in Art. 26. Dr. Laforet: Da haben Sie es drin, aber nicht bei 138 aa. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art. 26 tritt aber zusammen mit Art. 25 in Kraft. Dr. Laforet: Ja, die Fälle sind eben doch verschieden. Da gehen die Meinungen auseinander. Art. 26 ist Dauer. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Art. 26 kann aber schon zu der Zeit zur Anwendung kommen, zu der die Neugliederung losgeht, und zwar kann jemand schon zu der Zeit, in der die Neugliederung schwebt, das Volksbegehren aus Art. 26 einleiten. Dann kann die Bundesregierung sagen: Schön, das ist eine sehr wichtige Anregung, wir werden das bei der ersten Neugliederung erledigen. Oder die Bundesregierung kann sagen: Nein, das ist eine ausgefallene Angelegenheit, die Frage wird auf dem Wege des Art. 26 erledigt. Sie hat also zwei Möglichkeiten.

Dr. Laforet: Ich habe aber schwere Bedenken, ob Sie dem Weg daß Sie beide Möglichkeiten nebeneinander laufen lassen. Denn

folgen sollen,

es sind ganz verschiedene gesetzgeberische Erwägungen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Warum nicht? Dr. Laforet: Weil in dem einen Fall eine unerläßliche Neugliederung vorgenommen wird, während das andere ein Dauerzustand ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn diese unerläßliche Neugliederung über den Weg des Art. 26 angestoßen wird, entsteht ja gar kein Schaden, und wenn auf dem Wege des Art. 26 in einem besonderen Fall ein Gebietsänderungsbeschluß zustande kommt, dann kann das bei der allgemeinen Neugliederung mitberücksichtigt werden. Auch dann ist es kein Schaden. Dr. Laforet: Ich habe schwere Bedenken, ob das in der Praxis nicht eine Vermischung von zwei grundsätzlich zu trennenden Tatbeständen ist. Wunderlich: Der Herr Kollege Laforet hat schon recht. Er stößt langsam auf den wunden Punkt der Geschichte. Wir waren ursprünglich von einer anderen Voraussetzung ausgegangen. Der Herr Kollege Pfeiffer hat uns gestern bereits

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ausgeführt25), wie im Ländergrenzenausschuß der Versuch gemacht worden ist, festzustellen, welche Probleme überhaupt vorliegen. Er kam dabei zu dem Resultat, daß es etwa 50 verschiedene Probleme wären, bei denen sich Möglich-

keiten nach der einen und nach der anderen Seite

ergeben haben. Von dieser wir im auch zunächst der Grundsatzausschluß Voraussetzung ausgehend, so die daß durch den Meinung, anzugreifen, Frage Bundestag ein Ausschuß für waren

werden soll, der auf Grund des Materials, das den Ministerpräsidenten her vorliegt, feststellen soll, welche Probleme überhaupt gegeben sind, und daß von diesen Problemen aus die Neugliederung dann angefaßt werden soll. Nun ist dann als zweites Problem die Initiative der Bevölkerung hineingekommen, und es ist bis heute nach meinem Gefühl noch nicht restlos geglückt, diese beiden Dinge in vollkommene Übereinstimmung zu bringen. In dieser Divergenz scheint mir unsere ganze Beratung zunächst stekken zu bleiben. Ich möchte doch zu erwägen geben, ob wir nicht wieder auf den Ausgangspunkt zurückgehen wollen, um hier Klarheit zu bekommen. Dr. Bergsträsser: Ich wollte nur noch einmal auf Ihr Bedenken in Bezug auf den Willen der Bevölkerung zurückkommen. Das ist wohl Ihr grundsätzlichstes Bedenken. Sie werden die alte Stadt Wimpfen kennen, die jetzt zu Hessen gehört, aber von Baden verwaltet wird26). Es ist eine Groteske, die wir auch der Militärregierung verdanken. Wenn nun die Bevölkerung von Wimpfen für Hesund nach meiner Orientierung würde das der Fall sein sen stimmt und dann eine Neugliederung käme, würden Sie dafür sein, daß man diesem Gesichtspunkt der Stadt Wimpfen beipflichtet? Ich bin ein Vertreter Hessens, und ich würde nicht dafür sein. Dr. Laforet: Ich würde in einem solchen Fall auch gegen den Willen der Bevölkerung entscheiden, mit qualifizierter Mehrheit.

Ländergrenzenfragen gebildet

von





(Dr. Bergsträsser: Wessen? Der Bevölkerung?) Gegen den Willen der Stadt Wimpfen. Denn wenn Sie einmal hier eine Neugliederung vornehmen, dann stehen Sie vor der entscheidenden Frage: Wollen Sie den Willen der Bevölkerung unter allen Umständen entscheiden lassen, oder wollen Sie über den Kopf der Bevölkerung hinweg ein Bundesgesetz erlassen? Das ist doch die Kernfrage, und ich meine, in der Übergangszeit —

könnte das vertreten werden. Dr. Bergsträsser: Aber wenn Sie das an eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat binden, und wenn das eine Land sich geschädigt fühlt und das andere nicht mag, und das dritte und vierte auch nicht mag, dann kommen wir niemals im Bundesrat zu irgend etwas, wenn wir da eine Zweidrittelmehrheit verlangen. Das ist ja mein Reden. Wenn Sie diesen Mechanismus so erschweren, sagt die hessische Regierung: Die armen Leute wollen doch, also müssen wir gegen das Gesetz im Bundesrat stimmen. Das glaube ich Ihnen aus meiner Kenntnis der Dinge sagen zu können. Ich würde als Minister nicht so stimmen; aber Kabinette nehmen ja solche Haltungen sehr leicht an. Dann kommen wir dazu, daß überhaupt gar nichts fertigzubringen ist.

25) Vgl. Dok Nr. 45, TOP 26) Vgl. Anm. 19.

2.

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Dr. Reif: Ich wollte nur noch einmal zur Orientierung folgendes fragen. Wir haben jetzt hier grundsätzlich drei Wege: Erstens in 138 aa den Auftrag an den Bund zur Neugliederung. Das ist der frühere Art. 25. Wir haben zweitens in dem Art. 138 aa den von Ihnen formulierten Abs. 2. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist nur ein Anstoß für das Handeln der Bundesregierung. Das liegt in dem Rahmen und ist kein neuer Weg. Dr. Reif: Der sich allein auf die nach dem 8. Mai 1945 neu geregelten Fälle bezieht und der in dem neuen Gesetz dann berücksichtigt werden soll. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das fällt aber nicht aus dem Rahmen heraus, weil ja die Neugliederung überhaupt bedeutet, daß dort neu gegliedert werden soll, wo durch das Walten der Besatzungsmacht etwas entstanden ist, was nicht unseren

Auffassungen entspricht. Dr. Reif: Gewiß. Das heißt also nur: Wir schaffen durch dieses zehnprozentige Volksbegehren die Möglichkeit, einen Anstoß für dieses neue Bundesgesetz zu geben. Und dann haben wir drittens die erschwerte Möglichkeit von Art. 26. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist auch wieder nur ein Anstoß, bei dem nun die Bundesregierung frei ist. Sie kann sagen: Diesen Anstoß mache ich mir zunutze, um das gleich bei der Neugliederung aufzunehmen. Sie kann aber auch sagen: Das gehört nicht in die Neugliederung; versucht ihr, das auf dem schwierigeren Wege durchzuführen. Dr. Reif: Nachher ist

es mit Recht außergewöhnlich erschwert. Soweit es vorerfolgt, hat die Bundesregierung die Möglichkeit, es entweder nach 26 gleich zu erledigen, d. h. unter den Erschwerungen von Art. 26, oder sie nimmt

her

in das Gesetz auf. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: So daß der Wille der

es

Umständen

Bevölkerung eben

unter allen

irgendwie berücksichtigt wird.

Dr. Laforet: Ja, jetzt nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es würde das, Herr Wunderlich, doch auch ein Anstoß für den Ausschuß sein. Ich würde weiter der Auffassung sein, wir hätten vorse-

hen können, daß dieser Ausschuß aus Bundesrat und Bundestag zur Vorbereitung der ganzen Angelegenheit zu bilden wäre. Da er aber gestrichen wird, wird diese Sache sowieso von der Bundesregierung bei den beiden Häusern Bundestag und Bundesrat eingebracht werden müssen, und dann kann sie ihren weiteren Gang gehen. Ohne diese Hilfe wird man diese Sache gar nicht machen können. Das bleibt ja offen. Wunderlich: Das Gefährliche daran ist doch folgendes. Wenn ich mir die Problematik des Landes Niedersachsen ansehe, und man läßt nur den Willen der Bevölkerung entscheidend sein, dann kann uns passieren: Oldenburg macht sich selbständig, Braunschweig macht sich selbständig, eine Anzahl Landkreise wollen zu Westfalen, dann sind Bestrebungen in der Wesermarsch da für einen Anschluß nach Bremen, dann sind da ein paar Gebietsteile, die wollen nach Schleswig-Holstein. Was bleibt dann übrig? Ein in keiner Weise lebensfähiges Rumpfgebilde, eine geradezu furchtbar zerfledderte Landkarte. Das ist gerade, was wir alle miteinander nicht wollen. Deshalb muß eine Möglichkeit gegeben sein, auch unter bestimmten Umständen, wenn es das Gesamtinteresse erfordert, den Willen der Bevölkerung zu überwinden. Deshalb können wir den 1024

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Willen der Bevölkerung nicht allein in den Vordergrund stellen. Denn der Wille der Bevölkerung kann auch einmal etwas Unsinniges wollen. Dr. Eberhard: Die Diskussion jetzt führt gar nicht zu etwas Neuem. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich meine auch. Ich würde vorschlagen, daß wir die Diskussion beenden. Wir müssen ja zu einem Schluß kommen. Die Frage, die wenn ich Ihr Einverständnis annehmen darf ist, ob wir im erübrig blieb hinter einschalten wollen „unter Berücksichtigung" sten Absatz noch „des Willens der Bevölkerung". Frau Dr. Weber: Ich habe die Frage, ob man statt 10 % noch einen niedrigeren Prozentsatz nehmen sollte. Dr. Bergsträsser: Das ist für den jetzigen Art. 26. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, das sollten wir dem Hauptausschuß überlassen. Dann kann darüber noch einmal diskutiert werden. Wunderlich: Vertreter von Bremen und Hamburg haben mir gestern gesagt, sie wünschten selbstverständlich eine Sicherung, daß es nicht ein ganzes komplettes Staatsgebiet wie Bremen oder Hamburg gegen den Willen der bremischen und hamburgischen Bevölkerung in ein anderes Staatsgebiet einbezogen werden kann. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Sicherung haben Sie ja, daß das ganze deutsche Volk darüber entscheiden muß. Denn sie werden bei ihrer Volksabstimmung sagen: wir wollen selbständig bleiben. Wenn ihr Gebiet dem anderen zugeschlagen würde, so würde ihre Gebietszugehörigkeit geändert werden. Wenn Hamburg zu Schleswig-Holstein käme, müßte eine Volksabstimmung in Hamburg stattfinden, ob dieses damit einverstanden wäre. Dann würden sie, wenn sie so sicher sind, wie Sie sagen, sicher nein sagen, und dann würde das zur Folge haben, daß nun das ganze deutsche Volk entscheiden müßte, ob Hamburg als Land abgeschafft wird. Und das ist eine Frage, deren Entscheidung wir ruhig dem deutschen Volke überlassen könnten. Dr. Reif: Wie ist der Fall, wenn ein größerer Teil der Bevölkerung von Schleswig-Holstein verlangt, zu Hamburg zu kommen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Aussichten dafür sind sehr gering. Dr. Reif: Muß das Hamburg schlucken? Dr. Eberhard: Der Bundesgesetzgeber kann es Hamburg letzten Endes zudiktie—



ren.

Frau Dr. Weber: Wir sind

ja nicht so verrückt, daß wir so etwas machen würden. Dr. Reif: Aber in dem Falle würde in Hamburg auch eine Abstimmung stattfinden? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es müßte in Hamburg eine Abstimmung stattfinden, weil beide ihre Landeszugehörigkeit ändern würden. Wirmer: Nun zu der Frage, ob wir sagen sollen „nach dem Willen der Bevölkerung". Ich hatte gestern diesen Antrag gestellt27), aber lediglich deswegen, weil und das hatten Sie ja auch zugegeben, aus dem ganzen Zumir sowieso —



27) Antrag Wirmer vgi. Dok. Nr. 45, Anm.

13.

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sammenhang hervorzugehen scheint und auch wirklich hervorgeht, daß der Wille der Bevölkerung einer der maßgeblichen Punkte ist. Ich halte es darum lediglich für eine Klarstellung, daß es auch mit diesen Worten genannt wird. Wenn Sie es nicht hineinsetzen wollen, ist das nicht unbedingt schädlich. Aber ich halte es für zweckmäßig, weil hinterher von Volksabstimmungen die Rede ist, wenn schon vorher das Bildungsprinzip genannt wird. Es ist klarer, wenn es auch erwähnt ist. Durch die Verbindung mit dem Wörtchen „und" ist klargestellt, daß der Wille der Bevölkerung maßgeblich, aber nicht allein entscheidend ist. Dr. Bergsträsser: Ich habe da nur eine gewisse Angst, nämlich die Angst, daß dann aus allgemeinen juristischen Theorien heraus gefolgert wird, daß es gegen den Willen der Bevölkerung überhaupt nicht ginge. (Wirmer: Durch „und" ist das klargestellt!) Ich habe eine große Angst vor juristischen Auslegungen, weil ich nicht Jurist bin. Wirmer: Schreiben Sie „unter Berücksichtigung des Willens." Dr. Reif: Wenn Sie sagen: unter Berücksichtigung des Willens der Bevölkerung und unter Berücksichtigung der anderen Kriterien, ist es gleichgestellt. Dr. Bergsträsser: Der Wille der Bevölkerung wird durch die Volksabstimmung schon eklatant. Wirmer: Es ist lediglich ehrlich, wenn wir oben den Willen der Bevölkerung als eines der Prinzipien erwähnen. Aber ich lege keinen unbedingten Wert darauf. Dr. Reif: Wenn kein besonderer Wert darauf gelegt wird, würde ich bitten, daß wir es streichen. Darüber kann sich ja auch der Hauptausschuß noch schlüssig werden. Dr. Laforet: Im Hauptausschuß bekommen Sie nichts Neues. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich nur für das Protokoll feststellen: Wir sind dann übereingekommen, Art. 25 mit der Einschiebung des Abs. 2 und Änderungen des Abs. 3 so stehenzulassen, wie er vorgesehen ist. Dr. Bergsträsser: Ist dieser Zusatz, der Abs. 2, schon fertig formuliert? Das ist mir nicht ganz in Erinnerung. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, der Abs. 2 war fertig formuliert. Wir hatten gestern die Formulierung des Abs. 2 zu Ende besprochen. Wirmer: Ja, das hatten wir. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Und auch über die Einschaltung in Abs. 2, jetzt Abs. 3, —

waren

wir

zu

Ende gekommen.

Es bleibt dann nur noch eine Frage bestehen. Wenn Sie das hier nach Art. 26 vornehmen, haben Sie die klare Linie verlassen. Art. 26 ist jetzt Dauerzustand. Art. 138 aa ist die in drei Jahren zu betätigende Neugliederung. Jetzt kommt da der Gedanke noch hinein, daß 26 und 138 aa nebeneinander laufen können. Dagegen habe ich schwere Bedenken. Dr. Eberhard: Die Befristung haben wir sowieso. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: 138 aa fällt ja weg. Dafür kommt 25. (Dr. Laforet: Er käme nur davor!) Dr.

Laforet:

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An dieser Stelle ist er uns deshalb wichtig, weil eine der wesentlichen Eigenheiten dieses Bundes oder etwas zu seinem Wesen Gehöriges die Gliederung des Bundes ist, wie er besteht. Diese Gliederung, wie sie jetzt im Bunde besteht, lehnen wir ja ab und sagen, wir bedürfen dringend einer Neugliederung. Deshalb, sagen wir, gehört zum Wesen dieses Bundes nicht nur der Bestand, wie er jetzt in den Ländern niedergelegt ist, sondern die Neugliederung, die sich an diese Stelle setzen wird. Deshalb nehmen wir diesen Art. 25 vor das Gesetz und verbinden ihn mit Art. 26, wo er hingehört. Dr. Laforet: Aber Sie wollen beide Fälle nebeneinander laufen lassen. Dr. Eberhard: Nein, nicht auf die Dauer, der eine ist befristet. Dr. Laforet: Der eine ist auf drei Jahre befristet; aber in den ersten drei Jahren wären beide Wege möglich. Das ist die Konsequenz. Dr. Reif: Wir müßten sonst sagen, daß Art. 26 erst nach drei Jahren in Kraft tritt. Dr. Laforet: Nein, 26 ist die Dauerregelung, und für die Übergangszeit ist bei der Neugliederung von Ländern eine Ausnahme von 26 gegeben. So habe ich es aufgefaßt, und so hat es auch der Redaktionsausschuß aufgefaßt. Die Regelung für die Dauer ist Art. 26. Dr. Eberhard: Aber die Dauer fängt sofort an, und das müssen wir auch machen. Denn wir geben in der Übergangsregelung nur gewissen Gebietsteilen das Recht zum Volksbegehren. Wie Herr v. Mangoldt mit Recht erwähnt hat, ist bei der Dauerregelung ein Drittel immer in der Lage, ein Volksbegehren zu machen. Infolgedessen müssen wir beide Wege am Anfang möglich machen. Dr. Laforet: Die erleichterten Bestimmungen fallen nach drei Jahren weg. Dr. Eberhard: Wobei unter Umständen die Frist von neuem läuft. Falls etwa Mecklenburg dazukommt, muß man eine Chance für Mecklenburg, SchleswigHolstein usw. geben. Dr. Laforet: Darf ich noch fragen: Wollen Sie eine qualifizierte Mehrheit in den verfassungsmäßigen Organen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, dann können wir zur Behandlung von Art. 26 übergehen, damit wir kurz durchgehen, ob wir die Fassung des Redaktionsausschusses28) annehmen wollen oder unsere Fassung, wie wir sie im Hauptausschuß erster Lesung29) angenommen haben. Wir müssen das kurz nebeneinanderstellen. Ich habe die beiden Fassungen hier nebeneinander. Dr. Eberhard: Ich frage, ob die Fassung des Redaktionsausschusses etwas anderes bringt als bisher. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, das ist nichts anderes. In Abs. 1 ist nichts geändert worden. Es heißt: Der Gebietsbestand der Länder kann durch Bundesgesetz geändert werden. Wir hatten seinerzeit noch eine Verweisung auf Art. 25 Abs. 1 drin. Die Grundsätze, die für die erste Neugliederung gelten, müßten meiner Anschauung nach eigentlich auch für die späteren Gebietsänderungen gelten. Also ich komme

2S) Fassung des RedA in Dok. 29) Grundgesetz, Entwürfe, S.

Nr. 40

abgedruckt.

48.

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doch wieder darauf zurück, daß man eigentlich diese Verweisung aufnehmen müßte: „Art. 25 Abs. 1 gilt entsprechend." Dr. Eberhard: Wir haben in unserer Fraktion darüber gesprochen und waren dafür, daß die Verweisung bleibt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also in Art. 26 Abs. 1 in der Fassung des Redaktionsausschusses „Der Gebietsbestand der Länder kann durch Bundesgesetz geändert werden" kommt ein Zusatz „Art. 25 Abs. 1 gilt entsprechend". Das heißt, der Wille der Bevölkerung, die landsmannschaftlichen, geschichtlichen Zusammenhänge usw. sind zu berücksichtigen. Das alles würde damit erfaßt sein. Dann darf ich Einverständnis annehmen, daß wir hinzusetzen: Art. 25 Abs. 1 gilt entsprechend. Es ist nur Abs. 1. Denn unsere ursprünglichen Absätze 1 und 2 waren zusammengezogen. Die Fassung des Hauptausschusses erster Lesung, wenn ich sie einmal hierzu ins Verhältnis setzen darf, sagte in Abs. 2: Wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbezirkes von mindestens der Größe eines Kreises eine Änderung der Landeszugehörigkeit verlangt, so hat die Bundesregierung ein diesem Antrag entsprechendes Gesetz vorzulegen. Das ist genau so erhalten geblieben, nur ist „vorzulegen" durch „einzubringen" ersetzt. Wollen wir das so annehmen? Dr. Eberhard: Der Redaktionsausschuß hat sich offenbar überlegt, daß an allen solchen Stellen immer „einzubringen" gesagt werden soll. Ich würde meinen, wir sollten das dann auch tun. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann hatten wir weiter gesagt: Die Bundesregierung kann ein solches Gesetz auch einbringen, wenn ein

überwiegendes

Bundesinteresse

vorliegt.

Der Redaktionsausschuß hat dafür gesagt: Im übrigen kann ein Gesetz zur Änderung des Gebietsbestandes nur eingebracht werden, wenn ein überwiegendes Bundesinteresse es erfordert. Dr. Eberhard: Dann ist also nicht nur die Bundesregierung diejenige, die einbringen kann. Denn es heißt „kann eingebracht werden". Frau Dr. Weber: Auch vom Bundestag und Bundesrat. Dr. Eberhard: Ja, wieweit ist der Bundesrat dazu in der Lage? Dr. Bergsträsser: Das würde jeden Antrag des Bundesrats ausschließen. Dr. Eberhard: Nein, gerade die Fassung des Redaktionsausschusses macht das

möglich.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Man muß sich das ja praktisch vorstellen. Die Bundesregierung wird das nur in Übereinstimmung mit den gesetzgebenden Körper-

schaften tun. Dr. Eberhard: Ich würde auch die passive Form vorziehen. Dann ist jeder, der ein Gesetz einbringen darf, auch in unserem Fall dazu berechtigt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde es eigentlich nicht erweitern. Dr. Laforet: Aber es kommt auf dasselbe hinaus. Frau Dr. Weber: In einer Demokratie kann eine Bundesregierung eine solche Vorlage nicht einbringen, ohne daß sie sich mit den gesetzgebenden Körper1028

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verständigt. Theoretisch kann sie es, aber praktisch nicht; sie bekommt sonst eine große Opposition30) im Bundestag. Wirmer: Nehmen wir doch die Fassung des Redaktionsausschusses; sie scheint mir richtig zu sein. Schäften

Dr. Eberhard: Warum soll man auch den Gesetzgeber mehr hemmen als in anderen Dingen und vorschreiben, daß nur die Bundesregierung ein Gesetz einbringen darf? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also scheint die Mehrheit der Auffassung des Redaktionsausschusses zu sein. Dann kommt Abs. 3: Stimmen die beteiligten Länder zu, so genügt ein einfaches Bundesgesetz.

Da ist nichts geändert. In Abs. 4 hat der Redaktionsausschuß

nur statt „Zustimmung der Mehrheit der Zahl der Mitglieder der gesetzlichen Körperschaften des Bundes" gesagt „Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags und der Stimmen des Bundesrats". Dr. Eberhard: Das ist die Fassung, wie sie jetzt überall an solchen Stellen eingefügt wird; es ist keine sachliche Änderung. Dr. Laforet: Täuschen Sie sich nicht darüber, was hier möglich ist. Hamburg kommt nicht in Frage. Aber nehmen Sie Bremen. Hier wäre ein Gesetz mögseine Staatlichkeit verDauerzustand, nicht Übergang! lich, daß Bremen mit Mehrheit der abgegebeliert, wenn ein Bundesgesetz in Volksabstimmung nen Stimmen so entschieden hat. Über diese Folgerung müssen Sie sich klar sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Zunächst muß dieses Gesetz die qualifizierte Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat finden. Dr. Laforet: Keine echte qualifizierte Mehrheit, sondern die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl, also die einfache qualifizierte Mehrheit, nicht etwa eine komplizierte qualifizierte Mehrheit wie bei einer Verfassungsänderung. Es kann nur nicht durch Zufallsmehrheit im Bundestag entschieden werden, sondern es muß die Mehrheit der Mitglieder dafür gestimmt haben. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Außerdem muß dann dieses Gesetz in der Volksabstimmung aber mit Ja beantwortet werden. Bremen muß sagen: Ich, die Bevölkerung von Bremen, will meine Selbständigkeit aufgeben. (Dr. Laforet: Wo steht das?) Es ist in diesem Fall in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. Dr. Laforet: Aber der entscheidende Faktor, der gesetzt wird, ist in Abs. 4: „so bedarf das Bundesgesetz der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags und der Stimmen des Bundesrats". Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann kommt dahinter der Satz mit der Volksabstimmung.

gesetzlichen







30) Korrigiert

aus

„Spektakel". 1029

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Laforet: „Das Gesetz ist in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen, bei der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet". Es ist also in Bremen abzustimmen, ob der bremische Staat seine Selbständigkeit verliert. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn die Mehrheit der abgegebenen Stimmen dafür ist, ist alles in Ordnung. Dr. Laforet: Ich mache nur auf die Folgerungen aufmerksam. Also Bremen kann mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen sich selbst aufgeben. Wirmer: Das darf Bayern auch, wird es nur nicht tun. Dr. Bergsträsser: Das Recht muß man ihm doch lassen. Dr. Laforet: Ganz sicher, ich habe keine Erinnerung dagegen. Wenn es klar herausgeholt ist, steht es hier zum mindesten doch für die Mitglieder des Ausschusses fest. Dr. Eberhard: Sonst hat die Volksabstimmung ja gar keinen Sinn. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, die überwiegende Mehrheit ist der Auffassung, daß wir das so annehmen sollten. Es ist in diesem Fall der letzte Halbsatz von unten heraufgezogen. Wir hatten nach den Absätzen 4 und 5 gesagt: Bei den Volksabstimmungen entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Das stand in Abs. 6. Das ist jetzt mit Recht herausgezogen, weil die Frage Also diese Fassung des der Volksabstimmung in Abs. 5 anders geregelt ist. Redaktionsausschusses ist hier diejenige, die wir doch zugrunde legen müßDr.



ten.

Sie sind sich doch darüber einig, daß Sie nicht ein einen sondern ganzen Gliedstaat ändern wollen, wenn die Mehrheit Teilgebiet, der abgegebenen Stimmen so entschieden hat? Wirmer: Nicht wir wollen ändern, sondern das Teilgebiet selbst will es. Frau Dr. Weber: Aber Herr Laforet will die Möglichkeit dazu nicht geben. Dr. Laforet: Nein, ich will nur Klarheit haben, was bestimmt wird. Zunächst bedarf es wohl für dieses Gesetz der Zustimmung der Mehrheit der gesetzgebenden Körperschaften. Ein Bundesgesetz muß vorausgehen. Dann wird dieses Bundesgesetz in Bremen zur Volksabstimmung gebracht, und dann entscheidet Bremen, ob es besteht oder nicht besteht. Das ist doch der Wille. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn vorher das Land Niedersachsen erklärt hat: Bremen wollen wir nicht, dann ist überhaupt nur aus dem Grunde dieses ganze Verfahren von Abs. 4 notwendig. Wenn Bremen und Niedersachsen oder auch nur Niedersachsen erklärt: Bremen wollen wir nicht, dann ist dieses erschwerte Verfahren und die Volksabstimmung notwendig. Das steht darin. Frau Dr. Weber: Haben Sie politische Bedenken? Dr. Laforet: Nein, ich habe nur das Ergebnis klar vor Augen geführt. Die Herren von Bremen und Hamburg haben doch die Sache geprüft und waren damit einverstanden. Dr. Eberhard: Warum sollen sie nicht einverstanden sein? Dr. Laforet: Die Mehrheit der Bremer Bürgerschaft ist es ja, die darüber zu entscheiden hat. Wirmer: Darum brauchen wir uns darüber auch nicht mehr zu unterhalten. Dr. Bergsträsser: Dann ist doch die Sache erledigt. Dr.

Laforet: Nicht wahr,

1030

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Dr. Eberhard: Das wäre keine Vergewaltigung Bremens. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nun käme Abs. 5. Das muß ich ganz klar herausstellen, weil das in der Fassung des Redaktionsausschusses nicht herauskommt. Dr. Laforet: Wollen Sie im Abs. 4 nicht eine qualifizierte Mehrheit? Dr. Eberhard: Diese leicht qualifizierte Mehrheit wollen wir. Es ist eine gewisse

Qualifizierung. Dr. Laforet: Die andere wollen Sie nicht? Dr. Eberhard: Warum sollen wir mehr verlangen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Da diese Fassung so angenommen ist und leicht sich die Möglichkeit ergeben kann, daß ein Antrag im Hauptausschuß erfolgt, über den dort abgestimmt werden kann, sollten wir uns hier nicht lange darüber unterhalten. Denn das ist leicht durch einen Antrag zu ändern. Dr. Eberhard: Ich hoffe, er wird abgelehnt. Denn es sind schon so schrecklich

viele hochqualifizierte Mehrheiten vorgesehen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darf ich nun zu Abs. 5 kommen? Dr. Reif: Darf ich vorher noch eine Frage stellen: An welcher Stelle tritt nun die Volksabstimmung des Gesamtvolkes ein? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hier gar nicht, nur bei der ersten Neugliederung. Dr. Eberhard: Hier handelt es sich nur um Einzelregelungen, keine Gesamtrege-

lung. Dr. Laforet:

Es ist alles

Dauerzustand, Vernichtung eines Landes im Dauerzu-

stand. Dr. Reif: Wenn das Land selbst es will? Frau Dr. Weber: Ich weiß aber, was Sie für Bedenken haben. Sie haben das Bedenken, daß auf diesem Wege Länder verschwinden können. Dr. Laforet: Die Möglichkeit besteht; Sie wollen es ja. Dr. Bergsträsser: Das Recht müssen sie doch haben, daß sie verschwinden wol-

len. Dr. Laforet: Für mich entscheidet das Gebiet und dessen Bevölkerung. Wirmer: Aber ich glaube, wir haben den Sinn des Artikels klargestellt und können zum

nächsten

übergehen.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Abs. 5 ist hereingekommen, weil man sagte: Wenn sich in einem Land ein separatistisches Verlangen entwickelt, dann sollten erschwerte Voraussetzungen gegenüber Abs. 4 gegeben sein. Wenn einmal diese neuen Länder geschaffen sind, so wollen wir gerade unter Bezugnahme auf den zweiten Satz in Art. 25 Abs. 1 nun nicht diese wieder auseinanderbrechen und kleine Gebilde entstehen sehen, die alles in der heutigen Zeit erschweren. Deshalb sollte diese Möglichkeit erschwert werden. Wir haben sie in der Weise erschwert, daß wir gesagt haben, daß der Antrag auf Änderung der Landesda ist an Abs. 2 gedacht durch Volksbegehren gezugehörigkeit, wie er

stellt wird, sofort zur Volksabstimmung zu bringen ist, und nur wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten dem Volksbegehren zustimmt, gilt es hinsichtlich dieser Frage überhaupt als angenommen. Dann erst braucht die Bundesregierung überhaupt zu handeln und ein Gesetz einzubringen. Über dieses Gesetz braucht dann in dem betreffenden Lande aber nicht noch einmal abgestimmt zu werden. —



1031

Nr. 46 Der

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Redaktionsausschuß31) hat gesagt:

Bildung eines neuen Landes kann nur erfolgen, wenn mehr als die wahlberechtigten Bevölkerung des Gebiets, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, es verlangt. Also da verlangt man gleich ein Volksbegehren von mehr als der Hälfte der Bevölkerung. Das ist nach all dem, was wir besprochen haben, eine ganz außerordentliche Erschwerung und eine Änderung, der man meines Erachtens nicht folgen sollte. Dr. Reif: Ich bin der Ansicht, daß die Neubildung von Ländern eine Verfassungsänderung insofern ist, als dadurch der Bundesrat erweitert wird. Es könnte also sehr wohl sein, daß irgendeine politische Partei, die in einem Lande eine große Mehrheit hat, um Einfluß auf den Bundesrat zu gewinnen, jetzt eine Agitation für die Verselbständigung dieses Teiles macht, weil sie sich sagt: Wenn wir in diesem Teil, den wir weitgehend beherrschen, die Regierung stelhaben wir eies muß ja dann eine neue Regierung gebildet werden len nen Sitz im Bundesrat und dgl. mehr. Das könnte zu einer völligen Veränderung der Struktur der Bundesorgane führen. Infolgedessen bin ich der Ansicht, daß tatsächlich die Erschwerung außerordentlich groß sein muß. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sie ist auch hier so vorgesehen. Erstens müssen sie über 33 Prozent Stimmen beim Volksbegehren aufbringen. Dieses Ventil durch Die

Hälfte der





das Volk läßt man ihnen. Dann muß in diesem Gebietsteil sofort eine Volksabstimmung veranstaltet werden, bei der sie die Mehrheit der wahlberechtigten Stimmen aufbringen müssen, nicht der beteiligten Stimmen. Dann erst braucht die Bundesregierung überhaupt etwas zu veranlassen, und dann bedarf das Gesetz, welches nun ergeht, der verfassungsändernden Mehrheit. Denn das ist eine

Dr.

Verfassungsänderung. Reif: Das würde

an

sich genügen. Also können wir

es

bei dem Drittel be-

lassen.

Bergsträsser: Ich würde auch sagen, wir lassen es bei der Fassung des Hauptausschusses. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, und nicht bei dieser abgeänderten Fassung. Es ist vielleicht nur die Frage, ob wir sagen „kann ein neues Land gebildet werden". Aber dann paßt das andere nicht. Wir sollten es ruhig bei der Fassung des Hauptausschusses in der ersten Lesung lassen32). Dr. Eberhard: Es ist noch ein anderer Unterschied, der in der Anmerkung zum Vorschein kommt. Nach der Fassung des Hauptausschusses in der ersten Lesung wäre die Bildung eines neuen Landes wegen überwiegenden Bundesinteresses durch einfaches Bundesgesetz möglich. Darum sollten wir so etwas wie die Fassung „Ein neues Land kann nur gebildet werden, wenn" doch aufnehmen. In Abs. 3 steht, daß das ohne jedes Volksbegehren geht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber nun muß die Zustimmung der beteiligten Länder dazukommen. Glauben Sie, daß jedes Land, das beteiligt ist, zustimmen wird? Dr.

Das steht in Abs. 3.

31) Dok. Nr. 40. 32) Vgl. Anm. 29. 1032

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Dr. Eberhard: Das ist richtig. Dr. Laforet: Ist der Fall des Abs. 5 so herausgeholt, daß er als Sonderfall erscheint, so daß es ohne weiteres hier heißt, daß der Abs. 3 auch für den Fall

Abs. 5

von

Anwendung

findet?

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja. Dr. Laforet: Da setzt ja der Redaktionsausschuß ein. Dr. Eberhard: Sie haben zwei Änderungen vorgenommen. Sie haben gesagt: Ein neues Land kann nur gebildet werden, wenn dies Begehren da ist. Das ist bei uns nicht da. Bei uns ist es möglich auf Grund überwiegenden Bundesinteresses auch aus der Initiative der Bundesregierung heraus. Aber wie Herr v. Mangoldt sagt, ist die Zustimmung der beteiligten Länder notwendig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Weil Abs. 3 sagt, daß die beteiligten Länder zustimmen

müßten. Dr. Eberhard: Da habe ich keine Bedenken. Dr. Laforet: Es wäre vielleicht gut, wenn noch hervorgehoben wird, daß der Abs. 5 nicht einen Sonderfall darstellt, sondern nur insoweit eine Sonderregelung gibt, als ein neues Land in Frage kommt. Dr. Eberhard: Das steht da: Hat das Verlangen die Bildung eines neuen Landes zum Ziele usw. Dr. Laforet: Und daß die übrigen Bestimmungen ohne weiteres gelten. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann können wir doch bei unserem Abs. 5 bleiben. Dr. Eberhard: Da ist die verfassungsändernde Mehrheit notwendig. Dr. Laforet: Und daß keine Volksabstimmung stattfindet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht müßte man noch sagen: Das Bundesgesetz bedarf in diesem Falle zur Annahme der für eine Änderung des Grundgesetzes vorgesehenen Mehrheiten. Dr. Laforet: In diesem Falle wollen Sie ja keine Volksabstimmung. Dr. Eberhard: Die war ja dann vorher. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Eine Volksabstimmung, die sogar die qualifizierte Mehrheit der Wahlberechtigten voraussetzt. Ds geht über das hinaus, was im ersten Fall vorgesehen ist. Frau Dr. Weber: In Abs. 5 steht aber: Eine Volksabstimmung findet nicht statt.

Dr. Eberhard: Keine weitere Volksabstimmung; das wäre ja irrsinnig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Vielleicht können wir weitergehen. Abs. 6 ist in der Fassung des Hauptausschusses in der ersten Lesung

gefallen.

Dafür will das Redaktionskomitee den Absatz einschalten: Bei Streitigkeiten über Vermögensauseinandersetzungen aus Anlaß der Änderung des Gebietsbestandes der Länder entscheidet das Bundesverfas-

sungsgericht. Es ist die Frage, ob man das hier hereinnehmen soll, oder ob man das in 128—1 nehmen soll. Dr. Eberhard: Da steht es doch schon als eines der möglichen Themen des

Bundesverfassungsgerichts. Frau Nadig: Ist dafür nicht immer das Bundesverfassungsgericht zuständig? Dr. Laforet: Ich sehe nicht Abs. 6 in Ihrer alten Fassung. 1033

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, den haben wir hinaufgesetzt in Abs. 4. Art. 128—1 besagt in Ziff. 5: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung aus Anlaß der

Neugliederung

oder der

Änderung

des Gebietsbestandes der Länder. der: Das will offenbar der Redaktionsausschuß da hinten weghaben, darum ist es vorn nötig. Es kommt nun darauf an, wie der Hauptausschuß entscheidet. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Nein, er will es nicht weg haben. Dr. Eberhard: Doch, wenn Sie die Neufassung Seite 108 des neuen Dokumentes33) nehmen, so soll 5 bereits heißen: „in den übrigen in diesem Grundgesetz vorgesehenen Fällen". Da soll gar nicht kommen, was Sie vorgelesen haben. Wenn der Hauptausschuß so entscheidet, muß es vorn natürlich genannt werden. Wirmer: Eine juristische Frage: Es heißt: Über die Vermögensauseinandersetzung entscheidet das Verfassungsgericht. Damit ist klar, daß das Bundesgesetz, das die Neugliederung überhaupt durchführt, die Vorschriften über die Vermögensauseinandersetzung zu treffen hat. Das braucht also nicht extra erwähnt zu werden. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das braucht in 143 f nicht aufgeführt zu werden. Wollen wir es dann vorn drinlassen? Dr. Eberhard: Unter Umständen müssen wir es. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde es für zweckmäßiger halten, wenn die ganzen Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts an einer Stelle stehen, und würde es hier streichen. Ich würde vorschlagen, es hier zu streichen. Die Artikel sind sowieso lang genug, und bei einer Aufzählung schadet es nichts. Dr. Eberhard: Bedeutet es nun einen Unterschied nachher im Verfahren? Dr. Laforet: Nein, bedeutet es gar nicht. Dr. Eberhard: Wenn es hinten steht, heißt das dann nicht, daß die beteiligten Länder ein besonderes Schiedsgericht unter sich vereinbaren können? Dr. Laforet: Das schließt es aus. Darum habe ich das Schiedsgericht hineingeDr. Eberhard: Der Witz ist

nur

setzt.

Der letzte Absatz lautet doch „in allen übrigen Fällen". Sie wollen das grundsätzlich sagen. Da sind noch mehr solche Fälle. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die müßte man doch aufzählen. Dr. Reif: Ich möchte nur nicht, daß einer vergessen wird. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Redaktionskomitee ist nicht immer einheitlich vorgegangen. Bei Art. 44 haben sie gesagt, er soll vorn gestrichen werden und hinten hinkommen. Da ergibt es sich ganz klar. Zu Art. 44 heißt es: „Es empfiehlt sich Streichung des Art. 44 und Aufnahme als Generalklausel in Art. 128—1." Dr. Reif: Dann müssen wir es natürlich einheitlich machen.

Dr.

Reif:

') Welches Dokument hier gemeint 1034

war,

ließ sich nicht ermitteln.

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Laforet: Ich bitte ums Wort. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß Sie jetzt eine Schiedsgerichtsbarkeit ausschließen. Dr. Eberhard: Ich habe da auch Bedenken. Warum soll man es ausschließen, wenn zwei Länder, die beteiligt sind, ein Schiedsgericht zwischen sich vereinbaren wollen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann besteht ja keine Streitigkeit, dann haben sie sich über das Schiedsgericht geeinigt. Eine Streitigkeit tritt nur dann ein, wenn sie keine schiedsgerichtliche Klausel vereinbaren. Dr. Laforet: Das können Sie so nicht sagen. Dr. Bergsträsser: Bei diesen Streitigkeiten müßte doch ein Teil dieses Gericht anrufen, und solange sie es nicht anrufen, können sie doch unter sich jede Regelung verabreden. Dr. Laforet: Eine vertragliche Regelung. Es ist aber die Frage, ob sie eine schiedsgerichtliche Vereinbarung treffen könnten. Dr. Bergsträsser: Im Vertrag kann ja auch stehen: Wir ernennen Herrn Heinrich Müller aus Posemuckel zum Schiedsrichter. Dr. Laforet: Ich mache Sie darauf aufmerksam, das ist durchaus nicht schlüssig. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Diese Frage würde ich in aller Ruhe der Verfassungsentwicklung überlassen. Wir wollen immer zuviel regeln. Dr. Laforet: Ob sich hier nicht eine Schiedsgerichtsklausel empfiehlt? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir müßten dann sagen: Die Vermögensauseinandersetzung kann durch Schiedsgerichtsvertrag geregelt werden. Aber wozu? Dr. Reif: Es könnte höchstens der Fall eintreten, daß irgend jemand die Entscheidung dieses zwischen den Ländern vereinbarten Schiedsgerichts anficht. Nun ist aber, wenn man in einem Abkommen ein Schiedsgericht vorsieht, normalerweise dabei schon vorgesehen, daß die Entscheidung nicht angefochten werden kann. Das ist normalerweise der Charakter des Schiedsgerichts. Also das kommt praktisch nicht vor. Nur wenn kein Schiedsgericht da ist, muß das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Dr. Laforet: Können die Länder vereinbaren: Wir lassen über alle Vermögensauseinandersetzungen ein Schiedsgericht entscheiden? Nicht: wir regeln, sondern: wir vereinbaren eine Entscheidung durch ein Schiedsgericht darüber, was aus dieser vertraglichen Regelung sich ergibt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann ist es ja wunderbar, dann sind sie sich völlig einig, und es liegt keine Streitigkeit vor. Dr. Laforet: Ja, das ist eine Streitigkeit, die aus dem Vollzug des Vertrages sich Dr.

ergibt.

Mangoldt]: Die Streitigkeit ist aber erst gegeben, wenn das Schiedsgericht in Tätigkeit kommt. Die Vereinbarung eines Schiedsgerichts ist keine Streitigkeit, sondern im Gegenteil, sie geschieht in großer Einigkeit. Infolgedessen ist das Bundesverfassungsgericht nicht zuständig. Dr. Laforet: Es soll mich freuen, wenn die Praxis diesen Weg geht; klar ist er Vors. [Dr.

v.

nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich glaube, wir haben auch das genügend daß wir Abs. 6 streichen. Dr. Laforet: Also eine Schiedsgerichtsklausel wird abgelehnt.

geklärt,

so

1035

Nr. 46 Dr. von

Dr. Dr.

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Bergsträsser: Ich würde nicht sagen, sie wird abgelehnt, sondern: sie wird den Nichtjuristen einschließlich einiger Juristen für überflüssig gehalten. Laforet: Ein Schiedsgericht ist zulässig? Eberhard: Und wenn nichts überbleibt an Streitfragen, hat das Bundesver-

nichts zu tun. Dr. Laforet: Kann das erklärt werden, daß ein Schiedsgericht zulässig ist? Dr. Eberhard: Ich finde, das sollte im Plenum gesagt werden. Dr. Reif: Da der Kommentar von Herrn Geh.Rat Laforet der erste ist, der

fassungsgericht

er-

scheint, wird das gleich klargestellt werden.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Bei Abs. 7 hatten wir Das Verfahren regelt ein Gesetz. Der Redaktionsausschuß sagt: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Dabei können wir bleiben?

gesagt:

(Zustimmung.) Es bleibt nun nur noch eine Frage. Das ist die Frage des Art. 143 f. Die haben wir jetzt eigentlich gleichzeitig mit zu entscheiden. Da steht: Hat sich nach dem 8. Mai 1945 bis zum Inkrafttreten dieses Grundgesetzes die Landeszugehörigkeit eines Gebietes geändert, so steht in diesem Gebiet

das Vermögen des Landes, dem das Gebiet angehört hat, dem Land zu, dem es jetzt angehört. Damit wird also doch nicht die Frage der kommenden Neugliederung angegriffen, sondern die der vorher vorgenommenen Gebietsänderungen und das fällt nicht hierunter. Dr. Eberhard: Das gehört aber eigentlich gar nicht in diesen Ausschuß. Wirmer: Es fragt sich: Wenn eine spezielle Regelung für derartige Fälle gefunden werden soll, wie sie bisher etwa in 143 f versucht worden ist, dann gehört das nicht zu unserer Aufgabe. Aber wir im Parlamentarischen Rat ohne Verwaltungsapparat, ohne Kenntnis der einzelnen Dinge, können eine spezielle Regelung, die, auch wenn sie kurz gefaßt ist, doch alle Dinge ergreifen soll, nicht finden. Ich weise nur auf das Gesetz hin, mit dem Oldenburg, Braunschweig und Hannover zu Niedersachsen verbunden wurden34). Da heißt es im Gesetz der Militärregierung ausdrücklich: Die von der gesetzgebenden Körperschaft des Landes Niedersachsen zu erlassende Gesetzgebung soll die Belange der früheren Länder auf bestimmten Gebieten berücksichtigen und soll im Einklang mit diesen Belangen für die Sicherstellung des gesamten Vermögens dieser Länder Sorge tragen. Da ist davon ausgegangen, daß nicht ein grober Übergang des Vermögens erfolgen soll, sondern daß eine schmiegsamere Regelung, eine Berücksichtigung gewisser Dinge erfolgen soll. Darum soll man nach meiner Meinung unter gewissen Richtlinien dem Bundesgesetzgeber allein die Gesetzgebung überlassen. Dann brauchen wir uns hier mit diesen ganzen Fragen überhaupt nicht zu beschäftigen. Dr. Bergsträsser: Auch das könnte man ein Überwälzen der Verantwortung nennen.

55 der britischen Militärregierung vom 1. Nov. 1946, Bildung des Landes Niedersachsens. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, britisches Kontrollgebiet S. 341.

34) VO Nr. 1036

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Wirmer: Nein, wir sind dazu nicht in der Lage. Wir sind nicht Gesetzgeber. Das muß die Bundesregierung machen, die dann das Material haben muß. Wir

können es nicht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur etwas schwierig. Dieser Artikel ist vom Organisationsausschuß aufgestellt worden, und wie er jetzt ist, paßt er nicht ganz in unsere Regelung von Art. 25 und 26 hinein. Er betrifft etwas, was vor unserer Regelung geschah. Deshalb sollten wir jetzt nicht in die Arbeit des Organisationsausschusses hineinwirken. Das hat sich nie bewährt. Sondern wir sollten diese Frage noch einmal beim Organisationsausschuß anhängig machen, und der kann sich unseres Rates bedienen, wenn er will. Das ist eine Regelung, die sich, glaube ich, in diesem Falle empfiehlt. Wir müssen dann noch den Art. 138 c—5 behandeln. Aber dazu müssen wir eine neue Sitzung einberufen, die wir vielleicht heute nachmittag um 16.30 Uhr abhalten können.

(Zustimmung.) Sitzung35).

Ich schließe die

) Die Ergebnisse der 34. und 35. Sitzung zur Frage der Neugliederung des Bundesgebietes und zur Änderung im Gebietsstand der Länder (Art. 25—26) wurden als Drucks. Nr. 555 zusammengefaßt. Diese Drucks, wurde hier als Dok. Nr. 48 gedruckt. 1037

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Nr. 47

Sechsunddreißigste Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 27.

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Z 5/36, Bl. 2-15. Stenogr. Wortprot., undat. und ungez. Kurzprot: Z 12/45, Bl. 4-5. Drucks. Nr. 5821)

Anwesend2) :

CDU/CSU: v. Mangoldt (Vors.), Mayr, Weber SPD: Bergsträsser, Eberhard, Kuhn, Nadig FDP: Reif DP: Heile Stenografischer Dienst: Jonuschat Dauer: 16.43-17.10 Uhr

[1. DISKUSSION DER TAGESORDNUNG] Vors. [Dr.

v.

Mangoldt]:

ginnen.

Meine Damen und Herren! Ich

Wir haben eben darüber

gesprochen,

Frau Dr.

glaube,

Weber, ob

zweckmäßig wäre, die ganze Besprechung von Art. kulturellen Fragen sollen heute im Fünferausschuß

nicht vielleicht

vertagen3). Die Gegenstand der Ver-

138 c—5 zum

es

wir können be-

zu

Es wäre unzweckmäßig, wenn wir uns jetzt, während dort eine Einigung erzielt wird, abmühten, und dann wird es ganz anders. Wir haben sowieso nicht viel zu dem ganzen Art. 138 c—5 zu sagen. Wir haben seinerzeit ausgiebig darüber gesprochen5) und wollen das Ganze nicht noch einmal aufrollen. Wir wissen genau, was jeder auf seiner Seite vertritt, und ich sehe nicht ein, daß wir viel darüber verhandeln müssen.

handlung gemacht werden4).

[2. FREIZÜGIGKEIT (ZU ART. 11)] Dann würde ich

nur folgenden Vorschlag machen. Ich habe seinerzeit im Hauptausschuß ausgeführt, daß ich gewisse Bedenken gegen die augenblickliche Fassung des Art. 11 habe6). Im Art. 11 ist die Freizügigkeit und das Recht,

') Die Zahl 582 handschr. korrigiert aus 562. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Der Artikel betraf die kirchenrechtlichen Bestimmungen in der Fassung des Allgem. RedA vom 16. Dez. 1948 (Drucks. Nr. 374; vgl. Grundgesetz, Entwürfe S. 111). 4) Offizielle Protokolle des Fünferausschusses ließen sich nicht ermitteln. Eine Aufzeichnung von Pfeiffer über die Arbeit dieses Ausschusses am 26. und 27. Jan. 1949, die er unter dem gleichen Datum an Ehard schickte, in: BayHStA, NL Pfeiffer/213. 5) Vgl. Dok. Nr. 38, TOP 3. 6) Zur Fassung von Art. 11 vgl. Dok. Nr. 35; im HptA wurde Art. 11 in 2. Lesung in der 44. Sitzung am 19. Jan. 1949 besprochen. Die Bedenken von v. Mangoldt in: Verhandlungen, S. 573. 1038

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jedem Ort des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, ohne jede Ermächtigung des Gesetzgebers zu irgendwelchen Einschränkungen gean

währleistet. Nun ist mir von sachverständiger Seite gesagt worden, daß schon das Freizügigkeitsgesetz7) gewisse Einschränkungen vorgesehen habe. Wenn aber die Übergangsbestimmungen, die wir vorgesehen haben, daß nämlich die bisher bestehenden Beschränkungen der Freizügigkeit für eine Übergangszeit aufrechterhalten werden, später wegfallen, hat der Gesetzgeber keinerlei Ermächtigung mehr, auf diesem Gebiete der Freizügigkeit das Recht, irgendwo Wohnsitz und Aufenthalt zu nehmen, in irgendeiner Weise einzuschränken. Nun habe ich mir zunächst, weil die ganze Sache zum Teil etwas Geschwätz war, das Freizügigkeitsgesetz vorgenommen und habe dort überhaupt nur die folgenden beiden Einschränkungen des Rechtes, Wohnsitz und Aufenthalt zu

nehmen, gefunden.

Überwachung von straffällig gewordenen Personen und asoziaBettlern und ähnlichen Leuten. Für diese ist in dem Freizügiglen Elementen, daß der Gesetzgeber Aufenthalt und Wohnsitznahme keitsgesetz vorgesehen, für sie regeln können muß. Das scheint mir etwas zu sein, was man durchaus zu erwägen hat. Zweitens: die Personen, die sich nicht selbst unterhalten können. Wer unterstützt werden muß, kann sich nicht den Wohnsitz aussuchen, also etwa die Gemeinde, die ihn am besten unterstützt. Das ist eine Erwägung, die eine große Rolle für den Unterstützungswohnsitz im Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit gespielt hat. Ich glaube, da müssen wir für den Gesetzgeber eine Möglichkeit offenhalten, das auch in Zukunft zu regeln. Die dritte Frage, die mir aufgetaucht ist, die aber hier noch nicht drinsteht, ist folgende. Wenn wir jedermann das Recht geben, seinen Aufenthalt zu nehmen, wo er es wünscht, kann folgender Fall eintreten. Es hat jemand sich die Pest oder Cholera geholt, eine dieser gemeingefährlichen Krankheiten, und er sagt: Es gibt keine Möglichkeit für den Gesetzgeber, mich in meinem Aufenthaltsrecht zu beschränken, und nun schleppt er die Cholera und die Pest ein. Es muß also eine Möglichkeit für den Gesetzgeber geben, diese Verschleppung von Krankheiten zu verhindern. Ich würde darum den weiteren Zusatz vorschlagen: „und zur Bekämpfung von Seuchengefahr" können durch Gesetz Einschränkungen vorgesehen werden. Dr. Reif: Darf ich einmal fragen: Nach welcher Formulierung zitieren Sie Erstens bei der

jetzt?

Vors. [Dr. v. Mangoldtl: Das ist dieses blaue Blatt8). Der Redaktionsausschuß geht darüber weit hinaus. Er geht meiner Anschauung nach in der Einschränkung zu weit. Der Redaktionsausschuß9) will diese Einschränkung vorsehen, wenn dies „zur Abwehr einer schweren Gefährdung der —

das Gesetz Nr. 18 des Alliierten Kontrollrates vom 8. März 1946, das die für Zuzugs- und Abwanderungsbeschränkungen schuf. Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats für Deutschland, S. 117. 8) Was mit einem blauen Blatt gemeint war, ließ sich nicht ermitteln. 9) Vgl. Dok. Nr. 40.

7) Gemeint

war

Grundlage

1039

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öffentlichen Sicherheit" notwendig ist. Das scheint mir Eingriffsmöglichkeiten Freizügigkeit offen zu lassen, die wir nicht vorsehen sollten. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, die Grundrechte möglichst umfangreich zu schützen und die Ermächtigungen an den Gesetzgeber so eng zu halten, wie es irgend möglich ist. Auch im Freizügigkeitsgesetz hat man etwas Derartiges nicht vorgesehen. Das scheint mir zu weit zu gehen; denn damit kann man praktisch alles machen. Heile: Darf ich einmal aus meiner Verwaltungspraxis herundurchdacht aus eine Frage stellen? Sie betrifft die Zigeunerplage. Die Zigeuner berufen sich auch immer auf das Recht der Freizügigkeit. Sie ziehen aber dauernd herum. Kann man den Leuten sagen: Ihr habt kein Recht dazu? Unter dem Militärgesetz10) konnten wir gar nichts machen. Denn die Militärs sagten: Das sind in die





Naziverfolgte. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn sie asoziale Elemente sind, würden wir über die Fassung, die wir vorschlagen, etwas machen können. Aber im übrigen können

wir nichts machen, auch weil wir im Gleichheitssatz ausdrücklich gesagt haben: Wegen seiner Rasse darf niemand benachteiligt werden. die Rasse weiß man gar Heile: Nicht weil sie eine andere Rasse sind nicht sondern weil sie überhaupt nirgendwo bodenständig sind. Bei irgendeinem Dorfbürgermeister haben sie sich eintragen lassen und ziehen dauernd in —

,



der Welt herum. Es sind oft oder meist asoziale Elemente. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Der Gesetzgeber kann also nur für asoziale Elemente solche gesetzliche Beschränkungen der Freizügigkeit vorsehen. Ich glaube, dabei sollte man bleiben, auch gerade wegen des Gleichheitssatzes. Denn dem würde es auch entsprechen: er muß die Grundrechte, wenn er Verschiedenartiges verschieden behandelt, auf alle Fälle berücksichtigen. Er kann niemand auf Grund seiner Rasse etwa nicht gleichmäßig behandeln. Das ist verboten. Es kann niemand wegen seiner Rasse benachteiligt werden. Das würde gegenüber einem Zigeuner auch gelten; eine Einschränkung kann also nur erfolgen, wenn es sich um asoziale Elemente handelt. Wenn einer den Wandertrieb hat, soll man ihn daran nicht hindern. Frau Nadig: An sich ist wohl richtig, man soll ihn nicht hindern, wenn er unter dem Wandertrieb leidet. Aber das Herumziehen der Zigeuner ich sage das auch ins Unreine ist doch etwas, womit sich die Allgemeinheit beschäftigen müßte, wenn man in Norddeutschland beobachtet, wie dieses Umherziehen wieder zugenommen hat. Ich will es nicht auf Zigeuner formuliert wissen. Man sagt vielleicht richtiger: das Umherziehen von asozialen Menschengruppen überhaupt. Da muß die Möglichkeit einer Einschränkung gegeben sein. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur eine Gefahr dabei. Sie können es in einem Gesetz nur generell machen. Wenn Sie das aber generell machen, dann ist die Gefahr, daß der Handwerksbursche auch nicht mehr zum Erlernen des Handwerks überall erscheinen darf. Darin liegt die Gefahr. Es ist der Fortschritt des —



10) Vgl. 1040

Anm. 7.

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19. Jahrhunderts und der Entwicldung gewesen, daß man diese Freizügigkeit gewährt und gewisse Nachteile in Kauf genommen hat. Wir können diesen Schritt meiner Anschauung nach nicht rückgängig machen. Dr. Reif: Wir können nicht alles rückgängig machen, was das 19. Jahrhundet gebracht hat. Eine ganze Menge haben wir ja schon rückgängig gemacht. Frau Nadig: Es muß in einem anderen Gesetz geregelt werden. Dr. Bergsträsser: Es bleibt: asoziale Elemente. Frau Nadig: Unter „asozial" ist das sehr schwer zu fassen, wenn man z. B. die Kesselflickereien sieht. Kuhn: Ich glaube auch, der Begriff des Asozialen trifft hier wirklich nicht zu, auf den Zigeuner bestimmt nicht, und wir können keineswegs Menschen dieser Art von ihrer Lebensweise abbringen. Man könnte sogar sagen: In dem Moment, wo wir sie staatlicherseits seßhaft machen wollen, würden wir sie in ihrer physischen Existenz bedrohen. Denn bekanntlich werden Zigeuner, wenn sie nicht wandern, tuberkulös. Frau Nadig: Aber wir brauchen sie bei uns nicht zu dulden. Kuhn: Da darf ich doch wohl sagen, darüber, inwieweit wir sie hier dulden oder nicht, werden andere Mächte bestimmen. Von Bedeutung könnte sein, daß wir uns ihnen keineswegs so feindlich gegenüberstellen sollen, zumal uns das auch wiederum das Odium aufladen würde, wir wollten wieder die Rasse verfolgen. Insofern sind wir zur Zeit in einer absolut schwierigen Situation. Es wird keinen Polizeigewaltigen geben, der zur Zeit diese Zigeuner sehr bedrängen wird. Die andere Kategorie wären die Leute, die durch Generationen ein sogenanntes Wandergewerbe betreiben. Da liegt es immerhin in der Hand der Behörden, den Wandergewerbeschein zu geben oder zu versagen. Darin haben wir ein Regulierungsmittel. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das haben wir auch hier, indem wir sagen: „Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden". Das steht in Art. 12. Das haben wir offen gehalten. Damit haben wir also sofort eine Möglichkeit einzugreifen, beim Wandergewerbe z. B. durch den Wandergewerbeschein. Ich kann mich nicht dazu entschließen, so weitgehende Ermächtigungen zu geben, wenn ich nicht eine ganz unbedingte Notwendigkeit dafür einsehe. Ich würde die Grundrechte in möglichst weitem Umfange schützen. Das ist gerade der Fortschritt, den wir hier gegenüber den Grundrechten des Jahres 1789 ff. machen und den der Redaktionsausschuß überhaupt nicht gesehen hat, daß wir uns bemühen, die Dinge nicht rein liberalistisch zu sehen und nur die Freiheit in den Vordergrund zu stellen, aber auf der anderen Seite das auch nicht rückgängig zu machen, was das 19. Jahrhundert uns gelehrt hat, nämlich daß man volle Freiheit nicht gewähren kann, vielmehr die Freiheitsrechte sozial gebunden sind. Wir sind uns aber bewußt, daß wir die Ermächtigung für den Gesetzgeber einschränken müssen, und die soziale Gebundenheit darf, damit wir nicht zu der Nazizeit zurückkommen, dem Gesetzgeber nicht die Macht geben, die Freiheit nach jeder Richtung einzuschränken. An dem Prinzip sollten wir festhalten. Das ist das Rechtsstaatprinzip im höchsten Maße. Dr. Bergsträsser: Dadurch kommen die Grundrechte aus dem Charakter der Deklaration heraus in den Charakter von unmittelbar anwendbarem Recht.

1041

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Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das sollten wir uns gerade hier vor Augen halten. Ich bin mir der Gefahr bewußt, aber wir sollten das versuchen. Dr. Bergsträsser: Es wird dadurch natürlich in vielem schlecht lesbar und kasuistisch, weil die Ausnahmen alle kasuistisch sein müssen, da sie eng sein müssen, und deswegen bleibt der Rest weit. Dr. Eberhard: Wird aber hier nicht für die Zukunft allein durch Gesetz, nämlich Art. 138 c—3, eine Einschränkung ermöglicht? Der lautet: Gesetze, welche das Grundrecht der Freizügigkeit einschränken, bleiben bis zu einer Neuregelung durch ein Bundesgesetz zulässig. Da wird ein Bundesgesetz in Aussicht genommen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das Bundesgesetz kann aber nur im Rahmen der Ermächtigung des Art. 11 ergehen. Darum lag in Art. 138 c—3 noch ein Fehler. Wenn der grundlegende Art. 11 überhaupt keine Ermächtigung für den Gesetzgeber vorsieht, kann gar kein Bundesgesetz ergehen, sondern erst, wenn er eine Ermächtigung vorsieht, soweit das überhaupt möglich ist. Denn nach Art. 1 Abs. 3 ist der Gesetzgeber an dieses weite Grundrecht gebunden und kann vielleicht überhaupt kein Gesetz erlassen. Dr. Eberhard: Und Abs. 2 des Redaktionsausschusses11) geht Ihnen zu weit? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, und zwar nach folgenden Richtungen. Einmal heißt es: „zur Abwehr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit". Darunter kann man alles bringen. „Zum Schutze der Jugend" ist aus folgendem Grunde nicht notwendig. Wir haben den Schutz der Jugend bereits in Art. 13 vorgesehen, wo wir auch die Unverletzlichkeit der Wohnung haben. Im Wohnungsrecht können Beschränkungen vorgesehen werden. Das trifft auch auf den Fall zu, wenn ein Jugendlicher zuzieht und seinen Aufenthalt nimmt. Daß die Jugendlichen Freizügigkeit haben müssen, ist einer der Grundsätze, die wir auch, besonders in Art. 12, festgelegt haben, nämlich freie Wahl der Ausbildungsstätte, freie Berufswahl. Damit muß das Recht verbunden sein, frei Aufenthalt zu nehmen. Denn sonst wird die freie Berufswahl unterbunden. Wenn nun einer zuzieht, kann er wieder nach Art. 13 beschränkt werden, wo es so wollen wir sagen statt „im Rahmen der heißt: „auf Grund eines Gesetzes" der Raumnot", „zur Verhütung dringender „zur Behebung Rechtsordnung", Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung". Da haben wir eine sehr —



weitgehende Ermächtigung.

Außerdem ist bei der Jugend noch die Frage : Die Jugend fällt auch unter die ersten Worte unserer Beschränkung. Wenn wir hier sagen „für Personen, die sich nicht selbst zu unterhalten vermögen", so fällt sie auch weitgehend darunter. Dr. Bergsträsser: Wenigstens die Jugend, die noch nicht voll berufstätig ist. Der Lehrling fällt noch darunter; der junge Geselle fällt nicht mehr darunter. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Und bei Seuchen ist es unbedingt notwendig. Das haben wir drin. Dr. Reif: Das müssen wir dann in den Abänderungsvorschlag noch hineinbringen.

«) Vgl. Dok. Nr. 1042

40.

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Mangoldt]:

Da habe ich vorgeschlagen, wir wollen das „und" vor streichen und dahinter sagen vor „können" : „und zur Bekämpfung von Seuchengefahr". Diese Ermächtigung an den Gesetzgeber war die Krux unserer ganzen Arbeit, und eigentlich müssen wir, nachdem wir die ganze Kritik sehen, am Ende sagen, wir haben doch ein halbwegs reines Gewissen, glaube ich. Wir müssen abwarten, wie sich das bewährt; aber der Versuch muß gemacht werden. Dr. Bergsträsser: Natürlich, es kommt jetzt auf die Auslegung durch die GerichVors. [Dr.

„zur

v.

Überwachung"





te an.

Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Und man muß hoffen, daß sich da die Vernunft durchsetzt, und wenn sie sich nicht durchsetzt, muß es unter dem Zwang der Verhältnisse geändert werden. Dr. Bergsträsser: Ich habe auch in diesem Fall wenig Hoffnung auf die Vernunft. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Aber sie glauben doch auch, daß man den Versuch machen soll? Dr. Bergsträsser: Unbedingt. Damit wird der Weg weiter gegangen, den wir z. B. schon in der hessischen Verfassung gegangen sind, wo wir auch die Grundrechte für unmittelbar anwendbares Recht erklärt haben, aber damals nicht so genau arbeiteten. Wir haben damals eine Verfassung in zwei Monaten gemacht. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann darf ich annehmen, daß darüber Einverständnis ist. Dr. Eberhard: „Asoziale Elemente" ist kein schönes Wort. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Darüber haben wir uns auch unterhalten. Frau Dr. Weber: Ist „Personen" nicht besser als „Elemente"? Dr. Eberhard: „Straffällig gewordene oder asoziale Personen." „Elemente"

nicht gut. Dr.

geht

Bergsträsser: „Straffällig gewordene Personen oder andere Asoziale"

großgeschrieben, als Standesbezeichnung Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Also „Zur Überwachung straffällig gewordener



—.

Persooder anderer Asozialer". Dr. Eberhard: Aber ist jede straffällig gewordene Person asozial? Kuhn: „Andere" müßte man streichen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: „Zur Überwachung straffälliger Personen und Asozialer". Dr. Eberhard: Manche fallen natürlich unter beide Kategorien. Heile: „Straffällig gewordener und asozialer Personen." Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Es ist nur, daß wir einen Vorschlag haben. Dr. Reif: Es kann sich bei den straffällig gewordenen Personen auch nur um ganz bestimmte Gruppen handeln. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist ja Aufgabe des Gesetzgebers. Wir wollen dem Gesetzgeber nur eine allgemeine Ermächtigung geben, und der Gesetzgeber muß seine Vernunft anwenden, um ein Gesetz zu machen, welches die straffällig gewordenen Personen richtig erfaßt. Diese Aufgabe können wir hier nicht leisten. Wir können nur allgemein sagen: Du darfst auf dem Gebiet eine Regelung treffen. Sonst müßten wir viel zu umfangreiche Vorschriften machen. nen

1043

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Ich habe nur diesen Abänderungsvorschlag, den wir hier haben. Er ist inzwischen sehr viel umfangreicher geworden. Ich bitte, nur diese eine Ziffer daraus zu entnehmen. Es haben sich auch einige andere Dinge geändert. Es ist nur ein Anhaltspunkt, wie wir die Angelegenheit behandeln. Wir haben es jetzt auch getrennt in sachliche Änderungen und redaktionelle Änderungen, so daß Sie wir haben es jetzt bis Art. 44 durch die Vorschläge bekünftig von uns kommen können, so daß man vor dem Hauptausschuß genau weiß, was die einzelnen wollen. Das ist das Wichtige, damit man sich auch dazu äußern kann. Kuhn: Der Redaktionsausschuß hat in seiner Begründung zu der Einschränkung „zur Abwehr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" angeführt, daß gegebenenfalls Naturkatastrophen Anlaß gäben, hier die Freizügigkeit einzuschränken. Wie stehen Sie dazu, Herr Professor? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ich würde sagen: Bei einer Naturkatastrophe kann sich ergeben, daß die Häuser zusammenfallen. Nun dreht es sich darum, daß dann nicht jemand das Recht haben soll, zuzuziehen. Hier würde ich es darauf ankommen lassen. Ich würde hier nicht durch den Gesetzgeber oder durch die Verwaltung eingreifen wollen. Ich würde sagen: Wenn einer etwa als Gewerbetreibender aus diesem Trümmerhaufen etwas machen will und eine Möglichkeit dazu sieht, dann mag er es ruhig tun. Dr. Bergsträsser: Es geschieht immer auf eigene Gefahr. Kuhn: Die Frage ist: Es könnte ja eine Zeitlang der Zuzug überhaupt gesperrt werden, um das noch verbliebene Eigentum der anderen sicherzustellen. Das haben wir schon alles einmal erlebt. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Das ist eine ganz einfache Sache. Das ergibt sich aus dem polizeilichen Gewohnheitsrecht. Wenn eine solche Naturkatastrophe eintritt, dann kann die Polizei zunächst absperren, um zu verhindern, daß gestohlen wird. Im übrigen setzt die Möglichkeit, den Aufenthalt frei zu nehmen, ja voraus, daß ich eine Unterkunft finde. Die Polizei kann auch verhindern, daß jemand auf der Straße herumliegt. Kuhn: Auf der anderen Seite spricht hier der eine Gedanke dafür, daß man eine planmäßige Einweisung der dadurch Betroffenen vornehmen kann, die man in dem Augenblick aber nicht vornehmen könnte, wenn hier keine gesetzlichen Möglichkeiten gegeben sind. Frau Dr. Weber: Ist das nicht der sogenannte Notstand? Ist die Katastrophe als Notstand hereingekommen? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Hier ist vom Notstand nicht die Rede. Frau Dr. Weber: Ich meine, es gibt einen Notstand wegen der Naturkatastrophen, wo das ohne weiteres geschehen kann. Das ist ein polizeilich festgestellter Notstand, wo die Bevölkerung bei Feuersgefahr und Wassersgefahr denken Sie an Gegenden, wo feuerspeiende Berge sind, die es allerdings bei uns nicht gibt einfach gezwungen werden kann, zu räumen. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Die Räumung ist ja in der Unverletzlichkeit der Wohnung vorgesehen. Wenn der Betreffende hinkommt, und es ist kein Raum für ihn da, kann die Verwaltungsbehörde auf Grund der Ermächtigung, die in Art. 13 gegeben ist, eingreifen. Da heißt es: Zur Behebung der Raumnot können je—







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derzeit Gesetze erlassen werden. Auf Grund dieser Gesetze kann die Verwaltung jederzeit Einschränkungen vornehmen. Erscheint jemand, um auf Grund seines Rechtes Aufenthalt zu nehmen, so kann die Polizei auf Grund der Gesetze sagen: Eine Wohnung bekommst du nicht. Damit ist er in seinem Recht, Aufenthalt zu nehmen, überhaupt beschränkt. Er kann gar keinen Aufenthalt nehmen, weil er keine Möglichkeit hat unterzukommen. Wo die erste Voraussetzung nicht gegeben ist, fällt das Recht, frei Aufenthalt zu nehmen, aus tatsächlichen Gründen weg. Also das würde ich darauf ankommen lassen. Ich glaube, daß man sich da behelfen kann und daß auch die Verwaltungsbehörden keine Bedenken haben werden, in solchen Fällen regelnd einzugreifen. Dann wollen wir abwarten, ob man sagt, diese Regelung entweder über Art. 11 oder über Art. 13 reicht nicht aus. Ich möchte nur ungern diese weite Formulierung. Es kann das alles umstritten sein. Aber ich glaube, man muß gewisse Dinge auch mit etwas Mut der Entwicklung überlassen. Die andere Gefahr ist viel größer, daß wir dem Gesetzgeber zuviel Ermächtigungen geben und daß wir dadurch tatsächlich das, was wir im ersten Satze geben, im zweiten Satze aufheben. Darüber waren wir uns klar. Dr. Bergsträsser: Weil bei uns nicht eine Tradition der Grundrechte besteht wie etwa in England, wo die Habeas-Corpus-Akte12) doch in das Bewußtsein jedes

Engländers übergegangen ist. Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Sind

dann noch weitere Fragen, oder können wir das vorsehen? Dr. Reif: Dann sind wir mit Art. 11 fertig? Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Ja, mit II13). Im Augenblick hätte ich nichts Weiteres. Dann darf ich die Sitzung schließen. dann

so

12) Die „Habeas-Corpus-Akte" war ein grundlegendes englisches Gesetz von 1679 zum Schutze der persönlichen Freiheit, wonach kein englischer Untertan ohne richterliche

Überprüfung und Anordnung in Haft genommen und in Haft gehalten werden darf.

13) Das Ergebnis dieser Sitzung wurde als Drucks. Nr. 556 vervielf. : „Der Ausschuß hat in seiner 36. Sitzung am 27. Jan. 1949 beschlossen in Artikel 11 (Freizügigkeit) folgenden Absatz 2 einzufügen: (2) Für Personen, die sich nicht selbst zu unterhalten vermögen, zur

Überwachung straffällig gewordener Personen und Asozialer und zur Bekämpfung von Seuchengefahr können durch

Gesetz

Einschränkungen vorgesehen werden."

1045

Nr. 48

Neugliederung

des

Bundesgebietes,

Art. 25—26

Nr. 48

Neugliederung des Bundesgebietes, Änderung im Gebietsbestand der Länder (Art. 25—26), Vorschläge des Ausschusses für Grundsatzfragen für die dritte Lesung des Hauptausschusses [27. Januar 1949] Z 5/131, Bl. 171.

Ungez. und undat., als Drucks. Nr.

555 vervielf. Ausf.

Sitzung am 26. und 27. 1. 49 folgende ÄnHauptausschuß beschlossen: Lesung

Der Ausschuß hat in der 34. und 35.

derungsvorschläge

für die 3.

im

a) den Artikel 138 aa (Zählung der 2. Lesung des Hauptausschusses) wieder in den Abschnitt II „Allgemeine Bestimmungen" als Artikel 25 zu übernehmen,

b)

in Artikel 25 (bisher Artikel 138 aa) folgenden Absatz 2 einzufügen: In Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945

(2) ohne

Volksabstimmung

ihre

Landeszugehörigkeit geändert haben, kann

binnen

eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden. Das Volksbegehren bedarf der Zustimmung eines Zehntels der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung. Kommt das Volksbegehren zustande, so hat die Bundesregierung in dem Gesetz über die Neugliederung eine

Bestimmung über die Landeszugehörigkeit des Gebietsteiles

zu

treffen.

in Absatz 3 (bisher Absatz 2) hinter den Worten „geändert werden soll", einzufügen: „Im Falle des Absatzes 2 auch in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit nicht geändert werden soll", Artikel 25 in der vom Ausschuß für Grundsatzfragen vorgeschlagenen Fassung lautet demnach wie folgt: „(1) Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. (2) In Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit geändert haben, kann binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden. Das Volksbegehren bedarf der Zustimmung eines Zehntels der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung. Kommt das Volksbegehren zustande, so hat die Bundesregierung in dem Gesetz über die Neugliederung eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit des Gebietsteiles zu tref-

c)

fen.

(3) Das Gesetz ist nach seinem Zustandekommen in den Gebieten, deren Lan-

deszugehörigkeit geändert werden soll, im Falle des Absatzes 2 auch in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit nicht geändert werden soll, zur Volksabstim1046

Neugliederung

des

Bundesgebietes, Art.

25—26

Nr. 48

In jedem Gebiet wird dabei nur über den Teil abgestimmt, Gebiet betrifft. der dieses (4) Das Gesetz ist angenommen, wenn die Bevölkerung aller beteiligten Gebiete zustimmt. Stimmt ihm die Bevölkerung nicht in allen beteiligten Gebieten zu, so ist es erneut bei dem Bundestag einzubringen. Nach erneuter Verabschiedung ist es als Ganzes im gesamten Bundesgebiet zur Volksabstimmung zu brinmung

zu

bringen.

gen.

(5) Bei einer Volksabstimmung nach Absatz 2 oder 3 entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. (6) Bei Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung aus Anlaß der Neugliederung des Bundesgebietes entscheidet das Bundesverfassungsgericht. (7) Das Verfahren regelt ein Bundesgesetz, das von der Bundesregierung sofort nach Antritt ihres Amtes vorzulegen ist. Sie hat auch unverzüglich nach Übernahme ihres Amtes oder nach Aufnahme eines neuen Landes die Neugliederung einzuleiten. (8) Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren nach Verkündung des Grundgesetzes und falls sie als Folge des Beitritts eines anderen Teiles von Deutschland notwendig wird, innerhalb von zwei Jahren nach dem Beitritt durchgeführt werden." Für Artikel 26 schlägt der Ausschuß unter Berücksichtigung der Abänderungsvorschläge des Allg. Red. Aussch. folgende Fassung vor: Artikel 26 „(1J Der Gebietsbestand der Länder kann durch Bundesgesetz geändert werden. Artikel 25 Absatz 1 gilt entsprechend. (2) Wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbezirks von mindestens der Größe eines Kreises eine Änderung der Landeszugehörigkeit verlangt, so hat die Bundesregierung ein diesem Antrag entsprechendes Gesetz einzubringen. Im übrigen kann ein Gesetz zur Änderung des Gebietsbestandes nur eingebracht werden, wenn ein überwiegendes Bundesinteresse es erfordert. (3) Stimmen die beteiligten Länder zu, so genügt ein einfaches Bundesgesetz. (4) Stimmen die beteiligten Länder oder eines von ihnen nicht zu, so bedarf das Bundesgesetz der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags und der Stimmen des Bundesrats. Das Gesetz ist in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen, bei der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. (5) Hat das Verlangen der Bevölkerung auf Änderung der Landeszugehörigkeit gemäß Absatz 2 die Bildung eines neuen Landes zum Ziel, so ist dieser Antrag zunächst in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. Der Antrag gilt als angenommen, wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten ihm zustimmt. Das Bundesgesetz bedarf in diesem Falle zur Annahme der für eine Änderung des Grundgesetzes vorgesehenen Mehrheit. Eine weitere Volksabstimmung findet nicht statt. (6) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. (7) Bloße Grenzberichtigungen werden durch Staatsvertrag zwischen den beteiligten Ländern vorgenommen." 1047

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN

A.

Abdr. ACDP AfG

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Anm.

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Ausf.

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BayHStA

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Kurzprot.

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LHA LRGS NL Nr.

Bl. Pari. Rat o.

Prot.

RedA RGBl.

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Auflage

Abdruck Archiv für Christlich-Demokratische Politik Ausschuß für Grundsatzfragen

Anmerkungen Ausfertigung Bayerisches Hauptstaatsarchiv

Band Bundeskanzler-Adenauer-Haus Blatt

Bundesverfassungsgericht Chiemseer Entwurf Dokument Drucksache Evangelische Kirche in Deutschland

Friedrich-Ebert-Stiftung Gesetzessammlung (Preußische) handschriftlich

Hauptausschuß Herausgeber Hauptstaatsarchiv Institut für Zeitgeschichte Jahrgang Kurzprotokoll Landeshauptarchiv (Sammlung der) Länderratsgesetze Nachlaß Nummer ohne Blattzählung Parlamentarischer Rat Protokoll Redaktionsausschuß

=

Reichsgesetzblatt

S.

=

Seite

s. o.

=

siehe oben

SBZ StBKAH stellv.

stenogr.

=

=

Sowjetische Besatzungszone Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus

=

stellvertretender

=

stenografisch 1049

Verzeichnis der StGB TO TOP UB UN

Abkürzungen =

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undat.

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ungez.

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Vervielf. VfZ

vgl.

VN Vors.

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Universitätsbibliothek United Nations undatiert

ungezeichnet Vervielfältigung, vervielfältigt Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte vergleiche

=

Vereinte Nationen

=

Vorsitzender

Wortprot.

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WRV

=

Ziff.

=

1050

Strafgesetzbuch Tagesordnung Tagesordnungspunkt

Wortprotokoll Weimarer Reichsverfassung Ziffer

VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN

QUELLEN

Bundesarchiv, Koblenz Parlamentarischer Rat (Z 5) Büro der Ministerpräsidenten des amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebietes (Z 12) Deutsches Büro für Friedensfragen (Z 35) Office of Military Government OMGUS (Z 45 F) NL Brockmann NL Heile NL Heuss NL Kaiser NL v. Mangoldt NL Thoma

Bundesverfassungsgericht Karlsruhe, Bibliothek (BVerfG) Kurzprotokolle des Ausschusses für Grundsatzfragen (aus Dr. Hermann von Mangoldt) (Z 150/1, 4)

dem Besitz

von

Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bonn (PA) Parlamentarischer Rat (Bestand 5)

Landeshauptarchiv Koblenz (LHA) Nachlaß Adolf Süsterhenn

Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA) Nachlaß Anton Pfeiffer Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel 4 Nds. Bezirksregierung Braunschweig Universitätsbibliothek Marburg (UB) Nachlaß Ludwig Bergsträsser Institut für

Zeitgeschichte (IfZ)

Nachlaß Walter Strauß (ED 94)

Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad

Honnef Rhöndorf (BKAH)

Nachlaß Konrad Adenauer 1051

Verzeichnis der

ungedruckten Quellen

Archiv für Christlich-Demokratische Politik der

Augustin (ACDP) Nachlaß

Theophil

Kaufmann

Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der Nachlaß Carlo Schmidt

1052

Konrad-Adenauer-Stiftung.

sozialen Demokratie (FESt)

St.

VERZEICHNIS DER GEDRUCKTEN

1.

QUELLEN

UND DER LITERATUR

DOKUMENTATIONEN, DOKUMENTENSAMMLUNGEN

zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949. Herausgegeben von Bundesarchiv und Institut für Zeitgeschichte. (Zitiert: Akten zur Vorgeschichte Bd. 1 ff.) Bd. 1: Sept. 1945-Dez. 1946 bearb. von Walter Vogel und Christoph

Akten

Weisz. München, Wien 1976.

Bd. 2: Jan.—Juni 1947 bearb. von Wolfram Werner. München, Wien 1979. Bd. 3: Juni—Dez. 1947 bearb. von Günter Plum. München, Wien 1982. Bd. 4: Jan.—Dez. 1948 bearb. von Christoph Weisz, Hans-Dieter Kreikamp und Bernd Steger. München, Wien 1983. Bd. 5: Jan.—Sept. 1949 bearb. von Hans-Dieter Kreikamp. München, Wien 1981. Benz, Wolfgang (Hrsg.): „Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen." Zur Geschichte des Grundgesetzes. Entwürfe und Diskussionen 1941—1949. München 1979. (Zitiert: W. Benz: Zur Geschichte des Grundgesetzes). Senat von Berlin (Hrsg.): Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung 1946- 1948. Berlin 1959. Brammer, Peter: Quellen zur Geschichte von Rheinland-Pfalz während der französischen Besatzung März 1945-August 1949. Mainz 1985. VeröffenÜichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz Bd. 6. Bucher, Peter (Hrsg.): Adolf Süsterhenn. Schriften zum Natur-, Staats- und Ver-

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Verzeichnis der Bd. 1:

gedmcken Quellen und

Vorgeschichte. Bearb.

1975. Bd. 2: Der

Verfassungskonvent

cher. Boppard 1981. Bd. 3: Ausschuß für ner.

Boppard

von

Johannes Volker Wagner. Boppard

auf Herrenchiemsee. Bearb.

Zuständigkeitsabgrenzung.

Bearb.

von

von

Peter Bu-

Wolfram Wer-

1986.

Bd. 4: Ausschuß für das

Boppard

der Literatur

Besatzungsstatut. Bearb.

von

Wolfram Werner.

1988.

Parlamentarischer Rat.

Grundgesetz

für die

Bundesrepublik Deutschland (Ent-

würfe). Formulierungen der Fachausschüsse, des Allgemeinen Redaktionsausschusses, des Hauptausschusses und des Plenums. Bonn 1948/49. (Zitiert: Entwürfe) Parlamentarischer Rat. 1948/49.

Stenographische

Berichte über die

(Zitiert: Sten. Berichte).

Parlamentarischer Rat.

Plenarsitzungen.

Verhandlungen des Hauptausschusses.

Bonn

Bonn 1948/49.

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2. AMTS- UND

GESETZBLÄTTER

Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats in Deutschland Amtsblatt der Militärregierung für Deutschland, Amerikanisches Kontrollgebiet Amtsblatt der Militärregierung für Deutschland, Britisches Kontrollgebiet Bayerisches Gesetz und Verordnungsblatt Gesetz-Sammlung für die Preußischen Staaten

Reichsgesetzblatt Sammlung der Länderratsgesetzgebung 1054

Verzeichnis der

gedrucken Quellen und

der Literatur

3. MEMOIREN UND DARSTELLUNGEN

Abraham, Hans J. [. .] (Hrsg.): Kommentar zum Bonner Grundgesetz. Loseblattsammlung in neun Ordnern. [„Bonner Kommentar"]. Hamburg .

1950 ff.

Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945—1953. Stuttgart 1965. Altrichter, Helmut: Die verhinderte Neuordnung? Sozialisierungsforderungen

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1055

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Golay, John Ford: The founding 1958.

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1056

Verzeichnis der

gedrucken Quellen und

der Literatur

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Germany.

Mangoldt,



1959

Bd. 4: Die Grundrechte und institutionelle Garantien. Teil 1 1960, Teil 2 1962.

Niclauß, Karlheinz: Demokratiegründung

in Westdeutschland. Die Entstehung der Bundesrepublik 1945-1949. München 1974. Otto, Volker: Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Düsseldorf 1971. Der Parlamentarische Rat 1. September 1948—23. Mai 1949. Eine Ausstellung des Bundesarchivs. Koblenz 1988. 1057

Verzeichnis der

gedrucken Quellen und

der Literatur

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Jhrg, Heft





1058

PERSONENINDEX

Adenauer, Konrad, 513, 952 Altmeier, Peter

Dr.

XXV, XXXV, XLIV,

351 f.

Aretin, Erwein, Freiherr von

Arndt, Adolf

519

766

Axt, Verfasser einer

Eingabe

476

Beyerle, Konrad

449, 454, 459, 461-467, 470, 477, 485-488, 491 f., 494, 496, 499-501, 504, 514, 517-519, 521, 532 f., 554 f., 561-565, 567-571, 573-576, 584 f., 587-589, 591 f., 594, 597-600, 603, 606-608, 610 f., 614-618, 621-628, 630, 632 f., 635, 638-646, 648, 650, 653 f., 655-657, 660-667, 669 f., 672-674, 677-685, 697, 700-703, 705, 707, 710, 712-720, 722-738, 740-747, 749-753, 755-759, 761-767, 771-776, 779, 781 f., 789, 791 f., 796 f., 799, 801, 805, 810, 813, 815, 823, 826, 828-830, 832, 834-836, 839, 844, 846-850, 852, 854-858, 860-866, 868, 873, 892, 899, 906, 910, 913 f., 916-918, 921 f., 924, 926, 928, 933-938, 942-947, 950-952, 965, 967 f., 970, 974-977, 979-981, 985, 988, 995, 999-1002, 1004-1006, 1008, 1013, 1015 f., 1018-1020, 1022 f., 1025 f., 1028, 1030, 1032, 1035 f., 1038, 1041-1045 Beyer, Verfasser einer Eingabe 481

837

Blomeyer,

Adolf XX, 28, 39, 48, 55, 603, 613, 805, 813 f. Böckler, Hans 475

Bögler,

Baade, Fritz, Prof. Dr. 139 Bauer, Hans-Heinz XX, 621, 646, 648, 664-668, 670 f., 674 f., 771 Baumecker, Wilhelm 900 Bergsträsser, Ludwig, Prof. Dr. XIII, XVII-XIX, XXI-XXIV, XXXI-XXXIII, XXXVII, XLVI, XLIX, LI, LVI, 1, 3, 9, 11, 13-15, 28 f., 45, 48, 50-60, 62-64, 71-73, 82, 85, 88, 96, 99 f., 114, 116 f., 119, 121, 131, 135-138, 140-145, 148-150, 152 f., 156, 172-174, 181 f., 189-192, 194, 208, 220, 226-228, 234 f., 237-239, 242, 247, 250, 260, 268, 270 f., 277, 286, 288-290, 292 f., 295, 298 f., 301 f., 305-308, 313, 324 f., 330 f., 341 f., 344, 348, 350, 354 f., 358, 360, 380, 382-385, 389, 391 f., 394-407, 413 f., 425, 427, 433 f., 437, 441,

643

Bidault, Georges 103, 547 Binder, Rudolf 423 Bismarck, Otto von 31, 40, 446,

Franz

897

Böhler, Wilhelm XLII, 814, Bosch, Robert 206, 696

905

Brand, Philipp Freiherr von 984 Brauer, Max 554 Braun, Otto 352 Braun, Verfasser einer Eingabe 483 Brentano, Heinrich von, Dr. 135, 219, 580, 583, 766

Brill, Hermann L., Dr. 188, 310 Brockmann, Johannes XLII Brummer, Rosina 900 Burke, Edmund 65 Butzke, Herbert 477 Byrnes, James F. 181, 286, 561

Chapeaurouge, Paul de, Dr. 615 Comte du Chambord 488 Cube, Walter von 497, 660

Damaschke, Adolf 200 Darwin, Charles Robert 65 Dehler, Thomas, Dr. XX, XXXIX, XLIV, 219, 581, 583-585, 588 f., 591, 593, 598-601, 604, 712, 739, 743-748, 750-755

Dibelius, Otto, Dr. 518 Diebold, Karl 329 Diederichs, Georg, Dr. XX, 341, 350 f., 353, 355 f., 358 f., 380, 391, 397 f., 400 f., 409 Dietrich, Verfasser einer Eingabe aus Fritzlar 483

Dietrich, Konrad 478, 484 Donat, von, Verfasser einer Eingabe 478, 480

1059

Personenindex

Eberhard, Fritz, Dr. XV, XVII, XXVI, XLV, LV, 1-3, 13 f., 28, 42, 44, 58, 62, 83, 88, 102 f., 117, 120, 127 f., 134, 144 f., 147,156, 161, 172, 175, 184-187, 219, 226, 233, 240 f., 243, 246, 260, 285, 288, 313, 315, 317, 320, 322-326, 328-332, 341, 344, 347, 358-360, 380, 386, 389, 395, 397 f., 401 f., 405, 409, 427, 431, 434 f., 440 f., 444, 449 f., 452, 456-460, 465, 471-474, 477-479, 481 f., 484, 496 f., 499, 503 f., 507, 514-518, 521-524, 532, 534-536, 542, 544-549, 554 f., 558, 563-574, 584, 586-589, 593-595, 597 f., 600 f., 603, 607 f., 610 f., 613, 615-619, 621-625, 631, 635, 637, 642, 644 f., 648, 650, 654, 657, 659-664, 666 f., 669-672, 675-688, 691-695, 697, 699-701, 703-707, 709, 769, 789, 805, 812, 816, 822, 824, 827, 833, 835, 840, 843-847, 849-854, 856, 858-862, 869, 872-874, 892-894, 896 f., 899 f., 902, 904-908, 910 f., 913 f., 916, 919, 921 f., 924 f., 927, 929 f., 932-934, 936-941, 943-945, 947-952, 965, 967, 970-977, 979-981, 983-985, 987 f., 990 f., 996 f., 999, 1002-1006, 1008-1014, 1016-1018, 1020-1022, 1025,1027-1036, 1038, 1042 f.

Ebert, Fritz, Dr.

302

Ege, Oskar 476, 897, 900 Ehard, Hans, Dr. 138 Ehlers, Adolf XX, 341 Ehrhardt, Verfasser einer Eingabe

Epiktet

Grotius, Hugo 321 Grüttner, Dr., Verfasser einer Eingabe Günther, Verfasser einer Eingabe 907

Dr.

482

Hadank, Verfasser einer Eingabe 483 Haenisch, Konrad 107

Hallgarten,

Charles

201 417 484 Warren 84

Hanecke, Joachim Hansen, Admiral

Hastings,

Hearst, William Randolph

113

Hegel, Georg

Wilhelm Friedrich 68 Heiland, Rudolf XV Heile, Wilhelm XVI-XIX, XXI, 28, 38, 42 f., 46, 54 f., 57 f., 427, 435, 438, 443 f., 448 f., 455, 465, 468, 470 f., 496, 499-508, 511, 584, 598-600, 621, 630, 637, 645, 648, 665, 667, 669 f., 698-700, 702 f., 705-709, 805, 817-819, 822, 825 f., 839, 846, 853, 859, 892, 895, 899, 910, 935, 948, 979, 989, 997, 1003-1006, 1008, 1013, 1015 f., 1018, 1038, 1040 898

346

Heine,

57

Evgerius, Dr., Verfasser einer Eingabe

477

415

Fay, Fritz 660 Fecht, Hermann, Dr. XX, 496, 584, 805, 821, 831, 979

Finck, Albert, Dr. XX, 778, 846, 848, 851, 987

Fischbeck, Otto 352 Flies, Verfasser einer Eingabe Forster, Dirk, Dr. 285, 548 Forsthoff, Ernst, Prof. 780 Friedmann, Werner 651 Friedrich, Carl. J. 139 Frings, Josef, Kardinal XLIII, Füsslein, Rudolf Werner 1

482

903

Gellentin, von, Verfasser einer Eingabe Goebbels, Joseph, Dr. 192, 932 1060

438-440, 442-448, 450-452, 454-471, 805, 826-834, 841-845, 860 Gross, Emil 892 Grotewohl, Otto XXV, 5

Heimerich, Hermann

Erhardt, Hermann

493

Heimann, Verfasser einer Eingabe

479

72

Ewald, Adalbert,

Goerdeler, Carl Friedrich

Grève, Otto Heinrich, Dr. XX, 427, 434,

480

Wolfgang 352 Herrgesell, Amtsgerichtsrat

a.D. LIV, 414, 427, 485, 496, 521, 584, 648, 712, 789, 892 Hertz, Hans 899 Heuss, Theodor, Prof. Dr. XVI-XIX, XXI-XXIII, XXVI, XXVIII f., XXXII, XXXVI, XXXVIII, XLI-XLVI, XLIX-LI, LVf., 1, 3, 9, 11, 14, 28, 40 f., 43, 47, 49-54, 56-58, 60, 62, 67 f., 70-74, 80-82, 85-88, 93-95, 97, 99-101, 103, 108, 111, 113 f., 116 f., 119, 125 f., 134 f., 138, 140-145, 147-149, 153-156, 158-160, 162, 165, 167 f., 170-177, 179-181, 183-188, 190 f., 193, 196 f., 201 f., 205-207, 209-211, 213 f., 216-219, 226 f., 234 f., 240-244, 247-251, 260-262, 268, 271-273, 278, 281 f., 285-295, 297 f., 301-303, 306-308, 310, 313, 315, 320, 323-325, 327, 330 f., 341 f., 344-346, 348-360, 380, 394-397, 399-402, 404-406, 408, 411-421, 424 f., 465-476, 478 f., 482, 484-487, 490, 494-496, 499, 501-503, 505, 507, 509 f., 512-514, 516-522, 524, 526-528, 530 f., 533, 539 f., 542-545, 554-559, 561,

Personenindex 564-576, 584, 587-589, 592 f., 621-623, 625-629, 632 f., 636, 640-646, 648, 652, 654 f., 657-659, 661, 663-668, 670-672, 674-676, 678 f., 681 f., 684, 686 f., 689-704, 706-708, 710, 712, 757 f., 760-768, 770-775, 777 f., 780, 783, 789-791, 794-798, 801, 805, 808, 811-814, 816-824, 827-835, 837, 839-842, 846-848, 850-861, 863-867, 871-873, 892-894, 896, 899, 902, 906, 909-914, 916-919, 930-932, 923, 925-927, 934-951, 965, 969, 971, 973-977 Hindenburg, Paul von 301 Hitler, Adolf 164, 207, 241, 276, 489, 670, 757, 838, 905, 943 Hobbes, Thomas 70, 670 Hoegner, Wilhelm, Dr. 138, 561 Hoffmann, Adolf 107, 636, 837 f. Hölscher, Verfasser einer Eingabe 479 Höpker-Aschoff, Hermann, Dr. 796, 800, 971

Hugenberg, Alfred Hütten, Josef 482

113

Jellinek, Walter, Prof. Dr. 131 Jonuschat, Hans, Dr. LIV, 965, 979, 1008, 1038

Kahlert, Verfasser einer Eingabe

477

Kaiser, Jakob XX, XXVIII-XXX, 3, 13 f., 62,

71, 74, 156, 164 f., 167, 169 f., 172, 174, 182 f., 185, 192, 194, 207, 210, 226, 234, 237-242, 244 f., 249, 910, 913, 916, 941, 944-946, 951 f.

Kant, Immanuel

Kapp, Wolfgang

65 152

Karl V. 321 Katzenstein, Simon 838 Kaufmann, Theophil XIII, XX, XXX f., 172, 181, 188, 199, 208-212, 260, 263, 272 f., 275, 277, 282, 284, 485, 542, 805, 852 Keller, Michael 905 Keudell, Walter von 31 Kirdorf, Emil 943 Kleindinst, Ferdinand, Dr. XX, 380, 387, 390 f., 393-397, 401, 403-406, 408, 410, 414, 422, 521, 529, 537-539, 541, 545, 554, 558 f., 561 f., 569, 571 Knappstein, Karl Heinrich 766 f. Koch, Karl 633, 905 Koepp, Verfasser einer Eingabe 898 Kogon, Eugen, Dr. 767, 854

Köhler, Erich, Dr. 930 König, Verfasser einer Eingabe

897

Kopf,

Hinrich Wilhelm 895 Koppert, Vinzenz, Dr. LIV, 3, 28, 62, 88, 226, 260, 288, 313, 341, 603, 621, 979 Körner, Verfasser einer Eingabe 899 Krause, Verfasser einer Eingabe 479 Kroll, Gerhard, Dr. XX, XXIX, 3, 172, 177 f., 183-185, 189, 195, 200, 205, 209 f., 212, 496, 511 Kuhn, Karl II, 341, 351, 427, 846, 1038, 1041, 1043 f.

Laforet, Wilhelm, Prof. Dr. XX, XLIII, LUI, 793, 995, 1002, 1008-1024, 1026-1031, 1033-1036

Lammers, Franz 474 Lassalle, Ferdinand 38, 557 Leber, Julius 493 Lemke, Verfasser einer Eingabe 417 Lensing, Lambert XIII, XX, 260, 288, 313, 341, 356 f., 414, 485, 487, 496, 501, 511 f., 514, 519, 521, 525, 548, 584, 603, 606 f., 610 f., 618, 621, 624, 648, 651, 653 f., 656-664, 673-675, 690, 693, 712, 715 f., 768, 789, 873, 892, 910, 915, 931, 933, 979

Leuschner, Wilhelm 493 Lewald, Theodor 153

Lichtschlag, Oberst a.D., Verfasser einer Eingabe 477 Lindt, Dr. Verfasserin einer Eingabe 907 Lingen, Theo Loebe, Paul

548

XVII

Loritz, Alfred 678 Löwenthal, Fritz, Dr.

805, 848

Loyola, Ignatius von 624 Lubahn, Johannes, Dr. 472,

475

Ludendorff, Erich 756 Ludendorff, Mathilde 756 Luther, Hans Dr. 345 Lüttwitz, Walther

von,

General 152

Machiavelli, Niccolo 670 Mahnert, Arno xxvii, 727 Maier, Friedrich xx, 260, 380, 427, 521, 774 f., 782, 821, 827, 846, 849, 858, 862 Mangoldt, Hermann von, Prof. Dr. ix, xi, xvii-xix, xxi-xxiii, xxvi f., xxix, xxxi f., xxxv-xxxrx, xli, xliii, xlv, xlvii-l, lh, lvi, 1-3, 9-11, 13 f., 28, 32, 38-40, 42 f., 45-47, 49 f., 52-68, 71, 73-77, 80, 82-88, 91 f., 94 f., 97-101, 103, 1061

Personenindex 107-111, 114-117, 120-122, 105, 125-129, 132, 134-138, 140-150, 175-180, 152-156, 159, 162-172, 190, 192-196, 199-201, 182-188, 217-219, 226-229, 234, 207-214, 260, 262-264, 266-271, 236-251, 273-275, 277-280, 283 f., 286-311, 313-315, 317-332, 361, 380, 382-408, 410-424, 427, 431, 433-477, 479-483, 485 f., 489, 492-494, 496, 498-505, 527-549, 507-509, 511-525, 554, 556-577, 584 f., 587-589, 592-595, 597-603, 606-608, 610 f., 613-619, 650, 621-628, 630-633, 638-648, 652-695, 697-710, 712-727, 729-783, 789-798, 801, 805-808, 814 f., 820, 825-835, 839-869, 872-874, 892, 894, 896-901, 905-910, 913-929, 931-953, 965, 968-971, 973-981, 984 f., 991 f., 995-997, 999-1015, 1017, 1019, 1021 f., 1024

f.,

1027-1045

Mann, Erich 908 Markgraf, Paul 85

Marsilius von Padua 70 Martens, Verfasser einer Eingabe 479 Mayr, Karl Sigmund XII, XVIII f., L, 260, 313, 341, 380 f., 383, 390,. 396, 400, 409, 414-416, 465, 467, 469, 479, 484-486, 490, 495, 584, 600, 621, 648, 660, 680, 689, 707-709, 712, 714, 720, 738, 742, 752 f., 757, 759, 762, 768, 771, 789, 892, 908, 965, 967 f., 979 f., 1038 Meerfeldt, Johannes

838

Dr. LIV, 771, 910 Meinhold, Verfasser einer Eingabe 908 Menzel, Walther, Dr. XX, XXXV f., XLIV f., 5, 637, 805 f., 815, 818-820, 822 f., 833 Meuthen, Franz 425, 901 Minnigerode-Allenberg, Freifrau von 417 Mitscherlich, Alexander 766 Mücke, Willibald, Dr. XV, XX, 1, 62, 82, 515, 613, 706, 712, 728-730, 732 f., 738, 750 f. Müller, Verfasser einer Eingabe 482, 900

Meidinger, Max,

Nadig, Friederike XIV, XLI, 1, 3, 28, 62, 71,

87

XVIII

f.,

94

f., XXXVIII f., f., 117, 144 f.,

156, 226, 341, 414, 427, 442, 465, 474, 485, 489, 492, 496, 521, 543, 554, 584, 601, 603, 621, 628, 643 f., 646, 648, 688 f., 709, 712 f., 716-719, 722, 724-726, 734 f., 737-739, 742, 744 f., 747-749, 752 f., 756, 761 f., 771, 773 f., 777 f., 781 f., 789 f., 892, 910, 920, 922, 925 f., 935, 979 f., 1008, 1033, 1038, 1040 f. 1062

Nansen, Fridtjof 710 Naumann, Friedrich 34, 36, 38, 49, 144, 169 f., 245, 636, 837 Nawiasky, Hans, Prof. Dr. 4, 131, 515, 561, 631 f., 668

Nell-Breuning,

Oswald von, Prof. Dr.

472

Neureuter, H. 346 Niemöller, Martin 906 Nietzsche, Friedrich 392

Noske, Gustav 708,

998

Of fray de Lammetrie,

Julie

65

Pabst, Waldemar 152 Papen, Franz von 191 Paul, Hugo XX, XXV, 28, 46 f., 49, 67, 88, 93, 96 f., 104, 108, 110 f., 113 f., 116 Peschel, Kurt LIV, LVI, 465 Petereit, Verfasser einer Eingabe 909 Pfeiffer, Anton, Dr. XII, XVII-XIX, XXI, XXIII, XXX-XXXII, XLIII, XLV, 3, 12-14, 28, 48, 59, 61-63, 73 f., 117, 119 f., 122 f., 125-128, 132-134, 136, 138, 141, 145, 148, 172, 260, 263, 266-272, 274 f., 277, 280 f., 283, 286, 288, 290, 294, 296-298, 300 f., 303, 313, 328, 330-332, 485, 489 f., 492 f., 554, 559, 561-563, 566 f., 569, 571, 574-577, 623, 631, 965, 967-979, 984, 992,

995 f., 1000 f., 1005 f., 1038 Pfister, von, Verfasser einer Eingabe Popitz, Johannes 206 Preuß, Hugo 33, 352

Radbruch, Gustav, Prof. Dr. 917 Rademacher, Verfasser einer Eingabe Redslob, Edwin, Dr. L, 415 f., 484

Reichensperger,

Peter

899

898

31

Reif, Hans, Dr. XX, 216, 427, 437 f., 442, 446 f., 449 f., 452, 459-461, 463 f., 485, 489 f., 493, 789-799, 873, 979, 990-992, 999-1001, 1008, 1015 f., 1019, 1022, 1024-1027, 1031 f., 1034-1036, 1038 f., 1041-1043, 1045

Reincke, Prof., Verfasser einer Eingabe

475

Renan, Ernest 244 Renner, Heinz XX, XLV, 253, 260, 278-280, 341

Reuter, Ernst, Dr. XX, XLIX, LH, 341-343, 346, 348 f., 351-356, 359 f., 952 Reynitz, Ewald, Dr. LIV, 117, 156, 172, Ricking, lohannes, Dr. 476, 909

554

Personenindex

Rilke, Rainer Maria Robertson, Sir Brian

Sohm, Rudolph- 519 Spann, Othmar 500, 681 Stackfleth, Verfasserin einer Eingabe

204

H.

986

Rosshaupter, Albert XX, 485, Rössler, Johann 984 Rousseau, Jean Jacques 951 Runge, Hermann XV

554

Saintonge, Chaput de

XXIII f. Schäfer, Hermann Dr. 216, 857 Schiller, Friedrich 238, 557

Schioer, Kaspar Gottfried XX, 341, 355, 357 f., 397, 410, 648, 664, 666, 712 f., 719, 731 f., 734 f., 737 f. Schmid, Karl (Carlo), Prof. Dr. XIV, XVII-XIX, XXI-XXV, XXIX-XXXII, XXXIV f., XLII, XLVII-XLIX, 2-4, 6, 9 f., 12-14, 62-64, 66-68, 70-77, 80 f., 83-85, 88, 90-104, 106-108, 110, 116 f., 154-157, 159, 161-172, 174-177, 179 f., 182, 184-192, 194-197, 199, 202, 205, 211, 213 f., 216-218, 226-229, 233-236, 238-251, 260-263, 266-280, 282-284, 288-300, 309-311, 313-315, 317, 319-323, 326-331, 395, 419, 424 f., 447, 513, 521, 523-528, 530, 533-535, 538, 540-543, 545-549, 557, 637, 766, 853, 979 Schmid, Verfasser einer Eingabe aus Bonn 483

Schmid, Verfasser einer Eingabe gart 483

Schmidt-Herweg,

898

Stein, Freiherr vom und zum 310 Steiner, Rudolf 817 Sternberger, Dolf, Dr. 767 f. Stock, Jean XX, 485, 487, 489 Stresemann, Gustav, Dr. 301

aus

Verfasser einer

Stutt-

Stuttkowski, Verfasser einer Eingabe 901 Suhr, Otto, Dr. XVII, XX, XXX, 1 f., 4, 226, 235-237, 239 f., 242 f., 245 f., 248-250, 260-264, 266, 268, 271, 288, 294 f., 297-300, 302, 304-310, 384 f., 388-393, 397, 399 f., 403-405, 408, 410, 467, 521-523, 525, 530, 532 f., 536 Süsterhenn, Adolf, Dr., XIII, XX, XLII, XLIV, 7, 242, 584, 621-630, 632-635, 637-646, 805, 807, 811, 815, 820, 822, 827-836, 838 f., 841 f., 844, 860, 871, 910, 912-931, 934-939

Tantzen, Theodor Tarnow, Fritz 481

895

Thiers, Adolphe 488 Dr. XXVII, Prof. Thoma, Richard, XXXVIII f., XLVIIf., LV, 35, 361, 425, 585-593, 595, 597, 606, 608, 616, 618, 621 f., 629, 648-650, 656, 674, 680, 683, 697, 720, 724, 736, 739, 754, 757 Thöt, Karl LIV, 380

Eingabe

480

Schönfelder, Adolf

792

XVIII f., 1, 3, 28, 39, 62, 73, 88, 92, 95, 97, 226, 260, 341, 380, 485, 492, 521, 584, 621, 648, 674, 676, 683, 688-691, 697 f., 700 f., 771, 774, 776, 892 Schukoff (Schukow), Georgij K., Mar-

Schräge Josef XII,

schall

329

Schulenburg, Dr.,

Verfasser einer

Eingabe

901

Schultz, Verfasser einer Eingabe 423 Schumacher, Kurt XXXVI Schwalber, Josef, Dr. 314 Dr. XVII, Seebohm, Hans-Christoph, XXVIII,

501

Seibold, Caspar, Dr. XIII, XX, 1, 88 Seibert, Elisabeth, Dr. XV, XX, XXIX, 554, 559 f., 562 Senz, Erich LIV, 805, Severing, Carl 191

Siebeck, Richard

801

Simons, Hans XXXVI

Singer, Richard

484

846

Wack, Joseph L, 414, 467 Walter, Felix XX, 427, 846 Walz, Ernst, Dr. 767 Walzer, Prälat 984 Weber, Helene, Dr. h.c. XIII, XVIII f., XXI, XXVI, XXIX, XXXI, XLII f., LH, 1, 3, 11, 13, 62, 64, 68, 73 f., 80, 87 f., 94, 98, 100, 104, 109, 116 f., 119, 127, 131, 135 f., 138, 140-144, 147 f., 151, 153, 156, 162, 169, 171 f., 174, 176, 185, 188-190, 205, 207, 214, 218, 226, 235, 238, 245, 247 f., 250 f., 260, 266-268, 273, 276, 283, 288-291, 301, 313, 321, 325-327, 331, 341 f., 344, 348, 350, 353, 357, 380, 387, 389 f., 393, 396, 398-401, 406 f., 409 f., 412-418, 421-425, 465, 473, 475-487, 494, 496, 498 f., 502, 510-513, 517-521, 523-527, 530-532, 535, 537-541, 549, 554, 556, 558-561, 567, 569, 572 f., 575, 584, 589, 593, 597, 599 f., 603, 606-608, 614, 616-618, 712 f., 716-718, 720-725, 729-731, 733, 737 f., 1063

Personenindex 741-745, 747-749, 751-754, 756, 760 f., 763-765, 768, 771, 774-778, 781 f., 789, 791, 796-798, 805 f., 811, 815, 819, 822, 823, 830 f., 846, 856, 860-862, 872, 874, 892, 902, 904, 906-910, 913-917, 920, 922, 924, 926, 930 f., 934 f., 937, 940, 944, 948, 979 f., 994, 998, 1008, 1018, 1025, 1028, 1030 f., 1033, 1038, 1043 f. Weber, Hellmuth von, Prof. 859 Weizsäcker, Viktor von 801 Wendler, Verfasser einer Eingabe 483 Wenger, Paul Wilhelm XXXVII, 243, 871 Wernicke, Kurt G. LV Wessel, Helene XLII, XLV Wilke, Verfasser einer Eingabe 476 Windthorst, Ludwig 837 f. Winter, Josef 414, 416 Wirmer, Ernst XIII, XX, LUI, 28, 427, 432-438, 443, 445-447, 454 f., 458, 464, 493, 534, 979, 982, 985, 987 f., 991 f., 994, 996, 999, 1003 f., 1007 f., 1013, 1015-1017, 1020, 1025 f., 1029 f., 1034, 1036 f. Wohleb, Leo, Dr. 355, 482 Worell, Verfasser einer Eingabe 417 Wunderlich, Hans XV, XVIII f., XLI, 1-3, 28, 54, 62, 87 f., 92, 94, 97, 101, 116 f., 145, 151 f., 156, 172, 187, 210, 288, 291, 297, 308, 313, 341, 345, 349, 353 f., 358, 380, 386, 393 f., 408 f., 412-414, 418-420, 427, 438, 457, 459, 462, 464 f., 477, 482, 485, 490, 496, 500, 505, 508, 511, 514 f., 518,

1064

521, 530, 532-535, 543, 584, 598, 600 f., 603, 615, 650, 673, 712, 721-724, 726, 729-733, 740, 746 f., 750 f., 753-757, 759, 762-764, 768-770, 789, 799, 846, 856, 861, 866, 871, 892-894, 896 f., 906, 908, 910, 914 f., 919 f., 923 f., 929, 933, 940 f., 946, 979, 984, 1003 f., 1006, 1008, 1024 Wurm, Theophil XLIII, 634, 646, 898

Zander, Verfasser einer Eingabe 483 Zehrer, Hans 670 Zimmermann, Gustav XX, 172, 174, 191, 194-196, 210, 288, 310 f., 465, 468 f., 473, 476-481, 484, 496, 508, 521, 527 f., 546 f. Zinn, August, Dr.h.c. XV, XVII-XIX, XXI, XXIII, XXVIII f., XXXI, XXXIII f., XLI, XL VI, LH, LVI, 1-3, 9, 13 f., 17, 28, 33, 38, 41 f., 45 f., 49, 52 f., 55, 58-60, 62-64, 66 f., 69, 76-78, 80 f., 83-85, 88 f., 92, 97-101, 104-107, 117-119, 121, 123, 126, 128 f., 147-150, 153 f., 156 f., 159, 162, 167 f., 172-174, 178-180, 182, 185 f., 189 f., 192-194, 206 f., 211 f., 214, 219, 226 f., 239-242, 244, 260, 267-269, 274, 281, 283 f., 286, 341, 353-355, 358-360, 414, 416, 418, 420, 423, 427, 436, 440 f., 445 f., 448, 450, 452-454, 456-458, 460-463, 583, 589, 637 Zorn, Philipp 318

SACHINDEX

Abtreibung (s. auch Leben) 363, 595, 923 Aktionsgruppe Heidelberg, Eingabe 766 Allgemeiner Redaktionsausschuß XXIV, 219, 578, 584, 603 —

Grundrechte, 1. Lesung 578—583 Präambel, Art. l-29c 875-891

Alliierter Kontrollrat, Gesetz Nr. 18 844 Gesetz Nr. 55 123 Ältestenrat des Pari. Rates 584, 953 Amtshaftung 365, 375, 583, 721, 790-802 Arbeit, Grundrecht auf 49, 67, 151, 253, 481, 484, 776, 855 Arbeitsgemeinschaft der Industrie und Han—

Wahl des Vorsitzenden 1 Ausschuß für Organisationsfragen

851, 1037 Ausschuß für

Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege 460, 800 f. Ausschuß für Wahlrechtsfragen 494 Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung (Kompetenzausschuß) 127, 136, 164, 196, 303, 309, 435, 452, 472, 477, 505, 536, 699, 721, 770, 790-793, 795 f., 851, 864,



delskammern, Eingabe 482 Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sport, Eingabe

909

Arbeitsgerichtsbarkeit 475, 481, 637 Arbeitsplatz, freie Wahl 36, 47, 58, —

89, 91, 115, 335, 579, 617-620, 787, 800, 846, 882 Übergangsbestimmungen 843—847, 1093 ff.

Arbeitszwang s. Zwangsarbeit Asylrecht XLVI ff., 21, 53, 83-86,

f.,

374, 378, 579, 611 f., 620, 764 f., 788, 884, 941, 948, 962 Atlantik-Charta 162, 193, 424 f., 483, 505, 519, 539, 607, 847, 901

Augsburg 358 Ausbildung s. Berufswahl Ausgebürgerte s. Wiedereinbürgerung Auslieferung XLVIff., 21, 53, 83-86, 335,

378, 579, 611-612, 620, 765 f., 788, 857, 884, 948, 962 Ausschuß für das Besatzungsstatut 424, 477, 480, 482, 907 Ausschuß für Grundsatzfragen, Arbeitspla2, 9-14, 28, 115 f., 147-155, nung 425 f., 471, 603, 620, 805 f., 1007, 1038 Konstituierung XXI, 1 f. —











Mitglieder Xff. Redaktionsausschuß XXI, 116, 118 f. Redaktionsausschuß für die Neugliederung der Länder

360, 413, 427, 431 Redaktionsausschuß für die Präambel XXIX, 184 f., 229 Unterausschuß für Eingaben XXVI, 146

f.,

219

929

Aussperrungen, Verbot 255 Australien, Verfassung 545 Auswanderung, Gesetzgebungszuständigkeit

103, 105

Auswanderungsfreiheit 44, 48, 59,101—105 Auswärtiges Amt, Klugheit 323 Ausweisung 21, 53

Bad 335

58, 849,

-

Wimpfen 348, 350, 386, 1019,

Baden, Ländemeugliederung 409, Simultanschule

-

821

Verfassung von 1947, Art. 2

-Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -

23 25 52 53 92 170

1023 874

51,142,753

831 814 174 946 456 701

Bayern, Bezeichnung „Bundesrepublik" Eid für Beamte

-

-

-

281

668

Länderneugliederung

Staatsgefühl 195 Verfassung von 1946,

984, 1016 Art. 6

946

-Art. 14 708 -Art. 98 36 -Art. 103 148 -Art. 107 630 -Art. 142-150 836 -Art. 168 752 -Präambel 510 -

Bayernpartei

529

Berufsbeamtentum Belgien, Verfassung 128, 149, Benelux-Länder 285, 507 Beamte

s.

294

1065

Sachindex Berlin als Hauptstadt, Eingabe als Land 195 Beteiligung an der Arbeit —



Eingaben XXVI, L,

480 -

am

Grundge-

Rat) XXX, 232 f., 236, 248-250, 252, 260 f., 268, 271, 273-275, 334, 555, 569 f., 575 f., 876, 969, 971 ff., 980



338, 533, 550

rechtliche Lage XXX, 83 -

Stimmung 235,

-

417,

422

XXV,

182 f.

Berufsausübung, Freiheit der

88, 90 ff., 335, 617-620, 787, 800, 805, 855, 882, 960 Berufsbeamtentum (s. auch Streik) 371, 379, 720, 790-801, 851 f., 859, 889

Berufsberatung

423 f., 478, 480 Berufswahl (Ausbildung) 47, 58, 88 ff., 115, 180, 579, 620, 765, 787, 800 f., 854 f., 872 f., 882, 942, 960 Besatzungsmächte (s. auch Grundrechte) XXX, 11, 13, 35, 40, 154, 157, 159, 179-182, 231, 262, 265, 269-271, 278, 283, 311, 509, 512, 807 Besatzungsstatut 10, 154, 179, 512 f., 872, 907, 966 Beschwerderecht s. Petitionsrecht

Betriebsvertretungen

-

ff., 169 ff., 263, 265, 270, 277-284, 333, 502, 505, 514, 522, 965 Staats- und Regierungsform 288—300, 338, 521-529, 550, 886, 907 Bundesverfassungsgericht 26, 360, 458— 461, 538, 540, 759, 886 f., 889, 950, 1008 f., 1033 f. -

Bundeszugehörigkeit s. Staatsangehörigkeit

Braunschweig, Länderneugliederung f., 451, 455, 894, 983, 1020,

Länderneugliederung

f., 1016, 1025,

Care-Pakete

387,

1024

450,

kel

1030

-

-

-

-

-

481

Bundesexekution 538, 540 f. Bundesfarben (Flaggenfrage) XLVIII ff., 300-303, 314 f., 339, 341 f., 425, 465-471, 485-495, 541, 552, 621, 873 f., 887

-

263

Flaggenfrage

425, 465

ff.,

XLIX ff., 314 f., 341 f.,

485

Gleichberechtigung

von

Mann und

XXXVIII, 738 Präambel 263, 266 f.

Frau zur

Charta der UN 156-158, 163, 221, 244 f., 326, 543, 599, 966 Chiemseer Entwurf (ChE) als Leitfaden XXI, XXXIII, 9, 12, 28, 48 -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

1066

zu Ehe, Familie, Elternrecht XLII ff., 634 f., 805, 833 Antrag zu Staat und Kirche 835-840 218 zum Elternrecht zum Namen (Bundesrepublik) XXVIII,

zur -

-

1947, Art. 51 702 Verfassung Briefgeheimnis 24, 55, 115, 117, 119 f., 146, 336, 369 f.,374, 377, 581, 614, 676 ff., 711, 756, 763, 765, 786, 881, 950, 959, 964 Bürgerliche Rechte, Ausübung 25, 56 Bund, Beitritt zum 8, 338, 550 von

Bundesarbeitsgericht, Eingabe

604

Antrag

-

457,

102

CDU/CSU, Abänderung der Grundrechtsarti-

zur

442

Bremen,

316, 328-331, 340, 550, 887,

1008

Grenzänderungen 328-331, 340,1009 ff. Bundesrepublik (Bundesstaat, deutsche Republik), Name XXVII ff., 2, 63, 157,

255

Bibeiforscher 622, 755 Biidung, Recht auf 253, 258 Bill of Rights 29 f., 41, 58, 69, 721 Birkenfeld 893 Blockpolitik 133, 540 Bodenreform 45, 212, 256, 472, 728, 734 Brandenburg, Länderneugliederung 343,

984

Abtretung

92

Berufssoldaten, Versorgung

443

550

159

245

Berliner als Bundesangehörige 946 Berliner Frauenbund 1947, Eingabe Berlinkrise

414-416, 475, 477, 899 f.

233, 236, 295 ff., 338, 530-533,

setzes)

-

Einbeziehung in die Bundesrepublik (Mitwirkung im Bund) 8, 236, 299 f., 312,

f., 487, 621, 873,

Bundesgebiet (Geltungsbereich des Grundge-

(Pari.

setz

483

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

52

48, 52 42, 44, 52, 78, 80 53 105 53 22 f., 112 25, 56, 121 25, 56, 123 24

24, 55 24, 56, 132 135, 138 58

f.,

142

54, 121 90

58, 148

Sachindex

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

18 19 20 21 23 24 26 28 29 47 98 106 108 111

58, 26, 26, 27,

DP, Kirchenbestimmungen 635, 638

214

57, 662, 671, 760 662, 667, 671, 681, 755, 760 41 f., 58 f., 149, 214, 632 XLIX, 465 f. 316, 322, 324 331, 474

zu

-

-

-

305 459 f. 226 f. 228 f. 185

-

-

-

-

-

Bericht im AfG 3-9 Präambel 155, 158, 160, 162 f., 165, 183, 497, 557 Coburg 348, 459 -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Dänische Minderheit

Danzig

751

-

320

-

Demokratische Volkspartei Württemberg-Ba-

den, Eingabe

481

Demonstrationsrecht heit

Denkmalschutz, Eingabe

Deutsche

-

-

s.

Versammlungsfrei-

-

-

899

Friedensgesellschaft,

-

Eingabe

900

Deutscher Beamtenbund 695, 795 f., 798 f. Deutscher Gewerkschaftsbund s. auch Gewerkschaftsrat Deutscher Gewerkschaftsbund, Eingabe 475

Deutscher im Sinne des Grundgesetzes 704, 849-851, 882 Deutscher Sprachverein, Eingabe XXVII, 910, 918, 927, 934 f., 943 f., 946 Deutscher Volkskongreß s. Volkskongreß Deutscher Volksrat s. Volksrat Deutsches Büro für Friedensfragen 103, 285, 315 f., 330, 548 Deutsches Reich als Bezeichnung XXVII, 263

Deutschland (Weimarer Republik), Fortbestand nach 1945 157, 159 ff., 173 ff., 230 f., 233, 240-244, 265, 284 ff., 497, 500, 516, 555, 561 f., 565, 585, 876 Deutschland, Begriff 521 ff. Dienstleistungspflicht 89 ff., 115, 335, 378, 579, 618 f., 620, 726, 787, 882, 960, 992 Displaced Persons 128, 317

825

zu

-

462

295, 309

Ehe und Familie

Grundrechten 855-868 zu Staat und Kirche 635, 835-840 zum Eigentum 729, 735 Drittes Reich s. Nationalsozialismus Drucks.1) des Pari. Rates Nr. 16 X -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

19 X 22 c-f XI 44 34 51 d XVII 53 5 54 3 55 2 66 62 f. 73 28 74 171 75 343 79 XL VI, 62 88 88 110 227 121 XXVII, 417, 422 123 481 127 146 134 297 141 156 143 218 144 220-225 148 117 155 88 172 172 173 251 181 226 182 260 188 315 f. 189 312 198 288 200 218, 332, 333-340, 465, 536 203 333, 465, 536, 604 f. 204 313 212 341 215 510 226 380 230 414 231 760 233 XXVII, 639 238 427 244 361-379 245 631 247 821 251 465 255 525, 613, 706 262 485

-

Kursiv gesetzte Fundstellen weisen auf den Abdruck oder Teilabdruck einer Drucks, hin.

1067

Sachindex Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

268 269 271 273 275 282 286 291 293 296 298

855

f.

Nr. 302 Nr. 308 Nr. 319 Nr. 321 Nr. 326 Nr. 336 Nr. 337 Nr. 339 Nr. 340 Nr. 344 Nr. 345 Nr. 360 Nr. 370 Nr. 372 Nr. 373 Nr. 374 Nr. 376 Nr. 389 Nr. 393 Nr. 395 Nr. 488 Nr. 493 Nr. 555 Nr. 556 Nr. 557 Nr. 559 Nr. 578 Nr. 580 Nr. 581 Nr. 582 Nr. 759 Nr. 762

219, 585 521, 550-553 496 838

634, 898 576, 578-583, 584

XXVII,

197-214, 223, 257, 337, 582, 724-737, 756 ff., 766, 787, 859, 870, 883, 943 f. Eingaben, Allgemeines 484, 752 Behandlung im AfG XXVI f., 219, 414-425, 472-484, 587, 874, 892-909 s. auch Ausschuß für Grundsatzfragen, Unterausschuß für Einheit der Nation (nationale Einheit) XXX, 158, 175, 231 f., 235, 244, 250 f., 252, 264, 268 f., 272 f., 275, 284, 333 f., 496, 499, 504 f., 507 f., 512, 516, 555 f., 558, 560, 562 f., 565, 571 ff., 576, 875 f., 967, 969, 975, 980 -

795

-

794 584

695, 729 501, 630, 635, 638, 675, 825, 634, 806

Eiserne Front

621 903

Ellwanger Vorschläge XXVIII,

171

Elternrecht XLI ff., 60, 218, 634, 645 f., 760, 806-835, 859, 880, 936-939, 958 Eingaben XXVII, 874, 902 f., 905, 909

835, 904 784 800 802-804 789 968 851 f. 778 846

875-691, 910, 954,

189

Emigranten 21 Enteignung 197 ff., 256 f., 337, 372, 583, 726 ff., 787, 869 f., 883, 945, 961 -

Entnazifizierung XXXVII,

272, 476,

180,

774 f.

Erbrecht,

Gewährleistung

147

f.,

197

ff.,

257, 337, 371 f., 377, 582, 724 ff., 787,

965

779 805

875, 1038 779 847

918, 952 965 892 954-964 1037, 1046 f. 1045 981 965 910 979 1008 1038 253-259 XXVIII

943 f., 961 Erster Mai, Feiertag

254

Erwachsenenbildung 909 Erziehung, Recht auf 224, 253, 783 Esperanto, Eingabe 421 Europa, Europäische Föderation 296,

324, 505, 507, 542 f., 568, 875 f., 967 Euthanasie 422, 605, 920, 923 Eutin 893 Evangelische Kirche der Rheinprovinz Eingäbe 639, 899 Evangelische Kirche Deutschlands, Einga be 634, 898

Familie, Schutz 39, 233, 634, 642, 859 f., 880, 903, 936, 958

FDP, Antrag

zum

806

ff.,

Streikrecht

695 729

Antrag zur Enteignung Feiertage, Schutz 869 Fernmeldegeheimnis 24, —

Ehe, Schutz der 223, 604, 634 f., 642 ff., 806 ff., 859 f., 880, 903, 935 f., 957 Ehrenämter, Übernahme 27, 57, 722 f., 727, 840-843, 885, 948, 963 Eidesformel 22, 54, 110 f., 115, 335, 376, 580, 624, 632, 647, 761, 765, 785, 803, 878, 943 f., 956, 961 Eigentum, Begriff 49, 58, 199 ff., 371 f., 729 Gewährleistung 115, 118, 147 f., 154 f., -

1068

55, 117, 119 f., 146, 336, 369 f., 377, 581, 677 ff., 711, 786, 881 f., 950, 959

Festgehaltene

s.

Freiheitsentziehung

Film, Freiheit der Berichterstattung

111

ff.,

111

ff.,

115, 336, 711, 803, 878, 930 ff.







s. auch Jugendschutz Verpflichtung zur

656

ff., 711, 758, 803,

Vorzensur 932, 957

Wahrheit 932

112, 336, 367, 580, 649, 711,

Sachindex

Flagge s. Bundesfarben Flensburg 330, 345

Flurbereinigung

Gemeinwirtschaft 944 f.

212

Folter, Verbot (s. auch Unversehrtheit) 19, 26, 56, 80, 86, 221, 335, 579 Forschung, Freiheit (s. auch Wissenschaft) 54 f., 117, 120 f., 146, 336, 376, 581, 680-682, 711, 786, 803, 859, 879, 934, 957

Fragebogen, Beschränkung

871 f. Frankfurter Dokument Nr. I XXXV, 33, 177, 269, 529, 559, 968 Nr. II LH, 343, 962

Frankreich, Saarpolitik —









347 Verfassung von 1795 49 Verfassung von 1848 149 Verfassung von 1875 31, 33 Verfassung von 1946 33, 43, 277, 322, 324, 328, 510, 966

69, 150 f.,

70, 75-77, 86, 334, 363, 578, 605, 784, 802,

f.,

940

Gewerkschaften 47, 116, 124, 255 f., 587, 619, 636 f., 685 ff., 769, 812, 854, 942 Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen, Eingaben 481, 619, 686, 688, 726, 728, 854 Gewissensfreiheit 21, 35, 109, 115, 335, 580, 621 ff., 647, 803, 878, 926, 956 Glaubensfreiheit 21, 35, 109-111, 115, 353, 580, 621-633, 647, 765, 785, 803, 878, 928, 956

Gleichberechtigung

Französische Revolution 15,29 f., 75,144,741 Frau, Schutz 254, 868 Freiheit („Der Mensch ist frei") 17, 35, 62, 876

Gesundheit, Grundrecht 151, 253, 484, 900 Gewerbefreiheit XXXV, 99 ff., 854 f., 892,

955

der Kunst s. Kunst der Person 17 f., 19 f., 35, 51, 62, 78-83, 86, 334, 365 f., 374 f., 579, 606, 610-611, 620, 784, 802, 877, 918 ff., 927 f., 955 der Wahl s. Wahlfreiheit der Wissenschaft s. Wissenschaft Freiheitlich demokratische Grundordnung 57, 228, 662, 681, 759, 788, 886, 951, 964 —



(Mann und Frau) XXXVII ff., 16, 50 f., 118, 136, 142 ff., 146, 197, 338, 373, 375, 578, 643 f., 738-754, 777 ff., 803, 880, 928, 955 Gleicher Lohn XXXVII ff., 16, 51, 142 ff., 224, 254, 738, 752, 776 ff., 785, 868, 907 Gleichheit vor dem Gesetz, Allgemein 15 f., 35, 50f., 70, 76,115,118,142-146,197, 214, 338, 373-375, 578, 585, 621 ff., 738-754, 764, 785, 802, 876, 879, 928, 949, 955 Gleichheitsgrundsatz, Anwendung auf juristische Personen 771 f.

Grenzberichtigungen s. Bundesgebiet Großberlin





Freiheitsentziehung, Behandlung Festgehaltener 18 f., 52, 62, 79-82, 86, 334, 366, 375 f., 579, 620, 784, 802, 878, 928

Benachrichtigung Angehöriger 18, 86, 334, 366, 376 Freizügigkeit 20, 36, 44, 46-49, 59, 88-101, 115, 180, 335, 374, 378, 579, 613-615, 620, 765, 786, 805, 882, 941, 960, 1007,



1039

ff.

Friedensvertrag



Recht 11, 27, 35, 38, 40, 43, 62 f., 69, 215, 334, 379, 583, 918 Abänderungsvorschläge der CDU/CSU



843—847, —

1038





308

Gemeineigentum, Uberführung in,

Soziali-



ff.,



313, 339, 473, 537, 552, 889

sierung

Gemeinschaftsschule





s.

der KPD XXXV, 612, 675, 695 Allgemein 2, 9-11, 13, 15 ff., 37 ff., 50 ff., 63 ff., 116, 334, 578, 584 ff., 806 ff. Aufhebung durch Notverordnungsrecht 185-193, 215, 951 f. deklaratorischer Charakter XXXIII, 9 f., 15, 44

Einschränkung

Gefangene s. Freiheitsentziehung Geistiges Eigentum 149, 202, 257 Gemeinden, Selbstverwaltung 304, s.

604

Abänderungsvorschläge

296, 546 f.

Fünferausschuß des Pari. Rates

7, 13, 517, 523, 969, 971 als Provisorium XXIX, XXXV, 7 f., 12, 14, 41, 45, 116, 155 f., 158, 160, 173, 177, 232, 247, 265, 281, 289, 523, 807, 970

Geltungsbereich s. Bundesgebiet Ratifizierung 271 Grundpflichten 38, 49 f., 151, 722, 757 Grundrechte als unmittelbar geltendes



Übergangsbestimmungen



Berlin





1038-1045

s.

Grundgesetz (Verfassung), Bezeichnung

Simultanschule



26

f.,

214

f.,

754

ff., 886,

950-953

Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses 578-583, 584 ff. historischer Überblick 28-32 in Länderverfassungen 10, 35, 40, 43, 46 Katalog Bergsträsser XXXIII, 15-27, 29, 32, 50-61 1069

Sachindex





klassische XXXIII, 9, 15, 35-37, 42, 45, 49, 116, 217, 806, 813 staatsrechtliche Betrachtung XXXIII, 33-38

(Unantastbarkeit) 8, 27, 119, 150, 154, 197, 214 f., 226-228, 338, 583, 631, 754-760, 886 und Besatzungsmächte 10, 28, 35, 39, 164, 265 und juristische Personen, (Körperschaften) 789 f., 812, 885, 949 f., 963 unechte (wirtschaftliche und soziale, „Lebensordnungen") XXXIV f., XLIV, 10, 37, 116, 145, 148, 163, 215-219, 472, 478, 636 ff., 646 f., 686, 788, 806-808, 868 f., 886, 963 Verwirkung 26, 57, 755, 766, 788, 800, 886, 950, 964 wirtschaftliche und soziale s. KPD Grundrechtsartikel, Numerierung 764—766,

Substanzgarantie













769

Haager Landkriegsordnung 181, Habeas-Corpus-Akte 1045 Hamburg, Länderneugliederung 440, 450, 456

Handelsflotte Hannover

f., 985, 1016,

318, 548 389, 397,

Verfassung -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -Art. -

-Art.

1025

von

1946

XXXIII, 45,

Hirschhorn, Kreis Bergstraße 1018,

890

Hitler-Stalin-Pakt

18, 20, 105, 115

1021 f.

279

Hoheitsrechte, Übertragung

Hauptausschuß, 2. Sitzung 425 4. Sitzung 584 6. Sitzung 805, 853 16. Sitzung 693 17. Sitzung XXXIX, 806, 810 18. Sitzung XLVIII, 721, 851 21. Sitzung XLV 22. Sitzung XLV, LI, 852 26. Sitzung 563 27. Sitzung 893 39. Sitzung LIII 42. Sitzung XL 43. Sitzung XLI 44. Sitzung XLVIII Grundrechte, 1. Lesung 802-804 Notstandbestimmungen 27 Haussuchung 18, 20, 105, 115

82

1 16, 51 2 17, 75 7 83 11 22 14 25 17 662 f., 755, 759 18 609 19 20 21 423 22 19 23 18, 51 24 19 25 27 29 126, 700 33 16, 51, 752 46 625 48 640 49 639 54 763 56 646, 814 57 646 58 646 65 290 69 418 146 57 147 57, 152 156 813

von,

s.

Zwi-

schenstaatliche Einrichtungen

Hohenzollern, preußische Provinz

-

Hohenzollern-Sigmaringen

-

Holland, Rundfunk

-

Homosexuelle

-

411

535

931

347, 363

-

-

-

Impfung

919 ff. Information (Unterrichtung), Freiheit 23, 53, 111 f., 115, 223, 336, 376, 580, 654 f., 711, 785, 803, 878, 929 f., 956 f. Internationale Frauenliga für Frieden und

-

-

-

-

-

Freiheit, Eingabe

-

901

Schiedsgerichtsbarkeit Schiedsgerichtsbarkeit

Internationale

-

-

Heimat, Grundrecht 479, 856 Heraldiker, Charakterisierung durch Heuss

Invocatio Dei

s.

s.

Präambel

Italien, Verfassung

966

492

Herrenchiemsee s. Chiemseer Entwurf Hessen, Betriebsrätegesetz 37, 217 Gemeinschaftsschule 813 -

-

Länderneugliederung

347,

394,

Jugendschutz 579

452,

894, 985 f., 988, 992

Schulgeldfreiheit

-

1070

59

-

26, 111, 112, 115, 254, 367,

f., 615, 620, 629, 711, 743, 879, 893,

933, 1042 Filmzensur 111, 115, 336, 376, 672, 785, 803, 879, 933, 957

Sachindex



und Unverletzlichkeit der Wohnung 115, 335, 615, 787, 883, 942, 961

Jugoslawien, Verfassung



Gewährleistung der Verfassungsmäßigkeit durch den Bund 312, 314, 339, 538, 552

545

Schulkompetenz Länderneugliederung —

Kanada, Verfassung Kehl

60 s.

f., 810, 819,

824

Neugliederung

Länderrat US-Zone, Pressegesetze

54

Länderverfassungen 45 Normativbestimmungen

545

329 f.

Kellog-Pakt 317, 853 Kiel, Arbeitspflicht 94



Kinderarbeit, Verbot 254, 907 Kirchen, Eingaben 633 f. Kirchliche Bestimmungen s. auch Staat und Kirche, Konkordate XLI ff., 629 f., 635 ff., 760, 835-840, 864 f. Koalitionsfreiheit 121 ff., 146, 224, 255, 336 f., 378, 425, 475, 479, 581, 585 ff., 686 ff., 726, 779, 786, 804, 869, 881, 939, 959

Kollektive Sicherheit 316 ff., 324 f., 328, 339, 542 f., 553, 890 Kollektivschuld-Bekenntnis 514 Kolonien 907 Kompetenzausschuß s. Ausschuß für Zustän-

digkeitsabgrenzung

Konferenz der Kirchen der britischen Zone, Eingabe 633, 641, 762, 838, 899 Konfessionsschulen s. auch Simultanschulen XLV, 809, 818, 822 Konkordate 639, 836 ff., 865, 904 f. Konzentrationslager 26, 57 KPD, Antrag zu Grundrechtsartikeln (1. Lesung) 612, 675, 695 Eingabe zu sozialen und wirtschaftlichen Grundrechten XXXV, 253-259, 481, 675, 727 f., 868-871 Kriegsächtung (Störung des Völkerfriedens) 316 f., 331-332, 340, 418, 422, 450, 473 f., 553, 761, 852-854, 890 f. Kriegsdienstverweigerung XL f., 417—422, 473 f., 760-762, 785, 803, 878, 929, 956 Eingaben XXXVI, XL, 417 ff., 473, 476, 480, 483, 897, 901, 907 f. Kriegsgefangene in Rußland 477 Kriegsgerät (Waffen) 316 f., 331 f., 340, 450, 540-549, 553, 852-854, 891, 907 Kriegsverbrecher, Enteignung 256, 727 Kultusministerkonferenz 863 f. Kunst, Freiheit 23, 54 f., 117, 120 f., 146, 336, 376, 581, 676, 680-682, 711, 765, 786, 803, 859, 879, 934, 950, 957



2, 129, 287, 297, 303-312, 339, 401, 533, 536-541, 552, 707, 721, 791, 867, 889 Sozialordnung in den 116 s. auch Grundrechte

Landeszugehörigkeit s. Staatsangehörigkeit Lastenausgleich, Eingabe 423, 901 —

Leben, Recht auf (Schutz des) 56,

604

f.,

620, 784, 802, 857, 877, 918-924, 954 s. auch Abtreibung Lebensmittelkarten, Entzug 216 f., 780, 926 Lebensordnungen s. Grundrechte, unechte Lehrfreiheit 54 f., 117, 121, 145, 336, 370, 376, 581, 680-682, 711, 756, 765, 786, 803, 859, 879, 934, 950, 957 Lindau 394 Lippe, Neugliederung 412, 432, 441, 454 Lippe-Detmold 443, 506, 1018 Londoner Abkommen 234, 517, 560 —

Lüdemann-Ausschuß

s.

Neugliederung

-



-

Länder, Änderungen im Gebietsbestand

Neugliederung

s.

Magna Charta

29

Länderneugliederung 343, 353, 386, 401, 428, 434 f., 449-451, 1027 Meinungsfreiheit (Freiheit der Meinungsäußerung) 21-23, 35, 41, 53, 111-116, 121, 193, 223, 336, 367, 376, 580, 648-675, 711, 765, 785, 803, 878, 929 ff., 956 Schranken 22 f., 26, 35, 41, 53, 55, 115, 188, 336 ff., 648 ff., 933 f., 964

Mecklenburg,

-

Memelgebiet Memmingen

162 394

Menschenrechte, Entwurf der UNO XXXIII, 10, 16-20, 21-26, 34, 52-54, 56 f., 59, 69, 92 f., 151, 220-225, 509, 586, 592, 596, 605, 608, 614, 621 f., 631, 642 f., 645, 656 f., 682, 686, 709 f., 718, 721, 727, 742, 751, 776, 779, 783, 807, 810, 864, 876, 878

Menschenwürde 52, 62-75, 86, 334, 362 f., 374, 578, 585-602, 603 f., 606 f., 620, 782, 784, 802, 910-918, 954

Ministerpräsidenten, Ländergrenzausschuß s. Neugliederung Mitbestimmung in der Wirtschaft 47 Monopole, Verbot 24, 56, 256 Münchener Abkommen

279

1071

Sachindex Mutterschaftsschutz 868, 880, 958

224,

255

f.,

809

ff.,

907, 983, 987, 990 f., 993 f., 1001, 1016, 1020, 1024

Oldenburgischer

Nansen-Paß 710 Nationalkomitee Freies Deutschland 157 Nationalsozialismus (NS-Zeit, Nazi-Regime, Nazis) XXV, XXX f., XXXIII, XLVIII, 16, 22, 32, 45 f., 51, 54, 63 f., 73, 98, 101, 112, 114, 230 f., 238-240, 256, 264, 274, 276 f., 309, 333, 361, 493, 497, 500, 514, 558, 607, 645, 651, 665, 707, 709, 713, 716, 757, 763 f., 774, 813, 848, 903, 922, 968 Naturrecht 15, 29, 40 f., 44, 63-68, 72, 216, 218, 519, 821, 905 Naturschutz 479, 899, 907 19 ne bis idem Neckarsteinach, Kreis Bergstraße 1018 Neugliederung der Länder, Auftrag (Ausschuß) der Ministerpräsidenten LH, 343, 346, 382, 405, 428, 456, 482, 897, 986, 993 f., 996, 1000 Neugliederung des Bundesgebietes (der Länder) LI ff., 300, 343-360, 380-414, 427-464, 533-535, 550 f., 888, 981-1006, 1008-1037, 1046 f. Neuhaus, Elbe 451

Niedersachsen, Länderneugliederung 343 f., 346, 358, 386, 391, 412, 428, 432, 439 f., 443, 451, 456 f., 477, 535, 894, 984, 988, 1007, 1024, 1030, 1036 Niedersächsischer Zeitungsverleger-Verein,

Eingabe

898

Nordrhein-Westfalen,

Länderneugliederung

Normativbestimmungens.Länderverfassungen

Notstandsrecht 27, 58, 185 ff., 677, 951 nulla poena sine lege 19, 52, 364 numerus clausus 90 f., 725, 801

Oberschlesien 357 Oder-Neiße-Linie (Ostgebiete) 497, 515

öffentliches Amt, Zugang 16, 51, 118, 135 f., 146, 224, 337, 379, 720-723, 788, 885, 948 f., 962

Oldenburg, Länderneugliederung

345, 347, 349, 353, 358, 386, 391, 407, 436, 439-441, 443, 445, 454, 456, 534 f., 867, 893-896,

1072

349

Ostgebiete s. Oder-Neiße-Linie Ostpreußen 261

Ostzone (Osten, SBZ), XXV, XXXIV, 129, 164 f., 170, 182 f., 237, 307, 564, 778, 814 Aberkennung der Staatsangehörigkeit 714, 718 Aufnahme von Ländern der 453, 532 Auslieferung XLVII, 85, 579, 611 —





















































Bevorzugung der SED-Mitglieder Bildungswesen 60, 863 Eingaben aus der 908 Einheitspropaganda 508 Enteignung 735

Flagge 302 f., 315, 341, 491 Flüchtlinge aus der 86 Freizügigkeit für 613, 850, 941 Grenzziehung 297 Länderneugliederung LH, 343 f.,

774

353,

381, 386, 400, 428, 435, 447, 452 f. Länderverfassungen 304, 538

Maquis-Erscheinungen Presse

85

167

Propaganda

791

Pseudodemokratie 280 Rechte der Deutschen in der 705 Rechtshilfe 84 Rücksicht bei Namensgebung Bundesre-

publik

174

russische KZ 326 Schwarzhändler aus der

782

Staatsangehörigkeit 946 Uranbergwerke 90 f., 180, 619 Verfassungswirklichkeit 312

Vermißte 477 Wahlfreiheit 713 Zerstörung von Schlössern

205



Pari. Rat s. Allg. Redaktionsausschuß, Ältestenrat, Fünferausschuß, Wahlrechtsausschuß, Ausschuß für Parlamentarische Elegie XXII Parteien, Vorschriften 8, 129, 307, 312, 339, 536, 552, 678 Personalakten, Einsicht 480 Persönliche Freiheit s. Freiheit der Person Petition of Rights 29, 721 Petitionsrecht 24, 55, 115, 118, 137-141, 146, 337, 378, 723, 765, 788, 885, 949, 968 ...

296, 356 f.,

Eingabe

383, 508

Ostfriesland, Neugliederung



349, 358, 387, 443, 456 Nordwestdeutscher Rundfunk, Eingabe 866, 931 f. Nordwestdeutscher Zeitungsverleger-Verein, Eingabe 651, 892, 908

Landesbund,

477, 534, 893 Osnabrück 345 Österreich, Anschluß

Sachindex Pfalz, Neugliederung der Länder 346 f., 351, 394, 410, 440, 454, 459 f., 482, 897, 984, 987

Plenum, -

-

-

-

Sitzung 3, 12, 806 3. Sitzung 3, 40, 343 4. Sitzung LH, 269, 521 9. Sitzung 210 10. Sitzung LI 26. Sitzung 555 2.

Polen -

320 in Deutschland

Presserat für die britische Zone,

Preußen, Verfassung

Reichsverfassung

959

-

-

-

-



-

-

229-232

Entwurf Suhr 260 ff. Entwurf v. Mangoldt 511 f., 555 Entwurf Zinn XXIX, XXXI, 154, 156-157, 274 f., 284 f., 287, 496-520, 554, 576, 965-978, 979-981 509 f., dei XXXI, Invocatio 497, 518-520, 555, 576, 876, 900, 972 Stellungnahme der SPD 497 Wortlaut 1. Lesung 251 f., 333 f. Wortlaut 2. Lesung 576 Presse, Lizenzierung 113, 651, 673, 893, 908 Verpflichtung zur Wahrheit 23, 54, 111 ff., 656 ff., 711, 785, 803, 879, 932, 957 Pressefreiheit 35, 54, 111 ff., 187 f., 190 f., 193, 336, 367 ff., 374, 376, 580, 620, 649-675, 756, 769, 785, 803, 866, 878 f., 892, 898, 908, 930 ff., 957 Antrag der Aktionsgruppe Heidelberg -

-

XXXVI, 31,

von

1871

von

Weimar

s.

30, 43,

33

Weimarer

Religionsfreiheit (-ausübung)

Verfassung

21 f., 41, 54, 109, 115, 223, 335, 367, 376, 580, 620 f., 623 ff., 635, 647, 762-764, 785, 803, 812, 825, 836, 878, 956 Religionsunterricht 60, 259, 634, 645 f., 810, 815, 823, 825, 870, 880 f., 904, 936-939, 958

Religiöse Überzeugung, Offenbarung 110, 115, 335, 376, 580, 632 f., 785, 803, 878, 956

Republikschutzgesetz

113

Revolution von 1848 248 Rheinischer Merkur 242, 871

Rheinland-Pfalz, Länderneugliederung 344, 346 f., 350 f., 358, 387, 410, 434 f., 441, 452, 984, 996 f., 1001, 1016, 1018

Verfassung von 1947, Art.

27

814

Rundfunk, Beschränkung des Empfangs 53, —

111,115, 336, 580, 711, 785, 803, 878, 957

-

-

1848/1849

von



-

-

734

120, 136, 149, 876

-

Potsdamer Abkommen (Konferenz) 278, 329 Präambel XXVII ff., 2, 7-9, 14, 28, 48, 116, 154, 156-171, 172-185, 219, 229-251, 260-287, 333, 496-520, 554-576, 965-978, 979-981 Bayerischer Entwurf 498—501 Entwurf Allgemeiner Redaktionsausschuß XXXII, 875 f., 965 Entwurf Carlo Schmid 275 Entwurf DP 501 ff., 518, 520, 965 Entwurf Hauptausschuß 1. Lesung 968 f. Entwurf Heuss XXIX, 155, 158, 509, 512, 516, 555 Entwurf Kaufmann 275—277 Entwurf Kroll 510 f. Entwurf Mücke 515 Entwurf Redaktionsausschuß XXXI,

1850

von

Preußisches Allgemeines Landrecht 38, 78 Privatschulen 258, 811, 817, 823 f., 865, 870, 902, 905, 909

751

Politische Überzeugung, Offenbarung 717, 770, 772-775, 785, 803, 879, 933, 957 Pommersfelden, Schloß 200, 204 Postgeheimnis 18, 20, 24, 53, 55, 74, 78, 115, 117, 119 f., 146, 185, 193, 269 f., 336, 369, 377, 581, 614, 655 f., 711, 881 f., 886, 950,

Eingabe

901

Freiheit der Berichterstattung 111 ff., 115, 336, 376, 651, 654 ff., 711, 785, 803, 866, 878, 930 ff. Hörergebühren 929 f. -Wahrheitspflicht 111 ff., 336, 656 ff., 711, 785, 803, 932, 957 Rußland 477, 643 —

-

-

-

-

-

SA

766-769

296,

298,

328

f.,

f., 357, 450, 452, 546 f. Sachsen-Anhalt, Länderneugliederung 343 f., 346, 353, 428, 451 346

Schiedsgerichtsbarkeit, 326

-

-

187, 317

Saargebiet (Saarfrage)

ff., 340, 473, 553,

Schlesien Dänen —

316,

890

544

Schleswig-Holstein -

internationale

329, 489

133

Länderneugliederung

343, 345, 353, 356, 386, 393, 397, 428, 434, 440, 449 f., 456 f., 988, 991, 1011, 1025, 1027 1073

Sachindex

Schlichtungswesen 254 Schönheitsoperation 605, 920 ff. Schulgeldfreiheit (s. auch Hessen) Schulgesetzgebung 218, 507, 809, Schulpflicht 255, 863, 870

Streikrecht 117, 124 ff., 127, 146, 255, 337, 371, 379, 581, 631, 695-703, 711, 726, 756, 795, 869, 959 Antrag der FDP 695 Beamte 127, 695, 702 f.

259 813 f.

-

Schulwesen 60 f., 646, 806 ff., 863 f. Schutz des Lebens s. Leben Schwarz-Rot-Gold s. Bundesfarben Schweiz 439 Asylpraxis XLVIII, 612 Deutsche 102 deutsches Gebiet 296 Presserecht 630, 649, 654, 656, 662 Verfassung 196, 229

Sudetengebiet 162 Süd-Oldenburg 353 Südafrika, Verfassung -

545

Südweststaat 987

-

-

-

Tecklenburg, Länderneugliederung 412 Telegrafengeheimnis 117, 119, 146, 336,

-

-Art. -Art. -Art. -Art.

3 538 5 314 16 538 43 131, 705

-

SED, Verfassungsentwurf

Selbstverwaltung den Simultanschule

5, 752, 778, 869 der Gemeinden s. Gemein-

646, 809, 813

ff., 818, 821,

824, 870

Sonntag, Schutz 254 Sowjetische Besatzungszone

s.

Soziale Sicherheit, Recht auf

Ostzone 776

Sozialisierung (Gemeineigentum)

58, 197 ff., 256, 338, 377, 583, 737 f., 766, 787, 869, 883, 944 f., 961 Sozialisierung des Ruhrbergbaus 49

Sozialversicherung

370, 377, 677 f., 711, 786, 881 f., 950, 959 Vorzensur 368, 376, 580, 649 f., 653, 932 Thedinghausen, Exklave 443 f., 455 Thüringen, Länderneugliederung 434, 447,

Theater,

255

452

Tierschutz, Eingaben

479

Todesstrafe

19, 423, 605, 857, 877, 923 Treue zur Verfassung 26, 57, 111 f., 114 f., 117, 121, 146, 151, 178, 336, 369 f., 376, 581, 631, 648 f., 652, 667 f., 676, 680 f., 780, 879 Triest

298

Tschechoslowakei, Aufnahme geflohener Politiker

21

Türkei, Verfassung, Art.

68

17

Spanien 526 SPD, Antrag zur Kriegsdienstverweigerung 760-762

Grundgesetzentwurf -

Flaggenfrage

und -

-

1949

425,

341,

465

ff.,

485 ff.

und Grundrechte -

April

vom

XXXVI

zur

Frau

Sport

217

Gleichberechtigung XXXVIII,

von

Mann und

738

909

Staat und Kirche s. auch kirchliche Bestimmungen 604, 630 ff., 835 ff., 865, 904, 1007

Staatsangehörigkeit im Bund

117, 129-132, 146, 193-197, 337, 378, 704-706, 711, 714-719, 765, 787, 884, 945-948, 961 Staatsangehörigkeit in den Ländern 117, 129-132, 246, 337, 378, 704, 945 f.

Staatsgebiete

s.

Streik 1074

s.

lege

vom

in

Gemeineigentum

s.

Soziali-

sierung

Übergangsvorschriften 36, 180, 805, 846 f. Umdruck Nr. S 7 911 ff. Uneheliche Kinder 254, 644 f., 809 ff., 860 ff., 869, 880, 935, 958 UNO s. Menschenrechte Unternehmerverbände 255 Unterrichtung s. Information Unversehrtheit, Recht auf körperliche (s. auch Folter) 19, 26, 56, 63, 78, 86, 335, 363, 374, 604 f., 857, 905, 919 ff., 954 Urlaub, Recht auf bezahlten 254, 869 USA, Grundrechte 601 Verfassung 47, 535 Vorherrschaft einer Rasse 738 —



Bundesgebiet

Statistik 871 Stimmrecht 24, 56 Strafgesetze, rückwirkende sine

Überführung

12. Nov. 1948

703

nulla poena

Verband der

Journalisten Niedersachsens

e.V., Eingabe 908 Verband der Privatschulen, Eingabe

909

Sachindex

Vereinigungsfreiheit

-25, 45, 56, 115, 117, 121-129, 146, 186 f., 192, 224, 336, 374, 378, 581, 669, 685-703, 711, 765, 786, 804, 881, 939, 959

Verfassung, Durchbrechung Unverbrüchlichkeit

Verfassungsgericht -

s.

226—228

228 f.

Bundesverfassungsge-

richt

Versammlungen, Versammlungsfreiheit

25, 56, 115, 117, 121-129, 146, 186, 189-191, 193, 224, 336, 367, 374, 378, 581, 669, 683-685, 711, 726, 765, 786, 804, 881, 939,

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

958

Viernheim 1019 Völkerfrieden s. Kriegsächtung Völkerrecht als Teil des Bundesrechts 315-322, 339, 541 f., 552, 889 f. Volkskongreß 5, 168, 249 Volksrat XXV, 5, 168, 302, 304, 315, 341, 421

-

-

-

-

-

-

-

-

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

118 119 120 121 123 124 125 126 128 129 131

42, 112, 367, 649, 653 39, 643, 806, 808, 826 808, 880 644, 811, 829 ff., 861 122, 370, 683, 808 123, 704 132, 708, 713 140, 135 480

f.

109, 239, 365, 762, 791-794,

800

Art.135 Art. 137 Art. 147 Art. 153 Art. 154 Art. 155 Art. 159 Art.160 Art. 162

109, 763 627 909

724-726,731,734 148 737

124, 686 f. 840, 842 151

Präambel 249, 876 Weinheim 1019 Weltstaat 137, 543 -

-

Waffen, Herstellungsverbot s. Kriegsgerät Wahlfreiheit (Freiheit der Wahl) 56, 117, 132-135, 146, 337, 374, 379, 582, 706-709, 711-714, 765, 788, 885, 948, 962 Wahlgeheimnis 117, 132 ff., 146, 337, 379, 582, 711 ff., 788, 885, 948, 962 Wahlpflicht 57 f., 133, 706, 723, 885, 948 Wahlrecht (Wahlberechtigung) 13, 24, 56, 712

Waldorf-Schulen 817 Weimarer Republik als Begriff in der Präambel 241 ff. Kontinuität nach 1945 s. Deutschland Professoren 24 Weimarer Schulkompromiß 60 Weimarer Verfassung XXXVII, 31, 34 f., 157, 161 f., 231, 233 f., 239, 245, 271, 274, 670, 771, 794, 880 Art. 1 174, 291 Art. 3 314, 470 Art. 4 317, 542 -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Art. 7 737 Art. 18 167, 350 f., 353-355, 358, 382, 445, 997 Art. 48 78, 539 Art. 76 226 Art. 109 142, 373, 742, 789 Art. 110 129, 194, 704 Art. 111 89 f. Art. 112 83, 101 Art. 114 37, 78 Art. 115 105 Art. 117 369, 655

Weltstaat-Liga, Eingabe

481

Wenden 751 Westdeutscher Autorenverband e.V., Ein-

gabe

893

Widerstandsrecht

26, 56 f., 152 f., 865 f. 716,

Wiedereinbürgerung Ausgebürgerter

848 f., 851 Wilhelmshaven, Arbeitspflicht 94 Wissenschaft, Freiheit (und Begrenzung) 23 f., 54 f., 115, 117, 120 f., 146,

336, 370, 376, 581, 676, 680-682, 711, 786, 803, 859, 879, 934, 950, 957

Wittlich, Kreistag, Eingabe

483

Wohnung, -

Recht auf 47 Unverletzlichkeit 20, 36, 53, 88, 90, 105-109, 115, 335, 366 f., 374, 475, 580, 614-617, 620, 765 f., 787, 883, 940-942, 960

Würde des Menschen

s.

Menschenwürde von 1946,

Württemberg-Baden, Verfassung -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

1 66 2 66, 753 6 105 7 120 8 148, 209 23 124, 701 29-34 836 33 764 46 318 47 852 92 318 98 309

-

1075

Sachindex Art. 104 —

Art. 107

180 345

Württemberg-Hohenzollern, Verfassung, Art. -

97

124

Zentrum, Antrag zu Staat che 835-840 Zigeuner und Freizügigkeit

s.

Film, Jugendschutz, Pressefreiheit,

1076

741,

858,

f.,

Resolution

Theater Zensurfreiheit (Zensurverbot) 22, 111, 115, 336, 367, 376, 580, 649 ff., 711, 785, 803, 878, 932, 957

Kir-

1049 Zonenbeirat 5 1040



Zensur

und

des

Flüchtlingsausschusses

480

Zwangsarbeit

36, 88 ff., 115, 335, 378, 579, 617-620, 726, 787, 882, 942, 960

Zwischenstaatliche Einrichtungen, ÜbertraHoheitsrechten 8, 315, von gung 322-328, 339, 544-546, 553, 890

rundsatzfrager

-

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HARALD BULUI VBKLP BOPPARD AM RHEIN