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German Pages 914 [911] Year 1996
Mit der Edition „Der Parlamentarische Rat" sollen vornehmlich die Wortprotokolle der Ausschüsse dieses Gremiums, das in den Jahren 1948/1949 das Grundgesetz für die Bundesrepublik schuf, versehen mit einem histo-
risch-kritischen Anmerkungsapparat, der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Band sechs dieser Reihe dokumentiert die Arbeit des Ausschusses für Wahlrechtsfragen, der in 25 Ausschußsitzungen das Wahlgesetz für die erste Bundestagswahl beriet. Unter dem Vorsitz von Max Becker und seinem Stellvertreter Georg Diederichs entschied sich der Ausschuß nach zähen Verhandlungen für ein modifiziertes Verhältniswahlrecht. Das Wahlgesetz wurde aufgrund alliierter Einwände jedoch nicht vom Parlamentarischen Rat, sondern erst im Juni 1949 von den Ministerpräsidenten der Länder verabschiedet, die es noch mit einigen Änderungen, so etwa der Einführung einer 5 %-Sperrklausel, versahen. Die Protokolle der Ausschußverhandlungen geben einen eindrucksvollen Einblick in den Stand der damaligen Wahlrechtsdiskussion. Die Parlamentarier waren bestrebt, mit dem neuen Wahlrecht die negativen Auswirkungen des absoluten Mehrheitswahlrechts der Kaiserzeit mit seiner mangelhaften Wahlkreiseinteilung einerseits und des reinen Verhältniswahlrechts der Weimarer Republik andererseits zu vermeiden. Indem sie neben der Listenwahl auch die Wahl in Einmannwahlkreisen in dem Gesetzentwurf verankerten, trugen sie den Bedenken der zahlreichen Befürworter des reinen
Mehrheitswahlsystems Rechnung.
HARALD BOLDT VERLAG BOPPARD AM RHEIN
Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle
Band 6 Ausschuß für Wahlrechtsfragen
HARALD BOLDT VERLAG
•
BOPPARD AM RHEIN
Der Parlamentarische Rat 1948-1949
Band 6
Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle
vom
herausgegeben Deutschen Bundestag
und
vom
unter
Bundesarchiv
Leitung
von
Rupert Schick und Friedrich P. Kahlenberg
Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle
Band 6
Ausschuß für
Wahlrechtsfragen
bearbeitet von
Harald Rosenbach
© HARALD BOLDT VERLAG
•
BOPPARD AM RHEIN
Die Deutsche Bibliothek
CIP-Einheitsaufnahme —
Deutschland (Gebiet unter Alliierter Besatzung) / Parlamentarischer Rat: Der Parlamentarische Rat : 1948—1949 ; Akten und Protokolle / hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv unter Leitung von Rupert Schick und Friedrich P. Kahlenberg. Boppard am Rhein : Boldt. Bis Bd. 4 hrsg. unter Leitung von Kurt G. Wemicke und Hans Booms NE: Wernicke, Kurt Georg [Hrsg.]: Schick, Rupert [Hrsg.]; HST —
Bd. 6. Ausschuss für Wahlrechtsfragen / bearb. Harald Rosenbach. 1994 ISBN 3-7646-1932-5 NE: Rosenbach, Harald [Hrsg.]
von
-
ISBN 3-7646-1932-5 1994
© Harald Boldt Verlag Boppard am Rhein Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Printed in Germany Herstellung: boldt druck boppard •
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Einleitung. 1. Der Ausschuß für Wahlrechtsfragen im Parlamentarischen Rat .
.
Kompetenzproblem. Errichtung des Wahlrechtsausschusses und seine personelle Zusammensetzung
Das b. Die a.
.
VII VII VII XII
Verhandlungen des Wahlrechtsausschusses bis zur Verkündung des Wahlgesetzes. a. Die Tätigkeit des Ausschusses für Wahlrechtsfragen b. Schwerpunkte der Ausschußarbeit. c. Die Ministerpräsidentenkonferenz von Bad Schlangenbad 3. Auswahl und Einrichtung der Dokumente.
XXV XXV XLII XLVII
Verzeichnis der Dokumente.
LV
2. Die
....
.
Dokumente (Nr. 1-29)
.
.
LI
1
Verzeichnis der
Abkürzungen.
823
Verzeichnis der
ungedruckten Quellen.
827
gedruckten Quellen und der Literatur. 1. Dokumentationen, Dokumentensammlungen
829
2. Amts- und Gesetzblätter.
830
Verzeichnis der
.
3. Memoiren
und
829
Darstellungen.
831
.
837
Sachindex.
843
Personenindex
V
EINLEITUNG
1. DER
AUSSCHUSS FÜR WAHLRECHTSFRAGEN IM PARLAMENTARISCHEN RAT
a.
Das
Kompetenzproblem
Der Wahlrechtsausschuß nahm im Rahmen der Beratungen des Parlamentarischen Rates in zweifacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Diese ergab sich zum einen aus dem Kompetenzproblem, der Frage nämlich, ob der Parlamentarische Rat überhaupt befugt war, ein Wahlgesetz zu erlassen, oder ob dies nicht in den Zuständigkeitsbereich der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder fiel. Zum anderen waren sich auch die Mitglieder des Parlamentarischen Rates selbst darin einig, daß das Wahlrecht kein Bestandteil der Verfassung sondern durch ein eigenes Gesetz geregelt werden sollte1). Doch während der zweite Umstand weder bei den Alliierten noch bei den Ministerpräsidenten oder dem Parlamentarischen Rat umstritten war2), belastete das Kompetenzproblem die Beratungen des Rates bis zum Frühjahr 1949.2) von Königstein am 24. März 1949 verknüpfte der Berichterstatter des Pari. Rates, der Vorsitzende des Wahlrechtsausschusses, Max Becker, beide Aspekte: „Die [. .] Anfrage, ob das Wahlsystem in der Verfassung selbst niedergelegt werden sollte [. .] führt schon in die Frage der Zuständigkeit hinein, denn wir wissen ja aus den vielen Länderverfassungen, daß dort das System niedergelegt ist. Man könnte also aus diesem Grunde heraus ohne weiteres schon die Kompetenz des Parlamentarischen Rates zur Schaffung eines Wahlgesetzes folgern. [. .] Unsere Kompetenz haben wir auch ferner daraus herleiten zu können geglaubt, daß schließlich, wenn die Verfassung dasteht, in irgendeiner Form die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, daß diese Verfassung nun in ihr praktisches Leben eintreten kann. Dazu aber gehört natürlich zunächst das Wahlrecht zum Volkstag, ebenfalls aber auch eine gewisse Bestimmung für die Wahl des Bundespräsidenten" (Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945—1949. Herausgegeben von Bundesarchiv und Institut für Zeitgeschichte Bd. 5: Jan. —Sept. 1949, bearb. von Hans-Dieter Kreikamp. München, Wien 1981, Dok. Nr. 22, 24. März 1949, TOP 2, S. 305 f.). 2) Der Parlamentarische Rat 1948—1949. Akten und Protokolle. Hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv Bd. 2 : Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee. Bearb. von Peter Bucher. Boppard 1981, Dok. Nr. 3, S. 127. Ganz ähnlich argumentierten auch alle Mitglieder des Wahlrechtsausschusses (siehe hierzu das Kurzprotokoll der ersten Sitzung, S. 1 f.). Auch in den anderen Verfassungsentwürfen war das Wahlsystem einem außerhalb der Verfassung stehenden Gesetz vorbehalten (siehe z. B. § 8 des Menzel-Entwurfs vom 2. Sept. 1948, Drucks. Nr. 53), veröffentlicht in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen. Zur Geschichte des Grundgesetzes. München 1979, S. 394). Ein Vergleich der bis dahin dem Pari. Rat vorliegenden Verfassungsentwürfe (Chiemseer Gutachten, Ellwanger Grundsätze der CDU/CSU, Menzels westliche Satzung und Richtlinien des Deutschen Volksrates der SED) zeigt, daß bis auf
1) Auf der Ministerpräsidentenkonferenz .
.
.
VII
Einleitung Weder das
SchluBkommuniqué der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz über sog. Frankfurter Dokumente4), die die Errichtung des
Deutschland3) noch die
Parlamentarischen Rates einleiteten, hatten die Frage der Kompetenz der zu bildenden Verfassunggebenden Versammlung in puncto Wahlgesetzgebung eindeutig geklärt5). Allerdings gab es konkrete Anzeichen dafür, daß die Alliierten die Wahlgesetzgebung lieber in der Kompetenz der einzelnen Länder sahen, zumal sich einzelne Beobachter mit dem Hinweis auf die damit angeblich verbundene Schwächung des föderalistischen Aufbaus eines westdeutschen Staates intern gegen die Zuständigkeit des Parlamentarischen Rates in der Wahlrechtsgesetzgebung aussprachen6). Aber ungeachtet dessen ließen die Ministerpräsidenten am 8./10. Juli 1948 auf der sog. Rittersturzkonferenz, wo sie ihre Stellungnahme zu den Frankfurter Dokumenten formulierten, keinen Zweifel an der Zuständigkeit des Parlamentarischen Rates im Wahlgesetzgebungsverfahren aufkommen7). Wörtlich hieß es dazu in der Stellungnahme der Ministerpräsidenten zu Dokument Nr. I: „Die Ministerpräsidenten werden den Landtagen der drei Zonen empfehlen, eine Vertretung {Parlamentarischer Rat) zu wählen, die die Aufgabe hat, [...] ein Wahlgesetz für eine auf allgemeinen und direkten Wahlen beruhende Volksvertretung zu erlassen8)." Diese Auslegung der alliierten Po-
die „Richtlinien des Deutschen Volksrates" für die zu gründende DDR kein deutscher Verfassungsentwurf das Wahlrecht in der Verfassung festschreiben wollte (vgl. den vermutlich aus der Feder von Arnold Brecht stammenden „Vergleich von Verfassungsent-
3) 4)
5)
6) 7) B) VIII
würfen" im NL Kaufmann, ACDP 1-071-028/5; Der Pari. Rat Bd. 2, S. CXXVIII). Nicht vervielfältigt war der „Bericht über die Beratungen des Verfassungsausschusses der CDU/ CSU in Düsseldorf am 24./25.Aug. 1948. Auch die „Verfassungsvorschläge" der Deutschen Partei (Stade 1947) und die Denkschrift „Der Zonenbeirat zur Verfassungspolitik" (Hamburg 1948) lagen dem Pari. Rat nicht als Drucksache vor (Gerhard Leibholz/Hermann v. Mangoldt [Hrsg.]: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, NFl, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, bearb. von Klaus-Berto von Doemming/Rudolf Werner Füsslein/Werner Matz, Tübingen 1951, S. 3 Anm. 6). Vgl. auch Art. 15 Abs. 2 des „Bayerischen Entwurfs eines Grundgesetzes" (Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. 1, S. 7). Der Pari. Rat Bd. 1: Vorgeschichte. Bearb. von Johannes Volker Wagner. Boppard 1975, Dok. Nr. 1, S. 1 ff. Zu den deutschlandpolitischen Verhandlungen der Siegermächte, der Londoner SechsMächte-Konferenz und den Frankfurter Dokumenten siehe: Der Pari. Rat Bd. 1, S. XI ff. und Dok. 1, S. 4 Anm. 16 und Dok. 4, S. 30 f. (bes. Anm. 7). Dagegen ging ein Memorandum des amerikanischen Oberbefehlshabers Lucius D. Clay noch im April 1948 von der Zuständigkeit einer Verfassunggebenden Versammlung für die Wahlgesetzgebung aus (Clay, Entscheidung in Deutschland. Frankfurt o. J., S. 439 f.). Erhard H. M. Lange: Wahlrecht und Innenpolitik. Entstehungsgeschichte und Analyse der Wahlgesetzgebung und Wahlrechtsdiskussion im westlichen Nachkriegsdeutschland 1945—1956, Meisenheim am Glan 1975 (= Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft Bd. 26), S. 329. Ebenda; vgl. Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 2. Feb. 1949, BA Z 12/121, Bl. 159—160). Vor allem französische Vertreter bestritten wiederholt das Recht des Pari. Rates, ein Wahlgesetz zu erlassen (Lange, Wahlrecht, S. 333). Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 6, S. 91, 93, 99, 100 (Anm. 62) und S. 123. Ebenda, Dok. Nr. 7, S. 147.
Einleitung sition am
15.
den Keim für kommende Spannungen9). Nur wenige Tage später, Juli 1948, wurde den Ministerpräsidenten signalisiert, daß die „Militärre-
barg
gierung [...] den Erlaß eines Wahlgesetzes durch den Parlamentarischen Rat ablehnen" würde10). Die Ministerpräsidenten reagierten am 26. Juli 1948 mit dem Modellgesetz über die Errichtung des Parlamentarischen Rates, in dem sie dem Parlamentarischen Rat „die ausschließliche Aufgabe [zuwiesen], für die im Gebiet der genannten Länder zu schaffende rechtliche Ordnung ein Grundgesetz zu beraten, zu beschließen und den Ministerpräsidenten vorzulegen11)." Hinsichtlich des Wahlgesetzes rückten die Ministerpräsidenten mit dieser Formulierung also deutlich von ihrer Stellungnahme auf der „Rittersturzkonferenz" ab. Trotz dieses unmißverständlichen Auftrags betonte Carlo Schmid (SPD) angesichts der fehlenden Klärung seitens der Alliierten noch am 8. September 1948 vor dem Plenum, daß „bis heute [...] noch keine Klarheit darüber zu bestehen [scheint], wer das Wahlgesetz zur Wahl der ersten parlamentarischen Vertretung des deutschen Volkes erlassen soll, ob es von den Militärbefehlshabern erlassen werden soll oder von den Ministerpräsidenten. Bisher scheint mir nur das eine festzustehen, daß es nicht der Parlamentarische Rat erlassen soll"12). Zwar befürwortete Schmid die Einsetzung eines Wahlrechtsausschusses, zugleich wies er aber auch darauf hin, daß es noch keineswegs klar sei, womit sich dieser Ausschuß beschäftigen solle13). Zumindest, führt er aus, müßte sich
9) Lange vermutet, daß sich die Ministerpräsidenten des möglichen Widerspruchs
10)
zu den Londoner Dokumenten durchaus bewußt waren und die Zuständigkeit des Pari. Rates für das Wahlgesetz nach Absprache mit den Parteien in ihrer Stellungnahme berücksichtigten (Lange, Wahlrecht, S. 334). Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 9, S. 162. Dagegen stellte der französische Militärgouverneur General Koenig im Einklang mit seinen alliierten Amtskollegen fest: „Ich muß auch darauf hinweisen, daß die Frage der Wahlen zu jeder solchen von der Verfassung vorgesehenen Körperschaft unter die Zuständigkeit der Versammlung fällt, soweit die teilnehmenden Staaten nicht für sie zuständig sind. Auch über diesen Punkt steht den Ministerpräsidenten keine Entscheidung zu. Ferner ist die Versammlung ausschließlich zuständig für die Festsetzung des Datums der Abhaltung von Wahlen zu den von der Verfassung vorgesehenen Körperschaften und für die Festlegung der Aufgaben eines jeden dieser Organe, ob parlamentarisch oder vollziehend, die eingesetzt werden unter der Voraussetzung, daß die Grundsätze, wie z. B. der föderalistische Aufbau Deutschlands, die früher dargelegt worden sind, beachtet werden" (Konferenz der Militärgouverneure mit den Ministerpräsidenten der westdeutschen Besatzungszonen am 20. Juli 1948, in: Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 10, S. 167; vgl. auch Umdruck Nr. S 51). § 2 des Modellgesetzes über die Errichtung des Parlamentarischen Rates (Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 15, S. 286). Parlamentarischer Rat. Stenographische Berichte über die Plenarsitzungen. Bonn 1948/49, S. 15. Diese Frage konnte auch im Wahlrechtsausschuß zunächst nicht eindeutig geklärt werden. Während das Kurzprotokoll für die erste Sitzung festhält, daß sich der Ausschuß ausschließlich mit den „Fragen des allgemeinen, gleichen, direkten Wahlrechts und des Wahlalters, nicht aber die Frage des Wahlmodus" befassen solle, wurde das Protokoll eine Woche später kurzerhand geändert und die Erörterung des Wahlmodus nun als einziger Verhandlungspunkt des Wahlrechtsausschusses bezeichnet (siehe unten Dok. Nr. 1, Anm. 5; vgl. Lange, Wahlrecht, S. 339 f.). —
n) 12)
13)
IX
Einleitung dieser Ausschuß mit der Frage beschäftigen, ob die Modalitäten eines Wahlgesetzes mit in das zu beschließende Grundgesetz aufgenommen werden sollten14). Daß die Skepsis Schmids hinsichtlich der Kompetenz des Parlamentarischen Rates in der Wahlrechtsfrage keineswegs opinio communis unter den Abgeordneten war, zeigen die Ausführungen Süsterhenns (CDU) vom selbem Tag. Süsterhenn ging über Schmids Vorbehalte hinweg und bezeichnete die Ausarbeitung eines Wahlrechts sogar als „eine der Hauptaufgaben des Parlamentarischen Rates"15). Und der Abgeordnete Walter (CDU) vertrat vor dem Hauptausschuß wenige Wochen später die Ansicht, daß nach „Dokument I der alliierten Befehlshaber [. ..] der Parlamentarische Rat auch dazu berufen ist, ein Wahlgesetz zu schaffen"16). Der Parlamentarische Rat schloß sich mit
großer Mehrheit der Ansicht von Süsterhenn und Walter an. Daß er sich damit also trotz aller Bedenken der Militärgouverneure mit dem Wahlrecht befaßte, lag weniger an der Neigung, eine Konfrontation mit den Besatzungsmächten zu provozieren, als vielmehr in dem Faktum begründet wie der Abgeordnete Paul Lobe (SPD) betonte —, daß außer dem Parlamentarischen Rat keine Instanz vorhanden war, die ein solches Gesetz hätte schaffen können17). Darüber hinaus sei, so führte auch Diederichs am 21. Oktober 1948 vor dem Plenum aus, die Schaffung eines Wahlgesetzes ohnehin die natürliche Aufgabe einer Verfassunggebenden Versammlung, „damit in dem Augenblick, da unser (Grund-)Gesetz fertig [ist], auch die Möglichkeit bestünde, auf Grund eines existenten Wahlrechts die darin geschaffenen Körperschaften nun auch wirklich zu wählen18)." Die formaljuristische Verbindung zwischen Wahlgesetz und Grundgesetz wurde schließlich durch Art. 137 Abs. 2 GG geschaffen: „Für die Wahl des ersten Bundestages, der ersten Bundesversammlung und des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik gilt das vom Parlamentarischen Rat zu verabschiedende Wahlgesetz19)." Die zahlreichen inhaltlichen Überschneidungen der Wahlrechtsausschußdebatten mit denen des Ausschusses für Organisationsfragen, die sich mit dem Abschnitt über den Bundestag befaßten, ließen die faktische Sonderstellung des Wahlrechtsausschusses innerhalb des Parlamentarischen Rates kaum noch erkennen20). Nur in den Verhandlungen mit den Alliierten wurde nach wie vor streng zwischen beiden Themenbereichen unterschieden21). —
14) Stenographische Berichte, S. 15. 15) Stenographische Berichte, S. 22. In einer Sitzung des Wahhechtsausschusses bestritt 16) 17) 18) 19) 20)
X
Heiland sogar jede Beteiligung der Ministerpräsidenten an der Wahlgesetzgebung überwerden wohl kaum gefragt werden", [siehe unten S. 473]). Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses. Bonn 1948/49, 2. Sitz, vom 11. Nov. 1948, S. 2; vgl. auch die zweite Sitzung des Organisationsausschusses vom 16. Sept. 1948 (Drucks. Nr. 63). Siehe unten S. 419. Stenographische Berichte, S. 109. v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, S. 892 ff. So etwa auch in der Frage der Abgeordnetenzahl (siehe unten Dok. Nr. 8, TOP 4 a) oder der Einführung einer Sperrklausel (siehe unten Dok. Nr. 13, TOP 2 a) oder auch der Flüchtlingswahlkreise (siehe unten Dok. Nr. 22, TOP 3 c). Nur einzelne Wahlrechtsbe-
haupt („Die
Einleitung Abgesehen
von den Ambitionen des Parlamentarischen Rates, die Gestaltung des Wahlrechts selbst zu übernehmen, herrschte über den weiteren Gang der Wahlgesetzgebung nach wie vor eine gewisse Unsicherheit. So wunderte sich Adenauer noch Anfang Dezember 1948 darüber, daß dem Parlamentarischen Rat „nicht mitgeteilt worden [sei], daß er zur Verabschiedung des Wahlgesetzes und zur Festsetzung der Wahltermine zuständig ist"22). Demgegenüber betonte der hessische Ministerpräsident in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, Christian Stock (SPD), daß die Frage, wer für die Verabschiedung des Wahlgesetzes zuständig sei, tatsächlich noch nicht geregelt sei. Immerhin, so führte er aus, „steht [aber] fest, daß seit dem 15. 9. 48 der Parlamentarische Rat sich mit der Schaffung eines Wahlgesetzes befaßt"23). Damit schien Einvernehmen zwischen dem Parlamentarischen Rat und den Ministerpräsidenten darüber zu bestehen, daß die Kompetenz der Wahlrechtsregelung nun doch beim Parlamentarischen Rat lag. Noch am 4. Februar 1949 herrschte zwischen dem Parlamentarischen Rat und den Ministerpräsidenten vorbehaltlich der alliierten Zustimmung Einigkeit darüber, daß die Zuständigkeit beim Parlamentarischen Rat liege24). Von alliierter Seite lag dagegen auch nach Aufnahme der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates noch keine offizielle Zustimmung hinsichtlich der Zuständigkeit für das Wahlgesetz vor25). Vielmehr enthielten sich die Alliierten offensichtlich bewußt einer eindeutigen Stellungnahme26).
Stimmungen so etwa der Grundgesetzabschnitt über den Bundestag wurden im Zusammenhang mit der zu schaffenden Verfassung behandelt (Abschnitt III GG „Der Bundestag", Art. 38 ff.). Im Grundrechtskatalog war ursprünglich ein Artikel 18 vorgesehen, der die Wahlfreiheit und das Wahlgeheimnis garantierte. Dieser Artikel wurde erst in vierter Lesung, am 5. Mai 1949 wieder gestrichen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 748). In seiner 21. Sitzung hatte sich der Wahlrechtsausschuß auf Anfrage des Hauptausschusses mit der Frage beschäftigt, ob Art. 18 GG mit Art. 45 Abs. 3 Satz 2 vereinbar sei (siehe unten Dok. Nr. 23, TOP 1). 21) Die Abgrenzung zwischen Wahlgesetz auf der einen und Grundgesetz auf der anderen Seite zeigte sich bei jeder Besprechung mit den Alliierten. Auch im formellen Bereich legten die Militärgouverneure großen Wert auf diese Unterscheidung (siehe zum Beispiel die „Denkschrift der Alliierten zum Grundgesetz vom 2. März 1949" und die „Erklärung von General Robertson zum Wahlgesetzentwurf" vom gleichen Tag, Umdruck Nr. S 3 und 5; vgl. unten Dok. Nr. 28). 22) Adenauer an Stock vom 3. Dez. 1948, BA Z 12/33, Bl. 52. Vgl. auch die diesbezügliche —
—
Unsicherheit im Wahlrechtsausschuß (siehe unten S. 140). Zwar wurde dies von Stock bestätigt, gleichzeitig wies er aber in einem nicht abgesandten Entwurf an Adenauer darauf hin, daß die Schaffung des Wahlgesetzes Sache der Länder sei (Stock an Adenauer vom 8. Dez. 1948, BA Z 12/33, Bl. 33; vgl. Der Pari. Rat Bd. 1, S. 167 f., Anm. 20). 23) Stock an Adenauer vom 14. Dez. 1948, BA Z 12/33, Bl. 26. 24) So auch die Notizen über die Besprechung am 4. Feb. 1949 in Bonn mit Vertretern des Pari. Rates (BA Z 12/33, Bl. 17-18). Aktennotiz für Ministerpräsident Stock vom 4. Feb. 1949, BA Z 12/33 Bl. 17 f.; vgl. Akten zur Vorgeschichte, S. 189, Anm. 108 und vgl. Ministerpräsidentenkonferenz in Hamburg vom 11./12. Feb. 1949, ebenda, Dok. Nr. 10 B, TOP 8, S. 190. 25) Am 30. Sept. 1948 überreichten die alliierten Verbindungsoffiziere Adenauer ein Schreiben der alliierten Militärgouverneure, in dem es unter anderem hieß: „Der Parlamentari-
XI
Einleitung Anläßlich der Verabschiedung des ersten Wahlgesetzentwurfs durch das Plenum am 24. Februar 1949 erörterte der britische Verbindungsoffizier und aufmerksame Beobachter der Beratungen des Parlamentarischen Rates, Chaput de Saintonge, einige Monate später erneut die Wahlrechtskompetenz des Parlamentarischen Rates27). Er bestritt dessen Recht, ein Wahlgesetz zu beschließen, da er damit das von den Ministerpräsidenten beschlossene Modellgesetz zur „Errichtung des Parlamentarischen Rates" überschreiten würde. Indem die Bonner Abgeordneten aber doch ein Wahlgesetz beraten und beschlossen hätten, hätten sie „ultra vires" gehandelt. Das Wahlgesetz sei mithin nur „of academic interest"28). Saintonge schlug daher vor, daß das Wahlgesetz von den Ministerpräsidenten verabschiedet werden solle. Die Erträge der Bonner Verhandlungen könnten dabei allerdings durchaus als Modellgesetz angesehen werden29). Die offiziellen Stellungnahmen der Alliierten zur Wahlgesetzgebung vom 2. März 1949 und vor allem vom 14. April 1949 beseitigten endgültig die Rechtsunsicherheit. Sie bestätigten zwar das Recht des Parlamentarischen Rates, „die Anzahl der Abgeordneten, die Aufschlüsselung der Sitze auf die Länder und die Festlegung des Wahlsystems" in einem Wahlgesetz zu beschließen. Die Durchführung der Wahl sollte hingegen bei den Ländern liegen. Ebenso mußte die Verwertung der Reststimmen auf Länderebene erfolgen30).
Errichtung des Wahlrechtsausschusses und seine personelle Zusammensetzung Die ungeklärte Frage der Zuständigkeit des Parlamentarischen Rats für die Wahlgesetzgebung wirkte sich auch auf die Errichtung des Wahlrechtsausschusses selbst aus. Während die Ausschüsse für die „Führung der allgemeinen Parb. Die
sche Rat ist von den Ministerpräsidenten unterrichtet worden, daß er [. .] den Auftrag erhalten hat, ein Grundgesetz [. .] auszuarbeiten, das nach Billigung durch die Militärgouverneure den deutschen Ländern zur Ratifizierung zu unterbreiten ist. Die dem Parlamentarischen Rat durch die Militärgouverneure erteilte Ermächtigung ist auf dieses Gebiet beschränkt. Die Militärgouverneure wünschen, daß mit aller Klarheit verstanden wird, daß der Parlamentarische Rat keine Ermächtigungen hat, von der Aufgabe, die ihm übertragen ist, abzugehen" (Schreiben der alliierten Militärgouverneure vom 29. Sept. 1948, Abschrift, PA Bestand 5/2). Lange, Wahlrecht, S. 330. Saintonge an Steel vom 26. Feb. 1949, BA KL Erw. 792/1, Bl. 181-203, hier: Bl. 199 ff. Ebenda; vgl. auch Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 8. Feb. 1949, BA Z 12/121, BL 75. Saintonge an Robertson, ebenda, Bl. 200. Damit entsprach Saintonge den Vorschlägen der Militärgouverneure, die auf der gemeinsamen Konferenz mit den Ministerpräsidenten der Bizone am 31. Januar 1949 die Kompetenz des Pari. Rates, ein Wahlgesetz zu erlassen, zwar verneint hatten, gleichzeitig aber die Aufstellung der Wahlmodalitäten den Ministerpräsidenten überließen, wohl wissend, daß sich diese nach den vom Pari. Rat aufgestellten Richtlinien orientieren würden (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 7, TOP 3, S. 137 ff). Umdruck Nr. S 5 und S 55; siehe unten Dok. Nr. 27. Vgl. auch die Konferenz der Militärgouverneure mit den Ministerpräsidenten der Bizone in Frankfurt vom 29. April 1949, Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 30, TOP 1, S. 399 f. .
.
26) 27) 20) 29)
30)
XII
Einleitung lamentarischen Arbeit" sowie die Fachausschüsse31) bereits am 1. September 1948, kurz nach der Konstituierung des Parlamentarischen Rates, eingerichtet wurden32), war zu diesem Zeitpunkt über die Bildung eines Wahlrechtsausschusses noch nicht entschieden33). Erst eine Woche später einigte sich der Ältestenausschuß auf die Einsetzung eines Wahlrechtsausschusses34), der sich am 15. September 1948 konstituierte. wie die übrigen Fachausschüsse auch Zum Vorsitzenden des Ausschusses wurde der FDP-Abgeordnete Max Becker gewählt. Sein Stellvertreter war Georg Diederichs (SPD). Schriftführer wurde Felix Walter (CDU); nach dessen Tod am 17. Februar 1949 übernahm Diederichs für die letzten beiden verbleibenden Ausschußsitzungen die Funktion des —
—
Schriftführers35). von der formellen Sonderbehandlung durch die Alliierten war der Parlamentarische Rat sichtlich darum bemüht, den Wahlrechtsausschuß als völlig gleichberechtigt mit den anderen Beratungsgremien in die allgemeine Arbeit der Verfassungsschöpfung zu integrieren. So entsprach der Wahlrechtsausschuß auch in der personellen Zusammensetzung den anderen Fachausschüssen, die bis auf den Grundsatzausschuß zahlenmäßig gleich besetzt waren36). Die beiden großen Parteien CDU/CSU37) und SPD entsandten jeweils vier Vertreter in den Ausschuß, die FDP einen Abgeordneten und die anderen kleinen Parteien DP, KPD und Z zusammen ebenfalls einen Vertreter38). Im Wahlrechtsausschuß war dies ein Vertreter der KPD39). Mit dieser Zusammensetzung der Fachausschüsse übertrug der Parlamentarische Rat das Prinzip der Parteienvielfalt, die sich aufgrund der mittelbaren Wahl sei-
Unabhängig
31) Bei den anderen Fachausschüssen handelte es sich um den Ausschuß für Grundsatzfragen und Grundrechte, den Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, den Ausschuß für
Finanzfragen, den kombinierten Ausschuß für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege sowie den Ausschuß für das Besatzungsstatut. 32) Vgl. allgemein v. Doemming/Füsslein/Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, S. 6 ff. 33)
Ein Protokoll dieser
Sitzung befindet sich in: Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd.
tung der Fachausschüsse allgemein siehe auch: der Pari. Rat Bd.
72;
zur
Errich-
3: Ausschuß für Zustän-
digkeitsabgrenzung.
34) 35) 36) 37)
Bearb. von Wolfram Werner. Boppard 1986, S. VII. Drucks. Nr. 16. Siehe unten Dok. Nr. 1. Drucks. Nr. 16. Die CDU und CSU wurden bei der Besetzung der Ausschüsse wie eine Partei behandelt. Im Zusammenhang mit dem Wahlrecht und hier insbesondere bei der Frage nach der Möglichkeit von Listenverbindungen tauchte das Problem der Behandlung von CDU und CSU als eine oder zwei Parteien erneut auf. Siehe hierzu unten Dok. Nr. 17, Anm. 83.
38) Vereinbarungen im Ältestenrat vom 8./9. Sept. 1948, (Drucks. Nr. 16; vgl. Drucks. Nr. 24). Laut § 16 Abs. 1 Geschäftsordnung (Drucks. Nr. 157) konnten sich die Ausschußmitglie-
39)
der beliebig durch ein anderes Mitglied des Pari. Rates in den einzelnen Ausschußsitzungen vertreten lassen. Daß sich der KPD-Abgeordnete Renner in der Schlußphase der Beratungen wiederholt von der Zentrumsabgeordneten Helene Wessels vertreten ließ, stieß jedoch bei der CDU/CSU auf Ablehnung. Siehe hierzu unten Dok. Nr. 21, TOP 1. Drucks. Nr. 22 g.
XIII
Einleitung ner Mitglieder durch die einzelnen Landtage ergeben hatte40), auch auf den Wahlrechtsausschuß. Dies war gerade für die Wahlgesetzgebung insofern von entscheidender Bedeutung, als daß sich der nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zusammengesetzte Parlamentarische Rat kaum für ein anderes Wahlsystem entscheiden würde41). Allgemein fällt an der Art der Besprechung der Wahlgesetzentwürfe auf, wie selten die meisten der Ausschußmitglieder von theoretischen Überlegungen ausgingen, wenn sie ihre Vorstellungen formulierten; dagegen führten sie häufig eigene Erfahrungen aus dem politischen und privaten Leben an, um ihre Argumente für diese oder jene Wahlrechtsthese zu untermauern42). Um die wichtigsten Akteure besser einordnen zu können, sollen sie mit einem kurzen biographischen Abriß im folgenden vorgestellt werden.
Auf seifen der CDU/CSU-Fraktion Dr. Gerhard Kroll (20.
August
waren
dies43):
1910-10. November 1963),
Bayern. 40) Vgl. „Modell und Begründung eines Gesetzes über den Parlamentarischen Rat" (Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 15, S. 286 ff.). 41) In diesem Sinne stellte auch Diederichs im Ausschuß fest: „Ich glaube, Ihnen mit absoluter Gewißheit vorhersagen zu können, daß ein Parlament, das nach den Proporzsystem gewählt ist, das Wahlsystem niemals in ein Pluralsystem ändern wird" (siehe unten S. 86); vgl. Lange, Wahlrecht, S. 342. 42) Siehe zum Beispiel Heiland und Walter in der Frage des aktiven und passiven Wahlrechts (siehe unten S. 290); vgl. auch Reif (S. 601). 43) Die folgenden Angaben zu den Personen wurden hauptsächlich aus folgenden Unterlagen entnommen: Biographies of Members of the Parliamentary Council, in: Documents the Creation of the German Federal Constitution, hrsg. von der Civil Administration Division, Office of Military Government for Germany (US) (OMGUS), Berlin 1949; Deutscher Presse Dienst: dpd-Brief, Die 65 Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, Bonn 1948; Drucks. Nr. 93: Lebensläufe der Berliner Abgeordneten des Parlamentarischen Raon
tes,
hrsg.
vom
dpd; Alphabetisches Verzeichnis der Mitglieder
Rates, Drucks. Nr. 21; vgl. Der Pari. Rat Bd. 1, S.
des Parlamentarischen
ff.). Darüber hinaus sind auch die Materialien des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU im Pari. Rat, Anton Pfeiffer, sehr 429
ergiebig. Pfeiffer hatte in den 50er Jahren ehemalige MdPR angeschrieben und sie gebeten, ihre Arbeit im Pari. Rat schriftlich niederzulegen (BA Z 5 Anhang/1). Im Parlamentsarchiv des Bundestages befindet sich zudem eine reichhaltige Zusammenstellung von Kurzbiographien der meisten MdPR, deren Wert nicht zuletzt darin liegt, daß sie den Weg der Abgeordneten auch für die Zeit nach 1949 dokumentiert (PA Bestand 5). Vor allem aber erwiesen sich die Aufzeichnungen des britischen Verbindungsoffiziers Chaput de Saintonge als außerordentlich aufschlußreiche Quelle zu den Mitgliedern des Pari. Rates, da sie nicht nur nüchterne Daten zu den Lebensläufen, sondern auch persönliche Einschätzungen der Leistungen der einzelnen Abgeordneten liefern. Die Kurzbiographien wurden veröffentlicht von Reiner Pommerin: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Porträtskizzen des britischen Verbindungsoffiziers Chaput de Saintonge, in: VJfZ (1988), S. 557—588. Sofern die Abgeordneten von nordrhein-westfälischen Landtag gewählt wurden, finden sich aussagekräftige Kurzbiographien in: Nordrhein-Westfalen und die Entstehung des Grundgesetzes, hrsg. von Karl Josef Denzer, Düsseldorf 1989, S. 121-192. XIV
Einleitung Der gebürtige Breslauer studierte von 1929 bis 1934 Staatswissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Breslau, Wien und Berlin. Nach seiner Promotion trat er in das Institut für Konjunkturforschung in Berlin ein und wurde später Volontär bei Siemens und Halske. Als Stipendiat der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft absolvierte Kroll zwischen 1929 und 1938 ein weiteres Studium der Philosophie und Religionsphilosophie. Vor seinem Wehrdienst (1943—1945) arbeitete er als Statistiker bei verschiedenen Wirtschaftsgruppen. Nach dem Krieg gehörte Kroll zu den Mitgründern der CSU in Bamberg. Von August 1946 bis 1948 war er Landrat von Staffelstein. Im Wahlrechtsausschuß fiel Kroll, der auch einen eigenen Wahlgesetzentwurf vorlegte, durch sein dogmatisches Eintreten für das einfache Mehrheitswahlrecht auf44). Wegen seiner unflexiblen und kontraproduktiven Verhandlungsführung wurde er am 2. Dezember 1948 abgelöst45). Außer dem Wahlrechtsausschuß gehörte Kroll dem Ausschuß für das Besatzungsstatut sowie als stellvertretendes Mitglied dem Finanzausschuß an.
Josef Schräge (6. Mai
1881-27. November 1953),
Nordrhein-Westfalen. vom Christlichen Metallarbeiterund Als im Kreis Siegerland Olpe. Mitglied des Zentrums gehörte er dem Provinziallandtag an. Im Jahre 1934 wurde er aus politischen Gründen als Arbeitsamtdirektor entlassen. Nach dem Krieg war Schräge Bürgermeister von Olpe und Landrat des Kreises Olpe. Im Wahlrechtsausschuß trat Schräge ähnlich konsequent wie Kroll für das relative Mehrheitswahlrecht ein. Nur wenige Tage vor der Verabschiedung des Wahlgesetzes bat Schräge seine Fraktion, von der Mitarbeit im Wahlrechtsausschuß entbunden zu werden, da er „für keinen Kompromiß eintreten kann als Anhänger des reinen Mehrheitswahlsystems"46). Trotz seiner recht regelmäßigen Teilnahme an den Ausschußsitzungen blieb sein persönlicher Einfluß auf die Formulierung des Wahlgesetzes begrenzt. Schräge war Mitglied des Ausschusses für Grundsatzfragen und stellvertretendes Mitglied des Haupt-, Organisations- und Besatzungsstatutausschusses.
Schräge
war vor
1933 Gewerkschaftssekretär
verband im
Carl Schröter (29. Mai 1887-25. Februar 1952),
Schleswig-Holstein. Philologiestudium in Kiel und Halle bis zu seiner Gründen im Jahre 1933 als Studienrat tätig. Nach politischen Entlassung dem Ersten Weltkrieg trat er in die Deutsche Volkspartei (DVP) ein und wurde Schröter
war
nach seinem
aus
44) Drucks. Nr. 264 a (siehe Dok. Nr. 13, Anm. 50); siehe auch unten Dok. Nr. 1, Anm. 7. 45) Krolls Nachfolger wurde Blomeyer. Siehe unten Dok. Nr. 15, Anm. 3. 46) Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion. Eingeleitet und bearbeitet von Rainer Salzmann (= Forschungen und Quellen schichte Bd. 2), Stuttgart 1981, hier: Sitzung vom 4. Mai 1949, S. 542.
zur
ZeitgeXV
Einleitung 1924 in den Preußischen Landtag gewählt. Er zählte nach 1945 zu den Mitgründern der Demokratischen Union und der CDU in Schleswig-Holstein. Schröter war Mitglied des CDU-Zonenausschusses und Fraktionsvorsitzender der CDU im schleswigholsteinischen Landtag. Schröter war nach dem Ausscheiden Krolls neben Kaufmann Wortführer der CDU/CSU im Wahlrechtsausschuß und galt als energischer Verfechter des relativen Mehrheitswahlsystems47). Ob er einen eigenen Wahlgesetzentwurf in die Beratungen einbrachte, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden48). Innerhalb der eigenen Partei war Schröters Verhältnis zu Kaufmann von einer gewissen Rivalität geprägt, die schließlich dazu führte, daß er aus Protest gegen Kaufmanns Rede vor dem Plenum über die Stellungnahme der CDU/CSU zum Wahlgesetz vom 24. Februar 1949 aus Bonn abreiste49). Fühlte er sich bereits hier benachteiligt, so wurde er in der Endphase der Wahlrechtsverhandlungen endgültig isoliert, als er zusammen mit Diederichs einen Kompromißentwurf vorlegte, welcher von der Fraktion abgelehnt
wurde50).
Schröter war außer im Wahlrechtsausschuß noch Mitglied des Rechtspflegeausschusses und stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Zuständigkeitsfragen. Felix Walter (19.
September Württemberg-Baden
1880-17. Februar 1949),
Walter studierte Jura in Tübingen und Berlin. Seit 1919 arbeitete er im württembergischen Staatsministerium und wurde 1933 aus politischen Gründen zum Landgericht Stuttgart rückversetzt. Im Jahre 1945 wurde er als Ministerialrat beim Justizministerium in Stuttgart eingestellt. Das ehemalige Zentrumsmitglied wurde jetzt Mitbegründer der CDU Württemberg. Walters Einfluß auf die Gestaltung des Wahlgesetzes blieb trotz seiner regelmäßigen Teilnahme an den Ausschußsitzungen sehr gering. Er war sehr zurückhaltend und äußerte sich nur vereinzelten Sachthemen. Nach seinem Tod am 17. Februar 1949 nahm für ihn der Abg. Adolf Kühn an den letzten beiden Ausschußsitzungen teil51). Walter gehörte außer dem Ausschuß für Wahlrechtsfragen noch dem kombinierten Ausschuß für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege an. zu
Theophil Kaufmann (15. Dezember Württemberg-Baden.
1888-22.
August 1961),
Kaufmann absolvierte eine kaufmännische Lehre in Pforzheim und studierte danach Theologie, Philosophie und Geschichte in Tübingen, Madison, New York und Göttingen. Er arbeitete als freier Schriftsteller (1915/16) und leistete von 47) Vgl. Pommerin, Mitglieder, S. 582. 40) Siehe unten Dok. Nr. 20, Anm. 2. 49) Schröter an Pfeiffer vom 26. Feb. 1949, Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 207; Stenographische Berichte, S. 139 ff. 50) Siehe unten Dok. Nr. 28 und 29, TOP 1. 51) Siehe unten Dok. Nr. 27, Anm. 2. XVI
Einleitung bis 1919 Kriegsdienst. Nach dem Ersten Weltkrieg war er in verschiedeleitenden Positionen in Norddeutschland tätig. Von 1923 bis 1933 gehörte er als Vertreter der DDP der Bremischen (bis 1927) und dann der Hamburger Bürgerschaft an. Im Jahre 1933 wurde er als Referent für politische und sozialpolitische Fragen vom Hamburger Rundfunk als „politisch untragbar" entlassen. Von 1933 bis 1945 lebte Kaufmann zurückgezogenen in Ettlingen, wo er nach dem Krieg die CDU Baden mitgründete. In der Folge bekleidete er zahlreiche Ämter auf kommunaler Ebene, zudem war er Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung Württemberg-Baden und des Wirtschaftsrates des Vereinig1916
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Wirtschaftsgebietes.
Nach der Ablösung Krolls nahm Kaufmann, der ausgesprochener Gegner des reinen Mehrheitswahlrechts war52), seit dem 8. Dezember 1948 regelmäßig an den Sitzungen des Wahlrechtsausschusses teil. Ohne im Vorfeld der Beratungen des Parlamentarischen Rates als ausgewiesener Wahlrechtsexperte zu gelten, leistete er bedeutende Beiträge zum Wahlgesetz und brachte sogar einen eigenen Wahlgesetzvorschlag ein, der auf dem ersten Vorschlag des Ausschußvorsitzenden Becker beruhte und einen Kompromiß zwischen der Position der CDU/ CSU und SPD herbeiführen sollte53). Kaufmann, dessen Produktivität und Kompromißbereitschaft allgemein anerkannt war, war auch Mitglied des Hauptausschusses. Nach der Weihnachtspause war er zudem Mitglied des Fünfer- bzw. Siebenerausschusses. Als stellvertretende
Mitglieder benannte die CDU/CSU: Dr. Josef Schwalber (19. März 1902-16. August 1969), Bayern54), Dr. h.c. Helene Weber (17. März 1881-25. Juli 1962),
Nordrhein-Westfalen55), Karl-Sigmund Mayr (3. Mai
1906-19.
Bayern58), Heinrich Rönneburg (8. Januar
Juli 1978),
1887—1.
September 1949),
Niedersachsen57). Die SPD entsandte in den Ausschuß:
Jean Stock (7. Juni 1893-13. Januar 1965),
Bayern. 52) Siehe auch Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 76. 53) Siehe unten Dok. Nr. 21, TOP 2. 54) Schwalber nahm als einziges stellvertretendes CDU/CSU-Mitglied des Ausschusses
an
keiner einzigen Sitzung teil. 55) Siehe unten Dok. Nr. 6, Anm. 3. 56) Siehe unten Dok. Nr. 22, Anm. 2. 57) Siehe unten Dok. Nr. 6, Anm. 4.
XVII
Einleitung Der Buchdrucker Jean Stock trat früh der Gewerkschaft und der SPD bei und wurde 1919 Stadtrat in Aschaffenburg und war zugleich Abgeordneter des Bayerischen Landtages. Nach 1933 wurde er wiederholt verhaftet und 1945 aus dem Konzentrationslager Dachau befreit. Nach dem Krieg wurde er Oberbürgermeister und Landrat von Aschaffenburg und später Regierungspräsident von Unterfranken. Im Bayerischen Landtag war er Vorsitzender der SPD-Fraktion. Im Ausschuß fiel Stock durch seine rege Teilnahme an den Diskussionen auf. Insbesondere thematisierte er das Problem des Wahlrechts für ehemalige Nationalsozialisten, wobei er eine auffallend rigide Haltung einnahm58). Dennoch sah Chaput de Saintonge in ihm nicht mehr als ein „voting unit hardly of the same calibre as others of his colleagues in the Parliamentary Council". Stock gehörte außer dem Wahlrechtsausschuß noch dem Hauptausschuß59) und dem Finanzausschuß an. Dr. Walter Menzel (13.
September
1901-24.
September 1963),
Nordrhein-Westfalen. Menzel studierte in Berlin und Freiburg Jura und Volkswirtschafslehre und trat 1931 in das preußische Finanzministerium ein. Seit 1934 arbeitete er als Rechtsanwalt in Berlin. Nach 1945 war Menzel zunächst Berater der amerikanischen Kontrollkommission in Berlin und wurde anschließend Generalreferent für Inneres in der Provinzialverwaltung von Westfalen in Münster. Im Jahre 1946 wurde er Innenminister des neugegründeten Landes Nordrhein-Westfalen. Menzel, der als maßgebender Verfassungsreferent im SPD-Vorstand galt60), hatte sich schon früh mit dem Wahlrechtsthema im Sinne des Verhältniswahlsystems auseinandergesetzt61). Doch im Wahlrechtsausschuß ließ er sich bereits nach der dritten Sitzung durch den Abgeordneten Maier62) vertreten, um sich intensiver seiner Arbeit im Haupt- und Finanzausschuß widmen zu können63). Die Wortführung der SPD übernahm an seiner Stelle der Abgeordnete Diederichs64), der sich bei den von ihm vorgebrachten Wahlgesetzentwürfen aber stark von Menzel beeinflußt zeigte65). Menzels nach wie vor großer Einfluß auf die Ausschußverhandlungen wird durch die Wortprotokolle der 11. und 14. Sitzung eindrucksvoll unterstrichen66).
58) 59) 60) 61)
Siehe unten Dok. Nr. 17, TOP 2 b. Dies allerdings erst seit Mitte Oktober als Nachfolger von Josef Seifried. Menzels zweiter Grundgesetzentwurf wurde als Drucks. Nr. 53 veröffentlicht. Seinem ersten Verfassungsentwurf vom 26. Juli 1948 hatte Menzel auch einen SiebenPunkte-Vorschlag für das neue Wahlsystem angeschlossen. Darin sah er eine Kombination von Verhältnis- und relativer Mehrheitswahl vor (Benz [Hrsg.], Bewegt von der Hoffnung, S. 382). 62) Siehe unten Dok. Nr. 3, Anm. 5. 63) Dennoch gab Menzel auch weiterhin wichtige Impulse für die Wahlgesetzgebung, siehe unten Dok. Nr. 12 und 15. 64) Siehe unten Referat Diederichs anstelle Menzels. 65) Vgl. Lange, Wahlrecht, S. 346, Anm. 11, 66) Siehe unten Dok. Nr. 12 und 15.
XVIII
Einleitung Georg Diederichs (2. Niedersachsen. Dr.
September
1900-19.
Juni 1983),
Der Pharmazeut und promovierte Volkswirt Diederichs war seit 1926, zunächst in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), seit 1930 in der SPD, politisch aktiv. Wegen seiner illegalen politischen Aktivität wurde er 1935 verhaftet. Von 1939 bis 1945 nahm Diederichs aktiv am Zweiten Weltkrieg teil. Nach dem Krieg war er 1945/46 Bürgermeister in seiner Heimatstadt Northeim und anschließend Landrat des Kreises Northeim. Dem niedersächsischen Landtag gehörte er seit Dezember 1946 an, wo er sich als Mitglied des Wahlrechtsausschusses intensiv mit dem Wahlrecht befaßte und aktiv an der Gestaltung des niedersächsischen Kommunal- und Landtagswahlrechts mitwirkte. Die hier gewonnenen Erfahrungen brachte er mehrmals im Wahlrechtsauschuß des Parlamentarischen Rates in die Debatte ein67). In den Ausschußsitzungen bestach er als stellvertretender Vorsitzender nicht nur durch seine große Sachkenntnis, sondern auch durch seine große Routine in der Verhandlungsführung. Er legte mehrere Wahlgesetzentwürfe vor und hatte, neben Becker, den größten Anteil an der endgültigen Formulierung des Wahlgesetzes68). Er vertrat Becker als Aus-
schußvorsitzenden insgesamt fünfmal69). Diederichs gehörte außer dem Wahlrechtsausschuß auch dem Ausschuß für das Besatzungsstatut an.
Rudolf-Ernst Heiland (8. Nordrhein-Westfalen Heiland
war von
September
1910-6. Mai
1965),
1925 bis 1933 als Arbeiter beim Städtischen
Elektrizitätswerk
in der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) wurde er 1933 entlassen und 1936 wegen Hochverrats zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Krieg wurde er Bürgermeister in Marl und als einer der jüngsten Abgeordneten 1948 für Nordrhein-Westfalen in den Parlamentarischen Rat gewählt70). Im Wahlrechtsausschuß gehörte Heiland stets zu den aktivsten und engagiertesten Diskussionsteilnehmern, der sich auch nicht scheute, gelegentlich polarisierend Stellung zu nehmen. So war er auch das einzige Ausschußmitglied, das mit seiner Kritik auch nicht die Alliierten selbst aussparte, als er ihnen bei der Neugestaltung Deutschlands nach 1945 „höhere Vernunft" absprach71). Seine zur Polemik neigenden Ausführungen belasteten zeitweise das Verhandlungsklima72). in Marl
tätig. Wegen
67) Siehe 68) Siehe
unten unten
seiner
politischen Aktivitäten
Dok. Nr. 6, TOP 2 e. Dok. Nr. 5 (Anm. 4), Dok. Nr. 8, besonders Anm. 20 sowie Dok. Nr. 20 und
22.
69) In der 6., 12. (zeitweise), 17, (zeitweise), 18. und 19. Sitzung. 70) Heiland ist einer der wenigen Abgeordneten, die nicht von Chaput de Saintonge charakterisiert wurden. se
Auslassung
Angesichts Heilands regelmäßiger Teilnahme an den Sitzungen ist die(vgl. Pommerin, Mitglieder, S. 560).
unerklärlich
71) Siehe unten S. 89. 72) Siehe hierzu seine
Kontroverse mit
Kaufmann,
unten S. 606.
XIX
Einleitung Heiland hatte seine Sachkenntnis in Wahlrechtsfragen als Mitglied des Verfassungsausschusses und Wahlprüfungsausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag erworben. Als stellvertretende
Mitglieder
entsandte die SPD73):
Gustav Zimmermann (2. Dezember 1888-1.
August 1949),
Württemberg-Baden74), Dr. Fritz Hoch (21. Oktober 1896-20. Oktober 1984),
Hessen75),
Josef Seifried (9. Mai Bayern76),
1892-9.
Juli 1962),
Friedrich Maier (29. Dezember 1894-14. Dezember 1960),
Süd-Baden77). Für die FDP
war
im Wahlrechtsausschuß:
Dr. Max Becker (26. Mai 1888-29. Hessen.
Juli 1960),
Becker studierte Jura in Grenoble, Berlin, Halle und Marburg. Seit 1913 war er als Rechtsanwalt, später auch als Notar in Hersfeld tätig. Nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg trat Becker in die DVP ein und war 1922 bis 1933 u. a. Mitglied des Provinziallandtages für Hessen-Nassau. Nach 1945 trat Becker in die LDP ein und wurde Mitglied des Hessischen Landtages. Bei seiner Nominierung für den Wahlrechtsausschuß durch die FDP setzte sich Becker gegen Thomas Dehler durch, der ebenfalls Interesse für diese Aufgabe gezeigt hatte. Zu dieser Entscheidung der Partei meinte Dehler später, daß sie wohl nur desanders als Dehler halb gefällt worden sei, weil Becker kein Anhänger des relativen Mehrheitswahlrechts gewesen sei78). Becker favorisierte anfänglich vielmehr das im Kaiserreich praktizierte absolute Mehrheitswahlrecht, das auch kleinen Parteien durch den vorgesehenen zweiten Wahlgang eine gewisse —
—
73) Als nicht stimmberechtigtes Mitglied wohnte der Berliner SPD-Abgeordnete Paul Löbe
Verhandlungen des Wahlrechtsausschusses ab der vierten Sitzung sehr regelmäßig Aufgrund seiner reichhaltigen parlamentarischen Erfahrung aus seiner Zeit als Reichstagspräsident in der Weimarer Republik konnte er wertvolle Diskussionsbeiträge
den bei.
liefern (siehe auch unten Dok. Nr. 4, Anm. 4). 74) Siehe unten Dok. Nr. 3, Anm. 3. 75) Hoch nahm an keiner Sitzung des Wahlrechtsausschusses teil. 76) Ab dem 14. Okt. 1948 wurde für den Abg. Seifried Albert Roßhaupter als stellvertretendes Mitglied des Wahlrechtsausschusses für die SPD ernannt (siehe unten Dok. Nr. 10, Anm. 6).
77) Maier nahm ab der vierten Sitzung stellvertretend für Menzel als ordentliches Mitglied an den Ausschußberatungen teil (siehe unten Dok. Nr. 3, Anm. 5). 7a) Diese Ansicht vertrat Dehler auf der bayerischen Landesvorstandssitzung der FDP in
Nürnberg XX
am
19.
Sept.
1948
(ADL NL Dehler N 1-21).
Einleitung Chance gab79). Als Ausschußvorsitzender lieferte Becker wesentliche Beiträge zu den Verhandlungen. Ähnlich wie Diederichs legte er mehrere Wahlgesetzentwürfe vor und bewegte sich dabei nachdem sein erster Wahlgesetzentwurf auf die Position der SPD zu. Zusammen mit Diedeabgelehnt worden war richs formulierte er schließlich im wesentlichen den endgültigen Gesetzentwurf80). Der schleppende Gang der Verhandlungen wirkte sich negativ auf die aufMotivation Beckers aus, der es schon bald nach eigenen Worten grund seiner schwierigen beruflichen Lage als Rechtsanwalt bereute, den Vorsitz im Ausschuß übernommen zu haben81). Sein Verhandlungsgeschick als Vorsitzender wurde durchaus zwiespältig empfunden. Während seine eigene Partei offensichtlich zufrieden mit Beckers Ergebnissen war82), mußte er sich wegen der schleppenden Verhandlungen im Ausschuß selbst gelegentlich auch vorsichtige Kritik gefallen lassen83). Neben dem Wahlrechtsausschuß gehörte Becker noch dem Rechtspflegeausschuß an. Die FDP benannte offiziell keinen Stellverteter für Becker. Allerdings nahmen außer ihm noch Heuss, Dehler und Reif an einzelnen Sitzungen teil84). —
—
—
—
Die KPD entsandte Max Reimann (31. Oktober 1898-18. Januar 1977), Nordrhein-Westfalen, in den Wahlrechtsausschuß. Der geborene Westpreuße, nach dem Krieg Vorsitzender der KPD in der britischen Zone, war Mitglied des Zonenbeirates und KPD-Vorsitzender der drei Westzonen. Obwohl ordentliches Mitglied, nahm Reimann nur an zwei Ausschußsitzungen teil. Als „Neinsager" im Parlamentarischen Rat fiel er eher durch Obstruktion als durch konstruktive Mitarbeit auf85). Seine Vertreter waren zunächst Hugo Paul (28. Oktober 1905-12. Oktober 1962), Nordrhein-Westfalen86), dann Heinz Renner (6. Januar 1892-11. Januar 1964), Nordrhein-Westfalen87), der sich zwar im wesentlichen an die von Reimann vorgegebene passive bzw. kontraproduktive Linie hielt, aber immer wieder auch mit praktischen Vorschlägen in Detailfragen überraschte88).
abgedruckten Anwesenheitsübersicht werden zwei Hauptmerkmale des Wahlrechtsausschusses deutlich: Zum einen nahmen außer den ordentlichen Mitgliedern und ihren Stellvertretern regelmäßig auch zahlreiche Abgeordnete an den Ausschußsitzungen teil, die dem Ausschuß formell nicht angehörten und
Aus der
79) 80) 81) 82) 83) 84) 85)
Siehe hierzu seinen ersten Wahlgesetzentwurf (Dok. Nr. 11). Siehe unten Dok. Nr. 26. Siehe unten S. 668. Siehe unten Dok. Nr. 21, Anm. 45. So etwa vom Abg. Grève (siehe unten S. 367). Reif vertrat Becker offiziell in der 19. Sitzung (siehe unten Dok. Nr. 21, Anm. 4). Denzer (Hrsg.): Nordrhein-Westfalen und die Entstehung des Grundgesetzes, S. 167. Es wie Stoltenberg behauptet (Wahlsystem, ist allerdings nicht richtig, daß Reimann S. 37, Anm. 5) nie an den Ausschußsitzungen teilgenommen hat (siehe nebenstehende —
Übersicht).
—
B6) Siehe unten Dok. Nr. 1, Anm. 2. 87) Ebenda sowie Dok. Nr. 8, Anm. 3 und Dok. Nr. 10, Anm. 4. 8B) So etwa in der Frage der Mandatsverteilung (siehe unten 11. und
12.
Sitzung). XXI
Einleitung
ANWESENHEIT VON MdPR IM AUSSCHUSS FÜR WAHLRECHTSFRAGEN
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XXIII
Einleitung „mit beratender Stimme" beiwohnten89). Von den ingesamt des Parlamentarischen Rates besuchten nicht weniger als 45 Abgeordneten die Sitzungen des Wahlrechtsausschusses. Diese auffällig hohe Zahl ist vielleicht zum Teil auf die große Aufmerksamkeit zurückzuführen, die die "Wahlrechtsfrage auch in der Öffentlichkeit erregte90). Für diese Annahme spricht, daß sich unter den Diskussionsteilnehmern Abgeordnete befanden, die ein auffälliges Interesse an der Erarbeitung des Wahlrechts zeigten, ohne dem Ausschuß als ordentliche oder als stellvertretende Mitglieder anzugehören. So verschuf sich die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel, die im Verlauf der Verhandlungen immer häufiger den KPD-Abgeordneten Renner vertrat, allein durch ihr persönliches Engagement in den Ausschußsitzungen genügend Respekt, um schließlich sogar an den Unterausschußsitzungen teilzunehmen91). Auch der Berliner Abgeordnete Paul Lobe (SPD) war ein sehr regelmäßiger Teilnehmer. Andererseits war die Teilnahme einzelner Abgeordneter an den Ausschußsitzungen aber auch höchst unregelmäßig, was zum Leidwesen des Ausschußvorsitzenden Max Becker nicht zuletzt die Effizienz der Verhandlungsrunden erheblich beeinträchtigte92). So konnte zum Beispiel in der zwölften Ausschußsitzung der Wahlgesetzentwurf Krolls nicht besprochen werden, da dieser selbst nicht anwesend war93). In einem anderen Fall war die laut Geschäftsordnung erforderliche Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder nicht gewährleistet, so daß die Ausschußsitzung ausfallen mußte94). Die unregelmäßige Anwesenheit fällt vor allem bei den Unionsabgeordneten auf95). Die Abgeordneten der SPD zeichneten sich dagegen durch einen sehr regelmäßigen Besuch der Sitzungen aus. Ihre tragenden Ausschußmitglieder Dievielleicht etwas weniger auffällig Maier derichs96), Stock, Heiland und demonstrierten die Geschlossenheit der Fraktion in der Wahlrechtsfrage. den
Sitzungen
nur
70
—
—
89) Siehe die Übersicht. Ungeachtet dessen nahmen jedoch drei MdPR, die zu stellvertreten-
90)
den Mitgliedern des Wahlrechtsausschusses bestimmt worden waren, an keiner einzigen Sitzung teil (Schwalber [CDU] sowie Hoch und Seifried [beide SPD]). Zur lebhaften Wahlrechtsdiskussion außerhalb des Pari. Rates siehe auch Lange, Wahl-
recht, S. 303 ff. 91) Siehe unten S. 368. Zur Vertretung Renners durch Frau Wessel siehe
unten Dok. Nr. 21, TOPl. In der zehnten Ausschußsitzung war Frau Wessel sogar trotz der Anwesenheit Renners als ordentliches Ausschußmitglied aufgeführt. 92) Verärgert stellte auch der stellvertretende Vorsitzende Diederichs in Anspielung auf die Abgeordneten der CDU/CSU einmal fest: „[. .] dauernd Rücksicht auf Leute [zu nehmen], die nicht kommen, darf nicht dazu führen, daß wir arbeitsunfähig werden" (siehe unten S. 407). 93) Siehe unten S. 363 und Dok. Nr. 13, TOP 5. 94) Siehe unten Dok. Nr. 16. 95) Siehe auch unten Dok. Nr. 17,Anm. 72. Wie sich anhand der von Salzmann besorgten Edition der Fraktionsprotokolle der CDU/CSU im Pari. Rat gut nachvollziehen läßt, bestimmte die Fraktion zumeist kurzfristig vor den Ausschußsitzungen, wer für die CDU/CSU in den Ausschuß gehen sollte. Bei Kaufmann muß allerdings auch berücksichtigt werden, daß er in dieser Zeit an den oft gleichzeitig stattfindenden Fünfer- bzw. Siebenerausschußsitzungen teilnahm. Bei der letzten Abstimmung über den ersten Wahlgesetzentwurf am 4. Februar 1949 war kein CDU/CSU-Vertreter anwesend (siehe unten Dok. Nr. 25). 96) Der stellvertretende Vorsitzende Diederichs war das einzige Ausschußmitglied, das an allen 25 Sitzungen teilnahm. .
XXIV
Einleitung 2. DIE VERHANDLUNGEN DES WAHLRECHTSAUSSCHUSSES BIS ZUR
VERKÜNDUNG DES WAHLGESETZES
a.
Die
Tätigkeit
des Ausschusses
für Wahlrechtsfragen
Der Wahlrechtsausschuß tagte in 25 Sitzungen vom 15. September 1948 bis zum 5. Mai 1949. Damit zogen sich seine Beratungen von allen Fachausschüssen am längsten hin. So mußte sich der Hauptausschuß noch in seiner letzten Sitzung am 9. Mai 1949 mit der Wahlgesetzgebung befassen97). Das Plenum verabschiedete den Wahlgesetzentwurf als seinen letzten legislativen Akt am 10. Mai 194998). Angesichts der langen Beratungszeit stellte Chaput de Saintonge nach der Verabschiedung des Grundgesetzes mit der ihm eigenen Sachlichkeit fest, daß „the electoral question was one of the most difficult confronting the Parliamentary Council"99). Tatsächlich befaßte sich der Parlamentarische Rat „mit keiner anderen Frage [. .] so intensiv [. ..] wie mit der Wahlrechtsfrage"100). Während der Hauptausschuß immerhin etwa 10% seiner Arbeitszeit für das Wahlgesetz aufwandte, beschäftigte sich das Plenum sogar zu 30% ausschließlich mit .
dem
Wahlgesetz101).
Dieser erstaunliche Aufwand
war zu einem großen Teil auf die nur stockenden des Wahlrechtsausschusses zurückzuführen. Diesem lagen nämlich wiederum eine Vielzahl von Wahlgesetzentwürfen vor, die entweder einzeln von den verschiedenen Parteien oder interfraktionell erarbeitet worden
Verhandlungen waren102).
97) Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 769 ff. 98) Stenographische Berichte, S. 246 ff. Damit wurde das Wahlgesetz zwei Tage nach der Verabschiedung des Grundgesetzes (Stenographische Berichte, S. 201 ff.) beschlossen. 99) Pommerin, Mitglieder, S. 567. 00) Hans Meyer: Wahlsystem und Verfassungsordnung. Bedeutung und Grenzen wahlsy-
stematischer Gestaltung nach dem Grundgesetz, Frankfurt am Main 1973, S. 28; vgl. Eckhard Jesse: Wahlrecht zwischen Kontinuität und Reform. Eine Analyse der Wahlsystemdiskussion und der Wahlrechtsänderungen in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1983, Düsseldorf 1985, S. 91. 01) Meyer, Wahlsystem, S. 28. Das Plenum befaßte sich vorwiegend in seiner 3., 7., 8. und 11. Sitzung mit dem Wahlrecht. Der Hauptausschuß behandelte das Wahlrecht in seiner 2., 18., 20., 23., 30., 32., 37., 40., 44., 48., 49., 51.-53. und 59. Sitzung. Hier ist allerdings zu beachten, daß z. T. in diesen Sitzungen der vom Organisationsausschuß zu beratende Grundgesetzabschnitt „Der Bundestag" auf der Tagesordnung stand und die Arbeit des Wahlrechtsausschusses selbst nur am Rande berührt wurde. °2) Im einzelnen handelte es sich hier um den Strukturentwurf und den Teilentwurf Diederichs (Drucks. Nr. 128 a, 178, abgedruckt auf Dok. Nr. 5, Anm. 4 und in Dok. Nr. 8 passim bzw. Anm. 20), den Wahlgesetzentwurf Becker (Drucks. Nr. 197/11, Dok. Nr. 11) und den Entwurf Kroll (Drucks. Nr. 264 a; Dok. Nr. 13, Anm. 50). In der zweiten, im Dezember 1948 beginnenden Beratungsphase lag dem Wahlrechtsausschuß dann der Gesetzentwurf Diederichs vor, der vom Redaktionskomitee überarbeitet wurde (Drucks. Nr. 266 und 474; siehe unten Dok. Nr. 20). Die CDU/CSU brachte ihrerseits daraufhin auf den Drucksachen Nr. 369 und 450 Gesetzentwürfe ein, ohne daß diese aber ausführlich im Ausschuß behandelt wurden. Der Gesetzentwurf Becker (Drucks. Nr. 606, Anlage zum Kurzprotokoll der 22. Sitzung, Dok. Nr. 24) wurde vom Redaktionskomitee leicht modifiziert (Drucks. Nr. 577, siehe unten Dok. Nr. 25) und bildete die Grundlage für das am
XXV
Einleitung Beschäftigung mit der Wahlangesichts des Umstands, daß es sich rechtsfrage hier nicht um einen integrativen Bestandteil des Grundgesetzes handelte, wie etwa die Gestaltung des Grundrechtskatalogs, des Finanzwesens oder der Orgazumindest
Die
—
quantitativ gesehen
intensive
erstaunt auf den ersten Blick —
Bundes103). Zudem handelte es sich hier nicht einmal um ein Gesetz, das den zukünftigen Staat auf unabsehbare Zeit mitgestalten sollte. Die Aufgabe des Ausschusses für Wahlrechtsfragen beschränkte sich vielmehr ausdrücklich nur auf die Ausarbeitung eines Wahlgesetzes für die Wahl zum ersten Bundestag104). Damit erhielt das zu schaffende Gesetz bereits a priori einen ausgesprochen provisorischen Charakter. Von mehreren Seiten wurde wiederholt auf diesen Umstand hingewiesen und betont, daß eine endgültige Wahlrechtsregelung, die dann möglicherweise auch ein grundlegend anderes Wahlsystem hätte mit sich bringen können, späteren Zeiten vorbehalten bleiben sollte105). Auch vor diesem Hintergrund hätte eine schnelle und pragmatische Regenisation des
Wahlgesetz (Umdruck Nr. S 53, Dok. Nr. 26), das nach dem Schreiben der Alliierten vom 14. April 1949 (siehe unten Dok. Nr. 27, Anm. 5) nochmals abgeändert wurde (Umdruck Nr. S 55) und schließlich als Umdruck Nr. S 58 vom Wahlrechtsausschuß dem Hauptausschuß am 5. Mai und dem Plenum am 10. Mai 1949 zur Abstimmung vorgelegt wurde (siehe hierzu unten Dok. Nr. 29). Hinzu kam eine Vielzahl von einzelnen Anträgen, die während der Wahlgesetzberatungen im Februar und Mai 1949 im Hauptausschuß und Plenum eingebracht wurden. So gab es bei der Verabschiedung des Wahlgesetzes im Plenum am 10. Mai 1949 noch einmal zwölf Anträge der wie etwa der Antrag der CDU/CSU-Fraktion verschiedenen Parteien, die zum Teil (Drucks. Nr. 912) von entscheidender Bedeutung waren und bei Annahme durch das Plenum die Arbeit des Wahlrechtsauschusses hinfällig gemacht hätten (siehe hierzu unten Dok. Nr. 29). Nicht im Ausschuß behandelt wurden fraktionsintern erstellte Wahlgesetzentwürfe der CSU und der Entwurf Schröder (siehe unten Dok. Nr. 13, Anm. 50). 103) Diese Fragen wurden vom Grundsatz-, Finanz- und Organisationsausschuß behandelt. Zum Stellenwert des Wahlrechts im Zusammenhang mit den anderen Beratungsgegenständen vgl. Lange, Wahlrecht, S. 343 f. 104) Aufgrund der unentschiedenen Frage, ob der Pari. Rat zur Verabschiedung eines Wahlgesetzes berechtigt war, stand die genaue Umschreibung des Arbeitsgebietes zu Beginn der Beratungen noch nicht fest. So erhielt der Ausschuß nach seiner ersten konstituierenden Sitzung einen entscheidenden neuen Aufgabenbereich zugewiesen, als nämlich in das Kurzprotokoll vom 15. September 1948 die Frage des Wahlmodus als Hauptberatungsgegenstand der Wahlrechtsausschußverhandlungen nachträglich aufgenommen wurde (Siehe auch oben Abschnitt 1 a der Einleitung; siehe unten Dok. Nr. 1). 105) Hierauf wurde vor allem seitens der SPD in den Ausschußberatungen des öfteren hingewiesen (siehe unten S. 401); vgl. auch Diederichs im Plenum (Stenographische Berichte, S. 109 und S. 246). Insbesondere Schmid, offensichtlich aber auch Menzel (siehe unten Dok. Nr. 8, Anm. 53), begründete sein Votum für das modifizierte Verhältniswahlrecht mit dem Hinweis auf die besonderen politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der ersten Bundestagswahl, obwohl er sonst eher dem relativen Mehrheitswahlrecht zuneigte (Stenographische Berichte, S 130). Dagegen argumentierte allerdings Becker ebenso häufig, daß das erste Wahlgesetz nach dem „Gesetz der Trägheit" voraussichtlich zur Grundlage aller folgenden Wahlgesetze würde (siehe unten S. 5, 365 und 400; vgl. auch die gegenteilige Argumentation Stocks, ebenda und Heiland, S. 868). Der „provisorische Charakter" des Wahlgesetzes wurde aber auch in einigen Detailfragen als Argument angeführt. So lehnte Diederichs die Wahlpflicht ab (Dok. Nr. 23, TOP 2), da sie das Wahlergebnis nur verzerren würde und aus dem gleichen Grund befürwortete die Zentrumsabgeordnete Wessel die Außerachtlassung der 5 %-Klausel, da es gerade für den er24. Feb. 1949 im Plenum beschlossene
—
—
XXVI
Einleitung der
lung
Wahlrechtsfrage also
ganzes Bündel
an
durchaus nahe
liegen
können. Es gab jedoch ein einem außerordentlich häuder Verhandlungen im Parlamentarischen
Gründen, die das Wahlgesetz
zu
und zähen Beratungsgegenstand Rat machten. Diese Gründe lagen nur zu einem geringen Teil an der lange Zeit unklaren Kompetenzfrage, die weniger die Ausschußarbeit als in der Hauptsache den Parlamentarischen Rat als solchen betraf106). So waren die Ursachen für die zahlreichen Verzögerungen bis zur Verabschiedung des ersten Wahlgesetzentwurfs am 24. Februar 1949 im Ausschuß selbst und erst für die Monate März bis Mai bei den formalen und inhaltlichen Vorbehalten der Alliierten zu suchen. Auch diese Phase soll im folgenden berücksichtigt werden, da auch das Wahlgesetz in der allgemeinen Krise des Parlamentarischen Rates auf Druck der Alliierten wesentliche Änderungen erfuhr107). Eine wesentliche Schwierigkeit für den Ausschuß lag in dem Umstand begrünim Gegensatz zu den anderen Fachausschüssen des Parlamentaridet, daß er schen Rates auf keine Vorlage des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee zurückgreifen konnte108). So einig sich die Mitglieder in der Ablehnung aller in
figen
—
—
Bundestag wichtig sei, ein möglichst spiegelgetreues Abbild der Gesellschaft im Parlament darzustellen (siehe unten Dok. Nr. 13, TOP 2 a). Auffällig war aber, daß selbst Diederichs intuitiv doch an ein bleibendes Wahlgesetz dachte, als er die Vermehrung der Wahlkreise für den Fall vorsah, daß die Sowjetische Besatzungszone an die drei Westzonen angeschlossen würde (siehe unten S. 332). ') Vgl. oben Abschnitt 1 a der Einleitung. ') Vgl. auch Lange, Wahlrecht, S. 363 ff. Siehe allgemein zur „letzten Krise" im Pari. Rat: Hans-Jürgen Grabbe: Die deutsch-alliierte Kontroverse um den Grundgesetzentwurf im Frühjahr 1949, in: VjfZ 26 (1978), S. 393-418, hier: S. 397 ff.; Rudolf Morsey: Die letzte Krise im Parlamentarischen Rat und ihre Bewältigung (März/April 1949), in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat, hrsg. von Dieter Schwab u. a., Berlin 1989, S. 393-410, hier: S. 395 ff.; Winfried Becker: Um Verfassungstheorie, Föderalismus und Parteipolitik Zwei Kontroversen im Parlamentarischen Rat, in: Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, hrsg. von Karl Dietrich Bracher u. a., Berlin 1992, S. 841—859, hier: S. 854 ff. ') Wiederholt wies der Ausschußvorsitzende Becker auf diesen Umstand hin (siehe unten S. 334 sowie 195 und 212; siehe auch die Ausführungen des stellv. Ausschußvorsitzenden Diederichs im Plenum am 21. Okt. 1948 [Stenographische Berichte, S. 109)). Zum Grundgesetz-Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee, siehe: Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504 ff. Der Verfassungskonvent hatte statt dessen vorgeschlagen, das Wahlgesetz außerhalb der Verfassung als eigenständiges Gesetz zu verabschieden (Art. 45 Abs. 1 Satz 2, Entwurf eines Grundgesetzes. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. Aug. 1948, in: Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 588). Zwar verzichtete der Verfassungskonvent folgerichtig auf eine formelle Stellungnahme, obwohl er durchaus anerkannte, daß das Wahlrecht „eine der wichtigsten Verfassungsfragen" ist: So etwa Otto Küster im Unterausschuß III (Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. Nr. 10, S. 280, Anm. 1). Unabhängig davon tendierten die Mitglieder des Verfassungskonvents offensichtlich zur Einführung des MehrheitsWahlrechts. Im Bericht des Unterausschusses III hieß es dazu: „Der Ausschuß wollte insoweit die Entscheidung für die Mehrheitswahl nicht vorwegnehmen, sie ist aber durch angebahnt, daß die Zahl der Abgeordneten [und damit der Wahlkreise, d. Bearb.) fest bestimmt ist. Für den Fall, daß es bei der Verhältniswahl bleibt, soll das Wahlgesetz vorsehen können, daß Parteisten
—
XXVII
Einleitung der deutschen Parlamentsgeschichte angewandten Wahlsysteme waren, nämlich des absoluten Mehrheitswahlrechts aus dem Kaiserreich wie auch des reinen Verhältniswahlrechts der Weimarer Republik109), so wenig konnte man sich aber auf ein gemeinsames .drittes' Wahlsystem einigen. Vielmehr prägten das Fehlen eines noch so schmalen Konsenses und die unflexible Verhandlungsstrategie der Ausschußmitglieder, größtenteils bedingt durch das machtpolitische Kalkül der Parteien110), die Beratungen des Ausschusses. Alle Ausschußmitglieder waren mit mehr oder weniger festen Vorgaben ihrer Parteien in die Verhandlungen entsandt worden. Während für die großen Parteien die Wahlrechtsgestaltung eine Machtfrage war, bedeutete sie für die kleineren Parteien eine Frage des politischen Überlebens. Auf dieser Grundlage stand eine, sich in der Ablehnung des reinen MehrheitsWahlsystems wiederfindende Interessenkoalition, bestehend aus SPD, Z und KPD, der CDU/CSU und DP gegenüber, die beide die Grundsätze des relativen Mehrheitswahlsystems bejahten111). Entscheidendes Gewicht fiel also dem Verhalten der FDP zu.
Sowohl SPD als auch CDU/CSU orientierten ihre wahlrechtspolitische Ausrichan Überlegungen, unter welchem Wahlrechtssystem die eigene Partei bei den ersten Parlamentswahlen in Westdeutschland den größtmöglichen Einfluß erringen könnte112). Die CDU der britischen Zone tendierte spätestens seit ih-
tung
die weniger als 5 % der Stimmen erhielten, keinen Sitz erhalten und daß auf zusamReststimmen nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen errungen hat" (ebenda; siehe auch ebenda, Dok. Nr. 14, S. 537). Die Bestimmung über die 5%-Klausel wurde in Artikel 47 Abs. 5 in den Bericht über den Verfassungskonvent aufgenommen (ebenda, S. 589). Siehe unten S. 209. Siehe auch den Bericht von Chaput de Saintonge an Robertson vom 26. Feb. 1948, Bl. 184: „The issues over the Electoral system are essentially those of party tactics and, for this reason, are very delicate." Siehe dagegen Jesse, der feststellt, daß sich „bei der Wahlrechtskontroverse im Parlamentarischen Rat [. .] die Zweckmäßigkeitserwägungen [der Parteien] in Grenzen" hielten (Jesse, Wahlrecht, S. 96). Eine Sonderrolle spielte in diesem Zusammenhang die DP. Siehe hierzu vor allem die Ausführungen Heiles (siehe unten Dok. Nr. 3 und 4). Zu den Verfassungsvorstellungen der Parteien siehe allgemein: Der Pari. Rat Bd. 2, S. XL ff. Siehe hierzu Menzels „Berechnungen über die Auswirkungen verschiedener Wahlsysteme aufgrund der Stimmenverhältnisse im Land Nordrhein-Westfalen" (FESt NL Menzel R 5, o. D. [verm. Winter 1948/49). Die CDU/CSU richtete zu diesem Zweck am 11. März 1949 eigens einen „Arithmetiker-Ausschuß" ein (ACDP 1-009-007/3; siehe auch unten Anm. 180). Der wöchentliche britische Bericht über die Arbeit des Pari. Rates hielt am 25. Feb. 1949, einen Tag nach der Annahme des ersten Wahlgesetzentwurfs im Plenum, lakonisch fest: „CDU championship of this system [d. h. des Mehrheitswahlsystems, d. Bearb.) does not argue any superior political outlook, but is based on a belief that this system will bring them more seats at the elections. Similarly the SPD, although they may privately acknowledge the majority system as preferable, cannot afford to adopt it since they would thereby lose the whole of S[outh] Germany. Schmidt's [!] assurance that the new system will apply only to the first election seems to imply that the SPD realise the system they have chosen leaves much to be desired" (BA Kl. Erw. 792/4, Bl. 35). Noch unmittelbar vor der endgültigen Verabschiedung des Wahlgesetzes durch die Ministerpräsidenten zog Dehler ein ähnliches Fazit über die Wahlrechtspolitik der CDU: „Ich weiß aus der Bonner Arbeit, daß Adenauer mit allen Mitteln die parlaen,
mengerechnete
109) 110)
.
m) 112)
XXVIII
Einleitung in Recklinghausen eindeutig zum Mehrund erwies sich damit als meinungsbildend für die gesamte westdeutsche CDU/CSU. Dagegen betonte die SPD auf ihrer Hamburger Tagung im Juli 1948 ihre traditionelle Forderung nach der Einführung des Verhältniswahlsystems114). Die FDP plädierte durch ihren Vertreter Max Becker für ein Wahlsystem, das in Grundzügen dem absoluten Mehrheitswahlrecht der rem
1.
Parteitag (14./15. August 1947)
heitswahlsystem hin113)
Kaiserzeit
nahekam115).
Ihren vorformulierten Wahlrechtsgrundsätzen entsprechend benannten die einzelnen Parteien ungeachtet der Tatsache, daß sich in jeder Partei auch Annur solche Politiker in des hänger jeweils anderen Wahlsystems befanden den Wahlrechtsausschuß, die der offiziellen Parteilinie folgten. Besonders auffällig zeigte sich das Parteikalkül im Falle der CDU/CSU. Hier wurde der erste Verhandlungsführer und engagierte Verfechter des Mehrheitswahlrechts, Gerhard Kroll, abgelöst, nachdem die Fraktion aus allgemeinpolitischen Motiven für eine Annäherung mit der FDP votiert hatte. Statt dessen nominierte die Unionsfraktion nun mit Theophil Kaufmann einen Befürworter eines Kompromisses zwischen beiden Wahlsystemen in den Wahlrechtsausschuß. Analog dazu war in der SPD der dem relativen Mehrheitswahlrecht positiv gegenüberstehende Abgeordnete Paul Löbe weitgehend isoliert116). Lediglich die Tatsache, daß er —
—
113)
114)
115) 116)
mentarische Herrschaft der CDU anstrebt. Die Arbeit am Grundgesetz war dadurch weitgehend belastet, weil es der CDU nicht so sehr darum ging, eine weitherzige, in diesem Sinn liberale Lebensform für unser Volk zu schaffen, als darum, eine Machtposition für seine Partei zu gewinnen. Diese Tendenz steigerte sich bei den Auseinandersetzungen um das Wahlgesetz; mit dem Mehrheitswahlrecht wollte die CDU ihre dauernde Überlegenheit fundieren. Adenauer verkennt, daß die Gefahr des marxistischen Sozialismus nicht durch Techniken, sondern nur durch die Überlegenheit in der geistigen Auseinandersetzung beschworen werden kann" (Dehler an Glahn vom 7. Juni 1949, ADL N 1-943). Auf diesem Parteitag hielt auch das spätere Wahlrechtsausschußmitglied Carl Schröter ein vielbeachtetes Referat über die Vorzüge des Mehrheitswahlrechts („Zum Wahlrecht". Rede auf dem 1. Parteitag der CDU der britischen Zone am 14. und 15. August 1947, hrsg. vom Zonensekretariat der CDU der britischen Zone, Recklinghausen, S. 9-14); vgl. Lange, Wahlsystem, S. 202 f. Siehe hierzu die Düsseldorfer Beschlüsse des Verfassungsausschusses der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU vom 24725. Mai 1948 und die Stellungnahme des Landesverbandes Berlin (ACDP 1-071-028/1). Für die Hamburger Tagung der SPD siehe unten Dok. Nr. 12, Anm. 29; FESt NL Menzel R 4. Auch auf seiner Sitzung vom 28. Mai 1948 hatte sich der SPD-Parteivorstand dezidiert zur Wahlrechtsfrage geäußert und sich u. a. gegen die Wahlpflicht ebenso ausgesprochen wie gegen die Aufnahme des Wahlsystems in die Verfassung (FESt NL Schmid/Bd. 1504). Zur traditionellen Befürwortung der Verhältniwahl durch die SPD, siehe unten Dok. Nr. 2, Anm. 44. Siehe unten Dok. Nr. 11. Der CDU-Abgeordnete Kaiser zitierte noch am 5. Mai 1949 in einer CDU/CSU-Fraktionssitzung Löbe mit den Worten, „daß auch er dafür [d. h. für das Mehrheitswahlsystem, der Bearb.] sei, auch einige seiner Leute, sie aber nichts machen könnten" (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 548). Auch Carlo Schmid machte aus seinen Sympathien für das relative Mehrheitswahlsystem kein Geheimnis, räumte jedoch ein, daß für die Wahl zum ersten Bundestag ein modifiziertes Verhältniswahlsystem geboten sei (Stenographische Berichte, S. 130 f.; vgl. unten Dok. Nr. 14, Anm. 25). Dieser Meinung schloß sich auch der SPD-Abgeordnete im Wahlrechtsausschuß Jean Stock an (siehe unten S. 584).
XXIX
Einleitung als Berliner Abgeordneter ohnehin kein Stimmrecht besaß, ließ ihn in den Augen der SPD nicht zu einem Risiko werden117). Analog zu den Verfahrensweisen der beiden großen Parteien kam in der FDP der das relative Mehrheitswahlrecht bevorzugende Thomas Dehler auch nicht zum Zuge118). Das hartnäckige Festhalten der Ausschußmitglieder an ihren parteipolitischen Vorgaben und das Fehlen einer verbindlichen Wahlgesetzvorlage führten dazu, daß sich die Verhandlungen sehr in die Länge zogen und Grundsatzdiskussionen über die Vor- und Nachteile der einzelnen Wahlsysteme, so Diederichs, „bis zum Erbrechen" wiederholt wurden119). Der „Leidensweg der Beratungen"120) wurde gleichsam zum unrühmlichen Charakteristikum des Wahlrechtsausschusses. Der Vergleich mit der Arbeit der anderen Fachausschüsse ließ die Ergebnisse des Wahlrechtsausschusses in den Augen der Beteiligten in zum Teil eklatanten Ausmaß abfallen121). Wiederholt äußerten insbesondere der Ausschußvorsitzende Becker und sein Stellvertreter Diederichs ihren Unmut über den schleppenden Gang der Beratungen122). Typisch wurden insbesondere die häufigen Unterbrechungen der Ausschußarbeit infolge der immer wieder neu vorgebrachten Einwände einzelner Ausschußmitglieder aufgrund einzelner Verfahrens- und Geschäftsordnungsfragen123). Die zahlreichen Wahlgesetzentwürfe, die allesamt abgelehnt worden waren, führten schließlich dazu, daß dieselben Verhandlungsgegenstände, wie etwa die Frage des aktiven und passiven Wahlrechts oder die Reststimmenverwertung, immer wieder aufs neue im Rahmen eines neuen Gesetzentwurfs verhandelt wurden124). Vor dem Hauptausschuß bezeichnete Becker, der sich kaum noch Mühe gab, seinen Ärger und seine Enttäuschung zu verbergen, seinen eigenen Ausschuß infolgedessen wenig schmeichelhaft als „Ausschuß der Wieder-
117) Es konnte nicht geklärt werden, auf welcher Grundlage der Ausschußvorsitzende Becker
118) 119) 12°) 121)
122) 123)
124)
XXX
den Berliner Abgeordneten in einer Phase der Verhandlungen ausdrücklich das Stimmrecht zuerkannte (siehe unten Dok. Nr. 21, TOP1). Für den weiteren Verlauf der Verhandlungen hatte die Entscheidung Beckers allerdings keine Bedeutung. Zum Beobachterstatus der Berliner Abgeordneten siehe auch Der Pari. Rat Bd. 3, S. 1, Anm. 3 und Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 3 f. (Anm. 4) und S. 11. Siehe unten Dok. Nr. 7, Anm. 3. Siehe unten S. 593. So etwa Heuss in der Hauptausschußsitzung vom 22. Feb. 1949, S. 696. Siehe hierzu auch den verzweifelten Ausruf von Stock: „Der Wahlrechtsausschuß kommt nicht vorwärts! Das ist furchtbar, der einzige Ausschuß, der nicht vorwärts kommt!" (S. 363; vgl. „Halbzeit in Bonn" von Staatsminister Anton Pfeiffer, Bayer. HStA NL Pfeifer/Bd. 583 und unten S. 210). Siehe z. B. unten S. 212 f. und 398. Siehe hierzu auch den Kommentar Beckers: „Es ist wirklich kein Genuß, meine Damen und Herren, Vorsitzender und Berichterstatter zu sein in einem Auschuß, in dem alle drei Stunden etwas anderes beschlossen werden soll" (siehe unten S. 365). Zeitweise herrschte nach mehreren Abstimmungen über verschiedene Wahlsysteme im Wahlrechtsausschuß selbst Unklarheit darüber, auf welchem Beratungsstand man gerade war (siehe unten S. 369). Und auch im Plenum und im Büro der Ministerpräsidenten konnte nicht immer genau zwischen den zahlreichen Gesetzentwürfen und Änderungsanträgen zum Wahlgesetz unterschieden werden (siehe unten Dok. Nr. 22, Anm. 10 sowie Stenographische Berichte, S. 197 ff.).
Einleitung holungen"125). Und Diederichs kommentierte die Häufigkeit, mit der sich der Ausschuß in technische Details verstrickte, vielsagend mit dem Wort Schillers: „Wer allzuviel bedenkt, wird wenig leisten"126). Den Abgeordneten Heiland (SPD) beschlich gegen Ende der Beratungen sogar die Sorge, „ob man, wenn einmal später unsere Protokolle hier gelesen werden, noch mit dem notwendigen Ernst
von uns
redet"127).
Formell können die
in zwei große Abschnitte unterteilt der werden128). Zum einen war Verhandlungen bis zum Beschluß Weg Februar am des ersten Wahlgesetzentwurfs 24. 1949129). Der zweite Verhandden Februar von Zeitraum 1949 bis zur letzten Sitzung lungsabschnitt umspann des Wahlrechtsausschusses am 5. Mai 1949130). Gleichwohl erhielt der Wahlgesetzentwurf weder damit noch mit dem Beschluß des Plenums vom 10. Mai oder der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 Gesetzescharakter131). Die Verkündung des Wahlgesetzes blieb vielmehr den Ministerpräsidenten der Länder auf ihrer Tagung in Bad Schlangenbad am 14./15. Juni 1949 vorbehalten, nachdem sie den Wahlgesetzentwurf zuvor in zwei wichtigen Punkten verändert hatten132). Die erste Verhandlungsphase des Parlamentarischen Rates war von Grundsatzdiskussionen über die verschiedenen Wahlsysteme gekennzeichnet. Dazu wurden Grundsatzreferate aus den Reihen der einzelnen Parteien gehört133). In drei weiteren Sitzungen wurden Sachverständige gehört, die nicht dem Parlamentarischen Rat angehörten134). Ihr Einfluß auf den Gang der Beratungen blieb jedoch
Ausschußberatungen dies der
125) So
etwa Becker am 9. Mai 1949 im ses, S. 773). Siehe unten S. 507. Siehe unten S. 608.
Hauptausschuß (Verhandlungen des Hauptausschus-
126) 127) 128) Die Arbeit des Wahlrechtsausschusses ist in der Literatur bereits mehrfach behandelt worden (siehe vor allem auch Lange, Wahlrecht, S. 342 ff.; Stoltenberg, Wahlsystem, S. 83 ff.; weniger ausführlich, aber dennoch sehr informativ auch Volker Otto: Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, Düsseldorf 1971, S. 164 ff.; Meyer, Wahlsysteme, passim und Jesse, Wahlrecht, S. 91 ff.). Aus diesem Grund sei hier nur noch auf einige Grundstrukturen und Charakteristika der
Ausschußverhandlungen
ein-
gegangen.
129) 13°) 131) 132) 133) 134)
Siehe unten Dok. Nr. 1-25. Siehe unten Dok. Nr. 26-29.
Stenographische Berichte,
S. 267 ff. Siehe unten Abschnitt 2 c der Einleitung und Dok. Nr. 29. Siehe unten Dok. Nr. 3. So wurden in der zweiten Sitzung der Bonner Wahlrechtsexperte und Befürworter des Verhältniswahlsystems Prof. Dr. Richard Thoma, in der siebten Sitzung der ehemalige Reichskanzler Hans Luther, der die Einführung des relativen Mehrheitswahlsystems empfahl, als Sachverständige gehört (siehe unten Dok. Nr. 3 und 7). An der neunten Ausschußsitzung nahmen die Vorstandsmitglieder der Deutschen Wählergesellschaft als Gäste teil (Dok. Nr. 9). Zuvor hatte es im Ausschuß noch Unklarheiten gegeben, ob die DWG-Mitglieder in einer formellen Ausschußsitzung oder lediglich in Form eines inoffiziellen „Treffens" gehört werden sollte, nachdem Becker erklärt hatte, daß sie nicht im Ausschuß selbst auftreten könnten, „da sie nicht als Sachverständige geladen sind" (siehe unten S. 208). In leisem Widerspruch hierzu beschloß der Ausschuß, eine geregelte Sitzung „unter Hinzuziehung der Vertreter der Deutschen Wählergesellschaft als Gäste
XXXI
Einleitung äußerst gen
gering, zumal
und, da
sie
zu den Wahlsystemen a priori dezidiert Stellung bezodie ähnlich wie auch die Ausschußmitglieder selbst
sie
als Überzeugungsfrage behandelten, nur wenige neue Argumente in die Debatte einbringen konnten. Aus diesem Grunde lehnten es schließlich die SPD-Abgeordneten auch ab, mit dem Wahlrechtsexperten Gerhard Schröder einen weiteren Sachverständigen (für das Mehrheitswahlsystem) anzuhören135). Becker selbst verhinderte darüber hinaus zweimal die Hinzuziehung eines Experten für die Ausgestaltung der technischen Details des Wahlgesetzes, da dies nach außen als ein „Armutszeugnis" und Eingeständnis der Inkompetenz hätte angesehen werden können136). Als erstes Ausschußmitglied legte der stellvertretende Vorsitzende Georg Diederichs einen „Strukturentwurf" vor, der in groben Zügen ein Wahlsystem nach den Richtlinien des Verhältniswahlsystems entwickelte137). Für die FDP schlug der Ausschußvorsitzende Bekker ein Wahlsystem im Sinne des absoluten Wahlrechts vor138). Seinen mündlichen Vortrag ergänzte er wenige Wochen später mit einem Wahlgesetzentwurf, der allein durch seine Ausführlichkeit bestach139). Becker orientierte sich bei zahlreichen technischen Details an den Wahlgesetzen aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik140). Der „dogmatische Mehrheitswahlrechtsverfechter"141) Gerhard Kroll brachte für die CDU/CSU-Fraktion einen sehr knapp gehaltenen Entwurf ein, der das Spektrum der zur Diskussion stehenden Wahlsystemvor-
Wahlrechtsfrage
—
—
schläge abrundete142). In der achten Ausschußsitzung
kam es am 14. Oktober 1948 zu einer ersten Abüber die drei verschiedenen bis dahin eingebrachten Wahlsystemvorstimmung schläge143). Von diesen konnte keiner eine Mehrheit erringen. Während das relative Mehrheitswahlsystem und ein modifiziertes Verhältniswahlsystem seitens der beiden großen Parteien SPD und CDU/CSU wenigstens von jeweils mehreren Ausschußmitgliedern gestützt wurde und damit nur knappe Ablehnung erfuhr, wurde der Beckersche Vorschlag des absoluten Mehrheitswahlsystems deutlich überstimmt144). Die klare Ablehnung seines Vorschlages auch von sei-
135) 13B) 137)
138) 139) 14°) 141) 142) 143) 144)
abzuhalten" (siehe unten S. 245). Während ihres Aufenthaltes in Bonn empfing auch Adenauer die beiden Vorstandsmitglieder Mommsen und Walk, ohne daß diese aus der Begegnung nennenswerte Ergebnisse erreichen konnten. Vielmehr hielt sich Adenauer sehr bedeckt und reagierte nur zurückhaltend auf die Vorschläge für die Einführung des relativen Mehrheitswahlsystems (diese und weitere Informationen über die Arbeit der DWG verdankt der Bearbeiter dem Gespräch mit Herrn E. P. Walk vom 27. Ian. 1993). Siehe unten S. 611. Siehe unten S. 405. Drucks. Nr. 128 a (Dok. Nr. 5, TOP 1). Der Diederichssche Strukturentwurf wurde in der fünften und sechsten Ausschußsitzung besprochen (Dok. Nr. 5 und 6). Siehe unten Dok. Nr. 3. Drucks. Nr. 197/11 (Dok. Nr. 11). Die Funktion des Weimarer Wahlgesetzes als Verhandlungsgrundlage erschöpfte sich vorwiegend in der teilweisen Übernahme der technischen Durchführungsbestimmungen einer Wahl (siehe z. B. unten S. 122).
Lange, Wahlrecht,
S. 344.
Dok. Nr. 13, Anm. 50 (Drucks. Nr. 264 a). Siehe unten Dok. Nr. 8, TOP 2. Ebenda.
XXXII
Einleitung ten der CDU/CSU
scheint Becker enttäuscht zu haben, zumal zwischen seinem des absoluten Mehrheitswahlrechts und dem relativen Mehrheitswahlrecht der Union durchaus ein Kompromiß möglich gewesen zu sein schien. Immerhin spielte er in den nächsten Sitzungen des öfteren auf das eindeutige Abstimmungsverhalten der Unionsvertreter an und ließ dabei auch sei-
Systemvorschlag
ne
Verärgerung erkennen145). jeder Hinsicht negative Abstimmungsergebnis
war bezeichnend für die konträren Positionen innerhalb des Ausschusses. Auch in der Folge wichen die Kontrahenten nur wenig von den einmal gemachten Vorschlägen ab. Am 3. November 1948 erreichten die Verhandlungen einen neuen Tiefpunkt, als die vorähnlich wie bei der Abstimmung am liegenden drei Wahlgesetzentwürfe alle abgelehnt wurden146). Die Situation spitzte sich kurzzeitig 14. Oktober zu, als Kroll für den Fall der Ablehnung des relativen Mehrheitswahlrechts sogar mit dem Boykott der Verhandlungen durch die CDU/CSU drohte147). Nur durch die Intervention seiner Fraktionskollegen konnte ein Eklat vermieden
Das in
—
—
werden148). Mit dem in jeder Hinsicht negativen Abstimmungsergebnis vom 3. November 1948 wurden die Wahlrechtsverhandlungen vorerst unterbrochen149). Der Ausschuß einigte sich darauf, das weitere Vorgehen zunächst in den einzelnen Fraktionen abzustimmen150). Nach 13 Ausschußsitzungen hatte der Wahlrechtsausschuß als einziger Fachausschuß des Parlamentarischen Rates noch kein konkretes Ergebnis vorzuweisen151). Immerhin wurde aber deutlich, daß sich eine Mehrheit ohne die CDU/CSU-Fraktion bilden konnte. Diederichs leitete vorsichtig eine Koalition aus SPD, FDP und Zentrum ein152), zumal Becker konstatierte, daß auch er sich grundsätzlich mit dem Verhältniswahlrecht durchaus anfreunden könne153). Die CDU/CSU, der von den anderen Parteien zunehmend die Verantwortung für die stockenden Verhandlungen angelastet wurde, war damit
isoliert154).
145) Siehe vor allem auch unten Dok. Nr. 22, Anm. 13. 146) Drucks. Nr. 178 (Diederichs, siehe Dok. Nr. 8 und Anm. 20); Drucks. Nr. 197/11 (Becker, siehe Dok. Nr. 11) und Drucks. Nr. 264 a (Kroll, Dok. Nr. 13, Anm. 50). 147) Siehe unten S. 209. 14B) Siehe unten S. 212. 149) Siehe auch Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 3. Nov. 1948, BA Z 12/118, Bl. 1-4. Siehe unten S. 424. Vgl. oben Anm. 121. Siehe unten S. 420. Siehe unten S. 414. An anderer Stelle bezeichnete Becker das relative Mehrheitswahlrecht als das „größte Unrecht" (siehe unten S. 366). 154) Noch am 6. April 1949 schrieb Becker an Dehler: „Die monatelangen fruchtlosen Verhandlungen in Bonn, an denen insbesondere im Oktober und November die CDU ein großes Maß Schuld trägt, [haben] dem Gedanken des Parlamentarismus und der politischen Parteien einen unermeßlichen Schaden zugefügt" (Schreiben vom 6. April 1949, ADL N 11-40; vgl. unten Dok. Nr. 15, Anm. 8).
15°) 151) 152) 153)
XXXIII
Einleitung Die Wiederaufnahme der Wahlrechtsverhandlungen am 2. Dezember 1948155) wurde von zwei wichtigen Entwicklungen gekennzeichnet: Zum einen legte Diederichs einen neuen Wahlgesetzentwurf vor, der vom Redaktionskomitee des Wahlrechtsausschusses überarbeitet wurde und damit erstmals einen mehrheitsfähigen Vorschlag darstellte156). Zum anderen hatte es in der CDU/CSUFraktion einen Umschwung gegeben mit dem Ergebnis, daß anstelle Krolls157) Theophil Kaufmann beauftragt wurde, einen Kompromiß mit der FDP zu su-
chen158). Bereits Ende November hatte ein erstes Gespräch zwischen Adenauer und Süsterhenn auf der einen sowie Heuss und Dehler auf der anderen Seite stattgefunden, in dem die FDP, so Adenauer, „um ein Wahlgesetz [bat], das ihnen ein Weiterbestehen ermöglicht[e]"159). Wenige Tage später deutete Felix Walter (CDU) gegenüber Becker ein Einschwenken der Union auf die Linie der FDP an160). Am 30. Dezember 1948 kam es zu einer weiteren Unterredung zwischen Kaufmann und Heuss, in der letzterer die Bereitschaft der FDP signalisierte, ein „verbessertes Mehrheitswahlrecht mitzumachen". Trotz dieser entgegenkommenden Haltung von Heuss konnte Kaufmann aber keine definitive Zusage für eine CDU/CSU-FDP-Koalition erhalten161). Sein Gesetzentwurf, den Becker später ironisch als seinen eigenen, „mit einigen Schnörkeln versehenen" ersten Vorschlag bezeichnete162), hatte vielmehr keine Chance auf eine Mehrheit im Ausschuß. Möglicherweise scheiterte der Vorstoß nicht zuletzt am persönlichen Widerstand Beckers, der sich insbesondere über die Politik der Union in der er-
zeigte163). Wahlrechtsverhandlungen164) wurde nach der Weihnachtspause eingeleitet, als Diederichs einen neuen Vermittlungsvorschlag unterbreitete, der als Kompromißlösung die Bildung kleiner Wahlkreise beinhaltesten
Verhandlungsphase
enttäuscht
Der Durchbruch in den
155) Dok. Nr. 15. 156) Drucks. Nr. 266; 474 (siehe unten Dok. Nr. 20). Eine knappe Mehrheit war mit den Stimmen der SPD, FDP und eventuell der KPD gewährleistet. 157) Zur Kritik Adenauers an der „hartnäckigen" Verhandlungsführung Krolls siehe auch seine Ausführungen in der Wahlausschußsitzung der CDU/CSU vom 5. März 1949 (Die 1946—1950. Protokolle der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU Deutschland und der Konferenzen der Landesvorsitzenden, bearbeitet von Brigitte Kaff ( Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 17), Düsseldorf 1991, hier: Dok. Nr. 21, S. 377 f.). CDU/CSU-Fraktionssitzung vom 2. Dez. 1948, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 252. Den Anstoß zur Abberufung Krolls aus dem Wahlrechtsausschuß gab Süsterhenn, der zusammen mit Adenauer das erste Gespräch mit der FDP gesucht hatte (ebenda). Sitzungsprotokoll vom 30. Nov. 1948, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 241. Siehe unten Dok. Nr. 17, Anm. 9. Siehe unten Dok. Nr. 22, Anm. 13. Becker im Hauptausschuß am 22. Feb. 1949 (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 702). Siehe unten Dok. Nr. 22, Anm. 13. Noch am 27. Jan. 1949 hatte Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten geschrieben, angesichts der Unentschlossenheit im Wahlrechtsausschuß sei der Stand der Verhandlungen seit Oktober 1948 stehengeblieben (BA Z 12/120, Bl. 8-15).
Unionsparteien
=
158)
159) 16°) 161) 162) 163) 164)
XXXIV
Einleitung te165). Davon ausgehend brachte Becker schließlich in der folgenden Sitzung einen, so drohte er, letzten Wahlgesetzentwurf ein166), der endlich zur Vorlage
des ersten Bundestagswahlgesetzentwurfs wurde167). Damit hatte sich der Wahlrechtsausschuß mehrheitlich auf ein Gesetz geeinigt, ohne daß das Wahlgesetz als Ganzes Gegenstand der am 25.127. Januar 1949 beginnenden interfraktionellen Verhandlungen im Rahmen des Fünfer- bzw. Siebenerausschusses geworden
wäre168).
wurde der Wahlgesetzentwurf am 24. Februar 1949 vom Plemit den Stimmen der SPD, Z und KPD gegen die Stimmen der CDU/CSU und der DP verabschiedet169). Zur allgemeinen Verwirrung erhoben jedoch die Alliierten formale Einwände gegen den Entwurf170). Im Memorandum vom 2. März 1949 hieß es: „Wir sind zu der Schlußfolgerung gekommen, daß das vom Parlamentarischen Rat entworfene Wahlgesetz dem Grundgesetz nicht angeschlossen werden kann und die Bestimmungen des Artikels 145 deshalb nicht zur Anwendung kommen können. Wir sind jedoch der Auffassung, daß der Parlamentarische Rat die Anzahl der Volkstags-Abgeordneten und die Verteilung dieser Abgeordneten auf jedes Land bestimmen sollte. Wir schlagen vor, den Ministerpräsidenten zu sagen, daß sie geeignete Schritte unternehmen sollen, um die erforderliche Gesetzgebung in jedem Landtag vorzubereiten und daß sie berechtigt sind, den Wahlgesetzentwurf, wie er vom Parlamentarischen Rat fertiggestellt wurde, als Grundlage für die Vorbereitung einer Gesetzesvorlage zu verwenden, die den Landtagen der einzelnen Länder zur Verabschiedung vorzulegen ist171)."
Erwartungsgemäß
num
165) Siehe unten Dok. Nr. 22. 166) Siehe unten Dok. Nr. 24. Resigniert erklärte Becker, nur aus
der
er
habe diesen
Kompromißvorschlag
„Komposition des Negativen" erstellen können (S. 712).
1B7) Siehe unten Dok. Nr. 24 und 25. Aus der Sicht von Leisewitz wurde das Wahlgesetz „überraschend" schnell beschlossen, hatte doch die Pressestelle des Pari. Rates noch am
bekanntgegeben, im Verlauf der Woche würde das Wahlgesetz ledig„besprochen" werden. Leisewitz fand diesen Vorgang „bezeichnend für die Unentschlossenheit, die in Bonn aus dem Warten auf die .Bemerkungen' der Alliierten zum Grundgesetz und das Besatzungsstatut entstanden ist" (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 25. Feb. 1949, BA Z 12/121, Bl. 2). 188) Zum Wortprotokoll siehe PA Bestand 5/7. Lediglich einzelne Aspekte des Wahlgesetzes 22. Februar 1949
lich
so etwa die 5%-Klausel und das Beamtenwahlrecht sollten in den kommenden Monaten in diesem Ausschuß verhandelt werden (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 18. Feb. 1949, BA Z 12/121, Bl. 43-47; ACDP NL Troßmann, I-052-I, S. 411 f.; siehe auch unten Dok. Nr. 22, Anm. 25), siehe auch unten Abschnitt 2 b der Ein—
—
leitung.
169) Dok. Nr. 26. 17°) Siehe hierzu Lange, Wahlrecht, S. 365. 171) Umdruck Nr. S 5; BA Z 12/55, Bl. 233 und Kl. Erw. 792/2 Bl. 8; Documents on the Creation, S. 145; Simons an Litchfield vom 3. März 1949, Z 45 F 15/147-2/1; vgl. auch das
Wortprotokoll des Treffens
der drei Militärgouverneure mit den Vertretern des Parlamentarischen Rates in Frankfurt vom 2. März 1949 (BA Z 12/9, Bl. iff.); BA Kl. Erw. 792/6, Bl. 127 f.; BA NL 239 (Brentano)/Bd. 112 und NL 240 (Brockmann)/Bd. 8. Siehe auch die persönlichen Aufzeichnungen von Kaufmann (ACDP 1-071-025/4) und
XXXV
Einleitung die dem Parlamentarischen Rat ausdrücklich getrennt von der der Militärgouverneure zum Grundgesetz übergeben Denkschrift gemeinsamen wurde172), stieß insbesondere bei der SPD und FDP auf Unverständnis und Ablehnung, da sie nun den im großen und ganzen von ihnen getragenen Wahlgesetzentwurf gefährdet sahen. Schmid deutete an, daß sich der Parlamentarische Rat mit den hier festgelegten Kompetenzen nicht zufriedengeben und das Die
Erklärung,
Wahlgesetz im Grundgesetz festlegen werde173). Hauptkritikpunkt der Mitglieder des Parlamentarischen Rates war die alliierte Forderung, nach der die einzelnen Länder jeweils eigene Wahlgesetze erlassen sollten174). In ihrer Eigenschaft als Vorsitzende bzw. stellvertretende Vorsitzende des Wahlrechtsausschusses gaben Becker und Diederichs eine eigene Stellungnahme zu den alliierten Vorschlägen ab: „(1) Da das Wahlgesetz mit dem Grundgesetz zusammen erst in Kraft tritt, wenn es vom Volk, sei es in unmittelbarer Volksabstimmung, sei es durch Beschlußfassung in den Länderparlamenten, angenommen ist, ist das Wahlgesetz dann nach den Grundsätzen der Demokratie rechtswirksam zustande
gekommen;
2) eine Debatte in den elf Länderparlamenten über Wahlrechtsfragen, überhaupt die Schaffung von Wahlgesetzen in jedem Land, bringt für die Konstituierung des Volkstages eine beträchtliche Verzögerung mit sich; 3) der im Grundgesetz ausgesprochene Grundsatz des gleichen Wahlrechts zwingt zur Anwendung des gleichen Wahlmodus in allen Teilen des Bundes; verschiedene Wahlsysteme haben eine ungleiche Auswirkung der Stimmabgabe des einzelnen Wählers und damit mittelbar eine Ungleichheit der Wahl im Bundesgebiet zur Folge; 4) daß weder die deutsche Öffentlichkeit noch ein Mitglied des Parlamentarischen Rates dessen Zuständigkeit zur Schaffung eines Wahlgesetzes für den ersten Volkstag bestritten hat, bestätigt die allgemeine Überzeugung, sowohl von der Berechtigung des Parlamentarischen Rates zur Ausarbeitung eines solchen Gesetzes wie auch von der Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung. Daß der Wahlrechtsausschuß seit der Konstituierung des Rates unangefochten tätig gewesen ist, bestärkt diese Schlußfolgerung. Auch die Ministerpräsidenten der deutschen Länder haben sich für eine einheitliche Regelung des Wahlrechts für alle Länder ausgesprochen175)."
172) 173)
174) 175)
die Schreiben v. Merkatz an Hellwege vom 3. März 1949 (PA Bestand 5/8) sowie Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 3. März 1949, BA Z 12/123, Bl. 196-205. Umdruck Nr. S 3. Zum Vorgang siehe auch Lange, Wahlrecht, S. 363 ff. Aufz. Werz vom 4. März 1949, BA Z 12/123, Bl. 178; Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 4. März 1949, BA Z 12/123 Bl. 171 und BA Z 12/15, Bl. 10. Zur Position der FDP siehe das Schreiben von Merkatz an Hellwege vom 3. März 1949, PA Bestand 5/8 und die Stellungnahme Höpker Aschoffs im Namen der FDP vom 3. März 1949, ebenda. Besprechung des interfraktionellen Ausschusses vom 3. und 4. März 1949 (von Lehr gefertigtes Ergebnisprotokoll), BKA 09.09. Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 4. März 1949, BA Z 12/123, Bl. 172.
XXXVI
Einleitung auffälligen Gegensatz zu den Protesten bei SPD und FDP fielen die Beschwerden seitens der CDU/CSU wesentlich verhaltener aus. Stellenweise wurden die von den Alliierten auferlegten Bedingungen sogar begrüßt176). Die CDU/CSU kam am 5. März 1949 zu einer Wahlausschußsitzung zusammen, auf der sie die neue Situation eingehend analysierte177). In einer ausführlichen Stellungnahme betonte Adenauer, daß es das oberste Ziel sein müsse, „eine sozialistisch-kommunistische Mehrheit im zukünftigen Bundesparlament" zu vermeiden178). Hinter diesem Ziel müßten auch Prinzipien wie das der Durchsetzung des relativen Mehrheitswahlrechts zurückstecken, gleichwohl man nach außen hin aus wahltaktischen Überlegungen heraus weiterhin am Mehrheitswahlsystem festhalten wolle179). Die Chancen zur Durchsetzung dieses Maximalzieles stünden dabei nicht einmal so schlecht, da man versuchen könne, über die einzelnen Landeswahlgesetzgebungen in den Ländern das für die CDU/CSU jeweils beste Wahlsystem durchzusetzen180). Im
etwa hielt „den alliierten Vorschlag, die Länder über das künftige Wahlverfahren entscheiden zu lassen, für durchaus durchführbar" (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 7. März 1949, BA Z 12/15, Bl. 10). Sitzung der CDU/CSU Arbeitsgemeinschaft (Wahlausschuß) Königswinter vom 5. März 1949, in: Kaff, Unionsparteien, Dok. Nr. 21, S. 375 ff. A. a. O., S. 380. A.a.O., S. 382. A. a. O., S. 379. Trotz der verschiedenen Standpunkte beider großen Parteien schwenkten die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion bei der Unterredung der Mitglieder des Pari. Rates mit den alliierten Verbindungsoffizieren am 8. März 1949 auf die Linie der SPD ein und wandten sich gegen die Forderung nach einzelnen Landeswahlgesetzen (Wortprotokoll in: BA Z 12/123, Bl. 15-23; BA Kl. Erw. 792/2, Bl. 9-17; BA NL 239 (Brentano)/Bd. 112; BKA 09.03). Erst nach der Intervention Adenauers „korrigierten" sie ihre Ansicht (Sitzung des Wahlrechtsausschusses und des Presse- und Propagandaausschusses der Arbeitsgemeinschaft CDU/CSU in Königswinter am 19. März 1949, in: Kaff, Unionsparteien, Dok. Nr. 22, S. 415). Adenauers Anregung führte zu der Einrichtung des „Arithmetiker-Ausschusses", der am 11. März 1949 unter dem Vorsitz von Gerhard Schröder in Königstein tagte und das „reine relative Mehrheitswahlrecht für die Wahlen zum Bundestag" empfahl (ACDP NL Dörpinghaus 1-009-007/3; vgl. auch die Berichterstattung Schröders vor der CDU/CSU Arbeitsgemeinschaft (Kaff, Unionsparteien, Dok. Nr. 22, S. 421 ff.) und den Report von Chaput de Saintonge vom 12. März 1949 über die Entwicklung in der CDU/CSU (BA Kl. Erw. 792/2, BL 5-8)). Adenauer und der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Anton Pfeiffer, kamen bei einer Unterredung am 19. März 1949 überein, „daß die Anerkennung des Wahlrechts als eine Zuständigkeit der einzelnen Länder für uns ein starkes Aktivum darstell[t] und uns wahrscheinlich die Möglichkeit eröffne[t], in dem einen oder anderen Land das reine Mehrheitswahlrecht durchzubringen, vor allem in den Ländern mit nichtsozialistischer Mehrheit". Adenauer äußerte zudem die Hoffnung, „daß dann auch die Länder mit sozialistischer Mehrheit zum Mehrheitswahlrecht übergehen müßten, weil sonst bei ihnen durch den Proporz die CDU anteilmäßig zum Zuge komm[t), während in den Ländern mit nichtsozialistischer Mehrheit durch das neue Mehrheitswahlrecht vielfach die SPD durchfällt]" (Vormerkung Pfeiffer über eine Besprechung mit Adenauer am 19. März 1949, Bayer. HSTA NL Pfeiffer/Bd. 213). In seinen .Erinnerungen, 1945-1953' (Stuttgart 1965, S. 174) verschweigt Adenauer diesen wahltaktischen Schritt. Mit spröden Worten suggeriert er vielmehr auch seinen Protest gegen das Anliegen der Militärgouverneure: „Die Militärgouverneure hatten vorgeschlagen und gefordert, daß die Formulierung des Wahlrechts für den Bundestag jedem einzelnen Land überlassen sein sollte. Diese Forderung stieß
176) Der Abg. Süsterhenn 177)
178) 17°) 180)
XXXVII
Einleitung
Überhaupt
schien es so, als ob sich die CDU/CSU noch am ehesten mit den Vorstellungen der Alliierten arrangieren könnten. So sah die CDU/CSU-Spitze in der vor allem von Frankreich geforderten Dezentralisierung der Wahlgesetzgebung181) durchaus einen Vorteil für die eigene Sache. Andererseits bevorzugten die USA und Großbritannien eindeutig ein Wahlgesetz nach dem Modell der Unionsfraktion. So wurde von britischer Seite die Abstimmungsniederlage der Union im Plenum als „very unfortunate" bezeichnet182). Nach einem Gespräch mit Chaput de Saintonge konstatierte Kaufmann eine britische Haltung, die an Eindeutigkeit nichts mehr zu wünschen übrig ließ: „Die Opposition gegen das Wahlgesetz des Pari. Rates betr. nicht ein sondern das Wahlgesetz. Chaput erklärt, es sei unmöglich, daß Bevin ein Wahlgesetz durch seinen Gouverneur billigen läßt, das den größten Fehler Weimars, die Kleinparteien zu konservieren, stabilisiert. Man sieht die Notwendigkeit eines einheitlichen Wahlgesetzes ein. Man wird selbst einem
derartigen Wahlgesetz
wie
jetzt
von
P[arlamentarischen] R[at] beschlossen,
nicht opponieren, falls wider Erwarten die Min. Präsid. etwas Ähnliches als Modellgesetz den Landtagen vorschlagen außerhalb des Grundgesetzes. Aber einem Grundgesetz mit [einem] solchen, den englischen Gesichtspunkten kraß zuwiderlaufenden Wahlgesetz kann Robertson nicht zustimmen. Daher die Herausnahme, gleichzeitig wie Hoffnung einer Modifizierung. Chaput schlägt selbst gleiche Gesetzform vor wie CDU-Vorschlag. % der Mehrheit, V* Verhältnis errechnet aus allen Stimmen. [. .] Wenn SPD um die Fachleute der Kleinstparteien besorgt [ist], soll sie sie auf ihrer Li.
ste
aufstellen183)!"
Anläßlich des Treffens von Mitgliedern des Parlamentarischen Rates mit den Alliierten in Bonn am 8. März 1949 räumte der Vorsitzende der Konferenz, der französische Verbindungsoffizier beim Büro der Ministerpräsidenten, Jean Laloy, ein, daß die Frage der verschiedenen Landeswahlgesetzgebungen nur ein Verfahrensproblem sei. Grundsätzlich könne der Parlamentarische Rat nicht nur die Anzahl der Abgeordneten, sondern auch ihre Verteilung auf die einzelnen Länder beschließen. Schließlich sei es den Ministerpräsidenten freigestellt, „that they may if they so wish use the draft prepared by the Parliamentary Council as a model"184). Darüber hinaus aber, so führten die Verbindungsoffiziere aus, auf die entschiedene und einmütige Ablehnung fast aller Mitglieder des Parlamentarischen Rates". 1B1) Lange, Wahlsystem, S. 365. 182) Schreiben vom 25. Feb. 1949, BA Kl. Erw. 792/4, Bl. 35. 183) Aufzeichnung Kaufmman, o. D. [nach 24. Feb. 1949], ACDP NL Kaufmann 1-071-025/4 (Hervorhebungen in der Vorlage) Ganz in diesem Sinne äußerte sich Robertson in einem Telegramm an Chaput de Saintonge vom 4. März 1949 (Secret, BA Kl. Erw. 792/6, Bl. 109 f.). Sehr aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang auch Saintonges interner Vorschlag an Steel, daß „any refusal to accept the Electoral Law should if possible be defended on the question of competence and not on that of contents" (Saintonge an Steel vom 26. Feb. 1949, BA Kl. Erw. 792/1, Bl. 181-203, hier: Bl. 200). 184) Verbatim Report of Meeting between Representatives of the Parliamentary Council and the Allied Liaison Officers held at Bonn at 17.00 hours on Tuesday 8th March, 1949, BKA 09.03. Im Verlauf des Gesprächs stellte Kaufmann fest: ..Although adversaries of the
XXXVIII
Einleitung würden sie die Anliegen des Parlamentarischen Rates den Militärgouverneuren unterbreiten, die sich zu gegebener Zeit zum Wahlgesetz äußern würden185). Bei ihrer entgegenkommenden Haltung, das Wahlsystem vielleicht doch im Grundgesetz zu fixieren, wurden zumindest Briten und Amerikaner offensichtlich von der Hoffnung geleitet, „daß der Appell der deutschen Wählergesellschaft und ihre Forderung nach einem Mehrheitswahlrecht, der sie am 6. März in der Frankfurter Paulskirche Ausdruck zu verleihen gedenkt, nicht ungehört verhallen möge"186). Es scheint, als ob die britische Stellung und insbesondere die Position des britischen Militärgouverneurs Robertson in dieser Phase eine Schlüsselrolle spielten. Denn in seinem Telegramm an Chaput de Saintonge erinnerte Robertson daran, daß der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay bereits sein Einverständnis signalisiert habe „to the insertion in the Basic Law of provisions to ensure the uniform character of elections"187). In dieser Angelegenheit würden die Deutschen die amerikanische Unterstützung selbst gegen den Widerstand General Koenigs erhalten188). Grundsätzlich sei er sich mit Clay zwar einig, aber, so fuhr Robertson fort: „My difficulty is that the Electoral Law as passed in the Parliamentary Council is extremely distasteful to me and my Government. This Law results virtually in complete proportional representation and the number of candidates chosen from lists is much too large for my liking. If the Germans were to revise their ideas so as to give more weight to the direct majority vote, I should be much better disposed towards the acceptance of their proposal189)." Im Parlamentarischen Rat entspann sich nun eine heftige Diskussion über das weitere Vorgehen in der Wahlrechtsfrage. Zwar konstatierte der Siebeneraus—
185) 186) 187) 188) 18Q)
—
draft electoral law, my party sees the importance of this question and we would like to associate ourselves with the observations made by the other parties" (ebenda). Siehe auch den Bericht Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 14. März 1949 (BA Z 12/123, Bl. 3—4). Vgl. auch den Bericht von Chaput de Saintonge an Robertson vom 9. März 1949, BA Kl. Erw. 792/6, Bl. 91 ff. Ebenda. Siehe auch das Wortprotokoll des Siebenerausschusses vom 17. März 1949 (PA Bestand 5/8; ACDP 1-071-025/6); Werz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 26. März 1949, BA Z 12/122, Bl. 111-113. Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 4. März 1949, BA Z 12/123, Bl. 171. Zur Veranstaltung der DWG siehe auch unten Dok. Nr. 28, Anm. 55. Zur amerikanischen Haltung siehe auch Lange, Wahlrecht, S. 369. Robertson an Chaput de Saintonge vom 9. März 1949, BA Kl. Erw. 792/6, BL 91. Ebenda. Ebenda. Robertson schloß das Telegramm mit der Bitte, Chaput de Saintonge möge doch die britische Position vertraulich auch gegenüber Carlo Schmid erläutern. Offensichtlich fand dieses Gespräch im Anschluß an die Kölner Tagung des SPD-Parteivorstands statt. Schmid wiederholte dabei seine Forderung, daß wenigstens das Wahlsystem im Grundgesetz festgelegt werden solle (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 14. März 1949, BA Z 12/123, Bl. 3-4). Angesichts solch eindeutiger Stellungnahmen seitens der britischen Stellen ist die Annahme von Lange (Wahlrecht, S. 369), daß sich die Briten in dieser Phase in der Wahlrechtsfrage „weitgehend neutral und indifferent" verhalten hätten, völlig unzutreffend.
XXXIX
Einleitung schuß am 17. März 1949, daß man eine eingehende Stellungnahme zu den alliierten Einwänden erst abgeben könne, wenn die von Laloy angekündigte offi-
Erklärung erfolgt sei190), aber insgeheim wurden bereits Überlegungen angestellt, eine Übereinkunft zwischen SPD und CDU/CSU zu schaffen, indem die SPD in der Wahlrechts-, die Unionsfraktion dagegen in der Finanzfrage nachgeben sollte191). Ohne daß es innerhalb des Parlamentarischen Rates aber zu konkreten Ergebnissen gekommen wäre, war die Wahlgesetzgebung Gegenstand der Ministerpräsidentenkonferenz vom 24. März 1949 in Königstein, an der als Mitglieder zielle
des Wahlrechtsausschusses auch Becker und Diederichs teilnahmen192). Aufschlußreich für die Politik der CDU/CSU war auch hier wieder Adenauers vorausgehende Bitte an die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-geführten Länder, aus „taktischen Erwägungen heraus kein[en] Einwand gegen die Entscheidung der Militärgouverneure [zu erheben], Wahlgesetze in den einzelnen Ländern zu erlassen"193). Nach längerer Debatte, in der die Berichterstatter des Wahlrechtsausschusses Becker und Diederichs ausführlich angehört wurden194), ohne daß
190) Aufzeichnung Kaufmann zu der Sitzung des Siebener-Ausschusses am 17. März 1949 (nachm.) (ACDP NL Kaufmann, 1-071-025/6). Es ist festzustellen, daß nach der Jahres-
191)
192) 193)
194)
wende 1948/49 das Wahlrecht für die CDU/CSU tatsächlich in der Hauptsache Teil einer größeren „Verhandlungsmasse" darstellte (siehe die Fraktionsbesprechung der CDU/ CSU vom 18. März 1949, PA Bestand 5/13; Fraktionssitzung vom 1. April 1949, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 460; siehe auch Dok. Nr. 23, Anm. 15). Da eine Abstimmungsniederlage in der Wahlrechtsfrage absehbar war, gewann die Wahlgesetzgebung aus Sicht der CDU/CSU zunehmend als .Kompensationsobjekt' in Verhandlungen mit der FDP und SPD an Bedeutung. (So etwa Pfeiffer in der Fraktionsbesprechung der CDU/CSU vom 18. März 1949 [12.30 Uhr], PA Bestand 5/13; vgl. Fraktionssitzung vom 1. April 1949 [Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 460]). Pfeiffer stützte sich bei seinen Ausführungen am 18. März 1949 auf ein Gespräch mit Carlo Schmid, in dem dieser Kompromißbereitschaft der SPD signalisierte und gleichzeitig andeutete, daß das Bundesparlament durchaus „in allen 11 Ländern nach einem gleichen Gesetz gewählt werden [könne]". Mit seiner abschließenden Bemerkung, „er habe von alliierter Seite so etwas gehört", spielte Schmid offensichtlich auf seine vertrauliche Unterredung mit Chaput de Saintonge an (siehe oben Anm. 189). Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Nr. 22, S. 296-328. Adenauer an Altmeier vom 22. März 1949, in: Adenauer, Briefe 1947-1949, Nr. 1114, S. 423 f.; Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 182; Adenauer an Ehard vom 22. März 1949, Bayer. HStA NL Ehard/Bd. 873. Altmeier begründete in einem Schreiben vom 25. März 1949 seine Zustimmung zu der gemeinsamen Entschließung der Ministerpräsidenten damit, daß man sonst „nicht zu einem einheitlichen Ergebnis gelangt wäre". Zudem sei der Ausgang für die CDU/CSU durchaus positiv zu werten, da die Ministerpräsidenten insgesamt das Bonner Wahlgesetz abgelehnt hätten und durch ihre Forderung einer % Mehrheit den Vorstellungen der CDU/CSU nunmehr Rechnung getragen werden müsse (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, S. 326, Anm. 127). Auf sehen der SPD versuchte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Hermann Lüdemann in einem Schreiben an Kurt Schumacher und den hessischen Ministerpräsidenten Stock Einfluß auf den Gang der Verhandlungen zu nehmen. Lüdemann, der in der SPD als Verfechter des Mehrheitswahlsystems weitgehend isoliert war, argumentierte auch jetzt wieder: „Verhältniswahl ist der kürzeste Weg zur Diktatur" (24. März 1949, BA Z 12/56, Bl. 88). Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, S. 305 ff.
Einleitung aber zu einer inhaltlichen Diskussion von Wahlrechtsfragen kam, einigten sich die Ministerpräsidenten auf die folgende Entschließung zum Bundeswahlrecht: „1. Die Ministerpräsidenten halten es für zweckmäßig, für das ganze Bundesgebiet ein einheitliches Wahlrecht für den Volkstag zu schaffen. 2. Sie richten daher an den Parlamentarischen Rat die Bitte, aufgrund erneuter Beratungen ein Wahlgesetz zu verabschieden, daß, mit mindestens % Mehrheit beschlossen, der Zustimmung der großen Mehrheit des Volkes es
gewiß 3. Den ein so
ist.
unterbreiten die Ministerpräsidenten die Bitte, Parlamentarischen Rat beschlossenes Wahlgesetz zu genehmi-
Militärgouvemeuren vom
gen195)." Stock übersandte im Namen der Ministerpräsidenten die Entschließung am 28. März 1949 den Militärgouverneuren196). Die Militärgouverneure reagierten mit ihrer Erklärung vom 14. April 1949, die dem Parlamentarischen Rat in der Formulierung des Wahlgesetzes konkrete Zugeständnisse konzedierte197), warnten jedoch in vertraulichen Gesprächen gleichzeitig davor, diese Konzessionen seitens des Parlamentarischen Rates noch zu überschreiten198). Damit war der Aufgabenbereich des Wahlrechtsausschusses neu definiert. Da die Ministerpräsidenten eine % Mehrheit für dieses Gesetz forderten, war abzusehen, daß der vorliegende Entwurf nicht mehr haltbar war und im Sinne der CDU/CSU-Fraktion modifiziert werden mußte199). Gleichzeitig waren damit aber auch Spannungen zwischen dem Parlamentarischen Rat einerseits und den Ministerpräsidenten andererseits vorprogrammiert200). Becker, der an der Entstehung des alten Wahlgesetzentwurfs zusammen mit Diederichs den größten An195) Umdruck Nr. S 24, abgedruckt in: Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, S. 326. 196) BA Z 12/126 Bl. 11 und 12; siehe auch Stock an Adenauer vom 30. März 1949, PA Bestand 5/15.
197) Wortprotokoll der Besprechung der westlichen Militärgouverneure mit einer Delegation des Pari. Rates am 14. April 1949 in Frankfurt (Der Pari. Rat Bd. 4: Ausschuß für das Besatzungsstatut. Bearb. von Wolfram Werner. Boppard 1989, Dok. Nr. 9, S. 112 ff.). Siehe auch das Schreiben Höpker Aschoffs an Heuss vom 15. April 1949 (BA NL Heuss 221/418) und den Bericht Werz' an das Büro der Ministerpräsidenten vom 21. April 1949 (BA Z 12/122, Bl. 56-60). Wenige Tage später bestätigte General Koenig in einer Unterredung mit den Ministerpräsidenten der französischen Zone den Beschluß der Militärgouverneure (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 28 B, 22. April 1949, TOP 2). Zum Wortlaut der Entschließung der Alliierten selbst (Umdruck Nr. S 55) siehe unten Dok. Nr. 27, Anm. 5.
198) Vormerkung über eine Besprechung zwischen Staatsminister Pfeiffer und Simons, Chef des amerikanischen Verbindungsstabes, in Frankfurt am 20. April 1949, Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 213. In der Unterredung stellte Simons auch fest, daß das gegenwärtige vom Pari. Rat vorgelegte Wahlgesetz keineswegs den Vorstellungen der Amerikaner entspreche. Er griff Pfeiffers Anregung auf und begrüßte eine parallele Auswertung des Wahl-
ergebnisses zu gleichen Teilen nach Gesichtspunkten der Verhältnis- und Mehrheitswahl. Denn dies sei immer noch besser, „als der jetzige Bonner Vorschlag, der nur die Nachteile beider Systeme verbinde" (ebenda). 199) Siehe oben Anm. 193. 20°) Siehe hierzu auch Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Einleitung, S. 9 f. XLI
Einleitung teil gehabt hatte, zeigte sich schon vor der Erklärung der Militärgouverneure sehr deprimiert über den Gang der Ereignisse und beobachtete alles nur mit dem „Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Nutzlosigkeit"201). Denn angesichts der Entschließung der Ministerpräsidenten habe „die CDU [. .] auch hier [wieder] die Trümpfe in der Hand"202). Besonders bedauerte es Becker, daß die FDP das Wahlrecht nun nicht mehr, wie es noch im Januar möglich gewesen wäre, als Verhandlungsgegenstand in den Beratungen über die Organisation des Bundes (Senat oder Bundesrat) und Finanzwesen mit der CDU/CSU einbringen konn.
te203). der nacheinander dem Wahlrechtsausschuß, neue Wahlgesetzentwurf, Hauptausschuß und Plenum Anfang Mai 1949 vorgelegt wurde, war von Diederichs entworfen und in Gesprächen mit Becker und Schröter (CDU) abgestimmt Der
worden204).
Gegensatz zum ersten, von den Alliierten abgelehnten Wahlgesetz205), das die Modalitäten der ersten Bundestagswahl detailliert festlegte, beschränkte sich der neue Entwurf auf einige wesentliche Fragen und gab im übrigen Empfehlungen für die Wahldurchführung an die Länder ab. Dazu gehörte nicht nur die Festlegung des Wahlverfahrens und der Wahlvorbereitung, sondern auch die Definition der Wählbarkeit sowie die Bestimmungen für die Durchführung der Wahl zur Bundesversammlung. Trotz der Mitarbeit Schröters lehnte die CDU/ CSU-Fraktion auch diesen Wahlgesetzentwurf am 10. Mai 1949 im Plenum Im
ab206).
Schwerpunkte der Ausschußarbeit Den Schwerpunkt der Wahlrechtsausschußverhandlungen bildete seit der ersten Sitzung die grundsätzliche Frage nach der Einführung des Verhältnis- oder Mehrheitswahlsystems. In abgewandelter Form wurde diese Problemstellung in b.
201) 202) 203) 204)
Becker an Heuss vom 6. April 1949, ADL N 11-40. Becker an Dehler vom 6. April 1949, ADL N 11-40. vgl. auch die diesbezüglichen Überlegungen bei der CDU/CSU (siehe oben Anm. 190). Werz an das Büro der Ministerpräsidenten, BA Z 12/122, Bl. 6—9; siehe unten Dok. Nr. 27. 205) Das erste Wahlgesetz war nicht zuletzt auch an der Vielzahl seiner Details gescheitert (vgl. auch unten Anm. 222). Vgl. hierzu die Bemerkung Robertsons: „Their present draft law has killed itself by going into details" (Robertson an Chaput de Saintonge vom 4. März 1949, Secret, BA Kl. Erw. 792/6, Bl. 109). 206) Stenographische Berichte, S. 246 ff. Das genaue Abstimmungsergebnis war 36 zu 29 Stimmen. Otto geht davon aus, daß alle 27 Mitglieder der CDU/CSU gegen das Wahlgesetz votierten. Die beiden übrigen Gegner des Wahlgesetzes sieht er entweder in den beiden KPD-Abgeordneten Reimann und Renner, die beide für das reine Verhältniswahlsystem stimmten, sowie in Wilhelm Heile, der für das reine Mehrheitswahlrecht eintrat (Otto, Staatsverständnis, S. 165, Anm. 658). Wahrscheinlich ist jedoch, daß sich nicht nur Heile, sondern auch sein Parteikollege Seebohm gegen das Wahlgesetz aussprachen (Stenographische Berichte, S. 262). Dies würde bedeuten, daß sich die beiden KPD-Abgeordneten für das Wahlgesetz entschieden hätten (vgl. auch Meyer, Wahlsystem, S. 30), zumal Renner in der 13. Wahlrechtsausschußsitzung für den Wahlgesetzentwurf von Diederichs stimmte (siehe unten Dok. Nr. 14, Anm. 11).
Einleitung regelmäßigen Abständen bis zur letzten Sitzung immer wieder vor allem auf Initiative der CDU/CSU gestellt207), so daß sehr schnell der Eindruck entstand, daß der Ausschuß bei seinem wichtigsten Beratungsgegenstand keinerlei Fort-
schritte zu verzeichnen hatte208). Die Vertreter der CDU/CSU argumentierten, daß das Mehrheitswahlsystem der Bildung von Splittergruppen vorbeuge sowie stabile und regierungsfähige Mehrheiten im Parlament garantiere209). Als Idealfall führte insbesondere Kroll immer wieder das Zweiparteiensystem nach angelsächsischem Muster an, das sich nach der Einführung des Mehrheitswahlsystems mit der Zeit auch in Deutschland einstellen werde210). Das Verhältniswahlsystem habe sich durch das Scheitern der Weimarer Republik als ungeeignet erwiesen. Der anhaltende Zwang zu Koalitionen und Kompromissen habe die Regierungen geschwächt und eine Handlungsunfähigkeit hervorgerufen211). Die in der Weimarer Republik ausgeübte reine Listenwahl habe zudem den Wähler von den Politikern entfremdet. Indem der Abgeordnete aber in Einmannwahlkreisen direkt gewählt würde, entstünde eine engere Bindung an den Wahlkreis, was wiederum das politische Interesse der Öffentlichkeit evoziere. Das in Großbritannien praktizierte Verfahren der Nachwahl in den einzelnen Wahlkreisen im Falle des Ausscheidens eines Politikers aus dem Parlament sei zudem ein zuverlässiges Barometer für den Stand der politischen Stimmung im
Lande212).
Die CDU/CSU stellte
zwar ihre Mitarbeit im Ausschuß auch für den Fall außer sich der Wahlrechtsausschuß für das Verhältniswahlsystem entscheiden sollte213), aber sie betonte bis zum Ende der Beratungen, daß sie unabhängig von der Entscheidung des Parlamentarischen Rates am Prinzip des Mehrheitswahlsystems festhalten würde214).
Zweifel,
wenn
Siehe unten Dok. Nr. 2, 3, 4, 7, 8, 9, 21 und 28. Siehe oben Abschnitt 2 a der Einleitung. Siehe unten Dok. Nr. 2, TOP 5 und Dok. Nr. 9. Ebenda. Noch während der Lesung des ersten Wahlgesetzes im Hauptausschuß am 23. Februar 1949 und der zweiten Lesung im Plenum am 10. Mai 1949 stellte die CDU/ CSU einen Antrag auf Einführung des reinen Mehrheitswahlrechts (Drucks. Nr. 912), wohl wissend, daß dies eher einem „deklamatorischen Akt", denn einem realisierbaren Anliegen gleichkam (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 23. Febr. 1949, BA Z 12/121, Bl. 21-27; vgl. unten Dok. Nr. 26). 211) Der Ausschuß diskutierte ausführlich das Argument, inwiefern das reine Verhältniswahlrecht 1933 das Ende der Weimarer Demokratie herbeigeführt habe (siehe unten Dok. Nr. 2, 3, 7 und 9); auch im Hauptausschuß (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 631, 692 ff. und 702) sowie im Plenum (Stenographische Berichte, S. 129, 137, 144, 151 und S. 247) wurde dieses Thema behandelt. Siehe allgemein hierzu auch Meyer, Wahlsystem, S. 32 ff. Grundsätzlich bestritten zwar die Abgeordneten der CDU/CSU den Vorwurf der anderen Parteien, sie würden das Scheitern der Weimarer Republik pauschal auf die fatalen Auswirkungen des reinen Verhältniswahlrechts zurückführen, aber regelmäßig angebrachte entsprechende Andeutungen waren unüberhörbar (siehe unten Dok.
207) 208) 209) 21°)
Nr. 21).
212) Siehe unten vor allem das Referat Luthers (Dok. 213) Siehe unten S. 492. 214) Ebenda.
Nr. 7, TOP 1).
XLIII
Einleitung vor allem Diederichs das Argument vor, daß das von der CDU/CSU propagierte Wahlsystem kein spiegelgerechtes Abbild der Gesellschaft mit all ihren politischen Schattierungen liefern könne, somit also ungerecht sei215). Wiederholt wurde von Gegnern des Mehrheitswahlsystems auch darauf hingewiesen, daß man das deutsche Parteiensystem nicht mit dem angelsächsischen Muster vergleichen könne. Anders als in Großbritannien seien die deutschen Parteien weltanschaulich ausgerichtet, so daß die persönliche Ausstrahlung des Politikers und seine Bindung an den Wahlkreis für die Entscheidung des Wählers nicht die herausragende Rolle spiele wie dies etwa in Großbritannien der Fall sei216). Als Vertreterin des Zentrums verdeutlichte auch Frau Wessel ihren Standpunkt, wonach das Mehrheitswahlsystem das Entstehen neuer Parteien verhindere und innovative Strömungen unterdrücke217). Im Gegensatz dazu garantiere das Verhältniswahlsystem die graduelle Anpassung der politischen Parteienlandschaft an die gesellschaftlichen Entwicklungen, indem es durch die Listenwahl und Stimmenauszählung nach Proporzgesichtspunkten auch kleineren Parteien eine Chance einräume, im Parlament vertreten zu sein218). Darüber hinaus gäbe das Listenwahlsystem auch den Frauen eine Chance, ins Parlament gewählt zu werden219). Ebenso sei die Wahl von Fachleuten, die für ein funktionierendes Parlament unabdingbar sei, nur durch das Verhältniswahlsystem gesichert220). Plädierten SPD und Z, später auch die FDP, für ein modifiziertes Verhältniswahlsystem, forderten die Abgeordneten der KPD, zunächst Paul, dann auch Reimann und Renner mit der Übernahme des Wahlgesetzes aus der Weimarer Republik die Einführung des reinen Verhältnis-
Für die SPD brachte
wahlsystems221). Abgesehen von
der grundsätzlichen Frage des Wahlsystems beschäftigte sich der Wahlrechtsausschuß zum Leidwesen aller Beteiligter zu einem großen Anteil mit der Besprechung technischer Einzelheiten bei der Durchführung der Wahl oder hielt sich mit Wiederholungen aus vorhergegangenen Sitzungen
215) Siehe unten Dok. Nr. 2, TOP 6. 2le) So etwa die Abgeordneten Wessel (S. 410) und Stock (S. 584). Gelegentlich wurde in die-
Zusammenhang seitens der Kritiker des relativen Mehrheitswahlrechts polemisch der „Persönlichkeitswahl" gesprochen (so etwa Diederichs im Plenum, Stenographische Berichte, S. 143 und 146 f.); ein Terminus, der von den CDU/CSU-Abgeordneten energisch zurückgewiesen wurde (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 698). Siehe unten S. 605. Siehe unten Dok. Nr. 22, TOP 3 c. Ebenda. Es war insbesondere dieses Argument, welches auch die CDU-Abgeordnete Frau Weber für das modifizierte Verhältniswahlsystem eintreten ließ (siehe unten z. B. Dok. Nr. 14, Anm. 24). Die Deutsche Wählergesellschaft bestritt dagegen die Benachteiligung der Frauen durch das Mehrheitswahlsystem (siehe unten Dok. Nr. 9, TOP 1 a). Siehe in diesem Zusammenhang auch die Diskussion über die Beamtenwählbarkeit (Dok. Nr. 23, TOP 3). Siehe unten Dok. Nr. 3, TOP 2 b. Die DP als Dritte der kleinen Parteien war im Ausschuß durch den Abgeordneten Heile vertreten, der das relative Mehrheitswahlsystem vertrat. Da er aber über keinerlei Stimmrecht oder sonstigen nennenswerten Einfluß im Ausschuß verfügte, kann sein Beitrag hier vernachlässigt werden. sem
von
217) 218) 219)
22°) 221)
Einleitung auf222). Aus der Fülle der Details ragten jedoch einige wichtige Schwerpunkte hervor, die im folgenden kurz angerissen werden sollen223).
Der erste größere Problemkomplex, mit dem sich der Wahlrechtsausschuß auseinanderzusetzen hatte, war die Frage des aktiven und passiven Wahlrechts für Personen, die unter die Bestimmungen des Entnazifizierungsgesetzes fielen224). Erstmals wurde diese Frage ausführlich in der 5. Ausschußsitzung am 29. September 1948 im Rahmen der Diskussion um den Strukturentwurf Diederichs behandelt. Zwar war das Wahlrecht in den einzelnen Landeswahlgesetzen bereits einmal geregelt worden, aber die ungleichen Einstufungen von NS-Belasteten in den jeweiligen Besatzungszonen ließen eine bundesweit verbindliche Definition des Wahlrechts für die Bundestagswahl nicht zu, ohne eklatante Ungleichheiten aufkommen zu lassen225). Obwohl sich die Ausschußmitglieder in der Sache einig waren, daß man zum einen „nicht im Wahlgesetz die Entnazifizierungsfragen noch einmal regeln" konnte, zum anderen aber vermeiden wollte, daß „Hauptschuldige" und „Betroffene" das Wahlrecht erlangten226), blieb dem Aus-
schuß trotz der vom Abgeordneten Stock energisch vorgetragenen Bedenken schließlich nichts anderes übrig, als die Wahlberechtigung für NS-Belastete jeweils nach den im Lande ihres Wohnsitzes geltenden Bestimmungen festzule—
—
gen227).
Ähnlich wie in der Frage des Wahlrechts für NS-Belastete überwog bei den Ausschußmitgliedern das Einvernehmen auch in der Frage des passiven Wahlrechts für Beamte, mit dem sie sich auf Verlangen der Alliierten beschäftigen
mußten. Einmütig betonten alle Ausschußmitglieder, daß sie ein Verbot passiver Wählbarkeit für Beamte grundsätzlich ablehnten. Sie begründeten dies mit den positiven Erfahren, die die parlamentarische Arbeit mit Beamten in Deutschland zum Beispiel Dok. Nr. 5 und 6. Siehe auch die Bemerkung Diederichs in der Sitzung: „Wir [kommen] schon wieder in die Lage, ganz spezielle Einzelfälle besonders regeln zu wollen" (S. 283). 223) Angesichts des enormen Aufwands, den der Wahlrechtsausschuß auf die Formulierung
222) Siehe 10.
224) 225)
226) 227)
der Durchführung der Wahlen verwandte, mußten die neuen Auflagen, wonach diese den Ländern vorbehalten war und der Pari. Rat lediglich Empfehlungen für die Durchführung der Wahl geben konnte, bitter erscheinen. Schwerpunkte der Diskussion um das Wahlrecht für NS-Belastete waren die 5., 10., 16., 22., 23. und 25. Sitzung. Siehe allgemein hierzu Justus Fürstenau: Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik, Berlin 1969, bes. S. 150 ff. Siehe unten Dok. Nr. 5 und Anm. 42. Nicht selten äußerten die Politiker ihren Unmut über die Durchführung der Entnazifizierung in den einzelnen Ländern, der in einem Fall sogar so weit ging, daß die Ausführungen Kaufmanns nicht mit in das Protokoll aufgenommen wurden (siehe unten Dok. Nr. 17, Anm. 46). Über die Praxis der Alliierten, die Ausschußprotokolle zu erhalten, siehe Wolfram Werner: Quellen zur Entstehung des Grundgesetzes. Ein Überblick, in: Aus der Arbeit der Archive: Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und zur Geschichte, Festschrift für Hans Booms, hrsg. von Friedrich P. Kahlenberg, Boppard 1989, S. 646-661, hier: 650. Siehe unten S. 120. Siehe unten Dok. Nr. 28, TOP 3 b. Zur Diskussion des Wahlrechts und der Wählbarkeit für NS-Belastete im Hauptausschuß siehe auch die 30. und 44. Sitzung (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 218; S. 585) sowie die 53. und 59. Sitzung (a. a. O., S. 714 ff. und S. 770).
XLV
Einleitung Frage war lediglich, ob die Beamten bei vollen Bezügen ins Parlament gewählt werden könnten, oder ob ihr Gehalt für die Wahlperiode ruhen sollte229). In einer gemeinsamen Erklärung faßte der Wahlrechtsausschuß den Beschluß, „daß es mit der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unvereinbar [sei], den Beamten vom passiven Wahlrecht auszuschließen"230). Damit war das Thema jedoch noch keinesfalls erledigt, denn britischerseits wurde darauf hingewiesen, daß diese Entschließung nach wie vor eindeutig gegen das Memorandum der Alliierten vom 22. November 1948 verstoße231), zumal es das Problem der Beurlaubung der Beamten mit oder ohne Bezüge sowohl interfraktionell als nicht löse. Erst nach mehrmaligen Verhandlungen auch mit den Alliierten einigten sich die Abgeordneten schließlich darauf, daß Beamte für die Zeit ihres Mandats ohne Bezüge beurlaubt werden soll-
gemacht habe228).
Die kritische
—
—
ten232). Diederichs in der 20. Ausschußsitzung eingebrachten Vermittauch die Frage nach der 5 %-Sperrklausel wieder Gegenstand des Wahlrechtsausschusses geworden233). Diederichs bezog sich hierbei auf die sog. Kann-Bestimmung des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee, die die Möglichkeit einer solchen Sperrklausel ausdrücklich vorsah234). Der Wahlrechtsausschuß hatte in seiner 12. Sitzung eine von Diederichs in seinem Teilentwurf vorgeschlagene Beschränkung allerdings bereits einmal ebenso abgelehnt235) wie eine entsprechende Regelung, die der Organisationsausschuß zuDurch den
von
lungsvorschlag
vor me
war
getroffen hatte236). In einer vom Hauptausschuß angeforderten Stellungnahsprach sich der Wahlrechtsausschuß schließlich endgültig gegen eine Be-
schränkung aus, da dies eine Verletzung der Wahlfreiheit bedeute237). Auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion wurden in der Endphase der Wahlrechtsausschußverhandlungen zwei weitere Aspekte in die Diskussion eingebracht. Dies war zum einen die erstmals von Kaufmann thematisierte Frage der Einführung einer allgemeinen Wahlpflicht238) sowie der Gedanke, durch die Schaffung 22B) 229) 23°) 231) 232)
233) 234) 235)
236) 237) 238)
Siehe unten Dok. Nr. 23, TOP 3. Ebenda. Siehe unten Dok. Nr. 23, TOP 4. Vgl. Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 1. Feb. 1949, BA Z 12/121, Bl. 163. Für den Wortlaut der betreffenden Stelle des Memorandums (vervielf. auf Drucks. Nr. 516) siehe unten Dok. Nr. 23, Anm. 30. Siehe unten Dok. Nr. 23, Anm. 57. Das Problem der Beamtenwählbarkeit war einer der wenigen Punkte, in denen der Wahlrechtsausschuß in seltener Einmütigkeit mit den Alliierten völlig konträrer Meinung war. Dies zeigt sich auch in den Wortprotokollen, wo Löbe in ungewohnter Offenheit eine „unabhängige deutsche Meinung" forderte (S. 666). Siehe unten Dok. Nr. 22, Anm. 10 und TOP 2. Siehe oben Anm. 108. Siehe unten Dok. Nr. 13, TOP 2 b. Der Diederichssche Teilentwurf (Drucks. Nr. 178; vgl. unten Dok. Nr. 8, TOP 4 und Anm. 20) hatte zwar nicht die 5 %-Klausel, aber insofern eine Beschränkung zum Inhalt, als daß eine Partei mindestens ein Direktmandat erringen mußte, um einen Sitz im Parlament zu erreichen (siehe unten Dok. Nr. 13, Anm. 20). Siehe unten Dok. Nr. 15, Anm. 24. Siehe unten Dok. Nr. 22, Anm. 25 und Dok. Nr. 23, TOP 1. Siehe unten Dok. Nr. 22, TOP 5 und Dok. Nr. 23, TOP 2.
XL VI
Einleitung eigener Fliichtlingswahlkreise dem Argument zuvorzukommen, das von der CDU/CSU favorisierte Mehrheitswahlrecht benachteilige Minderheiten239). Während die Wahlpflicht von der SPD „rundweg" abgelehnt wurde240) und auch
der CDU/CSU bald fallengelassen wurde241), schien die Schaffung zunächst auch Anhänger in den Reihen der SPDFraktion zu finden242). Darüber, daß sich die Flüchtlinge in einer besonders schwierigen Lage befanden, waren sich alle Parteien einig. Auch war unstrittig, daß für diese Bevölkerungsgruppe, die einen erheblichen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachte243), eine befriedigende Lösung gesucht werden mußte. Allerdings zeigten einschlägige Untersuchungen, die nicht von einem Abgeordneten, sondern vom Mitarbeiter im Sekretariat des Parlamentarischen Rates, Skiode von Perbandt, eingeleitet wurden244), daß sich die Bildung von Flüchtlingswahlkreisen im Wahlergebnis eindeutig zugunsten der Unionsparteien auswirken würde, da laut Gutachten „60% der Flüchtlinge weltanschaulich der CDU zuneigen" sollten245). Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, daß in dem Maße, wie sich die CDU/CSU alleine von einem solchen Vorstoß bereits wahltaktische Vorteile ausrechnete, sich die anderen Parteien gegen die Bildung eigener Wahlgebiete für die Flüchtlinge aussprachen und einen entsprechenden Antrag der CDU/CSU am 9. Mai 1949 ablehnten246). von
von
Flüchtlingswahlkreisen
•.
j
,
Ministerpräsidentenkonferenz von Bad Schlangenbad Mit der Verabschiedung des Wahlgesetzentwurfs am 10. Mai 1949 und der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 war die Arbeit des Wahlrechtsausschusses formell abgeschlossen247). Die offizielle Verkündung blieb jedoch die Zustimmung der Militärgouverneure vorausgesetzt den Ministerpräsidenc.
Die
—
ten
der Länder vorbehalten.
—
Militärgouverneure reagierten offiziell erst am 28. Mai 1949 mit einer zehn Punkte umfassenden Erklärung auf das Wahlgesetz248). Unter anderem beanstandeten die Alliierten, daß das Wahlgesetz nicht von der von den MinisterDie
239) 24°) 241) 242) 243) 244) 245) 246)
Siehe unten Dok. Nr. 21, TOP 2 b. Siehe unten S. 617. Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 412. Siehe unten Dok. Nr. 21, Anm. 24. Siehe unten Dok Nr. 7, Anm. 67. Siehe hierzu Perbandts umfangreiche Korrespondenz in BA Z 5/155. Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 213; vgl. unten Dok. Nr. 21, Anm. 24. Siehe unten Dok. Nr. 29, Anm. 8. Zur Diskussion in der CDU/CSU über die Bildung von Flüchtlingswahlkreisen siehe auch Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 532 und 559.
247) Um die Frage der Beendigung der Arbeit des Pari. Rates gab es noch einige Wochen lang heftige Diskussionen. Während sich Adenauer auf den Standpunkt stellte, daß der Pari.
Rat mit der Verkündung des Grundgesetzes seine Aufgabe erfüllt und somit funktionslos geworden sei, argumentierte die SPD, daß der Pari. Rat bis zur Wahl des ersten Bundestages weiterhin fortbestehe (vgl. auch Adenauer, Erinnerungen 1945—53, S. 174).
248) BA Z 12/55, Bl. 169; BA Kl. Erw. 792/3; Umdrucks. Nr. 76; Documents
on
the Creation,
S. 148.
XL VII
Einleitung Präsidenten geforderten breiten % Mehrheit beschlossen worden war249). Zudem sahen sie in der Festlegung des Wahltermins durch den Parlamentarischen Rat eine unzulässige Überschreitung seiner Kompetenzen250). Die Ministerpräsidentenkonferenz von Bad Schlangenbad befaßte sich am 31. Mai und l.Juni 1949 mit der alliierten Stellungnahme zum Wahlgesetz251). Das Ergebnis der Konferenz faßten die Ministerpräsidenten in einem Brief an die Militärgouverneure zusammen252). Im wesentlichen brachten die Länderchefs neben einigen kleineren Änderungsabsichten zwei neue Vorschläge ein,
die der Arbeit des Wahlrechtsausschusses diametral zuwiderliefen. Zum einen die Verschiebung des Verhältnisses von Listen- zu Direktmandaten von zu : 50 50 60 :40. Zum anderen aber war es der Vorschlag einer 5 %-Klausel, der die Arbeit des Wahlrechtsausschusses in einem ganz wesentlichen Punkt konterkarierte253). Noch am gleichen Tag äußerten sich die Militärgouverneure vorsichtig zustimmend zu den Änderungsvorschlägen der Ministerpräsidenwar es
ten254).
Erwartungsgemäß löste der Beschluß bei denjenigen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, die das Wahlgesetz erarbeitet und beschlossen hatten, große Entrüstung aus. Der SPD-Abgeordnete Zinn monierte auf der Sitzung des Überleitungsausschusses, der sich aus Abgeordneten des Parlamentarischen Rates und Vertretern der einzelnen Länder zusammensetzte, am 3. Juni 1949, „der Schritt der Militärgouverneure sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz gewe-
249) Siehe oben S. XLI. 25°) Die Frage der Festsetzung des Wahltermins durch die Ministerpräsidenten oder den Pari. Rat war auch im Wahlrechtsausschuß mehrmals behandelt worden (siehe unten
251) 252) 253)
254)
Dok. Nr. 6, TOP 2 c und Dok. Nr. 29, Anm. 30). Alle Wahlgesetzentwürfe, die im Pari. Rat entwickelt wurden, gingen davon aus, daß das Präsidium des Pari. Rates den Wahltermin festlegte. Siehe auch Brauer am 21./22. Juli 1948 (Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 11, S. 183). Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 43, TOP 3, S. 496 ff. A. a. O., S. 513, Anm. 42; Documents on the Creation, S. 149; vom Pari. Rat vervielfältigt auch als Umdruck Nr. S 79. Auch in der neueren Forschung wird immer wieder irrtümlich darauf verwiesen, daß sowohl die Sperrklausel als auch die Gewichtung des Verhältnisses von Mehrheits- zu Verhältniswahlrecht 60 :40 auf den Pari. Rat zurückzuführen sei. Statt dessen dokumentieren aber gerade diese beiden Punkte die großen Spannungen, die zwischen dem Pari. Rat einerseits und den Ministerpräsidenten andererseits existierten (siehe zum Beispiel Udo Wengst: Die CDU/CSU im Bundestagswahlkampf 1949, in: VJfZ 34 (1986), S. 1-52, hier: 18; Hans Boldt: Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. 2: Von 1806 bis zur Gegenwart, München 1990, S. 321). BA Z 12/13, Bl. 195-197; Documents on the Creation, S. 149 f.; Umdrucks. Nr. 78. Bezeichnend war die Äußerung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Arnold: „Nachdem doch weiteste Kreise unseres Volkes mit dem ausgesprochenen Listenwahlrecht nicht einverstanden sind, sollten wir von der Möglichkeit Gebrauch machen, ein besseres Wahlrecht zu schaffen" (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 43, TOP 3). Wegen seines Eintretens für eine Wahlgesetzänderung wurde Arnold später innerhalb seiner Landesregierung heftig kritisiert (Menzel und Heiland an den Oberbürgermeister von Dortmund, Fritz Henssler, vom 3. luni 1949, FESt NL Schmid/Bd. 1169).
XLVIII
Einleitung sen"255). Ebenso wie auch Suhr und Heiland kritisierte er, daß „das Grundgesetz mit einem Bruch des Grundgesetzes beginne"256). Es entspann sich hier eine längere Diskussion, inwiefern die Ministerpräsidenten oder die Alliierten befugt waren, das vom Parlamentarischen Rat beschlossene Wahlgesetz eigenmächtig zu ändern. Während insbesondere die SPD-Abgeordneten dieses Recht vehement bestritten, wies Hubert Hermans257) darauf hin, daß die Beanstandungen der Gouverneure im Zusammenhang damit stünden, daß der Parlamentarische Rat bis zum 10. Mai 1949 ohne Ermächtigung der Alliierten das Wahlgesetz beraten habe258). Der Überleitungsausschuß konnte sich zum Abschluß nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme zum Wahlgesetz einigen. Man vereinbarte, daß die Vertreter des Parlamentarischen Rates auf der nächsten Sitzung der Ministerpräsidenten in Bad Schlangenbad gehört werden sollten259). Die Fraktionen, die für das Wahlgesetz gestimmt hatten, richteten in den kommenden Tagen ein förmliches Protestschreiben an Adenauer. In allen Fällen wurde die Forderung erhoben, den Parlamentarischen Rat einzuberufen, da gemäß Art. 137 Abs. 2 GG nur er die Wahlgesetzänderung beschließen könne260). Adenauer stellte sich in seiner Eigenschaft als Präsident des Parlamentarischen Rates dagegen auf den Standpunkt, daß nach Ansicht der Alliierten der Parlamentarische Rat mit der Verkündung des Grundgesetzes aufgelöst sei. In einem privaten Schreiben an Dehler führte er weiter aus: „Rechtlich ist die Sache wohl so, daß das Besatzungsstatut noch nicht in Kraft ist und daß daher nach dem bisherigen Besatzungsrecht die Alliierten das Wahlgesetz erlassen oder seinen Erlaß durch die Ministerpräsidenten vorschreiben können. Den letzteren Weg haben sie gewählt. Ich bin der Auffassung, wie Sie sich denken können, daß die Alliierten besser anders gehandelt hätten [!]. Aber mir scheint, daß vom rein rechtlichen Standpunkt aus wohl nichts dagegen einzuwenden ist261)."
Überleitungsausschusses des Pari. Rates vom 3. Juni 1949, Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 222. Zur Arbeit des Überleitungsausschusses, der unter anderem die sich aus dem Wahlgesetz ergebenden Aufgaben zu übernehmen hatte, siehe BA Z 5/165, Bl. 51. Ebenda. Als einer der wenigen CDU/CSU-Abgeordneten stellte sich auch Paul de Chapeaurouge gegen die Beschlüsse der Ministerpräsidenten (Notiz vom 3. Juni 1949 und Entwurf einer Entschließung des Überleitungsausschusses des Pari. Rates vom 13. Juni 1949, Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 207). MinR Hermans war am 5. Mai für den erkrankten Abgeordneten Süsterhenn vom Landtag Rheinland-Pfalz in den Pari. Rat gewählt worden (Umdruck Nr. S 62 a). Sitzung des Überleitungsausschusses des Pari. Rates vom 3. Juni 1949, Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 222. Ebenda. Protestschreiben Diederichs vom 7. Juni 1949, Umdruck Nr. S 83; Dgl. von Dehler, Drucks. Nr. 84 und ADL N 1—930; Schreiben der Zentrums-Fraktion an Dr. Adenauer vom 11. Juni 1949, Umdruck Nr. S 86. Adenauer an Dehler vom 14. Juni 1949, PA Bestand 5/14; vgl. auch die ähnlichen, allerdings nicht so ausführlich gehaltenen Antworten auf die Protestschreiben einzelner Abgeordneter: Renner an Adenauer vom 14. Juni 1949, und Adenauer an Renner vom
255) Sitzung des
256)
257) 258)
259)
260)
261)
XLIX
Einleitung Doch ähnlich wie auch im
Frühjahr
1949, als Adenauer die
Forderung
der Alli-
ierten, die erste Bundestagswahl müsse nach einzeln zu verabschiedenden Landeswahlgesetzen ausgeführt werden, insgeheim begrüßt hatte262), protegierte er
auch jetzt wieder die das Mehrheitswahlrecht begünstigenden Entscheidungen der Ministerpräsidenten. In vertraulichen Gesprächen und Briefen forderte er die CDU/CSU-Länderchefs auf, nicht von ihren Beschlüssen abzuweichen263). Erwartungsgemäß wurden sich die Ministerpräsidenten auf ihrer Konferenz in Bad Schlangenbad am 10. Juni 1949 nicht darüber einig, ob sie zur Änderung des Wahlgesetzes ohne Zustimmung des Parlamentarischen Rates berechtigt seien264). Erst die kategorische Anordnung der Militärgouverneure vom 13. Juni 1949, das Wahlgesetz in der jetzt vorliegenden Fassung zu verabschieden265), führte mit nochmaligen geringfügigen Änderungen266) zu der endgültigen Verkündung des Wahlgesetzes am 15. Juni 1949 durch die Ministerpräsidenten267). Eine Verordnung über den Wahltermin setzte den Wahltag auf den 14. August 1949
fest268).
15.
Juni 1949, ebenda; Heiland an Adenauer vom 15. Juni 1949, ebenda.
land
262) Vgl. oben Anm. 193. 263) vgl. die Notiz Trossmanns für Pfeiffer
265) 28B) 267) 268)
13.
Juni 1949, und Adenauer
an
Hei-
vom 7. Juni 1949: „Dr. Adenauer erklärte, in der sollten die Ministerpräsidenten der CDU/CSU unter keinen Umständen von dem von der Ministerpräsidentenkonferenz einstimmig bezogenen Standpunkt abgehen" (Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 243); vgl. auch das Schreiben Adenauers an Ehard, o. D. [9. Juni 1949], Bayer. HStA NL Ehard/Bd. 1503. Zu ähnlichen Aktionen seitens des zweiten SPD-Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer siehe Lange, Wahlrecht, S. 403 f. Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 46, TOP 1, S. 547 ff. Auf der Konferenz wurde auch Prof. Jellinek, der bereits mit eigenen Eingaben an den Wahlrechtsausschuß hervorgetreten war (siehe unten Dok. Nr. 10, Anm. 9), als Gutachter gehört. Jellinek vertrat insbesondere hinsichtlich der 60 : 40 Klausel den Standpunkt, daß „der Parlamentarische Rat nicht so unrecht [hat], wenn er sagt, es werde hier eingegriffen in eine Ermächtigung, die ihm von den Militärgouverneuren erteilt worden sei, nämlich das Wahlsystem zu bestimmen" (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, S. 550). Zum Wortlaut des Schreibens der Ministerpräsidenten an die Militärgouverneure vom 10. Juni 1949 siehe: Ebenda, S. 551, Am. 29. Der Ministerpräsidentenkonferenz war eine Tagung der Landeswahlleiter unter dem Vorsitz des hessischen Landeswahlleiters Kleberg vorausgegangen, auf der die Einzelheiten zur Durchführung der Wahl besprochen wurden. Schwerpunkte der Konferenz waren der Wahltermin, die Voraussetzungen für aktives und passives Wahlrecht, der Erlaß einer Wahlordnung und die Form der Meldung der Landeswahlleiter an die Ministerpräsidenten (BA Z 12/54, Bl. 1—11; zu den einzelnen Empfehlungen siehe unten Dok. Nr. 29). Die Beschlüsse der Landeswahlleiter wurden im großen und ganzen von den Ministerpräsidenten gebilligt und bildeten die Grundlage der einzelnen Landesgesetze zur Bundestagswahl am 14. Aug. 1949 (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 46, TOP 2, S. 552 ff.). BA Z 12/9, Bl. 84. Der Wortlaut ist abgedruckt in: Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 49 B, S. 592 Anm. 5. Siehe auch Documents on the Creation, S. 151. Siehe unten Dok. Nr. 29. Zur Urschrift des Wahlgesetzes siehe BA Z 12/56, Bl. 14-24. Zum Vorgang siehe Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 49 B, S. 595. Meyer (Wahlsystem, S. 30) datiert die Verkündung des Wahlgesetzes durch die Alliierten irrtümlich auf den 5. )uni 1949. BGBl. 1949, S. 24. Siehe auch unten Dok. Nr. 6, Anm. 21.
Wahlgesetzfrage
264)
vom
Einleitung 3. ZUR AUSWAHL UND EINRICHTUNG DER
DOKUMENTE269)
Wie die
Wortprotokolle der anderen, im Rahmen dieser Editionsreihe erscheinenden Ausschüsse des Parlamentarischen Rates stellen die hier vorliegenden stenographischen Wortprotokolle des Wahlrechtsausschusses einen in sich geschlossenen Quellenbestand dar270). Um den Ablauf der Beratungen verständlich zu halten und den Weg des ersten Bundeswahlgesetzes möglichst lückenlos zu dokumentieren, wurden darüber hinaus aber auch einige Wahlgesetzentwürfe aufgenommen, die allen Ausschußmitgliedern als Drucksache vorlagen und als Grundlage für die Verhandlungen dienten271). Dies erschien um so nötiger, als sich die Erörterung der Wahlgesetzentwürfe zumeist über mehrere Sitzungen erstreckte und oftmals von Verfahrensfragen unterbrochen wurde272). Darüber hinaus wurde auch der häufige, oft willkürlich anmutende Wechsel der Beratungsgegenstände charakteristisch für die Ausschußarbeit273). Dies erschwerte nicht zuletzt eine klare und eindeutige inhaltliche Untergliederung der Ausschußprotokolle. Unter den Dokumentennummern 20 und 29 wurden jeweils vier bzw. zwei Wahlgesetzentwürfe nebeneinander abgedruckt, so daß die Unterschiede im Detail deutlicher hervortreten274). In einigen Fällen wurden diese Gesetzentwürfe, soweit ihr Umfang das zuließ, auch als Anmerkung mit abgedruckt275). Außerdem wurden auch zwei Wahlgesetzentwürfe aufgenommen, die in dieser Fassung nicht vom Wahlrechtsausschuß selbst erarbeitet wurden. Zum einen han269) Siehe
zu diesem Abschnitt, insbesondere was den Zustand der Protokolle sowie die Grundsätze der Kommentierung angeht, die Ausführungen von Wolfram Werner in seiner Einleitung zu Band 3 (Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung) dieser Editionsreihe (S. XXXVI-XXXIX); vgl. auch Der Pari. Rat Bd. 1, S. LXXII ff. In leichter Abwandlung zu den vorangegangenen Bänden dieser Editionsreihe wurde die Bezeichnung der Redner, insbesondere des Vorsitzenden, harmonisiert. 27°) BA Z 5/81—86. Lediglich zur ersten Sitzung wird das Kurzprotokoll abgedruckt (siehe unten Dok. Nr. 1), da hier, wie auch bei den anderen konstituierenden Fachausschußsitzungen, kein Wortprotokoll angefertigt wurde. Auch der Verlauf der 4. Ausschußsitzung wurde zunächst als Kurzprotokoll festgehalten, das dann nahtlos in ein Wortprotokoll überging (siehe unten Dok. Nr. 4). 271) Siehe unten Dok. Nr. 11, 13 (Anm. 50), 20, 26 und 29. 272) So wurde zum Beispiel der Strukturentwurf Diederichs in der 5. und 6. Sitzung besprochen (Drucks. 128 a; Dok. Nr. 5, Anm. 4), der Entwurf Becker (Drucks. Nr. 197/11, Dok. Nr. 11) beschäftigte den Ausschuß zwischen der 10. und 13. Sitzung. Der Entwurf der Redaktionskommission (Drucks. Nr. 474, Dok. Nr. 20) wurde von der 16. bis zur 18. Sit-
zung
besprochen.
273) In der 20. Sitzung sprangen die Ausschußmitglieder zum Beispiel zwischen den verschiedenen Themen Wahlpflicht, Frauen und Vertriebene, Verrechnung der Mandate auf Landes- und/oder Bundesliste etc. hin und her.
274) Zum Teil wurden hier auch solche Gesetzentwürfe noch einmal aufgeführt, die bereits
in den Ausschußsitzungen angesprochen worden waren. So etwa im Fall der Drucks. Nr. 474, dem vom Redaktionskomittee des Wahlrechtsausschusses überarbeiteten Entwurf Diederichs. 275) So etwa die Wahlgesetzentwürfe Diederichs (Drucks. Nr. 128 a und 178; Dok. Nr. 5, Anm. 4 und Dok. Nr. 8, TOP 4 und Anm. 20) sowie der Entwurf Kroll (Drucks. Nr. 264 a; Dok. Nr. 13, Anm. 50).
LI
Einleitung delt es sich um den vom Plenum am 24. Februar 1949 beschlossenen ersten Wahlgesetzentwurf und zum anderen um das im Bundesgesetzblatt schließlich verkündete Bundeswahlgesetz276). Die Aufnahme dieser Dokumente scheint vor dem Hintergrund gerechtfertigt, daß es sich hier um wesenüiche Etappen bzw. um das Ergebnis der Ausschußarbeiten handelt. Insgesamt sind die Wahlgesetzentwürfe analog zu den Entwürfen des Grundgesetzes zu sehen, die in einem gesonderten Band dieser Editionsreihe der Forschung neu zugänglich gemacht werden. Wie für die anderen Ausschüsse, wurden auch von den Sitzungen des Wahlrechtsausschusses neben den stenografischen Wortprotokollen Kurzprotokolle angefertigt. Diese liefern in einigen Fällen wertvolle Ergänzungen, so etwa bei der Gewichtung der einzelnen Beratungsgegenstände, zu den stenographischen Wortprotokollen277). Ihr Protokollführer war in allen Fällen Dr. William Denzer; für die Richtigkeit zeichneten der Ausschußvorsitzende Becker und der Schriftführer Walter278). Bei der Kommentierung der Dokumente waren verschiedene Quellenbestände von besonderer Bedeutung. In erster Linie ist hier der gesamte Bestand Z 5 (Parlamentarischer Rat) im Bundesarchiv Koblenz anzuführen. Erstaunlich unergiebig sind hier nur die Akten über den Wahlrechtsausschuß selbst. So sind nur anwenige Eingaben an den Ausschuß erhalten279). Allerdings hatten diese nur einen äußerst geringen ders als im Fall der anderen Fachausschüsse280) Einfluß auf die Beratungen, so daß die Kommentierung hier keine nennenswerten Lücken hinterlassen mußte281). Ferner war der Bestand Z 12 (Büro der Ministerpräsidenten des amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebietes) von großer Wichtigkeit. Hier fanden sich unter anderem die regelmäßig verfaßten, außerordentlich aufschlußreichen Berichte der Mitarbeiter der Außenstelle des Büros der Ministerpräsidenten. In vielerlei Hinsicht war der Bestand 5 des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages eine wertvolle Ergänzung zu den Akten des Bundesarchivs. Dieser Bestand enthält nicht nur Material zu den interfraktionellen Gesprächen, die den Gang der Beratungen oft erst plausibel erscheinen lassen, sondern auch wichtige Hinweise auf Struktur und Arbeitsablauf des Sekretariats des Parlamentarischen Rates. —
—
27ß) Siehe unten Dok. Nr. 29. 277) BA Z 12/39, Bl. 5—90. Die Kurzprotokolle wurden alle, wie im folgenden den einzelnen Dokumenten zu entnehmen ist, als Drucksachen vervielfältigt. 278) In der 3., 6., 18. und 19. Sitzung unterzeichnete Diederichs für Becker, in der 24. und
25. Sitzung für den verstorbenen Walter. 279) Vgl. unten Dok. Nr. 2, Anm. 121. 2B0) Siehe hierzu Der Pari. Rat Bd. 3 und Bd. 5 (Ausschuß für Grundsatzfragen. Bearb. von Eberhard Pikart und Wolfram Werner, Boppard 1993). 281) Die einzigen Eingaben, die tatsächlich von den Abgeordneten diskutiert wurden, in erster Linie handelt es sich hier um die Eingabe Jellineks und die der Deutschen Wählergesellschaft, konnten nachgewiesen werden (siehe unten Dok. Nr. 10, Anm. 9 und Dok.
Nr. 14, Anm. 6). Beim Großteil der Eingaben handelte es sich lediglich um Kuriosa, d. h. um Wahlgesetzentwürfe, die von Privatpersonen an den Pari. Rat gesandt worden waren, ohne daß sie in irgendeiner Form vom Ausschuß behandelt wurden (siehe hierzu auch Beckers Ausführungen im Plenum [Stenographische Berichte], S. 126, 154).
Einleitung Von den zahlreichen Nachlässen der Ausschußmitglieder sind vor allem die von Theophil Kaufmann (CDU) und Anton Pfeiffer (CSU) zu nennen282). Sie bieten, zusammen mit den Editionen von Rainer Salzmann und Brigitte Kaff, einen guten Einblick in die Entscheidungsprozesje der CDU/CSU-Fraktion im Parlamen-
tarischen Rat283). Leider fehlen entsprechende Quellenbestände für die anderen Parteien. Die Nachlässe der einzelnen Ausschußmitglieder stellen in keiner Weise
einen Ersatz
dar284).
Bonn, im Sommer
1993
Harald Rosenbach
282) ACDP 1-071 bzw. Bayer. HStA. 283) Siehe oben Anm. 46 und 157. 284) Die Nachlässe der SPD-Ausschußmitglieder, Diederichs und Heiland, sind völlig unergiebig (HStA Hannover und HStA Düsseldorf). Der Nachlaß Menzel (FESt Bonn) enthält dagegen einiges Material zur Wahlrechtspolitik der SPD in den ersten Nachkriegsjahren. Im Archiv des deutschen Liberalismus (Gummersbach) befindet sich der Nachlaß Becker mit einigen Schreiben, die sich auf seine Eigenschaft als Ausschußvorsitzender beziehen. Hervorzuheben ist hier auch der Bestand „Die FDP im Parlamentarischen Rat".
LIII
VERZEICHNIS DER DOKUMENTE
Nr. 1
2
Titel des Dokuments und Inhalt
Seite
Erste, konstituierende Sitzung des Ausschusses für Wahlrechts-
fragen.
15.
Zweite
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen.
Sept.
1948
.
22.
1948 1. Referat
Sept.
..
.
des Sachverständigen Prof. Dr. Thoma über die Geschichte des Verhältniswahlrechts. la. Zur allgemeinen Geschichte des Wahlrechts seit dem 19. Jahrhundert: Die Kritik am Mehrheitswahlrecht lb. Die Ursprünge des Verhältniswahlrechts. lc. Das Verhältniswahlrecht in Deutschland. ld. Argumente für das Mehrheitswahlrecht. le. Vor- und Nachteile beider Wahlsysteme. lf. Kombination der Wahlsysteme. ...
2. Aussprache. 3. Zur Verfahrensweise des Wahlrechtsausschusses. 4. Berichtigung des Protokolls der 1. Sitzung 5. Referat Dr. Kroll 5a. Der Zusammenhang zwischen Wahlsystem und Parteifor.
..
mierung
.
5b. Die Vorteile des Zweiparteiensystems. 6. Referat Dr. Diederichs 6a. Zur Notwendigkeit eines gerechten Wahlsystems 6b. Die Persönlichkeitswahl. 6c. Mehrheitsverhältnisse beim Verhältniswahlrecht 6d. Vorschlag zum modifizierten Proportionalwahlrecht .
....
....
...
3
Dritte 1948
1. Zur 2.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen.
23.
.
Aussprache über die Referate
Prof. Thoma, Dr. Kroll und der Parteien zum Wahlrecht. 2a. Wahlsystemvorschlag Dr. Becker 2b. Die Stellung der KPD zum Wahlsystem. 2c. Proportionalwahlrecht und Persönlichkeitswahl 2d. Die Leitbildfunktion des englischen Wahlsystems Dr. Diederichs. Grundsätzliche
3
4 5 8 16 20 21 25 26 32 35 36
36 39 45 45 46 47 50
Sept.
.
Geschäftsordnung
1
52 52
von
Stellungnahmen
.
....
...
53 66 67 71 76
LV
Verzeichnis der Dokumente Nr.
Seite
Titel des Dokuments und Inhalt
Mehrheitswahlrecht und die Stabilität der Demokratie 2f. Die besonderen politischen Verhältnisse in Deutschland 2g. Wahlsystem und Parteienlandschaft in Schleswig-Holstein 2h. Zur Notwendigkeit der politischen Gerechtigkeit 2i. Verhältniswahlrecht und politische Kultur. 3. Zur Geschäftsordnung 2e.
.
.
.
....
.
4
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 29. Sept. 1948 1. Zur Arbeitsplanung des Ausschusses 2. Strukturentwurf Dr. Diederichs 3. Aussprache. 3a. Wahlkreiseinteilung. Vierte
.
.
.
3b. Politische
5
Willensbildung
der
Bevölkerung.
Fünfte Sitzung des Ausschusses für 1948 1. Besprechung
Wahlrechtsfragen.
29.
des
vorgelegten Strukturentwurfs (Drucks. Nr. 128 a). la. Aktives Wahlrecht (§1). lb. Wahlausschluß (§ 2 Abs. 1). lc. Wahlbehinderung (§ 2 Abs. 2). ld. Stimmenzahl (§ 3). le. Passives Wahlrecht (§4). von
108 109 117 122 125 125
Sechste Sitzung des Ausschusses für
Wahlrechtsfragen. 30. Sept. 1948. 1. Zur Arbeitsplanung la. Ladung des Sachverständigen Dr. Luther.
lb. Eingabe Dr. Kaufholdt. lc. Mitteilung Rechtsamt der Verwaltung. 2. Besprechung des von Dr. Diederichs vorgelegten Strukturentwurfs (Drucks. Nr. 128 a ; Fortsetzung) 2a. Passives Wahlrecht (§§ 5-7). 2b. Zahl der Abgeordneten und der Wahlkreise (§§ 8-9) 2c. Wahlvorbereitungen (§§ 10-14). 2d. Wahlakt (§§ 15-16). 2e. Feststellung des Wahlergebnisses (§§ 17-20). 2f. Ersatzmandate für Ausfallende (§21). 2g. Wahlprüfung und Schlußbestimmung. .
.
Siebte Sitzung des Ausschusses für 1948 1. Referat des
Wahlrechtsfragen.
5.
.
Sachverständigen
137 137 137 138 138
139 139 140 140 151
152 161 162
Okt.
.
163
Dr. Luther über das Mehrheits-
wahlrecht in den USA und Großbritannien. LVI
108
Dr. Diederichs
.
7
100 100 102 104 104 105
Sept.
.
6
81 87 91 93 96 99
.
163
Verzeichnis der Dokumente Nr.
Titel des Dokuments und Inhalt
Seite
Wahlrecht und politische Kultur. lb. Das Verfahren der Nachwahlen. lc. Mehrheitswahlrecht und Parteienbildung. ld. Mehrheitswahlrecht und Persönlichkeit. le. Die parlamentarische Opposition lf. Die Regierung. lg. Nachteile des englischen Wahlsystems. lh. Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht Ii. Notwendigkeit der Einführung des Mehrheitswahlrechts in Deutschland.
164
2. Aussprache. 3. Zur Arbeitsplanung des Ausschusses
186 206
la.
.
.
.
.
8
Achte
Sitzung des Auschusses für Wahlrechtsfragen.
14.
.
.
.
.
Zahl der Wahlkreise und der Abgeordneten (§§ 7-8) 4b. Wahlverfahren (§§ 9-14). 4a.
.
.
4c. Wahlvorbereitung (§15). Aussprache. 6. Erläuterungen zum Wahlrechtsvorschlag Dr. Becker 7. Aussprache. 5.
....
8. Zur Verfahrensweise.
Neunte Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 14. Okt. 1948 1. Wahlrechtsthesen der Vorstandsmitglieder der Deutschen .
und Aussprache. Vorteile des reinen Mehrheitswahlsystems lb. Wahlsystem und politische Erziehung. Historische Erfah-
Wählergesellschaft la. Die
rungen
....
.
Notwendigkeit der Parteien. ld. Die Bedeutung eindeutiger Mehrheiten für die Stabilität des politischen Systems. le. Historische Belastung des Verhältniswahlsystems durch die Erfahrungen der Weimarer Republik. lf. Vorzüge der Parteienvielfalt. lc. Die
lg. Politische und weltanschauliche Parteien. 10
Zehnte Sitzung des Ausschusses für 1948
Wahlrechtsfragen.
185
Okt.
1948 1. Zur Arbeitsplanung des Ausschusses 2. Abstimmung über die Wahlsysteme. 3. Zur Arbeitsplanung des Ausschusses 4. Erläuterungen zum Teilentwurf Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 178)
9
166 168 171 173 175 176 178
208 208 209 213 216 216 219 222 223 229 230 242
246 247 247 251 254 258
261 266 270
26. Okt.
.
275
LVII
Verzeichnis der Dokumente Nr.
Titel des Dokuments und Inhalt
Seite
1. Eingaben. 2. Zur Verfahrensweise.
3. Entwurf eines Wahlgesetzes, Dr. Becker (Drucks. Nr. 197/11) 4. Zur Verfahrensweise. 5. Entwurf eines Wahlgesetzes, Dr. Becker (Drucks. Nr. 197/11; .
Fortsetzung). 5a.
281 281
Dr. Becker
302
Entwurf eines
12
Elfte
Wahlgesetzes,
(Drucks.
Nr. 197/11)
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen.
1948 1. Ausarbeitung eines
.
.
27. Okt.
.
anhand der VorschläBecker und Diederichs Dr. Dr. (Drucks. Nr. 197/11 und 178) ge la. Wahlverfahren. lb. Ergänzender Vorschlag Dr. Menzel zur Verrechnung der Mandate. lc. Zur Verfahrensweise. ld. Erläuterungen zum Vorschlag Dr. Menzel le. Formulierung der Grundsätze auf der Vorlage des Entwurfs Dr. Diederichs. 2. Besprechung des Vorschlags von Dr. Becker (Drucks.
Fortsetzung §§ 8 ff.) Allgemeines. 2b. Bildung und Zulassung von Parteien. 2c. Wahlprüfung (§§ 83-95) Nr. 197/11;
.
2a.
.
2d. Groß-Berlin (§ 108) 2e. Sitz des Bundestages.
.
Zwölfte 1.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen.
7
.
.
.
.
.
LVIII
342 350 352 358 363 363 369 371 371 372
374
zu
und 8 des Teilentwurfs Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 178) Zahl der Abgeordneten pro Wahlkreis lb. Anzahl der Wahlkreise pro Bundesland. 2. Besprechung Teilentwurf Dr. Diederichs (Forts.) 2a. Problem der Sperrklausel (§ 13 Abs. 2). 2b. Ablehnung der Wahl (§14) 3. Besprechung Entwurf Dr. Becker (Drucks. Nr. 197/11) 3a. Zahl der Abgeordneten (§8). 3b. Wahlvorschläge (§§ 9-12). 3c. Überprüfung der Wahlkreise (§15). 3d. Wahl nach Verhältniswahlrecht (§ 16).
§§
331 331
28. Okt.
.
Besprechung der Aufzeichnung des Redaktionsausschusses la.
331
Wahlgesetzentwurfs
.
1948
278
Wahlrecht und Wählbarkeit (§§1-7).
11
13
275 276 277
...
374
374 383 385 385 387 388 388 389 401 402
Verzeichnis der Dokumente Nr.
14
Titel des Dokuments und Inhalt
Seite
4. Zur Verfahrensweise. 5. Vorschlag Dr. Kroll (Drucks. Nr. 264 a).
403 408
13. Sitzung des Auschusses für Wahlrechtsfragen. 3. Nov. 1948 1. Eingaben.
412 412 413 414
.
2. Abstimmung über die vorliegenden Wahlgesetzvorschläge 3. Zur weiteren Vorgehensweise. .
.
15
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 2. Dez. 1948 1. Eingaben. 14.
.
2. Zur Verfahrensweise. 3. Besprechung des Vorschlags Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266) 4. Aussprache.
.
Aspekte der Persönlichkeitswahl. Das Kumulieren Formulierung der Leitsätze zum Vorschlag Dr. Diederichs 5. Bildung des Redaktionskomitees. 4a.
.
.
4b.
.
.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen.
8. Dez. 1948
16
15.
17
16. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 13. Dez. 1948 1. Zur Verfahrensweise. 2. Besprechung des vom Redaktionskomitee des Wahlrechtsaus-
schusses
(Drucks. 2a.
.
2b. Wählbarkeit (§§ 5-7). 2c.
Wahlgebiet (§8)
.
2d. Wahlvorschläge (§§ 9-10). 2e. Wählerstimmen und Kumulieren (§11) 3. Eingabe Dr. Unkelbach. 4. Besprechung des vom Redaktionskomitee des Wahlrechtsausschusses redigierten Wahlgesetzentwurfes (Fort. §§ 12—18) .
.
18
446 446
450 450 452 463 472 473 483 483
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 14. Dez. 1948 1. Zum Stand der interfraktionellen Beratungen. 2. Besprechung des vom Redaktionskomitee des Wahlrechtsaus-
490 490
redigierten Wahlgesetzentwurfes (Forts.). Wahlvorbereitung (§§ 19-26). 2b. Wahlhandlung (§§ 27-28).
493 493 500
18. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 15. Dez. 1948 1. Besprechung des vom Redaktionskomitee des Wahlrechtsaus-
506
17.
schusses 2a.
19
425 425 426 428 428 440 444 445
redigierten Wahlgesetzentwurfes von Dr. Diederichs Nr. 474, Dok. Nr. 20).
Wahlberechtigung (§§ 1-4)
425
redigierten Wahlgesetzentwurfes (Forts.). :. Wahlhandlung (§§ 28-43)
schusses la.
.
506 506
LIX
Verzeichnis der Dokumente Nr.
Titel des Dokuments und Inhalt
Seite
zur Bundesversammlung (§§ 44—45). Schlußbestimmungen (§§ 46-49).
519 524
Wahlgesetz. Wahlgesetzentwurf Dr. Diederichs (Drucks.
527
(Drucks. Nr. 369).
527 553
lb. Wahl lc.
20
Entwürfe
zum
1.
Synopse
2. 3.
Überarbeiteter Entwurf Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 474) Überarbeiteter Entwurf der CDU/CSU-Fraktion (Drucks.
I:
Nr. 266) und CDU/CSU-Entwurf
.
.
.
Nr. 450). 21
19. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 16. Dez. 1948 von Stimmrechten 1. Zur Geschäftsordnung: 2. Vorschlag CDU/CSU-Wahlgesetzentwurf (Drucks. Nr. 369)
Übertragung
...
.
.
Allgemeine Ausführungen. 2b. Aussprache. 2a.
3. Zur 22
Verfahrensweise.
20. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 18. Jan. 1949 1. Zur Verfahrensweise. 2. Zum Vermittlungsvorschlag Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 554) 3. Aussprache. 3a. Wahlpflicht. .
3b. Verrechnung der Mandate. 3c. Frauen und Vertriebene. 3d. Ergänzender Vorschlag Dr. Becker. 3e. Allgemeine Aussprache: Auszählverfahren, Reststimmenverwertung, Bundes-/Landesliste 4. Formulierung der Leitsätze. .
5.
23
Wahlpflicht.
21. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 1. Feb. 1949 1. Prüfung der Frage des Hauptausschusses, ob Art. 18 GG mit Art. 45 Abs. 3 Satz 2 vereinbar ist. 2. Wahlpflicht. 3. Beamtenwahlrecht. 4. Formulierung der Stellungnahme des Wahlrechtsausschusses 5. Zur Verfahrensweise. .
.
24
LX
566 577 577
580 580
583 609 610 610 613 614 614 617 620 627 630 643 646 650
650 656 660
672 672
22. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 2. Feb. 1949 1. Zur Tagesordnung. 2. Kompromißentwurf Dr. Becker (Drucks. Nr. 606). 2a. Wahlrecht (§§ 1-7).
674 674 675 675
2b. Wahlverfahren: Anzahl der Abgeordneten und der Wahlkreise (§§ 8-9).
679
.
Verzeichnis der Dokumente Nr.
Titel des Dokuments und Inhalt
Seite
Verrechnung der Mandate. 2d. Formulierung des Ausschußbeschlusses. 2c.
25
23.
1.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen.
4.
Feb. 1949
Überarbeiteter Entwurf Dr. Becker (Drucks. Nr. 577/11)
.
...
Wahl zum Bundestag (§§ 1-7). lb. Wahlverfahren (§§ 8-19). lc. Wahlvorbereitung (§§ 20-27). ld. Wahlhandlung (§§ 28-44). le. Wahl zur Bundesversammlung (§§ 45—46). lf. Schlußbestimmungen (§§ 47-50). lg. Abstimmung über § 11 (Reststimmenverrechnung) la.
.
.
697
703 705 705 705 709 734 738 743 748 749
.
26
Wahlgesetzentwurf,
vom
Plenum
am
24.
Februar 1949 beschlos-
.
752
27
24. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 3. Mai 1949 1. Zur Verfahrensweise.
768 768
28
25. Sitzung des 1. Bericht über
771 771 773
sen
.
2. 3.
Ausschusses für Wahlrechtsfragen. 5. Mai 1949 die Arbeit des Unterausschusses.
Zweistimmenwahlsystem Wahlgesetzentwurf der Nr. S 58)
.
.
„Dreier-Kommission"
(Umdruck
.
Vorbemerkungen. 3b. Wahl zum Bundestag (§§ 1-10). 3c. Verrechnung der Mandate (§11). 3a.
3d. Diskussion der Anträge zu § 11. 3e. Fortgang der Aussprache (§§ 12-21). 3f. Wahl zur Bundesversammlung (§§ 22-23). 3g. Schluß- und Übergangsbestimmungen (§§ 24-26) ....
29
Synopse
II:
5. Mai 1949 1949
776 776 777 785 793 799 802 802
Wahlgesetzentwurf des Wahlrechtsausschusses vom und Wahlgesetz zum Ersten Bundestag vom 15. Juni
.
804
LXI
Erste
Sitzung
15.
September 1948
Nr. 1
Nr. 1
Erste, konstituierende Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 15. Z 12/39, Bl. 90,
September
Undat, als Drucks. Nr.
42
1948
vervielf.,
von
Walter gez.
Prot.1)
Anwesend: CDU/CSU: Kroll,
Schräge, Schröter, Walter SPD: Diederichs, Heiland, Menzel, Stock FDP: Becker (Vors.) KPD: Paul2) (für Reimann) Beginn:
15.00
Uhr3)
Altersvorsitzender eröffnet die Sitzung, der Ausschuß wählt Dr. Becker (FDP) zum Vorsitzenden Dr. Diederichs (SPD) zum Stellvertretenden Vorsitzenden Walter (CDU) zum Schriftführer. Zu Berichterstattern des Ausschusses werden ernannt: Dr. Becker (FDP) Heiland (SPD) Der Ausschuß ist der Auffassung, daß in den künftigen Sitzungen4) nur die Fragen des allgemeinen, gleichen, direkten Wahlrechts und des Wahlalters, nicht aber die Frage des Wahlmodus erörtert werden sollen. Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß mit der Festlegung des Wahlmodus in der Verfassung der Länder schlechte Erfahrungen gemacht worden sind5).
Schräge (CDU) als
J) Wie
2)
3)
zu den konstituierenden Sitzungen der anderen Fachausschüsse des Pari. Rates, so wurde auch hier kein Wort-, sondern nur ein Kurzprotokoll angefertigt. Gerhard Paul (28. Okt. 1905-12. Okt. 1962), NRW, KPD, vor 1933 Mitglied des Landund des Reichstages. Im Jahre 1947 war Paul für mehrere Monate Wiederaufbauminister von Nordrhein-Westfalen und 1948 Landesvorsitzender der KPD. Paul nahm bis zu seinem Ausscheiden aus dem Pari. Rat als Stellvertreter Reimanns an den Sitzungen des Wahlrechtsausschusses teil. wie der der anderen konstituierenden AusschußsitDer Beginn der Sitzung läßt sich nur aus dem Tagesplan des Pari. Rates vom 15. Sept. 1948 erschließen zungen auch (Drucks. Nr. 25). Das Ende der Sitzung ließ sich nicht ermitteln. In der zweiten Sitzung wiesen Diederichs und von Brentano darauf hin, daß in dem Kurzprotokoll der ersten Sitzung die Worte „in den künftigen Sitzungen" durch die Worte „in der künftigen Verfassung" ersetzt werden müßten (siehe unten Dok. Nr. 2, TOP 4). Der komplette Absatz wurde später durch Drucks. Nr. 99 wie folgt geändert: „Der Ausschuß ist der Auffassung, daß in den künftigen Sitzungen die Fragen des allgemeinen, gleichen, direkten Wahlrechts und des Wahlalters nicht, wohl aber des Wahlmodus erörtert werden sollen. Es wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß mit der Festlegung des Wahlmodus in der Verfassung der Länder schlechte Erfahrungen gemacht worden sind. Deshalb soll der Wahlmodus selbst in einem Gesetz, also nur so festgelegt werden, daß zu seiner Abänderung nicht die Voraussetzungen einer Verfassungsänderung erfüllt werden müssen" (Hervorhebung in der Vorlage). Siehe hierzu auch oben Abschnitt 1 a der Einleitung und Lange, Wahlrecht, S. 339 f. Der ebenso überraschend anmutende wie entscheidende Wechsel des Verhandlungsgegen—
—
4) 5)
1
Nr. 1
Erste
Sitzung
15.
September 1948
(CSU) regt an, einen Sachverständigen über ausländische Wahlsystereferieren zu lassen. Dr. Becker (FDP) verspricht, mit dem Staatsrechtslehrer Dr. Thoma6), Bonn wegen Übernahme eines solchen Referats zu verhandeln. Termin der nächsten Sitzung: Der Ausschuß beschließt, seine nächste Sitzung am Mittwoch, 22. September, 9 Uhr abzuhalten. Auf dieser Sitzung sollen Dr. Kroll (CSU) über das Mehrheitswahlrecht, Dr. Menzel (SPD) über das Verhältniswahlrecht referieren7). Dr. Kroll
me
stands ging vermutlich auf die am 16. Sept. 1948 abgehaltene Sitzung des Organisationsausschusses zurück (Drucks. Nr. 63). Dieser hatte sich bei der Besprechung des Tagesordnungspunktes .Bundestag' darauf geeinigt, „über die Frage der Zahl der Abgeordneten und des Wahlmodus eine Meinungsäußerung des Wahlrechtsausschusses herbeizuführen" (ebenda). In den Ländern
Rheinland-Pfalz, Saarland, Baden und Bayern war das Wahlsystem in Landesverfassungen festgeschrieben worden (Frank Pfetsch: Ursprünge der Zweiten Republik. Prozesse der Verfassungsgebung in den Westzonen und in der Bundesrepublik, Opladen 1990, S. 352 ff.). Bereits auf Herrenchiemsee hatte sich der bayerische Ministerialrat Leusser gegen eine Verankerung des Wahlgesetzes im Grundgesetz ausgesprochen. Leusser begründete seine Ansicht mit dem Hinweis darauf, daß „die Frage des Wahlrechtssystems [. .) zur Zeit ziemlich in Fluß zu sein scheint. [. .] Eine Änderung des Systems [würde] eine Verfassungsänderung bedeuten, die nur unter großen Schwierigkeiten durchzusetzen sein wird" (Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. Nr. 3, S. 127; vgl. auch Beckers entsprechende Aussagen vor der Presse: Trierische Volkszeitung vom 22. Sept. 1948). Zu den Begrifflichkeiten „Wahlrecht", „Wahlmodus", „Wahlsystem" bzw. „Wahlden
.
.
verfahren" siehe auch Jesse, Wahlrecht, S. 20—24). Dr. Richard Thoma (19. Dez. 1874-26. Juni 1957), Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn, hatte sich schon zu Weimarer Zeiten einen hervorragenden Ruf als Staatsrechtler gemacht. Zusammen mit Gerhard Anschütz veröffentlichte er 1930/32 das zweibändige Standardwerk „Handbuch des deutschen Staatsrechts". Politisch orientierte sich Thoma nach dem Krieg zur FDP hin und wurde vom nordrhein-westfälischen Landtag zum stellvertretenden Mitglied des Pari. Rates ernannt, ohne daß der Fall seiner Mitgliedschaft eintrat (Landtag Nordrhein-Westfalen, 59. Sitzung vom 6. August 1948, S. 988. Ein Verzeichnis der Schriften Thomas findet sich in der Festschrift zu seinem 75. Geburtstag am 19. 12. 1949 (Tübingen 1950); zur Person Thoma siehe auch: Hermann Mosler: Richard Thoma zum Gedächtnis, in: DöV 10 (1957), S. 826-828). 7) Sowohl Kroll als auch Menzel hatten sich bereits lange vor dem Zusammentritt des Pari. Rates mit der Frage des Wahlsystems beschäftigt und dabei dezidiert Stellung bezogen. Während Kroll in seiner sog. „Bamberger Denkschrift" (1945), ein als Manuskript gedruckter Vortrag, den er im August 1945 in der Erzdiözese Bamberg gehalten hatte (ACDP 1-153-001/3), engagiert für das Mehrheitswahlrecht englischer Prägung eintrat, hatte sich Menzel in seinen Verfassungsentwürfen und auf den parteiinternen Diskussionen der SPD für ein modifiziertes Verhältniswahlrecht ausgesprochen.
6)
2
Zweite
Sitzung
22.
September 1948
Nr. 2
Nr. 2
Zweite
für
Sitzung des Ausschusses 22.
September
Z 5/81, Bl. 136-1671). Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 87-88, Drucks. Nr. 81
Anwesend2):
CDU/CSU: Kroll,
Wahlrechtsfragen
1948
Wortprot.
Schräge, Walter, Schröter
SPD: Diederichs, Menzel, Stock, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Paul Mit beratender Stimme: Suhr (SPD)3), Heile (DP)4), Heuss (DVP/FDP)5), Fecht (CDU)6), von Brentano (CDU, zeitweise)7), Katz (SPD, zeitweise)6), Brockmann (Z, zeitweise)9)
Sachverständiger: Thoma10) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 12.20 Beginn: 9.00 Uhr
Uhr
[1. REFERAT DES SACHVERSTÄNDIGEN PROF. DES
DR. THOMA
ÜBER DIE GESCHICHTE
VERHÄLTNISWAHLRECHTS]
Vors. [Dr. Becker]: Der Ausschuß hat sich in der letzten Sitzung konstituiert11). Wir hören heute ein Referat von Herrn Prof. Thoma, Staatsrechtslehrer in
Bonn, der sich liebenswürdigerweise
eingefunden
hat. Ich darf ihn hiermit be-
grüßen.
') Bl. 204—242 (S. 1—37 der ursprünglichen Zählung) wurden neu geschrieben, weil Durch-
fehlten. Auf Bl. 244—257 finden sich handschriftliche Korrekturen Thomas. Der an die Mitglieder des Pari. Rates verteilt (BA Z 5/203). Anwesenheitsliste nach Kurzprot.; die Präsenz von Brentano, Katz und Brockmann geht nur aus ihren Wortbeiträgen hervor. Es ist daher anzunehmen, daß sie der Sitzung nur zeitweise beiwohnten. Dr. Otto Suhr (17. Aug. 1894-30. Aug. 1957), SPD-Politiker und Gewerkschafter, einer der vier MdPR aus Berlin. Wilhelm Heile (18. Dez. 1881-17. Aug. 1969), Niedersachsen, DP, Schiffsbauingenieur und Journalist. Als Abgeordneter der DDP war Heile Mitglied der Deutschen Nationalversammlung (1919) und des Reichstags (1920—24). Nach dem Zweiten Weltkrieg war Heile Mitgründer der FDP in Niedersachsen, schloß sich aber später der DP an. Heile war Minister im ersten ernannten Kabinett Hinrich Wilhelm Kopfs (1946). Im Pari. Rat war er Mitglied des Grundsatz- und Rechtspflegeausschusses. Prof. Dr. Theodor Heuss (31. Jan. 1884-12. Dez. 1963), Württemberg-Baden, FDP, 1949 MdB und 1949 bis 1959 Bundespräsident. Heuss, der aus dem Kreis um den liberalen Politiker Friedrich Naumann stammte, hatte sich bereits früh mit dem Wahlsystem auseinandergesetzt (siehe vor allem: Wahlrechtspolitik, I und II, in: Der deutsche Volkswirt 4 (1929/30), S. 17-20 und 49-52; Verhältniswahl und Parlamentarismus, in: ZfP 20 (1931), S. 312—316). Vgl. auch: Die Unpolitischen (freie Wählervereinigungen), in: Rhein-Nekkar-Zeitung vom 6. Juni 1946; Gemeindewahlen (Wahlsystem Württemberg-Baden), in: a. a. O. vom 30. Sept. 1947; siehe schließlich auch: Der Mythos vom Wahlrecht, in: Neue Zeitung vom 11. Juni 1949. Im Pari. Rat war Heuss Mitglied des Haupt- und des Grundsatzausschusses.
schläge
Vortrag wurde als Umdruck Nr. S 45
2)
3) 4)
5)
3
Nr. 2
Zweite
Sitzung
22.
September 1948
Dann hat Herr Kollege Dr. Kroll ein Referat über das Mehrheitswahlrecht und Herr Dr. Menzel ein Referat über das Verhältniswahlrecht übernommen. Ich bitte, die Zeit so einzurichten, daß wir uns noch in der heutigen Vormittagssitzung über die Methodik unseres Vorgehens einigen können; denn wir haben meiner Ansicht nach noch außerordentlich viel Arbeit vor uns. Dann darf ich Herrn Prof. Dr. Thoma bitten, das Wort zu nehmen. Prof. Dr. Thoma: Meine Herren! Mit meinem ersten Worte will ich Ihnen meinen aufrichtigen Dank aussprechen für die Ehre, die sie mir dadurch erweisen, daß ich hier vor Ihnen sprechen darf. Mit meinem zweiten Worte muß ich Sie um Nachsicht dafür bitten, daß meine Darbietungen doch nur bescheiden sein
können, und das
aus mehreren Gründen. Einmal hatte ich nur wenige Tage Zeit, mich auf das Referat vorzubereiten12), während ich noch eine andere wichtige Arbeit zu erledigen hatte. Außerdem hatte ich einige Bücher, nach denen ich gerne gegriffen hätte, nicht zur Hand, weil sie in meinem Institut beim Bombenangriff am 18. Oktober 1944 verbrannt sind und die entsprechenden Exemplare der Universitätsbibliothek zur Zeit noch nicht greifbar sind13). End-
6) Dr. Hermann Fecht (20. Mai 1880-4. Feb. 1952), Baden, CDU, Jurist, seit Anfang 1948 badischer Justizminister. Im Pari. Rat war Fecht Mitglied des Organisationsausschusses. 7) Dr. Heinrich von Brentano (20. luni 1904-14. Nov. 1964), Hessen, CDU, Rechtsanwalt,
Mitgründer der CDU in Hessen und u. a. Mitglied der Vorbereitenden Verfassungskommission und der Verfassungsberatenden Landesversammlung. Brentano war MdB von
1949 bis 1964 und Außenminister von 1955 bis 1961. Brentano hatte sich schon seit längerer Zeit intensiv mit dem Wahlrecht auseinandergesetzt. Im März 1946 sandte er an Prof. Jellinek seinen „Entwurf eines Wahlgesetzes für die Verfassungsgebende Landesversammlung von Groß-Hessen" (Schreiben vom 22. März 1946, BA NL 242 (Jellinek/Bd. 39). Darin schlug Brentano ein Mehrheitswahlsystem mit einer 10%-Sperrklausel für kleine Parteien vor. Brentano war Mitglied des Haupt-, Besatzungsstatut-, Redaktions-
sowie des Fünfer- bzw. Siebenerausschusses.
1895-23. Juli 1961), Schleswig-Holstein, SPD, Justizmimster 1933—46 im ausländischen Exil, zunächst in China, dann, seit 1936, in den USA, wo er 1941 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb und als wissenschaftlicher Assistent an der Columbia-University und seit 1938 als Redakteur der
8) Dr. Rudolf Katz (30. Sept. von
Schleswig-Holstein,
„Neuen Volkszeitung" in New York lebte. Im Pari. Rat war Katz Mitglied des Organisationsausschusses. 9) Johannes Brockmann (17. Juli 1888-14. Dez. 1975), NRW, Z, Lehrer und seit 1944 Bürgermeister von Rinkerode; 1945 Generalreferent für Kultur bei der Provinzialregierung Westfalen, Vorsitzender der Deutschen Zentrumspartei. Brockmann war Mitglied des Haupt-, Organisations- und des Siebenerausschusses. 10) Zur Person Thoma siehe oben Dok. Nr. 1, Anm. 6. ") Siehe Dok. Nr. 1. 12) Becker hatte sich erst am 17. September die notwendige Genehmigung zur Anhörung Thomas beim Präsidenten des Pari. Rates, Konrad Adenauer, eingeholt (Becker an Adenauer vom 17. Sept. 1948, ADL 2958). Thoma ließ sich daraufhin vom Sekretär der FDP, Erich Raederscheidt, umgehend mit umfangreichem Informationsmaterial über die Arbeit des Rates versorgen (Raederscheidt an Thoma vom 18. Sept. 1948, ADL 2958). 13) Grundlegend für Thomas Ausführungen dürfte wohl das zweibändige Standardwerk von Karl Braunias gewesen sein (Das parlamentarische Wahlrecht. Ein Handbuch über die Bildung der gesetzgebenden Körperschaften in Europa, Berlin/Leipzig 1932). Hier scheint insbesondere das Kapitel über die Verhältniswahl (Bd. II, S. 191—265) Eingang in Thomas Referat gefunden zu haben. Ein Exemplar dieses Werkes befand sich auch in der Bibliothek des Pari. Rates (Drucks. Nr. 44). -
4
-
Zweite
Sitzung
22.
September 1948
Nr. 2
lieh würde sich ein der Reihe nach die einzelnen und gegenwärtigen Wahlsyein derartiger vorzüglicher Bericht über steme vor Augen führender Bericht die gegenwärtig in den deutschen Ländern geltenden Wahlsysteme liegt Ihnen nicht zum mündlichen Vortrag eignen. Meine Aufgabe kann es nur vor14) sein, über Entwicklung und Problematik eine einführende Übersicht zu geben. Es handelt sich um die Frage: „Mehrheitswahl oder Verhältniswahl". Mit ihr muß sich der Parlamentarische Rat auf alle Fälle befassen, weil eine Entscheidung darüber gefällt werden muß, ob das eine oder das andere dieser beiden Systeme in der Verfassung festzulegen sei. Aber auch wenn der Parlamentarische Rat, wie ich vermute, der Chiemseer Denkschrift folgt und diese Fragen offen läßt15) und nur bestimmt: „allgemeines, gleiches, geheimes" und vielleicht auch „unmittelbares Wahlrecht; das nähere bestimmt ein Wahlgesetz", so muß er doch dazu Stellung nehmen. Denn auf alle Fälle muß in den Übergangsvorschriften eine Bestimmung darüber getroffen werden, auf welche Weise das erste Bundesparlament gewählt werden soll16). Die Entscheidung, die der Parlamentarische Rat dabei trifft, wird vermutlich von so hoher Autorität sein, daß das künftige Bundeswahlgesetz dieselben Prinzipien zugrundelegen wird, die hier von Ihnen adoptiert werden17). —
—
[la. Zur allgemeinen Geschichte des Wahlrechts seit dem 19.
Jahrhundert:
Die Kritik
am
Mehrheitswahlrecht]
Anfang war die Mehrheitswahl, und an der Mehrheitswahl nahm die Masse der Wähler in den europäischen und amerikanischen Staaten auch solange nicht den geringsten Anstoß, als noch die aus dem spätmittelalterlichen Ständestaat stammende Vorstellung lebendig war, nach der es bei der Repräsentation eines Volkes vor allem darauf ankommt, daß alle einzelnen Landesteile Im
es sich vermutlich um das Manuskript von Carl Tannert, das dieser im erstmals dem Zonenbeirat mit der Bitte vorgelegt hatte, eine Drucklegung zu prüfen: „Landtagswahlgesetze in den drei Westzonen. Als Manuskript vervielfältigt für den Zonenbeirat o. O. o. D. [Sept. 1948]." Tannerts Studie wurde zwar an die Mitglieder des Wahlrechtsausschusses verteilt, aber wegen ihrer nach Ansicht des Wahlrechtsexperten im nordrhein-westfälischen Innenministerium Gerhard Schröder „mangelnden analytischen Schärfe" nicht der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Schröder kritisierte vor allem den „geschraubten" Stil und die Oberflächlichkeit der Arbeit (siehe hierzu die Korrespondenz über Tannert und seine Schrift: Blankenborn an Schröder vom 21. Nov. 1947, BA Z 2/91 und Schröders Antwort vom 27. Nov. 1947, ebenda; vgl. auch das Schreiben von Ministerialrat Skiode von Perbandt an Tannert vom 17. Dez. 1948, ebenda). 15) Tatsächlich hatte der Verfassungskonvent die Frage nach der Feststellung des Wahlverfahrens bewußt offengelassen. Art. 45 des Berichts verwies auf das zu schaffende Bundeswahlgesetz (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 588). 16) Vgl. oben Abschnitt 1 a der Einleitung. 17) Ebenda.
14) Hier handelte Herbst
1947
—
—
5
Nr. 2
Zweite
Sitzung
22.
September 1948
Abgesandten repräsentiert sind: indem aus jedem Landesteil ein in Abgesandter die Hauptstadt geschickt wird, entsteht eine Repräsentation des ganzen Landes. Noch heute heißt das englische Unterhaus: House of Commons, was zu deutsch heißt: Repräsentanten der kommunalen Verbände; und noch heute redet man dort offiziell von einem Abgeordneten nicht als von dem Herrn So-und-So, sondern von dem Herrn Vertreter von Yorck oder Birmingdurch einen
ham
u. s.
f.
Bei einer politisch noch nicht durchorganisierten Wählerschaft ist das auch ganz in Ordnung, daß nicht Parteien gewählt werden, und daß der mit absoluter Mehrheit Gewählte jetzt der Repräsentant ist, durch den sich auch die anderen, die nicht für ihn gestimmt haben, mit repräsentiert fühlen, der die Interessen dieses Bezirks, dieser Communitas gegenüber der Regierung wahrnimmt, und der mit all seinen Wahlberechtigten zusammen in einem gewissen heimatlichen Konnex und in einer gewissen Hilfsbereitschaft steht. Auch gegen die relative Wahl ist von diesem Standpunkt aus nichts zu sagen. Sie hat sich in den angelsächsischen Ländern durchaus erhalten, allerdings im Zusammenhang mit noch anderen Faktoren. In dem Maß aber, in dem nun politischer Wille, politische Erziehung, politische Kenntnisse in immer weitere Kreise der Wählerschaft eindringen, wenn es gilt, zu großen Problemen Stellung zu nehmen, zu Kirchenrechtsstreitigkeiten, zu einem Streit für oder gegen Getreidezölle, verbreiten sich nun eben die Parteimeinungen, die bisher vielleicht nur in den Fraktionen des Parlaments eine Rolle gespielt haben und dringen in immer weitere Schichten der Bevölkerung ein, und der Einzelne trachtet mehr und mehr danach, nicht einen Repräsentanten seines Heimatbezirkes in die Hauptstadt zu schicken, als vielmehr einen Repräsentanten seiner Grundüberzeugung und seiner Bestrebungen. Und von da ab empfindet er es natürlich als eine Art Entrechtung, wenn der Repräsentant einer ihm widerwärtigen Meinung vielleicht mit einer ganz schwachen Mehrheit, vielleicht sogar eigentlich mit einer Minderheit entsandt wird, und seine Ansichten unvertreten bleiben. Und so entsteht die Kritik an dem Mehrheitswahlrecht, sowohl dem relativen als auch dem absoluten. Historisch betrachtet hat sie aber zwei verschiedene Wurzeln. Erstens einmal und das ist praktisch die Regel gewesen liegen die Dinge so, daß in einer Gemeinde oder in einem Kanton oder im ganzen Staat die Wahlen eine Zeit hindurch eine einzige Partei in die Alleinherrschaft oder nahezu in die Alleinherrschaft gebracht haben, während alle Gegenparteien, auch wenn sie vielleicht sehr starke Minderheiten darstellten, dieser Tatsache hoffnungslos gegenüberstanden. Sie forderten also Minderheitenrechte. Die Forderungen der Mehr—
—
heit werden nicht bestritten, die Mehrheit soll schon den Willen des Parlaments bilden, aber die Minderheit soll doch auch repräsentiert sein, sie soll auch zum Wort kommen; sonst gibt es nicht einmal eine fruchtbare Debatte. So entsteht schon früh, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in manchen Gebieten eine Bestrebung, Minderheitenrechte zu erlangen, und es werden erste Systeme solcher Minoritätsrechte erfunden. Nach Ende des Neunzehnten Jahrhunderts tragen wissenschaftliche Abhandlungen, wie z. B. die von Heinrich Rosin, den Titel: „Das Recht der Minoritäten6
Zweite
Sitzung
22.
September 1948
Nr. 2
ist noch nicht der Proportionalitätsgedanke, der darin steckt. Die Minderheit soll nur ebenfalls in den Vertretungskörper hineinkommen. Man erfindet solche Systeme, wie z. B. das „Vote limité"19) in zwei Arten. Sagen wir z.B.: Bisher sind alle 30 Stadtverordneten aus einer Partei gewesen. Die Mehrheit soll ihnen nicht bestritten werden. Aber wir bestimmen, daß die Mehrheit nur noch 20 Sitze besetzen darf, während die zehn anderen der stärksten Minderheit gehören. Oder aber nehmen wir an, es sind Geschworene, es ist ein Magistrat oder sonst eine Gruppe von sechs Leuten zu wählen, dann heißt es: Jeder Wähler hatte bisher sechs Stimmen, und die Mehrheitspartei hatte sechs Plätze besetzt; von jetzt an soll jeder Wähler nur noch vier Stimmen haben. Dann hat die Minderheit eine allerdings sehr schwer zu berechnende Chance, auch einen oder zwei ihrer Leute durchzubringen. Etwas anderes ist das „vote cumulatif"20). Ein Beispiel: Der Wähler hat sechs Stimmen; er braucht aber nicht sechs verschiedene Kandidaten zu wählen, sondern er kann alle sechs Stimmen auf einen einzigen oder je drei Stimmen auf zwei Kandidaten konzentrieren. Dann wird die Minderheit wenigstens einen Mann hineinbringen, indem sie ihm alle sechs Stimmen gibt, so daß er den Vorsprung vor den Mehrheitskandidaten bekommt. Man kann auch das „vote limité" und das „vote cumulatif" miteinander kombinieren. Ich will keine Namen und keine Systeme nennen. Wenn man die Ahnenreihe der Vertreter der Idee der Mehrheitsberechtigung und der verhältnismäßigen Sitzverteilung ansieht, so steht am Anfang nicht Mirabeau21), sondern der intellektuelle Führer der Girondisten22), der eigentliche Liberaldemokrat der Französischen Revolution Condorcet23), der als erster solche Forderungen aufgestellt, aber kein System erfunden hat. Eine andere Möglichkeit ist die, daß von vornherein ein Parlament aus einer größeren Anzahl von Parteien und Fraktionen besteht, aber die Zufälligkeiten des Mehrheitswahlrechts besonders des relativen, aber auch des absoluten zu solchen Ergebnissen geführt haben, daß sie als willkürlich und ungerecht empfunden werden willkürlich und ungerecht dann z. B., wenn durch Wahlallianzen erreicht wird, daß die größte Minderheit gänzlich unvertreten bleibt und kleine Gruppen eine Menge Sitze erhalten; und noch auffälliger, wenn es sich ereignet, daß die stärkste Partei durch Wahlallianzen ihrer Gegner um alle Sitze gebracht wird, was wiederholt vorgekommen ist: in der Schweiz, in Belgien, auch in meinem Heimatland, dem Großherzogtum Baden, im Jahre 1887 und 1890 bei den Reichstagswahlen. Baden zerfiel in 14 Wahlkreise. Die Nationalliberalen waren die stärkste Partei. Sie hatten ca. 42% aller Stimmen, aber
Vertretung" (1892)18). Es
—
—
—
Heinrich Rosin: Minoritätenvertretung und Proportionalwahlen, Berlin 1892. Frz.: beschränktes Stimmrecht. Frz.: System der Stimmenhäufung. Gabriel de Riqueti, Graf von Mirabeau (9. März 1749—2. April 1791), französischer Staatsmann und Publizist. 22) Girondisten, die gemäßigten Republikaner der Französischen Revolution, benannt nach den einflußreichen Abgeordneten aus dem Departement Gironde. 23) Antoine Marquis de Condorcet (17. Sept. 1743—März od. April 1794), einer der Anführer der Girondisten, wurde nach 1793 verfolgt und hingerichtet.
1B) 19) 20) 21)
7
Nr. 2
Zweite
Sitzung
22.
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keinen
einzigen Reichstagssitz erworben, weil sich die Demokraten, die Freisinnigen und das Zentrum miteinander verschworen und die Wahlkreise unter sich aufgeteilt hatten und nun überall die 42% Nationalliberalen den 58% der übrigen Parteien gegenüberstanden und so überhaupt keinen Sitz erobern konnten24).
[Ib.
Ursprünge des Verhältniswahlrechts] Solchen Erscheinungen gegenüber erhebt sich nun die Frage der ProportionaliDie
wenn schon vielerlei Parteien, dann doch bitte nach dem Anteil, den sie in der Bevölkerung haben. Die Demokratie, sagt man, soll doch den Mehrheitswillen des Volkes zur Geltung bringen. Der Mehrheitswille wird aber verfälscht, wenn die Mehrheit schlecht oder gar nicht vertreten ist und Minderheitsparteien im Parlament die Mehrheit haben. In England hat man das ja bisher herkömmlicherweise ziemlich leicht ertragen, aber seit Jahrzehnten hat sich auch scharfe Kritik dagegen erhoben25). In der außerordentlich reichen und zum Teil leidenschaftlichen und in sämtlichen Staaten hervorgetretenen Literatur für die Einrichtung eines proportionalen Wahlrechts fehlt niemals eine Berufung auf einen berühmten Ausspruch, den Mirabeau am Vorabend der Französischen Revolution getan hat: „Eine richtig organisierte Repräsentatiwersammlung soll sich zu den verschiedenen Schichten und Strömungen des Volkes so verhalten wie eine gut gezeichnete Landkarte, die in reduziertem Maßstab, aber genau, Gebirge und Flüsse usw. des Landes darstellt"26). Sie soll ein Abbild oder ein Spiegelbild im kleinen sein. Das Beispiel der Landkarte wird immer wiederholt, obwohl Mirabeau zweifellos nicht an das Proportionalwahlrecht gedacht hat und 1791 gar nichts gegen ein reines Mehrheitswahlrecht einzuwenden hatte27). Aber der Grundgedanke liegt natürlich auf dieser Linie. Er hat es mehr territorial gemeint. Jetzt versteht man das folgendermaßen. Wir sind Liberale, Klerikale, Konservative, Sozialisten, das ist das politische Land. Das soll nun auf der Landkarte „Parlament" in den richtigen Proportionen abgebildet werden. Wie kann man das machen? Von den älteren Systemen und Versuchen will ich nicht reden. Es treten in dieser Frage vor allem zwei Persönlichkeiten in den
tät:
24) Vgl.: Die Reichstagswahlen von 1867 bis 1907. Eine Statistik der Reichstagswahlen nebst
den Programmen der Parteien und einem Verzeichnisse der gewählten Abgeordneten, neubearbeitet von Dr. Fritz Specht und Paul Schwabe, Berlin 21908, S. 249-259. 25) In der Vorlage: „[. .], aber neuerdings hört man wachsende Kritiken. Mehr und mehr wird es als eine Ungerechtigkeit empfunden und als undemokratisch bezeichnet." 26) „Les Assemblées sont pour la nation ce qu'est une carte réduite pour son étendue physique; soit en partie, soit en grand, la copie doit toujours avoir les mêmes proportions que l'original" (Mirabeau am 30. Jan. 1789 in einer Rede vor den Provinzialständen, abgedruckt in: Collection complète des travaux I, 1791, S. 21). Dieses Zitat Mirabeaus wurde in der Folgezeit noch mehrmals von den Abgeordneten als Argument für das Verhältniswahlsystem vorgebracht (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 698). 27) Vgl. auch: Georg Jellinek: Mirabeau und das demokratische Wahlrecht. Geschichte eines Zitates, in: Ders., Ausgewählte Schriften und Reden, Berlin 1911, S. 82-88. .
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die eine ist der Franzose Considérant28), die andere ist der Engländer Thomas Hare29). Victor Considérant war der begeisterte Jünger des Utopisten und Sozialisten Fourier30), dessen Ideen er bis zu seinem Lebensende im Jahre 1893 in Büchern und Zeitschriften vertreten hat. In einer dieser Zeitschriften, der «Démocratie Pacifique" hat Considérant schon Anfang der 40er Jahre das Proportionalitätswahlrecht als das allein der Demokratie und der Gerechtigkeit entsprechende gefordert31). Er ist dann nach Genf übergesiedelt, hat dort fortgefahren und später noch mehrere Bücher geschrieben, allmählich sein System verbessert
Vordergrund;
usw.
Das hat natürlich
hauptsächlich
in Genf
Wirkung getan.
In Genf haben zuerst
einige Genfer Bürger ein durchdachtes Verhältniswahl-System ausgearbeitet und im Jahre 1862 dem verfassungsgebenden Rat vorgelegt, der es allerdings
nicht angenommen hat. Angefeuert und angetrieben durch Considérant hat dann ein Professor Naville32) den ersten Verband zur Propagierung des Verhältniswahlrechts gegründet, der dann in allen Ländern, vor allem auch in England und Frankreich, Tochtergesellschaften hervorgerufen und das ganze Jahrhundert hindurch eine große literarische Propaganda entfaltet hat, die er zum Teil heute noch fortsetzt. Von den damaligen Autoritäten der Staatswissenschaften hat sich seit 1867 John Stuart Mill33) nachdrücklich für die Verhältniswahl eingesetzt. In Deutschland haben sich Robert von Mohl34) und Bluntschli35) dafür ausgesprochen. Von Thomas Hare, Rechtsanwalt in London, stammt ein primitiver erster und ein praktisch brauchbarerer zweiter Vorschlag. Im gleichen Sinne 1867 —
—
28) Victor Considérant (12. Okt.
1808-27. Dez.
1893), Schüler Fouriers und nach dessen Tod
Haupt der Fourierschen Schule.
29) Der englische Wahlrechtsreformer Thomas Hare (1806—1891) gilt als einer der Schöpfer
übertragbaren Stimmrechts. Als sein Hauptwerk kann in diesem Zusammenhang gelten: The Election of the Representatives, London 31865. 30) Charles Fourier (7. April 1772—10. Okt. 1837) entwarf ein System des utopischen Soziades
lismus.
est un mensonge, in: La Phalange, und Considérants Flugschrift: „De la sincérité du gouvernement représentatif, ou exposition de l'élection véridique", 1846 (Nachdruck Zürich 1896). Siehe hierzu auch Ferdinand A. Hermens: Demokratie oder Anarchie? Untersuchung über die Verhältniswahl, Frankfurt/M. 1951, S. 1 f., Anm. 3. 32) Ernest Naville gründete 1865 in Genf die „Association réformiste". Thoma bezieht sich hier auf die Werke: „La question électorale en Europe et en Amérique" (1871) und „La démocratie représentative" (1881). 33) John Stuart Mill (20. Mai 1806-8. Mai 1873), englischer Philosoph und Volkswirt, einer der Hauptvertreter des englischen Liberalismus im 19. Jahrhundert. In seinem Werk ..Considerations on Representative Government" (1861) rezipierte er ausführlich Hare. 34) Robert von Mohl (17. Aug. 1799—4. Nov. 1875), einer der Führer des südwestdeutschen Liberalismus und Angehöriger der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. Mohl wirkte bahnbrechend auf dem Gebiet des konstitutionellen Verfassungsrechts und des
31) Vgl. Victor Considérant: La Représentation nationale 17. 6. 1848
Rechtsstaatsgedankens.
35) Johann Kaspar Bluntschli (7. März
1808-21. Okt.
1881), Schweizer Staatsrechtler und li-
beraler Politiker.
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wirkte der dänische Mathematiker Andrae36), dessen Idee eine erste Verwirklichung in den Wahlen zum dänischen Oberhause 1855 gefunden hat, die 1867 verbessert wurde. Aber die eigentlich entscheidende Wendung ist doch erst eingetreten, als sich nun auch andere Mathematiker der Sache annahmen und sie durchdachten und durchrechneten, um festzustellen, wie man da ein System aufstellen könnte. Sie haben an den vor allem von Considérant in seinen späteren Schriften vertretenen Gedanken angeknüpft: man kann zur Proportionalität nur kommen, wenn man eine ganze Liste wählen läßt; am vollkommensten natürlich, wenn man das ganze Land zu einem einzigen Wahlkreis macht, wenn auch vielleicht von Hunderten von Abgeordneten, und Listen aufstellt. Dann kommt man zu einer beinahe vollkommenen Proportionalität. Aber das bringt wieder andere Schwierigkeiten mit sich. Dann muß man das Land in Wahlkreise einteilen, die man sehr groß machen muß; denn wenn man sie zu klein macht, ist die Proportionalität unvollkommen. Wenn man sie zu groß macht, ist es auch nicht zweckmäßig. Die Frage ist nur, wie man die Sitzverteilung berechnen soll. Ein älterer Vorschlag geht dahin, daß man nach common sense handeln soll: man sieht sich die Zahlen an und gibt nach Billigkeit jeder Partei die ihr zukommenden Sitze. Dann hat man den Wahlquotienten gefunden: man muß die Zahl der abgegebenen Stimmen durch die Zahl der Mandate teilen. Aber dem gegenüber haben nur der Belgier d'Hondt37) und der Baseler Physikprofessor Hagenbach-Bischoff38) gezeigt, daß man zu sicheren Resultaten nur dann kommt, wenn man durch n + 1 teilt. Das ist das Ergebnis der Schrift von d'Hondt 1882 und der von Hagenbach-Bischoff 1884. Man spricht daher von dem durch Hagenbach-Bischoff verbesserten d'Hondt'schen System. Man braucht gar nicht mehr mit Wahlquotienten zu arbeiten, sondern es wird das System der Teilzahlen erfunden, welches den Wahlkommissionen die Errechnung des Wahlergebnisses außerordentlich erleichtert. Man schreibt die Zahlen, die jede Liste bekommen hat, nebeneinander und dividiert dann durch 2 und dann durch 3 und ordnet dann die Zahlen. Die höchste Zahl bekommt den ersten Sitz usw. Dann ist vielleicht die Hälfte der Zahl der zweiten Partei schon größer als die Hälfte der Zahl der ersten; dann bekommt die zweite Partei einen Sitz; den dritten Sitz bekommt vielleicht wieder die erste Partei usw. Das ist das d'Hondt —Hagenbach-Bischoff'sehe System. Was später hinzugekommen ist, ist das automatische System. Darauf komme ich noch zurück. Die Lite-
36) Carl Christopher Georg Andrae (14. Okt. 1812-2. Feb. 1893) war nicht nur Mathematiker, sondern auch erfolgreicher Politiker. In den Jahren 1856/57 war er dänischer Re-
gierungschef.
37) Victor d'Hondt (1841—1901) entwickelte den Berechnungsmodus für die Verteilung der
Sitze in Vertretungskörperschaften bei der Verhältniswahl. Siehe vor allem sein Werk: Système pratique et raisonné de représentation proportionale, Brüssel 1882. 38) Eduard Hagenbach-Bischoff (28. Feb. 1833-23. Dez. 1910), Mathematiker und Physiker, entwickelte in „Die Frage der Einführung einer Proportionalvertretung statt des absoluten Mehres" (Basel 1888) die nach ihm benannte Methode zur Ermittlung einer proportionalen Sitzverteilung bei der Verhältniswahl.
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groß. 1899 erschien ein zusammenfassendes Werk von dem französischen Professor Saripolos, in zwei Bänden von nahezu 1000 Seiten39). Ich wende mich jetzt der Frage der Realisierung zu. Da gibt es einige ältere Realisierungen, so in den Wahlen zum dänischen Landthing, dann einige in Amerika gemachte Versuche, von denen ich leider nicht sagen kann, ob sie noch bestehen. Es wurden nämlich in den 70er Jahren in Illinois, in New York, in Pennsylvania Verhältniswahlsysteme nach dem älteren Hare'schen System eingeführt; auch in Spanien und Portugal, vorübergehend in Italien, hat man Versuche mit Proportionalwahlen zum Parlament gemacht. Der entscheidende große Schritt ich möchte sagen: die siegreiche Durchbruchsschlacht des Proist in der Schweiz getan worden. Und es war in geportionalwahlsystems wissem Sinne wirklich eine Schlacht. Denn im Kanton Tessin hatte die Mehrheitspartei, welche den ganzen Rat beherrschte, ihre Stellung mißbraucht, alle Ämter ausschließlich ihren Freunden vorbehalten, alle Gegner aus den Ämtern hinausgeworfen usw., was zu einem ziemlich wilden Aufstand geführt hat40). Rathäuser wurden gestürmt und es gab blutige Köpfe, so daß der Bund Truppen hinschicken und die Gemüter beruhigen mußte. Und nun wurde ein Vorschlag gemacht, der von den Tessinern auch angenommen wurde: Von jetzt an wird ein Proportionalwahlrecht eingeführt; dann kommt jede Partei in der Vertretung anteilmäßig zur Geltung. Das war 1891. Von da an, kann man sagen, hat der Proportionalitätswahlrechtsgedanke seinen Siegeszug durch die Schweiz angetreten. Immerhin sind nicht alle Kantone dazu übergegangen. Neueste Zahlen habe ich nicht, aber wenn es dabei geblieben ist, haben 13 Kantone das Verhältniswahlrecht mit sehr großen Freiheiten für den Wähler. Der Bund hat es sehr viel später bekommen. Drei Kantone haben dieses Wahlrecht wenigstens für die Gemeindewahlen eingeführt41). Sehr wichtig war es natürlich, daß 1895 in Bern durch eine Volksabstimmung das Verhältniswahlrecht für den großen Rat eingeführt worden ist42). Dann folgt sozusagen Sieg auf Sieg43). Ein großer Erfolg der Proportionalisten war es, daß Norwegen im Jahre 1896 das Verhältniswahlsystem für die Kommunalwahlen, für die es ja ganz besonders geeignet ist, allgemein eingeführt hat. Dann der nächste große Sieg, Belgien geht 1899 nach langer heftiger Debatte zum Verhältniswahlrecht über. ratur ist
—
—
et l'élection proportionelle. Étude historique, juridique et de Ferdinand Larnaude, 2 Bde., Paris 1899. 40) Zu dem Konflikt in der Schweiz war es gekommen, als die Konservativen am 3. März 1890 bei den Großratswahlen im Kanton Tessin mit 12 783 Stimmen 77 Sitze zugesprochen bekommen hatten, während die Liberalen mit 12 166 Stimmen nur 35 Mandate erhielten (Sternberger/Vogel [Hrsg.], Wahl der Parlamente Bd. 1/2, S. 1119 f.). 41) Zur Einführung des Verhältniswahlrechts in der Schweiz siehe auch Sternberger/Vogel (Hrsg.), Wahl der Parlamente, passim. 42) Nach Braunias (Wahlrecht Bd. 1, S. 521) wurde die Verhältniswahl im Kanton Bern erst
39) Nicolas Saripolos: La démocratie
politique. Avec une préface
am 30. Januar 1921 eingeführt. 43) Siehe für die folgenden Ausführungen
recht Bd. 1,
passim).
vor
allem die
Darstellungen bei
Braunias
(Wahl11
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folgt dann eine Epoche, in der das Verhältniswahlrecht in Deutschland sehr große Fortschritte gemacht hat, allerdings nicht im Staatswahlrecht, sondern in den sozialen Organisationen. Entweder wird es fakultativ durch statutarische Bestimmung ermöglicht, oder es wird später durch Gesetz obligatorisch eingeführt: bei der Wahl der Beisitzer zu den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten, in den Krankenkassen und Berufsgenossenschaften; bei den Wahlen der Sicherungsmänner in den Bergwerken im Preußischen Bergrecht, später obligatorisch in der Reichsversicherungsordnung und in der Versicherungsordnung für AngeEs
stellte von 1911. Aber wenden wir uns nun wieder dem Staatswahlrecht zu. Belgien, wie gesagt, führte das Verhältniswahlrecht im Jahre 1899 ein. Im Jahre 1906 hat Württemberg sein Wahlrecht so eingerichtet, daß die meisten Landtagsabgeordneten im Mehrheitswahlrecht in Einer-Wahlkreisen gewählt wurden; aber Stuttgart wählte eine Sechserliste, und außerdem wählten die Wahlberechtigten noch einmal in zwei großen Wahlkreisen Abgeordnete im Verhältniswahlverfahren. Auch Hamburg hat damals einen Teil seiner Bürgerschaft im Verhältniswahlrecht gewählt. In demselben Jahre ist Finnland zum Proportionalwahlverfahren übergegangen und Schweden (1909). Im Jahre 1908 hat Bayern für die Stadtverordnetenwahlen in den größeren Städten die Verhältniswahl eingeführt und 1910 Baden für alle Gemeinden von mehr als 2000 Einwohnern. In den folgenden Jahren bis 1912 sind einige bedeutende Staaten beinahe für das Proportionalwahlrecht erobert worden. Gewiß, es ist danach noch abgelehnt worden, aber unter Modalitäten, welche darauf schließen ließen, daß seine Einführung nur noch eine Frage der Zeit sei. Damals ist in der Schweiz mit knapper Mehrheit ein Initiativantrag auf Einführung des Proportionalwahlrechts im Bunde vorerst noch gescheitert. Im Deutschen Reichstag hat die Sozialdemokratische Partei eine Resolution eingebracht, die Reichstagswahlen nach dem Proportionalwahlverfahren durchzuführen, die nur durch eine Zufallsmehrheit gescheitert ist: 140 Abgeordnete haben dagegen, 139 dafür gestimmt44). Für den Fortgang des Proportionalwahlrechts ist nun folgendes besonders interessant. Während es in anderen Ländern meist andere Parteien waren, die, weil sie sich in der Minderheit befanden, oder aus einem allgemeinen liberalen Prinzip heraus sich für den „Proporz" einsetzten, ist in Deutschland vor allem die SPD der Rufer zur Proportionalität geworden. Anfangs freilich hat sich einer der bedeutendsten Sozialdemokratischen Theoretiker, Rittinghaus45), dagegen ausgesprochen. Wenn man hofft, durch die breite Masse der Wählerschaft 44) SPD-Antrag Nr. 69 vom 12. Februar 1912, in: Verhandlungen des Reichstages, Bd. 298 (1912), 13. Leg. Per., 1. Session, S. 121; siehe auch die Parlamentsdebatte vom 16. April 1913, in: a. a. O., 141. Sitzung, Bd. 289, S. 4821. 45) Thoma meint hier wahrscheinlich Moritz Rittinghausen, der im Jahre 1869 eine Abhand-
lung über „Die unhaltbaren Grundlagen des Repräsentativ-Systems" verfaßt hatte. Darin bezeichnete er das Verhältniswahlrecht als „eine Entartung politischer Einrichtungen des Mittelalters" (siehe ders.: Die direkte Gesetzgebung durch das Volk, 5. Aufl. Früher erschienen als Sozialdemokratische Abhandlungen 1.—5. H. 1862—1872, S. 89—120, hier: S. 89).
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schon bald die absolute Mehrheit zu erobern, dann wird man sich nicht schwach machen wollen, indem man für den Proporz eintritt. Wenn man aber glaubt, es werde noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen, bis es soweit ist, dann ist es ein dringendes Bedürfnis. Der Klassenkampf ist damals noch sehr heftig gewesen; die Sozialdemokratie kann nur dort ein Mandat erringen, wo sie die absolute Mehrheit hat. Deswegen spricht sich Liebknecht 187746) für die Verhältniswahl aus. Und auf dem Erfurter Parteitag 1891, in demselben Jahre, in dem in Tessin der Proporz siegt, hat der Parteikongreß in dem Erfurter Programm, und zwar in dem Kapitel „Forderungen" gleich unter Ziffer 1 das Verhältniswahlrecht für die Reichstagswahlen gefordert47). Es ist zum Programmpunkt der Sozialdemokratischen Partei geworden. Im Jahre 1912 hätte sie beinahe einen dahingehenden Reichstagsbeschluß durchgewie bemerkt bracht. Auch in Frankreich stand seine Einführung vor der Tür. In jenem Jahr hat ein Mann vom Range Poincarés das Wort gesprochen: „Das schlechteste Verhältniswahlrecht ist immer noch besser als das beste Mehrheitswahlrecht"48), und ein Sozialist vom Range Jaurès49) hat damals gesagt; beim Mehrheitswahlrecht gehe es um persönliche und lokale Interessen, beim Verhältniswahlrecht werde um Ideen gestritten und gewählt. Die Proportionalisten hatten also allen Grund zu triumphieren und haben es auch getan. Die große und sehr tätige englische „P. R.-Society"50) hat eine Art Triumphbankett gegeben und dazu alle Anhänger nach Paris eingeladen. Das war im Juli 1912. Es mußte allerdings auf den Dezember verschoben werden, aber die Huldigungsadressen und -schreiben sind im Juli eingetroffen. So kam —
—
46) Wilhelm Liebknecht (29. März 47)
1826-7. Aug. 1900) war neben August Bebel der erste Führer der deutschen Sozialdemokratie. Auf dem Erfurter Parteitag vom 14. bis 20. Okt 1891 forderte die SPD das „allgemeine, gleiche, direkte Wahl- und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen, Proportionalwahlsystem und bis zu dessen Einführung gesetzliche Neueinteilung der Wahlkreise nach jeder Volkszählung. ." (Susanne Miller/Heinrich Potthoff: Kleine Geschichte der SPD. Darstellung und Dokumentation 1848—1983, Bonn 51983, S. 313; allg. siehe: Axel Misch: Das Wahlsystem zwischen Theorie und Taktik. Zur Frage von Mehrheitswahl und Verhältniswahl in der Programmatik der Sozialdemokratie bis 1933, Berlin 1974). Raymond Poincaré (20. Aug. 1860—15. Okt. 1934), französischer Politiker und mehrmaliger Minister- bzw. Staatspräsident (1912/13—1920 bzw. 1926-1929) setzte sich nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident im Jahre 1912 energisch für eine Wahlreform im Sinne des Verhältniswahlrechts ein (vgl. R. Poincaré: Memoiren, 3 Bde., Dresden 1918, hier: Bd. 1, S. 26 ff.). Jean Jaurès (3. Sept. 1859—31. Juli 1914), französischer Sozialist, Philosophieprofessor und Parlamentsabgeordneter (1893-1898 und 1902-14). Die Proportional R(epresentation) Society war 1884 gegründet worden und fand vor allem bei Gewerkschaften, einem großen Teil der Liberalen und später auch der Labour Party sowie der Presse verbreitet Unterstützung, konnte sich jedoch nicht durchsetzen (J. F. S. Ross: Parliamentary Representation, London 21948). Im März 1949 richtete die Londoner PR-Society eine Eingabe an den Wahlrechtsausschuß des Pari. Rates (BA Z 5/119, Bl. 65; siehe auch den diesbezüglichen Hinweis Beckers im Plenum am 10. Mai 1949, [Stenographische Berichte, S. 249]). .
48)
49) 50)
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auch eins aus Deutschland, das sehr interessant ist. Die Unterzeichner dieser Adresse weisen erstens darauf hin, daß sie begeisterte Anhänger dieses Gedankens seien, daß in Deutschland schon bedeutende Fortschritte erreicht seien, so in Württemberg und Hamburg und bei den Badischen Gemeindewahlen, und sie hofften, weitere Erfolge zu erreichen; denn mit dem Proportionalwahlrechtssystem besitze man ein Prinzip, das in gleichem Maße im Dienste der menschlichen Gerechtigkeit wie auch der politischen Zweckmäßigkeit steht. Ich habe glücklicherweise das Blatt der Frankfurter Zeitung vom Jahre 1912 in meinen Papieren aufbewahrt. Die Unterzeichner sind sehr interessant. Natürlich stehen führende Sozialdemokraten darunter, Frank51) und von Vollmer52), führende Persönlichkeiten der liberalen Partei usw. Unter diesem Dokument steht aber auch der Name des geistvollen Staatsmannes, der nachher in der Weimarer Nationalversammlung leidenschaftlich gegen den Proporz gesprochen hat, nämlich Friedrich Naumann53). Ist das ein Widerspruch? Man könnte vielleicht sagen: es ist keiner. Naumann hätte vielleicht sagen können, im Jahre 1912 habe es sich um die Wahl eines einer obrigkeitlichen Regierung gegenüberstehenden Reichstags gehandelt. Anders lägen die Dinge in der parlamentarischen Demokratie, wo der Reichstag zugleich die Mehrheitsregierung liefern und feste Mehrheiten haben soll. Derselbe Staatsmann, der im Obrigkeitsstaat für das gerechte Proportionalitätsprinzip eingetreten ist, kann es in der parlamentarischen Demokratie trotz seiner Gerechtigkeit ablehnen, weil es, wie er meint, einer kraftvollen politischen Willensbildung entgegenwirkt. Nachdem ich so von der Entwicklung und den ersten Verwirklichungen vor dem ersten Weltkriege gesprochen habe, wende ich mich nunmehr der Frage zu: wie war es nach dem ersten Weltkrieg? und wie war es vor allem in Deutschland? Zunächst einmal will ich einen Spaziergang um Deutschland herum machen und die Verhältnisse der Jahre 1919 und 1920 betrachten. In den Jahren 1915 und 1920 ist Dänemark für beide Kammern zum restlosen Proportionalsystem übergegangen. Im Jahre 1917 das Königreich der Niederlande; erste Proportionswahlen 1919. Belgien war schon seit 1819 proportional. Frankreich ist im Jahre 1919 gelungen, was ihm noch im Jahre 1912 mißlungen war. Frankreich hat bis zu einem Termin, von dem ich leider keine Jahreszahl ich glaube aber es war Mitte der 30er Jahre habe folgendes System gehabt, das man nur als hinkenden Proporz bezeichnen kann54): gewinnt eine Par—
—
51) Dr. Ludwig Frank (23.
Mai 1874-3.
Sept. 1914), SPD-Politiker und MdR
von
1907 bis
1914. es sich vermutlich um einen Schreibfehler des Stenographen. Thoma meint wahrscheinlich Georg von Vollmar (7. März 1850—30. Juni 1922), der früh als Repräsentant einer pragmatischen Politik der SPD galt, um dann in den Jahren 1881—87 und 1890—1918 diese Partei im Reichtstag zu vertreten. 53) Friedrich Naumann (25. März 1860-24. Aug. 1919), liberaler Politiker und Gründer des Nationalsozialen Vereins (1896). Naumann war Mitgründer der Deutschen Demokratischen Partei und Mitglied der Weimarer Nationalversammlung (1919). 54) Nach dem Wahlgesetz vom 12. Juni 1919 galt in Frankreich das Verhältniswahlrecht, das durch Gesetz vom 21. Juli 1927 durch ein absolutes Mehrheitswahlrecht abgelöst wurde. Dies hatte bis zum 17. August 1945 Bestand, als Paris zum Verhältniswahlrecht zurück-
52) Bei Vollmer [!] handelt
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tei im Wahlkreis die absolute Mehrheit, dann bekommt sie sämtliche Sitze der Liste; gewinnt sie die absolute Mehrheit nicht, dann wird proportional unter alle verteilt. Frankreich ist vom Mehrheitswahlrecht zu einem Halbproporz und dann zum Mehrheitswahlrecht zurückgegangen und hat jetzt, seit 1946, ein restloses Proportionalwahlrecht eingeführt. Aber die Malaise seiner Regierungskrisen ist immer dieselbe geblieben. Es häufen sich in skandalöser Weise die immer neuen
Koalitionszerwürfnisse und Regierungskrisen55).
In der Schweiz ist sofort nach dem Kriege das Proportionalitätsprinzip im Bund siegreich vorgedrungen. Durch ein Referendum vom Jahre 1919 ist es für den
Schweizer Bund eingeführt worden, was natürlich die überwiegende Vorherrschaft der Radikaldemokraten gebrochen und dazu geführt hat, daß die Sozialdemokraten in den Nationalrat gekommen sind. Es ist sehr interessant, einen Blick auf das Schweizer Proportionalwahlrecht zu werfen, da es im Grunde denselben Charakter hat wie in den Kantonen. Es ist ein System, bei dem man darauf bedacht ist, dem Wähler möglichst große Freiheit zu lassen. Gewiß, es werden Listen gewählt, aber es sind freie Listen, wie sie schon Considérant haben wollte. Der Wähler kann zwar keinem Kandidaten seine Stimme geben, der nicht auf einer Liste steht, die die Parteien haben veröffentlichen lassen. Aber er kann sich aus Namen, die auf den Listen verschiedener Parteien stehen, einen eigenen Wahlzettel kombinieren. Man nennt das Panaschieren. Er kann auch kumulieren, das heißt, er braucht nicht alle seine (z. B. sechs oder acht) Stimmen verschiedenen Kandidaten zu geben, sondern er kann je zwei zusammen nehmen. Er hat auch das Recht der sogenannten Stellenwahl. Er kann sagen: auf dieser Liste gebe ich nicht dem Manne an der ersten oder zweiten Stelle, sondern dem an der dritten Stelle Stehenden zwei Stimmen, und Nummer 4 oder Nummer 5 gebe ich auch zwei Stimmen, damit diese den Vorrang bekommen. Oder: ich schreibe den Kandidaten von einer anderen Liste hinein. Vorbildlich ist das nicht. Aber es ist interessant, daß die Mathematiker Methoden erfunden haben, durch all diesen Wirrwarr hindurchzukommen. Praktisch machen, soviel ich weiß, die Wähler von diesen etwas anarchischen Möglichkeiten des Panaschierens und des Kumulierens keinen oder keinen großen Gebrauch. Im großen und ganzen sagt man: Ich halte mich zu der Partei und wähle die Liste dieser Partei, wie sie ist, höchstens daß man vielleicht die Stellen ändert. Das ist das Schweizerische Verhältniswahlrecht. Weiter! Österreich hat im Jahre 1920 ein Proportionalwahlrecht gehabt, Wahlkreise mit Listen, d'Hondt'sches System. Die Reste wurden auf Landeswahlli—
—
kehrte (Peter Campbell: The French Electoral System, S. 90 ff., ger/Vogel [Hrsg.], Wahl der Parlamente Bd. 1/1, S. 517 f.).
97
und 103 ff.; Sternber-
') Erst zwei Wochen zuvor war die Regierung Schuman nach einem Mißtrauensvotum des Parlaments gestürzt worden (Keesings Archiv der Gegenwart: Zusammenstellung des Nachrichtenstoffes. Heinrich von Siegler, Bonn [Wien/Zürich] 1945 ff. hier: 1948/49, S. 1626). Der Radikalsozialist Henri Queuille bildete daraufhin am 12. Sept. 1948 das vierte Kabinett in Paris seit Jahresbeginn. 15
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sten nach
d'Hondt'schem System verrechnet, bis Dollfuß im Jahre 1934, der eieinrichtete, das Proportionalwahlrecht abschaffte56). Sogar die Tschechoslowakei hat trotz ihrer nationalen Zerrissenheit das Verhältniswahlrecht eingeführt, allerdings mit einer den Deutschen, Ungarn und Slowaken äußerst ungünstigen Wahlkreisgeometrie. Polen dagegen hat das nicht wagen können. Es hat meines Wissens immer ein Mehrheitswahlrecht gehabt und überhaupt seine Minderheiten, soweit sie nationale Minderheiten waren, sehr entrechtet und vergewaltigt. ne
Art Faschismus
[lc. Das Verhältniswahlrecht in Deutschland] Im Herzen dieses Kreises liegt Deutschland, das nach der Novemberrevolution das Mekka der Proportionalität geworden ist. Die Volksbeauftragten Eberl57), Scheidemann56) usw. haben in ihrem ersten und einzigen Revolutionspronunciamento, das zugleich ein sehr wichtiges Grundgesetz des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts ist, nämlich in dem Aufruf der Volksbeauftragten vom November 1918 in wörtlicher Übernahme der Ziffer 1 der Forderungen des Erfurter Parteiprogramms bestimmt: Alle öffentlichen Wahlen in Deutschland (also in Gemeinde, Land und Reich), werden fortan nach dem allgemeinen, gleichen, unmittelbaren, geheimen Wahlrecht aller 20jährigen Männer und Frauen nach einem Verhältniswahlsystem durchgeführt59). So wurde die Nationalversammlung nach dem Verhältniswahlsystem gewählt, wobei man 36 verschieden große Wahlkreise machte, mit 6—17 Abgeordneten. Die Sitze wurden verteilt nach dem d'Hondt'schen Höchstzahlensystem. Stimmenreste blieben unverwertet.
In der Folge kam im Lande Baden ein neues, das sogenannte automatische System, ergänzt durch eine, wiederum automatische Reststimmenverwertung zur Geltung. Indem dieses System darauf verzichtet, die Zahl der zu wählenden Abgeordneten festzulegen, kommt es los von der den Wählern unbegreiflichen und in manchen Grenzfällen unbefriedigenden mathematischen Methoden der Sitze-Verteilung. Das badische Landtagswahlgesetz60) gab im Wahlkreis jeder Liste auf je 10 000 Stimmen einen Sitz. Die unverwerteten Reststimmen wurden
5ß) Engelbert Dollfuß (4. Okt.
57)
56)
59) 60)
1892-25. Juli 1934), österreichischer Politiker, wurde als Bundeskanzler von Nationalsozialisten ermordet, nachdem er mit der Verfassung vom 1. Mai 1934 die Grundlagen eines völligen Umbaus des Staats in autoritärer, ständischer und christlicher Richtung eingeleitet hatte. Friedrich Ebert (4. Feb. 1871-28. Feb. 1925), SPD-Politiker, Leiter des Rates der Volksbeauftragten und erster Reichspräsident der Weimarer Republik (1919—25). Philipp Scheidemann (26. Juli 1865-29. Nov. 1939), Sozialdemokrat und MdR, Volksbeauftragter, Reichskanzler (1919) und Oberbürgermeister von Kassel (1920—25). RGBl. 1918, S. 1303; zum Vorgang vgl. Ernst R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914—1919. Stuttgart u. a. 1978, S. 732 ff. Gesetz über die Landtagswahlen, das Vorschlagsrecht und die Volksabstimmung vom 29. Juli 1920, in: Walter Jellinek: Die deutschen Landtagswahlgesetze nebst Gesetzestexten zum Wahlrecht des Reichs, Danzigs, Österreichs und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Berlin 1926, S. 15 ff.
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auf Landeslisten verrechnet, wobei auf je 10 000 Stimmen und auf einen Rest mehr als 7500 Stimmen ein Sitz entfiel. Bei starker Wahlbeteiligung wurde der Landtag groß, bei schwacher klein. Ob es sich hierbei um eine originale Erfindung des sozialdemokratischen Abg. Dr. Dietz61) handelt, oder ob ihm eine dieses System vorschlagende, in der Literatur erwähnte Schrift eines Schweizers (Bürkli, 1874)62) bekannt war, vermag ich nicht zu sagen63). Auf diesen Grundsätzen ist dann das Reichtagswahlrecht aufgebaut worden. Wie war die Situation im Reich? Der erste Schritt zum Proportionalwahlrecht ist noch im Kriege getan worden, nämlich in jenem Gesetz im August 1918, in welchem man, ohne daß es noch zum Zuge gekommen wäre, einen den Grundsatz der Gleichheit verletzenden Mißstand des bisherigen deutschen Wahlrechts von
beseitigt hat64). Im Wahlgesetz
war vorgesehen, daß auf 100 000 Einwohner ein Abgeordneter kommen solle und daß die Wahlkreise von Zeit zu Zeit richtigzustellen seien. Das hat man aus Angst vor dem Anwachsen der Sozialdemokratie unterlassen. Das Ergebnis war schließlich, daß es im Jahre 1912 ein gutes Dutzend kleinstädtischer und agrarischer Wahlkreise gab mit weit weniger als 100 000 Einwohnern, andererseits ein gutes Dutzend von großstädtischen und industriellen Wahlkreisen, in denen bei einer viel größeren Einwohnerzahl auch nur ein Abgeordneter zu wählen war. So hatten Wahlkreise von mehr als 400 000 Einwohnern, Charlottenburg mit 1,2 Millionen Einwohnern, auch nur je einen Abgeordneten. Jetzt wurde bestimmt, daß diese großen Wahlkreise eine Liste von vier bis zwölf Abgeordneten nach einem Verhältnissystem zu wählen hätten. Die Reichsregierung hatte dabei vorgeschlagen, daß der Wähler zwar nur eine feste und gebundene Liste wählen könne, daß er aber mit seiner einen Stimme in Deutschland hat der Wähler immer nur eine Stimme, und nicht wie in der Schweiz mehrere bezeichnen könne, welchem der Bewerber auf der Li—
—
' ) Der SPD-Politiker Eduard Dietz (1. Nov. seiner Partei in eine Kommission
1866-17. Dez. 1940)
war
im November 1918
von
Ausarbeitung einer neuen badischen Verfassung entsandt worden und hatte maßgeblichen Anteil an ihrer Formulierung. !) Eine entsprechende Schrift Biirklis konnte nicht ermittelt werden. Möglicherweise zielt Thoma aber auf die Veröffentlichung von Karl Bürkli aus dem Jahre 1891 ab: „Meine zur
Proporz-Rede vor dem Zürcher Kantonsrath (15. September 1891). Eine Rede über die Proportionalvertretung, wie die Sozialdemokraten sie wollen, Zürich 1891". Thomas Hinweis auf Bürkli wirkt in der unkorrigierten Vorlage noch etwas vager: „Aber ob das wirklich seine [Dietz' d. Bearb.] Erfindung war, davon bin ich in den letzten Tagen zweifelhaft geworden, denn ich habe in der Literatur gefunden, daß schon ein Mann aus der Schweiz namens Bürkli im Jahre 1874 das automatische System erfunden und vorgeschlagen hatte." ;) Folgt gestrichen: „Außerdem hat man gefragt: was machen wir mit den Resten, die nun
übrig bleiben? Also nehmen wir an, auf 10 000 [Stimmen] entfalle ein Sitz. Nun hat eine
Partei nur 8000 Stimmen und erhält dafür keinen Sitz. Eine andere Partei hat 18 000 Stimmen und bekommt dafür einen Sitz und hat 8000 Reststimmen. Antwort: Die Reststimmen werden auf eine Landesliste verteilt, und da gibt es auf 10 000 Stimmen einen Sitz und außerdem auf einen letzten Rest von mehr als 7500 Stimmen. Das hat man ja dann im Reich verwendet." ) Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstags und die Einführung der Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen vom 24. August 1918 (RGBl. 1079). 17
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den
Vorzug geben wolle. Man nannte das die freie Stellenwahl. Die Reichstagsmehrheit hat das gestrichen. Sie hat schon im August 1918 die streng gebunde Liste eingeführt65). Dann kam die Wahl zur Nationalversammlung, und dann folgte das Reichswahlgesetz, welches die Proportionalität auf die Spitze getrieben hat66): 35 groste
er
ße Wahlkreise, in denen auf je 60 000 Stimmen ein Mandat entfiel. Die Reste werden in einem der 16 Wahlkreisverbände verrechnet, in dem wieder auf je 60 000 Stimmen ein Sitz kam. Stimmen, die dann noch übrigbleiben, werden schließlich auf einer Reichsliste verrechnet, so daß die Stimmen also dreifach ausgeschöpft werden. Das ist ein System, das natürlich das Aufkommen von Splitterparteien außerordentlich begünstigte und auch sonst viele Schattenseiten hatte. Allerdings war eine Kautele vorgesehen; das Reichswahlgesetz bestimmte nämlich, daß auf Reichsliste keine Partei mehr Stimmen bekommen könne, als sie im Lande draußen schon bekommen hat. Aber sehr genial war diese Bestimmung auch nicht. Denn warum sollte man eine Gruppe, die zufällig lokal massiert auftritt, aber vielleicht nur ein sehr primitives lokales Interesse vertritt und einen Sitz erhalten hat, gegenüber einer anderen Gruppe bevorzugen, die vielleicht sehr viel bedeutender und fruchtbarer ist, die aber über das ganze Reich verteilt ist, und es niemals in einem Wahlkreis zu einem Sitz gebracht hat, die aber ein paar 100 000 Stimmen gesammelt hat, die sie nun auf der Reichsliste nicht verwenden kann, weil sie keinen Wahlkreissitz bekommen hat. Natürlich stellt dieses Reichstagswahlrecht mit seiner übertriebenen Proportionalität in drei Stufen eine Einladung zu immer wachsender Parteienvielfältigkeit dar. Es hat die Parteienvielzahl nicht nur konserviert, sondern vermehrt. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung haben 19 Parteien um die Sitze konkurriert, von denen nicht alle Erfolg gehabt haben. Später sind es mehr geworden. Im Jahre 1928 waren es nicht weniger als 35 Parteien. Damit war der Höhepunkt allerdings erreicht. 1932 sind sie wieder auf 27 abgesunken, von denen mehr als ein Dutzend überhaupt keinen Sitz im Reichstag bekommen hat. Es ist zu vermuten, daß diese Verminderung der Zahl der Parteien sich fortgesetzt hätte, weil die Leute doch im Laufe der Zeit gemerkt hätten, daß allzu kleine Splitterparteien gar keine Aussicht hatten, zu einem Sitz zu kommen. Wie war es in den Ländern? In den Ländern hat die neue Erfindung des automatischen Systems nicht so gezündet, wie man hätte erwarten sollen. Nur fünf Länder haben das automatische System gehabt; Baden, wo es erfunden war, Preußen mit einer Verrechnung auf einer Landesliste, Thüringen, MecklenburgSchwerin und Oldenburg, aber mit einer eigentümlichen Modalität. In Thüringen und in Mecklenburg war man der Meinung, der Landtag dürfe nicht zu klein werden; wenn seine Zahlen wegen schlechter Wahlbeteiligung unter 6S) Siehe allgemein: Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 5, S. 472 ff. 6B) Reichstagswahlgesetz vom 27. April 1920 (RGBl. S. 627) mit Änderungen vom 24. Oktober 1922 (RGBl. S. 801) und 31. Dezember 1923 (RGBl. S. 40). Vgl. Alfred Milatz: Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik, Bonn 1965 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 66), S. 40 ff.; zu den Verhandlungen auf Herrenchiemsee siehe auch Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. Nr. 3, S. 127.
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soundso viel sinken, muß der Wahlquotient herabgesetzt werden. Oldenburg hat umgekehrt bestimmt: mehr als 48 Abgeordnete darf der Landtag nicht haben, und wenn es mehr werden würden, muß man den Wahlquotienten erhöhen. Acht Länder haben das d'Hondt'sche System übernommen, und zwar ohne Reststimmenverrechnung; vor allem waren das Hessen, Braunschweig und
Hamburg67).
Sehr interessant war das System, welches in Württemberg und in Bayern eingerichtet war, die aber beide die Mißbilligung des Staatsgerichtshofes gefunden haben68). Man kann unter Übernahme eines von mir geprägten Ausdrucks von einer zweigleisigen Wahl sprechen. Der Wähler wählt eine Liste in seinem Wahlkreis; er wählt aber außerdem, also auf einem zweiten Gleis, gleichzeitig oder in Württemberg in einem anderen Wahltermin auch Abgeordnete auf einer Landesliste. Hier werden also nicht die Reststimmen verwertet, sondern die Korrektur erfolgt durch eine Landesliste. In Bayern wurden in fünf Bezirken die Reststimmen noch verwertet. Es wurde also ausgerechnet, die und die Parteien bekommen noch soundso viele Sitze und die sollen einfach von den Wahlkommissionen der betreffenden Parteien besetzt werden. Das war nun freilich nicht mehr unmittelbar. Das hat der Staatsgerichtshof beanstandet. Und in Württemberg hat er gewisse Maßregeln gegen die Splitterparteien als gegen die Gleichheit verstoßend beanstandet. Sachsen hatte das verbesserte Hare'sche System mit Reststimmenverwertung auf Landeslisten. Nach dem zweiten Weltkrieg sind nun die meisten Länder wieder zu einem zum Teil ganz einfachen d'Hondt'schen Wahlsystem übergegangen, während die Länder der britischen Zone unter dem Einfluß der britischen Besatzung ein kombiniertes System haben: Mehrheitswahlrecht ergänzt durch proportionale Sitzverteilung mittels einer sogenannten Reserveliste. Darauf brauche ich aber nicht einzugehen. Ihnen liegt ja die sehr genaue Denkschrift vor, die ich mit Interesse studiert habe, in der das gegenwärtige Wahlrecht in den deutschen Ländern genau beschrieben ist69). Ich wende mich daher jetzt einer Würdigung der beiden gegensätzlichen Systeme zu. „Majorz" und „Proporz" —
—
—
—
67) Folgt gestrichen: „[. .], die ein einfaches System hatten, und Bremen, Mecklenburg-Strelitz und Lippe und noch zwei kleine Länder, die ein ungefähr ebenbürtiges System aber .
mit
Reststimmenverwertung auf Landesliste hatten".
68) Hinsichtlich des bayerischen Landeswahlgesetzes hatte der bayerische Staatsgerichtshof entschieden, der in „der Einrichtung der sog. .Landesabgeordneten' (die nach Abschluß
der Wahl von den Vertrauensmännern der Parteien aus der Zahl der ungewählt gebliebenen Wahlbewerbern genannt wurden) einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl" sah (Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Berlin "1933, S. 133). Das württembergische Landeswahlgesetz wurde dagegen vom Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich behandelt, das am 22. März 1929 i. S. der Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung und der NSDAP, die den Grundsatz der Wahlgleichheit einklagten, entschied (Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Reichsverfassung, hrsg. von Hans-Heinrich Lammers/Walter Simons, Bd. 2, Nr. 12, Berlin 1930, S. 136 ff.). 69) Siehe oben Anm. 14. 19
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Überall in den deutschen Ländern,
wo mit dem Proportionalwahlrecht zugleich parlamentarische Regierungssystem verknüpft ist, hat die Parteienzersplitterung sich befestigt, und es haben viele Regierungskrisen stattgefunden, die die Demokratie in Mißkredit gebracht haben, zumal ihre Feinde, Faschisten oder Kommunisten, dem Vorschub geleistet haben. Jetzt, nach dem zweiten Weltkrieg, hat sich die öffentliche Meinung, die früher begeistert für das Proportionalwahlrecht eingetreten war, mit beinahe ebensolcher Entschiedenheit dagegen ausgesprochen70). In Deutschland und außerhalb Deutschlands wurde er-
das
klärt: wir müssen zurück
zur
Mehrheitswahl.
[Id. Argumente für das Mehrheitswahlrecht] Die
Anhänger
der Mehrheitswahl führen für diese zwei
Argumente
an.
Sie
sa-
gen zunächst, das Verhältniswahlsystem habe die Beziehungen zwischen den
Wählern und den zu Wählenden gestört, es habe sie einander entfremdet. Die Liste werde von den Parteivorständen und den Parteisekretären hinter verschlossenen Türen aufgestellt, mit Interessenten und Verbänden würde ein unerträglicher Kuhhandel getrieben. Ich erinnere mich an eine Sitzung im Landesvorstand der DDP71) in Baden, in der ein Vertreter eines gewissen Beamtenverbandes für sich kategorisch einen „bombensicheren" Platz auf der Landesliste forderte, da seine Verbandsmitglieder andernfalls nicht demokratisch wählen würden. In diesem Falle konnte das Verlangen allerdings abgeschlagen werden mit dem Hinweis, daß der Verband mit gleichartigen Wünschen und DroDas ist ein Beispiel, wie hungen auch an andere Parteien herangetreten sei. in ganz unsachlicher Weise sichere Plätze gefordert werden. Der Wähler hat dazu nichts zu sagen, weil er auf die Rangordnung der Listen überhaupt keinen Einfluß hat. Es entsteht ein Einfluß von Geldgebern, den man nicht öffentlich kontrollieren kann. Das ist einer der Vorwürfe. Und ganz allgemein wird behauptet, es würden bei der Listenwahl ungeeignete Personen ausgelesen. Max Weber hat einmal gesagt: Wenn ihr bei dieser Proportionalität bleibt, bekommt ihr ein Banausen-Parlament72). Die Anhänger der Mehrheitswahl meinen, das —
70) Tatsächlich sprach sich die öffentliche Meinung in Deutschland grundsätzlich zugunsten
eines Wahlsystems auf der Basis des Mehrheitswahlrechts aus. Noch am 6. April 1949 zu einer Zeit also, als der Pari. Rat längst das modifizierte Verhältniswahlrecht beschlossen hatte veröffentlichte die Hamburger Allgemeine eine Meinungsumfrage, wonach sich 33% der Befragten für das Mehrheitswahlsystem aussprachen gegenüber 27%, die das Verhältniswahlsystem bevorzugten. Noch deutlicher zeigte sich die Vorliebe der Bevölkerung für das Mehrheitswahlsystem in einer Umfrage vom Januar 1953. Danach sprachen sich 37% der Befragten für das Mehrheitssystem aus, nur 24% bevorzugten das —
—
Verhältniswahlsystem (Jahrbuch
der öffentlichen Meinung 1947—55, hrsg. v. Elisabeth Noëlle und Erich Peter Neumann, Allensbach 31975, S. 178). Zum Aspekt der öffentlichen Meinung siehe auch unten Anm. 120. Deutsche Demokratische Partei (1918-1933), seit 1930 Deutsche Staatspar71) Die DDP tei. Max Weber (21. -
72)
April 1864—14. Juni 1920), Sozialökonom und Soziologe. Wörtlich schrieb Weber: „Ein nach dem Verhältniswahlrecht gewähltes Parlament wird [. .] eine Körperschaft werden, innerhalb derer solche Persönlichkeiten, denen die nationale Poli.
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werde bei einer Mehrheitswahl anders werden. Die einzelnen Vertreter werden mit den Wählern unmittelbare Fühlung haben und die Macht der Partei werde gebrochen. Das Schlagwort heißt: Persönlichkeitswahl. Zum anderen wird gesagt, das Verhältniswahlrecht fördere die Parteienzersplitterung; wir hätten in den Parlamenten keine festgeschlossene Mehrheit, deswegen immer Regierungskrisen und die größten Schwierigkeiten, notwendige Gesetze durchzubringen. Man solle nach USA und England sehen, wo man das Zweiparteiensystem habe; da habe jeweils eine Partei die absolute Mehrheit, könne regieren und Gesetze und Finanzpläne machen. Und wenn die nächste Wahl sie stürze, dann stehe die Opposition schon bereit, an Stelle der abtretenden Regierungspartei die Regierung zu übernehmen. So funktioniere die Demokratie, und sie funktioniere deshalb, weil die Angelsachsen einfach das relative Mehrheitswahlrecht in Einzelwahlkreisen hätten und nicht das verfluchte Ver-
hältniswahlrecht73) Man wird, ehe
.
diesen, die Rückkehr zur Mehrheitswahl fordernden Argumenten Stellung nimmt, mehrere Vorfragen zu beantworten und Vorerwägungen anzustellen haben, und meine Aufgabe kann es nur sein, auf diese Prämissen
der
zu
man zu
treffenden politischen
Entscheidung
[le. Vor- und Nachteile beider
hinzuweisen.
Wahlsysteme]
Zunächst wird man einmal fragen müssen: Harmonieren denn diese zwei Postulate miteinander, oder stehen sie nicht in einem gewissen Widerspruch? Das Zweiparteiensystem setzt eine sehr straffe Parteidisziplin voraus, und es ist keine Rede davon, daß irgendein noch so angesehener Kandidat von der Parteimaschine unterstützt wird, wenn er sich nicht der Partei verschreibt und verpflichtet. In der Regel hat ein Kandidat keine Aussicht, gewählt zu werden, wenn er nicht von der einen der beiden Parteimaschinen unterstützt wird. Und in der Regel verlangt die Partei von ihrem Kandidaten einen sogenannten „pledge"74), d. h. einen in die Hand des Parteivorstands zu legenden unterschriebenen Mandatsverzicht mit offenem Datum. Durch diese dem Zweiparteiensystem eigentümliche Parteihörigkeit wird die dem Mehrheitswahlrecht im Einerwahlkreis nachgerühmte Tendenz der Gewinnung eigenständiger Persönlichkeiten zwar nicht ausgelöscht, aber stark beeinträchtigt. Also die beiden Ideale, Persönlichkeiten in einer gewissen Freiheit von der Parteimaschine, und die Tendenz zum Zweiparteiensystem stehen nicht in voller Harmonie. Man wird sich entscheiden müssen, welches man für das prävalentere hält. Und man wird sich weiter fragen müssen, ob das Ideal unter den tik .Hekuba' ist [. .], die vielmehr unter einem .imperativen' Mandat von ökonomischen Interessenten handeln, den Ton angeben: ein Banausenparlament unfähig, in irgendeinem Sinne eine Auslesestätte politischer Führer darzustellen" aus: Der Reichspräsident, in: Berliner Börsenzeitung vom 25. Feb. 1919, abgedruckt in: Max Weber: Gesammelte Politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 51988, S. 499 f.). ') Folgt gestrichen: „Man wird also noch allerlei prüfen müssen. Ich habe ja nicht die Aufgabe, meine Meinung zu sagen, sondern die Theorien auseinanderzusetzen." .
—
')
Engl.: Wahlversprechen.
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deutschen Verhältnissen überhaupt erreichbar ist. Darüber kann man verschiedener Meinung sein. Man kann sagen, in kleineren Verhältnissen möge die Lösung von der Parteigewalt möglich sein. Aber in den doch immer großen Verhältnissen einer Reichstagswahl kann niemand eine Kandidatur und Agitation laufen lassen, die doch mit Kosten verbunden ist, wenn er nicht die Unterstützung einer organisierten Parteimaschine hinter sich hat75), im Gegensatz zu den organisierten Parteien, die ihre Kandidaten aufstellen und den Wahlfeldzug mit allem, was dazu gehört, finanzieren, weil es da ein einzelner Außenseiter oder eine „Persönlichkeit", die der Parteibürokratie minder genehm ist, sehr schwer habe. Aber man kann auch sagen: Wartet das erst ab, es wird schon gelingen, wir werden doch eine bessere, aristokratischere Auslese bekommen, als Ihr glaubt. Ich bin sehr skeptisch, ob sich auf der Ebene der Reichstagswahl diese Hoffnung erfüllen wird. Noch viel skeptischer kann man gegenüber der Frage sein, ob ein Mehrheitswahlrecht nun nicht nur die Splitterparteien, sondern auch die kleineren und mittleren Parteien so entmutigen würde, daß sie das Rennen aufgeben und ihren Anhängern empfehlen, die eine oder andere der zwei großen Parteien zu etwa so: im ersten wählen. Kommt es durch Einführung der Mehrheitswahl Wahlgang absolute, im zweiten Wahlgang, falls es erforderlich wird, relative Mehrheit, wirklich dahin, daß die Wählermassen den beiden Großparteien zuströmen und die anderen Parteien nur noch in einer unbeträchtlich kleinen Zahl von Wahlkreisen Mandate erobern, dann werden wir zum Zweiparteiensystem kommen mit seinen Vorzügen, denen allerdings auch gewisse große Nachteile gegenüberstehen, auf die ich aber nicht eingehen will. Aber, meine Herren, man muß in erster Linie fragen, ob sich diese Hoffnungen wirklich erfüllen werden. Die Angelsachsen haben das Zweiparteiensystem doch nicht, weil sie das relative Wahlrecht haben, sondern sie können das relative Wahlrecht ertragen, weil sie das Zweiparteiensystem haben, und auf dem europäischen Kontinent hat die geschichtliche Entwicklung und der größere Reichtum der Gestaltung nun einmal zu einem Vielparteiensystem geführt. Und wenn man es jetzt gewissermaßen wieder in die Zwangsjacke sperrt, wird sich ergeben, was sich in Deutschland, in Frankreich, in Holland, in Italien jahrzehntelang im Mehrheitswahlrecht ergeben hat: diese Nationen tendieren nicht auf das Zweiparteiensystem. In diesen Ländern haben wir auch mit dem Mehrheitswahlrecht ein sehr bunt zusammengesetztes Parlament bekommen. Auch in den Reichstagen des Mehrheitswahlrechtes hat es meist sieben und mehr verschiedene Fraktionen und daneben mehrere Fraktionssplitter gegeben. Dieser Pluralismus war nicht erst eine Folge des Verhältniswahlrechts. Sehr viele wertvolle Bestrebungen bei uns in Deutschland würden wahrscheinlich politisch heimatlos werden, wenn sie nur die eine oder andere von zwei, ihren Grundanschauungen nicht entsprechenden politischen Parteien wählen könnten. Es ist aber sehr fraglich, ob es überhaupt zu einem Zweiparteiensystem kommen würde, wenn in dem 46 Millionen umfassenden Westdeutschland in dem einen —
') Zu den Kosten einer Kandidatur siehe auch unten S. 230. 22
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geographischen Bezirk diese, in dem anderen jene Partei die Mehrheit hat. Es würde ein bunt zusammengesetztes Parlament entstehen, und die große Hoffnung, daß man durch den „Majorz" von den Koalitionen loskommen und jeweils eine die absolute Mehrheit besitzende Regierungspartei erzielen werde, würde doch vielleicht und sehr wahrscheinlich enttäuscht werden. Wenn aber mit der Persönlichkeitswahl doch nicht so sehr viel zu erreichen wäre, wenn man annimmt, daß wir in Deutschland doch nicht zu einem Zweiparteiensystem kommen, sondern uns immer mit Koalitionen begnügen müssen, dann ist es doch sehr die Frage, ob man dann die offensichtlichen Vorzüge des Verhältniswahlrechts preisgeben soll. Ich glaube, man muß noch etwas anderes prüfen. Wenn es nur darauf ankommt, daß wir von den ewigen Regierungskrisen loskommen, dann gibt es noch ein anderes Mittel, das jetzt auch erwogen wird; das besteht darin, daß man das Mißtrauensvotum veredelt, so daß es nur noch gilt, wenn die Opposition auch schon einen neuen Bundeskanzler präsentieren kann; der bereit ist, das Amt zu übernehmen; und so lange das nicht der Fall ist, ist das Mißtrauensvotum wirkungslos; oder indem man nach dem Vorbild der bayerischen Verfassung dem parlamentarischen Regierungssystem den Rücken dreht und sagt: Ein neugewählter Reichstag wählt auf die Dauer seiner Legislaturperiode den Bundeskanzler fest auf vier Jahre, bis ein neuer Reichstag einen Nachfolger wählen kann76). Dieser Bundeskanzler regiert dann. Natürlich kann er Schwierigkeiten bekommen, wenn er für ein wichtiges Gesetz keine Mehrheit bekommt. Aber das ist in jeder konstitutionellen Ordnung so; das kann sogar einem Koalitionskabinett der parlamentarischen Regierung zustoßen, ohne daß es deswegen immer notwendig zurücktreten müßte. Durch eine solche Abwendung vom hergebrachten parlamentarischen Regierangssystem und Hinwendung zum Institut der sogenannten konstanten Regierung (der man überdies ein Auflösungsrecht geben könnte und sollte), würde das wichtigste, von den Befürwortern des Mehrheitswahlrechts vorgebrachte Argument erheblich an Gewicht verlieren. Man könnte dann beim Verhältniswahlrecht verharren und die Aufgabe wäre nur, bei seiner Gestaltung die Mängel zu vermeiden, die es im Weimarer System gehabt hat, also das Übermaß von Proportionalität. Nur ein lebensfremder Doktrinär kann meinen, man müsse, wenn man sich einmal für die Verhältniswahl entschieden habe, dieses Prinzip nun mit der größten praktisch möglichen Folgerichtigkeit und mathematischen Genauigkeit durchführen. Worauf es politisch ankommt, ist doch nur ein gewisses, die Zufälligkeiten und Ungerechtigkeiten der Mehrheitswahlen ausschließendes Maß von Verhältnismäßigkeit bei der Zuteilung der Mandate. Man könnte es so machen, wie es bei der Wahl zur Nationalversammlung gemacht worden ist, aber vielleicht noch etwas enger begrenzt: große Reichstagswahlkreise, in denen durchschnittlich neun, wenigstens sechs, höchstens zwölf Abgeordnete zu wählen sind, und in denen die Sitze nach dem d'Hondt'schen System verteilt werden ohne Reststimmen76) Verfassung des Freistaates Bayern 100-1-5).
vom
2. Dezember 1946, Art. 44
Abs. 1 (BayRS
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auswertung und also ohne alles Herausrechnen der Stimmen über den Wahlkreis. So erreicht man erstens eine gewisse angemessene Proportionalität und zweitens ein sehr enges Sieb gegen unerwünschte Splitterparteien, das einen außerdem noch der häßlichen Notwendigkeit enthebt, ein sogenanntes Parteilimit zu beschließen, wonach eine Partei, die es nicht auf 5% oder, wie in Bayern, auf 10% der Stimmen gebracht hat77), keinen Sitz bekommt. Das Parteilimit verstößt gegen das Prinzip der Gleichheit. Aber es verstößt nicht gegen die Gleichheit, wenn man sagt: In diesem Wahlkreis sind neun Abgeordnete zu wählen. Dann hat von vornherein eine Gruppe, die nicht praktisch mindestens 12% aller Stimmen bekommt, keine Aussicht einen Sitz zu erobern; und wenn man gar auf eine Siebenerliste heruntergeht, sind es 15%. Also dieses Sieb gegen Splitterparteien, unter denen ich nicht kleine Parteien verstehe, sondern solche, die nur Splitter von politischen Absichten verfolgen, statt eine Gesamtidee der zu verfolgenden Politik zu haben, könnte man auf diese Weise schaffen. In bezug auf die Sitzeverteilung hat man die Wahl zwischen dem d'Hondt'schen System und dem automatischen System, bei welchem die Zahl der aus dem Wahlkreis hervorgehenden Abgeordneten von der Stärke der Wahlbeteiligung abhängt. Nur macht das automatische System es so sehr deutlich, wie viele Reststimmen man verliert, während es bei der d'Hondt'schen Verteilung nicht so deutlich wird. Die niemals rein lokalen legitimen Parteien echter Art kommen mindestens in einem Teil der Wahlbezirke zu ihren Sitzen, überflüssige Splitterparteien werden in der Regel entmutigt. Eine der schwersten Belastungen des Weimarer Systems war es, daß das Proportionalwahlrecht auch den beiden antidemokratischen Flügelparteien so große Chancen gegeben hat. Es gibt Beurteiler, welche sagen, Hitler wäre nie groß geworden, wenn man das Mehrheitswahlrecht gehabt hätte78). Daran ist etwas Richtiges. Das ist natürlich das Bedenken, ob, wenn wir beim Verhältniswahlrecht bleiben, nicht doch wieder einer nazistischen Gruppe einerseits oder der antidemokratischen Kommunisten-Partei Chancen erwachsen. Ich glaube aber, in diese Erwägungen muß man auch etwas von einer anderen Sphäre hineinmischen. Man kann auch da eine Barriere gegen solche Politiker, welche auf die Vernichtung der demokratischen Freiheiten oder auf eine Führung ihrer Politik mit der Methode der Gewalt ausgehen, aufrichten, indem man ihnen unter der Kontrolle des Bundesgerichtshofs die Wählbarkeit abspricht. Man will ferner solchen Parteien unter der Kontrolle des Bundesgerichtshofs das Recht, Kandidaten zu präsentieren, absprechen. Das ist also eine andere Methode, und sie würde das Verhältniswahlrecht von dieser Seite her unbedenklicher machen.
57 Abs. 3 des bayerischen Landeswahlgesetzes (Gesetz Nr. 45 betr. den Volksentscheid über die Bayerische Verfassung und die Wahl des Bayerischen Landtags vom 3. Okt. 1946 [GVOB1. Nr. 21, S. 309]). 7B) So etwa der Vorläufer der Deutschen Wählergesellschaft, die sog. „Aktionsgruppe Heidelberg", in ihrem „Aufruf gegen das Verhältniswahlrecht" vom 15. Dez. 1946 (Der Tagesspiegel vom 15. Dez. 1946; vgl. unten Dok. Nr. 9, Anm. 27).
77) Nach Art.
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Man hat endlich auch darauf hingewiesen, daß das Verhältniswahlrecht das einzige sei, bei dem Frauen eine Chance haben, in das Parlament zu kommen, während das Mehrheitswahlrecht ihnen nur eine ganz geringe Chance gäbe. Wenn jetzt also die Frage zur Entscheidung steht, ob man zum Mehrheitswahlrecht zurückkehren oder bei einem, wenn auch ermäßigten und mit Schutzkaute-
len zu
umgebenen Verhältniswahlrecht verharren soll, so liegt der Gedanke nahe, versuchen, die Vorzüge beider Systeme miteinander zu verbinden und ein
kombiniertes System zu schaffen. Praktisch gibt es dafür schon manche Beispiele. Ich will nicht von den Prämiensystemen reden, die es in gewissem Sinne in Frankreich gab, wo die stärkste Partei im Wahlkreis alle Sitze erhält, wenn sie mehr als 50% der Stimmen erhalten hatte, oder von dem System, das Mussolini79) erfunden und in den Jahren 1925—1930 angewendet hat, in dem er bestimmte: wenn eine Partei in dem großen Wahlkreis 25% aller Stimmen bekommt, erhält sie alle Sitze, und nur, wenn sie darunter bleibt, werden die Sitze proportional verteilt. Das Prämiensystem hat viele Bedenken gegen sich. Wenn man die ganze Wahl durchführt und der stärksten Partei soviel Abgeordnete dazugibt, daß sie 55% hat und dann die Regierung bildet, so sind das Praktiken, die von den anderen Parteien nur mit der größten Empörung aufgenommen werden und keine, auch keine modifizierte Nachahmung verdienen.
[lf. Kombination der Wahlsysteme] Nun ist schon im
Jahre 1924 vorgeschlagen worden und das ist sehr nahelieMehrheitswahl und Verhältniswahl in der Weise zu kombinieren, daß man einen Teil, z. B. die Hälfte, der Abgeordneten in Einerwahlkreisen wählen läßt, den andern Teil in Verhältniswahl auf Listen großer Wahlkreis verbände80). Das darf man dann aber nicht so machen, daß man die für einen Kandidaten abgegebene Stimme zugleich als eine für die Partei, zu der dieser Kandidat sich rechnet, abgegebene Stimme bewertet. Denn dann ist der Wähler nicht frei in der Wahl einer individuellen Persönlichkeit, sondern steht unter Umständen vor dem Dilemma, entweder seiner Partei untreu werden zu müssen, um die ihm sympathische Persönlichkeit wählen zu können, oder eine, ihm vielleicht widerwärtige Persönlichkeit wählen zu müssen, damit seine Stimme auf der Wahlkreisgruppenliste seiner Partei zugute kommt. Auf diese Weise würde man die Nachteile beider Systeme kombinieren. Man muß vielmehr, wenn man die beiden Systeme kombinieren will, den Wähler einladen, zwei Stimmen abzugeben: eine für einen Wahlkreiskandidaten und eine für eine Parteiliste.
gend
—
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79) Benito Mussolini (29. Juli 1883-28. April 1945), Führer des italienischen Faschismus, Diktator 1925-1945.
80) Zu den zahlreichen Wahlrechtsreformvorschlägen im Jahre
1924 siehe Eberhard Schanbacher: Parlamentarische Wahlen und Wahlsystem in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1982 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bd. 69), S. 118 ff., 129 ff. und 138.
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Ich habe diesen Weg in etwas anderem Sinne im Jahre 1925 vorgeschlagen81). Danach bekommt der Wahlzettel zwei Abteilungen: oben stehen die Kandidaten, die in diesem Wahlkreis konkurrieren; und unten stehen die Parteienlisten mit ihren Bezeichnungen: Liste der SPD, der CDU, der FDP usw. Der Wähler kreuzt einen der Kandidaten und eine der Listen an. Das ist also eine zweigleisige Wahl. Es wird erstens entschieden, wer der Vertreter dieses Wahlkreises ist, und zweitens, wieviel Stimmen die einzelnen Parteien bekommen. Und wenn man die Splitterparteien ausscheiden will, darf man die Landesliste nicht größer als 20—30 machen. So könnte man bei einer zweigleisigen Wahl einen Teil der Abgeordneten nach dem Mehrheitswahlrecht wählen, einen anderen Teil nach der Verhältniswahl der Parteienliste, was den Vorzug hat, daß den Parteien ihre führenden Staatsmänner nicht abgeschossen werden, indem sie in ihren Wahlkreisen verschwinden, weil sie auf alle Fälle an der Spitze der Landeslisten stehen und ihrer Sitze auf alle Fälle sicher sind. Denn man muß die Sache auch von der anderen Seite betrachten. Es besteht kein öffenüiches Interesse daran, daß die führenden Persönlichkeiten echter Parteien aus dem politischen Leben ausscheiden, da wir aus ihrer Zahl doch die Minister und führenden Staatsmänner gewinnen müssen. Meine Sympathie gehört dem ganz schlichten Verhältniswahlsystem ohne alle Zusätze mit nicht allzu großen, aber auch nicht allzu kleinen Wahlkreisen. Aber ich wollte ja nur einmal die verschiedenen Theorien und die Erwägungen, die sich da kreuzen, durchsprechen, wobei ich zugeben muß, daß es mir nicht gelungen ist, alle Gesichtspunkte, die hier zu erwägen sind, zur Sprache zu bringen. Ich habe ohnehin Ihre Geduld lange genug in Anspruch genommen und darf schließen.
(Lebhafter Beifall) [2. AUSSPRACHE] Vors. [Dr. Becker]: Ich darf wohl in Ihrer aller Namen sprechen, wenn ich Ihnen, Herr Professor, den herzlichsten Dank dafür ausspreche, daß Sie es verstanden haben, allein aus dem Gedächtnis und ohne Inanspruchnahme der Literatur ein so umfassendes Bild zu geben. Wenn wir nun diesen Vortrag diskutieren wollen, würde es wichtig sein, erst nachdem wir alle drei Referate gehört haben, die Diskussion vorzunehmen, weil sich sonst Wiederholungen nicht vermeiden lassen. Im Augenblick ist nur die Frage, ob wir noch ergänzende Fragen an Herrn Prof. Thoma stellen wol-
len. Dr. Kroll: Herr Professor, Sie sprachen davon, daß auch beim Mehrheitswahlrecht bis 1914 eine Vielzahl von Parteien im Reichstag gewesen ist. Könnten Sie uns nicht einen Überblick über die Zahl dieser Parteien geben? Die Reform des Reichstags, gen Wahl" siehe auch den Vorschlag Nr. 28, TOP 2).
81) R. Thoma:
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Heidelberg 1925. Zu dieser Form der „zweigleisiBiomeyers in der letzten Ausschußsitzung (Dok.
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Prof. Dr. Thoma: Da habe ich ein interessantes Schaubild von den Reichstagswahlen von 1871 bis 1910, das die Herren vielleicht einmal ansehen könnten. (Eine große Karte wird ausgebreitet.)
sieht, wie die Parteien in den einzelnen Wahlkreisen verteilt waren. 1912 wie ich ergänzend hinzufügen will Konservative, Reichspartei, Nationalliberale, Freisinnige Volkspartei, Freisinnige Vereinigung, Zentrum, Sozialdemokraten, Polen, Dänen, Weifen und Elsässer. Das waren elf verMan z. B.
waren es
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—
schiedene Parteien, und davon waren acht oder neun Fraktionen. Vors. [Dr. Becker]: Die Polen, Elsässer und Weifen waren regional zusammenhängend ansässig und konnten mit verhältnismäßig geringen Zahlen immerhin
eine ganze Anzahl Sitze bekommen. Prof. Dr. Thoma: Das schlechteste aller Systeme, das niemand will, ist das Dreiparteiensystem. Entweder eine Partei in der Mehrheit und die anderen in der Opposition; aber nicht beide ungefähr gleich stark und irgend eine kleine Gruppe, die durch ihr Ja oder Nein den Ausschlag gibt. Sondern wenn schon,
dann viele Parteien, fünf oder sieben, zwischen denen Nachbarschaften und wie es so lange Zeit in Preußen war: die Weimarer Koalition zwischen Demokraten, Sozialdemokraten und Zentrum82). Man kann wohl sagen, der Reichstag war auch unter dem Mehrheitswahlrecht sehr zersplittert. Die französische Kammer war es, und die italienische Kammer war es. Auf dem europäischen Kontinent läuft der politische Hase etwas anders als in England und den Vereinigten Staaten. Dr. Menzel: Es soll eine Berechnung von Prof. Jellinek83) bestehen, wonach bei einem reinen Mehrheitswahlrecht in den Reichstag Prof. Dr. Thoma: Süddeutsche Juristenzeitung 1946, Nr. I84). Sie können das ausrechnen. Die zehn Wahlkreise sind parteipolitisch so zusammengesetzt, daß die größte Partei unter dem Mehrheitswahlrecht unter Umständen schlechter fährt als unter dem Verhältniswahlrecht. Dr. Menzel: Nein! Ich meine: Es soll eine Berechnung von Jellinek bestehen, nach der Hitler beim Mehrheitswahlrecht schon eher zur Macht gekommen wäre. Prof. Dr. Thoma: Das ist mir nicht bekannt. Aber das Mehrheitswahlrecht hätte das Aufkommen der Nationalsozialisten nicht verhindert. Sie hätten nur eine andere Taktik einschlagen müssen, hätten andere Bündnisse eingehen müs-
Koalitionsmöglichkeiten bestehen,
.
.
.
sen.
Dr. Menzel: Eine zweite
Frage! Sie wiesen darauf hin, daß die Wähler von der des Panaschierens und Kumulierens keinen Gebrauch gemacht, sondern doch Parteien gewählt hätten. Beweist das nicht, daß der Deutsche doch mehr in Parteien denkt als in sogenannten Persönlichkeiten?
Möglichkeit
82) Die sog. staatsbejahenden Parteien SPD, fanden sich nach dem Ersten
Z und die Deutsche Demokratische Partei
(DDP)
Weltkrieg in der sogenannten Weimarer Koalition zusam-
men.
83) Walter Jellinek (12. Juli 1885-9. Juni 1955), Staatsrechtslehrer und Professor in Kiel (1911) und Heidelberg (1929-1939 und nach 1945). 84) Walter Jellinek: Wahlrecht und parlamentarische Mehrheit, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1 (1946), S. 11-13. 27
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Dr. Thoma: Je kleiner der Wahlbezirk ist, desto mehr sucht sich einer seine Leute zusammen; aber je größer der Wahlbezirk ist, desto mehr wird er sagen: ich halte mich zu meiner Gruppe. Dr. Heuss: Das Panaschieren und Kumulieren, das wir nach dem Wahlgesetz von 1906 im Jahre 1912 zum erstenmal in beiden großen Wahlkreisen durchgeführt haben85), hat die sehr komische Wirkung gehabt, daß nicht mehr die Parteien miteinan-
Prof.
der kämpfen, sondern innerhalb der Parteien der Kampf losgeht, wo der Postsekretär mit dem Schulmeister kämpft und ihre Listen machen. Das führt zu einer totalen Verschiebung. Man weiß ungefähr, wieviel man bekommt, und die ganze Intensität des Wahlkampfes ist ein interner Vorgang. Das Kumulieren und Panaschieren ist bei den großen Wahlkreisen nicht möglich gewesen. Ich wollte Herrn Prof. Dr. Thoma um folgendes bitten: Dabei will ich einmal den Advocatus diaboli machen. Beim Mehrheits- und Listenwahlsystem spielt hintergründig eine Frage eine Rolle, die nicht ohne Berechtigung aufgeworfen wird, die ich aber immer abgelehnt habe sehr wichtig zu nehmen, weil die Dinge politisch bei uns so liegen, daß sie nicht von Bedeutung ist: das Mehrheitssystem hat in den kleinen Wahlkreisen den Vorzug, daß es Nachwahlen gibt, die ein Barometer für die Entwicklung der politischen Meinung darstellen. Das ist etwas, was auch in die Erörterungen dieses Ausschusses mit einbezogen werden sollte88). Es fragt sich, ob das ein Vorzug ist. Ich wollte diese Frage nur zur Erörterung gestellt haben. Es ist eine wahnsinnige Überspitzung, aber es spielt bei der Erörterung eine Rolle, daß man durch Nachwahlen weiß, was sich im Volke abspielt, und sich darauf einstellen kann. Prof. Dr. Thoma: Die Nachwahlen waren in England von Wert, wo das Parlament auf sieben Jahre gewählt wurde und dann auf fünf Jahre87), und wo sich vor allem keine Wahlen zu Länderparlamenten dazwischen schoben. Bei uns dagegen wird man die Legislaturperiode auf vier Jahre, möglicherweise auf drei Jahre festsetzen, und in der Zwischenzeit hat man ja nun auch immer noch die politischen Wahlen zu den Länderparlamenten, in den Großstädten die Kommunalwahlen, und diese Wahlen dienen als das Barometer, während man natürlich in den großen Wahlbezirken wegen Ausfalls oder Tod eines Abgeordneten keine Neuwahlen machen wird, sondern den Nächsten auf der Liste nachrükken läßt. Ich glaube, das Bedürfnis eines politischen Barometers wird bei uns durch die Länder- und Kommunalwahlen einigermaßen erledigt. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe eine Frage, die nicht mit der Frage nach dem Mehrheits- oder Proportionalwahlrecht zusammenhängt, die wir aber gleichwohl bei der Frage nach dem direkten oder indirekten Wahlsystem wenigstens theoretisch zur Debatte stellen sollten. Ich habe zufällig aus dem Jahre 1932 einen 85) Heuss spielt hier ganz offensichtlich auf die Württembergische Verfassungsreform
von
allgemeiner, gleicher und unmittelbarer Wahl der Zweiten Kammer für die sechs Abgeordneten der Stadt Stuttgart und die 17 Abgeordneten der beiden Landeswahlkreise die Verhältniswahl eingeführt (Verfassungsgesetz vom 16. Juli 1906, in: Reg. Bl. für das Königreich Württemberg 1906, S. 161 ff.). 1906
an.
Hier wurde bei
88) Siehe unten Dok. Nr. 7. 87) Die Legislaturperiode wurde
in Großbritannien durch den Parliament Act höchstens sieben auf maximal fünf Jahre verkürzt.
28
von
1911
von
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Artikel „Rettung des Parlamentarischen Systems" gefunden00), wo ein ähnliches Sicherheitssystem wissenschaftlich vertreten wird. Würden sie so freundlich sein, sich zu der Frage zu äußern: direktes oder indirektes System oder ein modifiziertes Wahlmännersystem, wie es hier vorgeschlagen wird, nach dem praktisch nur die Wahlmänner gewählt werden, die nun ihrerseits die Abgeordneten
ernennen.
Prof. Dr. Thoma: Es ist
so: Wenn man in einem noch nicht politisch durchorganisierten Volk Wahlmänner wählen läßt, so ist der grundlegende Gedanke der, daß die Leute sagen: Gut, der Mann versteht etwas von der Politik und kennt die Politiker und ihre Absichten, ich will ihm meine Stimme geben, damit er den besten Abgeordneten aussuchen helfen kann. Aber heute ist das doch ganz unmöglich. Glauben Sie denn, daß in Amerika bei den Präsidentenwahlen ir-
elector seinetwegen gewählt wird? Vorher hat er hoch und heilig schwören müssen, den Herrn Truman oder Dewey oder den Herrn Wallace09) zu wählen, und dafür gibt ihm der betreffende Wähler seine Stimme, und es wäre eine Gemeinheit von dem elector, wenn er einem anderen seine Stimme geben würde, als dem, den er öffentlich benannt hat. Er ist ein reiner Briefträger geworden. Deswegen hat man auch im Jahre 1904 in Baden die Wahlmänner abgeschafft, weil man sich gesagt hat, daß das zu einer bloßen Farce geworden ist90). Niemand wählt einen Wahlmann, weil er sich sagt, der Mann habe ein besonderes politisches Urteil und verstehe es, einen Abgeordneten zu wählen; sondern er fragt: wen wirst du denn wählen, wenn wir dich zum Wahlmann machen? Und das Ganze wird in dem Augenblick hinfällig, in dem die Wählerschaft selbst politisiert ist und ihre politische Position bezogen hat.
gendein
88) Karl Pfister: Die Rettung des Parlamentarischen Systems. Die parlamentarische Demo-
verfassungsmäßig beschränkte Herrschaft der einfachen Mehrheit und deren Herausstellung durch ein neues Verfassungselement, den „Vertretertag", Tübingen 1932 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart Bd. 93). Der angesehene Wahltheoretiker Pfister, Richter am Oberlandesgericht in München und Mitglied der Deutschen Wählergesellschaft, schaltete sich nach seinem engagierten Auftreten in der Weimarer Republik auch in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland wieder in die öffentliche Wahlrechtsdiskussion ein. So entwarf er eine „Ideenskizze für ein Wahlgesetz zum Bayerischen Landtag mit der Personen-Mehrheits-Verhältniswahl ohne Wahlvorschläge" (Okt. 1948, HStA Düsseldorf RWN 124/65 Bl. 91-92) und richtete verschiedene Eingaben an den Wahlrechtsausschuß des Pari. Rates mit Vorschlägen für das neue Wahlgesetz (siehe unten Dok. Nr. 14, TOP 1 ; BA Z 5/119; siehe auch seine Schriften, mit denen er versuchte, die breitere Öffentlichkeit zu erreichen: K. Pfister: Das ungelöste Wahlproblem. Die Wahl der Regierung in der parlamentarischen Demokratie, München kratie als
1949; Die Dreierwahl, in: DÖV 4 (1951), S. 323 f.). 89) Diese Äußerungen sind vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Präsidentschafts-
sehen. Thomas E. Dewey (24. März 1902-16. März 1971), Anwalt und 1948 überraschend seinem republikanischen Konkurrenten. Er unterstützte schließlich aber die Containment-Politik Präsident Harry S. Trumans (8. Mai 1884-26. Dez. 1972, US-Präsident 1945-53). Henry Agard Wallace (7. Okt. 1888-18. Nov. 1965) hatte sich wegen seines Eintretens für ein Zusammengehen mit der UdSSR mit Truman überwürfen. Als Kandidat der Progressive Party gewann Wallace 1948 bei den Präsidentschaftswahlen 1,16 Mio. Wählerstimmen (2,4%). 90) Zur badischen Wahlrechtsreform siehe auch: Georg von Below: Das parlamentarische Wahlrecht in Deutschland, Berlin 1909, S. 88 ff. wahlen 1948
zu
Politiker, unterlag
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Dr. Kroll: Ich glaube, hier liegt ein Mißverständnis vor. Das direkte oder indirekte Wahlrecht steht nicht zur Diskussion. Der Parlamentarische Rat ist ein Beispiel für das indirekte91) Wahlrecht92). Die Landtage, die die Abgeordneten zum Parlamentarischen Rat ausgewählt haben, haben ursprünglich nicht die Aufgabe gehabt, eine Art verfassungsgebende Landesversammlung auf die Beine zu stellen. Man mag über den Parlamentarischen Rat denken, wie man will; das allgemeine Urteil geht dahin, daß die Auslese nicht schlecht ist, das heißt, daß die Art und Weise, wie die einzelnen Persönlichkeiten auf dem Weg über den Landtag ausgewählt wurden, vermutlich ein durchschnittlich höheres Niveau ergeben hat, als es möglicherweise heute bei allgemeinen Wahlen zu einer Nationalversammlung hervorgetreten wäre. Der Grundgedanke des indirekten Wahlrechts ist an sich nicht diskutierbar im Sinne des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts, weil indirekt nicht direkt ist, und weil es somit den uns aufgetragenen Grundsätzen hier wider-
sprechen würde93). Der Grundgedanke
des indirekten Wahlrechts geht davon aus, daß die allgemeinen Volkswahlen, also die Massenwahlen so aufgebaut sein müssen, daß der Wähler nicht überfragt wird. Es ist ja heute eine weitgehende Krise zu spüren. Man sagt: Wenn man heute dem Volk eine Verfassung zur Abstimmung vorlegt, so ist das eine Farce, denn niemand in der breiten Masse hat ein eigenes Urteil über den Entwurf, sondern er verläßt sich völlig auf das Urteil der Parteien. In vielen Abstimmungen und Wahlen wird der Wähler überfragt, und dieses Überfragtsein ist in der ganzen Theorie des Wählens nicht berücksichtigt. Man stellt immer Fiktionen vom „politischen Staatsbürger" auf und meint, daß der Massenwähler in der Lage sei, die Dinge, über die er in der Wahl entscheiden soll, auch wirklich zu beurteilen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß das nicht der Fall ist, sondern wir haben die Grundstruktur des überfragten Wählers vor uns. Daraus resultiert die Demagogie in der Propaganda. Das sind sehr gefährliche Erscheinungen, mit denen man sich auseinandersetzen muß, und zwar auch in diesem Parlamentarischen Rat. Was kann der Wähler eigentlich beurteilen? Das ist die Frage, von der aus man die Dinge anpacken muß. Und wenn wir ehrlich sind, kann die Antwort nur lauten: Er kann die Persönlichkeiten seines engsten Umkreises gerade noch beurteilen. Wir werden z. B. in einer dörflichen Gemeinde selten eine Fehlwahl des Bürgermeisters erleben, weil zum Bürgermeister meistens und in der Regel die Persönlichkeit gewählt wird, die die größte Achtung genießt. Ähnlich verhält es sich mit den Gemeinderäten. In diesem Rahmen ist eine Beurteilung möglich. Der Gedanke der indirekten Wahl baut sich so auf, daß man
91) Handschriftlich korrigiert aus: „heutige". 92) Zur Wahl des Pari. Rates siehe auch oben Abschnitt 1 a der Einleitung. 93) Folgt gestrichen: „Ich bin der Meinung, daß man diesen Gedanken wie auch den, wie selbst der Parlamentarische Rat zustande gekommen ist, oder die Frage der Auslese nicht diskutieren sollte. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man sich grundsätzlich den Kopf über Dinge zerbricht, die man für nicht ganz verkehrt hält." 30
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sagt, man läßt Wahlen nur als Urwahlen in den Gemeinden und Städten zu und baut alle übrigen Wahlen auf diesen einmal aus Massenwahlen hervorgegangenen Wahlkörpern auf; man baut also die Kreistagswahlen auf den Gemeindewahlen auf usw., in dieser Stufenfolge nach oben, wie die Wahlen zum Parlamentarischen Rat ein solches Glied in der Kette gewesen wären. Ich will dieses System nicht propagieren. Wir haben es nicht damit zu tun, uns nun dafür einzusetzen oder es zu überlegen. Aber ich bin der Meinung, daß man das Problem des überfragten Wählers, wie die Möglichkeit einer Verbesserung der Auslese in der Demokratie sehr ernsthaft überlegen müßte, denn ich glaube, daß das Problem der Auslese eines der schwierigsten und bedeutungsvollsten ist, daß wir es uns aber nicht leisten können, Persönlichkeiten wie Max Weber und andere bedeutende Leute, die wirklich etwas zu sagen haben, einfach dadurch nicht zum Zuge kommen zu lassen, daß die Demokratie den Typ des Demagogen züchtet, aber nicht den Typ des Politikers, der auch etwas zu sagen hat. Vors. [Dr. Becker]: Auf unsere Arbeit angewendet, würde das die Vorfrage gewesen sein. Ehe wir die Frage der Mehrheits- oder der Verhältniswahl erörtert hätten, wäre die Frage zu stellen gewesen, ob wir uns mit der Frage befassen sollen, daß der Bundestag, also das Unterhaus, durch die Länderparlamente gewählt wird, und ob die Länderparlamente selber sich wieder auf den Gemeinden, Kreisen usw. aufbauen sollen. Die zweite Frage wäre, wenn wir nun zum Senatorialsystem kommen, ob diese Senatoren nun auch indirekt gewählt werden sollen. Ich glaube, daß hier die Frage der indirekten Wahl schon klarer in Erscheinung tritt. Man kann also durchaus die Frage aufwerfen, ob entsprechend dem früheren französischen Senatorensystem bei uns die Kreistage oder Bezirkstage diese Wahlen vorzunehmen hätten. Da wird die Frage schon praktischer. Vielleicht, Herr Professor, haben Sie dazu etwas zu sagen. Prof. Dr. Thoma: Dieses System könnte man als Stufenwahl bezeichnen. So war es auch in der ersten Verfassung der Sowjet-Union94), nach der der unterste Wähler nur seine Gemeindeobrigkeit wählt, und die wählt dann die Kreis- oder Provinzobrigkeit, und erst diese wählt die Mitglieder zum Parlament. Das ist eine stufenförmige Wahl. Inwieweit das mit den Grundsätzen der Demokratie vereinbar ist, müßte geprüft werden, aber selbstverständlich ist es durchaus denkbar. Denn der Urwähler kann auch nur in seinem kleineren Kreise die ihm vertrauenswürdig erscheinenden Politiker wählen, welche seinen Kreis oder seine Gemeinde zu vertreten haben; und diese in den öffentlichen Angelegenheiten besser bewanderten und ihrerseits demokratisch gewählten Persönlichkeiten sollen uns dann die Parlamentarier für unser Bundesparlament aussuchen. Daran hatte ich nicht gedacht. Ich würde das als stufenförmige Organisation bezeichnen, nicht als mittelbare Wahl, obwohl es eine mittelbare, und keine unmittelbare Wahl ist.
erste Verfassung der Sowjetunion wurde im 1936 (Braunias, Wahlrecht Bd. 1, S. 526 ff.).
94) Die
Jahr
1924 verabschiedet und
galt bis 31
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Heiland: Hier ist ein ganz neuartiger Gedanke aufgeworfen worden, den wir in Form klären müssen. Wir werden uns darüber klar werden müssen, daß er schon in einigen Jahrzehnten überholt sein wird und daß wir mit der indirekten Wahl in die Irre gehen. Es ist eine kleine Übertreibung, wenn man sagt, daß die Qualität des Parlamentarischen Rats deswegen so gut sei, weil er durch indirekte Wahlen zustande gekommen ist. Wir wollen über die Qualität des Parlamentarischen Rats erst dann etwas sagen, wenn er seine Arbeit geleistet hat. Außerdem haben wir uns noch zu wenig kennengelernt, als daß wir über die gegenseitigen Qualitäten etwas aussagen könnten. Außerdem möchte ich bezweifeln, ob die Qualität eines so kleinen Gremiums schlechter wäre, wenn es in direkter Wahl gewählt worden wäre. Ich könnte mir vorstellen, daß die Parteien, wenn sie ein so kleines Gremium in direkter Wahl hätten zusammenstellen sollen, —. Vors. [Dr. Becker]: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche! Diskutieren wollen wir nach den Referaten, also morgen. Darf ich fragen, ob noch jemand eine Frage stellen will? Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann danke ich Ihnen, Herr Professor Thoma, nochmals verbindlichst.
irgendeiner
—
[3. ZUR VERFAHRENSWEISE DES WAHLRECHTSAUSSCHUSSES]
Bevor wir jetzt Herrn Dr. Kroll über das Mehrheitswahlrecht referieren hören, müssen wir uns über die Methodik klar werden. Da ist zunächst einmal die Abgrenzung unserer Aufgabe. Wir haben unserer Ansicht nach das Wahlrecht zu schaffen, nach dem der erste Bundestag zu wählen ist95). Es kann sein, daß dieses Gesetz, das wir jetzt schaffen, nach dem Gesetz der Trägheit das bleibende sein wird96). Es wird also unsere Aufgabe sein, etwas Gediegenes zu schaffen. Dazu gehört nicht nur das Gesetz, sondern auch etwas, was zum Teil schon in die Exekutive hineingehört, nämlich die Abgrenzung der Wahlbezirke, die schwierig sein wird, je nachdem, ob wir uns für das Mehrheits- oder für das Verhältniswahlsystem entscheiden. Zweitens gehört dazu die Wahlordnung und drittens die Wahlprüfung. Hinsichtlich dieser Punkte hatte ich Ihnen einige Anregungen geben wollen. Ich bitte, mich und Herrn Dr. Diederichs zu ermächtigen, in folgender Richtung zu verfahren: daß wir uns heute schon an die einzelnen Länderregierungen wenden mit der Bitte, uns Karten der Länder mit der genauen Einzeichnung der Kreise zuzusenden und weiterhin das Ergebnis der Volkszählung der einzelnen Kreise, so daß wir gleich die Einwohnerzahlen eintragen können, und daß wir das Material in ca. zehn Tagen hier haben97). Die zweite Frage würde das Wahlprüfungsverfahren betreffen. Auch das Wahlprüfungsverfahren wird an sich in der Verfassung für die Dauer geregelt. Aber
95) Zur Kompetenzfrage siehe oben Abschnitt 96) Vgl. oben Einleitung, Anm. 105. 97) Siehe unten S. 218. 32
1
a
der
Einleitung.
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für das erste Gesetz müssen wir eine Wahlprüfung schaffen. Mir schwebt vor, ein Wahlprüfungsgericht eines Landes zu nehmen. Ich dachte dabei an Hessen, weil es in der Mitte liegt, mit dem Sitz in Frankfurt am Main, und daß wir die Wahlprüfung nehmen, die wir in Hessen haben, etwa mit der Modifikation, daß wir den Präsidenten des hessischen Oberverwaltungsgerichts und den Präsidenten des hessischen Oberlandesgerichts und deren Stellvertreter hineinnehmen, und dazu sechs Abgeordnete des neuen Bundestags, in der Form, daß immer zwei Juristen und drei Abgeordnete zusammen die Wahlprüfung vornehmen würden. Dr. von Brentano: Ich bin völlig einverstanden. Es könnte nur eine Schwierigkeit vorhanden sein. Die Wahlkreiseinteilung wird nämlich letztlich von dem Wahlsystem abhängen, für das wir uns entscheiden. Ich halte es für gut und richtig, wenn wir auf jeden Fall schon die betreffenden Karten anfordern, damit wir einen Überblick haben. Ich würde es auch für gut halten, wenn wir uns vielleicht hier schon einmal zum mindesten vorbehaltlich späterer Entklar werden darüber könnten, wie groß wir uns dieses westdeutscheidung sche Parlament denken. Denn die Landeswahlleiter müssen doch in der Lage sein, sich über die Wahlkreisgeometrie und -arithmetik Gedanken zu machen. Ohne das wird es doch nicht gehen. Angenommen, wir würden uns jetzt schon auf 450 Abgeordnete einigen, dann würde das bedeuten, daß auf je 100 000 Einwohner ein Abgeordneter kommt. Und dann wäre es die Aufgabe des Landeswahlleiters, uns einen Vorschlag für die Einteilung der einzelnen Länder in Wahlkreise zu machen. Vors. [Dr. Becker]: Das hatte ich anschließend ebenfalls vorschlagen wollen, daß uns die Landesregierung mitteilen möge, wie ihre Vorschläge bei Wahlbezirken von 100 000, 150 000 und 200 000 Einwohnern lauten würden98). Denn wir müssen alle Möglichkeiten prüfen. Wir können uns auch für eine Kombination entscheiden. Sind Sie damit einverstanden? Dr. Katz: Ich möchte nur eine Vorfrage stellen. Sind die Abgeordneten hundertprozentig damit einverstanden, daß alles vom Bund oder vom Reich gemacht wird? Ich befürchte eine gewisse Empfindlichkeit der Länder, wenn alles vom Bund gemacht wird99). Vors. [Dr. Becker]: Wir würden im anderen Falle eine ungeheure Zeit verlie—
—
ren.
Dr. Katz: Ich persönlich hielte es für das Beste, wenn das geschähe. Aber ich bin mir nicht so klar darüber, ob die Abgeordneten hundertprozentig zustimmen.
Vors. [Dr. Becker]: Wenn wir die Länder so zur Mitarbeit heranziehen, daß wir nicht nur das Material, sondern auch Vorschläge von Ihnen erbitten, so glaube ich, daß nach der sachlichen Seite hin schlechterdings nichts einzuwenden wäre. Ich hatte nur vor, ehe wir diese Briefe herausgehen lassen, zunächst den
98) Siehe unten Dok. Nr. 6, Anm. 27. 99) Hinsichtlich des Spannungsverhältnisses zwischen Pari. Rat und Ländern im Zusammenhang mit dem Wahlrecht siehe auch die Einleitung (Abschnitt 2). 33
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Präsidenten des Parlaments100) über diese Dinge ins Bild zu setzen. Denn wenn der Parlamentarische Rat diese Sache auch in die Form einer Bitte kleidet, so ist es praktisch doch ein Ersuchen. Dr. von Brentano: Ich glaube, der Einfall ist richtig und gut. Es wird besser sein, daß wir diese Sache über die Ministerpräsidenten laufen lassen. Wir müssen schreiben, daß wir diese Vorfragen klären müssen und Anregungen von dort darüber erbitten, wie man sich diese Wahlkreiseinteilung vorstellt. Dr. Katz: Ich möchte auf die Schwierigkeiten hinweisen, die sich daraus ergeben. Man stelle sich vor, wie eine Landesregierung innerhalb einer so kurzen Frist irgend welches Material herbeischaffen soll! Es wird unendliche Diskussionen geben. Die Regierung und der Ministerpräsident können das nur machen, wenn sie sich vorher mit den bedeutendsten Parteien ihres Landtages usw. verständigt haben. Und ob diese ganze Prozedur zu einem brauchbaren Ergebnis führen wird, ist mir etwas zweifelhaft. Vors. [Dr. Becker]: Einen anderen Weg sehe ich nicht. Der Parlamentarische Rat braucht für seine Beschlüsse auch eine Art Exekutive, und wenn sie noch so klein ist. Die Exekutive sehe ich bei den Länderregierungen. Aber die Frage ist, inwieweit wir von der Exekutive etwa in Form von Ausführungsbestimmungen, aber nicht für jeden Fall verbindlich, Anregungen bekommen. Dr. Katz: Ich möchte zur Diskussion stellen, ob man nicht einfach sagen soll: Schleswig-Holstein bekommt soundsoviel, Bayern soundso viel usw., und daß man es dann den Ländern überläßt, das Weitere zu bestimmen. Vors. [Dr. Becker]: Das können wir nicht machen. Dr. von Brentano: Der Wahlmodus muß ja wohl einheitlich sein101). Das können wir nur dadurch erreichen, daß wir im Benehmen mit den Ländern die Wahlkreise einteilen. Die Länder müssen ja wissen, wie wir uns das vorstellen, wieviel Abgeordnete gewählt werden sollen usw. Je nach dem muß dann die Wahlkreiseinteilung vorgenommen werden. Wenn wir das nicht in die richtige Form kleiden, kommt es zu Mißverständnissen. Vors. [Dr. Becker]: Wir werden noch auf verschiedene Schwierigkeiten stoßen. Da ist zum Beispiel die Frage, wie bei Mehrheitswahlen eine Großstadt aufzuteilen ist: soll der Herr X in seinem Wohnbezirk kandidieren, in dem er eine gewisse Anziehungskraft hat, oder verteilt sich seine Anziehungskraft über die ganze Stadt? Die zweite methodische Frage ist folgende. Wir arbeiten hier nach keiner Vorlage102). Wenn wir jetzt Vorschläge machen, so ist das gewissermaßen die erste Lesung. Ich würde bitten, daß wir uns grundsätzlich darüber einig werden, wie die Dinge laufen sollen, ob Mehrheitswahl oder Verhältniswahl, und daß sich dann, wenn wir uns über das Grundsätzliche klar sind, die Berichterstatter evtl. mit dem Vorstand zusammensetzen und eine Sache ausarbeiten, die dann die Grundlage für die zweite entscheidende Lesung sein würde. Sind Sie mit dieser Form des Vorgehens einverstanden? Dann darf ich wohl annehmen, daß Sie es sind. —
10°) Konrad Adenauer. 101) Siehe oben Dok. Nr. 1, Anm. 5. 102) Vgl. oben Abschnitt 2 a der Einleitung. 34
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Drittens geht uns auch das Wahlrecht für die Abstimmung über diese Verfassung einschließlich dieses Wahlgesetzes etwas an, die ja doch nun vom deutschen Volk, aber länderweise, vorgenommen werden soll. Oder ist das Sache der Länderregierungen? Dr. Katz: Da liegt die Sache im internationalen Rahmen so, daß das nicht gere-
gelt ist, aber höchstwahrscheinlich dahin geregelt wird, daß diese Verfassung durch die Länderparlamente ratifiziert werden wird103). Vors. [Dr. Becker]: Nun soll noch eine Volksabstimmung stattfinden. Dr. Katz: Die wird höchstwahrscheinlich wegfallen.
Vors. [Dr. Becker]: Dann haben wir uns darum wohl nicht zu kümmern. Und das Letzte: Es wird zu fragen sein, daß, wenn die Frage des Charakters des Bundesrates ob Vertretung der Länderregierungen oder Senatorialverfassung geregelt ist, in diesem Ausschuß wir uns um die Frage des Wahlrechts zu kümmern haben. Es gibt ja auch da dieselbe Möglichkeit wie in der Schweiz, wo man es den Kantonen überläßt, die Art der Wahl zu bestimmen. Dr. Katz: Das gehört zum Organisationsrecht und nicht hierher104)! Vors. [Dr. Becker]: Ich meine nur für die erste Wahl, für die Wahl des ersten Bundesrates. Dr. Katz: Das brauchen wir hier nicht zu machen. —
—
[4. BERICHTIGUNG DES PROTOKOLLS DER 1. SITZUNG]
Geschäftsordnung weisen Dr. Diederichs und Dr. von Brentano darauf hin, daß in dem Kurzprotokoll der letzten Sitzung die Worte „in den künftigen Sitzungen" durch die Worte „in der künftigen Verfassung" ersetzt werden müßten, da die vorliegende Fassung falsch sei105). Vors. [Dr. Becker]: Die Abstimmungen [über das Wahlsystem] wollen wir vornehmen, wenn wir die Besprechungen zu Ende geführt haben. Ich möchte an alle Fraktionen die Bitte richten, sich demnächst über die Grundfragen schlüssig zu werden und uns hier im Ausschuß durch ihre Vertreter ihre vorläufige Meinung mitteilen zu lassen, damit wir in der Lage sind, einen Vorschlag zu fixieZur
ren.
Rat zu beschließende Grundgesetz von den Landtagen zu ratifizieren oder durch ein Referendum zu bestätigen war, beschäftigte die Abgeordneten des Pari. Rates noch bis zum Ende ihrer Beratung im Mai 1949. Noch am 6. Mai 1949 wurde der auch in der CDU/CSU umstrittene Antrag Brentanos bei der zweiten Lesung des Grundgesetzes, einen Volksentscheid bestimmen zu lassen, von der Mehrheit abgelehnt (Stenographische Berichte, S. 193). Die Alliierten hatten im ersten der Frankfurter Dokumente die Ratifizierung des Grundgesetzes durch ein Referendum in den einzelnen Ländern gefordert (Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 4, S. 32). Am 12. Mai 1949 genehmigten die Militärgouverneure das Grundgesetz und bestätigten die in Art. 144 Abs. 1 vorgesehene Ratifizierung durch die Landtage (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 34,
103) Die Frage, ob das vom Pari.
S. 423 ff.). 104) Siehe hierzu die 3., 4.,
97, 140 und 334). 105) Drucks. Nr. 42.
10. und 23.
Sitzung des Organisationsausschusses (Drucks.
Nr. 71,
35
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Dann darf ich Herrn Dr. Kroll das Wort erteilen.
zu
seinem Referat über das Mehrheitswahlrecht
[5. REFERAT DR. KROLL]
Dr. Kroll: Wir haben heute das ausführliche Referat des Herrn Prof. Dr. Thoma gehört, und ich glaube, das erspart uns eine ganze Menge Arbeit hinsichtlich der gedanklichen Durchdringung der Vorzüge und Nachteile der einzelnen Systeme. Ich bin aber der Meinung, daß die Vertreter, die sich nun vorzüglich für die eine oder andere Gruppe, also für das Mehrheitswahlrecht oder das Verhältniswahlrecht, entscheiden, bzw. die Berichterstatter, die diesen Auftrag haben, nicht einfach referieren sollen; denn das führt nur zu einer Wiederholung. Vielmehr muß man die Standpunkte, die zu einer Entscheidung führen, herausarbeiten und sich für das eine oder andere System zu entscheiden versuchen. Nun ist die Situation diese. Ich weiß nicht, ob in der SPD und in der FDP bereits über die Haltung in den Wahlrechtsfragen eine fraktionelle Entscheidung getroffen worden ist. Bei uns haben zwar im Zuge von Besprechungen die Wahlrechtsfragen eine Rolle gespielt, und ich kann sagen, daß sich die CDU/ CSU-Fraktion in der Mehrheit für das Mehrheitswahlrecht einsetzen wird106). Ich bin aber nicht in der Lage, Ihnen heute die Modifikationen im einzelnen vorzutragen, sondern ich bin der Meinung, daß sich das ergeben wird, wenn wir im Zuge der Besprechungen hier zu einer Lösung der Probleme vordringen
werden107). [5a. Der Zusammenhang zwischen Wahlsystem und Parteiformierung] Nun darf ich aber politisch doch die eigentliche und entscheidende Begründung für das Mehrheitswahlrecht noch einmal kurz entwickeln. Wir haben aus dem heutigen Vortrag von Herrn Prof. Dr. Thoma entnommen, daß wir in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus und des gesamteuropäischen Parlamentarismus eine merkwürdige Bewegung hinter uns haben, nämlich von einem Mehrheitswahlrecht wegen verschiedener Härten und Ungerechtigkeiten, die es zweifellos enthält, zu einem System des Proportionalwahlrechts, das letzten Endes in der übertriebenen Genauigkeit des Proporzes der Weimarer Ver-
fassung gipfelte.
Man hat den Eindruck, daß man, um den Schäden einer Konstruktion zu entgehen, in eine andere geflüchtet ist, von der sich jedenfalls im Zuge der Nachkriegsentwicklung gezeigt hat, daß ihre Schäden nicht geringer sind, als die des
vorher üblichen Mehrheitswahlrechts. Der entscheidende schwierige Punkt in der Analyse ist der Kausalzusammenhang. Meine Herren, darüber werden wir uns hier immer vergeblich streiten, ob die Wahlsysteme die Parteiformierung 106) Siehe oben Abschnitt 1 b der Einleitung. 107) Siehe hierzu auch die Sitzungsprotokolle der CDU/CSU-Fraktion (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 25 ff.}. 36
vom
gleichen Tag
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beeinflussen müssen, oder ob die Parteistruktur ihrerseits die Wahlsysteme erzwingt. Es wird immer Streit um den Kausalzusammenhang sein, und ich bin der Meinung, daß man auch nicht sagen kann, daß es in England zwei Parteien gäbe, weil es dort das Mehrheitswahlrecht gibt. (Dr. Katz: In Wahrheit gibt es dort drei108)!) Praktisch sind es dort mehr109), aber in der Systematik von Opposition und Regierungspartei läuft es auf das Zweiparteiensystem hinaus. Also ich darf noch einmal feststellen: Ich sage nicht, daß es in England das Zweiparteiensystem gibt, weil es dort das Mehrheitswahlsystem gibt; aber die Umkehrung des Satzes ist auch nicht zulässig. Und das ist sehr entscheidend. Wenn wir nämlich sagen: Es ist beliebig, welches System sie wählen, England käme immer zu einem Mehrheitswahlrecht, dann möchte ich Ihnen sagen, daß die Anstrengungen Lloyd Georges, als er im Jahre 1920 im Wahlkampf eine Niederlage erlitten hatte, dahin gingen, das Verhältniswahlrecht einzuführen, um seiner Partei, die ich glaube fast die Hälfte der Stimmen erhalten hatte und unterlegen war, und zwar restlos unterlegen war, zum Siege zu verhelfen110). Wir haben also auch dort die Tatsache, daß das Mehrheitswahlrecht eine Barriere darstellt, über die man so leicht auf keinen Fall hinwegkommen kann. Wir alle haben noch diese große Karte vor Augen, die Herr Prof. Dr. Thoma mitgebracht hat, und müssen feststellen, daß das Mehrheitswahlsystem bis zum ersten Weltkrieg in Deutschland nicht das Zweiparteiensystem gebracht hat. Man muß fragen, ob es zu einer Verbesserung führen würde, wenn man das radikalere Mehrheitssystem wählte, also das Mehrheitssystem ohne den zweiten Wahlgang, in dem die Entscheidung schon in der ersten Abstimmung durch die relative Mehrheit gefällt würde. Ich glaube, daß der zweite Wahlgang eine entscheidende Änderung mit sich bringt. Denn wenn es sich nicht nur um die Möglichkeit der Stichwahl handelt, sondern wenn ein neuer Kandidat aufgestellt werden kann, ist im zweiten Wahlgang die vorübergehende Vereinigung von Parteien möglich, während das relative System des Mehrheitswahlrechts in England vorübergehende Vereinigungen sehr erschwert und dahin tendiert, die Vereinigung endgültig werden zu lassen. Aber damit sind die grundsätzlichen Dinge keineswegs entschieden. Gehen wir von unseren deutschen Verhältnissen aus, so erfahren wir aus der Geschichte, daß das Verhältniswahlrecht die Parteienzersplitterung außerordentlich gefördert hat. —
—
—
108) Die Konservative Partei, die Liberale und die Labour Partei. 109) Bei den letzten britischen Parlamentswahlen im Jahre 1945 hatten sich
sogar über ein Dutzend Parteien bzw. parteilose Kandidaten zur Wahl gestellt. Schließlich waren im Parlament acht verschiedene Parteien bzw. 17 Abgeordnete kleinerer Interessengruppen vertreten (F. W. S. Craig [ed.]: British Electoral Facts 1832-1980, Chichester "1981, S. 35). 110) Die Parlamentswahlen, die auf das Scheitern der Regierungskoalition unter dem Liberalen Lloyd George folgten, fanden erst am 15. Nov. 1922 statt. Aus ihnen gingen die Konservativen als Sieger hervor, während die Liberalen ihre traditionelle Führungsrolle als Gegengewicht zu den Konservativen an die Labour Partei verloren (Craig, Facts, S. 24 f.).
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Eine Und was ist nun die entscheidende Konsequenz die sich daraus ergibt? parlamentarische Regierung ist unter diesen Voraussetzungen am Ende nicht mehr möglich, das heißt, es finden sich bei entsprechend starken Parteiengruppierungen und -Zersplitterungen nicht so viele Stimmen in einem Parlament zusammen, daß sie eine Majorität auf längere Sicht für eine feste Regierung ergeben, so daß dann die Notstandskabinette in die Erscheinung treten. —
meine Herren, da muß ein ernstes Wort gesagt werden. Das ist ein Parlamentarismus, der sich selber auflöst. Diese Erscheinung hat nichts mit den radikalen Parteien als solchen zu tun; sie ist eine Zersetzungserscheinung des Parla-
Und,
mentarismus
an
sich und würde,
wenn man
sie auswerten wollte, bedeuten,
daß das System zwar demokratisch, zwar gerecht, aber nicht fähig ist, den Staat zu verwalten und eine Regierung auf die Beine zu stellen. Und das ist der Punkt gewesen, wo die Kritik einsetzte. Es hat gar keinen Sinn, heute über einen Mangel an Gerechtigkeit im Wahlmodus zu streiten, wenn man nicht von vornherein beim Wahlsystem die Konsequenz der Regierungsbildung vor Augen hat. Nun hat Herr Prof. Thoma heute bereits ausgeführt, daß man das auch anders regeln könnte. Jawohl, meine Herren, aber wir sind uns darüber klar, daß die Modifikationen des Wahlrechts, die wir hier im Ausschuß treffen, die Beratungen in den anderen Ausschüssen entscheidend beeinflussen müssen. Da ist z. B. die Frage einer festen Regierung auf Zeit. Kommen wir hier zu einem Wahlrecht, bei dem wir von vornherein wissen, daß wieder die Möglichkeit einer endlosen Parteienzersplitterung gegeben ist, dann wird man, wenn man ein festes demokratisches Gefüge und nicht einen sich selbst auflösenden demokratischen Staat machen will, notwendigerweise drüben, in dem anderen Ausschuß, in dem man die Frage der Abhängigkeit der Regierung vom Parlament und die Frage des Mißtrauensvotums diskutiert, zu anderen Entschlüssen kommen müssen, als wenn bereits im Wahlrecht gewisse Garantien für die Festigkeit gegeben sind. Insofern ist die Entscheidung, die im Wahlrechtsausschuß getroffen wird, nicht ganz ohne Bedeutung für die übrigen Beratungen, die an anderer Stelle dieses Hauses stattfinden111). Wir müssen davon ausgehen, daß das Wahlrecht mit dazu beitragen soll, eine Konstruktion zu erschweren, bei der ein Parlament nicht mehr fähig ist, eine Oder aber auch, Gesetze zu verabschieden Punkt l! Regierung zu bilden Punkt 2! —, denn mit der bloßen Regierungsbildung ist es ja nicht getan. Es wäre denkbar, daß folgende Situation eintritt. Eine Koalition bildet sich vorwir haben es ja jetzt im französischen Parlament erlebt112) übergehend und ist auch in der Lage, ein Kabinett zu benennen. Dieses Kabinett wird auf—
—
—
—
—
) Gemeint sind hier insbesondere die Verhandlungen des Organisationsausschusses. ) Am 8. Sept. 1948 trat Ministerpräsident Schuman nach verlorener Vertrauensfrage und
dreitägiger Amtszeit als Regierungschef zum zweiten Mal innerhalb von nur zwei Monaten zurück. Damit war bereits die elfte Regierung der IV. Republik seit 1944 gescheitert. Erst am 19. Juli 1948 war Schuman nach einem Mißtrauensvotum des Parlaments zurückgetreten, da sich seine Partei nicht gegen den sozialistischen Koalitionspartner in der Frage der Kürzung der Militärkredite durchsetzen konnte (AdG 1948/49, S. 1574, 1621 und 1626). nur
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erhält im Anfang ein Vertrauensvotum. In dem Augenblick aber, das Kabinett daran geht, irgendwelche drastischen Maßnahmen zu ergreifen, um einen Notstand abzustellen, wird es gestürzt, weil sich für die Gesetzgebung keine Mehrheit mehr zusammenfindet. Wo und inwieweit das Wahlrecht auf solche politischen Verhältnisse letzten Endes einen Einfluß ausüben kann, wird immer strittig bleiben; aber auf alle Fälle ist eins sicher: Je mehr heute das Wahlrecht, das wir aussuchen, dazu angetan ist, eine festere Gruppierung zu schaffen, desto größer wird der Dienst sein, den es der Demokratie erweist. Denn wir sind uns doch hoffentlich alle darüber klar, daß wir uns mit unserer gesamten Demokratie in einer etwas zweifelhaften Situation befinden. Sie ist, wie bereits gesagt wurde, nicht erkämpft worden, ist nicht revolutionär erstritten worden, sondern sie ist heute praktisch ein Geschenk der Siegerstaaten. Das Bewußtsein der Demokratie im Volke ist nicht gerade erhebend. Wir müssen es also unter allen Umständen vermeiden, daß die Demokratie in einer permanenten Krise in die Erscheinung tritt. Ich glaube, darüber dürfte in diesem Kreise im wesentlichen Einmütigkeit herrschen. Wenn also ein besserer Wahlmodus gefunden werden kann, der, ohne die demokratischen Grundsätze zu verletzen, diesen Anforderungen Rechnung trägt, dann sollte er meines Erachtens genommen werden. Ich persönlich plädiere hier für die Mehrheitswahl in seiner straffen Observanz, und zwar für das englische System, weil ich es allein für geeignet halte, einen späteren Kuhhandel, der evtl. mit einem zweiten Wahlgang das Risiko der Kandidatenaufstellung so stark erhöht113), zu vermeiden. (Dr. Katz: Worin besteht das Risiko bei der Kandidatenaufstellung?) Das Risiko besteht darin, daß sich Parteien bilden müssen, die die Kandidatenaufstellung finanzieren; das Risiko besteht darin, daß man einen Propagandaapparat laufen läßt, und vor allen Dingen darin, daß bei der Mehrheitswahl die kleineren Gruppen von vornherein keine Aussicht haben, durchzukom-
gestellt und
wo
—
men.
(Dr. Katz: Das ist kein Risiko!) Parteien, die keine Chance haben, Kandidaten durchzubringen, werden, wenn sie nicht mit unerlaubten Geldmitteln gespeist werden, unter den heutigen Verhältnissen auf die Dauer keine Chance haben, sich durchzusetzen. Darüber kann man verschiedener Meinung sein, vielleicht ist das ein Punkt, den —
man
in der Diskussion herausheben könnte.
[5b. Die Vorteile des Zweiparteiensystems] Der Grundgedanke ist folgender. Auch wir müssen anstreben,
zu
einem Zwei-
parteiensystem zu kommen. Das halte ich für absolut erforderlich. Ich setze die Frage, ob das theoretisch und grundsätzlich möglich ist, hier einmal so an, daß ich sage: Nach den großen Wahlergebnissen, die wir in der letzten Zeit gehabt
n3) Folgt gestrichen: „daß
man es
in bestimmten Wahlkreisen unterläßt".
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haben114), scheint es verhältnismäßig leicht zu sein. Wir haben die zwei großen Gruppen CDU und SPD. Bei einem Mehrheitswahlrecht würden sich beide Parteiengruppen hier umbilden müssen. Sie würden ihren reinen weltanschaulichen Charakter teilweise verlieren und müßten in der Lage sein, die restliche Gruppe aufzunehmen. Ob das erwünscht ist oder von den Parteien abgelehnt wird, ist eine Frage, die ich hier nicht diskutieren möchte. Ich halte die Chan-
daß wir heute zu einem Zweikammersystem kommen könnten, grundsätzlich für aussichtsreicher, als etwa in der Zeit vor dem ersten Weltkriege, sofern man auch annehmen darf, daß das Volk selber aus der Parteienzersplitterung der Vergangenheit seine eigenen politischen Konsequenzen zieht. Ich möchte unter der Voraussetzung meine Herren, das ist wirklich eine sehr entscheidende These, das sage ich ganz offen -, daß es gelänge, ein Zweiparteiensystem zu erzielen, einmal diesen Modus durchdiskutieren. Wenn Sie mir entgegenhalten, das sei bei uns nicht möglich, dann sage ich Ihnen: Wenn Sie recht behalten, dann wird uns das Mehrheitswahlrecht genau so enttäuschen, wie uns früher der Proporz enttäuscht hat, und dann werden wir vielleicht eine Verringerung der Parteienskala erreichen, aber nicht das, was letzten Endes den Gedanken des Mehrheitswahlrechts ausmacht. Wenn das Mehrheitswahlrecht nicht zu einem System von Regierungspartei und Oppositionspartei führt, wobei sich diese immer abwechseln, dann hat es nicht den Vorzug, den wir uns von ihm versprechen; dann hat es auch nicht den Wert, den wir ihm beimessen. Nur wenn es gelingt, es in dieser Richtung zu entwikkeln, nur wenn eine Chance besteht, daß wir über ein Mehrheitswahlrecht zum Zweiparteiensystem kommen, lohnt es sich, mit beinahe weltanschaulichem Enthusiasmus für dieses System einzutreten. Es wird einer der entscheidenden Punkte in der Diskussion sein, ob wir an die Chance glauben, es führe zum Zweiparteiensystem, was jedoch bedingt, daß die Parteien überhaupt daran interessiert sind. Aber nun möchte ich im Rahmen des Zweiparteiensystems vor allem auf die Frage der großen Ungerechtigkeit eingehen, und auf folgendes aufmerksam machen. Wenn man die Dinge gleich durch den ersten Wahlgang entscheiden kann, also auf die härteste Weise, die es gibt, dann sind wir uns darüber klar, daß die übrigen Gruppen tief enttäuscht sind, während eine Partei in der Lage ist, die volle Verantwortung zu übernehmen. Was ist dann der Fall? Wir haben dann eine klare Verantwortung. Die klare Verantwortung wird oft von den Parteien vermieden, weil man sich sagt, daß man im Volk an Ansehen verliert, sobald man die Verantwortung in der Regierung trägt. Die Flucht in die Koalition haben wir schon öfter erlebt. Keine Partei ist verschont geblieben. Und wenn ich an unsere bayerischen Verhältnisse denke, so hat die CSU eine Koalition mit der SPD gebildet, ohne es nötig zu haben, die allerdings wegen der Gefahren, ce,
—
ersten Kommunalwahlen im Jahr 1946 und bei den Landtagswahlen 1947 hatten sich in den drei westlichen Zonen die CDU/CSU bzw. die SPD als die klar führenden Parteien etabliert.
114) Schon bald nach den
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die mit der Verantwortung verbunden sind, von der SPD gelöst wurde115). Wir wollen keine Partei schmähen, wenn sie es tut. Es ist heute sehr schwer, auf der einen Seite die Verantwortung zu tragen, auf der anderen Seite noch nicht einmal über eine eigene Presse zu verfügen und täglichen Angriffen ausgesetzt zu sein, zumal die notwendige Fairneß im politischen Leben aufgehört hat zu existieren und die Angriffe ein ekelerregendes Niveau erreichen. Aber wie ist die Situation, wenn wir die Verantwortlichkeit einer Partei allein haben? In England geht man davon aus, daß das Volk mit jeder Regierung unzufrieden ist; man sagt, der Zustand werde niemals eintreten, daß es im Volke keine Oppositionsstimmung gibt. Im Volk! Das zeigt sich jetzt sehr deutlich gerade in England, wo nach dem Kriege die Konservativen mit einem unerhörten Ruck stürzten und die Labour-Party die großen Sozialisierungsmaßnahmen einleiteten und heute plötzlich eine solche Opposition haben, daß die Nachwahlen ein starkes Anwachsen der Konservativen ergeben haben116). (Dr. Katz: Auf der Kreisebene!) Aber die Berichte gehen dahin, daß im Augenblick eine ziemlich starke Oppositionsstimmung herrscht117). Wir wollen uns darauf nicht versteifen; das ist nicht wesentlich. Aber eins ist sicher: es wird immer und gegen jede Regierung, gleichgültig wer sie trägt und wer darin ist, opponiert. Nun sagt das englische System folgendes: Die Gerechtigkeit, die in dem Wahlgang, in dem die eine Gruppe zum Ziel kam und mit wenigen Stimmen die Majorisierung erreichte und dadurch alleine die Verantwortung übernehmen und ihre Ideen durchsetzen konnte, nicht gewahrt wurde, wird wieder hergestellt, wenn diese Regierung nicht mehr vom Vertrauen des überwiegenden Teiles des Volkes getragen wird; dann wächst der Oppositionsgeist des Volkes der Oppositionspartei zu, und beim nächsten Wahlgang wird ein eben so kleiner Stimmenzuwachs drüben diese andere Gruppe in die alleinige Verantwortung führen. Mit anderen Worten: Die Gerechtigkeit darf nach dem englischen System niemals in einem einzigen Zeitpunkt gesucht werden. Das ist bei der ganzen Kritik am Mehrheitssystem der unerhörte Fehler. Die Gerechtigkeit muß vielmehr über eine Zeitperiode verteilt gesehen werden; sie muß gewissermaßen in einer dialektischen Entwicklung erblickt werden. Gerechtigkeit ist im englischen System zweifellos vorhanden, nur nicht die mathematische Gerechtigkeit in einem bestimmten Zeitpunkt. —
—
115) Nach der Wahl zum ersten bayerischen Landtag am 1. Dez. 1946 verfügte die CSU über 104 von
180 Sitzen. Trotzdem wurde die SPD und die Wirtschaftliche Auf bau-Vereinigung
(WAV) mit 54 bzw. 13 Sitzen an der Regierung beteiligt. Seit dem 21. Sept. 1947 regierte die
CSU allein (Claus A. Fischer [Hrsg.] : Wahlhandbuch für die Bundesrepublik Deutschland. Da-
ten zu Bundestags-, Landtags- und Europawahlen in der Bundesrepublik Deutschland, in den
116)
117)
Ländern und in den Kreisen 1946-1989, Paderborn 1990, S. 221). Aus den Parlamentswahlen von 1945 war völlig überraschend die Labour Partei mit 48% der Stimmen als eindeutig stärkste Partei hervorgegangen. Sie verfügte über 393 Sitze im Unterhaus gegenüber 197 Sitzen der Konservativen, die 36,2% der Stimmen errungen hatten. Seit dem Sommer 1946 konnte die Konservative Partei durch die Nachwahlen allerdings bedeutend politischen Boden zurückgewinnen (Craig, Facts, S. 34 f. und 54 f.). Die Konservative Partei errang bei den folgenden Wahlen die Parlamentsmehrheit zurück.
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Die entscheidende Frage ist aber diese: Welche Vorteile bietet dieses System? Meine Herren, es bietet die klare Verantwortung einer Gruppe. Das ist an sich schon ein unerhörter Vorteil. Es bedeutet, daß eine Sozialisierung bis zu einem gewissen Grade klar durchgeführt werden kann, daß eine Gruppe klarer —
damit belastet wird oder aber, daß der anderen Gruppe die Sympathie wächst, und damit der Ausgleich gelingt.
zu-
Wenn sich nun aber die großen Parteien in eine Koalition begeben, wie das bei uns unter dem Verhältniswahlrecht mehr oder weniger der Fall war und der Fall sein muß, dann passiert folgendes. Die Oppositionsstimmung entsteht im Volke nicht gerade zuletzt deshalb, weil Koalitionen immer schwächer sind als Regierungen einer einzigen Partei und weil die eine Gruppe die andere bei der Durchführung ihrer Pläne hindert, weil die andere Gruppe fortwährend auf die erste Rücksicht nehmen muß, weil wir es noch nicht verstehen und vielleicht auch nie verstehen werden, mit einer anderen Gruppe so freundschaftlich zusammenzuarbeiten, daß kein Mißtrauen und nicht einmal eine Atmosphäre des Mißtrauens entsteht oder gar gegenseitige Intrigen bei einer vielleicht sehr komplizierten Personalpolitik entstehen. Gerade bei den Koalitionsregierungen verbrauchen die in sie hineingebundenen Parteien insgesamt das in sie gesetzte Vertrauen des Volkes. Der Oppositionsgeist, von dem ich sagte, daß er nach englischer Auffassung und nach allgemeiner Erfahrung immer entsteht und entstehen muß, wächst darum nicht der anderen Partei, vielleicht der anderen großen Partei zu, sondern geht in unterirdische Kanäle und treibt die Splitterparteien gewissermaßen erst hervor. Denn immer wählt der Oppositionsgeist solche Parteien, die nicht an die Regierung gebunden sind. Das scheint mir das entscheidende Kriterium zu sein. Im Koalitionssystem verbrauchen sich verschiedenartige Parteien auf einmal. Im englischen System, im Zweiparteiensystem, ist es immer so, daß die eine große Partei die Opposition aus dem Volke auffängt und in die richtigen Kanäle leitet. Allein die Tatsache, daß wir es nicht verstanden haben, ein System von Regierungspartei und Oppositionspartei zu schaffen, hat letzten Endes dazu geführt, daß bei immer schlimmer werdenden Krisen, besonders bei der beginnenden Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929118), die radikalen Parteien wie Treibhausblüten hervorschossen und immer wieder neue Kraft und Nahrung bekamen und schließlich dazu ansetzen konnten, das damalige System der Demokratie von innen heraus auszuhöhlen und zu zerschlagen. Wenn man diesen Dingen Beachtung schenkt und wenn es gelingt, aufgrund des Mehrheitswahlrechts eine Struktur des Zweiparteiensystems zu schaffen, was selbstverständlich eine sehr große Wandlung im heutigen Gefüge der Parteien nach sich ziehen müßte, dann allein wäre es möglich, die Demokratie so zu konstruieren, daß sie nicht durch den Mißmut der Bevölkerung und durch die Ungunst der Verhältnisse aus sich heraus zum Zusammenbruch getrieben wird.
') Der New Yorker Börsenkrach am sog. „Schwarzen Freitag" (25. Okt. 1929) leitete eine weltweite Rezession ein, die das soziale Klima in Deutschland außerordentlich verschärfte, so daß die NSDAP hier einen guten Nährboden für ihre politischen Ziele fand.
Vgl.
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C. P.
Kindleberger:
Die Weltwirtschaftskrise 1929-1939. München 1973.
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Ich möchte meinen Satz so formulieren: Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß etwas geschehen muß, um eine Parteienzersplitterung zu verhüten, um dahin zu wirken, daß wir möglichst zu einem klaren System von Regierung und Opposition gelangen. Unter der Voraussetzung, daß man sich darauf einigen könnte, ein System von Regierungspartei und Oppositionspartei gegenüber dem Koalitionssystem zu bevorzugen, und unter der Voraussetzung, daß eine Chance bestünde, beim strengsten Mehrheitsprinzip im ersten Wahlgang allnicht sofort! in Deutschland zu einer Zweiparteiengruppierung mählich zu gelangen, würden wir vermutlich in der Lage sein, einem solchen System unsere Zustimmung zu geben. Selbstverständlich können und wollen wir einen solchen Gedanken nicht auf die Spitze treiben. Wenn kein Boden dafür vorhanden ist, und wenn vielleicht auch innerhalb der eigenen Parteigruppierung Bedenken laut werden, oder wenn der Einwand durchschlagen sollte, daß es in Deutschland auch beim strengsten Mehrheitswahlrecht nie zu einem Zweiparteiensystem kommen werde, dann entfallen die Voraussetzungen, an die wir das Mehrheitswahlrechtsystem knüpfen, und wir müßten dann erklären: Seien Sie drüben im anderen Ausschuß119) sehr vorsichtig, wenn Sie die Regierungsform konstruieren, damit dort ausgeglichen werden kann, was im Zuge einer Wahlrechtsreform nicht möglich ist. Ich hoffe, daß ich Ihnen über die rein politische Struktur des Mehrheitswahlrechts das gesagt habe, was ich als allein entscheidend ansehe. Die Wählergesellschaft120) geht weit drüber hinaus. Sie untersucht die grundsätzliche Frage dessen, was „Wahl" bedeutet. Sie unterstreicht, daß man aus sittlichen Erwägungen nur Personen wählen kann, und bringt noch andere Argumente, die in diesem Kreise wohl nicht in dem Maß zur Diskussion gestellt werden können. Für uns handelt es sich in erster Linie darum, eine politische Entscheidung zu fällen. Und nachdem wir im Laufe der Geschichte beide Systeme, das reine Mehrheitswahlrecht in verschiedenen Variationen und das Verhältniswahlrecht, erlebt haben, nachdem wir erlebt haben, daß man von dem einen zum anderen ging, und da wir uns heute vielleicht anschicken, das Verhältniswahlrecht wieder zu verlassen, um zum Mehrheitswahlrecht zu gelangen, müßte man eigentlich voraussetzen, daß es letzten Endes möglich ist, sowohl Ideen zu wählen, was mit einer Liste geschehen kann, als auch Persönlichkeiten zu wählen, was durch die reine Persönlichkeitswahl geschieht. Ob diese ganze Art zu wählen richtig ist, und ob die ganze Konstruktion in sich haltbar ist, können wir hier nicht diskutieren. Ich habe vorhin das Problem des über—
—
119) Ausschuß für die Organisation des Bundes. 120) In einem Rundschreiben hatte sich die Deutsche Wählergemeinschaft
am
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Aug.
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die Mitglieder des Pari. Rates gewandt. Darin stellte sie unter anderem heraus: „Der Wahlakt stellt die wichtigste Mitwirkung des Volkes in der Demokratie dar. Hieraus ergibt sich die überragende Bedeutung, die das Wahlgesetz für die Verankerung der Demokratie im Volke darstellt. Die breiten Schichten unseres Volkes werden nur dann eine bejahende Einstellung zur Demokratie finden, wenn das Wahlgesetz einfach und für jeden ohne weiteres verständlich ist. Das einfachste Wahlverfahren ist das beste, und das einfachste Wahlverfahren ist das Mehrheitswahlrecht" (Bayer. HStA NL Pfeiffer/ Bd. 182). an
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fragten Wählers kurz
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gibt noch andere Dinge, die man analysieren kompliziert sind, als daß wir sie hier in dem bunBonner Tage erledigen könnten. Ich darf meine Ausfüh-
umrissen. Es
könnte, die aber alle viel ten
Rahmen
unserer
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zu
rung also zusammenfassen. Wenn es gelingt, durch strengste Mehrheitswahlen zum Zweiparteiensystem zu gelangen, so glauben wir der deutschen Demokratie einen unerhörten Dienst erwiesen zu haben. Man sollte dann alle Bedenken zurückstellen und sich um der Dauer einer solchen Konzentration willen einmal auf diesen Boden bege-
das Übrige würde dann folgen. Sollten die Bedenken durchschlagen, daß damit ein Zweiparteiensystem überhaupt nicht geschaffen werden kann, oder sollte die Meinung durchschlagen, daß auch die strengste Mehrheitswahl nicht zu dem gewünschten Erfolge führt, dann wird sich hier zeigen, welche Wege man im Rahmen einer Veränderung des Wahlrechts gehen kann. Auf alle Fälle möchte ich sagen, daß bei der CDU/CSU die überwiegende Meinung dahin geht, daß die Person im Mittelpunkt stehen soll, also auf alle Fälle Persönlichkeitswahl. Wir haben mit dem Listenwahlrecht so schlechte Erfahrung gemacht. Ich glaube auch, es kann nicht bestritten werden, daß sich die Öffentlichkeit heute von dem Verhältniswahlrecht stark abgekehrt hat. Die Zuschriften, die ich bekomme und die Sie alle ebenfalls bekommen, setzen sich übereinstimmend für die Mehrheitswahl ein121). Ich habe bisher noch keine Zuschrift für die Verhältniswahl entdecken können. Ich glaube auch, der Parlamentarier hat die Pflicht, die öffentliche Meinung in diesem Sinne ernst zu nehmen und aus einer geschichtlichen Betrachtung über den abgelaufenen Zeitraum zu entnehmen, was nicht erreicht wurde und was sich glücklich entwikkelt hat. ben. Ich
glaube,
(Beifall)
zum Wahlrecht an den Pari. Rat (BA Z 5/94, 116, 117 und 119 sowie Z 12/55 und 56). Anders als bei den anderen Fachausschüssen sind die Eingaben für den Wahlrechtsausschuß nur sehr unvollständig erhalten. In den meisten Fällen ist nur noch die Eingangsbestätigung bzw. ein Eintrag über den Ausgang der jeweiligen Antwortschreiben des Pari. Rates überliefert (BA Z 5/119). In einigen wenigen Fällen konnte der Verbleib der Eingaben in den privaten Nachlässen nachgewiesen werden (siehe unten Dok. Nr. 6, Anm. 11).
121) Siehe hierzu auch die Eingaben
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[6. REFERAT DR. DIEDERICHS]
[6a. Zur Notwendigkeit eines gerechten Wahlsystems] Dr. Diederichs122): Meine Herren! Ich kann mich um so kürzer fassen, als auch Herr Dr. Kroll seine Ausführungen quasi auf dem Folio der Verhältniswahl entwickelt hat und uns in seiner Darstellung die Vorzüge des Mehrheitswahlrechtes, zu dem er sich in ziemlich radikaler Form bekannte, auf diesem Hinter-
herauszustellen bemühte. Dabei stellte er von vornherein die Frage nach dem Kausalnexus. Bezüglich des englischen Systems verneinte er genau wie Herr Prof. Thoma, daß das Zweiparteiensystem in England eine Folge des Wahlsystems sei, wie er auch umgekehrt verneinte, daß aus dem Vorhandensein des Zweiparteiensystems das Mehrheitswahlsystem entstanden sei. Ich möchte von dem Gedanken des Gefühls für Gerechtigkeit, wie es in den Wählermassen praktisch immer vorhanden ist, ausgehen, vor allem von dem Empfinden derjenigen Minderheiten, die irgendwo in der Diaspora leben, die irgendwo in der großen Streuung leben und bei der radikalen Mehrheitswahl, besonders, wenn es sich um die relative Mehrheitswahl handelt, auf absehbare Zeit überhaupt jede Möglichkeit und jede Aussicht, ihre Auffassung politisch zur Geltung zu bringen, schwinden sehen. Meiner Ansicht nach kann man diese Voraussetzungen nicht vernachlässigen, weil wir von der Grundidee demokratischer Wahlen ausgehen müssen, die ja eigentlich die unmittelbare Abstimmung des Wählers ist, und für die wir das Repräsentativsystem eben durch die Wahl schaffen. Wenn Herr Prof. Thoma hier das Beispiel der Landkarte als Vergleichsobjekt anführte und sagte, im Parlament solle sich das im Kleinen widerspiegeln, was im Großen gesehen im gesamten Volk an Auffassungen vorhanden sei123), dann ist ein solches Spiegelbild der wirklichen Auffassung des Volkes praktisch nur durch ein Verhältniswahlsystem möglich. Und die große siegreiche historische Bewegung für dieses Verhältniswahlrecht hat, wie angedeutet, einen gewissen Rückschlag erlebt. Das ist deshalb erklärlich, weil man das Empfinden hatte, daß sowohl eine Vollbeteiligung der gesamten Bevölkerung als auch die Möglichkeit zur Bildung einer Regierung vorhanden sein soll. Wir haben deshalb auch in den verschiedenen Ländern aus praktischen Gesichtspunkten, daß sich nämlich außer diesem Spiegelbild der Abstimmung der Bevölkerung noch Erfordernisse staatspolitischer Notwendigkeiten wie Regierungsbildung, Gesetzesverabschiedung und anderes als zweiter notwendiger Faktor in diese Dinge hinein und das haben wir gerade jetzt in Niedersachsen bei projizieren, sehr häufig
grund
—
122) Es wird
aus
den Akten nicht ersichtlich,
warum
Diederichs und nicht Menzel, wie
ur-
sprünglich vorgesehen und vom Ausschußvorsitzenden noch in derselben Sitzung bestä-
tigt, das Referat über das Verhältniswahlrecht übernahm. Nichtsdestotrotz war auch Die-
derichs als Mitverfasser des niedersächsischen Landes- und Kommunalwahlrechts ein ausgewiesener Kenner der Materie (Hannah Vogt: Georg Diederichs, Hannover 1978, S. 22, 29 f.). Menzel trat erst wieder in der 11. Sitzung am 27. Okt. 1948 mit wichtigen Vorschlägen im Wahlrechtsausschuß hervor (siehe unten Dok. Nr. 12, TOP 1 b). 123) Siehe oben TOP 1 b. 45
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Unterschiede zwischen der Schaffung unseres Kommunalwahlrechts124) getan dem Wahlmodus, wie er bei den reinen Selbstverwaltungskörperschaften auf der Ebene von Kommunen und Kreisen zu handhaben sei, und den Wahlmodus, der für gesetzgebende Körperschaften, sei es im allgemeinen, sei es auf wenn ich diesen Namen hier einmal gebrauchen der Ebene des Reiches darf geschaffen werden soll; das heißt, es ist vielleicht richtig, daß weder das reine Mehrheitswahlrecht, noch das reine listenmäßige Verhältniswahlrecht in ihrer reinsten Form absolut brauchbare Systeme sind. Sie sind die beiden äußersten Pole der verschiedenartigsten Möglichkeiten, ein Wahlrecht zu gestalten, das sowohl den Forderungen der Widerspiegelungen der Volksstimmung, als auch den Forderungen nach einem arbeitsfähigen Parlament entgegenkommen sollte. Damit komme ich auf die Frage, die gerade bei der Deutschen Wählergesellschaft eine Rolle spielt, die uns ja auch kürzlich einen Entwurf für ein Wahlrecht vorgelegt hat125), den sie meiner Ansicht nach sehr primitiv begründet. Sie sagt: Wir sind der Überzeugung, daß das radikale Prinzip der relativen Mehrheitswahl das beste Wahlverfahren ist126). Es mag praktisch sein, wenn man davon ausgeht, daß man auf diese Weise langsam das Zweiparteiensystem bei uns erzwingen möchte. Ob es unter den Gegebenheiten, unter denen wir leben, das beste Wahlverfahren ist, ist eine andere Frage. Und die großen Zweifel, die Herr Dr. Kroll in die Möglichkeit setzte, in Deutschland zu einem Zweiparteiensystem zu kommen, sind zugleich auch die großen Zweifel gegen dieses reine und radikale Mehrheitssystem. —
—
—
[6b. Die Persönlichkeitswahl] Was für eine Bewandtnis hat es nun mit der Persönlichkeitswahl? Die Persönlichkeitswahl ist im ganz kleinen Kreise, wenn man die Stufenwahl einführt, in der kleinen und kleinsten Gemeinde evtl. möglich. Ob das heute, wo auch in den kleinsten Gemeinden schon soundso viele Zugewanderte die ganze soziale Struktur verändert haben, noch der Fall ist, ist auch noch zweifelhaft. Bei den
124) Das Niedersächsische Gemeindewahlgesetz 125)
trat am 4. Oktober 1948 in Kraft (GVOB1. S. 90; vgl. Die Gemeindewahlen in Niedersachsen am 28. November 1948, hrsg. von Herbert C. Blank, Hannover 1948). Der Entschluß der DWG, dem Pari. Rat einen eigenen Wahlgesetzentwurf zu unterbreiten, ging auf die Homburger Resolution der DWG vom 17. Juli 1948 zurück (Mitteilung, Aug. 1948, S. 3). Der Entwurf ging den Abgeordneten von der Gesellschaft direkt zu, wurde später aber auch in der Verbandszeitschrift veröffentlicht, in: Mitteilungen. Deutsche Wählergesellschaft, Heidelberg September 1948, S. 1—15. Vereinzelt baten Abgeordnete aus den Reihen der Unionsfraktion von sich aus als Argumentationshilfe um ein Exemplar des Entwurfs (so etwa Stocker im Namen des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Anton Pfeiffer in einem Schreiben an die DWG vom 17. Sept. 1948 (Bayer. HStA NL
Pfeiffer/Bd. 182).
126) Mitteilungen. Deutsche Wählergesellschaft, Heidelberg September 1948, S. 1—15; vgl. besonders die
„Begründung und Erläuterung zum Wahlgesetzentwurf der Deutschen Wählergesellschaft" (S. 10 f.). Siehe auch den Verlauf der 9. Sitzung des Wahlrechtsausschusses, an der Mitglieder der Wählergesellschaft teilnahmen (siehe unten Dok. Nr. 9).
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größeren Wahlkreisen und bei den großen Wahlbezirken ist von einer Persönlichkeitswahl in diesem Sinne bei reiner Mehrheitswahl praktisch nicht mehr die Rede. Man kann aber auch bei einer reinen verhältnismäßigen Berechnung, das heißt bei einer Verteilung der Sitze nach der Stärke der politischen Gruppen, eine Persönlichkeitswahl insofern einschalten, als man nicht mit starren, sondern mit offenen Listen arbeitet, wobei man dann nach dem d'Hondt'schen Verfahren die Möglichkeit hat, die Sitzeverteilung nach den politischen Gruppierungen vorzunehmen und die vom Votum getragenen Sitze dann im Rahmen der offenen Liste zu verteilen. Wir würden also das reine Verhältniswahlsystem bezüglich der Verteilung haben, und wir hätten daneben die Auswertung der Abstimmung des Wählers nach den Personen, die gewählt werden sollen. Eins aber scheint mir vor allen Dingen bei Ablehnung des Verhältniswahlsystems nie berücksichtigt zu werden, nämlich die Bedeutung der politischen Partei. Sie wird immer enorm unterschätzt, und sie wird gerade dann unterschätzt, wenn man vom Stufenwahlsystem spricht, denn die politische Erziehungsarbeit leisten die Parteien, und wer als Politiker die Absicht hat, auch auf die Aufstellung der Kandidaten Einfluß zu haben, hat weite Möglichkeiten, wenn er sich klipp und klar für irgendeine politische Richtung entscheidet, innerhalb dieser aktiv tätig ist und dort mitbestimmend wirkt, wie es bei uns in der Partei durch Urwahl durchaus üblich ist, bei der Aufstellung der Kandidaten mitzuwirken. das ist meine persönliche Auffassung die Liste offen, so Bleibt dann nimmt ja auch der politisch nicht Organisierte sich das Recht, über die Persönlichkeiten und deren Reihenfolge innerhalb der Vorschläge zu bestimmen. Es ist also keine Starrheit der Liste vorhanden. Er wählt nicht nur entweder oder, sondern er hat die Möglichkeit, die Person zu wählen. Alle Wähler die nicht parteipolitisch gebunden sind, haben trotz des Systems der Verhältniswahl die Möglichkeit, wenn sie eine gute personelle Kenntnis haben und mehrere Stimmen besitzen, ihre Stimmen Vertretern verschiedener Parteien zu geben, um ihnen auf diese Weise ihre Befähigung als Politiker zu attestieren. Hier wird also dem Prinzip der gerechten Verteilung der Mandate nach der Stärke der Parteien durchaus Rechnung getragen. —
—
—
[6c. Mehrheitsverhältnisse beim Verhältniswahlrecht] Man wendet immer ein, daß bei dem Verhältniswahlsystem keine klaren Mehrheiten in den Parlamenten zustande kämen. Bei dem reinen Mehrheitswahlsystem, wenn die soziologische Struktur der Bevölkerung entsprechend ist, ist auch nicht gesagt, daß solche Mehrheitsbildungen zustande kommen. Denn wenn wir auf der einen Seite stark konfessionell gebundene Ballungen haben, werden wir dort ganz einseitig die Kandidaten dieser Gruppe sehen; und haben wir auf der anderen Seite starke Ballungen von Industriearbeitern oder anderen, dann werden wir dort die Kandidaten einer anderen Richtung sehen. Die Zusammensetzung wird dann also ungefähr der Gesamtstruktur entsprechen, während jene Gruppen, von denen heute auch schon Herr Prof. Thoma sprach, die eine starke Streuung haben, die aber durchaus eine politisch wertvolle 47
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zum Zuge kommen können, weil sie diese Stellen nicht aufzuweisen haben. Ballungen irgendwelchen Nun aber die Frage einer Regierungsbildung. Diese Frage darf man nicht willkürlich hineinprojizieren. Vor allen Dingen darf man nicht glauben, sie mit irgendeinem Wahlmodus lösen zu können. Und hier möchte ich gleich England zitieren, daß ja immer als das klassische Land der ungeschriebenen Verfassung dargestellt wird. Das ist richtig. Aber wo liegen in England diese Dinge? Sie liegen in den Geschäftsordnungen. Das ist das Entscheidende. Sie liegen dort, wo die Frage geregelt wird, wie der gewählte Apparat zu arbeiten hat. Dort liegt das Schwergewicht. Und wenn man diese Dinge in das Wahlrecht hineinprojiziert, tötet man das Aufkommen der Gerechtigkeit, tötet man die Möglichkeit, eine wirkliche Volksregierung zu bilden. Weiter ist davon die Rede gewesen, daß man in den Nachwahlen eine gewisse Möglichkeit hätte, ein Bild zu gewinnen. Ich warne vor diesen Bildern der Nachwahlen in kleinen Bezirken! Sie sind absolut schief und geben keinen Maßstab für die wirkliche Stimmung des Volkes; denn je nachdem, ob diese Nachwahlen in einem rein katholischen Bezirk oder in irgendeinem anderen stattfinden, werden die Nachwahlen immer ein irgendwie einseitiges Bild ergeben. Ich will Ihnen hierfür ein Bild geben, wie es kürzlich in Niedersachsen entstanden ist. Wir haben in Niedersachsen ein Wahlsystem, demzufolge durch Reststimmenverteilung und Aufrechnung eine reine verhältnismäßige Verteilung der Sitze stattfindet127): soundso viel direkt gewählt, der Rest errechnet, und aus dem Rest bekommen die Parteien nur so viel zugeteilt, daß ihre Verhältnisstärke aufgefüllt ist, ohne jeden Vorbehalt, so daß es bei uns auch möglich gewesen ist, daß das Zentrum, das nur 3,5% der Stimmen hatte, durch Reststimmenverrechnung, (weil ein Kandidat direkt gewählt war128), fiel es nicht unter die Sperrvorschriften) entsprechend seiner Stärke aufgefüllt wurde. Es kam eine Nachwahl in einem Bezirk, der stark sozialdemokratisch war. Und bei der Ersatzwahl gibt es keine Reststimmenverrechnung, weil ja das übrige Parlament noch zusammen ist. Was war der Erfolg? Die Folge war, daß sich hier in diesem Wahlkreis nun politisch grundverschiedene Gruppen, die überhaupt nichts mehr miteinander zu tun haben, nämlich Zentrum, Deutsche Partei, Demokraten eine ausgesprochen radikale Gruppe, die und die Deutsche Rechtspartei129) zusammen taten, um nun hier, weil es in diesen Bezirnoch nirgends war ken auf eine reine Mehrheitswahl herauskam, mit diesem Konglomerat eine Persönlichkeit zu suchen, die sie noch nicht hatte. (Abg. Heiland: Also ein Kuhhandel!)
Grundidee haben, überhaupt nicht an
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vom 31. März 1947, in: Niedersächsisches GVOB1. 1, Nr. 2 vom 14. April 1947, S. 3. Hier handelt es sich um den Abgeordneten Gregor Dali, der im Wahlkreis 87 (Lingen) ein Direktmandat erringen konnte. Deutsche Die Deutsche Rechtspartei (bundesweit: Deutsche Konservative Partei Rechtspartei, DKP-DRP) war am 22. März 1946 gegründet worden und stellte ein Sammellager für rechtsextreme und radikale Wählergruppen dar. Sie wurde mehrmals grundlegend verändert und bestand, ohne je parlamentarisch erfolgreich zu sein, bis
127) Niedersächsisches Landeswahlgesetz
128) 129)
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1954.
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Jawohl! In einer relativen Mehrheitswahl, in einem einzigen Wahlgang wurde also eine Person gewählt, und mit diesem System wurde nun nicht etwa das ist damit erreicht, daß sich diese politischen Gruppen gefunden hätten nicht gesagt, das ist eine Fiktion —, sondern sie haben einfach auf dem Papier Ja, Herr Brockmann, Ihr Herr war ausgerechnet, wo eine Chance sei. auch dabei! (Abg. Brockmann: Nein, wir haben das nicht mitgemacht!) Es handelt sich hier gar nicht Jawohl, ich kann Ihnen den Zettel zeigen! um ein wirkliches Sichfinden, sondern es ist einfach der Versuch, auf diesem Wege bei dieser Handlung irgend etwas durchzusetzen. Diese Gruppe hat sich nun auch nicht darüber geeinigt, ob sie wirklich die exponierteste und beste Persönlichkeit finden könnte, sondern sie hat vorher berechnen müssen, wer nun hier der stärkste ist und den Daumen wirklich oben hat. Ich glaube also, dieses Beispiel hat uns gezeigt, daß man diese Dinge nicht auf das Wahlrecht projizieren darf. Und gerade wenn wir, die wir in den Parlamenten arbeiten und doch einen gewissen politischen Überblick haben, schon sehen, wie schwer es ist, auf dem Koalitionswege zu einer Linie zu kommen, die man zusammen gehen kann, dann darf man dieses Geschäft des Zustandebringens nicht den Wählern überlassen. Oder ein anderes Beispiel! Ich erinnere mich immer mit gewissem Schmunzeln an die Wahlen in Süd-Hannover 1912, als die Konservativen sagten: „Ehe wir den liberalen Kandidaten wählen, hacken wir uns lieber die Finger ab" und Wahlenthaltung propagierten. Damals wurde mit 111 Stimmen Vorsprung die Sozialdemokratie gewählt, weil sich die Liberalen und die Konservativen nicht zu finden vermochten130). Wir leiden heute zum Beispiel alle daran, daß wir bezüglich der Parteibildungen heute noch von Lizenzen abhängig sind131). Das ist undemokratisch. Man kann nicht Parteien zulassen oder nicht zulassen. Wer soll letzten Endes darüber entscheiden? Ich bin der Auffassung, daß ein wirkliches Auspendeln der politischen Auffassungen nur bei einer weitgehenden politischen Freiheit möglich ist, die aber denen, die sie genießen, auch die Möglichkeit bieten muß, mit gewissen Aussichten in ihrer politischen Arbeit zu stehen. Das braucht nicht so weit zu gehen, daß man nun 35 oder 40 verschiedenste Gruppen hat, und ich möchte die Möglichkeit offen lassen, in einem Wahlsystem die Parlamentsfähigkeit an gewisse Voraussetzungen zu knüpfen. Ich selber möchte dazu nicht abschließend Stellung nehmen. Es ist die Frage, ob eine gewisse Beschränkung erwünscht oder ob ein gewisser Wettbewerb notwendig ist, ehe man die Schwelle des Parlaments überschreitet. Warnen aber möchte ich davor, in das Wahlsystem Dinge hineinzuprojizieren, die Sache der Verfassung, Sache der Geschäftsordnung und Sache der Regierungsbildung sind. Man kann nicht unter —
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um den Wahlkreis Northeim, in dem Diederichs damals wohnte. Der Wahl des Sozialdemokraten war eine Stichwahl mit dem Kandidaten der Liberalen vorangegangen. Diederichs hat sich später häufiger an diese Episode erinnert (Vogt, Diederichs, S. 8). ) Gemeint ist die Pflicht zur Genehmigung durch die alliierten Militärregierungen.
') Es handelte sich hier
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dem Aspekt, daß eine Mehrheit vorhanden sein müsse, diese Mehrheit mit diesem reinen Mehrheitswahlsystem erzwingen wollen. Vor allen Dingen ist es immer eine sehr mißliche Angelegenheit, besonders in schweren Zeiten und es erscheint mir durchaus nicht zweifelhaft, daß wir in Deutschland solchen auf lange Jahrzehnte gegenüberstehen werden —, wenn man mit einem solchen System dann die alleinige Verantwortung im Parlament Leuten in die Hände spielt, die vielleicht nur 34 oder 35 Prozent der Wähler hinter sich haben, also wenn man eine Parlamentsmehrheit schafft, die keiner Volksmehrheit entspricht, denn bei der politischen Propaganda und vor allem bei der Presseeinstellung, wie wir sie zur Zeit leider in Deutschland kennen, und bei der heutigen Art der politischen Polemik müssen wir damit rechnen, daß dieser rein parlamentarischen Mehrheit ständig vorgerechnet wird, daß sie an sich eine Minderheit vertrete, also die Diktatur einer Minorität auf den Umweg über ein schiefes Wahlrecht darstelle. —
[6d. Vorschlag
zum
modifizierten
Proportionalwahlrecht]
Ich bin also grundsätzlich der Auffassung, vertrete dabei aber nur meinen persönlichen Standpunkt, daß ein modifiziertes Proportionalwahlrecht rechenmäßig nach den Verhältnissen berechnet mit offenen Listen der Persönlichkeitswahl alle Möglichkeiten öffnet, und das Wahlrecht gibt, das der wirklich demokratischen Forderung am nächsten kommen würde. Dabei habe ich mir einige Überlegungen bezüglich der Wahlkreise gemacht und bin zu der Meinung gelangt, daß man keine Einmann-Wahlkreise zu bilden braucht, sondern daß man in großen Wahlkreisen einen Wahlausgleich auch für große Minderheiten ermöglichen kann. Wenn wir z. B. einen Wahlkreis bilden, in dem etwa drei Abgeordnete gewählt werden sollen, und dessen Parteien mit vielleicht 48% und die nächste mit 36% an den abgegebenen Stimmen beteiligt sind, so würden wir bei einem Ein-Mann-Wahlkreis immer nur die alleinige Mehrheit vertreten finden; haben wir dagegen einen Drei-Mann-Wahlkreis, in dem die Sitze dann nach dem d'Hondt'schen Verfahren auf die Parteien verteilt werden, so würden, wenn ich annehme, daß die anderen Gruppen klein und unbedeutend seien, die Sitze so verteilt werden, daß den ersten Sitz die stärkste Gruppe bekommt, den zweiten Sitz die große Minderheit, und den dritten Sitz wieder die stärkste Gruppe. Auf diese Weise würden in einem solchen Wahlkreis dann zwei Abgeordnete von der starken Partei und einer von der Minderheit in das Parlament hinein gewählt sein, und alle darüber hinausgehenden Stimmen würden dann praktisch auf die Sammelliste kommen und dort einer Restverrechnung zugeführt werden. Ich bin der Meinung, daß man auf diese Weise auch den Minderheiten, vor allen Dingen den großen Minderheiten, in jeder Weise gerecht werden würde, und man würde es auf diese Weise vermeiden, daß durch die krasse, reine Mehrheitswahl im Volke Verbitterung und das Gefühl absoluter Ungleichheit entsteht; denn ich kann mir vorstellen, daß in gewissen Gegenden eine verhältnismäßig starke Minderheit irgendeiner Richtung vertreten ist, die bei der reinen Mehrheitswahl dann nicht zum Zuge kommt. Und heute konservativ zu 50
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so, und dann wieder konservativ, das ist eine Art, die im Grunde genommen der deutschen Auffassung nicht gerecht wird. Und ich möchte gleich folgendes sagen: Wo starke konfessionelle Unterschiede sind, Diese Dinge sind müssen wir bei der reinen Mehrheitswahl damit rechnen. mehr oder weniger konstant und lassen die Leute aus der Diaspora nie zum
wählen, das nächste Mal
—
gleichgültig, was oben praktisch geschieht oder nicht. hier erwähnt wurde, daß vielleicht irgendeine Gruppe, z. B. Sozialisten, zu der Zeit, zu der sie am Ruder sind, ihr Sozialisierungsprogramm durchführen könnten, so wird dabei praktisch das Eine verkannt: daß es sich bei der Entwicklung solcher großen umwälzenden Systeme der Wirtschaftsorganisation nicht um Dinge handelt, die heute gemacht werden können und morgen nicht, die heute eingeführt und morgen wieder abgeschafft werden können, sondern daß das strukturelle Grundveränderungen sind, die in einer Regierungsperiode von vier Jahren wahrscheinlich nicht zu erledigen sind, vor allem wenn diese Mehrheit damit rechnen muß, daß sie die nächsten vier Jahre nicht mehr an der Regierung ist; denn dann wird zunächst alles ausradiert, was sie gemacht hat, und es wird wieder von vorn angefangen. Darin kann ich keine Stetigkeit erblicken. Eine Stetigkeit kann nur dann erreicht werden, wenn gerade die Politiker, die nun die Vertreter, die Exponenten der politischen Gruppen sind, die das Spiegelbild der politischen Einstellung in der Bevölkerung sind, nun in der parlamentarischen Arbeit unter einer geschickten Handhabung der Geschäftsordnung und der Verfassung und ihrer Möglichkeiten eine stetige Politik auch durch ein Sichfinden auf gewissen Linien innerhalb der Regierungsarbeit ermöglichen. Ich möchte also von meinem persönlichen Standpunkt aus unbedingt ein Bekenntnis zum Verhältniswahlrecht ablegen, wobei ich, wie gesagt, durch offene Listen, die man präsentieren könnte, dem Wunsch, Persönlichkeiten zu wählen, im weitesten Umfange entgegenzukommen bereit wäre, ganz abgesehen davon, daß gerade das die Starrheit aus diesem System nimmt und niemand sagen kann, daß hier die Auswahl der Kandidaten und ihre Reihenfolge von einer sturen Parteienbürokratie gemacht wird; sondern die Partei sagt: Hier habt ihr unsere besten Männer, nun, Wähler, entscheide, welchen von ihnen du im Parlament haben willst. Und die Aufgabe der Parlamentarier ist es dann, aus dem, was das Volk ihnen an Mitarbeitern in die Parlamente geschickt hat, nun durch eine geschickte Regelung und geschickte Politik eine tragfähige Regierung zu schaffen. Das eben ist ja die Aufgabe der Parlamentarier. Denn sie sind ja Politiker, sie stehen mitten in der Politik, und zu ihnen hat der Wähler das Vertrauen. Der Wähler sagt: Ich schicke diesen Mann hinein, weil ich allein als einfacher Mann, der auch andere Dinge zu tun hat, diese Dinge vielleicht nicht so entscheiden kann; er soll mein Vertreter sein und aus seiner besseren Kenntnis der politischen Verhältnisse die Wege finden, die eben hier für den einzelnen nicht ohne weiteres zu übersehen sind. Das ist wirklich eine repräsentative Demokratie, und sie ist meiner Auffassung nach nur auf dem Wege über das Proportionalwahlrecht mit entsprechenden Kautelen zu verwirklichen. Zuge kommen, Und
ganz
—
wenn nun
Nach einer kurzen 20 Minuten
Geschäftsordnungsbesprechung geschlossen.
wird die
Sitzung
um
12
Uhr
51
Nr. 3
Dritte
Sitzung
23.
September 1948 Nr. 3
Dritte
Sitzung
des Ausschusses für 23.
September
Z 5/81, Bl. 45-1201). Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 85-86, Drucks. Nr. 101
Wahlrechtsfragen
1948
Wortprot.
Anwesend2) :
CDU/CSU: Kroll, Fecht (für Schräge), Walter, Schröter SPD: Stock, Menzel, Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Paul Mit beratender Stimme: Heile (DP), Brockmann (Z), Suhr (SPD), Kaufmann (CDU), Zimmermann (SPD)3), Grève (SPD)4), von Brentano (CDU), Maier (SPD)5) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 12.45 Uhr Beginn: 9.00 Uhr
Sitzung und teilt mit, daß die Briefe an die die man in der letzten Sitzung besprochen habe6), Länderregierungen, abgegangen seien, nachdem der Präsident des Parlamentarischen Rats in Kenntnis gesetzt worden sei. Der Vors. [Dr. Becker] eröffnet die
einzelnen
[1. ZUR
Zur
Geschäftsordnung schlägt
GESCHÄFTSORDNUNG]
Dr. Diederichs vor,
um
eine uferlose Debatte
zu
vermeiden, Einzelfragen, die strittig sein könnten, herauszugreifen. Der Vors. [Dr. Becker] begrüßt diesen Vorschlag, meint aber, es würde der Wunsch bestehen, sich zu den Vorträgen generell zu äußern. 121—126 (S. 2, 3, 69, 70, 71, 72 der ursprünglichen Zählung) wurden wegen schwer lesbarer Rednerkorrekturen aus dem Protokoll entfernt und neugeschrieben. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Gustav Zimmermann (2. Dez. 1888-1. Aug. 1949) Württemberg-Baden, SPD, nach 1945 Wiederaufbaureferent und stellv. Oberbürgermeister in Mannheim, Landesdirektor des Innern in Baden, Vizepräsident des württembergisch-badischen Landtages. Im Pari. Rat war Zimmermann Mitglied des Hauptausschusses und stellv. Mitglied des Wahlrechtsausschusses. Dr. Otto Grève (30. Jan. 1908-11. Juni 1968), Niedersachsen, SPD, Rechtsanwalt, gehörte zu den Mitbegründern der FDP in Niedersachsen, trat aber am 1. Mai 1948 in die SPD ein. Grève war Mitglied des Haupt-, Finanz- und Organisationsausschusses. Friedrich Maier (29. Dez. 1894-14. Dez. 1960), Baden, SPD, Volksschullehrer und Referent im südbadischen Innenministerium. Maier war seit 1947 stellvertretender Landesvorsitzender der SPD in Baden und Mitglied der Beratenden Versammlung des Landes Baden. Maier nahm ab der vierten Sitzung stellvertretend für Menzel als ordentliches Mitglied an den Ausschußberatungen teil. Chaput de Saintonge schildert ihn als zurückhaltenden, in seinen politischen Überzeugungen aber durchaus fundierten und verläßlichen Abgeordneten (Pommerin, Mitglieder, S. 575 f.). Siehe oben S. 33. Siehe weiter Dok. Nr. 6, Anm. 27.
!) Bl.
2) 3)
4) 5)
6) 52
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Nr. 3
Paul ist der Ansicht, daß man sich zunächst über die Prinzipien des Wahlrechts klar werden müsse. Wenn man sich darüber klar sei, welche Art Wahlrecht gewählt werde, ergäben sich die meisten Fragen von selbst. [2. AUSSPRACHE ÜBER DIE REFERATE VON PROF. THOMA, DR. KROLL UND DR. DIEDERICHS. GRUNDSÄTZLICHE STELLUNGNAHMEN DER PARTEIEN ZUM
WAHLRECHT]7)
Der Vors. [Dr. Becker] teilt mit, daß sich der Organisationsausschuß auf die direkte Wahl festgelegt habe8), und eröffnet die Aussprache. Heile: Bei den Vorträgen und namentlich bei den Ausführungen des Herrn Professor Dr. Thoma klang immer wieder die Ansicht durch, daß die Vertreter des Proportionalsystems ihr System für das der absoluten Gerechtigkeit halten, und daß das System der Mehrheitswahlen als etwas Summarisches angesehen wird, bei dem man Unrecht in Kauf nimmt, um klare Entscheidung zu bekommen. Ich möchte auf diese von mir nicht geteilte Art, die Dinge zu betrachten, hier einmal ganz außer Betracht lassen und statt dessen eine Betrachtung versuchen, die auch schon Gegenstand internationaler Debatten gewesen ist, bevor wir das Naziregime bekamen, als wir noch die Interparlamentarische Union9) hatten, die alle Jahre ihre große Konferenz abhielt. Damals ging durch die ganze Welt eine ähnliche Stimmung wie wir sie auch heute wieder erleben: Man fand es bedenklich, daß im Zeitalter der Demokratie ein ganz großer Teil der Menschen, und keineswegs nur der völlig unpolitischen Menschen, sich mehr und mehr vom politischen Leben abwende und an der Demokratie, vor allem aber am parlamentarischen System, zweifele. Und in der Interparlamentarischen Union zeigte sich damals, daß es in allen Ländern ziemlich gleich aussah, daß in allen Ländern genau dieselben Zweifel aufgetaucht waren, dieselben Kämpfe waren, daß man überall um die Frage rang, wie man eine Staatsform und eine Technik der Staatsführungsauslese, die das Volk als Ganzes wirklich mit dem Staate verbindet, schaffen könne, und zwar nicht durch äußeren Zwang, sondern durch innere Anteilnahme mit dem Herzen. Es hatte sich überall herausgestellt, daß eine ungeschickte Durchführung des parlamentarischen Systems bei vielen Menschen Zweifel hervorgerufen hatte, die nicht im System selbst, sondern in seiner schlechten Durchführung begründet sind. Ganz besonders fand man, daß in weitesten Kreisen das Gefühl, daß das Wahlsystem nichts tauge, die Ursache solcher Zweifel sei. Das ist die Folge der unpersönlichen Künstelei des Proportionalwahlsystems. Durch nichts wird auch hier bei uns in Deutschland die völlige Abkehr breitester Massen unseres Volkes vom parlamentarisch geführten
7) Siehe oben Dok. Nr. 2. 8) Auf seiner 2. Sitzung vom
16 Sept. 1948 hatte sich der Organisationsausschuß ausführlich mit dem Wahlmodus befaßt und sich dabei einmütig für die direkte Wahl zum Bun-
destag ausgesprochen (Drucks. Nr. 63). 9) Die Interparlamentarische Union (IPU) wurde schiedener Staaten det.
zur
friedlichen
1888 in Paris
von
Parlamentariern
ver-
Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten gegrün53
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das Wahlrecht, das uns seinerzeit von den VolksWeimarer Nationalversammlung aufoktroyiert worden ist10). Die Menschen haben überall das Gefühl: Es hat gar keinen Zweck, sich für die Wahl zu interessieren; denn bei der Listenwahl können wir ja gar nicht selber wählen, sondern haben nur einen Zettel mit irgendeiner Liste von Namen abzugeben, die uns meist ganz fremd sind. Und alle ausgeklügelten Künste mit dem Panaschieren und Kumulieren, die dem Wähler die Möglichkeit geben sollen, auch bei der Listenwahl doch persönlich einen lebendigen Menschen zu wählen und nicht bloß für eine papierene Theorie zu stimmen, können das Volk nicht davon überzeugen, daß die Listenwahl ein wirkliches Wahlrecht ist. Wir haben heute noch mehr als damals ein dringendes Interesse daran, unser Volk wieder an den Staat heranzuführen, ihm wieder Begeisterung für das politische Leben beizubringen, in ihm das Gefühl zu erwekken, daß es für das Zusammenleben eines Volkes nichts Höheres, Heiligeres und Wichtigeres gibt als die Politik; daß die Politik nicht Kampf für agristisische11) Interessen ist, sondern etwas Heiliges und Ideales, eine alle verpflichtende Aufgabe, die sie beinahe wie eine Religion mit der vollen Beteiligung ihrer Seele auszuüben haben. Dem steht der Proporz mit seiner seelenlosen, rechnerischen Künstelei entgegen. Darum warne ich dringend davor, an diesem Proportionalsystem festzuhalten. Seine Anhänger sagen, es sei gerecht. Ich bestreite auch das. Aber ich will hier diese Frage ganz weglassen12) und meinen Gesichtspunkt ganz stark in den Vordergrund stellen, die Notwendigkeit einer lebendigen Verbindung der Menschen mit der Politik. Das können wir nur erreichen, wenn die Menschen bei der Ausübung ihres wichtigsten politischen Rechtes nicht toten Listen, sondern lebendigen Menschen ihr Vertrauen schenken, indem sie in unmittelbarer Wahl lebendige Menschen wählen und sich nicht bloß zu irgendwelchen durch die Listen festgelegten Ideologien und Programmen bekennen, die ja ständig wechseln. Wenn man diese Dinge ganz streng ansieht, muß man doch zugeben, daß man dem einzelnen Wähler in Wirklichkeit nicht das zumuten kann, was das Proportionalsystem dem Durchschnittsmenschen zumutet: die Entscheidung über politische Fragen zu stellen, die oft höchst kompliziert sind. Wenn wir den lebendigen Menschen so nehmen, wie er wirklich ist, und nicht so, wie er sein sollte, so ist doch wohl kaum zu bestreiten, daß der Wähler im Durchschnitt wohl vermag, von vier oder fünf Kandidaten verschiedener Richtung denjenigen auszusuchen, der in seinem Gedankengang dem eigenen am meisten entspricht und der ihm auch in seiner Wesensart am meisten liegt. Wenn er den wählt, dann ist [es] wirklich eine richtige Wahl. Das Abstimmen für einen beschriebenen Zettel mit unbekannten Namen ist keine Wahl. Staat
gefördert, wie durch beauftragten für die Wahlen so
zur
10) Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 59. ") Lat. agrestis: ungebildet, unmanierlich. 12) Vgl. Heile am 21. Okt. 1948 im Plenum, wo er auf Diederichs entsprechende Ausführungen antwortet (Stenographische Berichte, S. 117). 54
Dritte
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Schröter: Ich möchte von vornherein zu verstehen geben, daß ich Anhänger des Mehrheitswahlrechts bin, und zwar bis zur letzten Konsequenz13). Welches ist der Hauptvorwurf, den man dem Verhältniswahlrecht macht? Ich glaube, der Vorwurf der Splitterparteienbegünstigung. Ich habe gestern darauf gewartet, ob jemand imstande sein würde, den Vorwurf, daß das Verhältniswahlrecht das Entstehen der Splitterparteien fördere, zu entkräften. Ich habe das von keiner Seite gehört. Ich habe lediglich den Versuch des Herrn Prof. Thoma gehört. Er hat ausgeführt, daß wir bei der Wahl im Jahre 1928 35 Parteien gehabt hätten, und daß diese im Jahre 1932 auf 27 zusammengeschmolzen seien. Und daraus schloß er, daß sich die Sache mit der Zeit von selbst geregelt haben würde14). Meine Herren, das ist kein schlüssiger Beweis, das ist lediglich eine Vermutung, eine Hoffnung, ein Wunsch. Ich stelle fest, daß es gestern nicht gelungen ist, diesen Vorwurf zu entkräften. Ja, ich glaube, es ist sogar von allen Seiten unbestritten zugegeben worden, daß das Verhältniswahlrecht eine Begünstigung der Splitterparteien bedeute. Was ist die Folge des Bestehens von Splitterparteien? Die Folge ist die Koalition mit allen ihren Nachteilen. Wir haben das ja im liberalen Deutschland15) erlebt. Es besteht keine klare Linie. Die Parteien sind fortgesetzt gezwungen, vor ihre Wähler zu treten, sich zu entschuldigen und ihnen zu erklären, warum sie nicht ihrem Programm entsprechend so und so abgestimmt hätten. Sie mußten sich mit der Tatsache entschuldigen, daß sie in einer Koalition saßen. Koalition bedeutet ein ewiges Kompromiß. Ich verkenne nicht, daß manches Kompromiß ein politisches Meisterstück sein kann und manchmal notwendig ist. Aber die Koalition erhebt das Kompromiß zum Grundsatz der Politik, und das ist auf jeden Fall falsch. Mein Freund Dr. Kroll hat bereits gestern gesagt, in der Koalition verbrauchten sich die Parteien16). Ja, meine Damen und Herren, nicht nur die Parteien verbrauchen sich in der Koalition, sondern die Demokratie hat sich in der Koalition selbst verbraucht. Wie war denn die Situation im liberalen Deutschland? Alle Parteien, angefangen von der SPD bis zu den Deutsch-Nationalen, sind in die Koalition hineingegangen und haben sich dort verbraucht. Und als die Sache zur Entscheidung kam, war keine Opposition da, die die Volksstimmung hätte abfangen können. Was ist die Folge gewesen? Das Volk hat sich Hitler in die Arme geworfen. Hätten wir damals ein Mehrheitswahlrecht gehabt und —
13) Schröter hatte sich erstmals auf dem
1. Zonenparteitag der CDU in Recklinghausen am Aug. 1947 als Anhänger des Mehrheitswahlrechts nach dem Krieg parteipolitisch profiliert. Besondere Betonung legte er hierbei auf das Argument, das Mehrheitswahlim Gegensatz zum Verhältniswahlrecht recht führe notwendigerweise zum Zweiparteiensystem und damit zu stabilen Mehrheitsverhältnissen (Carl Schröter: Das Wahlrecht, in: Christlich-Demokratische Union der britischen Zone: Erster Zonenparteitag, 14./15.
—
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Recklinghausen 1947,
S. 104-109).
14) Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 1 c. 15) Schröter spielt hier darauf an, daß in der Weimarer Republik ausschließlich Koalitionen
Regierungen bilden konnten. 16) Vgl. oben Dok. Nr. 2, TOP 5 b.
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Nr. 3
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dabei bleibe ich im Gegensatz zu den Ausführungen von Herrn Prof. Thoma17), dann hätten wir eine Opposition gehabt, die die Volksstimmung damals hätte auffangen können. Ja, ich bleibe auch im Gegensatz zu den Ausführungen Herrn Prof. Thomas dabei, wenn sich damals das sogenannte Führerkorps18) Hitlers in offener Feldschlacht im Zeichen der Mehrheitswahlen hätten, stellen müssen, dann hätte es sich in seiner ganzen Jämmerlichkeit und Erbärmlichkeit
gezeigt.
Aber eine andere Folge der Parteienzersplitterung ist der leidenschaftliche, unfaire Parteienkampf gewesen. Je kleiner eine Partei war, je weniger Aussicht sie hatte, einmal in die Verantwortung zu gelangen, um so unfairer konnte sie den Kampf führen. Und die Folge war: angewidert von einem derartigen politischen Treiben hat sich das deutsche Volk seinerzeit von der Parteipolitik abgewendet und sich Hitler in die Arme geworfen. Lassen Sie mich noch mit einigen Worten zum Schluß zu den gestrigen Ausführungen des Herrn Dr. Diederichs19) Stellung nehmen. Nach seiner Auffassung geben Nachwahlen nur ein Stimmungsbild aus einem kleinen Bezirk. Ja, Herr Kollege, die einzelne Nachwahl! Aber sehen Sie, da drüben in England haben sie schon eine ganze Reihe Nachwenn ich nicht irre, 15 oder 16 wahlen gehabt, und in diesen Nachwahlen hat sich stets dasselbe Stimmungsbild ergeben, nämlich ein Verlust der Labour Party; nur in einem Wahlkreis ist es allerdings den Konservativen gelungen, den Wahlkreis zu erobern20). Aber alle Wahlen haben dasselbe Bild ergeben: ein Absinken der Labour, und eine Zunahme der konservativen Stimmen. Ich kann mich also nicht der Auffassung des Herrn Diederichs anschließen, daß die Nachwahlen nur ein Stimmungsbild aus einem kleinen Bezirk bringen, und ich glaube, es ist sehr gut für die Regierung, für die Opposition und auch für die politischen Parteien, daß sie fortgesetzt über die Stimmung der Wähler durch derartige Nachwahlen orientiert werden. Sie zwingen die Parteien fortgesetzt zu stärkster Aktivität; sie zwingen die Parteien fortgesetzt, ihre Programme zu überprüfen und sie der jeweiligen Situation anzupassen. Ich bin also nicht der Meinung wie Herr Kollege Diederichs, daß die Nachwahlen nur einen Einblick in die Stimmung der Wähler in einem kleinen Bezirk böten21). Dann haben Sie weiter gefragt, was durch dieses Mehrheitswahlrecht überhaupt erreicht werde; heute wählten die Leute Labour, und das nächste Mal komme der große Umschwung, dann wählten sie mit einem Schlag alle konservativ. Und Sie fragen, ob denn das nun richtig sei. Ich glaube, wir Deutsche leiden unter dem einen Fehler, daß wir glauben, wir müßten alle Dinge ideologisch oder weltanschaulich registrieren. Nein, ich halte es für sehr richtig, daß die Wähler über die Politik einer Partei entscheiden, unbekümmert, ob sie der betreffenden Partei angehören oder nicht. Wie ist es letzten Endes? Ein Mann —
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17) 18) 19) 20) 21) 56
Vgl.
oben Dok. Nr. 2, TOP 1 e. Gemeint ist die NSDAP. Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 6 a. In der Nachwahl vom 11. März 1948 in North Vgl. oben Dok. Nr. 2, TOP 6 c.
Croydon (Craig, Facts,
S. 55).
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wie Churchill hat einst der Liberalen Partei angehört, ging dann zu den Konservativen und hat dann wieder die Partei gewechselt22). Der Mann wäre nach der deutschen Auffassung unmöglich; man hätte ihn als Konjunkturritter bezeichnet. Und der Mann ist doch wahrhaftig ein Kerl! Ich halte so also durchaus für richtig, wenn bei Wahlen derartige Erdrutsche erfolgen, unbekümmert ob die Leute das letzte Mal Labour oder konservativ gewählt haben. Das ist ein wunderbarer Erziehungsfaktor für die politische Partei. Ich glaube, meinem Kollegen Dr. Kroll ist es schon gelungen, zu widerlegen, daß dem Proportionalwahlrecht allein Gerechtigkeit anhafte. Und selbst wenn dem Mehrheitswahlrecht eine gewisse Ungerechtigkeit anhaftet, so soll mich das nicht stören, ob ungerecht oder nicht, das ist nicht das Entscheidende. Wir haben nur eine Aufgabe, und das ist der Aufbau einer arbeitsfähigen Demokratie: Und ich kann diese Möglichkeit nur im Zeichen des Mehrheitswahlrechts sehen. Vors. [Dr. Becker]: Ich darf vielleicht vorausschicken, daß ich die Absicht habe, einmal ganz leidenschaftslos das Pro und Kontra eines jeden Wahlsystems zu erörtern, damit man erkennt, was dafür und was dagegen spricht, und ob das, was wir den einzelnen Systemen vorzuwerfen haben, vielleicht irgendwie vermieden werden kann. Ich bin unter dem Mehrheitswahlrecht politisch groß geworden und habe, da mein Vater im Vorstand einer politischen Partei23) war und ich schon in jungen Jahren viel hörte über die Stichwahlaffairen, daß ich schon damals einen gewissen Horror bekommen habe. Wir haben, wenn wir das Mehrheitswahlrecht ansehen, vor 1919 drei Systeme in der Welt gehabt: Erstens das englische System, in dem die Mehrheit im ersten Gang erreicht werden muß, wobei die relative Mehrheit genügte. Also ein Beispiel: 9000 Stimmen Labour, 8000 Stimmen Konservative, 7000 Stimmen Liberale/im ganzen Wahlkreis: die Labour-Party ist also gewählt. Das zweite System ist das der französischen Dritten Republik bis zum Jahre 191924); im ersten Wahlgang entscheidet die absolute Majorität; ist sie nicht erreicht, folgt ein zweiter Wahlgang, in dem dann die relative Mehrheit entscheidet, und zwar mit der Maßgabe, daß neue Kandidaten aufgestellt und alte Kandidaturen zurückgezogen werden konnten.
22)
23) 24)
Winston Churchill (30. Nov. 1874-24. Jan. 1965) wurde im Jahre 1900 als konservativer Politiker ins englische Unterhaus gewählt. Im Jahre 1904 wechselte er als Anhänger des Freihandels zur Liberalen Partei, wo er dem sozialreformerischen Flügel angehörte. Von 1908 bis 1915 und 1917 bis 1922 gehörte er auf verschiedenen Posten der Regierung an und kehrte 1924 nach dem Zerfall der Liberalen Partei zu den Konservativen zurück. Von 1940 bis 1945 und erneut von 1951 bis 1955 war Churchill Premierminister. Aus dem Nachlaß Becker geht hervor, daß sein Vater im Kaiserreich Mitglied der Nationalliberalen Partei war (ADL NL 11-67). Die Dritte Republik in Frankreich bestand von 1870 bis 1946. Im Jahre 1919 kam es zu einer umfassenden Wahlreform, die eine Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahl vorsah. Zur Frage des französischen Wahlsystems zu dieser Zeit siehe Ferdinand A. Hermens, Demokratie oder Anarchie, S. 99—119.
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Nr. 3
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Möglichkeit hatten wir im Deutschen Reich: im ersten Wahlgang entscheidet die absolute Mehrheit. Im zweiten Wahlgang entscheidet die Stichwahl, die aber nur zwischen den beiden Stärksten stattfinden darf. Und dann noch eine Variation! Damals im Wahlrecht zum deutschen Reichstag konnte sich jedermann selber aufstellen; er brauchte sich nicht anzumelden, er brauchte nicht zugelassen zu werden, er brauchte nicht irgendeinen Wahlbetrag für die Wahlkosten zurückzulegen, sondern er brauchte nur seinen Zettelverteiler hinzustellen und konnte dann vielleicht einige hundert Stimmen für sich buchen25). Das war wirklich insofern ein Persönlichkeitswahlrecht, als sich jede Persönlichkeit hinstellen und sagen konnte: So, bitte, wählt mich! Die liebe Verwandtschaft tat ihm vielleicht den Gefallen, der Stammtisch auch noch, und so kam er dann auf einige hundert Stimmen. Aber was war im deutschen Recht von damals die Folge? Erstens; da mit jedem Mehrheitswahlrecht eine bestimmte Abgrenzung von Wahlbezirken verbunden ist und man die Wahlbezirke nicht alle 5 oder 10 Jahre ändern kann26), waren Verschiebungen in einem solchen Umfang eingetreten, daß z. B. im Wahlkreis Dortmund-Essen-Hörde 40 000 Stimmen einen Kandidaten nicht in die Stichwahl brachten, während mit denselben 40 000 Stimmen in Ostpreußen, Pommern oder in der Oberpfalz sechs bis acht Mandate geholt werden konnten. Ich gebe zu, daß das an den Wahlbezirken liegt. Das läßt sich bis zu einem gewissen Grade modifizieren, aber auch nur bis zu einem gewissen Grade. Denn wir können nicht alle 5 bis 10 Jahre diese Bezirke ändern, sonst bringt das in die ganze Vorbereitung der Wahlen immer von neuem ein Durcheinander, und auch der Aufbau der Parteien usw. in den Wahlkreisen muß immer wieder neu geregelt werden. Diese Neueinteilungen sehe ich aber als das Geringste, also nicht als ein unüberbrückbares Hindernis an. Der zweite Nachteil bestand in dem imperativen Mandat27). Entsinnen Sie sich noch, wer alles kam: Gewerkschaften, Bund der Landwirte, Bauernbund, HanGott sa-Bund, Bund der Impfgegner, Frauenstimmrechtler, Rohköstler28) Die dritte
—
vom 31. Mai 1869 (BGBl. S. 145). Das Deutsche Reich übernahm 1871 diese Wahlgesetzgebung durch Art. 20 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 (RGBl. S. 63). 2B) § 5 des Wahlgesetzes schrieb zwar die schrittweise Angleichung der Wahlkreiseinteilung an die Bevölkerungsentwicklung vor, dies wurde jedoch bis 1918 nicht umgesetzt. Siehe hierzu auch Herbert Brauner: Wahlkreiseinteilung und Wahlrechtsgleichheit. Eine Untersuchung des gesamtstaatlichen Parlamentswahlrechts in Deutschland vom Norddeutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Diss. Heidelberg 1970. 27) D. h. der Abgeordnete ist an die Weisungen der Wähler bzw. seiner Partei gebunden und abberufbar. 28) Zu politischen Parteien und Verbänden im Kaiserreich siehe vor allem: Fritz Blaich: Staat und Verbände in Deutschland 1871-1945, Wiesbaden 1979; Hans Mommsen (Hrsg.): Arbeiterbewegung und industrieller Wandel. Studien zu gewerkschaftlichen Organisationsproblemen im Reich und an der Ruhr, Wuppertal 1980; Barbara GrevenAschoff: Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland 1894—1933, Göttingen 1981; Siegfried Mielke: Der Hansa-Bund für Gewerbe, Handel und Industrie 1909—1914. Der gescheiterte Versuch einer antifeudalen Sammlungspolitik, Göttingen 1976; Dirk Stegmann: Die Erben Bismarcks: Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen Deutschlands. Sammlungspolitik 1897-1918, Köln/Berlin 1970.
25) § 4 Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes
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weiß, was alles sonst noch kam! Die kamen nun zu dem armen Kandidaten So war und sagten: So, hier wird unterschrieben! Sind Sie dafür oder nicht? es doch, meine Herren. Es gab natürlich Leute, die diese Ansinnen weit von sich wiesen und sagten: Ich mache solche Dinge nicht mit. Die meisten haben nicht mitgemacht. Aber es ist doch schlimm, daß solche Verlangen überhaupt —
wurden. Das dritte ist nun die Frage der Stichwahl. Die Stichwahl nach deutschem System führte dazu das erzählte mir neulich ein alter Parteifreund aus Frankfurt daß eine Partei in der Stadt Frankfurt für Herrn X und in dem Vorortwahlkreis für genau das Entgegengesetzte eingetreten sei, und zwar mit der
gestellt
—
,
—
gleichen Begründung.
Diese Stichwahlen führten dann aber auch
zu Bedingungen für die Stichwahldann auch wieder zum Bild des imperativen Mandats gehört. Die Folge war nämlich, daß der betreffende Abgeordnete, der in die Stichwahl mit Hilfe einer fremden Partei gewählt war, und der nun doch die Aussicht haben wollte, bei der nächsten Wahl möglicherweise mit der Unterstützung derselben dritten Parei wieder gewählt zu werden, nicht mehr mit absoluter Festigkeit seine Meinung vertreten konnte, sondern innerlich in seiner Überzeugung etwas hinkte. Er mußte gewisse Rücksichten nehmen. Gewiß, es gibt überall Rücksichten, die man nehmen muß auch auf Strömungen in den eigenen Kreisen. Aber diese Rücksichtnahme auf andere Parteien ist bei der Wahl nach Proportionalwahlrecht nicht nötig; denn hier wird er nur mit den Stimmen seiner Partei gewählt. Das wären die Nachteile, die da vorhanden sind. Ich glaube, die Antithese Persönlichkeitswahlrecht und Verhältniswahlrecht ist auch nicht richtig; denn im Volk entsteht dadurch der Eindruck, beim Verhältniswahlrecht würden keine Persönlichkeiten gewählt, und beim Persönlichkeitswahlrecht würden Persönlichkeiten gewählt29). Ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir, um Persönlichkeiten durchzubringen, unter allen Umständen den Proporz haben müssen, damit man erstens für die führenden Leute einer Partei die wirklich sicheren Stellen bekommt; damit man zweitens, wenn man Sachkundige braucht, also z. B. Montagemeister, Handwerker, um irgend etwas zu nennen, die an sich in ihrem Fach bedeutend sind, aber nicht das Zeug dazu haben, nun mit dem Rucksack auf dem Buckel im Wahlkampf von Dorf zu Dorf zu gehen, die Sicherheit hat, daß sie gewählt werden. Da muß man den Proporz wenigstens als Ergänzung haben. Drittens die Frauen! Wie wollen Sie eine Frau mit dem Persönlichkeitswahlrecht in die Parlamente bringen?! Das glückt hier und da einmal einer, die das Zeug hat, sich auch gegenüber Männerversammlungen durchzusetzen. Aber wenn man es auf die Allgemeinheit abstellt, dann glaube ich doch sagen zu müssen: die Frauen bekommt man praktisch nur mit den Reststimmen auf der Landesliste durch. Viertens, Persönlichkeiten. Also die Persönlichkeiten werden durch den Proporz nicht ausgeschlossen und können sich selbstverständlich auch bei diesem Wahl-
bündnisse, die oft sehr übel
waren, was
—
29) Siehe
zu
dieser Frage auch Meyer,
Wahlsystem,
S. 34
passim. 59
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recht durchsetzen. Einen Vorteil des Mehrheitswahlrechts sehe ich darin, daß ein gewisser aktiverer Kampf um einen bestimmten Wahlkreis entsteht. Und für das Mehrheitswahlrecht spricht, daß der Mann oder die Frau, der oder die sich nun zur Wahl stellt, selber, und nicht durch Parteiredner vertreten, sich bis ins kleinste Dorf hinein bekanntmachen und mit dem Gegner selber die Klingen kreuzen muß. Das bringt den betreffenden Bewerber zweifellos seinen Wählern um eine Spur näher, und gestaltet den Wahlkampf sozusagen mal nun etwas
sportlicher.
Ich glaube also nicht, daß die Antithese Persönlichkeitswahlrecht und Proportionalwahlrecht richtig ist. Die Vorsitzenden der Wählergesellschaft sind zweifellos Persönlichkeiten. Nehmen wir an, daß Herr Sternberger293) sich im Wahlkreis Straubing zur Wahl stellt. Dann tritt dort bestimmt eine Persönlichkeit als Bewerber auf. Und auf der anderen Seite steht nun als Bewerber ein Herr, der nur lokales Persönlichkeitskolorit hat, Herr Bichler z. B. Soll ich Ihnen sagen, wie die Wahl ausfallen wird? Herr Bichler wird mit überwältigender Mehrheit gewählt! Sie können genau dasselbe Beispiel in Hamburg oder Rixdorf machen: Es funktioniert auch da nicht. Daher glaube ich nicht, daß diese Antithese richtig ist. Dann das Mehrheitswahlrecht! Zwei Kollegen haben das englische System in Reinkultur empfohlen. Ich habe vorhin ein mögliches Wahlergebnis daraus genannt, und wenn Sie sich nun das englische Wahlrecht ansehen, so wird dort gewiß im ersten Wahlgang mancher auch mit absoluter Mehrheit gewählt. Dann ist die Sache in Ordnung. Aber es sind viele andere, die mit relativer Mehrheit gewählt sind. Und glauben Sie nun, daß man diese Wahl, bei der eine Minderheit siegt, als Mehrheitswahlrecht bezeichnen kann? Ich glaube es nicht. Also diese Antithesen sind zweifellos nicht richtig. Nun eine andere Frage: was heißt denn eigentlich „Demokratie"? Demokratie heißt Selbstregierung das ist meiner Ansicht nach die beste Übersetzung —, die durch eine Vertretung des Volkes geschehen soll. Die Demokratie setzt weiter voraus, daß sich möglichst viele Leue auf eine bestimmte Maßnahme, die im Staat zu geschehen hat, einigen. Die Ein-Partei wäre das Schönste. Die gibt es aber als freiheitlich-demokratische Möglichkeit nur in der Theorie. In der Demokratie wird und soll aber die Mehrheit entscheiden. Und zwar immer möglichst die absolute Mehrheit, weil die absolute Mehrheit diejenige ist, die der Einstimmigkeit des Volkes am nächsten kommt, jedenfalls viel näher als die relative Mehrheit. Nun ist die Frage: Worüber wird in der Demokratie abgestimmt? Abgestimmt wird über zweierlei. Bei den Gesetzen, bei den Maßnahmen, die zu treffen sind, kommt es zu Vorschlägen oder Zusatzanträgen; und bei jedem Antrag heißt es nur: ja oder nein. Bei dieser Art der Abstimmung ist also ein klares mehrheitsmäßiges Verhältnis möglich. Bei der Wahl von Personen liegen die Dinge anders, da wird nicht nur „ja" oder „nein" geantwortet; es ist nicht wie in der Schule, wo ein Lehrer gesagt haben soll: Wenn man die Frage stellt, wer größer gewesen sei, Cäsar oder —
29a) Dolf Sternberger, Vorsitzender der Deutschen Wählergesellschaft. 60
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man nur mit ja antworten. So geht es bei der Wahl von Personicht. Da muß man sagen: entweder Cäsar oder Augustus oder ein Dritter. Nun kommt die Frage: Wie lange soll gewählt werden, bis eine absolute Mehrheit da ist? Sie entsinnen sich, daß es verschiedene Lösungen gibt: die alte deutsche mit Stichwahl zwischen denjenigen, die im ersten Gang die meisten Stimmen erhalten hatten, und die französisch-romanische mit der Stichwahl im relativen Wahlrecht. Warum im zweiten Gang das relative Wahlrecht? Man könnte auch anders verfahren. Wenn vier Kandidaten in der Wahl waren, könnte man den zweiten Wahlgang über die drei Kandidaten mit den höchsten Stimmzahlen machen und wieder einen ausscheiden, den dritten Wahlgang dann über die zwei, die dann noch die höchsten Stimmzahlen haben. Und dann wäre man endlich zu dem Ergebnis der absoluten Mehrheit gekommen. Das wäre viel zu umständlich, obwohl wir mit unserer hessischen Kreisordnung diese Umständlichkeit eingeführt haben30). Also es gibt schon auch solche Möglichkeiten. Sie sind aber bei der allgemeinen Wahl zu umständlich. Denn darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig: das Wahlrecht muß so klar und übersichtlich sein, daß das Volk es versteht: seine Mechanik versteht und die Gründe dafür versteht. Ein zweiter Wahlgang auf der Grundlage der relativen Mehrheit bringt dann die Mehrheit da, wo sie im ersten Wahlgang als absolute Mehrheit nicht zu erreichen ist, und zwar aus folgender Erwägung: Beim ersten Wahlgang mögen alle ihre Kräfte messen. Wenn sich dann im zweiten Wahlgang die Parteien B und C nicht auf einen neuen Kandidaten oder auf irgendeine Kompromißmöglichkeit gegenüber A einigen können, dann geschieht es den beiden ganz recht, wenn sie von der relativen Mehrheit, die vielleicht die Partei A bekommt, überstimmt und überholt werden; denn dann haben sie gezeigt, daß sie unter sich so wenig Wesensübereinstimmung haben, daß sie beide zusammen keine tragfähige Regierung bilden können, wenn sie nicht einmal einen einzelnen Abgeordneten stützen können. Wenn die Frage so läge, daß überhaupt nur das sogenannte Mehrheitswahlrecht in Frage käme, dann könnte ich nur ein Mehrheitswahlrecht akzeptieren, das diese zwei Wahlgänge kennt und erst im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit entscheiden läßt, im ersten Wahlgang aber nur die absolute Mehrheit. Aber auch dann fehlt immer noch eins: die Möglichkeit, eine klare und handlungsfähige Opposition zu schaffen. Aber nun erst eine Vorfrage: In den Ausführungen des Herrn Kollegen Kroll hat gestern die Ansicht durchgeklungen, daß das Mehrheitswahlrecht zum Zweiparteienwahlrecht führen müsse, zu einer Bereinigung der ganzen politischen Atmosphäre, zu einer klaren Mehrheitsstellung31) und zu einer klaren Op-
Augustus, kann nen
30) Gemeindewahlgesetz
15. Dez. 1945 und Wahlordnung für die Wahlen zu den Ge17. Dez. 1945, GVOB1. Groß-Hessen Nr. 2 vom 24. Dez. 1945, S. 7—9 u. S. 9—21; Kreistagswahlgesetz vom 7. März 1948 und Wahlordnung für die Wahl zu den Kreistagen vom 12. März 1946, GVOB1. Nr. 9/10 vom 25. März 1946, S. 73-75 und 75-86. Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 5 a und 6 a.
meindevertretungen
31)
vom
vom
61
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Positionsstellung
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der anderen Partei. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Aufsatz
von
Jellinek geläufig ist, den er im ersten Heft des Jahrgangs 1946 der Süddeutschen Juristen-Zeitung veröffentlicht hat32). Er bringt folgende Beispiele über
das Mehrheitswahlrecht. Erstes Beispiel: zehn Wahlkreise. Die Partei A hat in allen 400 Stimmen, die Partei B in jedem 300 Stimmen, die Partei C in jedem 200 und die Partei D in jedem 100 Stimmen erhalten. Das sind insgesamt 4000 + 3000 + 2000 4- 1000 Stimmen, zusammen 10 000 Stimmen. Dann hat nach relativem Wahlrecht die Partei A alle zehn Sitze erworben, während die Parteien B, C und D leer ausgehen. Dadurch ist eine klare Mehrheit geschaffen. Unter dem Prinzip der absoluten Mehrheit ist niemand gewählt; das käme erst im zweiten Wahlgang. Dieses Beispiel bringt natürlich einen Grenzfall, der aber doch deutlich erkennen läßt, daß beim Prinzip der relativen Mehrheitswahl unter Umständen keine Opposition vorhanden ist, mindestens nicht zum Ziele kommen kann. In solchen Fällen kann die Opposition nur durch ein ergänzendes Proportionalwahlverfahren geschaffen werden. Zweiter Fall: Die Partei A bekommt in vier Wahlkreisen je 1000 Stimmen, hat also insgesamt 4000 Stimmen; die Partei B bekommt in drei anderen Wahlkreisen auch je 1000 Stimmen und hat 3000 Stimmen die Partei C bekommt in zwei anderen Wahlkreisen je 1000 Stimmen und hat 2000 Stimmen, und die Partei D in einem Wahlkreis 1000 Stimmen, so daß in jedem Wahlkreis jede Partei nur einmal mit 1000 Stimmen vertreten ist. Dann bekommen sie praktisch 4 + 3 + 2 + 1 Mandat durch die Mehrheitswahlen; das ist genau so viel, wie sie auch beim Proportionalwahlrecht bekommen würden. Bei dieser Variante kann also schon das Mehrheitswahlrecht nicht zum Zweiparteiensystem führen. Dritte Variante: Die Partei A bekommt in sieben Wahlkreisen etwas unter 500 Stimmen, in drei Wahlkreisen über 500 bis 790 Stimmen. Die Partei B bekommt in vier Wahlkreisen genau je 500 Stimmen, in den anderen etwas weniger. Die Partei C in drei Wahlkreisen je 500 Stimmen, sonst nichts, und die Partei D ist überall nur mit kleinen Ziffern vertreten. Dann haben wir folgendes Ergebnis: Nach dem relativen Mehrheitssystem würde B vier Mandate bekommen; die Partei C würde drei Mandate bekommen, und die Partei A, die die meisten Stimmen im ganzen Land aufbringt, nur drei Mandate, obwohl sie 5500 Stimmen, d. h. mehr als 50 % der gesamten Stimmen auf sich gebracht hat. Hier haben Sie das Gegenteil. Hier ist die Partei, die die Mehrheit der Stimmen tatsächlich hat, nicht zur Mehrheit der Mandate gekommen. Eins steht also bestimmt fest: Es besteht die Gefahr, daß eine Opposition nicht zum Zuge kommen kann, und es besteht keineswegs die Gewißheit, sondern sogar die Unwahrscheinlichkeit, daß wir zum Zweiparteienwahlsystem kommen, das ist das Ergebnis rein arithmetischer Überlegungen. Zu diesen arithmetischen Erwägungen kommen weiter noch die soziologischen und psychologischen Erwägungen. Im alten Reichstag haben wir trotz des ') Walter Jellinek: Wahlrecht und parlamentarische Mehrheit, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1 (1946) 1, S. 11-13. 62
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Mehrheitswahlrechts neun bis zehn Parteien gehabt. Wir haben die regional feststehenden Parteien gehabt: die Elsässer im Elsaß, die Polen im Osten Deutschlands33), die Weifen in Hannover, die [. .]34) und ein oder zwei Dänen in Nord-Schleswig35). Diese Mandate standen bombenfest. Man konnte dagegen wenn Sie so wollen nur schwer ankommen. Auch diese Splitterparteien —. (Abg. Dr. Kroll: Das waren nationale Minderheiten!) Ich komme darauf schon noch zu sprechen! Kann man nicht beseitigen, auch wenn man es noch so gern möchte. Man schafft durch das Mehrheitswahlrecht kein Zweiparteiensystem. Das ist auch soziologisch unmöglich. Und in Deutschland ist es erst recht auch psychologisch unmöglich. Nun sprachen Sie davon, daß Sie das Zweiparteiensystem schaffen wollen, um der Notwendigkeit der Koalitionsregierung enthoben zu sein und ebenso des Sprengmittels, das in den Koalitionen für jede Regierung enthalten ist. Das ist an sich durchaus richtig. Aber wenn man heute zu einem Zweiparteiensystem kommen soll, müssen verschiedene Parteien von der einen oder der anderen aufgesaugt werden. Und was haben Sie dann? Dann haben Sie innerhalb des neuen Parteigefüges die Koalition, d. h. das Sprengmittel, das sonst außerhalb des Parteigefüges und nur in der Koalition der Regierungsparteien lag, haben Sie heute in der Partei selber. Nun können Sie sagen, die Parteiklammer, also die parteipolitische Parteiklammer, sei stärker als die Klammer staatspolitischer Verantwortlichkeit, welche die Regierungskoalition zusammenhalten sollte und halte die Belastung eher aus als die Koalitionsbindung. Der Gedanke ist wohl richtig, und insofern gebe ich Ihnen recht; denn wir wollen das ganze Pro und Kontra objektiv erörtern; aber daß wir dadurch zwangsläufig zum Zweiparteiensystem kämen, halte ich schlechterdings für unmöglich, für arithmetisch unmöglich, und unter den in Deutschland gegebenen Voraussetzungen ebenfalls un.
—
—
—
—
möglich.
ich glaube, darin sind wir uns einig, ist das: Wir Was uns allen vorschwebt wollen eine Verfassung schaffen, die die Demokratie nicht zum Spielball wilder Leidenschaften macht, die die Demokratie nicht in den Augen des Volkes herabsetzt. Sie sehen die Möglichkeit dazu in einer Wahlrechtsänderung: ich sehe sie woanders; ich sehe sie darin, daß wir vom parlamentarischen Regime abkommen und zum sogenannten präsidialdemokratischen System nach Analogie der amerikanischen und der Schweizer Verfassung übergehen, d. h. daß zu Be—
33) Handschriftlich korrigiert aus: „in Polen". 34) Unleserliche handschriftliche Einfügung. 35) Folgt gestrichen: „die Antisemiten in ." [unleserlich, d. Bearb.]. Seit der Jahrhundertwende erhielten die Antisemiten in Teilen Mitteldeutschlands, Wahlkreis Arnswalde und in den Provinzen Hessen-Nassau, Oberhessen und in Sachsen „fast immer mehr Mandate, als ihrem relativen Anteil am Wählerwillen entsprach" (Alfred Milatz, Reichs.
.
tagswahlen und Mandatsverteilung 1871—1918. Ein Beitrag zu Problemen des absoluten Mehrheitswahlrechts, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.): Gesellschaft, Parlament und Regierung, Düsseldorf 1974, S. 207—223 (= Veröffentlichung der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien), hier: 221; Ernst R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. 4: Struktur und Krisen des Kaiserreichs. Stuttgart u. a. 1969, S. 45). 63
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einer Legislaturperiode ein Regierungschef auf vier Jahre gewählt wird, der sich seinerseits seine Gehilfen aussucht, die er dann auch seinerseits entlassen kann. (Dr. Kroll: Glauben Sie, daß Sie dafür eine Mehrheit bekommen?) Wir wollen die Sache deshalb erwägen. (Dr. Kroll: Die Chance ist noch viel geringer!) Wenn wir von Chancen sprechen, gibt es zwei Chancen. Die eine ist die, ob wir das politisch durchsetzen; und die zweite, ob das, was wir aufgrund der ersten „Chance" durchgesetzt haben, nun praktisch zu dem erwünschten Ziel führt. Wir hatten aber eben gerade das Pro erwogen und waren zu dem Ergebnis gelangt, daß die von Ihnen erwartete zweite Chance, daß es ein Zweiparteiensystem geben werde, zweifellos nicht eintreffen wird. (Dr. Kroll: Ich darf bemerken, daß das kein Richterspruch, sondern nur ei-
ginn
—
—
ne
Meinung ist!)
Wir diskutieren darüber; aber nach meiner Auffassung steht es fest. Wir sind nun bei der weiteren Frage: Gibt es nicht eine andere Möglichkeit? Die können wir ebenfalls leidenschaftlos erörtern. Da bin ich Anhänger des Präsidialsystems, also der Regierung auf bestimmte Zeit, und zwar aus einem anderen Grunde, der Ihnen vielleicht einleuchten wird: Dieses System schafft die Mißtrauensvoten und schafft den inneren Sprengkörper innerhalb der Koalitionen ab. Eine Gefahr für die Demokratie besteht keineswegs; denn in der Gesetzgebung ist der Regierungschef ja an zwei Instanzen gebunden, und auch sein Haushalt muß ihm von zwei Instanzen bewilligt werden. Wenn Sie diesen Regierungschef nicht vom Unterhaus allein wählen lassen, wie im parlamentarischen System, sondern ihn von einem anderen Gremium wählen lassen, von dem wir noch zu reden hätten, damit er als Chef der Exekutive seine Gewalt von einer anderen Gewalt herleitet als von der Legislative selber, dann könnten wir auch da eine Möglichkeit finden, auch da Unitarismus und Föderalismus zu vereinigen. Sie brauchen dann nämlich nur eine Nationalversammlung, bestehend aus dem Unterhaus und dem Oberhaus zu schaffen, dazu Vertreter der Landesparlamente sagen wir, von jedem Landesparlament 7—10 Abgeordnete —, damit das unitaristische und das föderalistische Moment ungefähr gleich stark in dieser Nationalversammlung vertreten ist. Diese Frage steht freilich bei uns hier nicht unmittelbar zur Debatte353). Ich führe sie nur an, um zu zeigen, daß wir in dem Gedanken einig sind, dafür zu sorgen, daß die Demokratie nicht wieder entwertet wird, sondern so gestaltet werden muß, daß sie durch ihre Einrichtungen und durch das, was sie aufgrund ihrer so gestalteten Einrichtungen leisten kann, auch wieder moralische Eroberungen macht. Auch das Proportionalwahlrecht hat seine Fehler und seine Vorzüge. Sein Hauptfehler liegt darin, daß es die Splitterparteien großzieht. Dieses Argument kann nicht entkräftet werden. Das ist gar keine Frage. Unter Splitterparteien verstehe ich Parteien, die sich nur zu einem ganz bestimmten Zweck bilden36), —
—
35a) Siehe hierzu die Verhandlungen des Organisationsausschusses. 36) Siehe oben S. 24. 64
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einigen Staatsaufgaben Stellung beziehen, wie die Aufwerdie Partei für Bodenreform, die Partei hierfür und die Partei dafür38). Parteien, die von einer in sich geschlossenen Weltanschauung ausgehen und daraus ihre Stellungnahme zu allen Punkten staatlichen Geschehens herleiten, rechne ich nicht zu den Splitterparteien; als solche „Splitterpartei" hat nämlich jede Partei einmal angefangen. Und wenn man die Bildung einer Partei dadurch ausschließen will, daß man das Proportionalwahlrecht ausschließt, dann... (Dr. Kroll: Der Einwand stimmt nicht! Darüber sind wir uns klar! Denn das Mehrheitswahlrecht schließt keine kleine oder kleinste Partei aus, sondern gibt ihr nur nicht sofort die Chance eines Mandats. Der Sieg der LabourParty in England ist ein Beweis dafür, daß sich neue Parteien durchsetzen nur zu
einer oder
tungspartei37),
können!) dann geschieht das eben nicht auf dem Weg des Proporzes: man geht mit der Parteibildung und nimmt zunächst nur ein Land oder eine Provinz aufs Korn, um sich von da auszubreiten. Das geht also auch, vielleicht etwas langsamer, aber es geht. Die Gefahr der Bildung von Splitterparteien, die beim Proportionalwahlrecht zweifellos stärker ist als beim Mehrheitswahlrecht, wird durch dieses keineswegs beseitigt. Das Proportionalwahlrecht hat weiter die Gefahr in sich, daß das Volk meint, die Partei kommandiere, wen es zu wählen hätte, was beim Mehrheitswahlrecht nicht der Fall sei. Dieses psychologische Moment zugunsten der sogenannten Mehrheitswahl besteht zweifellos. Darüber müssen wir uns klar sein. Tatsache ist nun aber, daß, wenn auch beim Mehrheitswahlrecht nur zugelasseund nach dem Entwurf der Wähne Kandidaten zur Wahl gestellt werden der sollen uns die Kandidaten zugelassen sein, d. h. vorliegt39), lergesellschaft, soundsoviel Leuten —, dann ist werden durch die von Unterschrift angemeldet genau dasselbe der Fall: auch dann stellt beim Mehrheitswahlrecht die Partei den Kandidaten auf. Entscheidend ist das Zustandekommen der Kandidatur. Und da könnten wir in unsere Wahlbestimmungen hineinschreiben, daß das in einer für alle Wahlberechtigten der betreffenden Partei offenstehenden Versammlung in geheimer Abstimmung zu erfolgen hat. Das wäre eine Regelung, die wir dabei treffen müssen, und vorgenommen werden könnte sie sowohl beim Proportionalwahlrecht, wie auch beim Mehrheitswahlrecht. —
—
37) In der Weimarer Republik gab
es
mehrere Parteien und Verbände, die in Reaktion auf
Hyperinflation von 1923 als Interessenvertretungen der Inflationsgeschädigten gegründet worden waren. Die deutsche Aufwertungs- und Aufbaupartei und die Aufwertungs- und Wiederaufbaupartei waren beide Untergruppierungen des Sparerbundes für zum Teil im Wahlbündnis mit anderen Pardas Deutsche Reich, die mit wenig Erfolg teien 1924 für den Reichstag kandidierten (Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland [1789—1945], 4 Bde. Hrsg. von Dieter Fricke/Werner Fritsch/Herbert Gottwald/Siegfried Schmidt und die
—
—
Manfred Weißbecker, Köln 1983, hier: Bd. 4, S. 139). 38) Vgl. allgemein Dieter Gessner: Agrarverbände in der
Weimarer
Republik,
Düsseldorf
1976.
39) Siehe oben Dok.
Nr. 2, Anm. 125. 65
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(Heile: Man müßte eine Matrikel einführen, daß jeder Mensch an eine Partei gebunden ist, wie er auch zu einer Konfession gehört!) Das brauchen wir nicht zu machen, sondern wir brauchen beim Mehrheitswahlrecht nur auf das ehemalige deutsche System zurückzugehen, wonach sich jeder selber aufstellen kann nach dem Grundsatz: „Ick wähle mir selber". Aber wenn Sie nach dem Vorschlag der Wählergesellschaft gehen, dann ist es doch auch wieder die Partei, welche den Kandidaten präsentiert; mindestens wird es in 99 % der Fälle eine Partei sein. Den Fall, daß einer sich aufs Geratewohl selber aufstellt, habe ich in meiner Jugend auch erlebt. Darüber hat sich damals die ganze Stadt lustig gemacht. Aber auch diese heitere Note, die damit in den weder dem Manne, Wahlkampf kam, hat ihm praktisch nicht viel genutzt noch dem Prinzip einer solchen Wahlaufstellung. Ich glaube, wir werden dazu übergehen müssen, zu dieser geheimen Abstimmung noch verschiedene andere Kautelen zusätzlich einzuführen: jährliche Rechenschaftslegung der Parteien usw. Das würde in den Augen der Wählerschaft die Parteien wieder rehabilitie—
—
ren.
Ein Nachteil des Verhältniswahlrechts ist ferner die Tatsache, daß man zu viel ihm herumkünstelt. Herr Heile hat vollständig recht. Ich habe mir erzählen lassen, in jenen badischen Gemeindewahlen, bei denen zuerst panaschiert und an
kumuliert wurde, hätte es ellenlange amtliche Stimmzettel gegeben; deshalb hätten sich die Leute in den Gastwirtschaften zusammengesetzt und sich gegenseitig unterwiesen, wie sie es zu machen hätten, so daß praktisch die Geheimhaltung nicht mehr bestanden hat. Das ist gekünstelt. Weg damit! Damit kommen wir nicht weiter. (Dr. Kroll: Dann kommen wir zum Listenwahlrecht!)
Wahlsystemvorschlag Dr. Becker] Nun komme ich zum Ergebnis und hätte Ihnen einen Vorschlag vorzutragen, der aber nur mein eigenes Geistesprodukt ist, mit dem sich meine eigene Partei noch nicht identifizieren kann. Es ist ein Vorschlag von mir, genau wie meine Idee mit dem Präsidentialwahlrecht ein Vorschlag sein soll, der vielleicht zum Ziel führen kann. Von meiner Wahlrechtsanregung hoffe ich, daß sie die Anhänger beider Seiten befriedigt, und daß sich die Vorteile beider Systeme verei[2a.
nigen und ihre Nachteile
im wesentlichen vermeiden oder verringern lassen. Ich könnte mir vorstellen, daß wir für die Westzonen wohl 400 Abgeordnete haben werden, so daß man etwa 200 bis 230 in Wahlkreisen wählen würde, und zwar nach dem romanischen System, also daß im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit entscheidet, damit, wenn überhaupt durch das Mehrheitswahlrecht die Möglichkeit besteht, den Ansatz zu Mehrheiten zu schaffen, dadurch eine Chance in dieser Richtung gegeben sei. Es würde auch die Chance gegeben sein, daß sich diese Kandidaten in jedem Falle sehr intensiv mit der Bevölkerung in ihrem Wahlkreis befassen müssen. Ferner wird der Vorteil damit verbunden sein, daß die sportliche Erregung, die ein gewisses Wettrennen zwischen den Kandidaten mit sich bringt, auch die Wähler wieder mehr an die Politik heranführt, obwohl ich sagen muß, 66
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daß das Proportionalwahlrecht die Leute nicht von der Politik abgeführt hat; denn wir haben beim Proportionalwahlrecht sehr wahrscheinlich eine höhere Wahlbeteiligung als beim Mehrheitswahlrecht gehabt. Im ersten Wahlgang würde dann der Bewerber gleichzeitig zu erklären haben, welcher Partei er sich zurechnet, so daß bei der Stimmabgabe im ersten Wahlgang gleichzeitig auch eine Partei gewählt würde; und aufgrund der so gewonnenen Stimmen können dann die übrigen 170 bis 200 Mandate im Wege des Proporz in einer möglichst einfachen Form verteilt werden. Dann haben wir beides zusammen: wir haben die Möglichkeit, unter Proporz die Vertretung aller möglichen Richtungen zu gewährleisten, wie auch damit die Möglichkeit der Bildung einer Opposition gewährleistet ist, die sonst wenigstens theoretisch in einer leistungsfähigen Größe nicht vorhanden sein könnte. Und wir hätten andererseits den Vorteil, daß wir nun beide Richtungen befriedigt und die Mängel beider, soweit es überhaupt in Menschenhand liegt, beseitigt haben, so daß uns die Hoffnung gegeben ist, daß sich die Vorzüge, die jeder von seinem System erwartet, von beiden Seiten einstellen werden.
[2b. Die Stellung der
KPD
zum
Wahlsystem]
Paul: Die Anhänger des Mehrheitswahlrechts führen ins Feld, daß die Demokratie an dem Proportionalwahlsystem gescheitert sei. Das halte ich für einen großen Trugschluß. Ich glaube, daß hier nur aus Zweckmäßigkeitsgründen der Sieg der Hitler-Partei herangezogen wird. Ich wage sogar zu behaupten, daß, wenn das Mehrheitssystem bestanden hätte, Hitler schon im Jahre 1931 in Deutschland zur Macht gelangt wäre; denn es gab ganze Wahlbezirke und ganze Gebiete in Deutschland, in denen Hitler schon im Jahre 1931 die Mehrheit der Wähler hinter sich hatte40). Ich denke vor allen Dingen an die ländlichen Gebiete in Ostpreußen und Westpreußen, wie auch in Schlesien und zum Teil in Bayern. Mit dem Mehrheitswahlrecht kann man das Aufkommen einer Bewegung oder Partei nicht verhindern. Wenn die Demokratie gescheitert ist und die Diktatur in Deutschland zum Durchbruch gekommen ist, dann lagen die Voraussetzungen dafür woanders, nämlich darin, daß es der Weimarer Republik nicht gelungen war, die großen sozialen Fragen im Interesse der breiten Bevölkerung zu
lösen. Ich kann auch nicht anerkennen, daß das Mehrheitswahlsystem einen hohen moralischen Wert habe. Die Leute, die das Mehrheitswahlrecht verteidigen und vertreten, verteidigen dieses System nur, um ihre parteipolitischen Ziele besser
40) Paul spielt hier vermutlich auf die Wahlen vom 14. Sept. 1930 an, aus denen die NSDAP als deutlicher Sieger hervorgegangen war. Hatte sie bei der letzten Reichstagswahl 1928 nur 2,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten, so schnellte der Stimmenanteil jetzt auf 18,2 % hoch. Damit war die NSDAP hinter der SPD, aber noch vor der KPD die zweitstärkste im Reichstag. Besonders hohe Gewinne konnte die NSDAP in den nord-, ost- und mitteldeutschen Agrargebieten verzeichnen (Alfred Milatz: Das Ende der Parteien im Spiegel der Wahlen 1930 bis 1933, in: Erich Matthias/Rudolf Morsey (Hrsg.): Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960, S. 743-793, hier: S. 754).
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Dritte
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durchsetzen
Sitzung
zu
23.
ich denke,
können
richtigen
September 1948 man
sollte das
Ding doch einmal beim
Namen nennen —, sonst hätte man ja in Bayern aus bestimmten Wahlen, die in den großen Städten Bayerns stattgefunden haben, sofort Konsequenzen ziehen müssen. Man hat das nicht getan. (Dr. Kroll: Was für Konsequenzen?) Zum Beispiel die Konsequenz, den Landtag aufzulösen und Neuwahlen an—
—
zusetzen.
(Dr. Kroll: Das wollen wir doch gerade vermeiden!) Damit wollen Sie unter Ausnutzung irgendeines Wahlsystems nur erreichen, daß, wenn sich die Mehrheit anders entschieden hat, eine Minderheit auf Jahre hinaus ihre Machtposition behauptet. (Dr. Kroll: Der Witz einer Wahl ist doch gerade der, daß sich die Bevölkerung für einen bestimmten Zeitraum entscheidet. Ihr Kommunisten überseht, daß die Bevölkerung bei Abgabe des Stimmzettels ganz genau weiß, daß die Wahlperiode vier Jahre beträgt!) Es muß Möglichkeiten geben, auch hier ein regulierendes Mittel einzuschalten. Ich könnte mir vorstellen, daß eine Partei den Wählern alles Mögliche verspricht, aufgrund der wahnsinnigen Versprechungen die Mehrheit erhält und etwas anderes macht. Wofür ich eintrete ist das Verhältniswahlrecht, und zwar nicht deshalb, weil ich hier in diesem Wahlrechtsausschuß nun die Kommunistische Partei41) vertrete. Aber ich sage Ihnen, unbekümmert um die weitere Entwicklung und die Möglichkeiten unserer Bewegung würde ich dennoch auch im Augenblick der Erringung der Mehrheit für das Verhältniswahlrecht eintreten, weil ich der Auffassung bin, daß man nicht durch irgendwelche Wahlmethoden anstreben soll, andere Kräfte auszuschalten; denn die Auseinandersetzung über prinzipielle, soziale oder weltanschauliche Ansichten wird ja so oder so auf der außerparlamentarischen Ebene der Bevölkerung ausgetragen und man sollte nicht durch irgendwelche Wahlkniffe und Wahlgesetze und der Ausnutzung irgendeiner Situation versuchen, eine Bewegung zurückzuhalten. Sie werden es auch gar nicht fertigbringen. Es wurde einmal gesagt, daß das Mehrheitswahlrecht in Europa keinen Fuß gefaßt hätte und man sich hüten solle, Wahlsysteme anderer Länder, die ganz andere Bedingungen hätten, die sich historisch ganz anders entwickelt hätten, nun einfach auf Deutschland zu überragen. Beim Mehrheitswahlrecht findet ohne Zweifel eine Minderbewertung der Stimmen jener Menschen statt, die sich nicht aufgrund ihrer weltanschaulichen oder sozialen Einstellung für ein solches Mehrheitswahlrecht entscheiden wollen oder entscheiden können. Man kann nicht von einer Demokratie und von der Gleichheit der Menschen reden, wenn man nicht im Wahlrecht diese Gleichberechtigung anerkennt. Weiter gesagt, man müsse klare Verhältnisse schaffen. Ich sage Ihnen: Selbst bei Annahme des Mehrheitswahlrechts werden Sie keine klaren Verhältnisse ich möchte schaffen, es sei denn, sie legen die Wahlkreise so zusammen —
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) Gestrichen zu
68
aus
erringen".
der Vorlage : „die
übrigens nicht die Aussicht hat,
in Kürze die Mehrheit
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einmal ganz deutlich sprechen —, wie es eben jener Kraft entspricht, die für dieses Mehrheitswahlrecht eintritt. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß das Wahlrecht, das in der Weimarer Zeit vorhanden war, das demokratischste Wahlrecht überhaupt ist. Und nun einige Worte zur Wahl von Persönlichkeiten! Wir haben doch jetzt im Westen Deutschlands eine ganze Reihe von Wahlen nach dem Prinzip des Mehrheitswahlrechts hinter uns, ich denke vor allem an die britische Zound kein Mensch wird mir begreiflich machen wollen, daß bei den ne Wahlen Persönlichkeiten gewählt worden seien. Ich denke nur an den RheinWupper-Kreis, in dem vor kurzem Nachwahlen zum Landtag stattgefunden haben42). Dort haben Persönlichkeiten keine Rolle gespielt, denn wenn es nach der Persönlichkeit gegangen wäre, hätte z. B. der Vertreter der CDU gar nicht gewählt werden können. Er war über sein Bauerndorf hinaus gar nicht bekannt43). Ich mache ihm daraus keinen Vorwurf. Er hat keine Erfahrung. Er ist ohne Zweifel ein ehrlicher Kerl. Aber man sollte doch nicht versuchen, mir begreiflich zu machen, daß man ihn gewählt habe, weil er eine Persönlichkeit sei. Nein, die Wähler entscheiden sich nach bestimmten politischen Richtungen, d. h. sie entscheiden sich nach dem Programm einer Bewegung und nicht anders. Ich z. B. bin in Remscheid bei der Landtagswahl in direkter Wahl gewählt worden44), und ich sage Ihnen: ich bin nicht in Remscheid gewählt worden, weil ich der Hugo Paul war und vorher dort gewohnt habe, sondern weil ich für die Kommunistische Partei kandidiert habe und sich die Mehrheit der Wähler eben für die Kommunistische Partei, d. h. für die Ziele und Ideale der Kommunistischen Partei entschieden hat. Deswegen muß ich verneinen, daß die Wähler Persönlichkeiten wählten. Nun wird gesagt, es bestehe keine enge Verbindung zwischen dem Kandidaten und den Wählern. Das kommt ganz darauf an. Ich denke, daß es sehr gut Verbindungen zur Wählerschaft gibt, die einen wählt; denn die dauernden Versammlungen, die stattfinden, und die Rechenschaftsberichte, die man überall gibt, machen einen doch immerhin mit den Wählern bekannt. Aber selbst wenn man den Menschen persönlich nicht kennt, würde man in jedem Fall nach den Darlegungen seiner Partei urteilen. Ich denke auch, daß man die Wähler nicht so dumm einschätzen soll. Sie wählen nicht den Dr. Soundso, weil er der Dr. Soundso ist dann müßten sie übrigens in allen bayrischen Gemeinden die Pastoren wählen; das könnte ich vielleicht noch verstehen; aber dann wählt man ja auch nicht den Kaplan Müller, weil er der Kaplan Müller —
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!) Aus den Nachwahlen für den verstorbenen Bürgermeister von Wermelskirchen, Bruno Braun, ging am 29. Aug. 1948 der CDU-Politiker und Bürgermeister von Hückeswagen, Paul Günther, als Sieger hervor. Die CDU errang bei dieser Ersatzwahl 37,5 % der Stimmen, gefolgt von der SPD (26,4 %), der FDP (20,8 %), der KPD (12,5 %) und dem Zentrum mit 2,8 % (Stadtarchiv Leverkusen 4010-3063). ') Folgt gestrichen: „weder vorher noch während des Wahlkampfes; er war kaum fähig, während des Wahlkampfes aufzutreten". war mit 27,6 % der Stimmen gewählt worden. Es folgten die SPD mit 25,3 %, die CDU mit 23,5 %, die FDP mit 16,2 % und das Zentrum mit 5,2 % (GVOB1. NRW Nr. 11 vom 7. Mai 1947, S. 92).
[) Paul
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man wählt ihn, weil er die christliche Weltanschauung vertritt. Ich denke deshalb, daß die Frage der Persönlichkeit von untergeordneter Bedeutung ist und das Programm heute die Bewegung vertritt. Ich bin mit Ihnen darin einig, daß man unter Umständen sagen könnte: Die Partei kann nur die Kandidaten entsenden, die die meisten Stimmen erhalten haben. Dann haben Sie ja die Auswahl der Persönlichkeiten im Rahmen der aufgestellten Parteiliste. Wir sind deshalb der Meinung, daß man zuerst diese Grundsatzfrage klären soll: Mehrheitswahlsystem oder Verhältniswahlsystem. Für das eine wie für das andere ließe sich alles Mögliche anführen. Man sagt z. B., es ergebe keine stabile Regierungsmehrheit. Aber selbst beim Mehrheitssystem würde man das kaum erreichen. Im Lande Nordrhein-Westfalen haben Sie das unter den obwaltenden Umständen nicht erreicht. Wir haben ja eine Zeitlang bei der ersten Wahl ein solches System gehabt45) und haben gesehen, daß es keine absolute Mehrheit gab, weder für die SPD noch für die CDU. (Heiland: Das stimmt nicht! Die CDU hätte die absolute Mehrheit!46)) Die CDU hätte die absolute Mehrheit nur, wenn die anderen Parteien, z. B. die Freien Demokraten mit der CDU gemeinsam gegangen wären. Aber ich will mich nicht streiten. Ich glaube, daß man für Regierungsmehrheiten andere Sicherheiten treffen kann, z. B. daß ein Mißtrauensvotum gegen eine Regierung so lange nicht wirksam wird, wie die Opposition nicht in der Lage ist, eine neue Regierung zu stellen. Ich könnte mir vorstellen, daß sich eine Opposition nur in der Negation zusammenfindet, da stehe ich auf dem Standpunkt, daß eine solche Opposition nicht wirksam werden sollte. Aber das könnte man auf andere Weise sicherstellen. Im übrigen glaube ich, daß sich noch immerhin auf dem Boden der Koalition Mehrheiten finden werden. Ich kann mir z. B. vorstellen, daß man sich sehr wohl auf dem Boden eines Mindestprogramms mit den befreundeten Parteien einigen könnte. Und selbst wenn Sie unter solchen Umständen jetzt eine Regieund rung hätten, wenn die außerparlamentarische Mehrheit der Bevölkerung die hat man noch gar nicht diskutiert im Gegensatz zu einer solchen parlamentarischen Mehrheit steht: glauben Sie nicht, daß diese Regierung mit ihren Maßnahmen auf die Dauer viel Kredit im Volke hätte? Ich denke an Frankreich. Auch eine solche Regierung müßte auf die Dauer verschwinden, weil die außerparlamentarischen Kampfmittel der Oppositionspartei unter Umständen
ist, sondern
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45) Zur Wahlrechtsentwicklung in Nordrhein-Westfalen siehe Erhard Lange: Vom Wahlrechtsstreit zur Regierungskrise. Die Wahlrechtsentwicklung Nordrhein-Westfalens bis 1956, Köln u. a. 1980, S. 54-76. 4B) Die Sitzverteilung im ersten Landtag von Nordrhein-Westfalen nach der Wahl vom 20. April 1947 ergab folgendes Bild: CDU: 92 Sitze (37,6%) SPD: 64 Sitze (32,0%) KPD: 28 Sitze (14,0%) Z: 20 Sitze (9,8%) FDP: 12 Sitze (5,9 %). Bei einem reinen Mehrheitswahlrecht hätte die CDU, die ihre Kandidaten bei einer Gesamtzahl von 150 Wahlkreisen in 92 Wahlkreisen direkt durchsetzen konnte, also eindeutig die absolute Mehrheit errungen. 70
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stärker sein können als die Kampfmittel der Regierung; denn mit Polizei, Militär und Justiz läßt sich auf die Dauer eine Regierung nicht halten, die im Volke nicht die genügende Resonanz hat. Da wird sich das Volk schon durch bestimmte Maßnahmen durchzusetzen verstehen. Ich denke, daß man das auch in Rechnung stellen sollte. Wenn man das allerdings nicht will und glaubt, diesen Willen der Mehrheit nicht respektieren zu brauchen, werden sich die Konsequenzen daraus ergeben. Deshalb möchte ich bitten, daß wir hier sehr bald zu einer prinzipiellen Entscheidung kommen. Wir werden uns heute noch darüber unterhalten. Und in den Fraktionen muß baldigst eine Klärung herbeigeführt werden. Hat sich die Mehrheit für ein System entschieden, müssen wir versuchen, auf dieser Basis eine Formulierung zu finden. Ich bin mir vollständig darüber klar, daß ich mit meiner Auffassung zugunsten des Weimarer Systems nicht bei allen Zustimmung finden werde. Aber ich bin der Meinung, daß die Parteien, die immerhin die Stimme auch des letzten Wählers gelten lassen wollen, sich unter Umständen auf ein abgeändertes Verhältniswahlsystem einigen könnten. Und jenes System, welches wir jetzt im Lande Nordrhein-Westfalen in den Kommunal- und in den Kreistagswahlen haben, scheint mir geeignet zu sein und könnte auch hier eine Mehrheit finden47). Ich denke, daß Sie dieses System kennen, so daß ich es nicht zu erläutern
brauche48).
Das möchte ich hier
zur Debatte beigetragen haben49). Auch über das Wahlalter und über die einzelnen Methoden werden wir uns noch zu unterhalten haben. Dazu werde ich dann auch meine Auffassung aussprechen.
[2c. Proportionalwahlrecht und Persönlichkeitswahl] Dr. Diederichs: Meine Herren! Ich habe ja gestern in meinen grundsätzlichen hier ein Bekenntnis zum Verhältniswahlrecht abgelegt, und ich möchte es noch nach einigen Richtungen hin unterstreichen. Ich bekomme gerade hier ein Schreiben von Prof. Jellinek auf den Tisch, in dem er sagt: „Ich halte mich verpflichtet, vor der Wiedereinführung des reinen Mehrheitswahlrechtes zu warnen. Die deutsche Wählergesellschaft geht geradezu mit Scheuklappen und [an] der deutschen Vergangenheit vorbei50)." Er erwähnt weiter,
Ausführungen
47) Nichtsdestotrotz rief das Gemeindewahlgesetz von NRW den heftigen Protest der Deutschen Wählergesellschaft hervor. Gerhard Schröder kritisierte insbesondere, „daß (es)
Standpunkt des Personen- und Mehrheitswahlrechts (Mitteilungen, April 1948, S. 9-13, hier: S. 13).
vom
aus
völlig unbefriedigt lasse"
4B) Gesetz über die Gemeindewahlen im Lande Nordrhein-Westfalen (Gemeindewahlge-
April
1948, in: GVOB1. Nr. 26 vom 28. Aug. 1948, S. 185; vgl. auch Lange, 41 ff. 49) Die KPD plädierte ausdrücklich für die Herabsetzung des aktiven Wahlrechtalters. Siehe hierzu auch weiter unten Dok. Nr. 5, TOP 1 b. 50) Jellineks Schreiben an den Pari. Rat vom 14. Sept. 1948 wurde als Drucksache vervielfältigt (Drucks. Nr. 72; BA Z 12/55, Bl. 325) und löste bei den Mitgliedern der Deutschen Wählergesellschaft größten Unmut aus. Das Vorstandsmitglied Walk verwahrte sich in einem Schreiben an Jellinek gegen dessen „harte Kritik" (Walk an Jellinek vom 8. Okt. 1948, BA NL 242 (Jellinek)/ Bd. 38; Jellinek an Walk vom 12. Okt. 1948, ebenda). In ei-
setz)
vom
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Wahlrechtsstreit, S.
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daß in Schweden trotz Verhältniswahlrechts klare Mehrheiten in den Parlamengeschaffen sind und daß alle Bemühungen, auf andere Weise zu klaren Mehrheiten zu kommen, offensichtlich an den Dingen vorbeigehen. Ich möchte vor allem vor dem Fehler warnen, das Mehrheitswahlrecht immer mit dem Persönlichkeitswahlrecht, und das Verhältniswahlrecht immer mit der Listenwahl gleichzusetzen. Ich habe gestern ausdrücklich unterstrichen, daß ich mit und das deckt sich auch mit der Auffassung von jellinek persönlich dem Verhältniswahlrecht durchaus die Wahl von Personen verbinden will, d. h., daß ich dem Wähler die Möglichkeit lassen will, statt der Parteibürokratie von sich aus zu entscheiden, welchen Einzelpersönlichkeiten im Rahmen der vorgelegten Vorschläge er seine Stimme geben will. Wir haben hier also durchaus eine Personenwahl. Die Behauptung, die Herr Heile hier aufstellt, daß das Mißtrauen gegenüber dem demokratischen oder parlamentarischen System aus dem Proportionalwahlrecht hervorginge, ist ohne jeden Rechtsgrund und ohne jede Wahrscheinlichkeit51); denn bei Wahlkreisen von 100 000 und noch mehr Wählern unterliegt es gar keinem Zweifel, daß hier der Wähler gar nicht mehr in der Lage ist, eine Person deshalb zu wählen, weil er zu ihr ein besonderes Vertrauen hat, sondern einfach deshalb, weil sie mit einer vielleicht sehr finanzkräftigen Presse in einer byzantinischen Form hochgehudelt wird, daß kein Mensch mehr daran vorbeigehen kann, wenn er sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, daß er die edelste Blüte der Nation nicht gewählt hätte. Ich glaube nicht daran, daß hier die Persönlichkeit wirklich in dieser Weise das wird hier immer verhervorragend herauszustellen ist, sondern es muß beachtet in wir daß doch werden, wohlorganisierten politischen Pargessen teien für die Grund- und Urabstimmung bei der Herausstellung von Kandidaten zur Wahl politische Organe haben, die nicht nur irgendwie als Wählergesellschaft auftreten, sondern die nebenbei auch eine weitgehende politische Gesundung, Ausbildung und Fortbildung der Menschen bezwecken und durchführen. Bei der reinen Personenwahl, d. h. bei der Mehrheitswahl, bei der Einzelpersonen gewählt werden, taucht wohl immer die Frage auf, wer denn nun diese Leute aufstelle, und welcher Einfluß für die Auswahl der Personen zur Wahl noch bei den großen Scharen der Wähler liege. Diese Frage ist bei der Mehrheitswahl von keiner Seite beantwortet worden. Wenn man die Antwort gibt, wird man wahrscheinlich sagen, das machten die Parteien. Natürlich machen es die Parteien! Es ist also im wesentlichen kein Unterschied, ob ich diese Leute nun als einzelne Kandidaten zum Kampf Mann gegen Mann in den Ring stelle, oder ob ich sie als Partei in einem wohl sortierten Wahl Vorschlag, in dem der Wähler die Reihenfolge bestimmen kann, vorlege. Also das Recht der Personenwahl bleibt bei der Verhältniswahl vollkommen erhalten. Sie wird auch bei der Form, wie ich sie vorschlage, bei der mit offenen Listen gearbeitet wird, durchaus nicht angetastet. ten
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Schreiben an den Pari. Rat nahm die DWG nochmals ausführlich gen Jellineks Stellung (Schreiben vom 14. Sept. 1948, ebenda). 51) Siehe oben TOP 2. nem
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den Bemerkun-
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Am mißtrauischsten macht mich der Umstand, daß sowohl Herr Schröter als auch Herr Heile sagten: den Gesichtspunkt, ob gerecht oder ungerecht, wollen wir beiseite lassen. (Heile: Das habe ich nicht gesagt!) Herr Schröter hat es wörtlich gesagt. Ich habe es sofort notiert52). Wenn ein Mißtrauen gegen die parlamentarische Arbeit, wenn ein Mißtrauen gegen —
das Funktionieren der Demokratie überhaupt auftaucht, so geschieht es dann, dieser Gesichtspunkt, dieses Gefühl für eine gerechte Verteilung der Mandate im Volke nicht erhalten bleibt. Und das werden Sie keinem Menschen klarmachen können. Nehmen Sie an, Sie hätten die relative Mehrheitswahl, und nehmen Sie schematisch an, jeder Kandidat erhielte 25% der Stimmen. Wenn vier Parteien kandidieren und eine hat zwei Stimmen mehr, dann ist ihr Mann mit 25% der Stimmen + zwei Stimmen gegen 75% der anderen gewählt, die in dem Parlament praktisch dann nicht vertreten sind. Alles andere sind nur schöne Ideologien und schöne Formulierungen. Wenn es z. B. heißt: Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen unterworfen, er ist der Vertreter seines gesamten Wahlkreises, so ist das sehr schön. Ich bin mit 54% der Stimmen gewählt53). Wenn ich mich aber hinstelle und sage, ich verträte die Interessen der Herren aus der Deutschen Partei, dann sagen sie: Ja, dann mögen Sie sich die beste Mühe geben, aber glücken wird Ihnen das kaum, denn Sie sind in grundsätzlichen Fragen so verschiedener Auffassung von uns, daß Ihnen das kaum gelingen wird. Dieser angebliche Vorzug, daß nur Persönlichkeiten gewählt werden, ist im Mehrheitswahlrecht praktisch nicht gegeben. Außerdem hat das Proportionalwahlrecht den weiteren Vorzug, daß im Proportionalitätswahlrecht, wenn man nur die Einteilung des Wahlkreises entsprechend vornimmt, nicht große Minderheiten zu vertreten bleiben, sondern, wenn man, wie ich es gestern im Beispiel schilderte54), einen Wahlkreis hat, in dem drei Kandidaten gewählt werden, dann ist die Möglichkeit gegeben, daß bei der d'Hondt'schen Methode eben auch die Minderheit dieses Wahlkreises durch eine Persönlichkeit denn sie haben in der offenen Liste Personen gewählt vertreten sein kann. Ich glaube also, die Möglichkeit, von den Parteien herausgestellte prominente Persönlichkeiten in die Parlamente zu wählen, ist beim Verhältniswahlrecht noch besser gewahrt, als bei den anderen Systemen. Überlegen Sie: in einem Wahlkreis stehen drei oder vier prominente Männer zur Wahl, und mit relativer Mehrheit wird ein Prominenter gewählt, zwei Prominente fallen durch und werden einfach an die Wand gedrückt. Herr Becker hat vorhin das Beispiel aus Bayern gebracht, wonach eine lokale Größe gegenüber einem anderen mit einer entschiedenen Mehrheit bei der reinen Mehrheitswahl gewählt wurde55). Bei der Verhältniswahl besteht die Möglichkeit, wenn in einem großen Bezirk drei oder vier Personen gewählt werden, daß wenn
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52) Siehe oben S. 57. 53) Mißverständlich: Diederichs bleibt hier im Hypothetischen. Er selbst war im Oberharzkreis Zillerfeld mit 43,3 % der Stimmen gewählt worden (Vogt, Diederichs, S. 30). 54) Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 6 d. 55) Siehe oben S. 60. 73
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auch dieser andere prominente Mann neben dem ersten in das Parlament gewählt wird. Ich glaube also, bei wirklich ernster Prüfung muß jeder zugeben, daß mit dem Proportionalwahlrecht nicht nur dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, sondern auch dem der Möglichkeit, alle Teile des Reiches entsprechend ihrer soziologischen Struktur zu berücksichtigen, Rechnung getragen wird. Die Bedenken, man käme nicht zu einer parlamentarischen Mehrheit, man sei auf Kompromisse und Koalitionen angewiesen, sind m. E. nicht stichhaltig ; denn erstens besteht das ganze Leben überhaupt aus Kompromissen, darüber müssen wir uns klar sein, und wir müssen es uns abgewöhnen, unter einem Kompromiß das zu verstehen, was das Dritte Reich daraus gemacht hat, indem es das Wort „Kompromiß" und das Wort „fauler Kompromiß" gleichsetzte. Die Vokabel ist durchaus neutral und bedeutet, daß sich in vielen Fragen deutsche Menschen eben über die Grenzen ihrer Parteien hinaus zusammenfinden müssen, um die Arbeit für den Aufbau usw. leisten zu können. Wenn im Reichswahlgesetz von Weivielleicht infolge des starren Listensystems —, mar56) gewisse Mängel waren so daß der Wähler bei seiner Abstimmung nur die Möglichkeit hatte, schwarz oder rot zu wählen, so war es vielleicht eine Beschränkung, die dem Wähler zuviel Reserve auferlegt. Und wenn ich eine Parallele ziehen darf zu dem uns wahrscheinlich allen im Laufe der Zeit verdächtig gewordenen Entnazisierungen57), bei denen es nach dem englischen Recht eben auch nur schwarz oder weiß gibt, dann wissen wir, wie gefährlich es ist, eine Entscheidung allein auf Ja oder Nein, auf Schwarz oder Weiß zu stellen. Das alles bleibt uns erspart, wenn wir ein gut organisiertes Wahlrecht mit Persönlichkeitswahl durch offene Listen einführen. Nach dem, was aufgeführt ist, glaube ich jetzt im Großen, zu diesen Dingen nichts mehr sagen zu brauchen. Vor allem aber möchte ich eins zum Schluß noch betonen: Wir können das Volk an eine gerechte Mitwirkung und an eine wirklich demokratische Beteiligung an den Entscheidungen niemals heranbringen und nie gewöhnen, wenn wir ihm sagen, daß mehr oder minder Zufallsmehrheiten ganze Teile der Bevölkerung von einer Mitwirkung ausschalten. Ich möchte auch Herrn Dr. Kroll noch eins sagen, der vielleicht die Dinge allzu stark aus der bayrischen Perspektive sieht. Auch Sie haben Teile in Ihrer Partei, die in den nördlichen Teilen des Reiches in der Diaspora leben und bei einem —
56) Das Reichswahlgesetz
vom 27. April 1920 wurde am 13. März 1924 und erneut 1934 in einigen technischen Einzelheiten verändert. Es beruhte auf der Wahlverordnung der
Volksbeauftragten vom 30. Nov. 1918. Die Mitglieder des Wahlrechtsausschusses nahmen gewöhnlich auf das Gesetz von 1924 (RGBl. I S. 159) Bezug (vgl. A. Milatz: Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik, Bonn 1965, S. 41 ff.). 57) Die Entnazifizierungsverfahren wurden in der Öffentlichkeit zunehmend kritisiert. Einerseits wurde die Ausstellung sogenannter „Persilscheine" bemängelt, andererseits war ebenso klar, daß zahlreiche Altnazis durch das Netz dieser Verfahren schlüpfen konnten und ihrer Verfolgung entgingen. Der Wahlrechtsausschuß befaßte sich auf seiner fünften Sitzung ausführlich mit der Frage des Wahlrechts für ehemalige Nationalsozialisten (siehe unten Dok. Nr. 5). Siehe allgemein zum Entnazifizierungsverfahren und zur Kritik daran: Fürstenau, Entnazifizierung, bes. S. 160 ff. 74
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reinen Mehrheitswahlsystem zur völligen Untätigkeit verurteilt wären, die hoffnungslos an ihren Aufgaben und Möglichkeiten verzweifeln, wenn sie immer wieder, eingestellt auf ihre christlichen Anschauungen, sehen müssen, daß sie bei der Bevölkerungsumgebung, in der sie leben, niemals eine Aussicht haben,
auch nur einen ihrer Vertreter in die Parlamente hineinzuschicken58). Und Sie selber wissen, daß gerade die, die in der Diaspora arbeiten zu welcher Partei sie auch gehören mögen immer den schwierigsten Stand für ihre Anschauungen haben. Und wenn Sie ein Proportionalwahlrecht haben, nach dem in solchen Bezirken 3 bis 4 Kandidaten gewählt werden, so haben sie die Aussicht, an vier oder fünf Stellen einen dortigen Vertreter durchzubringen. Das gleiche gilt auch für die Deutsche Partei; denn die Deutsche Partei ist aus der Niedersächsischen Landespartei hervorgegangen, die mehr oder weniger eine lokale Partei darstellt59); sie wird nur in diesem lokalen Bereich eine gewisse Bedeutung haben, und sie wird in diesem lokalen Bereich entsprechend ihrer dortigen Bedeutung bei der Verteilung in den Wahlbezirken Berücksichtigung finden. Es geht ihr keine Stimme verloren. Und gerade solche Parteien, die mehr oder weniger irgendwo lokal konzentriert sind, sind dann auf eine sehr ausgeklügelte Wahlkreismathematik angewiesen, damit sie überhaupt an irgendeiner Stelle ein Bein an die Erde bekommen. Alle diese Nebenerscheinungen können wir uns vollständig sparen, wenn wir in einem gesunden Proporz einen gesunden Ausgleich bekommen. Mit dem Präsidialsystem kann ich mich nicht befreunden, aber es ist eine Richtung angedeutet, durch die Geschäftsordnung oder durch die Verfassung Möglichkeiten zu schaffen, um die Auffassungen im Parlament zu einem Spiegelbild der Auffassungen der Bevölkerungen zu machen und bei einer vernünftigen Basis der Zusammenarbeit auch zu einer entsprechenden Regierungsbildung zu kommen. Damit möchte ich meine Ausführungen schließen und sagen: Geben Sie nicht leichtfertig eine Sache preis, die immerhin in der Entwicklung des Wahlrechts einen Fortschritt bedeutet hat, und versuchen Sie, die. kleinen Mängel und Schäden, die auch im Proportionalwahlrecht vertreten sind, auf ein Mindestmaß zu beschränken und dafür aber die Gerechtigkeit einzutauschen. —
—
5B) Diederichs spielt hier auf die katholische Minderheit
in Niedersachsen an. Bei den niedersächsischen Landtagswahlen vom 20. April 1947 hatte die Zentrumspartei immerhin 6 Sitze im Landtag errungen, obwohl auf sie nur 4,1 % der Stimmen entfallen waren. 59) Am 4. Juni 1947 war die NLP in Deutsche Partei (DP) umbenannt worden. Nach nur mäßigen, sich fast ausschließlich auf Norddeutschland konzentrierenden Erfolgen in der Anfangsphase der Bundesrepublik wanderten 1957 zahlreiche DP-Anhänger in die CDU
ab. Andere schlössen sich im Frühjahr 1961 mit dem Gesamtdeutschen Block/BHE zur Gesamtdeutschen Partei zusammen, die jedoch nach der Bundestagswahl von 1961 rasch zerfiel (Richard Stöss [Hrsg.]: Parteien-Handbuch Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980. 2 Bde. Opladen 1983, hier: Bd. 1, S. 1025 ff.). —
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englischen Wahlsystems] Dr. Kroll: Wir haben das Für und Wider in der Wahlrechtsfrage erörtert, und ich glaube, es wird Zeit, daß wir uns überlegen, wie wir nachher taktisch weiterkommen. Was Herr Kollege Diederichs eben gesprochen hat, ist ein Zeichen [2d.
Die Leitbildfunktion des
dafür, daß manchmal mit zweierlei Maß gemessen wird. Ich bedaure, daß
er
eben hinausgegangen ist. Auf der einen Seite hat er den Kompromiß sehr stark vertreten, während er auf der anderen Seite gestern selber in seinem Referat ein Beispiel dafür gegeben hat, wie sich bei der Stichwahl Gruppen zusammentun, um einen Kandidaten aufzustellen, und dieses System als faulen Kompromiß verworfen hat60). Kompromisse sind immer in dieser Art. Aber was ich eigentlich herausheben möchte, ist das Eine: Wir wollen doch gerade erreichen, daß sich die Gruppen zusammenschließen. Und wenn wir das schärfere System befürworten und nicht das System der Stichwahl, dann muß der Zusammenschluß schon vorher erfolgen. Sie mögen mit dem Verhältniswahlrecht in allem Recht haben, was die Wählerlandkarte angeht oder das Interesse der Partei; aber Sie haben übersehen, daß diese herrliche, auf dem Verhältniswahlrecht aufgebaute Demokratie vor die Hunde gegangen ist. Und das haben wir gegen sie einzuwenden: daß sie nicht in der Lage war, zu bestehen, und daß sie sich als historischer Versager herausgestellt hat. Und wenn wir ich gebe Herrn Becker volldaraus heute nicht die Konsequenzen ziehen kommen Recht: man wird an anderen Stellen ebenfalls Sicherungen einbauen müssen —, wenn wir heute nicht aus der Geschichte insofern lernen, als wir sagen: ein System, das einmal so glänzend versagt hat, bedarf einer gründlichen Revision, wenn wir alle nur vom Geiste der Restauration getragen werden und es klingt in allen Ausführungen durch, daß wir mit nur kleinen Ändann würden wir ein totales Fiasko derungen Weimar restaurieren wollen erleben. Sie können gegen das englische Wahlrecht einwenden, was Sie wollen; aber Sie können nicht einwenden, daß England daran zugrunde gegangen ist. Ich möchte hier auf folgendes aufmerksam machen. Ich bedaure auch, daß die Argumentation der Gerechtigkeit wiederum in diesem kleinlichen Sinne vorgetragen wurde. Auch das Mehrheitswahlrecht kennt seine Gerechtigkeit. Ich habe sie Ihnen gestern ausdrücklich entwickelt61); nur daß diese Gerechtigkeit nicht in einem Zeitpunkt liegt, sondern in einem dialektischen Geschichtsprozeß. (Dr. Diederichs: Ihr Freund hat ausdrücklich darauf verzichtet!) Ich vertrete hier meine eigene Meinung! Die Gerechtigkeit in diesem historischen Prozeß ist eine viel wesentlichere. Wenn Sie glauben, daß hier ein Parteimann spricht, dann kann ich Ihnen diesen Glauben nicht rauben. Aber ich spreche nicht als Parteimann, sondern als Demokrat, der sich überlegt, wie man eine Staatskonstruktion in Deutschland aufzieht. Vom Parteistandpunkt, ist hier bereits eingewandt worden, müßte man —
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60) Siehe oben S. 74. 61) Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 76
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anders reden. Herr Dr. Diederichs, Sie haben leider nicht die Ansicht vertreten, die Dr. Dehler62) vertritt. Er ist in der FDP der strengste Vertreter des englischen Mehrheitswahlrechts, und ich fahre mit ihm regelmäßig zusammen von Bamberg hier herunter. Er hat gesagt: Wenn ich als FDP-Mann reden wollte, müßte ich für das Verhältniswahlrecht eintreten. Ich rede aber nicht als FDPMann, sondern ich sage: Was hat es für einen Zweck, das Verhältniswahlrecht zu retten, wenn wir in einem Jahre von den Radikalen überrollt werden. Das Präsidialsystem, das Sie vorschlagen, mag einer Regierung das Leben ermöglichen und sie vier Jahre im Amt halten; aber Sie übersehen dabei völlig, daß sie keine Gesetze bekommt und praktisch handlungsunfähig bleibt. Und woher soll sie den Auftrag zu einer Gesetzgebung noch haben? Sie haben ein völlig handlungsunfähiges Kabinett. (Vors. [Dr. Becker]: Sehen Sie sich die Reichsgesetzblätter bis 1918 durch!) Aber sehen Sie sich die letzte Zeit an, wo Brüning mit Notverordnungen regiert hat63): das war eine auf Verhältniswahlen aufgebaute Demokratie! Sie hält die Belastungsprobe der großen Krisen nicht aus. Als die Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 ausbrach, hatte keine Partei etwas damit zu tun. Das waren Vorgänge ganz anderer Art, die von Amerika herüberkamen. Als diese Belastungen auftraten, erwies es sich, daß keine Partei mehr die Verantwortung tragen wollte, und dann mußte mit Notverordnungen regiert werden. Und in diesen Zustand werden wir bei der heutigen Not sehr schnell wieder hineingeraten. Und noch etwas anderes! Selbstverständlich wird es zunächst nicht so sein, daß wir sofort ein Zweiparteiensystem bekommen, so schnell entwickeln sich die Dinge auch nicht. Gerade vom Standpunkt der CSU in Bayern ist es durchaus möglich, daß die CSU und gerade sie, dadurch verliert64). Aber wir sitzen nicht —
62)
Juli 1967), FDP, Rechtsanwalt, 1945-46 Landrat, Generalstaatsanwalt, später Oberlandesgerichtspräsident in Bamberg; 1946—1956 Landesvorsitzender der FDP; 1946-49 MdL Bayern und MdB 1949-1967. Von 1949 bis 1953 Dr. Thomas Dehler (14. Dez. 1897-21.
Dehler BMJ und von 1953 bis 1957 FDP-Fraktionsvorsitzender. Kroll gibt hier Dehlers Uberzeugung durchaus authentisch wieder. Nur wenige Tage zuvor hatte Dehler auf der Landesvorstandssitzung der FDP-Bayern in Nürnberg betont, „daß er stimmungsmäßig für das Mehrheitswahlrecht sei, aber innerhalb der FDP-Fraktion in Bonn allein stehe" (Protokoll über die Landesvorstands- und Fraktionssitzung der FDP am 19. Sept. 1948, ADL N 1—21; vgl. auch das Schreiben Dehlers an Stelzner vom 20. Sept. 1948, in dem er seine Überzeugung mit dem Verweis auf die Erfahrungen der Weimarer Republik begründet, ADL N 1-922). 63) In den Jahren 1930—32 regierte Reichskanzler Heinrich Brüning (26. Nov. 1885—30. März 1970) mit Hilfe des § 48 der Weimarer Verfassung, der es ihm erlaubte, mittels Notverordnungen zu regieren. Die Erfahrungen dieser Zeit dienten oftmals als Argumentationshilfe in den Diskussionen des Pari. Rates (vgl. Friedrich Karl Fromme: Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, Tübingen 1960, S. 112 f.; Ulrich Scheuner: Die Anwendung des Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung unter den Präsidenten Ebert und Hindenburg, in: Festschrift für Heinrich Brüning, hrsg. von Ferdinand A. Hermens und Theodor Schieder, Berlin 1967, S. 249 ff. Zu den weiteren Verweisen auf die Notverordnungen im Pari. Rat siehe auch : Der Pari. Rat Bd. 3, S. 219 f.). 64) Seit dem Ausscheiden der SPD aus der Regierungskoalition in Bayern (20. Sept. 1947) war
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um Parteipolitik zu machen. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu überlegen, ob diese oder jene Partei zum Zuge kommt. Es ist unsere Aufgabe, einen Staat zu bauen, der lebensfähig ist, der nicht wieder so schwach konstruiert ist, daß er beim ersten Windstoß umfällt. Und darum treten wir für ein System ein, das ihn festigt. Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, wenn Sie sagen, die Form allein werde es nicht machen; wenn der Geist nicht dahinter steht, werde auch diese Form zerbrechen. Aber ist nicht eine Form auch immer Ausdruck eines Geistes! Die englische Form ist der Ausdruck dafür, daß drüben eine viel stärkere Integrität vorhanden ist. Ich habe Ihnen gesagt, wie Lloyd George versucht hat, diese Form zu zerbrechen, und wie das klare Gefühl des Engländers, daß das Mehrheitswahlrecht etwas Wesentliches für ihn sei, es verhindert hat65). Wenn wir nun unserer Atomisierung des Geistes wiederum Ausdruck verleihen wollen, indem wir Formen wählen, die einen beliebigen Spielraum für Variationen schaffen, daß grundsätzlich die geistigen Landkarten abgebildet werden, so gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Sie können das vom Standpunkt der Volkssouveränität aus fordern. Aber Sie müssen sich darüber klar sein, daß Sie eine Form der Demokratie schaffen, deren Lebensdauer, nach den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, in sich sehr begrenzt ist. Eine strenge Form könnten wir hier nur gebären, wenn uns der Geist einer starken Demokratie beseelte, wenn wir darauf aus wären, zu sagen: Heute sind es die zwei Gruppen SPD und CDU; darauf kommt es nicht an; wir wollen von den weltanschaulichen Parteien zur praktischen Parteiarbeit kommen, die die konkreten Aufgaben erledigt. Dann werden sich die Parteien neu gruppieren müssen. Wir würden dann zu einer starken Gruppierung kommen und, was vor allem wesentlich ist, sogar relative Minderheiten würden regieren. Aber auch das geht nur, wenn sie vom demokratischen Willen beseelt sind. Wenn sie natürlich befürchten müßten, daß dann in Deutschland eine Partei die Macht antritt, dann wäre es vorbei. Aber hier wurde von kommunistischer Seite eingemeine Herren, nein! wandt, Hitler wäre viel eher zur Macht gekommen68) wenn es damals die zwei Gruppen gegeben hätte, und wenn sie demokratisch gewesen wären, wäre Hitler niemals in diesen Staat eingebrochen; dann hätte er gar nicht den Ansatzpunkt finden können. Seien wir doch ehrlich, die vielen Parteien haben ja das Volk angewidert, und die vielen Parteien widern mich heute noch an. Allerdings müßten die Gruppen, so verschieden sie sich auch verhalten mögen, wie in England bei einer neuen Wahl so loyal sein, auch der anderen Gruppe die Verantwortung zu übergeben, die sie selbst getragen haben. Das Zusammenspiel von Regierungspartei und Opposition muß bereits im Geiste vorhanden sein, wenn man an eine so starke Form hier herangeht. Aber wir haben heute nicht den Auftrag, die Parteienarithmetik zu durchdenken, sondern uns folgende Fragen vorzulegen.
hier,
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die CSU mit der Gefahr einer richten konnte. 65) Siehe oben S. 37. 68) Siehe oben TOP 2 b. war
78
Allparteienkoalition konfrontiert,
die sich gegen sie
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Einmal ist dieser Staat gescheitert. Er ist zum zweitenmal nicht durch eine Revolution geboren, sondern unter dem Protektorat der Besatzungsmächte. Er ist
zweitenmal gewissermaßen von außen67) her geboren worden. Meine Herren, wie stark stellen Sie sich die Demokratie vor? Ich will ja gar nicht annehmen, daß die außerparlamentarischen Kräfte des Herrn Paul über uns herfallen, sondern ich will annehmen, daß die Besatzungsmächte abziehen: Wie stark stellen Sie sich die deutsche Demokratie vor? Sie wird tragisch schwach sein! (Vors. [Dr. Becker]: Sie ist so schwach wie die Zivilcourage!) Und wie hoch die Zivilcourage in Kurs steht: ich brauchte nur einen Namen zu nennen, dann wüßten Sie es. Aber darum dreht es sich: Sie kennen die bayerische Situation, und die CSU in Bayern müßte unbedingt für das Verhältniswahlrecht stimmen, denn der Radikalismus in Bayern ist so im Wachsen begriffen, daß wir vermutlich nicht werden standhalten können68). Uns geht es darum. Wir müssen in diesem Kreise aus einer Situation der parteitaktischen Erwägungen herauskommen und uns überlegen, daß wir an der Wiege dieser neuen Demokratie sitzen. Können wir sie noch retten? Das ist eine ganz ernste Frage. (Paul: Die können Sie nicht mit dem Wahlsystem retten!) Formen sind Ausdruck des Inhalts. (Erneuter Zuruf des Abg. Paul) In England hätten wir demnach keine Demokratie! Das möchte ich von Ihnen hören, Herr Paul. (Erneuter Zuruf des Abg. Paul) Auch die Form, die wir hier propagieren, ist eine Demokratie. Das müssen wir festhalten. Und ich bitte festzuhalten, daß die Gerechtigkeit nicht in einem Zeitpunkt gegeben ist, sondern in einem Geschichtsprozeß. Und vergessen Sie eines nicht: Wenn es heute so ist, daß die CDU regiert wir wollen annehmen, daß die CDU mit ihren zum Teil nicht so unbedingt dynamischen Kräften nicht gerade den Weg zur Macht antreten wird, das werden Sie ja wohl auch zum
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glauben,
...
(Paul: Wir haben darüber eine ganz andere Ansicht.) Vors. [Dr. Becker]: Ich bitte, den Redner weitersprechen zu lassen! Angenommen, die CDU regierte vier Jahre durch eine so gefügte Parlaments-
mehrheit: wie wäre die Situation? Das Volk wird in der heutigen Notzeit mit jeder Regierung unzufrieden sein. Es wird nicht möglich sein, den Willen des Volkes zu erfüllen, und wenn Sie heute in der Eisenbahn fahren und hören, was die Leute sagen: die Leute reden nicht über diese oder jene Partei mehr, sondern sie schimpfen auf die Regierung, ganz gleich wer es ist; sie schimpfen auf die Demokratie; sie sind allgemein unzufrieden. Das Kunststück und das ist das entscheidende Moment des englischen Systems ich sage jetzt einmal „englisches System" und bin dabei mit Ihnen einig, daß der Prozeß zur Er—
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67) Handschriftlich korrigiert aus: „Ausländer". 60) Anspielung auf das Anwachsen extremer Parteien wie der WAV (siehe unten Dok. Nr. 6, Anm. 46). Zur politischen Situation in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Peter Jakob Kock: Bayerns Weg in die Bundesrepublik, Stuttgart 1983. 79
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eines wirklichen Zweiparteiensystems nicht ein sofortiger sein kann also: das Kunststück des Gelingens dieser Regierungsreform, besteht darin, daß der Unwille des Volkes nicht von radikalen, kleinen oder großen Splittergruppen aufgefangen wird, daß der Unwille des Volkes nicht von den Feinden der Demokratie aufgefangen wird, die hinterher sagen: So, jetzt haben wir ja den Beweis, daß diese Staatsform nicht existenzfähig ist, sondern daß dieser Unwille von der legalen demokratischen Opposition aufgefangen wird, die ihrerseits dann im Laufe des dialektischen Geschichtsprozesses in die Verantwortung hineinwächst. Das ist die ungeheure Kunst des Systems. Sie ist in Deutschland m. E. im Schrifttum praktisch überhaupt nicht herausgehoben. Darauf allein beruht letzen Endes der Vorzug, auf diesem historischen Gerechtigkeitsprozeß. Das ist das Geheimnis. Meine Herren von der SPD, Sie haben etwas Falsches gesagt: Wir wollen nicht ständig diesen Wechsel der Wählermasse. Das ist aber das Geheimnis. Sehen Sie sich einmal die Kabinettsliste Englands an, diesen Wechsel ursprünglich zwischen Liberalen und Konservativen, und jetzt zwischen Konservativen und Labour-Party89). Sie können sagen, sie wollten das nicht. Ja, wollen Sie denn dann überhaupt noch die Demokratie? Es ist nämlich wirklich die Frage, ob das, was wir unter anderen Bedingungen
reichung —
schaffen, lebensfähig ist.
Eigentlich müße es Sie skeptisch stimmen, daß sich Herr Paul so sehr für das Verhältniswahlrecht einsetzt; denn ich glaube, wenn sich auch Herr Paul, den ich als Exponenten der KPD ansehen muß, für das Verhältniswahlrecht einsetzt, verfolgt er bestimmt ganz andere Ziele damit. Er sieht eine Chance, sich durchzusetzen. Da ist man vielleicht im östlichen Raum psychologisch etwas klüger. Nicht nur die Tradition des Bolschewismus, sondern auch die russische Psychologie haben ja mit dem Westen manchmal doch wie die Katze mit der Maus zu spielen versucht: der Westen hat sich abgezappelt und der Osten hat einkassiert. Was sich jetzt abspielt, sind die letzten Zuckungen des Westens, der noch einmal versucht, sich schnell zu mobilisieren. Man kann ihm nicht schöner zu einem schnellen Tod von innen verhelfen, als wenn man ihn so organisiert, daß er zerplatzt. Daran haben wir kein Interesse. Aber darauf müssen Sie ihr Hauptaugenmerk riehen, nicht auf Parteiarithmetik. Und das ist der Grund, warum ich frage: Wie machen wir den Westen stark? Übrigens können Sie sich das selber ausrechnen, daß wir nicht pro domo reden. Der ganze westliche Raum bietet ein ganz klägliches Bild. Man kann da sehen, wie idiotisch zum Teil die Politik gemacht wird. Aber das ist das Motiv dafür, daß wir uns für diese Gedankengänge einsetzen, und deshalb sage ich: Gut, die Chance ist nicht 100%ig mit dem englischen Mehrheitswahlrecht, aber es ist eine Chance, und das andere ist keine. Bei dem anderen weiß ich, daß alle Gruppen vertreten sind, aber ich garantiere heute schon, daß sie bei der nächsten Belastungsprobe zusammenfallen. Darum muß ich sagen: Ich bin von Natur aus eine sehr versöhnliche Natur und nicht geneigt, anderen Leuten das Leben zu erschweren, und ich will auch hier —
6Q) Zum Wechsel zwischen Liberalen und Labour Partei in Großbritannien
80
von
1900
Konservativen bzw. Konservativen und der bis 1945 siehe Craig, Facts, S. 17—35.
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Schwierigkeiten
erzeugen. Ich bin persönlich sehr kompromißbereit. Aber eine Sache wie die Demokratie in diesem Ausmaß wie heute tatsächlich gefährdet ist, muß ich dafür eintreten, daß die stärkste Form, die wir überhaupt in dem Bereich der Sicherung finden können, gewählt wird, damit sie eine Le-
keine
wenn
benschance hat. Ich
gebe
daß das
zu,
schiefgehen kann.
Aber dieser Versuch
wäre eine Revision und nicht bloß eine Wiederherstellung des Weimarer Zustandes, vor dem mir graust. (Dr. Diederichs: Davon hat keiner gesprochen!) Aber es läuft darauf hinaus. Versuchen wir es einmal! Wir haben uns auf folgendes geeinigt. Wir bauen diese Vorschriften nicht in die Verfassung ein. Wir wollen sie nur im Wahlgesetz für die erste Verfassung haben70). Übernehmen Sie einmal das Risiko! Wenn es nachher wirklich nicht funktioniert, dann überlassen Sie es dem neuen Parlament, es wieder zu beseitigen. Aber wir wollen uns nicht mit dem Odium belasten, ideenlos gewesen zu sein. Ich jedenfalls kann sagen: Versuchen wir es vorläufig. Langfristig möchten wir keinen Kompromiß in dieser Sache haben. Er wird sich vielleicht nicht ganz und hinter mit steht wirklich die vermeiden lassen. Aber ich persönlich Fraktion möchte vermeiden, daß wir Plagiatoren von Weimar werden und eine einfache Restauration erleben. Wir wollen einmal das Neue versuchen, —
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und zwar das, was über 1871 hinausgeht71): das relative Wahlsystem, das englische System. Es nicht versucht zu haben, möchte ich nicht verantworten. Bitte nehmen Sie das auch als ein Wort der CDU-Fraktion72).
[2e. Mehrheitswahlrecht und die Stabilität der Demokratie] Dr. von Brentano: Meinen grundstätzlichen Standpunkt hatte der Herr Vorsitzende vorhin bereits angedeutet, als er mich liebenswürdigerweise im Zusammenhang mit der sehr ernsten Problematik der „Persönlichkeit im politischen Leben" apostrophierte. Ich bekenne, daß ich zu den Gründern der Wählergesellschaft gehöre73). Ich bekenne das, weil ich gerade die Kritik an ihrer Tätigkeit dem Aufsatz des mir sonst sehr freundlich verbundenen Herrn Prof. Jellinek74) entnommen habe. Dazu ein Wort. Die Tatsache, daß ein Mann ein Staatsrechtler von hohen Qualitäten ist, ist noch nicht immer ein zwingender Beweis für seine politischen Fähigkeiten. Wenn Herr Prof. Jellinek davon aus-
70) Siehe oben Dok. Nr. 1, Anm.
5.
71
) Siehe oben Anm. 25. 72) Die Haltung der CDU/CSU-Fraktion war zu diesem Zeitpunkt keinesfalls so gefestigt, wie Kroll hier suggeriert. Noch am Abend zuvor hatte Adenauer in der Fraktionssitzung zwar darauf hingewiesen, daß sich die CDU in der britischen Zone für das Mehrheitswahlrecht ausgesprochen habe, aber der Abgeordnete Sigmund Mayr betonte, daß das Mehrheitswahlsystem von der CSU in Bayern abgelehnt würde. Auch Kleindinst sprach sich gegen das einfache Mehrheitswahlrecht aus (Fraktionssitzung vom 22. Sept. 1948, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 26 ff.). 73) Brentano war Beiratsmitglied der Deutschen Wählergesellschaft. 74) Siehe oben Anm. 32. 81
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geht, daß die Wählergesellschaft Scheuklappen trage, so muß er doch zugeben, daß diejenigen in dieser Wählergesellschaft, die diese Auffassung vertreten, im Gegensatz zu ihm selbst im politischen Leben stehen. Ich möchte nun eins wiederholen, was der Herr Vorsitzende vorhin sagte. Wir sollten an diese Dinge mit einem Mindestmaß von Leidenschaft herangehen und uns insbesondere davon freimachen, in der Erörterung der Wahlrechtsfragen die Erörterung einer Parteiauffassung zu erblicken. Ich glaube nicht, daß es irgendeine parteidogmatische Bindung in einer Partei überhaupt gibt, die einen zwingen könnte, zu dem einen oder anderen Ja oder Nein zu sagen. Ich stimme mit dem, was mein Freund Dr. Kroll sagte, völlig überein. Wenn auch ich von der CDU den Standpunkt des Mehrheitswahlsystems vertrete, dann nicht aus Erwägungen der Parteitaktik oder Parteisystematik. Bei mir liegen die Dinge noch viel einfacher als in Bayern, wo die Verhältnisse etwas komplizierter sind. Ich komme aus Hessen und bin mir natürlich darüber klar, daß, wenn in Hessen das Mehrheitssystem herrschte, der Ausgang der nächsten Wahl eindeutig geklärt wäre: dort wäre eine ganz klare Mehrheit, in der meine Partei nicht vertreten wäre75). Das möchte ich hier erwähnen, um Ihnen zu zeigen, daß ich mich in diesen Dingen nicht von parteipolitischen Erwägungen leiten lasse. Nun möchte ich noch eins richtigstellen, was in der Diskussion eine Rolle gespielt hat. Wir wollen dabei aber nicht von dem sehr unguten Wort „Persönlichkeitswahl" ausgehen. Da stimme ich denen absolut bei, die daran ihre Kritik äußern. Das Wort „Persönlichkeit" hat im politischen Leben einen Beiklang, der nicht immer gut ist. Ich bin nicht der Auffassung, daß es überhaupt darauf ankäme, nur sogenannte Persönlichkeiten zu wählen, und ich bin auch nicht der Meinung, daß etwa das Mehrheitswahlsystem die Garantie dafür in sich berge, daß Persönlichkeiten gewählt werden. Ich bin mir völlig klar darüber wir wollen gar nicht schwarz und weiß malen —, daß gerade beim Pluralwahlsystem auch andere Ergebnisse herauskommen können, die uns durchaus unerwünscht sind, daß nämlich in dem Wahlkreis, in dem etwa nach dem relativen Mehrheitswahlsystem gewählt wird, irgendeine sogenannte Persönlichkeit aufsteht, die in diesem Wahlkreis eine kompakte Minderheit hinter sich hat, welche auf dem Wege über ein relatives Wahlsystem ihre Kandidaten entsendet. Ich kenne diese Schattenseiten des Pluralwahlrechts ebenfalls. Aber ich bin grundsätzlich der Auffassung, die auch Herr Kollege Dr. Kroll vorgetragen hat, daß wir einen Weg suchen sollten, um die Masse der Wähler wieder an das politische Leben heranzuführen. Ich glaube, wir sind doch alle erfahren genug, um ganz nüchtern feststellen zu können, daß sich in den drei Jahren einer höchst problematischen demokratischen Entwicklung, die hinter uns liegen —
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75) Bei den hessischen Landtagswahlen vom 1. Dez.
1946 hatte die CDU 30,9 % der abgegedagegen auf 42,7 %, die FDP (LDP) auf den folgenden Wahlen zum hessischen Landtag am
benen gültigen Stimmen erhalten. Die SPD kam
15,7 % und die KPD auf 10 %. Bei 19. Nov. 1950 schnitt die CDU sogar noch schlechter ab. Auf sie entfielen gerade 18,8 % der Stimmen gegenüber 44,4 % für die SPD. Sieger dieser Wahl war aber eindeutig die FDP mit 31,8 % (Richard Schachtner: die deutschen Nachkriegswahlen, München 1956, S. 44). 82
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kann auch sagen: demokratischen Fehlentwicklung, in der wir sicherlich nicht die Hauptschuld tragen, sondern auch das mangelnde Verständnis derer, die über uns zu bestimmen haben —, die Wähler weitgehend schon wieder vom politischen Leben entfernt haben. Dafür sprechen ja die Ziffern der Wahlbeteiligung76). Andererseits ist es von außerordentlicher Bedeutung und sehr bezeichnend, daß beispielsweise bei den Kommunalwählen in Hessen, am 24. April eine Wahlbeteiligung von 87% erzielt worden ist77). Das ist darauf zurückzuführen, daß da in engen Bezirken gewählt wurde, wo die Wähler schon an den Gewählten Interesse hatten, also unmittelbare Beziehungen zwischen Wählern und Gewählten bestanden. Ich kenne die Schattenseiten beider Systeme und möchte sie nicht wiederholen; denn wir haben gestern aus dem Munde des Herrn Prof. Dr. Thoma und heute durch die Zusammenfassung des Herrn Vorsitzenden das Pro und Kontra gehört. Ich möchte nur eins bemerken, um eine kritische Bemerkung des Herrn Dr. Diederichs aufzunehmen: Wenn hier in der Diskussion gesagt wurde, daß die Erwägung, ob die Mehrheitswahl gerecht sei oder nicht, ausscheiden müsse, dann ist damit keineswegs gesagt, man unterstelle der Mehrheitswahl eine Ungerechtigkeit, oder man billige eine Ungerechtigkeit, die vielleicht in der Mehrheitswahl liegt, sondern es ist damit m. E. mit Recht gefragt worden, ob es denn im politischen Leben in Deutschland überhaupt den Begriff der Gerechtigkeit gebe. Ist es eine Gerechtigkeit, wenn auf dem Wege des Proporz 51 Prozent über 49 Prozent bestimmen? Ein sehr kluger Engländer hat einmal gesagt, im politischen Leben gebe es den Begriff der Gerechtigkeit nicht, sondern nur eine Annäherung. Die Annäherung wird durch das Mehrheitssystem erreicht; aber daß das Mehrheitssystem gerecht sei, wird niemand behaupten können. Niemand wird feststellen können, daß 51 Prozent Recht haben und 49 Prozent Unrecht, sondern man erreicht nur mit 51 : 49 eine Annäherung an die Gerechtigkeit. Und in diesem Sinne ist auch diese Bemerkung über die mathematische Gerechtigkeit aufzufassen. Ich glaube, wenn wir den Proporz empfehlen, lassen wir uns etwas zu sehr von dem durchaus berechtigten Wunsche leiten, eine weitgehende arithmetische Gerechtigkeit zu finden. Aber das ist nur auf Kosten einer klaren politischen Entscheidung möglich. Denn den Unterschied zwischen Mehrheitswahlrecht und Proporz sehe ich insbesondere darin, daß wir einen notwendigen politischen Kompromiß schließen. Da stimme ich dem Herrn Kollegen Dr. Diederichs vollkommen zu. Kompromisse sind notwendig. Die Tatsache, daß wir hier sitzen, ist schon ein Ausdruck des Kompromisman
') Nach 1945 lag die Wahlbeteiligung in nahezu allen westdeutschen Bundesländern außerordentlich hoch. Sie bewegte sich mit steigender Tendenz zwischen 65,1 % (Landtagswahl in Niedersachsen am 20. April 1947) und 87,3 % (Gemeindewahlen in Bayern am 25. April 1948). In Berlin lag die Wahlbeteiligung bei der Stadtverordnetenwahl vom 20. Okt. 1946 bei 91,4 %, im Saarland bei den Landtagswahlen vom 5. Okt. 1947 sogar bei 95,7 % (Schachtner, Nachkriegswahlen, passim). ) Schachtner (Nachkriegswahlen, S. 42) gibt die Wahlbeteiligung bei den hessischen Gemeindewahlen vom 25. April 1948 mit 84,4 % an. Am selben Tag wurden auch Landkreis- und Stadtkreiswahlen abgehalten, an denen sich 81,2 % der Stimmberechtigten
beteiligten (ebenda).
83
Nr. 3 ses.
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Die Tatsache, daß zwei Menschen nebeneinander
leben, ohne sich
zu er-
schlagen, ist ein Ausdruck des Kompromisses. Und so sage ich: Ich erkenne die Notwendigkeit des Kompromisses im politischen Leben vollkommen an, und wir sollten uns ganz und gar von den Vorstellungen freimachen, die der Nazismus in Deutschland aufgebracht hat, indem er erklärte, jeder Kompromiß sei faul. Es gibt auch den gesunden, notwendigen Kompromiß, den wir immer vertreten müssen. Aber ich bin der Meinung, bei dem Pluralwahlsystem legen wir die Entscheidung über den Kompromiß bereits in die Hände des Wählers, während er sonst von den Gewählten getroffen wird. Ich sehe darin einen ungeheuren erzieherischen Effekt; denn der Kompromiß wird den Wählern durch eine zielbewußte politische Propaganda verekelt. Wenn aber jemand gezwungen ist, selber diesen Kompromiß zu schließen, sich zu entscheiden in dem Bewußtsein: wenn ich diesen Kandidaten wähle, erreiche ich bestimmt nichts, denn der wird nicht gewählt, also wähle ich den, der im Sinne der Gerechtigkeit annähernd der Beste ist, dann trifft er in seiner eigenen Person bereits eine Entscheidung. Er kennt die Notwendigkeit des Kompromisses im politischen Leben. auch das möchte ich klarstellen —, daß diejenigen, die Es ist auch nicht so gegen das Proporzsystem sind, gegen die Parteien wären. Ich selber bin ja nicht nur Abgeordneter, sondern ich bin ein ausgesprochener „Parteigänger". Ich bin im Sinne des Befreiungsgesetzes zweifellos Hauptschuldiger78), und ich anerkenne die Notwendigkeit der Parteien. Es gibt keinen demokratischen Staat, keine Demokratie ohne starke, lebendige Parteien. Aber ich sehe in der Wiedereinführung des Pluralwahlsystems die Möglichkeit, die Menschen soviel enger an das politische Leben heranzubringen, daß sie sich auch mit den politischen Parteien abgeben und zu ihnen einen inneren Weg finden. Aber wenn auch heute die eine oder andere politische Partei mehr oder weniger zahlende Gäste hat, so sind sie innerlich doch noch nicht erfaßt, denn die meisten politischen Parteien vielleicht mit Ausnahme der politischen Partei des Herrn Kollegen Paul haben wohl sehr viele Mitläufer, vielleicht auch zahlreiche Nutznießer unter sich, aber verhältnismäßig wenige Aktivisten. Nun hat Kollege Dr. Diederichs gesagt, daß man unter Umständen das Proporzsystem auflockern und dem Mehrheitswahlsystem annähern könne. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten auf dem Gebiet; ich glaube aber, wenn man die Dinge einmal völlig klar durchdenkt, daß hier ein Kompromiß vom Bösen ist, weil man zwei inkommensurable Größen in ein Verhältnis bringt. Es ist und ich habe mich mit den vielen Vorschlägen und meiner Ansicht nach Problemen sehr eingehend beschäftigt eine unlösbare Aufgabe, eine Synthese zwischen dem Pluralwahlsystem und dem Proporz zu finden. Wenn wir eine Synthese finden, werden wir wahrscheinlich in der Praxis zu äußerst unerfreulichen Ergebnissen, wirklich zu Zufallsergebnissen kommen, und da können wir so klug rechnen, wie wir wollen, z. B. so klug wie Herr Jellinek, der sich durch —
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ganz offensichtlich auf den Umstand an, daß er von 1943 bis 1945 bei der Staatsanwaltschaft Hanau dienstverpflichtet gewesen war und in dieser Eigenschaft unter die Entnazifizierungsbestimmungen fiel.
78) Brentano spielt hier
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peinlich logisches Denken, aber nicht durch politische Erfahrungen auszeichnet; denn die Ergebnisse, die er gefunden hat, sind das Ergebnis einer Milchmädchen-Rechnung. Es gibt nichts, was nicht durch Beispiele bewiesen ein
werden könnte. Man muß die Beispiele aber aus dem praktischen Leben nehmen und nicht auf dem Papier errechnen. Wenn Herr Jellinek dazu geschrieben hätte, wo im Mehrheitswahlrecht diese grotesken Ergebnisse sich ergeben hätten, würde ich sagen, daß ich überzeugt bin. Da er das aber nur am Schreibtisch ausgerechnet hat, überzeugt es mich durchaus nicht. und da stimme ich auch dem Deswegen bin ich persönlich der Meinung Kollegen Kroll zu —, daß wir vor einer absolut politischen Frage stehen, aber nicht vor einer parteipolitischen. Seien wir uns doch einmal über eins klar: Wenn wir heute das politisch interessierte Volk in Deutschland fragten, welches Wahlsystem es haben wolle, so glaube ich, daß sich von denen, die sich überhaupt dazu äußern würden, eine erdrückende Mehrheit für das Mehrheitssystem entscheiden würde79). (Widerspruch und Zurufe) Ich sage damit meine Auffassung, aber ich sage nicht, daß ich damit absoEs gibt aber doch wohl zu denken, daß sich so viele Wähler lut Recht habe. in ihren Zuschriften für das Mehrheitswahlsystem aussprechen. Das ist ja auch gestern schon gesagt worden80). Es geht mir auch so, daß ich in meiner politischen Tätigkeit und im Zusammenhang mit der Wählergesellschaft unendlich viele Zuschriften erhalte. Aber ich glaube, nicht eine einzige ist darunter, die mich gebeten hätte, mich für die Beibehaltung des Proporzsystems einzusetzen. (Dr. Diederichs: Ich habe an Herrn Sternberger81) geschrieben und bin nicht einmal einer Antwort gewürdigt worden!) Es ist nicht eine parteipolitische, sondern es ist eine wirklich überparteiliche Frage. Und meinem Eindruck nach würde sich die überwältigende Mehrheit der Befragten für das Mehrheitswahlsystem äußern, und ich bitte Sie wirklich, hier noch einmal das zu erwägen, was Herr Kroll eben gesagt hat: Wir haben doch die absolut verpflichtende Aufgabe, einen Weg zu finden, von dem wir uns mit einiger Aussicht auf Erfolg versprechen können, daß diese Demokratie lebensfähig wird. Und ich fürchte da bin ich auch mit Herrn Kollegen Kroll absolut einig —, wenn wir auf den Wegen weiter gehen, die hinter uns liegen, dann werden wir das nicht erreichen. Ich gehe nicht so weit wie Herr Kollege Kroll, zu behaupten, die Weimarer Republik wäre am Proporz zerbrochen. So ist es nun nicht. Es gibt unzählige Gründe, die dafür aneinandergereiht werden müssen. Aber ich glaube, in dem einen Punkte dem Herrn Kollegen Dr. Kroll zustimmen zu müssen: wenn das Proporz nicht bestanden hätte, wäre die Weimarer Republik stärker und lebensfähiger gewesen. Mein Kampf geht auch nicht gegen die Minderheitsparteien. Ich bin mir darüber klar, daß zunächst einmal die kleinen Parteien beim Pluralsystem in vielen Fällen ausscheiden werden. Aber das gilt in erster Linie von jenen kleinen Par—
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79) Siehe Dok. Nr. 2, Anm. 70. 80) Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 121. 81) Zu Dolf Sternberger siehe unten Dok. Nr. 9, Anm.
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teien, die überall mit sporadischen Minderheiten vertreten sind, während echte neue Parteien, die irgendwo eine kompakte Minderheit darstellen, sich dort durchsetzen können. Deswegen ist der Weg für die Entwicklung einer neuen Partei gar nicht gesperrt. Vielleicht weniger versperrt als auf dem Wege des
Proportionalsystems.
(Dr. Diederichs: Damit fällt eins Ihrer besten Argumente!) Nein, es fällt nicht, weil ich nicht der Auffassung bin, daß das Pluralsy-
notwendigerweise auf zwei Parteien hinauslaufen müßte. Das ist auch notwendig. Ich weiß, daß jedes Beispiel hinkt. Aber das Beispiel der Entwicklung der Labour-Party ist mit Recht erwähnt worden. Die absolut verschwindende Mehrheit, mit der die Labour-Party begonnen hat, ist nicht durch das Pluralwahlrecht gehindert worden sich durchzusetzen, sondern konnte sich in kurzer Zeit zu einer absoluten Mehrheit emporarbeiten82). —
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nicht
(Vors. [Dr. Becker): Zu einer relativen!) Wir wären schlechte Politiker, wenn wir sagten: beati possidentes! weil wir einer Partei angehören, die viele Wähler hat, dürfen wir andere nicht hochkommen lassen. Das wäre eine so törichte Haltung, daß wir uns damit selber lächerlich machten. Der Kampf soll nicht der kleinen Partei schlechthin gelten; er wird nicht mit dem negativen Vorzeichen „gegen die kleinen Parteien", sondern mit dem positiven Vorzeichen „für große Parteien", geführt werden müssen. Ich glaube, daß wir das tatsächlich nur auf dem Wege des Mehrheitswahlsystems
erreichen können, und auf dem Wege über das kompromißlose Mehrheitswahlsystem. Ich möchte das Für und Wider nicht wiederholen. Ich bin mir völlig darüber klar, daß es eine ganze Reihe sachlich ernster Einwände auch gegen das Pluralwahlsystem gibt, die durchaus nicht mit einer Handbewegung beseitigt werden. Ich bin auch nicht der Meinung, daß ich, wenn ich mich für das Pluralwahlsystem entscheide, Ihnen damit etwa den Stein der Weisen überreiche. Ich bin nur überzeugt, daß wir der demokratischen Entwicklung die beste Hilfe geben, wenn wir uns von dem Proporzsystem entfernen. Eins möchte ich zum Schluß noch sagen. Es ist hier gesagt worden, das erste Meine Herren, geben wir uns doch Parlament könne ja darüber entscheiden. keinen Illusionen hin! Ich glaube, Ihnen mit absoluter Gewißheit vorhersagen zu können, daß ein Parlament, das nach dem Proporzsystem gewählt ist, das Wahlsystem niemals in ein Pluralsystem ändern wird. (Heiland: Das sind wir ja auch!) Deshalb haben wir vielleicht auch diese Schwierigkeiten, Herr Kollege. Aber es ist ja gestern gesagt worden, daß dieses Wahlsystem hier bei uns dazu beigetragen habe, Menschen von besonderer Erfahrung und Qualität in den Parlamentarischen Rat zu schicken83). Ich nehme dieses Kompliment selbstverständlich dankbar an, und ich will auch überzeugt sein, daß es richtig ist; aber wir haben ja jetzt die Möglichkeit, es zu beweisen, wenn wir hier einen richtigen Entschluß fassen. —
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82) Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 116. 83) Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 92.
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Heiland: Vor allen Dingen möchte ich erst einmal eine Sache besprechen, die, auch am Rande, von Herrn Kollegen Dr. Kroll in die Debatte geworfen worden ist, und die meiner Ansicht nach zum mindesten nicht dadurch beantwortet werden soll, daß sie keinen Widerspruch findet. Das ist die Frage der indirekten Wahl84). Das System der indirekten Wahl müßte geschichtlich eigentlich seit 100 Jahren bereits überholt sein. Ich möchte auf dieses von Herrn Brentano angezogene Zitat des Herrn Dr. Kroll noch einmal eingehen, denn ich bin gar nicht der Meinung, daß durch indirekte Auswahl der Vertreter die Qualität der Auswahl besser werden müsse. Ich bin auch nicht der Meinung, daß der Parlamentarische Rat dafür ein Beweis ist. Das Urteil über den Parlamentarischen Rat wollen wir um Gotteswillen nicht selber vorwegnehmen, sondern es getrost den Wählern draußen, viel richtiger aber der Geschichte überlassen. Und wir wollen dabei immer noch bedenken, daß es nicht nur von unserer Klugheit abhängt, was wir hier fertigbringen können, sondern zum großen Teil von den Umständen, unter denen wir etwas zu schaffen haben. Ich möchte auch für meine Partei aussprechen, daß wir das System der indirekten Wahlen bewußt ablehnen (Dr. Kroll: Es steht in dieser Form auch nicht zur Debatte!) Sie haben es zur Diskussion gestellt, und ich möchte darauf eingehen —, weil ich der Meinung bin, daß durch indirekte Wahlen das politische Interesse der Wähler erlahmen kann; und wenn wir eine lebendige Demokratie gestalten wollen, dann brauchen wir nicht ein gut ausgewähltes Parlament, sondern den politischen Menschen auf der Straße und im Betrieb. Und den bekommen wir nur dadurch, daß wir endlich direkte Wahlen für das entscheidende Gremium vornehmen. Damit dürfte diese Frage erledigt sein. wenn
—
—
[2f.
Die besonderen
politischen Verhältnisse
in
Deutschland]
Herr Dr. Kroll hatte gestern bei seinem Referat sehr bewußt eine Frage herausund ich stelle jetzt aus den Ausführungen des Herrn von Brentano fest, daß er sich da in einem gewissen Widerspruch zu ihm befindet; denn Herr Kroll hat gestern gesagt, wenn es zu keinem Zweiparteiensystem komme, hätte er kein Interesse mehr am Mehrheitswahlsystem85). Ich weiß nicht, woher er den Mut zu der Überzeugung nimmt, daß im Deutschland nach 1945 die Situation politisch so reif ist, daß wir zu einem Zweiparteiensystem kommen könnten. Ich bin der Überzeugung, daß es nach dieser Konstellation gar nicht kommen kann, weil wir strukturell und soziologisch anders gelagert sind als England. Wir haben nämlich gar nicht begriffen, daß bei uns in Deutschland die Wahlen, und zwar gerade durch die CDU, nicht so sehr politische Entscheidungen sind, sondern die Tatsache, daß Sie das Wort „christlich" in den Namen Ihrer Partei aufgenommen haben, beweist, daß Sie nicht das politische Element, sondern etwas ganz anderes zur Entscheidung stellen, das gar nicht dem politischen Regulativ unterliegt, um parteibildend und parteitragend herausgestellt zu
gestellt,
84) Siehe oben S. 30. 85) Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 5 b. 87
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was also schon gar nicht zu einer gesunden Parteibildung führen kann. Ich bin aber trotzdem der Überzeugung, daß die CDU als junge Partei wenn man sie als Partei rechnet früher oder später auch in den Schmelztiegel der politischen Parteibildung hineingerät, und daß man noch gar nicht weiß, ob sie in ihrer heutigen Form Bestand hat. Die Parteienbildung ist bei uns zur Zeit vollkommen im Fluß, weil die gesamte Lebensgrundlage zerschlagen ist. Ich gehe mit Ihnen insoweit einig, als Sie sagen, wir müßten über die Zeit hinaussehen, wir müßten die gesamte Problematik unserer Zeit sehen. Aber gerade dann müssen wir sehen, daß die gesamte Lebensgrundlage in Bewegung geraten ist. Und wer da meint, daß die Entwicklung so weit fortgeschritten ist, daß wir jetzt schon ein Zweiparteiensystem haben oder haben werden, der geht meiner Meinung [nach] an wesentlichen Merkmalen des politischen Lebens nach 1945 vorbei. Sie sagten gestern, das Mehrheitswahlsystem habe nur Sinn, wenn es zu diesem Zweiparteiensystem führt; führt es nicht dazu, dann hat es also nach Ihrer Meinung von gestern keinen Sinn. (Dr. Kroll: Vielleicht ist die Akzentuierung insofern zu scharf, als ich den eigentlichen Sinn des Mehrheitswahlrechts im Zweiparteiensystem er-
werden,
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—
blicke!)
Auch das bestreite ich Ihnen, wenn ich Ihre bayerische Entwicklung in diesen drei Jahren ansehe, weil es bei den nächsten Landtagswahlen bei der heutigen Entwicklung in Bayern keine zwei tragenden Parteien geben wird; da wird es drei oder vier Parteien geben, die sich ungefähr die Waage halten06). Und da würde nach Ihrer Meinung in Bayern das Mehrheitswahlsystem nicht mehr (Dr. Kroll: Nicht „nicht mehr", sondern „noch nicht"!) Ich wollte nur die Problematik aufgezeigt haben, und ein anderes Argument daran anknüpfen. Sie sagen genauso kategorisch, die Weimarer Republik sei am Wahlsystem gescheitert. Das ist ein sehr mutiges Wort, für das Sie den Beweis schuldig bleiben müssen. Meiner Meinung nach ist die Weimarer Republik an ganz anderen Fakten gescheitert. Genauso, wie wir jetzt vor der Frage stehen, uns ein neues Leben zu bauen oder zu scheitern, wobei wir die Entscheidung aber nicht allein in der Hand haben, hatte auch die Weimarer Republik es nicht allein in der Hand, sondern gerade außenpolitische Momente hatten eine ungeheure Bedeutung in unserer Staats- und Lebensbildung. Wir sollten uns doch keine Illusionen machen. Wenn sich die Versuche der ganzen Welt nicht auf einer so hohen Ebene bewegen, wie sie notwendig ist um zu leben, wenn wir nicht endlich auch in der Politik die höhere Ethik finden, dann können wir hier in Deutschland die beste Demokratie schaffen, die es überhaupt gibt, und das beste Wahlsystem dazu, und wir werden trotzdem zwischen den Mühlsteinen der Weltpolitik zu Staub zerrieben, daß nichts von uns übrigbleibt. —
...
—
86)
bayerischen Landtagswahlen am 26. Nov. 1950 gab es faktisch ein Fünf-Parteiensystem: Die SPD wurde stärkste Partei mit 28 % der Stimmen, gefolgt von Bei den nächsten
der CSU (27,4 %), der BP (17,9 %), der FDP (7,1 %) und dem GB/BHE (12,3 %). 80
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Republik ist zum Teil auch in diesen weltpolitischen Geschehnisdie Hunde gegangen. Die Nationalsozialisten hätten ihre Dolchstoßlegende87) nicht mit einem so ungeheuren Erfolg verbreiten können, wenn sich die Politiker in der Downing-Street88) etwas vernünftiger Deutschland gegenüber eingestellt hätten. Und wenn auch die Sieger von 1945 von dieser höheren Vernunft getragen worden wären, hätten wir in Deutschland heute entschieden bessere Lebensbedingungen und bessere Ausgangspositionen für den neuen demokratischen Staat. Der demokratische Staat in Deutschland wird und muß scheitern, wenn diese wahnsinnige Politik der imperialistischen Ausdehnung von den Weltmächten, in deren Hand wir heute nur noch Schachfiguren sind, weiter getrieben wird. Ich wollte damit sagen, daß das Wahlsystem an sich für die Frage, ob Demokratie oder nicht, nicht entscheidend ist. Ich bin trotzdem der Überzeugung, daß Sicherungen eingebaut werden müssen. Und jetzt werden Sie vielleicht lächeln: ich bin persönlich nicht ein absoluter Anhänger des Verhältniswahlsystems, ich habe mich persönlich sogar etwas mit dem Mehrheitswahlsystem angefreundet. Aber das besagt gar nicht, daß das Verhältniswahlsystem nicht zu demselben Ergebnis führen kann, wenn die entsprechenden Sicherungen eingebaut werden, wie das Mehrheitswahlsystem. Mit der Meinung des Herrn Dr. Becker kann ich mich nicht befreunden. Aus der augenblicklichen Situation Deutschlands heraus lehne ich das Präsidialkabinett89) für die ganze Legislaturperiode ab. Ich bin der Meinung, daß wir politisch nicht genügend fundiert sind, um es einer Regierung gestatten zu können, vier Jahre absolut regieren zu können. Deshalb lehne ich es in dieser Form, wie es Herr Becker propagiert, für mich persönlich ab, weil ich darin den Keim eines Mißbrauchs in totalitärer Hinsicht sehe. Wir sollten auch da vorsichtig sein. Das totalitäre System in Deutschland war ja nicht eine Erfindung der NSDAP, sondern war auch im monarchischen System sehr stark verankert. Wir sollten auch nüchtern genug sein, zu erkennen, daß es heute in Deutschland noch sehr starke Kräfte gibt, die in ihrer Grundstruktur totalitär sind, die heute politisch nicht ohne Bedeutung sind. Wir wissen, daß der Aufbau der Katholischen Kirche sehr monarchisch ist. (Dr. Kroll: Das ist aber nicht dasselbe wie totalitär!) Ich will es nicht zu Ende diskutieren, ich wollte nur zeigen, daß es auch noch außer dem nationalsozialistischen System gewisse Nuancierungen gibt, die totalitär sind. (Dr. Kroll: Vergessen Sie den Sozialismus nicht!) Darüber müßten wir dann besonders sprechen. Die Weimarer sen vor
—
—
—
a7) Die
von
der nationalistischen Rechten vertretene These, die deutsche Armee habe den
Krieg im eigentlichen Sinne nicht verloren, vielmehr sei es die Revolution gewesen, die zur Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg geführt habe. Siehe J. Petzold: Die
Dolchstoßlegende,
1963.
8B) D. h. die britische Regierung. 89) Siehe oben TOP 2. 89
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genügende Sicherung dafür, daß man ein arbeitsfähiges Parlabekommt, auch darin, daß sich Kollege Paul diesen unseren Gedanken so gut zu eigen gemacht hat, daß auch er keine negativen Mehrheiten Regierungen stürzen lassen will. Das will er dadurch verhindern, daß man zum Sturz eiIch sehe eine
ment
eine positive Mehrheit verlangt. Dadurch bekommen wir arbeitsParlamente. fähige (Dr. Kroll: Wir bekommen einigermaßen stehende Regierungen. Ob das Parlament arbeitsfähig ist, ist noch eine Frage!) Also wir bekommen arbeitsfähige Regierungen, und das ist doch letzten Endes das Entscheidende. Ich gebe zu, daß die Parlamentskrisen vor 1933 eine psychologische Wirkung gehabt haben, aber sie waren künstlich von gewissen Kräften geschaffen worden; und Berlin ist ja ein Beispiel dafür, daß man es nach 1945 auch schon wieder kann. Und ich meine, daß man eine Parlamentskrise durch geschäftsordnungsmäßige Elemente verhindern kann. Dafür würde ich mich dann in erster Linie klar aussprechen. Ich würde doch dankbar sein, wenn sich in der CDU die Differenz zwischen der Meinung des Herrn Dr. von Brentano und Ihrer eigenen klären ließe. Denn das würde für uns interessant sein. Sie sagten, wenn das Mehrheitswahlsystem nicht zu einem Zweiparteiensystem führe, hätten Sie kein Interesse mehr daran. (Dr. Kroll: Aber wir sind der Überzeugung, daß wir jede Chance nützen ner
Regierung
—
müssen!) Ich zähle ja nun auch noch zu den jüngeren Leuten hier90), und ich bin der Überzeugung, nach der politischen Konstellation, die wir zur Zeit in Deutschland haben, daß wir in den nächsten 10—15 Jahren zu keinem Zweiparteiensystem kommen werden. Die Struktur der Bevölkerung im Norden ist eine ganz andere als die der Bevölkerung im Süden, und hier im Westen ist sie durch das Ruhrgebiet sehr gemischt. Wir sollten aber auch nicht außer acht lassen, daß wir dieses Grundgesetz jetzt in der Absicht aufstellen, es für ganz Deutschland zu machen. (Zuruf: Es kommt ja nicht ins Grundgesetz!) Richtig! Ich möchte das grundsätzlich im Ganzen nehmen. Wir sollten bei der Schaffung dieses Gesetzes nicht vergessen, daß das politische Element hinter der Elbe früher oder später als tragende politische Kraft im deutschen politischen Leben auch noch da ist, und dann kommen wir zu ganz anderen Kon—
—
stellationen91). Ich wollte damit sagen, daß zum mindesten das Verhältniswahlrecht genau so stark tragend für eine demokratische Regierungsform ist, wie man es dem Mehrheitswahlrecht zuschreiben will.
90) Heiland gehörte dem Jahrgang
1910 an und gehörte damit zu den drei jüngsten Mitgliedern des Pari. Rates. Zur Altersstruktur der Mitglieder des Pari. Rates siehe auch Konrad ein Beamtenparlament. Kleine Analyse des Parlamentarischen RaMommsen: Bonn tes, in: Die Wandlung 4 (1949), S. 250-254. 91) In ihrer Fraktionssitzung vom 16. Sept. 1948 hatte sich die SPD in bewußter Absetzung von der CDU/CSU nochmals ausdrücklich auf den provisorischen Charakter des zu schaffenden Grundgesetzes verständigt (Notizen Heiland vom 16. Sept. 1948, HStA Düsseldorf RWN 124, NL Heiland/Bd. 80, Bl. 22). —
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Schleswig-Holstein] will meinen Ausführungen
[2g. Wahlsystem und Parteienlandschaft
in
von Schröter: Nur noch ein ganz kurzes Wort. Ich vorhin nichts mehr hinzufügen, sondern Ihnen nur etwas aus der Praxis erzählen, was sich dort bewährt hat, und wie die Wählerschaft darauf reagiert hat. Damit kann ich zu gleicher Zeit eine ganze Reihe von Fragen beantworten, die hier aufgeworfen sind. Sie wissen, daß wir in Schleswig-Holstein in der Führung lauter reaktionäre Parteien haben. Daß die CDU reaktionär ist, ist nach der allgemeinen Argumentation selbstverständlich. Aber wir haben auch eine ganz reaktionäre SPD. Und diese beiden reaktionären Parteien haben sich zusammengefunden und gemeinsam ein Wahlrecht geschaffen92). Sein Kernstück ist das Mehrheitswahlrecht. Was ist das Ergebnis gewesen? 41 Mitglieder der SPD im Landtag, 23 Mitglieder der CDU, 6 Mitglieder der sogenannten Neudänen93). Das ist also eine Mehrheit der SPD im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Es gibt keine FDP, keine Kommunisten, keine Konservativen. Hier hat sich dieses Mehrheitswahlrecht ganz klar bewährt. Es ist eine Ungerechtigkeit, gewiß. Die SPD verfügt nur über 33 % der Wählerstimmen, und trotzdem haben sich CDU und SPD mit dieser Ungerechtigkeit abgefunden. Und so bitte ich, meine Worte von vorhin aufzufassen. Wir haben uns mit dieser Ungerechtigkeit abgefunden, weil im Vor-
zu den anderen SPD-Landesverbänden sprachen sich die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein für ein Mehrheitswahlrecht aus und fanden hier auch die Unterstützung der CDU, so daß es hier zu einem gemeinsamen Gesetz kam: Wahlgesetz für den Landtag von Schleswig-Holstein vom 31. Jan. 1947, in: Amtsbl. für Schleswig-Holstein 2. Jg., Nr. 11 vom 15. März 1947, S. 96. Insbesondere der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Lüdemann (SPD) vertrat energisch das Mehrheitswahlsystem, weshalb er sich scharfe Kritik aus den eigenen Reihen, insbesondere von seinem Gegenspieler in der Wahhechtsfrage, dem nordrhein-westfälischen Innenminister Walter Menzel, gefallen lassen mußte. Auf dem SPD-Parteitag vom 11. bis 14. Sept. 1948 war es zu einem offenen Konflikt zwischen beiden Kontrahenten gekommen (Protokolle der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 11. bis 14. Sept. 1948 in Düsseldorf, Hamburg 1949, S. 195 ff.; siehe auch Dok. Nr. 8, Anm. 12; vgl. auch Hermann Lüdemann: Lebendiges Wahlrecht, in: Das sozialistische Jahrhundert 2 [1948], S. 275 f.). Noch am 21. Sept. 1948 beklagte sich Menzel in einem Schreiben an Erich Ollenhauer über die seiner Meinung nach ausgesprochen illoyale Haltung Lüdemanns in der Wahlrechtsfrage (Menzel an Ollenhauer vom 21. Sept. 1948, FESt NL Menzel R 4). Zur allgemeinen Wahlrechtsentwicklung in dem nördlichsten Bundesland siehe auch Lange, Wahlrecht, S. 94 f. und 99 f. 93) Nach 1945 orientierte sich ein großer Teil der Bevölkerung der nördlichen Landesteile Schleswigs nach Dänemark hin. Dies war weniger das Bekenntnis zu der bis dahin unterdrückten Volkszugehörigkeit als vielmehr die Reaktion auf die unbefriedigenden sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Heinz Josef Varain: Parteien und Verbände. Eine Studie über ihren Aufbau, ihre Verflechtung und ihr Wirken in Schleswig-Holstein 1945—1958, Köln/Opladen 1964, S. 18; vgl. auch die kämpferische Schrift Lüdemanns „,Südschleswig'? Eine Entgegnung auf den Antrag des Südschleswigschen Wählerverbandes auf Bildung eines selbständigen Landes .Südschleswig'", o. O. [Kiel] 25. Aug. 1948). Die Südschleswigsche Vereinigung (SSV) errang bei den Landtagswahlen vom 20. April 1947 9,3 % der Stimmen, wurde aber von der britischen Besatzungsmacht wegen ihrer separatistischen Bestrebungen verboten und entstand 1948 neu als Südschleswigscher Wählerverband (SSW).
92) Ganz im Gegensatz
91
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der Wunsch stand, in unserem Lande eine arbeitsfähige Demokratie schaffen. Bei uns hat die SPD 460 000 Stimmen, wir haben 370 000 Stimmen. Trotzdem haben wir nur 23 gegen 41 Mandate. Wie hat darauf die Wählerschaft reagiert? 40 000 für die FDP, 20 000 Konservative, 30 000 kommunistische Stimmen. Dieser Abspaltungsprozeß der kleinen Parteien ist weitergegangen. Die kleinen Parteien haben seitdem weiter verloren; das werden die kommenden Wahlen erweisen94), und das hat dahin geführt, daß die Wähler sowohl der FDP wie der Konservativen Partei95) bei den jetzigen Wahlen ein Zusammengehen mit der CDU gefordert haben. Wir haben dieses Wahlabkommen getroffen. Wir sehen hierin, wie klipp und klar gesagt wurde, zunächst ein wahltaktisches Zusammengehen. Und mehrere Führer der FDP haben mir gesagt, sie hofften, daß das der Anfang eines kommenden Verschmelzungsprozesses sein werde. Ich fürchte dabei nicht, daß wir dadurch die Koalition innerhalb der CDU bekommen werden. Es mag sein, daß wir gewisse Spannungen bekommen. Aber nennen Sie mir eine Partei, die keine Spannungen hat! Das wird Ihnen nicht glücken. Wenn wir heute nur gleichgeschaltet werden, dann kämen wir zu dem totalitären Einparteienwahlrecht. Jedenfalls bei uns in Schleswig-Holstein ist das Zweiparteiensystem auf dem besten We-
dergrund
zu
ge. Wir haben keine Koalition, sondern klare Regierungsverhältnisse. Die SPD hat ihr Sozialisierungsgesetz96) durchgezogen, wie sie es wollte; sie hat eine radikale Bodenreform97) gemacht, wie sie es wollte; sie hat ein radikales Enteignungsgesetz98) gemacht, wie sie es wollte; sie hat eine Schulreform unter Schulgeldfreiheit gemacht99), wie es in keinem Lande vorhanden ist. Die Wählerschaft
94) Bei den Landtagswahlen
95) 96)
97)
9B) 99)
92
vom 9. Juli 1950 schaffte die FDP den Sprung in den Landtag und errang dort acht Sitze. Der neugegründete BHE-GB/BHE gewann mit 23,4 % der Stimmen 15 Sitze (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 66). Die „Deutsche Konservative Partei" war im März 1946 aus der Zusammenfassung mehrerer Rechtsparteien in der britischen Besatzungszone gegründet worden (Varain, Parteien und Verbände, S. 54). Das heftig umstrittene Sozialisierungsgesetz der SPD wurde in der 3. Sitzung des schleswig-holsteinischen Landtags am 4./6. Aug. 1947 verabschiedet (Wortprotokolle des schleswig-holsteinischen Landtags, 1947, S. 153 ff.). Gesetz zur Einleitung der Agrarreform in Schleswig-Holstein vom 12. März 1948 (GVOB1. S. 81). Schröters Hinweis entbehrt in diesem Zusammenhang nicht einer gewissen Pikanterie. Denn die CDU hatte die Bodenreform mit der Begründung abgelehnt, „weil sie [die SPD] trotz ihrer absoluten Mehrheit im Landtag aufgrund der geringen Wahlbeteiligung nicht die Mehrheit der Wahlberechtigten repräsentiere" (vgl. Günther Trittel: Die Bodenreform in der Britischen Zone 1945-1949, Stuttgart 1975 [= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte], S. 118). Gesetz über die Beschlagnahme und Anmeldungspflicht des der Agrarreform unterliegenden Grundbesitzes im Lande Schleswig-Holstein vom 12. März 1948, in: GVOB1. Nr. 11, S. 85. Gesetz vom 28. März 1947 betr. die Abänderung des Gesetzes über das Schulgeld an den öffentlichen höheren Schulen vom 18. Juli 1930, GVOB1. 1947, Nr. 6, S. 12; VO vom 18. Okt. 1947 betr. die Einführung der Schulgeldfreiheit für die 1. und 2. Klassen der Mittelschulen in Schleswig-Holstein, GVOB1. 1948, Nr. 3, S. 18; Gesetz vom 5. März 1948 zur Einleitung der Schulreform, GVOB1. S. 40.
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wird im nächsten Jahr darüber zu entscheiden haben100). Der Ministerpräsident Lüdemann101) und ich sind uns darüber einig, daß das nächste Mal nicht mehr Herr Lüdemann den Ministerpräsidentensessel innehaben wird, sondern vielleicht die CDU102). Andererseits haben wir einen völlig fairen Parteienkampf. Die kleinen Parteien haben nichts zu sagen. Herr Lüdemann und ich bombardieren uns gegenseitig mit offenen Briefen in der Presse, wir bekämpfen uns von der Tribüne des Landtags, aber wir sind politische Freunde, wir laden uns gegenseitig ein, verkehren freundschaftlich miteinander. Damit sind alle diese Quellen, die ein Funktionieren der Demokratie verhindern könnten, verstopft. Diese Situation in Schleswig-Holstein wollte ich einmal schildern. Vielleicht ist sie dazu angetan, Ihre Entscheidung über das Wahlrechtssystem zu beeinflussen.
[2h. Zur Notwendigkeit der politischen Gerechtigkeit] Brockmann: Ich versuche Sie dadurch angenehm zu enttäuschen, daß ich mich bemühen will, nichts zu wiederholen. Aber der Kollege Schröter nimmt es mir wohl nicht übel, wenn ich anknüpfend an seine letzten Darlegungen hier sage,
daß meines Wissens diese Koalition zwischen CDU, FDP und anderen Kräftegruppen in Schleswig-Holstein, soweit ich aus der Zeitung orientiert bin, unter der Parole zustandegekommen ist: Wir wollen nicht die Diktatur der SPD. Das kann uns nicht ermutigen, dem sogenannten Zweiparteiensystem viele Sympathien abzugewinnen. Und Herr Dr. Adenauer hat einmal davon gesprochen, daß die Herrschaft einer Partei unter dem Zweiparteiensystem durchaus zur Autokratie bzw. zur Diktatur führen kann103). Das wollte ich vorausschicken. Im übrigen glaube ich, wir müssen uns auch von allen diesen Dingen freimachen. Es ist auch nicht richtig, dauernd auf die Weimarer Demokratie und auf Hitler Bezug zu nehmen. Geben Sie heute unserem Volk eine bessere soziale Lage, und alles sieht anders aus! Denn hätten wir in Weimar eine bessere soziale Lage gehabt, dann wären die Dinge anders gelaufen. (Dr. Kroll: Sie war noch bei weitem besser als heute!) Das ist keine Frage. Ich glaube, ich darf hier einschalten, daß es auch nicht richtig ist, wenn man sagt, daß das „törichte und dumme Volk" auf Hitler hereingefallen sei, sondern ich bitte zu bedenken, daß die wirklich demokratisch eingestellten Parteien der Mitte bis zu der durchaus toleranten SPD mit allen —
10°) Die nächste Landtagswahl fand erst am 9. Juli 1950 statt. 101) Hermann Lüdemann (5. Aug. 1880-27. Mai 1959), 1947-1949 Ministerpräsident
Schleswig-Holstein, Beiratsmitglied
der Deutschen
Anm. 92.
Wählergesellschaft. Vgl.
von
auch oben
102) Auf die Regierung Lüdemann folgte am 29. Aug. 1949 die ebenfalls sozialdemokratische Regierung Diekmann. Erst im folgenden Jahr konnte die CDU mit Walter Bartram erstmals einen eigenen Kandidaten zum Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein wählen.
103) Siehe hierzu auch Adenauers Interview, das
er anläßlich seines 91. Geburtstages dem Hamburger Abendblatt gab: „Zwei-Parteien-System wäre nicht gut". Hamburger-Abendblatt Interview mit dem Altbundeskanzler, in: Hamburger Abendblatt vom 5. Jan. 1967.
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Mitteln versucht haben, Brüning
zu
stürzen. Woher ist der Widerstand
gekom-
men?
Ich darf auf etwas anderes hinweisen. In Preußen, im größten deutschen Lande, haben wir 10 Jahre lang durchaus stabile Regierungsverhältnisse unter der sogenannten Weimarer Koalition gehabt104). Ich will nicht sagen, daß ich das anpreise, ich will nur sagen, daß das, was vorher zur Rechtfertigung des Mehrheitssystems dargelegt worden ist, nicht durchschlagend ist, und nicht verfangen kann. Auch nicht der Hinweis auf England. Man könnte ja auch auf die Schweiz und auf Schweden verweisen. Dort sind ganz andere Wahlsysteme, und durchaus stabile Parlamente, durchaus stabile Regierungen. Also für mich und meine Person verfangen diese Begründungen nicht. Ich darf noch etwas anderes aus der Praxis sagen. In meinem Wahlkreis Münster-Land habe ich den Wahlkampf unter dem Verhältniswahlrecht geführt. Mir stand ein ganz prominenter Vertreter der CDU gegenüber, eine ausgesprochene Persönlichkeit, die auch von mir selber viel höher gewertet wurde, als ich mich selber einschätzte105). Das liegt nicht nur an meiner persönlichen Bescheidenheit, sondern es ist ein ganz objektiver Befund. Und ich habe mit 2000 Stimmen über diese Persönlichkeit gesiegt, weil die Wähler, wenn man es ihnen einmal klar macht, ein sehr feines Verständnis dafür haben, inwieweit das gleiche Recht für alle sich in der Vorentscheidung des Wählers zur Demokratie ausprägt. Und dieser Standpunkt der Rechtsgleichheit ist für mich und meine politischen Freunde entscheidend. Wir wollen, daß jeder Wähler das gleiche Recht und damit auch die gleiche Verantwortung hat. Und daraus folgt naturnotwendig, daß auch jede Stimme das gleiche Gewicht haben muß. Herr Dr. von Brentano hat mit Recht gesagt, es gäbe nichts, was man nicht durch Beispiele beweisen könne106). Ich unterstreiche diesen Satz und muß gestehen, daß es mich sehr bedenklich stimmt, daß man in der Diskussion den Gedanken der Rechtsgleichheit mit einer Handbewegung zur Seite schiebt. Ich glaube, es kommt ganz darauf an, wie wir es dem Wähler sagen. Als Anhänger des Proporz bekomme ich Tausende von Zuschriften für den Proporz. Wäre ich anders eingestellt, würde das Gegenteil der Fall sein. Das alles kann gar nicht entscheidend sein. Ich unterstreiche also noch einmal, daß ich den Gesichtspunkt des gleichen Rechts für alle für sehr wesentlich halte; denn nur auf diesem Boden können wir eine wahre und echte Demokratie aufbauen, die doch
104) Vom 25. März 1919 bis zum sog. Staatsstreich in Preußen vom 20. Juli 1932 lag die Regierungsverantwortung bei der „Weimarer Koalition" aus SPD, DDP und Zentrum. Bis auf zwei kurze Ausnahmen (1921 und 1925) wurden alle
Regierungen von SPD-Politikern geführt. 105) Brockmanns Gegenkandidat war der Prälat Prof. Dr. Georg Schreiber (1882—1963), der bei der Landtagswahl völlig überraschend durchfiel. Schreiber hatte zuvor als sicherer Kandidat der CDU gegolten, konnte sich nach dem allgemein als aggressiv eingeschätzten Wahlkampf der CDU gegenüber dem Zentrum jedoch ebensowenig durchsetzen wie zahlreiche seiner Parteikollegen in Westfalen. Zum Ergebnis der Landtagswahl siehe das GVOB1 vom 7. Mai 1947, Nr. 11, S. 94; zur Analyse der Wahl Brockmanns siehe den Neuen Westfälischen Kurier vom 22. April 1947. 106) Siehe oben S. 85. 94
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letzten Endes auch in dem Herzen des Volkes verankert sein muß. Ich verda bin ich mit Herrn Schröter und Dr. Kroll und anderen schweige nicht durchaus einer Auffassung —, daß auch der Proporz seine großen Mängel hat, und daß es wirklich darauf ankommt, alles zu tun, um zu möglichst stabilen Regierungsverhältnissen und zu möglichst stabilen Verhältnissen in der parlamentarischen Arbeit zu kommen. Aber ich muß davor warnen, nach dieser Richtung hin das letzte Wort zu sprechen. Dann sollte man doch die sehr beachtlichen Ausführungen des Herrn Dr. Becker über die Wahlsysteme, denen ich mich voll und ganz anschließe, hier zum Anlaß nehmen, einen Versuch zu machen, damit wir, auch wenn das Wahlgesetz nicht in das Grundgesetz kommt, auch beim Wahlgesetz zu einer möglichst breiten Mehrheit im Parlamentarischen Rat kommen. Ich würde es sehr bedauern, wenn gerade Sinn und Form des Wahlgesetzes, das wir hier schaffen sollen, zu einem Streitobjekt würde, sondern ich möchte wünschen, daß auch dieses Gesetz hier von einer möglichst großen Mehrheit getragen wird, da wir es doch schließlich als eine Art Anhang zum Grundgesetz ansehen müssen. Und da bin ich der Meinung, daß die Herren von der SPD und die Vertreter der FDP den Herren, die sich auf den Standpunkt des absoluten Mehrheitssystems stellen, sehr weit entgegengekommen sind. Ich glaube, daß auf der anderen Seite doch der Wille zu einer weitestgehenden, den Interessen der Gesamtheit dienenden Verständigung vorhanden ist. Sogar Herr Paul hat zugestimmt, und Herr Heiland hat sehr richtig unterstrichen, wie bemerkenswert diese Zustimmung des Herrn Paul ist, daß er damit sehr stark von gewissen Thesen abgerückt ist, die doch bisher im Vordergrund standen. Man soll sich auch darüber freuen, und versuchen, weitestgehend auf eine gemeinsame Plattform zu kommen. Ich bin der Meinung, daß es hier darauf ankommt, daß wir die politischen Parteien, die wir doch alle als politische Willensträger bejahen, auf ihre demokratische Mehrheit, auf ihre demokratische Organisation, auf die echt demokratische Auswahl der Kandidaten in einem bestimmten Gesetz, meinetwegen im Grundgesetz festlegen. Das ist entscheidend, und daran hat es bisher gefehlt. Das ist auch der große Fehler von Weimar gewesen. Nun hat Herr Dr. Becker eine Perspektive aufgezeigt, und Herr Kollege Dr. Diederichs hat eine andere aufgezeigt. Es ist auf einem ganz anderen Wege durchaus möglich, im Grundgesetz dafür zu sorgen, daß wir weitgehend stabile Regierungen haben. Wenn wir so von rein sachlichen Gesichtspunkten aus den Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit verwirklichen und uns von allem anderen freimachen wollen dabei unterstreiche ich nochmals das Wort des Herrn Dr. von Brentano, daß man mit Beispielen alles beweisen kann —, kommen wir zu einem Kompromiß, und zwar nicht zu einem schlechten, sondern zu einem guten Kompromiß. Ich bekenne, daß ich grundsätzlich Anhänger des Verhältniswahlsystems bin. Aber ich bin jederzeit bereit, auch meine Zustimmung zu einem vernünftigen Kompromiß, zu einer Modifizierung in dieser oder jener —
—
Richtung
zu
geben.
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[2i. Verhältniswahlrecht und politische Kultur] Heile107): Wenn man noch einen Wahlkampf, wie er vor 1914 war, als wir noch normale menschliche und politische Verhältnisse hatten, in der Erinnerung hat, und ihn mit einem Wahlkampf von heute vergleicht, wird man nicht mißverstehen, was ich zu sagen habe. Mir kommt es bei der Entscheidung für das eine oder andere System nicht darauf an, daß die eine oder andere Parteirichtung dabei besser oder schlechter abschneidet, sondern nur darauf, unser Volk wieder politisch zu machen, so daß es in der Politik nicht eine ekelhafte, schmutzige Angelegenheit von Leuten sieht, die für ihre schäbigen Interessen sorgen, sondern daß es endlich begreift, daß die Politik das Allerwichtigste von allem ist, was wir um des Allgemeinwohls willen zu leisten haben. Wenn das Volk das wieder begreift, wird vielleicht diese schäbige und schmutzige Art manches Wahlkampfes aufhören und auch die bedauerliche Neigung einiger Zeitungen verschwinden, die politische Gegner mit persönlichen Verleumdungen überschütten, und damit überhaupt endlich der Dreck aufhören, der jetzt in die Politik hineingekarrt wird. Wir müssen unserem Volk beibringen, daß Politik zwar ein Kampf ist, ein Kampf, in dem man mit Leidenschaft kämpfen darf und muß, aber nicht ein egoistischer Kampf für einzelne persönliche Interessen, sondern ein Kampf um Ideen und für Ideen, um etwas durchzusetzen, von dem man glaubt, daß es für die Gesamtheit das Richtige wäre. Und nun sehen Sie sich im Vergleich zu der Häßlichkeit und Gehässigkeit heutiger Wahlkämpfe einen Wahlkampf von früher an. Es wurde nicht annähernd so herumgepöbelt, wie es jetzt üblich ist. Das Pöbeln begann erst mit dem Pro-
portionalwahlsystem1 08).
(Paul: Bebel109) ist mehr als einmal angepöbelt worden.) Gewiß, es hat immer schmutzige Menschen gegeben! —
(Dr. Diederichs: Sie könnten sich einmal Dr. Runge110) vorknöpfen, der von
nur
Pöbeleien lebt!)
Aber, Herr Dr. Diederichs, wir beide sind uns doch wenigstens darin einig, daß wir das nicht wollen. Wenn es aber so ist, daß auch in meinem Lager so etwas geschieht, will ich mein Möglichstes tun, das abzustellen. —
—
107) Der Wortbeitrag
von Heile wurde von ihm selbst stilistisch stark überarbeitet. Die Nähe der DP zur CDU/CSU in der Wahlgesetzfrage wird in einem Schreiben Seebohms an Pfeiffer vom 12. Sept. 1948 deutlich, in dem er seine und Heiles kurzfristige Abreise nach Hannover mit der Abstimmung im niedersächsischen Landtag über die Kreis- und Gemeindewahlgesetzgebung folgendermaßen begründet: „Es kommt dabei auf jede Stimme an, um den [Wahlgesetz-]Entwurf in der auch ihren Freunden genehmen Weise zur Annahme zu bringen" (Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 207; vgl. Seebohm an Brockmann vom 12. Sept. 1948, BA NL 240 (Brockmann)/Bd. 8). 108) Gestrichen aus der Vorlage: „als sich kein Mensch mehr verpflichtet fühlte, für einen an-
ständigen Ton zu sorgen." 109) August Bebel (22. Feb. 1840-13. Aug. 1913), SPD-Politiker und MdR von 1871-1881 und 1883-1913.
ist nicht ganz klar, auf wen Diederichs hier anspielt. ledenfalls denkt er wohl kaum Hermann Runge, da dieser eher als bescheidener und ruhiger Parlamentarier galt und zudem SPD-Abgeordneter war (vgl. Denzer [Hrsg.], Entstehung des Grundgesetzes, S. 175 f.). Möglicherweise handelt es sich um einen Hörfehler des Stenographen.
110) Es
an
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Früher waren unsere Wahlkämpfe ruhiger und friedlicher und trotzdem viel leidenschaftlicher. Was war in solch einem Kreise eine Wahl! Was für ein Kampf! Was für eine Begeisterung! Und dann die Frage zum Schluß: Wer hat gesiegt?! Und: Welche Partei hat schließlich gesiegt! Und das war dann ein großer Jubel. Und die Partei, die unterlegen war, sagte: Das wird das nächste Mal wieder ausgewetzt! Das war ein wirkliches richtiges, edles Kämpfen. Im Proporz dagegen wird nicht gekämpft, sondern werden alle Schattierungen so-
zusagen photographiert. Herr Dr. Becker hat nun gesagt, die sogenannte Persönlichkeitswahl oder besser Einzelwahl bringe es mit sich, daß an den einzelnen Kandidaten die gemeinsten Zumutungen gerichtet würden. Ja, Herr Dr. Becker, die sind auch früher gekommen, aber sie spielten überhaupt keine Rolle und wurden ganz allgemein mit einer Handbewegung beiseitegeschoben. Das begann erst mit dem Proporz gefährlich zu werden. Da wurde der Kampf um den Platz auf der Liste geführt. Dadurch kam das Allerschmutzigste, indem es oft geradezu darauf ankam, wer den größten Geldbeutel hat. Dann kamen die Leute und fragten: Wie willst Du den Wahlkampf führen, wenn du kein Geld in der Tasche hast? Diese Richtung muß auch auf die Liste gebracht, jener Verband muß auch berücksichtigt werden. Kurz, es begann ein ganz schäbiges Schachern um den besten Platz auf der Liste. —
—
—
Und was ich vorhin gegen die These von der Gerechtigkeit des Proporzes sagte, war nicht das einzige Argument. All die anderen Dinge habe ich nur nicht behandelt, weil es andere schon getan haben. Ich habe nicht die Idee der Gerechtigkeit abgelehnt, denn die ist mir wert und heilig. Ich habe vielmehr gesagt, daß die anderen Gesichtspunkte, die gegen den Proporz sprechen, entscheidend sind. Und ich will dabei noch einmal auf eines hinweisen, was Herr Professor Thoma gesagt hat, wobei er mich und vor allen Dingen meinen alten Freund Naumann apostrophierte. Er sagte, Herr Naumann habe noch 1905, 1906 und 1907 durchaus zugunsten des Proporz gesprochen, während er sich 1919 in Weimar für das Mehrheitswahlrecht eingesetzt hätte111). Naumann ging von der Idee der Gerechtigkeit aus, wie wir es wohl alle tun. Er suchte nach einem möglichst gerechten System. Als einige Jahre vor dem ersten Weltkriege eine große Propaganda für das Proporzsystem in Deutschland begann, haben wir all das Schrifttum, mit dem wir damals überschwemmt wurden, studiert und durchgearbeitet. Bei diesem Studium wandelte sich Naumann, der anfangs sehr für den Proporz war, weil er erkannte, daß die vielgerühmte Gerechtigkeit des Systems nur graue Theorie war. Und nachdem die Praxis des Proporzes bei der Wahl zur Nationalversammlung bewiesen hatte, daß meine Bedenken gegen dies System, die ich in den unzähligen Debatten vorgebracht hatte, die wir miteinander gehabt hatten, schloß er sich ganz meiner Überzeugung an: daß durch den Proporz das Recht der Persönlichkeit, das persönliche menschliche Interesse, vernichtet wird, daß die lebendige Demokratie dadurch zerstört wird, daß
m) Siehe oben S.
14.
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lebendigen Ringens lebendiger Menschen miteinander ein totes Rechenschiebeverfahren setzen. Wir fordern die persönliche Wahl nicht bloß, weil sie wirklichen Persönlichkeiten mehr Aussichten gibt, gewählt zu werden, sondern vor allem auch, weil bei diesem System wirklich die einzelne Person wählen kann, und damit die einzelne Person mit der Politik und deshalb auch mit dem Staat verbunden wird. Das geschieht beim Proporzsystem gar nicht. Die Anhänger des Proporz behaupten, das Volk wolle ihr System. Wenn man aber die Menschen einzeln fragt, wer für das Proporzsystem und wer für die Mehrheitswahl ist, so habe ich noch nicht einen gefunden, der das Proporzsystem verteidigte. Das ist ja überhaupt kein System, das der einfache Mann begreifen kann, weil er, wenn er für eine Liste stimmt, nicht direkt wählt, sondern nur die Wahl, die andere getroffen haben, ziemlich wahllos bestätigt. Herr Dr. Diederichs sagt zwar, daß auch bei diesem System wirklich gewählt werden könnte, indem innerhalb der Parteien die Auswahl der Kandidaten für die Liste konsequent und in wirklich demokratischer Weise durchgeführt werden könnte, (Vors. [Dr. Becker]: Das ist doch in der Demokratie Vorschrift!) Das nutzt aber nichts, denn diese Vorschrift bezieht sich doch nur auf eine Minderheit von Wählern, die in den Parteien organisiert sind, selbst die Sozialdemokratische Partei, die stärkstorganisierte Partei, hat keine Organisation, die einen wirklich wesentlichen Teil ihrer Wähler erfaßt. (Dr. Diederichs: Woher kommen denn die Vorschläge, die Sie machen?) nicht weil sie politisch unEs sind eben nicht alle Wähler in den Parteien interessiert wären, oft gehen die politisch interessiertesten Leute nicht in die Parteien hinein. Das ist in steigendem Maße der Fall. Das ist zum Teil auch eine Folge der Phrasen, mit denen die Nazis um sich geworfen haben. Die Leue haben kein Vertrauen mehr zu denen, die für politische Ideale werben. Nicht deswegen gehen sie nicht in die Parteien, weil sie politisch nicht reif wären, sondern weil sie die Mängel der Nazipolitik, die ja leider auch heute noch vielfach vorhanden sind, nur allzu sehr verallgemeinern. Wenn wir trotzdem den Parteien eine staaüich anerkanne Rechtsstellung geben wollen, wie es die Listenwahl vorsieht, so müßten wir dann auch so konsequent sein, ein Kataster einzuführen, so daß jeder Mensch in einer Partei organisiert sein müßte. Das müßte amüich und konsequent durchgeführt werden. Dann erst könnte man sagen, daß der Kampf um den Platz auf der Liste ein Wahlkampf wäre, der innerhalb der staatlich anerkannten Parteiorganisation durchgeführt wurde. Aber wohin kämen wir dann? Dann kämen wir dahin, daß anstelle des so viel bekämpften Partikularismus der geographischen Bezirke, der Länder usw. der Partikularismus der Parteien, in dem wir bereits mitten drin stehen, unser Volk hindert, einig zu sein. Wir hätten eine Parteienzerkämpfung, die einfach schauderhaft wäre. Es gibt eine Gemeinschaft, die über alle Parteien hinweggeht, die Gemeinschaft der anständigen, sachlichen Leute. Diese kommt bei dem Proporzsystem niemals zur Geltung. Das Volk ist es, was das empfindet. Die Menschen beobachten immer wieder, daß gerade diejenigen, von denen sie glauben, daß sie in die Vertretungen hineingehörten, in den Parteien nicht zur Geltung und also auch nicht auf die Wahlliste kommen, weil sie dem Befehl der Partei nicht blind gehorchen, sondern ihre eigene Meinung haben. wir anstelle des
...
—
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98
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Dritte
Sitzung
23.
September 1948
Nr. 3
Mehrheitswahlsystem ganz anders. Da wählt der Wähler den Mann, gefällt. Im Proporzsystem dagegen regiert die Partei, daß heißt die Parteileitung. Und mit diesem Führerprinzip innerhalb der Partei kommt schließlich das Führerprinzip auch wieder in den Staat hinein, und dann folgt zwangsläufig die absolute Diktatur. Das ist im
der ihm
[3. ZUR
GESCHÄFTSORDNUNG]
Zur Geschäftsordnung regt Dr. Kroll an, eine Persönlichkeit, die das Ausland und sein Recht aus eigener Anschauung kenne, zu bitten, dem Ausschuß ein
Referat über das amerikanische Mehrheitswahlrecht zu erstatten, und schlägt dafür den früheren Reichskanzler Dr. Luther112) vor. Paul spricht sich dagegen aus113). Die letzte Entscheidung liege bei den Fraktionen, und es sei bereits jetzt klar, daß sich die Mehrheit für das Mehrheitswahlrecht entscheiden werde, und zwar zugleich auch für das Zweiparteiensystem. Ein Referat der vorgeschlagenen Art bedeute nur eine Verzögerung der Arbeiten.
Schröter weist darauf hin, daß niemand wissen könne, welcher Anschauung Dr. Luther sei. Dr. Diederichs hat keine Bedenken, bittet aber, nach dem Referat nicht erneut die Generaldebatte zu eröffnen. Der Ausschuß beschließt, Herrn Dr. Luther um ein Referat zu bitten und die nächste Sitzung zu diesem Zweck am 29. oder 30. September 1948 abzuhalten.
112) Dr. Hans Luther (10. März 1879-11. Mai 1962) war nach dem Ersten Weltkrieg Oberbürgermeister von Essen, Reichsernährungs- und Finanzminister und 1925/26 Reichskanzler. Der bis dahin parteilose Luther trat 1927 der DVP bei und war 1930—33 Reichsbankpräsident sowie 1933—1937 Botschafter in Washington. Aufgrund dieser Tätigkeit wurde
Kroll als Sachverständiger vorgeschlagen. Luther setzte sich auch nach der Verabdes Wahlgesetzes in der Öffentlichkeit noch nachdrücklich für das Mehrheitswahlrecht ein (Hamburger Echo vom 16. Juni 1949; Schleswig-Holsteinische Volkszeitung vom 18. Juni 1949; vgl. auch Luthers Artikel: Verhältniswahl führte zur Diktatur: Staatsbürger müssen politische Verantwortung erhalten, in: Bremer Nachrichten vom 23. Juli 1952; zu Luther selbst siehe: Wolfgang Hofmann: Hans Luther [1879-1962], in: Kurt G.A. Jeserich/Helmut Neuhaus [Hrsg.]: Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648-1945, Stuttgart/Berlin/Köln 1991, S. 365369). 113) Die Ablehnung Luthers als Sachverständigen teilte auch Pauls Nachfolger im Pari. Rat, Heinz Renner, der Luther im Plenum am 21. Oktober 1948 als „Erzreaktionär" bezeichnete (Stenographische Berichte, S. 120). er von
schiedung
99
Nr. 4
Vierte
Sitzung
29.
September 1948 Nr. 4
Vierte
Sitzung des Ausschusses 29. September
Z 5/81 a, Bl. 1— lu1). Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 83-84, Drucks. Nr. 111
für
Wahlrechtsfragen
1948
Wortprot.
Anwesend2) : CDU/CSU: Schräge, Schröter SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Paul Mit beratender Stimme: Wessel
(Z)3), Löbe (SPD)4),
Kuhn
(SPD)5), Heile (DP,
zeit-
weise)
Stenografischer Beginn
Dienst:
9.00 Uhr
Haagen
Ende: 10.03 Uhr
[1. ZUR ARBEITSPLANUNG DES AUSSCHUSSES] Der Vors. [Dr. Becker] eröffnet die Sitzung und teilt mit, daß der Präsident des Parlamentarischen Rates nicht die Genehmigung gegeben habe, ein Referat des Botschafters a. D. Dr. Luther über seine Erfahrungen mit dem Mehrheitswahlrecht in den Vereinigten Staaten entgegenzunehmen6).
1) Das Wortprotokoll dieser Sitzung konnte im Original nicht ermittelt werden. Vorlage dieses Abdrucks ist eine Kopie. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Die Präsenz Heiles ergibt sich nur aus seinen Wortbei-
auszugehen ist,
daß er der Sitzung nur zeitweise beiwohnte. 1969), Nordrhein-Westfalen, Z, Wohlfahrtspflegerin und vor 1933 Mitglied des Preußischen Landtags, seit 1945 stellv. Vorsitzende des Deutschen Zentrums. Siehe auch unten Dok. Nr. 10, Anm. 5. 4) Paul Löbe (14. Dez. 1875-3. Aug. 1967), Berlin, SPD, Journalist, 1920 bis 1932 mit einer kurzen Unterbrechung 1924 Reichstagspräsident. Als Berliner Abgeordneter war Löbe nur mit „beratender Stimme" Mitglied im Wahlrechtsausschuß. Aufgrund seiner regelmäßigen Teilnahme und seiner großen parlamentarischen Erfahrung, wurde er aber bald selbst zum Mehrheitswahlsystem tendiezu einer festen Stütze im Ausschuß, wo er rend bald eine vermittelnde Position zwischen den Anhängern der beiden Wahlsysteme einnahm. In einer Situation ließ ihn der Ausschußvorsitzende Becker jedoch ausdrücklich als stimmberechtigtes Mitglied mit abstimmen (siehe unten Dok. Nr. 23, Anm. 27). 5) Karl Kuhn (14. Febr. 1898-18. Okt. 1986), Rheinland-Pfalz, SPD, Volksschullehrer, nach 1945 Leiter des Kreisernährungsamtes Bad Kreuznach, Mitglied der Beratenden Versammlung Rheinland-Pfalz und Stadtverordneter in Bad Kreuznach. Im Pari. Rat war Kuhn Mitglied des Organisationsausschusses. 6) § 19 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Pari. Rates machte die Zustimmung des Präsidenten zur Benennung von Sachverständigen erforderlich (Drucks. Nr. 157). Adenauers anfängliche Ablehnung geht wahrscheinlich auf den CDU/CSU-Fraktionsbeschluß vom vorherigen Tag zurück, in dem sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen das Referat Luthers aussprach, da dieser so Adenauer lediglich „über die völlig anders gelagerten amerikanischen Verhältnisse" referiere. Statt seiner wurde am 28. Sept. 1948 der
trägen,
so
daß davon
3) Helene Wessel (8. Juli
1898-13. Okt.
—
—
—
100
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Nr. 4
Schröter erwidert, daß nach seiner Information der Präsident seine Überzeugung geändert habe und die Genehmigung wohl noch erteilen werde. Der Vors. [Dr. Becker] führt aus, daß es erst nach der Generaldebatte möglich sei, die Berichterstatter mit der Anfertigung eines Entwurfs zu beauftragen. Nun habe die Wählergesellschaft mitgeteilt, daß sie Mitte Oktober ihre Hauptversammlung in Bonn abhalten wolle7) und den Wahlrechtsausschuß dafür interessieren möchte. Er werde in einem persönlichen Schreiben mitteilen, daß der Wahlrechtsausschuß als solcher natürlich zusammen mit der Wählergesellschaft keine kombinierte Sitzung abhalten könne, es stehe der Gesellschaft aber frei, die einzelnen Mitglieder des Ausschusses persönlich einzuladen. Dadurch werde sich vielleicht die Anhörung eines Sachverständigen für Mehrheitsfragen er-
übrigen.
hin, daß der Abg. Dr. Katz zehn Jahre lang in Amerika gedaß auch Abg. Dr. Wagner gute Erfahrungen auf dem Gebiete und habe8) Wahlrechtspraxis in den Vereinigten Staaten erworben habe9). Er schlage vor, einen dieser beiden Herren um ein Referat zu ersuchen. Der Ausschuß beschließt, Abg. Dr. Wagner um ein Referat zu bitten. Schröter regt an, zwei Exposés auszuarbeiten, und zwar eins, das den Standpunkt der Mehrheit, und eins, das den Standpunkt der Minderheit darlege, damit das Plenum die verschiedenen Ansichten, die im Wahlrechtsausschuß vertreten seien, kennenlerne. Der Vors. [Dr. Becker] weist darauf hin, daß die Wählergesellschaft einen Entwurf vorgelegt habe10), den man wohl als Entwurf für das Mehrheitswahlrecht zugrunde legen könne, so daß praktisch nur ein Entwurf für das Proportionalwahlrecht ausgearbeitet zu werden brauche. Persönlich wolle er mit der Ausarbeitung eines Entwurfs bald beginnen, und er bitte die übrigen Ausschußmitglieder, Variationsvorschläge im Entwurf vorzulegen. Dr. Diederichs teilt mit, daß er bereits einen Strukturentwurf des Wahlrechts angefertigt habe, in dem das enthalten sei, was seiner Ansicht nach unbedingt im Wahlgesetz stehen müsse11). Ausführungsbestimmungen müßten noch hinzuMaier weist darauf
lebt der
Wahlrechtsexperte Gerhard (Salzmann, Die CDU/CSU
Schröder (siehe unten Dok. Nr. 8, Anm. 42) im Pari. Rat, S. 36).
vorgeschlagen
7) Es handelte sich hier nicht um die Hauptversammlung, sondern um die Vorstandssitzung
8) 9)
10) n)
der deutschen Wählergesellschaft. Ein diesbezügliches Schreiben hatte das Geschäftsführende Vorstandsmitglied der Deutschen Wählergesellschaft, G.B. von Hartmann, an Konrad Adenauer als Präsidenten des Pari. Rates und an Carlo Schmid als den Vorsitzenden des Hauptausschusses gerichtet (Schreiben vom 20. Sept. 1948, BA NL Blankenhorn/Bd. 5 und vom 21. Sept. 1948, FESt NL Schmid/Bd. 1169). Die Hauptversammlung der DWG fand dagegen planmäßig am 1./2. Oktober 1948 in Bad Homburg v. d. H. statt (Mitteilungen Sept. 1948, S. 1; siehe auch den Bericht über die Hauptversammlung a. a. O., Dez. 1948, S. 10 ff.). Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 8. Der SPD-Politiker Friedrich Wilhelm Wagner (28. Febr. 1894-17. März 1971) lebte von 1941 bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1947 im amerikanischen Exil. Wahlrechtsentwurf der Deutschen Wählergesellschaft, Mitteilungen Sept. 1948, S. 1—15; siehe auch oben Dok. Nr. 2, Anm. 125. Siehe unten Dok. Nr. 5, Anm. 4. 101
Nr.
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gefügt werden. Überhaupt erhebe sich die Frage, wer denn kompetent sei für die Aufstellung der Durchführungsbestimmungen im Wahlgesetz12). Der Ausschuß werde eventuell auch noch die Wahlordnungen aufstellen und die Wahlbezirkseinteilung vornehmen müssen. Stock weist auf das in Bayern geltende Wahlrecht hin13), das bereits eine Kombination enthalte. Jeder Abgeordnete habe einen Stimmbezirk, in dem er aufgestellt sei und den er zu vertreten habe. Die Regierungsbezirke seien zu einem Wahlkreis zusammengeschlossen. Im Regierungsbezirk würden alle Stimmen der Partei zusammengestellt und durch die Zahl der Abgeordneten dividiert. Entsprechend würden die Mandate verteilt. Die übrig bleibende Restquote werde landesmäßig verteilt. Er halte das für das demokratischste Verfahren. Keine Stimme gehe verloren. Eine Sicherung gegen zu kleine Gruppen bestehe darin,
daß ein Mandat nur dann zuerteilt werde, wenn die betreffende Partei 10 % der Gesamtstimmenzahl ihres Regierungsbezirks aufgebracht habe. Das sei eine gute Kombination zwischen Persönlichkeitswahl und Verhältniswahl und werde auch in Württemberg und Hessen anerkannt14). Maier teilt mit, daß dieses Wahlrecht auch in Südbaden bestanden habe15), daß man es aber insofern etwas geändert habe16), als man als die Erstgewählten in den Landkreisen diejenigen nähme, die die absolute Mehrheit erreicht hätten. Das sei also eine Personenwahl. Der Rest der zu vergebenden Mandate werde auf einer Landesliste im Proporz verteilt. Dadurch werde die Opposition nicht
völlig ausgeschaltet.
Schröter führt aus, daß in Schleswig-Holstein fast dasselbe Wahlrecht bestehe, fehle die Bestimmung, daß die Partei, die in einem selbständigen Wahlkreise keinen Abgeordneten durchbringe, ausfalle17).
nur
[2. STRUKTURENTWURF DR. DIEDERICHS]
Dr. Diederichs: In meinem Wahlrechtsvorschlag habe ich in § 8 die Zahl der auf die einzelnen Wahlkreise entfallenden Abgeordneten unterteilt in direkt gewählte und in auf Bundesliste gewählte und habe sechs plus zwei oder drei
12) 13)
14)
ls) 16) 17)
102
Frage der Zuständigkeit für die Ausführung der Durchführungsbestimmungen siehe auch Abschnitt 2 der Einleitung. Gesetz Nr. 45 betreffend den Volksentscheid über die Bayerische Verfassung und die Wahl des Bayerischen Landtags vom 3. Okt. 1946, in: Bayer. GVOB1. Nr. 21 vom 25. Nov. 1946, S. 309; siehe auch die Gesetze Nr. 46 und 47 zur Änderung bzw. Ergänzung des Gesetzes Nr. 45 vom 12. Nov. 1946 bzw. 31. Okt. 1946, ebenda, S. 325. Zur Wahlrechtsentwicklung in der amerikanischen Besatzungszone siehe Lange, Wahlrecht, S. 56 f. Landesverordnung vom 10. April 1947 über die Landtagswahl und den Volksentscheid, in: Amtsbl. für Baden Nr. 15, S. 77. Landeswahlgesetz Baden: Landesgesetz über die Landtagswahlen, Kreistagswahlen und die Gemeindewahlen vom 7. Juli 1948, in: GVOB1. Nr. 30 vom 4. Sept. 1948, S. 105. Wahlgesetz für den Landtag von Schleswig-Holstein vom 31. Jan. 1947, in: Amtsbl. Nr. 11 vom 15. März 1947, S. 96. Zur
Vierte
plus
eins
vorgeschlagen18).
Das
hängt
6 + 2 ist für einen Wahlkreis 3 + 1 für einen von Vi Million.
Zahl
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Nr. 4
der Größe der Wahlkreise ab. Die Million Einwohner gewählt, die Zahl
von
von
1
Das Wahlverfahren würde danach so aussehen, daß die Parteien ihre Kandidapräsentieren, und daß der Wähler durchaus die Möglichkeit hat, eine Persönlichkeit zu wählen. Er bekommt also in den kleineren Wahlkreisen 3 Stimmen, in den größeren 6 Stimmen, die er nun den Kandidaten, die er wählen will, persönlich geben kann. Dann werden die Gesamtstimmen der Wahlvorschläge zusammengezählt und nach dem d'Hondt'schen Verfahren verteilt19). Damit ist die Wahl der Persönlichkeit bei einer durchaus verhältnismäßigen Berechnung voll gewahrt. Die Reststimmen werden dann auf die Bundesliste verten
rechnet. Da taucht nun die Frage auf, ob man hier keine direkten Kandidaten aufstellen soll und ob man die Mandate grundsätzlich nach dem Proporz verteilen soll. Beide Möglichkeiten haben natürlich Ihre Härten. Wenn man sagt, daß eine Partei, die keinen Kandidaten durchgebracht hat, auch die Reststimmen nicht angerechnet hält, dann erhält die Größe der Wahlkreise eine besondere Bedeutung, denn in einem größeren Wahlkreis ist ein größerer Ausgleich möglich, und dann würde nach dem d'Hondt'schen Verfahren die Teilungsziffer wesentlich niedriger werden, und damit hätten auch kleinere Parteien die Möglichkeit, direkt einen Kandidaten durchzubringen und sich damit die Verrechnung der Reststimmen zu sichern. Auf diese Weise würde auch die scheußliche Wahlkreismathematik wegfallen. Je weniger Kandidaten aufgestellt sind, um so mehr wird abgezirkelt, um so mehr bemüht man sich, konfessionelle Gruppen oder eine Arbeitersiedlung usw. mit in den Wahlkreis hineinzubringen, um einen einseitigen Einfluß auszuüben. Bei Wahlkreisen von 1 Million Einwohnern würden wir im ganzen Bundesgebiet 46 Wahlkreise bekommen; dann hat man schon innerhalb des Wahlkreises einen besseren Ausgleich, und außerdem haben gewisse Minderheiten eine bessere Möglichkeit, einen direkten Kandidaten durchzubringen. Wenn wir 6 Sitze verteilen, würden ungefähr 16% der abgegebenen Stimmen zu einem Mandat führen, und auf diese Weise wäre dann auch die Verrechnung der Reststimmen im Gesamtbundesgebiet gesichert. Die Parteien, die nicht irgendwo über geballte Wählermassen verfügen, würden, wenn man den Wahlkreis kleiner wählt, benachteiligt werden. Deswegen habe ich die Alternative 6 oder 3 und 2 oder 1 in die Verrechnung hineingeschrieben. Dabei ist nun folgendes beachtlich. Diejenigen, die sich für die reine Mehrheitswahl einsetzen, identifizieren immer wieder irrtümlich Mehrheitswahlrecht und Persönlichkeitswahlrecht. Das hat nichts miteinander zu tun. Eine Persönlichkeitswahl ist auch bei einer verhältnismäßigen Berechnung durchaus möglich. Ich halte es also fast für besser, wenn man, statt in einem kleinen Wahlkreis nur mit 1 Stimme einen Mann wählen zu können, hier mit 3 oder 6 Stimmen sagen kann: Diese Leute sind diejenigen, die ich für die richtigen halte. 18) Vgl. unten Dok. Nr. 5, Anm. 4. 19) Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 37. 103
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in diesem Zusammenhang immer auftaucht, ob eine Stimmenstattfinden soll oder nicht, würde ich verneinen, weil sie leicht dazu führen kann, daß eine Primaballerina herausgestellt wird, auf die sich dann die Stimmen häufen, mit denen man dann andere Kandidaten durchziehen kann, die sonst verhältnismäßig wenig Aussicht hätten, und die weniger Stimmen auf sich vereinigt haben als ein anderer von einem anderen Wahlvorschlag. Aber das ist eine Frage des Geschmacks, die man erst entscheiden kann, wenn man die Dinge gründlich durchgearbeitet hat. Stock: Im bayerischen Wahlrecht ist die Stimmenhäufung dadurch vermieden, daß sich jeder nur in einem Wahlkreis aufstellen lassen kann, so daß wirklich die Persönlichkeitswahl zum Vorschein kommt. Die
Frage, die
häufung
[3. AUSSPRACHE]
[3a. Wahlkreiseinteilung] Dr. Diederichs: Das würde bei den großen Wahlkreisen wahrscheinlich auch vollkommen genügen. Es müßte allerdings gewährleistet sein, daß man Kandidaten, die im Wahlkreis aufgestellt sind, gleichzeitig auch auf der Bundesliste aufstellen kann, schon um zu sichern, daß Leute von Format, die sich aus irgendwelchen Gründen localiter nicht haben durchsetzen können, die Möglichkeit haben, im Parlament tätig zu werden. (Schröter: Siehe Niedersachsen bei der letzten Wahl!)20) Jawohl, wo sämtliche Minister durchgefallen sind21). Allerdings hatten wir sie an die gefährdetsten Stellen geschickt. Wir wollten sie als Propagandanummern verwerten.
Vors. [Dr. Becker]: Wenn wir beim Proportionalwahlrecht kleinere Wahlkreise so ist zu fragen, ob erst einmal eine Verrechnung innerhalb eines Lan-
haben,
des stattfinden und dann erst die Verrechnung auf der Bundesliste folgen soll. Und wenn das Mehrheitswahlrecht gewählt werden sollte, wäre die Frage aufzuwerfen, wie es mit den Persönlichkeitswahlen in solchen Städten gehalten werden soll, die größer als ein Einmannwahlkreis sind, d. h. also in Städten von mehr als 150 000 Einwohnern: sollen sie in zwei Bezirke aufgeteilt werden, oder soll man sie zusammenfassen und zu einer Art Proportionalität übergehen? Denn die Popularität einer Persönlichkeit ist ja nicht durch eine bestimmte Straße begrenzt, die nun zufällig die Grenze des Wahlbezirks darstellt, sondern sie wird in der ganzen Stadt bekannt sein. Es fragt sich, ob es nicht zweckmäßig wäre, in solchen Fällen die Wahlkreise größer zu nehmen, um die Popularität der einzelnen Kandidaten sich voll auswirken zu lassen. In diesem Falle kämen
20) Gemeint ist die Landtagswahl vom 20. April 1947. 21) Zu den genauen Wahlergebnissen siehe: Die Wahl 20.
April 1947,
nisters des Innern 104
vom
Ergebnis, hrsg.
zum
Niedersächsischen
Landtag
am
im Auftrage des Niedersächsischen MiLandeswahlleiter Herbert C. Blank, Hannover 1947.
2. Teil: Amtliches
Vierte wir für die
gust
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anderen Variation ähnlich der, die im AuWir wollen hier nicht debattieren, sondern sich diese Gedanken durch den Kopf gehen zu lassen.
großen Städte zu einer eingeführt worden war22).
1918
ich bitte
Sitzung
nur,
[3b. Politische Willensbildung der Bevölkerung] Frau Wessel: Wenn wir zu einer anderen Form des Wahlvorschlags kämen, Beispiel zum reinen MehrheitsWahlrecht, würden wir den Wähler zwingen, Wahlkombinationen vorzunehmen, die eigentlich seiner ganzen Struktur widersprechen. Angesichts der großen Parteimüdigkeit, die schon ohnehin besteht, würden wir den Wähler nicht mehr zu einem politischen Bekenntnis zwingen, sondern es würde ganz natürlich sein, daß sich zum Beispiel bürgerliche Parteien mit sehr verschiedenen politischen Zielen auf irgendeiner Wahlliste zusammenfassen, um sich gegen sozialistische Parteien durchzusetzen. Ich fürchte, wir würden auf diese Weise das schon heute nur noch vorhandene geringe politische Interesse vermindern. Wir müssen vielmehr dahin kommen, die Wähler zu zwingen, ganz klare politische Entscheidungen herbeizuführen. Ich halte es für verhängnisvoll, Schwierigkeiten, die sich in den Parlamenten ergeben, auf das Wahlrecht abzuwälzen. Der Wähler wird dann überhaupt kein politisches Bekenntnis mehr ablegen, und die Wahlmüdigkeit wird nur noch größer werden. Ich warne vor dem Glauben, daß durch ein sogenanntes Persönlichkeitswahlrecht, das man mit dem Mehrheitswahlrecht verkoppelt, die politische Müdigkeit überwunden wird. Wir machen uns mit dem Persönlichkeitszum
wahlrecht zuviel Illusionen. Als zweites müssen wir die Möglichkeit schaffen, daß sich echte politische Parteikonstellationen bilden können. Was wir 1945 geschaffen haben23), ist nicht der Weisheit letzter Schluß. Wenn wir aber ein Wahlrecht schaffen, daß jede neue Parteibildung verhindert, dann erreichen wir, daß politische Überzeugungen im Volke, die durchaus echt sein können, nicht zum Zuge kommen, und die politische Stagnation unseres Volkes würde dadurch noch vermehrt. Wir halten es für den Sinn der echten Demokratie, den Bürger an den Staat und an die Interessen des Staates heranzubringen. Darum sollte man sich nicht auf irgendein bestimmtes Wahlrecht unter allen Umständen festlegen, sondern versuchen, eine Kombination zu schaffen, die das Persönlichkeitswahlrecht mit dem Verhältniswahlrecht verbindet und dadurch auch die Entwicklung echter politischer Parteien nicht verhindern wird. Wir haben in Nordrhein-Westfalen etwas Ähnliches durch das Landeswahlrecht24) geschaffen, und ich glaube, daß sich das durchaus bewährt hat.
22) Gemeint ist die sog. „kleine Reichswahlreform" vom 24. Aug. 1918 (Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstags und die Einführung der Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen vom 24. Aug. 1918, RGBl. 1079). 23) Gemeint ist wohl die erste Neuordnung des Wahlrechtswesens in den Ländern. 24) Gesetz über die erste Wahl zum Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen vom 22. Jan. 1947 in der Fassung des Beschlusses des Landtages vom 5. März 1947, in: GVOB1. Nr. 7 vom
2.
April
1947, S. 69.
105
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Vierte
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Vors. [Dr. Becker]: Wir sind langsam wieder in eine Generaldebatte hineingekommen. Eigentlich wollten wir ja nur die Methode unseres Vorgehens besprechen und einzelne Gedanken vortragen, die wir uns überlegen müssen, damit wir uns morgen darüber klar sind, was wir machen können. Heile: Wenn ich auf diesen Einwand des Herrn Vorsitzenden Rücksicht nehmen soll, muß ich das, was ich eigentlich sagen wollte, weglassen. Aber die Debatte zwingt mich, dazu Stellung zu nehmen. Wenn wir den Wunsch haben, daß sich unser Volk bis in die letzte Verzweigung hinein für die politischen Wahlen und für Politik überhaupt aktiv und wirklich lebendig interessiert, dann müssen wir den Proporz abschaffen. Denn beim Proporz wählen wir überhaupt nicht einen Abgeordneten, sondern einen Wahl Vorschlag. (Widerspruch des Abg. Diederichs.) Doch, es ist so! Die Menschen wollen einen lebendigen Menschen wählen. (Stock: Gewiß! Und keine Leichen!) Wollen Sie trotz dieser Bedenken den Proporz behalten wegen der damit verbundenen Theorie der absoluten Gerechtigkeit, dann könnte man vielleicht folgendermaßen verfahren. Als damals in Weimar entschieden war, daß die Grundsätze des Verhältniswahlrechts angewendet werden müßten, habe ich vorgeschlagen, dann das alte Reichstagswahlrecht, das wir vor 1914 hatten, mit dem Proporzgedanken zu verbinden25). Man sollte, wie früher, in kleinen Wahlkreisen eine Person wählen, etwa so, daß in 300 Wahlkreisen 300 Personen gewählt werden. Und um die Idee des Proporz ebenfalls zur Geltung zu bringen, könnte man sagen: Über das ganze Reich hinweg haben die verschiedenen Parteien soundso viel Stimmen bekommen. Wenn die Zahl der für die Parteien gewählten Abgeordneten der Zahl der für die einzelnen Parteien in direkter Wahl abgegebenen Stimmen nicht entspricht, so müssen ergänzend noch weitere Abgeordnete hinzukommen. Zur Auswahl der Ergänzungsabgeordneten aber sollte man nicht irgendeine Reichsliste oder Landesliste oder Provinzialliste nehmen, sondern festsetzen, daß diejenigen Wahlkandidaten, die in ihren Wahlkreisen dem Gewähltwerden am nächsten gekommen sind, in der Reihenfolge der für die abgegebenen Stimmen die Ergänzungsliste ihrer Partei darstellen. Auf diese Weise sind die Parteien genau ihrer Wählerzahl entsprechend im Parlament vertreten. Und doch sind sämtliche Abgeordnete wirklich in persönlicher Wahl unmittelbar vom Volke gewählt. Sie alle sind Leute, die nicht bloß die Gunst ihrer Parteimaschine besitzen, sondern persönlich vor der Wählerschaft gestanden und sich bewährt haben. —
)
106
Diesbezügliche Diskussionsbeiträge Heiles in der Nationalversammlung sind nicht nachweisbar. Heiles Partei, die DDP, setzte sich allerdings zu weiten Teilen für das hier von Heile vorgeschlagene Wahlrecht ein. Siehe hierzu: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung. Stenographische Berichte, Berlin 1919/1920, Bde. 1—9. Allerdings beteiligte sich Heile publizistisch an der Wahlrechtsdiskussion (so etwa mit seinem Artikel „Das neue Wahlrecht", in: Die Hilfe 26 (1920) 9, S. 21 f.).
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Vors. [Dr. Becker]: Es ist festgestellt worden, daß Herr Abg. Dr. Wagner heute nachmittag nicht erscheinen kann26). Wir können aber trotzdem mit der Besprechung des von Herrn Dr. Diederichs vorgelegten Entwurfs beginnen. Ich schla-
ge vor, daß wir
uns um
26) Siehe oben TOP
3
Uhr präzise hier wieder zusammenfinden.
1.
107
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Fünfte Sitzung 29.
Nr. 5
Nr. 5
Fünfte Sitzung des Ausschusses für 29.
September
Z 5/81, Bl. 1-44. Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 80-82, Drucks. Nr. 128
Wahlrechtsfragen
1948
Wortprot.
Anwesend1):
CDU/CSU: Kroll, Schräge, Walter SPD: Mücke2) (für Stock), Maier (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Paul (für Reimann) Mit beratender Stimme: Lobe (SPD), Wunderlich (SPD)3), Heile (DP), Frau Wessel (Z) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 17.00 Uhr Beginn 15.00 Uhr
[1. BESPRECHUNG DES VON DR. DIEDERICHS VORGELEGTEN STRUKTURENTWURFS (DRUCKS. NR. 128A)] Vors. [Dr. Becker]: Ich eröffne die Sitzung. Wir hatten uns dahin schlüssig gemacht, daß wir heute den des Herrn Kollegen Dr. Diederichs durchsprechen wollen. Wir in der Reihenfolge dieses Entwurfs vor.
1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Dr. Willibald Mücke (28. Aug., 1904-25.
Nov. 1984),
Strukturentwurf4)
gehen
am
besten
Bayern, SPD, Rechtsanwalt und
Mitglied des Flüchtlingsbeirates beim Parteivorstand der SPD, Mitglied des Landesvorstands der SPD Bayern und Vorsitzender des Hauptausschusses der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern. Im Pari. Rat war Mücke Mitglied des Organisationausschusses.
3) Hans Wunderlich (18. Juni
Journalist. Im Pari.
4)
Sitzung beigefügt
1899-26. Dez. 1977), Niedersachsen, SPD, Rat war er Mitglied des Grundsatzausschusses. Der Struktur-Entwurf wurde als Anlage dem Kurzprot. der 5. (Drucks. Nr. 128 a):
„Struktur-Entwurf die Bundesrepublik und Aktives passives Wahlrecht
Wahlgesetz für I.
§
1
Wahlberechtigt ist wer: a) Staatsangehörigkeit b) Lebensalter
§
2
§3
c) Wohnsitz (1) Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist wer: a) entmündigt etc. b) Ehrenrechte nicht hat c) Wahlrecht aberkannt (2) Behindert an der Ausübung des Wahlrechtes ist wer: a) Geisteskrank b) Straf- und Untersuchungsgefangene c) Nicht im Wählerverzeichnis eingetragen ist bzw. keinen Wahlschein hat Stimmenzahl Stimmen Jeder Wähler hat .
108
.
.
Fünfte
Sitzung
29.
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Nr. 5
[la. Aktives Wahlrecht (§ 1)] Wir kommen also zu § 1 : Aktives Wahlrecht, und zwar a) Staatsangehörigkeit. Damit ist die Bundesangehörigkeit gemeint. Wir haben ja bisher die deutsche Reichsangehörigkeit, während wir eine Angehörigkeit der einzelnen Länder nicht mehr hatten; die war in der Nazizeit abgeschafft worden5). Also wird man hier wohl sagen müssen: Die Deutsche Staatsangehörigkeit.
§
4
§ § §
5 6 7
§
8
§
9
Wählbar ist wer: a) das aktive Wahlrecht hat b) Lebensalter c) Wählbarkeit nicht aberkannt Mandatsannahme Mandatsverlust Mandatsdauer //. Zahl der Abgeordneten und der Wahlkreise Zahl der Abgeordneten je Wahlkreis 6 3 a) direkt gewählte 2 1 b) auf Bundesliste Zahl der Wahlkreise a) Gesamtzahl
b) Bevölkerungsziffern § 10 § 11 § 12 § 13 § 14
III. Wahlvorbereitungen Bestimmung des Wahltermins Bestellung von Wahlleitern und Ausschüssen
Wählerlisten /Termine Die Die
Wahlvorschläge/Termine Stimmzettel/Reihenfolge IV. Der Wahlakt
§ § § § § §
15 Die Stimmabgabe 16 Wahrung der geheimen Wahl V. Feststellung des 17 Stimmzählung 18 Gültigkeit der Stimmen 19 Wahlkreisergebnis und Reststimmen 20 Zuteilung der Mandate
Wahlergebnisses
a) im Wahlkreis
b) auf Bundesliste VI. Ersatzmandate
§
21 Nachrücken
VII.
für Ausfallende
Wahlprüfung
1871 bestanden die StaatsangehöReiches weiter fort. Erst im Zuge der nationalsozialistischen Unitarisierung des Staates wurden diese zugunsten einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit aufgehoben (VO über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. Feb. 1934, RGBl. I, S. 85). Im Chiemseer Verfassungskonvent konkurrierten zwei Auffassungen miteinander. Während die eine die Frage der Staatsangehörigkeit in den Zuständigkeitsbereich der Länder verweisen wollte, ging die andere Interpretation von der „Bundesangehörigkeit" aus (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 585). Der Pari. Rat schrieb dagegen fast einstimmig die „Staatsangehörigkeit im Bund" fest (v. Doemming/Füsslein/ Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, S. 473).
5) Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre
rigkeiten für die
einzelnen
Mitgliedstaaten des
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Frage der Staatsangehörigkeit ist bei den Flüchtlingen und Ausdie aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie kommen, klar. gewiesenen, Es gibt aber auch noch andere Flüchtlingsgruppen, bei denen die Staatsangehörigkeitsfrage nicht geklärt ist. Wir haben z.B. in Bayern allein über 1 Million Sudetendeutsche, die heute nicht unbedingt als deutsche Staatsangehörige angesehen werden. Die Eingliederungsgesetze aus der Nazizeit sind null und nichtig6). Deshalb werden diese Leute de jure nicht als deutsche Staatsangehörige angesehen. Nun ist diese Frage in den Ländern der amerikanischen Zone durch das Flüchtlingsgesetz, das dort allgemeine Geltung hat, in dem Sinne geregelt, daß Flüchtlinge aus dem Ausland den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt sind7). Es gibt aber nicht in allen Ländern ein Flüchtlingsgesetz, das diese Frage regelt, so daß m. E. vorsorglich noch eine Bestimmung dahin in das Gesetz aufgenommen werden muß, daß die Flüchtlinge deutscher Volkszugehörigkeit den deutschen Staatsangehörigen mindestens in Bezug auf das Wahlgesetz gleichgestellt sind. (Vors. [Dr. Becker): So haben wir es auch im hessischen, bayerischen und Dr. Mücke: Die
württembergischen Wahlrecht!8)) Da ist es klar. Aber es gibt nicht in allen welchem diese Regelung getroffen ist.
Ländern ein
Flüchtlingsgesetz,
in
—
Paul: Ich denke, man kann ganz einfach so sagen: „Alle Einwohner der Westsind deutsche Staatsangehörige". (Lebhafter Widerspruch und Zurufe) Da haben Sie recht. Die anderen sind eben Ausländer. (Dr. Mücke: Sie sind aber auch Einwohner!) Frau Wessel: In diesem Fall kommen nur diejenigen Flüchtlinge in Frage, die wegen ihrer Deutschtumszugehörigkeit ausgewiesen sind. Heiland: Die haben bei dieser Gelegenheit auch ihre alte Staatsangehörigkeit verloren. Sie sind sie zumindest de facto los. Wir müssen nach einer Formulierung suchen, die ganz klar zum Ausdruck bringt, daß diese Leute ebenfalls als vollberechtigte Staatsangehörige gelten. Wir sollten aber jetzt nicht bei der Formulierung hängenbleiben. Das würde jetzt zu viel Zeit beanspruchen. Ich glaube, wir haben uns so weit verstanden, daß wir alle die, die durch den Ausgang dieses Krieges von ihrem Wohnort mit der ausländischen Staatsangehörigkeit ins Reich gekommen sind und nach unseren ganz nüchternen Überlegungen zone
—
6) In der Vorlage sind die beiden Sätze wie folgt zusammengefügt: „Wir haben z. B. in Bayern allein über 1 Million Sudetendeutsche, die also heute nicht unbedingt als deutsche Staatsangehörige angesehen werden können, denn die Eingliederungsgesetze aus der Nazizeit sind null und nichtig." Vgl. dagegen die Argumentation Beckers betreffend die Staatsangehörigkeit für die Sudetendeutschen (siehe unten Dok. Nr. 17, TOP 2 b). 7) Gesetz Nr. 59 über die Aufnahme und Eingliederung deutscher Flüchtlinge (Flüchtlingsgesetz) vom 19. Feb. 1947, in: Bayer. GVOB1., S. 51; Sammlung der Länderratsgesetze, S. 172.
8) Zum bayerischen Wahlgesetz siehe oben Dok. Nr. 4, Anm. 13; Gesetz Nr. 114, Wahlge-
Landtags am 24. November 1946 vom 16. Okt. 1946 (Reg. Bl. der Regierung Württemberg-Baden Nr. 21, S. 241); Wahlgesetz für den Landtag des Landes Hessen vom 14. Okt. 1946 (GVOB1. Nr. 26/7, S. 177). setz für die Wahl des
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sehr lange hier bleiben, weil die Möglichkeit einer Rückkehr gar nicht gegeben ist, als gleichberechtigte Staatsbürger evtl. durch Gesetz mit der Staatsangehö-
versehen müssen. Aber die Formulierung kann man dann noch suchen. Dr. Mücke: Es ist nicht unbedingt richtig, daß diese Ausgewiesenen ihre frühere Staatsangehörigkeit verloren haben. Es gibt im Gegenteil eine ganze Reihe, z. B. die Ungarn-Deutschen9), die gar keinen Wert auf die Feststellung legen, daß sie ihre Staatsangehörigkeit verloren haben, weil sie nach den Gesetzen ihrer Heimat in dem Augenblick, in dem sie eine neue Staatsangehörigkeit annehmen, die alte verlieren. Ich würde vorschlagen: „alle diejenigen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum die Heimat verloren haben" sind
rigkeit
wahlberechtigt. Vors. [Dr. Becker]: Ich würde, abgestellt auf die Gesetze der amerikanischen Zone, vorschlagen: „diejenigen, die ihre Heimat haben verlassen müssen". Aber können diese sujets mixtes10) nun bei uns ein Wahlrecht beanspruchen, wenn
sie die ausländische
Staatsangehörigkeit
aufrecht erhalten und damit zu erkennen Staatsangehörigen sein wollen?
—
(Maier: Bei Wir wollen
Danzig
ist
es
noch sagen wir: die ungarische daß sie noch keine deutsche
geben,
—
dasselbe!11))
diese Frage notieren. Sie muß entschieden werden. Das ist eine Frage, die jeder einmal in seiner Fraktion durchsprechen muß, da sie von weitreichender staatsrechtlicher Bedeutung werden kann12). Das scheint nicht der Fall zu sein. Wird noch das Wort gewünscht? Dann darf ich die Ansicht des Ausschusses dahin zusammenfassen. Hinsichtlich der deutschen Staatsangehörigkeit werden die Flüchtlinge den übrigen deutschen Staatsangehörigen, so wie es in den Gesetzen der Länder der amerikanischen Zone formuliert ist, gleichgestellt, und zwar abgestellt darauf, daß sie wegen ihres Deutschtums die Heimat haben verlassen müssen; und bei denen, die ihre frühere Staatsangehörigkeit nicht aufgeben wollen, können wir uns die Entscheidung noch vorbehalten. Wir kommen dann zu § 1 b): Lebensalter. Dazu liegt ein Beschluß des Organisationsausschusses vor, der das aktive Wahlrecht von der Erreichung eines Lebensalters von 21 Jahren abhängig macht13). uns
—
—
9) Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden von den vor 1945 Deutschen etwa 250 000 ausgewiesen. 10) Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit.
ca.
600 000 in
Ungarn lebenden
Durch den Friedensvertrag von Versailles (1919) war Danzig in eine Freie Stadt unter dem Schutz des Völkerbundes, allerdings mit starken Einwirkungsrechten Polens, verwandelt worden. Die Danziger Bürger erhielten nun eine eigene, nach dem deutschen Überfall auf Polen jedoch am 25. Nov. 1939 wieder die deutsche Staatsbürgerschaft (Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1174). 12) Zum Fortgang der Debatte um die Staatsangehörigkeit siehe unten Dok. Nr. 16, TOP 2 a. 13) Zum Abschnitt „Lebensalter" siehe auch die Beratungen über Art. 45 GG des Organisationsausschusses in der 6. Sitzung vom 24. Sept. 1948 (Drucks. Nr. 102). Siehe das Protokoll der 6. Sitzung des Organisationsausschusses vom 24. Sept. 1948 und die Anlage (Drucks. Nr. 87). 11 )
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Paul: Wenn der Organisationsausschuß auch schon dazu Stellung genommen so können wir doch immer unsere Meinung äußern. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß man hier etwas weiter gehen sollte als die Weimarer Verfassung14) und den Jugendlichen zumindest von 18 Jahren das Wahlrecht geben. Wir dürfen nicht vergessen, daß man in der Hitlerzeit die Jugendlichen schon mit 15 und 16 Jahren zum Wehrdienst einberufen und zu allen möglichen gesellschaftlichen und staatspolitischen Notwendigkeiten herangezogen hat. Ich halte die Beteiligung der Jugendlichen auch für einen hohen Akt politischer Erziehung, den die erwachsene Generation an der Jugend leisten kann. Ich sehe keine Gefahr darin, wenn man den Jugendlichen schon mit 18 Jahren das Wahlrecht gibt. Es gibt bestimmte Leute, welche sagen, man dürfe der Jugend noch gar nicht das Wahlrecht geben, denn ein junger Mensch von 18 Jahren könne sich noch keine eigene Meinung bilden. Das ist doch eine sehr umstrittene Behauptung, und es ist überhaupt umstritten, wann sich der Mensch eine eigene Auffassung bilden könne. Es gibt ohne Zweifel Leute, die sich mit 40 Jahren noch keine eigene Auffassung gebildet haben, sondern nur die Auffassung anderer Leute übernehmen. Frau Wessel: Sie sagen hier: mit 21 Jahren. Ist damit gemeint: mit Vollendung des 20. Lebensjahres? Oder wollen sie im Gegensatz zu der jetzigen Methode15) erst mit 21 Jahren eine Wahlberechtigung geben? Ich meine, man sollte es bei der bisherigen Form lassen, daß man aus den eben ausgeführten Gründen den jungen Menschen mit Vollendung des 20. Lebensjahres die Möglichkeit gibt, an den Wahlen teilzuhaben, um damit auch das Interesse der jungen Menschen an den allgemeinen politischen Fragen wachzuhalten. Wenn Herr Paul darauf hinweist, daß in der vergangenen Zeit ein Teil unserer Jugendlichen schon mit 15 Jahren zum Kriegsdienst herangezogen worden ist und daß unsere Jugend deshalb im Gegensatz zu früher reifer geworden ist, so ist das nur vorübergehend der Fall. Wir schaffen ja jetzt ein Wahlrecht, das nichts mehr mit dem Krieg und der Heranziehung der Jugend zum Kriegsdienst zu tun hat und für die Zukunft mit entscheidend sein soll. Diejenigen, die seinerzeit im jugendlichen Alter zum Kriegsdienst herangezogen worden sind, sind inzwischen ohnehin schon 20 Jahre alt geworden und im Besitze des Wahlrechts. Diese Gründe würde ich also nicht für so durchschlagend halten. Walter: Ich glaube, daß es bei der bisherigen Regelung, wie sie in den Ländern getroffen ist, bleiben kann: Vollendung des 21. Lebensjahres, also der Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit. Ich sehe nicht ein, warum eine Änderung eintreten sollte. Eine gewisse politische Reife ist eben frühestens in diesem Alter vorhanden und nicht schon mit 18 Jahren. Ein Wahlalter von zwanzig Jahren wird
hat,
Verfassung bestimmte: „Die Abgeordneten werden in allgemeiner, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über zwanzig Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt." 15) Die Landeswahlgesetze schrieben für das Wahlrecht die Vollendung des 21. Lebensjahres vor. Lediglich in der französischen Zone war der 1. Januar des Wahljahres maßgebend (siehe hierzu Tannert, Landtagswahlgesetze, S. 9; vgl. Rüdiger Wenzel: Wahlrecht und Wahlausschuß in der Besatzungszeit, in: ZParl. 15 (1984) 1, S. 44—57, hier: S. 45 f.). 14) Art.
22 der Weimarer
gleicher,
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Fünfte Sitzung 29. September 1948 der
Militärregierung
Nr. 5
nicht
genehmigt. Wir hatten diese Bestimmung in unwürttembergischen Verfassungsentwurf, aber die Militärregierung hat sie abgelehnt16). Und im übrigen erscheint es zweckmäßig, die Volljährigkeit mit der Wahlmündigkeit zusammenzulegen. Paul: Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen. Wir sollten unter keivon
serem
Umständen hinter Weimar zurückbleiben. In der Weimarer Zeit hatte ein Jugendlicher schon mit 20 Jahren das Wahlrecht17). Wenn Sie 21 Jahre festlegen, würden Sie hinter den Wahlrechtsbestimmungen der Weimarer Verfassung zurückbleiben. Wir können einen jungen Menschen gar nicht früh genug an die Politik heranbringen und in seine staatsbürgerlichen Rechte und auch in seine staatsbürgerlichen Pflichten einführen. Ich kann dem unter keinen Umständen beipflichten, daß ein junger Mensch mit 18 Jahren noch keine eigene Meinung hätte. Ich habe bereits gesagt, daß es auch Leute gibt, die sich mit 30 und 40 Jahren nicht einmal die Mühe machen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und was in diesem Fall für die Jugend gilt, gilt für das gesamte Volk in den verschiedensten Schichten. Und ich bin der Meinung, daß wir die Jugend besser zur neuen Demokratie erziehen können, wenn wir sie auch gleichberechtigt mitreden lassen, sobald sie die Lehre abgeschlossen haben. Vors. [Dr. Becker]: Ich darf zunächst, was das Formelle angeht, sagen, daß wir selbstverständlich auch in unserem Ausschuß zur Frage des Wahlalters Stellung nehmen können. In dem anderen Ausschuß war die Vollendung des 21. Lebensjahres gemeint, wie es jetzt in den Wahlgesetzen wenigstens der amerikanischen Zone formuliert ist16). Dabei ist eine Unterfrage einzuflechten. In einigen Ländern der französischen ich glaube in Süd-Baden und Süd-Württemberg oder RheinlandZone Pfalz gilt die Bestimmung, daß die Wahlberechtigung nicht mit der Vollendung des 21. Lebensjahres beginnt, sondern daß ausschlaggebend ist, ob der Betreffende am 1. Januar des Jahres der Wahl das 21. Lebensjahr vollendet hatte19). Diese Bestimmung hat nur eine rein administrative Bedeutung. Man will sich bei der Anlegung der Wahlkarteien die Dinge möglichst vereinfachen, so daß man immer nur auf das Geburtsjahr, aber nicht auf das Datum zu sehen braucht. Ich will das nur vortragen. Ich glaube, man wird der Verwaltung schon eine gewisse Schwierigkeit auf diesem Gebiet zumuten dürfen, damit nicht bei den Wahlberechtigten der Verdacht einer ungleichen Behandlung aufkommen kann. Was nun die Frage betrifft, ob 20 oder 18 Jahre maßgebend sein sollen, so bitte ich, es bei der Vollendung des 21. Lebensjahres zu lassen, und zwar aus einem einfachen Grunde: Wenn man nach reiflichen Erwägungen durch Jahrhunderte nen
—
—
Art. 47 Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf einer Verfassung für Württemberg-Baden (12. Sept. 1946), S. 47, in: Verfassunggebende Landesversammlung für Württemberg-Baden 1946, Beilage 5.
lß) Vgl.
17) § 1 RWahlG (RGBl. I, 1924, S. 159). 1B) Siehe hierzu die folgenden Wahlgesetze: § LWG; Art.
5
(1) Württembergisches LWG.
19) Siehe oben Anm.
3
(1 a) Hessisches LWG; Art. 6 (1, 2) Bayer.
15.
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hindurch zu der Entscheidung gekommen ist, daß die Volljährigkeit, d. h. die Zeit, in der jemand das Recht hat, selber über seine eigenen Groschen zu verfügen, mit 21 Jahren beginnt, kann die Jugend auch nicht früher mit Hilfe ihres Stimmzettels über die Milliarden des Bundes verfügen. Ich glaube, wir können jetzt über diesen Punkt abstimmen, damit wir für unsere künftige Formulierung einen vorläufigen Entschluß haben. Der Ausschuß beschließt mit allen Stimmen gegen die des Abg. Paul, die Vollendung des 21. Lebensjahres beizubehalten. Vors. [Dr. Becker]: Dann kämen wir zu § 1 c) Wohnsitz. Damit ist gemeint, ob der Betreffende seinen Wohnsitz in der Gemeinde oder im Bundesgebiet hat. Diese Frage ist in der amerikanischen Verfassung geregelt20). Da wird zumindest das Bürgerrecht vorausgesetzt. Das Bürgerrecht wird erst nach einem Aufenthalt von einer gewissen Dauer gegeben. Beim passiven Wahlrecht kommen noch mehr Voraussetzungen hinzu. Man müßte auch die Frage prüfen, ob für das aktive Wahlrecht ein gewisser Aufenthalt in der neuen Heimat als Voraussetzung gelten soll. Dr. Diederichs: Wenn man in den Wahlrechten für die Kommunen und für die Kreise eine gewisse Zeitspanne der Anwesenheit voraussetzt, so hat das eine gewisse Berechtigung. Das sind aber Verhältnisse, die sich in erster Linie auf die Selbstverwaltung beziehen. Dafür werden gewisse örtliche Kenntnisse vorausgesetzt. Das sind aber Voraussetzungen, die wir hier nicht brauchen. Auch für solche, die aus dem Osten vertrieben sind, würde ich keinerlei Sperrfrist einführen, denn wir betrachten sie ja immerhin als Deutsche, ganz gleichgültig, wo sie vorher gewohnt haben. Ich würde also das Wahlrecht auch hier von keiner Dauer des Aufenthalts abhängig machen. Das wäre vielleicht nur für solche erforderlich, die die Staatsangehörigkeit neu erwerben. Um aber eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, vergeht im allgemeinen mindestens ein halbes Jahr und mehr. Daher glaube ich, daß mit der Entscheidung, daß der Betreffende die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, auch diese Voraussetzung erfüllt wäre. Ich würde mich also dafür aussprechen, keine Zeitdauer in das Gesetz zu schreiben, sondern nur zu verlangen, daß er den Wohnsitz im Bundesgebiet hat. Dr. Kroll: Ich möchte sogar auch das letztere in Frage stellen. Wie steht es mit den Seeleuten auf hoher See? (Dr. Diederichs: Das gilt ja als Heimat! Das Schiff ist exterritorial!) Wie steht es mit den Botschaftern und Gesandten? Heile: Die sind doch auf deutschem Boden! Vors. [Dr. Becker]: Die sind doch schon eine längere Zeit Reichsangehörige, sowohl die Seeleute, wie auch die Gesandten und Botschafter! Dr. Kroll: Kaufleute im Auslande? Ich glaube, daß wir es bei der Staatsangehörigkeit bewenden lassen dürfen. 20) Die US-amerikanische Verfassung bindet das Wahlrecht an die Registrierung des Wählers durch die Behörden (Amendment 15 „Right of Citizen to Vote", vgl. The Constitution of the United States of America Analysis and Interpretation, Washington 1953, S. 1183 f.). —
—
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Dr. Mücke: Da
es sich um Wahlen für einen Bundestag handelt, würde ich auf den Wohnsitz im Bundesgebiet abzustellen. Im übrigen verweise ich auf die Bestimmungen in der amerikanischen Zone, wo meines Wissens das Wahlrecht von einem sechsmonatigen Aufenthalt abhängig gemacht worden ist21). Das könnte man auch hier so machen hinsichtlich derjenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit bisher niemals besessen haben. Man könnte sagen: Das Wahlrecht hat derjenige, der seinen Wohnsitz sechs Monate innerhalb des Bundesgebietes hat, soweit er bisher die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besessen hat. Meinetwegen kann man es auch auf drei Monate begrenzen. Aber es ist nicht richtig, daß z. B. ein Flüchtling, der noch niemals die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, der eben hereingekommen ist, schon nach vierzehn Tagen zur Wahl geht. Man sollte da schon eine gewisse Wartezeit einführen. Frau Wessel: Ich bin der Meinung, man sollte es nicht so von der Zeit abhängig machen. Wenn der Wähler schon im Bundesgebiet ist, muß man ihm auch die Möglichkeit einer Mitbestimmung geben; und diese nun davon abhängig zu machen, daß er zufällig schon sechs Monate da ist, halte ich für falsch. Denken Sie doch nur an manchen deutschen Emigranten, der im Auslande sehr viel für Deutschland getan hat und nun zurückkommt. Soll man ihn von dem Recht ausschließen, nun für Deutschland wählen zu dürfen? Das halte ich für eine Härte. Heiland: Ich würde das Wahlrecht zu einer Bundesversammlung nicht von der Wohndauer abhängig machen. Wenn die Staatsangehörigkeit gegeben ist und der Wohnsitz im Bundesgebiet vorhanden ist, sollte man auch das Wahlrecht geben. Alles andere würde eine Einschränkung des Staatsbürgerrechts bedeuten, und dazu könnte ich mich sehr schwer entschließen; denn erstens werden es nicht viele Menschen sein, die aus dem Auslande infiltriert werden. Das ist etwas ganz anderes als beim Kommunalwahlrecht, wo solche Sperrvorschriften manchmal eingeführt werden müssen. Da kommt es vor, daß man sagt: Hier in Niedersachsen ist keine Kommunalwahl, also melde dich im Nachbarland an und stimm bei der dortigen Wahl mit ab, auf diese Weise können wir das Wahlergebnis in der uns erwünschten Richtung beeinflussen. Aus diesem Grunde hat man beim Kommunalwahlrecht und vielleicht auch beim Länderwahlrecht eine gewisse Berechtigung, es an eine bestimmte Zeit zu knüpfen; aber bei der Wahl zum Bundesparlament dürfte keinerlei derartige zeitliche Be-
empfehlen,
es
schränkung maßgebend
sein. Heile: Ich möchte nur bitten, auch in diesem Zusammenhange an die zurückkehrenden Kriegsgefangenen zu denken. Die können wir doch nicht aus formalen Gründen vom Wahlrecht ausschließen! Vors. [Dr. Becker]: Wir müssen diese Dinge einmal grundsätzlich sehen, und dann können wir auf die vielen Ausnahmen eingehen, die die heutige Zeit macht.
) Dies traf jedoch auf die gesamte US-Zone zu. Während Bayern, von wo aus Mücke in den Pari. Rat entsandt war, diese Bestimmung tatsächlich vorsah (Gesetz Nr. 45, Art. 6, 2) legte das hessische Wahlgesetz vom 31. Okt. 1946 den Stichtag, an dem die Wahlberechtigten ihren Wohnsitz in Hessen haben mußten, auf den 1. luni 1946 fest (GVOB1. 1946 Nr. 26/27 § 3, 1 a). 115
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Das Grundsätzliche ist, daß die Geschicke des Staates von denen bestimmt werden sollen, die sich mit diesem Staat verbunden fühlen. Wer, ohne deutscher Reichsangehöriger zu sein, eben über die Grenze nach Deutschland hineingewechselt ist, den kann man morgen oder übermorgen nicht mit abstimmen lassen. Das wäre ein grober Unfug. Denn schließlich stimmt der Betreffende über unser und unserer Kinder Schicksal mit ab, ohne innerlich mit dem Land verbunden zu sein. Irgendwo muß also eine Grenze sein. Und nun kommen die Ausnahmen. Die Reichsangehörigkeit! Wenn die Leute, die östlich der Oder-Neisse-Linie beheimatet sind, hierher kommen, ist es selbstverständlich, daß sie abstimmungsberechtigt sind, denn sie sind schon deutsche Reichsangehörige gewesen und fühlen sich mit uns verbunden. Dann die Flüchtlinge! Da lassen wir die Zeitbestimmungen gelten, wie sie die Gesetze in der amerikanischen Zone formulieren. Ich glaube, es sind drei oder sechs Monate. (Dr. Mücke: Das ist auf drei Monate herabgesetzt worden!) Bei den Emigranten ist es selbstverständlich, daß sie wieder ein Mitbestimmungsrecht bekommen, wenn sie wieder hierher zurückkommen. Bei den Kriegsgefangenen ist es ja klar; die haben ja nie ihre Reichsangehörigkeit verloren, und wenn sie wiederkommen, sind sie wieder in ihrer Heimat, wo sie Wohnsitz oder Aufenthalt haben. Die brauchen wir nicht zu erwähnen.
Wir können also sagen: Die
Reichsangehörigen
haben
grundsätzlich
das Stimm-
recht, ohne Rücksicht darauf, wie lange sie hier ihren Wohnsitz haben; nur für diejenigen, die die Reichsangehörigkeit noch nicht besitzen, sind die Forderun-
gen auch hinsichtlich des Aufenthalts oder Wohnsitzes zu stellen. Da sind zunächst einmal die Flüchtlinge; das ist die große Menge. Und wer sonst noch hineinkommt? Wollen wir den Tschechen, die jetzt da drüben weglaufen22), wollen wir den D. P.'s23) das Wahlrecht geben? Das wollen wir doch wohl nicht. Also müssen wir das sehr vorsichtig formulieren24). (Dr. Diederichs: Das ist doch mit der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen!)
22) Nach der Errichtung der kommunistischen Regime in Osteuropa setzte eine große Flüchtlingswelle vor allem aus der Tschechoslowakei, aber auch aus Polen, Ungarn und Rumänien ein. Über die Zahl dieser, nicht der deutschen Volkszugehörigkeit zuzurech-
nenden Flüchtlinge liegen keine genauen Angaben vor. Wahrscheinlich betrug sie aber gegen Ende 1948 ca. 1,25 Mio. (Eberhard Jahn: Das D. P.-Problem. Eine Studie über die ausländischen Flüchtlinge in Deutschland, hrsg. vom Institut für Besatzungsfragen, Tübingen 1950, S. 21 ; zum Problem allgemein siehe: Wolfgang Jacobmeyer: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945—1951, Göttingen 1985 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 65). 23) Bei den sog. ..Displaced Persons" (D. P., dt.: „Heimatlose Ausländer") handelte es sich um fremde Staatsangehörige oder Staatenlose, die im Verlauf des Zweiten Weltkrieges von den deutschen Besatzungsbehörden nach Deutschland verschleppt worden bzw. dorthin geflüchtet waren, wo sie nach 1945 von der UN betreut wurden. Während bei Kriegsende ca. 8,5 Mio. D. P. in Deutschland lebten, hielten sich 1951 noch 38 608 D. P. 's in Deutschland auf (Statist. Jahrbuch 1952, S. 31). 24) Folgt gestrichen: „Wir brauchen also hier, so weit es sich um Reichsangehörige handelt, im Grundsatz keine Bestimmungen zu machen."
Fünfte
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Das ist die Frage der Entnazisierten. Das ist ja im Schluß gesagt, daß das Grundgesetz vorbehaltlich der Entnazisierungsbestimmungen gilt25), so daß wohl auch wir an den Schluß oder an eine geeignete Stelle den Grundsatz hineinschreiben können, daß alle Wahlrechtsbeschreibungen, die sich aus den jeweils in den Zonen geltenden Bestimmungen ergeben, durch dieses Gesetz nicht berührt werden26). Dr. Diederichs: Das kommt im nächsten Abschnitt! Dann wären wir uns, glaube ich, in der Mehrheit darüber einig, daß wir auch eine zeitliche Begrenzung nicht wünschen. Nun eine weitere
Chiemseer Entwurf
Frage. am
(Zustimmung) [lb. Wahlausschluß (§ 2 Abs. 1)] Vors. [Dr. Becker]: Wir kommen
Wahlbehinderung. Zunächst die Entmündigung. setz27)
zu
§2. Er ist unterteilt in Wahlausschluß und
Das ist wohl ebenso, wie
es
im
bisherigen
Ge-
war.
Dann b)
wer die Ehrenrechte nicht hat. Paul: Ich habe jetzt den Fall erlebt, daß ich im ersten Wahlgang keine Wahlkarte hatte. Mir wurde gesagt, daß ich aus der Wahlliste gestrichen worden sei und mit mir eine ganze Reihe anderer —, weil ich vom Volksgericht zu einer Zuchthausstrafe unter Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf28) Jahre verurteilt worden war29). Ich bin der Auffassung, daß das zunächst einmal geklärt werden muß. Denn sonst würde man ja allen aus politischen und religiösen Gründen unter dem Hitler-Regime Inhaftierten mit einem Schlage das Wahlrecht absprechen. Diese Frage ist bisher überhaupt nicht geklärt. Es heißt, man könnte Einzelanträge stellen. Mir wurde von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, daß sie die Eintragung ins Strafregister gar nicht löschen könnten, weil die Löschung nur aufgrund eines Gesetzes möglich sei, und da die Reichsgesetze in diesem Fall keine Gültigkeit mehr hätten, müsse ein besonderes Gesetz gemacht werden. Das muß jedenfalls in der Verfassung verankert werden. Vors. [Dr. Becker]: Ich empfehle, aus der hessischen Gesetzsammlung das entsprechende Gesetz zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts einfach abzuschreiben und in ihrem Landtag als Antrag einzubringen30). —
25) 26) 27) 28) 29)
30)
Art. 146 Abs. 1 des Entwurfs (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 614). Ebenda. D. h. Reichswahlgesetz der Weimarer Republik von 1924 (RGBl. I, S. 159). An dieser Stelle wurde gestrichen: „zehn". Paul war aufgrund seiner politischen Tätigkeit im )uni 1933 zu 2 1/2 lahren Zuchthaus verurteilt worden. Dem schloß sich eine weitere mehrjährige Haftstrafe im KZ Sachsenhausen und im Zuchthaus Butzbach an. Gesetz vom 29. Mai 1946 zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege (GVOB1. Hessen Nr. 17 S. 136), dsgl. Gesetz vom 16. Aug. 1947 (GVOB1. Hessen Nr. 10/11 S. 64 und Nr. 17/18 S. 106, 1948 Nr. 21 S. 113); dsgl. Zweites Gesetz vom 13. Nov. 1946 (GVOB1. Hessen Nr. 32/33 S. 223).
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Heiland: Auch ich bin erheblich mit Zuchthaus vorbestraft31) und habe nichts anderes getan, als dem Oberlandesgericht in Hamm einen ganz kurzen Bericht zu schicken, in dem ich die Tilgung meiner Bestrafung im Strafregister beantragte, und ich hatte im Verlauf einer Woche den Bescheid, daß meine Strafe
gelöscht
ist.
Paul: Ich persönlich lehne es ab, mich an irgendeinen Staatsanwalt zu wenden, der möglicherweise selbst Mitglied der Nazipartei war und ihn um Löschung zu bitten. Walter: Wir haben in Württemberg ein Gesetz zur Wiedergutmachung nationalen Unrechts32). Da ist die ganze Sache geregelt. Ich würde empfehlen, Abg. Paul: Sie sehen, daß es auf diesem Gebiet noch keine Rechtsgleichheit gibt, und wenn man ein Wahlgesetz macht, muß man das berücksichtigen. Frau Wessel: Hier ist gemeint, daß derjenige, dem wegen irgendwelcher krimineller Vergehen die Ehrenrechte abgesprochen worden sind, nicht das Wahlrecht ausüben darf. Das ist selbstverständlich. Was Herr Paul hier aber anführt, sind Ausnahmen, die durch irgendein Gesetz geregelt werden müssen. Aber in das neue Wahlrecht gehört dieser Punkt unbedingt hinein. Vors. [Dr. Becker]: Wird zu b) der Antrag gestellt, diese Sache zu streichen? Herr Paul, beantragen Sie, Buchstabe b zu streichen? Paul: Wer nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte ist, den würde ich nicht wählen lassen. Aber die Dinge müssen klargestellt werden. Vors. [Dr. Becker]: Sollen wir von uns aus irgendeine Aktion veranlassen? Wir können einen Brief an den Präsidenten des Parlamentarischen Rats schreiben und mitteilen, daß sich bei Erörterung dieser Dinge das und das herausgestellt hätte, und daß er an die einzelnen Landesregierungen schreiben möchte, daß ein Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts schleunigst in die Wege geleitet werden müsse, damit, wenn die Betreffenden im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sind, Heiland: Wir sind ja morgen beim Obergericht33) zu einer Besprechung. Vielleicht ist es ratsam, dort ganz kurz auf diese Sache hinzuweisen, damit diese Frage ventiliert werden kann34). Heiland: Vielleicht kann man dort den rein technischen Weg überlegen. ..
.
31) Heiland, der schon
.
.
.
1933 aus politischen Gründen als Arbeiter vom Städtischen Elektrizitätswerk in Marl entlassen worden war, wurde 1936 wegen Widerstandes gegen das NS-Regime zu 2 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt. 32) Gesetz Nr. 29 zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege vom 31. Mai 1947 (Reg. 81. Württemberg-Baden, Nr. 205). 33) Das Deutsche Obergericht für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet, errichtet am 9. Febr. 1948, war u. a. zuständig für die einheitliche Anwendung, Auslegung und Vollziehung der Gesetze des Wirtschaftsrates in der Bizone. Nach der Errichtung des Bundesgerichtshofes und des Bundesfinanzhofes wurden die letzten anhängigen Sachen auf das Bundesverfassungsgericht übergeleitet (BGBl. I 1951 S. 289; allg. Walter Vogel: Westdeutschland 1945—1950. Der Aufbau von Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen, Teil I, Koblenz 1956, S. 110 ff.). 34) Folgt gestrichen: „Bei uns hätten sie keine Satzungsbefugnis. Ich weiß nicht, wie es hier ist."
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Vors. [Dr. Becker]: Wenn ich als Anwalt
sprechen darf, so würde ich empfehder französischen und britischen Zone bei Anwälten erkundigen, ob solche Gesetze, wie wir sie in der amerikanischen Zone haben, auch dort bestehen. Maier: Wir haben kein Wiedergutmachungsgesetz, aber ein Sondergesetz für die Löschung von Strafeintragungen35). Vors. [Dr. Becker]: Wenn das Gesetz da ist, dann brauchen Sie (zu Abg. Paul) es nur in Gang zu setzen. Wir könnten uns durch einen Brief schlimm blamieren. Ich möchte anregen, mir bis morgen Bescheid zu geben, nachdem Sie sich bei Anwälten aus Ihren Zonen erkundigt haben. Wenn noch irgendwelche Maßnahmen erforderlich wären, könnten wir an den Präsidenten einen Brief schreiben. Dr. Diederichs: Wie ist es denn nun bei Ihnen geregelt, Herr Paul? Sie haben doch nun das passive Wahlrecht. Paul: Die Dinge sind stillschweigend geregelt worden. Diederichs: Also ist offenbar eine Tilgung erfolgt? Paul: Nein, offiziell nicht, man hat gesagt, das wäre selbstverständlich. Man müsse selbstverständlich den politischen Gefangenen das Wahlrecht geben. Aber die Mehrzahl der politischen Gefangenen lehnt es ebenso selbstverständlich ab, einen solchen Antrag zu stellen. Vors. [Dr. Becker]: Dann stehen Sie sich ja selber im Lichte! Sie müssen doch bedenken, daß man nicht die Tausende von Eintragungen im Strafregister von Amts wegen durchsehen kann! Damit machen Sie den Behörden eine entsetzliche Arbeit. Diederichs: Wenn eine gesetzliche Regelung dahin getroffen würde, daß eine Löschung auf Antrag erfolgen kann, (Maier: Das ist ja geregelt!) dann ist es doch keine ehrenrührige Angelegenheit, wenn einem zugemutet wird, einen solchen Antrag zu stellen. Paul: Das ist eine Prinzipienfrage. Das kann jeder Verbrecher auch tun. Auch er kann nach den bestehenden Gesetzen einen Antrag stellen. (Dr. Diederichs: Aber damit wird er kein Glück haben!) Das ist eine andere Frage. Man verlangt von mir, daß ich dasselbe tue, was ein kriminieller Verbrecher auch tun muß. Und das lehne ich ab. Das ist eine Prinzipienfrage. Vors. [Dr. Becker]: Nachdem wir nunmehr von Herrn Abg. Paul gehört haben, daß auch in den Ländern der britischen Zone an sich diese Möglichkeit besteht, haben wir wohl keine Veranlassung, von uns aus etwas zu unternehmen. Dann würde ich meine Anregung, einen Brief zu schreiben, zurückziehen. Dann sind wir mit § 2 b) fertig, und wir kommen zu §2 c) Wahlrecht aberkannt. Das ist wohl die Frage der Entnazisierung. len, daß sich die Herren
aus
—
—
35) LandesVO vom 23.
Dez. 1946 über die Aufhebung von Urteilen der Strafgerichte und die Beseitigung nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege (Amtsbl. Baden 1946 Nr. 28, S. 152 und 1947 Nr. 1, S. 20).
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Diederichs: Das sind diese Bestimmungen, die für ehemalige Nazis von einer bestimmten Stufe an getroffen sind36). Frau Wessel: Soweit ich es in Erinnerung habe, fallen hierunter auch die Angehörigen mancher Gruppe, denen das Wahlrecht auf Veranlassung der Militärregierung aberkannt worden ist37), bei denen man tatsächlich fragen darf, ob sie noch darunter fallen dürfen. Wir kommen bestimmt nicht in den Verdacht, für diese Kreise zu sprechen. Aber wenn Mitglieder der NSV38) nur deshalb das Wahlrecht nicht ausüben dürfen, weil sie dieser Organisation in einer beruflichen Stellung angehört haben und wenn andererseits Herr Dr. Schacht freigesprochen wird39) und sehr wahrscheinlich das Wahlrecht ausüben darf, frage ich mich doch, ob das gerecht ist. Auch da müßte man überlegen, ob das, was vor drei Jahren beschlossen worden ist, nicht doch irgendwie nachgeprüft werden kann. Vors. [Dr. Becker]: Wir können doch nicht im Wahlgesetz die Entnazisierungsfragen noch einmal regeln. Walter: Ich glaube nicht, daß eine Bestimmung notwendig ist. Wir sind uns darüber einig, daß Mitläufer das aktive Wahlrecht bekommen. Die Hauptschuldigen und die Betroffenen sind kraft Gesetzes vom Wahlrecht ausgeschlossen. Sie haben keine politischen Rechte und dürfen nach dem Entnazisierungsgesetz überhaupt nicht wählen. Dr. Diederichs: Also ist ihnen das Wahlrecht aberkannt. Also könnte die schlichte Fassung „dem das Wahlrecht aberkannt worden ist" darin stehen bleiben. Wer das anzweifelt, kann die Aberkennung ja anfechten. Ich bin der Meinung, daß man diese Bestimmung von Zeit zu Zeit mildern soll. Ich könnte mir vorstellen, daß der Kreis im Laufe der Zeit kleiner wird, ganz wie die Leute überprüft und langsam entbräunt werden. Ich glaube, ein einfacher Hinweis auf die Aberkennung des Wahlrechts würde genügen. Vors. [Dr. Becker]: Wir müßten uns die verschiedenen Rechtsbestimmungen in den einzelnen Zonen überlegen49). Ich kenne nur die in der amerikanischen Zone.
36) Gemeint sind hier die fünf sog. „Gruppen der Verantwortlichen" des Nazi-Regimes nach Art. I der Direktive Nr. 38 des Kontrollrates: „1. Hauptschuldige; 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer); 3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe); 4. Mitläufer; 5. Entlastete (Personen der vorstehenden Gruppen welche vor einer Spruchkammer nachweisen können, daß sie nicht schuldig sind)." 37) Vgl. unten Anm. 42. 38) NSV: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Ein der NSDAP angeschlossener Verband, gegen dessen leitende
Amtsträger abwärts bis einschließlich Reichsabteilungsleiter Ermittlungen eingeleitet wurden. Vgl. Herwart Vorländer: Die NSV-Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation, Boppard a. Rh. 1988. 39) Dr. Hjalmar Schacht (22. Jan. 1877—3. Juni 1970), ehemaliger Reichsbankpräsident (1933—1937) und Wirtschaftsminister bzw. Minister ohne Geschäftsbereich 1933-1943)
gegen sowjetischen Einspruch vom Nürnberger Gericht 1946 freigesprochen worden. In einem nachfolgenden Spruchkammerverfahren wurde Schacht am 13. Mai 1947 zunächst zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, doch die Berufungskammer in Ludwigsburg sprach ihn am 6. Sept. 1948 zum zweiten Male frei (AdG 1947/48, S. 1091; 1624). 40) In den westlichen Besatzungszonen galten unterschiedliche Bestimmungen über das Entnazifizierungsverfahren und insbesondere über die Einteilung der Betroffenen in die war
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Heiland: In der britischen Zone ist es ab Gruppe III. Vors. [Dr. Becker]: Steht das in den Bestimmungen? Heiland: Zum mindesten in unserem Wahlgesetz41). Vors. [Dr. Becker]: Wenn es in dem Wahlgesetze steht, müssen wir auch etwas darüber hineinschreiben. Dr. Diederichs: Es steht in den Wahlgesetzen verschiedener Länder. Maier: In der französischen Zone steht es in einer Vollzugsregelung zum Wahlgesetz: Alle Mitläufer haben das aktive Wahlrecht, sofern ihnen nicht durch Urteil einer Spruchkammer das Wahlrecht aberkannt wurde. Vors. [Dr. Becker]: Wie ist es in der britischen Zone? Heiland: Wir sagen nicht Mitläufer, wir bezeichnen das als Gruppe IV. Was bei Ihnen Mitläufer ist, hat auch bei uns das Wahlrecht. Vors. [Dr. Becker]: Dann müßten wir sagen: „Mitläufer (amerikanische und französische Zone) und Gruppe IV (britische Zone)", dann hätten wir es genau formuliert. Maier: Wir haben das nicht in das Gesetz aufgenommen, weil das Gesetz ja längere Dauer haben soll, als eine Verordnung, und weil wir damit rechnen, daß diese Entnazifizierung ja einmal abgeschlossen sein wird. Wir haben diese Entnazifizierungsbestimmung in die Vollzugsverordnung aufgenommen, denn die kann ja jederzeit entsprechend geändert werden. Wenn es aber im Gesetz steht und heute irgendeine Änderung in der Entnazifizierung eintritt, muß das ganze Gesetz geändert werden. Dr. Kroll: Wenn die Formulierung dahin lautet, daß nicht gewählt werden darf, wem das Wahlrecht rechtskräftig aberkannt ist, dann ist diese Formulierung so getroffen, daß eine Änderung des Entnazifizierungsgesetzes keine Änderung des Wahlgesetzes nach sich zieht. Ich würde vorschlagen, diese allgemeine Formulierung zu wählen. Wenn bestimmten Leuten in den Entnazifizierungsgesetzen der einzelnen Zonen nicht ausdrücklich das Wahlrecht aberkannt ist, haben wir keine Ursache, päpstlicher zu sein als der Papst. Ich würde nur die allgemeine Formulierung wählen: „Wem das Wahlrecht rechtskräftig aberkannt ist". Was darunter zu verstehen ist, gehört in die Ausführungsbestimmungen42). verschiedenen Gruppen. Ein Vergleich der Einstufung in Bayern und in NRW verdeutlicht dieses Problem: Nordrhein-Westfalen (bis 1. 9.1949) „Bayern (bis 1.10.1949)
Gruppe III Gruppe IV Gruppe V
53 000 216 000 9 000
7 000 67 000 273 000"
(Wirtschaftszeitung Stuttgart vom 10. Dez. 1949, zit. n. Fürstenau, Entnazifizierung, S. 149). Erst am 10. Nov. 1948 einigten sich die Vertreter der amerikanischen und französischen Zone über die gegenseitige Anerkennung von Spruchkammerbescheiden (ebenda). Siehe auch Wenzel, Wahlrecht und Wahlausschluß, S. 48 ff. 41) § 2 LWG vom 22. Jan. 1947, NRW (GVOB1. Nr. 7 S. 69). 42) Kurz vor den ersten Bundestagswahlen stellte die Zeitung „Christ und Welt" eine Übersicht über die Wählbarkeit und Wahlberechtigung in den Ländern der Westzone zusammen, wobei sich die Diskrepanz der Aufstellung aus den unterschiedlichen Entnazifizierungsbestimmungen erklärt (Fürstenau, Entnazifizierung, S. 150): 121
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höbe: So lautet es auch in der Verfassungsbestimmung der Sowjet-Union43). Vors. [Dr. Becker]: Wird das Wort noch gewünscht? Mir scheint die Fassung des Herrn Dr. Kroll vorzuziehen zu sein. Darf ich das so formulieren?
Wahlbehinderung (§2 Abs. 2)] Dann darf ich zu Absatz (2) Behindert an der Ausübung des Wahlrechtes ist, wer a) geisteskrank ist übergehen. Das hatten wir auch im § 2 Abs. 3 des früheren Reichswahlgesetzes von 1924. Ich glaube, gegen diese Formulierung ist wohl nichts einzuwenden. Wir kommen dann zu b) Straf- und Untersuchungsgefangene. Paul: Ich denke, daß man auch da eine andere Haltung einnehmen sollte als [lc.
früher nicht weil ich den kriminellen oder sonstigen Menschen, die sich gedas gen Eigentum oder gesellschaftliche Notwendigkeiten vergangen haben, das Wort reden will. Aber ich bin der Meinung, solange der Mensch noch keinen Ehrverlust hat und keine besonders ehrenrührige Tat begangen hat, soll man ihm nicht das Wahlrecht aberkennen. Vor allen Dingen soll man eine solche Aberkennung nicht auf Untersuchungsgefangene ausdehnen. Das war ja immer ein Streitpunkt. Bei dem Untersuchungsgefangenen weiß man ja noch gar nicht, ob er schuldig ist. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß man auch den Strafgefangenen das Wahlrecht weitgehendst zubilligt, was natürlich bei solchen Strafgefangenen, die wegen Mordes mit Ehrverlust bestraft worden sind, eine andere Frage ist. Wir gehen ja auch mit ganz anderen Voraussetzungen an die Strafvollzugsordnung heran. Ich glaube, wir sollten bei harmloseren Strafgefangenen nicht so hart sein, sie von den staatsbürgerlichen Rechten ohne weiteres auszuschließen. Vor allen Dingen aber darf das nicht bei den Untersuchungsgefange—
nen
geschehen.
„Land
wahlberechtigt
Bayern Bremen
Hamburg Hessen NRW
Schleswig-Holstein
Südbaden Württ.-Baden Württ. Hohenzollern Rheinland-Pfalz Niedersachsen -
wählbar
IV, V III, IV, V IV, V
V
IV, V IV, V IV, V III, IV, V III, IV, V III, IV, V
V V V
ohne
III, IV, V gem. Best. d.
Mil. Reg.
v.
13. 10. 1946
IV, V III, IV, V III, IV, V
Angaben
Bes. VO d. Landes
v. 14. Sept. 1948, wonach d. aktive Wahlrecht bei 17 Arten d. Zugehörigkeit z. NSDAP, d. passive bei 22 solcher Unterarten ausgeschlossen
ist."
der Länder (siehe oben Einleitung) bestimmten im einzelnen die Richtlinien, nach denen Personen vom Wahlrecht ausgeschlossen wurden. Verfassung der UdSSR vom 5. Dez. 1936 (Stalinsche Verfassung). Das Wahlgesetz beruhte auf Art. 2 der „Ordnung für die Wahlen in den Obersten Sowjet der UdSSR", in: Die Verfassungsgesetzgebung des Sowjetstaates. Eine Sammlung von Dokumenten, Berlin [Ost] o. D. [1954], S. 117. Die
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Ausführungsbestimmungen
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Maier: Herr Paul befindet sich in einem Irrtum: das Wahlrecht wird den Unsondern sie sind in der Ausübung nur Wir des Wahlrechts behindert. haben es nicht in der Hand, ob ein Gefängnisdirektor die Untersuchungsgefangenen zur Ausübung ihres Wahlrechts zuläßt. Paul: Das darf doch nicht in der Hand des Gefängnisdirektors liegen, ob der Mann wählen darf oder nicht! Das bestimmt doch die Volksvertretung in einem besonderen Gesetz! Maier: Soweit Ihre Ausführungen die Untersuchungsgefangenen betreffen, haben Sie recht. Heute kann jemand vom Militärgericht wegen irgendeiner geringen Verdächtigung an der Ausübung seines Wahlrechts behindert werden. Schräge: Dabei kommt man aber ins Uferlose. Dr. Diederichs: Soweit die Untersuchungsgefangenen in Betracht kommen, haben wir uns diese Frage hin und her überlegt. Ich habe ganz bewußt diese Kategorie unter dem Buchstaben b) gebracht und nicht unter den Ausschluß. Behindert ist man auch an der Ausübung des Wahlrechts, wenn man zufällig auf Reisen außerhalb des Wahlgebiets ist. (Dr. Kroll: Dann hat man einen Wahlschein!) Da hilft auch kein Wahlschein. Da braucht mir gar nichts vorgeworfen zu werden. Aber ich bin behindert, meine Stimme abzugeben. Es gibt für Untersuchungshäftler folgende Möglichkeiten. Er kann vorgeführt werden, vielleicht sogar in Ketten; oder es wird ein Wahllokal im Gefängnis aufgemacht, was beides für die Ausübung des besten Rechtes eines Staatsbürgers nicht gerade sehr geschmackvoll ist. Es gibt also eine Reihe von Menschen, die am Wahltag aus irgendeinem Grunde an der Ausübung ihres Wahlrechts behindert sind. Und ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt ist die Bestimmung gemacht. Ich gebe zu, daß das ein Pech sein kann. Ich wende mich gar nicht dagegen, daß Untersuchungsgefangene ihr Wahlrecht ausüben. Vielleicht ist irgendein Arzt wegen irgendeiner Denunziation in Untersuchungshaft gekommen, und die ganze Sache stellt sich nachher als harmlos heraus. Wenn nun in der Zeit eine Wahl ist, kann er nicht wählen. Aber ich glaube doch, daß man diese Dinge generell nicht zulassen sollte; denn ich könnte mir vorstellen, daß dann auch technische und andere Schwierigkeiten auftreten. Ich könnte mir auch denken, daß viele Leute zur Wahl gehen und dann einen Ausbruchsversuch machen. Ich habe es unter die Rubrik der Behinderung gebracht, weil ich da alle möglichen Schwierigkeiten sehe. Walter: Ich glaube, es ist aus praktischen Gründen notwendig, die Untersuchungsgefangenen den Strafgefangenen gleichzustellen. Ich darf aber auch darauf hinweisen, daß Untersuchungsgefangene nicht immer nur einwandfreie und völlig harmlose Menschen sind. Nach den Bestimmungen der Strafprozeßordnung wird ja nicht wegen jeder Kleinigkeit ein Haftbefehl erlassen. Aber es gibt auch andere Fälle. Einer wird z. B. wegen Mordes zum Tode verurteilt und legt Revision ein; dann ist das Urteil in der Schwebe und er gilt als Untersuchungsgefangener, und ich sehe nicht ein, daß ein solcher Mann dann wählen darf. Es entstehen dann praktisch Schwierigkeiten für die Gefängnisverwaltung. Aber es entspricht auch nicht der Würde des Wahlrechts, wenn im Gefängnis
tersuchungsgefangenen nicht aberkannt,
—
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aufgemacht wird, oder wenn der „Grüne August" einen StrafgeWahllokal bringt. Und es handelt sich doch nur um eine verhältfangenen kleine von Zahl Leuten, die da in Betracht kommen. nismäßig Dr. Kroll: Ich glaube, daß die Frage beim aktiven Wahlrecht nicht zu entscheiden ist und wir uns ruhig darauf einigen könnten, daß die Untersuchungsgefangenen an der Ausübung der Wahl behindert sind. Die technischen Schwierigkeiten sind bei einer anderen Regelung so groß, daß man zu einer unannehmbaren Lösung kommt. Wie steht es aber mit dem passiven Wahlrecht? Das passive Wahlrecht ist im § 4 a) mit dem aktiven Wahlrecht gekoppelt. Bedeutet diese Hinderung nicht, daß jemand nicht gewählt werden kann? Das müßte geklärt sein. Ich möchte das nur in diesem Zusammenhang vorwegnehmen. Denn dann würde unter Umständen jemand nicht gewählt werden können, und es wäre doch nicht das erste Mal, daß jemand im Zuge einer politischen Auseinandersetzung in ein Beleidigungsverfahren verwickelt wird, und damit würde er dann das passive Wahlrecht verlieren. Ich glaube, man wird Wert darauf legen müssen, daß das nicht eintritt. Der nächste Punkt, auf den ich aufmerksam machen möchte, ist der, daß sich die hier aufgezählten Behinderungen gar nicht mit den tatsächlichen Hindernissen decken. Diese Behinderungsgründe schließen eine gewisse Kategorie von Menschen aus. Nach der Art, in der sich das Wahlverfahren bisher abgespielt hat, wird aber tatsächlich stets eine größere Gruppe von Menschen an der Ausübung ihres Wahlrechts behindert. Ich denke da nur an die Insassen eines Krankenhauses. Es ist bisher nicht üblich gewesen, in Krankenhäusern abstimmen zu lassen. ein Wahllokal zum
—
(Widerspruch) Bei uns jedenfalls nicht! —
(Dr. Diederichs: Dann seid ihr rückständig!)
Da hier unterschiedliche Techniken vorliegen, würde ich sagen, daß man darauf achten muß, daß auch in Krankenhäusern, Altersheimen und Flüchtlingslagern möglichst Wahllokale eingerichtet werden. Das müßte gesichert sein. Ich —
kenne Fälle, wo Flüchtlingslager von der nächsten Gemeinde 10 bis 15 Kilomeentfernt sind und obendrein noch durch einen Höhenzug von ihr getrennt werden. Das sind für eine Wahl sehr ungünstige Bedingungen, die ich nicht für richtig halte. Wenn wir das nicht im Wahlgesetz regeln, wäre doch sicherzustellen, daß es in der Durchführungsverordnung getan wird. Frau Wessel: Ich möchte nochmals auf die Frage der Behinderung zurückkommen, und ich möchte mich nochmals dafür aussprechen, daß die Straf- und Untersuchungsgefangenen an der Ausübung des Wahlrechts verhindert werden müssen, denn ich glaube, wir dürfen in der Humanität nicht zu weit gehen. Irgendwie haben sich Strafgefangene gegenüber der Gemeinschaft vergangen, und auch bei Untersuchungsgefangenen liegen doch immer bestimmte Gründe für ihre Inhaftierung vor. Auch sehe ich da technische Schwierigkeiten. Aus irgendwelchen beliebigen Gründen kann ja ein Mann in einer Demokratie, wie wir sie uns vorstellen, nicht in Untersuchungshaft genommen werden, sondern dafür sind gewisse Voraussetzungen notwendig. ter
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Im übrigen sind, soweit mir bekannt ist, in Nordrhein-Westfalen in allen Krankenhäusern Wahllokale eingerichtet, so daß die Frage der Behinderung durch Krankheit wegfällt. Wo ein Krankenhaus ist, wird selbstverständlich auch ein Wahllokal eingerichtet. Vors. [Dr. Becker]: Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor, oder wird das Wort noch gewünscht? Werden Anträge gestellt zu Buchstabe b? Das ist nicht der Fall. Dann darf ich wohl festhalten, daß wir bei der Ausarbeitung der Wahlordnung vielleicht irgendeine Vorschrift des Inhalts hineinbringen, daß in der Nähe von Flüchtlingslagern, Krankenhäusern usw. nach Möglichkeit Wahllokale eingerichtet werden44). In den Kliniken der Universitäten usw. kenne wir das ja schon seit 20 Jahren. Dann kommen wir zu Buchstabe c) Nicht im Wählerverzeichnis eingetragen ist bzw. keinen Wahlschein hat. Ich möchte mir dazu die Anregung gestatten, in die Wahlordnung auch eine Bestimmung aufzunehmen, daß jeder eingetragene Wähler von der Eintragung benachrichtigt wird. Es ist ja wohl möglich, und es sollte üblich sein, ist aber nach unseren Beobachtungen vielfach versäumt worden. Viele erhalten eine Benachrichtigung, andere nicht, und diese fühlen sich dann verletzt, so daß auch hier wieder eine Wahlmüdigkeit eintreten kann. Wir sollten also eine solche Bestimmung hineinnehmen, damit der Betreffende aus dem Ausbleiben der Benachrichtigung seine Schlüsse ziehen kann. Das ist nicht der Fall. Wird zu § 2 Abs. 2 c) noch das Wort gewünscht? —
—
—
[Id. Stimmenzahl (§ 3)] Dann kommen wir zu §3: Stimmenzahl. Bei der Frage, wie viele Stimmen jeder Wähler haben zu
soll, kommen wir wieder
Spezialfällen.
Dr. Kroll: Ich bitte, diesen Paragraphen mit Rücksicht darauf zurückzustellen, daß diese Frage erst dann entschieden werden kann, wenn wir uns über das einzuführende Wahlsystem klar sind. Vors. [Dr. Becker]: Wird noch das Wort gewünscht? Dann darf ich feststelmit so daß der Ausschuß Mehrheit beschlossen hat. len, großer —
[le. Passives Wahlrecht (§ 4)] zu §4: Fragen des passiven Wahlrechtes, und zwar zunächst a) wer das aktive Wahlrecht hat. Das ist ja wohl klar. Dr. Diederichs: Das wäre das, was Herr Dr. Kroll bei der Frage der Wahlbehinderung angeschnitten hat. Wenn jemand an der Ausübung des Wahlrechts behindert ist, dann hat er das Wahlrecht, aber er ist behindert, davon Gebrauch zu machen. In diesem Paragraphen liegt also gar keine Negative. Eine Behinde-
Wir kommen dazu zu
l) Die Möglichkeit der Stimmabgabe
Einrichtungen" wurde
in den
in
„Krankenhäusern, Altersheimen und ähnlichen
Durchführungsbestimmungen der Länder geregelt. 125
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rung im Wahlrecht ist nur möglich, wenn der Betreffende das Wahlrecht hat, sonst kann er nicht behindert sein. Meiner Ansicht nach bestehen da gar keine
Bedenken. Dr. Kroll: Ich möchte als advocatus diaboli auftreten. Ich könnte mir
vorstellen,
daß sich die Behinderung formal auch auf das passive Wahlrecht erstreckt. Es ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum sich die Behinderung nur auf das aktive Wahlrecht erstrecken soll. Es müßte eine Formulierung gewählt werden, die ersichtlich macht, daß es sich nur um das aktive Wahlrecht handelt. (Walter: Vielleicht genügt die Fassung: „Wer nach § 2 vom Wahlrecht ausgeschlossen ist".) Dann müßte man es negativ formulieren und sagen: „Nicht wählbar ist, wer nach § 2 vom Wahlrecht ausgeschlossen ist". Vors. [Dr. Becker]: Oder man müßte vor dem ersten Absatz sagen: „Aktiv wahlberechtigt ist, wer nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen ist", und dann fortfah—
ren:
„Ausgeschlossen ist, wer ..." kompliziert sich durch
die Geisteskranken, die ebenfalls behindert sind, denen man aber das passive Wahlrecht nicht einräumen will. Dadurch wird ganz deutlich, daß die Formulierung nicht ohne weiteres klar ist. (Diederichs: Wenn eine Partei es für richtig hält, einen Geisteskranken aufzustellen, hätte ich keine Bedenken!) Auf der Bundeslinie ist es nicht wahrscheinlich; auf der Kommunalebene könnte ich es mir unter Umständen vorstellen. Aber das ist eine rein formale Dr. Kroll: Dies
—
Frage.
Vors. [Dr. Becker]: Ich glaube, die Bedenken sind nicht groß. Es ist dieselbe Formulierung wie im Reichswahlgesetz von 1924, und die hat zu keinen Schwierigkeiten geführt. Wir können das also bei der Ausarbeitung berücksichtigen.
Dr. Kroll: Dann würden wir also sagen: „Wählbar ist, wer a) das aktive Wahlrecht hat oder nur nach § 2 Abs. 2 Buchstabe b und c behindert ist". Vors. [Dr. Becker]: Im alten Wahlrecht heißt es: „Wählbar ist jeder Wahlberechtigte". Dann kam das Lebensalter, der Wohnsitz usw. Das war ganz klar. In Absatz 2 kam dann das Ruhen des Wahlrechts wegen Zugehörigkeit zur Wehrmacht, und in § 2 kam die Behinderung. Das war klar: Passiv wahlberechtigt ist nur der, der nicht nach Abs. soundso ausgeschlossen ist. Frau Wessel: Wenn wir das so formulieren, erhebt sich die Frage, ob ein Untersuchungsgefangener, der demnach also das passive Wahlrecht hat und der nun gewählt wird, sofort aus der Untersuchungshaft entlassen werden muß. Ich kann mir allerdings nicht denken, daß eine Partei einen Kandidaten aufstellt, der im Untersuchungsgefängnis ist. Vors. [Dr. Becker]: Einen Strafgefangener der wegen Beleidigung zwei Monate abzubrummen hat: warum nicht?! Es kann sich um eine wunderbare Parole handeln. Das ist doch in Zeiten revolutionärer Wirren durchaus möglich, denken Sie nur an das Sozialistengesetz45), an das Heimtückegesetz46), da werden
45)
Das vom
126
Reichsgesetz „wider die gemeingefährlichen Bestrebungen 21. Okt. 1878
(RGBl. S.
351
der Sozialdemokratie"
ff.) verbot „Vereine, die durch sozialdemokratische,
so-
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doch Märtyrer geschaffen, und es dürfte einer Partei vielleicht geraten erscheisolch einen Märtyrer aufzustellen, auch wenn er noch vier Wochen abzumachen hat. Majestätsbeleidigung und ähnliche Dinge haben doch früher in diesem Zusammenhang eine Rolle gespielt. Ich würde es also ruhig bei dem Text, den Herr Dr. Diederichs vorgeschlagen hat, belassen. Die Begriffe haben sich tatsächlich eingespielt. Frau Wessel: Dann brauchte man gar keine Behinderung, dann könnte man es nen,
lassen, wie
es ist. Vors. [Dr. Becker]: Ich meine, die Begriffe sind wohl klar. Dr. Diederichs: Das aktive Wahlrecht müßte man voraussetzen, und mit der Behinderung ist es ja nicht geschwunden. Das ist nicht der Fall. Vors. [Dr. Becker]: Wird noch das Wort verlangt? Dann kommen wir zu § 4 b) Lebensalter. Im Organisationsausschuß hat man nach dem Entwurf von Herrenchiemsee das 25. Lebensjahr genommen. Das deckt sich auch mit §4 des Reichswahlgesetzes von 192 447). Walter: Ich stelle den Antrag, das vollendete 25. Lebensjahr festzusetzen48). Heile: Jeder soll gewählt werden können, der das Zeug dazu in sich hat. Vors. [Dr. Becker]: Wird das Wort noch verlangt? Es liegt der Antrag Walter vor, das vollendete 25. Lebensjahr festzusetzen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Angenommen. Dann kommen wir zu § 4 c) Wählbarkeit nicht aberkannt. (Dr. Diederichs: Auch das würde sich aus den Bestimmungen des Entnazifi—
—
zierungsgesetzes eventuell ergeben.)
Wir müßten es dann ähnlich formulieren, wie bei § 2 : „Wem nicht rechtsdas Wahlrecht aberkannt ist ." Nach dem Entnazifizierungsgesetz der amerikanischen Zone ist es, glaube ich, so, daß wenn der Spruch noch nicht vorliegt und der Betreffende als Aktivist angeklagt wird, er dann auch das Wahlrecht nicht hat, so daß er es dann erst durch den Spruch wiederbekommt. Wir wollen uns diese Frage bei der Formulierung noch einmal durch
kräftig —
.
.
zialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung bezwecken". Das Sozialistengesetz war befristet und mußte jeweils dem Reichstag zur Verlängerung vorgelegt werden, bis dieser es 1890 endgültig ablehnte. 46) Die „Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung" vom 21. März 1933 (RGBl. I, S. 135), verschärft durch Gesetz vom 20. Dez. 1934 (RGBl. I S. 1269), bekämpfte oppositionelle Meinungsäußerungen nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im privaten Bereich. 47) Art. 45 (1) des Berichts über den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 588); Kurzprot. der 6. Sitzung des Organisationsausschusses vom 24. Sept. 1948 (Drucks. Nr. 102). 48) Hier handelt es sich offensichtlich um ein altes Anliegen Walters. Schon in seinen Wahlreden im Juni 1946 trat er für die Festsetzung des passiven Wahlrechts auf 25 Jahre ein. Diese Forderung hielt er in allen seinen Wahlreden bis zum Zusammentritt des Pari. Rates aufrecht (ACDP NL Walter, 1-112-002/3). 127
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den Kopf gehen lassen. Ich glaube, wir kommen mit den negativen Formulierungen nicht durch, für die Fälle, in denen noch Entnazifizierungsverfahren schweben, die noch zu keinem rechtsgültigen Spruch geführt haben. Dr. Kroll: Die Entnazifizierung wird ja irgendwann einmal abgeschlossen sein, ich weiß nicht, wie es jetzt steht. (Vors. [Dr. Becker]: In Hessen sind es noch 7000 Fälle. Das sind allerdings nur die schwersten Verbrecher!) Kann man das nicht in die Ausführungsbestimmungen bringen? Vors. [Dr. Becker]: Ich weiß nicht, ob man etwas, was eigentlich im Gesetz geregelt sein sollte, in Ausführungsbestimmungen bringen kann. Dr. Kroll: Man kann ja doch davon ausgehen, daß durch den Richterspruch im Entnazifizierungsverfahren klargelegt wird, inwieweit jemand belastet war. Wenn nun ein Verfahren schwebt, oder eine Anklage, die nicht schwerer ist als diejenige Kategorie, die noch zur Ausübung des Wahlrechts berechtigt, dann können sich doch die Ausführungsbestimmungen darauf beziehen. Ich möchte aber vor der Aufführung von Kategorien im Gesetz warnen. Vors. [Dr. Becker]: Es könnte sich höchstens darum handeln, daß man getrennt nach den einzelnen Entnazifizierungsgesetzen hineinschreibt: „Mitläufer oder solche Personen, die nur als Mitläufer angeklagt sind". Dr. Kroll: Man könnte hineinschreiben: „Die Einzelheiten regeln sich nach den
gesetzlichen Bestimmungen".
Vors. [Dr. Becker]: Es richtet sich in den Ländern der amerikanischen Zone dann nach den Entnazifizierungsbestimmungen, solange noch kein Spruch vorliegt; das Wahlrecht ist dort noch nicht aberkannt, es ist aber auch noch nicht zuerkannt. Dr. Kroll: Nach dem Gesetz ist es so, daß zunächst einmal aufgrund der Zugehörigkeit zu einer der genannten Organisationen eine Vermutung aufgestellt wird und das jeder, gegen den noch kein Richterspruch ergangen ist, sofern er unter diese Vermutung fällt, nicht gewählt werden kann. Wir würden es uns aber ersparen, Einzelheiten aus dem Entnazifizierungsgesetz in das Wahlgesetz hinüberzunehmen. Vors. [Dr. Becker]: Die ersten Gesetze müssen wir machen, sonst funktioniert die ganze Geschichte nicht, und ich scheue mich, etwas in die Ausführungsbe-
stimmungen hineinzunehmen, was eigentlich in das Gesetz gehört, weil ich sonst ein Präjudiz schaffe, und weil dann in künftigen Fällen der Minister durch eine Verordnung das zu regeln sich für berechtigt halten kann, was die
hätte machen müssen. Dr. Kroll: Wenn wir die Durchführungsbestimmungen noch machen müssen, was eine Verlängerung des Parlamentarischen Rats nach sich ziehen würde, dann sehe ich auch keine Bedenken, denn dann steht es ja in den Durchfüh-
Volksvertretung
rungsbestimmungen.
Vors. [Dr. Becker]: Wenn diese Wahlordnung Gesetzeskraft erhält: Ja. Wenn es aber eine Verordnung ist? Dr. Kroll: Wir müßten hineinschreiben: „Es regelt sich nach den näheren gesetzlichen Bestimmungen (siehe Entnazifizierungsgesetze in den drei Westzonen)". 128
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(Heiland: So kann man es auch nicht machen, denn Nordrhein-Westfalen hat kein Entnazifizierungsgesetz!) Das ist ja kein Gesetz von Nordrhein-Westfalen, sondern es ist ein Gesetz der Militärregierung. Wie ist das in der englischen Zone? Dr. Diederichs: Unser Entnazifizierungsgesetz ist nicht genehmigt worden, dann aber in ganz ähnlicher Form vom Justizministerium als Verordnung herausgegeben worden49). Aber praktisch war hier auch nicht von den Ländern, sondern von den Zonen die Rede, und da existieren Bestimmungen über diese Dinge. —
(Heiland:
Die
Anordnung
110
besteht50)!
Und in den Wahlgesetzen ist auch etwas über diese Dinge gesagt. Vors. [Dr. Becker]: Wir wollen darüber noch einmal debattieren, wenn wir eine erste Formulierung vorliegen haben. Bei den Bestimmungen über das passive Wahlrecht fehlt die Frage des Wohnsitzes. Dr. Diederichs: Nach Buchstabe a bildet das aktive Wahlrecht die Voraussetzung für das passive. Alle Bestimmungen über das aktive Wahlrecht finden also hier Anwendung, also auch die Bestimmungen über den Wohnsitz. Vors. [Dr. Becker]: Das Reichswahlgesetz von 1924 enthält außer der Voraussetzung der Reichsangehörigkeit, die wir vorhin ohne zeitliche Begrenzung angenommen haben, die weitere Voraussetzung, daß der Wohnsitz ein Jahr dort gewesen sein muß. In Amerika wird für das passive Wahlrecht zum Repräsentantenhaus ein fünfjähriger Wohnsitz und für den Senat ein siebenjähriger je nach Erlangung des Bürgerrechts verlangt, für die Bundespräsidentschaft Geburt im Lande. Deswegen konnte Carl Schurz zwar Senator werden, aber nicht zum Präsidenten gewählt werden51). Walter: Hier muß eine Bestimmung aufgenommen werden, daß der zu Wählende eine gewisse Zeitlang seinen Wohnsitz im Bundesgebiet gehabt haben muß. Es ist nicht tragbar, daß jeder, der vier Wochen vor der Wahl nach Deutschland gekommen und seinen Wohnsitz hier genommen hat, bei der Wahl maßgebend mitzusprechen hat; denn er ist mit den Verhältnissen nicht so vertraut wie jemand, der schon 25 Jahre seinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat. Auch die entsprechenden amerikanischen Wahlrechtsbestimmungen deuten doch mit aller Bestimmtheit darauf hin, daß man hier irgendeine Einschränkung haben muß. Deswegen möchte ich vorschlagen, daß der zu Wählende ein Jahr lang —
49) Verordnung
24. Sept. 1948 über die Einschränkung des Wahlrechts der vom EntnaBetroffenen bei Wahlen zu Vertretungskörperschaften im Lande Niedersachsen (GVOB1. Nr. 29 S. 166). Vgl. auch Fürstenau (Entnazifizierung, S. 130) und Ian Turner: Denazification in the British Zone; in: Ders. (Hrsg.), Reconstruction in Post-War Germany. British Occupation Policy and the Western Zones, 1945 1955, Oxford/New York/München 1989, S. 239-267, hier: S. 264. 50) Militär-Regierung VO Nr. 110 Übertragung der Entnazifizierungsaufgaben auf die Regierungen der Länder (Amtsbl. der Mil. Reg. Brit. Zone Nr. 21, S. 608). 51) Carl Schurz (2. März 1829-14. Mai 1906) emigrierte 1849 in die USA, wo er eine bedeutsame politische Karriere als politischer Berater Präsident Lincolns machte. Der allgemein anerkannte Sprecher der Deutschamerikaner war von 1869 bis 1875 Senator für Missouri und von 1877 bis 1881 Innenminister unter Präsident R. B. Hayes. vom
zifizierungsrecht
—
129
Nr. 5
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29.
September 1948
seinen Wohnsitz im Bundesgebiet gehabt haben muß. Wir können doch nicht jeden, der Deutscher ist und vom Auslande zurückkommt, hier gleich zum Ab-
geordneten wählen lassen.
Vors. [Dr. Becker]: Sie meinen das letzte Jahr vor der Wahl? Walter: Er muß das letzte Jahr vor der Wahl seinen Wohnsitz im
Bundesgebiet
gehabt haben.
Frage geklärt werden, was Bundesgebiet ist. Ich denke hier auch an die Bewohner der Ostzone, an die Bewohner der Gebiete östlich der Oder und Neiße. (Walter: Bundesgebiet sind alle elf Länder!) Soll z. B. ein Deutscher aus Breslau, der im Zeitpunkt der Wahl erst drei Monate hier wohnt, nicht wählbar sein? Er ist genau so Deutscher wie jeder andere, und es würde für ihn eine Zurücksetzung bedeuten, wenn er nicht wählbar Dr. Mücke: Es muß auch die
wäre. Dr. Kroll: Gehört Berlin
zum
Bundesgebiet,
doch wohl nicht? Wie steht
es
da? Vors. [Dr. Beckerl: Im Ghiemseer Entwurf ist vorgesehen, daß Berlin 30 Abgeordnete zum Bundestag und zum Bundesrat zwei oder vier entsendet52). Damit ist klargestellt, daß, wenn Berlin auch insofern nicht Bundesgebiet ist, als sich die Gesetze nicht auf Berlin erstrecken, die Dinge hinsichtlich der Fragen des Wahlrechts, der Wählbarkeit usw. doch so behandelt werden müssen, als wenn Berlin Teil des Bundesgebiets wäre wenigstens die Zonen, in denen eine Freiheit des Wählens gegeben ist. Heiland: Es gehört zu den Behinderten, nicht zu den Ausgeschlossenen! Lobe: Wir müssen darauf aus allgemeinen Gründen Rücksicht nehmen, sonst könnte bei den spät aus Schlesien oder Polen Vertriebenen der Gedanke aufkommen, daß sie im Weststaat nicht als Landesangehörige angesehen werden. Ich wäre dafür, eine Formulierung zu wählen, die das alte Reichsgebiet als maßgebend ansieht, damit wir keine zweitklassige Bevölkerung schaffen, denn es fallen heute immer noch Vertriebene in unser Land ein, und wir müssen sie als Deutsche behandeln. Dr. Kroll: Ich habe die Frage mit Berlin nur deshalb angeschnitten, weil ich mir denken könnte, daß man da drüben unter den Widerstandskämpfern eine gewisse Prominenz hat, die aus politischen Gründen herüberkommen. Denken wir an Reuter53) oder Jakob Kaiser54). Sie könnten nicht gewählt werden, wenn wir die Bestimmung nicht in dem Sinne erweiterten, wie ihn Herr Löbe eben formuliert hat. Die Leute aus Breslau oder Trautenau oder aus dem sudetendeut—
52) Siehe hierzu: Der Pari. Rat Bd. 2, S. 196 ff.; S. 352. 53) Ernst Reuter (29. Juli 1889-29. Sept. 1953), SPD-Politiker und Oberbürgermeister von Berlin (1948—1953). Während der Berliner Blockade (1948/49) war er maßgeblich an der
Stärkung
der Moral in der Berliner
Bevölkerung beteiligt.
54) Jakob Kaiser (8. Febr. 1888-7. Mai 1961), Gewerkschafter, 1945 bis 1947 Vorsitzender der CDU in der SBZ; MdB 1949 bis 1961 und Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen 1949 bis 1957.
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sehen Gebiet wären analog zu behandeln. Andererseits ist es mit dem alten Reichsgebiet auch nicht getan, weil das sudetendeutsche Gebiet nicht dazu gehört und wir für das sudetendeutsche Gebiet keinen ungünstigen Ausnahmezustand schaffen dürfen. Ich glaube nicht, daß diese Frage so einfach ist. Ich bin der Meinung, daß man grundsätzlich eine Sperrfrist haben muß. Ob sie ein Jahr oder zwei Monate betragen soll, wäre noch zu überlegen. Aber sicher ist, daß wir diejenigen Deutschen, die heute unter besonderen Bedingungen leben, die ihnen das Leben in dem Nichtbundesgebiet nicht mehr ermöglichen, nicht unter diese Sperrfrist fallen lassen dürfen. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich bitten, in der Debatte die Frage der Dauer der Reichsangehörigkeit und die des Wohnsitzes zu trennen. Die Dauer der Reichsangehörigkeit betrug im alten Reichswahlgesetz ein Jahr. Vom Wohnsitz war keine Rede, weil wir ruhige Verhältnisse hatten. Dr. Diederichs: Ich habe bei der Aufstellung meines Vorschlages von vornherein vorausgesetzt, daß bezüglich des passiven Wahlrechts in der Frage des Wohnsitzes gegenüber den Bedingungen, die für das aktive Wahlrecht gestellt wurden, keine Unterschiede gemacht werden sollen. Bezüglich des aktiven Wahlrechts haben wir für die Fälle der Vertriebenen ausdrücklich vermerkt, daß wir die Fälle der Vertriebenen usw. entsprechend regeln wollen. Man sollte das auch auf das passive Wahlrecht anwenden; denn gerade jetzt, wo wir über die Ländergrenzen hinausgehen und auf die höhere Ebene kommen, wo wir uns gegen den Vorwurf verwahren, eine Sonderregelung für Westdeutschland zu schaffen, müssen wir jeden Anschein vermeiden, der irgendeinen Verdacht in dieser Richtung rechtfertigen könnte. Deshalb würde ich lieber einmal ein auftauchendes Bedenken zurückstellen und einen Mann durchschlüpfen lassen, zumal es sich in irgendeinem Einzelfall um ein bis zwei Leute handeln kann, als mir eine Laus in den Pelz setzen. Wir müssen uns vielleicht auch daran gewöhnen, bei unseren Gesetzen nicht die extremsten Fälle heranzuziehen, sondern die normalen Fälle in den Vordergrund zu stellen. Ich möchte also doch bitten, hier von Beschränkungen abzusehen, weil man sie uns zu leicht mit Unterstellungen, die wir vielleicht gar nicht gewollt haben, um die Ohren hauen könnte. Aber es ist nicht abzusehen, was die Presse und diejenigen Leute, die ein Geschäft daraus machen wollen, daraus machen werden. Da muß man sehr vorsichtig sein. Heiland: Man könnte aus dieser Schwierigkeit am schnellsten herauskommen, wenn man sich auf eine Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von einem Vierteljahr beschränkte. Das ist die Zeit, die man praktisch als Vorbereitungszeit für eine Wahl in Kauf nehmen könnte. Damit wären wir aus allen Schwierigkeiten heraus und wir machen dieses Wahlgesetz ja nur für den ersten Bundestag. Wenn diese Sache vorbei ist, soll der Bundestag das Weitere regeln. Unter den augenblicklich weniger geklärten polititischen Verhältnissen, und weil noch sehr viele Menschen aus diesen Gebieten, aus Thüringen, aus Mecklenburg usw. kommen, die auf die politische Mitarbeit nicht verzichten wollen und auf deren Mitarbeit wir auch gar nicht verzichten wollen, würde ich mich auf drei Monate beschränken und diese Zeit als für das erste Gesetz ausreichend ansehen. 131
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Dr. Diederichs: Ich möchte auch noch von diesem Vierteljahr absehen. Die Leute müssen ja von irgendwem präsentiert werden, und die Parteien, die sie präsentieren, haben in der Regel einen Namen und einen Ruf zu riskieren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Partei einen völlig unbekannten Mann aufstellt, der gestern über die Grenze gekommen ist. Ich halte also diese Gefahr nicht für so groß. Aber wir legen uns hier eine Schlinge, und wenn es das Malheur will, können wir einen wirklich prominenten Mann aus dem Osten, den wir gern einspannen möchten, nicht nehmen. Es wird sich sowieso nur um ganz exponierte Leute handeln; im allgemeinen wird davon kein Gebrauch gemacht werden können, so daß ich glaube, daß wir eine zeitliche Grenze im Gesetz
nicht einzuschalten brauchen.
überlegen Sie sich die Sache doch reiflich! Haben Sie nicht manchmal den Eindruck gehabt, daß gerade unter den Prominenten, die da gekommen sind, Spitzel sein könnten. Ich habe ihn manchmal gehabt. Und wenn es solchen angeblich Prominenten gelingt, sich auf irgendeine Kandidatenliste zu schwingen, so sieht die Sache vielleicht doch ein bißchen anders aus. Wir sollten das also mit aller Vorsicht betrachten. Ferner eine weitere Frage! Wir haben nun schon so viele Fälle in den Zeitungen gelesen von Bürgermeistern und Landräten, bei denen sich plötzlich herausstellt, was für eine Conduitenliste55) sie gehabt haben, welche sie vorher verschwiegen hatten. Man kann nie wissen, was bei Zugewanderten dahinter steckt, und ich weiß nicht, ob selbst die Parteien in der Lage sind, solche Leute in der kurzen Zeit von drei Monaten auf Herz und Nieren zu prüfen. Wenn wir eine Reichsangehörigkeit von einem Jahr verlangen, kann sich niemand bedrängt fühlen; denn auch die Flüchtlinge, die ja größtenteils schon ein Jahr da sind, sind den Reichsangehörigen gleichgestellt. Wer aus dem Osten kommt, hat die Reichsangehörigkeit ja schon gehabt. Es kann sich nur um die Frage handeln, ob auch eine gewisse Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet einschließlich Berlins vorgesehen werden soll etwa unter dem Gesichtspunkt einer genauen Prüfung nach den Punkten hin, die ich eben angedeutet habe. Sind solche Personen erst gewählt, so können sie doch56) in den Ausschußsitzungen, bei denen sie zuhören können, allerhand erfahren, was vielleicht dem deutschen Ganzen, wenn es irgendwie anders verwendet wird, abträglich sein könnte. Dr. Kroll: Ich glaube, daß sich ihre Wünsche nicht mehr mit § 1 c) decken, denn da ist vom Wohnsitz in dem jetzigen Zweizonengebiet die Rede; dann müßten wir diese Bestimmung vollkommen neu formulieren, und ich glaube, daß sich dadurch die Schwierigkeiten nur noch vergrößern würden, denn dann kommt wieder die Frage der Sudetendeutschen und es kommen noch andere Probleme. Man kann also nicht so verfahren, daß man vom Wohnsitz im Reichsgebiet in irgendeinem Sinne spricht. Dann zur Frage der Sperrvorschrift, die Sie für eine politische Überprüfung der Leute eingeführt wissen möchten. Herr Dr. Diederichs hat mit Recht gesagt, Vors. [Dr. Becker]: Meine Herren,
—
55) Conduitenliste (österr. veraltet): Führungszeugnis, besonders ren.
56) Folgt gestrichen: „in der Staatsleitung oder". 132
von
Beamten und Offizie-
Fünfte Sitzung 29. daß für die
Aufstellung der Kandidaten
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auch wohl eine
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Prüfung durch die
Par-
tei erforderlich sein werde.
(Vors. [Dr. Becker]: Denken Sie an die geheimen Abstimmungen, die wir bei den Primärwahlen bringen wollen!) Ich möchte sogar meinen, daß für die Dinge, die Sie meinen, die drei Monate nicht ausreichen würden. Drei Monate sind eine sehr kurze Frist, und es wird nicht so einfach sein, in drei Monaten einen Lebenslauf wirklich zu klären, zumal heute die Dokumente zum Teil nicht zur Verfügung stehen. Nimmt man aber eine Sperrvorschrift von einem Jahr z. B., dann sind wir wieder der Kritik ausgesetzt, die Herr Löbe hier aufgezeigt hat, dann sieht es so aus, als wollten wir uns gegen die Ostvertriebenen wenden und sie ausschließen. Das alles scheint mir sehr problematisch zu sein. Wir hatten bei den Landtagswahlen in Bayern57) einmal eine sechsmonatige Schutzfrist58), und ich weiß, welche ungeheure Diskussion um diese sechs Monate geführt worden ist. Bei den Gemeindewahlen beträgt die Sperrvorschrift ein Jahr59), und um dieses Jahr ist eine ganz bedeutende Diskussion entbrannt. Ich halte das nicht für sehr günstig. Das Risiko, jemand nicht politisch geprüft zu haben, müssen wir weitgehend den Parteien überlassen. Kommt es in einem Wahlsystem zu sogenannten wilden das ist ein Problem für sich —, so wird es sich nicht verAbgeordneten60) hindern lassen, daß man dieses Risiko eingeht. Ich bin der Meinung, daß uns jede Sperrvorschrift anders ausgelegt wird, da wir ja keinen Kommentar hinzufügen können, und daß sie einfach als Abwehrstellungnahme gegenüber dem Osten gedeutet wird. Ich glaube daher, daß man dieses Dilemma vermeiden höchstens bis auf die und lieber von einer Sperrvorschrift absehen sollte technische Vorschrift der drei Monate. Diese scheint allerdings erforderlich zu sein, um überhaupt die notwendige Eintragung in die Karteien, Register usw. zu sichern. Das ist eine Sache, die man in Kauf nehmen kann. Schräge: Die Bedenken, die der Herr Vorsitzende zum Ausdruck gebracht hat, sind wirklich nicht von der Hand zu weisen. Es ist eine sehr schwerwiegende Frage. Die Praxis hat ergeben, daß Leute kommen und es verstehen, sich Vertrauen zu erwerben. Sie sind führend in den Flüchtlingsorganisationen tätig und sind auch sonst als Persönlichkeiten angesehen; man könnte ihnen also Vertrauen schenken. Und doch hat es sich herausgestellt, daß üble Gesellen darunter sind. —
—
57) Die bayerische Landtagswahl hatte am 1. Dez. 1946 stattgefunden. 58) Art. 6 (12) bayer. LWG. 59) Art. 1 (1) des bayerischen Gemeindewahlgesetzes (Gesetz Nr. 103 über die Wahl der Ge-
meinderäte und der Bürgermeister vom 27. Febr. 1948, GVOB1. Nr. 4 S. 19) sah eine sechsmonatige Sperrfrist sowohl beim aktiven als auch passiven Wahlrecht vor. 60) Einzelkandidaten, die nicht von einer Partei aufgestellt wurden und keiner Fraktion an-
gehören.
133
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Fünfte
(Löbe: scher!)
Das
Sitzung war
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bei Loritz61) auch so, und der
war
sogar ein Einheimi-
Sie sagen, man müsse das Risiko auf sich nehmen. Gewiß, ein Jahr ist sehr lang, und es kann tatsächlich eintreten, daß man uns vorwirft, wir wollten die Gleichberechtigung nicht anerkennen usw. Aber drei Monate sind auch wieder recht knapp. Ohne Sperrvorschrift wird es nicht gehen, besonders wenn wir berücksichtigen, was wir an Spionage aus dem Osten alles erleben. Dr. Kroll: Das wird keine Sperrvorschrift verhindern! Dr. Mücke: Die Nicht-Überprüfbarkeit einer politischen Vergangenheit liegt ja doch im Wesen der Ausweisung. Dem muß man Rechnung tragen. Vors. [Dr. Becker]: Soll ich Ihnen Namen von Herren nennen, von denen ich nicht weiß, ob sie wirklich ausgewiesen sind, oder ob sie nur so tun? Heiland: Wir haben sogar Ärzte gehabt, denen man gestattet hat, ein Krankenhaus zu leiten, und in Wirklichkeit haben sie nicht einmal die Approbation gehabt. Dr. Mücke: Man kann auch nicht sagen, daß Ausweisungen im technischen Sinne nicht mehr erfolgen. Wer jetzt herüberkommt, kommt meistens als politischer Flüchtling, oder es sind Leute, die aus dem Osten kommen, die versucht haben, im Interesse Deutschlands ihre Stellung zu halten, solange sie konnten. Diese Leute können wir nicht vor den Kopf stoßen. Dann wollte ich noch auf eine Frage hinsichtlich des Wohnsitzes hinweisen. Soll der Wohnsitz im Sinne des BGB verstanden werden62), oder soll er mehr eine Frage des Aufenthaltes sein? Hat beispielsweise ein Vertriebener, der in einem Barackenlager untergebracht ist, dort schon seinen Wohnsitz gegründet? Im Sinne des BGB nicht!
(Vors. [Dr. Becker): Doch!) Also
an
diese
Möglichkeit
muß bei der Formulierung ebenfalls
gedacht
werden.
Man muß den Begriff des Wohnsitzes sehr weit auslegen, so daß auch diejenigen, die in Barackenlagern untergebracht sind, wählbar sind; also, daß auch ein Aufenthalt in einem Barackenlager als Wohnsitz im Sinne des Wahlgesetzes aufzufassen ist. Dr. Diederichs: Herr Dr. Becker hat von verschiedenen Reinfällen gesprochen. Diese Fälle sprechen für die These von Herrn Dr. Kroll. Ich meine: keinerlei Sperrvorschriften! Denn in den Kommunal- und Provinzialwahlgesetzen haben wir durchweg Sperrvorschriften von einem Jahr und mehr, und es hat doch nichts geholfen, man ist doch hineingefallen. Nun sagen Sie, die Sperrfristen wären zu kurz. Wir können aber unmöglich in dieses Wahlgesetz noch weitere Fristen einbauen. Wenn das nicht ausreicht, so ist das, was mit einer Sperrfrist
61) Alfred Loritz (24. April 1902-14. April 1979), Gründer und Vorsitzender der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV), war im Kabinett Ehard (CSU) als bayerischer Staatsminister für Sonderaufgaben für die Entnazifizierung in Bayern zuständig. Am 25. Juni 1947 wurde er von seinem Amt enthoben, um im Juli 1947 wegen Verdacht auf Schwarzhandel und Verleitung zum Meineid verhaftet zu werden. Es folgten kurze Zeit später Flucht, nochmalige Verhaftung und schließlich Freispruch (AdG 1948/49, S. 1704). 62) § 7 (1) BGB: „Wer sich an einem Orte ständig niederläßt, begründet an diesem Ort seinen
134
Wohnsitz."
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verdorben wird, viel größer, als das bißchen Risiko, daß wir ein faules Ei in unserem Nest haben. Man kann sowieso keinem Menschen vertrauen. Auch die Panne mit Loritz ist verdaut worden. Man sollte solchen Dingen nicht zu extrem mit Vorschriften vorbeugen wollen, die uns allzu leicht falsch ausgelegt werden. Dr. Kroll: Es ist mehr eine Frage der Presse, daraus keine Sensation zu machen. Im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Dr. Mücke möchte ich fragen, wie es mit den sogenannten illegalen Grenzgängern steht. Illegale Grenzgänger haben keine Zuzugsgenehmigung und sind in Lagern. Wir haben in Hof ein großes Lager für solche Grenzgänger. Der Einlauf beträgt augenblicklich im Durchschnitt etwa 100 Personen pro Tag. Daraus ergibt sich nun folgendes Problem. Die Betreffenden haben keine Zuzugsgenehmigung. Und nun ergibt sich die Frage, ob unter den heutigen Begrenzungen zur Begründung eines Wohnsitzes nicht eine Zuzugsgenehmigung erforderlich ist. Ich glaube nicht, daß man heute einen Wohnsitz begründen kann, wenn man von außen kommt, ohne eine Zuzugsgenehmigung zu besitzen. Das ergibt sich auch daraus, daß die Flüchtlinge keine Karten bekommen. Sie sitzen aber oft viele Monate, ja, sogar länger als ein Jahr in diesen Lagern, und das ist das Entscheidende. Sie sind praktisch politisch Entrechtete. Ich glaube, daß wir unser Augenmerk noch einmal auf diese Probleme richten müssen. Wenn der Begriff des Wohnsitzes nicht geklärt ist, ist er doppeldeutig. Ich könnte mir denken, daß man heute sei es auch nur in einer Verordnung erklärt, daß zur Erlangung des Wohnsitzes die Zuzugsgenehmigung erforderlich ist. Und dann fällt der Betreffende politisch unter den Tisch. Vors. [Dr. Becker]: Wird das Wort noch verlangt? Dann darf ich die Debatte schließen. Es liegt ein Antrag Walter vor, der einen Wohnsitz von einem Jahr —
—
—
verlangt.
Dr. Kroll: Ich würde das Wort „Wohnsitz" durch das Wort „Aufenthalt" ersetDie Flüchtlinge in den Lagern haben eine vorläufige Aufenthaltsgenehmi-
zen.
gung, aber keinen Wohnsitz. Vors. [Dr. Becker]: Dann steht der Antrag zur Debatte. Wie ist es mit der Da Reichsangehörigkeit? Wollen wir es da beim Gesetz von 1924 belassen? besteht kein Bedenken. Alle die, die aus dem Osten kommen, haben es ja gehabt. Alle die, die aus dem Sudetenland kommen, haben es gehabt63), soweit man die Reichsangehörigkeit auf den 1. September 1939 bezieht64). Das Haupt—
—
;) Mit dem „Gesetz über die Wiedervereinigung der Sudetendeutschen Gebiete mit dem Reich" vom 21. Nov. 1938 (RGBl. I, S. 1641) erwarben die Sudetendeutschen die deutsche Staatsangehörigkeit. Diese bestand auch nach 1945 weiter (Hermann Raschhofer/
Otto Kimminich: Die Sudetenfrage. Ihre völkerrechtliche Entwicklung vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, München 21988, S. 269 ff.; vgl. auch Karin Schmid: Staatsangehörigkeitsprobleme der Tschechoslowakei. Eine Untersuchung sowie Dokumente zur Staatsangehörigkeit der deutschen Volksangehörigen, Berlin 1979, bes. S. 74—95). ) Stichtag war der Beginn des Zweiten Weltkrieges mit dem deutschen Überfall auf Polen. Dieses Datum warf jedoch insofern große Probleme auf, weil Deutschland bis zu diesem
135
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kontingent der Flüchtlinge ist überdies schon ein Jahr da, so daß wir da keine Schwierigkeiten haben werden. Schwierigkeiten entstehen nur bei denen, die nachsickern. der Reichsangehörigkeit, sondern vom Aufenthalt. haben wir schon bei der Frage des aktiven Wahlrechts geklärt. Und jetzt wollen Sie sagen: Außerdem noch ein Jahr Aufenthalt vor Der dem Tage der Wahl. Wer dafür ist, den bitte ich die Hand zu erheben. Antrag ist mit 5 :3 Stimmen abgelehnt. Wird der Antrag mit den drei Monaten aufrechterhalten? Sie
Die
sprechen nun nicht Reichsangehörigkeit
von
—
(Heiland: Nein!)
liegen keine weiteren Anträge mehr vor. Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß wir die Sitzung jetzt schließen. Fortsetzung morgen um 9.00 Uhr mit der heutigen Tagesordnung. Dann
—
Tag bereits Österreich, das Sudetengebiet sowie Böhmen und Mähren dem Reich ange-
gliedert hatte. Aus diesem Grund setzte man schließlich als Stichtag den 31. Dez. 1937 fest und folgte damit dem Beispiel der Landeswahlgesetzgebung in den Ländern der französischen Zone (vgl. Wenzel, Wahlrecht und Wahlausschluß, S. 44 f.).
136
Sechste Sitzung 30.
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Nr. 6
Nr. 6
Sechste
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 30. September 1948
Z 5/82, Bl. 242-2821). Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 77-79, Drucks. Nr. 156
Anwesend2) : CDU/CCSU: Kroll (zeitweise),
Schräge,
Schröter) SPD: Stock,
Frau
Wortprot.
Weber3) (für Walter), Rönneburg4) (für
Maier (für Menzel), Diederichs (Vors.), Kuhn FDP: Becker (zeitweise) KPD: Paul (für Reimann) Mit beratender Stimme: Frau Wessel (Z), Löbe (SPD) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 11.50 Uhr Beginn 9.00 Uhr
Den Vorsitz führte während der
(für Heiland)
Sitzung der stellvertretende Vorsitzende Diede-
richs.
[1. ZUR ARBEITSPLANUNG]
[la. Ladung des Sachverständigen Dr. Luther] Vors. [Dr. Diederichs]: Da Herr Dr. Becker nachher noch in einen anderen Ausschuß geht5), hat er mich gebeten, den Vorsitz zu übernehmen. Ich eröffne die heutige Ausschußsitzung. Zu Beginn der Verhandlungen befaßt sich der Ausschuß mit der Einladung des Botschafters a. D. Dr. Luther6) und des Abgeordneten Dr. Wagner7), über die Er-
J) Bl. 283 (S. 16 der ursprünglichen Zählung) wurde neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Dr. h. c. Helene Weber (21. März 1991-25. Juli 1962, NRW, CDU, war Mitglied der Wei-
Nationalversammlung und MdR von 1919 bis 1933. Nach dem Krieg war sie Mitdes Zonenbeirats; im Pari. Rat gehörte sie dem Grundsatzausschuß an. Heinrich Rönneburg (8. Jan. 1887-1. Sept. 1949), Niedersachsen, CDU, war MdR (DDP) von 1924 bis 1929, 1945 bis 1949 Landrat und Oberkreisdirektor des Kreises Wolfenbüttel. Im Pari. Rat war Rönneburg stellv. Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion und Mitglied des Hauptausschusses. Becker wohnte dem zur gleichen Zeit einige Räume weiter tagenden Ausschuß für Organisationsfragen bei. Ähnlich wie Becker wechselte auch der CDU-Abgeordnete Kroll während der Sitzung in diesen Ausschuß, der sich an diesem Tag mit der Fortsetzung der ersten Lesung des Abschnitts Bundesregierung befaßte. Auch die Wahlrechtsausschußmitglieder Walter (CDU) und Heiland (SPD) nahmen an dieser Sitzung teil (Drucks. Nr. 112). Siehe oben Dok. Nr. 4, Anm. 6. Siehe oben S. 107. marer
4)
5)
6) 7)
glied
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Sechste Sitzung 30.
fahrungen zu
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mit dem Mehrheitswahlrecht in den
halten, und beschließt, beide Vorträge
am
Vereinigten Staaten ein Referat Dienstag, 5. Oktober um 15.00
Uhr anzuhören.
[Ib. Eingabe
Dr.
Kaufholdt]
Es ist noch ein umfassender Wahlrechtsvorentwurf eingegangen, und zwar von einem Herrn Dr. Kaufholdt aus Gütersloh, der noch ein anderes System vorschlägt8). Es wäre vielleicht interessant, wenn sich einer der Herren, der sich für diese Dinge interessiert, kurz darüber informierte und dem Ausschuß einen Bericht darüber gäbe, ob dieser Vorentwurf diskutabel ist oder nicht. Ist jemand dazu bereit? Ich stelle keine große Neigung fest. Dann will ich versuchen, die Zeit zu erübrigen, mich kurz damit zu befassen, und werde dem Ausschuß vielleicht in der nächsten Woche kurz darüber berichten9). —
Mitteilung Rechtsamt der Verwaltung] Dann ist noch folgende Mitteilung vom Leiter des Rechtsamtes der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes10) eingegangen11): Deutsche Staatsangehörige, die als deutsche Zivilarbeiter in Frankreich arbeitsverpflichtet sind12), haben den Wunsch ausgesprochen, daß sie bei künftigen Wahlen für ein Deutsches Parlament aufgrund eines vom Parlamentarischen Rat in Bonn verabschiedeten Grundgesetzes zur Wahlbeteiligung zugelassen werden. [lc.
Ich halte es für erwünscht, wenn der Wahlrechtsausschuß diese Frage bei seinen Arbeiten berücksichtigt und weise auf einen Vorgang von Anfang 1919 hin, der einen gewissen Vergleich erlaubt: bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Januar 1919 war den Angehörigen des deutschen Ostheeres, die noch außerhalb der Landesgrenzen standen, gesetzlich die Möglichkeit gegeben worden, ungeachtet der damaligen innerdeutschen Wahlkreiseinteilung zwei Abgeordnete zur Weimarer Nationalversammlung zu
wählen13). 8) Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 121. 9) Zu einer Berichterstattung über den Entwurf Kaufholdt kam 10)
es nicht; vgl. unten Dok. Nr. 7, TOP 3. Leiter des Rechtsamtes der Verwaltung war der hessische Staatssekretär und MdPR Dr. Walter Strauß (CDU). Das Rechtsamt hatte u. a. die Überprüfung der rechtsförmlichen Richtigkeit von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen vor ihrer letzten Lesung im
Wirtschaftsrat zur Aufgabe (siehe Vogel, Westdeutschland III, S. 528). ") Strauß an Becker vom 27. Sept. 1948, IfZ NL Strauß ED 94/119, Bl. 36. 12) Von den zu Beginn des Jahres ca. 300 000 internierten deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich hatten sich etwa 137 000 freiwillig arbeitsverpflichtet (AdG 1948/49, S. 1318). 13) Zum Schutz der deutschen Interessen standen auch noch nach Kriegsende deutsche Armeeverbände im Baltikum, um das Ubergreifen der russischen Revolution zu verhindern. Das Wahlrecht der Soldaten wurde garantiert durch die „Verordnung zur Ergänzung der Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung" (Reichswahlgesetz) vom 30. Nov. 1918 (RGBL, 1. Hj. S. 93).
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Dazu kann ich ergänzend mitteilen, daß die Angehörigen der englischen Armee, soweit sie sich bei der Besatzungstruppe in Deutschland befinden, bei den Wahlen zum englischen Parlament die Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben. Man müßte die deutschen Zivilarbeiter ihnen gleichstellen. Ich würde empfehlen, daß sich die Redakteure dieses Gesetzes überlegen, wie sie diesen Wunsch berücksichtigen können. Man könnte das so machen, daß der Wohnsitz dieser Leute im Bundesgebiet nicht erlischt und daß man die Möglichkeit dafür schafft, daß sie ihre Stimme schriftlich abgeben. Schwierig ist das Problem der Wahrung der geheimen Abstimmung. Man könnte höchstens sagen, daß sich die Leute auf irgendeine Weise in den Besitz des Wahlscheines setzen und dann gehalten wären, ihren Stimmzettel an ihren Heimatort zu senden, wo er am Tage der Wahl mit in die Urne zu tun wäre. (Stock: An den Wahlvorsteher des Heimatortes!) Das wäre eine Möglichkeit. Das müßte man sich überlegen. Ich glaube, daß diese Anregung Berücksichtigung verlangt. Wir werden sie dem Redaktionsaus—
schuß
übergeben14). [2. BESPRECHUNG DES VON DR. DIEDERICHS VORGELEGTEN STRUKTURENTWURFS (DRUCKS. NR. 128 A ; FORTSETZUNG))
[2a. Passives Wahlrecht (§§ 5-7)] Wir kommen
zu
§5: Mandatsannahme. Meiner Auffassung nach ist
es
selbst-
Wir sind uns also verständlich, daß ein Mandat angenommen werden muß. darüber einig, daß ein Mandat der Annahme bedarf. §6: Mandatsverlust. Diese Dinge sind im § 5 des Reichswahlgesetzes von 1924 —
Das ist nicht der Fall. Dann würWird dazu das Wort gewünscht? den wir in das Gesetz ähnliche Bestimmungen bezüglich des Mandatsverlusts aufnehmen. § 7: Mandatsdauer. Das wäre also die Frage nach der Dauer der Legislaturperiode eines Bundestags. Früher hatte der Reichstag wohl eine vierjährige Legislaturperiode15). Bei den meisten Landtagen ist es, glaube ich, ebenso16). Besteht Einigkeit darüber, daß wir da auch vier Jahre nehmen? Möglicherweise steht
geregelt.
—
14) Entsprechende Unterlagen konnten nicht ermittelt werden. § 1 (3) des als
ersten Wahl-
gesetzentwurf vorgelegten Vorschlag Diederichs' sah für alle Deutschen im Ausland das Wahlrecht vor „wenn sie Aufnahme in die Wählerliste gefunden haben" (siehe unten
Dok. Nr. 20). 23 der Weimarer Reichsverfassung (Anschütz, Verfassung, S. 188 f.). In der Kaiserzeit gab es bis zum 19. März 1988 eine dreijährige, seitdem eine fünfjährige Legislaturperiode (RGBL, S. 110). ie) Während die Länder der französischen und amerikanischen Besatzungszone eine vierjährige Legislaturperiode einführten, sahen die Verfassungen der britischen Zone vorbehaltlich einer endgültigen Regelung in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eine dreijährige und in Niedersachsen eine vierjährige Landtagsperiode vor (Tannert, Landeswahlgesetze, S. 5).
15) Art.
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das ja auch in der Verfassung17); dann brauchte diese Frage im Wahlgesetz nicht besonders behandelt zu werden. Besteht Einigkeit darüber, daß das in die
Verfassung hineingehört? (Zustimmung.)
Also würden wir hier höchstens einen Hinweis auf die Verfassung nötig haben. Maier: Ich würde empfehlen, es trotzdem hineinzuschreiben. Jedes Gesetz sollte möglichst vollständig sein und keine Verweisungen enthalten. Nur müßten wir dann warten, welche Bestimmung die Verfassung trifft. Vors. [Dr. Diederichs]: Wir könnten hier einen Hinweis auf die Verfassung bringen. Dabei kann man die Verfassungsbestimmung ja wiederholen, damit man nicht erst die Verfassung aufzuschlagen braucht. —
[2b. Zahl der Abgeordneten und der Wahlkreise (§§8-9)] Wir kommen dann zu //. Zahl der Abgeordneten und der Wahlkreise. Das ist eine Frage, die sicherlich von umfassender Bedeutung ist, die aber in einem engen Zusammenhang mit § 3 (Stimmenzahl) steht. Denn es ist natürlich entscheidend, ob wir zum Mehrheitswahlrecht mit Einmannwahlkreisen kommen dann wird die Zahl der Wahlkreise erheblich größer werden —, oder ob wir zu einem System kommen, in dem in großen Wahlkreisen nach einem Proporzsystem irgendwelcher Art mehrere Abgeordnete gewählt werden. (Paul: Der Grundsatz muß zunächst geklärt werden!) Da wir beschlossen haben, uns über diesen Grundsatz erst in der nächsten Wo—
che nach der Anhörung der beiden Sachverständigen schlüssig zu werden18), müßten wir diese Bestimmung bis dahin zurückstellen. Dann wird also § 8 bis zur nächsten Woche zurückgestellt19). Wir wollen aber festhalten, daß wir nächste Woche, wenn wir die Sachverständigen gehört haben, diese Frage zum Abschluß bringen; sonst kann das Gesetz nicht formuliert werden. Dasselbe trifft zu auf § 9: Zahl der Wahlkreise20).
[2c. Wahlvorbereitungen (§§ 10-14)]
Wahlvorbereitungen, und zwar §10: Bestimmung des Frage, die mir etwas schwierig erscheint. Wer ist die für den ersten Bundestag den Wahltermin festzusetzen21)? kompetente Stelle,
Wir kommen dann zu III. Wahltermins. Das ist eine
17) 18) 19) 20) 21)
140
Dies wurde in Art. 39 GG i. d. F. oben TOP 1 d. Siehe unten Dok. Nr. 8 TOP 4 a.
Vgl.
von
1949
geregelt.
Ebenda. Den Wahltermin setzten die Ministerpräsidenten der Länder am 10. bzw. 14./15. Juni 1949 in Schlangenbad auf den 14. Aug. 1949 fest (BGBl. S. 25; siehe Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 46, TOP 2 und Dok. Nr. 49 B, TOP 1, S. 552 u. 594; vgl auch ebda. Nr. 36 TOP 6, S. 468; siehe auch oben Abschnitt 2 c der Einleitung). Die relativ späte Terminierung der Wahl wurde allgemein als kleine Niederlage der Unionsparteien gewertet (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 51, Bespr. zwischen General Koenig und den
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Paul: Da könnten wir höchstens einen Vorschlag machen, z.B.: zwei Monate nach Fertigstellung der Verfassung. Aber das hängt davon ab, ob die Verfassung dem Volke zur Entscheidung vorgelegt wird, oder ob nur die Landtage darüber beschließen. Vors. [Dr. Diederichs]: Diese Frage ist bis jetzt noch offen. Paul: In Dokument 2 steht: Volksabstimmung22). Vors. [Dr. Diederichs]: Oder Ratifizierung durch die Landtage. Diese Frage ist
offengelassen.
Dr. Kroll: Da der Parlamentarische Rat den Zeitpunkt der Wahl nicht bestimkann23), wäre zu überlegen, ob man nicht einen Hinweis des Inhalts
men
macht, daß die Festlegung des Wahltermins meinetwegen den Ministerpräsideneinzigen Stelle, die überhaupt noch eine Zwischenfunktion erfüllen kann, überlassen bleibt. Das ist ja eine rein technische Frage. Allerdings müßten wir eine Bestimmung aufnehmen, daß nach Verabschiedung der Verfassung ten als der
eine bestimmte Frist festzusetzen ist, innerhalb deren die Wahl stattfinden muß. Vors. [Dr. Diederichs]: Eine Frist müssen wir auf jeden Fall hineinsetzen. Man könnte vielleicht die Stelle, die dazu berechtigt ist, in diesem Gesetz offen lassen. Das ist auch sehr schwierig. Man müßte sich schon hier darüber schlüssig werden, wem man dieses Recht in die Hand geben will. Man müßte diese Instanz aber durch eine Frist binden, damit sie den Termin nicht vollkommen willkürlich hinausschieben kann. Wenn wir eine Frist hineinsetzen und das Kollegium der elf Ministerpräsidenten als das zuständige Gremium bezeichnen, dann müßten die sich darüber klar werden, wann innerhalb dieser Frist die Wahl durchzuführen wäre24). Dr. Kroll: Es gibt noch eine andere Möglichkeit, daß noch ein Ausschuß des Parlamentarischen Rats gebildet wird, der mit der Abwicklung von rein technischen Fragen beauftragt wird. Ich glaube, daß überhaupt Schwierigkeiten entstehen werden, wenn dieser Ausschuß nicht gebildet wird, weil vermutlich außer dieser Wahlfrage auch noch andere rein formale, technische Dinge offen bleiben werden. Aber ich bin der Meinung, daß wir vielleicht da noch warten können, bevor wir diese Dinge fixieren, bis wir sehen, ob ein Übergangsausschuß gebildet wird oder nicht25).
Regierungschefs der französischen Zone in Baden-Baden am 16. Juni 1948, S. 612). Vor allem Adenauer hatte auf eine schnelle Durchführung der Wahlen möglichst schon in der zweiten Aprilhälfte 1949 gedrängt (Schreiber an Blankenborn vom 14. Dez. 1948, —
Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 207). 22) Paul meint hier das Dokument Nr. I der „Frankfurter Dokumente" vom 1. Juli 1948 (Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 4, S. 30 ff.). 23) Die Bestimmung des Wahltermins oblag insofern den Allierten, als daß sie das Grundgesetz erst genehmigen mußten, bevor die Wahlen zum ersten Bundestag überhaupt aus—
geschrieben werden konnten.
24) Diese Frist wurde in § 22 auf drei Monate festgesetzt. 25) Der Überleitungsausschuß unter Vorsitz von Anton Pfeiffer wurde mit Beschluß des Pari. Rates am 6. Mai 1949 gebildet (Drucks. Nr. 881). 141
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Lobe: Für die Erledigung der Formalitäten wird es wahrscheinlich auch wieder darauf hinauslaufen, daß ein Bundeswahlleiter eingesetzt wird, wie ja früher auch ein Reichswahlleiter eingesetzt wurde, der von sich aus bestimmte Rechte hinsichtlich der Festlegung von Terminen hat. Für uns wird es darauf ankommen, ob dieser Wahlleiter von den elf Länderregierungen oder von einem Ausschuß des Parlamentarischen Rats eingesetzt wird. Ich glaube, es genügt, wenn man sagt: 1 Monat oder 2 Monate nach Feststellung des Wahlgesetzes und der Verfassung muß die Wahl spätestens stattfinden. Denn der Termin kann von Volksabstimmungen abhängig sein, er kann von Ländergenehmigungen abhängig sein, oder auch von neuen Eingriffen der Besatzungsbehörde. Deshalb wird man einen Eventualtermin ansetzen und die Frist mit der Fertigstellung beginnen lassen. Vors. [Dr. Diederichs]: In diesem Sinne sind wir uns wohl alle einig. Dann können wir diese Frage als erledigt betrachten. Wir kommen zu §11: Bestellung von Wahlleitern und Ausschüssen. Das ist dann die Gliederung. Das ist in allen Länderwahlgesetzen irgendwie festgehalten, auch in dem Wahlgesetz von 1924. Dr. Kroll: Ich darf darauf hinweisen, daß die Wählergesellschaft den Vorschlag gemacht hat, den Hauptwahlleiter von Hessen mit seinem Sitz in Frankfurt zum Bundeswahlleiter zu bestimmen26). Das könnte man wenigstens überlegen. Dann wäre jemand bestimmt, der für die gesamte Abstimmung verantwortlich ist. Im übrigen wird es ja so sein, daß die örtlichen Wahlleiter bereits von den Ländern bestellt werden können, damit man da nicht eine neue Organisation aufzuziehen braucht d. h. unter der Bedingung, daß wir nicht zu einer völligen der Wahlkreise kommen. Neueinteilung Vors. [Dr. Diederichs]: Nun ist damit zu rechnen, daß wir für die Bundeswahlen ganz anders geformte Wahlkreise bekommen werden als für die Kommunaloder Länderwahlen usw. Das ergibt sich schon aus dem ganz andersartigen Wahlgebiet und der ganz andersartigen Wahlaufteilung. Dr. Kroll: Ich habe gemeint, daß man nicht auf die alten Kreisgebiete zurückgreift, sondern völlig neue Gebiete schafft, die also möglicherweise auch neue Grenzen haben. Sonst wäre es so, daß die Oberbürgermeister und Landräte die Kreiswahlleiter wären; und wenn mehrere Kreisgebiete an sich zusammengefaßt werden, ohne daß es zu schwierigen Neuabgrenzungen kommt, wäre es denkbar, daß die Landesregierungen aus diesem Gremium jeweils einen bestimmen, der Hauptwahlleiter wird. Das würde an sich technisch keine Schwierigkeiten machen, wenn wir das den Landesregierungen überließen. Schwierig wird die Sache nur, wenn wir zu völlig neuen Kreiseinteilungen kommen, die mit den alten Kreisgrenzen nichts mehr zu tun haben. Vors. [Dr. Diederichs]: Vor allem dann, wenn sich die Ländergrenzen evtl. überschneiden, was bei kleinen Ländern, die allein vielleicht nicht einmal einen vollen Wahlkreis ergeben, sicher leicht passieren kann. —
2B) § 2 (1) Entwurf ler, 1948, S. 2. 142
eines Gesetzes
zur
Parlamentswahl des Deutschen Bundes, in: Der Wäh-
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Dr. Kroll: Dann müßte man den Bundeswahlleitern die Benennung der Kreiswahlleiter wohl überlassen. Ich glaube nicht, daß wir in der Lage sind, hier von uns aus eine Verwaltungsanordnung in dieser Spezialisierung noch heraus-
zubringen.
Vors. [Dr. Diederichs]: Man wird da doch einen Wahlausschuß bilden, der aus den verschiedenen Parteien zusammengesetzt worden ist, um auf diese Weise eben eine entsprechende Garantie für eine absolut objektive Einteilung zu haben, und auch bezüglich der Berufung und der Auswahl der Wahlleiter in den unteren Instanzen. Darüber sind ja im Reichswahlgesetz von 1924 und auch in anderen Länderwahlgesetzen so verschiedenartige Bestimmungen vorhanden, daß es keine Schwierigkeiten macht, sie auf das neue Gesamtwahlgebiet entsprechend zuzuschneiden. Ich glaube, wir können das den Redakteuren überlassen; denn es wird uns ja nachher vorgelegt, und wir können evtl. notwendig erscheinende Korrekturen an den Texten vornehmen. Kuhn: Ich habe den Eindruck, daß die Einteilung der Wahlkreise gegebenenfalls eine politische Frage erster Ordnung wird. (Dr. Kroll: Die kann ja hier vorgenommen werden!) Ebenso die Frage, ob diese Angelegenheit irgendwie im Ausschuß vorberaten werden soll. Es müssen Leute sein, die die Technik dieser Wahlkreiseinteilung genau kennen, so daß die Angelegenheit selber hinterher ans Plenum gehen kann. Vors. [Dr. Diederichs]: Da kann ich mitteilen, daß der Ausschußvorsitzende auf einen Beschluß in einer unserer ersten Sitzungen einen Brief an die Ministerpräsidenten bzw. an die Oberbürgermeister der Hansestädte diktiert hat, in dem er bittet, uns die Wahlkreiseinteilung mit Bevölkerungsziffern und allem, was dazu gehört, einschließlich Karten ihres bisherigen Wahlbereichs zugehen zu lassen27)- Herr Dr. Becker und ich haben auch die Frage erörtert, ob man sie auffordern sollte, uns nun ihrerseits andere Vorschläge bezüglich der Einteilung von Wahlkreisen zu machen. Wir haben davon abgesehen, weil sich gar nicht übersehen läßt, wie groß solche Wahlkreise werden. Das ist nach meinen Erfahrungen eine so schwierige und häufig so strittige Angelegenheit, daß wir solche Vorschläge frühestens in einem Vierteljahr von den einzelnen Ländern bekommen hätten. Wir waren uns deshalb darüber einig, das Material so anzufordern, wie es dort vorliegt, dann besteht keine große Schwierigkeit und wir haben gewisse Anhaltspunkte, nach denen evtl. eine Einteilung erfolgen kann. Wenn wir nun zu verhältnismäßig großen Wahlkreisen kämen, wäre die Einteilung wahrscheinlich wesentlich einfacher, als wenn wir zu lauter Einzelwahlkreisen kommen; denn dann würde es ein sehr kompliziertes Verfahren werden, und wir würden Tage brauchen, bis wir zu einer einigermaßen brauchbaren Lösung kämen. Wenn man sich vorstellt, daß wir die 46 Millionen in Wahlkreise zu je 100 000 Einwohnern einteilen, so würden wir 460 Wahlkreise bekommen. Diese 460 Wahlkreise so gegeneinander abzugrenzen, daß wir nicht in jedem Fall einen Sturm der Entrüstung hervorrufen, dürfte sehr schwierig sein.
27) Siehe oben. Dok. Nr. 2, Anm.
98.
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Wir werden also bezüglich der Aufstellung von Wahlleitem und -ausschüssen in Anlehnung an die bisherigen Wahlrechte die allgemeinen Bestimmungen
ausarbeiten, die dann durch Ausführungsbestimmungen sachlich ergänzt werden müßten28). Wir kommen dann zu § 12: Wählerlisten/Termine. Auch das sind alte Erfahrunden Länder- und Kreiswahlen weitgehende Erfahdie Termine zur Auslegung der Wählerlisten, Auslang ungefähr stellung der Wahlscheine sein müssen. Also auch da können wir durchaus in Anlehnung an frühere Beispiele verfahren. Das ist eine mehr technische Angegen. Da hat rungen, wie
man
ja auch
aus
legenheit.
Wir kommen dann zu § 13: Wahlvorschläge/Termine. Das sind also die Vorschläge der Parteien für die passive Wahl mit den entsprechenden Terminen. Das müßte im Gesetz auch entsprechend geregelt werden. Kuhn: Muß dieser Paragraph nicht vielleicht einen Hinweis auf die Änderungen, die das Gesetz gegebenenfalls über die Parteien bringt, enthalten? Ich meine also, daß die Kandidaten auf demokratischem Wege ausgewählt sein müssen. Es ist Ihnen bekannt, daß z. Zt. gewisse Vorschläge für ein solches Gesetz
vorliegen.
Vors. [Dr. Diederichs]: Für diese erste Wahl können wir kaum damit rechnen, daß wir bis dahin ein sogenanntes Parteiengesetz haben29), sondern wir müssen wahrscheinlich in einem erstmaligen Wahlgesetz detaillierte Vorschriften darüber haben, wer berechtigt ist, Wahlvorschläge zu machen, wie viele Unterschriften notwendig sind usw. Ein Hinweis auf ein anderes Parteigesetz ist nicht möglich, solange ein solches nicht rechtskräftig ist, da wir zur Zeit kein Beschlußorgan haben, das ein für das ganze Bundesgebiet zuständiges Parteiengesetz machen könnte. Das könnte höchstens dieses erste Parlament sein. Daher werden wir nicht darum herumkommen, für ein solches Gesetz detaillierte Vorschriften zu machen. Das kann man auch im Wahlgesetz mit einem Hinweis auf die Wahldurchführungsbestimmungen, wenn man die ganze Materie nicht in das Wahlgesetz selber hineinschreiben will. Aber dieses Gesetz dürfte nicht allzu kompliziert sein hinsichtlich der Einreichung der Wahlvorschläge usw. Dabei bleibt ja praktisch nur die Frage offen, wie die Vorschläge von sogenannten wilden Kandidaten zu behandeln sind, welche Unterschriften und welche Legitimationen sie beibringen müssen, um auftreten zu können. Denn was bisher häufig angestrebt wird, daß man von den Parteien den strikten Nachweis verlangt, daß ihre Kandidaten in Urwahlen von der kleinsten Zelle an bis nach oben hinauf vorgeschlagen und durch die Partei bestimmt waren, während jeder Wilde, der als Einzelkandidat auftritt, diese Bestimmungen praktisch nicht ') Die Abgrenzung der Wahlkreise wurde
von den einzelnen Landtagen vorgenommen und in den Gesetzesblättern vor der Bundestagswahl bekanntgegeben. ') Ein Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) wurde erst am 24. Juli 1967 verkündet (BGBl. I S. 773); allerdings schrieb der Pari. Rat in Art. 21 GG bereits den demokratischen Aufbau der Parteien vor. Zu den Beratungen über diesen Artikel siehe v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, S. 202; vgl. auch Art. 47 (4) des Berichts über den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 589).
144
Sechste einzuhalten braucht, ist fast eine
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Bevorzugung der Parteilosen gegenüber den
einer Partei. In unserer Partei ist es grundsätzlich üblich, daß die Kandidaten in dieser Form durch Delegierte bis in die untersten Parteiorgane
Mitgliedern
hinein vorgeschlagen, bestimmt und durch die Abstimmung gewählt und auf die Liste gebracht werden. Aber wenn man das von den Parteien fordert, dann kann man von dem einzeln auftretenden Kandidaten entsprechend mehr Unterschriften verlangen, damit er überhaupt eine Aktivlegitimation hat, sonst treten wieder solche Braune-Tausend-Markschein-Leute30) auf. Wenn sie auch früher nicht viel Erfolg gehabt haben, so sind sie doch immer geeignet, die Dinge zu diskreditieren. Maier: Wir haben in Baden ein neues Wahlgesetz geschaffen und eine Bestimmung darin aufgenommen, daß nur zugelassene Parteien Vorschläge machen können31), und wir haben sie damit begründet, daß die politischen Parteien die Politisierung unseres Volkes durchzuführen und deshalb auch ein Anrecht haben, diese Forderungen zu stellen, damit nicht wieder Splittergruppen auftreten und das ganze demokratische System in Mißkredit bringen. Ich glaube, wir könnten eine ähnliche Bestimmung auch in dieses Gesetz aufnehmen. Vors. [Dr. Diederichs]: Das ist letzten Endes wieder davon abhängig, ob wir zu einem relativen Mehrheitssystem kommen, wo lauter Einzelkandidanten aufgeda wird man das kaum erreichen können —, oder ob wir zu stellt werden einem Proporzwahlsystem kommen; da ist es ohnehin, wenn wir den Wähler mit mehreren Stimmen ausrüsten und eine Stimmenhäufung nicht zulassen, für den Einzelgänger eine schwierige Angelegenheit, sich gegenüber Parteien, bei denen eine volle Verwertung des Stimmrechts der Wähler möglich ist, durchzusetzen. Nehmen wir an, der Wähler hätte im großen Wahlkreis die Verfügung über 6 Stimmen und würde einen Einzelgänger wählen und auf die restlichen 5 Stimmen verzichten, so würde dieser Einzelgänger niemals zum Ziel kommen können. An sich halte ich das nicht für bedenklich; denn man sollte es vermeiden, Einzelgänger, die mehr oder minder eine Blankovollmacht wünschen, in die Parlamente einziehen zu lassen. Jedes Argument gegen kleine Gruppen und Parteien wird sofort hinfällig, wenn man gestattet, daß Leute, die sich überhaupt in keiner Partei befinden, mit verhältnismäßig wenigen Unterschriften kandidieren. Dann hat man statt 8 bis 9 Parteien 30 bis 40 Wilde sitzen, die sich jeden Tag woanders assimilieren können. Ich glaube, daß das die parlamentarische Arbeit nicht erleichtert, wenn man wilden Kandidaten zu leichte Möglichkeiten gibt, sich zu präsentieren und mit Stimmenhäufung Mandate zu erzielen. Diese Frage ist also von dem System abhängig, auf das wir uns letzten Endes grundsätzlich einigen werden. Lobe: Bei der Entwicklung der Weimarer Republik war es so, daß sechs Parteien in die Nationalversammlung einzogen: zwei Rechtsparteien, zwei Mittelparteien und zwei Linksparteien. Sie haben sich dann so aufgegliedert, daß wir —
30) Gemeint sind Einzelkandidaten, die sich selbst aufstellten und die Kosten für die Wahl trugen. Der Tausendmarkschein war im Kaiserreich braun. 31) § 7 (1 c) Badisches Landesgesetz vom 7. Juli 1948 über die Landtagswahlen, Kreiswahlen und Gemeindewahlen, in: GVOB1. Nr. 30, S. 105. 145
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schließlich elf oder zwölf Parteien und noch ein paar kleine Gruppen hatten32). Die umfangreichste Kandidatenliste zählte 38 Bewerbergruppen, und von diesen sind in der schlimmsten Zeit elf bis zwölf zum Zuge gekommen. Die Zersplitterung war stärker in der Mitte und auf der Rechten, als auf der Linken, wo irn wesentlichen nur zwei Parteien blieben33). Wenn wir nun verhindern wollen, daß z. B. wieder eine Aufwertungspartei die war es früher, diesmal könnte es eine Partei der Flüchtlinge sein sich aufmacht, dann wird man dem nicht anders entgegentreten können, als durch schwere Bedingungen für die Kandidatur. Ich weiß nicht, ob man so weit gehen darf, ihre Kandidatur überhaupt zu verhindern. Das würde gerade solchen Gruppen wie den Flüchtlingen gegenüber als eine besondere Benachteiligung und als undemokratisch angesehen werden. Aber wenn man z. B. 5000 Unterschriften verlangt, dann baut man immerhin eine Barriere gegen ganz unsinnige Zersplitterungen auf. Ich glaube, darauf werden wir uns beschränken müssen. Vors. [Dr. Diederichs]: Das deckt sich mit unseren Ansichten. Kuhn: Man könnte solchen Splittergruppen, die sich plötzlich als Parteien deklarieren, die Auflage geben, nicht unter ihrem Parteinamen, sondern unter dem des Listenführers zu kandidieren. Gewöhnlich sind es doch nur kleine Splittergruppen, die plötzlich kommen und die genau so plötzlich wieder gehen. Im Reichstag war einmal ein Kandidat, der sich Häuserbund nannte34), das war ein Heilkundiger, und nun glaubten die Hausbesitzer, es handele sich um die Interessen der Hausbesitzer, die dieser Häuserbund vertreten würde. —
—
(Heiterkeit.) Das ist tatsächlich
geschehen. Wir haben Beweise dafür. Paul: Ich bin der Auffassung, daß man nicht solche drakonischen Vorschriften erlassen darf, die das Aufkommen neuer Gruppen verhindern sollte. Mit Polizeivorschriften kann man bestimmte Ideologien auf die Dauer nicht beseitigen. Man kann sie zwar hemmen, aber wenn eine solche Ideologie immer mehr Massen ergreift, kann man mit den schönsten Vorschriften nicht verhindern, daß sie sich auch irgendwie organisatorisch Bahn bricht. (Maier: Das sollen sie ja auch nicht!) Ich bin wie Herr Löbe der Auffassung, daß man eine gewisse Anzahl von Unterschriften für jeden aufkreuzenden Kandidaten verlangen muß, wie das auch im Reichstag der Fall war35). Man könnte höchstens sagen, daß nur solche Kan32)
33) 34)
Zum deutschen Parteienwesen in der Nationalversammlung und zu Beginn der Weimarer Republik siehe G. A. Ritter: Kontinuität und Umformung des deutschen Parteiensystems, 1918—1920, in: Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft. Festschrift für Hans Rosenberg zum 65. Geburtstag, hrsg. von G. A. Ritter, Berlin 1970, S. 342-384. Gemeint sind SPD und KPD. Wahrscheinlich eine Anspielung auf den Haeusser-Bund, der bei den beiden Reichstagswahlen von 1924 24 451 bzw. 9734 Stimmen erzielte, mit diesem Ergebnis aber nicht in
den Reichstag einzog (Max Schwarz: MdR. Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965, S. 815 und 818). 35) § 17 Reichswahlgesetz vom 8. März 1924 (RGBL, I S. 161) bestimmte: „Beim Reichswahlleiter können, und zwar spätestens am vierzehnten Tage vor der Wahl, Reichswahlvorschläge eingereicht werden. Sie müssen von mindestens zwanzig Wählern unterzeichnet sein." 146
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didaten unter dem Namen einer Partei zugelassen werden, die nachweisen, daß sie soundso viele Anhänger haben, oder daß sie über bestimmte Gebiete des Bundes verbreitet sind. Wir haben z. B. jetzt das Aufkreuzen der Radikal-Sozialistischen Freiheitspartei zu verzeichnen36). Ich halte von dieser Partei nicht viel. Ich halte sie für Utopisten. Sie stützen sich auf irgendeine utopistische Theorie, die von Silvio Gesell37) entwickelt wurde. Sie werden erleben, daß sie aufkreuzen werden, und vielleicht sogar schon bei den Wahlen zum Bundestag, wie wir sie ja schon in den einzelnen Länderparlamenten gesehen haben38). Ich denke also, daß man bestimmte Vorschriften erlassen kann. Allerdings bin ich der Meinung, daß man von den Parteien oder Gruppen verlangen sollte, daß die Kandidaten nicht nur die Unterschriften beibringen, sondern auch den Nachweis erbringen müssen, daß sie in ihren Gruppen oder Einheiten auf demokratischer Basis gewählt worden sind. Aber das kann man nicht im Wahlgesetz regeln. Wenn man eine bestimmte Unterschriftenmenge festlegt, ist immerhin eine gewisse Sicherung gegen wilde Kandidaten gegeben. Rönneburg: Ich bin nicht so liberal gesonnen wie Kollege Paul. Schließlich muß es auch für die Dummheit Grenzen geben. Und wenn heute schon von einem, der ein Geschäft aufmachen will, bestimmte Voraussetzungen verlangt werden, dann muß man die Erlaubnis, in die Fragen der Staatsführung und Staatslenkung und in das Schicksal des Staates einzugreifen, von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, um den Staat vor Auswüchsen unbeschreiblicher Dummheiten zu sichern. Hier handelt es sich um Schicksalsfragen einer großen Gemeinschaft, und da kann man wirklich nicht auf Sicherungen verzichten, um so weniger, wenn man zugeben muß, daß die Dummheit ein geradezu weltbewegender Faktor ist. ([Vors.] Dr. Diederichs: Dann müßte sie nach der Auffassung der Relativisten entsprechend vertreten sein!) Ich glaube nicht, daß man auf irgendein Gesetz verweisen darf, das erst in der Zukunft gemacht werden soll. ([Vors.] Dr. Diederichs: Natürlich müssen für die Wahlvorschläge gewisse absolut feststehende Vorschriften vorhanden sein!) —
38) Richtige Bezeichnung ist Radikal-Soziale Freiheitspartei (RSF; lediglich der Bottroper Verband nannte sich radikal-sozialistisch), gegr. am 27. Jan. 1946 in der britischen Zone. Die RSF war ein Zusammenschluß mehrerer freiwirtschaftlicher Gruppen in NordrheinWestfalen und Niedersachsen, die sich mit nur geringem Erfolg an den Landtagswahlen in NRW, Hamburg und Bremen sowie an der ersten Bundestagswahl beteiligten (Stöss [Hrsg.], Parteien-Handbuch II, S. 1398 f.). 37) Jean Silvio Gesell (17. März 1862-11. März 1930), Volkswirtschaftler, war 1919 Finanz-
38)
minister der bayerischen Räterepublik. Er gründete den Freiwirtschaftsbund und entwikkelte die Freiwirtschaftslehre, mit der er eine „freisoziale" Ordnung schaffen wollte, die zwischen sozialer Marktwirtschaft und liberalem Sozialismus liegt. Die RSF war zu dieser Zeit in keinem Landesparlament vertreten. Bei den Gemeindebzw. Landkreis- und Stadtkreiswahlen in NRW konnte sie am 17. Okt. 1948 allerdings 21 bzw. 18 Mandate erringen. Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen am 28. Nov. 1948 fünf Mandate und bei der Hamburger Bürgerschaftswahl vom 16. Okt. 1949 ein Mandat (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 39, 49 und 53). 147
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man natürlich nicht totschlagen. Das ist eine alte Geschichte, die Paulus schon in Athen erlebt hat39). Ideologien, die wirklich tragende Gedanken der Zeit vertreten, werden sich auch durchzusetzen vermögen. Mögen sie zunächst zu kämpfen haben: je mehr sie zu kämpfen haben, desto mehr Aussichten werden sie haben. Aber hier handelt es sich zum großen Teil gar nicht um Ideologien, sondern um ganz lächerliche, begrenzte Interessen. Dagegen müssen wir Sicherungen haben. Löbe: In den Ausführungen des Herrn Kollegen Paul ist ein Prinzip richtig: Wir wissen nicht, welche Partei einmal eine große Zukunft haben wird, wenn sie sich auch heute noch als Splitterpartei präsentiert. Denken wir an die 70er Jahre: Da hat die Sozialdemokratie manchmal zwei Mandate im Reichstag gehabt40). Einige Jahrzehnte später waren Clara Zetkin41) und Paul Levi42) die beiden einzigen Vertreter der Kommunistischen Partei. Später hat diese es auf 80 Sitze gebracht43). Wir müssen also vermeiden, daß der Durchbruch neuer Ideen und neuer Interessengruppen verhindert wird. Auf der anderen Seite ist aber diese Toleranz auch die Ursache dafür, daß nun Karniksagen wir keizüchter- und sonstige Vereine ihre eigenen Kandidaten aufstellen. Ich weiß, daß beim Einzug der Nationalsozialisten auch Knüppel-Kunze44) noch mit einer eigenen Partei in dem Reichstag aufwartete. Ich möchte nur die Entscheidung über ihre spätere Geltung in die Zeit verlegen, bevor sie Kandidaten aufstellen können. Das kann man nur dadurch, daß man sagt: Wenn ihr nicht mindestens soundso viele tausend wahlberechtigte Mitglieder oder Unterschriften in einem Gebiet aufbringt, habt ihr zunächst außerhalb des Parlaments zu arbeiten, bis ihr diese Stimmenzahl erreicht. Vors. [Dr. Diederichsl: Dann sind wir uns ziemlich einig und könnten die Formulierung in Anlehnung an frührere Gesetze entsprechend vornehmen. Wir kommen dann zu §14: Stimmzettel/Reihenfolge auf dem Stimmzettel. Es ist also die Frage, in welcher Reihenfolge die Wahlvorschläge der Parteien auf dem Stimmzettel erscheinen sollen. Rönneburg: Wenn ich recht im Bilde bin, hat man in Niedersachsen für die demnächst stattfindenden Gemeinderatswahlen45) in Aussicht genommen, daß es nicht so wie bisher gemacht wird, daß man die Kandidaten also nicht alpha-
Ideologien kann
—
39) Apostelgeschichte 17, 16-34. 40) Die beiden SPD-Vertreter im ersten deutschen Reichstag 41) 42)
43) 44)
45)
—
von 1871 waren August Bebel und Reinhold Schraps. Clara Zetkin (5. Juli 1857-20. Juni 1933), KPD, MdR 1920-32, Alterspräsidentin 1932. Dr. Paul Levi (11. März 1883-9. Febr. 1930), Rechtsanwalt, 1920/21 Vorsitzender der KPD, schloß sich später der SPD an, für die er bis 1930 im Reichstag war. Bei den Reichstagswahlen vom 14. Sept. 1930, 31. Juli und 9. Nov. 1932 gewann die KPD 77 bzw 89 und 100 Mandate. Richard Kunze (gen. „Knüppelkunze", 5. Feb. 1872-Mai 1945, verschollen), 1924 Vorsitzender der Deutschsozialen Partei (DSP) später NSDAP, MdR. Kunzes Spitzname rührte noch aus seiner Zeit als DSP-Vorsitzender her, als er in Zeitungsinseraten für den Verkauf des Gummiknüppels „Heda" zum Zweck der „geistigen" Auseinandersetzungen warb (Lexikon zur Parteiengeschichte 2, S. 538 f.). Die Gemeinderatswahlen in Niedersachsen fanden zusammen mit den Landkreis- und Stadtkreiswahlen am 28. Nov. 1948 statt (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 48).
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betisch aufstellt, sondern daß man die Kandidaten einer einzelnen Gruppe geschlossen nimmt, gleichgültig wer anfängt. Es gibt eine ganze Menge älterer Leute, die infolge eines Irrtums, der durch den Stimmzettel hervorgerufen wurde, schon unglaublich viel Unsinn gemacht haben. Solche menschlichen Bedingtheiten sollte man in Rechnung stellen. Vors. [Dr. Diederichs]: Bei dieser Fragestellung ist an sich schon vorausgesetzt, daß der Vorschlag einer Partei geschlossen gebracht wird. Es taucht nun die Frage auf, in welcher Reihenfolge die Parteien auf dem Wahlzettel aufmarschieren. Ich würde ja für die horizontale Aufführung sein, d. h., daß der Name der Partei darüber steht und der Wahlvorschlag darunter erfolgt. Es ist nun auch bei uns in Niedersachsen die Frage aufgetaucht, welche Partei künftig vorn und welche hinten aufgeführt werden soll. Wie soll das hier geschehen. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob man diese Reihenfolge jeweils im Kreiswahlausschuß auslosen, oder ob man sie grundsätzlich für das ganze Wahlgebiet festlegen sollte. Das Auslosen hat den großen Fehler, daß ein und dieselbe Partei in jedem Wahlkreis an einer anderen Stelle steht. Das würde auch die Werbearbeit der Parteien ungeheuer erschweren. Vor allen Dingen in Grenzgebieten könnte es geschehen, daß in einem Dorf gesagt wird: Ihr müßt den Wahlvorschlag an zweiter Stelle wählen, während im Nachbardorf derselbe Wahlvorschlag an der vierten Stelle steht. Dann entstehen solche Irrtümer. Ich nehme ja an, daß keine Partei besonders scharf darauf ist, aufgrund von Irrtümern Stimmen zu sammeln. Aber ich halte es doch für richtig, daß wir im Wahlgesetz einen ganz bestimmten Modus festlegen, nach dem die Parteien dort aufgeführt werden, und einen einheitlichen Stimmzettel schaffen. Wenn wir die alphabetische Reihenfolge nach dem Namen der Parteien wählen, dann werden natürlich kleine Parteien, wie die Aufbau-Partei46), versuchen, sich einen Namen mit A zu beschaffen, um nach vorn zu kommen; sie werden also versuchen, ihren Namen so umzuformen, daß er im Alphabet weit vorn steht. Oder soll man die Reihenfolge nach der augenblicklichen Stärke der Parteien entscheiden? Rönneburg: Nach dem, was Herr Dr. Diederichs gesagt hat und was ich für richtig halte, müßte man versuchen, zu einer festen Regelung zu kommen, die nicht allzu vielen Änderungen unterworfen ist. Dieses Ziel ist nicht erreicht, wenn man die Stärkeverhältnisse maßgebend sein läßt. Das Stärkeverhältnis ist auch in den einzelnen Gebieten verschieden. (Dr. Diederichs: Dann könnte nur die Gesamtstärke in Frage kommen!). 46) Gemeint ist die von Loritz Ende 1945 gegründete Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (siehe oben Dok. Nr. 5, Anm. 61). Die WAV forderte eine völlige Abkehr von den in der parlamentarischen Demokratie gewachsenen Strukturen, insbesondere der politischen Parteien sowie die Abwendung von Schlagwörtern wie Kapitalismus und Sozialismus. Statt der Politiker sollten unabhängige Fachleute die Politik des Landes bestimmen. Die WAV errang zwar einige Mandate bei der ersten Bundestagswahl, konnte aber aufgrund ihrer unklaren und konzeptionslosen ordnungspolitischen Vorstellung auf Dauer nicht überzeugen. Die WAV löste sich 1953 auf (Hans Woller: Die Loritz-Partei. Geschichte, Struktur und Politik der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung [WAV], 1945-1955, Mün-
chen 1982 [= Studien
zur
Zeitgeschichte
Bd. 19]).
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Entweder müßte man die Gesamtstärke der Partei im ganzen Bund nehoder man müßte die alphabetische Reihenfolge nehmen; dann hätte man etwas Festes. Glauben Sie nicht, daß ich die alphabetische Reihenfolge wegen des Namens meiner Partei vorschlage; vielleicht kommt z. B. noch einmal eine Albatros-Partei: dann würde die vorn stehen. Aber wenn man die alphabetische Reihenfolge nimmt und neue Parteien nicht hinzukommen, würde sich die Reihenfolge nicht ändern. Man könnte auch vorsehen, daß später hinzukommende Parteien hinten rangieren. Lobe: Eins scheint wohl sicher zu sein: Wir werden hier die Reihenfolge nicht feststellen können, sondern das wird irgendein anderer Faktor sein. Es würde uns wahrscheinlich auch Streitigkeiten bringen, die wir gar nicht durchfechten können, weil der Rat dann vielleicht nicht mehr am Leben ist. Da wird es sich wahrscheinlich empfehlen, die Reihenfolge für das gesamte Reich oder das ganze Bundesgebiet einheitlich festzulegen, schon um Irrtümer zu vermeiden. Wenn wir das tun, ist es von minderer Wichtigkeit, wie das nun im einzelnen gemacht wird. In Berlin hatten wir vier Bewerber47), und da hatten wir gelost; so wurde die Reihenfolge klar. Man kann die Reihenfolge zunächst auch nicht nach der Stärke festlegen. Es fehlt uns hier ein Anhaltspunkt bei der ersten Wahl. Deswegen wird man entweder die alphabetische Reihenfolge nehmen oder die Reihenfolge für das ganze Land auslosen müssen. Vors. [Dr. Diederichsl: Wir kommen um diese Entscheidung nicht herum. Wir werden auch die Durchführungsbestimmungen zu dem Wahlgesetz bringen müssen, weil praktisch ja keine Instanz vorhanden ist, die das machen könnte48). Es handelt sich um eine erstmalige Regelung. Darum werden wir nicht darum herumkommen, auch die technischen Durchführungsbestimmungen zum mindesten hier für diese erste Wahl festzulegen. Wenn sie später geändert werden sollen, ist das nicht mehr unsere Sache, sondern die des nächsten Parlaments, das sich dann mit diesen Fragen beschäftigen kann49). Paul: Auch ich glaube, daß man, um das ganze Wahlergebnis richtig zu klären, die Parteien oder Bewerber gruppenmäßig auf dem Wahlzettel aufführen sollte, so daß man auch den Abstimmenden die Arbeit erleichtert. Wir haben gerade in Nordrhein-Westfalen, wo die Kandidaten alphabetisch aufgeführt waren, die tollsten Dinge erlebt. Eine alte Frau hat den Kandidaten gewählt, der ganz vorn stand, und gleichzeitig einen CDU-Mann. Und als man sie fragte, sagte sie: Ich habe die drei Ersten angestrichen. Sie wollte wählen, aber das Abstimmen war für sie zu schwierig. Mit solchen Tatsachen müssen wir rechnen. Deswegen sollte man die einzelnen Bewerber gruppenmäßig aufführen ob nebeneinan—
men,
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—
—
47) Bei der Berliner Stadtverordnetenwahl vom 20. Okt. 1946 hatten sich die Parteien CDU, SPD, FDP und SED zur Wahl gestellt. 48) Der erste Entwurf des Pari. Rates zum Bundestagswahlgesetz vom 24. Febr. 1949 wurde
nicht zuletzt wegen seiner detaillierten Wahlbestimmungen von den Allierten mit der Begründung abgelehnt, die Durchführungsbestimmungen seien von den Ländern zu regeln (siehe oben Einleitung, S. XLII). § 23 des schließlich verkündeten Wahlgesetzes legte die allgemeinen Durchführungsbestimmungen der Bundestagswahl als Ländersache fest (Dok. Nr. 29). 49) Zum Fortgang der Wahlrechtsdebatte siehe Lange, Wahlrecht, S. 411 ff. 150
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der oder untereinander, ist von untergeordneter Bedeutung. Die Reihenfolge kann man machen, wie es Herr Löbe vorschlägt; man kann es aber auch so machen, daß man die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen in allen einzelnen Ländern nimmt, sie zusammenzieht und die sich dann ergebende Stärke zum Maßstab nimmt. So hatten wir es auch früher im deutschen Reichstag. Wie man es macht, ist gleichgültig. Aber daß wir irgendeine Bestimmung treffen müssen, dürfte nicht zu bestreiten sein, sonst kommen wir zu einer unterschiedlichen Handhabung, und das wollen wir eben nicht. Wir wollen auch dem Wähler die Abstimmung erleichtern, damit es zu einer klaren Willensbildung der Wähler kommt. Wir wollen nicht durch irgendwelche Wahltricks die Wähler irreführen. Das würde ich auf jeden Fall ablehnen. Man könnte sich vielleicht auf den Vorschlag des Herrn Löbe einigen: Die Parteien treten zusammen, und es wird ausgelost. Ich persönlich würde mich auch mit der Regelung einverstanden erklären, daß man die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen zusammenzieht und die Parteien gemäß dieser Stärkeliste aufführt. Die Hauptsache ist, daß aus dem Wahlzettel klar hervorgeht: das sind die Kandidaten der und der Partei, da mußt du dein Kreuzchen hinsetzen. Vors. [Dr. Diederichs]: Dann sind wir darüber einig, daß die Reihenfolge auf jeden Fall im ganzen Bundesgebiet einheitlich sein soll. Über das Verfahren werden wir auch noch einig werden. In dieser Frage bestehen also offenbar keine Differenzen, und die Redaktionskommission wird versuchen, es in irgendeiner Weise in das Gesetz hineinzubringen.
[2d. Wahlakt (§§ 15-16)] Wir kommen dann zu IV. Der Wahlakt, und zwar zu §15: Die Stimmabgabe. Das Verfahren der Stimmabgabe ist ja bisher in fast allen Wahlgesetzen ziem-
lich gleichartig geregelt worden; auch dort dürften keine Bedenken bestehen. Die Wahrung der geheimen Wahl (§ 16) hängt auch mit diesem Wahlakt und seiner Durchführung eng zusammen. Es ist ja wahrscheinlich bekannt, daß die Wahlvorstände in der Nazizeit ein Stempelkissen zur Hand hatten, und bevor sie gewissen Leuten ihren Wahlumschlag übergaben, faßte der Vorsitzende eben mal auf das Stempelkissen, bevor er das Couvert nahm; dann konnten sie bei der Auszählung genau feststellen, wie solche prominenten Leute gewählt hatten. Ich glaube, mit solchen Dingen brauchen wir nicht zu rechnen, da sowieso verschiedene Leute auftreten. Frau Weber: Jetzt nicht. Aber in Zukunft kann sich das immer wiederholen. Wir müßten die geheime Wahl stärker schützen, als es in der Vergangenheit tatsächlich der Fall gewesen ist, Das kann bald wieder kommen. Vors. [Dr. Diederichs]: Das würde ja in die Durchführungsbestimmungen kommen. Hier wäre auch noch ein kurzer Hinweis auf die Form der Stimmabgabe und auf die Notwendigkeit, das Wahlgeheimnis zu wahren, hineinzunehmen. Alles übrige wird in die Durchführungsbestimmungen kommen. Aber, wie wir schon festgestellt haben, werden wir ja auch die in irgendeiner Weise festlegen müssen, weil außer uns kein Gremium vorhanden ist, das diese Bestimmungen erlassen könnte. 151
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Frau Weber: Damals haben die Nazis die Wahlen doch in einer solchen Weise zum Sturz gebracht worden ist. Vors. [Dr. Diederichsl: Wahlfälschungen waren ja an der Tagesordnung. Maier: Da hinein gehört ja die Bestimmung über die Abgabe der Stimmen durch die im französischen Zivildienst stehenden deutschen Arbeiter50). Das müßte hier berücksichtigt werden. Vors. [Dr. Diederichsl: Hier müßte es technisch geregelt werden, nachdem ihnen im § 2 das Wahlrecht zugebilligt wird. Die arbeiten ja nur vorübergehend im Auslande, haben also ihren Wohnsitz noch hier, und die Art ihrer Stimmabgabe wird hier geregelt.
beeinflußt, daß die Demokratie auch dadurch
[2e. Feststellung des Wahlergebnisses (§§17-20)] Dann V.
Feststellung
des
Wahlergebnisses.
§ 17: Stimmzählung. Das ist natürlich auch wieder in gewissem Umfange von dem System abhängig, das wir nun wählen werden. Sie wird relativ sehr ein-
fach sein beim relativen Mehrheitssystem, also beim reinen englischen System, darauf ankommt, den Kandidaten, der die meisten Stimmen hat, zu ermitteln; alle anderen fallen unter den Tisch. Das ist eine Rechnung, die sehr leicht durchzuführen ist. Beim Proportionalwahlrecht ist die Stimmenzählung ja auch kein großes Geheimnis. Da werden die Stimmen einer Partei zusammengezählt und nach d'Hondt verrechnet; oder wenn eine Quote festgesetzt würde, wäre es auch keine schwierige Arbeit. Die nächste Schwierigkeit ist die Gültigkeit der Stimmen51) und die Entscheidung darüber. Darüber müßten sehr genaue Bestimmungen gegeben werden, weil es sich immer herausstellt, daß entweder hyperpenible Leute auf der einen Seite oder hypergroßzügige auf der anderen geneigt sind, Stimmen für gültig oder ungültig zu erklären, was zu einer unterschiedlichen Handhabung führt. Es ist natürlich notwendig, daß das über das ganze Reichsgebiet einheitlich gehandhabt wird. Infolgedessen müssen dafür ganz präzise Ausführungsbestimmungen geschaffen werden. Das gilt vor allen Dingen, wenn der einzelne Wähler mehrere Stimmen hat. Wenn er mehr Stimmen abgibt, als ihm zustehen, ist seine Abstimmung natürlich ungültig, weil keiner entscheiden kann, welche von den abgegebenen Stimmen zu streichen wären. Angenommen, jeder Wähler hätte sechs Stimmen, und einer gibt acht Stimmen ab; dann ist es klar, daß der Stimmzettel ungültig ist. Weniger Stimmen, als ihm zustehen, kann er jederzeit abgeben. Es steht ihm ja frei, ob er sein Wahlrecht ausschöpfen will oder nicht. Das müßte sehr präzise formuliert werden, damit über die Gültigkeit oder Ungültigkeit von Stimmen keine Zweifel auftreten können. Und die Bestimmungen müssen auch sehr einfach sein, damit da bei den einzelnen Wahlvorständen und Gruppen keine Zweifel auftauchen können. Wenn solche Bewo es nur
50) Siehe oben Anm. 12. 51) Zu dieser Frage erstellte Carl Tannert
gegen Ende des
Jahres ein Gutachten anhand der
„Ungültigen Stimmzettel in Delmenhorst bei der Kommunalwahl vom 28. o. J. (BA NL 242 [Jellinek]/Bd. 38).
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11. 1948" o.
D.,
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Stimmungen nicht vollkommen eindeutig sind, können auch viele Beanstandungen erfolgen, so daß für die Wahlprüfungsgerichte eine ungeheure Arbeit entsteht; denn solche Dinge gehen durch die Presse und sind nicht geeignet, das Vertrauen zu heben. Wir haben es hier mit seiner sehr ernsten Frage zu tun, die eine Vertrauensfrage jeden Systems überhaupt ist, zumal die Menschen in Folge der Erfahrungen während der letzten zwölf Jahre mit einer gewissen Skepsis geladen sind.
Kuhn: Sollten wir dazu kommen, daß der einzelne Wähler mehr als eine Stimbekommt, dann halte ich es für absolut notwendig, daß bei Abgabe der Stimmen von Seiten der Staatsorgane eine Aufklärung über diese Dinge erfolgt. Ich halte es für ausgeschlossen, daß die Parteien bei den Wahlversammlungen so stark an alle Wähler herankommen, daß die Aufklärung gerade nach der wahltechnischen Seite hin bis zu jedem Einzelnen vordringt. Insofern wäre es notwendig, daß von Staats wegen über den technischen Ablauf der Wahl eine me
Aufklärung erfolgt52).
höbe: Vielleicht könnte man auch durch Plakate oder dergleichen einige lapidaSätze an die Bevölkerung bringen: Wer mehr als sechs Stimmen abgibt, gibt einen ungültigen Stimmzettel ab und ähnliches. Eine gewisse Garantie ist ja auch dadurch gegeben, daß man den Wahlvorstand aus verschiedenen Parteien zusammensetzt. Zweitens dadurch, daß die Auszählung und die erste Entscheidung über die Gültigkeit der ersten Stimmzettel öffentlich erfolgt, also die Wähler aller Parteien Zutritt haben. Damals gab es ja einen Satz, der allgemein ausreichte; die Richtschnur war: „daß der Wille des Wählers klar erkenntlich" sein muß53). Die Entscheidung über die Gültigkeit eines Stimmzettels wird in erster Instanz wahrscheinlich der Wahlvorstand treffen müssen, und trotzdem verbleibende Schwierigkeiten oder Streitigkeiten wird man auf den Weg der Beschwerde verweisen müssen. Alle Formen einer vielleicht absichtlich falschen Stimmabgabe wird man nicht aufzählen können. Es wird der aus allen Parteien zusammengesetzte Wahlvorstand, der angesichts der Wähler die Gültigkeit oder Ungültigkeit feststellt, die beste Garantie bieten. Vors. [Dr. Diederichs]: In unserem in der letzten Woche verabschiedeten Kreiswahlrecht für Niedersachen54) ist z. B. die Kumulation mehrerer Stimmen auf einen Wähler nicht zugelassen. Es ist aber ganz eindeutig zum Ausdruck gekommen, daß ein Kandidat, hinter dessen Namen drei Kreuze gesetzt sind, als gewählt gilt, allerdings mit einer Stimme. Das ist auch richtig; denn damit ist ganz eindeutig zum Ausdruck gekommen, daß er gewählt werden sollte, und inre
—
52) Die Frage der Gültigkeit der Stimmen
war nach Verabschiedung des Wahlgesetzes offenbar kein Thema mehr. Der vom Pari. Rat eingesetzte und am 3. Juni 1949 tagende Überleitungsausschuß schnitt dieses Problem nicht mehr an (Bayer. HStA NL Pfeiffer/ Bd. 222). Bei der Bundestagswahl vom 14. Aug. 1949 waren 3,1% der abgegebenen Stimmen ungültig (Peter Schindler: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949—1982. Eine Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Bonn 31984, S. 83). 53) § 25 Reichswahlgesetz 1924 (RGBL, I S. 162). 54) Niedersächsisches Kreiswahlgesetz vom 4. Okt. 1948, in: Niedersächsisches Kreis- und VOB1. 2, S. 84.
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sofern ist diese Stimme durchaus gültig. Auch wenn der Wähler bei einem Kandidaten drei Kreuze und bei zwei anderen je eins macht, ist der Stimmzettel nicht ungültig, weil er nun fünf Kreuze trägt, denn der Wähler hat ja nur für drei Kandidaten seine Stimme abgegeben, und drei Kandidaten kann er ja wählen, also hat er seine Kompetenz nicht überschritten. Also solche Fälle sind doch ganz eindeutig geklärt. Der Wähler will ja diese drei Kandidaten wählen, und die sind also mit je einer Stimme bedacht. Da kein Kandidat mehr als eine Stimme von jedem Wähler bekommen kann, besteht gar kein Zweifel. Also darüber sind wir uns dann praktisch einig. Das war die Stimmenzählung und die Gültigkeit der Stimmen. Wir kommen nun zu §19: Wahlkreisergebnis und Reststimmen, und zu §20: Zuteilung der Mandate. Die mit den Reststimmen zusammenhängenden Fragen kommen ja nur in Betracht, wenn wir das Proporzsystem wählen. Beim Mehrheitswahlrecht fallen diese Schwierigkeiten sowieso weg. Wenn wir aber zum Verhältniswahlrecht kommen sollten, dann wäre die Frage zu klären, ob die Reststimmen innerhalb der Länder oder für das gesamte Bundesgebiet verrechnet werden sollen. Das ist eine Frage, über die wir uns zum mindesten Gedanken machen müssen. Ich würde empfehlen, daß Sie, wenn wir in der nächsten Woche zur Entscheidung über die Frage der Wahl des Proporzsystems oder des Mehrheitswahlrechtes kommen, sich eindeutig darüber klar sind, in welcher Form wir die Reststimmen verwerten wollen55). Nach dem Vorschlag, den ich gemacht habe, sechs Abgeordnete direkt und zwei indirekt zu wählen, hätten wir folgendes zu überlegen. Bei neun Millionen Einwohnern hätten wir neun Wahlkreise, je Wahlkreis zwei Reststimmenmandate; das wären 18 Reststimmenmandate. Nun würde die Frage auftauchen, ob man die Reststimmen etwa nur in Bayern verrechnen und auf die Reststimmen die 18 Mandate verteilen soll, oder ob man alle Reststimmen auf die Bundesliste nehmen und sie von dort aus über den gesamten Bund verteilen soll. Diese Frage wird für kleine Länder wie Bremen praktisch. Solch ein Land würde überhaupt nur einen halben Wahlkreis darstellen. Man könnte sagen, dann sollten sie nur die Hälfte aufstellen. Aber das würde ein einziges Restmandat ergeben; das würde zu einem erheblichen Teil der Minderheit den Verlust der Reststimmen ihres Wahlgebiets ergeben. Es wäre nun die Frage, ob man solche Wahlkreise nicht an einen anderen anschließen kann, um mit ihm gemeinsam die Reststimmen zu verrechnen. Diese Frage bitte ich sorgfältig zu ventilieren, weil sie für die restlose Auswertung der Stimmen nicht unwichtig ist, besonders für jene Parteien, die irgendwo Minderheiten haben. Im Nordraum sind die CDU und andere Parteien an einer ordnungsgemäßen Verrechnung der Reststimmen durchaus interessiert56); denn sie ist zwar oben nicht in der Mehrheit, stellt aber eine beacht—
55) Siehe unten Dok. Nr. 7, TOP 1. 56) Zum Stimmenanteil der CDU in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen siehe
unten Dok. 9, Anm. 29; Dok. 28, Anm. 43 und Dok. 9, Anm. 28. In Bremen hatte die CDU bei der Bürgerschaftswahl vom 12. Okt. 1947 lediglich 22,0% erreicht (SPD 41,7%, FDP/ BDV 19,4%, KPD 8,8%, LDP 3,9%, RSF 1,1 %, Unabhängige 3,1 %; vgl. Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 37).
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liehe Minderheit dar, während sie ganz zweifellos im gesamten Bundesgebiet eine anerkannte Bedeutung hat. Sie würde dann also nicht einmal ihre Reststimmen verwerten können. Diese Frage ist also so wesentlich, daß man sich sorgfältig überlegen muß, in welcher Form die Reststimmen zu verrechnen sind: ob gebietsmäßig, ob über das ganze Bundesgebiet oder in zusammengeschlossenen Wahlkreisen. Lobe: In der Weimarer Zeit waren beide Formen üblich. Die Wahlkreise OberSchlesien, Nieder-Schlesien und Mittel-Schlesien verbanden sich zu einem größeren Bezirk und verrechneten die überschüssigen Reststimmen unter sich. Ich glaube mich auch nicht zu täuschen, daß auch zwischen Hamburg und Bremen das der Fall gewesen ist57). Was dann übrigblieb, kam auf die Reichsliste, so daß die Parteien immerhin die Möglichkeit hatten, Kandidaten, auf die sie besonderen Wert legten, durch die Reichsliste zum Zuge zu bringen. Man kann also vielleicht beides tun: Zusammenschluß größerer Bezirke und für die Verwertung der Reststimmen die Bundesliste. Vors. [Dr. Diederichs]: Das ist eine noch weitergehende Verwertung aller Reststimmen, die an sich im Interesse eines klaren Ergebnisses liegen kann. Dabei möchte ich noch eine andere Frage anschneiden. Das ist die Frage, ob man
nicht, {Maier: Nach welchem System?) .
.
.
—
Das ist wohl eindeutig klar! wenn Verfügung steht, eine Quote errechnen —
zur
eine bestimmte Anzahl von Sitzen und dementsprechend auf die Par-
teien verteilen soll. Eins habe ich bei der Reihenfolge vergessen. Es besteht wohl ganz allgemein die Auffassung, daß nicht parteigebundene Einzelkandidaten immer an den Schluß zu setzen sind. Frau Weber: Das meine ich aber auch! Kuhn: Bezüglich der Reihenfolge der Kandidaten ich weiß nicht, welches Wahlrecht zum Zuge kommen wird taucht die Frage auf, ob man annehmen soll, daß ein Wähler, der von einem Wahlvorschlag, der mehr als drei Namen enthält, z. B die ersten drei Namen angekreuzt hat, damit auch den Willen bekundet hat, die Reihenfolge des Wahlvorschlages beizubehalten. Wenn nämlich ein Mandatsträger stirbt oder ausscheidet, treten die Unterzeichner des Wahlvorschlages zusammen und wählen aus den nachfolgenden Kandidaten einen Ersatzmann aus. Nun sagt man, daß sei nicht angängig, weil der Wähler, der diese Liste gewählt hat, auch die Absicht gehabt habe, die in der Liste enthal—
—
Reihenfolge der Kandidaten beizubehalten. gleich eine Aufklärung geben. Wir haben nach diesem Vorschlag keine Listenwahl, sondern eine Personenwahl. Der tene
Vors. [Dr. Diederichs]: Dazu möchte ich
Hamburg zusammen mit Schleswig-Holstein einen Wahlkreisverband bildete, Bremen in den Verband Niedersachsen, bestehend aus den Wahlkreisen WeserEms, Ost-Hannover und Siid-Hannover-Braunschweig, integriert (Anlage zum RWahlG vom 8. März 1924, RGBL, I S. 159).
) Während war
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Wähler hat mehrere Stimmen und wählt innerhalb der offenen Vorschläge, die die Partei macht, die Persönlichkeit aus. Und wenn nun das Verrechnungsverfahren ergibt, daß in einem bestimmten Wahlkreis eine bestimmte Partei drei Mandate bekommt, dann werden diese drei Mandate auf die drei Kandidaten übertragen, die auf dem betr. Wahlvorschlag die meisten Stimmen erhalten haben, so daß also der Wunsch der Wähler bezüglich der einzelnen Mitglieder ganz klar und offen feststeht. Ein Problem der Reihenfolge taucht also in den Wahlvorschlägen des Wahlkreises gar nicht auf, und die Entscheidung liegt vollkommen beim Wähler. Das ist gerade das, wovor ich immer warne: daß man das Personalwahlrecht mit dem Mehrheitswahlrecht identifiziert. Hier handelt es sich um ein ausgesprochenes Proporzwahlrecht, denn die Berechnung ich möchte sagen noch weitergehend geschieht nach dem Proporzsystem also bei der Mehrheitswahl, weil man bei der Mehrheitswahl nur die Wahl zwischen Ja und Nein hat, während hier der Wähler bei den großen Wahlkreisen sechs Kreuze machen kann. Man kann dabei annehmen, daß der Wähler bestimmte Leute deshalb wählt, weil sie von einer bestimmten Partei präsentiert werden; aber einige von ihnen wird er in den meisten Fällen auch kennen oder kennen können. Denn wenn eine Partei in einem Wahlkreis sechs oder acht Leute präsentiert, werden sie ins Land hinausgehen, so daß praktisch jeder Wähler Gelegenheit hat, zum mindesten einen dieser Bewerber zu hören, der ja dann den Leuten auseinandersetzt, was er und die mit ihm Präsentierten politisch wollen und was sie ihnen zu bieten haben. Ich glaube also, daß das Prinzip der Personenwahl dabei durchaus gewahrt ist, und es besteht kein Zweifel über die Reihenfolge. Keine Partei braucht sich mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wer als erster oder vierter aufgestellt werden soll, denn das entscheidet praktisch der Wähler. Und das halte ich für gut. Das ist auch für die Partei ein Maßstab bezüglich der Wertschätzung ihrer eigenen Leute, die sie den Wählern anbietet. (Frau Wessel: Bei der Bundesliste wäre es anders. Aber da würde es auch so sein, daß die Parteien diejenigen Leute in die Vorschläge setzen, die sie wirklich für das Parlament brauchen!) Das soll der Ausgleich sein, um bestimmte Experten hineinzubekommen. Ich bin sogar der Auffassung, daß es gestattet sein müsse, Kandidaten, die draußen auftreten, gleichzeitig auch auf die Bundesliste zu setzen. Das war ja früher auch der Fall; und wenn sie das Mandat von einem Wahlkreis annehmen, fallen sie auf der Bundesliste aus. Man hat sie auf jeden Fall im Parlament. Bei dieser Freiheit des Wählers besteht die Möglichkeit, auch einen guten Fachmann, der vielleicht ein guter Finanzexperte ist, der aber den breiten Massen nichts zu sagen hat, auf dem Wege über die Bundesliste in das Parlament zu bringen und ihn dadurch für das Parlament zu gewinnen. Ich glaube also, ein solches Auswahlsystem führt zu einer ganz guten qualitativen Besetzung. Nach dem Vorschlag, den ich gemacht habe, würde diese Restergänzung 25% betragen, nämlich zwei von acht: sechs direkt Gewählte und zwei in diesem Ausgleichsverfahren Berufene. Das ist ein Prozentsatz, den ich für tragbar halte, der übrigens auch in [Schleswig-]Holstein üblich ist. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, daß sich Herr Schröter für das Mehrheitswahlrecht eingesetzt —
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hat58). Tatsächlich hat [Schleswig-]Holstein ein Ausgleichsverfahren: zwar die Mehrheitswahl in den einzelnen Wahlkreisen, aber einen 20%igen Ausgleich; und, wie mir gestern59) mitgeteilt wurde, sind dreiviertel auf Ausgleich gewählt. Das ist also kein reines Mehrheitsverfahren60). Die Geschichte sieht also schon wesentlich anders aus als bei dem reinen englischen System. Löbe: Wir werden uns bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich auch mit einer Neuerung beschäftigen müssen, die in einigen Staaten eingeführt ist und den Wähler überhaupt nicht an eine Partei bindet, sondern es ihm freistellt, die Kandidaten zu wählen, die er für die besten hält, so daß der Wähler z. B. eine Stimme der CDU und eine Stimme den Liberalen geben könnte. Vors. [Dr. Diederichs]: Das ist auch hierbei vorgesehen. Die Wahlvorschläge aller Parteien stehen auf demselben Zettel, und der Wähler kann seine sechs Kreuze machen, wo er will. Löbe: Dann werden aber nicht die Reststimmen der Partei kenntlich, sondern es sind nur die Reststimmen für bestimmte Kandidaten. Vors. [Dr. Diederichs]: Nein, auch die Reststimmen der Partei werden deutlich; denn die Sitze werden nach der Gesamtstimmenzahl der Partei verteilt, und davon bleiben Reststimmen. Wenn ein Wähler z. B. drei Stimmen der SPD gibt, eine Stimme einem CDU-Mann und zwei Stimmen einem Zentrumsangehörigen, so werden diese Stimmen beim Zusammenzählen der jeweiligen Partei zugute kommen. Das kann durchaus im Sinne dieses Wählers liegen. Wenn ein Wähler selber parteilich nicht gebunden oder interessiert ist und wirklich nur Personen wählt, so gibt er seine Stimmen diesen Personen, um ihnen dadurch zum Durchkommen zu verhelfen, da die Menge der Stimmen, die eine bestimmte Person erhält, entscheidet, in welcher Reihenfolge sie herankommt. Hier ist also dem Wähler eine absolut freie Entscheidung gegeben. Er wird auch nicht durch die Wahl irgendeiner Liste ganz starr an irgendeine Partei gebunden, wenngleich ich überzeugt bin, daß das Gros der Wähler die Vorschläge einer Partei wählen wird; das haben wir ja überall erlebt. Ich habe es im Kommunalwahlkampf erlebt, daß ich in einem Wahlbezirk gewählt wurde, in dem als erster ein NLP-Mann61) gewählt wurde, als zweiter ein CDU-Mann und
58) Siehe oben S. 55 f. 59) Folgt gestrichen: „von CDU-Abgeordneten". 60) § 1 des Schleswig-Holsteinischen Wahlgesetzes bestimmte: „Der Landtag für Schleswig-
Holstein besteht aus 70 Abgeordneten. 42 Abgeordnete werden nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl in den Wahlkreisen, 28 Abgeordnete nach den Grundsätzen der Verhältniswahl aus einer gemeinsamen Landesliste gewählt" (Landeswahlgesetz vom 31. Jan. 1947, Amtsblatt für Schleswig-Holstein Nr. 11 vom 15. März 1947, S. 96). 61) NLP: Niedersächsische Landespartei. Die NLP entstand im Sommer 1945 und knüpfte an die welfisch-traditionalistische Deutsch-Hannoversche Partei (DHP) des Deutschen Reichs an. Obwohl sich der Schwerpunkt der Partei eindeutig in Niedersachsen befand bei den Landtagswahlen 1947 konnte sie immerhin 17,9% der Stimmen gewinnen nannte sie sich im Juni 1947 in Deutsche Partei (DP) um, ohne dadurch aber nennenswerten bundesweiten Einfluß zu gewinnen (Stöss [Hrsg]., Parteien-Handbuch II, S. 1025 ff.). —
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als dritter ich62); und das kam dadurch, daß die Leute erst den Wahlvorschlag einer Partei gewählt haben, daß aber jeder von uns so viele Einzelstimmen von solchen Leuten, die verschieden gewählt hatten, bekommen hatte, daß diese Einzelstimmen uns einen kleinen Vorsprung vor den andern gaben. Das war an sich eine sehr klare Entscheidung und entsprach durchaus der Einstellung des Stadtteils, in dem diese Wahl stattgefunden hatte. (Paul: Es war nicht die klare Entscheidung des Wählers, sondern es war sein augenblicklicher Wille!) Diese Wähler haben sich vielleicht sehr klar entschieden: In dieser Gemeinde halten wir diese drei Leute für geeignet, mitzuwirken. Löbe: In Nord-Württemberg-Baden hatten wir ein merkwürdiges Resultat: In Mannheim wichen nur 20% der Wähler von den Parteilisten ab, in Heidelberg dagegen 85%. Man merkt sofort, daß man in Mannheim eine gebundene Bevölkerung mit gleichartigen Lebensverhältnissen hat, während in Heidelberg die Abstufung sehr viel größer ist und daher auch die Selbständigkeit des Wählers bei seiner Auswahl. Vors. [Dr. Diederichs]: An sich ist dagegen nichts einzuwenden. Warum soll man es unklaren Köpfen nicht überlassen, sich auch unklar auszudrücken! (Frau Weber: Ich bin nicht dafür; das kann sehr schwierig werden!) Für die Berechnung ergibt das keine Schwierigkeiten, weil die abgegebenen Stimmen der Partei zugute kommen. Man kann nichtorganisierte Wähler nicht zwingen, sich für einen bestimmten Wahlvorschlag zu entscheiden. Auch das Argument, daß die Wahlzettel zu lang würden, halte ich nicht für gegeben; denn der Durchschnittswähler wird eine bestimmte Partei wählen, und innerhalb dieser hat er nur eine Auswahl von etwa zehn Kandidaten, von denen er sechs bestimmen kann. (Paul: Im übrigen kann man auch sichtbar machen, wo die einzelnen Parteien beginnen!) Das soll auf dem Wahlzettel sehr deutlich zum Ausdruck kommen. Deshalb machte ich den Vorschlag, ihn quer zu nehmen; dann steht nichts mehr darunter. Der individuellen Entscheidung des Wählers ist also ein weiter Spielraum getrotz des Proporzsystems! lassen Paul: Man muß noch einmal über die Aufstellung der Kandidaten sprechen. Darf ein Kandidat in mehreren Wahlkreisen kandidieren? Wir wissen aus der Reichstagswahl, daß es zugkräftige Kandidaten gegeben hat wie Karl Liebknecht, die in verschiedenen Wahlkreisen kandidiert und in einem angenommen haben63). Das ist immer gemacht worden, und es muß geklärt werden, ob das möglich ist. —
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in Niedersachsen fanden am 14. Sept. 1946 statt. Hierzu liegen aufgrund der unterschiedlichen Wahlmodi in den einzelnen Wahlbezirken die Wähkeine endgültigen Wahlergebnisse ler verfügten zwischen drei und sechs Stimmen vor (Blank, Gemeindewahlen, S. 4; Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 48). Das komplizierte Gemeindewahlrecht wurde später ersetzt durch das neue Gemeindewahlgesetz
62) Die Gemeindewahlen
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vom 4. Oktober 1948 (GVOB1. S. 90). 63) Dr. Karl Liebknecht (13. Dez. 1871-15. Jan. 1919), SPD-Politiker und MdR
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1912-1917.
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Lobe: Bisher bestand diese Freiheit. Zum Beispiel bestand in der Zeit nach den Sozialistengesetzen64) bei den Sozialdemokraten der Beschluß, in allen Wahlkreisen, in denen sie nur als Zählkandidaten eine Rolle spielten, Bebel aufzustellen. Es gab wohl hundert Wahlkreise, in denen Bebel kandidierte. Dann passierte das Geschick, daß er nicht nur in Hamburg, seiner alten Domäne, sondern auch in Straßburg gewählt wurde. Darauf nahm er das Straßburger Mandat an; denn es war fraglich, ob es bei einer Nachwahl die Mehrheit aufrechterhalten würde, und legte einstweilen die Kandidatur für Hamburg nieder65). Jetzt hat besonders der Verband der Wahlrechtsreformer vorgeschlagen, daß jeder Kandidat nur einmal aufgestellt werden darf66). Ich glaube, daß ist eine Einengung, die keinen zwingenden Grund hat. Man müßte es schon den Parteien überlassen, einen und denselben Kandidaten in mehreren Wahlkreisen aufzustellen. Bei den letzten Wahlen z. B. wurde Otto Braun in Königsberg und Düsseldorf aufgestellt und konnte natürlich nur eins von beiden Mandaten anneh-
men67). Vors. [Dr. Diederichs]: Ich würde dann allerdings empfehlen, in das Wahlgesetz eine Bestimmung aufzunehmen, daß ein Kandidat in demjenigen Wahlkreis akzeptieren muß, in dem er mit der höchsten Stimmenzahl gewählt worden ist. Damit würden wir auch den Gewählten die schwierige Entscheidung ersparen.
der Frau Abg. Weber.) Ich könnte mir vorstellen, daß in bestimmten Gegenden Herr Baumgartner68) in sämtlichen Wahlkreisen als besondere Zugnummer kandidiert, um Stimmen zu sammeln, was auch dann ungefährlich ist, wenn man keine Stimmenhäufung kennt. Wenn man nämlich eine Stimmenhäufung kennt und sol-
(Widerspruch
—
B4) Siehe oben Dok. Nr. 5, Anm. 45. 65) Bebel nahm im Jahre 1893 das Straßburger Mandat und
Mandatsverteilung
1871 bis 1918. Ein
Beitrag
an zu
(vgl. A. Milatz: Reichstagswahlen
Problemen des absoluten Mehr-
heitswahlrechts, in: G. A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft Parlament und Regierung. Zur Geschichtes des Parlamentarismus in Deutschland, Düsseldorf 1974, S. 207—223, hier: S. 216 f.). Das System der Doppel- oder gar Vielfachkandidaturen war in der SPD der Kaiserzeit durchaus üblich, wenn auch in der Partei selbst nicht unumstritten. Bei den Reichstagswahlen im lahre 1881 kandidierte Bebel etwa in 35 Wahlkreisen, während —
Wilhelm Liebknecht und Wilhelm Hasenclever jeweils 17 und Karl Grillenberger 15 Kandidaturen innegehabt haben sollen (Wilhelm Heinz Schröder [Bearb.]: Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Reichstagskandidaten 1898—1918. BiographischStatistisches Handbuch, Düsseldorf 1986, S. 21). 66) Löbe bezieht sich hier auf § 7 (2) des Wahlgesetzentwurfes der DWG (Mitteilungen Sept. 1948, S. 3). 87) Dr. h. c. Otto Braun (28. Jan. 1872-15. Dez. 1955), SPD-Politiker, MdR und preußischer Ministerpräsident 1920—33. Bei der Wahl vom 6. Nov. 1932 zog Braun erstmals für den Wahlkreis 1 (Ostpreußen) in den Reichtstag ein. Zuvor war er über den Wahlkreis 23 (Düsseldorf West) in den Reichstag gekommen. 68) Dr. Josef Baumgartner (16. Nov. 1904-21. Jan. 1964) wurde nach 1945 Mitglied der CSU und trat 1948 zur Bayernpartei über, deren Landesvorsitzender er wurde. Von 1946 bis 1959 war der in Bayern sehr populäre Politiker MdL; von 1945 bis 1948 und 1954 bis 1957 war er bayerischer Landwirtschaftsminister. Dem ersten Bundestag gehörte er bis zum
1.
Jan.
1951 an.
159
Nr. 6
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che Leute in allen Wahlkreisen aufstellt, dann sammelt er auf sich persönlich sehr viele Stimmen, verzichtet und bringt damit einen Kandidaten durch, der praktisch nach seiner Stimmenzahl niemals an den Drücker gekommen wäre. Damit würde man wieder Wasser auf die Mühlen derjenigen bringen, die das als eine schiefe Entscheidung bezeichnen. (Paul: Aber Sie wollen doch nicht die Stimmen dieses Mannes für ungültig
erklären?)
Nein! Schräge: Ich unterstreiche das, was Herr Diederichs sagt. Er hat allerdings keine Schlußfolgerungen gezogen. Das möchte ich tun, indem ich folgendes sage. Es ist so, daß man mit einer solchen Persönlichkeitswahl eine Täuschung der Wähler vornimmt und hier der Partei alle Chancen gibt zur Ausnutzung des Wahlkampfergebnisses mit aller Raffinesse. Das ist das, was man als Stimmenhäufung bezeichnet, die dann nur im Interesse der Partei liegen kann. Aber der Wähler ist doch getäuscht. Er lebt in dem guten Glauben, seine Stimme Herrn Braun gegeben zu haben; in Wirklichkeit ist es einer, den er gar nicht kennt, der sich nun als sein Kandidat präsentiert. Ich halte diesen Gedanken doch nicht für ganz ehrlich. Damit verwässert man den Gedanken der Persönlichkeitswahl. Vors. [Dr. Diederichs]: Diese Gefahr ist dadurch gemildert, daß der Wähler, wenn wir keine Stimmenhäufung haben, von seinen sechs Stimmen nur eine diesem Mitglied geben kann. Immerhin erkenne ich ihr Argument an, daß in gewissen Wahlkreisen von vornherein feststeht, daß der betr. Kandidat dort bestimmt nicht genommen wird. Es ist klar, daß ein Kandidat, der in 15 verschiedenen Wahlkreisen aufgestellt wird, von vornherein praktisch in 14 Wahlkreisen nicht akzeptieren kann, wenn er in allen gewählt wird. Das ist ein Gesichtspunkt, der dadurch gemildert wird, daß er ja nur eine von sechs Stimmen bekommt, daß der Wähler also mit seinen fünf anderen Stimmen die volle Entscheidungsfreiheit hat und hier nur gewissermaßen seine Sympathie kund—
gibt. Maier: Um das
zu
anzunehmen, daß
vermeiden, wäre
es
vielleicht doch angezeigt, den
Vorschlag
in einem Wahlkreis aufgestellt werden kann. Aber man müßte dann auf der Bundesliste eine genügende Sicherung haben für diejenigen Kandidaten, auf deren Wahl man besonderen Wert legt. (Schräge: Damit bin ich einverstanden!) Denn damit würde vermieden, daß man den Wählern gegenüber als Roßtäuscher auftritt. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß in irgendeinem Kreis ein Kandidat in dem festen Glauben gewählt wird, daß er nun der Vertreter dieses Wahlkreises sein werde. Wenn er nun verzichtet, fühlen sich die Leute enter nur
täuscht. All das sollte man vermeiden, aber die Sicherung auf der Bundesliste geben. Wir wollen keine Wahlstars mit Starmanieren hier großziehen. Vors. [Dr. Diederichs]: Dann wären wir praktisch auch darüber im Großen und Ganzen
160
einig.
Sechste
Sitzung
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September
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Nr. 6
[2f. Ersatzmandate für Ausfallende (§ 21)]
gehen nunmehr zu VI. Ersatzmandate für Ausfallende über, und zwar § 21 : Nachrücken. Hier wäre die Frage zu entscheiden, ob Nachwahl oder Nachrükken aufgrund der Ausgangsliste. Es ist hier zwar zum Ausdruck gekommen, daß Nachwahlen, wie sie auch in England besonders beliebt sind, eine besonders gute Möglichkeit geben, die jeweilige Stimmung festzustellen69). Wenn wir aber andererseits berücksichtigen, daß wir im Bundesgebiet Landtagswahlen, Kreiswahlen und Gemeindewahlen haben, in denen jeweils festgestellt wird, wie die Stimmung in den betreffenden Gegenden ist, so sehe ich persönlich keinen Anlaß, in einzelnen Wahlkreisen eine Einzelnachwahl vorzunehmen. Denn man muß davon ausgehen, daß solche Nachwahlen einerseits große Unkosten verursachen, während sie andererseits all diese Ausgleichsmöglichkeiten, die ja sonst praktisch gegeben sind, nicht enthalten, also keine Verrechnung der Reststimmen. Solch eine Nachwahl ist praktisch nur beim relativen Mehrheitswahlrecht Wir
gerechtfertigt. Ich halte es also praktisch für richtig, wenn man zu einem Proporzwahlrecht dieser Art kommen sollte, ein automatisches Nachrücken aus Reserveliste erfolgen zu lassen. Das Verfahren ist auch wesentlich billiger und gerechtfertigt; es ist wesentlich einfacher und praktischer und vermeidet eine Überbeanspruchung des Wählers durch Wahlen. Denn es kann leicht passieren, daß solche Wahlen mit anderen Wahlen zusammenfallen. Das ergäbe eine Überladung des Wählers und wäre nicht geeignet, seine Wahlfreudigkeit zu heben; außerdem bringt es während einer Session eine unnötige Schärfe in das Verhältnis der verschiedenen Parteien zueinander, die man vermeiden sollte. Ich denke nur daran, daß wir z. B. in Niedersachsen an zwei Stellen dieses Nachwahlverfahren haben70) und daß man nun evtl. in die Verlegenheit kommen könnte, in einzelnen Bezirken Nachwahlen zu veranstalten, in denen gewisse Gruppen, die vielleicht koalitionsmäßig ganz gut zusammenarbeiten, nun wie wilde Hunde aufeinander losgehen, nur um das Mandat zu erwerben. Dadurch würde eine Schärfe in die Dinge hineinkommen, die niemand herbeisehnt. (Schräge: Sie wirken zu jeder Zeit sehr unschön!) Ich bin persönlich der Auffassung, daß man Nachwahlen vermeiden soll—
te.
(Maier: Dann ist Partei
derjenige
es also so zu verstehen, daß von der Wahlkreisliste der Bewerber nachrückt, der die nächst höchste Stimmenzahl
hat?) Fällt ein Mandat aus, das auf Bundesliste gewählt ist, dann kommt der Nächste auf der Bundesliste an die Reihe. Fällt ein Mann aus, der direkt gewählt ist, dann kommt der mit der nächst größten Stimmenzahl in dem Wahlvorschlag dieses Bezirks an die Reihe. Ich glaube, daß ist ganz eindeutig und entspricht dem Wunsch der Bevölkerung; denn es ist durchaus möglich, daß von diesem Wahlvorschlag jemand mit 5200 Stimmen gewählt ist und ein ande—
69) Siehe z. B. oben Dok. Nr. 2, TOP 5 b. 70) § 31 LWG Niedersachsen. 161
Nr. 6
Sechste
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mit 5198 Stimmen nicht gewählt worden ist. Dann entspricht es der Gerechtigkeit, daß dieser Mann nachrückt. Das würde ich jedenfalls empfehlen. rer
Auch darüber scheint
Einmütigkeit
zu
bestehen.
[2g. Wahlprüfung und Schlußbestimmung] Dann kommen wir zu VII. Wahlprüfung. Auch darüber bestehen in den vorliegenden Gesetzen ganz umfassende Bestimmungen, die wir zum guten Teil übernehmen können. Wir können es wohl auch hier dem Redaktionsausschuß überlassen, uns einen entsprechenden Vorschlag zu machen. Sind hierzu noch irDas ist nicht der Fall. gendwelche Besonderheiten zu erwähnen. Dann kämen wir zu VIII. Schlußbestimmungen. Darin wäre alles über diejenigen zu sagen, die die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz zu erlassen haben. Es müßte festgestellt werden, wer die Ausführungsbestimmungen für dieses erste Wahlgesetz in Kraft setzt, und das Inkraftreten des Gesetzes würde in diese Schlußbestimmungen hineinkommen. Das müssen wir natürlich auf die Termine abstellen, die für das Gesamtwerk, das wir machen, gelten. Das wäre in großen Zügen das, was in dieses Wahlgesetz hineinzuschreiben wäre. Der Ausschuß beschließt, die nächste Sitzung am Dienstag, 5. Oktober 1948 um 15.00 Uhr abzuhalten und zunächst die Referate des Botschafters a. D. Dr. Luther und des Abgeordneten Dr. Wagner entgegenzunehmen und sich anschließend auf einen Termin für die Entscheidung über die Form des Wahlrechts zu —
einigen.
162
Siebte
Sitzung
5.
Oktober 1948
Nr. 7
Nr. 7
Siebte
Sitzung des Ausschusses 5.
für Oktober 1948
Z 5/82, Bl. 68-1461). Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 75-76, Drucks. Nr. 191/11
Wahlrechtsfragen
Wortprot.
Anwesend2) :
CDU/CSU: Kroll, Schräge, Walter SPD: Mücke (für Stock), Maier (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) Mit beratender Stimme: Katz (SPD), Löbe (SPD), Dehler (FDP)3), Frau Wessel (Z)
Sachverständiger: Luther4) Stenografischer Dienst: Haagen Beginn:
15.00 Uhr
Ende: 18.15 Uhr
[1. REFERAT DES SACHVERSTÄNDIGEN DR. LUTHER ÜBER DAS MEHRHEITSWAHLRECHT IN DEN USA UND GROSSBRITANNIEN] Vors. [Dr. Becker]: Ich eröffne den Ausschuß für Wahlrechtsfragen und habe die Ehre, Herrn Reichskanzler a. D. Dr. Luther zu begrüßen, den wir als Sachverständigen gebeten hatten, und der die Freundlichkeit hatte, auch hier zu erscheinen5). In seiner Botschafterzeit in Washington hat er sich umfassende Kenntnisse des amerikanischen Wahlrechts angeeignet, und darum haben wir ihn gebeten, als Sachverständiger zu uns zu sprechen. Es lag den Herren, die die Wahl auf Sie lenkten, vor allen Dingen daran, über die Wirksamkeit des dort geltenden JVlehrheitswahlrechts etwas zu hören. Die Anordnung und alles weitere ist in Ihr Belieben gestellt. Ich darf Sie vielleicht bitten, jetzt mit Ihren
gutachterlichen Äußerungen
zu
beginnen6).
Reichskanzler D. Dr. Luther: Ich danke Ihnen sehr für die Auszeichnung, die Sie mir durch die Einladung erwiesen haben. Ich darf zu meinen Ausführungen von vornherein sagen, daß ich die amerikanischen Dinge natürlich mit meinen deutschen Augen gesehen habe; und hinter diesen deutschen Augen standen die deutschen Erfahrungen einer Regierungsperiode von 3 V2 Jahren und außera.
enthalten handschriftlich korrigierte und wiederholt neugeschriebene des Wortprotokolls. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Zur Person Dehler siehe oben Dok. 3, Anm. 62. Zur Person Luther siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 112. Zum Beschluß des Wahlrechtsausschusses siehe oben S. 99. Luthers Vortrag wurde später veröffentlicht: Dem Wähler das Wahlrecht. Veröffentlichung des Studienkreises örtliche Vereinigung der Deutschen Wählergesellschaft nach einem GutTraunstein achten des Reichskanzlers a. D. Dr. Hans Luther, erstattet vor dem Ausschuß für Wahlrechtsfragen des Parlamentarischen Rates in Bonn. Wegen zahlreicher handschriftlicher Korrekturen wurde der Vortrag vom Sekretariat des Pari. Rates neu abgeschrieben.
1) Bl.
147—241
Durchschläge
2) 3) 4) 5)
—
6)
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5.
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dem all die Erfahrungen, die ich mir sonst im öffentlichen Dienst erworben habe. Außerdem möchte ich bemerken, daß ich das Mehrheitswahlrecht nicht nur in den Vereinigten Staaten gefunden habe, sondern daß es mir vergönnt gewesen ist, auch durch sämtliche britischen Dominien zu reisen. Ich habe also auch das Mehrheitswahlrecht in sämtlichen britischen Dominien gesehen und habe es, wie überhaupt die ganze Verfassung, zum Gegenstand eines besonderen Studiums gemacht und mich natürlich mit den Verhältnissen Großbritanniens selbst auch vertraut gemacht, obwohl ich keine längere Zeit, sondern nur kürzere Perioden in Großbritannien selbst verbracht habe. Was ich erlebt habe, geht vornehmlich von folgendem aus. Wenn bei uns in Deutschland und anderswo über Wahlrechtsfragen gesprochen wird, dann wird in der Regel nur ein einziger Punkt als wirklich zentral betrachtet, nämlich die Frage, wie man eine handlungsfähige Regierung erhält. Das ist die populäre Auffassung nicht nur in Deutschland, sondern auch in der ganzen Welt überhaupt. Guckt man aber hinter die Erscheinungen, so wird einem sehr bald klar, daß es zwei andere Punkte gibt, die bei der Wahlrechtsfrage von der ich bin fast versucht zu sagen: von mindestens der gleichen Bedeutung sind. Das ist vor allen Dingen die Frage der Erziehung gleichen Bedeutung des einzelnen Menschen zur Politik durch dieses oder jenes Wahlrecht; und das ist zweitens die Frage der Opposition, die nach meinen Erfahrungen hüben wie drüben für ein ordentliches Regieren ebenso wichtig ist wie die Regierung selbst. —
—
[la. Wahlrecht und politische Kultur]
Frage der politischen Erziehung durch das Mehrheitswahlrecht anbekommt man sofort zu der Frage des Zweiparteiensystems oder doch zunächst einmal annäherungsweise auf die Frage der großen Parteien. Alle historische Erfahrung lehrt, daß das Mehrheitswahlrecht fast nur große Parteien hervorruft und daneben eine Reihe von Einzelgängern. Die Zahlen der Einzelgänger werden gewöhnlich nicht erwähnt. In Amerika sind sie im allgemeinen gering. Im englischen Parlament gibt es augenblicklich, wenn ich nicht irre, 21 solche Einzelgänger7). Daß die großen Parteien immer wieder erstehen, weiß jedermann. Es entstehen nicht durchweg zwei Parteien; es gibt auch Fälle von drei Parteien. Der beharrlichste Fall, wohl einzige beharrliche dieser Art ist Australien. In Australien, wo ich den Dingen besonders nachgegangen bin, gibt es einmal ganz generell seit längerer Zeit 3 Parteien8), indem sich neben der und der eine landwirtschaftlispezifisch Linkspartei Rechtspartei gesprochen che Partei immer durchgesetzt und in der Wirkung gehalten hat. Das ist aber Was die
trifft,
so
—
—
7) Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 109. 8) Infolge der Rezession nach dem Ersten Weltkrieg, die besonders die Landwirtschaft traf,
bildete sich neben der Labour-Partei und den Liberalen die Country-Partei, die sich als Koalitionspartner der Liberalen bald als dritte Kraft im Land etablierte.
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der einzige mir bekannte Fall, wo das Dreiparteiensystem irgendwie mit Dauerhaftigkeit aus dem Mehrheitswahlrecht entstanden wäre. Sonst gibt es nur gelegentlich Übergangsformationen. Ich weiß nicht, ob man den jetzigen Zustand in England, wo es 13 Liberale gibt, als Übergangsformation bezeichnen soll oder
nicht. In Amerika ist jetzt durch die Wallace-Partei9) eine neue Gruppe hervorgerufen worden. Die amerikanische Geschichte hat eine Reihe von Fällen gehabt, in denen dritte Parteien entstanden waren, aber sie sind jedesmal nach der ersten oder zweiten Wahl von den großen Parteien wieder aufgesogen worden. Ich spreche natürlich vom Mehrheitswahlrecht im strengen englischen Sinne, also mit dem Erfordernis nur einer relativen Mehrheit im einzelnen Wahlkreis; ich spreche nicht etwa von einem Wahlrecht, das irgendwie auf eine absolute Mehrheit in einzelnen Wahlkreisen abzielt. Ich spreche vom englischen Mehrheitswahlrecht, wo von den verschiedenen Pferden, die da rennen, immer nur eins als erstes durchs Ziel gehen kann. Dabei bitte ich, den Vergleich zu entschuldigen, wenn er despektierlich erscheinen sollte; aber er ist der englischen Denkform entnommen. Dieses eine Pferd hat gesiegt, auch wenn die Mehrheit nur eine relative ist. Eine automatische Begleiterscheinung dieses Systems ist eben die, daß kleinere Parteien den Aufwand, der nun einmal mit jeder Wahl verbunden ist, bei den Aussichtslosigkeiten des Rennens gar nicht erst als Versuch unternehmen. Eine kleinere Partei würde viel Geld hineinstecken müssen, wenn sie eine in Betracht kommende Anzahl von Wahlkreisen erobern wollte; eine ganze Anzahl von Menschen würden ihre Namen zur Verfügung stellen müssen, und das geschieht eben aus gewissen Grundinstinkten der Menschennatur nicht. Wohl kommt es vor, daß einmal ein Einzelner einen ganzen Wahlkreis gegen die beiden großen Parteien auf seine Seite bekommt, damit abmarschiert und dann als Einzelgänger im Parlament einzieht. Der Erfolg eines solchen Vorgehens ist in der Regel für den Wahlkreis recht beklagenswert. Solch ein Einzelgänger kommt selbstverständlich nie in eine Kommission; solch ein Einzelgänger wird nie von irgendeinem Minister empfangen, und wenn er wirklich einmal zu einer Rede kommt, bekommt er eine sehr kurze Redezeit. Abgedruckt wird seine Rede nur im Heimatblättchen, während die große Presse von solchen Kundgebungen keine Notiz nimmt. Nicht selten ist das Ergebnis, daß der Wahlkreis daraus gelernt hat und bei der nächsten Wahl einen Kandidaten aufstellt, der geeignet ist, mit einer der beiden Parteien zusammenzugehen, damit der Wahlkreis auf diese Weise wieder Gewicht bekommt; oder aber was ebenso häufig vorkommt ein solcher Einzelgänger sieht, nachdem z. B. die Hälfte seiner Wahlzeit vorüber ist, daß er mit dieser Methode nicht —
—
9) Die Partei des neben Thomas Dewey und Harry Truman dritten Präsidentschaftskandidaten Henry Agard Wallace. Wallaces „Progressive Party" wurde nach dem verlorenen
Wahlkampf
von den beiden großen Parteien Demokraten und Republikanern aufgesogen. Siehe zum Phänomen der „dritten Parteien" in den USA: William Best Hesseltine: The Rise and Fall of Third Parties. From Anti-Masonry to Wallace, Washington D. C. 1948, bes. S. 86 ff.; vgl. auch Norman D. Markowitz: The Rise and Fall of the People's Century: Henry A. Wallace and American Liberalism, 1941-1948, New York 1973 (vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 89).
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Ziele kommt und meldet sich bei einer der beiden Parteien, und wenn er nicht zu arg getrieben hat, wird er aufgenommen. Und damit ist der Einzelgänger wieder aufgesogen. Das ist ein Vorgang, der immer wieder eintritt. Bei den über 600 Mitgliedern des englischen Unterhauses sind es, wenn die Erinnerung mich nicht täuscht, zur Zeit 21, also 3 % %10). zum
es
[Ib. Das Verfahren der Nachwahlen] Schon diese Vorgänge bedeuten ja eine gute Lehre für den einzelnen. Aber was für den einzelnen Bürger das meiste Lernen bedeutet und was für mich in gewissem Sinne das zentrale Erlebnis im Mehrheitswahlrecht ist, sind die Nachwahlen. Ich bin ja auch in Deutschland aufgewachsen und kenne infolgedessen seit 1919 bei uns nur das bekannte automatische Nachrücken auf irgendeiner Liste. So sehr man sich in den neuen Ländern bemüht hat, diese Liste zu verpersönlichen, sie mehr auf Einzelbezirke zu beziehen und sie nicht nur als Zentralliste aufzustellen, immer, wo die Verhältniswahl herrscht, gibt es eine Liste, und immer gibt es ein Nachrücken. Dieses Nachrücken ist im Mehrheitswahlrecht einfach nicht möglich, weil da niemand ist, der nachrücken könnte, sondern dort muß eben der Wahlkreis, der durch Tod oder aus einem anderen Grunde vakant geworden ist, neu wählen. Mit diesem System der Nachwahlen wird das wirkliche politische Interesse im Volk dauernd lebendig gehalten. Sie dienen gleichzeitig gewissermaßen als Barometer, an dem man die Volksstimmung ablesen kann. Wenn man die wirkliche politische Gesinnung des Volkes erkennen will, braucht man nicht auf solche, vom politischen Standpunkte aus Pseudo-Vorgänge zurückzugreifen, wie etwa die Gemeindewahlen. Die letzten Gemeindewahlen gerade in Bayern haben eine ganz phantastische Verschiebung gegenüber der derzeitigen Zusammensetzung des Bayerischen Landtags erbracht11). Aber es waren ja gar keine politischen Wahlen für den Landtag, sondern es waren Gemeindewahlen. Derartiges Behelfsmäßiges braucht man in England nicht, um die Volksstimmung zu erkennen. Denn von den mehr als 600 Abgeordneten in England pflegt sich doch immer ein gewisser Prozentsatz in jenem Alter zu befinden, in dem statistisch der Tod häufiger Einkehr hält. Also es kommt selbstverständlich immer eine erhebliche Anzahl von Nachwahlen vor. Diese echt politischen Nachwahlen halten nach meinen Beobachtungen die Lebendigkeit und das politische Interesse bei den einzelnen Wählern außerordentlich hoch. Das habe ich besonders auch in den britischen
dasjenige,
Dominien
gesehen.
10) Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 109. u) Bei den bayerischen Gemeindewahlen
vom 25. April 1948 erlitten die großen Parteien erhebliche Verluste. Die CSU kam lediglich auf 30 % der Stimmen (gegenüber 52,3 % bei der Landtagswahl vom 1. Dez. 1946); die SPD erreichte nur 19,8 % (1946: 28,6 %). Der politische Erdrutsch war vor allem darauf zurückzuführen, daß bei den Gemeindewahlen 32,4 % der Wähler für parteilose Kandidaten stimmten (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 27 ff.).
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Oktober 1948
Nr. 7
Nun ist die eine Nachwahl gewiß nicht wie die andere. Es gibt Wahlkreise, die so fest in der Hand einer Partei befinden, daß der Kandidat immer wieder von dieser Partei kommen wird, die nun einmal diesen Wahlkreis besitzt. Sol-
sich
che Zustände sind überall vorhanden, wo es die Mehrheitswahl gibt. Aber daneben gibt es mit viel größerem Gewicht die umstrittenen Wahlkreise. In solchen umstrittenen Wahlkreisen entsteht bei Nachwahlen ganz großes politisches Leben; da tauchen dann die Parteigrößen von beiden Seiten auf; da wird die ganze politische Munition von der einen wie von der anderen Seite verschossen; der einzelne Wähler fühlt sich wirklich in einer Schlüsselstellung staatspolitischer Entwicklung; er sieht, daß von seiner Stimme unter Umständen eine große Wende abhängt. Denn es ist ich spreche jetzt von England und von den Dominien ein häufig geübter Brauch, daß, wenn eine Reihe von Nachwahlen ein Umschlagen der Stimmung zum Ausdruck bringt, das Parlament sich dann freiwillig auflöst. Eine solche Abhängigkeit von der wirklichen Volksstimmung wird unter dem Verhältniswahlrecht niemals vorkommen, da es dort ja keine Nachwahlen, sondern automatisches Nachrücken gibt. Nun bin ich speziell über Amerika gefragt worden und muß infolgedessen etwas hinzufügen: Was ich eben gesagt habe, bezieht sich auf Großbritannien und seine Dominien und nicht auf Amerika. In Amerika gibt es Nachwahlen eigentlich nur für die zweite Kammer, für den Senat. Davon hier im einzelnen zu sprechen, ist wohl nicht mein Thema. Von der ersten Kammer, vom Repräsentantenhaus, kann ich zwar nicht sagen, daß es überhaupt keine Nachwahlen gäbe; aber mindestens sind sie sehr selten. Nach der amerikanischen Verfassung ist die Zahl der einzelnen Abgeordneten, der Mitglieder des Repräsentantenhauses, auf die einzelnen Staaten nach ihrer Einwohnerzahl verteilt. Die Staaten haben dann bei den Wahlen gewisse Grundlinien zu beobachten, wobei lange Zeit die Frage der farbigen Bevölkerung die große Rolle gespielt hat. Aber das ist seit dem Sezessionskrieg12) ausgeräumt. Gewisse allgemeine Grundlinien gelten für die ganze Union, so bald nach dem ersten Weltkrieg auch die, daß die Frauen wahlberechtigt sind13). Wie aber der einzelne Staat nun die Wahl der Abgeordneten im einzelnen vollzieht, ist Sache des betreffenden Staates, und so mag es sein, daß einzelne Staaten die Nachwahlen kennen. Im allgemeinen kennt man sie nicht. Das hängt mit der außerordentlich kurzen Wahldauer des amerikanischen Repräsentantenhauses zusammen, das ja nur auf zwei Jahre gewählt wird. So bleiben freiwerdende Sitze in der Regel vakant. Beim Senat dagegen, wo der einzelne Abgeordnete auf 6 Jahre gewählt wird, gibt es Nachwahlen in einem besonderen Verfahren. Die britische Welt ist erfüllt mit diesen Nachwahlen, und auf mich hat kaum je im Leben ein politisches Geschehen einen tieferen Eindruck gemacht als diese englischen Nachwahlen, durch die das ganze Volk an der Politik interessiert und in ihr lebendig gehalten wird; denn jeder einzelne kann jeden Augenblick, wenn in seinem Wahlkreis der Abgeordnete ausfällt, dazu berufen werden, —
—
12) Amerikanischer Bürgerkrieg 1861—1865. 13) Das Frauenwahlrecht wurde in den USA durch das Jahre 1920 eingeführt.
19. Amendment
zur
Verfassung
im
167
Nr. 7
Siebte
Sitzung
nunmehr in einer
5.
neuen
Oktober 1948 Wahl
zu
entscheiden. Das ist ein ganz
politischer Erziehung für das Volk. [lc. Mehrheitswahlrecht und
großer Faktor
Parteienbildung]
Ebenso hoch aber schätze ich folgenden anderen Faktor. Es gibt im englischen Wahlrecht ganz vorwiegend nur große Parteien. Eine im Werden befindliche Partei, also eine zunächst kleine Partei, kann sich weiter entwickeln, wie das die Labour-Partei in England vor unserer aller Augen getan hat, kann natürlich auch wieder absterben. Aber der Stil des englischen Wahlrechts führt zu großen Parteien. Wo sich nun klar und deutlich das Zweiparteiensystem entwikkelt hat, da muß jede einzelne Partei sich auf das große Allgemeingeschehen im politischen Leben einstellen: sie muß die Notwendigkeit für jeden einzelnen begreifen, einzusehen, daß er und seine Interessen nicht für sich allein im Volke vorhanden sind, sondern daß es auch noch andere Interessen gibt. Nur auf solcher Grandlage kann der wesentlich politische Mensch erwachsen. Ich darf hier vielleicht einfügen, daß ich während meines ganzen politischen Lebens keiner politischen Partei angehört habe14), aber ich glaube, trotzdem auf deutsche Dinge Bezug nehmen zu dürfen. Mein Erleben sowohl als Oberbürgermeister der Stadt Essen15) wie später in der Reichsregierang geht dahin, daß es eine Partei gab, die mit Ausnahme gewisser weltanschaulicher und personeller Fragen diesen Ausgleich von rechts bis links in sich selbst gefunden hat, in der der oberschlesische Magnat seinerzeit mit dem radikalen christlich-gewerkschaftlichen Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet in derselben Fraktion zusammengesessen hat. Das war das alte Zentrum. So hatte ich es auch in der Stadtverordnetenversammlung in Essen. Das Zentrum war in gewissem Sinne die ideale nicht vom Standpunkt der BequemlichRegierungs- und Verwaltungspartei keit der Regierenden und Verwaltenden aus; die Zeit, da das ein bequemeres Geschäft war, gehört einer noch weiter zurückliegenden Vergangenheit an; vielmehr in dem Sinne, daß man zu sachlichen Verständigungen gelangt, ohne nun nach außen hin und vor aller Öffentlichkeit zu alle Welt nicht befriedigenden Kompromissen kommen zu müssen, sondern wo einem von vornherein Anschauungen entgegengetragen wurden, die man als Ganzes und als Ausführbares in der Hand hatte. Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit vielleicht ein Gespräch erzählen, das ich einmal mit einem Engländer hatte, und zwar zu einer Zeit, als ich der Reichsregierung angehörte. Dieser Engländer, aufgewachsen im Zweiparteiensystem, sagte zu mir: Eine merkwürdige Sache sind eure deutschen Parteien; eure deutschen Parteien treiben ja alle miteinander keine Politik, sondern Theologie mit alleiniger Ausnahme des Zentrums. Ich glaube, diese sehr hübsche und Geschichte wirklich sehr deutlich, was ich meine. pikant zugespitzte belegt —
—
—
—
4) Luther trat im Jahr 1927 der Deutschen Volkspartei bei. Ein Jahr zuvor war er als Reichskanzler
gestürzt worden.
5) Luther war von 168
1918
bis 1922
Oberbürgermeister von
Essen.
Siebte Für mein Gefühl und als
Ergebnis
der Politik, die Menschen man
infolgedessen ungeachtet
teien sein so
zu
meines Lebens ist
aus
allen
in die Partei
es
5.
Oktober 1948
die ganz
Nr. 7
große Aufgabe
lehren, daß sie miteinander leben müssen, daß aller
grundsätzlichen Gegensätze,
mögen, und in gewissem Sinne
führt, daß
Sitzung
immer sein
sagen wir einmal:
die in den Par-
werden, doch jede Partei
Lagern des Volkes
ein Hineinströ-
möglich ist. Das gerade erreicht das Zweiparteiensystem. Dadurch wird das gesamte politische Denken von etwas Maßvollem durchsetzt. Es mag Anschauungen geben, die das Maßvolle nicht wollen. So sehr ich mich bemühe, hier nur technisch zu sprechen, so muß ich doch an diesem Punkte meine persönliche Meinung dahin aussprechen, daß ich durchaus das Maßvolle will und das Gefühl habe, daß unser Volk eigentlich infolge seines Ausbrechens aus dem Maßvollen genug leidvolle Erfahrungen hinter sich hat. Will man das Maßvolle, so führt das englische System mit Bestimmtheit dazu. Das darf ich vielleicht noch in einem anderen Zusammenhang schildern. Jede Partei will im nächsten Wahlkampf siegen. Das gehört zum Wesen des men
—
Parteihaften. Wo kann
beim Zweiparteiensystem die Partei die Wähler in ihrer Wählerschaft vermißt hatte? Doch immer nur von der anderen Partei, und da mit aller Wahrscheinlichkeit besonders aus den Menschen, deren Denken an der Berührungsfläche mit der anderen Partei steht. An der Berührungsfläche der anderen Partei befinden sich aber immer die maßvollen Flügel. Wenn man jetzt soviel davon spricht und zwar nicht nur in Deutschland, sondern derselbe Ruf geht zum Beispiel auch durch Frankman solle eine neue Partei der Mitte bilden, ja die Partei der Mitte reich als solche, so wäre eine solche Partei nach allen historischen Erfahrungen von vornherein oder sehr bald zur Minorität verurteilt. Das haben wir selbst hinreichend durchgeprobt, am krassesten in der Brüning-Zeit16), und das wird jetzt vor unseren sehenden Augen in Frankreich durchexerziert17). Mit dem Schlagwort „Partei der Mitte" gewinnt man die Menschen gewiß nicht. Aber mit einer tatsächlichen Konstellation, die automatisch nur zwei Parteien schafft, bringt man in beide Parteien einen gewissen Geist der Mitte hinein. Bücher über das englische Wahlrecht, von denen es ganz ausgezeichnete gibt, machen mit einer außerordentlichen Ehrlichkeit darauf aufmerksam, daß das politisch entscheidende Menschengut zwischen den beiden Parteien liegt. Das sind jene Menschen, die in ihrem Leben zwar Fortschritte für sich und für ihre Kinder haben wollen, die eine bessere Lebenshaltung haben wollen, die aber doch auch Ruhe und Sicherheit haben wollen; und die gucken nach den beiden Parteien. Wenn ihnen die eine Partei das Ruhe- und Sicherheitsmoment auf Kosten der Mögnun
herbekommen, die sie bisher
—
,
—
Republik verstand sich vor allem das Zentrum als eine „Partei die einzige Partei war, in der sich nach dem Selbstverständnis der großen Volksparteien nach 1945/49 Klassengegensätze aufhoben. Allerdings scheiterten die Bemühungen des Zentrums, sich als „Partei der Mitte" zu etablieren, schon an der Rechtskoalition mit der DNVP im 4. Kabinett Marx in den Jahren 1927/28. 17) Gemeint ist wohl die Bildung der Troisième Force durch die Sozialistische Partei und die 16)
In der Zeit der Weimarer
der Mitte", weil
es
—
—
Republikanische Volksbewegung (Mouvement Républicain Populaire, MRP) 1948/49. Die Troisième Force sollte den Kampf gegen die extremen Rechts- und Linksparteien und der Unterstützung der Regierung der Mitte dienen (AdG 1948/49, S. 1315). 169
Nr. 7
Siebte Sitzung
5.
Oktober 1948
lichkeiten des persönlichen Fortschritts übertrieben zu haben scheint, dann wählen sie die andere; und wenn jene andere Partei das Moment der Weiterentwicklung, der erhofften Bessergestaltung auf Kosten des Moments der Ruhe und Sicherheit übertrieben zu haben scheint, so schwenken sie zurück zur ersten Partei. Das ist ja das Geheimnis des englischen politischen Lebens. Das ist auch ein Programm der Mitte, nur nicht als solches proklamiert, sondern aus der Automatik der Dinge entstehend und dabei immer in die jeweilige Lösung auch die Menschen mit klarem politischen Wollen aktiv einschaltend, als Regierung oder als Opposition. Dadurch, daß man Wähler von der anderen Partei bekommen will, ergibt sich daher generell mit Automatik, daß in der Regel das Schwergewicht in den beiden Parteien auf dem maßvollen Flügel liegt. Ganz anders beim Verhältniswahlsystem, wo Sie es ja alle erlebt haben und jetzt wieder erleben, daß radikal zugespitzte Schlagworte sehr leicht geeignet sind, eine Menschenmenge um sich zu versammeln, daß es dafür immer Führer und immer Generalsekretäre gibt. Dieser Umstand führt die Parteien dazu, ihr Schwergewicht mehr auf die jeweils radikale Seite zu verlagern, um dadurch jene sich zuspitzenden Gestaltungen aufzufangen. Das ist, vom Bürger und Wähler aus gesehen, vom Volk ausgesehen, von den großen Gesichtspunkten aus gesehen, der wirkliche Unterschied zwischen dem englischen Mehrheitswahlrecht und dem Verhältniswahlrecht. Daß das Verhältniswahlrecht zur Herausarbeitung der Radikalismen rechts und links und zu den Parteispaltungen führt, hat das deutsche Volk in der Weimarer Republik leidvoll genug erlebt, hat auch die Sozialdemokratie in der Abspaltung der Unabhängigen und der Kommunisten erfahren18). Das Ergebnis war der Zustand der Brüning-Zeit, wo nur die negative Majorität aus rechts und links da war, aber keine Majorität mehr zum Regieren. Entsprechendes ist jetzt in Frankreich im Gange19). In der bisherigen Betrachtungsart, die von der politischen Volkserziehung ausgeht, sehe ich das stärkste Moment, das für das Mehrheitswahlrecht spricht, und nicht in irgendwelchen technischen Dingen des Regimes. Ich meine, wir sollten jetzt wirklich alle mit dem Glauben Ernst machen, daß der einzelne Bürger in der Lage sein soll, fortlaufend mitzuarbeiten, daß er nicht nur alle 4 Jahre zur Wahl gerufen wird wie zu einer Art Musterung der Zugehörigkeit zu dieser oder jener Partei, zu diesem oder jenem Parteiprogramm, sondern daß er dauernd im lebendigen Fluß der Ereignisse mitwirkt. Solche grundsätzliche Einstellung führt zum Mehrheitswahlrecht. Zum Punkt Amerika muß ich dabei noch etwas Besonderes nachtragen. Der Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten in Amerika ist nicht annähernd so klar wie in England der Unterschied einstmals zwischen Konservativen und Liberalen und heute zwischen Konservativen und Labourpartei. Diese beiden Parteien stellen etwas Weltanschauliches dar: die Republikaner und Dela) Nach permanenten innerparteilichen Auseinandersetzungen über die Zusammenarbeit
19) 170
mit den bürgerlichen Parteien während des Krieges spaltete sich unter Führung von Hugo Haase und Karl Kautsky am 9./11. April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) von der SPD ab; hiervon spaltete sich wiederum die KPD ab. Siehe auch oben Dok. Nr. 2, Anm. 112.
Siebte
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5.
Oktober 1948
Nr. 7
mokraten nicht oder keinesfalls im gleichen Ausmaß. Die Republikaner und die Demokraten sind in der Hauptsache historisch gewordene Gebilde. Trotzdem darf man sie sich nicht so vorstellen, als hätten sie gar kein Programm. Oh, sie haben sehr wohl Programme, aber sie haben wechselnde Programme oder besser, anpassungsfähige; sie machen ein besonderes Programm für den jeweiligen Wahlvorschlag in Gestalt der sogenannten Wahlplattform. Auf diese Wahlplattform hin werden sowohl bei den sogenannten Zwischenwahlen also bei den die Abgeordneten, Wahlen, bei denen der Präsident nicht mitgewählt wird die Mitglieder des Repräsentantenhauses, und die neu zu wählenden Senatoren gewählt, dies gilt auch namentlich bei den Hauptwahlen, bei denen die gleichen Wahlen wie bei den Zwischenwahlen erfolgen, außerdem aber der Präsident gewählt wird. Diese Hauptwahlen vollziehen sich nebenbei gesagt immer in den Schaltjahren; so auch jetzt im Jahre 194 820). Diese Verbindung mit den Schaltjahren ist ein historischer Zufall. —
—
—
—
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[ld. Mehrheitswahlrecht und Persönlichkeit] Das Wesentliche ist die Plattform (Wahlplattform). Auch bei der Wahl des Präsidenten, natürlich immer in Verbindung mit der Persönlichkeit der Präsidenten. Überhaupt ist ein anderer Aspekt, der sehr deutlich zugunsten des englischen Wahlrechts spricht, das weit stärkere Hervortreten der Persönlichkeit des zu Wählenden. Wenn ich diesen Gesichtspunkt der Persönlichkeit in diesen meinem Vortrag nicht breit behandle, so lege ich mir diese Beschränkung deshalb auf, weil die Notwendigkeit einer stärkeren Betonung der Persönlichkeiten im Grundsatz in weiten politischen Kreisen Deutschlands anerkannt ist. Nur was nach dieser Richtung im Rahmen des Verhältniswahlrechts oder der sogenannten gemischten Systeme versucht ist und wird, bleibt weit zurück hinter der na-
türlichen Abstellung auf die Persönlichkeit, die vom englischen Wahlrecht geboten wird. Genau so, wie die UN aus Vertretern der einzelnen Länder zusammengesetzt ist, wobei jeder Staat einen Vertreter entsendet, so tritt nach dem englischen Wahlrecht das Parlament aus Vertretern der einzelnen Wahlbezirke zusammen und jeder Wahlbezirk entsendet einen Vertreter. Aber ungeachtet dessen: auf diesem Unterbau befinden sich außerordentlich starke Parteiorganisationen, und jene Parteiorganisationen stellen ebenfalls einen Führer heraus, und der einzelne Wähler kennt durchaus nicht nur die Kirchturmgesichtspunkte seines eigenen Wahlbezirks. Nehmen wir einmal ein Beispiel: Ein weinerzeugender Wahlbezirk, was es in England freilich nicht gibt, will einen begeisterten Weinbauern entsenden. Das wäre, wenn der Weinbauer keine allgemeinen politischen Fähigkeiten aufweist, reine Kirchturmpolitik. Aber ich schilderte schon, wie dieser Wahlbezirk aller Wahrscheinlichkeit nach damit hineinfällt, weil der Einzelgänger zu keiner Rolle kommt. So wird auch der Wähler dazu erzogen, die beiden Gesichtspunkte
20) Zur US-Präsidenten- bzw. Hauptwahl siehe auch oben Dok.
Nr. 2, Anm. 89. 171
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und seine Entscheidung danach zu treffen, daß er zwar eiMann seines Vertrauens, aber doch einen solchen Mann seines Vertrauens entsendet, der im großen politischen Leben eine Rolle spielen kann. Die Parlamentsgeschichte der englisch sprechenden Welt lehrt, daß diese Automatik imzu
berücksichtigen
nen
mer
wieder funktioniert.
richtig: Auch die Parteiführer müssen sich persönlich in eiWahlbezirk das Mandat erobern; es gibt im englischen Wahlrecht nichts Listenartiges, das den Parteiführern einen sicheren Sitz verschaffen würde. Nun werden Sie mir vielleicht vorwerfen, daß ich selber niemals in der ehrenvollen Rolle eines Parteiführers oder auch nur in der Umgebung eines solchen Mannes gewesen bin. Aber mir persönlich erscheint das englische System gar nicht schlecht. Es soll eben im Parlament nur jemand sitzen, der imstande gewesen ist, sich selber einen Wahlkreis zu erwerben. Wir haben ja eben den Vorgang in Südafrika erlebt: da ist es einem Mann mit großem politischen Namen, General Smuts, nicht gelungen, sich einen Wahlkreis zu erobern21). Infolgedessen ist er nicht in das südafrikanische Parlament zurückgekehrt. Aber wo es längere Zeit ein Mehrheitswahlrecht gibt, rechnet dies niemand dem Manne etwa zur Unehre oder zum Nachteil an. Ihm ist es eben in diesem Fall einfach nicht gelungen; vielleicht wird er trotz seines hohen Alters bei der nächsten Wahl wiedergewählt. Aber im Parlament kann er jetzt nicht sein. Im Parlament kann nur der sein, der es in seinem Wahlkreis zustande gebracht hat, von diesem Wahlkreis entsendet zu werden, wie ja auch in der UN nur jemand sein kann, der von dem betreffenden Lande entsandt wird. Ich sehe nicht, welcher Einwand vom demokratischen Standpunkt dagegen zu erheben wäre. So ist eben das Leben. Das Leben besteht weder nur aus Personen noch nur aus Programmen oder Plattformen. Das Leben besteht nicht nur aus den Gegebenheiten des Staates, sondern es besteht auch aus den örtlichen Dingen. Der Politiker, der einen Wahlkreis vertreten soll, muß in allen diesen Eigenschaften und Richtungen von einem Wahlkreis in einer konkreten Wahl anerkannt worden sein. Das ist das, was ich in Amerika in so starkem Maße miterlebt habe, was auf mich dort den denkbar stärksten Eindruck gemacht hat: Dort gibt es nicht diese toten Listen, die nach dem Gesichtspunkt zusammengestellt werden, daß z. B. mindestens an der dritten Stelle eine Frau und an der fünften Stelle ein Postbeamter sich finden muß; sondern jeder Kandidat steht für sich selbst. Was zum Schluß herauskommt, ob verhältnismäßig viele Frauen oder verhältnismäßig viele Arbeiter oder Beamte oder verhältnismäßig viele Gelehrte gewählt werden, das weiß niemand vorher. Wir wissen ja auch bei der UN nicht, welchen Ursprungs die Leute sind, die da entsandt werden, sondern man nimmt sie entgegen als Vertreter ihres Ursprungslandes. Das eine freilich ist
nem
Mai 1870-11. Sept. 1950), südafrikanischer Politiker, Minister1919 bis 1924 und 1939 bis 1948. Der populäre Politiker und Führer der war bei den Parlamentswählen vom 26. Mai 1948 in seinem Wahlkreis völ-
21) Jan Christian Smuts (24.
präsident
von
Unionspartei
lig überraschend nicht wiedergewählt worden. Er nahm jedoch das Angebot seiner Partei an, einen anderen freigewordenen Abgeordnetensitz zu übernehmen (AdG 1948/49, S. 1510 und 1516). 172
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[le. Die parlamentarische Opposition] Nun zum Thema Opposition! Meine Herren, Regierungen, wenn sie einmal gebildet sind, pflegen sich als solche zusammenzuleben, solange sie nicht von den Parteien, die hinter ihnen stehen, gestört werden. Das ist wenigstens meine Erfahrung. Ich habe ja immerhin in einer stattlichen Anzahl von Regierungen gelebt und gearbeitet, und wir haben in der Arbeit des Regierens alle mehr oder weniger vergessen, woher der eine war und woher der andere. Die Regierungen, in denen ich mitzuwirken die Ehre hatte, wuchsen zu einer Einheit zusammen. Also einen Weg des Regierens, glaube ich, wird man selbst unter schwierigen Verhältnissen schließlich finden, wenigstens so lange für die Regie-
was rung eine parlamentarische Mehrheit zur Verfügung steht, selbst dann beim Verhältniswahlrecht unvermeidlich die wenn ist —, ganz ja Regierung auf einer Koalition beruht. Selbstverständlich können unglücklich zusammengekommene Koalitionen auch schon in den Kabinetten ein zielbewußtes Regieren lähmen. Ich will durch meine Darlegung nur recht deutlich machen, daß man ganz einseitig bleibt, wenn man das Wahlrecht nur von seiner Fähigkeit her beurteilt, eine geschlossene Regierung zu bilden. Daß die Bildung geschlossener Regierungen beim englischen Wahlrecht viel leichter möglich ist als beim Verhältniswahlrecht, versteht sich am Rande. Ich bin aber durchaus nicht ein grundsätzlicher Gegner von Koalitionen. Auch wo das Zweiparteiensystem herrscht, hat es in ernsten Zeiwir als Deutsche wissen jetzt ten, in Kriegszeiten und in ähnlichen Zeiten Koalitionen was zu wir darunter verstehen haben gegeben, sind Koagenau, litionen weit verbreitet gewesen und haben sich oft bewährt. Das, wogegen ich mich aus meinem eigenen Erleben wehre und was es drüben in den Vereinigten Staaten nie gegeben hat, ist der Zwang zu Koalitionen, ist besonders der im System liegende, niemals vermeidbare Zwang zu Koalitionen. Das eben war die Situation, die infolge des Verhältniswahlrechts unvermeidbar in der Weimarer Republik galt. So ergaben sich dort ausnahmslos Regierungen, die in höchst seltsamer Weise mit vielem Hin und Her entstanden waren. Der Zwang zur Koalition ist das Übel, nicht die Koalition selbst. Ganz eindeutig ist beim Vielparteiensystem des Verhältniswahlrechts die Schwierigkeit von der Seite der Opposition her. Eine als Regierung aufgebaute Mitte mit den Oppositionen auf beiden Seiten kann überhaupt nicht mehr arbeiten, wenn die addierten Oppositionen von rechts und links die Mehrheit haben. Diese negativen Majoritäten, wie wir sie jetzt in Frankreich erleben und wie wir es am schlimmsten in der Brüning-Zeit erlebt haben, sprechen eine beredte Sprache. Ist denn damit das Problem gelöst, wenn man einen Reichskanzler oder Bundeskanzler hat ich glaube, diese Gedanken gehen hier um einmal der, gewählt, erst dann zum Rücktritt gezwungen werden kann, wenn die Opposition einen Nachfolger für ihn präsentiert? Meines Erachtens nicht. Denn wo soll diese negative Opposition, die sich aus rechts und links zusammensetzt, den gemeinschaftlichen Bundeskanzler herbekommen? Aus vollkommenen Gegensätzen kann kein Bundeskanzler entstehen. Die Mitte soll dann al—
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—
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so,
weil
man
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ohne Bundeskanzler nicht regieren kann, weiterregieren, obwohl 173
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sie keine Mehrheit im Parlament hat. Wie aber soll denn dieser unglückliche Bundeskanzler aus der Mitte das eigentlich machen? Dann muß er mit einem Art. 48 der alten Weimarer Verfassung regieren22) ! Ich weiß nicht, ob ihre Ansicht in diesem Hause dahin geht, einen solchen Art. 48 wieder einzuführen, nehme dies jedoch nicht an. Wenn aber ein Art. 48 nicht neu eingeführt wird, wie um alles in der Welt soll dann regiert werden? Als ich Reichskanzler war und mein zweites Kabinett, eine Minderheitsregierung der Mitte, aufgestellt hatte23), da waren die Verhältnisse nicht annähernd so schwierig wie in der Brüning-Zeit, und so gelangen in gewissem Umfang Lösungen, sei es mit links, sei es mit rechts. In vielen anderen Fällen aber kam nichts zustande. Da habe ich einmal ein Wort in den Reichstag hineingerufen, das lange Zeit durch die Presse gegangen ist: „Irgendwie muß Deutschland doch regiert werden24)!" Und dieses „irgendwie Regieren" kann eben eine Mitte, die einer Majoritäts-Opposition ausgesetzt ist, welche aus rechts und links besteht, mit keinerlei Sicherheit durchführen, wenigstens nicht ohne einen neuen
Art. 48.
Dagegen ist eine geschlossene Opposition, wie sie in der Regel dem Zweiparteiensystem des englischen Wahlrechts entspricht, etwas ganz anderes. Sie ist wirklich bereit, die Regierung zu übernehmen. Wenn, wie es in der englischen Parlamentsgeschichte auch vorgekommen ist, Mitglieder der einen Partei zur anderen übertreten, entsteht vielleicht mit einem Schlage dadurch die Mehrheit der Opposition. Es ist bekannt, daß der auch außerhalb Englands viel bewunderte Winston Churchill zweimal seine Partei gewechselt hat25). Er ist einmal mit seinem Wahlkreis nach der einen Richtung abgewandert und dann mit diesem Wahlkreis zur anderen Richtung zurückgekehrt. Wo das Zweiparteiensystem herrscht, braucht man keinen Art. 48 ; da ergibt sich ganz von selbst die regierende Mehrheit. Da braucht man auch kein Ermächtigungsgesetz26), mit dem sich dann das Parlament weitgehend seiner eigenen Befugnisse begibt. Derartige Dinge sind doch im Grunde genommen nur Lückenbüßer und völlig undemokratisch. Man kann sie aber, wenn man nach dem Verhältniswahlsystem gewählt hat, nach der historischen Erfahrung nicht entbehren. Die Notwendigkeit solcher Lückenbüßer beweist, daß das ganze System, aus dem diese Notwendigkeit erwächst, falsch ist. Eine geschlossene Opposition wird auch von der Regierungsseite aus in vollem Maße beachtet. Das hat Großbritannien sogar bis zu der Regelung geführt, daß der Führer der Opposition vom Staate selbst eine Besoldung bezieht. Da braucht keine mehr oder weniger papierene Erklärung abgegeben zu werden, man beabsichtige, eine konstruktive Opposition zu betreiben, sondern der kon22) Vgl. oben Dok. Nr. 3, Anm. 63. 23) Das 2. Kabinett Luther (20. Jan. bis 17. Mai 1926) konnte sich nur auf eine Minderheitsregierung stützen, einer Koalition von Z, BVP, DVP und DDP. 24) Reichstagsrede vom 27. Jan. 1926 (Sten. Berichte Bd. 388, 149. Sitzung, S. 5170). 25) Vgl. oben Dok. Nr. 3, Anm. 22. 26) Das Ermächtigungsgesetz („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vom 24. März 1933, RGBL, I S. 141) gab der Reichsregierung die uneingeschränkte Gesetzge-
bungsbefugnis.
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struktive Charakter der Opposition folgt aus dem System selbst. Schon morgen kann der Oppositionsführer Premierminister sein, und dann darf er nicht im voraus allzu freigebige Versprechungen gemacht haben, die lediglich propagandistisch sind. Vielmehr muß er bei jedem Gedanken, den er ausspricht, sich der Gefahr bewußt sein, daß er ihn vielleicht morgen schon zu verwirklichen hat und daß ihm die neue Opposition dann wahrhaftig nichts ersparen wird, wenn er das, was er vorher gesagt hat, nicht auszuführen vermag. Im Verhältnis dazu ist eine Opposition, wie ich sie im Reichstag erlebt habe, oftmals geradezu greulich: Einmal kommt sie von hier, einmal von dort, und es besteht keine saubere Grenze zwischen Regierung und Opposition. Irgend eine der Parteien, die hinter der Regierung stehen, liebäugelt bereits mit einer neuen Konstellation; schließlich kommt man selbst in Kabinettssitzungen in Situationen, in denen man nicht mehr ganz aufrichtig sein kann. Bei allem persönlichen Zusammenhalten der Regierungsmitglieder stecken vielleicht die Mitglieder der Parteien A, B und C die Köpfe zusammen und sagen: Wir wollen uns doch einmal zusammensetzen und sehen, ob wir nicht vielleicht unseren lieben Kollegen von der Partei D hinausbringen können. Das sind üble Erscheinungen, die bis zu einem gewissen Grade natürlich auch innerhalb einer allein regierenden Partei auftreten können, aber nicht im gleichen Ausmaß oder mit gleichen Wirkungen. Namentlich in schweren Zeiten kann das ganze Regieren von der Zerfahrenheit und Planlosigkeit einer solchen Opposition her untergraben werden. Das gilt selbst dann, wenn hinter der Regierung formell eine Mehrheit des Parlaments steht. Denn diese auf Zwang beruhenden Koalitionen pflegen vom ersten Tage an nicht ganz zuverlässig zu sein.
[lf. Die Regierung] Noch ein Wort zum Regieren selbst: Ich habe vorhin gesagt, daß bei dem Verhältniswahlrecht in die tatsächlich gehandhabte Verfassung leicht Elemente eingeführt werden, die eigentlich, wie der Art. 48 oder wie die Ermächtigungsgesetze, undemokratischen Ursprungs sind. Nun bemerkte ich vorhin schon, daß es mir nicht vergönnt gewesen ist, Mitglied irgendeiner Partei zu sein. Ich habe meine ganzen Regierungsgeschäfte als sogenannter Fachminister geführt, als Fachminister und als Fachreichskanzler. Die Geschichte wird darüber zu urteilen haben, ob ich meine Arbeit richtig oder falsch gemacht habe. Darum handelt es sich hier nicht. Es handelt sich darum, daß bei der echt parlamentarischen Regierungsform, wie Großbritannien sie hat, der Fachminister nichts in der Regierung zu suchen hat. Die Regierung soll aus Abgeordneten zusammengesetzt sein, wie es in England und in den britischen Dominien durchweg längst der Stil ist. Der Fachminister mag so untüchtig oder so tüchtig sein wie er will: Innerhalb einer parlamentarisch aufgebauten Demokratie erscheint er als ein Fremdkörper. Dagegen kommt das Verhältniswahlsystem, wie die Erfahrung lehrt, ohne Fachminister nicht aus. So gönnt nicht selten in finanziell schweren Zeiten den Posten des Finanzministers jede Koalitionspartei der anderen, und zum Schluß einigt man sich dann auf einen Fachminister. Sobald man andererseits ein Zweiparteiensystem hat, muß die regierende Partei selbstver175
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ständlich den Finanzminister stellen. Mit alledem sei in keiner Weise gesagt, daß nicht Fachkenntnisse auch beim echt parlamentarischen Minister von größtem Nutzen sind. Aber erstes Erfordernis muß eben im Parlamentarismus die Zugehörigkeit zum Parlament sein. Dies allein hebt den parlamentarischen Minister auch deutlich von der Beamtenschaft ab, die ihrerseits allein nach fachlichen Gesichtspunkten berufen werden sollte. Auch hinsichtlich der Ministerauswahl führt das Verhältniswahlsystem zwangsläufig zu Verunklarungen, die beim englischen Wahlsystem nicht eintreten. Ich wiederhole, daß das jetzt Gesagte nur für das parlamentarische System gilt, wie es in Deutschland im Grundzug nach wie vor besteht und in Aussicht genommen ist, nicht dagegen für das System der Gewaltenteilung, das uns am besten aus den Vereinigten Staaten und aus der Schweiz bekannt ist.
[lg. Nachteile des englischen Wahlsystems] Nun möchte ich auch etwas über die Nachteile des englischen Wahlsystems sagen. Wer unter dem Verhältniswahlsystem aufgewachsen ist, dem kommt das
Ergebnis
des
englischen Systems
manchesmal
geradezu
verrückt
vor.
Sprechen
ganz deutlich aus! In England haben wir jetzt eine Mehrheit der Das Verhältnis der Abgeordneten, die der Arbeiterpartei angehören, zu der Zahl der Abgeordneten der konservativen Partei verhält sich 2 :1 und zwar im Abgeordnetenhaus, dem englischen Unterhaus27). Das wirkliche Verhältnis der Wahlstimmen zueinander beträgt jedoch etwa 5:4. Es besteht also im Unterhaus ein sehr viel stärkeres Übergewicht der Arbeitspartei über die konservative Partei, als es bei der Umrechnung auf Verhältniswahl vorliegen würde. In Südafrika haben wir jetzt sogar die Tatsache zu verzeichnen, daß die Partei, die die Mehrheit im Parlament besitzt, die Malanpartei, keine Mehrheit im Volke hat28). So etwas kommt also beim englischen Wahlrecht vor. Aber ist das nun wirklich von so entscheidender Bedeutung? Vergißt man nicht vollkommen das Moment der Zeit, wenn man die Dinge immer nur auf die einzelnen Wahlen bezieht? Was bei der einen Wahl nach der einen Seite ausschlägt, schlägt bei der nächsten wieder nach der anderen Seite aus. In der Gewir die
Dinge Arbeiterpartei.
aber liegt all das, was ich bisher geschildert habe, besonders die viel unmittelbarere Einschaltung der Bevölkerung selbst in das politische Leben. Hier erinnere ich zumal an die geschilderten Nachwahlen. Noch eins! Diese Vergleichsexempel, die ich eben vorgebracht habe, sind doch überhaupt recht irreführende Zahlenkunststücke! Denn bei solchen Rechenexempeln vergleichen wir das Ergebnis einer Wahl, die unter dem einen Wahlrecht erfolgt ist, mit einem Eventualergebnis unter einem anderen Wahlrecht. Aber wie es unter dem anderen Wahlrecht in Wirklichkeit geworden wäre,
genwaagschale
27) Zu den Mehrheitsverhältnissen im britischen Unterhaus siehe oben Dok. Nr. 2, Anm.
116
und 117. 28) Nach den Wahlen von 1948 konnte der Wahlsieger, der Vorsitzende der Vereinigten Nationalisten-Partei Daniel F. Malan, nur eine Minderheitsregierung bilden (AdG 1948/49, S. 1510 und 1518). 176
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wissen wir gar nicht. Wir können weder sagen, daß es aufgrund von Verhältniswahlen so und so aussehen würde, wenn es bei Mehrheitswahlen so und so aussieht. Noch können wir sagen, daß es nach der Mehrheitswahl so und so aussehen würde, wenn es nach der Verhältniswahl so und so aussieht. In dem Augenblick, in dem die Verhältniswahl Platz greift, gibt es ja sehr viel mehr Parteien, und da weiß man ja gar nicht, wie viele von den Leuten, die nun in einer bestimmten Art gewählt haben, weil es eben Mehrheitswahl war, bei einem anderen Wahlsystem auch eine andere Partei gewählt hätten. Einmal ganz praktisch englisch gesprochen: Besonders hart ist der bei solchen Rechenexempeln sich ergebende Verlust für die Liberalen in England. Wenn ich die Zahlen richtig in Erinnerung habe, würden bei einer Aufteilung gemäß Verhältniswahlgrundsätzen 68 Sitze für die Liberalen herausgekommen sein. Sie haben aber nur 13. Aber auch diese Rechnung ist vielleicht noch falsch, denn man weiß ja gar nicht, wie viele Leute jetzt Arbeitspartei oder Konservative Partei gewählt haben, nur weil sie ihre Stimme nicht in den Verlusttopf der Liberalen legen wollten. Hätten wir in England Verhältniswahlen gehabt, dann hätten die Liberalen vielleicht nicht nur 68 Sitze, sondern 100 Sitze bekommen, weil eben viele Stimmen, die nun konservativ oder arbeitsparteilich geworden sind, liberale Stimmen geworden wären. Andererseits ist es wahrscheinlich, daß die liberale Partei beim Verhältniswahlrecht gespalten gewesen wäre. So bleibt als einzige Schlußfolgerung, daß die ganze Umrechnung überhaupt keinen Sinn hat. Nun ist es nicht allein dieser allerdings völlig verfehlte Versuch einer Umrechnung, der den von der Verhältniswahl Herkommenden mit einem gewissen Schauder erfüllt, sondern es ist weiter die Vorstellung, daß Stimmen unter den Tisch fallen. Denn es ist ja so : Wenn in einem Wahlkreis jemand mit 30 % die meisten Stimmen auf sich gebracht hat, so fallen die Stimmen für die anderen, die 29 % und weniger haben, unter den Tisch. Das kann jemandem, der vom mathematischen Verhältniswahlrecht ausgeht, wie eine ungeheure Ungerechtigkeit vorkommen. Aber ich frage: liegt denn der Sinn der Demokratie im Auszählen von Stimmen? Das Auszählen von Stimmen ist doch nur ein Generalhilfsverfahren der Demokratie da, wo nicht übergeordnete Gesichtspunkte in Erscheinung treten, wie z. B. beim Primat der Rechtsprechung, solange die Verfassung oder das Gesetz nicht geändert sind, oder im Zweikammersystem, wie z. B. in den Vereinigten Staaten hinsichtlich des Erfordernisses der Zustimmung der zweiten Kammer. Im Gebiet des Wahlrechts macht das Verhältniswahlrecht selbst mit dem Auszählen nicht vollen Ernst. Denn man hat versucht, mit den kleinen Parteien irgendwie Schluß zu machen. In Bayern hat man eine 10 %-Klausel eingeführt, die den Erfolg gehabt hat, daß die Liberalen mit weniger Stimmen im Lande im ganzen neun Mandate bekommen haben, während die Kommunisten, die im ganzen mehr Stimmen aufgebracht haben, wegen dieser 10%-Klausel kein Mandat bekamen29). Ist das das Ideal eines Wahlsystems? Ich glaube nicht. Wir hatten den Anfang dazu schon in der Verfassung von Weimar, in der bestimmt war, daß eine Partei nur dann Reststimmen zugezählt
29)
Art. 57 (3)
Bayer.
LWG. Die LDP/FDP erzielte 5,6%, die KPD
dagegen
6,1 % der Stim-
men.
177
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wenn sie wenigstens in einem der sehr großen Wahlbezirke einen Sitz für sich unmittelbar erobert hatte30). Dieser Anfang hat sich jetzt in verschiedenen deutschen Ländern zu 10 %- oder 5 %-Klauseln entwickelt. Die Hauptfrage aber ist und bleibt: Welche Vorteile liegen in der Gegenwaagschale? Dazu kann ich neben den organisatorischen Vorzügen des englischen Wahlrechts sowohl nach Richtung der Regierung wie der Opposition nur immer wieder auf die gewaltigen politisch-psychologischen Kräfte hinweisen, die für den Aufbau demokratischer Gesinnung im Volk ausgelöst werden. Die englisch sprechende Menschheit hält uns Deutschen so oft entgegen, wir stellten den Wert der Ordnung über den Wert des Rechts. Beim Wahlrecht liegt ein deutlicher Fall dieser Art. vor. Das Verhältniswahlrecht ist ausgeklügelte Ordnung, bei der die Mathematik das letzte Wort spricht. Das englische Wahlrecht ist im tiefsten Sinne Recht, demokratisches Recht, weil es das Volk selbst zu lebendiger Mitarbeit aufruft. Es ist gewiß nicht abstrakt mathematisch, aber es ist naturnah, indem es im Wahlkampf den echten Siegespreis auch dadurch bestätigt, daß den Siegenden Verlierende gegenüberstehen. Ist es für die Naturverbundenheit des englischen Wahlrechts nicht höchst charakteristisch, daß es trotz solcher Rechenexempel, wie ich sie mitgeteilt habe und trotz solchen Ergebnisses wie jetzt in Südafrika keinerlei in Betracht kommende Bewegung gegen das Mehrheitswahlrecht innerhalb der englisch sprechenden Welt ergibt?
bekam,
[lh. Kombination
von
Mehrheits- und Verhältniswahlrecht]
Nun bleibt die große Frage: Kann man denn diese beiden Wahlrechte nicht kombinieren? Ehe ich darauf eingehe, muß vorweg gesagt werden, daß man da endlich mit einem Ressentiment Schluß machen muß, das aus alter Zeit stammt und damals an sich völlig berechtigt war. Wie sind wir denn überhaupt zum politischen Verhältniswahlrecht in Deutschland gekommen? Durch eine ungeheure Ungerechtigkeit, die im Wahlrecht der kaiserlichen Zeit bestand. Man kann auch sagen: Durch den größten innenpolitischen Fehler, den das Deutsche Kaiserreich begangen hat. Von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an verschob sich bekanntlich die Bevölkerung immer stärker in die Städte hinein. Es entstanden die neuen industriellen Zentren. Diese industrielle Bevölkerung hatte, parteimäßig gesprochen, andere Vertretungen als die ländliche Bevölkerung. Das Natürliche wäre also gewesen, nunmehr eine Wahlkreisänderung vorzunehmen. Die sehr viel klügeren Engländer haben damals zur gleichen Zeit Wahlkreisänderungen vorgenommen31). Nicht sehr radikal, nicht allen Wünschen entsprechend, aber sich doch in der richtigen Richtung bewegend. Im kaiserlichen Deutschland ist das nicht geschehen. Man hat die Wahlkreiseinteilung, die für eine noch vorwiegend agrarische Welt geschaffen war, beibehalten, nachdem das Land zu einem großen Teil industrialisiert worden war. Dadurch ergab sich nun allerdings in den Parlamenten, besonders im Reichstag, ein völlig verzerr-
30) § 31 RWahlG von 1924. 31) In den Jahren 1867 („Zweite Reform" nach der form"). 178
ersten
von
1832) und 1884 („Dritte Re-
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Bild der Bevölkerung. Die dadurch entstandene Verzerrung im Spiegel des Parlaments war politisch nicht weniger belangreich als diejenige, die auf dem Dreiklassenwahlrecht in Preußen beruhte32). Es war eine geradezu unglaubliche Unterlassungssünde, die damals damit begangen wurde. Es gab ein Radikalmittel dagegen: Aus dem ganzen Wahlgebiet einen Wahlkreis zu machen. Dieses Radikalmittel ist dann auch durch die Einführung des Verhältniswahlrechts angewandt worden. Denn das Verhältniswahlrecht mit dem Zählen der Reststimmen bedeutet ja nichts anderes, als daß man aus dem ganzen Reich oder aus dem ganzen Bund einen einheitlichen Wahlkreis macht, wodurch mit einem Schlage dieses tief empfundene Ärgernis ausgetrieben war. Sicherlich hat auch dieser Gesichtspunkt eine große Rolle gespielt, als die Forderung des politischen Verhältniswahlrechts in das Erfurter Sofortprogramm der Sozialdemokratischen Partei aufgenommen wurde33). Von dort ist es in die Verfassung des Deutschen Reiches übergegangen. Nun belastet man und namentlich ältere Menschen tun es gefühlsmäßig den was sich auf einzelnen Wahlkreisen aufbaut, mit diesen Erinnerunalles, gen an den damaligen unerhörten Mißbrauch. Aber das ist eine ungerechte Belastung. Man kann auch auf andere Weise dafür sorgen, daß sich die Wahlkreiseinteilung in der großen Linie immer im Einklang mit der Entwicklung der Bevölkerung hält. Dafür gibt es eine Fülle von Wegen. Man kann die Wahlkreiseinteilung nicht so durchführen, daß es bis auf die letzte Stimme genau stimmt. Aber das politische Grundübel kann man durchaus beseitigen. So steht man deutlich vor der Frage, ob man die mathematische Genauigkeit und dieses Zurückdenken an Ereignisse, die längst vergangen und längst von der Geschichte verschlungen sind, höher einschätzen will, ober ob man das unmittelbare Mitleben und Mitwirken jedes einzelnen Bürgers, dieses ungeheure politische Erziehungsmoment, das im Mehrheitswahlrecht liegt, höher wertet. Für mich besteht kein Zweifel. Eine historische Erkenntnis spielt für mich eine Hauptrolle, die, wie mir scheint, für jeden maßgebend sein sollte. Ich spreche jetzt nicht von den kleinen Staaten, wo besondere Umstände vorliegen. Aber unter den großen Staaten, die in Frage stehen, sind die einzigen, in denen sich die Demokratie ohne tiefgreifende Krisen entwickelt hat, die Länder des Mehrheitswahlrechts der englisch sprechenden Welt. Schauen Sie auf Italien mit dem Verhältniswahlrecht, schauen Sie Frankreich mit dem Verhältniswahlrecht! Laden diese Länder denn zu irgendeiner Nachahmung ein? Und sehen Sie andererseits auf England und die Vereinigten Staaten! Ist da nicht alle Entwicklung ruhig vor sich gegangen? Kann man etwa den Einwand erheben, daß sich dort neue Dinge nicht entwickelt hätten? Kann man diesen Einwand in Großtes
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32) Durch die Verordnung vom 30. Mai 1849 wurde für die Wahl zum preußischen Abgeord-
netenhaus das Dreiklassenwahlrecht eingeführt, das bis 1918 gültig war. Danach wurden die Wähler auf Gemeindeebenen in drei Steuerabteilungen eingeteilt, in die jeweils so viele Wahlberechtigte aufgenommen wurden, bis ein Drittel der Gesamtsteuersumme erreicht war. Da die Stimmen jeder dieser Gruppen in ihrer Gesamtheit das gleiche politische Gewicht hatten, errangen die Wohlhabenden, die eine eindeutige Minorität in der Bevölkerung ausmachten, eine Mehrheit gegenüber den ärmeren Schichten. 33) Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 47. 179
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britannien erheben, in dem jetzt die Arbeitsregierung herrscht, in dem sich unter diesem Wahlrecht die große sozialistische Arbeiterbewegung durchgesetzt hat? Es ist durchaus richtig, daß sich irgendwelche kleinen einzelnen Parteien sprechen wir jetzt nicht von der Gegenwart, sondern sprechen wir von der Vergangenheit, als etwa von der Wirtschaftspartei34) im Reichstag des Weinicht durchsetzen und nicht groß werden konnten. Ja, mußten mar-Reiches sie denn groß werden? Waren sie nicht nur eine Störung des wirklichen Parteiich will kein Beispiel der Gegenwart beim Namen nenenbildes? Und heute denn diese kleinen Parteien entstehen? Dabei ist durchaus nicht nen mußten immer gesagt, daß solche kleinen Parteien nicht besonders gute Köpfe hätten. Es gibt unzweifelhaft zumindest eine Partei mit wechselnden Bezeichnungen in den verschiedenen Ländern, die sich im Durchschnitt durch eine große Zahl guter und politisch klardenkender Köpfe hervorhebt35). Aber diese Köpfe fehlen dann gerade in den großen Parteien. Wäre das Wahlrecht so, wie ich es mir vorstelle, also das englische Wahlrecht, dann mag sich gewiß eine Anzahl von den Männern und Frauen, die jetzt in einer anderen Partei sind, resigniert und das ist bedauerlich, wird sich verärgert vom politischen Leben zurückziehen aber die größere Zahl von ihnen wird sich jedoch nicht vermeiden lassen, im Laufe der Zeit auf die beiden großen Parteien verteilen, wird in diesen ein Ferment sein und wird in diesen eine Brücke darstellen für ein gemeinsames Arbeiten gerade im Falle freiwilliger Koalition, die unter den heutigen Umständen für uns besondere Bedeutung haben könnten. Bevor ich auf die Frage eingehe, ob sich irgendein Mischsystem zwischen Mehrheitswahl und Verhältniswahl als gut darbietet, möchte ich noch einige Klarstellungen vorausschicken. Da steht meines Dafürhaltens als wichtigste Schlußfolgerung im Vordergrund, daß eine Zusammenspannung von Verhältniswahlrecht und Parlamentarismus die allerschwierigsten Bedenken in sich birgt. Diese Verbindung, wo immer sie versucht worden ist, hat sich nirgendwo bewährt. Ich plädiere damit nicht für die Verbindung von Verhältniswahlrecht und Gewaltenteilung, denn ich plädiere überhaupt für das englische Wahlrecht. Aber in Verbindung mit der Gewaltenteilung ist die Gefahr, die vom Verhältniswahlrecht kommt, unverkennbar geringer als die Verbindung mit dem Parlamentarismus. Wir haben das Beispiel der Gewaltenteilung in Verbindung mit dem Verhältniswahlrecht in der Schweiz vor uns. Die Verfassung der Schweiz ist jedenfalls für dieses Land ganz ausgezeichnet. Die Schweiz ist sogar zu ihrem Verhältniswahlrecht aus einer Erfahrung gekommen, die es beim Mehrheitswahlrecht theoretisch geben kann36): Als die Schweiz zum Verhältniswahlrecht überging, —
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34) Die Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei, 1920—33) war die Interessenvertretung der Haus- und Grundbesitzer, Handwerker und Gewerbetreibenden. Die meisten Reichstagsmandate errang sie in den Jahren 1928 bis 1932 mit jeweils 23 Abgeordneten (siehe auch Martin Schumacher: Mittelstandsfront und Republik. Die Wirt-
Reichspartei des deutschen Mittelstandes 1919—1933, Düsseldorf 1972).
schaftspartei
35) Ganz offensichtlich spielt Luther hier auf die FDP an. 36) Zur Geschichte des Schweizerischen Wahlrechts siehe auch die Ausführungen Thomas (Dok. Nr. 2, TOPlb). —
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hatte Jahrzehnte hindurch dieselbe Partei, eine Partei, die man vielleicht am ehesten mit der Art unseres alten Kommunal-Liberalismus vergleichen kann, unentwegt regiert. Deswegen ist man in der Schweiz zum Verhältniswahlrecht gekommen. Kleine Staaten sind eben weniger in den natürlichen Gezeitenwechsel der großen Politik eingefügt. Bei uns würden sich bei Einführung des englischen Wahlrechts mit hoher Wahrscheinlichkeit zwei annähernd gleich große Parteien bilden. Diese Entwicklung begann nach dem Ende der Kampfhandlungen des zweiten Weltkrieges in Österreich: Auf der einen Seite war die Sozialdemokratie und auf der anderen Seite war das, was man dort die Volkspartei nannte, die sich im großen und ganzen mit unserer CDU/CSU deckt. In Deutschland zeigten sich die gleichen Ansätze. In Bayern löste sich die alte demokratische Partei37) auf und ging in die CSU über. Auch wir hatten im Keim den Zustand zweier großer Parteien. Damals habe ich wirklich aufatmen zu dürfen geglaubt. Ich habe wirklich geglaubt, wir gingen endlich den Zeiten entgegen, wo wir nun mit dem englischen Wahlrecht einen neuen politischen Weg des deutschen Volkes betreten würden. Es erschien mir in unserer tiefsten Not als eine Gnade des Schicksals, daß wir auf diese Weise handgreiflich vor die Möglichkeit gestellt wurden, die historischen Erfahrungen in der Demokratie der englisch sprechenden Welt als aufbauende Kraft für den neuen staatlichen Anfang zu wählen. Die Entwicklung liegt anders, und bald waren die kleinen Parteien wieder da. Aber noch heute wäre in Deutschland nach meiner Überzeugung das Zweiparteiensystem wie mit einem Zauberschlag eben durch die Einführung des englischen Wahlrechts zu schaffen. Um noch mit einem Wort auf die Schweiz zu kommen, so können wir uns das Verhältniswahlrecht der Schweiz auch deshalb nicht zum Vorbild nehmen, weil die Schweizer Verfassung noch eine Einrichtung hat, die wir jedenfalls nicht mit vergleichbarer Wirkung einführen können: das Referendum. Dieses Referendum spielt in der Schweiz eine ganz große Rolle. Sowohl in den einzelnen Kantonen wie im Bund gehen jährlich eine Menge von Gesetzen zum Referendum, mithin zur Entscheidung durch das Volk. Das Ergebnis dieser Referenden weicht oft erstaunlich von der Entscheidung ab, die im Nationalrat und im Ständerat, also der ersten und zweiten Kammer gefällt wurde. Aber das Referendum ist nach aller praktischen Erfahrung nur unter kleineren Verhältnissen möglich. Ich habe als junger Student in Genf ein solches Referendum erlebt38). Das war das erste große politische Erlebnis meines Lebens, und es hat einen riesigen Eindruck auf mich gemacht. Das Mitarbeiten der einzelnen war prächtig, und an jedem Familientische wurde mit großem Ernst über die Dinge diskutiert. Aber ich denke umgekehrt auch an das, was wir in der Weimarer Zeit ) Gemeint ist die Bayerische Volkspartei (vgl. Alf Mintzel: Die Christlich Soziale Union in Bayern e. V., in: Ders./Heinrich Oberreuther (Hrsg.), Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn ( Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 282), =
')
S. 199-236. Luther hielt sich in Genf in den Partei, Stuttgart 1960, S. 18).
Jahren
1897 bis 1898 auf
(Hans Luther: Politiker ohne
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mit den Referenden erlebt haben. Das Referendum über die Fürstenenteignung ein so ungeheures Sprengpulver, das in unser Volk hineingeworfen wurde, wie man es sich für eine ruhige staatliche Entwicklung nicht wünschen kann39). Dann kam der Volksentscheid über den Young-Plan40). Wohin wären wir mit war
Außenpolitik gekommen, wenn damals das Volksbegehren aufgenomworden wäre! Deutschland ist für das Referendum zu groß. Darum können wir es nicht mit der Schweiz vergleichen. Immerhin kann ich mir bei einer Verfassung ähnlich der Schweizer Verfassung ein Verhältniswahlrecht viel eher vorstellen, als bei einer Verfassung, die den Parlamentarismus will. Nur im Parlamentarismus und nicht beim System der Gewaltenteilung, das in der Schweiz herrscht, gibt es die vom Parlament in ihrem Bestand abhängigen Regierungen und damit auf der Grundlage des Verhältniswahlrechts mit seinem Vielparteiengetriebe den unglückseligen Zwang zur Koalition. Damit entsteht die Problematik der Vertrauens- und Mißtrauensvoten. Man hat sich in den einzelnen deutschen Ländern der Gegenwart alle Mühe gegeben und, soweit ich aus der Presse unterrichtet bin, gibt man sich auch in dieser hohen Vertretung alle Mühe, zwar den Parlamentarismus aufrechtzuerhalten, auch unter der Voraussetzung des Verhältniswahlrechts, dabei aber die Gefahren, besonders der Mißtrauensvoten, nach aller Möglichkeit abzuschwächen. Wenn ich meinen persönlichen Eindruck darüber sagen darf, so habe ich vorhin schon dargestellt, in welche Lage der unglückliche Bundeskanzler kommt, wenn uns das Verhältniswahlrecht wieder die negative Mehrheit von rechts und links bringt, auch wenn er durch kein Mißtrauensvotum beseitigt werden kann, weil kein Nachfolger da ist. Er braucht dann eben den Art. 48, den man ihm aber in absolut berechtigter Weise nicht geben will. Will man aber den Parlamentarismus und will man ihn auch nur in seinen Grundzügen, dann muß man meines Erachtens auch das englische Mehrheitswahlrecht wollen. Mehrheitswahlrecht und Parlamentarismus sind Geschwisterkinder. Ich versuche zu der Frage zurückzukehren, ob man die beiden großen Wahlrechte nicht irgendwie miteinander verbinden könnte. In Amerika haben eine Reihe von Städten das Verhältniswahlrecht eingeführt, namentlich größere Städte. Kürzlich ist von der Wählergesellschaft mitgeteilt worden, daß New York, wo das Verhältniswahlrecht eingeführt wurde, zum englischen Wahlrecht zurückgekehrt sei41). Ich habe diese Nachricht nicht gründlich nachprüfen könunserer men
73 WRV ermöglichte einen Volksentscheid, „wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfes stellt". 1926 war es auf Initiative der KPD, die von der SPD übernommen wurde, zum Volksbegehren für eine Fürsten-
39) Art.
enteignung gekommen, ohne daß der anschließende Volksentscheid aber die erforderliche Mehrheit ergab. 40) Gegen den Young-Plan, der die deutschen Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg regeln sollte, wurde 1929 u. a. von der DNVP ein Volksentscheid angestrebt, der allerdings scheiterte. Die Auseinandersetzungen um das Referendum trugen zu einer erheblichen Verschlechterung des politischen Klimas bei (K. D. Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie. Villingen 51971 [= Schriften des Instituts für Politische Wissenschaft Bd. 4], S. 294 ff.). 41) Erika Jakobs: New York kehrt zur Mehrheitswahl zurück, in: Mitteilungen, Juni 1948, S. 12 f.
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Aber ich kann es mir sehr gut vorstellen, denn ich weiß, wohin das Verhältniswahlrecht namentlich in Gemeinden führen kann. In einer großen Stadt Nordwestdeutschlands hat es einmal eine „Partei für Leibesübungen" gegeben, und diese Partei für Leibesübungen hat sogar 2 Mandate bekommen42). In der Stadtverordnetenversammlung bestand die Vorschrift, daß eine Fraktion nur von 6 Mandaten an einen Anspruch auf einen Sitz in den Kommissionen der Stadtverordnetenversammlung hatte. Mit 2 Mandaten konnte man also wenig anfangen. Der demokratischen Partei, die in diesem Teil Deutschlands nicht besonders stark war, war das Unglück passiert, in den gleichen Zeiten von 6 auf 4 Mandate abzusinken. Und diese 2 Mandate hatte bestimmt nicht sie an die Partei für Leibesübungen abgegeben, sondern die Partei für Leibesübungen hatte ihre Stimmen wahrscheinlich aus der deutsch-nationalen Partei geschöpft, obwohl man derartiges im einzelnen nicht nachweisen kann. Immerhin bildeten nun die 4 Demokraten und die 2 Vertreter der Partei für Leibesübungen eine Fraktion. Das mußte in der Fraktion herrlich zugegangen sein, namentlich bei der Verteilung der einzelnen Sitze auf die Kommissionen zwischen den Demokraten und den beiden Vertretern der Partei für Leibesübungen. Ähnliche Erlebnisse hat man wahrscheinlich in New York gehabt. Man wird erlebt haben, daß ein Volk, auch wenn es noch so lange mit dem englischen Wahlrecht gelebt hat, in dem Augenblick, wo die Versuchungen des Verhältniswahlrechts herantreten, sofort mit dem Zersplitterungsvorgang beginnt. Wenn heute in England das Verhältniswahlrecht eingeführt würde, so hätten wir nach zwei Wahlen drüben genau dasselbe, wie es sich in der Weimarer Republik entwickelt hat. Die Technik des Wahlrechts ist nichts Gleichgültiges, sondern das Entscheidende. Es ist erstaunlich, wie wenig das in den Verfassungen seit dem Beginn eines weitverbreiteten demokratischen Staatslebens zum Ausdruck gekommen ist. Zwar findet sich wohl in allen Verfassungen in der amerikanischen Verfasdie Bestimmung, daß das Wahlrecht geheim, sung seit dem Sezessionskrieg allgemein und gleich sei. Das ist eine Wendung, die sich gegen die Vergangenheit richtet. Heute ist das in jeder Demokratie zur Selbstverständlichkeit geworden und ist deshalb von keinem Interesse mehr. Diese Wendung wird jedoch von einer Verfassung in die andere übernommen, während die Kernfrage des Staatslebens, die Frage, wie das Wahlrecht positiv gestaltet werden soll, einfach der Gesetzgebung überlassen wird43). In Frankreich ist man zwischen dem Verhältniswahlsystem und dem Stichwahlsystem hin und her gependelt. Gerade das Wahlrecht aber stellt die Brücke zum einzelnen Staatsbürger dar und ist im Bilde gesprochen der eigentliche Motor und Regulator der Staatsmaschine. Viele der anderen Einrichtungen der Verfassung sind vergleichsweise von weit geringer Bedeutung für diese Maschine. Manches, worum mehr als über das Wahlrecht debattiert worden ist, hatte, um in einem Vergleich zu sprechen, doch nur die Bedeutung, die etwa die Karosserie für das Automobil besitzt. Der nen.
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) Es konnte nicht ermittelt werden, auf welche Stadt Luther hier anspielt. ') Zur Festschreibung des Wahlmodus in der Verfassung siehe auch oben Dok. Nr. 1, Anm. 5.
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Teil der Verfassung, der darüber entscheidet, ob ein Volk wirklich im tiefsten Sinne demokratisch ist, bleibt das Wahlrecht. Ich komme damit zur Schlußfolgerung über die Frage eines Mischsystems aus beiden Wahlrechten. Ich halte eine Verkoppelung der Eigenschaften beider Wahlrechte nicht für möglich. Sobald man beim englischen Wahlrecht beginnt, irgendwelche Reststimmen zu zählen oder es nur auf einen Teil der Wahlstimmen anzuwenden, wird das ganze im Wesen ein Verhältniswahlrecht. Wenn man so etwas macht, wie es in der britischen Zone in großem Umfange geschehen ist, daß etwa 60 % der Wahlkandidaten nach dem englischen System zu wählen sind, während der Rest nach dem Verhältniswahlsystem gewählt wird, ist der wirkliche Erfolg nur der, daß man das Verhältniswahlergebnis um ein Weniges verschiebt, aber die Grundwirkungen der Mehrheitswahl und des Zweiparteiensystems entfallen. (Dr. Katz: In Schleswig-Holstein ist es anders gelaufen!) In Schleswig-Holstein hat man, wie ich weiß, durch den Ministerpräsidenten Lüdemann von vornherein die kräftigste Betonung, die beim Mischverfahren noch möglich ist, auf das Zweiparteiensystem gelegt44). Ministerpräsident Lüdemann ist ja einer der ganz wenigen aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die nicht nur innerlich für das Mehrheitswahlrecht sind, sondern auch nach außen hin sich für das Mehrheitswahlrecht in sehr bestimmter Weise ausgesprochen haben45). Im großen und ganzen kann man sagen, wie man das Beispiel Schleswig-Holsteins auf der einen Seite hat, hat man das Beispiel anderer Länder auf der anderen Seite. Meines Erachtens entfallen bei jeder Verbindung der beiden Wahlrechte auf die Dauer wesentlichste Wirkungen und Eigenschaften der englischen Mehrheitswahl, zumal auch die regelmäßig eintretende Notwendigkeit für den Wähler, sich nur zwischen großen Parteien zu entscheiden, wobei dann der eigene Interessenstandpunkt notwendigerweise mit dem Interesse der gesamten Volksgesamtheit verbunden werden muß. Dieser politisch-psychologische Gesichtspunkt, von dem ich bei meiner Darstellung ausgegangen bin, begleitet mich als leitender Gedanke auch in meine Stellungnahme zur Frage einer Verbindung der beiden Wahlrechte hinein. Noch folgendes sei erwähnt: Will man das Verhältniswahlrecht, dann begreife ich nicht, wie man Leute, die nicht 10 % nach irgendeiner Formel erreichen, von der Teilnahme am Parlament ausschließen will. Das wird auf die Dauer bestimmt nicht halten. Will man aber das Mehrheitswahlrecht, dann muß man auch sein gutes Ziel, das Zweiparteiensystem, wollen. Will man nun das Zweiparteiensystem, so will man vor allen Dingen auch die geschlossene Opposition. Dann jedoch darf man eben die Reststimmen nicht mitzählen, sondern muß sie unter den Tisch fallen lassen. Das ganze Verhältniswahlsystem mit seinem Zählen der Reststimmen hat beinahe etwas Statistisches: Zu einem bestimmten Zeitpunkt, z. B. alle 4 Jahre, wird ein politischer Querschnitt durch das Volk gemacht. Das Mehrheitswahlsystem dagegen hält dauernd mit der Bevölkerung Tuchfühlung, (schon kraft der Nachwahlen) und überhaupt, weil jeder Einzelne genötigt ist, 44) Siehe unten Anm. 62. 45) Vgl. oben Dok. Nr. 3, Anm.
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sich in eine größere Gesamtheit einzugliedern. Das ist der gewaltige volkserzieherische Nutzen des englischen Wahlrechts. Ich bin der Überzeugung, daß, wenn bei uns das englische Wahlrecht eingeführt würde, die Demokratie bei uns in Deutschland ihren ersten allgemeinen Aufschwung bekäme.
[Ii. Notwendigkeit der Einführung des Mehrheitswahlrechts in Deutschland] Auch Folgendes sollte nicht vergessen werden. Wir wissen alle, wieviele Mitglieder zu den Parteien gehören, wir wissen alle, wie in weiten Kreisen der Ju-
gend über die Parteien gedacht wird. Diese Zurückhaltung und Ablehnung beruht zu einem wesentlichen Teil darauf, daß im Grundsatz das Weimarer Wahlrecht wieder eingeführt worden ist. Das Weimarer Wahlrecht trägt eine erhebliche Mitschuld an dem furchtbaren Hitler-Unglück, das über uns gekommen ist. Das Wahlrecht hat die Menschen angesichts der vielen Parteien parteimüde gemacht. Gebe man der deutschen Menschheit, besonders der deutschen Jugend, doch etwas Neues! So unfreundliche Worte wie im Weimarer-Deutschland über den parlamentarischen Betrieb gefallen sind und heute über die Landtage fallen, sind im Geltungsbereich des englischen Wahlrechts nicht an der Tagesordnung. Ein so ausgetüfteltes Wahlrecht, wie jede Mischregelung es darstellen müßte, könnte auch niemals populär werden, sondern würde die Kluft zwischen der Urtatsache eines natürlichen Volksempfindens und dem durch Wahlmischsystem zusammengeleimten Staat nur vergrößern. Dagegen habe ich keinen Zweifel, daß der sportliche Charakter des englischen Wahlrechts mit seinem Gewinnen und Verlieren nach einer gewissen Angewöhnungszeit bald das politische Leben in Deutschland wieder volkstümlich machen würde. Andererseits sehe ich nicht, wie die Schwergewichtsverschiebung zur maßvollen Mitte hin, wie sie vom englischen Wahlrecht geradezu hervorgerufen wird, in einem Mischsystem verwirklicht werden sollte. Dabei sei nochmals daran erinnert, daß das englische Wahlrecht zeitgemäß Fortschritte durchaus nicht verhindert, wie die Geschichte der Labour-Party doch wahrhaftig beweist. Überhaupt! Ist denn dieses ungeheure geschichtliche Beispiel Amerikas und Englands, wo wir die ruhigen und dennoch weitest voranschreitenden Demokratien haben, ein Nichts? Man sagt immer, das englische Wahlrecht passe nicht für uns. Was bedeutet dieses inhaltsleere Wort eigentlich? Man sagt wohl, die Engländer seien auch politisch hochbegabt und hätten infolgedessen ihr Zweiparteiensystem. Ich will in keiner Weise die Begabung der Engländer bestreiten, aber ich bestreite, daß wir der Anlage nach weniger begabt sind. Ihr Zweiparteiensystem haben die Engländer nicht durch ihre hohe politische Begabung, sondern durch ihr Mehrheitswahlsystem erhalten, und dieses umgekehrt hat die politische Begabung des Volkes erst entwickelt.
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Oktober 1948 [2. AUSSPRACHE]
Vors. [Dr. Becker]: Ich glaube in Ihrer aller Namen zu sprechen, wenn ich Herrn Reichskanzler a. D. Dr. Luther nicht nur für sein Kommen, sondern auch für seinen sehr lebendigen und instruktiven Vortrag danke, der insbesondere dadurch noch gewonnen hat, daß er auch seine Erfahrungen als früherer Regie-
konnte. Ihren Vortrag später in der Pressekonferenz inhaltlich richtig wiederzugeben, ihn kurz wie folgt zusammenfassen. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß man beim Wahlrecht von der Frage des Effekts auszugehen hat, d. h., daß ein sachliches Arbeiten der Regierung ermöglicht wird. Und Sie sehen den Weg nur darin, daß ein Zweiparteiensystem geschaffen wird, und sehen zur Schaffung des Zweiparteiensystems dieses Mehrheitswahlsystem nach englischem Muster als das Einziggegebene an und lehnen deshalb das Verhältniswahlrecht als solches ab, lehnen deshalb auch eine Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht ab und stehen auf dem und in diesem Punkte bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich Sie Standpunkt recht verstanden habe —, daß auch ein Wahlrecht in zwei Wahlgängen abzulehnen sei, ein Wahlrecht etwa derart, daß im ersten Wahlgang die absolute und im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit entscheiden würde, die bis 1919 in der Dritten Republik46) bestanden hat. Und nun hätte ich noch zwei Fragen. Die eine Frage ist die: Sind Sie sicher, daß die Einführung des Mehrheitswahlsystems in Ihrem Sinne in verhältnismädenn darauf kommt es nun an zum Zweiparteiensystem ßig kurzer Zeit führen wird? Und zweitens: Wie kommt es, daß sich in jenen Ländern, in denen bis 1919 ich erinnere an Deutschland, Frankdas Mehrheitswahlrecht bestanden hatte reich und Italien —, das Zweiparteiensystem nicht gebildet hat? Und drittens: Wenn Sie dieses Zweiparteiensystem mit dem Parlamentarischen System verkoppeln, dann kann das doch dazu führen, daß wegen der Unterlassung der Gewaltenteilung die Exekutive aus der Legislative erwächst, was praktisch zu einer Parlamentsdiktatur, wenn auch nur zu einer zeitbedingten Koalitionsdiktatur führen würde, die dann beim relativen Mehrheitssystem eine Parteidiktatur wäre, die sich noch nicht einmal auf die absolute Mehrheit des Volkes, sondern nur auf einen Bruchteil von 30 bis 35 % stützen könnte. Reichskanzler a. D. Dr. Luther: Ich habe gleich im Anfang, glaube ich, sehr stark betont, daß ich die Wahlrechtsfrage durchaus nicht allein vom Standpunkt der Bildung der regierungsfähigen Mehrheit aus ansehe, sondern daß mir ein mindestens gleichwichtiges Moment die allgemeine Volkserziehung zu sein scheint, dahingehend, daß jeder Einzelne in ganz anderem Maße als beim Verhältniswahlrecht es erlebt, daß er mit den anderen zusammenleben muß. Stellen wir uns doch einmal die Parteien der Weimarer Republik vor: das waren doch in den Hauptzügen alles Interessentengruppen, deren jede einige Schmuckgegen-
rungschef zurückgreifen Ich darf
nun,
um
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46) Gemeint ist die dritte Französische Republik (vgl. oben Dok. Nr. 3, Anm. 24). 186
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stände aus den anderen Parteien herübergenommen hatte. Ganz gewiß hatten die Deutsch-Nationalen in sich einen Kreis von Arbeitern; sie hatten auch ganz bestimmte städtische Kreise bei sich, und doch waren sie in der Hauptsache eine Agrarpartei. Ganz gewiß hatte die Deutsche Volkspartei starke Beziehungen zur Beamtenschaft, hatte zum Teil auch leidliche Beziehungen zur Landwirtschaft, hatte ebenfalls ihren Arbeiterflügel und war doch in der Hauptsache eine Industriellenpartei. Ganz gewiß hatten die Demokraten Ausstrahlungen nach allen möglichen Richtungen, hatten eine sehr generelle, auf das Republikanisch-Demokratische abgestellte Ideologie und waren doch in der Hauptsache eine Vertretung von Handel und Bankwesen. Ganz gewiß hatte die Sozialdemokratie Ausstrahlungen, die weit über das Arbeiterwesen hinausgingen, und war doch im Wesentlichen eine Vertretung der städtischen Arbeiterschaft. Die Wirtschaftspartei war eine Spezialvertretung des Handwerks. Diese ganze Formulierung versagte aber gegenüber dem Zentrum, weil das Zentrum eine unpolitische Ideologie hatte und alle übrigen Punkte in sich zusammenschloß und gewissermaßen in sich selbst noch einmal alle Parteien wiederholte. Und daß in jeder Partei alle Parteien in dem Sinne, wie ich es hier zitiert habe, zusammengefaßt werden, scheint mir bei dem englischen Wahlrecht mindestens so wichtig zu sein wie die Frage der Regierungsbildung. Ich wäre also sehr dankbar, wenn dieser Punkt, den ich an die Spitze gestellt habe, nun auch hier an die Spitze gestellt würde. Und bei der Bildung der Regierung habe ich betont, daß diese Bildung der Regierung nicht nur der Regierung, sondern auch der geschlossenen Opposition die Durchführung ihrer Aufgaben ermöglicht. Das habe ich mit praktischen Beispielen aus meinem Leben zu untermauern versucht. Die Teilopposition, die fortgesetzt die Regierung behindert, ist nur von Übel, während die geschlossene Opposition, hinter der eine ganze Partei steht, auch für die Handlungen der Regierung selbst von ganz großem Nutzen ist. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich Ihre Ausführung zusammenfassen! Ihre drei Tendenzen sind: 1.
Möglichkeit einer guten Regierungsbildung; Erziehung des Volkes zu politischem Denken und Handeln, insbesondere zum Ausgleich der verschiedenen Interessen innerhalb der Partei-
2. die
gruppen 3. die
Ist das
selbst; und
Bildung richtig?
einer in sich
geschlossenen Opposition.
(Dr. Luther: Das 2. würde ich lieber an die Î. Stelle setzen!) Gut! Und nun meine Frage: Sind Sie sicher, daß unter den deutschen Verhältnissen die Einführung des Mehrheitswahlrechtes nach englischem System in einer gewissen kurzen Zeit zur Bildung des Zweiparteiensystems führt? Reichskanzler a. D. Dr. Luther: Sicher sein über den Ablauf der Zukunft kann niemand, aber ich glaube, man darf nachdrücklich auf geschichtliche Erfahrungen verweisen. Mit Ausnahme des Falles Australien, den ich besonders genannt habe, wo ebenfalls Verhältnisse vorliegen, die es bei uns nicht gibt, haben wir überall, wo das englische Wahlrecht herrscht, auf die Dauer das Zweiparteiensystem. Und die Basis, die wir unmittelbar nach dem Zusammenbruch von 1945 —
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gehabt haben, hatte ebenfalls das Zweiparteiensystem. Ich nannte Österreich, und ich nannte die amerikanische Zone, die mir besser bekannt ist als die britische Zone. Da waren zunächst nur die Sozialdemokratie und die CDU/CSU vorhanden. (Vors. [Dr. Becker]: Aber unter dem Verhältniswahlrecht!) Doch nicht; aber sobald das Verhältniswahlrecht wieder da war, entstanden sofort die anderen Parteien. (Vors. [Dr. Becker]: Ich meine das Wahlrecht im Kaiserreich! In Italien herrschte vor 1919 auch das Mehrheitswahlrecht, und in Frankreich herrschte es bis 1919!) Das Wahlrecht unter dem Kaiserreich war kein Mehrheitswahlrecht; es war das sogenannte Stichwahlrecht. Wenn da bei der ersten Wahl, wie es sehr häufig geschah, niemand mit absoluter Mehrheit gewählt wurde, erfolgte eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen bekommen hatten. Das war die Brücke, auf der in gleicher Weise wie bei der Verhältniswahl die kleinen Parteien sich bildeten und erhielten. Es entstand da ein höchst unerfreuliches System des Kuhhandels. Es ist im allgemeinen nicht bekannt, weil man immer nur von den zahlreichen Parteien in der Verhältniswahl spricht, daß, wenn man die drei sogenannten Unabhängigen, die keiner bestimmten Partei angehörten, als eine Fraktion zählt sie hatten sich zu einer Art Fraktion zusammengeschlossen der letzte Reichstag der kaiserlichen Zeit 15 Fraktionen gehabt hat, während in der Weimarer Zeit 14 Fraktionen vorhanden gewesen sind. Das System der kaiserlichen Zeit ist also durchaus kein Schutz gegen die kleineren Parteien ich spreche durchaus nicht gegen die kleinen Parteien, sondern ich spreche für die großen ; es ist durchaus kein Hindrängen auf die großen Parteien. (Vors. [Dr. Becker): Die zweite Frage war die: Wenn auf der Grundlage des relativen Mehrheitssystems etwa 35 % der Bevölkerung die Mehrheit im Parlament stellen und diese ihrerseits die Regierung stellt: kommen wir dann nicht faktisch zu einer Parlamentsdiktatur, wenn auch nur auf —
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Zeit?)
Beispiel von 30 oder 35 % hatte ich in bezug auf einzelne Wahlkreise gebraucht. In einem ganzen Lande ist meines Wissens niemals eine solche Entfernung von der absoluten Mehrheit seitens der regierenden Mehrheit erfolgt. (Vors. [Dr. Becker]: Kollegen aus Schleswig-Holstein haben uns vorgetragen, Das
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daß die
zur
Zeit in der Herrschaft befindliche Partei mit 42 % aller StimProzentsatz für die La-
gewählt worden ist. In England wird dieser bour-Party mit 37 % angegeben47). men
Wenn man die Liberalen mit dazuzählt, mag es der Fall sei. Die Zahlen kann ich nicht widerlegen. Da verbindet sich natürlich der Parlamentarismus wiederum nach dem Vorbild des englischen Systems durchweg mit dem Vor—
47)
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Laut amtlichem Endergebnis errang die SPD bei den schleswig-holsteinischen Landtagswahlen 43,8 % (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 66). Zu den britischen Verhältnissen siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 116 und 117.
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handensein einer zweiten Kammer. In Amerika ist es so, daß einer von den 48 Staaten, nämlich Nebraska, ein Einkammersystem hat, Nebraska ist ein ganz vorwiegend agrarischer Staat, in dem also sowieso die agrarische Interessenvertretung von selbst das Ganze regiert. Alle übrigen amerikanischen Staaten haben zwei Kammern und haben die Vorschrift, daß sich beide Kammern einigen müssen, wenn ein Gesetz Zustandekommen soll. Das stellt man sich im allgemeinen außerhalb der Praxis der Länder amerikanischer Verfassung als furchtbar schwer vor. Das ist es aber nicht. In den vier Jahren, die ich drüben gewesen bin, ist jede Angelegenheit von Belang durch übereinstimmenden Willen der beiden Parlamente erledigt worden. Wenn die beiden Parlamente zunächst nicht übereinstimmten, gab es ein gemeinschaftliches Übereinkommen. Die Formel hieß: die und die Angelegenheit wird an die Konferenz verwiesen. Solange ich drüben gewesen bin, ist diese Konferenz in allen wesentlichen Angelegenheiten, wenn auch nicht immer in der ersten Lesung, so aber doch in einem angemessenen Zeitraum zu einer Einigung gekommen. Wenn diese Einigung erzielt war, haben sich die beiden Häuser gefügt und dieser Einigung praktisch zugestimmt. Die Sache geht also. Aber ich würde nun nicht etwa meinerseits behaupten, daß zum Parlamentarismus, verbunden mit dem Mehrheitswahlrecht, unbedingt eine zustimmende zweite Kammer gehört. Nach meiner Überzeugung genügt das englische System mit dem Suspensiweto40) durchaus; nur darf sich dieses Suspensiweto nicht wie beim bayerischen Senat auf einen Monat beschränken, sondern es muß sich über einen gewissen Zeitraum erstrecken, in dem die Volksmeinung selber in die Angelegenheit hineingebracht wird. Der wirkliche Sinn des Suspensiwetos ist nicht der, daß die klügeren Leute in der zweiten Kammer sitzen, sondern der Sinn des Suspensiwetos ist der, daß man die Angelegenheit in einer Form, die zwar kein Referendum darstellt, aber doch gewisse Züge des Referendums aufgreift, dem Volk noch einmal unterbreitet, damit sich eine öffentliche Meinung über den Gegenstand bildet, damit in Parteiversammlungen, und nicht nur in den Kommissionen des Parlaments, über die Dinge diskutiert wird, und damit dadurch ein weitergehendes Material für die Entscheidung der Ersten Kammer herbeigebracht wird, als es vorher vorlag. Meines Erachtens erfordert solch eine Suspensivzeit mindestens sechs Monate. England hat heute dafür zwei Jahre, und die jetzige Regierung versucht, diese Zeit auf ein Jahr zu verkürzen. Nicht weniger als 1 Jahr! Ich bin also mit meinen sechs Monaten noch weit dahinter zurück. Es ist ja überhaupt so, daß man auch die Wahlrechtsfrage nicht aus dem Gesamtbild der Verfassung herausheben kann. Ich bin dankbar, daß Sie mir Gelegenheit zu den Ergänzungen gegeben haben. Frau Wessel: Wenn wir die deutschen Verhältnisse ansehen, können wir sie nicht einfach mit englischen oder amerikanischen Augen sehen. Die Bildung der Parteien in Deutschland ist zu einem erheblichen Teil unter weltanschauli-
') Aufschiebendes Veto. 189
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jetzt von dem Wunsch ausgehen, ein Zweiparich erinnere mich dabei gerade an die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Kroll49) —, so glaube ich nicht daran, daß diese beiden Parteigruppierungen nach politischen Motiven erfolgen, sondern zu einem erheblichen Teil deshalb, weil 1945 die ganze Anlage schon wieder nach weltanschaulichen Grundsätzen aufgebaut worden ist. Die Menschen werden sich nicht nach den politischen Grundsätzen dieser zwei Parteien entscheiden, sondern etwa nach vorgeschobenen religiösen oder weltanschaulichen Motiven. Ich würde eine solche Parteiengruppierung, zu der wir hier kommen würden das ist meine feste Überzeugung —, wenigstens in den ersten 10Jahren für geradezu verhängnisvoll halten. Das ist eines der Motive, die ich sehe, die nicht zu einem gesunden politischen Zweiparteiensystem in Deutschland führen, sondern ein Auseinanderentwickeln und eine Scheidung des Volkes nicht nach politischen, sondern zu einem erheblichen Teil nach diesen weltansagen wir einmal: im weitesten Sinne schaulichen Grundsätzen herbeiführen. Man wird auf der einen Seite etwa eine sogenannte christliche Front repräsentieren und auf der anderen Seite die sogenannte nichtchristliche Front darstellen. Man würde zweitens eine sogenannte bürgerliche Meinung und eine sogenannte sozialistische Meinung zusammenstellen. Immer würden Gegensätze gegeneinander stehen, und wir würden auf diese Weise nicht zu diesen Entscheidungen kommen, wie sie im englischen Parlament und im englischen Volk vorhanden sind. Die englischen Parteien nehmen wir die Labour-Party, nehmen wir die Konservative Partei sind nicht von diesen weltanschaulichen Grundsätzen bestimmt gewesen. Das ist vielleicht auch ein Grund, der dort zu einer gesunden politischen Entwicklung geführt hat. Wer die ganze heutige Situation in Deutschland seit 1945 und auch seit 1933 miterlebt hat, der befürchtet eben, daß bei einem solchen sogenannten Zweikammersystem nicht das gesunde politische Interesse des Volkes geweckt und gepflegt wird. Löbe: Herr Reichskanzler Dr. Luther hat mir eine Überraschung bereitet, indem er das Gute in dem Wahlrecht der Vereinigten Staaten zu einem pädagogischpolitischen Kolleg über die Wirkung des Wahlrechts hier ausweitete und uns dadurch eine Menge Gesichtspunkte entwickelte, für die wir ihm nur dankbar sein können, weil sie in unseren bisherigen Auseinandersetzungen eine Rolle gespielt haben. Ich kann ihm nicht folgen in der etwas hervorgehobenen Ansicht, daß nur das englische Wahlrecht für uns die Rettung sein könnte. Ich sehe ein Mehrheitswahlrecht nicht nur in der Form, daß während des ersten Wahlganges die endgültige Entscheidung im einzelnen Wahlkreis liegt, sondern ich sehe ein vollkommenes Mehrheitswahlrecht auch dann, wenn im zweiten Wahlgang die beiden Inhaber der größten Stimmenzahl miteinander ringen und immer noch die Persönlichkeit und der einzelne Wahlkreis das Ausschlaggebende sind. chen Motiven
teiensystem
erfolgt.
5.
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Wenn wir
schaffen
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49) Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 5.
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Ich
glaube nämlich, daß wir uns von einer reinen Umstellung auf das englische System nicht allzuviel versprechen dürfen. Herr Reichsminister Luther ist anscheinend der Meinung und hat sie auch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß der Koalitionszwang in der Regierung eine Folge des Verhältniswahlsystems sei. Ich glaube, daß schon Bismarck gezwungen war, sich bei der Umschwenkung seiner Zollpolitik eine Koalition im Reichstag zu schaffen50). Und
Sie erinnern sich, welches Aufsehen die Umwandlung der schwarz-blauen Koalition zu der andern zwischen Karpder Konservativen mit dem Zentrum fen und Kaninchen, wie man sagte, nämlich zwischen Liberalen und Konservativen, unter Bülow hervorgerufen hat51). Ich glaube also, das hängt nicht mit dem Mehrheitswahlrecht und das hängt nicht mit dem Verhältniswahlrecht zusammen, sondern dieser Zwang hängt mit der Frage zusammen, wie viele Wähler sich trotz des Verhältniswahlsystems auf die eigentlichen Parteien verteilen immer unter der Voraussetzung, daß es uns nicht gelingt, durch reine Rechtskonstruktionen ein Zweiparteiensystem zu schaffen. Auch ist es ganz verfehlt, anzunehmen, daß in politischen Formen zusammengeschlossene Interessengruppen erst durch das Verhältniswahlsystem entstehen. Die Konservativen waren Agrarier, die Nationalliberalen waren Industrielle, und die Sozialdemokraten waren in erster Linie eine Arbeiterpartei, und sie waren das lange bevor es das Verhältniswahlrecht gab. Das ist eine Gruppierung, die durch alle Wahlrechtsformen, die wir in unserem Land inzwischen erlebt haben, hindurchgeht. Das Mehrheitswahlsystem ist ebenfalls kein Garant gegen die Parteienzersplitterung. Im kaiserlichen Deutschland konnte nur eine Partei im Wahlkreis siegen; im schlimmsten Fall siegte sie durch die Stichwahl im zweiten Wahlgang. Ich bin in den niederschlesischen Wahlkämpfen groß geworden, bei denen sich die traditionellen Parteien, nämlich Konservative und Liberale gegenüberstanden. Trotz dieser Verhältniswahl später Freisinnige sich Konservativen in eine altkonservative, eine freikonserbald die gliederten vative und eine antisemitische Gruppe; und bei den Liberalen entstand die Nationalliberale, die Fortschritts- spätere Freisinnige Partei, die wiederum in die freisinnige Volkspartei und die freisinnige Vereinigung auseinanderfielen. Dann traten noch die Sozialdemokraten hinzu. Unter dem damaligen Mehrheitswahlrecht in Deutschland wurde also nicht etwa eine Zusammenfassung zu wenigen großen Gruppen erreicht, sondern eine jede Weltanschauung suchte sich Geltung zu verschaffen, auch wenn sie ihr Unternehmen nicht mit der Aussicht auf einen Mandatsgewinn begann. —
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April 1815-30. Juli 1898), Reichskanzler von wirtschaftspolitischen Differenzen beruhende Bruch des Reichskanzlers Bismarck mit den Nationalliberalen im Herbst 1878 führte zur Spaltung der bislang regierungstreuen Nationalliberalen Partei und somit zu veränderten Machtverhältnissen im Reichstag. Da Bismarck nun seinen parlamentarischen Rückhalt verloren hatte, suchte er eine Mehrheit der interfraktionellen „Volkswirtschaftlichen Vereinigung"
50) Otto Fürst
von
Bismarck-Schönhausen (1.
1871 bis 1890. Der auf
mit den konservativen Parteien, dem Zentrum und der Nationalliberalen Partei. von Bülow (3. Mai 1849-28. Okt. 1929) löste sich 1906 aus der Abhängigkeit des Zentrums und formierte für die Reichstagswahl am 25. Jan. 1907 ein Bündnis aus Nationalliberalen sowie den konservativen und linksliberalen Parteien.
51) Reichskanzler Bernhard
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richtig, daß die Nachwahlen lange Zeit hindurch als wichtiges Barometer Entwicklung der politischen Stimmung in der Bevölkerung gegolten haben52). Ich weiß das besonders aus der Entwicklung meiner eigenen Partei. Wir waren 1907 trotz Stimmenzuwachses mit einem sehr mangelhaften Mandatsgewinn von 45 Mandaten in den Reichstag gekommen53). Nun fanden ca. 12 Nachwahlen statt. Fast alle diese Nachwahlen zeigten einen Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung. Es wurde gewissermaßen vorausgenommen, was dann im Jahre 1912 mit 110 sozialdemokratischen Mandaten Wirklichkeit wurde. Aber nicht nur bei uns, sondern auch bei den sogenannten bürgerlichen Parteien vollzog sich dieser Umschwung. Nur die Älteren unter uns werden Es ist
für die
sich daran erinnern, welches Aufsehen es einmal erregte, als im Wahlkreis Memel-Heydekrug, der seit 1000 Jahren eine konservative Domäne war, ein Nationalliberaler namens Schwabach bei einer solchen Nachwahl den Wahlkreis eroberte54). Insofern ist es also richtig, daß die Nachwahlen ein Barometer für die wechselnden Stimmungen in der Bevölkerung abgeben und eventuell die Legislaturperiode eines Parlaments verkürzen. Aber es ist in unseren früheren Beratungen schon darauf hingewiesen worden, daß uns die Häufigkeit der Gemeinde-, Landtags- usw. Wahlen dieses Mittel nicht mehr als unbedingt notwendig erscheinen läßt55). Sie werden sich auch erinnern, daß nach dem erheblichen Rückgang der nationalsozialistischen Stimmen im November 1932/3356) die ganze Hoffnung aller Gegner des Nationalsozialismus dahinging, daß es nun mit dieser Partei wieder abwärtsgehen werde und daß diese Hoffnung durch die Landtagswahl in Lippe-Detmold vom 10. 1. 1933 umgeworfen wurde57). Damals hatten die Nationalsozialisten alles, was es überhaupt an rednerischen Kräften bei ihnen gab, in diesen kleinen Wahlkreis hineingeworfen, und es wurde ein nationalsozialistischer Sieg. Es wurde ein Barometer für das, was im deutschen Volk vorging, und man zog die Konsequenzen daraus, die auch bei früheren Nachwahlen herausgezogen worden wären. Ich selber bin Anhänger des Mehrheitswahlsystems, und die Anhänger beschränken sich durchaus nicht auf meinen Parteifreund Lüdemann. Ich habe
52) Nach dem alten Reichstagswahlrecht wurden Nach- bzw. Ersatzwahlen durchgeführt, wenn das Mandat für ungültig erklärt wurde, nach dem Tod eines Abgeordneten oder nach
Mandatsniederlegung.
53) Es waren nur 43 SPD-Mandate. 54) Der Nationalliberale Felix Schwabach (20. Juni 1855-2. Okt. 1935) gewann am 2. Okt. 1908 überraschend die Nachwahl (Frankfurter Zeitung vom 3. und 4. Okt. 1908). 55) Vgl. oben S. 28. 56) Bei den Reichstagswahlen am 6. Nov. 1932 büßte die NSDAP 34 Mandate ein. Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Nazis zur parlamentarischen Mehrheit schien für viele Beobachter erstmals gestoppt worden zu sein (Bracher, Auflösung, S. 644 ff.). 57) Am 15. Jan. 1933 konnte sich die NSDAP bei den Landtagswahlen in Lippe nach der vorangegangenen Reichstagswahl wieder deutlich verbessern. Die NS-Propaganda verstand es erfolgreich, diesen Wahlausgang als Umkehr des Negativtrends darzustellen (vgl. allgemein: Jutta Ciolek-Kümper: Wahlkampf in Lippe. Die Wahlkampf propaganda der NSDAP zur Landtagswahl am 15. Januar 1933, Phil. Diss. München 1976 ( Kommunikation und Politik Bd. 8). =
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Zentralorgan einen Artikel „Für das Mehrheitswahlich sehe ein, daß wir das englische Vorbild nicht befolgen können. Ein Zweiparteiensystem würde zunächst in Deutschland wahrscheinlich eine sozialistische Linke und vielleicht eine CDU-Rechte sich entwikkeln lassen. Darauf hat auch meine Frau Vorrednerin in anderem Zusammenhange schon hingewiesen. Ganz sicher wird sich die Kommunistische Partei in der sozialistischen Linken nicht vertreten fühlen, und ich weiß auch nicht, ob die demokratischen und die liberalen Intentionen, die in unserem Volke noch leben, sich dauernd in der CDU/CSU aufhalten würden. Wir würden also wahrscheinlich schon bei dieser Betrachtung, abgesehen von allem andern, mit zwei oder vier Parteien zu rechnen haben. Und deswegen komme auch ich zu dem Resultat, daß eine absolute Übertragung des englischen Wahlsystems auf unsere Verhältnisse kaum die Erfolge zeitigen wird, die man sich davon verum einspricht, so sicher es auch ist, daß wir zu einem volksverbundenen mal diesen Ausdruck aus der Nazi-Zeit zu verwenden Wahlrecht kommen, in dem der Einzelwähler in einem engeren Konnex zu seinem Abgeordneten steht, den er eben als den Abgeordneten seines Wahlkreises ansieht. Mit dieser Abweichung könnte ich mich mit dem Hauptinhalt des dankenswerterweise erstatteten Gutachtens einverstanden erklären. Dr. Katz: Diese interessanten Ausführungen des Herrn Reichskanzlers Dr. Luther könnten Gelegenheit zu einer großen Diskussion geben, aber ich möchte mich auf einige Bemerkungen beschränken. Nach diesem Vortrag ist es mir sehr zweifelhaft geworden, ob die Praxis, fremde Staatssysteme und fremde Wahlsysteme auf Deutschland zu übertragen, überhaupt angebracht ist. Tatsache ist doch, daß dort ganz andere soziale und wirtschaftliche Verhältnisse herrschen und daß das Wahlrecht als solches nicht entscheidend ist. Ich selber bin nur zwölf Jahre in den Vereinigten Staaten gewesen59), und ich bin nicht Oberbürgermeister der Stadt New York gewesen; aber mein genereller Eindruck von Amerika ist der, daß die politische Stabilität und die feste demokratische Tradition, die dort herrschen, auf anderen Gesichtspunkten beruhen, als gerade auf der Gestaltung des Wahlrechts. Im Großen und Ganzen ist das amerikanische Volk viel unpolitischer als das deutsche, überhaupt als sämtliche europäischen Völker. Die politischen Parteien sind dort, wie Herr Dr. Luther hervorgehoben hat, keine Weltanschauungsparteien, sondern Zweckmäßigkeitsverbände. Die Mitgliederzahlen der Parteien sind gänzlich gering, das Volk entscheidet dort ziemlich frei. Der politische Betrieb ist dort eine Art von Saisongeschäft, das nur von September bis November im Gange ist, nämlich nur unmittelbar vor den Wahlen, die nach dem Gesetze dort immer am ersten Dienstag im November stattfinden. Daher herrschen dort Verhältnisse, die sich mit den europäischen, und insbesondere mit den deutschen, überhaupt nicht vergleichen lassen. recht"
für
unser neues
geschrieben58), aber
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58) Mit dem werden.
Zentralorgan" ist zweifellos der Neue Vorwärts gemeint, der seit Sept. erschien. Ein entsprechender Artikel Lobes konnte jedoch nicht ermittelt
„neuen
1948 wieder
59) Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 8. 193
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in der Stadt New ich habe das alles miterlebt und teilweise aktiv miterlebt ist nicht ein Fortschritt, sondern ein gewaltiger Rückschritt und wird auch von politisch interessierten Kreisen der Stadt New York als solcher empfunden. Die Einführung des Proportionalwahlrechts war eine Folge der ungewöhnlichen Aktivitäten des Bürgermeisters La Guardia60). Er ließ im Jahre 1936 durch ein Referendum das Proportionalitätswahlrecht einführen, um die Macht einer etwas bedenklichen politischen Organisation, nämlich der Tammany-Hall61), in der Stadt New York zu brechen, und es gelang ihm auch, die absolute Mehrheit der Tammany-Stadtverordneten dadurch zu beseitigen und eine städtische Körperschaft zu bekommen, in der auch andere Parteien zum Zuge kamen. Leider ist da ein Rückschritt eingetreten. Im Jahre 1946 wurde durch ein neues Referendum in der Stadt New York diese Sache wieder rückgängig gemacht, und zwar aufgrund des wachsenden Einflusses der Tammany-Hall-Partei, die inzwischen von ihren schlimmsten Elementen gereinigt worden war. So ist es zu dem Rückschritt gekommen, so wurde das Proportionalwahlrecht in der Stadt New York zum großen Kummer der anständigen fortschrittlichen und gesitteten Elemente wieder beseitigt. Der Kern ist eigentlich der, daß diejenigen Verhältnisse, die aufgrund der Geschichte, der Tradition, der sozialen Verhältnisse, wie auch der ökonomischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten entstanden sind, eben nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen werden können. Und derjenige Punkt in den Ausführungen des Herrn Dr. Luther, der meinen stärksten Widerspruch erweckt, ist der, daß er eine Mischung von Proportionalitätswahlrecht und direkter Kreisvertretung in direkten Wahlen für völlig ausgeschlossen, ja für gefährlich ansieht. Das vermag ich nicht einzusehen. Ich glaube, daß da unter Umständen eine für Deutschland angemessene Lösung gefunden werden kann. Ich habe schon durch Zuruf darauf hingewiesen, daß wir glauben, in Schleswig-Holstein das erreicht zu haben, indem wir dort ein System eingeführt haben, das zu 60 % die Sitze direkt verteilt und die Restsitze in Höhe von 40 % auf die Parteien umlegt. Dort hat das so gewirkt, daß wir in Schleswig-Holstein praktisch das Zweiparteiensystem bekommen haben ob auf die Dauer, das weiß man freilich nicht. Wir haben augenblicklich von 70 Abgeordneten dort 43 sozialdemokratische und ungefähr 20 CDU-Abgeordnete und 6 Abgeordnete der dänischen Minderheit von der Nordgrenze. Diese Entwicklung ist durch übereinstimmendes Votum beider großer Parteien in Schleswig-Holstein herbeigeführt worden. Beide großen Parteien halten auch heute noch daran fest. Das ist eine meines Erachtens ziemlich praktische Lösung gewesen. Und das ist nicht etwa, wie der Die
Zurückweisung des Proportionalwahlrechts beispielsweise
York
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60) Fiorello Henry La Guardia (11. Dez. ster
von
1934 bis 1945.
61) Die „Tammany-Hall"
1882-20.
Sept. 1947),
New Yorker
Oberbürgermei-
war der New Yorker Verband der Demokratischen Partei im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die über Jahrzehnte in eine Reihe von Korruptionsskandalen verwickelt war. La Guardia, der eine Sammlungspartei gegen die TammanyHall ins Leben gerufen hatte, bekämpfte sie erfolgreich während seiner Amtszeit als
Oberbürgermeister. 194
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Herr Referent meinte, durch den
jetzigen Ministerpräsidenten Lüdemann eingeführt worden, sondern schon vor seiner Zeit62), er ist erst nach dieser Zeit Ministerpräsident geworden. Das wird in Schleswig-Holstein von den beiden großen Parteien als eine zufriedenstellende Lösung angesehen; denn sie gibt bei einer relativ geringen Stimmenabwanderung von der einen Partei zur anderen die Chance, die Mehrheitsverhältnisse entscheidend zu verschieben, und daher den Vorteil, entscheidende Regierungsverhältnisse herbeizuführen. Darum halte ich den Gedanken einer Vermischung des direkten Wahlkreissystems mit dem Proporzsystem nicht für so abwegig wie der Herr Referent. Vors. [Dr. Becker]: Ich muß wohl zunächst zur Orientierung des Herrn Referenten mitteilen, daß wir der einzige Ausschuß sind, der ohne irgendeine Vorlage arbeitet63). Wir müssen also jetzt aufgrund dieser Generaldebatte eine Vorlage ausarbeiten, die dann erst die üblichen mehreren Lesungen durchläuft. Da nun mein Mitberichterstatter und ich die Aufgabe haben werden, diese Vorlage auszuarbeiten, möchten wir gern folgendes wissen: a) Wie funktioniert in Amerika das System der Primärwahlen? b) Wenn sich eine Persönlichkeit, ohne auf eine Partei gestützt zu sein, allein aufstellt: welche Bewandtnis hat es dann nach dem englischen Wahlrecht mit der Hinterlegung einer bestimmten Kaution? Wenn wir nämlich zum Mehrheitswahlrecht kommen sollten, war nämlich daran gedacht, daß derjenige ganz gleich, ob es sich um eine Partei oder einen einzelnen Menschen handelt —, der sich zur Wahl stellt, erst noch eine Kaution hinterlegen müsse, um auf den amtlichen Stimmzettel zu kommen. Dr. Kroll: Ich möchte keine Frage an den Herrn Reichskanzler stellen, sondern im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Dr. Katz nur eine kurze Bemerkung machen. und vielleicht kann der Herr ReichsWir hören immer wieder das Argument kanzler noch einmal darauf eingehen —, daß man Verhältnisse anderer Länder nicht auf das eigene Land übertragen könne. Soweit es sich dabei um ökonomische Verhältnisse und strukturbedingte Fragen handelt, bin ich der gleichen Meinung; aber ich kann die Meinung da nicht teilen, wo es sich um allgemeine Ideen, um geistesgeschichtliche Strömungen handelt. Man könnte ja auch den Standpunkt vertreten, daß die Demokratie überhaupt nicht in Deutschland gewachsen ist und daß sie meinetwegen aus der französischen Revolution oder aus der englischen Entwicklung auf die deutschen Verhältnisse übertragen worden sei. Das ist vielleicht überspitzt und überspitzt formuliert. Aber ich möchte zeigen, daß sich das Ideenwachstum, das Durchdringen von Gedankenströmungen, nicht ohne weiteres auf jene Dinge abstellen läßt, die struktuell in einem Lande bedingt sind, und daß diese geistesgeschichtlichen Strömungen über Län—
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schleswig-holsteinische Landeswahlgesetz wurde am 31. Jan. 1947 verabschiedet (Verhandlungen Landtag Schleswig-Holstein, 4. Sitz, vom 31. Jan. 1947, S. 45—63). Damals war Lüdemann noch Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident. Regierungschef wurde Lüdemann erst nach den Wahlen vom 20. April 1947. ;) Siehe hierzu Abschnitt 2 a der Einleitung.
;) Das
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der hinweggreifen. Und zu diesen geistesgeschichtlichen Dingen gehört auch die Form der Demokratie, gehört letzten Endes auch die Form des Wahlrechts. Das Wahlrecht selber ist nicht irgendwie durch die politische und ökonomische Struktur bedingt, sondern es ist eine Form der geistigen Entscheidung für eine bestimmte Geisteshaltung innerhalb der Demokratie. Nachdem wir diese Erfahsehr losen sagen wir einmal rungen mit dem Verhältniswahlrecht in einer Form gemacht haben, nachdem wir auf diesem Gebiete schlechte Erfahrungen gemacht haben, kann ich nicht einsehen, warum wir uns nicht für eine andere starke und die einzelnen Gruppen zusammenschweißende Form entscheiden könnten. Ich wollte das nur sagen, um den Unterschied zwischen Strukturellem und Ideengeschichtlichem aufzuzeigen. Dr. Diederichs: Ich wollte einige Punkte herausgreifen, die bei mir doch für unsere Verhältnisse bezüglich der Übertragung des reinen Mehrheitswahlrechts große Bedenken aufkommen lassen. Als einen der ersten Punkte wies Herr Reichskanzler Dr. Luther darauf hin, daß das Verhältniswahlrecht immer mehr oder minder eine Art Listenwahlrecht sei. Es ist bei unseren Verhandlungen sehr eindeutig zum Ausdruck gekommen und darin liegt ein gewisser Kompromiß mit der Persönlichkeitswahl im Mehrdaß das Proportionswahlrecht, wenn es mit offenen Listen heitswahlrecht einzelnen Wähler mehrere Stimmen gibt, durchaus die Mehrund dem arbeitet heiten gibt, die im ausgesprochenen Sinne eine Personenwahl darstellen, und daß die in den Wahlvorschlägen enthaltenen Persönlichkeiten nicht durch eine Parteibürokratie nach einem bestimmten Schema zusammengestellt wurden, so daß immer als Nummer 3 eine Frau und als Nummer 5 ein Postbeamter aufgestellt werden muß; vielmehr werden die Personen dem Wähler auf einer offenen Liste präsentiert, und der Wähler gibt durch Ankreuzen an, welche Person er wählt. Wenn das in den größeren Wahlkreisen geschieht und der Wähler mehrere Stimmen hat, hat er die Möglichkeit, unter den von den verschiedenen Parteien präsentierten Personen verschiedene anzukreuzen, wobei auch der nicht parteilich gebundene und der nicht parteilich eingestellte Mensch durchaus die Möglichkeit hat, Persönlichkeiten verschiedener Richtung seine Stimme zu geben. Das ist eine Möglichkeit, die im Verhältniswahlrecht durchaus offen —
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gehalten ist. Weiter habe ich große Bedenken, wenn die Wahlkreismathematik anfängt. Der Herr Reichskanzler erwähnte, daß es an sich das Ideal wäre, wenn in einem großen Topf gewählt würde, was natürlich in größeren Staaten nicht möglich wäre. (Dr. Luther: Die Verhältniswahl tut es nicht! Hier scheint ein Mißverständnis vorzuliegen.) Sie tut es faktisch nicht, wenn der Ausgleich schon in den einzelnen Wahlkreisen möglich ist, denn die Wahlkreiseinteilung ist gerade bei uns ein Problem für sich, denn dieses Fluktuieren der Stimmen nach zwei Seiten und nach zwei Parteien hin ist nur dort möglich, wo, wie der Herr Kollege Katz vorhin mit Recht sagte, eigentlich nicht ein so intensives politisches Interesse vorhanden ist, daß sich eine feste politische Meinung bildet, sondern wo die Massen wirklich fluktuieren, heute hierhin und morgen dahin. Wir müssen da—
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rechnen, daß sich in gewissen soziologisch-strukturell festliegenden Gegengewisse feste Wahlergebnisse Ewigkeiten hindurch erhalten, unabhängig davon, ob die, die einmal gewählt wurden, Versager waren oder nicht, weil die mit
den
die religiöse Bindungen oder etwas anderes ganz anderen Gesichtspunkte Leute so stark an eine bestimmte Richtung binden, daß sie sich ein politisches Urteil im allgemeinen nicht bilden. Eine weitere große Gefahr sehe ich in dem englischen System. Sie nannten die Zahl von 21 wilden Abgeordneten. Bei uns wäre diese Zahl wahrscheinlich viel größer angesichts der Chance, mit einer relativen Mehrheit gewählt zu werden. Und es werden dann alle möglichen Interessengruppen kommen, die irgendeinen Mann mit einem Namen in einem engeren lokalen Kreise präsentieren. Bei diesen gewissen Vorurteilen gegen alles, was Partei heißt, wird durch die Möglichkeit einer relativen Wahl eine ganze Menge von Einzelgängern in das Parlament hineinkommen. Die Arbeit der Parlamente, die dann nicht mehr mit 5,6 oder 7 verschiedenen in gewisser Weise ausgerichteten Parteien, sondern mit einer noch größeren Zahl von ungebundenen Leuten arbeiten, die je nach der Lage der Dinge und je nach der Situation sich mal hier und mal dort anlehnen können, würde meiner Ansicht nach eher erschwert als erleichtert. Hinzu kommt, daß meiner Kenntnis nach und nach der ganzen Entwicklung, wie sie sich bei uns vollzieht, die sogenannten lokalen Parteien auch in diesem Mehrheitswahlrecht zu einem guten Erfolg kommen könnten. Ich bin überzeugt, daß die Bayernpartei64) in ganz Oberbayern bei einem solchen Wahlsystem ihre Leute wählen würde, genau so wie die Weifen in Niedersachsen65) ihre Leute aufgrund eines solchen Systems durchbringen würden, und wir hätten wieder eine ganze Reihe solcher lokal bedingter Gruppen. Wenn wir unser Reich jetzt föderalistisch aufbauen wollen, dann würde sich über diese Dinge möglicherweise eine Stärkung der föderalistischen, ja partikularistischen Strömung bemerkbar machen, die ich gerade bei unserem Aufbau nicht für ungefährlich halte. Ich glaube also, daß dieses reine Mehrheitswahlrecht bei uns eine ganze Reihe von Schwierigkeiten bietet, die wir nicht unterschätzen sollten, und daß diese heilsamen Wirkungen des wirklichen Zweiparteiensystems bei uns nicht eintreten würden ganz abgesehen davon, daß ich rein persönlich dieses nicht einmal für so außerordentlich glücklich halte, weil Zweiparteiensystem nach unseren früheren Erfahrungen bei solcher Entwicklung immer leicht eine starke diktatorische Note in diejenigen hineinkommt, die dann den Daumen oben haben, und daß wir bei den weltanschaulichen Ausrichtungen eben damit rechnen müssen, daß bei dem Wechsel von rechts nach links und von links nach rechts die Hälfte der neu beginnenden Regierungszeit dazu benutzt wür—
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') Die Bayernpartei (BP) wurde
am 28. Okt. 1946 als extrem föderalistische und konservativ-traditionalistische Konkurrenzpartei zur CSU gegründet. Anfangs mit großen Erfolgen, die zum Teil auf den populären ehemaligen CSU-Politiker Joseph Baumgartner (siehe oben Dok. Nr. 6, Anm. 68) zurückzuführen waren, verlor sie nach Gründung der Bundesrepublik rasch an Einfluß (Stöss [Hrsg.], Parteien-Handbuch I, S. 395 ff.). ') Gemeint ist die Niedersächsische Landespartei, bzw. Deutsche Partei (siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 59).
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zu machen, was die Vorgänger in ihrer Mehrheit so mühsam an Arbeit durchgedrückt haben. um das noch kurz zu berühren Das Problem der Nachwahlen ist schon haben durch die Stufen Wir verschiedenen worden66). eingehend besprochen wie Kommunalwahlen und Länderwahlen so viele Möglichkeiten, einen Test für die jeweilige politische Einstellung zu bekommen, daß wir auf diese Weise doch ständig eine gewisse Kontrolle darüber haben, wie sich die politischen Verhältnisse gestalten. Die Ausschließung kleiner Parteien, wie sie zum Teil mit den Prozentziffern als Korrektur herbeigeführt worden ist, braucht man nicht unbedingt zu bejahen. Ich bin der Ansicht, wenn wir ein System mit offenen Listen hätten und möglichst große Wahlkreise, die in der Lage sind, einen Ausgleich zu ermöglichen, wählten, würden wir um solche Manipulationen herumkommen, ohne damit ein übermäßiges Anschwellen und Auftreten kleiner Parteien unbedingt herbeizuführen. Wie gesagt: Ich halte dieses reine Mehrheitswahlrecht für keinen Segen. Außerdem wird es bei der Grundeinstellung auch der Deutschen, die es beurteilen, sicher nicht als gerecht empfunden, wenn mit kleinen relativen Mehrheiten irgendwo Einzel-Kandidaten gewählt werden können, ganz abgesehen davon, daß die Vertretung eines bestimmten lokalen Bezirks durch einen Abgeordneten, der vielleicht mit 30 oder 32 % der abgegebenen Stimmen gewählt wurde, die vielleicht 25 % der Bevölkerung darstellen, eine Fiktion ist, die den wirklichen Verhältnissen der politischen Einteilung in Deutschland nicht entspricht. Zwar wird es immer unterstellt, er sei nun der Vertreter dieses Wahlkreises. In dem Moment aber, in dem er ins Parlament hineingeht, wird er nicht bezirksweise, sondern in irgendeine Fraktion eingereiht und vertritt dann tatsächlich eine politische Richtung und nicht einen lokalen Bezirk. Dr. Mücke: Der Herr Reichskanzler hat gegen Schluß seiner Darlegungen über das Zweiparteiensystem gesagt, daß sich zwischen den beiden Parteien eine ich möchte sagen: auch als das Mitte bilde als das fluktuierende Element Element des notwendige Zweiparteiensystems. Aber diese Mitte kann man meines Erachtens nicht entwickeln, solange es im deutschen Parteienleben das und das liegt in der Entweltanschauliche Element gibt. Solange es das gibt kann hier nicht von der Möglichkeit der man Parteien —, konsequent wicklung dieser Mitte zwischen den Parteien sprechen. Und schon aus diesem Grunde kann ich mich auch der Auffassung, daß in Deutschland das Zweiparteiensystem das notwendige System sei, nicht anschließen. Ich möchte aber noch auf etwas anderes hinweisen, was ebenfalls als Argument gegen das Zweiparteiensystem und damit gegen die Mehrheitswahl spricht. Wir müssen hierbei unsern Überlegungen von den Gegebenheiten ausgehen, wie sie heute sind. Und da ist eine Realität innerhalb des deutschen Volkes das Vorhandensein von Millionen von Ausgewiesenen und Vertriebe-
de, all das rückgängig
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66) Siehe oben TOP Ib.
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nen67). Diese befinden sich noch im Stadium der Eingliederung, auch auf der politischen Ebene. Sie sind über alle deutschen Länder verteilt, und solange sie nicht eingegliedert sind, sind sie auch im politischen Sinne eine Minderheit. Wenn man hier zu einem Mehrheitswahlrecht kommt, würde es bedeuten, daß die Ausgeschlossenen und Vertriebenen gerade in der Zeit, wo es entscheidend um ihr Schicksal geht, vom öffentlichen Leben, von der Gestaltung ihres Schicksals in den Parlamenten ausgeschlossen blieben; denn es ist doch gerade
heute das hervorstechendste Merkmal der Situation der Ausgewiesenen, daß sie außerhalb des öffentlichen Lebens stehen und nicht entsprechend ihren Verhältnissen in den Parlamenten vertreten sind. Das würde aber zu ungeheuren Spannungen führen, zu einer Radikalisierung der Massen, die wir gern vermeiden möchten. Reichskanzler a. D. Dr. Luther: Das zuletzt angeschnittene Problem habe ich leider nicht berührt. Ich habe es berühren wollen. Ich möchte einmal Herrn Dr. Mücke mit der Gegenfrage dienen: Sind Sie dafür, daß eine besondere Partei der Vertriebenen gebildet wird? (Dr. Mücke: Nein, durchaus nicht!) Sie sind nicht dafür? Dann würden gerade diese Ausgewiesenen und Vertriebenen ein außerordentlich wirkungsvolles Moment des Hin- und Herfluktuierens zwischen den beiden Parteien darstellen und dadurch vielleicht ein ausgezeichneter Faktor werden, um eine gewisse Entweltanschaulichung der Parteien herbeizuführen. Ich denke es mir in der Praxis so: Beide Parteien würden je einen Rat für Ausgewiesene und Vertriebene als solchen bilden. Sie würden ihnen beratend zur Seite stehen, und gerade aus diesen Erörterungen wird sich ergeben, daß aus diesen Elementen heraus das Hin- und Herfluktuieren, je nach der Einstellung der einzelnen Parteien, eintritt. Meines Erachtens ist das Problem der Ausgewiesenen und Vertriebenen nicht ein Problem, das gegen meine Anschauung spricht, sondern das helfen wird, die starre Weltanschaulichkeit aus den beiden Parteien, wie Frau Wessel sie sich vorstellt, auszuschalten. Aber der Kernpunkt meiner Ausführungen soll sich auf die Darlegungen des Herrn Reichspräsidenten [!] Löbe beziehen. Es ist ja nicht das erste Mal im Leben, daß wir einander gegenüberstehen. Es ist da immer wieder etwas Seltsames zwischen uns beiden. Sie sagen, Sie seien für die Mehrheitswahlen. Die Mehrheitswahl aber, für die Sie sind, unterscheidet sich, wie ich zum Schluß meines Vortrages ausgeführt habe, nicht so wesentlich von der Verhältniswahl. Die Grenze liegt zwischen der reinen englischen Wahl und allen übrigen. Denn all das Übrige kann überhaupt kein Zweiparteiensystem hervorrufen. Ich habe —
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) Am 1, Jan. 1948 befanden sich ca. 6,7 Mio. Vertriebene und Flüchtlinge aus dem Osten in Westdeutschland. Im darauffolgenden Jahr waren es bereits 7,92 Mio. Flüchtlinge (Statist. Jahrbuch 1952, S. 30). In seiner Denkschrift über Schleswig-Holstein „Die Not eines Landes" (S. 8) gibt Lüdemann die folgende Aufschlüsselung des Flüchtlingsanteils an der Gesamtbevölkerung für die Bizone an: Bremen (6,1 %), Hamburg (7,5 %), NRW (8,7 %), Württemberg-Baden (17,8%), Hessen (20,3%), Bayern (22,9%), Niedersachsen (34,6%),
Schleswig-Holstein (42,6%).
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über die Wahlen mit Stichwahl im zweiten Wahlgang, die Sie schilderten und die ich in meiner Jugend miterlebt habe, ausgeführt, daß im letzten Reichstag der kaiserlichen Zeit auf diesem Wege mehr Parteien entstanden waren, als jemals aufgrund des Verhältniswahlrechts im Reichstag sich fanden. Also der eine ganz wesentliche Punkt, der eine Hauptpunkt, der Mehrheitswahl, die Automatik, die auf zwei Parteien hindrängt, fehlt Ihrer Mehrheitswahl, und darum ist Ihre Mehrheitswahl für mich nur eine das persönliche Element etwas mehr in den Vordergrund schiebende Variante der Verhältniswahl. Sie wollen zwischen Mehrheitswahl einschließlich Stichwahl und Verhältniswahl eine Grenze ziehen. Ich lege die Grenze ganz klar zwischen die englische Mehrheitswahl, die die Automatik zum Zweiparteiensystem hin schafft und deshalb den Inhalt wie Sie sich freundlicherweise meines pädagogisch-politischen Vortrages allen und ausdrücken übrigen Wahlsystemen. Infolgedessen gebildet hat, sprechen Ihre historischen Beispiele in keiner Weise für die Mehrheitswahl, die ich meine, wohl aber gegen die Verhältniswahl. Sie machten darauf aufmerksam, daß wir einstmals ja Nachwahlen durch die Landtagswahlen hatten, und erwähnten den berühmten Fall von Lippe68). Weiter wurde von Ihnen69) und von Herrn Dr. Mücke gesagt, daß wir ja die Gemeindewahlen hätten. Ja, aber Gemeindewahlen sollen doch etwas ganz anderes sein und werden im heutigen Zustand der Dinge bestimmt etwas ganz anderes sein. Wir leben ja nicht mehr im Jahre 1918 oder 1919. Von 1919 an waren die Gemeindeparlamente irgendwie kleine Kopien oder auch Vorübungsplätze für das parlamentarische Leben. Ich darf eine kleine Geschichte aus Bayern erzählen, die sich nach vielen Richtungen hin ausweiten ließe. Da sollte vor etwa einem halben Jahre in einem Dorf eines dem meinen benachbarten Landkreises ein Bürgermeister nach dem neuen Gemeindewahlrecht gewählt werden70). Der Bürgermeister ist in der kleineren Gemeinde Bayerns von der Bevölkerung selbst zu wählen. Nun war der bisherige Bürgermeister von der Militärregierung oder sonstwie eingesetzt worden und war ein Flüchtling. Diesem Flüchtling war es, während er Bürgermeister war, ganz gut gegangen. Er hatte sich sogar ein Haus gebaut. Der ganze Zustand hatte den Vertretern der Parteien mißfallen, und zwar den Vertretern der drei für die Gemeindewahl in Betracht kommenden Parteien; das waren die CSU, die Sozialdemokratie und die Bayernpartei. Diese drei Parteien stellten nun für die Bürgermeisterwahl einen sehr angesehenen Bauern auf, der allen drei Parteien zusagte, um den Flüchtling zu beseitigen. Die Wahlen kamen zustande, und der Flüchtling wurde wiedergewählt. Darauf schickten die Parteien ihre Vertreter in die Gemeinde, um sich zu erkundigen, was das Motiv gewesen sei. Darauf wurde —
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68) Siehe oben Anm. 57. 69) Luther meint wahrscheinlich die Wortmeldung von Diederichs. 70) Gesetz Nr. 103 über die Wahl der Gemeinderäte und der Bürgermeister (Gemeindewahlgesetz) vom 27. Febr. 1948 (GVOB1. Nr. 4, S. 19). Zum hohen Anteil der parteilosen Kandidaten siehe oben S. 166 (vgl. Die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen Bayern 1946 und 1948, Heft 147 der Beiträge zur Statistik Bayerns, hrsg. vom Bayerischen Statistischen Landesamt, München 1949, S. 14).
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bekannt: Man sagte: Den Bauern mögen wir alle gern, er ist ein ordentlicher Mann; wenn aber gerade Erntewetter ist, kümmert er sich doch nicht um die Gemeinde, sondern nur um seinen Hof. Aber der Flüchtling hat sonst nichts zu tun. Er ist immer nach der betreffenden Kreisstadt gefahren, um mit dem Landrat über die Dinge, die uns angehen, zu verhandeln. Das hat er auch sehr ordentlich gemacht. Deshalb gefällt er uns besser. Er hat auch niemals die eine oder andere Partei irgendwie gefördert. Gewiß, er hat sich ein Haus gebaut. Na, das hat er nun schon! Also das waren die Gründe, die dazu geführt hatten, daß man keinen Parteimann wählte. Es sind in ganz erstaunlich großer Zahl in Bayern bei den Gemeindewahlen sogenannte besondere Listen in früherer Ausdrucksform würde man sagen: wilde Listen aufgestellt worden, die aber nach dem bayerischen Gemeindewahlrecht durchaus zulässig sind, und dadurch sind in einer ganzen Anzahl von Gemeinden die Parteien erheblich zurückgedrückt worden. Diese Situation wäre nach 1918 durchaus unmöglich gewesen und ist meines Erachtens ein Zeichen dafür, daß die Gemeinden nach ihrem eigenen System arbeiten wollen, und die Parteien würden nach meiner Auffassung gut daran tun, dieses Primat des Willens der Wähler stärker als bisher gelten zu lassen. Man sollte die Gemeinden wieder ihre eigenen Wege gehen lassen und in ihnen nicht Miniaturausgaben des Staates sehen. Nun kommt jemand, der eine Meinung vertritt wie ich, sehr leicht in den Geruch, daß er überhaupt etwas gegen die Parteien hätte. Da darf ich vielleicht Herrn Reichstagspräsidenten Löbe an eine kleine Unterhaltung zwischen uns beiden erinnern. Ich habe damals zur Verteidigung eines Reichskanzlers, der, wie ich, keiner Partei angehört, gesagt: Ja, wenn man in einen Eisenbahnzug einsteigt, dann haben doch nur die Passagiere Fahrkarten; der Lokomotivführer hat doch keine. Und schlagfertig, wie Herr Löbe ist, erwiderte er darauf: Seltsam, der Einzige, der im Zug nicht weiß, wohin die Reise geht, ist der Lokomo-
folgendes
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tivführer71). (Heiterkeit!) Wie ich im Fall des englischen Wahlrechts über die sogenannten Fachminister denke, habe ich bereits ausführlich dargelegt72). Also ich habe wirklich nichts gegen die Parteien. Man kann doch nicht deutscher Reichskanzler gewesen sein und kann doch nicht, wie ich lange im Ausland gelebt haben, ohne zu erleben, daß die Parteien ein absolut notwendiges Requisit des politischen Lebens sind. Aber für die Entstehung der Parteien gibt es zwei Möglichkeiten. Es gibt die eine Möglichkeit, daß die Partei ihr eigenes Primat hinstellt; das ist das deutsche System mit den Weltanschauungen. Und es gibt eine andere Möglichkeit, daß man nämlich denjenigen anerkennt, der der eigentliche Träger der Demokratie ist, also den Wähler, und die Parteien sekundär aus dem Wählerwillen entstehen läßt. Schwach ist solche sekundär entstandene Partei wahr—
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Luther spielt hier auf den parteilosen Reichskanzler Wilhelm Cuno an, dessen Kabinett (22. Nov. 1922-12. Aug. 1923) er als Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft
angehörte.
72) Siehe oben TOP
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denn schwach sind die Parteien weder in England, noch in Ameriauch die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder in Amerika nicht groß ist. Ich möchte meinen, wir sind nun auch in Deutschland an dem Wendepunkt angekommen, wo man wirklich seine Majestät den Wähler absolut in den Mittelpunkt stellen und sehen muß, was er zustande bringt. Dabei kann man ihm Hilfsstellungen geben; aber man kann ihn nicht in einer Weise einengen, daß es von vornherein heißt: Ihr müßt Euch nach den vorgeschriebenen Rezepten einer Partei verhalten. Herr Dr. Kroll hat dann schon Gegenbemerkungen gemacht gegenüber dem Einwand, man könne die Verhältnisse anderer Länder nicht übertragen. Ich möchte etwas Ergänzendes zu den Ausführungen des Herrn Dr. Kroll sagen. Ich nehme an, daß eine Reihe von Juristen in unserer Mitte sind und möchte für diese Juristen einen Vergleich gebrauchen, indem ich sage: Das ganze Wahlrecht gehört nicht ins materielle Recht, es ist kein BGB, sondern es ist ein Verfahrensrecht, gewissermaßen eine Zivilprozeßordnung. Wir suchen nach einem Verfahrensrecht, unter dem wir als Deutsche am besten politisch leben können. Daß das Verfahrensrecht gewisse Rückwirkungen auf das materielle Recht hat, ist ja schließlich aus dem Zivilrecht bekannt. Auch beim Wahlrecht ist solche Rückwirkung vorhanden, indem das englische Wahlrecht den maßvollen Kräften, durchaus Parteikräften, aber den maßvollen Flügeln der Parteien, das Schwergewicht gibt und das Sichselbständigmachen der radikalen Flügel der Parteien erschwert und die von dort kommenden Gefahren der Abspaltung ihres Gewichts entkleidet. Das ist für mich einer der wichtigsten Punkte. Es ist aber nur eine Nebenwirkung des, um im Vergleich zu bleiben, prozessualen Verfahrens einer richtigen Wahl. Hinsichtlich des Wahlverfahrens und seiner Wirkungen kann man nun doch wirklich auch aus anderen Ländern lernen. Weiter wiederhole ich, was ich, wenn ich könnte, jeden Tag dem deutschen Volk entgegenhalten möchte: Kann man denn an der Tatsache vorübergehen, daß die entscheidenden Demokratien der Erde sämtlich nach dem System des englischen Mehrheitswahlrechts aufgebaut sind? Kann man daran vorübergehen, daß aus der Weimarer Republik die Not des Hitlerismus geboren wurde? Kann man an den Zuständen in Frankreich, an der Zahl der Parteien in Italien und dergleichen vorübergehen? Das sind doch keine Fragen persönlicher Einstellung, sondern sind historische Feststellungen von Dingen, wie sie nun einmal sind. Man mag die amerikanischen Wahlen als Saisonangelegenheit bezeichnen. Sie sind so stark eine Saisonangelegenheit, wie das Verhalten der verschiedenen Parteien nach dem deutschen Verhältniswahlrecht war, solange sie sich vor Auflösung sicher fühlten. In einer ausländischen Zeitung ist einmal folgende Schilderung erschienen: Im ersten Jahre nach der Wahl ständen die deutschen Parteien noch ziemlich stark unter dem psychologischen Eindruck der eigenen Wahlversprechungen. Im letzten Jahre dächten sie ganz vorwiegend an Wiederwahl. Im zweiten und dritten Jahr aber fühlten sie sich in einer glücklichen Ablösung von den Wählern draußen und in der Möglichkeit, das Regiment zu führen. Das ist übertrieben, ist gehässig dargestellt, aber ein Stückchen Wahrheit ist darin enthalten.
haftig nicht; ka,
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wenn
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(Lobe: Gilt es nicht eher für Amerika?] Das wird dort sehr durch die Tatsache der
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zweijährigen Wahlperiode be-
kämpft. —
(Zuruf: Präsidentenwahlen!) Der Präsident wird auf 4 Jahre gewählt. Er hat aber die Zwischenwahlen, und wenn ihm bei den Zwischenwahlen die Mehrheit entschlüpft, kommt er in eine sehr schwierige Lage. In Amerika wird das alles durch die Kurzfristigkeit der Wahlen sehr stark ausgeglichen; und beim Senat hat man überdies das —
sehr glückliche System der Drittelerneuerung. Ich muß mich nun noch mit Herrn Dr. Diederichs auseinandersetzen. Die Wahlkreisgeometrie ist beim englischen Wahlrecht sicher erforderlich. Damit indessen keine politischen Abirrungen erfolgen, kann man einen hohen Gerichtshof einführen, der über die Innehaltung dieses Prinzips entscheidet. Als allgemeines Vorbild können wir uns den höchsten amerikanischen Gerichtshof nehmen, der das vornehmste und von aller Welt anerkannte Organ der Vereinigten Staaten ist. Was Sie, Herr Dr.
Diederichs, ihrerseits mit dem Hinweis auf offene Listen vorläßt mich sehr stark an Kommunalwahlen denken. Bei den Kommunalwahlen kann man sicherlich, wenn man alle technischen Gefahren richtig voraussieht, mit offenen Listen arbeiten. Ich habe die Jugendzeit des Proporzsystems erlebt; es waren damals die Wahlen besonders für die Gewerbegerichtsbeisitzer. Da galten zunächst überall die offenen Listen. Dadurch erwuchs das herrliche System des gegenseitigen Köpfens der Listen, indem man eigene Anhänger zur anderen Partei abordnete, die die ersten Namen ausstrichen. Auch das System der Stimmhäufelung kann bei Gemeindewahlen, namentlich bei kleineren Gemeinden, wenn sie in Wahlbezirke eingeteilt werden, durchgeführt werden. Ich habe mich in Bayern selbst für ein ähnliches System einzusetzen versucht. Aber alles bei den Kommunalwahlen, nicht bei den Staatswahlen. Die Sache mit den 21 wilden Abgeordneten sehe ich mit einem ganz anderen Vorzeichen an als Sie. Selbst wenn es bei uns ein größerer Prozentsatz wäre, so sehe ich in solchen Zwischenfällen vor allem den ungeheuren Erziehungsfaktor für die Wähler. Schließlich muß man für die Erziehung eines Volkes zur Politik auch etwas aufwenden. Wenn eine große Anzahl von Wahlkreisen diese Dummheit macht, nur aus dem Lokalempfinden heraus ohne irgendwelchen anderen Rückhalt zu wählen, dann wird das ein wirkliches Stück einer Wählererziehung sein. Man kann doch ein Kind nur dann hochbringen, wenn man es nicht dauernd am Gängelbande führt. Die Parteiprogramme dabei selbstverständlich in Ehren! Aber man muß die Parteiprogramme für das politische Leben in sogenannte Plattformen umwandeln, wie es auch in England, das uns ja weltanschaulich viel nähersteht als die Vereinigten Staaten, und wie es besonders in Amerika der Fall ist. Die Plattform ist eine Konkretisierung auf aktuelle Dinge aus dem allgemeinen Parteiprogramm, woraufhin der Wähler nun so oder so entscheiden kann. Im Gegensatz zur Wahl nach Programmen stellt die Wahl nach Plattformen nicht eine dauernde Vereidigung auf eine Art Dogma dar. Ich vergesse natürlich nicht, daß auch die deutschen Parteien des Verhältniswahlrechts konkrete Wahlziele in ihren Wahlaufrufen herausstellen. Bei alle-
schlagen,
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dem aber steht in Deutschland, zum mindesten im Bewußsein der Wähler, das Dogmatische der einzelnen Parteien, das Theologische nach der von mir im Anfang erzählten Geschichte, weit mehr im Vordergrund als in den Geltungsgebieten des englischen Wahlrechts. Das leitet hinüber zu der von Frau Dr. Wessel angeschnittenen Grundfrage73). was ich dafür halte, ist wohl allmählich klar geworDas richtige Wahlrecht den wie überhaupt jedes Wahlrecht, ist nicht ein Ausdruck dessen, was im Volk als etwa angeborene Gemütslage vorhanden ist, sondern es schafft zu einem großen Teil diese Gemütslage. Der Gedankengang, die Engländer hätten das Zweiparteiensystem wegen ihrer großen politischen Begabung und wir Deutsche hätten das Vielparteiensystem wegen unserer weltanschaulichen Begabung und Neigung dazu, verwechselt zu einem entscheidenden Teil Ursache und Wirkung. Der Deutsche ist großenteils überhaupt noch nicht in die Lage gekommen, sich politisch zu entwickeln, weil man ihm das einzige Instrument, mit dessen Hilfe er sich politisch entwickeln könnte, nämlich die große Partei als automatisches Gebilde aus dem Wahlrecht heraus, noch nicht in die Hand gegeben hat. Ich komme noch einmal auf meine Erfahrungen hier in Deutschland mit dem damaligen Zentrum zurück. Es ist doch einfach erstaunlich, daß da zwei Männer wie ein oberschlesischer Magnat und Heinrich Imbusch74), die doch ganz verschiedene Teile des deutschen Volkes vertraten, nicht etwa nur in Fragen der Religion oder in Personalfragen, sondern auch für alle anderen Fragen in ihrem Gremium, im Zentrum einen Ausgleich herbeigeführt haben. Das gelang nicht immer. Es gelingt auch in Amerika nicht immer. Und es gelingt auch in England nicht immer. Aber es ist dort eine absolute Notwendigkeit für jeden, der sich nicht als Einzelgänger die Stirn an einer Mauer einrennen will, in irgendeinem Parteigremium mitzuarbeiten, das er dann wiederum beeinflussen kann. Die guten politischen Kräfte, die bei uns auch jetzt wieder in den sie heißen ja überall verschieverschiedenen liberal-demokratischen Parteien sind, diese guten politischen und wirklich in erster Linie demokratischden republikanischen Kräfte bleiben doch in diesem Fall nicht still liegen, sie gehen hinein; teils in die Sozialdemokratie, teils in die CDU; dort werden sie dafür sorgen, daß sich z. B. die CDU nun nicht in überspannten kirchlichen Fesseln verhängt, sondern daß sie auf dem Boden der politischen Wirklichkeit bleibt. Die gleichen Kräfte werden ebenso deutlich dafür sorgen, daß sich die Sozialdemokratie nicht in ausschließlich marxistischem Denken festrennt. Sie wissen, was auf der letzten großen sozialdemokratischen Tagung der unterdessen schwer erkrankte Parteiführer über den Marxismus gesagt hat75). Das waren —
,
—
—
—
73) Siehe oben S. 189 f. 74) Heinrich Imbusch (1. Sep.
1878—16. Jan. 1945) war Mitglied des Zentrums und MdR von emigrierte 1934 ins Saargebiet, später nach Luxemburg, Frankreich und Belgien. Im Jahre 1942 kehrte er illegal nach Deutschland (Essen) zurück, wo er drei Jahre später an Entkräftung und Lungenentzündung starb. 75) Gemeint ist hier wohl das Referat Schumachers für den Parteitag der SPD (Aug./Sep.
1919 bis 1933. Er
1948): „Die Sozialdemokratie im Kampf für Freiheit und Sozialismus", in: Willy Albrecht Schriften Korrespondenzen 1945—1952, Berlin/ (Hg.), Kurt Schumacher. Reden im Bonn 1985, S. 588—619. Schumacher wies hier u. a. ausdrücklich darauf hin, daß —
—
—
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Nr. 7
durchaus weise Worte, die deutlich darauf hinwiesen, daß wir nicht mehr im Jahre 1848 leben, aus dem unter anderem auch das Kommunistische Manifest stammt. In der Frage des Christentums kann ich Ihnen aus meinen bayerischen Erfahrungen versichern, daß in der bayerischen Sozialdemokratie starke christliche Kräfte wirksam sind, und zwar nicht nur aus Gründen politischer Werbung, weil die ganze Welt Oberbayerns sehr stark mit altchristlichen Vorstellungen erfüllt ist. Ich kenne eine stattliche Anzahl dieser Menschen. In ganz Deutschland sind die psychologischen Voraussetzungen dafür vorhanden, daß, wenn als Folge der Einführung des englischen Wahlrechts zwei große Parteien vorhanden sind, dies nicht etwa die Sozialdemokratie und die CDU/CSU in ihrer heutigen Gestalt wären. Vielmehr würden beide Parteien unter den Wirkungen des neuen Wahlrechts, ohne sich im Wesen untreu zu werden, die weltanschauliche Überbetonung abstreifen und sich im Sinne von der von mir erzählten Äu-
ßerung
eines
Engländers
zu
mir
aus
Weimarer Zeit76)
enttheologisieren oder,
dasselbe ist, im echten Wortsinn politisieren. Das wäre nur ein anderer Aspekt der von mir geschilderten politischen Erziehungswirkung des englischen Wahlrechts auf die einzelnen Wähler. Wenn ich damit auf den einzelnen Menschen zurückkomme, so habe ich ja das Glück oder Unglück gehabt, den Schluß meines Lebens als Privatmann zu leben, und bin infolgedessen mehr als früher mit jungen Menschen in Berührung gekommen. Wofern man diese jungen Menschen nicht geradezu mit Gewalt in eine vorgefaßte politische Vorstellung hineinbringt, sind die meisten von ihnen weitblickend und klug genug, auch solchen Dingen gegenüber, die sie nicht unmittelbar berühren, daß sie absolut Material darstellen, um daraus wirkliche politische Parteien zu formen, wie das englische Volk. Deshalb würde ich nicht die geringste Sorge haben, das englische Wahlrecht bei uns einzuführen. Ich ich will nicht sagen, daß es keine persönlich bin der festen Überzeugung Kinderkrankheiten gäbe —, daß es zum Segen des deutschen Volkes ausschlagen wird, und daß wir erst damit das deutsche Volk wirklich zur Demokratie bringen würden. Es handelt sich darum, daß die Gelegenheit, das deutsche Volk von der Wurzel her zu demokratisieren, nicht zum zweiten Mal verpaßt wird. Noch einiges Einzelne: Was die Primärwahlen betrifft, so waren sie in den Vereinigten Staaten ursprünglich ganz freie Zusammenkünfte der politischen Parteien in Wahlbezirken, um Kandidaten für die Wahl zu nominieren. Später ist das Verfahren durch Gesetze der Einzelstaaten geregelt worden, die indessen unter sich verschieden sind. Wie es mit der Hinterlegung einer Kaution ist, weiß ich nicht. Ich würde nicht den geringsten Versuch machen, irgendeine Hemmung zu schaffen. Soll ein Wahlkreis doch irgendeinem Herrn Huber nachlaufen! Sollte sich dann herausstellen, daß dieser Herr Huber völlig ungeeignet ist, dann wird ihm dieser Wahlkreis das nächste Mal nicht mehr nachlaufen. Das ist eine Erziehung und was
—
Gegensatz zu den politischen Verhältnissen „Staatsreligion" sein dürfe (S. 601).
76) Siehe oben S.
in
der Marxismus keine
Osteuropa —
168.
205
Nr. 7
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5.
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sehr wesentlich sowohl für Herrn Huber wie für die Bevölkerung im Wahlkreis. Was Herr Dr. Katz aus eigenem Miterleben über die Vorgänge in New York erzählt hat77), deckt sich in den äußeren Erscheinungen mit dem mir Bekanntgewordenen. Aber kann man es, von innen gesehen, nicht auch so kommentieren, daß New York, nachdem das Unheil von Tammany-Hall überwunden war, gern zu dem alten, allgemein bewährten Wahlrecht zurückgekehrt ist? Jede menschliche Einrichtung kann zu einem Mißbrauch führen, der dann am besten durch eine vorübergehende Gegenmaßnahme beseitigt wird. Indem ich vorwiegend den Ausdruck „englisches Wahlrecht" statt „Mehrheitswahlrecht" oder „Persönlichkeitswahlrecht" gebraucht habe, ist für das Gefühl manchen Zuhörers vielleicht zu viel Ton auf den ausländischen Ursprung dieses Wahlrechts gelegt worden, obwohl sonst dem deutschen Volk die Hemmung vor Ausländischem gar nicht so anhaftet. Bemerkenswert ist, daß diese Scheu jetzt besonders von Vertretern der Links-Parteien empfunden wird. Mir lag bei der Wahl des Ausdrucks „englisches Wahlrecht" entscheidend daran, das von mir empfohlene Wahlrecht nicht in einen Topf mit dem Stichwahlrecht fallen zu lassen, das, wie die Diskussion gezeigt hat, so manchmal auch als Mehrheitswahlrecht bezeichnet wird. Das gute Ergebnis eines Mischsystems in Schleswig-Holstein, das Herr Dr. Katz zahlenmäßig belegt hat78), dürfte nach den Ergebnissen in anderen Ländern der britischen Zone ein Sonderfall sein und bleiben. Herr Dr. Katz selbst hat sich nach dieser Richtung vorsichtig oder zögernd ausgedrückt. Die innere Automatik zum Zweiparteiensystem hin mit all ihren politischen Erziehungsmöglichkeiten entfällt jedenfalls bei jeder Art Mischsystems. [3. ZUR ARBEITSPLANUNG DES AUSSCHUSSES] Vors. [Dr. Becker]: Ich habe noch bekanntzugeben, daß wir ja an sich vorgesehen hatten, noch Herrn Kollegen Wagner aufgrund seines Aufenthalts in Amerika als Sachkundigen über das gleiche Thema zu hören. Herr Wagner hat mir nun einen Brief geschrieben, den ich hier verlesen möchte79).
(Verlesung.) Gegen diese Deduktion
wird man nichts einzuwenden haben. Ich frage desob nicht formell einen Schlußstrich ziehen und unsern Bewir nunmehr halb, Herrn zu hören, wieder aufheben wollen. schluß, Wagner Kroll: verzichtet Wenn er hat, brauchen wir doch keinen Beschluß zu (Dr.
fassen!) Ich darf weiter mitteilen, daß uns auch ein Herr Dr. Kaufholdt aus Gütersloh einen ausgearbeiteten Entwurf eines Wahlrechts geschickt hat. Ich glaube ihn im
77) Siehe oben S. 70) Siehe oben S. 79) Siehe oben S. 206
194. 194 f. 107. Wagners Schreiben konnte nicht ermittelt werden.
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Nr. 7
und ganzen verstanden zu haben und habe ihn zu den Akten des Wahlrechtsausschusses gegeben80). Ferner habe ich einen Entwurf der Wählergesellschaft bekommen, den ich habe verteilen lassen81). Herr Prof. Dr. Jellinek hat sich im Sinne des Proportionalwahlrechts schriftlich geäußert und uns seinen Aufsatz, der in der Süddeutschen Juristenzeitung 1946 Nr. 1 erschienen ist, in einigen Abzügen zur Verfügung gestellt82). Darf ich fragen, bis wann mit einer abschließenden vorläufigen grundsätzlichen Stellungnahme der einzelnen Parteien gerechnet werden kann? Dr. Kroll: Wir müssen in den Fraktionen zunächst die Kernfrage durchsprechen: Mehrheitswahlrecht oder Verhältniswahlrecht83). Erst dann können wir uns zu
großen
Verhandlungen zusammensetzen. Der Vors. [Dr. Becker] bittet, bei den Verhandlungen in den Fraktionen bei der Besprechung des Mehrheitswahlrechts auch die Frage zu besprechen, wie das Mehrheitswahlrecht in Großstädten, die größer als ein Wahlbezirk seien, geneuen
handhabt werden soll.
Ausschuß beschließt, die nächste Sitzung am Donnerstag, 14. Oktober, Uhr, abzuhalten. Tagesordnung: Abstimmung über die Frage, ob ein relatives Wahlrecht eventuell mit Modifikationen, ob ein anderes Mehrheitswahlrecht, Der 9
oder ob ein
Proportionalwahlrecht gewählt
werden soll.
80) Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 121. 81) Hier handelt es sich um den Entwurf der Deutschen Wählergesellschaft (BAZ 5/119, Bl. 10 und 29-38).
82) Schreiben Jellineks vom 14. Sept. 1948 (Drucks. Nr. 72; vgl. oben Dok. Nr. 3, Anm. 50). 83) Auf ihrer Sitzung vom 13. Okt. 1948 sprach sich die CDU/CSU-Fraktion mit 14 Stimmen bei zwei
Enthaltungen und
(Salzmann, Die CDU/CSU
drei
Gegenstimmen für das relative Mehrheitswahlrecht aus
im Pari. Rat, S. 76).
207
Nr. 8
Achte
Sitzung
14.
Oktober
1948
Nr. 8
Achte
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 14.
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Z 5/82, Bl. 1-66. Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 70-72, Drucks. Nr. 216
Wortprot.
Anwesend1):
CDU/CSU: Kroll, Schräge, Walter, von Brentano (für Schröter) SPD: Stock2), Maier (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Reimann3) Mit beratender Stimme: Frau Wessel
(Z), Zimmermann (SPD), Wolff (SPD)4), Löbe (SPD),
Kaufmann (CDU, zeitweise)
Stenografischer
Beginn:
Dienst:
9.10 Uhr
Haagen
Ende: 11.35 Uhr
[1. ZUR ARBEITSPLANUNG DES AUSSCHUSSES]
Der Vors. [Dr. Becker] eröffnet die Sitzung und gibt die Eingänge bekannt. Er fährt fort: Ich darf femer mitteilen, daß die Damen und Herren der Deutschen Wählergesellschaft, die heute hier eine Vorstandssitzung abhalten wollten5), eingetroffen sind. Mit einigen von ihnen habe ich gestern abend schon sprechen können. Im Ausschuß ist ihre Anwesenheit gar nicht möglich, da sie nicht als Sachverständige geladen sind. Es besteht aber bei ihnen die Absicht und die Hoffnung, sich mit einigen von uns zu besprechen. Ich würde daher vorschlagen, heute um 14.30 Uhr eine Besprechung stattfinden zu lassen mit den Damen und Herren der Deutschen Wählergesellschaft. Und, da es sich um keine Ausschußsit-
1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Die Anwesenheit Kaufmanns ergibt sich
Wortprotokoll,
so
daß davon
auszugehen ist,
daß
er
der
Sitzung
nur
aus
dem
zeitweise bei-
wohnte.
offiziell für den Abgeordneten Seifried am 7. Okt. 1948 als stellvertretendes den Wahlrechtsausschuß nachgerückt (Vossen an Becker vom 7. Okt. 1948, PA Bestand 5/14). 3) Der Abgeordnete Paul hatte mit Schreiben vom 6. Okt. 1948 sein Mandat im Pari. Rat niedergelegt. Die offizielle Begründung für diesen Schritt war zwar „Arbeitsüberlastung", aber Gerüchte hielten sich, daß der Wechsel aufgrund innerparteilicher Differenzen vollzogen wurde (Documents on the Creation of the German Federal Constitution. Prepared by Civil Administration Division Office of Military Government of Germany [US]. 1. September 1949, S. 56; vgl. Denzer [Hrsg.], Entstehung des Grundgesetzes, S. 171). Als Nachfolger wählte der Landtag von Nordrhein-Westfalen am 7. Okt. 1948 den Abgeordneten Heinz Renner (Köster an Adenauer vom 29. Okt. 1948, PA Bestand 5/14). 4) Dr. Friedrich Wolff (24. März 1912-13. Dez. 1976), NRW, SPD, Journalist, wurde 1946 Stadtdirektor von Essen. Im Pari. Rat war Wolff Mitglied des Haupt- und Finanzausschusses. 5) Siehe oben Dok. Nr. 4, Anm. 7.
2) Stock
war
Mitglied in
208
Achte
Sitzung
14.
Oktober 1948
Nr. 8
zung handelt, könnte man die Besprechung auch öffentlich abhalten, das heißt also, daß außer der Presse auch alle Mitglieder des Parlamentarischen Rats zuhören können, die den Wunsch haben, es zu tun. Würden Sie alle damit einverstanden sein, daß ich den Vorschlag mache, sich um diese Zeit hier einzufinden? Ich bitte dann auch, in Ihren Fraktionen bekanntzugeben, daß diese
Unterredung stattfinden —
soll.
—
[2. ABSTIMMUNG ÜBER DIE WAHLSYSTEME] Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Für die heutige Sitzung hatten wir vorgesehen, daß wir
uns
über die Grundfra-
Abstimmung schlüssig werden, damit an die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes auf dieser Grundlage herangegangen werden kann. Wir wollten diese Abstimmung ohne Debatte vornehmen, soweit sich nicht aus der Fragestellung selber noch einmal eine Debatte ergibt. Wir kommen zur ersten Frage: Soll im künftigen Bunde grundsätzlich nur nach dem relativen Wahlsystem gewählt werden, das heißt nach dem Mehrheitswahlrecht, wonach in jedem Wahlkreis nur ein Abgeordneter gewählt wird, und wo die relative Mehrheit der Stimmen entscheidet, also nur ein einziger Wahlgang stattfindet? Darf ich bitten, daß diejenigen, die für dieses System sind, die Hand erheben. Das sind drei Mitglieder. Ich bitte um die Gegenprobe. gen der
—
(Frau Wessel: Der kommunistische Vertreter ist noch nicht da!) Die
Frage des relativen Wahlsystems
ist mit fünf
lehnt6). —
Wir kommen
zur
zweiten
Frage: Wird
nur
zu
drei Stimmen
abge-
ein Mehrheitswahlrecht mit zwei
Wahlgängen gewünscht? Die erste Unterfrage würde sein: ein Wahlrecht, bei dem im zweiten Wahlgang eine Stichwahl zwischen den beiden Höchsten stattfindet; und die zweite Unterfrage: ein Wahlrecht, bei dem im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit entscheidet. Dr. Kroll: Ich beantrage, die Abstimmung auszusetzen und interfraktionelle Besprechungen dazwischen zu schieben, damit zunächst einmal diese Sache ge-
klärt werden kann.
(Zurufe.) Die Entscheidung ist bei uns so gefallen. Sie können uns überstimmen das ist uns gleichgültig —, dann beteiligen wir uns an den weiteren Verhandlungen nicht mehr. —
—
(Erneute Zurufe)
6) Da sich bei fünf Gegenstimmen
aussprachen,
ist davon
möglicherweise Kaufmann von stieß.
drei Abgeordnete für das reine Mehrheitswahlrecht daß außer Reimann noch ein Ausschußmitglied, der CDU/CSU-Fraktion, erst später zu der Sitzung hinzunur
auszugehen,
209
Nr. 8
Achte
Sitzung
14.
Oktober 1948
Ich kann nicht auf einen anderen Wahlmodus gehen, nachdem sich die Fraktion gestern anders entschieden hat7). Ich würde den Antrag stellen, die Frage vom Plenum entscheiden zu lassen8). Heiland: Ich muß über diesen Antrag meine Verwunderung aussprechen. Es war doch bekannt, daß dies der Kardinalpunkt beim Wahlrecht überhaupt sein würde, und es war in diesem Ausschuß und im ganzen Hause bekannt, daß dieser Antrag keine Mehrheit finden würde. Folglich hätte man erwarten dürfen, daß von der CDU-Fraktion auch die andern Möglichkeiten diskutiert würden, damit die Arbeit in diesem Ausschuß weitergehen kann. Wir haben eine Pause von über acht Tagen gemacht. Es war also auch möglich, sich mit der Fraktion in der Zwischenzeit zu unterhalten und die Fragen zu diskutieren. Ich glaube, wir können eine derartige Hinausschiebung unserer Arbeit nicht mehr vertragen, und bitte, die Arbeit fortzusetzen. Dr. Stock: Ich möchte mich den Ausführungen des Herrn Kollegen Heiland anschließen und Herrn Kollegen Dr. Kroll fragen, was für einen Sinn interfraktionelle Besprechungen haben sollen, wenn sich seine Fraktion durch einen Beschluß festgelegt hat. (Zuruf des Abg. Dr. Kroll) Sie haben wie ein kleiner Diktator strikt erklärt: Wir beteiligen uns bei weiteren Arbeiten nicht mehr. Sie sind hier nicht in Bayern. In Bayern können Sie das machen, weil Sie dort 103 Mandate haben, also über die Mehrheit verfügen. Aber hier müssen Sie auch mit den anderen Parteien Fühlung nehmen. Hier geht so etwas nicht. Wenn Sie sich nicht mehr beteiligen können, müssen die anderen Fraktionen die Arbeit allein fertig machen; denn fertig werden müssen wir. Die anderen Ausschüsse haben ihre Arbeiten schon abgeschlossen9), und nur der Wahlrechtsausschuß hängt hinten an. Dr. Diederichs: Ich möchte folgendes feststellen. Wenn das Ergebnis anders ausgefallen wäre, ist es doch ganz klar, daß Herr Dr. Kroll es uns sehr übel genommen hätte, wenn wir dann gerade heraus erklärt hätten, daß wir an irgend einer Mitarbeit kein Interesse mehr hätten. Sie sprechen hier aufgrund eines Beschlusses Ihrer Fraktion, und wir sprechen aufgrund eines Beschlusses unserer Fraktionen. Hier sind fast alle Fraktionen vertreten. Ich weiß nicht, weshalb wir nicht eine interfraktionelle Besprechung innerhalb dieses Ausschusses führen sollen, der den Auftrag hat, sich mit diesen Wahlrechtsfragen zu beschäfti—
—
7) Sitzungsprotokoll der CDU/CSU-Fraktion vom 13. Okt. 1948, in: Salzmann, Die CDU/ CSU im Pari. Rat, S. 76. 8) Vgl. auch Krells Rede im Plenum am 21. Okt. 1948 (Stenographische Berichte, S. 112 ff.). 9) Am 18. Okt. 1948 lag bereits eine erste, in den Beratungen der Fachausschüsse formulierte vorläufige Fassung des Grundgesetzes vor (Drucks. Nr. 203). Etwa gleichzeitig wurde
auf drei interfraktionellen Besprechungen am 13., 14. und 21. Okt. 1948 eine Zwischenbilanz über den Stand der Beratungen des Pari. Rates gezogen. Neben dem Problem des Finanzausgleichs und dem Bund-Länder-Verhältnis wird hier die Regelung der Wahlrechtsfrage als eines der wesentlichen Schwerpunkte der Arbeit des Pari. Rates beschrieben (vgl. „Halbzeit in Bonn" von Staatsminister Dr. Anton Pfeiffer, Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 583; „Differenzpunkte zwischen CDU/CSU und SPD", BA Z 5, Anhang 12, Bl. 2-6).
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Achte Sitzung
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Nr. 8
gen. Denn hier sind doch die Leute
versammelt, die sich von vornherein mit den Wahlrechtsfragen befaßt haben. Nachdem wir alle Sachverständigen in jeglicher Richtung gehört haben, haben wir heute die offizielle Abstimmung vorgenommen, und diese Abstimmung hat mit Mehrheit gegen das reine Mehrheitswahlrecht entschieden. Ich halte es nur für einen Akt der Loyalität auch Ihrerseits, wenn Sie sich nun an der Ausgestaltung eines anderen Wahlrechts beteiligen. Meines Erachtens gibt es gar keine andere Lösung. Sie wollen die reine Mehrheit. Jetzt ist mit der reinen Mehrheit gegen Sie entschieden worden, und jetzt wollen Sie die Sache wieder aussetzen. Ich habe bereits einen Vorschlag über die entscheidenden Punkte dieses Wahlrechts ausgearbeitet. Er wird zur Zeit abgezogen. Ich würde ihn dann hier präsentieren, um ihn zur Grundlage der Verhandlungen zu machen10). Die Frage aber jetzt aus dem Ausschuß auf ein anderes Gleis zu schieben, halte ich nicht für richtig. Wir können die interfraktionellen Besprechungen unter uns hier abhalten. Dr. Kroll: Ich möchte betonen, daß ich nicht erklärt habe, daß wir nicht im Wahlrechtsausschuß mitarbeiten wollen; ich habe vielmehr gesagt, ich hielte es für richtig, nachdem erst gestern die Entscheidung in der Fraktion gefallen ist, in interfraktionelle Besprechungen einzutreten. Der Antrag kann abgelehnt werden. Das ist eine Sache für sich. Ich würde dann auf alle Fälle erst mit meiner Fraktion sprechen müssen, wie wir uns weiter verhalten sollen; denn gestern ist mir sehr großer Mehrheit die Entscheidung für das Mehrheitswahlrecht in der Fraktion gefallen11). (Dr. Diederichs: Bei Ihnen! Bei uns ist sie mit großer Mehrheit anders aus-
gefallen!12))
Ich stelle Ihnen völlig anheim, wie Sie verfahren wollen. Ich würde nach Rücksprache mit meiner Fraktion13) einen neuen Antrag einbringen, sehe mich aber jetzt außerstande, mich an den Abstimmungen zu beteiligen, nachdem in —
10) Siehe unten Dok. Nr. 13. ") Vgl. oben Dok. Nr. 7, Anm. 83. 12) Diederichs stellt hier die Entscheidungsfindung der SPD für das Verhältniswahlrecht eindeutiger dar, als sie tatsächlich war. Noch auf der Verfassungsausschußsitzung in
Hamburg am 13.
Okt. 1947 wollte sich die SPD auf Landes- bzw. trizonaler Ebene im Ge-
gensatz zum Kommunalwahlrecht noch nicht auf das Verhältniswahlrecht festlegen. Der
Parteivorstand befürwortete schließlich für die erste länderübergreifende Wahl u. a. EleVerhältniswahl am 28. Mai 1948 in Springe (FESt NL Menzel R 4). Ohne daß hiermit eine definitive Entscheidung getroffen worden war, ist doch davon auszugehen, daß sich die SPD-Spitze noch im Vorfeld der Verhandlungen des Pari. Rates für ein modifiziertes Verhältniswahlsystem aussprach (Lange, Wahlrecht, S. 252). Zu der heftigen Wahlrechtskontroverse, die hauptsächlich zwischen dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Lüdemann und Menzel stattfand, siehe auch oben Dok. Nr. 3, Anm. 92. Noch am selben Nachmittag fand eine Sitzung der CDU/CSU-Fraktion statt, auf der Kroll über den Stand der Verhandlungen im Wahlrechtsausschuß berichtete. Nach längerer Aussprache beschlossen die Abgeordneten, „daß die Fraktionsvertreter [im Wahlrechtsausschuß, d. Bearb.) sich für ein Mehrheitswahlrecht mit 20% Landesliste einsetzen sollten, wenn klargelegt sei, daß sechs in jedem Wahlkreis gewählt werden sollen". Gegen das reine Mehrheitswahlsystem sprachen sich am 14. Okt. 1948 insbesondere Kaufmann, Weber und Kaiser aus (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 79). mente der
13)
211
Nr. 8
Achte
Sitzung
14.
Oktober 1948
allen anderen Ausschüssen interfraktionelle Besprechungen stattgefunden hanur im Wahlrechtsausschuß noch nicht. Kaufmann: Die Schwierigkeit liegt doch wohl darin, daß wir nun im weiteren Verlauf keine klaren Abstimmungen vornehmen können. Der Verlauf der bisherigen Debatte in diesem Ausschuß hat doch ergeben, daß sich eine ganze Anzahl von wertvollen Mischformen denken läßt, die die Vorteile der beiden grundsätzlichen Wahlsysteme zu vereinigen und die Nachteile beider Formen auszugleichen versuchen. Wenn wir nun mechanisch über die Stichworte der verschiedenen Wahlrechtsformen abstimmen, ist eine Entscheidung sehr schwer. Ich habe Herrn Kroll so verstanden, daß er es wegen dieser Schwierigkeiten für notwendig hält, aus dieser Situation der kategorischen Ablehnung einen Zwischenweg zu finden; und den hat er auf dem Wege der interfraktionellen Besprechungen zu finden geglaubt. An sich ist nichts dagegen zu sagen, daß wir interfraktionelle Besprechungen schon hier vornehmen. Vors. [Dr. Becker]: Bitte beachten Sie folgendes, was ich seit sechs Wochen dauernd erzähle: Wir haben keine Vorlage, sondern die Vorlage muß ich leider Gottes erst erarbeiten14). Ich kann sie erst erarbeiten, wenn ich weiß, wie die Mehrheit dieses Ausschusses denkt. Überlegen Sie sich aber bitte auch, daß zu dieser Vorlage nicht nur das Wahlgesetz als solches, sondern auch die Wahlordnung, die Wahlprüfung, die Einteilung in Wahlbezirke und alles mögliche gehört. Überlegen Sie sich, was für einen Haufen von Arbeit wir hier vor uns liegen haben, der nun Woche um Woche hinausgeschoben wird. Jede Woche präpariere ich mich und immer ist es umsonst. Heiland: Ich bitte, die Formulierung des Herrn Dr. Kroll im Protokoll genau festzuhalten, damit sie nachher noch einmal bekannt gegeben werden kann. Er hat ganz klar und deutlich erklärt, daß sie in diesem Ausschuß nicht mehr mitarbeiten wollten. (Vors. [Dr. Becker]: Ich habe nicht verstanden, daß er in diesem Ausschuß nicht mehr mitarbeiten wolle!) Ich habe es so verstanden, und deswegen wünsche ich, daß dieser Punkt festgehalten wird, damit über ihn Klarheit herrscht. Man soll zu seinem Wort auch stehen. Dr. Diederichs: Ich möchte nicht, daß wir uns durch Dinge, die möglicherweises Mißverständnisse sein können, um den wirklichen Effekt unserer Arbeit bringen. Ich glaube, wir können auch mit Herrn Kroll auf eine Linie kommen. Natürlich haben auch wir keinerlei Bedenken, die Dinge interfraktionell zu besprechen. Ich bin der Auffassung, daß wir, ehe wir in interfraktionelle Besprechungen hineingehen, etwas haben müssen, das wir auch vorzeigen können; das heißt, wir müssen uns jetzt, nachdem die Entscheidung gegen das englische System gefallen ist, auf irgendeiner Basis um eine Kompromißlösung bemühen, die wir dann bei dieser interfraktionellen Besprechung unterbreiten können. Ich habe schon vom ersten Tage an Andeutungen dahin gemacht, daß wir zu Modifikationen werden kommen müssen, vor allen Dingen hinsichtlich der Persön-
ben,
—
14) Siehe oben Abschnitt 2 212
a
der
Einleitung.
Zum Entwurf Becker siehe Dok. Nr. 12.
Achte Sitzung 14. Oktober 1948
Nr. 8
lichkeitswahl15), und ich glaube, daß
wir in dieser Richtung etwas erarbeiten können. Aber wir können nicht in interfraktionelle Besprechungen gehen, solange wir praktisch nichts vorzulegen haben. Wir müssen eine Grundlage für die interfraktionellen Besprechungen haben. Dr. v. Brentano: Ich schlage vor, die Debatte abzubrechen. Es ist selbstverständlich, daß auch wir bereit sind, im Ausschuß weiter mitzuarbeiten. Anders war es gar nicht gemeint. Die endgültige Stellungnahme eines jeden Mitglieds des Ausschusses hängt ja von dem ab, was wir hier erarbeiten. Wir wollen also erst einmal sehen, zu welchem Ergebnis wir kommen, und dann werden wir über das Ergebnis noch einmal abstimmen müssen. Diese Geschäftsordnungsdebatte kostet mehr Zeit als sie wert ist. Vors. [Dr. Becker]: Ich hatte vor einer Woche vorgeschlagen, daß wir in folgender Reihenfolge abstimmen wollen16): Erstens: relatives Wahlrecht. Zweitens: Die grundsätzliche Frage des Mehrheitswahlrechts, das heißt zwei Wahlgänge mit der Unterfrage, ob relative Mehrheit oder Stichwahl. Und dann bleibt übrig drittens: die Frage des Proportionalwahlrechts. Und dann hätten wir uns anschließend über die Modifikationen unterhalten sollen. Gleichzeitig hatte ich gebeten, sich zu überlegen, wie bei Wahl des Mehrheitswahlrechtes in den großen Städten, die mehr als einen Wahlkreis umfassen würden, das Wahlrecht im einzelnen ausgestattet werden soll. Dann darf ich annehmen, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir auf dieser Grundlage fortfahren. Wir stimmen jetzt über folgende Frage ab: ob ein reines Mehrheitswahlrecht ohne jeden proportionalen Zusatz mit zwei Wahlgängen stattfinden soll. Wer für die Möglichkeit ist, den bitte ich die Hand zu erheben. Das ist niemand. ich das bei Herr Kroll, als Stimmenthaltung auffassen? Darf Ihnen, (Dr. Kroll: Nein, abgelehnt!) Das ist also abgelehnt. Dann brauche ich die Unterfrage nicht mehr zur Debatte zu stellen. Die dritte Frage: Proportionalwahlsystem rein oder mit Modifikationen? Wer ist für das Proportionalwahlrecht ohne irgend welche Modifikationen ? Das würde also ein Proportionalwahlrecht sein, bei dem nach dem d'Hondt'schen System nach reinen Listen gewählt wird. Wer für dieses Wahlrecht ist, den bitte ich, Also dieses System ist ebenfalls abgelehnt. die Hand zu erheben. —
—
—
—
[3. ZUR ARBEITSPLANUNG DES AUSSCHUSSES]
Wir stehen somit am Ende unserer Abstimmung, die bisher nur negative Ergebnisse gezeitigt hat. Nun kommt die Frage, welches Wahlrecht geschaffen werden soll, auf welcher Grundlage gewählt werden soll. Weitere Abstimmungen
15) Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 6 b. 16) Siehe oben Dr'-. Nr. 7, TOP 3. 213
Nr. 8
Achte
sind hier nicht
Sitzung
14.
Oktober
möglich, denn
1948
man
kann nicht über die verschiedenen Modifi-
kationen, die denkbar sind, abstimmen, zumal wir sie gar nicht alle kennen. Darf ich
folgenden Vorschlag
machen.
Herr Dr. Diederichs hat einen Plan entwickelt und gesagt, daß er mit der Ausnicht mit der Ausarbeitung schon fertig ist. Ich persönlich habe begonnen arbeitung eines Systems, sondern derjenigen Bestimmungen eines Wahlgesetzes, über die es möglicherweise keinen Streit gibt, damit wir erst einmal ein Gerippe stehen haben17). Dann bitte ich, mir zu gestatten, daß Herr Heiland als Mitberichterstatter und ich einen Entwurf ausarbeiten und Ihnen dann vorle—
gen. Anders sehe ich keine Möglichkeit des Vorwärtskommens. Dr. Diederichs: Ich habe unter der Voraussetzung, daß die Abstimmung in der Weise verlaufen würde, wie sie verlaufen ist, und tief innerlich überzeugt von der Richtigkeit meiner Auffassung, einen kurzen Entwurf gemacht18). Leider ist im Abzug die von mir gewählte Überschrift „Teilentwurf" nicht mitgeschrieben worden. Diese Überschrift ist aber notwendig, da der Entwurf nicht vollständig ist. Die ganze technische Seite ist nicht enthalten, aber die Art der Durchführung ist enthalten, und zwar habe ich meinen Wahlvorschlag auf das sogenann-
Mehrstimmenwahlrecht abgestellt, das heißt also, daß jeder Wähler soviel Stimmen bekommt, wie Abgeordnete in dem Wahlkreis gewählt werden sollen. Ich will meinen Teilentwurf hier einmal verteilen, und wir können uns ja dann, wenn nicht heute, so doch ein ander Mal mit ihm auseinandersetzen. Lobe: Könnten wir nicht, damit wir nicht noch mehr Zeit verlieren, den Ausweg benutzen, der von den meisten anderen Ausschüssen bei den Gegenständen verschiedener Meinung gewählt worden ist: daß wir nacheinander die einzelnen Vorlagen besprechen und eventuell zwei verschiedene Entwürfe unterbreiten unter loyaler Mitarbeit derjenigen, die einen anderen Vorschlag vorziehen würden; und wenn sich herausstellt, daß die Ansichten absolut entgegengesetzt bleiben, schlagen die anderen Herren auch ihren Modus vor und beide te
werden nebeneinander zur Entscheidung gestellt. Kaufmann: Ich glaube, das können wir nicht machen, denn wir können nicht einfach zwei Entwürfe mit verschiedenen Gesichtspunkten nebeneinander stellen und einen Fetzen von dem einen und einen Fetzen von dem andern nehmen. Wir können nur so verfahren, daß wir einen einheitlichen Entwurf mit den entsprechenden Varianten aufstellen, die aber dann irgendwie hineinpassen müssen und nicht aus irgendeinem grundsätzlich anderen Wahlrechtsverfahren stammen dürfen. Ich möchte doch vorschlagen, daß wir es so versuchen, daß eine kleine KomHerr Dr. Becker hat ja schon Herrn Heiland neben sich vorgeschlamission sich gen und vielleicht könnte auch Herr Dr. v. Brentano daran teilnehmen —
—
17) Siehe unten Dok. Nr. 11. 18) Der Teilentwurf wurde als Drucks. Nr.
178 dem Kurzprotokoll beigefügt (zu den nicht im Wortprotokoll abgedruckten Paragraphen siehe unten Anm. 20). Diederichs hatte bereits einige Tage zuvor seinen Wahlrechtsvorschlag auch in der Öffentlichkeit vorgestellt (G. Diederichs: Verhältniswahlrecht modifiziert, in: Neue Zeitung vom 5. Okt. 1948).
214
Achte
Sitzung
14.
Oktober 1948
Nr. 8
zusammensetzt, die die beiden widerstreitenden Gesichtspunkte scharf darstellt und eine Vorlage erarbeitet, die mit entsprechenden Varianten von mir dem Parlament vorgelegt werden kann. Wenn wir hier jetzt stückweise vorgehen und stückweise ändern, gibt es bestimmt kein Ganzes. Vors. [Dr. Becker]: Herr Löbe ist ja anscheinend mit dem, was ich angeregt habe, einverstanden, und ich glaube, es wird auch nur so möglich sein, wenn wir einen Entwurf fertigstellen wollen: Der kann zunächst nur aus einem Guß sein, den kann nur ein Einzelner fertigstellen, auch wenn die Grundlagen, auf denen er aufgebaut ist, auf Besprechungen mit andern beruhen. Ich würde also vorschlagen, so zu verfahren, daß wir den Vorschlag von Herrn Dr. Diederichs nehmen und daß dann die anderen kommen, die mitarbeiten; dann läßt sich schon etwas miteinander beraten. Wir machen es im Organisationsausschuß, wo wir die Frage des Bundesrats und des Senats nebeneinander bearbeiten, ebenso19). Wir müssen uns nur darüber klar werden, wann die nächste Wahlrechtsausschußsitzung sein soll. Dr. Diederichs: Vielleicht können wir auf dieser Grundlage, die ich nicht als einen vollständigen Entwurf, sondern als einen Teilentwurf vorgelegt habe, heute noch zu einer kurzen Besprechung kommen. Dabei würde sich herausstellen, wo eventuell noch andere Modifikationen gewünscht werden denn darauf kommt es jetzt an —, und ich würde dann vorschlagen, daß wir heute zum Schluß unserer Besprechungen diese Kommission nennen wir sie Redaktionskommission beauftragen, uns aufgrund alles dessen, was im Verlauf unserer Diskussion klar geworden ist, einen Vorschlag vorzulegen, der als definitive Unterlage für unsere Verhandlungen gebraucht wird und dann wirklich zur Abstimmung gestellt werden kann und für den dann, wenn wir fertig sind, ein Abstimmungsergebnis vorliegt. Dann hätten wir auch eine Möglichkeit, wenn wir diese vorbesprochen haben, daß jeder in seiner Fraktion diese Dinge noch einmal bespricht. Vors. [Dr. Becker]: Wird noch das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wir kämen dann zur Abstimmung. Wie soll verfahren werden? Es liegen die Vorschläge vor, die Sie gehört haben. Der erste Vorschlag würde dahin gehen, daß Vorschläge ausgearbeitet werden. Einer liegt im Enwurf vor. Und wenn Sie damit einverstanden sind, was ich aus der Debatte wohl entnehmen darf, würden wir darüber zu sprechen haben. Dann wäre die nächste Frage: Wollen wir jetzt anschließend zu diesem Entwurf Stellung nehmen? (Dr. v. Brentano schlägt vor, daß Dr. Diederichs seinen Entwurf erläutert.) Ich halte den Vorschlag für sehr gut. Wir würden dann eine Grundlage für weitere Beratungen am heutigen Tage gefunden haben. Dr. Kroll: Ich glaube, daß das gar nicht notwendig ist. Wir haben uns über einen großen Teil von Formulierungen bereits geeinigt und könnten uns darauf beschränken, die entscheidenden Wahlmodi zur Diskussion zu stellen. Ich glaube, daß jede Gruppe einen Alternatiworschlag hat, den sie zur Diskussion stel—
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19) Vgl. die
3. und 4.
Nr. 71 und 97).
Organisationsausschußsitzung
vom
21. bzw. 22.
Sept.
1948
(Drucks.
215
Nr. 8
Achte Sitzung
14.
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len kann. Es wurde sich nur darum handeln, das eigentliche Wahlverfahren herauszustellen. Vors. [Dr. Becker]: Es besteht Einverständnis. Dann wird so verfahren werden.
[4. ERLÄUTERUNGEN ZUM TEILENTWURF DR. DIEDERICHS (DRUCKS. NR. 178)]20)
[4a. Zahl der Wahlkreise und der
Abgeordneten (§§ 7—8)]
Dr. Diederichs: Das Entscheidende bezüglich des Wahlverfahrens ist hier unter II und III in meinem Wahlvorschlag enthalten.
20) Im Rahmen der Vorstellung des Teilentwurfs die
folgenden Paragraphen
seines
Vorschlags
Diederichs (Drucks. Nr. 178) wurden nicht in den Wortprotokollen festgehal-
von
ten:
„Wahlgesetz
für die 1. Wahl der
gesetzgebenden Körperschaft
der
Republik
Deutsch-
land. /. Aktives und passives Wahlrecht
§
1
Wahlberechtigt ist, wer: 1. die deutsche Staatsangehörigkeit hat, 2. das 21. Lebensjahr vollendet hat, 3. Wohnsitz oder Aufenthaltsberechtigung im Wahlgebiet hat. Diese Voraussetzungen gelten auch als erfüllt für Seeleute auf Schiffen und im Ausland befindliche Deutsche, wenn sie Aufnahme in die Wählerliste gefunden haben.
§
2
Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist:
4. in der Wählerliste verzeichnet ist oder einen Wahlschein besitzt.
die Voraussetzungen zu § 1 nicht erfüllt, entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft steht, 3. wer rechtskräftig durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte verloren 1. 2.
wer wer
hat,
4. wem
§
ausdrücklich das Wahlrecht aberkannt worden ist.
3 Behindert an der Ausübung des Wahlrechts ist: 1. wer wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder
Pflegean-
stalt untergebracht ist, 2. wer sich am Tage der Wahl in Straf- oder Untersuchungshaft oder Haft befindet. § 4 leder Wähler hat 6 (3) Stimmen. § 5 Wählbar ist jeder, der am Wahltage das 25. Lebensjahr vollendet hat, das aktive Wahlrecht besitzt und die Bedingungen der Nominierung erfüllt. § 6 1. Wer gewählt ist, muß ausdrücklich schriftlich die Annahme der Wahl dem Wahlleiter erklären. 2. Ein Abgeordneter verliert sein Mandat: a) durch Verzicht (unwiderruflich), b) durch nachträglichen Verlust des Wahlrechts, c) durch strafrechtliche Aberkennung der Rechte aus öffentlichen Wahlen, d) durch Ungültigkeitserklärung der Wahl oder sonstiges Ausscheiden im Wahl-
prüfungsverfahren,
e) durch nachträgliche Änderung des Wahlergebnisses, f) durch Ablauf der Wahlperiode. 3. Der Verzicht ist dem Präsidenten des Parlaments schriftlich anzuzeigen und damit
rechtsgültig.
216
Achte Sitzung Unter II
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besagt § 7:
gesamte Wahlgebiet wird in so viele Wahlkreise unterteilt, daß jeder Wahlkreis zwischen 1 Million und 1,25 Million Einwohner umfaßt. Das würde für das gesamte Bundesgebiet bedeuten, daß wir etwa 40 Wahlkreise bekämen. In jedem dieser 40 Wahlkreise würde die gleiche Anzahl von Abgeordneten gewählt werden. Das
IV.
Wahlvorbereitung
[...] § 16 Für das gesamte Wahlgebiet ist ein Wahlleiter durch den Präsidenten des Parla-
mentarischen Rates zu berufen. Er setzt in jedem Wahlkreis im Einvernehmen mit den Landesregierungen einen Wahlkreisleiter ein. Dem Bundeswahlleiter und den Wahlleitern der Wahlkreise ist jeweils ein Wahlausschuß zur Seite zu stellen, in dem auf jede in der Wahl beteiligten Partei je ein Vertreter vorhanden ist. § 17 Die Einteilung der Wahlkreise in Stimmbezirke ist Aufgabe des Wahlkreisleiters. Für jeden Stimmbezirk ist ein Wahlvorsteher und ein Stellvertreter zu benennen. Der Wahlvorsteher beruft aus den Wählern seines Wahlbezirks so viele Beisitzer, wie Wahlvorschläge in dem Bezirk zugelassen sind. Der Wahlvorsteher, sein Stellvertreter und die Beisitzer bilden den Wahlvorstand. Einer der Beisitzer ist zum Schriftführer zu berufen. § 18 In jedem Wahlkreis wird über die dort wohnenden Wähler eine Wählerliste ange-
legt.
§ 19 Wahlscheine werden auf Antrag den Wählern, die in einer Wahlliste eingetragen sind, ausgestellt:
sie sich am Wahltage während der Wahlzeit aus zwingenden Gründen außerhalb ihres Wahlbezirks aufhalten müssen, 2. wenn sie nach Ablauf der Einspruchsfrist ihren Wohnsitz in einen anderen Wahlbezirk verlegt haben, 3. wenn sie infolge körperlichen Leidens oder Gebrechens in ihrer Bewegungsfreiheit behindert sind und durch den Wahlschein die Möglichkeit haben, einen anderen für sie günstigeren Stimmbezirk aufzusuchen. § 20 Die Wählerlisten werden zur allgemeinen Einsicht öffentlich ausgelegt. Die Lokalbehörden geben Ort und Zeit bekannt und weisen darauf hin, innerhalb welcher Frist und wo Einspruch gegen Mängel der Wählerlisten erhoben werden kann. § 21 Die Wähler können nur in dem Stimmbezirk wählen, in dessen Wählerliste sie verzeichnet sind. Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlkreis ihre Stimme abgeben. §22 Die Wahlvorschläge für einen Wahlkreis sind spätestens 14 Tage vor dem WahltaWählern des ge einzureichen. Die Wahlvorschläge müssen von mindestens Wahlkreises unterschrieben sein. Der Wahlvorschlag darf im höchsten Falle 50% über die Zahl der zu wählenden Abgeordneten enthalten (9 Namen). Ist der Wahlvorschlag von einer anerkannten politischen Partei eingereicht worden, so genügt die Unterschrift eines Bevollmächtigten dieser Partei. In den Wahlvorschlag darf nur aufgenommen werden, wer seine Zustimmung dazu erklärt hat. Die Erklärung muß mit persönlicher Unterschrift des Kandidaten zusammen mit dem Wahlvorschlag eingereicht werden. Ein Bewerber darf nur in einem Wahlkreis kandidieren, kann aber zugleich in den Bundeswahlvorschlägen Aufnahme finden. § 23 Die Überprüfung der Wahlvorschläge wird in den Wahlkreisen durch den bei dem Wahlvorsteher gebildeten Wahlausschuß vorgenommen. Das Gleiche trifft für die Prüfung des Bundeswahlvorschlages durch den beim Bundeswahlleiter gebildeten Wahlausschuß zu." 1.
wenn
.
.
.
217
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Achte
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Einteilung kann den Ländern übertragen werden. Wenn die Bevölkerungsziffer für einen vollen Wahlkreis nicht ausreicht, ist Zusammenschluß mit Nachbargebieten vorzunehmen. Nach diesem System ist nach meiner Auffassung auch die Aufgabe der Wahlkreiseinteilung verhältnismäßig einfach. Wir haben ja von den Ländern ihre Unterlagen für die Wahlkreiseinteilung angefordert21). Es wird praktisch in den Ländern möglich sein, durch Zusammenlegung von 2 oder 3 Länderwahlkreisen an diese vorgeschriebene Bevölkerungsziffer heranzukommen, die also zwischen 1 und 1,25 Million liegen soll. Die
In § 8 heißt es dann weiter: 1. In jedem Wahlkreis werden in unmittelbarer Wahl sechs Kandidaten gewählt. Außerdem werden von Reststimmen dem gesamten Wahlgebiet je Wahlkreis noch 2 Mandate verteilt. Das würde die Gesamtziffer der Abgeordneten nach diesem Vorschlag bedeuten. Es wären 40 Wahlkreise, 240 direkt Gewählte und 440 x 2 gleich 80 Mandate auf Reststimmen. Das wären insgesamt 320 Abgeordnete. Dann heißt es weiter: 2. Die Mandate werden nach dem Höchstzahlverfahren (d'Hondt) je Wahlvorschlag zugeteilt. Gewählt werden die Kandidaten innerhalb des Wahlvorschlages in der Reihenfolge der Stimmenzahl. Das ist die Frage der vollkommen offenen Liste und der absoluten Personenwahl. Der Wahlzettel würde also etwa folgendermaßen aussehen. Nehmen wir an, es seien vier Parteien, die Kandidaten präsentiert haben. In einem Auslosungsverfahren würde die Reihenfolge bestimmt werden, und die einzelnen Parteien würden nun nach meinem Wunsche auf dem quer zu nehmenden Wahlzettel nebeneinander aufgeführt, um das Hintereinander und alle möglichen Bedenken, die da immer auftauchen, zu vermeiden. Die Reihenfolge würde für das gesamte Bundesgebiet ausgelost werden. Oben drüber stehen die Namen der vorschlagenden Parteien, und unter den Parteien stehen die Namen der Kandidaten, die die betreffende Partei präsentiert. Der Wähler, der sechs Stimmen hat oder drei, würde dann die Kandidaten auswählen und ankreuzen; quer durch die gesamten Wahlvorschläge kreuzt er diejenigen an, die er persönlich wählen möchte. Er kann also absolut die Leute bezeichnen, die er haben will. Er wählt keine Liste, sondern die ihm von den verschiedenen Parteien vorgeschlagenen Kandidaten. Dabei ist klar, daß Leute, die parteilich gebunden sind, die Auswahl unter den Vorschlägen ihrer Partei treffen werden. Wer das nicht ist, hat also die Möglichkeit, hierbei die verschiedensten Richtungen zu wählen. Wenn dann die Wahl abgeschlossen ist, wird gewissermaßen ein Strich darunter gemacht, und die Stimmen, die auf jeden Wahlvorschlag entfallen, werden gezählt, und dann wird nach dem Höchstzahlverfahren also Hälftelung, Datierung usw., das ist ja bekannt errechnet, wieviel Mandate auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallen. Und dann bekommen die Mandate innerhalb des —
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21) Siehe oben S. 32. 218
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nach dem die Sitze zugeteilt sind, diejenigen Kandidaten, die die meisten Stimmen haben, das heißt also diejenigen, die von der Bevölkerung als diejenigen bezeichnet worden sind, die sie zu wählen beabsichtigen. Hier ist also die reine wirkliche Personenwahl mit der Verhältnisberechnung vereinigt. Dieses Verfahren hat meiner Ansicht nach sogar noch den einen Vorzug, daß die Leute nicht ausschließlich schwarz oder weiß, ja oder nein zu sagen brauchen. Ich könnte mir vorstellen, daß unter den verschiedenen Wahlvorschlägen drei sehr prächtige Männer vorhanden sind, so daß ich mir sagen würde: Wenn ich jetzt drei Stimmen hätte, würde ich jedem eine geben; aber ich muß irgendeinen wählen und komme hier in die schwere Krise, die richtige Persönlichkeit zu wählen, die ich wählen soll. Ich sehe also in diesem Verfahren einen erheblichen Vorteil.
Wahlvorschlages,
[4b. Wahlverfahren (§§ 9-14)] In III ist dann das Wahlverfahren geregelt. In § 9 heißt es: Gewählt wird mit amtlich abgestempelten Stimmzetteln, die sämtliche Wahlvorschläge in der durch Auslosung bestimmten Reihenfolge enthalten. Ich habe das System der Auslosung absichtlich gewählt, um jede Schärfe zu beseitigen. Wenn wir die Reihenfolge nach der Parteistärke bestimmten, müßte sie alle Augenblicke geändert werden, und in den verschiedenen Wahlkreisen wäre sie auch noch verschieden. Eine einmalige Auslosung über das gesamte Bundesgebiet würde hier meines Erachtens eine ganz eindeutige Reihenfolge bestimmen. Da sie außerdem nach meinem Wunsch in der Horizontalen angeordnet sind, wäre das kein Problem. (Dr. Kroll: Soll die Auslosung bei jeder Wahl neu vorgenommen werden?) Wir unterhalten uns im Augenblick über das Wahlverfahren, das für die erste Wahl bestimmt ist. Ich habe auch in der Überschrift gesagt: Teilentwurf eines Wahlgesetzes für die l.Wahl der gesetzgebenden Körperschaft der Republik Deutschland. Über die Überschrift kann man natürlich streiten. Es handelt sich um ein Wahlverfahren für die erstmalige Wahl. Das geht zum Teil auch aus dem Text hervor, insbesondere dort, wo ich z. B. den Präsidenten des Parlamentarischen Rats als die Stelle bezeichnet habe, die dieses oder jenes anzuordnen hat. Ob das möglich ist, ist eine zweite Frage. Wenn der Parlamentarische Rat aufgelöst wird, wird eine Übergangslösung geschaffen werden können. Die Reihenfolge ist für das gesamte Wahlgebiet einheitlich. In § 10 heißt es dann: Der Wähler bezeichnet die zu wählenden Kandidaten durch Ankreuzen. Sind mehr als sechs Kandidaten bezeichnet, so ist die Stimme ungültig. Das ist ja klar. Wenn jemand sechs Stimmen hat und sieben Kandidaten ankreuzt, dann weiß man ja nicht, welches von den sieben Kreuzen ungültig sein —
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soll.
Kaufmann: Haben ausgelassen?
Sie mit voller Absicht die
Möglichkeit
des Kumulierens her-
Dr. Diederichs: Ja. Beim Kumulieren kann leicht folgendes passieren: Dann wird irgendein sehr stark bekannter Mann in einem Wahlkreis herausgestellt 219
Achte
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und konzentriert sehr viele Stimmen auf sich, und aufgrund dieser auf ihn konzentrierten Stimmen werden andere mit durchgeschleppt, die sehr wenig oder gar keine Stimmen haben, was auf Kosten anderer entweder im gleichen Wahlvorschlag oder auch in anderen Wahlvorschlägen aufgeführter Kandidaten
geht.
Zweitens ist durch diese Kumulierungsmöglichkeit gerade wieder eine Chance gegeben, daß ganz kleine Interessengruppen statt sechs Kandidaten nur zwei Leute präsentierten; ein Hausbesitzerverein stellt z. B. einen Mann heraus und peitscht seine Leute ein, ihm je drei Stimmen zu geben. Auf diese Weise be-
kommt man wieder Einzelritter aller möglichen Interessengruppen, statt die Kandidaten nach den großen Gesichtspunkten der Partei auszuwählen. Denn bei der Möglichkeit des Kumulierens können die Leute auch bei solchen Einzelmarschierenden ihre Stimme voll verwerten, was nicht möglich ist, wenn sie nicht kumulieren können. Deshalb habe ich ganz bewußt das Kumulieren herausgelassen. Es ist ja niemand gezwungen, seine sechs Stimmen voll auszu-
schöpfen.
Kumulieren ist also nicht zulässig. Die Frage des Panaschierens regelt sich von selbst, weil der Wähler ja nichts hineinschreibt, sondern in verschiedene Wahlvorschläge gehen kann.
besagt: Ermittlung eines Wahlergebnisses stellt der Wahlausschuß fest, wie viele gültige Stimmen für jeden der Wahlvorschläge insgesamt abgegeben §
11
Zur
worden sind.
§12:
Wahlvorschlag werden dann aufgrund der Berechnung nach dem Höchstzahlverfahren die darauf entfallenden Mandate zugewiesen. Die Stimmen der in den Wahlkreisen nicht gewählten Abgeordneten werden als Reststimmen dem Bundeswahlvorschlag zugewiesen. Dabei lasse ich die Frage offen, ob wir vielleicht noch eine Zwischenabrechnung in den Ländern oder in kleineren Bezirken wünschen, wie es im Reichsdas wird eine Frage unserer Verhandlungen sein. Im tagswahlrecht war22), oder ob wir nur Reichstagswahlrecht bestand ja eine doppelte Möglichkeit haben wollen. Da einen einheitlichen Bundeswahlvorschlag insgesamt an Restverteilt das eine ist nur stimmen werden, 80 Mandate Frage des Geschmacks. Ich könnte mir aber vorstellen, daß gewisse Leute in größeren Bezirken, wo sechs bis acht Wahlvorschläge sind und wo keine Verrechnungsmöglichkeit innerhalb dieses Gebiets besteht, das wünschen. Das wäre auch möglich. Dann würde man eine Zwischenstufe durch Zusammenschluß mehrerer Wahlkreise zu einer Wahlkreisgemeinschaft zwecks Verrechnung der Reststimmen vorsehen können. Dem
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§13: Auf die Gesamt-Reststimmen werden je Wahlkreis 2 Mandate in der Weise verteilt, daß durch Division der gesamten Reststimmen durch die Zahl der
22) §§ 220
30 ff.
RWahlG 1924 (RGBl. S. 159).
Achte
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verteilenden Sitze die Quote ermittelt wird und nach dieser Quote dem Mandate einzelnen Wahlvorschlag die ihm zustehenden Reststimmen zuerkannt werden. Diejenigen Wahlvorschläge, von denen in den Wahlkreisen kein direktes Mandat erzielt wurde, werden bei der Reststimmenverteilung nicht berückzu
—
sichtigt.
Dabei bin ich davon ausgegangen, daß bei sechs Gewählten innerhalb eines Wahlkreises auch für kleinere Parteien die Möglichkeit besteht, einen Abgeordneten durchzubringen; und wenn sie einen Abgeordneten in einem der 40 Wahlkreise durchgebracht haben, haben sie damit den Beweis erbracht, daß sie also nicht als Splittergruppe anzusprechen sind, und haben den Anspruch auf volle Berücksichtigung bei der Verrechnung der Restmandate. Ich möchte also auch keine Bestimmung des Inhalts aufnehmen, daß eine Partei nicht mehr Restmandate bekommt, als sie unmittelbar erzielt hat, sondern wenn sie an einer Stelle ein eigenes Mandat erobert hat, soll sie Anspruch auf die Verwertung ihrer Reststimmen haben. Es ist also gar keine andere Klausel, als wenn ich von einem Wähler verlange, daß er erst einmal 21 Jahre alt werden muß, bevor er wählen kann. Hier sage ich: Wenn eine Partei nach diesem Verfahren ein Mandat durchgebracht hat, hat sie damit gezeigt, daß sie im Wahlkampf, wo es um die Person geht, Leute herausgestellt hat, die das Vertrauen der Bevölkerung haben, und infolgedessen sollen auch ihre Reststimmen Verwendung finden. §14: Lehnt ein Gewählter die Annahme des Mandats ab und scheidet er aus, so tritt an seine Stelle der Bewerber mit der nächsthohen Stimmenzahl, scheidet ein Abgeordneter aus, der über den Bundeswahlvorschlag gewählt worden ist, so folgt ihm der über dem Bundeswahlvorschlag nächste Anwärter.
Nachwahlen in den einzelnen Wahlkreisen finden nicht statt. Stock: Wie ist das gemeint: „der die nächsthohe Stimmenzahl hat": aus dem betreffenden Wahlkreis oder überhaupt? Dr. Diederichs: Angenommen, auf den Wahlvorschlag Nr. soundsoviel sind drei Leute zugeteilt. Von diesen legt einer sein Mandat nieder. Dann folgt eben, da diese drei Stimmen diesem Wahlvorschlag zustanden, der aus dem Wahlvorschlag, der die meisten Stimmen hat23). Es ist also so, daß die nächsthöhere Stimmenzahl sich natürlich auf denjenigen Wahlvorschlag bezieht, dem das Mandat gehört. Das ist ganz eindeutig. Ich möchte auch nicht, daß einem Abgeordneten, der in Bayern gewählt ist und dort ausscheidet, nun jemand nachfolgt, der vielleicht in Holstein als nächster an der Reihe ist; sondern von demjenigen Wahlvorschlag aus, von dem er gewählt worden ist, folgt dann der nächste, der die nächsthohe Stimmenzahl hat. Das kann eine Differenz von wenigen Stimmen sein. Wenn man annimmt, daß sich die Wähler ziemlich einheitlich an die Vorschläge halten, so ist es durchaus möglich, daß einer mit
23) Vgl. oben Dok. Nr. 6, TOP 2 f. 221
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4000 Stimmen
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gewählt wird,
während ein anderer mit 3992 Stimmen
ungewählt
bleibt. Wenn also der Mann mit den 4000 Stimmen ausscheidet, ist dieser der nächste. Ich will damit erreichen, daß, nachdem die Wahl stattgefunden hat, nachdem das Votum der Wähler abgegeben worden ist, die Nachfolge im Parlament nach dieser Regelung erfolgt. Reimann: Angenommen, es ist beim Ausscheiden eines Gewählten infolge Krankheit oder irgendwelcher Umstände keiner mehr da, der die Nachfolge an-
könnte, die Liste ist erschöpft: was geschieht dann? Dr. Diederichs: Dann könnte die Ergänzung aus dem Bundeswahlvorschlag genommen werden, und wenn dort auch keiner mehr ist, bleibt das Mandat unbesetzt. Es kommt hinzu, daß ja vorgeschrieben ist, wie viele Kandidaten jede Partei aufstellen kann. Ich habe hier vorgesehen, daß jede präsentierende Gruppe in ihrem Wahlvorschlag 50% Kandidaten mehr benennen kann, als zur Wahl stehen. Sechs stehen zur Wahl: es können also neun aufgestellt werden. Selbst in dem günstigsten Fall, daß eine Partei alle sechs Mandate bekäme, hätte sie immer noch drei Kandidaten innerhalb ihres Wahlvorschlages in Reserve, die dann beim Ausscheiden eines Gewählten nach oben nachrücken können. Ich glaube, das wäre vollkommen ausreichend. Ich habe bewußt ausgesprochen, daß Nachwahlen nicht stattfinden sollen. Wir haben so viele Wahlen in den Kreisen, Kommunen, Ländern und dann auch noch für den Bund, daß wir fast in jedem Jahr mit irgendeiner Wahl rechnen können. Daher bin ich der Auffassung, daß wir die Nachwahlen als besonderen Test nicht notwendig hätten, ganz abgesehen davon, daß ja auch nach den Ausführungen des Herrn Dr. Luther24) hier die eigentliche Nachwahl im Wahlkreis nur bei der reinen Mehrheitswahl einen Sinn hat und hier durchaus die Stimme auch für den anderen vorgelegen hat, wodurch also bei der Personenwahl innerhalb des Wahlvorschlages gleich festgelegt ist, wer der Nachfolger sein soll. treten
[4c. Wahlvorbereitung (§ 15)] IV betrifft die Wahlvorbereitung. In § 15 ist gesagt: Die Wahl zum 1. Deutschen Bundesparlament muß spätestens zwei Monate nach Ratifizierung des Grundgesetzes erfolgen. Den Wahltag bestimmt der Präsident des Parlamentarischen Rats in Übereinstimmung mit den Landesregierungen. Der Wahltag muß ein Sonntag oder öffentlicher Ruhetag sein.
Das haben wir ja alle bereits besprochen25), und das sind mehr oder minder technische Dinge, die sich ja in Anlehnung an frühere Wahlgesetze erledigen. Das ist also der
Abschnitt, der sich hier in
erster Linie in der Weise, wie ich es als modifiziertes Verhältniswahlrecht mit ausgesprochener Personenwahl darstellt. Das möchte ich ganz besonders unterstreichen.
vorgeschlagen habe,
24) Vgl. oben Dok. Nr. 7, TOP 1 b. 25) Siehe oben Dok. Nr. 6, TOP 2 c. 222
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(5. AUSSPRACHE] Brentano: Wir wollen uns hier nicht wiederholen, sondern ich möchte einmal kurz eine Kritik vortragen, die sich mir aufdrängt. Ich bitte sich einmal zu überlegen, ob dieser Wahlvorschlag nicht letzten Endes nur eine etwas verkleinerte Form des Verhältniswahlsystems ist26). Er unterscheidet sich doch an sich nur durch das Mehrstimmrecht. (Dr. Diederichs: Und durch die Ausscheidung der gebundenen Listen!) Wir kommen aber praktisch absolut zur gebundenen Liste. Der einzelne Wähler hat sechs Stimmen. Kumulieren soll er nicht. Er wird sich also sagen: Ich muß jetzt meine sechs Stimmen an den Mann bringen. Der theoretische Fall, den Sie erwähnten, daß der Wähler sagt: ich brauche ja nicht alle sechs Stimmen abzugeben wird kaum in Frage kommen; denn dann verliert er ja drei Stimmen und er macht von seinem Wahlrecht keinen vollen Gebrauch, verzichtet also freiwillig auf eine Mitbestimmung. Das wäre ein sehr unpolitischer Mensch. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig, als daß er sich sagt: Ich habe sechs Stimmen abzugeben; hier habe ich eine Liste, auf der sechs bis neun Kandidaten verzeichnet sind; ich gebe also sechs von diesen neun Kandidaten je eine Stimme; denn der Fall, daß ein Wähler sich sagt: Hier sind sechs Leute auf sechs Listen, die mir alle gleich lieb sind, folglich gebe ich jedem eine Stimme ist doch ein rein theoretischer Fall. Den sollten wir ausscheiden. Dadurch würde er ja seine eigene Stimme praktisch unwirksam machen. (Kaufmann: Das kommt aber vor! Beim Panaschieren kommt es sehr oft vor! Zuruf des Abg. Löbe) Das hat einen Sinn, wenn man kumuliert. Es hat aber keinen Sinn, wenn ich sage: Ich habe sechs Stimmen, die alle sechs die gleiche Bedeutung haben; dann kann ich sechs Kandidaten von sechs verschiedenen Richtungen wählen. Damit ist die ganze Abstimmung wertlos! (Löbe: Dieser extreme Fall wird selten eintreten!) Man zwingt an sich durch dieses Verfahren den Wähler, damit seine Stimme voll zum Zuge kommt, letzten Endes statt wie früher Liste 1 anzukreuzen, bei der Liste 1 die Kandidaten 1 bis 6 anzukreuzen. Das wird der praktische Erfolg dieses ganzen Systems sein. Ich möchte mir die letzte Kritik noch vorbehalten, aber ich bitte doch zu erwägen, ob das nicht das zwingende praktische Ergebnis sein wird und ob wir nicht damit in einer umständlichen Form auf das klassische Verhältniswahlrecht zurückkommen. Stock: Der Herr Kollege hat nicht ganz recht. Wir haben dieses Wahlsystem in Bayern bei den Kommunalwahlen27) durchexerziert nur mit dem Unterschied, daß wir kumuliert haben. Nun ist es aber folgendermaßen. Ich glaube von
Dr.
v.
nur
—
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—
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—
—
26) Ganz ähnlich äußerte sich Brentano später auch bei der Debatte vor der Verabschiedung des
Wahlgesetzes
27) Kommunalwahlen
im Plenum vom
25.
am
April
24. Febr. 1949, 1948 (vgl. oben
(Stenographische Berichte, Dok. Nr. 7, Anm. 11).
S. 130).
223
Nr. 8
Achte
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sagen zu können26), daß die Leute in 60 bis 62% aller abgegebeStimmen panaschiert haben, und zwar von der CSU- und SPD-Liste. Sie haben sich gesagt: Ich will den und den Mann haben von der SPD und den und den Mann von der CSU. Deshalb wird es nicht so eintreffen, wie Herr Kollege Brentano meinte, daß er zwar sechs Stimmen abgibt, aber diese sechs Stimmen derselben Liste gibt. Das wäre ja nur eine Listenwahl. Ich kann mir vielmehr denken, daß ein großer Teil von den Wählern, die nicht parteigebunden sind und das Gros der Wähler ist eben parteilich ungebunden denjedie Stimme gibt, bei denen sie glauben, daß sie im Bundestag Leuten nigen richtig sind, während die anderen nicht hineinkommen sollen, so daß der Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Diederichs sehr gut ist. Sie werden das erleben. minDenn Sie werden nach der Wahl konstatieren können, daß die Wähler destens ein großer Prozentsatz der Wähler durch 2 oder 3 Listen gegangen sind. Und warum sollte deren Stimme ungültig sein? Warum sollten sich ihre Stimmen gegenseitig aufheben? Sie wählen die Männer, von denen sie glauben, daß sie die Interessen der Allgemeinheit im Bundestag richtig vertreten, und sie werden sich nicht an eine Liste binden. (Dr. v. Brentano: Wenn man nicht kumulieren kann!) Das Kumulieren hat einen kolossalen Nachteil. Nehmen wir an, eine kleine Partei habe nicht 32 Kandidaten aufgestellt, sondern nur sechs oder acht, und von diesen hat jeder drei Stimmen bekommen, und dadurch haben sich die Stimmen auf Leute gehäuft, die man unter Umständen gar nicht haben wollte. Sie sind nun aber drin und treiben ihr Unheil. Dr. Diederichs: Herr v. Brentano, ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich die Frage der Kumulation im Grunde genommen für eine Frage halte, über die man, um zu einer Einigung zu kommen, durchaus diskutieren kann. Ich negiere sie keineswegs 100%ig. Ich habe in Niedersachsen für ein Wahlrecht einen Vorschlag gemacht, in dem die Wähler nicht gekreuzt sondern zensiert hätten, und zwar so, daß sie die Wähler mit aufeinanderfolgenden Zahlen bezeichnet hätten; die 1 hätte drei Punkte bedeutet, die 2 zwei Punkte und die 3 ein Punkt29). Somit hätte also der Wähler eine Hauptstimme und 2 Nebenstimmen verschiedener Stärke gehabt. Dann hätte man die Punkte berechnet. Wer 100 Einsen hätte, hätte 300 Punkte. Wer 100 Zweien hätte, hätte 200 Punkte, wer 100 Dreien hätte, hätte 100 Punkte. Auf diese Weise kam praktisch auch eine Kumulation zustande. Das ist im Landtag abgelehnt worden, weil man es für zu kompliziert hielt. Ich hatte mich allerdings auf den Standpunkt gestellt, wenn Analphabeten ungültige Stimmen abgäben, schadete es nicht. Aber es ist im Land-
Aschaffenburg nen
—
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—
—
28) Stock wurde kurz nach Kriegsende Oberbürgermeister und dann Landrat von Aschaffen-
burg.
29) Gemeint
ist hier offensichtlich Diederichs Mitarbeit
am
niedersächsischen Kommunalim niedersächsi-
wahlgesetz vom 4. Okt. 1948 (GVOB1. S. 90). Zu Diederichs Tätigkeit schen Landtag siehe auch Vogt, Diederichs, S. 29 ff.
224
Achte
tag abgelehnt worden, und sie haben lationsrecht bekommen30).
nur
3
Sitzung
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gleichwertige
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Stimmen ohne Kumu-
Die Frage des Kumulierens will ich durchaus zur Erwägung stellen. Ich persönlich habe keine großen Bedenken dagegen, außer denen, die ich vorhin geschildert habe, daß nämlich auf diese Weise Einzelgänger, Sonderlinge durch Stimmenhäufung eine Sondernummer reiten können, weil sie dann durch dieses Kumulieren mit einer verhältnismäßig kleinen Wählerzahl zu Mandaten kommen können und doch Fremdkörper im Parlament sind. Frau Wessel: Ich halte den Vorschlag des Herrn Dr. Diederichs deshalb für gut, und weil diejenigen Kreise, die sich nicht parteipolitisch so gebunden fühlen Teil die doch heute sehr ist ein das Möglichkeit haben, denjenigen großer Kandidaten zu bezeichnen, den sie tatsächlich haben möchten. Der Nachteil einer Mehrheitswahl würde darin bestehen, daß der Einzelwähler gezwungen würde, selbst dann, wenn er sich nicht mit den Grundsätzen einer Partei verbunden fühlt, einen bestimmten Mann zu wählen. Wenn wir also dieses Wahlsystem nehmen, erreichen wir zweierlei. Der nicht parteipolitisch gebundene Wähler kann erstens wirklich die Persönlichkeit wählen, die er haben möchte. Und zweitens werden die Parteien meiner Überzeugung nach gezwungen, nicht nur ganz reine Parteivertreter, sondern wirkliche Persönlichkeiten herauszustellen; denn sie wollen ja für ihren Kandidaten Stimmen gewinnen, und zwar auch von denjenigen Kreisen, die parteipolitisch nicht so gebunden sind. Ich halte diese Frage aus erzieherischen Gründen für die Partei für sehr wichtig, damit nicht nur reine Parteivertreter, die von der Parteibürokratie nach oben gebracht werden, als Kandidaten erscheinen, sondern auch Persönlichkeiten, die eine gewisse Anziehungskraft auf jene Menschen haben, von denen sie kraft ihrer Persönlichkeit gewählt werden sollen. Mir scheinen hier gegenüber dem Mehrheitswahlsystem doch entscheidende Vorteile zu liegen, die gerade jenen Kreisen entgegenkommen, die wir für unsere Politik stärker gewinnen und interessieren wollen. Lobe: Ich möchte vor einer Kumulation mit 1, 2 und 3 warnen. Das ist wirklich zu kompliziert. Wenn wir im Wahllokal stehen, wissen wir, wie viele Leute unbeholfen hinkommen: Die Alten, die Kranken, die Frauen werden hingeschleppt, die sich schon mit den sechs Stimmen haben abquälen müssen. Auf diese Erschwerungen müssen wir also verzichten. Ich möchte aber auch Herrn Dr. v. Brentano darauf hinweisen, wie schwierig es ist, diese Leute aus den verschiedenen Listen herauszuschälen. Nicht nur der Parteiungebundene, sondern sogar der Parteigebundene kann den Wunsch haben, einen Kandidaten einer anderen Liste zu wählen. Nehmen wir z. B. an, ein Sozialdemokrat im Lande Nordrhein-Westfalen habe sechs Stimmen, und er —
—
30)
Es konnte nicht ermittelt werden, in welchem Zusammenhang Diederichs mit seinem Antrag scheiterte. Angesichts des sehr speziellen Vorschlags kann jedoch davon ausgegangen
hat.
werden, daß
er
ihn in einer der
Ausschußsitzungen
des
Landtages vorgebracht 225
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möchte gerne, daß Herr Arnold31) auch Abgeordneter wird, und gibt deshalb fünf Stimmen der Kandidatenliste seiner Partei und streicht als sechsten Kandidaten Herrn Arnold an. Solche Verhältnisse werden oft auftreten, weil man gewisse Persönlichkeiten über den Parteirahmen hinaus schätzt. Ich sehe darin einen großen Vorteil. Die Deutsche Wählergesellschaft arbeitet ja sehr stark mit dem Argument, man zwinge die Wähler zur Wahl der von der Parteibürokratie aufgestellten Männer und Listen32). Das wird gelockert und gelöst, indem man den Wähler in die Möglichkeit versetzt, auch außerhalb der eigenen Liste seine individuelle Wahl zu treffen. Das ist für die Zusammensetzung des Parlaments sehr wünschenswert und erhöht die Rechte des einzelnen Wählers. Ich glaube, der Fall, daß ein Wähler seine Stimmen über alle sechs Listen verteilt und dadurch seine Stimmen aufhebt, wird ein so seltenes Extrem sein, daß wir weitergehende Erwägungen darauf nicht aufzubauen brauchen. Dr. Kroll: Dr. Becker hat die Frage aufgeworfen, ob noch andere Vorschläge gemacht würden. Ich möchte nur wissen, wie Sie verfahren wollen: ob wir diesen Vorschlag ausführlich in allen Einzelheiten debattieren oder ob verschiedene Modifikationen vorgetragen werden sollen, die grundsätzlich den Wahlmodus betreffen, oder ob die später folgen sollen. Denn wir müssen versuchen, einen Weg zu finden, auf dem wir uns begegnen können. Wenn noch andere Modifikationen zur Diskussion gestellt werden, müßte ein Vorentscheid über die Modifikation getroffen werden33). Wenn nicht, können wir das durchdiskutieren, müssen dann aber beim zweiten Vorschlag wieder von vorn anfangen. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe gefragt, ob Sie für Ihre interfraktionellen Besprechungen Wert darauf legen, alle Verfahrensarten, die hier irgendwie vorgeschlagen werden könnten, zu wissen. Es wurde dann gewünscht, hier zunächst in einer Generaldebatte auf diesen Vorschlag einzugehen. Auf der Rednerliste stehen nur noch 2 Namen. Dann würde ich allerdings bitten, daß wir die anderen Verfahren auch noch kurz andeuten, damit wir die mitbesprechen können. Ich hätte zu diesem Vorschlag sagen wollen, daß er einen Versuch darstellt, die Persönlichkeitsauswahl mit dem Proportionalwahlverfahren zu verbinden. Einen Nachteil sehe ich nur darin, daß es bei einem Wahlkreis von einer Größe von 1 Million Einwohnern nicht mehr möglich sein wird, daß sich die betreffenden Persönlichkeiten in allen Orten bekannt machen. Nehmen Sie ein Städtchen von 3000 Einwohnern. Es legt Wert darauf, daß es die Leute auch einmal sieht. Bei einem einzigen Wahlgang halte ich das für unmöglich, selbst wenn der Wahlkampf über drei Monate hinausgezogen würde. Es wäre unmöglich, daß von jeder Partei auch nur der Spitzenreiter sich in Orten von 2000 bis 3000 Einwohnern präsentierten. Ich entsinne mich aus der Zeit des Weimarer Wahlrechts: Da war es höchstens möglich, daß gerade in jeder Kreisstadt einmal der Spitzenkandidat sprach. März 1901-29. Juni 1958) zählte zu den Mitgründern der CDU in Nordwar einer der führenden Politiker des linken Parteiflügels. 1946 war er Oberbürgermeister von Düsseldorf und 1947—1956 Ministerpräsident von NRW. Siehe bereits Dolf Sternberger: Über die Wahl, das Wählen und das Wahlverfahren, in: Die Wandlung 1 (1946), S. 923-942. Folgt gestrichen: „auf der wir uns bewegen wollen".
31) Karl Arnold (21.
rhein-Westfalen und
32) 33) 226
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Und einen zweiten Nachteil sehe ich darin, daß die Ermittlung gerade durch das Panaschieren so sehr kompliziert wird. Meiner Ansicht nach müßte ein Wahlrecht sehr einfach sein, so daß dem Volke wirklich klar wird, wie das Ergebnis ermittelt wird, und was bei der Geschichte herauskommt. Dr. v. Brentano: Ich möchte auf das, was Herr Lobe gesagt hat, eine Antwort geben. Diesen Fall, den Sie nannten, könnte ich mir selbstverständlich denken. Aber durch die Bestimmung, daß die Reststimmen einem Bundeswahlvorschlag zugeführt werden, wird es ja praktisch so sein, daß derjenige, der eine Stimme dem Kandidaten Arnold gibt, praktisch nicht den Kansagen wir einmal didaten Arnold wählt, sondern er wird den Bundesvorschlag der Partei wählen. Und das will er ja wohl nicht. —
—
(Stock:
Das ist
falsch!)
Außerdem habe ich die Frage an Herrn Dr. Diederichs zu richten, ob er sich über folgendes Gedanken gemacht hat. Er geht davon aus, daß, wenn ein Wahlvorschlag in irgendeinem Wahlkreis einen Sitz erobert hat, sämtliche Reststimmen, die auf diesen Wahlvorschlag der Partei fallen, auf dem Bundeswahlvorschlag verrechnet werden. Dr. Diederichs: Die Reststimmen gehen ohnehin aus sämtlichen Wahlvorschlägen sämtlicher Wahlkreise an den Bundeswahlvorschlag. Und wenn aus einem Wahlkreis ein solcher Kandidat gewählt worden ist, wird bei der Berechnung diese Partei auch bei der Reststimmenverteilung mit berücksichtigt. Dr. v. Brentano: Es könnte also sein, daß eine Partei, die in einem Wahlkreis einen Sitz erobert hat, über den Bundeswahlvorschlag restliche 10 Sitze bekommt. (Abg. Dr. Diederichs: Ja, das wäre bei einem Gesamtparlament von etwa 300
Abgeordneten möglich.)
Auch restliche 20 Sitze? Dr. Diederichs: Das muß ich einmal ausrechnen. Das kann ich im Moment nicht beantworten. Es kommt darauf an, inwieweit sie mit ihren Stimmen sehr hohe
Restquoten hat,
(Dr. Kroll: Das ist nicht wahrscheinlich, weil durch die sechs Kandidaten schon eine so starke Streuung eintritt, daß der Rest niemals mehr 20 Mandate bekommen könnte! Dr. v. Brentano: Es sind doch noch 80 frei!) Von den 80 bekommen diejenigen, die direkt gewählt haben, doch auch noch ihren Anteil. Angenommen, eine Partei hat sechs Kandidaten auf ihrem Wahlvorschlag und hat zwei Mandate erhalten; dann bekommt sie die sämtlichen Stimmen, die auf die übrigen drei Kandidaten entfallen sind, in die Reststimmenverrechnung, so daß eine kleine Partei, wenn sie einen Kandidaten durchgebracht hat und sehr hohe Reststimmen hat, doch wohl kaum mehr als zehn bis zwölf Mandate wird durchbringen können. Ich wollte nur noch Ihre Bedenken, Herr Dr. Becker, hinsichtlich des Bekanntwerdens der Kandidaten zu zerstreuen versuchen. Wenn Sie einen einzelnen Wahlkreis nehmen, der 15 000 Wähler hat, oder Sie haben sechs Kandidaten aufzustellen, die in einer Breite von 1 Million wirksam werden, so bin ich der Überzeugung, daß diese sechs Kandidaten durchaus die Möglichkeit haben, sich in einem solchen Wahlkreis bekanntzumachen besonders bei den heutigen —
—
—
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Mitteln! ganz abgesehen davon, daß eben der Wähler, wenn er weiß, daß ein bestimmer Kandidat zu einer bestimmten Richtung gehört, für die er interessiert ist, sich auch bemühen wird, ihn kennen zu lernen. Wir dürfen hier nicht vergessen, daß wir eben doch gewisse Formen politischer Richtungen haben. Es ist also durchaus möglich, in einem Wahlkreis von 1 Million Wählern als exponierter Kandidat, wenn man ein bis zwei Monate Zeit hat, sich weitgehend in der Wählerschaft bekanntzumachen. Was nun die Ermittlung des Wahlergebnisses anbelangt, so ist sie nach diesem Verfahren gar nicht einmal so sehr kompliziert. Außerdem ist sie für den Wähler ziemlich uninteressant. Wenn der Wähler weiß, daß seine Stimme bei einer Verhältnisberechnung weitestgehend Berücksichtigung findet und nicht unter den Tisch fällt, ist ihm das eine erhebliche Beruhigung. Wie das im einzelnen gehandhabt wird, ist eine Sache, die nur den Leuten bekannt ist, die sich mit dem Wahlverfahren näher bekannt machen, und es gibt einen großen Teil politisch geschulter Leute, die von dem Verrechnungsverfahren keine Ahnung haben. Das Ermittlungsverfahren ist eine rein technische Angelegenheit, die im Vergleich mit dem Wahlsystem nicht so wichtig ist, daß sie dem Wähler nun restlos verständlich sein müßte. Ganz abgesehen davon bin ich der Auffassung, daß es hier gar nicht so kompliziert ist. Es gibt viel kompliziertere Verfahren, und wenn vor allen Dingen die Kumulation gefallen ist, ist es ziemlich sim—
pel. Kaufmann: Darf ich
eine Frage stellen, die für das Wahlermittlungsverfahren in Betracht kommt? Es hat sich beim Kumulieren und Panaschieren in Württemberg-Baden herausgestellt, daß ein großer Teil von Wählern in derselben Form abstimmt, in der er es früher getan hat. Die Wähler haben den Kreis gesucht und nicht gefunden. Infolgedessen machen sie an der Stelle ein Kreuz, wo die Liste der betreffenden Partei steht, die sie wählen wollen, und machen keinen einzelnen Kandidaten namhaft. Es ist nun ein großer Streit entstanden, was diese Abstimmung bedeutet. Einige Wahlvorstände haben diese Stimmen als und das scheint mir richtig zu sein ungültig erklärt; andere haben gesagt, die Stimmen seien nicht ungültig, sie würden auf die ersten sechs Kandidaten der betreffenden Liste verteilt. Dr. Diederichs: Ich muß offen gestehen, daß ich in diesem Falle nicht der Auffassung wäre, daß man die Stimmen den ersten sechs Kandidaten geben könnte, wenn jemand ein Kreuz bei der Partei macht, und mehr als sechs Namen auf dem Wahlvorschlag stehen; ich würde eine solche Stimme für ungültig erklären. Denn der Mann hat ja praktisch nur von einer Stimme Gebrauch gemacht. Diese Art würde ich nicht anerkennen. Aber das ist eine Frage, die in die Ausführungsbestimmungen gehört. Damit kämen wir ja wieder zur Listenwahl, und das ist ja gerade das, was bei diesem System ausgeschaltet werden soll. Für solche Fälle könnte man bei den Ausführungsbestimmungen Einzelbestimmungen schaffen, damit die Wahlvorstände einheitliche Entscheidungen treffen können. Stock: Ich möchte anschließend an die Ausführungen des Herrn Kollegen Kaufmann sagen, daß es auch bei uns in Bayern Zweifel gegeben hat. Aber wir haben uns alle auf den Standpunkt gestellt, daß jemand, der nur die Parteiliste —
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angekreuzt hat,
damit zum Ausdruck gebracht hat, daß er die ersten Kandidaten dieser Liste wählen wollte. Er hat sich selbst des Rechts begeben, bestimmte Persönlichkeiten auszuwählen, aber er hat zum Ausdruck gebracht, daß er Kandidaten dieser einen Partei wählen wollte. Ich bin auch der Auffassung, daß wir das ausdrücklich in die Ausführungsbestimmungen aufnehmen sollten, damit nicht draußen in den Wahlkreisen nachher verschiedene Auffassungen herrschen und verschiedene Erledigungen stattfinden. Wenn also jemand nur die Parteiliste ankreuzt und sechs Vertreter zu wählen sind, dann kommen die an die Reihe, die an erster Stelle stehen. Jedenfalls möchte ich es vermeiden, daß irgend jemand seiner Stimme dadurch verlustig geht. [6. ERLÄUTERUNGEN ZUM WAHLRECHTSVORSCHLAG DR. BECKER] Vors. [Dr. Becker]: Wird noch das Wort gewünscht? Darf ich fragen, welche weiteren Vorschläge noch gemacht werden? Ich habe Ihnen bereits gewisse Andeutungen gemacht, wie ich mir die Sache denke. Ausgearbeitet habe ich den Entwurf noch nicht34). Aber vielleicht darf ich Ihnen in kurzen Worten schildern, wie ich mir die Sache denke. Mein Entwurf beruht auf folgenden Gedankengängen. Jedes Wahlrecht hat etwas für sich und etwas gegen sich. Auch das Mehrheitswahlrecht hat Vorzüge; darüber besteht gar kein Zweifel. Ich würde vorschlagen, daß wir die 400 Abgeordneten aufteilen und etwa 230 je in einem Einzelwahlkreis wählen lassen, und zwar in direkter Wahl. Das würde bedeuten, daß ein solcher Einzelwahlkreis etwa 200 000 Einwohner oder 120 000 Stimmberechtigte haben würde. Dabei würde ich vorschlagen, nicht das relative Wahlrecht anzuwenden, sondern ich würde einen doppelten Wahlgang einschalten, etwa so, daß im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit und im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit entscheidet, wobei unter Umständen auch neue Kandidaten aufgestellt werden könnten. Damit ist an sich für 230 Abgeordnete eine klare Situation geschaffen. Die andern 170 wollte ich folgendermaßen wählen lassen. Ich würde bei jedem Kandidaten, der in einem Einzelwahlkreis aufgestellt ist, angeben und auf dem Stimmzettel vermerken lassen, welcher Partei er sich zurechnet; vor allen Dingen müßte sichergestellt werden, daß auch die Partei ihn als Vertreter gelten läßt. Dann würden sämüiche Stimmen, die auf Parteien abgegeben worden sind, zusammengerechnet, und der Koeffizient würde über das gesamte Bundesgebiet errechnet werden. Dann würden die 170 restlichen Abgeordneten nach dem Proporzwahlrecht gewählt werden sind damit also schon gewählt. Abgesehen von den Stichwahlen, bei denen die Stimmen nicht mehr für das Proporz mitgerechnet werden, sondern nur für die Auswahl des zur Stichwahl stehenden Kandidaten, würde das Ergebnis also schon am ersten Abend feststehen. —
34) Siehe oben Dok. Nr. 3, TOP 2 a. Der Entwurf Becker wurde als Drucks. Nr. 197/11 vielfältigt (siehe unten Dok. Nr. 11). Siehe auch unten Dok. Nr. 10, TOP 3.
ver-
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Der Vorteil würde darin liegen, daß die Vorteile des Mehrheitswahlrechts bis einem gewissen Grade zum Zuge kommen, nämlich eine bessere Verbindung des einzelnen Abgeordneten zu seinem Wahlkreis und weiter die Möglichkeit, sich, zwar nicht an jedem Ort, aber an jedem zweiten Ort bekanntmachen zu können. Ein weiterer Vorteil liegt auch darin, daß auf diese Weise ein gewisses sportliches Interesse geweckt wird. Es ist zweifellos reizvoller für den Wahlkreis, wenn es sich darum handelt, ob nun der bekannte Herr X oder Herr Y der Sieger ist. Andererseits wird auch durch den Proporz, dem Grundsatz der zu
Gerechtigkeit, Genüge getan, indem jede Schicht weiß, sich vertreten zu sehen, soweit sie glaubt, irgend welche Bedeutung im Bunde zu haben. Weiter würde, falls dieses Mehrheitswahlrecht zu einer ganz starken Zusammenballung auf einer Seite führen würde, doch die Möglichkeit einer Oppositionsbildung auf dem Wege über den Proporz gewährleistet sein. Das sind im großen und ganzen die Gedankengänge. Praktisch würden die
Stimmen, die auf einen im Wahlbezirk Gewählten entfallen sind, bei der prozentualen Verteilung nochmals im vollen Umfange berücksichtigt werden. Ich würde nach dem Modus, der bisher in der amerikanischen Zone geherrscht hat, auch vorschlagen, daß der Kandidat, wenn er in geheimer Abstimmung von einer Partei aufgestellt wird, in geheimer Abstimmung der Mitglieder der betreffenden Partei gewählt wird. Ich würde aber auch die Möglichkeit vorsehen, daß sich jeder selbst aufstellen kann, wie es im früheren Reich auch der Fall war, wenn er glaubt, er sei eine Persönlichkeit, die den Wahlkreis erobern könnte. Wenn er das glaubt, dann soll er entsprechend handeln. Nur würde ich verlangen, daß jeder, sei es Partei, sei es Einzelgänger, einen gewissen Betrag, sagen wir 250 bis 400 DM einzahlt, die, wenn eine gewisse Stimmenzahl nicht erreicht wird, verfallen; denn er verursacht ja auch Unkosten; ich erinnere nur an den amtlichen Stimmzettel und alles weitere. (Stock: Dann könnte sich nur der Reiche aufstellen lassen.) Nein, für den, der in den Wahlkampf hineingeht, ist es ja auch nötig, die Autospesen, Druckkosten usw. aufzubringen. Daher wäre dieser Vorschlag wohl zu erwägen. Aber es ist kein absoluter Vorschlag, von dem etwa der Gesamtvorschlag abhängig wäre, sondern ich will es nur einmal zur Erwägung stellen. Ich möchte grundsätzlich das Mehrheitswahlrecht und das Proporzwahlrecht miteinander auf eine Weise verbinden, die mir für das Volk übersichtlich und einfach erscheint, und die auch in kleineren Wahlkreisen die Möglichkeit einer intensiven Bearbeitung durch den betreffenden Kandidaten gibt. —
[7. AUSSPRACHE] Dr. Kroll: Ich glaube, daß der Gedanke, auf den Einmannwahlkreis zurückzukommen, den Sie entwickelt haben, auch von unserer Fraktion durchaus begrüßt wird. Der Einwand, den Sie vorhin machten, daß ein Sechsmannwahlkreis für den Kandi-
daten praktisch nicht durchzuarbeiten sei, bleibt auch trotz der modernen Verkehrsmittel bestehen. Aber das ist nicht der entscheidende Einwand. 230
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Vorhin habe ich mich nicht weiter dazu geäußert. Ich möchte Sie aber darauf aufmerksam machen, daß Sie in einem Sechsmannwahlkreis im Durchschnitt mit fünf Parteien werden rechnen müssen. Unter den heutigen Verhältnissen ist das verhältnismäßig wenig. Wir haben bei der Kreistagswahl sechs bis neun Vorschläge gehabt35). Das bedeutet Stimmzettel von 5 x 6 30 Kandidaten. Ich glaube, daß damit der Übersichtlichkeit des Wahlgangs nicht gedient ist. Da ich aber nicht glaube, daß wir auf diesem Wege weiter kommen, habe ich zunächst abgewartet, welche weiteren Vorschläge gemacht werden würden. Dagegen wird von allen der Gedanke des zweiten Wahlgangs abgelehnt. Der zweite Wahlgang kompliziert nicht nur das Wahlverfahren, sondern verschlechtert den Wahlgang über das Verhältniswahlrecht hinaus. Ich glaube, daß die Ausführungen des Herrn Professors Thoma gezeigt haben, daß wir im alten Reichstag mehr Parteien hatten als selbst in den Reichstagen nach 19 1 936). Dieser zweite Wahlgang öffnet Tür und Tor für den Kuhhandel und hat gar keinen Wert. Ich glaube grundsätzlich, daß wir nur weiterkommen, wenn wir es vielleicht so modifizieren. Wir gehen grundsätzlich vom Einmannwahlkreis aus, wo der erste Wahlgang entscheidet, und verhandeln lediglich über die Frage der Verteilung von festen Mandaten und Restmandaten. Das ist eine Verknüpfung, bei der man, wenn man die Prozentsätze verschiebt, im Grunde genommen entweder Mehrheitswahlrecht oder Verhältniswahlrecht hat. Das kann man derartig ausbalancieren, daß man auf diese Weise zu einer Einigung kommen kann. Ich würde folgenden Vorschlag machen, aber bitten, das nur als meinen Privatvorschlag zu nehmen. Wir gehen davon aus, daß auf rund 100 000 Wähler ein Mandat entfällt; das wären also bei 45 000 000 Wählern 450 Abgeordnete. Wir wählen dann 400 Abgeordnete im Einmannwahlkreis fest im ersten Wahlgang mit relativer Mehrheit und verteilen einen Rest von 50 Mandaten über die Verhältniswahl, und zwar auf der Basis, daß alle Stimmen, die nicht zum Zuge gekommen sind, dann nach dem Verhältniswahlrecht zum Zuge kommen. (Reimann: Dann regiert die Minderheit!) Heiland: Darüber brauchen wir uns nach der Abstimmung von vorhin nicht mehr zu unterhalten. (Dr. Kroll: Das ist etwas ganz anderes!) Gestatten Sie, daß ich persönlich auch eine Meinung dazu habe! Und meiner Meinung nach ist das mit einer ganz kleinen Nuancierung dasselbe. Die Nuancierung ist so klein, daß sie überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Sie müssen uns schon so viel Intelligenz zutrauen, daß wir es merken. Andererseits möchte ich zu den Ausführungen des Herrn Dr. Becker sagen, daß wir durch unsere Abstimmung vorhin schon klar entschieden haben, daß wir einen zweiten Wahlgang in dieser Form nicht mehr haben wollen. =
—
35) Kroll spielt hier auf die bayerischen Kreistagswahlen
vom
25.
April bzw.
30. Mai 1948
an.
36) Siehe oben S.
27.
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(Vors. [Dr. Becker]: Ich bestreite, daß das der Sinn der Entscheidung war!)37) So habe ich es zumindest verstanden: Daß wir keinen zweiten Wahlgang haben wollen! Aber Ihr Vorschlag würde praktisch in der Mehrheitswahl enden, und wir haben uns, glaube ich, in der Abstimmung gegen das Mehrheitswahlsystem ausgesprochen und wir sollten nun tatsächlich Vorschläge machen, die ein gesundes Verhältniswahlsystem garantieren, vor allen Dingen weil die gesamte politische Konstellation, in der wir seit 1945 leben, alles andere als ausgereift ist. Und wenn wir in dieser unausgereiften politischen Situation einer kleinen Gruppe, die heute noch gar nicht ihre Bewährungsprobe bestanden hat, die es aber heute mit einem Mehrheitswahlsystem fertig brächte, eine absolute Mehrheit zu schaffen, die Möglichkeit gäben, diesen ungesunden politischen Zustand zu konservieren, dann würden wir, weil er gegen das politische Gefühl des Volkes sein würde, das wir erst ausgären lassen müssen, meiner Meinung nach in absehbarer Zeit in eine akute revolutionäre Situation hineinschlittern. Und ob wir das absolut wollen, sollen sich die Herrschaften überlegen, die für das Mehrheitswahlsystem sind. Wir sollten eigentlich aus den Vorgängen des Jahres 1932 gelernt haben, daß wir durch Notverordnungen38), die an sich etwa das Ergebnis der Mehrheitswahlen nachholen sollten, (Zuruf des Abg. Dr. Kroll) das ist nicht so weit danebengehauen! Wir sind den Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg gegangen, sondern sind dadurch hineingeschlittert. Politische Dinge spielen eine ganz eminente Rolle. Das sollten wir nüchtern erkennen. Sie wollen mit dem Mehrheitswahlsystem politische Entscheidungen für —
—
—
—
Jahrzehnte vorwegnehmen.
(Dr. Kroll: Davon ist gar keine Rede!) Ich bin nüchtern genug, es auch politisch zu sehen. Und da wir nur für die erste Wahl des ersten Bundestages ein Gesetz zu machen haben, möchte ich Ihnen tatsächlich raten, ein Wahlgesetz auszuarbeiten, das dem Verhältniswahlsystem soweit wie möglich gerecht wird. So habe ich auch die Entscheidung vorhin verstanden. Was sich das Volk aus dem ersten Bundestag heraus für ein Wahlgesetz gibt, das sollten wir den späteren politischen Entscheidungen des Bundestages überlassen. Für heute haben wir uns für ein gesundes Verhältniswahlsystem entschieden, folglich muß der Vorschlag des Wahlgesetzes auch in diese Richtung gehen. Dr. Kroll: Wir haben uns nicht dahin entschieden, sondern es ist alles negativ entschieden worden, auch für das Verhältniswahlsystem. Ich glaube, Herr Heiland, Sie haben einen Satz, den ich sagte, überhört. Ich sagte: Je nach den Prozentsätzen von Reststimmen, über die zu verhandeln wäre. Das ist nicht das gleiche. Aber wenn Sie wollen, können Sie auch die Wahlkreise so einteilen, daß es eine 100%ige Mehrheitswahl wird; und Sie können die Reststimmen bis zur Verhältniswahl modifizieren. Es ist nur die Fra—
37) Vgl. oben TOP 2. 38) Siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 232
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Sie die für die Verrechnung der Reststimmen maßgebende Vernehmen. Daraus ergibt sich, daß ich nicht das alte System nehmen hältniszahl sondern Modifikation offen gelassen habe. Wenn Sie das restlos eine wollte, ablehnen, dann lehnen Sie auch recht viele gute Gedanken des Mehrheitswahlrechts ab. Und ich möchte nur sagen, daß die Abstimmung nicht so ausgefallen ist, daß wir uns einfach für ein Verhältniswahlrecht entschieden haben. Sie können auch dieses System modifizieren. Es ist nur die Frage der Reststimmen und ihrer Verwertung bzw. wie groß Sie die Prozentzahlen und die Landesliste machen. Darüber können wir uns ja unterhalten. Ich brauche nicht zu wiederholen, daß nach meiner Überzeugung die Frage der Demokratie mit dem Mehrheitswahlrecht steht und fällt39). Das habe ich oft genug zum Ausdruck gebracht, und ich will mich nicht wiederholen. Wir sprechen auch nicht mehr über die großen Zusammenhänge, sondern nur noch über die Technik. Ich bitte aber, diesen Vorschlag der Modifikationsmöglichkeit festzuhalten, denn ich glaube, daß in ihm eine Begegnung der Gedanken möglich ist. Dr. Diederichs: Wir wollen doch festhalten, was wir wirklich abgestimmt haben. Und das möchte ich jetzt vorweg klären. Es ist erstens über das reine Mehrheitswahlrecht nach englischem System abgestimmt worden. Das ist abgelehnt worden. Zweitens ist über das Mehrheitswahlrecht mit einem zweiten Wahlgang mit Stichwahl für das ganze Bundesgebiet abgestimmt worden. Das ist einstimmig \ abgelehnt worden. Und drittens ist über das reine Listenwahlrecht abgestimmt worden, nicht über das Verhältniswahlrecht. Und das reine Listenwahlrecht ist auch abgelehnt worden, weil auch wir, die wir an sich die Verhältnisberechnung für richtig halten, die gebundenen Listen nicht wünschen. Nun möchte ich auf die beiden Vorschläge von Herrn Dr. Kroll und Herrn Dr. Becker eingehen. Wenn Herr Dr. Becker für etwa 60% die direkte Wahl im Einmannwahlkreis vorschlägt und 40% im Verhältniswahlausgleich dem zuteilen will, verschlechtern wir an sich den Gesichtspunkt der Personenwahl. Wir schleppen dann bei zweihundert und soundsoviel direkt Gewählten 180 indirekt Gewählte mit, auf die kein Wähler mehr irgendeinen Einfluß hat, sondern die wirklich aus dem stammen, was Herr Kroll die anonyme Liste nennt. Und Wähler, die dann der Form nach auf Persönlichkeiten dressiert werden, wählen eine bestimmte Persönlichkeit, während im Hintergrunde wieder eine Liste steht, die ihnen praktisch nicht einmal bekannt wird, weil sie gar nicht herausgestellt wird. Dem gegenüber hat das System mit mehreren Stimmen den großen Vorzug, daß diejenigen, die in die Parlamente hineinkommen, auch wirklich als Persönlichkeiten draußen präsentiert werden und sich draußen vor den Wählern wirklich bewähren müssen. Deshalb halte ich diesen Modus nicht für sehr glücklich. Der Modus, den Herrn Dr. Kroll brachte, nämlich 400 Abgeordnete mit relativer Mehrheit zu wählen und 50 im Ausgleichsverfahren, scheint mir denn doch ge, wie
groß
39) Siehe hierzu Krolls Referat
in der 2.
Ausschußsitzung (Dok.
Nr. 2, TOP 5).
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mehr oder weniger eine Wiedereinführung des Mehrheitswahlrechts auf kaltem Wege. Ich glaube, Herr Dr. Kroll, daß Ihnen bei diesem Vorschlag auch nicht ganz wohl ist; denn er widerspricht an sich unserer Ebene, das reine relative Denn diese 50 das ist ein Neuntel noch eine kleine Trostprämie, dürfte aber das System nicht ändern. Das ist ja nur ein kleiner Sündenfall eines MehrheitsWahlrechts. Und so möchten wir die Dinge denn doch nach unserer Abstimmung nicht gedreht wissen. Ich weise nochmals darauf hin, daß wir gerade mit der Präsentation offener Listen, die von allen Parteien und auch von Nichtparteien praktisch als Einzelkandidaten präsentiert werden können, der Möglichkeit, Personen zu wählen, weitesten Spielraum lassen. In § 22 meines Vorschlages steht das auch: Die Wahlvorschläge müssen von mindestens Wählern unterschrieben sein. Ist der Wahlvorschlag von einer anerkannten politischen Partei eingereicht worden, so genügt die Unterschrift eines Bevollmächtigten dieser Partei, da man bei ihr ohne weiteres mit den notwendigen Unterschriften wird rech-
Mehrheitssystem abzulehnen. hinten als Ausgleich: das ist
—
—
...
können. Ich glaube also, da die Entscheidung gegen das relative Mehrheitswahlrecht und gegen den doppelten Wahlgang gefallen ist, können wir, wenn wir schon mit Modifikationen kommen, nun nicht auf halbem Wege diese Dinge wieder hineinbringen. Der Weg ist an sich klar: es soll ein System gefunden werden, in dem die nicht reine Mehrheitswahl, das heißt in gewissem Umfange die Verhältniswahl, kombiniert mit Gesichtspunkten der Personenwahl, verankert ist. Und nach dieser Richtung ging praktisch auch mein Vorschlag. Dr. Kroll: Ich muß feststellen, daß ich nicht „einfach auf kaltem Wege" das Mehrheilswahlrecht wieder hineinbringen will, sondern eine Modifikation vorgeschlagen habe. Ich bitte daher, über meinen Vorschlag wie auch über den von Dr. Becker formell abstimmen zu lassen, damit wir wissen, ob dieser Weg der Modifizierung als Grundlage beschritten werden soll oder nicht. (Dr. Diederichs: 400 : 50?!) Grundsätzlich eine feste Zahl von Sitzen und ein offener Prozentsatz von Reststimmen, über den zu verhandeln wäre! Vors. [Dr. Becker]: Der Sinn unserer Abstimmungen war folgender. Wir haben darüber abgestimmt, ob ein einziges Wahlrecht für das gesamte Bundesgebiet aufgebaut werden soll: Erstens nur auf dem System der Mehrheitswahlen mit relativem Wahlrecht; das ist mit 5 : 3 Stimmen abgelehnt worden. Wir haben dann darüber abgestimmt, ob nur einheitlich das Mehrheitswahlrecht mit doppeltem Wahlgang stattfinden soll. Das ist auch einstimmig abgelehnt worden. Wir haben dann gefragt, ob nur das Proportionalwahlrecht mit Listen gewählt werden soll; das ist auch abgelehnt worden. Aber offen bleibt die Frage der Kombination des einen mit dem andern. Nun gebe ich ohne weiteres zu, daß der Vorschlag, wie ihn Herr Dr. Kroll zunächst formuliert hat, nämlich 400 Mandate nach dem relativen Mehrheitssystem und 50 Mandate nach dem Proporzsystem, praktisch auf den ersten abgelehnten Vorschlag wieder herauskommt. Wird er aber abgewandelt in der Richnen
—
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tung, daß die Prozentzahl der Mandate, die nach dem Proporzsystem verteilt werden sollen, vergrößert wird, dann ist es eine Frage, die man meiner Ansicht nach nicht ohne weiteres mit dem identifizieren kann, was hier abgelehnt worden ist. Ebenso ziehe ich für mich heraus die Folgerung, daß, wenn Sie sich dahin entschieden haben, daß Sie kein Mehrheitswahlrecht mit zwei Wahlgängen als einzige Wahlmöglichkeit für das gesamte Bundesgebiet haben wollen, das nicht ausschließt, daß es in einer Kombination wiederkehren könne. Darauf beruhte mein Vorschlag. Bedenken habe ich sehr gegen das Panaschieren. Die Leute sind an die Dinge ja nicht gewöhnt, und wir haben es in Nordbaden erlebt, daß die Stimmzettel in den Gastwirtschaften und in den Familien vorher fertig gemacht worden sind, weil die Leute einfach nicht damit fertig werden konnten. Der Erfolg wird sein, daß nur ein sehr geringer Prozentsatz Panaschieren wird, weil nur sehr wenige etwas davon verstehen, so daß wir auf diese Weise praktisch doch wieder zu einer gebundenen Liste kämen, besonders wenn wir die Auslegung gelten lassen, daß, wenn nur ein Kreuz oben beim Namen der Partei steht, das als eine Wahl der ersten sechs aufgeführten Kandidaten gelten soll. Sobald das im Gesetz steht, wird sich jeder die Bequemlichkeit machen. Auch deshalb bin ich zu einem anderen Vorschlag gekommen. Ich möchte zusammenfassen! Die Frage der Kombination, daß insbesondere ein Gedanke, der früher abgelehnt wurde, in einer Kombination wieder auftaucht, ist noch offen. Nun hat Herr Kollege Dr. Kroll vorgeschlagen, schon über diese Vorschläge abzustimmen. So war unsere Debatte nicht gemeint, sondern wir wollten die einzelnen Vorschläge und Ansichten nur zur Kenntnis nehmen, um sie im Kreis unserer politischen Freunde und in interfraktionellen Besprechungen zu besprechen. Deshalb möchte ich vorschlagen, wenn noch andere Vorschläge gemacht werden, sie doch auch zur Debatte zu stellen, damit wir über das, was da alles noch kommen könnte, orientiert sind und uns darüber unterhalten könnten. Kaufmann: Ich will noch auf ein paar Kleinigkeiten hinweisen, die hier angeklungen haben. Durch Zwischenrufe ist sehr energisch abgelehnt worden, was Herr Dr. Becker hier über den Unkostenbeitrag gesagt hat40). Ich würde natürlich nichts unterstützen, was den Ärmeren die Unmöglichkeit bringt, eine Liste aufzustellen. Andererseits kann mit dem Grundsatz, daß sich jeder einzelne Wähler aufstellen kann, ein sehr großer Unfug geschehen, was ich sogar für wahrscheinlich halte. Ich kann mir vorstellen, daß wir in Wahlkreisen, in denen sich ein solcher Unfug organisiert, ein paar Dutzend solcher Vorschläge bekommen, und daß wir dann anstatt eines Wahlzettels ein langes Hemd bekommen, mit dem niemand mehr etwas anfangen kann.
40) Vgl. oben S. 230. 235
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Nun will
man dem durch § 22 einen Riegel vorschieben, indem man die Zahl der Unterschriften ziemlich hoch greift. Ich glaube aber, man sollte beides tun. Das Ergebnis ist nicht so gefährlich, wie es scheint. In den meisten Kreisen ist die Summe zwar eingehoben worden, aber später ist sie dann wieder zurückgegeben worden, und die Kosten der Wahlzettel usw. sind von irgendeiner amtlichen Stelle mit nachträglicher Genehmigung übernommen worden. Aber es kann nicht so gehen, daß sich nun jeder Einzelne oder eine Clique von einzelnen betätigt und man 10 oder noch mehr Wahlvorschläge erhält. Dann ist vielleicht noch deutlicher über die Aufstellungsmöglichkeit derselben Kandidaten in mehreren Wahlkreisen zu sprechen. Ich halte es nicht für erwünscht, aber es muß geklärt werden, welche Meinung wir vertreten wollen. Ich würde überhaupt empfehlen, daß wir schon jetzt vorsehen, einen oder zwei wahltechnische Fachleute zu bestimmen und uns zu sichern, die die Vorschläge, die wir hier erarbeiten, wahltechnisch durcharbeiten und uns auf die sich daraus ergebenden etwaigen Schwierigkeiten hinweisen denn das ist wirklich eine Wissenschaft für sich —, damit da keine Irrtümer entstehen. Vors. [Dr. Becker]: Ich danke für die Anregung. Ich habe auch schon daran gedacht und möchte vorschlagen, daß wir ebenso wie beim Wahlprüfungsgericht uns um die Adresse des Wahlleiters in Hessen bemühen, um ihn zu bitten, diese technischen Dinge mit uns durchzusprechen41). Kaufmann: Insbesondere muß es jemand sein, der auch auf dem Gebiete des Panaschierens erfahren ist. Dr. Diederichs: Ich komme auf eine Frage zurück, die Herr Kollege Kaufmann angeschnitten hat, und die sich auf den Einzelwahlkreis bezieht. Ich habe ganz bewußt den etwas größeren Wahlkreis mit mehreren Abgeordneten deshalb gewählt, weil gerade diese Möglichkeiten, daß in der Abstimmung über einen bestimmten Kandidaten kleine Interessentengruppen Lokalgrößen irgendwelcher Art in den Vordergrund schieben, die nun da, wo es um den Kampf Mann gegen Mann im Wahlkampf geht, auftreten und in kleineren Bezirken, wo irgend jemand durch irgend etwas bekannt ist und nun tatsächlich zu einem Mandat kommen kann, ausschalten wollen; denn dadurch würde der Wahlkampf enorm kompliziert werden; und weil der Wähler nur die Möglichkeit hat, von solchen Vorschlägen einen zu bezeichnen und nun vor einer verwirrenden Fülle von Kandidaten stünde, die alle mehr oder minder ein Pro-Wort von ihm erwarten. Gerade diese Möglichkeit würde dadurch kolossal erleichtert werden. Es würde ein Unfug mit allen möglichen Einzelleuten betrieben werden, die wirklich keine greifbaren politischen Auffassungen, sondern nur Sonderinteressen zu vertreten haben. Gerade in solchen unruhigen Zeiten, wie wir sie jetzt haben, würden Hausbesitzerinteressenten, Lastenausgleichsinteressenten usw. sich zusammenfinden. Ich erinnere bloß an die früheren Zeiten, wo wir so scheußliche Parteien hatten, wie die Aufwertungspartei usw. Es ist gar nicht abzusehen, —
) Der Gedanke, den hessischen Wahlleiter zur Beratung hinzuzuziehen, ging ursprünglich auf einen Vorschlag der Deutschen Wählergesellschaft zurück (vgl. oben S. 142). 236
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da alles auftreten kann. Das führt gerade in solchen schweren Zeiten zu Schwierigkeiten. Haben wir aber von politischen Organisationen präsentierte und in ihren Organisationen durch Vorabstimmungen vorgeschlagene Leute, dann ist meines Erachtens in weitem Umfange solchen Dingen vorgebeugt, zumal wenn beim Mehrstimmenrecht dann auch solche Einzelgänger nur einen was
Bruchteil der Stimmen auf sich vereinen können; dann würden diese Gefahren nicht so groß sein. Ich bin also durchaus der Ansicht, wenn wir das Volk zu politischem Denken erziehen wollen und nicht von Wahl zu Wahl durch Augenblicksstimmungen und Hoffnungen Wahlen mal nach dieser Seite, mal nach der anderen Seite hin erzielen wollen, dann müssen wir zu einer gewissen Stabilisierung kommen. Und das bekommen wir mit einem solchen System, das eine gewisse Ordnung hat, ganz abgesehen davon, daß die Einteilung des Wahlgebiets in 400 Wahlkreise von der technischen Seite her wieder ungeheure Schwierigkeiten bringen wird, während wir mit 40 größeren Wahlkreisen diese Aufgabe wesentlich einfacher erfüllen können. Auch die politische Wirksamkeit kann für den einzelnen Politiker, der etwas bedeutet, eine ganz andere werden, wenn sie sich nicht auf einen so kleinen Bezirk beschränkt. Wir müssen uns von der Fiktion frei machen, daß wir es gewissermaßen mit Kantonalvertretern zu tun haben, mit Vertretern, die irgendeinen kleinen Bezirk im Landtag vertreten. Wir haben in unseren deutschen Verhältnissen schon diese furchtbaren Schwierigkeiten mit den Ländern und all diesen kleinen Einzelwünschen. Wenn sich jeder Abgeordnete noch formell als Vertreter des auf 100 000 beschränkten Gebietes fühlt und sich da irgendwo umschaut und sich dort um Kanalisationsanlagen und ähnliche Kleinigkeiten kümmert, also um Dinge, die gar nicht in die große Politik hineingehören, und die im Bundestag vertreten will, dann werden wir unsere Politik bestimmt nicht erleichtern sondern nur erschweren, während bei größeren, übersichtlicheren Kreisen und bei der weiter vorgesehenen Personenwahl, wie sie bei mehreren Personen in einem großen Bezirk ist, den größeren politischen Gesichtspunkten besser Rechnung getragen ist als bei einer solchen Aufteilung in so unendlich viele kleine Wahlbezirke. Davor möchte ich warnen. Dr. v. Brentano: Zu dem Letzten teile ich die Bedenken, die der Herr Vorsitzende geäußert hat. Wahlkreise von der Größe von 1 Million Einwohnern verhindern meines Erachtens den persönlichen Kontakt; wir können dann nicht mehr von Personenwahl sprechen. In einem Wahlkreis von 1 Million Menschen es wird niemals ein Kandidat in unsei denn, daß es zufällig eine Großstadt ist mittelbaren Kontakt mit den Wählern kommen. Das ist auch bei den heutigen technischen Möglichkeiten völlig ausgeschlossen. Er wird eine anonyme Größe bleiben, und es wird eine Liste bleiben, die gewählt wird; aber einzelne Abgeordnete werden nicht gewählt werden. Ich möchte aber noch an das anknüpfen, was Herr Kollege Kaufmann gesagt hat. Ich glaube, daß wir auf jeden Fall gut daran tun werden, ohne Rücksicht auf den endgültigen Erfolg uns zu bemühen, einen Sachverständigen auf dem Gebiete des formalen Wahlrechts zuzuziehen, der uns keine Belehrungen über die Methoden der Wahl zu erteilen hätte, sondern der nur das, was wir erarbeiten, in die richtige Form zu gießen hätte. Und da möchte ich fragen, ob wir —
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nicht den Oberregierungsrat Schröder42), der auf dem Gebiete der Wahltaktik und der Wahlpraxis die größten Erfahrungen hat. .
.
(Reimann: Nein! Den nicht!)
Er ist Vorsitzender des Wahlausschusses der britischen Zone. Ich möchte ihn lediglich als technischen Berater haben.
(Erneuter Widerspruch des Abg. Reimann.)
so viel Hoffnung machen, ihm nicht so viel versprechen, denn Ministerialdirektor Coßmann43) hat auf diesem Gebiet nicht so viele Erfahrungen. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe mit Schröder schon gesprochen. Ich weiß nicht, seit wie langer Zeit er sich mit diesen Fragen befaßt hat. Ich habe den Eindruck, daß er sich erst seit drei Jahren damit beschäftigt. Wir können ja die Anregung entgegennehmen und uns später noch einmal darüber aussprechen. Stock: Wir haben eine Kapazität in Bayern; das ist der Präsident von unserem statistischen Landesamt, Dr. Wagner44). Er ist vollkommen unpolitisch usw. Oder haben Sie einen Mann, der wirklich Erfahrungen hat: Nicht nur seit jetzt, sondern schon seit der Zeit vor 1933? Nun wollen wir doch nicht die Demokratie mit der Demokratie totreiten. Das wäre wirklich total verkehrt. Sie haben die Frage ventiliert, es könnte der Fall sein, daß bei Einmannwahlkreisen 10 und mehr Kandidaten auftauchten: Interessenvertreter für Bäckermeister, Winzer, Lastenausgleich und was weiß ich alich weiß nicht, ob es möglich ist —, wie wir es les. Machen wir es doch so in Bayern bei der Landtagswahl haben: nur die auf Landesbasis zugelassenen Parteien dürfen Kandidaten aufstellen45). Damit haben Sie alles andere schon weggewischt; dann bekommen wir keine Kandidaten von Gruppen, die den Lastenausgleich beeinflussen wollen, und alle diese Fragen sind erledigt. Etwas müssen wir aber einschalten, denn Sie (Abg. Dr. Kroll) haben ja Angst gehabt, wenn wir 5 Parteien hätten, würden 30 Namen auf dem Stimmzettel erscheinen. Davor habe ich keine Angst. Wir haben die Sache bei den letzten Kommunalwahlen durchexerziert. Da hatten wir in Aschaffenburg sechs Parteien mit 32 Kandidaten, also rund 200 Namen, und die Leute haben sich gut zurecht ge-
Wir können wir können
uns
mit dem Wahlleiter in Hessen nicht
uns von
—
42) Dr. Gerhard Schröder (11. Sept. 1910-31. Dez. 1989), Vorsitzender des Deutschen Wahlrechtsausschusses, war 1947/48 Oberregierungsrat im nordrhein-westfätischen Innenministerium, dann freier Rechtsanwalt in Düsseldorf. Er war stellvertretendes Mitglied des Zonenbeirats der britischen Zone und wurde später CDU-MdB (1949-1980). Von 1953
bis 1961 war er Innenminister sowie von 1961 bis 1966 und von 1966 bis 1969 Außenbzw. Verteidigungsminister. Als Mitgründer und Beiratsmitglied der Deutschen Wählergesellschaft war Schröder Anhänger des Mehrheitswahlrechts. In der CDU/CSU-Fraktion des Pari. Rates wurde Schröder wiederholt als Sachverständiger in Wahlrechtsfragen vorgeschlagen (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 26, 36 f., 49, 346 f.). 43) Ministerialdirektor Heinrich Coßmann (12. Jan. 1889-1. Sept. 1949), Landrat a.D. und seit dem 10. Okt. 1946 Beamter im hessischen Innenministerium, war zu dieser Zeit bereits kein Landeswahlleiter mehr (Auskunft des Hess. HStA vom 7. Okt. 1992). Seine Nachfolge hatte am 4. Juni 1948 ORR Kleberg angetreten. 44) Dr. Karl Wagner (15. Okt. 1893—31. Mai 1963), Präsident des statistischen Landesamtes Bayern (1947-59). 45) Art. 49 Abs. 2 bayerisches Landeswahlgesetz. 238
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funden. Soweit ich weiß, hatten wir sieben oder acht ungültige Stimmzettel. Sie sehen also, daß das Deutsche Volk doch nicht so dumm ist, wie man es manchmal hinzustellen beliebt. Ich bitte deshalb, die Frage zu ventilieren, ob wir es nicht so machen können, daß die auf Landesbasis zugelassenen Parteien auch berechtigt sind, für die Wahl zum Bundestag Listen einzureichen. Frau Wessel: Soll nicht die Möglichkeit bestehen, daß zum mindesten Kandidaten, die im Wahlkreis kandidieren, auch auf der Bundesliste kandidieren? (Dr. Diederichs: Das ist auch vorgesehen.) Lobe: Ich halte die Anregung des Herrn Kollegen Kaufmann für sehr wichtig, nämlich Vorkehrungen wegen allzu großer Zersplitterung und gegen die Einzelgänger zu treffen. Wir haben bei den alten Wahlen46), als nur Parteien, und noch nicht einmal Einzelkandidaten vorgeschlagen wurden, einen Wahlzettel gehabt, der 38 verschiedene Wahlvorschläge enthielt. Wie könnte es erst werden, wenn wir die Möglichkeit dazunehmen, auch Einzelkandidaten aufzustellen! Die Sache ist dadurch entstanden, daß die Allgemeinheit die Kosten für die ganze Wahl übernahm. Solange wir im Kaiserreich wählten, konnten nur die großen Parteien wählen, die auch imstande waren, für jede Gruppe einen Stimmzettel ins Haus zu bringen oder dem Wähler am Wahltag auszuhändigen. Alle Kosten mußte die Partei bestreiten. In dem Augenblick, da der Staat die Kosten und die technischen Arbeiten selber übernahm, wurde eben die Tür für den Einzelnen geöffnet, Vorschläge einzubringen, ohne große Lasten und Kosten zu übernehmen. Und wenn man sogar Einzelgänger zulassen will, ist die Gefahr natürlich groß. Ich würde also durchaus für die Anregung des Herrn Kollegen Stock sein wenn sie möglich wäre —, daß nur die auf der Landesbasis aufgebauten Parteien Listen einreichen dürfen; vielleicht würde ich noch hinzufügen, daß andere Wahlvorschläge von insgesamt und nun würde ich eine sehr hohe Zahl neh5000 Wählern unterschrieben sein müssen. Damit würmen, also sagen wir: den also solche Einzelgänger ausgeschaltet, und wir würden eine Zusammenfassung bringen, die dem einzelnen Wähler auch noch übersichtlich bleibt. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich mich jetzt als Redner zu dem letzten Vorschlag einschalten! Von amtlich zugelassenen Parteien kann man doch nur reden, solange wir eine Besatzungsmacht haben. Im übrigen würde eine solche Bestimmung doch ein Parteiengesetz zur Voraussetzung haben, über dessen Gestaltung wahrscheinlich noch sehr hitzige Debatten geführt werden würden47) ; denn grundsätzlich darf man doch in der Demokratie niemand das Recht abstreiten, sich auch hinsichtlich der passiven Wahlfähigkeit so zu betätigen, wie er will. Den Hinweis, daß nach dem Gesetz der Trägheit das erste Wahlgesetz noch eine Weile in Kraft bleibt, brauchen wir nicht zu fürchten, wenn wir es anständig durcharbeiten. Der Hinweis von Herrn Löbe ist sehr wesentlich. Ich habe in meiner Jugend ja alles miterlebt, und deswegen komme ich eben zu der Anregung: Wenn schon früher jemand selbst die Kosten übernehmen mußte, wenn er ernstlich zur —
—
—
46) D. h. bei den Reichstagswahlen in der Weimarer Republik. 47) Vgl. oben Dok. Nr. 6, Anm. 29. 239
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Wahl gestellt sein wollte, dann soll er heute, wo der Staat das alles einschließlich amtlicher Stimmzettel übernimmt, auch einen Kostenbeitrag leisten. Und das scheint nur dann gerechtfertigt zu sein, daß die Kosten vom Reich übernommen werden, wenn die Stimmenzahl ergibt, daß ein sehr großer Prozentsatz der Bevölkerung hinter ihm steht, so daß die Übernahme dieser Kosten als in einem gewissen öffentlichen Interesse liegend gerechtfertigt sein kann. Dr. Kroll: In Anbetracht der Tatsache, daß die Wahl ein öffentlich-rechtlicher Vorgang ist, möchte ich den Vorschlag der Wahlkostenerstattung nicht gern im Wahlgesetz verankert sehen. Ich halte aber den Vorschlag des Herrn Kollegen Löbe, die Beibringung einer hohen Zahl von Unterschriften zu verlangen, für durchaus diskutabel; denn wenn jemand 5000 Unterschriften beibringen muß, so ist das eine so große Arbeit, daß er auch schon dadurch weitgehend abgeschreckt wird, sich leichtsinnig als Kandidat aufstellen zu lassen. Ich glaube, daß dieser Vorschlag durchaus genügt, um das Ziel zu erreichen, ohne daß wir hier in den Verdacht kommen, eine Plutokratenwahlpolitik zu machen; denn ich glaube, daß jeder Fall von Gelderstattung heute doch völlig falsch ausgelegt wird. Auch wenn Sie hier mit besten Motiven einen Vorschlag machen, so wird nachher bei der Wahlpropaganda etwas ganz anderes daraus gemacht. Aber eine hohe Zahl von Stimmen von demjenigen zu verlangen, der sich als Kandidat aufstellen lassen will, wenn es sich nicht um eine Partei auf Landesbasis handelt, halte ich für sehr vernünftig. Stock: Wer kontrolliert, daß die Unterschriften wirklich von Personen abgegeben und echt sind? (Dr. Kroll: Das muß der Kreiswahlleiter machen!) Nein! Wir haben drei Meineidsklagen deswegen gehabt. Da ist einer gekommen und hat einfach Namen hineingeschrieben. (Zuruf: Das ist Urkundenfälschung!) Er hat die Behauptung beschworen, daß die Frau die Unterschrift selber geleistet hätte; die Frau ihrerseits hat aber geschworen, daß sie nicht unterschrieben habe. Es war eine Frau, die auf der CDU-Liste stand, und dadurch ist das herausgekommen. Die Sache ist dann unter den Tisch gefallen, weil ihr eigener Mann den Namen auf die Liste gesetzt hatte. Sehen Sie, das ist schwierig —
zu
kontrollieren.
—
Dr. Kroll: Es wäre eine zusätzliche Erschwerung, wenn man die öffentliche Beglaubigung der Unterschriften verlangte. Das läßt sich an sich natürlich umgehen.
(Stock:
Die
5000 beglaubigte Unterschriften? Einverstanden!) Beglaubigung kann durch den Bürgermeister oder durch
eine öffentlich-
rechtliche Polizeibehörde vorgenommen werden.
(Stock: Einverstanden!) Herr Stock, wir könnten sogar noch einen Schritt weitergehen: Für die Beglaubigung darf eine Gebühr erhoben werden. Vors. [Dr. Becker]: Das sieht doch noch plutokratischer aus! (Dr. Kroll: Das ist eine amtliche Handlung!) Der Vorschlag läßt sich immer damit rechtfertigen, daß der Bewerber noch erhebliche andere Ausgaben für seine Agitation ohnehin aufbringen müßte. Bedenken Sie bitte: Bei den 5000 oder 3000 Unterschriften muß doch dann auch 240
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noch der Auszug aus dem Wahlregister beigefügt werden, denn es muß festgestellt werden, ob der Betreffende auch wahlberechtigt ist und ob er auch in der Stimmliste steht. Diese Prüfung vor der Zulassung eines Wahlvorschlages ist eine ziemlich komplizierte Sache. Heiland: Das hat bei zehn Unterschriften bei den Kommunalwahlen eine ungeheure Arbeit gemacht! Dr. Diederichs: Praktisch ist damit die geheime Wahl aufgehoben vorausgesetzt, daß der Unterschreiber auch entsprechend wählt. Vors. [Dr. Becker]: Nun hatte ich neulich noch eine andere Frage angeschnitten: Wie soll die Sache in großen Städten gehalten werden40)? Sollen die großen Städte einen Wahlbezirk für sich bilden? Bei der Zahl von 1 Million kommt diese Schwierigkeit ja kaum in Betracht. Aber nehmen Sie an, wir kämen zu einer Wahlkreiseinteilung kleineren Umfangs, Wie sollen wir es in den Großstädten halten? Und die zweite Frage: Soll nicht jedes Land einen Wahlkreis bilden? Denken Sie einmal an Bremen! (Stock: Bremen hat keine Million!) Vielleicht könnten wir darüber noch etwas debattieren. (Dr. Diederichs: Bremen hat ein weites Hinterland. Da sehe ich kein Pro—
blem.) Lobe: Ich glaube, die Sache ist nicht so schwer. Wir hatten ja jahrelang in Berlin sechs Wahlkreise; Breslau hatte zwei Wahlkreise, Hamburg hatte drei Wahlkreise. Das läßt sich durch Zusammenlegung von Verwaltungsbezirken machen. Das würden keine erheblichen Schwierigkeiten sein. Man könnte selbst so weit gehen, dem einzelnen kleineren Wahlkreis auch bei einer kleineren Wählerschaft eine Stimme zuzubilligen. Im alten kaiserlichen Deutschland war das auch möglich. Lippe-Detmold und Rübesberg in Schlesien waren die kleinsten Wahlkreise; da konnte man mit 4500 Stimmen gewählt werden. Aber es verändert das Bild im ganzen nicht erheblich. Da wir nur einen einzigen Wahlkreis haben, der von diesem Vorteil Gebrauch machen könnte, nämlich Bremen, so wäre diese Ausnahme kaum mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, und dann hätte jedes Land das Recht, mindestens einen Abgeordneten zu wählen. Dr. Diederichs: Ich bin der Auffassung, daß auch im neuen Wahlrecht eine Reihe von Städten und Landkreisen zusammengefaßt werden müßte, wie es auch nach dem alten Reichstagswahlgesetz der Fall war49), und daß bei der Zusammenlegung politischer Kreise zur Abrundung Variationen vorgesehen werden müßten. Da würden wirklich keine großen technischen Schwierigkeiten vorliegen. Man könnte z. B., wie es für den Fall Bremen angebracht wäre, halbe Wahlkreise einführen, wo statt sechs nur drei Abgeordnete gewählt werden. Dann wäre in einem solchen Fall auch schon eine Ausnahmemöglichkeit gegeben. Also auch schon, um diese Variation gerade bezüglich der Wahlkreiseinteilung zu finden, ist die Bezugnahme auf die Einwohnerzahl das gegebene System. Ich habe es bewußt nicht auf die Wählerzahl, sondern auf die Einwoh-
4a) Vgl. oben Dok. Nr. 4, TOP 3 a. 49) Siehe hierzu die Anlage des RWahlG
von
1924, RGBl. I, S. 164 ff. 241
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abgestellt, weil sie viel leichter zu ermitteln ist, und weil einer bestimmten Einwohnerzahl auch eine bestimmte Wählerzahl zu entsprechen pflegt; das Verhältnis ist immer ziemlich das gleiche. Dann würde die Zahl der Abgeordneten auch ungefähr der Stärke der Bevölkerung entsprechen, und es würden nicht so große Unterschiede auftauchen, daß in einem Wahlkreis 40 000 Stimmen und in einem anderen nur 10 000 Stimmen für die Durchbringung eines Kandidaten erforderlich sind. Hier ist also wirklich eine gute Auswägung der Stimmen möglich, und die Wahlkreiseinteilung ist bei diesen Sechsmannwahlkreisen gar kein Problem. Da kommt man sehr schnell zu einer gerechten Lösung. Das kann man den Ländern überlassen. Bayern hat neun Millionen Einwohner; dann bekommt es also acht bis neun Wahlkreise, und dann kann Bayern innerhalb seiner Grenzen sagen: Die und die Regierungsbezirke bilden zusammen den Wahlkreis soundso. Ich glaube, daß das ein verhältnismäßig einfaches und gerechtes Verfahren ist. Vors. [Dr. Becker]: Die Zahl der Abgeordneten hat der Organisationsausschuß mit 400 als Bestandteil der Verfassung festgelegt. (Löbe: Die Ziffer wurde vermindert!)50) Ich bitte, zu erwägen, ob es nicht zweckmäßig ist, die Zahl im Wahlgesetz statt in der Verfassung festzulegen51). Die Frage der Einteilung der Wahlkreise, die Einfügung kleiner Variationen oder Abänderungen usw. können wir noch bis zur Abstimmung offen lassen. nerzahl
[8. ZUR VERFAHRENSWEISE] Vors. [Dr. Becker]: Wird noch das Wort gewünscht? Dann bitte ich darüber zu debattieren, wie die Dinge jetzt geschäftsordnungsmäßig weiter laufen sollen. Wir haben jetzt die verschiedenen Vorschläge zur Kenntnis genommen. Jetzt sollen sie in fraktionellen und interfraktionellen Besprechungen weiter erörtert
werden. Löbe: Das wird im wesentlichen davon abhängen, wann uns die anderen Parteien, welche diesen Vorschlag absolut verneinen, einen anderen Vorschlag unterbreiten, den wir absolut loyal durcharbeiten wollen. Und wenn wir nicht zu einer Einigung kommen, müßten wir dem Hauptausschuß die beiden Varianten unterbreiten, der dann die Entscheidung fällen müßte. 50) Der Unterausschuß des Organisationsausschusses hatte in Art. 45 des Grundgesetzentwurfs die Anzahl der Abgeordneten auf 400 (alternativ 350, 300 bzw. 240) festgesetzt (Drucks. Nr. 102). In seiner 20. Sitzung vom 5. Nov. 1948 beschloß der Organisationsausschuß die Zahl der Abgeordneten auf 300 festzusetzen (Kurzprotokoll Drucks. Nr. 265/H;
Drucks. Nr. 267 vom 10. Nov. 1948; vgl. Parlamentarischer Rat. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe). Formulierungen der Fachausschüsse, des Allgemeinen Redaktionsausschusses, des Hauptausschusses und des Plenums. Bonn 1948/49, S. 23). Am 11. Nov. 1948 wurde dieses Problem nochmals ausführlich im Hauptausschuß diskutiert, wobei man sich auf Menzels Vorschlag hin darauf einigte, keine bestimmte Anzahl von Abgeordneten festzuschreiben (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 4). 51 Die Zahl wurde schließlich durch das Wahlgesetz § 8 Abs. 1 festgelegt (siehe unten ) S. 809 f.). 242
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Dr. Kroll: Das ist insofern nicht ganz richtig, als wir uns heute über die verschiedenen technischen Modi unterhalten haben. Es sind drei Verfahrensvorschläge übrig geblieben. Der von Dr. Diederichs, der von Dr. Becker und der von mir. Eine Abstimmung ist darüber nicht erfolgt, sondern es wurde gesagt, sie sollten nur als Grundlage für interfraktionelle Besprechungen dienen. Ich bin der Meinung, daß wir bereits heute nachmittag darüber verhandeln könnten, ob wir uns nun auf einen dieser drei Modi einigen. Und dann würde man natürlich ziemlich rasch mit einem entsprechenden Vorschlag hier antreten können, der dann als Grundlage dient. Wenn wir uns aber nicht einigen, müßten wir wohl die verschiedenen Vorschläge nebeneinander durcharbeiten. (Löbe: Ihr Modus ist uns noch gar nicht genügend bekannt.) Ich habe gesagt: Eine feste Zahl von Einmannwahlkreisen und eine noch offene Zahl von Restmandaten, bei der die Stimmen dann nach dem d'Hondt'schen Verfahren zu verteilen wären. Dabei ist natürlich die Zahl variabel. Ich sagte: 400 fest und 50 variabel. Das tat ich nur, um überhaupt ein Beispiel zu geben. Im übrigen können wir uns dann über ein Verhältnis einigen. Aber der Vorschlag selber ist klar: Feste Wahl in Einmannwahlkreisen und offene Wahl für eine Resüiste. Der Vorschlag ist deutlich und kann jederzeit ausgearbeitet werden. Dr. Diederichs: Wir fahren uns doch immer wieder fest. Wir haben nun heute tatsächlich zwei Varianten zur Wahl gestellt. Ich würde es für richtig halten, daß wir uns jetzt schleunigst um diesen technischen Sachverständigen bemühen, dessen Zuziehung hier angeregt worden ist52), und daß wir mit diesem in einem engen Kreis einen wirklichen Vorschlag mit Varianten aufstellen, den wir dann hier Stück für Stück zur Verabschiedung bringen. So müssen wir jetzt vorgehen. Und wenn wir an den ersten Punkt kommen, bei dem wir uns über eine Variante nicht einigen können, dann sollte eine interfraktionelle Besprechung zur Kompromißfindung eingesetzt werden. Das wäre der Weg zu einer positiven Lösung. Wir müssen jetzt zu einem Ergebnis kommen. Dr. Becker hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir einer der wenigen unglücklichen Ausschüsse sind, die ohne Unterlage operieren. Wir müssen uns jetzt diese Unterlage schaffen. Und dazu sollten wir einen entsprechenden Sachverständigen zuziehen, der uns bei der Ausgestaltung des Technischen hilft. Und wenn Herren aus diesem Ausschuß noch daran interessiert sind, sollten sie an den Verhandlungen teilnehmen. Auf diese Weise könnte ein Vorschlag aufgestellt werden. Und an den entscheidenden Stellen, bei denen Varianten eingebaut werden sollen, müßten wir durch Abstimmung zu einem Ergebnis kommen, und, wo das nicht glückt, müssen interfraktionelle Besprechungen eingeschaltet werden. Vors. [Dr. Beckerl: Halten Sie es für praktisch, den Herrn jetzt schon zuzuziehen?
(Dr. Diederichs: Ja.) Die ne
Frage der Ausgestaltung des Stimmzettels Sachverständigen machen523).
und all das wollten wir doch oh-
-.-
52) Vgl. auch S. XXXI f. der Einleitung. 52a) Siehe oben S. 151. 243
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Dr. Kroll: Sachlich ist doch wohl eins klar: Entweder besteht eine Möglichkeit, daß sich die verschiedenen Gruppen auf eine Variante im Wahlmodus einigen. Das ist nur eine Vorbesprechung, bevor der Sachverständige geholt wird; denn er kann ja uns immer nur über die technischen Dinge zu einer Variante beraOder aber wir einigen uns nicht. Dann muß jede Gruppe einen Vorten. schlag unterbreiten, und es muß im Ausschuß mit Mehrheits- und Minderheits—
abgestimmt werden, weitergeleitet werden. votum
und die
Vorlage muß dann
an
den
Hauptausschuß
Dr. Diederichs: Ich sehe darin eine Erschwerung, wenn wir wieder mit drei verschiedenen Vorschlägen kommen, die auch noch in ihrem ganzen Aufbau verschieden sind. Ein solches Grundgesetz hat eine solche Fülle rein technischer Dinge, die in allen verschiedenen Systemen gleichartig sein können, daß ich es für richtig halte, wenn wir den Sachverständigen, der zugleich als Textor handeln soll, hierher holen und mit ihm uns in diesem kleinen Gremium zusammensetzen und ihm sagen: Das und das sind die verschiedenen Standpunkte; jetzt wollen wir ein Gesetz machen. Das sind die Allgemeinthemen: Wahlvorbereitung usw.; die sind doch praktisch bis auf kleine Variationen mehr oder minder fix. Und dann soll das ganze Gerippe fertiggestellt werden, und nur dort, wo die Variationen hineinkommen, sollen sie später eingefügt werden. Und da bestehen doch keine Bedenken dagegen, daß von jeder Partei jemand mitwirkt, der sagt: Die und die Stelle wollen wir offenlassen. Und dann könnten wir dort die Variante hineinarbeiten. Wir müssen aber endlich dazu kommen, wenigstens das Gesamtwerk im ganzen zu Papier zu bringen. Dr. Kroll: Bei der Frage der Wählbarkeit, der Behinderung usw. haben wir die Standpunkte bereits geklärt. Über diese Dinge kann der Sachverständige also bereits zur Formulierung schreiten. Dagegen ist die Frage des Wahlverfahrens, des Wahlsystems noch offen. Ich bin nur gern bereit, so zu verfahren, bin aber der Meinung, daß dann das eigentliche Kerngesetz dreimal durchgearbeitet werden muß, wenn wir uns nicht einigen. Und es sollte doch erst noch eine Besprechung darüber stattfinden, ob eine Einigung möglich ist. Erst wenn das nicht möglich ist, werden wir uns zu drei Verfahren entschließen müssen. Und auch da werden wir uns über eine ganze Menge Dinge einigen können, während wir die übrigen dem Ausschuß vorlegen. Dr. Diederichs: Dann möchte ich noch einmal einen Vorschlag machen. Wir schieben das jetzt wieder hinaus und kommen das nächste Mal zusammen und haben noch immer keine Einigung. In meinem Vorschlag ist tatsächlich die Frage so dargestellt, wie ich sie zu gestalten beabsichtige53). Ich würde dann doch
53) Nach Ansicht einiger Beobachter
war die Zustimmung der SPD zu Diederichs Antrag so Leisewitz und damit die Ablehnung des CDU/CSU-Antrages „nicht endgültig", da „Prof. Carlo Schmid und Dr. Menzel das Verhältniswahlrecht [zwar] als die richtige Grundlage für die Gemeindewahlen bezeichneten. Für die Länderwahlen wollen sie [aber] ein gemischtes Wahlsystem sehen, für Bundestagswahlen das Mehrheitswahlrecht. Dieses System sollte aber nicht bei der ersten Wahl angewandt werden, da das —
—
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empfehlen, daß vielleicht diejenigen, die zu einigen Punkten andere Vorschläge machen haben, einen formulierten Vorschlag vorlegen, so daß wir dann die zwei Varianten hätten und an die Gestaltung herangehen könnten. Da möchte ich nur bitten, daß wir uns auf einen Termin einigen, zu dem Herr zu
Dr. Becker und Herr Dr. Kroll die Varianten für diese beiden Abschnitte II und III vorlegen. Dr. Kroll: Das setzt voraus, daß wir von vornherein mit drei Varianten arbeiten wollen. Ich ging von der Hoffnung aus, daß wir uns von vornherein auf diesen einen Vorschlag einigen können. Dr. Diederichs: Wenn der Ausschuß einverstanden ist, würde ich vorschlagen, daß wir drei, die wir die Vorschläge gemacht haben, uns vielleicht heute nachmittag darüber unterhalten, ob wir die Möglichkeit eines Kompromisses sehen. Und wenn wir nichts zustande bringen, werden wir die drei Vorschläge hier zu
Papier bringen54).
Zur Geschäftsordnung schlägt Abg. Kaufmann vor, die Besprechungen mit der Wählergesellschaft im Kreise des Ausschusses, also nicht öffentlich und ohne Presse abzuhalten. Dr. Kroll meint, wenn
es sich um keine Ausschußsitzung, sondern nur um ein Treffen handele, könnte man Gäste und Presse schlecht ausschließen. Stock schlägt vor, die Besprechung in Form einer Ausschußsitzung abzuhalten, an der die Vertreter der Deutschen Wählergesellschaft als Gäste teilnähmen. Der Ausschuß beschließt die nächste Sitzung am selben Tage um 14.30 Uhr unter Zuziehung der Vertreter der Deutschen Wählergesellschaft als Gäste abzuhalten.
Mehrheitswahlsystem eine derartige Schockwirkung haben werde, daß die ganze derzeitige politische Konstellation hinweggefegt werden würde" (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 14. Okt. 1948, BA Z 12/118, Bl. 56-57; vgl. „Bonn und das künftige Wahlrecht", in: Westfalenpost vom 16. Okt. 1948). Leisewitz irrte sich aber mit seiner Annahme, daß die Entscheidung „auch über dieses .Problem' [. .] in den künftigen interfraktionellen Besprechungen gefunden werden [dürfte]" (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsideiten vom 16. Okt. 1948, BA Z 12/118, BL 47-55). 54) Ganz offensichtlich erbrachten die Gespräche zwischen Kroll, Diederichs und Becker am Nachmittag desselben Tages keine Einigung, denn in den nächsten Wochen arbeiteten die drei Abgeordneten jeweils eigene Vorschläge aus (siehe unten Dok. Nr. 10, 12, 13). .
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Nr. 9 Neunte
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 14.
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Z 5/83, Bl. 208-255. Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 68-69, Drucks. Nr. 217
Wortprot.
Anwesend1):
CDU/CSU: Kroll, Frau Weber (für Schräge) SPD: Stock, Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Reimann Mit beratender Stimme: Kaufmann (CDU), von Brentano (CDU), Zimmermann (SPD), Katz (SPD), Grève (SPD), Löbe (SPD), Kuhn (SPD), Frau Wessel (Z, zeitweise) Sachverständige: Frau Wetzel2), von Hartmann3), Mommsen4), Bühler5), Walk6) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 16.20 Uhr Beginn: 14.30 Uhr
1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Die Anwesenheit Wessels ergibt sich
nur aus
den
Wortbeiträgen. 2) Als Vorstandsmitglied der DWG war auch Dr. Ursula Wetzel nach Bonn angereist (Mitteilungen der DWG, Dez. 1948, S. 2—5). Aus den Protokollen geht ihre Anwesenheit in der Ausschußsitzung zwar nicht direkt hervor, da Becker seine Begrüßung aber auch an die „Damen" der DWG richtet, ist von ihrer Anwesenheit auszugehen. 3) Dr. Gustav Varcas Aegidius von Hartmann (4. Jan. 1905—12. Sept. 1979) war vor 1945 Geschäftsmann bei den IG Farben und der H. Römmler AG, an deren Wiederaufbau in Groß-Umstadt er nach dem Krieg maßgeblich beteiligt war. Seit 1957 war er für den Werkbund tätig, zuletzt von 1974 bis 1977 als Geschäftsführer. Zu Hartmanns publizistischer Tätigkeit siehe: Natürliche Beziehungen im Wahlsystem, in: Der Tagesspiegel vom 18.
Sept.
1947.
4) Konrad Mommsen (8. Okt.
1896—14. März 1973) war nach dem Krieg Berater bei der amerikanischen Militärregierung in Berlin und ab 1947 Leiter der Berliner Verbindungsstelle des Stuttgarter Länderrats zu den alliierten und deutschen Behörden in Berlin. (Vgl. Mommsen: Demokratisch maskierte Bürokratie, in: Frankfurter Hefte 1949, Nr. 4; Große Wahlreform und das Schicksal der Parteien, in: Die neue Zeitung vom 29. Sept. 1951). 5) Dr. Ottmar Bühler (12. Aug. 1884—27. Mai 1965) war damals Professor für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Köln. Publizistisch setzte er sich engagiert für das Mehrheitswahlsystem ein (siehe z. B.: Demokratie und Herrschaft der Parteibürokratie. Zur Frage des Wahlrechts und der künftigen Regierungsform in Reich und Ländern, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1 (1946), S. 200—204; Persönlichkeits- oder Listenwahl, in: Kölnische Rundschau vom 14. Nov. 1947; Bonn und die deutschen Wähler, in: Rheinische Post vom 2. März 1949). Als Sachverständiger referierte Bühler auch vor dem Finanzausschuß (9. Sitz, vom 30. Sept. 1948, BA Z 5/26, BL 60-98). 6) Emil Peter Walk (geb. 25. Juli 1900), Dezernent für Wiederaufbau und Wirtschaft beim Regierungspräsidenten Darmstadt, war das einzige Parteimitglied (SPD) im DWG-Vorstand. Als solcher richtete er zahlreiche Schreiben an die SPD-MdPR mit der persönlichen Bitte, sich für das Mehrheitswahlrecht einzusetzen (Walk an Seibert vom 26. Jan. 1949, PA Bestand 5/12). Walk leitete das Politische Büro der DWG.
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Neunte
Sitzung
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Nr. 9
Vors. [Dr. Becker]: Ich eröffne die Sitzung. Ich habe die Freude, die Damen und Herren vom Vorstand der Deutschen Wählergesellschaft hier zu begrüßen und danke ihnen, daß sie uns die Möglichkeit zu einer Aussprache geben. Ich bitte um Vorschläge darüber, wie wir verfahren wollen. Wollten Sie uns Ihre Ansichten darlegen? Besteht unsererseits vielleicht der Wunsch, noch einige Fragen zu stellen?
[1. WAHLRECHTSTHESEN DER VORSTANDSMITGLIEDER DER DEUTSCHEN WÄHLERGESELLSCHAFT UND AUSSPRACHE]
[la. Die Vorteile des reinen
Mehrheitswahlsystems]
spreche zu Ihnen hier als zweiter Vorsitzender der Deutschen Wählergesellschaft. Unser erster Vorsitzender, Dr. Dolf Stemberger7), ist auf einer Reise und kann infolgedessen nicht hier sein. E. P. Walk: Ich
Ich möchte dem Ausschuß des Parlamentarischen Rats dafür danken, daß er sich bereit erklärt hat, uns in einer offiziellen Sitzung zu hören8). Die Deutsche Wählergesellschaft ist eine politische Gruppe, die zu den politischen Parteien steht9). Sie hat es sich nicht zur Aufgabe gemacht, ein bestimmtes Wahlverfahren sozusagen als Wundermittel zu empfehlen, ist allerdings der Überzeugung, daß der Proporz, wie wir ihn für den Reichstag nach 1918 gehabt haben, eine Wurzel unserer leider sehr zahlreichen politischen Übel in der Zeit von 1918 bis 1933 gewesen ist. Die Deutsche Wählergesellschaft hat ihren Beitrag zur aktuellen Situation, zur Wahl des ersten Deutschen Parlaments nach dem Zusammenbruch des Naziregimes dadurch geleistet, daß sie einen Wahlvorschlag vorgelegt hat, der Ihnen ja gedruckt zugegangen ist10). Er ist sehr wohl überlegt und mit entsprechenden Begründungen versehen, so daß ich hier wohl nichts hinzuzufügen brauche. Hingegen möchte ich einiges über die politischen Anschauungen der Deutschen Wählergesellschaft, die wir unserem Wahlrechtsvorschlag zu Grunde legen, zusammenfassend sagen. In Deutschland wird immer davon gesprochen, daß sich die deutsche Mentalität von der politischen Fähigkeit und der politischen Auffassung anderer Völker grundsätzlich unterscheidet, und daß man das gerade beim Wahlverfahren berücksichtigen müsse. Wir sind optimistisch genug anzunehmen, daß die deut7) Dr. Dolf Stemberger (28. Juli 1907-27. Juli 1989), Publizist und Redakteur der Frankfurter Zeitung, Herausgeber der Monatsschrift Die Wandlung (1945—49), wurde später o. Professor für Politikwissenschaft
an
der Universität
Heidelberg. Stemberger war als
Initia-
tor und zugleich Vorsitzender der Deutschen Wählergesellschaft engagierter Befürworter des relativen Mehrheitswahlrechts. In zahlreichen Schriften und Vorträgen warnte er
auch noch nach
Gründung der Bundesrepublik vor den Folgen des Verhältniswahlrechts.
8) Zum Charakter der Sitzung siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 8. 9) Zum Programm der DWG siehe auch ihre Satzung vom 20. Sept. 1947, in: Mitteilungen
Juli 1947,
S. 7 ff.
10) Siehe oben Dok.
Nr. 2, Anm. 125. 247
Sitzung
14.
Bevölkerung nicht kerung anderer Länder.
Die
Nr. 9
Neunte
Oktober 1948
sehe
dümmer und auch nicht unwissender ist als die Bevölpolitischen Einrichtungen und die Verfahren im politischen Leben formen den politischen Geist, und so formt das Wahlverfahren den Wähler. Die Erfahrungen unserer Vergangenheit haben nun nach diesen zwölf Jahren eine Kluft zwischen den Politikern und den Wählern aufgerissen, die unter allen Umständen überbrückt werden muß. Wir haben in der Presse und im Rundfunk eine außerordentliche Publizität erreicht. Lesen Sie die Zeitungsausschnitte aus den letzten Wochen! Ich möchte Ihnen versichern, daß das nicht das Werk einer geschickten Propaganda ist; dazu sind wir nämlich leider zu klein und auch durch die Währungsreform zu mittellos geworden11). Wenn wir trotzdem ein solches Echo gefunden haben, so beweist das meiner Auffassung nach, daß wir wirklich unsern Hebel an einem ganz wichtigen und entscheidenden Punkt angesetzt haben. Und daraus ergibt sich meiner Ansicht nach die unabdingbare Forderung, daß ein Wahlverfahren was für ein so durchsichtig sein muß, Wahlverfahren wir auch immer anwenden mögen daß es von dem einfachen Mann, von dem Mann auf der Straße, verstanden wird, damit er weiß, was für ein Ergebnis er nun eigentlich mit seiner Stimmabgabe erzielt hat. Und nicht nur jetzt, sondern, wenn wir in unserer eigenen Geschichte zurückblicken, so hat sich schon seit der Gründung des Deutschen Reichs gezeigt, daß alle Versuche, zu einem Kompromiß von Verhältniswahlverfahren und Mehrheitswahlverfahren zu kommen, vergeblich sind. Dieser Kompromiß läßt sich wirklich nicht machen, es sei denn durch irgendwelche komplizierten Mandatskonstruktionen, die dem gemeinen Mann bestimmt unverständlich bleiben. Betrachtet man das Problem des Parlaments und der aus ihm entstehenden Regierungen, so ist doch gar kein Zweifel, daß der Koalitionszwang, wie er durch das Verhältniswahlverfahren unumgänglich wird, zu einer Stärkung der Flügelparteien führt, und daß auf der anderen Seite keine verantwortungsbewußte, regierungsfähige Opposition entsteht. Natürlich wird auch das Mehrheitswahlverfahren keine Garantie dafür geben können, daß eine Mehrheit ohne Koalition entsteht. Solche Garantien gibt es im politischen Leben nicht. Aber es entsteht eine wesentlich größere und mit der Zeit wachsende Chance, zu einer Parteieneinteilung zu kommen, bei der eine Partei imstande ist, die Regierung zu tragen. Das andere wichtige Problem in diesem Zusammenhange sind die Splitterparteien. Wenn man ein solches Wahlsystem, wie wir es in der Vergangenheit gehabt haben, in England gehabt hätte, dann hätte England meiner Auffassung nach mehr Splitterparteien, als wir jemals gehabt haben. Denn es besteht doch —
—
) Die DWG mußte sich auch in der Folgezeit immer wieder gegen den Vorwurf, verdeckte Einnahmen zu erhalten und parteipolitisch gebunden zu sein, zur Wehr setzen (Mitteilungen 2/April 1949, S. 22 f.). Zwar konnte dieser Verdacht nicht bestätigt werden, aber die DWG war offensichtlich auch nicht so mittellos, wie dies Walk hier darstellt. Dagegen spricht der Artikel „Wir sind noch einmal davon gekommen" (Mitteilungen August 1948, S. 1). Demnach konnte sich die DWG trotz der einschneidenden Veränderungen durch die Währungsreform halten, weil die meisten Mitglieder der Bitte des DWG-Vorstandes nachkamen und die Beitragszahlungen in der neuen Währung DM aufnahmen. 248
Neunte
Sitzung
14.
Oktober
1948
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wohl gar kein Zweifel, daß der englische Volkscharakter individualistischer ist als der unsere. Wenn man nun in diesem Zusammenhange die von mir noch zu behandelnde Gerechtigkeitsfrage ansieht, so ist doch gar kein Zweifel, daß die Splitterparteien in den Parlamenten, die aufgrund des Verhältniswahlverfahrens zustande kommen, einen unverhältnismäßig großen Einfluß haben, und zwar die Splitterparteien der Flügel durch eine destruktive Opposition, die Splitterparteien in der Mitte dadurch, daß sie das sprichwörtliche Zünglein an der Waage werden. Die Splitterparteien durch eine Systemklausel zu unterdrücken, scheint mir nicht demokratisch zu sein; das wäre eine Gewaltmaßnahme. Und deshalb spricht es auch für das Mehrheitswahlrecht, daß die Chancen der Splitterparteien in ihm wesentlich geringer sind als bei dem Prozentualverfahren. Ein besonders wichtiger Punkt ist nach unserer Auffassung nun die Gefahr der Interessentenpartei: Parteibildungen, wie wir sie ja in der Zeit nach 1918 gehabt haben, Parteibildungen, die in der Zukunft wieder auftreten werden. Meiner Ansicht nach steht eine Aufwertungspartei, eine Lastenausgleichspartei, ja, eine Volkswageneinzahlerpartei am Horizont12). Diese Parteien sind deswegen so gefährlich, weil ihre Interessen auf der politischen Ebene zum Wort kommen, aber gar keinen politischen Charakter haben. All das wirkt sich dahin aus, daß die großen Parteien, die den Staat tragen sollen, gemeinsam geschwächt werden. Es sollte aber doch so sein, daß eine große Partei auf Unterstützung einer etwa vorhandenen dritten oder vierten, die ihr aber irgendwie verwandt ist, sich beim Regieren schwächt denn ein Prestigeverlust, ein Stimmenverlust, ist ja mit dem Regieren notwendiger Weise verbunden —, und daß während dieser Zeit die zweitstärkste Partei sich in einer verantwortungsbewußten Opposition hält und darauf vorbereitet, bei der nächsten Wendung die Verantwortung zu übernehmen. Ich komme nun zum dritten Punkt, nämlich zu der Frage nach der Gerechtigkeit oder, wie mir richtiger zu sein scheint, nach der zahlenmäßig richtigen Repräsentation des Volkes. Eine derartige Frage ist meiner Ansicht nach nur in einem Parlament berechtigt, daß der Kontrollinstanz einer von ihm unabhängigen Regierung gegenübersteht. Denn Demokratie beruht doch letzten Endes stets auf einem Mehrheitsentscheid. Eine uneinige Mehrheit ist jedoch handlungsunfähig. Auch wenn sie sich zwangsweise in einer Koalition zusammengefunden —
12) Walk spielt hier auf die aktuellen wirtschaftlichen Probleme
an, die seiner Meinung durch das Verhältniswahlsystem bedingt Interessengruppen und Parteien hervorbringen würden. Insbesondere denkt er an die Aufwertungspartei der Weimarer Republik. Des weiteren hatte die Denkschrift des Flüchtlingsbeirates in den Westzonen zum Lastenausgleich vom 4. Okt. 1948 bereits die Erwartungen auch dieser Interessengruppe in aller Deutlichkeit formuliert (Drucks. Nr. 220). Schließlich war am 7. Okt. 1948 auf Initiative von Karl Stolz in Niedermarsberg /Niedersachsen der „Hilfsverein ehemaliger Volkswagensparer" gegründet worden. Der Verein, der im fahr 1951 bereits 3000 Mitglieder zählte, vertrat die Interessen der ehemals 320 000 Volkswagensparer. Deren Guthaben (285 Mio. Spargelder, umgerechnet ca. 14 Mio. DM) waren als Guthaben der NSDAP-Gliederung DAF infolge der Währungsreform verfallen (Wilhelm Bittorf: Die Geschichte eines Autos, Hamburg o. D., S. 85 f.).
nach
—
—
249
Nr. 9
Neunte
hat, wird stande
zu
es
ihr
Sitzung nur
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möglich sein,
bringen. Dagegen
Natur schwächliche Regierung zupolitische Wille in der größten in sich eini-
eine
ist der
von
gen Gruppe verkörpert. Dazu ist natürlich Voraussetzung, daß das Volk, der Wähler, in Wahlkreisen organisiert ist. Damit gewinnt der Wahlkreis eine ganz wesentliche Bedeutung, nämlich als politische Wählerschaft. Andererseits sind die politisch aktiven Teile des Volkes in den politischen Parteien organisiert. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nochmals betonen, daß die Deutsche Wählergesellschaft nie daran gedacht hat, einen eigenen, von den Parteien abgetrennten Weg zu gehen, sondern daß sie von vornherein entschlossen gewesen ist, ihre Arbeit mit den Parteien und für die Parteien zu leisten. Die zahlenmäßige Richtigkeit der Repräsentation, also das, was die Vertreter des Proporz immer als die notwendige
Gerechtigkeit bezeichnen, führt unweigerlich ist
es
zur
politischen Lähmung. Dagegen gerechter, wenn die
meiner Ansicht nach viel schwerer und letzten Endes
von der stärksten Gruppe übernommen wird; denn dann entsteht eine wirklich faire Chance für die Opposition, die ja doch damit rechnet, wenn sie sich selbst in der Opposition gestärkt hat und gewachsen ist, nach dieser Gruppe ihrerseits die Verantwortung zu übernehmen. Zum Schluß möchte ich nun noch einige Worte über die Aufgaben, die sich die Deutsche Wählergesellschaft gestellt hat, sagen, gerade weil sie nicht in dem Technischen der Wahlverfahren stecken bleiben will. Die Deutsche Wählergesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, der politischen Aufklärung der Wähler zu dienen, sie zu schützen und zu verteidigen in der Entwicklung der politischen Kämpfe, in denen ja immer mehr die Gefahr besteht, daß sie zu Stimmvieh werden. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Politik in den Wählermassen wirklich zu popularisieren und innerhalb der Wählerschaft zu verankern. Eine Aufgabe, die ihr außerdem zugewachsen ist, ist die Interessierung der Frau an der Politik13) etwas, was ja bekanntlich sämtlichen politischen Parteien bisher nicht recht gelingen wollte. Um nun diese Arbeit zu leisten, ist sie selbstverständlich bereit, an allen Fragen des Wahlrechts mitzuarbeiten. Für diesen Zweck hat sie ein politisches Büro gegründet14), das es sich zur Aufgabe gemacht hat, in einem Archiv alles zu sammeln, was über die Probleme des Wahlrechts und des Wahlverfahrens aufzufinden ist. Das ist leider eine in unserer heutigen Zeit sehr schwere Aufgabe, da unsere Bibliotheken ja zum größten Teil zerstört sind. Da ergeben sich nun ganz erstaunliche Dinge. So haben wir in den letzten Tagen eine Reichstagsdrucksache aus dem Jahre 1930 ausgegraben, in der versucht wurde, im Rah-
Verantwortung
—
13) Auf ihrer Hauptversammlung in Bad Homburg hatte die DWG am 2. Okt. 1948 eine „Resolution über die Betätigung der Frauen am politischen Leben" verabschiedet (Mitteilungen, Dez. 1948, S. 16 f.). Siehe dagegen die Einwände der Frauen aller Parteien im Pari. 14)
Rat gegen die Einführung des Mehrheitswahlrechts (vgl. auch unten S. 421, besonders Anm. 24). Die am 20./21. Sept. 1947 in Frankfurt/M. gegründete Deutsche Wählergesellschaft unterhielt ein Sekretariat in Groß-Umstadt sowie zur Koordinierung der Öffentlichkeitsein „Politisches Büro" in Darmstadt unter der Leitung von E. P. Walk. arbeit —
—
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des verfassungsmäßig festgelegten Verhältniswahlsystems zu einer Reform des Wahlrechts zu kommen15). Das Studium dieser Druckschrift, die vom Reichswahlleiter herausgegeben ist und einen Gesetzentwurf des Reichsministeriums des Innern sowie eine ganze Reihe von Vorschlägen von Professor Jellinek, Prof. Thoma, von Pfeiffer, Heile und Köster16) enthält, hat uns doch sehr deutlich gezeigt, daß es mit all diesen Kompromissen eben wirklich nicht geht. Das ist sehr klug gemacht, ist aber gar nicht überzeugend, denn es ist viel zu men
kompliziert.
Wir wollen also eine echte Interessenvertretung der Wähler sein. Wir wollen seiner politischen Erziehung dienen. Denn schließlich sollte ja der Wähler derjenige sein, von dem die Macht im Staate, die Macht in der Demokratie letzten Endes ausgeht; und er sollte in dem Bewußtsein an die Wahlurne treten, daß er im Wahlakt über das Schicksal des Volkes entscheidet.
[Ib. Wahlsystem und politische Erziehung. Historische Erfahrungen] Prof. Dr. Bühler: Ich möchte auf das Bezug nehmen, was wir Hochschullehrer der Stimmung der akademischen
von
Jugend
wissen. Das ist
zwar
keineswegs
unfehlbar, aber es war in der Vergangenheit doch immer so, daß sich ziemlich viel von dem, was später kam, frühzeitig in der Stimmung dieser Jugend gezeigt hat, Sie wissen, daß die Abneigung gegen alles, was mit den Parteien zusammenhängt, bei der Jugend groß ist, und daß wir unsere liebe Mühe haben, immer wieder
sind. Geht
zu
sagen, daß die Parteien
notwendige
Instrumente des Staates
der kritischen Stimmung auf den Grund, so findet man dort sehr oft mit dem Wahlrecht zusammenhängen, und dann findet man auch die Dinge, das Wort „Parteibürokratie". Hier, wo man die Dinge immerhin ein bißchen mehr durchdenkt, beginnt man zu erkennen, daß das der Kern ist. Während ja leider 98% der Wähler das Wahlrecht heute noch als technische Dinge ansehen, um die sie sich nicht zu kümmern brauchten, ist es doch angesichts des leider schwachen Interesses bedeutsam, daß sich an den Hochschulen allmählich Arbeitsgruppen gebildet haben. So ist eine Gruppe in Bonn entstanden und auch eine in Köln. Dabei habe ich absichtlich nicht die Initiative ergriffen, sonman
15) Walk meint hier die Reichsratdrucksache
vom 26. Aug. 1930 Nr. 151 „Entwurf eines sowie in der Anlage die „Vorschläge zur Wahlreform. Denkschrift des Reichsministeriums des Innern zum Entwurf eines Reichswahlgesetzes". Die Denkschrift war vom Reichsinnenminister Dr. fosef Wirth (Z) herausgegeben worden und besteht aus zwei Teilen: Teil A skizziert kurz sechs der wichtigsten öffentlich diskutierten Wahlrechtsvorschläge (Jellinek, Heile, Thoma sowie den des württembergischen Staatsministers Heymann, des Direktors im Preußischen Statistischen Landesamt Dr. Klökker, des Arbeitsausschusses der Deutschen Demokratischen Partei sowie des früheren MdR Adam Röder). Teil B enthält die Gutachten des Reichswahlleiters zu diesen Vor-
Reichswahlgesetzes"
schlägen.
16) Weder von Pfeiffer noch Köster sind eigenständige Wahlrechtsreformvorschläge
in der
Reichsratdrucksache enthalten.
251
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dem bei unserer Tagung in Homburg17) haben sich Studenten beteiligt. Und das will immerhin etwas besagen. 2. Bei unseren Untersuchungen gräbt man manchmal einen Mann aus, der das und das vorhergesehen hat. So hat auch einer unsere Wahlrechtsmisere vorausgesehen, nämlich Friedrich Naumann, und zwar 1919, also sofort nach der Verabschiedung der Weimarer Verfassung. Da hat er folgendes gesagt: Ich glaube nicht, daß wir zu einer befriedigenden Lösung des Mehrheitsproblems kommen, sondern fürchte, daß wir einen Zustand schaffen, der nur durch einen späteren Staatsstreich wieder ausgeglichen werden kann. Aber ich weiß wohl, daß ich mit meinem weitgehenden Pessimismus in dieser Frage allein stehe. Da man den Präsidenten nicht mit eigenen starken Regierungsbefugnissen ausstatten will, so möchte man dafür sorgen, daß es im Parlament eine natürliche Mehrheit gibt. Das ist es, was nicht geschieht und auch, so weit ich sehe, auf dem gewählten Wege nicht erreicht wird. Es fehlt also bei dieser neuen Verfassung das eigene staatsbildende Organ18). Das ist 100 %ig richtig. So ist es gekommen. Und ich möchte wünschen, daß man nicht in 20Jahren sagen müßte: In Bonn hat man diese Dinge nicht erkannt, sondern man ist an der Frage wieder vorbeigegangen. Dritter Punkt: Das englische Vorbild. In England hat man im Jahre 1910, als die Theorie und auch allerlei Erfahrungen aus der Praxis die Fragen des Verhältniswahlsystems aufrührten, nach guter englischer Sitte eine Royal Commission eingesetzt. Ihr Bericht ist interessant und ergibt, daß die Verhältniswahl dort aufs genaueste studiert worden ist. Das Endergebnis dieses Berichts lautet fol-
gendermaßen: Diese Darstellung
der Ziele der Verhältniswahl das heißt, daß sie die Parteien im Parlament im Verhältnis zu den im Lande abgegebenen Stimmen repräsentiere ist in Wirklichkeit sehr unvollständig; denn der Titel verhüllt einen radikalen Angriff auf die Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen und alle ihre Resultate, ihre Einwirkungen auf die Wähler, auf die Kandidaten und auf das Mitglied des House of Commons und auf die Politik nicht weniger als auf die Gerechtigkeit der Repräsentation. Was für eine Einrichtung man im Falle der Annahme der Verhältniswahl schließlich zu treffen hätte, um eine Partei zu veranlassen, die Regierung des Landes unter solchen Verhältnissen zu übernehmen, das vorauszusehen —
—
17) Gemeint
Tagung der Deutschen Wählergesellschaft in Bad Homburg vom (Mitteilungen, Aug. 1948, S. 1 ff.). hier in seiner Argumentation auf die Ausführungen des Wahlrechts-
ist wohl die
16. und 17.
Juli
1948
1B) Bühler stützt sich
theoretikers Ferdinand A. Hermens, der auf der außerordentlichen Tagung der DWG am 17. Juli 1948 in Bad Homburg u. a. auf das Zitat hingewiesen hatte (Mitteilungen, Aug. 1948, S. 5; vgl. Hermens, Mehrheitswahlrecht oder Verhältniswahlrecht?, S. 108 f.). Das Zitat selbst entstammt einem Schreiben Naumanns an H. G. Erdmannsdörffer vom 5. Mai 1919 und ist abgedruckt in Theodor Heuss: Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit, 2. Aufl., Stuttgart/Tübingen 1949, S. 466 f. 252
Neunte ist
unmöglich.
Es ist
nur
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klar, daß die parlamentarische Regierung, wie sie
jetzt in England verstanden wird, unmöglich sein würde19). Also völlig bewußt hat man in England diese Dinge geprüft und das
sogenann-
Gerechtigkeitsargument beiseite geschoben. Man hat es als das richtigste zeichnet, daß man das englische System einer regierungsfähigen Mehrheit
te
bebe-
hält.
Vierter Punkt: Die Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen. Hier muß ich als Angehöriger dieses Landes sagen, daß man nur deprimiert sein kann bei der Beobachtung, wie wenigen Leuten nach meiner Erfahrung sind es 100 bis 200 überhaupt klar geworden ist, was sie hier zu erwarten haben: Daß man die Wirkung der Mischung, des scheinbaren Kompromisses, des scheinbar sogar weitgehenden Zugeständnisses an die Mehrheitswahlen durch die Beifügung der Verhältniswahl sogar zerrissen hat. Bei uns wird es also folgendermaßen gemacht20). 150 Abgeordnete werden in Einerwahlkreisen gewählt, und nach einem bestimmten Schlüssel werden die Zusatzstimmen verteilt. Bei uns war es so, daß man noch 66 zusätzliche Landeswahlabgeordnete nahm. Mit den 150 Mehrheitswahlabgeordneten wären wir zu einer gerechten Lösung gekommen. Ich erinnere mich noch, wie der englische Rundfunk jubilierte: Siehe da, das Zweiparteiensystem könnte am Ende gelingen. Augenblicklich besteht eine CDU-Mehrheit, ein andermal wird vielleicht eine SPD-Mehrheit bestehen. Nachdem man aber gerechnet und die 66 Zusatzmandate verteilt hatte, war alles das dahin. Nun haben wir 22 Abgeordnete den Kommunisten und 20 Abgeordnete dem Zentrum zuweisen müssen, obwohl das Zentrum gar keinen Abgeordneten durchgebracht hätte. Und sofort waren wir wieder in der Koalitionsmisere. Die Koalitionsmisere hat Auswirkungen, von denen ich nicht anstehe zu sagen, daß sie schlimmer sind als alles, was wir in der Weimarer Zeit erlebt haben. Das wollen manche nicht wahr haben. Wir haben damit eine ganz große Koalition erreicht, die zu einer regelrechten Lähmung der Regierung geführt hat21). Das ist der Zustand, den wir jetzt noch haben. Unzählige Leute wissen es von ihren täglichen Versuchen, was es heute bedeutet, sich einem Kabinettsbeschluß zu unterwerfen. Da bekommt man zehnmal von einem Ministerialdirektor die Ausrede: Dazu ist leider ein Kabinettsbeschluß notwendig; den müs—
—
19) Report of the Royal Committee appointed
to inquire into electoral systems, Cd 5163, London 1910, S. 13. Die im Dezember 1908 eingesetzte ad-hoc Kommission tagte unter dem Vorsitz von Lord R. Cavendish und veröffentlichte das Ergebnis ihrer Untersuchung im Mai 1910 (vgl. David Butler/Anne Sloman: British Political Facts, London 51980, S. 269). 20) Zu den Mehrheitsverhältnissen im nordrhein-westfälischen Landtag siehe auch oben Dok. Nr. 3, Anm. 45 und 46. 21 Das ) Wahlergebnis der ersten Landtagswahl in NRW erbrachte keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse und zog eine langwierige Regierungsbildung nach sich, was nach außen um so dramatischer wirkte, als die schwierige Versorgungslage der Bevölkerung eine handlungsfähige Regierung dringend erforderlich machte. Erst am 17. Juni 1947 kam es zur Regierungsbildung, die in ihrer Zusammensetzung Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) bildete eine Koalition aus CDU, SPD, Z und KPD wohl einmalig in Westdeutschland war (Walter Forst: Geschichte Nordrhein-Westfalens Bd. 1, 1945—1949, Köln/Berlin 1970, S. 256 ff., 274 ff.). —
-
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monatelang vorbereiten usw. Monatlich werden die wichtigsten Entscheidungen vorausgenommen. Wenn diese Dinge nicht durch die anderen großen Sorgen, die Demontagesorge22) usw. überdeckt wären, dann wären wir, glaube ich, immerhin schon auf dem Wege einer Reaktion des Volkes auf diese Dinge. Und diese Reaktion würde dahin gehen, daß man sagt: Weg mit dieser ganzen Einrichtung! Und wenn sie durch irgendeinen Stoß von außen fiele, würde man ihr heute ebensowenig eine Träne nachweinen, wie man der Weimarer Demokratie eine Träne nachgeweint hat. Frau Wessel: Nur ein Wort zur Richtigstellung der Wahlergebnisse von Nordsen
wir erst
rhein-Westfalen! Es stimmt nicht ganz, Herr Professor Bühler, was Sie gesagt haben. Es stimmt insofern nicht, als nach dem vorliegenden Wahlgesetz von Nordrhein-Westfalen z. B. die CDU 16 Mandate mehr bekommen hat, als ihr aufgrund der Verhältniswahl zustehen würden. Das Wahlrecht ist nämlich so, daß der Kandidat in dem Wahlkreis, in dem er direkt gewählt worden ist, selbst dann als gewählt gilt, wenn die Kandidatenzahlen bei der Verrechnung der Verhältniszahlen höher liegen. Folglich sind hier 16 Mandate mehr vorhanden als nach der Verhältniswahl. Das zweite ist, daß auch die Kommunisten in direkter Wahl manchen durchbekommen haben23). Also auch hier stimmt das, was Sie sagen, nicht. Jedenfalls sind die Erfahrungen, die wir in Nordrhein-Westfalen mit diesem Wahlrecht gemacht haben, für die Kreise, die zu Nordrhein-Westfalen gehören, wohl nicht so betrüblich gewesen, wie sie hier dargestellt worden sind. Ich glaube, die Abgeordneten, die in direkter Wahl gewählt worden sind, unterscheiden sich nicht wesentlich von den Abgeordneten, die etwa von der Reserveliste gekommen sind. Das sind nämlich die Unterschiede, die man bei der Persönlichkeitswahl nie berücksichtigt. Prof. Dr. Biihler: Ich habe kein Wort von den Persönlichkeiten gesprochen. Ich sage nur: Die Koalitionsmisere war da!
[lc. Die
Notwendigkeit
der Parteien]
Dr. Diederichs: Meine Damen und Herren! Nachdem wir schon wochenlang sehr eingehend alle diese Probleme interessiert diskutiert haben, und nachdem uns die Auffassung auch der Deutschen Wählergesellschaft durch Mitglieder der Deutschen Wählergesellschaft, die zugleich Mitglieder des Parlamentari-
Okt. 1947 hatten die Besatzungsbehörden eine Demontageliste veröffentlicht, Betriebe in der Bizone schwerpunktmäßig in Nordrhein-Westfalen demontiert oder zerstört werden sollten. Erst nach der Gründung der Bundesrepublik konnte 1951 das Ende der Demontagen herbeigeführt werden (Forst, Nordrhein-Westfalen, S. 308). Vgl. auch das „Kommuniqué über den Demontagestopp" (= Informationsdienst für die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates) vom 28. Okt. 1948, BA Z 12/53, Bl. 43. 23) Otto Quade (Solingen-Ohlig), Hugo Paul (Remscheid) und Artur Hahnenfurth (SolingenAltstadt); vgl. GVOB1. NRW 1947 Nr. 11 S. 92.
22) Am
16.
derzufolge 681
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14.
Oktober
1948
Nr. 9
sehen Rats sind24), schon eingehend dargelegt war, hat es uns doch interessiert, hier heute aus kompetentem Munde der Deutschen Wählergesellschaft noch einmal einiges zu diesen Fragen zu hören. Da aber gerade ich hier im Ausschuß einer der eifrigsten Vertreter eines modifizierten Verhältniswahlrechts bin, möchte ich doch zu einigen der Argumente, die hier von den Herren der Wählergesellschaft gebracht werden, noch eingehend Stellung nehmen, um sie auch einmal von der anderen Seite in Gegenwart der Herren und Damen, die heute hier unsere Gäste sind, noch kurz zu berühren. Ich beginne mit den letzten Ausführungen von Herrn Prof. Bühler. Wenn Herr Prof. Bühler in seiner Eigenschaft als Hochschullehrer von der Abneigung der akademischen Jugend gegen die Parteien, vor allem von dem Mißtrauen gegenüber der Parteibürokratie spricht, so möchte ich auf zweierlei hinweisen. Erstens haben diejenigen, die hier das Verhältniswahlrecht vertreten, mit aller Deutlichkeit ein System mit offenen Listen und mit ausgesprochener Betonung der Personenwahl vorgeschlagen, wobei für den Wähler absolut die Betonung des Persönlichen, desjenigen, dem sie ein persönliches Vertrauen schenken wollen, vorgesehen ist. Ich möchte aber eines nicht unerwähnt lassen: Leider Gottes wird an den Hochschulen unserer akademischen Jugend nicht in dem nötigen Umfang die entsprechende Achtung vor den Trägern des politischen Willens, das heißt den Parteien, vermittelt. Es wäre die Aufgabe unserer Hochschulen, der akademischen Jugend deutlicher als bisher klarzumachen, daß die politischen Parteien ein erhebliches Verdienst an der politischen Erziehung des Volkes haben, und man sollte sie in ihrer Aufgabe erheblich unterstützen und einmal versuchen, die häufigen Vorurteile bei der akademischen Jugend gegenüber der Parteibürokratie durch eine Art der Erziehung auszurotten. Wir wären außerordentlich dankbar dafür, wenn nicht durch alle möglichen Hinweise darauf, daß nun irgendein Wahlsystem daran schuld sei, daß es so lange schief gegangen ist, ihr Mißtrauen gegen die Parteien und die Wahlen gestärkt würde. Wenn weiter bezüglich der Stellungnahme zum Mehrheits- und Verhältniswahlrecht auf die guten Engländer hingewiesen wird, so möchte ich doch bitten, nicht aus dem Auge zu lassen, daß sich das Mehrheitswahlrecht dort als prüfender Teil in der Verteidigung befand. Die Engländer überprüften nämlich, was gegenüber einem Mehrheitssystem, das bei ihnen eine lange Tradition hatte, nun neu kommen sollte, und Sie alle wissen ja, daß man sich überall sehr energisch und mit allen Mitteln gegen Neuerungen wehrt. Sie sind jetzt praktisch in einer ganz ähnlichen Lage, wenn sie sehen, wie man sich bei uns gegen das rein englische Wahlrecht wehrt. So bedeutet es auch nichts weiter als das Beziehen einer Abwehrstellung, wenn das Votum in England umgekehrt ausgefallen ist, als es bei uns der Fall gewesen wäre. Auch das ist aus diesen Dingen erklärbar.
24)
v. Brentano, G. Kroll sowie der Sachverständige Reichskanzler a. D. H. Luther. Bei den anderen Befürwortern des reinen Mehrheitswahlsystems war die Mitgliedschaft in der Deutschen Wählergesellschaft nicht nachweisbar.
H.
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Weiter fielen hier die Namen von Professoren, unter anderem auch der von Prof. Jellinek. Es ist den Mitgliedern des Ausschusses und doch wohl auch den Herren der Wählergesellschaft durchaus bekannt, daß Herr Prof. Jellinek unbedingt davor warnt, in Deutschland ein reines Mehrheitswahlrecht einzuführen und gerade die Tatsache zurückweist, daß man das Verhältniswahlrecht immer automatisch mit einem reinen Listenwahlrecht, mit unpersönlichen Wahlen und allem möglichen identifiziert. Prof. Jellinek weist eindeutig darauf hin, daß das Reichstagswahlrecht von Weimar zwar eine ganze Menge von Mängeln hätte, daß aber mit der Einführung einer Personenwahl in das Verhältniswahlsystem
diese
durchaus zu umgehen und zu beseitigen wären25). Worte zu den Ausführungen von Herrn Walk! Wenn die Wählergeeinige sellschaft immer verlangt, daß das Wahlrecht so simpel wie möglich sein müsse, um auch dem einfachsten Mann auf der Straße verständlich zu sein, so gestattet ich mir in diesem Fall etwas anderer Auffassung zu sein. Nicht in einer hochgradigen Simplifizierung liegt der Wert eines Wahlrechts. Natürlich soll es begriffen werden, und der Wähler möchte auch das Gefühl der Gerechtigkeit und der vollen Bewertung seiner Stimme haben; er möchte wissen, daß er nicht Gefahr läuft, seine Stimme auf Gedeih und Verderb negativ abzugeben. Und das Gefühl können wir nicht vermitteln. In Gegenden einer ganz bestimmten Struktur wissen wir ganz genau, daß weite Wählerkreise, die sich diesen nun zufällig vorherrschenden Mehrheitsverhältnissen nicht entziehen können, von vornherein das Gefühl haben, daß sie hier auf verlorenem Posten kämpfen und ihre Stimme einfach nicht verwerten können, so daß bei einseitig strukturierten Gegenden eine ganz starke Wahlabstinenz eintritt, weil sich die Leute sagen: Es ist ja sowieso zwecklos, denn bei einer rein relativen Mehrheit können wir auf diesem Wege nicht durchkommen. Und da sie keinerlei Verwertungsmöglichkeit ihrer Stimmen eventuell auch außerhalb ihres Wahlkreises zur Unterstützung von Leuten ihrer Grandauffassung finden können, werden sie eben jetzt zur politischen Apathie verurteilt. Das Fluktuieren von rechts nach links und von links nach rechts, das als ein Vorzug des Zweiparteiensystems bezeichnet wird, kann sehr zweifelhafter Natur sein; denn man kann sehr zweifeln, ob es wirklich gut ist, die Staatspolitik und ihre Entscheidungen nun gerade nach jedem Teile des Volkes zu richten, der mit jeder Kleinigkeit unzufrieden ist und heute hier und morgen dort ist. Man kann sehr zweifeln, ob das ein Vorzug ist und eine Entwicklung zu einer wirklich demokratischen und politischen Erziehung des Volkes bedeutet. Ihr Hinweis auf die Regierungsfähigkeit das wird übrigens auch von Jellinek ist keineswegs richtig. Jellinek bringt Beispiele aus dem Bisunterstrichen marckreich, umgekehrt aber auch aus Schweden usw., wo das Verhältniswahlrecht durchaus zu regierungsfähigen Mehrheiten geführt hat26). Man hilft sich nicht dadurch, daß man nun einfach sagt: Ja oder nein und damit praktisch
Mängel
Nun
—
—
—
Vgl. hierzu auch Diederichs' Ausführungen in der 3. Sitzung (siehe oben Dok. Nr. 3. TOP 2 c). Zu Jellineks Thesen selbst siehe auch oben S. 62. ') Vgl. Jellineks Aufsatz (siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 84) von 1946 und sein Schreiben vom 14. Sept. 1948 an den Pari. Rat (Drucks. Nr. 72).
')
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diese Entscheidung den Wählern überläßt. Denn das Komproman sagt misseschließen, das Zusammenarbeiten auf der politischen Basis wird nicht mit einem einzigen Akt der Wahl von Menschen entschieden, sondern von Fall zu
wie
—
Fall sind die verschiedenartigsten Dinge zu prüfen. Und da ist es eben die Aufgabe der Politiker, Wege zu finden, auf denen eine Einigung möglich ist. Wir können es den Parlamentariern, wir können es den Repräsentanten des Volkes, die wir in einer repräsentativen Demokratie wählen, nicht ersparen, diese Frage nun ernsthaft zu prüfen und durch die Geschäftsordnung, durch die Verfassung und andere Möglichkeiten der Gestaltung der Parlamentarischen Arbeit die notwendigen Mittel zu finden, zu einer arbeitsfähigen Regierung zu kommen. Weiter war von Interessentengruppen die Rede gewesen. Meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, wenn wir zu den Einzelkämpfern in den kleinen Wahlkreisen kommen, finden sich irgendwie und irgendwo außer den politischen Parteien Interessentenkreise, Industriekreise usw., die irgendeine Persönlichkeit mit ihren Mitteln ausstatten, herausstellen und mit dem nötigen Gewicht, was dahinter steht im Wahlkampf, gerade wo es um den Kampf Mann gegen Mann geht, möglicherweise ihre Interessen durchsetzen. Außer den Parteien bekommen wir möglicherweise einen Aufmarsch von Berufsgruppen, von allen möglichen. Wir laufen Gefahr, daß wir die ganze politische Skala um alle möglichen einzelnen Interessentengruppen vermehren. Es wurde auf die Aufwertungspartei und auf alles, was sich früher gebildet hat, hingewiesen. Genau so bietet sich heute die Möglichkeit, Einzelkandidaten mit relativer Mehrheit durchzubringen, allen möglichen Interessentengruppen, die mit den nötigen Mitteln ausgestattet sind, solche Leute zu forcieren, einen Mann mit gutem Namen zu finden und im Wahlkampf auftreten zu lassen. Eine Garantie gegen solche Erscheinungen bietet das reine Mehrheitswahlrecht auf keinen Fall. Die Aufgabe, die sich die Deutsche Wählergesellschaft gestellt hat, bei der Bevölkerung und speziell bei den Frauen ein höheres Interesse für die politischen Aufgaben zu erwecken, kann man meines Erachtens nicht dadurch erfüllen, daß man den Menschen nun von vornherein zu verstehen gibt, daß ein großer Teil der bei einer Wahl abgegebenen Stimmen, soweit sie sich nicht zufällig auf den Favoriten erstrecken, praktisch unter den Tisch fällt und verloren geht. Wir sind der Wählergesellschaft sehr dankbar, wenn sie ein größeres Verständnis für die politischen Aufgaben und für die Aufgaben der politischen Parteien in der Bevölkerung erweckte. Wir sind aber nicht der Auffassung, daß man das mit irgendeinem Wahlsystem 100%ig erreichen könnte. Was Herr Walk sagt, ist richtig: Das Wahlrecht ist einer der Faktoren, die an der politischen Gestaltung und an der Entwicklung zur Demokratie mitwirken. Davon bin auch ich überzeugt. Ich bin auch weiter davon überzeugt, daß es wahrscheinlich kein Wahlsystem gibt, das alle Wünsche 100%ig erfüllt. Es gibt kein Wahlsystem, das das objektiv richtige ist. Ja, es gibt möglicherweise nicht einmal eins, das das objektiv allein beste ist. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, daß diese krasse Unterscheidung von schwarz und weiß, von ja und nein, noch dazu in kleinen Wahlkreisen geführt, unter dem Gesamtaspekt des Deutschen Bundes, den wir jetzt gründen wollen, nicht richtig ist. Kein Mensch wird uns suggerieren können, daß etwa ein Vertreter, der in einem kleinen Wahlkreis mit 37 257
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oder 38% der Wähler gewählt worden ist, sich als der Repräsentant dieses Gebietes fühlen kann, ohne daß man es fiktiv auffaßt. Und wenn hier zum Ausdruck kam, daß man diesen Gebieten das Gefühl geben wolle, daß sie eine Einheit darstellen, dann muß ich sagen, daß es geradezu ein Unglück wäre, wenn wir dahin kommen sollten, daß die Wahlkreise nun gleich in sich eine Einheit bilden, vertreten durch Schulze oder Meier im Landesparlament. Wir Konfessionen usw. —, daß wir keihaben so viele Einheiten in den Ländern ne Veranlassung haben, hier nun konstruktiv noch neue Einheiten zu schaffen. Wir haben Kommunalfanatiker, die nicht mehr sehen als ihren Kreis und ihren Regierungsbezirk. Sollen wir hierzu noch die Fanatiker für den Wahlkreis schaffen? Ich glaube, wir würden damit dem Gedanken des Aufbaues, den wir vorhaben, keinen Gefallen tun. Die Vorzüge dieses sogenannten relativen Mehrheitswahlsystems scheinen mir also sehr zweifelhafter Natur zu sein, und man sollte es sich sehr überlegen, ehe man sich kurzerhand für ein solches System entscheidet. Mir ist jedenfalls die Warnung von Herrn Prof. Jellinek eine Warnung von erheblichem Gewicht, und ich möchte mich auch meinerseits dieser Warnung anschließen. Versuchen wir, ein modifiziertes Verhältniswahlrecht unter ausdrücklicher und starker Betonung der Personenwahl herauszubringen. Damit werden wir all dem gerecht, was bei uns etwas historisch Gewordenes, und was auf der anderen Seite geeignet ist, eventuelle Mängel, die sich aufgrund früherer Erfahrungen als solche herausgestellt haben, abzustellen. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich eine Bitte aussprechen! Vielleicht könnten Sie bei dieser Aussprache noch die Frage erörtern, warum Sie bei Ihrem Vorschlag für den zweiten Wahlgang die Stichwahl zwischen den Trägern der meisten Stimmen des ersten Wahlgangs vorsehen und nicht auf das relative Wahlrecht zurückkommen. —
[Id. Die Bedeutung eindeutiger Mehrheiten für die Stabilität des
Mißverständnis, das auch hier schon wieabzuschneiden vornherein versuchen, nämlich den Veraufgetaucht ist, dacht, daß wir der Meinung wären, als könne man mittels des Wahlverfahrens unbedingt zu einer besseren Auslese kommen, als seien die Kandidaten, die in Nordrhein-Westfalen oder Hannover in den Wahlkreisen direkt gewählt werden, besser als die, die auf dem Wege der Reststimmenberechnung ins Parlament hineingekommen sind. Es liegt uns fern, das anzunehmen, und es liegt uns auch fern, zu glauben, daß man nun ohne weiteres hierbei aufgrund des Wahlverfahrens eine bessere Auslese treffen könnte. und damit möchte ich gleich den nächsten Punkt berühWorum es uns geht ren, das, was Herr Prof. Bühler schon erwähnt hat, nämlich die Apathie der Juist die politische Frage, die in dem Begriff des Mehrheitsentscheides gend liegt, in der strukturellen Situation, die sich ergibt, daß in Wahlkreisen durch Mehrheiten Kandidaten abgeordnet werden, und daß sich durch dieses Verfahren naturgemäß in den Parlamenten klarere Mehrheiten herausbilden. Das ist Dr.
v.
Hartmann: Ich möchte
politischen Systems]
der
von
—
—
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nur
ein
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nicht immer verständlich, es ist aber das wesentliche, worauf es uns ankommt. Wir haben in den anderthalb Jahren, in denen wir uns um diese Frage bemühen, einen engen und umfassenden Kontakt nicht nur mit den Kreisen der Jugend gehabt, die Herr Prof. Bühler vorhin charakterisiert hat, sondern überhaupt mit der Bevölkerung, und wir hätten es sehr leicht gehabt, uns eine vielseitige, interessante und zustimmende Presse zu verschaffen, wenn wir den Kampf gegen die Parteien aufgenommen hätten. Es ist nämlich so, daß nicht nur in der Jugend die politischen Parteien unerwünscht sind, sondern daß in weiten Kreisen der Bevölkerung eine durchgreifende politische Apathie, verbunden mit einer ausgesprochenen Aversion gegen die Parteien überhaupt vorhanden ist. Wir haben es uns aber zum Ziel gesetzt, ganz im Sinne Ihrer Ausführungen, Herr Abg. Diederichs, mit den Parteien zu kämpfen, und haben das schon auf unserer ersten Pressekonferenz vor eineinhalb Jahren zum Ausdruck gebracht, wo wir gesagt haben, wir führten einen Kampf mit den Parteien gegen die Gefahren, in denen sich die Parteien befinden27). Und die Hauptgefahr ist eben der Stimmenverdas brauche ich nicht noch einmal anzuführen die daß beim ist Verhältniswahlverfahren wirklich Stimmen verlust, Tatsache, loren gehen. Das Verhältniswahlverfahren behauptet nämlich vom Mehrheitswahlverfahren, daß die Überschußstimmen der nicht erfolgreichen Kandidaten verloren gingen. Gewiß, sie gehen zahlenmäßig verloren. Aber die großen Parteien, die wichtigen politischen Gruppen in der Bevölkerung, gewinnen Stimmen. Beim Verhältniswahlverfahren verlieren die großen Parteien Stimmen an die Splitterparteien, und das hat die kritische Situation zur Folge gehabt, die das Verhältniswahlverfahren mit sich bringt. Das brauche ich hier nicht noch einmal auszuführen. Wir maßen uns gar nicht an, Ihnen etwas Neues sagen zu wollen; denn Sie beschäftigen sich im allerhöchsten Auftrag schon seit vielen Wochen mit dieser Frage. Und weiter: Wenn man sagt, daß beim Mehrheitswahlverfahren Stimmen verloren gingen und kleinere Parteien nicht zum Zuge kämen, so liegt das daran, daß der Proporz das Vorhandensein von Parteien in der Bevölkerung präjudiziell. Er tut so, als ob in der Bevölkerung die Parteien vorhanden wären. Und das entspricht eben nicht den Tatsachen, wenn wir das hier vorbringen, tun wir es wirklich nur als eine Warnung in unmittelbarem Kontakt mit der Bevölkerung. Sie wissen sehr genau und wissen besser als wir, daß in Deutschland —
27)
—
Bereits in dem „Aufruf gegen das Verhältniswahlrecht" vom 15. Dez. 1946 (Der Tagesspiegel, Nr. 294 Beiblatt) hatte die „Aktionsgruppe Heidelberg" versucht, mittels Unterschriftensammlung, zu denen in verschiedenen Tageszeitungen aufgerufen wurde, die öffentliche Meinung für das reine Mehrheitswahlsystem zu gewinnen (Dolf Sternberger: Zu hundertfünfzig Briefen, in: Die Wandlung 1 [1946], auch abgedruckt in, ders.: Die große Wahlreform. Zeugnisse einer Bemühung, Köln/Opladen 1964, S. 42—57). In der Folgezeit wurden die Namen der neuen Unterzeichner des Aufrufs regelmäßig veröffentlicht (Der Tagesspiegel vom 8. Feb. 1947 und 23. Feb. 1947). Anfang Mai 1947 trat die Aktionsgruppe nochmals mit dem Aufruf, auf den Hartmann hier anspielt, an die Öffentlichkeit. Vgl. hierzu auch den Bericht G. B. von Hartmanns über die Gründungsphase der Deutschen Wählergemeinschaft, in: Mitteilungen Juli 1947, S. 4. Dabei wurde vor allem auch deutlich, daß die DWG von Beginn an Wert darauf legte, „daß alle Parteien wie parteilose [. .] in der Vereinigung vertreten seien" (ebenda). .
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etwa 4% sämtlicher Wähler überhaupt in Parteien organisiert sind. Die übrigen 96% setzen sich zu ungefähr 20 bis 30% aus grundsätzlichen Nichtwählern und zu ungefähr bis 20 bis 30% aus Leuten zusammen, die am Tage der nur
Wahl noch gar nicht wissen, -welche Partei sie wählen sollen. Es sind also nur 4%, die einer Partei angehören, und dann gibt es noch einige, die einer bestimmten Partei nur zustimmen, ohne ihr anzugehören. Und diese Parteien sagen nun: Wir müssen den Proporz haben, denn der Proporz sichert die Gerechtigkeit. Welche Gerechtigkeit denn eigentlich? Die Gerechtigkeit, daß nun 20 bis 30 Leute, die am Tage der Wahl noch nicht wissen, welcher Partei sie ihre Stimme geben sollen, irgendeine Partei wählen, um sich demokratisch zu verhalten? Die Gerechtigkeit führt dahin, daß diese Leute irgendeine Partei wählen, die ihren persönlichen Interessen im Augenblick am allermeisten entspricht. (Vors. [Dr. Becker]: Und beim Mehrheitswahlrecht?) Beim Mehrheitswahlverfahren ich danke für das Stichwort! sind die großen Parteien genötigt, vor der Wahl7, bei der Wahl und nach der Wahl um die große und breite Masse der Bevölkerung, der Nicht-Wähler und der unbestimmten Wähler zu kämpfen, um sie zu werben, was bei der Wahl dazu führt, daß zwangsläufig von diesen großen und breiten Schichten der Bevölkerung Stimmen für die großen Parteien gewonnen werden und diese Stimmen nicht wie beim Proporz verloren gehen. Aber ich meine, es führt eigentlich schon zu weit, diese Dinge auszuführen, denn die geschichtlichen Vorbilder sind ja da, und außer in Deutschland sind die Beispiele ja deutlich genug vorhanden. Und damit möchte ich auf einen anderen Punkt kommen, nämlich auf die Charakterisierung der Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen durch Herrn Prof. Bühler. Es mag sein, daß die von ihm angegebenen Zahlen im einzelnen nicht stimmen. Tatsache ist aber, daß nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Hannover, wenn sich die Parlamente aus den Abgeordneten zusammensetzten, die im direkten Wahlgang in Einmannwahlkreisen durch relative Mehrheit gewählt worden sind, die CDU und die SPD klare Regierungsparteien wären, und zwar in Nordrhein-Westfalen die CDU und in Hannover die SPD28). Durch die Reservelisten haben die kleinen Parteien eine erhebliche Anzahl von Stimmen bekommen. Die größte Partei— in Hannover die SPD, in NordrheinWestfalen die CDU hat jeweils nur eine relativ kleine Zahl von zusätzlichen Sitzen bekommen, und es ist im ganzen das Bild der Proporz-Volksvertretung entstanden, das Bild einer Volksvertretung, in der keine klaren Mehrheiten vorhanden sind und die kleinen Parteien eine entscheidende Rolle spielen, einer Volksvertretung, in der, wie wir es erlebt haben, eine Regierung wegen einer gemessen an unseren sonstigen Schwierigkeiten nicht so furchtbar entscheiden—
—
—
—
28) Aus den niedersächsischen Landtagswahlen vom 20. April 1947 war die SPD mit 43,4% der Stimmen (65 Mandate) deuüich als stärkste Partei vor der CDU (19,9%, 30 Mandate), der DP (17,9%, 27 Mandate), der FDP (8,8%, 13 Mandate), der KPD (5,6%, 8 Mandate) und dem Zentrum (4,1%, 6 Mandate) hervorgegangen (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 48). Zu den
260
Ergebnissen
der
Landtagswahl
in NRW siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 46.
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den
Frage, wie der, ob 20 Grundbesitzer mehr oder weniger enteignet werden sollen, gestürzt wird und das Land wochenlang ohne Regierung bleibt. (Heiland: Das ist aber sehr entscheidend!) Das Volk wird
es nicht als entscheidend empfinden, jedenfalls nicht geSchwierigkeiten, vor denen wir stehen. Schleswig-Holstein ansehen, so hat es ebenfalls ein modifiziertes Mehrheitswahlverfahren, aber ein sehr begrenzt modifiziertes. Dort bestehen sehr glückliche politische Verhältnisse. Dort besteht eine sehr klare Regierungsmehrheit, nämlich die SPD, und eine ebenso klare Opposition29). Der Oppositionsführer ist in Erkenntnis der Wichtigkeit seiner politischen Aufgabe politisch staatlich besoldet30). Besser kann man es nicht haben. Und dieses Beispiel aus Deutschland zeigt, daß man auch in Deutschland durchaus angelsächsische Verhältnisse schaffen kann, wenn man die technischen Voraussetzungen dazu
den Wenn Sie sich —
messen an
schafft.
Aufgabe hier kann und soll nur sein, Ihnen diese Dinge in der ganzen Wichtigkeit, in der sie tatsächlich von den breiten Massen der deutschen Bevölkerung gesehen werden, vor Augen zu führen und vielleicht noch eine letzte Warnung auszusprechen. Unsere
[le. Historische Belastung des Verhältniswahlsystems durch die Erfahrungen der Weimarer Republik] Konrad Mommsen: Meine Damen und Herren, ich möchte nur einiges zu den Ausführungen von Herrn Dr. Diederichs in Ergänzung der Ausführungen von Herrn v. Hartmann sagen. Da ist zunächst einmal die Frage der Propaganda. Sie haben Herrn Prof. Bühler empfohlen, die Professoren möchten bei der akademischen Jugend mehr tun. Meine Herren, wir sollten doch alle gelernt haben, daß mit Propaganda nichts zu machen ist. Man unterstellt der Deutschen Wählergesellschaft, sie mache eine große Propaganda. Herr Walk hat aber schon gesagt, daß wir leider gar kein Geld dafür haben. Es ist aber so: Weil wir mit ganz wenigen Sachen, die wir herausgegeben haben31), tatsächlich eine sehr große Resonanz bei der Bevölkerung finden, glauben wir unsere Ansicht bestätigt zu sehen, daß wir auf dem rechten Wege sind. Mit Propaganda allein ist nicht viel anzufangen. Wenn die
29) In Schleswig-Holstein konnten nach der Wahl
vom 20. April 1947 nur drei Parteien wobei sich eine klare Mehrheit für die SPD bildete: SPD 43,8% (43 Mandate), CDU 34,0% (21 Mandate), SSW 9,3% (6 Mandate). 30) Oppositionsführer im schleswig-holsteinischen Landtag war Carl Schröter. Zu seiner Person siehe oben Abschnitt 1 b der Einleitung. Vgl. auch Schröters Ausführungen diesbezüglich vor dem Hauptausschuß am 22. Feb. 1949 (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 690) und Wilhelm Käber: Oppositionsführer und parlamentarische Ministerstellvertreter, angelsächsische Einflüsse im Kieler Landtag, in: Das Parlament, Nr. 2—3 vom
Landtagsmandate erringen,
8. Jan. 1964. 31) Zu den Publikationen der DWG gehörten vor allem die regelmäßig erscheinenden „Mitteilungen". Darüber hinaus traten die Mitglieder der DWG mit einzelnen Beiträgen zum Wahlrecht in diversen Zeitschriften an die Öffentlichkeit.
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Parteien die Jugend, von der Herr Prof. Bühler gesprochen hat, aber auch die andere Jugend umwerben, dann müssen sie sich selber so präsentieren, daß die Jugend ihr folgt. (Heiland: Das werden wir schon fertig kriegen!) Was nun die Frage der Personenwahl angeht, so habe ich aus der Diskussion und auch aus den Unterhaltungen, die wir schon vorher geführt haben, ersehen, daß wir darin durchaus einer Meinung sind. Der Gedanke der Personenwahl hat sich schon tatsächlich mehr, als ich vor meiner Anwesenheit hier in Bonn wußte, durchgesetzt, nicht hingegen unser anderer Punkt, die Mehrheitswahl. Herr Prof. Jellinek hat Ihnen ja vorgeschlagen, eine Vereinigung von Personen- und Verhältniswahlrecht zu schaffen, und das stimmt anscheinend mit Ihrem Gedanken weitgehend überein. Herr Walk hat nun Herrn Prof. Jellinek zitiert. Wir würden Ihnen sehr gern diese Reichtstagsdrucksache auch einmal zugänglich machen. Es ist wirklich eine sehr nützliche Lektüre, aus der man ersehen kann, mit welchen Argumenten der damalige Reichsinnenminister Dr. Wirth32) diesen Vorschlag von Herrn Prof. Jellinek, der übrigens der gleiche ist wie der, der hier gemacht wird, und Prof. Thoma ist übrigens auch der gleiche Mann, aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit ablehnt. Sie werden darin sehr viel von dem finden, was Ihnen heute von dieser Seite des Tisches her vorgetragen worden ist. Wenn hier gerade Herr Dr. Diederichs von der Entwicklung spricht, die sich unter dem Verhältniswahlrecht vollzogen hat, und wie sie unter dem Mehrheitswahlrecht stattfinden soll, dann spricht er von den Parteien als von Gegebenheiten, wie sie z. B. jetzt hier im Parlamentarischen Rat sind, nämlich von den politischen Parteien, und wie sie hier vertreten sind. Hier existieren ja tatsächlich nur politische Parteien und nicht sogenannte Parteien, die tatsächlich aber nur reine Interessentengruppen sind, wie das in den späteren Jahren der Weimarer Verfassung der Fall gewesen ist. Das ist ja gerade die große Gefahr der Beibehaltung des Verhältniswahlrechts und auch der Beibehaltung des Verhältniswahlrechts mit gewissen Restbeständen. Solange man überhaupt am Verhältniswahlrecht festhält, läßt man Tür und Tor für die Etablierung politischer Interessentengruppen als Parteien offen. Ich bin der Ansicht, daß das heute eine noch viel größere Gefahr für die nächsten Jahre darstellt als vor 25 Jahren in der Weimarer Zeit. Sie brauchen nur an all das zu denken, was damit zwangsläufig zusammenhängt. All diese Fragen, die außerordentlich vielen Interessen, die da vorhanden sind, werden die Leute dazu bringen, eben nicht politische Parteien, sondern Flügelparteien zu wählen, mag es die Aufwertungspartei oder sonst eine Partei sein, die sich hier auftun wird. Wenn Sie dagegen das Mehrheitswahlrecht haben, dann schließen Sie die Tür für die Etablierung solcher Interessentengruppen. Und deshalb treten wir für das reine Mehrheitswahlrecht ein. Denn es ist ausgeschlossen, daß in einem Wahlkreis eine Interessenten-
politischen
32) Dr. Josef Wirth (6. Sept. 1879-3. Jan. 1956), Zentrumspolitiker, Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und MdR 1919 bis 1933. Nach der Bekleidung verschiedener Fachressorts im Reichskabinett und einer kurzen Amtsdauer als Reichskanzler (1921/22) Wirth 1930/31 Reichsinnenminister (vgl. oben Anm. 15).
war
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gruppe, die doch immer nur einen bestimmten Ausschnitt hat, und neben der noch andere auftreten werden, eine Chance gegen die politischen Parteien mit ihren doch immerhin sehr erheblichen Organisationen hat. Denn unter dem Mehrheitswahlrecht werden die Kandidaten von den Parteien präsentiert, da ein Kandidat ja nur mit einer Partei in den Wahlkampf gehen kann. In diesem Punkt muß ich also Herrn Dr. Diederichs absolut widersprechen. Wenn also das Verhältniswahlrecht selbst mit irgendwelchen Modifikationen beibehalten wird, dann wird nach meiner Überzeugung die gleiche Entwicklung, und zwar noch viel katastrophaler und wahrscheinlich auch viel schneller als in der Weimarer Zeit eintreten. Denn damals ist es bekanntlich schon so gewesen, daß nur die Nationalversammlung ein Parlament mit einer republikanischen Mehrheit gewesen ist. Schon der erste Reichstag hatte keine Mehrheit der eigentlich republikanischen Parteien, wozu ich im übrigen, um mich klar auszudrücken, die SPD, das Zentrum und die Demokraten der damaligen Zeit rechne33). Und wenn Sie sich die Wahlergebnisse der Weimarer Zeit bildlich vorstellen, so sehen Sie, wie von Reichstag zu Reichstag diese eigentlichen staatstreuen Parteien mehr und mehr zusammenschrumpften und sich außerhalb dieser Parteien staatsfeindliche Parteien oder Interessentengruppen betätigten. Ich fürchte, daß wir genau die gleiche Entwicklung bekommen werden, wenn wir am Verhältniswahlrecht festhalten. Sie müssen die Interessentengruppen in die Parteien zwingen, dann bekommen Sie das Leben in die Bude, das sich die Parteien ja selber wünschen. Es wird ganz zweifellos für viele Parteien viel unbequemer werden. Aber die Herren haben mir ja immer wieder gesagt, daß sei ja gerade das, was sie wünschten; sie wollten ja gerade diese Leute in den Parteien haben. Das Aktuellste auf diesem Gebiet sind die Flüchtlinge. Daher müssen die Parteien die Flüchtlinge in sich aufnehmen und dafür sorgen, daß sich nicht besondere Flüchtlingsparteien bilden34). Nun darf ich noch kurz auf die Frage des Herrn Vorsitzenden, warum wir in unseren Vorschlag die Stichwahl aufgenommen hätten, eingehen. Wir haben uns ja an sich absolut für das relative Mehrheitswahlrecht hier eingesetzt. Wir haben das absolute Mehrheitswahlrecht nur deswegen mit einer Alternative vorgeschlagen35), weil innerhalb unserer Gesellschaft einige Herren das damals immerhin auch noch als eine Möglichkeit ansahen, wobei bei uns in der Ablehnung jedes Kompromisses mit dem Verhältniswahlrecht völlige Übereinstimmung geherrscht hat. Vors. [Dr. Becker]: Meine Frage lautete nicht, warum die Stichwahl alternativ vorgesehen wäre, sondern warum bei der Stichwahl auf die Wahl zwischen den zwei höchsten Ziffernträgern abgestellt sei und nicht auf die relative Mehrheit im zweiten Wahlgang.
33) Die „Weimarer Koalition" (vgl. oben Dok. 2, Anm. 82) errang bei der ersten Reichstagswahl am 6. Juni 1920 nur 43,6% der Stimmen und damit 227 von 466 Mandaten. 34) Tatsächlich bildete sich Anfang der 1950er Jahre der Gesamtdeutsche Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE). 35) Vgl. oben Dok. 2, Anm. 125. 263
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Konrad Mommsen: Das ist gerade das, worauf wir keinen großen Wert legen würden. Bei der geringen Bedeutung, die wir dem beimessen, könnte man darüber durchaus reden. Dr. Kroll: Ich möchte einmal etwas zugunsten des Verhältniswahlrechts sagen, denn ich glaube, daß ein sehr schwerwiegender Einwand gegen das Mehrheitswahlrecht von sehen der Vertreter des Verhältniswahlrechts vielleicht am Ende doch berücksichtigt werden müßte. Er scheint mir das A und O zu sein, und seine Klärung oder Nichtklärung wird vermutlich letzten Endes entscheiden. In Privatgesprächen mit anderen Kollegen des Wahlrechtsausschusses wird erklärt, das Mehrheitswahlrecht sei untragbar, weil es ja praktisch zur Abgabe der Stimme für einen Kandidaten zwinge, den man ja gar nicht haben wolle. Ich glaube, das war auch das Argument des Herrn Kollegen Dr. Diederichs36). Praktisch ist die Situation doch so: Da wird wohl zugegeben, daß das Mehrheitswahlrecht eine starke formende Kraft für eine Vereinheitlichung der Parteien hat. Aber das scheint mir bei den Diskussionen überhaupt nicht herausgekommen zu sein, daß eine ganz große Gruppe der hier anwesenden Vertreter das aus gewichtigen Gründen gar nicht will. Es wird immer das andere Argument gebracht, daß diese Erscheinung nicht eintreten wird. Man hat manchmal den Eindruck, daß oft überhaupt das Entgegengesetzte gesagt wird. Aber es kommt gar nicht darauf an: Die Hauptsache ist, daß eine Methode abgelehnt wird. Das scheint der springende Punkt zu sein, den man herausarbeiten will. Man will grundsätzlich eine Zusammenschweißung von Gruppen, die auf verschiedenem Boden stehen, gar nicht haben. Das entspricht den deutschen Rechtsverhältnissen, das entspricht irgendwie dem Willen, den wir hier immer wieder bekundet finden. Herr Dr. Diederichs hat z. B. erklärt, die Apathie der Wähler würde dadurch wachsen, wenn sie gezwungen würden, ihre Stimme für nur einen Kandidaten abzugeben, oder sich nur für zwei Kandidaten zu entscheiden, oder wenn ihre Interessen grundsätzlich nicht vertreten sind. Ich glaube, das ist auch die Anschauung von Dr. Becker. Und das muß man insoweit ernst nehmen, da man natürlich, wenn man sich heute hier zusammensetzt, um ein Mehrheitswahlrecht zu diskutieren, über diese Linie einfach nicht hinwegkommen kann; denn es ist eine Willensentscheidung und keine Entscheidung der Logik oder der vernünftigen Einsicht im Zuge der staatlichen Re-
gierungsbildung. Ich halte dieses
Argument für gewichtig, und ich glaube auch, daß
Art, wie sich dieser Kreis hier zusammensetzt,
Dinge hinwegzukommen.
Die
unmöglich
es nach der sein wird, über diese
Tatsache, daß sich in dem Verhältniswahlrecht
Differenzierungen auswirken können, daß gleiches Recht für alle gefordert wird, die eine derartige Berücksichtigung der Interessen oder der weltanschaulichen Ausrichtung wünschen, wird in Kauf genommen zugunsten der Tatsache, daß sich z. B. der Liberale nicht vergewaltigen zu lassen wünscht noch weitere
zwischen CDU und SPD.
36) Siehe oben TOP
1 c.
Neunte Es ist
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selbstverständlich, daß das hier irgendwie
ganz entscheidend ins Gewicht sage ich folgendes. Was die Anhänger des Mehrheitswahlrechts ist tatsächlich in gewissem Sinne ein Zusammenschweißen dieser Grup-
fällt. Und
wollen,
nun
was dem Willen dieser Gruppen nicht entspricht. Und das wird vermutlich am Willen der sich hier konstituierenden Mehrheit scheitern. Und damit haben wir ein Faktum gesetzt, das wir zunächst zur Kenntnis zu nehmen haben. Die Tatsache allerdings, die sich daraus ergeben wird, und die ich für durchaus entscheidend halte, daß wir nicht zu regierungsfähigen Mehrheiten kommen werden, wird von den Gruppen für nicht so entscheidend erachtet wie die Tatsache, daß ihre grundsätzliche Einstellung im Mehrheitswahlrecht nicht repräsentiert wird. Wenn die Engländer wiederum zugunsten der bestehenden Konstellation von der Möglichkeit einer solchen Differenzierung durch eine Reform ihres Wahlrechts abgesehen haben, so haben sie sich damit für eine starke Regierung entschieden. Das ist eine politische Entscheidung. Wir entscheiden uns anders und entscheiden uns vielleicht damit im Grunde gegen eine aktionsfähige Demokratie. Aber wir entscheiden uns grundsätzlich, weil wir glauben, daß wir diesen Dingen Spielraum geben müssen. Ich bin der Letzte, der eine solche Entscheidung eines anderen abzulehnen geneigt wäre. Ich akzeptiere sie voll und ganz und stelle das Faktum fest. Was daraus folgt, haben wir erlebt und werden wir ein zweites Mal erleben. Wir haben erlebt, daß dann, als die Differenzen ein bestimmtes Ausmaß erreicht hatten, die Mehrheiten, die man erstrebte, nicht zustande kamen, eben weil die Differenzen so stark waren, daß man nicht mehr miteinander koalieren konnte, oder daß die Koalition gesprengt wurde und die verantwortungsbewußten Vertreter jener Parteien mit Recht sagten: Wir können nicht koalieren, wir können die Regierung nicht bilden; daß aber auf der anderen Seite das Volk in eine außerordentlich gefährliche Situation kam und wem diese Differenzen nicht so bewußt waren, dem wurden sie durch die Wahlpropaganda bewußt gemacht —, indem es grundsätzlich zu der Einstellung kam, zu sagen: Es ist mir nicht so wichtig, eine Regierung zu haben, die meiner Nuance entspricht, wie eine Regierung zu haben, die nun auch regiert. Und das war der Punkt, den der Nationalsozialismus auszunutzen verstanden hat. Er hat bewußt auf die Schwächen des Systems hingewiesen und gesagt: Was wir euch versprechen, ist eine Sache für sich, aber eines versprechen wir euch, nämlich eine starke regierungsfähige Partei, die denn auch regieren wird. Und diese Gefahr sehe ich vor allem. Ich sehe die Gefahr, daß eine solche Situation wieder entstehen wird, in der das Volk einen extremen Teil zwar gar nicht will, mit seinem Programm zwar gar nicht einverstanden ist, aber doch zu einer solchen extremen Gruppe stößt, einfach weil sie ihr verspricht, die Differenzierung, die nicht mehr koalitionsfähig ist, zu überwinden und eine klare regierungsfähige Mehrheit zu schaffen und die Diktatur einzusetzen. Eins ist sicher: Die Geschichte haben wir hinter uns. Und ich weiß nicht, meine Damen und Herren, ob wir uns ein zweites Experiment auf der gleichen Grundlage noch einmal leisten können. Ich muß es sehr bedauern, daß das bisher noch nicht klar genug herausgestellt worden ist. Denn ich glaube, über das Versagen der Weimarer Demokratie können wir nicht einfach zur Tagesord-
pen, ist also etwas,
—
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Sitzung Und
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der guten Tradition der Demokratie gewir auf der anderen Seite auch nicht vergessen, daß diese Demokratie erst einmal vor die Hunde gegangen ist, bevor sie nung
übergehen.
wenn
von
sprochen worden ist, dann dürfen
den alliierten Besatzungsrnächten mühsam wieder hergestellt wurde. (Heiland: Ehe sie geboren worden ist!) Gut, aber das erhöht ja gerade die Gefahr, von der ich spreche. Und darum bitte ich, daß wir uns einmal ganz klar darüber werden: Wollen wir eine Zusammenschweißung der differenzierten Gruppen haben oder nicht? Ich glaube, daß der Differenzierungsprozeß auf der einen Seite weitergehen wird. Das haben wir ja erlebt. Andererseits sind andere Gruppen bereit wir freuen uns, daß der Vertreter der KPD freundlicherweise wieder unter uns ist37) —, uns die Integration zu schaffen, die wir nicht wünschen, und sie so zu verschärfen, daß dann die Einheit eines Tages sehr schnell wieder hergestellt sein wird, wobei dann aber nicht nach den differenzierten Standpunkten gefragt wird. Auch das haben wir bereits erlebt. Und aus dieser Sorge entsteht nun die Pflicht, uns klar zu werden, wofür wir uns entscheiden wollen: Entscheiden wir uns in der Demokratie zu einer gewissen Vergewaltigung einer Gruppe, die ich nicht bestreite, zugunsten dieser relativen Freiheit, die immer noch erhalten bleibt, oder zu einer Differenzierung auf kurze Zeit mit der Möglichkeit, beliebig paktieren zu können, was auch immer als Reaktion darauf kommen mag? Das sind die wirklichen Sorgen, die uns bewegen, diese Gedanken hier vorzutragen. Und das scheinen auch die Motive der Wählergesellschaft zu sein. Es könnte sein das klang aus den Worten des Herrn Hartmann durch —, daß die Worte ungehört verhallen. Gut, auch darüber wollen wir kein Wort verlieren. Dann darf ich aber eine Feststellung treffen: Dann ist die Atomisierung des Geistes so weit vorgeschritten, daß wir im Grunde zu einer echten Freiheit, zu einer echten Selbstverwaltung in der Demokratie nicht mehr fähig sind. Und das wäre die schlimmste Bankrotterklärung, die von uns vielleicht abgegeben werden könnte. Ich bitte, das sehr zu bedenken und zu glauben, daß keine anderen Gesichtspunkte maßgebend sind. Für mich spielen parteitaktische Gesichtspunkte keine Rolle. Aber die Bankrotterklärung des Volksgeistes liegt sehr wohl wieder im Bereich der Möglichkeit. Und wenn die Entscheidung entsprechend gefallen ist, werden wir uns auch damit abzufinden haben, daß wir die Integrationen der Mehrheit, die auf der anderen Seite marschiert, eines Tages zu akzeptieren haben aber nicht ohne daß die Warnung ausgesprochen wurde. von
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[lf. Vorzüge der Parteienvielfalt] Dr. Diederichs: Meine Damen und Herren, ich glaube Herr Dr. Kroll sieht die Dinge doch wohl etwas sehr überspitzt, denn ich habe hier mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß ich von einer Demokratie, d. h. von einer Volksherrschaft, von einer repräsentativen Demokratie, erwarte, daß ihre Parlamente wirklich
37) Nach dem Ausscheiden des Abgeordneten Paul hatte die KPD in der Vertreter in den Wahlrechtsausschuß entsandt.
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Sitzung keinen
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das Volk in seiner strukturellen Differenziertheit auch repräsentieren. Die großen Aufgaben, das Sichzusammenfinden zu koalitionsfähiger Arbeit, von denen Herr Kroll hier sprach, können wir nicht dadurch auf den Wähler abschieben, daß wir ihm einfach nur schwarz und weiß präsentieren, sondern das ist die Aufgabe derer, die wir als politische Exponenten in die Parlamente schicken, es ist die Aufgabe der Parlamente überhaupt. Und Herr Kroll sagte hier warnend, wenn es nicht gelänge, die Leute durch ein simplifiziertes Wahlrecht gewissermaßen in zwei große Lager hineinzuzwängen, dann würden wir in Zukunft wiederum diesen Verfall der Arbeitsmöglichkeit erleben. Ich bin bei weitem nicht so pessimistisch wie der Herr Abg. Kroll und halte das für Dinge, die durchaus im Parlament zu lösen sind. Ich möchte noch auf etwas zurückkommen, was ich vorhin vergessen habe. Das ist der unverhältnismäßige Einfluß, das sogenannte Zünglein an der Waage. Vor ungefähr anderthalb Jahren habe ich in der sozialdemokratischen Presse unter der Überschrift: „Ist das Zweiparteiensystem ideal?" einen Aufsatz veröffentlicht und es aus meiner Auffassung heraus grundsätzlich abgelehnt. Ich bin der Auffassung, daß die sogenannte entscheidende Rolle, die des Züngleins an der Waage, weit überschätzt wird; denn diese unbekannten Zünglein an der Waage können wohl von Fall zu Fall bei dieser oder jener Abstimmung mit der einen oder anderen jener großen Gruppen im Parlament zu einer Mehrheit kommen, wenn sie sonst nicht vorhanden ist. Das ist richtig. Und sie können sich auch für diese Unterstützung gewisse Konzessionen geben lassen. Wenn es aber darum geht, eine eigene Idee durchzusetzen, würde ihnen das nicht glükken. Denn dann müssen sie schon so manipulieren, daß sie ihre Wünsche einer der beiden Parteien so weit anpassen, daß sie für diese akzeptabel sind. Also die entscheidende Rolle des Züngleins an der Waage wird weitgehend überschätzt. Ich glaube, wir haben uns noch nicht genügend daran gewöhnt, daß man das Wort Kompromiß auch durchaus ohne bitteren Beigeschmack aussprechen kann; denn letzten Endes muten Sie ja dem einzelnen Wähler zu, mit sich selbst den Kompromiß zu machen, wenn es z. B. zur Stichwahl kommt. Und wenn die Diskreditierung der Parteien heute auf einem gewissen Höhepunkt steht, so halte ich das absolut für Nachwehen jener Zeit, als aus Parteigesichtspunkten heraus alle möglichen Vergewaltigungen an der Tagesordnung waren, als wir das Einparteiensystem hatten, was praktisch ein Zweiparteiensystem war, das aus der einen Partei bestand, die etwas zu sagen hatte, und aus der anderen Partei, die grundsätzlich von allen ausgeschlossen war. Und ich glaube, daß aus dieser kurz hinter uns liegenden Zeit so viele Vorurteile gegen alles, was sich Partei nennt, aufgestapelt sind, daß sie erst überwunden werden müssen, wenn wir den Kredit wieder herstellen wollen. Ich weiß, daß das in Ihren Ohren nicht sehr schön klingt. Praktisch beseitigen wir ja die Differenzierung im deutschen Volke nicht, sondern wir verlagern sie lediglich aus dem Parlament in die Partei, und Herr Mommsen hat hier sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß durch dieses Verlagern der verschiedenartigsten Gruppen in die Parteien die Parteien in sich selber so labil werden, daß es außerordentlich zweifelhaft ist, ob damit für eine verantwortliche Regierung unter solchen labilen Gebilden nun wirklich ein großer Vorteil erwächst. 267
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Eine solche Labilität innerhalb der Partei hat ihre Grenzen, und alle unsere Erfahrungen gehen darauf hinaus, daß, wenn diese Labilität innerhalb einer Partei überspitzt wird, sie zerplatzt und sich teilt. Dann kommen wir zur Aufsplitterung und auf diese Weise zu einer Parteibildung auf Umwegen; aber erledigt sind damit diese Differenzierungen nicht. Kommen wir zu klaren Entscheidungen, indem sich die Wähler für irgend welche grundsätzlichen Aufgaben entscheiden, sagen wir: zu Persönlichkeiten, die auf der anderen Seite in irgend einer Form ein klares Bekenntnis zu einer Richtung ablegen, so haben wir an sich eine saubere Differenzierung, eine saubere Lösung nach außen, und auf dem Parkett des Parlaments wird dann auf politischem Wege das durchgesetzt werden, was dort an Regierungsbildungs- und Gesetzgebungsarbeit zu erledigen ist. Ich habe das Vertrauen, daß das durchaus geht. Wenn wir endlich ehrlich und klar unseren Wählern nicht nur überspitzt parteiliche Wünsche vorsetzen, sondern, wie wir es draußen schon sehr viel und sehr ordentlich, gerade von den ordentlichen Vertretern verschiedener Regierungsparteien hören, die Wähler ganz klipp und klar und deutlich wissen lassen: Ich vertrete den und den Standpunkt, und gerade weil ich diesen fundierten Standpunkt habe, bin ich fähig zur Toleranz gegenüber anderen, die eine andere Auffassung haben, und gerade von meinem fundierten Standpunkt aus kann ich die Dinge aus einer ganz anderen Perspektive sehen, dann werden wir zu einer ganzen Arbeit kommen. Wenn das nicht möglich werden sollte, wäre das ein ganz großes Mißtrauen in die Möglichkeit der parlamentarisch-demokratischen Regierung überhaupt und führte letzten Endes zu dem, was Herr Kroll sagt: das Volk sucht sich den starken Mann, ob SED oder sonst etwas. Wenn diese Situation aber kommt, ist es eine revolutionäre Situation, und die wird über alles, was in unserem Protokoll steht, ohnehin mit einer Handbewegung hinweggehen. Dann kommen wir zu einer Vergewaltigung durch eine Minderheit, wie wir sie ja früher schon erlebt haben. Da also wahrscheinlich keins der System die 100%ige Lösung bedeutet, kann man sehr verschiedener Auffassung sein. Das kommt ja auch hier zum Ausdruck. Und ich bin der Ansicht, daß ein Parlament, welches eine Volksregierung repräsentieren soll, das Volk in seiner Struktur wiedergeben muß, und es muß auch innerhalb dieser Apparatur einen Weg finden, nun auch mit den hier vertretenen Meinungen des Volkes in seiner verkleinerten Form eine positive Aufbauarbeit zu leisten. Davon bin ich überzeugt, und das läßt mich für dieses Wahlrecht eintreten. Vors. [Dr. Becker]: Ich glaube, wir haben einen geeigneten Boden, auf dem wir alle miteinander debattieren können. Das ist folgender. Wir machen jetzt zum dritten Mal in Deutschland den Versuch, eine gute Demokratie aufzubauen38), und wir alle, meine Herren von der Deutschen Wählergesellschaft, und auch wir aus dem Ausschuß, wollen aus dem Vergangenen zu diesem Zweck lernen. Ich glaube, die Auffassung der Wählergesellschaft, daß das Proportionalwahlrecht der Weimarer Zeit an einer gewissen Verdrossenheit
38) D. h. nach den Revolutionen
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von
1848/49 und 1918/19.
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der Demokratie Schuld wäre, ist nicht so völlig unberechtigt. Das mit Wahlrecht den großen Listen und den großen Wahlkreisen war zweifellos nicht geeignet, den Wahlakt populär zu machen. Aber man kann den Aufbau der Demokratie nicht nur unter einem einzigen Gesichtspunkt sehen. Ich fürchte, Ihre Auffassung, die alles nur unter dem Gesichtspunkt des Wahlrechts sieht, ist zu eng. Es sind noch viele andere Dinge, die dabei mitzusprechen haben. Da ist z. B. die Frage der Gestaltung des Bundesrats, die Frage der Regierungsbildung, nämlich ob parlamentarisches System oder ein System nach Schweizer oder amerikanischem Muster. Alle diese Dinge können auch mitsprechen. Alle zusammen ergeben erst das Gesamtbild. Und nun will ich aufs Wahlrecht selber zu sprechen kommen. Ich habe die Zeit miterlebt, als das Mehrheitswahlrecht noch galt. Und Sie alle wissen aus der Geschichte, daß damals ganz Europa und viele Länder darüber hinaus um die gleiche Zeit vom MehrheitsWahlrecht zum Proportionalwahlrecht übergingen39). Warum? Alle Wahlrechte haben auch ihre Schattenseiten. Die Schattenseite des damaligen Wahlrechts zeigte sich darin, daß viele Deutsche und viele Kreise des deutschen Volkes nicht vertreten waren. Wählen heißt doch Vollmacht geben. Und die Vollmacht soll eben zweierlei Zwecke haben. Zunächst soll die Vollmacht eine gewisse Möglichkeit geben, zu arbeiten. Aber der Vollmachtgeber will auch sehen, daß er in irgend einer Weise bei der Art, wie die Vollmacht ausgeübt wird, zum Zuge kommt, daß er gewissermaßen mitsprechen kann. Wenn auf der Grundlage des Mehrheitswahlrechts versucht wurde, eine Regierung oder eine Volksvertretung zu bilden, dann führte das zu dem Ergebnis, nicht wegen daß sich viele Kreise unvertreten sahen und unbefriedigt waren der Wahlkreiseinteilung allein, sonderen überhaupt. Das führte nun zum Proportionalwahlrecht. Jetzt, nachdem wir es 35 Jahre lang exerziert haben, sehen wir in erster Linie nur die Schattenseiten des Proportionalwahlrechts, ohne zu bedenken, daß es auch seine Vorteile hat. Wenn geglaubt wird, wir kämen hier zu einem Zweiparteiensystem, so muß ich das aufgrund der deutschen Verhältnisse bezweifeln. Gesetzt den Fall, wir kämen dahin, dann bitte ich, sich folgendes zu überlegen. Wenn wir auf der Grundlage des relativen Mehrheitswahlrechts zu einem Zweiparteiensystem kommen, also so, daß unter Umständen nur 40% der abgegebenen Stimmen die Mehrheit bilden, und wenn wir nach dem parlamentarischen System dieselbe Mehrheit dann gleichzeitig die Exekutive bilden lassen also Trennung von Legislative und Exekutive nicht mehr vorhanden ist —, dann haben wir etwas, was nach einer wenn auch zeitlich begrenzten, aber immerhin vorhandenen Parlamentsdiktatur aussieht. Der Einwand, daß das Oberhaus bremsen könnte, zieht nur dann, wenn man das Oberhaus mit sehr viel mehr Machtmitteln ausstattet, als nur mit einem Veto, wie es jetzt der Länderrat40) hat, das nach vier oder acht Wochen schon wieder beseitigt werden kann.
gegenüber
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39) Siehe hierzu auch das Referat Thoma in der 2. Sitzung (Dok. Nr. 2). 40) Der Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (23. Feb. 1948—31. Aug. 1949) mit Sitz in Frankfurt/M. vertrat die Länder bei der Gesetzgebung, Einbringung und Zustimmung von Gesetzen des Wirtschaftsrates (Vogel, Westdeutschland I, S. 96 ff.). 269
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Ich bitte das bei unseren gemeinsamen Bestrebungen, die Demokratie nicht vor die Hunde gehen zu lassen, auch zu beachten. Und nun bedenken Sie bitte noch eins. Wenn Sie ein Zweiparteiensystem schaffen, dann zwingen Sie damit ganze Schichten und auch Teile des Volkes, die heute gewissermaßen in ihrer Partei ihre politische Heimat sehen, sich nach einer neuen Heimat umzusehen. Das kann zwei Folgen haben. Die eine ist die, daß die Leute nicht mitmachen; dann fallen bei der Willensbildung wertvolle Schichten aus. Und es kann die andere Folge haben, daß sich sehr tatkräftige Gruppen in eine Nachbargruppe hineinschieben und von dort aus versuchen, diese Partei unter ihre Fuchtel zu bringen, und dann ist es diese extreme Partei, die nun über den ganzen Apparat einer eingespielten und historisch gewordenen und nach dem Gesetz der Trägheit in breiten Volksschichten ewig bleibenden Partei verfügt. Es hat also alles seine Vorteile und seine Nachteile. Von einem Punkt allein aus können wir natürlich nicht kurieren. Die politische Lage, wie sie zur Zeh ist, müssen wir bei der Schaffung des Wahlrechts natürlich auch berücksichtigen. Wir müssen hier im Parlamentarischen Rat sehen, eine Verfassung zu schaffen, die von möglichst vielen Parteien zustimmend getragen wird, und wir müssen eine Verfassung schaffen, die von möglichst vielen Ländern zustimmend angenommen wird. Das ist keine ganz leichte Aufgabe. Stellen Sie sich wir vor, wir hätten hier im Parlamentarischen Rat das Zweiparteiensystem haben es beinahe! —, dann würden die Schwierigkeiten vielleicht größer sein, als wenn ich will die kleinen Parteien dabei gar nicht besonders herausstreichen deren aus dem Zwange, eine große Mehrheit zu schaffen, einsetzende vermittelnde Politik nicht vorhanden wäre. Übertragen Sie das auf künftige Parlamente, und Sie werden sehen, daß der Zweck, auf den ein Zweiparteiensystem hinsteuert, vielleicht doch nicht unbedingt der richtige ist. Die Schweiz kommt mit mehreren Parteien aus und regiert gut und hat mit dieser Verfassung 100 Jahre bestanden. —
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[lg. Politische und weltanschauliche Parteien] E.-P. Walk: Ich glaube, daß die verschiedenen Standpunkte sehr klar herausgekommen sind, und muß sagen, daß die Ausführungen von Herrn Dr. Kroll uns sehr ehrlich geklungen haben, so daß ich auch glaube, daß er völlig ehrlich ist, wenn er sagt, daß er diese Ausführungen nicht aus irgendwelchen parteitaktischen Gründen macht. (Vorsitzender: Wir auch nicht! Das sage ich für alle!) Ich sage das, weil ich selber seiner politischen Richtung nicht nahe stehe41). Der Vorwurf der Einseitigkeit, den uns der Herr Vorsitzende gemacht hat, trifft ja zum mindesten nicht meine Ausführungen; denn ich habe mich ja bemüht, darzulegen, daß die Bestrebungen der Deutschen Wählergesellschaft nicht einseitig auf die Schaffung eines bestimmten Wahlverfahrens gehen. Wir werden
41) Walk war Mitglied der SPD (siehe oben 270
Anm. 6).
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also auch nicht beleidigt in die Ecke stellen, wenn wir mit unseren Vornicht durchkommen42). Wir haben das auch nicht erwartet. Was mich sehr beschäftigt hat, ist der Vorwurf von Herrn Dr. Diederichs, daß durch die Wahlkreise eine neue Organisationsform zu den zahllosen in Deutschland schon vorhandenen spaltenden Organisationsformen geschaffen würde. Ich gebe zu bedenken, daß es ja eine Organisation der Wähler bei dem Verhältniswahlsystem überhaupt nicht gibt. Da ist die Masse nur Stimmvieh, wenn man es etwas scharf ausdrücken will. Außerdem bin ich der Ansicht, daß es ein Aberglaube des Innenministeriums ist, daß es völlig unmöglich sei, Verwaltungskreise und Wahlkreise zur Deckung zu bringen. Die Untersuchungen, die wir gemacht haben, zeigen, daß das gar nicht so schwierig ist, daß es sogar durchaus möglich ist und daß man dabei sowohl Wahlkreisgeometrie als auch grobe Ungerechtigkeiten vermeiden kann43). Das Kompromiß im Parlament! Das ganze Problem besteht darin, daß man aus unserer deutschen Vergangenheit nachweisen kann, daß das nicht richtig gelungen ist, daß dabei immer von Natur und Konstruktion schwächliche Regierungen entstanden sind. Man kann sagen, wenn sich die Engländer keine schwachen Regierungen leisten können, dann können wir es erst recht nicht. Im übrigen möchte ich auf den Vergleich mit England nicht näher eingehen, weil dort wirklich ganz andere Verhältnisse herrschen. Das Zünglein an der Waage! Im Grunde genommen war das Zentrum schon in dieser Lage, als es noch eine sehr kleine Partei war. Das Kompromiß wird den Wählern ja nur in den Wahlverfahren mit absoluter Mehrheit zugeschoben. Ich bin auch deswegen ein Gegner. Wenn man dagegen das relative Mehrheitssystem hat, muß ja der Gewählte das Kompromiß machen; er muß sich als der Abgeordnete seines Wahlkreises fühlen, wenn er einigermaßen Aussicht haben will, wiedergewählt zu werden. Das Einparteiensystem ist in Wirklichkeit nicht ein Zweiparteiensystem. Das sollte man nicht sagen. Denn wenn die Opposition nicht im Parlament vorhanden ist, dann ist ja gerade diese Schaukelbewegung, aus der die wirklich echte Politik besteht, nicht vorhanden. Und das Vorurteil, das heute gegen die Parteien existiert, wird meiner Ansicht nach so lange, wie wir ein Proportionalsystem haben, nicht ausgerottet werden können. Ich selber, der ich parteipolitisch organisiert bin, habe gerade für die eigene Partei die stärksten Befürchtungen. Natürlich sollen die Differenzierungen im Volke nicht ausgerottet werden. Aber die Differenzierungen können durchaus getragen werden, wenn wir echte politische Parteien und keine Weltanschauungsparteien haben. Sie sind natürlich dann gezwungen, tolerant zu sein. Und bei einem Proportionalwahlverfahren werden sie dadurch eben von einer verantwortungslosen Opposition stets in die größte Gefahr gebracht. uns
schlägen
Verabschiedung des ersten Bundestagswahlgesetzes fort und warb für das Mehrheitswahlsystem (vgl. Sternberger, Die große Wahlreform). 43) Siehe hierzu die „Begründung und Erläuterung zum Wahlgesetzentwurf der Deutschen Wählergesellschaft" (Mitteilungen, Sept. 1948, S. 6-12, bes. S. 8 ff.), wo ein detaillierter Vorschlag für eine entsprechende Wahlkreiseinteilung gemacht wird. 42)
Die DWG bestand auch nach der
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Dann die Parlamentsdiktatur! Wo ist die Grenze zwischen einer starken Regierung und einer Parlamentsdiktatur? Ich sehe da eigentlich keine Gefahr; denn die Diktatur zeichnet sich doch ihrem Wesen nach dadurch aus, daß sie auf unbestimmte Zeit weitergeht und keinerlei Opposition und keinerlei Kritik duldet. Solange wir überhaupt ein demokratisches System haben, wird eine derartige Diktatur aus der Mitte unserer politischen Skala meiner Auffassung nach nie entstehen. Und die Mitte hat auch die größte Stabilität, die größte Sicherheit gegen einen Umbruch von irgend einem Flügel aus. Es ist zweifellos in unserem Sinne ein großer Fortschritt, daß das Wahlgesetz, das hier gemacht wird, nur für die nächste Wahl gelten soll, und daß es sich zweitens jetzt schon klar herausstellt, daß das Verhältniswahlprinzip in das Grundgesetz nicht aufgenommen werden wird44). Noch ein Wort zu den Beispielen der Schweiz und Schwedens! Wenn die Dinge in der Schweiz funktionieren, so liegt es im wesentlichen daran, daß die Schweiz ein so kleiner Staat ist und außerdem sehr geschickt in Kantone eingeteilt ist, wie vor allem daran, daß dort eine Unzahl von Entscheidungen durch direkten Volksentscheid, durch das Referendum, herbeigeführt wird. Das sind Momente, die den Gefahren des Verhältniswahlsystems entgegentreten, die wir aber zweifellos in dem viel größeren Deutschland nicht nachahmen können. Was Schweden angeht, so ist ja dort fünf Tage, nachdem jener uns so kränkende Brief des Herrn Prof. Jellinek an den Parlamentarischen Rat veröffentlicht wurde45), dort das Wahlergebnis herausgekommen, nach dem nunmehr auch dort keine Mehrheit mehr vorhanden ist46). Aber es kann sich ja nicht darum handeln, ein System zu finden, das mit völligen Sicherheiten arbeitet. Garantien wird es in der Politik nie geben. Es ist nur ein Abwägen der Chancen und im Grunde genommen eine Willensentscheidung, die hier getroffen werden muß. Frau Wessel: Ich glaube, daß man zu weit geht, wenn man das Versagen der Weimarer Republik einzig und allein auf das Wahlrecht zurückführt. (E. P. Walk: Das ist nie gesagt worden!) Das wird in den Diskussionen immer sehr stark herausgestellt. Vielmehr ist es tatsächlich das Versagen in sozialer und nationaler Hinsicht gewesen. Ein Zweites wollte ich im Anschluß an die Worte von Herrn Dr. Kroll sagen. Tatsächlich ist ja das Wahlrecht zu einem erheblichen Teil ein Willensakt, und
44) Siehe oben Abschnitt 1 a der Einleitung. 45) Gemeint ist das Schreiben Jellineks an die Mitglieder des Pari. Rates vom 14. Sept. 1948, in dem dieser der Deutschen Wählergesellschaft vorgeworfen hatte, „mit Scheuklappen an der deutschen Vergangenheit" vorbeizugehen (siehe oben S. 71). Das Schreiben provozierte eine ausführliche und nachdrückliche Stellungnahme der DWG (Brief vom 6. Okt. 1948, BA NL 242 [Jellinek]/Bd. 38). Darüber hinaus beschwerte sich Walk in einem Schreiben an Jellinek über die Kritik an dem Wahlgesetzentwurf (Walk an Jellinek vom 8. Okt. 1948, siehe auch Jellinek an Walk vom 12. Okt. 1948, a. a. O.). 46) Aus den schwedischen Reichstagswahlen vom 20. Sept. 1948 gingen die Sozialdemokraten als klare Sieger hervor. 272
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die Menschen wollen sich nicht in ein Zweiparteiensystem hineinpressen lassen. Ich weiß nicht, ob das so falsch ist. Denn schließlich wird ja auch aus einem solchen Willensakt etwas Positives entnommen werden müssen. Und ein Drittes, was gar nicht genügend beachtet wird: Bei uns in Deutschland ist die Parteibildung nicht, wie in den angelsächsischen Ländern, nach politischen, sondern nach weltanschaulichen Gesichtspunkten erfolgt. Bei uns entscheidet sich der Wähler viel stärker nach weltanschaulichen Gesichtspunkten als nach aktuellen politischen Fragen, die vor ihm stehen. Und wenn wir es nicht fertig bringen, diese weltanschaulichen Motive aus dem deutschen Parteiich nenne nicht die eine oder andere Partei, denn es enwesen auszuschalten geht alle Parteien an —, dann scheitern wir einfach in dieser Frage; denn der Mensch wird sich nicht in ein Zweiparteiensystem pressen lassen, weil er sich nicht entscheiden kann: Hier Christ, da Nichtchrist; hier bürgerlich, dort marxistisch. Die Fragen gehen vielmehr weiter und müssen tiefer gesehen werden. Ich glaube, daß in dieser Frage, in der weltanschaulichen Orientierung des deutschen Parteienwesens, eine viel stärkere Gefahr liegt, und daß wir auch bei einem anderen Wahlrecht nicht zu einem Zweiparteiensystem kommen werden, sondern ein Teil der Wähler wird sich einfach zurückziehen und sagen: Ich kann mich hier nicht entscheiden. Die Aktualität, die man sich von einem Mehrheitswahlsystem tatsächlich verspricht, kann infolge dieser Einstellung des deutschen Wählers zu den politischen Problemen und zu den Parteien leicht in das Gegenteil dessen umschlagen, was wir heute erwarten. (Mommsen: Dann entscheiden Sie sich für die Aufrechterhaltung der weltanschaulichen Differenzierung und verzichten damit auf die Möglichkeit einer starken Regierung.) Das sieht der Wähler ja gar nicht; er sieht nur, daß die Partei ein bestimmtes System will, und deshalb wählt er sie nicht. (Mommsen: Hier handelt es sich darum, daß es nicht der einfache Wähler ist, sondern daß es die Verfassungsschöpfer selber sind!) Dr. v. Hartmann: Es ist in wiederholten Formulierungen davon die Rede gewesen, daß wir gesagt hätten, das Wahlverfahren wäre die Voraussetzung dafür gewesen, daß die Weimarer Verfassung diese Entwicklung genommen hat. Für diese Entwicklung haben viele Fehler die Schuld. Und deswegen muß es jetzt unser Ziel sein, möglichst gesunde demokratische Verhältnisse zu schaffen. Niemals haben wir gesagt, das Wahlverfahren wäre allein schuld. Wir wissen ganz genau, daß vieles andere an der Entwicklung mit schuld war. In dieser Unterhaltung hat es sich durch die Ausführungen des Herrn Dr. Kroll sehr klar herausgestellt, worum es eigentlich geht. Das ist ja auch in der Diskussion sehr klar herausgekommen. Es handelt sich nämlich um die Frage, ob man die politische Differenzierung in der Bevölkerung durch den Proporz wünschen oder zulassen soll, oder ob man sie durch den Mehrheitsentscheid verhindern soll. Wenn nun unsere Anwesenheit, für die ich dem Wahlrechtsausschuß gleich unseren Dank aussprechen darf, überhaupt einen Sinn haben soll, so kann es nur der sein, Ihnen zu sagen, daß das deutsche Volk wenig Parteien haben will. Hüten Sie sich davor, eine Entwicklung mit anzubahnen, die wieder zu ei—
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Vielzahl von Parteien führt wir haben ja jetzt schon 40 Parteien in Deutschland —, sondern berücksichtigen Sie den Wunsch und den Willen des deutschen Volkes, das die Differenzierung nicht haben will. Die Differenzierung wird nicht von Parteipolitikern getragen, sondern von denjenigen, die ihre bestimmte Richtung im Parlament vertreten wissen wollen. Das Volk in seinen breiten Schichten wünscht wenige, aber starke Parteien. (Dr. Diederichs: Dann wird es sie wählen; das ist doch klar!) Vors. [Dr. Becker]: Da keine Wortmeldungen mehr vorliegen, darf ich die Sitzung hiermit schließen. Ich danke den Damen und Herren der Deutschen Wählergesellschaft für ihr Erscheinen und ihre Ausführungen. Ich darf zusammenfassen, daß wir bei aller Verschiedenheit der Auffassungen doch alle von dem Gedanken getragen sind, nicht unter parteipolitischen, sondern unter staatspolitischen Gesichtspunkten zu handeln, und daß wir alle von dem Wunsch getragen sind, eine starke Demokratie zu schaffen. Ich schließe die Sitzung. ner
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Nr. 10
Zehnte
Z 5/83, Bl. 165-206.
net2) Kurzprot:
Sitzung
des Ausschusses für 26. Oktober 1948
Stenograf. Wortprot.1)
vom 27.
Wahlrechtsfragen
Okt.
1948 von
Herrgesell gezeich-
Z 12/39, Bl. 66-67, Drucks. Nr. 250/11
Anwesend3) :
CDU/CSU: Kroll, Schräge, Walter, Fecht (für Schröter) SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs (Vors.), Heiland FDP: Becker KPD: Renner4) Z: Frau Wessel5) Mit beratender Stimme: Wunderlich Stenografischer Dienst: Herrgesell
Beginn:
15.00 Uhr
(SPD), Roßhaupter (SPD)6)
Ende: 17.05 Uhr
[1. EINGABEN] Den Vorsitz führt der
Abgeordnete Dr. Diederichs an Stelle des anwesenden, jedoch wegen Krankheit am Sprechen behinderten Abgeordneten Dr. Becker. Der Vors. [Dr. Diederichs] gibt folgende Eingaben7) bekannt: Zuschrift des Assessors Eberhard Andrees, Bad Kreuznach, Schreiben des Regierungsrats a. D. Otto Rieck, Schreiben des Dr. habil. Helmut Unkelbach an Prof. Dr. Carlo Schmid8), 1) Von diesem Protokoll ist nur der Durchschlag erhalten. 2) Die Schlußverfügung „Gelesen und zu den Akten des Ausschusses genommen" wurde vom
Schriftführer nicht unterzeichnet.
3) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 4) Im Kurzprot. wird irrtümlich Reimann als Vertreter der KPD angegeben. Der Abg. Heinz Renner (6. Jan. 1892-11. Jan. 1964), NRW, KPD, nahm von nun an stellvertretend für Reimann
an
den
Ausschußsitzungen teil.
5) Die Zentrumsabgeordnete Wessel, NRW,
im Kurzprotokoll hier erstmals als stimmberechtigtes Ausschußmitglied aufgeführt, obwohl das Ausschußkontingent der kleinen Parteien durch die Anwesenheit des KPD-Abgeordneten erschöpft war nahm von nun an sehr regelmäßig an den Sitzungen des Wahlrechtsausschusses teil. Schon auf dem Parteitag der Deutschen Zentrumspartei in Werl am 16./17. Nov. 1946 hatte sie sich ausführlich mit dem Wahlrecht auseinandergesetzt und sich als Verfechterin der Verhältniswahl profilieren können (F. A. Hermens, Mehrheitswahlrecht oder Verhältniswahlrecht, S. 78 f.). Zur Vertretung der KPD-Ausschußmitglieder durch Wessel siehe auch unten —
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Dok. Nr. 20, TOP 1.
6) Albert Roßhaupter (8. April 1878-14.
Dez. 1949), Bayern, SPD, hatte nach 1945 verschiedene Posten im Kabinett der bayerischen Landesregierung inne; er wurde am 14. Okt. 1948 als Nachfolger für Josef Seifried in den Pari. Rat gewählt. 7) Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 121. 8) FESt NL Schmid/Bd. 1169; Unkelbachs Schrift „Das Wahlverfahren. Eine Schicksalsfrage der deutschen Demokratie. Ein praktischer Vorschlag" wurde unter den MdPR verbreitet (BA NL 242 [Jellinek]/Bd. 38; Schäfer an Laforet vom 28. Okt. 1948, ACDP 275
Zehnte Sitzung 26. Oktober
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von Prof. Jellinek9), Schreiben des Innenministeriums des Landes Prof. Dr. Carlo Schmid10).
Nachtragsschreiben
Würtemberg-Hohenzollern
an
[2. ZUR VERFAHRENSWEISE] unserer letzten Sitzung sollten werden. Nachdem ich schon früher eine Vorlage gemacht hatte"), wollten Herr Dr. Becker und Herr Dr. Kroll Vorschläge machen12). Aufgrund dieser Vorschläge wollten wir versuchen, paragraphenmäßig das Wahlgesetz zusammenzustellen. Darüber hinaus war der Ausschuß sich einig, einen technischen Sachverständigen hinzuzuziehen, der uns bei der Paragraphierung des Gesetzes unterstützen sollte. Es liegt nun ein Entwurf des Wahlgesetzes mit 109 Paragraphen von Herrn Dr. Becker vor13). Von Herrn Dr. Kroll habe ich bisher einen Vorschlag nicht erhalten14). Dr. Becker: Herr Dr. Kroll wollte lediglich einen Vorschlag machen, der nicht diese allgemeinen Bestimmungen enthält, die hier die Hauptsache ausmachen, sondern wollte nur spezielle Dinge vorschlagen. Vors. [Dr. Diederichs]: Es empfiehlt sich, den Entwurf von Herrn Dr. Becker der der umfassendste ist, da er zum großen Teil auch die technischen Dinge und den Vorschlag, den ich seinerzeit als Teilentwurf unterbreitet umfaßt habe15), nebeneinander zu behandeln und auf diese Weise zu einer Beschlußfassung zu kommen. Oder wir müßten die Frage entscheiden, ob wir die vorhandenen Entwürfe einem Redaktionsausschuß geben und dort versuchen wollen, einen gemeinsamen Entwurf herzustellen. Dabei wäre es allerdings wichtig, uns über das strittige Gebiet, nicht die allgemeinen Dinge, klar zu werden, damit der Redaktionsausschuß weiß, was er an diesen Stellen einbauen soll. Stock: Wir haben im Wahlrechtsausschuß bisher drei Anregungen abgelehnt16), so daß wir eigentlich zu den Wahlrechtsvorlagen eher negativ Stellung genommen haben. Das vorletzte Mal sind wir die Vorlage des Herrn Kollegen Dr. Die-
Vors. [Dr. Diederichs]: Nach dem Beschluß in
heute verschiedene
Vorlagen gemacht
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1-122-073/5). Unkelbach schlägt hierin auf der Basis des Mehrheitswahlsystems ein kompliziertes „Dreier Wahlverfahren" vor. 9) Jellinek an den Pari. Rat vom 10. Okt. 1948 (NL 242 [Jellinek]/Bd. 38). In diesem Schreiben versuchte Jellinek dem Einwand der Verfechter des Mehrheitswahlsystems zu begegnen, „daß der Wähler, der seine Stimme für einen bestimmten Abgeordneten abgibt, damit notgedrungen auch für die Partei des Bewerbers stimmt, obwohl der Wille des
Wählers nur auf die Wahl einer bestimmten Persönlichkeit geht". Siehe oben Anm. 7. Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 4. Siehe oben S. 245. Drucks. Nr. 197/II; vgl. Dok. Nr. 11. Becker hatte seinen Entwurf ansatzweise bereits in der 8. Sitzung am 14. Okt. 1948 erklärt (Dok. Nr. 8, TOP 6). 14) Drucks. Nr. 264 a (siehe unten Dok. Nr. 13, TOP 5 und Anm. 50). Der Vorschlag Kroll wurde offenbar erst unmittelbar vor der Sitzung eingereicht. 15) Siehe oben Anm. 11. 1B) Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 2.
10) 11) 12) 13)
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26.
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derichs durchgegangen, ohne dazu abstimmungsmäßig Stellung zu nehmen17). Vielleicht könnten wir es so halten, daß wir jetzt zu der Vorlage des Kollegen Dr. Becker Stellung nehmen. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich empfehle, wie wir es mit meinem Vorschlag gemacht haben, in erster Linie den Teil zu behandeln, der den Wahlmodus betrifft, nicht die rein technischen Dinge, damit ein eventueller Redaktionsausschuß ungefähr weiß, wie die Haltung des Ausschusses bezüglich des Verfahrens ist. Ich bitte Herrn Dr. Becker, zu diesem speziellen Teil seines Entwurfes Stellung zu nehmen.
[3. ENTWURF EINES WAHLGESETZES, DR. BECKER
(DRUCKS
NR.
197/11)]
Dr. Becker: Das Wahlverfahren ist in Abschnitt II, §§ 8 bis 22, behandelt. Der Teil I enthält allgemeine Bestimmungen, bei denen ich das Ergebnis unserer Besprechungen hier zugrunde gelegt habe. Der Teil III enthält im wesentlichen sinngemäße Abschriften aus der Stimmordnung von 1924. Im Teil II habe ich vorgeschlagen, daß ein Teil der Abgeordneten, nämlich 230, in Einzelbezirken gewählt wird. Die Zahl 230 habe ich genommen, weil wir ungefähr 46 Millionen Einwohner haben, so daß man auf rund 200 000 Einwohner einen Abgeordneten wählen kann. Für diese Wahl eines Abgeordneten wollte ich vorschlagen, im ersten Gang die absolute Stimmenmehrheit entscheiden zu lassen. Wo diese nicht erreicht wird, findet ein zweiter Wahlgang statt, in welchem die relative Mehrheit entscheidet. Gleichzeitig mit der Wahl im ersten Wahlgang sollte der betreffende Kandidat, der aufgestellt wird, erklären: Ich gehöre der und der Partei an, und die betreffende Partei sollte die Einverständniserklärung abgeben: Jawohl, das ist unser Kandidat. Dann werden die darauf entfallenden Stimmen gleichzeitig noch einmal als Grundlage für eine Proportionalwahl gerechnet. Eine Proportionalwahl findet an Hand von Listen statt. In jedem Land wird eine Liste aufgestellt. Dann wird die Summe aller Stimmen, die abgegeben worden sind, durch 170, nämlich durch die Zahl der Abgeordneten, geteilt. Da nach dem Proportionalwahlrecht gerechnet wird, ergibt sich dann, wieviel Stimmen nötig sind, damit ein Abgeordneter im Proportionalwahlrecht gewählt wird. Dabei werden zunächst länderweise aus den Landeslisten eine nach der Reihenfolge der dort genannten Namen die Abgeordneten entnommen, und die Reststimmen werden auf einer Bundesliste gezählt und entsprechend wie oben angegeben verteilt. Ich wollte also den Wahlgang möglichst einfach machen, das heißt also vom Standpunkt des Wählers aus gesehen. Er hat am Tage der Hauptwahl nur zu entscheiden, ob er den Herrn Müller, die Frau Schulze, den Herrn Meier oder die Frau Koch wählen will. Indem er diese Stimme abgibt, stimmt er indirekt auch für eine Partei. Man kann die Frage aufwerfen, ob man nicht die Stimmabgabe für die Person und die Stimm-
17) Gemeint ist der Strukturentwurf Diederichs (Dok. Nr. 5, Anm. 4). Zur Diskussion des
Vorschlags
siehe oben Dok. Nr. 5 und 6.
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abgäbe für die Partei trennen soll, also in dem Sinne, wie es von Herrn Prof. Jellinek vorgeschlagen wurde, wie es mir persönlich Herr Prof. Dr. Thoma auch schon einmal angedeutet hat und wie es von einem Herrn, der heute geschrieben hat, ebenfalls angeregt worden ist10). Das bedeutet, daß man einen amtlichen Stimmzettel macht, auf dem oben steht: Müller, Schulze, Meier, Koch und darunter dann die Parteien 1, 2, 3, 4, 5, 6, so daß der betreffende Wähler sagen kann: Ich wähle den Mann, aber ich wähle eine andere Partei. Ich möchte davon absehen, das vorzuschlagen. Denn erstens ist es nicht mehr so einfach, und man soll es dem Wähler möglichst einfach machen. Zweitens glaube ich nicht daran, daß die Zahl derjenigen, die einen Mann der einen Partei, aber eine andere Partei wählen, so fürchterlich groß ist, daß man deswegen eine große Apparatur in Bewegung setzen muß, die unter Umständen geschäftsuntüchtidenken Sie an das alte Mütterchen usw. erst recht in die Gege Leute fahr bringt, anders zu stimmen, als sie wirklich wollen. Und wenn es einer Partei gelungen ist, einen wirklich zugkräftigen Mann oder eine wirklich zugkräftige Frau als Kandidat in dem Wahlkreis zu bekommen, sollen ihr von Gottes und Rechts wegen auch die Stimmen zufallen, die der zugkräftige Kandidat bringt. Dazu stellt sie ihn doch gerade auf. Ich glaube nur, daß es gerade vom Standpunkt des Persönlichkeitswahlrechts aus eine Bereicherung ist, wenn wirklich zugkräftige Leute vorhanden sind. Aber diese mögen ihre Stimmen auch der Partei bringen, die sie aufgestellt hat. Deshalb bin ich zu der einfachen Lösung gekommen, man kann aber auch die andere Lösung wählen. —
—
[4. ZUR VERFAHRENSWEISE] Dr. Kroll: Ich wollte nur rein verfahrensmäßig folgendes bemerken. Soweit ich sehe, ist der Entwurf von Herrn Dr. Becker der erste, der praktisch ein Wahlgesetz und, man kann auch sagen, eine entsprechende Verordnung über die Durchführung enthält. Es ist gleich alles im Wahlgesetz enthalten. Nachdem wir uns hier ausführlich
über die einzelnen Wahlmodi unterhalten haben, schlage ich vor, so zu verfahren, daß ein Wahlgesetz mit den Modifikationen ausgearbeitet wird, wobei ein Rahmen sowieso festbleibt. Es ist die Frage, ob wir jetzt den Rahmen nehmen, den wir neulich hier schon erarbeitet hatten19). Ich weiß nicht, ob Sie Ihren Entwurf vervollständigt haben, Herr Dr. Diederichs? Vors. [Dr. Diederichs]: Nein, weil das Verfahren drin war. Dr. Kroll: Dann könnte man so verfahren, daß man den Entwurf von Herrn Dr. Becker nimmt und ähnlich wie im Herrenchiemseer Entwurf dort, wo zum Beispiel Ihr Sechsmann-Wahlkreis auftaucht, die zweite Modifikation hinzunimmt, oder daß jener Vorschlag, den ich hier als Teilentwurf gegeben habe20), als dritte Modifikation eingebaut wird. Das könnte man entweder dem Hauptausschuß oder dem Plenum zur Abstimmung vorlegen, so daß in jedem —
18) Zu den Eingaben vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 121. 19) Gemeint ist der Strukturentwurf von Diederichs (Dok. 20) Drucks. Nr. 264 a (siehe unten Dok. Nr. 13, Anm. 50). 278
—
Nr. 5, Anm. 4).
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Falle ein geschlossenes Gesetz vorliegt, wobei man nur noch über die Modifikationen abzustimmen braucht. Wenn wir diesen Entwurf durchgearbeitet hätten, wären wir mit unserer Arbeit im Ausschuß, glaube ich, fertig. Ich halte das für die relativ beste Lösung, weil wir dann endlich zu einem Gesetz kommen, das wir vorlegen sollen. Vors. [Dr. Diederichs]: Das würde praktisch bedeuten, daß wir jetzt mehr die allgemeinen Bestimmungen besprechen, um zu sehen, was daran noch korrekturbedürftig ist, daß wir dann einen Redaktionsausschuß bestimmen, der das zu Papier bringt und unter der Rubrik Wahlmodus die drei Varianten hineinbringt. Dr. Kroll: Wenn wir uns auf den Aufbau des Entwurfs von Herrn Dr. Becker mir persönlich ist es völlig gleichgültig, welchen Entwurf wir zueinigen grunde legen —, könnten wir ihn Paragraph für Paragraph durchgehen und gleich immer die Modifikationen formulieren. Wir könnten, sagen wir einmal, pro Sitzung zehn oder fünfzehn Paragraphen mit den Modifikationen formulieren, so daß wir den Entwurf gewissermaßen Stück für Stück verabschieden und daß am Ende ein Gesetz mit drei Modifikationen vorhanden ist, das dem Hauptausschuß oder dem Plenum zur Verabschiedung vorgelegt wird, wobei der Hauptausschuß sich nur noch technisch darüber zu äußern braucht, ob er von Änderungen im einzelnen absehen will. Das Wahlalter, die Wahlberechtigung usw. sind Dinge, die noch kommen könnten; aber ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich. Der Hauptausschuß brauchte nur noch abzustimmen, für welche Modifikation er sich entscheiden will. Vors. [Dr. Diederichs]: Das wollen wir dem Hauptausschuß überlassen? Dr. Kroll: Oder dem Plenum. Vors. [Dr. Diederichs]: Das dürfte doch wohl unsere Aufgabe sein. —
(Stock: Selbstverständlich.) Wir müssen dem Plenum doch
legen.
Dr. Kroll: Wir hatten
uns
irgendeinen
neulich dahin
von uns
entschiedenen Modus
geeinigt, daß
vor-
wir Mehrheits- und Min-
derheitsvorschläge vorlegen wollen21). Vors. [Dr. Diederichs]: Wenn wir Mehrheits- oder Minderheitsvorschläge vorlegen, müssen wir hier eine Entscheidung treffen. Dr. Kroll: Das können wir machen, indem wir sagen: Die Modifikation a) ist mit soundso viel Stimmen zu soundsoviel Stimmen angenommen worden, die Modifikation b) mit soundsoviel Stimmen zu soundsoviel Stimmen und die Modifikation c) mit soundsoviel zu soundsoviel Stimmen. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß wir die letzte Entscheidung nicht fällen, daß vielmehr die letzte Entscheidung das Plenum fällen muß. Wenn wir zum Beispiel so verfahren, daß wir nur eine einzige Modifikation vorlegen, über die abgestimmt ist, so bleibt es doch jedem unbenommen, nachher dem Plenum noch einen anderen ausgearbeiteten Entwurf vorzulegen und darüber unter Umständen eine Abstimmung zu erzwingen. Dann machen wir es doch besser gleich so, daß wir
die drei Modifikationen
geben.
21) Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 8. Zu den Versuchen Krolls, die Abstimmung über das Wahlgesetz ins Plenum zu verlagern, siehe oben S. 244. 279
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Vors. [Dr. Diederichsl: Das würde von vornherein einen Verzicht bedeuten, dem Plenum etwas Fertiges vorzulegen. Es besteht kein Bedenken, daß Minderheiten, die dieses oder jenes in einer anderen Form haben wollten, dies dem Plenum zur Entscheidung vorlegen. Aber meiner Ansicht nach müßte der Ausschuß dem Plenum eine Form vorlegen und dabei bemerken, die und die beabsichtigen, hierzu eine andere Modifikation vorzuschlagen, worüber das Plenum abstimmen soll. Dr. Kroll: Ich würde rein technisch empfehlen, uns auf eine einzige Form zu einigen. Das ist auch in den anderen Ausschüssen das Bestreben. Im Organisationsausschuß einigt man sich auf eine Lösung. Das ist bei der Verfassung vollkommen einsichtig. Ob die Einigung gelingt, ist noch zweifelhaft. Es ist möglich, daß das auch bis ins Plenum gelangt. Aber lassen wir das beiseite. Wir haben hier in einer Vorentscheidung eine Mehrheit zunächst einmal für Ihren Sechsmann-Wahlkreis erhalten22). Das würde bedeuten, daß wir jetzt nur noch diesen Vorschlag behandeln würden. Wenn Sie das wollen, würde der Erfolg der sein, daß ein anderer Entwurf eines Wahlgesetzes noch einmal über eine Fraktion an das Plenum zur Abstimmung gelangt. Das möchte ich vermeiden, indem ich sage, wir sollen die Entwürfe hier fertigmachen. Das bedeutet aber, daß wir uns bei jedem Paragraphen überlegen: Herr Dr. Becker wird eine andere Formulierung nötig haben, und ich würde eine andere Formulierung vorschlagen, daß wir diese verschiedenen Formulierungen mit aufnehmen und sagen: meinetwegen auch per Abstimmung; das stört mich in keiner Weise Der Ausschuß hat soundso entschieden, das sind Minderheitsvorschläge, sie werden zur endgültigen Entscheidung dem Plenum vorgelegt. Das bedeutet nur, daß wir die Dinge an Ort und Stelle sorgfältig durchformulieren müssen, daß wir jeden Paragraphen zu Ende formulieren und dort, wo Modifikationen nötig sind, diese gleich mit aufnehmen müssen, so daß der Hauptausschuß oder das Plenum nur zwischen den endgültigen Formulierungen zu wählen hat. Das Motiv war, daß die Debatte nicht noch einmal von vorn anfangen soll. Vors. [Dr. Diederichsl: Das müßte auf jeden Fall vermieden werden. An sich habe ich keine Bedenken gegen den Vorschlag von Herrn Dr. Kroll. Ich würde vorschlagen, das Verfahren, das wir soeben begonnen haben, nicht fortzusetzen, da wir uns über das Grundsätzliche schon unterhalten und es schon im Plenum dargelegt haben. Ich würde vorschlagen, daß wir unter Zugrundelegung des umfassenden Entwurfs von Herrn Dr. Becker Paragraph für Paragraph durchgehen. Ich bitte dann die Herren, die einen eigenen Teilentwurf gemacht haben, gleich beim Durchgehen dafür zu sorgen, daß die Abänderungswünsche an der entsprechenden Stelle als zweite oder dritte Formulierung mit hineingearbeitet werden. —
—
22) Siehe oben Dok. Nr. 8.
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[5. ENTWURF EINES WAHLGESETZES, DR. BECKER (DRUCKS NR. 197/11; FORTSETZUNG))
[5a. Wahlrecht und Wählbarkeit (§§ 1-7)] Im Entwurf von Herrn Dr. Becker heißt I. Wahlrecht und Wählbarkeit. § 1 :
-
es
zunächst:
Wähler zum Bundestag ist, wer am Wahltag die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, das 21. Lebensjahr vollendet hat und spätestens 3 Monate vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes den Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat. Das entspricht ungefähr dem, was wir seinerzeit hier herausgeknobelt haben23). Dr. Becker: Das habe ich einfach aus den Flüchtlingsgesetzen der amerikanischen Zone abgeschrieben24). Vors. [Dr. Diederichs]: Es heißt weiter: Wahlberechtigt sind ferner 1. ) alle diejenigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1. 1. 1945 ihren dauernden Wohnsitz außerhalb der Grenzen des deutschen Reiches nach deren Stand vom 1. 3. 1938 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können, und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben. 2. ) Diejenigen Personen, die am 30. 1. 1933 deutsche Staatsangehörige waren, ihren Wohnsitz oder Aufenthalt als politisch, rassisch oder religiös Verfolgte außerhalb des Bundesgebietes genommen, ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben oder verloren haben und mit der Absicht, ihren ständigen Aufenthalt dauernd im Bundesgebiet zu nehmen, mindestens 3 Monate vor dem Wahltag ihren Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben. Das habe ich mit einem Fragezeichen versehen. Ich weiß nicht, ob dieser Zusatz erforderlich ist. Denn diese Absicht ist sehr schwer nachweisbar. Es würde auf eine einfache Deklaration ankommen. Es ist die Frage, ob man das zur Voraussetzung machen soll. Dr. Becker: Man weiß es, wenn jemand eine Wohnung hat oder sich auf der Wohnungsliste hat eintragen lassen. Wenn er hier vorübergehend zu Besuch ist, ist es etwas anderes. Vors. [Dr. Diederichs]: Es entscheidet der Aufenthalt mindestens 3 Monate vor dem Wahltag. Ob die paar Zufallsleute, die länger hier sind, eine Stimme abgeben oder nicht, wird insgesamt keinen erheblichen Einfluß haben. 23) Siehe hierzu und auch zu den folgenden Verweisen auf frühere Diskussionen oben Dok. Nr. 5, TOP 1
a.
19. Feb. 1947 über die Aufnahme und Eingliederung deutscher Flüchtlinge (Flüchtlingsgesetz) GVOB1. Bayern 1947 Nr. 5 S. 51 und Nr. 12 S. 153; dsgl. Gesetz vom 19. Feb. 1947 GVOB1. Hessen 1947 Nr. 2 S. 15, Nr. 6 S. 34 und Nr. 19 S. 110; dsgl. Gesetz vom 14. Feb. 1947 Reg. Bl. Württemberg 1947 Nr. 3 S. 15 und Amtsbl. Baden 1947 Nr. 6/7 Sp. 57.
24) Gesetz
vom
281
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Dr. Becker: Es sollen Personen sein, denen man die Rückkehr nicht erschweren will. Deshalb ist von der Staatsangehörigkeit Abstand genommen. Der springende Punkt ist, sie können wählen, auch wenn sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, wenn sie nur zurückgekehrt sind, um sich wieder irgendwie mit den Geschicken Deutschlands zu verbinden. Dr. Kroll: Ist es nicht erforderlich, daß die Leute die Absicht haben, die deutsche Staatsangehörigkeit wiederzuerwerben? Es gibt da verschiedene Möglichkeiten. Jemand, der die deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben und meinetwegen die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangt hat, kann als amerikanischer Beobachter, meinetwegen als Korrespondent für eine große Zeitung oder aus sonstigen Gründen, sich dauernd hier aufhalten; er hat aber nicht die Absicht, die deutsche Staatsbürgerschaft wiederzuerwerben. Man muß sich wohl überlegen, ob in einem solchen Falle die Möglichkeit bestehen soll, daß er das Wahlrecht besitzt, wenn er nicht die Absicht hat, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Das scheint mir nicht ganz logisch zu sein. Renner: Es war doch einstimmige Auffassung, daß derjenige, der freiwillig seine deutsche Staatsangehörigkeit aufgibt, nicht mehr als politischer Emigrant angesehen werden kann25). Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, aus welchem Grund man von diesem damals allgemein anerkannten Prinzip abgehen soll. Wenn er freiwillig darauf verzichtet hat, muß er erst einmal dafür sorgen, daß der freiwillige Verzicht aus der Welt geschafft wird. Er muß wieder seine Anerkennung als deutscher Staatsbürger beantragt haben, und dem muß stattgegeben worden sein. Das ist meines Erachtens der einzige saubere und anständige Standpunkt, den man einnehmen kann. Demjenigen, der freiwillig auf seine Rechte als Deutscher verzichtet hat, kann man doch nicht, wenn er gelegentlich einmal gerade drei Monate vor der Wahl hier ist, das Wahlrecht konzedieren. Damit würde man wirklich zu weit gehen. Vors. [Dr. Diederichs]: Bezüglich der freiwilligen Aufgabe der Staatsangehörigkeit z. B. von rassisch Verfolgten und ähnlichen Personen kann man verschiedener Auffassung sein. Diese Freiwilligkeit steht in vielen Fällen unter einem etwas eigenartigen Druck. Es ist sehr schwierig zu entscheiden, was man als freiwillige Aufgabe der Staatsangehörigkeit ansehen muß. Renner: In der reinen Emigration war das damals die allgemeine Auffassung. (Vors. [Dr. Diederichs): Was heißt: damals?) Als es eine reine politische Emigration gegeben hat. Ich kann mir vorstellen, daß diejenigen, die ihre Staatsbürgereigenschaft aus rassischen Gründen aufgegeben haben, nicht mehr an die Rückkehr, jedenfalls nicht mehr an die dauernde Rückkehr denken. Die betreffenden Personen können besuchsweise zurückkommen. Wer die Staatsbürgereigenschaft aufgegeben hat, hat keine Lust mehr, unter den relativ elenden Verhältnissen, die heute bei uns in Deutschland bestehen, hier sein weiteres Leben zu verbringen. Vors. [Dr. Diederichs]: Praktisch ist die Formulierung von Herrn Dr. Becker die Mitte zwischen meiner und Ihrer Darlegung. Ich wollte die Absicht noch strei—
25) In der
5.
behalten
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Sitzung war die endgültige Klärung dieser Frage späteren Entscheidungen vorgeblieben (siehe oben S. 111).
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chen und wollte es ganz frei gestalten. Sie wollten den unmittelbaren Antrag auf Wiedererwerb verlangen. Dr. Kroll: Ich darf es berichtigen. Herr Renner verlangt die bereits wiedererworbene Staatsangehörigkeit. Ich verlange mindestens die Absicht, die Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben. Vors. [Dr. Diederichs]: Das ist das, was in § 2 für die Leute mit doppelter Staatsangehörigkeit gesagt worden ist. Es heißt in § 2 : Deutsche Staatsangehörige, die zugleich eine andere Staatsangehörigkeit besitzen, sind nur dann wahlberechtigt, wenn sie 1.) entweder spätestens zwei Monate vor dem Wahltag durch Erklärung zu Protokoll des zuständigen Landrates (Oberbürgermeisters) ihre Absicht, die andere Staatsangehörigkeit aufzugeben, erklärt und diese Stelle mit der Durchführung dieser Absicht unwiderruflich bevollmächtigt haben. Das halte ich auch für zu weitgehend. Dr. Kroll: Das meine ich nicht. Vors. [Dr. Diederichs]: Sie meinen den Erwerb der Staatsangehörigkeit. Das ist in der anderen Form in § 1. Renner: Es gibt im Augenblick einen zwar relativ geringen, aber doch noch ständigen Rückfluß von Emigranten, z. B. von Emigranten, die in Mexiko untergebracht waren26). Diese Leute haben bei der Rückkehr große Schwierigkeiten. Es wäre meines Erachtens eine gewisse Ungerechtigkeit, wenn man bei diesen Leuten, die echte Emigranten waren, die Bedingung aufrechterhalten wollte, daß sie mindestens drei Monate vor dem Wahltag hier sein müssen. Vors. [Dr. Diederichs]: Das würde ich nicht unterbieten: Schließlich wird ja im ganzen Dasein nicht nur einmal gewählt. Renner: Man könnte es auf einen Monat reduzieren. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich halte es nicht für notwendig, an den Tagen herumzuknapsen, ganz abgesehen davon, daß wir schon wieder in die Lage kommen, ganz spezielle Einzelfälle besonders regeln zu wollen. Wenn wirklich fünf oder sechs Emigranten so spät hierherkommen, daß sie an der Wahl nicht mitwirken können, so können wir danach nicht ein Wahlgesetz, das für Millionen von Wählern bestimmt ist, zuschneiden. Wenn wir uns in solche Einzelheiten verlieren, werden wir vor lauter Kompliziertheit nichts zustandebringen. Stock: Man könnte es in der ersten Lesung einmal so lassen. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich glaube, wir können es so festhalten. Dr. Becker: Mein Gedankengang war der folgende: Ich will es denjenigen, die wiederkommen wollen, nicht dadurch schwer machen, daß die Gesetze über die Staatsangehörigkeit alle noch fehlen oder daß die Rückeingliederung in noch im Werden ist27). Aber Hessen haben wir jetzt eine Vorlage bekommen die Betreffenden müssen den Willen haben, hierzubleiben. Wenn sie zu Besuch kommen, dann nicht. —
—
—
Renners Fürsprache für die deutschen Emigranten in Mexiko siehe auch unten S. 455. 27) VO zur Ausführung des Gesetzes über die Staatsangehörigkeit von Ausgebürgerten vom 22. Nov. 1948 (Hess. GVOB1. Nr. 26, S. 155).
26) Zu
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uns abfinden. kein (Es erhebt sich Widerspruch). Wir kommen dann zu § 2. Was die Ziffer 1 angeht, so bin ich nicht ganz im Bilde, wie es mit der doppelten Staatsangehörigkeit nach deutschem Recht steht20). In England ist das keine Schwierigkeit. Ein Engländer kann ohne weiteres eine andere Staatsangehörigkeit haben. Dr. Denzer29): Eine doppelte Staatsangehörigkeit gibt es zum Beispiel in dem Fall, daß ein Kind deutscher Eltern in Südamerika geboren wird. Wenn jemand als Emigrant eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat, ist die deutsche Staatsangehörigkeit erloschen. Vors. [Dr. Diederichs]: Dann ist die Sache gegenstandslos. Stock: Im Gegenteil, sie ist nicht gegenstandslos. Er muß erklären, daß er wieder die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben will. Dr. Becker: Nein. Ausgangspunkt war, glaube ich, die Mitteilung des Herrn Kollegen Mücke, daß sehr viele Ungarn jetzt hier hereingekommen sind, aber ihre ungarische Staatsangehörigkeit nicht aufgeben wollen, weil sie die Hoffnung haben, noch einmal nach Ungarn zurückkehren zu können. Wenn sie die Erklärung abgegeben hätten, daß sie die ungarische Staatsangehörigkeit aufgeben, würden sie dieses Rechtes verlustig werden. Deswegen haben wir damals in dem Ausschuß gesagt: Wenn sie die Absicht haben zurückzukehren und das dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie ihre alte Staatsangehörigkeit behalten, haben sie noch nicht die innere Verbindung mit dem deutschen Schicksal, das sie moralisch berechtigt mitzustimmen brauchen. Sind sie aber längere Zeit im Lande, dann ist es anders: Darum habe ich unter Ziffer 2 gesagt: wenn sie trotzdem zehn Jahre da sind, ist es etwas anderes. Dr. Kroll: Hier ist zu bedenken, ob durch eine Erklärung vor einer fremden Behörde die deutsche Staatsangehörigkeit überhaupt verlorengehen kann. Denn über die Staatsangehörigkeit, die englische oder die ungarische, entscheidet ja nicht die deutsche Behörde, sondern die ungarische und die englische Behörde. Vors. [Dr. Diederichs]: Das ist auch nicht gesagt. Hier steht nur die Absicht, sie aufzugeben. Ob es gelingt, steht auf einem zweiten Blatt. Das ist Sache der ausländischen Staaten. mit der Durchführung dieser Absicht unDr. Becker: Ich habe geschrieben: widerruflich bevollmächtigt haben .." Vors. [Dr. Diederichs]: Soweit Sie das von uns aus können. Dr. Kroll: Es scheint mir eine sehr problematische Sache zu sein, ob das überhaupt in der Form geht. Man kann meines Erachtens keine deutsche Stelle mit dem Verzicht auf eine ausländische Staatsangehörigkeit in der Form beauftra-
Vors. [Dr. Diederichs]: Damit können wir
.
.
28) Siehe hierzu: Walter Schätzel: Der heutige Stand des deutschen Staatsangehörigkeitsrecht, in: AöR 74 (1948), S. 273—318; vgl. Aleksandr Nikolaevic Makarov: Die deutschen Ausbürgerungen 1933—1945 im internationalen Rechtsverkehr, in: Festschrift für Leo Raape, hrsg. von Hans Peter Ipsen, Hamburg 1948, S. 257—266; Michael Hepp (Hrsg.): Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933—45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, 2 Bde., München 1985. 29) Dr. William Denzer, Protokollführer und Pressereferent beim Sekretariat des Pari. Rats.
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Zehnte Sitzung gen,
abgesehen davon,
zuständig sind, das
zu
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daß wohl die Landräte und Oberbürgermeister gar nicht machen. Das müßte vor dem ausländischen Konsulat ge-
schehen.
(Heiland: Es ist eine Frage der Einbürgerung.) Es ist eine Frage der Ausbürgerung. Heiland: Uns würde die Einbürgerung interessieren. Vors. [Dr. Diederichsl: Von einer Einbürgerung kann nicht die Rede sein. Es —
handelt sich um die deutsche Staatsangehörigkeit. Heiland: Es handelt sich nicht um die deutsche Staatsangehörigkeit. Vors. [Dr. Diederichsl: Es fängt mit den Worten „deutsche Staatsangehörige" an. Hier ist von deutschen Staatsangehörigen die Rede. Dr. Becker: Es handelt sich um die Flüchtlinge, die hier hereinkommen und im erleichterten Wege die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen haben, aber ihre alte Staatsangehörigkeit noch beibehalten. Stock: Praktisches Beispiel: sämtliche Sudetendeutschen haben auf ihre tschechische Staatsangehörigkeit nicht verzichtet. Es kann einmal irgendeine Abstimmung kommen. Sie sind aber als Ausgewiesene eo ipso Deutsche geworden30). Vors. [Dr. Diederichsl: Ich meine, wir könnten den § 2 vollkommen missen. Heiland: Wenn wir ihn so stehen lassen, würde ich zumindest jemand hören, der auf diesem Gebiete genauestens Bescheid weiß, damit wir nicht irgendetwas Falsches hineinbauen. Dr. Kroll: Ich habe auch das Gefühl, daß wir uns auf Abwege begeben. Dr. Becker: Ich hatte es gerade entsprechend einem Wunsch des Ausschusses in einer der ersten Sitzungen formuliert31). Vors. [Dr. Diederichsl: Wir könnten es entkomplizieren, wenn wir es ganz offen lassen. Stock: Also streichen wir den Paragraphen. Vors. [Dr. Diederichsl: Das geschieht dann. Es empfiehlt sich, den ganzen Paragraphen zu streichen. Dr. Becker: Ich habe nichts gegen die Streichung. Vors. [Dr. Diederichsl: Wir würden uns in komplizierte internationale Rechtsverhältnisse begeben, die Einzelfälle betreffen und die, wenn wir sie nicht berühren, in einem Gesetz eben nicht geregelt sind und vielleicht in Einzelfällen einen Zweifel ergeben könnten. Dann wird ein solcher Mann eine Beschwerde loslassen. Das würde alles sein. Renner: Ich hätte doch Bedenken gegen die Streichung. Der Mann, der deutscher Staatsangehöriger ist und aus irgendwelchen Gründen gewöhnlich sind sie spekulativer Natur noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzt und diese verteidigt, hat nun wirklich keinen Anspruch darauf, als Deutscher in vollem —
—
30) Durch Verfassungserlaß des Präsidenten der Tschechoslowakei
vom 2. Aug. 1945 verlopraktisch alle deutschstämmigen Personen auf dem Staatsgebiet der Tschechoslowakei ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft (Zentraljustizblatt für die Britische Zone, hrsg. vom Zentral-Justizamt für die Britische Zone 2 [1948], S. 86.)
ren
31) Siehe oben S. 111. 285
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Sinne des Begriffes anerkannt zu werden. Ich frage, mit welchem Recht dieser Mann bei uns soll wählen dürfen. Vors. [Dr. Diederichsl: Mit dem Recht, weil er deutscher Staatsangehöriger ist. Wenn man solche Leute nicht für voll nimmt, soll man ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit nicht geben. Renner: Er hat sie ja gar nicht beantragt. Er profitiert irgendwie von der doppelten Staatsangehörigkeit. Man soll ihm nicht zumuten dürfen, eine Staatsan-
gehörigkeit aufzugeben. dem
Staatsangehörigkeitsgesetz überlassen, nur eine Staatsangehörigkeit haben kann oder zumindest die deutsche Staatsangehörigkeit nicht haben kann, wenn er noch irgendeine andere hat. Ich halte es aber für gefährlich, solche heiklen Geschichten irgendwie im Wahlrecht zu klären. Wenn man das Wahlrecht grundsätzlich auf die deutsche Staatsangehörigkeit abstellt ohne Rücksicht darauf, ob der Betreffende daneben fünf andere Staatsangehörigkeiten hat, kann uns das kalt lassen. Wir schaffen nur die Voraussetzung, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit auf eine bestimmte Zeit haben muß. Wir haben hier gesagt, er muß sie ein Vierteljahr lang besitzen, wobei wir voraussetzen, daß er die Staatsangehörigkeit ehrlich erworben hat. Dann können wir alles andere ohne Vors. [Dr. Diederichsl: Man soll
grundsätzlich
zu
es
bestimmen, daß jemand
Schaden offen lassen.
(Stock: Selbstverständlich.) Es ist nicht anzunehmen, daß es sehr viele Leute gibt, die fünf Staatsangehörigkeiten erwerben, bloß um in den verschiedenen Ländern wählen zu können. Ich würde den Paragraphen herauslassen. Dann setzen wir uns keine Laus in den Pelz. Einzelfälle, die einmal vorkommen, beeinflussen das Gesamtwahlergebnis bestimmt nicht. Renner: Mir ist nachträglich ein Zweifel zu § 1 aufgestoßen. Bei den Personen, die unter Ziffer 1 angesprochen werden, ist das Wahlrecht nicht von dem Zeitpunkt ihres Eintreffens oder ihres Aufenthalts in Deutschland abhängig gemacht. Bei den politischen Leuten werden die 3 Monate als Bedingung vorausgesetzt. Ist das nicht ein Widersinn? Sollte man bei ihnen nicht ebenso wie oben auf die 3 Monate verzichten? Vors. [Dr. Diederichs]: Nein. Für die in Ziffer 1 genannten Personen gilt Absatz 1, sie müssen auch 3 Monate vorher dagewesen sein. Absatz 1 enthält die
allgemeine Vorschrift. unbedingt richtig zu sein. Es heißt in Absatz 2: ferner ." Unter Ziff. 1 ist die Klausel nicht enthalten. Heiland: Es heißt ganz oben: das 21. Lebensjahr vollendet hat und spätestens 3 Monate vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes den Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat." Die 3 Monate konnten in Absatz 2 Ziff. 1 gestrichen werden, weil es schon oben steht. Dr. Becker: Um es klarer zu machen, schlage ich vor, in § 1 Abs. 2 vielleicht zu sagen: Wahlberechtigt ohne Rücksicht auf den Besitz der deutschen StaatsangeDiese Eigenschaft, daß sie Volksangehörige sind und hörigkeit sind ferner ist Ersatz für das Fehlen der deutschen Staatsangehörigkeit. geflüchtet sind, Renner: Das braucht nicht
„Wahlberechtigt sind
.
.
.
...
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Vors. [Dr. Diederichs]: Wir könnten in Absatz 2 die 3 Monate fallen lassen, weil allgemeine Bestimmung des ersten Absatzes gilt. Dr. Kroll: Ich glaube, daß Herr Renner insoweit Recht hat. Die Formulierung ist nicht ganz übersichtlich. Vielleicht kann man so verfahren, daß man in § 1 das, was vorweg bezeichnet ist, mit 1.) bezeichnet, daß man unter 2.) sagt: Wahlberechtigt sind ferner. Man würde dann sagen: unter Bezugnahme auf die Bedingungen, die zu 1.) erfüllt sein müssen, damit ganz deutlich wird, daß die Bedingungen, die für Ziff. 1 gelten, auch für Ziff. 2 und Ziff. 3 gelten. Dr. Becker: Ich wollte sagen: Wahlberechtigt ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit sind ferner Dr. Kroll: Die Bedingungen, die oben formuliert sind, müßten kurz angezogen sein. Herr Renner hat wohl Recht; es sieht so aus, als ob die 3 Monate unter Ziff. 1 wegfallen. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich glaube, Herr Walter und ich wollten eine längere Frist haben32). Durch Abstimmung hat sich eine Mehrheit für die kürzere Frist ausgesprochen. Wir sind uns im Grunde genommen darüber klar, wie wir es formulieren müssen. Dr. Kroll: Ich würde sagen: 1.), 2.), 3.). Vors. [Dr. Diederichs]: Der § 1 würde dann lauten: Wähler zum Bundestag ist, wer am Wahltag die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, das 21. Lebensjahr vollendet hat und spätestens 3 Monate vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes den Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat. Und zwar mit Rücksicht auf diejenigen, die hier nur eine Aufenthaltsgenehmigung und noch kein Wohnrecht haben. In Absatz 2 würde es heißen: Wahlberechtigt sind ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit ferner nur die Staatsangehörigkeit ist aus Absatz 1 herausgenommen, alle anderen Vorbedingungen gelten weiter 1. ) alle diejenigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1. 1. 1945 ihren dauernden Wohnsitz außerhalb der Grenzen des deutschen Reiches nach deren Stand vom 1. 3. 1938 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben. 2. ) Diejenigen Personen, die am 30. 1. 1933 deutsche Staatsangehörige waren, ihren Wohnsitz oder Aufenthalt als politisch, rassisch oder religiös Verfolgte außerhalb des Bundesgebietes genommen, ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben oder verloren haben und mit der Absicht, ihren ständigen Aufenthalt dauernd im Bundesgebiet zu nehmen, vor dem Wahltag ihren Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben. Die Worte „mindestens 3 Monate" würde ich streichen.
die
.
..
—
—
32) Vgl. dazu oben S.
114.
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Dr. Kroll:
Dadurch, daß Sie oben
Sitzung
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die Worte „ohne Rücksicht auf die Staatsangedeuüich, daß die übrigen Bedingungen in Absatz 2, wie Sie ihn jetzt formulieren, unter Ziff. 1 und Ziff. 2 gelten sollen. Vors. [Dr. Diederichs]: Doch! Diese können bestimmt nicht wählen wenn sie nicht 21 Jahre alt sind. Diese Voraussetzung ist nur aus dem Absatz 1 zu entnehmen. Daher gelten alle anderen Bestimmungen des Absatzes 1, mit Ausnahme der Bestimmung über die Staatsangehörigkeit, die hier ausdrücklich ausgenommen worden ist. Es ist doch wohl eindeutig, daß alle Bestimmungen mit Ausnahme der Staatsangehörigkeit, die hier gesondert geregelt ist, auf den Absatz 2 Ziff. 1 und Ziff. 2 Anwendung finden. Es müßte nur die Bestimmung „3 Monate vor dem Wahltag" hier gestrichen werden, weil sie doppelt ist. An sich ist die Bestimmung unbedenklich; denn sie steht schon in dem Absatz 1 drin. Renner: Ist eigentlich der Begriff „deutsche Volkszugehörigkeit" klar? Ist derjenige, der aus dem Gebiet der Sowjetunion kommt, wahlberechtigt, werden Sie ihm die deutsche Volkszugehörigkeit zubilligen? Ich denke an den Wolgadeutschen. Besitzt er die deutsche Volkszugehörigkeit? Dr. Becker: Diese Formulierung stammt wörtlich aus dem Flüchtlingsgesetz. Der Begriff steht danach durch eine Praxis von mindestens 2 Jahren fest. Renner: Nach welchem Flüchtlingsgesetz? In dem Gesetz von Nordrhein-Westfalen steht es nicht33). Dr. Becker: Alle Flüchtlingsgesetze, die wir haben bekommen können, liegen hier zur Einsicht vor. Ich habe das bayrische, das württembergische und das hessische herangezogen. Renner: Ich bin verpflichtet, meine Bedenken gegen die Formulierung des Absatzes 1 anzumelden. Wenn ich richtig verstanden habe, daß man die Modifikationen dem Plenum bzw. dem Hauptausschuß gleich mitvorlegen will, bin ich verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß nach unserer Auffassung das aktive Wahlrecht schon mit 18 Jahren beginnen soll34). Vors. [Dr. Diederichs]: Diese Anträge können Sie jederzeit im Plenum stellen. Wir erwarten diese Anträge. Renner: Ich sage es hier schon, damit es nicht nach außen falsch ausgelegt wird. Ich lege ferner Wert darauf, zu Protokoll zu nehmen, daß mir der Begriff der Volkszugehörigkeit unklar erscheint und daß ich mir vorbehalte, dazu eine klare Stellung zu nehmen. Ich frage weiter, was der Stand vom 1. 3. 1938 bedeutet. Ich habe in der Zeit, als es passierte, gesessen oder war im Ausland. War damals schon Österreich vereinnahmt?
hörigkeit" einschalten,
nur
ist noch nicht
33) Auch das nordrhein-westfälische Flüchtlingsgesetz vom 2. Juni 1948 (GVOB1. Nr. 29, S. 216) definierte als Flüchtlinge: „Alle Personen deutscher Staats- oder Volkszugehörigkeit, welche ihren letzten ständigen Wohnsitz vor der Ausweisung oder Flucht außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs nach deren Stand vom 1. Januar 1938 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen sind." 34) Renner äußerte sich dementsprechend im Hauptausschuß am 11. Nov. 1948 bei der ersten Lesung des Abschnitts „Der Bundestag" (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 8).
288
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Heiland: Österreich ist noch nicht drin35). Renner: Dann bin ich im Bilde. Vors. [Dr. Diederichsl: Wir hatten uns geeinigt, den § 2 herauszulassen, um Komplizierungen zu vermeiden. Der § 3 des Entwurfs von Dr. Becker lautet: 3) Wer aufgrund der in den Ländern geltenden gesetzlichen Bestimmungen über Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus a) entweder infolge gesetzlicher Vermutung mit der daraus gesetzlich verbundenen Wirkung des Verlustes des Wahlrechts als belastet gilt b) oder durch rechtskräftigen Spruch aufgrund der genannten Bestimmungen des Wahlrechts verlustig erklärt ist, und zwar für die hierbei bestimmte Zeit. Behindert in der Ausübung ihres Wahlrechts sind Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind, femer Straf- und Untersuchungsgefangene sowie Personen, die infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden. Dazu habe ich mir bei Ziff. 3 a) ein Fragezeichen gemacht. Da ist von der gesetzlichen Vermutung die Rede. Ich weiß nicht, ob das nicht zu weit führt, ob wir uns in diesem Wahlgesetz nicht auf die Fälle beschränken sollten, in denen tatsächlich das Wahlrecht aberkannt ist. In anderen Fällen, in denen schwere politische Delikte vorliegen, die kriminellen Charakter haben und möglicherweise den Verlust des Wahlrechts nach sich ziehen, dürften die Leute sich meist in Gewahrsam befinden, da ihre Sache noch schwebt. Ich glaube, wir dürfen in dem kommenden Wahlrecht von politisch schwer belasteten Personen abgesehen doch den Kreis der Wahlberechtigten nicht zu eng ziehen. Wir bringen das wenn ich es einmal so nennen darf erste Wahlrecht auf der obersten Ebene des Bundes und des kommenden Reiches. Wir sollten also Ausnahmebestimmungen vom Wahlrecht auf die Fälle beschränken, in denen es wirklich not—
—
wendig
ist. Dr. Becker: Ich habe mich hierbei
nur nach dem Recht der amerikanischen Zone geRecht französischen weil und der britischen Zone nicht kenne. In ich das der richtet, der amerikanischen Zone war es so, daß derjenige, der in der Nazizeit einen bestimmten Posten hatte, nach der Anlage zum Befreiungsgesetz36) in Gruppe II gehörte, und wenn er in Gruppe II war, hatte er eo ipso kein Wahlrecht. Inzwischen ist das etwas gemildert, indem nach der Rundverfügung 71 gewisse Posten nicht mehr als belastende Ämter usw. gelten37), so daß die Ziff. 3 a) meiner Überzeugung nach praktisch auf dem Papier stehen wird.
35) Österreich wurde dem Deutschen Reich am 13. März 1938 angegliedert (RGBl. I, S. 237). 36) Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus (Befreiungsgesetz) vom
5. März 1946, in Bayern veröffentlicht in: GVOB1. Nr. 10 vom 1. Juli 1946, S. 161. Die Anlage zum Befreiungsgesetz beruhte auf den Richtlinien der Direktive Nr. 24 des Kontrollrates, die die Bevölkerung je nach politischer oder beruflicher Vergangenheit in zwei
Klassen einteilte.
37) Siehe hierzu: John G. Kormann: U.S. Denazification Policy in Germany, 1944—1950, Bad Godesberg 1952, S. 127 passim. 289
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(Heiland: Dann streichen wir es.) Ich habe es nur hineingesetzt, weil sonst hinterher die Besatzungsmacht darüber stolpert und die Geschichte zurückschickt. Wir verlieren dann für die Ausfertigung des Gesetzes ein paar Wochen Zeit. Ich bitte aber, die Dinge auch von den Verhältnissen der britischen Zone her zu beachten. Walter: Ich darf hierzu ein Beispiel erwähnen. In meinem Haus wohnt der frühere Generalstaatsanwalt von Württemberg38). Er ist jetzt 73 Jahre alt, war bis zum Jahre 1937 im Amt, war nicht Pg.39) und mußte aus diesem Grunde auch gehen. Aufgrund seines Amtes ist er Hauptschuldiger. Der Mann darf nicht wählen. (Dr. Becker: Auch heute noch nicht?) Auch heute noch nicht, weil er noch nicht abgeurteilt ist. Ich glaube, wir sollten uns, wie schon der Herr Vorsitzende soeben gesagt hat, auf die Fälle beschränken, in denen tatsächlich das Wahlrecht aberkannt ist. Dr. Becker: Ich habe nichts dagegen. Renner: Ich habe unten unser kommunales Wahlrecht von Nordrhein-Westfalen40). Vielleicht kann man aus diesem Wahlrecht ersehen, wer bei uns noch generell als ausgeschlossen gilt. Heiland: Ich habe das Gesetz mitberaten. In dieses Gesetz ist zum größten Teil noch der Katalog übernommen, der 1946 gegolten hat41). Ich weiß nicht, ob man diesen weitgehenden Katalog tragen kann, zumal die Entnazifizierung diese Formen angenommen hat. Ich habe jetzt bei unserer Gemeindewahl42) Fälle festgestellt, in denen Bergleute, die nicht entnazifiziert zu werden brauchen und die in der NSDAP irgendeinen Blockleiterposten gehabt haben, nicht wähwie Schacht durch die Entnazifizierung len durften, während Leute, die gegangen und in Gruppe V gekommen sind, dadurch das Wahlrecht wiedererworben haben43). Die anderen werden nie in die Entnazifizierung gehen. Wir schließen gerade die Leute von den staatsbürgerlichen Rechten aus, die verhältnismäßig wenig Verantwortung am Nationalsozialismus tragen. Nachdem die Entnazifizierung solche katastrophalen Formen angenommen hat und ein vollkommener politischer Fehlschlag gewesen ist, würde ich eine allzu große Beschränkung im Wahlrecht nicht mehr für notwendig halten. Ob ein paar Reaktionäre mehr wählen, macht nicht viel aus. Man hat damit eine rechtliche Gleichheit geschaffen. Die wirklich Verantwortlichen haben sich soviel Rechtsanwälte genommen, daß sie sich durchgepaukt haben. —
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—
38) Generalstaatsanwalt Karl August Heintzeler (25. Aug. 1872-5. Feb. 1953). 39) Pg: Abkürzung für Parteigenosse, d. h. Mitglied der NSDAP. 40) Gesetz über die Gemeindewahlen im Lande Nordrhein-Westfalen (Gemeindewahlge-
setz) vom 6. April 1948, in: GVOB1. Nr. 2, S. 185. Siehe auch die von dem zuständigen Referenten der Landesregierung Georg Rasche besorgte Ausgabe: Das Gemeinde-Wahlgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 6. April 1948. Hrsg. und erläutert von
G. Rasche, Köln/Opladen 1948. 41) Durch die Verordnung Nr. 28 („Die Registrierung der Wähler") vom 20. April 1946 (Amtsbl. S. 201) hatte die britische Militärregierung zahlreiche Personen vom Wähler-
kreis ausgeschlossen. Zur Entwicklung des Kommunalwahlrechts in NRW siehe lem: Lange, Wahlrechtsstreit, S. 41 ff. 42) Gemeindewahl in NRW vom 17. Okt. 1948. 43) Siehe oben Dok. Nr. 5, Anm. 39. 290
vor
al-
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Dr. Kroll: Zunächst möchte ich Sie auf folgendes aufmerksam machen, Herr Dr. Becker. Wenn Sie die Leute mit der gesetzlichen Vermutung hineinnehmen, dürfen Sie sie nur als behindert bezeichnen, nicht als vom Wahlrecht ausgeschlossen. Sie sind nur durch die Tatsache behindert, daß der rechtskräftige Spruch noch nicht gefällt ist. Zum größten Teil werden sie nachher wahlberechtigt werden. Es ist eine Behinderung, aber kein Ausschluß im echten Sinne. Wenn wir diese Bestimmungen betreffend den Nationalsozialismus nicht umgeich sehe keine Möglichkeit, da es sich um noch gültige Gesetze hen können möchte ich einfach so formulieren: Wer aufder Militärregierung handelt den in der Ländern geltenden gesetzlichen Bestimmung über die Befreigrund und zum Zeitpunkt der Wahl im von Nationalsozialismus Militarismus ung Wahlrecht behindert oder vom Wahlrecht ausgeschlossen ist Wie die Gesetze dann aufgebaut sind, ob sie eine Vermutung kennen oder nicht, ist Sache der betreffenden Zone und braucht uns hier nicht zu interessieren. Das haben wir hier nicht zu formulieren. Dr. Becker: Es hat aber zur Folge, daß wir nunmehr zu diesem Gesetz ländermäßig Ausführungsgesetze machen müssen. Sonst sind diese nicht nötig. Dr. Kroll: Wir kommen um die Tatsache nicht herum, daß wir in den einzelnen Zonen unterschiedliche Entnazifizierungsbestimmungen haben. Das ist Sache der Gesetzgebung der Militärregierungen. Wir können das nicht ändern. Vors. [Dr. Diederichsh Ich möchte vorschlagen, unter Ziff. 3 einfach zu sagen: Wer aufgrund der in den Ländern geltenden gesetzlichen Bestimmungen über Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus durch rechtskräftigen Spruch aufgrund der genannten Bestimmungen des Wahlrechts verlustig erklärt ist, und zwar für die hierbei bestimmte Zeit, der ist entweder vom Wahlrecht ausgeschlossen oder an der Ausübung des Wahlrechts behindert. (Roßhaupter: Oder wir sagen: das Wahlrecht ruht.) Oder: das Wahlrecht ruht. Wenn die betreffende Zeit abgelaufen ist, hat er das Wahlrecht automatisch wieder. Das würde bedeuten, daß wir den Fall a) mit der Vermutung einfach weglassen, so daß wir eine ganz klare Formulierung haben. Entweder ist er nach den Bestimmungen der Militärregierung in dem jeweiligen Land, in dem er sein Wahlrecht ausübt, behindert oder er ist durch direkten Richterspruch vom Wahlrecht ausgeschlossen. Dann kann er auch nicht wählen. Das würde bedeuten, daß wir den Punkt a) herausnehmen und das andere redaktionell so formulieren, daß es in den Text hineinpaßt. Renner: Man sollte sich überlegen, ob man die Behinderung auch für Untersuchungsgefangene und für Gefangene aussprechen soll, die aufgrund einer polizeilichen Anordnung in Verwahrung gehalten werden. Es könnte der Zustand eintreten, daß irgendeine Polizeibehörde an dem betreffenden Tag eine Razzia um mich einmal ganz vulgär ausmacht und bestimmte Gruppen abserviert zudrücken —. Man soll sich gegen alle Möglichkeiten von vornherein schützen. Genauso bin ich der Meinung, daß einem Untersuchungsgefangenen, der unter Anklage steht, nichts bewiesen ist. Warum soll man ihn als behindert ansprechen? Das ist eine alte Forderung, die auch in der alten Sozialdemokratie seit 30 Jahren gestellt worden ist, soweit ich zurückdenken kann. Ganz oder gar —
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die Anerkennung der Behinderung bei einfacher polizeilicher Verausschalten. Polizeilicher Gewahrsam kann ein Akt der Willkür sein. wahrung Walter: Wir haben uns über die Frage der Gleichstellung der Untersuchungsgefangenen und der Strafgefangenen hier schon einmal unterhalten44). Wer halbwegs mit dem Strafvollzug etwas zu tun gehabt hat, weiß, daß eine Unterscheidung aus praktischen Gründen schlechterdings unmöglich ist. Dazu kommen sachliche Gesichtspunkte. Untersuchungsgefangene sind nicht bloß die Gefangenen, denen bisher nichts bewiesen ist. Denken sie an Leute, die in der ersten Instanz verurteilt sind, die sich in Untersuchungshaft befinden und Berufung oder Revision eingelegt haben. Nehmen wir an, der Mann ist zum Tode verurteilt, er legt Revision ein, die Sache kommt an das Reichsgericht oder ein Oberlandesgericht. Warum soll ein solcher Mann wählen können? Nehmen wir an, der Fall ist ganz glatt, das Todesurteil ist mit Recht ergangen, er legt Revision ein, um den Strafvollzug hinauszuschieben45). Ich halte es schon aus praktischen Gründen und auch aus den soeben angeführten Gründen für unmöglich. Vors. [Dr. Diederichs]: Die Frage ist hier schon eingehend behandelt worden. Eine Fülle von Schwierigkeiten hat uns damals veranlaßt, es drin stehen zu lassen. Außerdem ist es nicht als Ausschluß vom Wahlrecht, sondern nur als Behinderung deklariert. Eine Behinderung ist es zweifellos, weil eine Fülle technischer Schwierigkeiten damit zusammenhängt. Renner: Wenn man im Krankenhaus wählen kann, kann man auch im Gefängnis Wahlen machen. Vors. [Dr. Diederichs]: Es ist aber ein Fall, in dem wir uns wegen einer ganz kleinen Minderheit unnötige Schwierigkeiten machen. Renner: Sie haben sich nicht zu der Frage des polizeilichen Gewahrsams geäußert. Stellen Sie sich Entwicklungsmöglichkeiten vor, die durchaus eintreten können, indem an Wahltagen einmal nach links und nach rechts abgeschöpft wird. Dann ist es mit dem Wahlrecht aus. Solche Dinge sollte man wenigstens berücksichtigen. Der polizeiliche Gewahrsam kann ein reiner Willkürakt sein. Heiland: Wir wollen hoffen, daß diese Methoden bei uns nicht Platz greifen. So sehr wollen wir bei anderen nicht in die Schule gehen. Renner: Damals hat man uns in die Kz's gebracht, und aus war es. Vors. [Dr. Diederichs]: Da war von Wahlrecht keine Rede mehr. Wenn wir in eine solche Situation kommen, können wir unser ganzes Wahlrecht ruhig beiseite legen. Heiland: Ich würde den Einspruch von Herrn Renner protokollarisch festhalten und fortfahren. Vors. [Dr. Diederichs]: Der § 4 des Entwurfs lautet: Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste oder Wahlkartei eingetragen ist oder einen Wahlschein hat. Das ist wohl eindeutig. Ich habe keine Bedenken.
sollte
man
44) Siehe oben Dok. Nr. 5, TOP 1 c. 45) Folgt gestrichen: „er legt Revision ein, um sein Leben zu verlängern oder um den Strafvollzug hinauszuschieben, um in den Genuß des Grades des Untersuchungsgefangenen zu
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kommen."
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(Es erhebt sich kein Widerspruch.) In § 5 des Entwurfs heißt es: Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der am Wahltage das 25. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Im Sinne dieser Bestimmungen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit ein Jahr lang diejenigen, die nach §1, Abs. 2, Nr. 1 wahlberechtigt sind, wenn sie bis zum 1. 9. 1938 und diejenigen, die nach § 1, Abs. 2, Nr. 2 wahlberechtigt sind, wenn sie bis zum 30. 1. 1933 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen haben, falls sie am Wahltage mindestens 2 Jahre ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben. Maier: Die Kriegsgefangenen und die politisch Verfolgten, die einen ziemlich großen Kreis darstellen, würden ausgeschlossen sein. Vors. [Dr. Diederichs]: Nein. Es handelt sich um die Staatsangehörigkeit. Dadurch, daß jemand Kriegsgefangener oder Vertriebener ist, hat er die Staatsangehörigkeit nicht verloren. Heiland: Ich denke an Oberbürgermeister Brauer in Hamburg46). Er hatte die amerikanische Staatsangehörigkeit. Er ist aus Amerika wiedergekommen, hat seine amerikanische Staatsangehörigkeit aufgegeben und ist faktisch Ministerpräsident im Lande Hamburg geworden. Vors. [Dr. Diederichs]: Er hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Heiland: Er hat sie nicht gehabt. Vors. [Dr. Diederichs]: Er hat sie wieder. Wenn er keine 2 Jahre da ist, kann er nicht gewählt werden. Vors. [Dr. Diederichs]: Wenn er die Staatsangehörigkeit hat, braucht er nur drei Monate da zu sein. Dr. Kroll: In den beiden letzten Zeilen des § 5 wird für das passive Wahlrecht der zweijährige Aufenthalt im Bundesgebiet verlangt. Vors. [Dr. Diederichs]: Nur für den Fall, daß er keine deutsche Staatsangehörigkeit hat. (Stock: Wenn er bis zum 1. 9. 1938 die Staatsangehörigkeit schon gehabt hat, ist es ganz klar.) Wenn er früher die Staatsangehörigkeit gehabt hat, ist es klar. Es handelt sich um den Ersatz der Staatsangehörigkeit durch eine gewisse Aufenthaltsdauer. Dr. Becker: Außerdem sind die zwei Jahre für die meisten herum. Heiland: Das kann man nicht sagen. Professor Reuter47) ist eine ganze Zeit lang —
4B) Max Brauer (3. Sept. 1924
1887-2. Feb. 1973),
SPD-Politiker,
war
1919
Bürgermeister und
Oberbürgermeister von Altona. Nach seiner Verhaftung im Jahre 1933 floh er in die
Schweiz und emigrierte 1936 in die USA, wo er an verschiedenen Universitäten lehrte. kehrte Brauer nach Deutschland zurück und war 1946—53 und 1957—60 Erster Bürgermeister von Hamburg. Er war MdB von 1961 bis 1965. 47) Ernst Reuter (siehe oben Dok. Nr. 5, Anm. 53) war während des Dritten Reichs von 1939 bis 1945 im türkischen Exil Professor für Kommunalwissenschaft in Ankara. 1946
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nach Deutschland zu kommen. Mittlerweile sind die 2 Jahre konnte nach Deutschland nicht kommen, weil die alherum. Reuter wohl Prof. liierten Besatzungsmächte die Einreise nicht ermöglicht haben. (Vors. Dr. Diederichs: Er hat aber die Staatsangehörigkeit.) Ob Reuter die Staatsangehörigkeit verloren hatte, kann ich im Moment nicht sagen. Doch bei Brauer weiß ich genau, daß er die amerikanische Staatsbürgerschaft gehabt und damit die deutsche verloren hat. Er hat jetzt die amerikanische Staatsbürgerschaft wieder aufgegeben und die deutsche erworben. Nach diesem Passus heißt es, er muß 2 Jahre im Bundesgebiet wohnen, damit er passiv wieder wahlberechtigt ist. Vors. [Dr. Diederichs]: Wenn er die Staatsangehörigkeit nicht erworben hat, muß er die 2 Jahre Aufenthalt haben, sonst genügen 3 Monate. Es steht doch ganz deutlich drin. (Heiland: Das kann ich nicht lesen.) Es heißt doch: „Im Sinne dieser Bestimmungen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit .." Das ist eine Fiktion statt des Erwerbs der Staatsangehörigkeit. Das hat mit der sonstigen Wahlberechtigung nichts zu tun. Dieser Passus ist ein Ersatz für eine nicht erworbene Staatsangehörigkeit, nicht aber eine Voraussetzung der Wählbarkeit. Wenn er die Staatsangehörigkeit hat, braucht er nur ein Vierteljahr da zu sein. Heiland: Sie müssen seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Das steht im ersten Absatz. Im letzten Satz von Absatz 2 heißt es dann: „falls sie am Wahltage mindestens 2 Jahre ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben." Vors. [Dr. Diederichs]: Wenn sie alles andere nicht erfüllen. Wenn sie aber die Staatsangehörigkeit haben, trifft das nicht ein. Wir können es daraufhin noch einmal prüfen. Es ist in der Formulierung etwas schwierig. besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit ein Dr. Kroll: Die Formulierung: Jahr lang diejenigen ." ist stilistisch unmöglich. Das kann man so nicht stehen lassen. Das wäre Sache des Redaktionsausschusses. Vors. [Dr. Diederichs]: Man müßte sagen: Der Absatz 1 gilt als erfüllt, wenn So ist es gemeint, und so habe ich es auch gelesen. Dr. Kroll: Man müßte sagen: Absatz 1 gilt als erfüllt, wenn Dr. Becker: Absatz 1 allein genügt nicht, man müßte sagen Absatz 1 hinsichtlich der Staatsangehörigkeit. Vors. [Dr. Diederichs]: Ja, hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, die da vorausgesetzt ist. Wir kommen dann zu §6, der lautet: Erklärt der gewählte Abgeordnete nicht binnen 2 Wochen seit Empfang der amtlichen Mitteilung seiner Wahl dem zuständigen Wahlleiter, daß er das Mandat ablehnt, so ist das Mandat angenommen. Das ist gut. Er braucht keine positive Erklärung abzugeben. Sie gilt als abgegeben, wenn er nicht innerhalb von 14 Tagen abgelehnt hat. Es heißt weiter: Eine Ablehnung nach ausdrücklicher schriftlicher, dem Wahlleiter gegenüber abgegebener Annahmeerklärung ist unwirksam.
gehindert worden,
—
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..
294
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heißt, wenn er einmal angenommen hat, kann er nur noch zurücktreten, aber nicht mehr ablehnen. Der Verzicht muß nach § 7 dem Präsidenten gegenüber erklärt werden. Hier handelt es sich um die Erklärung gegenüber dem Wahlleiter, um die Annahmeerklärung. Sie gilt als erfolgt, wenn innerhalb 14 [Tagen] nichts Gegenteiliges erklärt ist. Das bedeutet eine Erleichterung. Man braucht also faktisch bei einer Annahme nichts zu erklären, sondern nur die 14 Tage ablaufen zu lassen, ohne etwas zu unternehmen. Man gilt dann als gewählt. In § 7 heißt es: Ein Abgeordneter verliert seinen Sitz 1. ) durch Verzicht, 2. ) durch nachträglichen Verlust des Wahlrechts, 3. ) durch straf gerichtliche Aberkennung der Rechte aus öffentlichen WahDas
len, durch Ungültigerklärung der Wahlprüfungsverfahren, 5. ) durch nachträgliche Änderung
4. )
6. ) falls
er
Wahl oder des
sonstiges Ausscheiden beim
Wahlergebnisses,
Kommunal-, Landes- oder Bundesbeamter ist,
sobald er während der Legislaturperiode befördert oder in ein höheres Amt berufen, oder als solcher angestellt wird. Dies gilt nicht für Wahlbeamte. Das letztere ist eine von den alten Bestimmungen. Alle alten Parlamentarier erklären immer wieder, es habe Beamte gegeben, die wegen ihres Mandats im Galopp befördert worden seien, die, weil man sich durch sie allen möglichen Einfluß versprochen habe, in kürzester Zeit vom Regierungsrat zum Ministerialdirektor aufgestiegen seien. Um diese Karriere-Parlamentarier zu verhindern, habe man die Bestimmung gemacht, daß solche Leute, während sie das Mandat haben, Beförderungen als Beamte nicht annehmen dürfen, es sei denn, unter Verlust ihres Mandats. Roßhaupter: Wenn einer früher befördert wurde, mußte er sich der Neuwahl
unterziehen48). Dr. Becker: Ich habe einen solchen Fall erlebt. Die Neuwahl sollte die Probe aufs Exempel sein, ob er trotzdem das Vertrauen der Wähler noch hat. Vors. [Dr. Diederichs]: Man will den Eindruck auf seiten des Wählers vermeiden, daß der Beamte aufgrund des Mandats Karriere gemacht hat. Ich weiß nicht, ob die Bedenken wirklich so groß sind, daß man eine solche Bestimmung unbedingt in das Wahlgesetz hineinschreiben muß. Dr. Fecht: Die Bestimmung hat vor 1918 gegolten. Erst in der Weimarer Verfassung wurde sie abgeschafft. Wenn früher ein Beamter, der Reichstagsabgeordneter war, befördert wurde, mußte er sein Mandat niederlegen. Dann mußte eine Nachwahl stattfinden. Das ist seinerzeit mit guten Gründen so beschlossen worden. Bei der Weimarer Verfassung kam hinzu, daß sehr viele Parlamentarier als Beamte in Frage kamen. Es wäre eine sehr wenig angenehme Sache gewe-
4B) Reichsverfassung Art.
21
Abs. 2 (RGBl. 1871 Nr. 16, S. 63). 295
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hier eine Nachwahl vornehmen zu lassen, weil damals das Verhältniswahles infolgedessen nicht möglich war, den Mann wieder aufzustellen. Ich glaube, die Sache hat nur ihre Berechtigung, wenn eine Mehrheitswahl stattfindet, für die Verhältniswahl geht es nicht. Wenn hier ein gemischtes System angenommen wird, glaube ich nicht, daß man es aufnehmen kann. Vors. [Dr. Diederichs]: Grundsätzlich bin ich auch nicht der Auffassung, daß man einen solchen Passus unbedingt braucht. Es ist in Einzelfällen vielleicht möglich, daß jemand aufgrund seines Mandats besondere Karriere macht. Aber es ist nicht unbedingt vorauszusetzen, zumal die Leute, wenn sie wirklich ihr Mandat ausüben, meistens nicht da sind, so daß zur Beförderung kaum Veranlassung bestehen dürfte. Stock: Sie werden befördert, obwohl sie nicht da sind. Dr. Kroll: Die normalen Beförderungen werden auch ausgeschlossen. Vors. [Dr. Diederichs]: Wenn einer mit Beförderungen an der Reihe ist und soll deshalb entweder nicht befördert werden oder sein Mandat verlieren, so ist das eine Härte. Wenn ein Industrieller während der Zeit des Mandats mehr verdient, macht ihm kein Mensch einen Vorwurf. Dr. Becker: Ich glaube, die Bestimmung macht die Sache etwas mehr volkstümlich. Gerade das Geschrei über die Parteibürokratie würde ein bißchen inhibiert werden. Vors. [Dr. Diederichs]: Glauben Sie, daß das Volk auf solche Sachen wirklich hüpft? Ich glaube, nicht. Wenn es darin steht und wenn wir es in einer großen Diskussion im Parlament herausbugsieren, wird das Volk möglicherweise darauf aufmerksam und fragt sich, was hier im Hintergrund steht. Wenn wir es von vornherein nicht aufnehmen, wird es, glaube ich, keiner in dem Gesetz vermissen. Die allerwenigsten Leute kommen auf die Idee, daß man solche Bestimmungen möglicherweise aufnehmen müßte. Dr. Becker: Der Amerikaner hat bei uns in Hessen mit diesen Bestimmungen sehr deutlich gewinkt. Walter: Die Bestimmung ist, wie der Herr Kollege Dr. Fecht mit Recht hervorgehoben hat, in der kaiserlichen Zeit aufgenommen worden. Der Grund war nicht der, der heute in den Vordergrund geschoben wird. Es war vielmehr die Frage, ob das Volk noch Vertrauen zu dem Abgeordneten hat, wenn er die höhere Stellung bekleidet. Im kaiserlichen Deutschland wurden nämlich die Abgeordneten bei der Beförderung nicht gerade bevorzugt. Wer die Verhältnisse von damals noch kennt, weiß, daß das Gegenteil der Fall war. Beamte, die früher der Sozialdemokratie oder der Zentrumspartei angehört haben, konnten sich über rasche Beförderung nicht beschweren. Bevorzugt waren bekanntlich die Rechtskreise. (Stock: Nationalliberale, Konservative und Freikonservative.) Die Bestimmung hat nur bei der Mehrheitswahl einen Sinn. Bekommen wir die Mehrheitswahl, ist zu überlegen, ob die Bestimmung aufzunehmen ist. Bei der Verhältniswahl hat es gar keinen Sinn. Wenn der eine ausscheidet, rückt der andere nach. Bei einem Mischsystem hätten wir eine Unterschiedlichkeit bei den Abgeordneten, die aufgrund einer Kreisliste und einer Landesliste gewählt sind. Sie würden anders behandelt werden, als die Abgeordneten, die aufgrund sen,
system galt und
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Proporz-Landesliste gewählt Schwierigkeiten. einer
werden. Sie sehen,
es
gibt
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in dieser
Richtung
Vors. [Dr. Diederichs]: Ich halte jede solche Ausnahraebestimmung für schief. Wenn jemand aus irgendwelchen Dingen eine Rente bezieht und der Diskontsatz erhöht wird, hat er auf einmal auch eine Art Beförderung. Man sollte solche Dinge nicht so speziell regeln. Ich würde darin doch irgendwie eine klassenmäßige Unterscheidung zwischen denjenigen, die aus Beamtenkreisen stammen, und denjenigen, die aus anderen Kreisen stammen, sehen. Ich würde also nicht empfehlen, eine solche Bestimmung aufzunehmen. Renner: Das Unsinnige an diesem Paragraphen wird besonders klar, wenn man sich die Ausnahme ansieht, die hier gemacht worden ist. Interessant ist, daß die Bestimmung für die Wahlbeamten nicht gelten soll. Wenn man von einer wirklichen Beförderung reden kann, so ist es doch gerade bei den Wahlbeamten der Fall. Wenn eine Körperschaft aus der Eigenschaft eines Mannes als Abgeordneten einen Vorteil ziehen will, kann sie ihn zum Wahlbeamten machen. Dann tritt diese Bestimmung nicht mehr in Kraft. Nach 1918 war es doch so, daß gewisse Städte sich Abgeordnete gewissermaßen als Hof-Abgeordnete gehalten haben. Das waren die Vertreter bestimmter Städte, die nur deshalb Beigeordnete wurden, weil sie Reichstagsabgeordnete waren. Schräge: Wir sind einig, daß diese Bestimmung gestrichen werden soll. Stock: Damit bin ich einverstanden. Dr. Becker: Die Ziffer 6 von § 7 wird also gegen meine Stimme gestrichen. Stock: Was die Wählbarkeit von aktiven Nationalsozialisten als Abgeordnete angeht, so heißt es in den Landeswahlgesetzen ausdrücklich, daß derjenige, der in die Gruppe III, also der Minderbelasteten, eingereiht ist, nicht mehr wählbar ist. Er kann nicht Abgeordneter sein, er kann wählen, ist aber nicht wählbar49). Dr. Becker: Er kann aber vom Wahlrecht ausgeschlossen sein. Stock: Das muß durch den Spruch bezeichnet sein. Er ist nicht wählbar. Die Spruchkammer kann niemals darüber entscheiden, daß er als Abgeordneter wählbar ist. Ich bin der Auffassung, wenn die Gruppe III zum Landesparlament nicht wählbar ist, kann sie erst recht nicht zum Reichsparlament wählbar sein. Dr. Becker: In § 5 meines Entwurfs ist gesagt, wählbar ist jeder Wahlberechtigte. Wenn er nicht wahlberechtigt ist, ist er auch nicht wählbar. Stock: Man muß einen großen Unterschied zwischen Wahlberechtigung und Wählbarkeit machen. Es kann jemand sein Stimmrecht, das sogenannte staatsbürgerliche Recht, ausüben, aber trotzdem nicht Abgeordneter werden. Das ist eben der Unterschied. Dr. Becker: Ich verweise auf meine Formulierung von § 3 Ziffer 3. Diese Formu-
lierung
war
ja weitergehend.
Stock: Sie wollten ihm das Stimmrecht nehmen, so daß er nicht wählen kann. Wir müssen hier den Unterschied zwischen der Wahlberechtigung und der Wählbarkeit machen. Hier muß die Bestimmung hinein, daß derjenige, der in Gruppe III oder II oder I ist, das passive Wahlrecht nicht hat, also als Abgeord-
49) Siehe hierzu auch oben Dok. Nr. 5, TOP 1 b. 297
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neter nicht
gewählt werden kann. Wir haben jetzt in Bayern sogar ein neues Gesetz geschaffen, nach welchem diejenigen, die als Mitläufer eingereiht sind, nicht einmal stellvertretende Bürgermeister oder Landräte werden können50). Hier bei der Wählbarkeit muß schon eine entsprechende Bestimmung hinein. Maier: Kann nicht einfach eine Verweisung auf die Landesgesetzgebung erfolgen?
Stock: Das geht nicht. Wir können kein Wahlrecht machen, nach welchem in Bayern anders als in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg anders als in Niedersachsen gewählt wird. Es muß nach einheitlichen Gesichtspunkten gewählt werden. Maier: Beim aktiven Wahlrecht haben wir den Verweis auf die Landesgesetzge-
bung gemacht51).
Dr. Kroll: Auf die Militärgesetzgebung. Maier: Diese ist aber unterschiedlich. Dr. Kroll: Das ist zwingend, weil wir eine einheitliche
Militärgesetzgebung
nicht herbeiführen können. Stock: In bezug auf die Wählbarkeit glaube ich schon, daß eine einheitliche Gesetzgebung herbeigeführt werden kann. Es ist selbstverständlich, daß bei den Amerikanern derjenige, der minderbelastet ist, nicht wählbar ist52). Die Franzosen und Engländer werden nicht anderer Auffassung als die Amerikaner sein. Maier: Bei den Franzosen ist es ebenso. Heiland: Wer in der britischen Zone in Gruppe III ist, hat nicht einmal das
Wahlrecht53). Stock: Dafür bin ich auch. Vors. [Dr. Diederichs]: Und wenn er das Wahlrecht nicht hat, entfällt auch die Wählbarkeit. Man könnte nur der Auffassung sein, daß für die Wählbarkeit höhere Anforderungen als für das aktive Wahlrecht gestellt werden müssen. Dann müßte dem § 5 noch ein neuer Absatz hinzugefügt werden. Da es in den einzelnen Besatzungszonen noch verschieden gehandhabt wird, ist es schwierig, hier den richtigen Passus zu finden. Wir haben auf der einen Seite keinen Grund, die Bestimmungen zu verschärfen; auf der anderen Seite haben wir keine Möglichkeit, sie zu erleichtern. Stock: Da bin ich schon etwas anderer Auffassung. Ich bin schon der Meinung, wir dürfen auch von uns aus, ganz gleichgültig, wie die Militärregierungen darüber denken, nicht zulassen, daß derjenige, der als Minderbelasteter eingereiht ist, wählbar ist. Ich möchte keinen Minderbelasteten im Reichs- oder Bundesparlament haben. Diese Auffassung vertrete ich auch nach außen hin. Vors. [Dr. Diederichs]: Wenn die Maßstäbe von Land zu Land verschieden sind, ist es ungeheuer schwierig. Dann kriegen wir aus irgendeinem Land einen EnÜasteten, der viel brauner ist als ein Minderbelasteter aus einem anderen Lande.
50) Änderungsgesetz vom 30. Sept. 1948, GVOB1. Nr. 21, S. 203. 51) Vgl. § 3 Abs. 3. 52) Art. 47 Abs. 2 und 3 LWahlG Bayern (GVOB1. Nr. 21, S. 309). 53) § 2 LWahlG Nordrhein-Westfalen (GVOB1. Nr. 7, S. 69). 298
Zehnte Sitzung 26. Oktober 1948
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Stock: Daran können wir nichts ändern. Aber wir können hier für das Bundeswahlrecht hineinschreiben, daß ein Minderbelasteter nicht die Wählbarkeit besitzt. Vors. [Dr. Diederichs]: Das müßte unter § 5 kommen. Dr. Kroll: Gilt der Ausdruck „Minderbelasteter" auch in der britischen Zone? Heiland: Da muß man es gruppenmäßig machen. Vors. [Dr. Diederichs]: Minderbelasteter ist alles, was IV und höher ist. Dr. Kroll: Minderbelasteter ist in der amerikanischen Zone nur III. Das ist ein ganz bestimmter Begriff. Unter IV sind Mitläufer, unter V Entlastete. Stock: Es müßte hinein: Minderbelastete besitzen nicht die Wählbarkeit (Gruppe III). Dr. Becker: Wir müßten sagen, für welche Zeit. Vors. [Dr. Diederichs]: Sie werden von Jahr zu Jahr überprüft und kommen heraus. Außerdem machen wir ein Wahlrecht für die erste Wahl. Für später können wir das vollkommen offen lassen. Dr. Kroll: Minderbelastete ohne Bewährungsfrist, deren Bewährungsfrist noch nicht abgelaufen ist, haben auch bei uns nicht das aktive Wahlrecht54). Vors. [Dr. Diederichs]: Wenn sie es nicht haben, scheiden sie sowieso aus. Dr. Kroll: Daher ist die Frage, ob wir den Passus für die Minderbelasteten benötigen. Die Minderbelasteten haben auch in der amerikanischen Zone nicht das Wahlrecht. Stock: Wir haben es doch vorn bei dem aktiven Wahlrecht herausgelassen. Dr. Kroll: Die Minderbelasteten haben es automatisch nicht, sie haben es erst nach Ablauf der Bewährungsfrist. Sie sind dann nicht mehr Minderbelastete, sondern werden in die Gruppe der Mitläufer eingestuft. Sie meinen, Minderbelastete, die Mitläufer geworden sind, sollen ausgeschaltet werden? Stock: Überhaupt, wer minderbelastet war. Dr. Kroll: Sie erhalten nach zwei Jahren eine andere Gruppierung und sind nicht mehr minderbelastet. Vors. [Dr. Diederichs]: Dann könnte man sie nicht mehr ausscheiden. Wir müssen den Ausdruck „Minderbelastete" stehen lassen. Dr. Kroll: Das ist nicht nötig, weil Minderbelastete überhaupt nicht wahlberech-
tigt sind. Vors. [Dr. Diederichs]: Bei Ihnen. Bei uns in der englischen Zone sind sie es. Heiland: Wer in Gruppe III ist, hat kein aktives Wahlrecht. Walter: Ich glaube, die Frage hat keine allzu große Bedeutung. Nach unserem amerikanischen System war die höchste Bewährungsfrist für die Minderbelasteten zunächst zwei Jahre. Später war es 1 Jahr, dann wurde sie wieder auf 2 Jahre erhöht, und jetzt sind es noch 6 Monate55). Bei den Verurteilten mit zweijähriger Bewährungsfrist, ist die Bewährungsfrist jetzt meist schon abgelaufen. Soweit wir es jetzt übersehen, ist die Bewährungsfrist von 6 Monaten, bis zur
54) Art. 8 Abs. 3 LWahlG Bayern. 55) Zum Entnazifizierungsprozeß in der amerikanischen Besatzungszone siehe stellvertretend Lutz Niethammer: Entnazifizierung in Bayern. amerikanischer Besatzung, Frankfurt/M. 1972.
Säuberung und Rehabilitation unter 299
Zehnte
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Sitzung
26.
Oktober
1948
bei sämtlichen Personen, die bisWahl ich schätze, im März oder April her Minderbelastete geworden sind, bereits abgelaufen. Es handelt sich nur noch um diejenigen Personen, die in den nächsten Monaten zum Minderbelasteten erklärt werden und eine Bewährungsfrist von mehr als 6 Monaten bekommen. Das wird ein verhältnismäßig geringer Teil sein. Daß diese Personen ihr ganzes Leben lang minderbelastet sind, ist nach dem Befreiungsgestz in der amerikanischen Zone nicht möglich. Wenn die Bewährungsfrist abgelaufen ist, ist vielmehr von Amts wegen zu prüfen, ob sie in die Klasse der Belasteten oder in die Klasse der Mitläufer kommen. Damit scheidet diese Gruppe aus. Es ist nur eine Zwischengruppe, die nicht ewig ist. Ich messe der Sache überhaupt keine erhebliche Bedeutung bei. Vors. [Dr. Diederichs]: Dann würde die Formulierung praktisch genügen. In jedem Lande macht eine spätere Nachprüfung eine geringere Einstufung möglich. Damit kriegen die Leute automatisch den Status, daß sie in die Dinge hineinwachsen. Ich sehe in dieser Hinsicht keine Bedenken. Renner: Ich gehe von der Kritik des Herrn Kollegen Heiland aus. Was die Wählbarkeit angeht, so halte ich es für notwendig, klare Richtlinien aufzustellen. Wir haben bei uns in der britischen Zone diesen Katalog56). Die gerechteste Lösung des Problems könnte erfolgen, wenn man sich auf einen Katalog stützt. Ich möchte diesen Katalog gar nicht einmal als 100%ig richtig herausstellen. Aber in dem Katalog ist gesagt, wer grundsätzlich vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen ist. Da wir wohl alle der Meinung sind, daß diese Bestimmungen unhaltbar sind, sollte man sich bei der Frage des passiven Wahlrechts doch einmal überlegen, ob man nicht einen derartig klaren Katalog aufstellen soll, worin also gesagt wird, wer die und die Funktion in der NSDAP oder in einigen Nebenorganisationen gehabt hat, ist grundsätzlich vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Wir konzedieren meines Erachtens den Leuten schon genug, wenn wir ihnen das aktive Wahlrecht geben und dafür sorgen, daß das aktive Wahlrecht auch allen Personen, die nicht gerade hauptbelastet sind, zugute kommt. Stellen Sie sich die Möglichkeit vor, daß gerade in dem ersten Bundestag so eine Garnitur von ehemaligen Nazigrößen auftritt. Das wäre wirklich nicht gerade schön. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich würde dann empfehlen, daß wir im Gesetz den Ausdruck „Minderbelastete" stehen lassen und vielleicht in den Ausführungsbestimmungen ergänzend sagen, als Minderbelastete sind nach dem derzeitigen Stand die und die Personen anzusprechen. Wir würden die betreffenden Kategorien aufzählen, so daß wir praktisch eine Ausführungsanweisung für die Stellen haben, die Wählerlisten aufstellen müssen. Diese können dann entscheiden, wer dazugehört und wer nicht. Dr. Kroll: Das wäre ein neues Entnazifierungsgesetz. Vors. [Dr. Diederichs]: Das hat mit einem neuen Entnazifizierungsgesetz nichts zu tun. Es ist eine Erklärung des Begriffes. —
—
56) § 2 des nordrhein-westfälischen LWahlG vom 2. April 1947 enthielt eine detaillierte Auf-
listung 300
des
vom
Wahlrecht auszuschließenden Personenkreises.
Zehnte Sitzung 26. Oktober 1948 Dr. Kroll: Es wäre eine
„minderbelastet" würde
ausgelegt
Nr. 10
Neufassung der bestehenden Formulierung. Der Begriff ausgelegt werden, so wie er bisher im Gesetz nicht
neu
ist.
Diederichsl: Ich würde den Begriff nur nach den in den einzelnen Ländern bestehenden Gesetzen katalogisieren, um eine Ausführungsmöglichkeit für die Stellen zu haben, die mit dem Gesetz arbeiten müssen. Den Begriff des Minderbelasteten gibt es praktisch in allen Zonen. Dr. Kroll: Der Begriff des Minderbelasteten geht nicht aus dem Katalog hervor, sondern der Katalog gibt eine Vermutung für die Gruppen I und II. Minderbelastet ist man aufgrund eines rechtskräftigen Spruchkammerurteils, nicht aufgrund Vors. [Dr.
einer
Vermutung.
Stock: Auch nicht der Inhaber irgendeiner Stelle. Das ist das Schlimme. Wunderlich: Ich darf bei dieser Gelegenheit auf die merkwürdige Praxis hinweisen, die in Niedersachsen geübt wird, daß alle Wahlkandidaten von den Spruchkammern erneut überprüft werden. Selbst der Kandidat, der bereits seinen Schein hat, daß er entlastet ist, muß noch einmal erneut in das Verfahren gehen. Das ist eine ewige Fortsetzung, die unmöglich ist. Vors. [Dr. Diederichsl: Das ist eine Spezialität für Niedersachsen. Das könnte man dadurch verhindern, daß man eine klare Bestimmung schafft. Wunderlich: Es ist die Frage, ob man mit diesen Geschichten nicht einmal ein Ende machen muß. Dann kommt die Praxis heraus, daß der eine Ausschuß so und der andere so entscheidet; in dem einen Gebiet wird ein Mann zugelassen, der weiß Gott wie lange Nationalsozialist war, in dem anderen Gebiet wird der Mann ausgeschlossen. Es ist unmöglich, daß man auf die Dauer so weiterverfährt. Deshalb wäre ich zumindest in den Ausführungsbestimmungen für eine feste Vorschrift. Ich kenne einen Mann, der dreimal gependelt hat. Einmal ist er zugelassen worden, das zweite Mal ist er nicht gewählt worden, dann ist er Landrat gewesen, dann ist er hinausgeworfen worden, jetzt ist er wieder Kandidat. Solche Dinge sind doch auf die Dauer unmöglich. Heiland: Ich stelle zur Geschäftsordnung den Antrag, die Frage von der heutigen Tagesordnung abzusetzen, damit wir uns darüber Gedanken machen und noch einmal darauf zurückkommen können57). Vors. [Dr. Diederichsl: Wir haben damit praktisch den Abschnitt I über Wahlrecht und Wählbarkeit bis § 7 durchgesprochen. Das wäre mit dem, was wir im Protokoll festgehalten haben, zur Formulierung reif. Wir kommen morgen zu dem Abschnitt II über das Wahlverfahren, wo wir jeweils drei verschiedene
Formulierungen bringen
müssen. Nach einer Diskussion über die weitere Arbeitsweise des Ausschusses schließt der Vorsitzende Dr. Diederichs die Sitzung um 17 Uhr 5 Minuten. Die nächste Sitzung soll am Mittwoch, dem 27. Oktober 1948, 9 Uhr stattfinden.
) Zum weiteren Fortgang der Diskussion 25.
Sitzung.
um
die Wählbarkeit siehe unten 16., 22., 23. und
301
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes Nr. 11
Entwurf eines BA Z 5/127,
Bl.,
o.
Wahlgesetzes
37 Seiten. Als Drucks. Nr. 197/11
von
Dr. Becker
vervielf.,
ungez. und undat. Ausf.
ENTWURF EINES WAHLGESETZES
/. Wahlrecht und Wählbarkeit
§1 Wähler
wer am Wahltag die deutsche Staatsangehörigkeit vollendet hat und spätestens 3 Monate vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes den Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat. Wahlberechtigt sind ferner 1. ) alle diejenigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1. 1. 1945 ihren dauernden Wohnsitz außerhalb der Grenzen des deutschen Reiches nach deren Stand vom 1. 3. 1938 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können, und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben. 2. ) diejenigen Personen, die am 30. 1. 1933 deutsche Staatsangehörige waren, ihren Wohnsitz oder Aufenthalt als politisch, rassisch oder religiös Verfolgte außerhalb des Bundesgebietes genommen, ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben oder verloren haben und mit der Absicht, ihren ständigen Aufenthalt dauernd im Bundesgebiet zu nehmen, mindestens 3 Monate vor dem Wahltag ihren Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben. zum
besitzt, das
Bundestag ist, Lebensjahr
21.
§2 Deutsche Staatsangehörige, die zugleich eine andere Staatsangehörigkeit besitzen, sind nur dann wahlberechtigt, wenn sie 1. ) entweder spätestens 2 Monate vor dem Wahltag durch Erklärung zu Protokoll des zuständigen Landrates (Oberbürgermeisters) ihre Absicht, die andere Staatsangehörigkeit aufzugeben, erklärt und diese Stelle mit der Durchführung dieser Absicht unwiderruflich bevollmächtigt haben, 2. ) oder am Wahltage 10 Jahre ihren Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt ha-
ben,
3. ) oder nach 302
§
1
Abs. 2, Ziff. 2
wahlberechtigt sind.
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
§3
Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist, 1. ) wer entmündigt ist, oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht, 2. ) wer rechtskräftig durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte verloren
3. )
hat,
aufgrund der in den Ländern geltenden gesetzlichen Bestimmungen über Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus a) entweder infolge gesetzlicher Vermutung mit der daraus gesetzlich verbundenen Wirkung des Verlustes des Wahlrechts als belastet gilt, b) oder durch rechtskräftigen Spruch aufgrund der genannten Bestimmungen des Wahlrechts verlustig erklärt ist, und zwar für die hierbei bewer
stimmte Zeit.
Behindert in der Ausübung ihres Wahlrechts sind Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind, ferner Straf- und Untersuchungsgefangene sowie Personen, die infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden.
§4 Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste oder Wahlkartei oder einen Wahlschein hat.
eingetragen
ist
§5 Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der am Wahltage das 25. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Im Sinne dieser Bestimmungen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit ein Jahr lang diejenigen, die nach § 1, Abs. 2, Nr. 1 wahlberechtigt sind, wenn sie bis zum 1. 9. 1938 und diejenigen, die nach §1, Abs. 2, Nr. 2 wahlberechtigt sind, wenn sie bis zum 30. 1. 1933 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen haben, falls sie am Wahltage mindestens 2 Jahre ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben.
§6 Erklärt der gewählte Abgeordnete nicht binnen 2 Wochen seit Empfang der amtlichen Mitteilung seiner Wahl dem zuständigen Wahlleiter, daß er das Mandat ablehnt, so ist das Mandat angenommen. Eine Ablehnung nach ausdrücklicher schriftlicher, dem Wahlleiter gegenüber abgegebenen Annahmeerklärung ist unwirksam. 303
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes §7
Abgeordneter
verliert seinen Sitz durch Verzicht, 2. ) durch nachträglichen Verlust des Wahlrechts, 3. ) durch strafgerichtliche Aberkennung der Rechte aus öffentlichen Wahlen, 4. ) durch Ungültigerklärung der Wahl oder sonstiges Ausscheiden beim Wahl-
ein
1. )
5. ) 6. )
prüfungsverfahren, durch nachträgliche Änderung des Wahlergebnisses,
falls er Kommunal-, Landes- oder Bundesbeamter ist, sobald er während der Legislaturperiode befördert oder in ein höheres Amt berufen, oder als solcher angestellt wird. Dies gilt nicht für Wahlbeamte. Der Verzicht ist dem Bundestagspräsidenten zu erklären; er muß schriftlich sein und kann nicht widerrufen werden.
//.
Wahlverfahren
A. Wahl in Wahlkreisen (Einzelwahl)
§8 Von den Abgeordneten des Bundestages werden im Wege der Einzelwahl in 230 Wahlkreisen je einer gewählt. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der im ersten Wahlgang abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat. Ist dieses Ergebnis im ersten Wahlgang nicht erreicht, so findet in dem Wahlkreis ein zweiter Wahlgang (Stichwahl) statt; in diesem ist derjenige gewählt, der die einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat. Für den zweiten Wahlgang können außer den Bewerbern des ersten Wahlganges auch neue Be400
werber
aufgestellt
werden.
§9 Bei dem Kreiswahlleiter sind
spätestens am 17. Tage vor dem Wahltag (§23, 102) die Kreiswahlvorschläge schriftlich einzureichen. Sie müssen von dem oder den Einreichern unter Angabe von Vor- und Zunamen, Wohnung und Geburtsdatum unterzeichnet sein. Die Unterzeichner müssen ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthaltsort in dem betreffenden Wahlkreis haben und wahlberechtigt sein. Jeder Wahlberechtigte darf nur einen Kreiswahlvorschlag unterzeichnen.
Soll für den zweiten
Wahlgang ein neuer Bewerber aufgestellt werden, so ist entsprechender Vorschlag in gleicher Weise, jedoch spätestens am 10. Werktage vor dem zweiten Wahltag bei dem Kreiswahlleiter einzureichen. ein
304
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
§10 nur einen Bewerber enthalten; sein Name, VorAnschrift, Beruf und Geburtsdatum sind anzugeben; er kann seinen
Jeder Kreiswahlvorschlag darf name,
Wohnsitz oder Aufenthalt außerhalb des Wahlkreises haben. Dem Wahlvorschlag muß seine schriftliche Zustimmungserklärung beigefügt werden. Tritt er für eine Partei auf, so ist von ihm die Bezeichnung seiner Partei und es ist die schriftliche Zustimmung dieser Partei (Wahlkreisverband) beizufügen. Tritt ein für den Wahlvorschlag genannter Bewerber vor Ablauf der Frist zur Einreichung des Wahlvorschlages von der Bewerbung zurück, so gilt der Wahlvorschlag als nicht eingereicht. Die Rücktrittserklärung ist schriftlich bei dem Kreiswahlleiter einzureichen und muß vom Bewerber unterzeichnet sein. Will der Bewerber im zweiten Wahlgang nicht mehr sich bewerben, so hat er dieses spätestens am 10. Werktage vor dem zweiten Wahltag dem Kreiswahlleiter schriftlich anzuzeigen; unterbleibt diese Erklärung, so gilt seine Bewerbung auch für den zweiten Wahlvorgang. Der Bewerber kann in zwei Wahlkreisen als solcher auftreten.
§
11
Wird der Wahlvorschlag von mehreren, insbesondere von Vertretern einer Partei unterzeichnet (vergleiche § 10 Abs. 2), so ist dem Wahlvorschlag die beglaubigte Abschrift einer Niederschrift darüber beizufügen, daß der Bewerber in einer gehörig bekanntgegebenen, allen Mitgliedern des betreffenden Parteiverbandes zugänglich gewesenen Versammlung in geheimer Abstimmung als Bewerber gewählt ist.
§12 Bei
Einreichung
eines
jeden Kreiswahlvorschlages
ist ein
Betrag
von
400,— DM
(in Worten vierhundert Deutsche Mark) bei dem Kreiswahlleiter für Rechnung des Bundes als Beitrag zu den Kosten der Herstellung und Verteilung des amtlichen Stimmzettels einzuzahlen. Erhält ein Bewerber im ersten Wahlgang mehr als 5 v. H. der im Wahlkreis abgegebenen gültigen Stimmen, so wird diese Summe dem Einzahler zurückgezahlt.
§13 Verliert ein im Wege der Einzelwahl gewählter Abgeordneter seinen Sitz (§ 7) oder wird seine Wahl vom Wahlprüfungsgericht für ungültig erklärt (§ 93 e), so hat spätestens innerhalb 40 Tagen eine Nachwahl in dem betreffenden Einzelwahlkreis stattzufinden.
§14 Die Wahlkreise sollen zwischen 160 000 und 240 000 Einwohner umfassen; ihre Grenzen sollen möglichst mit den Grenzen der umschlossenen Kreise, in Großstädten mit Grenzen der Stadtbezirke zusammenfallen. 305
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Es entfallen auf Baden
.Abgeordnete
Bayern
.
Bremen
.
Hamburg
.
Hessen
.
Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
Schleswig-Holstein Siid-Württemberg-Hohenzollern Württemberg-Baden Umfang der Wahlkreise ist von
.
„
.
.
.
„
.
.
den Landesregierungen binnen zwei Wochen seit Inkrafttreten dieses Gesetzes festzustellen und öffentlich bekanntzugeben. Der
§15
jedem zwanzigsten Jahre, erstmals im Jahre 1970, findet eine Überprüfung und notfalls Änderung der Wahlkreise innerhalb eines Landes dahin statt, daß die Zahl der Einwohner in allen Wahlkreisen eines Landes ungefähr im gleichen Verhältnis wie vorher bleibt. Sie erfolgt durch die Landesregierung. In
B. Wahl nach Verhältniswahlrecht
§
16
Abgeordneten des Bundestages werden 170 im Wege des Verhältniswahlrechtes gewählt. Die Summe der im ersten Wahlgang in allen Wahlkreisen des Bundesgebietes auf diejenigen Bewerber, die als Bewerber einer Partei aufgetreten sind, entfallenen gültigen Stimmen geteilt durch 170 bildet den Teiler für die Wahlen
Von den 400
nach Verhältniswahlrecht.
§17
spätestens am 17. Tage vor dem Wahltag die Landeswahlvorschläge, bei dem Bundeswahlleiter in der gleichen Zeit die Bundeswahlvorschläge der Parteien einzureichen. Landes- und Bundeswahlvorschlag müssen je von mindestens 20 Wählern, und zwar bei Landeswahlvorschlägen von 20 Wählern, die in diesem Lande in Wählerlisten eingetragen sind, unter Angabe von Name, Vorname, Wohnung Bei dem Landeswahlleiter sind
und Geburtsdatum der Unterzeichner unterschrieben sein. Die Namen der Bewerber sind in erkennbarer Reihenfolge mit Vornamen, Wohnort, Beruf, Geburtsdatum aufzuführen. In den Wahlvorschlag darf nur 306
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
aufgenommen werden, wer seine schriftliche Zustimmung erteilt hat; sie ist beizufügen. Der Wahlvorschlag muß die Bezeichnung der Partei enthalten. Dem Wahlvorschlag ist ferner die beglaubigte Abschrift einer Niederschrift darüber beizufügen, daß die Auswahl der Bewerber und ihre Reihenfolge auf der Liste in geheimer Abstimmung in einer Versammlung erfolgt ist, für die eine der Mitgliederzahl bzw. dem Statut der betreffenden Partei entsprechende Zahl von Delegierten der einzelnen Unterverbände (Wahlkreisverbände für den Landeswahlvorschlag, Landesverbände für den Bundeswahlvorschlag) gehörig eingeladen gewesen ist. Die Einzahlung eines Kostenbeitrages ist nicht erforderlich. §18 Bewerber eines Kreiswahlvorschlages können sowohl in einem Landeswahlvorschlag als auch im Bundeswahlvorschlag, Bewerber in einem Landeswahlvorschlag können auch im Bundeswahlvorschlag enthalten sein. Jeder Bewerber darf nur in einem der für das betreffende Land eingereichten Landeswahlvorschläge und in einem Bundeswahlvorschlag genannt werden.
§19 Die
Verbindung
von
Wahlvorschlägen
ist unstatthaft.
§20 So oft der Teiler (§ 16 Abs. 2) in der Summe der für eine Partei in einem Lande Stimmen enthalten ist, sind von deren Landeswahlvorschlag Bewerber in der dort genannten Reihenfolge zu Abgeordneten gewählt. Nicht verbrauchte Reststimmen einer jeden Partei aus allen Ländern werden zusammengezählt. So oft in den einzelnen Summen der Teiler enthalten ist, sind aus der Bundesliste der betreffenden Partei Bewerber in der dort angegebenen
abgegebenen gültigen
Reihenfolge zu Abgeordneten gewählt. Bei gleicher Stimmenzahl entscheidet das
wahlleiter
zu
vom
Landeswahlleiter bzw. Bundes-
ziehende Los.
§21 Verliert ein nach Verhältniswahlrecht gewählter Abgeordneter seinen Sitz (§ 7) oder wird seine Wahl vom Wahlprüfungsgericht aus in seiner Person liegenden Gründen (§ 93 a) für ungültig erklärt, so rückt der Nächste auf der betreffenden Liste nach. 307
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes §
22
Erklärt das Wahlprüfungsgericht infolge Ungültigkeitserklärung von Stimmzetteln oder wegen sonstiger Verstöße gegen das Wahlgesetz eine nach Verhältniswahlrecht erfolgte Wahl eines Abgeordneten für ungültig, so erfolgt zunächst in dem Lande, in welchem aus einem der dort zugelassen gewesenen Landeswahlvorschläge der betreffende Abgeordnete gewählt war, durch den Landeswahlausschuß eine Überprüfung und notfalls Berichtigung des Wahlergebnisses. Wirkt diese sich auch auf die Wahlen aufgrund des Bundeswahlvorschlages aus, so hat durch den Bundeswahlausschuß eine Überprüfung und notfalls ent-
sprechende Berichtigung
zu
erfolgen. ///.
Wahlvorbereitung §23
Bundespräsident bestimmt den Tag der Hauptwahl (Wahltag). (vergl. § 8 Satz 2) finden 3 Wochen nach dem Tage der Hauptwahl
Der
Stichwahlen statt.
§24 Kreiswahlleiter und Landeswahlleiter sowie ihr Stellvertreter werden von der Landesregierung, der Bundeswahlleiter und sein Stellvertreter werden von dem Bundesminister des Innern ernannt. Sie bleiben bis zur Ernennung ihres Nachfolgers im Amt.
§25
Jeder Wahlkreis wird
in Wahlbezirke
geteilt,
die
möglichst
mit den Gemeinden
zusammenfallen. Große Gemeinden können in mehrere Wahlbezirke zerlegt, kleine Gemeinden oder Teile von Gemeinden mit benachbarten Gemeinden oder Gemeindeteilen zu einem Wahlbezirk vereinigt werden. Für Kranken- und Pflegeanstalten mit einer großen Anzahl Wahlberechtigter können eigene Wahlbezirke errichtet werden. Die Einteilung in Wahlbezirke erfolgt durch den Landrat, in Gemeinden über 5000 Einwohnern durch den Bürgermeister oder Oberbürgermeister. Die gleichen Behörden bestimmen auch die Wahlräume.
§26 Für Die
jeden Wahlbezirk wird ein Wahlvorsteher und ein Stellvertreter ernannt. Ernennung erfolgt durch die in § 25 Abs. 3 Satz 1 genannten Stellen. Der
Wahlvorsteher beruft aus den Wählern seines Wahlbezirkes 3—6 Beisitzer und aus den Wählern seines oder eines anderen Wahlbezirkes einen Schriftführer. 308
Entwurf eines Der
Wahlgesetzes
Nr. 11
Wahlvorsteher, sein Stellvertreter, die Beisitzer und der Schriftführer bilden
den Wahlvorstand.
§27 In jedem Wahlbezirk wird für die dort wohnhaften Wähler eine Wählerliste oder Wahlkartei geführt. Wahlberechtigte Staatsbeamte, Arbeiter in Staatsbetrieben, die ihren Wohnsitz außerhalb des Bundesgebietes nahe dessen Grenze haben, und wahlberechtigte Angehörige ihres Hausstandes, werden auf Antrag in die Wählerliste oder Wahlkartei einer benachbarten deutschen Gemeinde eingetragen.
§28 Die Gemeindebehörden führen für jeden Wahlbezirk eine Liste der Wahlberechtigten nach Zu- und Vorname, Alter, Wohnort oder Wohnung in alphabetischer Ordnung unter fortlaufender Nummer. Sie sorgen dafür, daß die Unterlagen für die Wählerlisten jederzeit so vollständig vorhanden sind und geführt werden, daß jede Berichtigung oder Neuaufstellung der Wählerlisten rechtzeitig beendigt werden kann. Die Listen können nach dem Geschlecht getrennt angelegt werden. Sie können auch in der Art angelegt werden, daß die Straßen nach der alphabetischen Reihenfolge ihrer Namen, oder die Stadtbezirke nach der Reihenfolge ihrer Nummern oder Buchstaben, innerhalb der Straßen- oder Stadtbezirke, die Häuser nach ihrer Nummer und innerhalb jedes Hauses die Wahlberechtigten eingetragen werden. Vor der Eintragung jeder Person ist ihr Wahlrecht zu prüfen. Für frühere Wahlen aufgestellten Listen können fortgeschrieben werden und sind tunlichst zu verwenden, wenn dadurch keine wesentliche Erschwerung der Wahlvorbereitung und der Wahlhandlung zu befürchten ist.
§29
Wahlberechtigten einzutragen, die in der Gemeinde ihWohnort haben. Personen, die in der Ausübung ihres Wahlrechtes behindert sind, sollen gleichwohl in die Listen aufgenommen, aber in der für den Vermerk der erfolgten Stimmabgabe vorgesehenen Spalte als „Behindert" oder „B" bezeichnet werden. Fällt die Ursache der Behinderung am Wahltage weg, so ist der Vermerk zu streichen und der Sachverhalt in Spalte „Bemerkungen" zu erläutern. In die Listen sind alle
ren
§30
möglichst viele Spalten zur Aufnahme der Vermerke über die erfolgte Stimmabgabe enthalten, damit sie für mehrere Wahlen verwendbar sind. Sie müssen ferner eine Spalte für „Bemerkungen" enthalten. Die Listen sollen
309
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes §
31
Die Listen können in Heften als Wählerliste oder als Zettelkasten
(Wahlkartei)
angelegt werden. Es ist zulässig, ausgefüllte Hausbogen oder Haushaltungsbogen, wenn sie alle für die Wählerliste vorgeschriebenen Angaben enthalten, geändert und geheftet
als Wählerlisten zu verwenden. Die Wahlkartei muß so beschaffen sein, daß die Karten für jeden Wahlbezirk in einem oder mehreren Behältern verwahrt werden. Der Behälter soll mit einer Vorrichtung versehen sein, die jede einzelne Karte festhält und nach Abschluß der Wahlkartei jede willkürliche Herausnahme oder Einfügung unmöglich macht. Jede Karte muß Spalten zur Aufnahme der Vermerke über die erfolgte Stimmabgabe enthalten. Für den Vermerk der erfolgten Stimmabgabe ist für dieselbe Wahl in jedem Wahlbezirk gleichmäßig dieselbe Spalte zu verwenden.
§
32
Einen Wahlschein erhält auf Antrag I. Ein Wahlberechtigter, der in einer Wählerliste oder Wahlkartei
eingetragen
ist, sich am Wahltage während der Abstimmungszeit aus zwingenden Gründen außerhalb seines Wahlbezirks aufhält, 2. wenn er nach Ablauf der Einspruchsfrist seine Wohnung in einen anderen Wahlbezirk verlegt, 3. wenn er infolge eines körperlichen Leidens oder Gebrechens in seiner Bewegungsfreiheit behindert ist und durch den Wahlschein die Möglichkeit erhält, einen für ihn günstiger gelegenen Wahlraum aufzusuchen. II. Ein Wahlberechtigter, der nicht in einer Wählerliste oder Wahlkartei eingetragen oder gestrichen ist, 1. wenn er nachweist, daß er ohne sein Verschulden die Einspruchsfrist 1.
2.
wenn er
versäumt
hat,
wenn er
wegen Ruhens des Wahlrechts nicht
chen ist.
war,
der Grund aber nach Ablauf der
eingetragen oder gestri-
Einspruchsfrist weggefallen
§33
Zuständig
zur
Ausstellung des Wahlscheines
Wohnortes, in den Fällen des §
32 Nr.
I,
2
ist die Gemeindebehörde des die Gemeindebehörde des bisherigen
Wohnortes. Den Grund der Ausstellung eines Wahlscheines hat der Antragsteller auf Erfordern glaubhaft zu machen. Über seine Berechtigung, den Antrag zu stellen und den Wahlschein in Empfang zu nehmen, muß er sich gehörig ausweisen. Über die ausgestellten Wahlscheine führt die Gemeindebehörde ein Verzeichnis. 310
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
§34 Wahlscheine können noch am Tage vor der Abstimmung ausgestellt werden. In größeren Gemeinden kann die Entgegennahme von Anträgen auf Ausstellung von Wahlscheinen schon am zweitletzten Tage vor dem Wahltage geschlossen werden. Die Gemeindebehörde hat hierauf in der Bekanntmachung nach § 39 Absatz 2 hinzuweisen.
§35
Seeleuten, die sich infolge ihres Berufes nur vorübergehend in einer Gemeinde aufhalten, ist der Wahlschein von der Aufenthaltsgemeinde zu erteilen, wenn sie ihr Wahlrecht in dieser Gemeinde ausüben wollen; sie müssen aber in ihvom Seemannsamt oder von der Gemeindebehörde noch Vermerk vorweisen, der sie zur Entgegennahme gültigen eingetragenen, eines Wahlscheines berechtigt. Zu diesem Zweck ist den Seeleuten ihr Seefahrtsbuch auszuhändigen. Wird der Wahlschein am Wahltage erst nach 12.00 Uhr mittags beantragt, so kann der Antrag zurückgewiesen werden, wenn eine Beteiligung an der Wahl nicht mehr möglich erscheint. Das Seemannsamt ist verpflichtet, auf Antrag einen Vermerk in das Seefahrtsbuch einzutragen, nachdem es bei der Gemeindebehörde, bei der der Antragsteller in der Wählerliste zu führen ist, festgestellt hat, daß keine Bedenken bestehen. Die Eintragung des Vermerks wird der Gemeindebehörde mitgeteilt, die es in der Wählerliste bei dem Namen des Wahlberechtigten vermerkt. Die Erteilung des Wahlscheines wird bei der Ausfertigung von der Gemeindebehörde bei dem Vermerk unter Angabe des Wahltages bescheinigt. rem
Seefahrtsbuch einen
§36 Wird für den ersten Wahlgang ein Wahlschein ausgestellt, so ist gleichzeitig ein Wahlschein für den zweiten Wahlgang auszuhändigen. Für den zweiten Wahlgang kann ein Wahlschein ausgestellt werden, auch wenn der Wahlberechtigte für den ersten Wahlgang keinen erhalten hat.
§
37
Haben Wahlberechtigte einen Wahlschein erhalten, so ist in der Wählerliste oder Wahlkartei, in der für den Vermerk der erfolgten Stimmabgabe vorgesehenen Spalte einzutragen „Wahlschein" oder „W". Wird nur für den zweiten Wahlgang ein Wahlschein ausgestellt, so ist in der gleichen Spalte einzutragen „zweiter Wahlgang Wahlschein" oder „2. W. W." Ist bei der Ausstellung des Wahlscheines die Wählerliste oder Wahlkartei dem Wahlvorsteher bereits ausgehändigt, so ist ihm bis zum Beginn der Wahlhandlung ein Verzeichnis der Wahlberechtigten zu übermitteln, die nachträglich einen Wahlschein erhalten haben. 311
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Wahlgesetzes
Die Wählerlisten und Wahlscheine werden nach Maßgabe der Anlagen 1, 3 4 zur Reichsstimmordnung vom 14. März 1924 (Reichsgesetzblatt 1924, Seite 199, 200, 202 und 203) unter entsprechender Änderung des Textes gebildet.
und
Verlorene Wahlscheine werden nicht ersetzt.
§38 können nur in dem Wahlbezirk abstimmen, in dessen Wählerliste oder Wahlkartei sie eingetragen sind. Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlbezirk wählen. Aufgrund eines Wahlscheines kann bei einem zweiten Wahlgang oder einer Nachwahl nur derjenige Wahlberechtigte wählen, der in einer Wählerliste (Wahlkartei) des gleichen Wahlkreises eingetragen ist.
Wahlberechtigte
§39 Der Reichsminister des Innern bestimmt die Auslegungsfrist und den Tag, von dem ab die Wählerlisten oder Wahlkarteien auszulegen sind. In großen Gemeinden kann die Gemeindebehörde die Auslegung schon früher beginnen lassen.
Die Gemeindebehörde hat vor der Auslegung der Wählerlisten oder Wahlkarteien in ortsüblicher Weise bekanntzugeben, wo, wie lange und zu welchen Tagesstunden die Wählerlisten oder Wahlkarten zu jedermanns Einsicht ausgelegt werden sowie in welcher Zeit und in welcher Weise Einsprüche gegen sie erhoben werden können. Die Gemeindebehörden sollen die Anfertigung von Abschriften zulassen, oder, soweit möglich, gegen Erstattung der Auslagen, Abschriften der Wählerlisten oder Wahlkarteien erteilen.
§40 Wer die Wählerlisten oder Wahlkartei für
unrichtig oder unvollständig hält, kann dies bis zum Ablauf der Auslegungsfrist bei der Gemeindebehörde, oder einem von ihr ernannten Beauftragten, schriftlich anzeigen oder zur Niederschrift geben. Soweit die Richtigkeit seiner Behauptungen nicht offenkundig ist, hat er für sie Beweismaterial zu bringen. Wenn der Einspruch nicht für begründet erachtet wird, entscheidet über ihn in Landkreisen der Landrat, in Stadtkreisen der Oberbürgermeister. §41 Wenn die
Auslegungsfrist abgelaufen ist, können Wahlberechtigte nur auf rechtzeitig eingebrachte Einsprüche aufgenommen oder gestrichen werden. Wird die Wählerliste oder Wahlkartei berichtigt, so sind die Gründe der Streichungen in Spalte „Bemerkungen" anzugeben. Ist der Wahlberechtigte in der Ausübung des Wahlrechts behindert, so ist dies durch Ankreuzen oder in ähnli312
Entwurf eines
Wahlgesetzes
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eher Weise besonders kenntlich zu machen. Ergänzungen sind als Nachtrag aufzunehmen. Die berichtigte Wählerliste oder Wahlkartei ist von der Gemeindebehörde abzuschließen. Hierbei ist zu bescheinigen, daß und wie lange die Wählerliste oder Wahlkartei ausgelegen hat, daß die Bekanntmachung hierüber und ebenso die in § 39 vorgeschriebene ortsübliche Bekanntmachung erfolgt ist, endlich, wieviel Wahlberechtigte in die Liste oder Kartei eingetragen sind, deren Namen nicht mit einem Vermerk „Wahlschein" oder „W" versehen oder gestrichen würden. Die Behälter der Wahlkarteien sind durch Schlösser, Plomben oder Siegel so zu verschließen, daß keine Entnahme oder Einfügung von Karten möglich ist. Die Gemeindebehörde hat die Wählerliste oder Wahlkartei dem Wahlvorsteher zu übersenden.
§42
Gegen die Versagung
eines Wahlscheines kann
Über den Einspruch entscheidet die in §
33
Einspruch
erhoben werden.
genannte Behörde.
§43 Zur
Prüfung
der
Kreiswahlvorschläge
und des
Wahlergebnisses
im Wahlkreis dem Kreiswahlleiter und 6 aus den Wahlberechtigten des Wahlkreises vom Kreiswahlleiter berufenen Mitgliedern und der gleichen Anzahl Stellvertreter besteht. Zur Prüfung der Landeswahlvorschläge und zur Ermittlung des Wahlergebnisses der Verhältniswahl im Lande sowie zur Feststellung, wer an Stelle eines ausgeschiedenen, auf Landeswahlvorschlag gewählt gewesenen Abgeordneten als gewählt gilt, wird ein Landeswahlausschuß gebildet, der aus dem Landeswahlleiter und 6 aus den Wahlberechtigten des Landes vom Wahlleiter berufenen Mitgliedern und der gleichen Anzahl Stellvertreter besteht. Zur Prüfung der Bundeswahlvorschläge, zur Ermittlung des Wahlergebnisses nach Verhältniswahlrecht hierauf sowie zur gesamten Feststellung des Wahlergebnisses in den Wahlkreisen, den Ländern und im Bunde wird ein Bundeswahlausschuß gebildet, der aus dem Bundeswahlleiter und 6 von ihm ausgewählten Wahlberechtigten und der gleichen Anzahl Stellvertreter besteht. Der Bundeswahlausschuß stellt auch, wenn ein auf einen Bundeswahlvorschlag gewählt gewesener Abgeordneter ausscheidet, dessen Nachfolger fest.
(vgl. § 14) wird ein Kreiswahlausschuß gebildet, der
aus
§44
Jeder Wahlausschuß
ist beschlußfähig, wenn außer seinem Vorsitzenden (oder dessen Stellvertreter) mindestens 4 Beisitzer anwesend sind. Er beschließt mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Die Beisitzer werden vom Vorsitzenden durch Handschlag verpflichtet. Der Vorsitzende bestellt einen Schriftführer, der nicht stimmberechtigt ist und verpflichtet ihn durch Handschlag. 313
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Die Ausschüsse verhandeln und entscheiden in öffentlicher Das Amt der Beisitzer ist ehrenamtlich.
Sitzung.
§45 Die Stimmzettel, welche die Wahlberechtigten am in Wahlurnen gesammelt. Es sind rechteckige mit einem Deckel versehene
Wahltage abgeben,
werden
Gefäße, deren innere Höhe der Abstand von und bei einer Wand zur gegenüberdenen mindestens 90 Deckel hat die Stimmurne 35 Wand mindestens Im cm muß. betragen liegenden einen bis zu 2 cm breiten Spalt. In Kranken- und Pflegeanstalten dürfen kleinere Stimmurnen verwendet werden. cm
§46
jedem Wahlraum stellt die Gemeindebehörde einen oder mehrere Tische mit Schutzvorrichtung auf, damit jeder Wahlberechtigte seinen Stimmzettel unbeobachtet behandeln und in den Umschlag legen kann. In den Schutzvorrichtungen sollen Bleistifte bereit liegen, die an Bindfäden oder sonstwie befestigt sind. In
§47
hergestellt und den Gemeinden zur Weitergabe die Wahlberechtigten überwiesen. Sie müssen Vorname, Zuname, Beruf und Wohnort der Bewerber aller Kreiswahlvorschläge und, wenn der Bewerber als Bewerber einer Partei auftritt (§ 18), die Angabe der Partei enthalten. Die Bewerber sind in der Reihenfolge ihrer Zulassung zu numerieren. Die Stimmzettel sollen 9 : 12 cm groß und von weißem oder weißlichem Papier sein und hinter oder unter dem Namen des betreffenden Bewerbers einen Kreis enthalten, in welchem der Wahlberechtigte durch Ankreuzen oder in anderer Form zum Ausdruck bringt, welchen Bewerber er wählt. Von der vorgeschriebenen Größe kann abgewichen werden, wenn der Umfang des Inhalts es erforderlich macht; doch muß sich der Stimmzettel ein- oder zweimal gefaltet leicht in die Umschläge legen lassen. Die Umschläge sollen 12 : 15 cm groß, undurchsichtig und amtlich abgestempelt sein. Sie sind in der erforderlichen Zahl bereit zu halten. Die Stimmzettel werden amtlich an
§48 Die Gemeindebehörde macht ortsüblicher Weise bekannt:
spätestens
am 4.
Werktage
die Abgrenzung der Stimmbezirke, die Lage des Wahlraumes, Tag und Stunde der Wahl, femer: daß die Stimmzettel amtlich hergestellt sind, 314
vor
dem
Wahltag
in
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
daß sie die zugelassenen Kreiswahlvorschläge enthalten, daß der Wahlberechtigte bei der Stimmabgabe durch ein Kreuz oder in sonst erkennbarer Weise den Bewerber bezeichnen soll, dem er seine Stimme geben will, und daß Stimmzettel, die dieser Bestimmung nicht entsprechen, ungültig sind. Ein Abdruck der Bekanntmachung ist vor Beginn der Wahlhandlung am Eingang des Hauses, in dem sich der Wahlraum befindet, anzubringen. Als ortsübliche Bekanntmachung genügt der öffentliche Anschlag.
§49
Wahlvorschläge sollen einen Vertrauensmann und einen Stellvertreter bezeichnen, die berechtigt sind, dem zuständigen Wahlleiter Erklärungen abzugeben. Fehlt diese Bezeichnung, so gilt der erste Unterzeichner als VertrauensDie
und der zweite als sein Stellvertreter. Bescheinigungen der Gemeindebehörde, daß die Unterzeichner eines Wahlvorschlages in die Wählerliste oder Wahlkartei eingetragen sind, sind beizufügen; ebenso, daß der oder die Bewerber am Wahltag das 25. Lebensjahr vollendet haben, vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind und daß die sonstigen Voraussetzungen der Wählbarkeit nach § 5 dieses Gesetzes vorliegen. mann
§50
Wahlvorschlägen Mängel zu beseitigen, insbesondere Erklärungen oder Bescheinigungen nachzubringen sind, so hat der Wahlleiter unverzüglich die Vertrauensleute dazu aufzufordern. Bewerber, die auf demselben Wahlvorschlag mehrmals benannt sind, gelten als nur einmal vorgeschlagen. Mängel können nicht mehr beseitigt werden, wenn die Wahlvorschläge festgesetzt sind. Wenn in
§51
Bewerber, gegen deren Wählbarkeit der Wahlleiter Bedenken aus § 3, §§5 und 7 Nr. 3 dieses Gesetzes erhebt, können bis zu ihrer Festsetzung durch andere
ersetzt werden. Der Vertrauensmann kann gegen
dung
Verfügungen des Wahlleiters die
Entschei-
des betreffenden Wahlausschusses anrufen.
§
52
Über die Zulassung der Wahlvorschläge entscheiden die zuständigen Wahlausschüsse in öffentlicher Sitzung. Die Vertrauensmänner sind über Ort, Zeit und
Gegenstand
der Sitzung
möglichst
zu
benachrichtigen. 315
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes §53
Nicht zugelassen sind Wahlvorschläge, die später eingereicht sind oder den gesetzlichen Erfordernissen nicht entsprechen. Nachdem die Wahlvorschläge festgesetzt sind, können sie nicht mehr geändert werden.
§ Der Kreiswahlleiter teilt die
54
die Eindem Landeswahlleiter und dem Bundeswahlleiter mit. Die Landeswahlleiter teilen die festgesetzten Landeswahlvorschläge den Kreiswahlleitern ihres Landes und dem Bundeswahlleiter mit. Der Bundeswahlleiter teilt die zugelassenen Bundeswahlvorschläge den Landeswahlleitern und den Kreiswahlleitern mit.
reichungsfrist abgelaufen ist,
festgesetzten Kreiswahlvorschläge, sobald
§
55
spätestens am 4. Werktag vor dem Wahltag die zugelassenen Kreiswahlvorschläge, aber ohne die Angaben der Unterzeichner und Vertrauensmänner amtlich bekannt zu machen. Die Nummernfolge ist mit bekannt zu geben. Der Landeswahlleiter veröffentlicht in gleicher Weise die zugelassenen Landeswahlvorschläge in dem Amtsblatt der betreffenden Landesregierung und der Bundeswahlleiter veröffentlicht in gleicher Weise die zugelassenen Bundeswahlvorschläge in dem amtlichen Bundesanzeiger. Der Kreiswahlleiter hat
§56 Sind für Kranken- und Pflegeanstalten selbständige Wahlbezirke gebildet (§25, Abs. 2) so wird die Wahl nach folgenden Bestimmungen vorbereitet und durch-
geführt:
Gemeindebehörden fordern von der Anstaltsleitung ein Verzeichnis über die voraussichtlich vor dem Wahltag nicht aus der Anstalt zu entlassenen Stimmberechtigten, streichen sie nach Ablauf der Einspruchsfrist in den allgemeinen Wählerlisten, stellen Wahlscheine für sie aus und übersenden sie den Anstaltsleitungen. Gleichzeitig ist ein Wahlschein für einen
1. ) Die
etwaigen
zweiten
Wahlgang auszuhändigen.
Wahlvorsteher tragen für den Zusammentritt eines Wahlvorstandes rechtzeitig Sorge. Die Mitglieder des Wahlvorstandes brauchen nicht in den Wahlbezirken wahlberechtigt zu sein. Es ist zulässig, daß in den verschiedenen Anstalten eines solchen Wahlbezirkes verschiedene Personen aus Mitgliedern des Wahlvorstandes aufgestellt werden. Die Gemeinden stellen die für die Wahl erforderlichen Gegenstände zur Verfügung. 3. ) Die Anstaltsleitung bestimmt einen Wahlraum, wohin die Anstaltsinsassen auf ihren Wunsch, wenn erforderlich in ihren Betten, unbedenklich gebracht werden können. Er muß so gelegen sein, daß ein Absonderungs2. ) Die
316
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
geschaffen werden kann. Es ist zulässig, für die Wahl in verschiedeGebäuden einer Anstalt oder in den verschiedenen Stockwerken eines Gebäudes verschiedene Räume und verschiedene Zeiten zu bestimmen. Die Zeit ist so zu bemessen, daß sämtliche für den einzelnen Wahlraum in Betracht kommenden Anstaltsinsassen ihre Stimme abgeben können. Der Wahlvorstand kann auf Wunsch des Kranken zur Entgegennahme des Stimmzettels auch an das Krankenbett gehen, wenn ärztliche Bedenken nicht entgegenstehen. 4. ) Die Bildung von Wahlbezirken, die Angaben der Wahlvorsteher und ihrer Vertreter, ferner Ort und Zeit der Wahl sind den Wahlberechtigten spätestens am Tage vor der Wahl bekannt zu geben, ebenso dem Kreiswahlleiräum
nen
ter. 5. ) Das
Ergebnis wird in dem abgegeben worden sind.
Wahlraum ermittelt, in dem die letzten Stimmen
dafür zu sorgen, daß die Öffentlichkeit bei der Stimmabgabe und der Ermittlung des Wahlergebnisses durch die Anwesenheit anderer Wahlberechtigter tunlichst gewährleistet wird. Die Anstaltsleitungen sind für die Absonderung von Kranken verantwort-
6. ) Es ist
7. )
lich, die mit ansteckenden Krankheiten behaftet sind.
übrigen gelten lungen.
8. ) Im
die
allgemeinen Vorschriften
IV.
Wahlhandlung §
Die 17
auch für solche Wahlhand-
57
Abstimmungszeit
Uhr,
sonst
von
dauert in der Zeit vom 1. April bis 30. Sept. von 8 Uhr bis 9 Uhr bis 18 Uhr. In den Wahlbezirken mit weniger als 1000
Einwohnern kann die zur Abgrenzung der Wahlbezirke zuständige Wahlbehörde die Wahlzeit abkürzen; sie darf jedoch nicht später als 10 Uhr beginnen und nicht vor 17 Uhr schließen. Dem Kreiswahlleiter ist Mitteilung zu machen.
§58
Beginn der Wahlhandlung hat der Wahlvorsteher die Wahllisten oder Wahlkartei nach dem Verzeichnis der nachträglich ausgestellten Wahlscheine zu berichtigen, indem er nachträglich mit einem Wahlschein versehene Wahlberechtigte in der Spalte für die Stimmabgabe das Wort „Wahlschein" oder Vor
„W" einträgt.
Er hat ferner die Liste oder Kartei mit einer
Bescheinigung darüber
zu verse-
hen, bei wieviel Wahlberechtigten nach dem Verzeichnis der nachträglich ausgestellten Wahlscheine nachträglich das Wort „Wahlschein" oder „W" eingetragen ist und wieviel
verbleiben.
eingetragene Wahlberechtigte ohne diesen Vermerk noch 317
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes §
59
dem der Wahlvorstand Platz nimmt, muß von allen Seiten zudiesen Tisch wird die Wahlurne gestellt. Vor Beginn der sich der Wahlvorstand davon zu überzeugen, daß die Wahlurne leer ist. Sie darf dann bis zum Schluß der Abstimmung [nicht] wieder geöffnet werden. Stimmzettel und Umschläge in ausreichender Zahl sind bereit zu halten. Der
Tisch,
an
gänglich sein. An Wahlhandlung hat
§60 Die Wahlhandlung wird damit eröffnet, daß der Wahlvorsteher seinen Stellvertreter, den Schriftführer und die Beisitzer durch Handschlag verpflichtet und so den Wahlvorstand bildet. Fehlende Beisitzer werden durch anwesende Stimm-
berechtigte
ersetzt.
§61 zum Wahlraum hat jeder Wahlberechtigte. Ansprachen darf niemand darin halten. Nur der Wahlvorstand darf über das Wahlgeschäft beraten und beschließen. Der Wahlvorstand kann jeden aus dem Wahlraum verweisen, der die Ruhe und Ordnung der Wahlhandlung stört; ist es ein Wahlberechtigter des Wahlbezirkes, so darf er vorher seine Stimme abgeben.
Zutritt
§62 Der Wahlvorsteher leitet die
Abstimmung und läßt bei Andrang den Zutritt zu dem Wahlraum ordnen. Wenn der Wahlberechtigte den Wahlraum betritt, erhält er Umschlag und Stimmzettel. Er begibt sich hiermit in den Nebenraum oder an den mit einer Vorrichtung gegen Sicht geschützten Nebentisch. Er kennzeichnet auf dem Stimmzettel durch ein Kreuz oder in sonst erkennbarer Weise, welchem Bewerber er seine Stimme geben will. Der gekennzeichnete Stimmzettel wird in den Umschlag gelegt. Danach tritt
den Vorstandstisch, nennt seinen Namen und auf Erfordern und Wohnung übergibt, sobald der Schriftführer den Namen in der Wahlliste oder Wahlkartei aufgefunden hat, den Umschlag mit dem Stimmzettel dem Wahlvorsteher, der ihn ungeöffnet sofort in die Wahlurne legt. Auf Erfordern hat der Wahlberechtigte sich dem Wahlvorstand über seine Person auszuweisen. Dieses hat zu erfolgen, wenn der Wahlberechtigte aufgrund eines Wahlscheines wählt. Entstehen Zweifel über Mehrheit oder den rechtmäßigen Besitz eines Wahlscheines, so hat der Wahlvorstand sie nach Möglichkeit aufzuklären und über die Zulassung oder Abweisung Beschluß zu fassen. Der Vorgang ist in der Wahlniederschrift kurz zu schildern. seine
318
er an
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
Wahlberechtigte, die des Schreibens unkundig oder durch körperliche Gebrechen behindert sind, einen Stimmzettel allein auszufüllen oder in den Umschlag zu legen und diesen dem Wahlvorsteher zu übergeben, dürfen sich im Wahlraum der Beihilfe einer Vertrauensperson bedienen. Abwesende können sich weder vertreten lassen noch sonst an der Wahl teilnehmen. Stimmzettel, die nicht in einem abgestempelten Umschlag oder die in einem mit einem Kennzeichen versehenen Umschlag abgegeben werden, oder denen ein durch den Umschlag deutlich fühlbarer Gegenstand beigefügt ist, hat der Wahlvorsteher zurückzuweisen. Der Wahlvorsteher hat darüber zu wachen, daß die Wahlberechtigten die amtlichen Stimmzettel erhalten und daß sie in dem Nebenraum oder an dem Nebentische nur solange verweilen als unbedingt erforderlich ist.
§63 Der Schriftführer vermerkt die Stimmabgabe des Wahlberechtigten neben dessen Namen in der Wählerliste oder Wahlkartei in der dafür vorgesehen Spalte und sammelt die Wahlscheine. Haben alle in der Wählerliste oder Wahlkartei eingetragenen Wahlberechtigten abgestimmt und ist anzunehmen, daß Inhaber von Wahlscheinen nicht mehr kommen, so kann der Wahlvorsteher auf einstimmigen Beschluß des Wahlvorstandes die Abstimmung schon vor dem Schlüsse der allgemeinen oder der besonders angeordneten Wahlzeit für geschlossen erklären.
§64 Nach Schluß der Wahlzeit dürfen nur noch die Wahlberechtigten zur Stimmabgabe zugelassen werden, die in diesem Zeitpunkt im Abstimmungsraum schon anwesend waren. Alsdann erklärt der Wahlvorsteher die Wahlhandlung für geschlossen.
V.
Ermittlung des Wahlergebnisses
im Wahlbezirk
§65 Nach Schluß der Wahlhandlung sind alle nicht benutzten Umschläge und Stimmzettel vom Vorstandstisch zu entfernen. Alsdann werden die Umschläge aus der Stimmurne entnommen und ungeöffnet gezählt. Zugleich wird die Zahl der Abstimmungsvermerke in der Wählerliste oder Wahlkartei und die Zahl der Wahlscheine festgestellt. Ergibt sich dabei auch nach wiederholter Zählung eine Verschiedenheit, so ist dies in der Wahlniederschrift anzugeben und soweit wie möglich zu erläutern. 319
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes §66
Nach der Zählung der Umschläge und Abstimmungsvermerke öffnet ein Beisitzer die Umschläge, nimmt die Stimmzettel heraus und übergibt sie nebst den Umschlägen dem Wahlvorsteher. Dieser liest aus dem Zettel den Bewerber nebst dessen Partei vor, dem die Stimme gegeben worden ist. Nach der Vorlesung erhält ein Beisitzer die Stimmzettel und Umschläge. Die gleichlautenden Stimmzettel werden gesondert gesammelt und bis zum Ende der Abstimmung unter Aufsicht des Beisitzers belassen.
§67
jeder Vorlesung verzeichnet der Schriftführer in der Zählliste jede dem aufgerufenen Bewerber zugefallene Stimme und wiederholt den Aufruf laut. Einer der Beisitzer führt gleichzeitig eine Gegenliste. Zählliste und Gegenliste sind von dem Wahlvorsteher und von dem Mitglied des Wahlvorstandes, das sie geführt hat, zu unterzeichnen und der Wahlniederschrift in Anlage beizufügen. Bei
§68
Ungültig sind Stimmzettel, 1. )
2. ) 3. ) 4. ) 5. )
die nicht in einem amtlich abgestempelten Umschlag oder die in einem mit Kennzeichen versehenen Umschlag übergeben worden sind, die als nichtamtlich hergestellt erkennbar sind, aus deren zulässiger Kennzeichnung der Wille des Abstimmenden nicht unzweifelhaft zu erkennen ist, die mit Vermerk oder Vorbehalt versehen sind, denen irgendein durch den Umschlag deutlich fühlbarer Gegenstand beige-
fügt
ist.
Mehrere in einem Umschlag enthaltene Zettel gelten als eine Stimme, wenn sie gleichlautend sind oder wenn nur einer von ihnen eine Stimmabgabe enthält; sonst sind sie ungültig.
§
69
Sobald das Wahlergebnis festgestellt ist, hat es der Wahlvorsteher der Gemeindebehörde mitzuteilen, die es für ihre Wahlbezirke sammelt und an die untere Verwaltungsbehörde auf schnellstem Wege weiterleitet. Die Namen der Bewerber und die auf sie entfallende Stimmenzahl und ihre Parteibezeichnung sind
anzugeben.
Die untere Verwaltungsbehörde sammelt die Ergebnisse, stellt sie zusammen und leitet sie in einem Gesamtergebnis dem Kreiswahlleiter auf schnellstem
Wege 320
zu.
Entwurf eines
§
Wahlgesetzes
Nr. 11
70
Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlvorstand Beschluß gefaßt hat, sind mit fortlaufenden Nummern zu versehen und der Niederschrift beizufügen. In der Niederschrift sind die Gründe kurz anzugeben, aus denen die Stimmzettel für gültig oder ungültig erklärt worden sind. Ist ein Stimmzettel wegen der Beschaffenheit des Umschlages für ungültig erklärt worden, so ist auch der Umschlag beizufügen. Die
§ Alle
71
die nicht nach § 70 der Wahlniederschrift beizufügen hat der Wahlvorsteher in Papier einzuschlagen, zu versiegeln und der Gesind, zu meindebehörde übergeben, die sie verwahrt, bis die Wahl für gültig erklärt worden ist. Die Wählerliste oder Wahlkartei nebst den Wahlscheinen, ebenso die nicht der Wahlniederschrift beigefügten Umschläge werden der Gemeindebehörde übergeben. Die Niederschrift über die Wahlhandlung, die vom Wahlvorsteher, Stellvertreter, Beisitzern und dem Schriftführer zu unterzeichnen ist, ist der Gemeindebehörde zu übergeben. Die Gemeinde hat diese Niederschrift mit sämtlichen zugehörigen Anlagen fortlaufend mit zu benummernden Schriftstücken der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Diese reicht sie nach Prüfung und etwaiger Ergänzung so zeitig dem Kreiswahlleiter zu, daß sie spätestens im Laufe des 3. Tages nach der Wahl bei diesem eintreffen.
gültigen Stimmzettel,
VI.
Feststellung
des
Abstimmungsergebnisses §
72
Der Kreiswahlleiter stellt zur vorläufigen Ermittlung des Wahlergebnisses die ihm gemeldeten Ergebnisse aus allen Stimmbezirken zusammen und teilt spätestens um 20 Uhr am Tage nach der Abstimmung dem Landeswahlleiter fernmündlich oder drahtlich mit: 1. ) die Namen der Bewerber und die auf jeden entfallenden Stimmen, 2. ) die Namen der Parteien, denen die Bewerber angehören, und die Zahl der demgemäß auf jede Partei entfallenden Stimmen. Sobald alle Meldungen aus den Wahlbezirken vorliegen, ist das Ergebnis durch Eilbrief dem Landeswahlleiter mitzuteilen. Um das endgültige Wahlergebnis im Wahlkreis zu ermitteln, stellt der Kreiswahlleiter aus den Wahlniederschriften der Stimmbezirke die Ergebnisse der Wahl zusammen und beruft den Kreiswahlausschuß. In der Sitzung dieses Kreiswahlausschusses werden aus den Wahlniederschriften die endgültigen Er-
gebnisse festgestellt.
Geben einzelne Wahlbezirke zu Bedenken Anlaß, so kann der Kreiswahlleiter die von den Gemeindebehörden aufbewahrten Stimmzettel und Wählerlisten 321
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes
oder Wahlkarteien und die Wahlscheine einfordern und dem Kreiswahlausschuß zur Einsicht vorlegen.
§
73
Sobald der Kreiswahlausschuß das endgültige Ergebnis festgestellt hat, muß der Kreiswahlleiter dem Landeswahlleiter fernmündlich oder drahtlich das Ergebnis mitteilen. §
74
Über die Verhandlungen des Kreiswahlausschusses ist eine Niederschrift aufzu-
nehmen und von sämtlichen Mitgliedern zu unterschrieben. Der Kreiswahlleiter sendet die Niederschrift mit den zugehörigen Schriftstücken, die Wahlniederschriften sämtlicher Stimmbezirke samt deren Anlagen dem Landeswahlleiter zu.
§
75
Der Kreiswahlausschuß erklärt, wenn im ersten Wahlgang ein Bewerber mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat, diesen als zum Abgeordneten im Wege der Einzelwahl gewählt und teilt ihm seine Wahl mit. Ist diese Mehrheit nicht erreicht, so stellt der Kreiswahlausschuß fest, daß ein zweiter Wahlgang vorzunehmen ist. Der Kreiswahlleiter hat die erforderlichen Vorbereitungen für diesen zweiten Wahlgang zu veranlassen. Er gibt auch dieses Wahlergebnis amtlich bekannt.
§
76
gleicher Weise wird nach Durchführung des zweiten Wahlganges dessen Ergebnis amtlich festgestellt mit der Maßgabe, daß derjenige Bewerber als gewählt gilt, welcher die einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen In
erhalten hat. Eine amtliche Feststellung der auf die Parteien der Bewerber im zweiten Wahlgang entfallenden Stimmen ist nicht erforderlich.
§77 Haben im zweiten Wahlgang zwei Bewerber die gleiche Stimmenzahl erhalten, entscheidet das in einer Sitzung des Kreiswahlausschusses von dem Kreiswahlleiter zu ziehende Los. Von Zeit und Ort dieser Sitzung sind die beiden Bewerber und die Unterzeichner eines Wahlvorschlages zu benachrichtigen. 322
Entwurf eines
§
Wahlgesetzes
Nr. 11
78
Nach Eingang aller drahtlich oder fernmündlich übermittelten Ergebnisse aus den einzelnen Wahlkreisen stellt der Landeswahlleiter die Summe der auf die einzelnen Parteien im Lande abgegebenen Stimmen fest, gibt diese als vorläufiges amtliches Ergebnis bekannt und teilt dem Bundeswahlleiter drahtlich oder fernmündlich das Ergebnis mit. Der Bundeswahlleiter beruft nach Eingang aller Meldungen der Landeswahlleiter den Bundeswahlausschuß und stellt den Teiler d. h. fest, wie oft die Zahl 170 in der Gesamtsumme aller im Bundesgebiet für Bewerber mit Parteienbezeichnung abgegebenen gültigen Stimmen enthalten ist. Der Bundeswahlleiter teilt den Teiler allen Landeswahlleitern mit. Diese berufen den Landeswahlausschuß, der nunmehr festzustellen hat, wieviel Abgeordnete hiernach auf jedem Landeswahlvorschlag gewählt sind. Der Landeswahlleiter teilt das Ergebnis dieser Feststellung unter Angabe der verbrauchten Stimmen und der unverteilt gebliebenen Reststimmen dem Bundeswahlleiter mit. Er gibt zugleich das Ergebnis der Wahl nach Verhältniswahlrecht im Lande amtlich bekannt und benachrichtigt die so gewählten Abgeordneten amtlich von ihrer Wahl.
§
79
Nach Eingang der Meldungen der Landeswahlleiter über das Ergebnis der im Lande vorgenommenen Wahl nach Verhältniswahlrecht beruft der Bundeswahlleiter den Bundeswahlausschuß. Dieser stellt die von den einzelnen Landeswahlleitern als unverbraucht gebliebenen Reststimmen zusammen und verteilt die noch offenstehenden Restmandate auf die einzelnen Bundeswahlvorschläge, bis einschließlich der auf Landeswahlvorschlägen gewählen Abgeordneten 170 Abgeordnete nach Verhältniswahlrecht gewählt sind. Wird die Ziffer des Teilers in einzelnen Fällen nicht mehr erreicht, so sind so oft die dem Teiler am nächsten kommenden Reststimmen als Grundlage der Zuteilung eines Abgeordnetensitzes zu nehmen, bis insgesamt 170 Abgeordnete nach Verhältniswahlrecht gewählt sind. Bei gleichen Restziffern ist das Los vom Bundeswahlleiter unter ensprechender Anwendung des § 77 zu ziehen. Der Bundeswahlleiter gibt auch dieses Ergebnis amtlich bekannt und setzt die gewählten Abgeordneten von ihrer Wahl amtlich in Kenntnis.
§80 Im Falle des § 20 tritt, wenn der ausscheidende Abgeordnete auf Landeswahlvorschlagsliste gewählt war, der zuständige Landeswahlausschuß, und wenn er auf Bundeswahlvorschlag gewählt war, der Bundeswahlausschuß zusammen, um seinen Nachfolger zu bestimmen. Dieses gilt im Falle des § 21 entspre-
chend. 323
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes §81
Über sämtliche Sitzungen der Landeswahlausschüsse und des Bundeswahlausschusses sind Niederschriften zu fertigen und von allen Teilnehmern zu unterzeichnen. Die Landeswahlleiter haben auf Erfordern des Bundeswahlleiters diesen die bei ihnen eingegangenen Unterlagen der Wahlkreisleiter zur Einsicht und Prüfung zu übersenden.
§82 Erklärt das Wahlprüfungsgericht die Einzelwahl in einem Wahlkreis als ungültig, so hat eine Nachwahl stattzufinden. Das Wahlergebnis einer solchen Nachwahl, ebenso wie das Wahlergebnis einer sonstigen Nachwahl berührt das nach Verhältniswahlrecht ermittelte Wahlergebnis der laufenden Legislaturperiode des Bundestages nicht.
VII.
Wahlprüfung §83
Bei dem
Bundestag wird ein die Frage entscheidet, ob ein
Wahlprüfungsgericht gebildet, welches Abgeordneter seinen Sitz verloren hat.
auch über
§84
Wahlprüfungsgericht besteht aus dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, dem Präsidenten des Bundesgerichtes und aus sechs vom Bundestag aus dem Kreise der Abgeordneten im Wege der Verhältniswahl nach dem Listenwahlsystem für die Dauer der Wahlperiode zu wählenden Mitgliedern. Das
Es entscheidet in der Besetzung, bestehend aus dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, dem Präsidenten des Bundesgerichtes und der Hälfte der Zahl der gewählten Mitglieder. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes und der Präsident des Bundesgerichtes werden bei Verhinderung durch den zuständigen Vertreter im Amt vertreten. Bei Ausscheiden eines gewählten Mitgliedes tritt der auf der Liste folgende Abgeordnete an seine Stelle.
§85 Den Vorsitz im Wahlprüfungsgericht führt der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, bei seiner Verhinderung der Präsident des Bundesgerichtes, bei dessen Verhinderung der zuständige Vertreter des Präsidenten des Bundesverfassungs-
gerichtes. 324
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
§86 Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Ausschließung von Gerichtspersonen (§41), die Leitung der Verhandlung (§§ 136, 139, 140), das persönliche Erscheinen (§ 141), den Beweis durch Zeugen und Sachverständige (§§ 373—414) sowie die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Beratung und Abstimmung (§§ 194-198) finden entsprechende Anwendung. Ein Beteiligter kann auch wie ein Zeuge vernommen werden. Über die Beeidigung der Zeugen und Sachverständigen beschließt das Gericht nach freiem Ermessen. Über die mündliche Verhandlung wird eine Niederschrift aufgenommen, die den Gang der Verhandlung im allgemeinen wiedergeben soll. Sie wird vom Vorsitzenden und Schriftführer unterschrieben. Als Schriftführer wird ein Bediensteter des Bundestagsbüros zugezogen und vom Vorsitzenden durch Handschlag verpflichtet. Im übrigen regelt das Wahlprüfungsgericht sein Verfahren selbst im Rahmen dieses Gesetzes.
§87 sowohl
von Amts wegen als auch auf Einspruch Wahlprüfungsgericht prüft Gültigkeit der Wahl zum Bundestag. Das Wahlprüfungsgericht entscheidet ferner von Amts wegen auf Antrag des Präsidenten des Bundestages oder auf Einspruch eines Wahlberechtigten darüber, ob ein Abgeordneter seinen Sitz verloren hat.
Das
die
§88
Einspruch nach § 87 Absatz 1 und Absatz 2 steht jedem Wahlberechtigten Einspruch muß innerhalb eines Monats bei dem Präsidenten des Bundestages eingegangen und mit Gründen unter Angabe von Beweismitteln versehen sein. Die Frist beginnt, wenn der Einspruch sich gegen die Gültigkeit einer Wahl richtet, mit der amtlichen Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses, im Falle des § 21 mit der Feststellung durch den Wahlleiter gemäß § 80 dieses Gesetzes. Unterbleibt eine solche Feststellung, so ist der Einspruch nach § 87 Abs. 2 an keine Frist gebunden. Der
zu.
Der
§89 Wird gegen die Wahl ein Einspruch nicht erhoben und sind keine Fehler bei der Feststellung des Wahlergebnisses ersichtlich, so stellt das Wahlprüfungsgericht dies nach Ablauf der Einspruchsfrist durch Beschluß fest. Der Beschluß ist dem Präsidenten des Bundestages, dem Bundesminister des Inneren und dem Bundeswahlleiter zuzustellen und im amtlichen Bundesanzeiger zu veröffentlichen. 325
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes §90
Einspruch eingelegt oder erachtet das Wahlprüfungsgericht von Amts wegen eine eingehendere Prüfung für erforderlich, so leitet es ein ordentliches Wahlprüfungsverfahren ein und entscheidet aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil. Für dieses Verfahren gelten die Vorschriften der §§ 91 bis 93. Wird
§91 dem Wahlprüfungsgericht sind öffentlich. Alle Bundes-, Landes- und Gemeindebehörden sind verpflichtet, dem Wahlprüfungsgericht und den von ihm bestellten richterlichen Beamten (Abs. 2) auf Verlangen Auskunft zu erteilen und Amtshilfe zu leisten. Die Gerichte haben nach Maßgabe der Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes Rechtshilfe zu leiDie
Verhandlungen
vor
sten.
Durchführung des Verfahrens außerhalb der Verhandlungen vor dem Wahlprüfungsgericht liegt in den Händen eines dem Bundesverfassungsgericht als Mitglied angehörigen, vom Wahlprüfungsgericht auf Vorschlag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählten richterlichen Beamten. In der Verhandlung tritt er als Berichterstatter auf, gehört aber dem Wahlprüfungsgericht Die
nicht
an.
§92
Verhandlungstermin, in welchem die Gültigkeit einer Wahl geprüft werden soll, sind als Beteiligte diejenigen Personen mindestens eine Woche vor dem Termin zu benachrichtigen, deren Wahl geprüft wird, und diejenigen, welche gegen die Wahl Einspruch erhoben haben. Haben mehrere Wahlberechtigte gemeinschaftlich oder mit inhaltlich gleicher Begründung Einspruch erhoben, so genügt die Benachrichtigung eines von ihnen. Die Beteiligten haben das Recht, sich schriftlich zu äußern, Akten einzusehen, an der Verhandlung ohne Beweisaufnahme teilzunehmen und auch einen Vertreter zu entsenden. Sie und ihr Vertreter sind in der Verhandlung zu hören. Der Präsident des Bundestages, der Bundesminister des Inneren und der Bundeswahlleiter sind schriftlich von dem Termin zu verständigen; letzterer hat, falls die Wahl nach Verhältniswahlrecht auf einen Landeswahlvorschlag geprüft werden soll, den Landeswahlleiter unverzüglich von dem Termin zu benachrichtigen. Die Genannten einschließlich des Landeswahlleiters sind auf Verlangen jederzeit zu hören. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. Von dem
§93 Das
a)
Wahlprüfungsgericht entscheidet durch Urteil über die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer bestimmten
Anzahl
von
Stimm-
zetteln,
b) über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der gesamten Wahl in einem Wahlbezirk oder in einem Wahlkreis, 326
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Nr. 11
c) über die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Wahl aus Gründen, die in der Person des Gewählten liegen, über die Frage, ob ein Abgeordneter seinen Sitz verloren hat. d) Falls das Wahlprüfungsgericht gemäß 1 a) eine bestimmte Anzahl von Stimmzetteln für ungültig erklärt hat, hat es gleichzeitig die Wahl, die durch die Ungültigkeitserklärung beeinflußt wird, und zwar sowohl die Einzelwahl als auch die Wahl nach Verhältniswahlrecht, für ungültig zu erklären. Das Urteil ist mit Gründen zu versehen, von den Mitgliedern des Wahlprüfungsgerichtes zu unterzeichnen, im Bundesanzeiger zu veröffentlichen und in Ausfertigung dem Präsidenten des Bundestages, dem Bundesminister des Inneren, dem Bundeswahlleiter und, falls ein Landeswahlleiter zugezogen war, auch diesem zuzustellen.
§94 Das Urteil wird mit seiner Verkündung rechtskräftig. Über eine Wiederaufnahme des Verfahrens entscheidet das Wahlprüfungsgericht durch Beschluß. Sie ist nur zulässig, wenn wesentliche Tatsachen bekannt werden, die der früheren Verhandlung nicht zugrunde gelegt werden konnten.
§
gerichtlichen Beteiligten haben lagen. Die
95
Kosten des Verfahrens fallen der Bundeskasse
keinen
Anspruch
zur
Last. Die
auf Erstattung der ihnen entstandenen Aus-
VIII. Gemeinsame
Bestimmungen
§96 zur Übernahme der ehrenamtlichen Tätigkeit eines Wahlvorstehers, Stellvertreters des Wahlvorstehers, Beisitzers oder Schriftführers im Wahlvorstand, im Kreiswahlausschuß, Landeswahlausschuß und Bun-
Jeder Wähler hat die Pflicht deswahlausschuß.
Jeder Abgeordnete
ist
verpflichtet,
die Wahl
zum
Beisitzer im
Wahlprüfungsge-
richt anzunehmen.
§97 Die 1. ) 2. ) 3. )
Berufung zu einem der Wahlehrenämter dürfen ablehnen Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierung, die Mitglieder des Bundestages (ausgenommen zum Wahlprüfungsgericht) und die Mitglieder der Länderparlamente, die Bundes-, Landes- und Gemeindebeamten, die amtlich mit dem Vollzuge des Wahlgesetzes oder mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit betraut sind, 327
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes
Wähler, die als Bewerber auf einem Kreis-, Landes- oder Bundeswahlvorschlag benannt sind, 5. ) Wähler, die das 60. Lebensjahr vollendet haben (ausgenommen zum Wahl4. )
prüfungsgericht)
,
Wählerinnen, welche glaubhaft machen, daß ihnen die Fürsorge für ihre Familie die Ausübung des Amtes in besonderem Maße erschwert, 7. ) Wähler, die glaubhaft machen, daß sie aus dringenden beruflichen Gründen oder durch Krankheit oder durch Gebrechen verhindert sind, das Amt ordnungsmäßig zu führen, 8. ) Wähler, die sich am Wahltag aus zwingenden Gründen außerhalb ihres 6. )
Wohnortes aufhalten.
§98
Wähler, welche die Übernahme eines Wahlehrenamtes ohne gesetzlichen Grund ablehnen, können von dem Wahlleiter in eine Ordnungsstrafe bis zum Betrage von 5000,— DM genommen werden. §99 Der Bund erstattet den Ländern die bei den Landesbehörden entstandenen Kosten der Bundestagswahl. Werden mit der Bundestagswahl Landeswahlen oder Abstimmungen aufgrund der Landesgesetze verbunden, so erstattet der Bund den Ländern die bei den Landesbehörden und den Wahlleitern entstandenen Kosten, soweit sie ausschließlich für die Bundestagswahl entstanden sind, voll, die im übrigen für die verbundenen Wahlen oder Abstimmungen gemeinsam aufgewendeten Kosten nur zu einem der Zahl der verbundenen Wahlen und Abstimmungen entsprechenden Bruchteil. Der Bund vergütet den Gemeinden zum Ersatz der Kosten der Bundestagswahl für jeden Wahlberechtigten einen festen, nach Gemeindegröße abgestuften Betrag, der so berechnet wird, daß mit ihm durchschnittlich vier Fünftel der den Gemeinden entstandenen Kosten gedeckt werden. Es wird für jede Wahl vom Bundesminister des Inneren mit Zustimmung des Bundesrates festgesetzt. Werden mit der Bundestagswahl Landeswahlen, Abstimmungen aufgrund der Landesgesetze oder Wahlen zu kommunalen Vertretungskörpern verbunden, so vergütet der Bund den Gemeinden nur einen der Zahl der verbundenen Wahlen und Abstimmungen entsprechenden Bruchteil des festgesetzten Einheitssatzes.
§100 Als verbunden gelten Wahlen oder Abstimmungen, die am gleichen Tage oder kurz nacheinander abgehalten werden, sofern für sie die Wahl- und Abstimmungsvorbereitungen im wesentlichen gemeinsam getroffen werden und insbesondere nur eine einmalige Anlegung und Auslegung der Wählerlisten oder Wahlkarteien stattfindet. 328
Entwurf eines
§
Wahlgesetzes
Nr. 11
101
Die nach § 12 mit den Kreiswahlvorschlägen einzuzahlenden Beträge 400,— DM fallen, wenn sie nicht zurückzuzahlen sind, dem Bunde zu.
IX.
von
Übergangsbestimmungen §102
Die Wahl
ersten Bundestage findet an demjenigen Sonntage statt, welcher drei Monate nach dem Tage liegt, an welchem dieses Grundgesetz spätestens rechtsgültig geworden ist. (Erster Wahltag) Den genauen Tag bestimmt das Präsidium des Parlamentarischen Rates. zum
§103 Bundeswahlleiter für die erste Wahl ist der Präsident des Parlamentarischen Rates, im Falle seiner Verhinderung der erste Vizepräsident und bei dessen Verhinderung der zweite Vizepräsident. Soweit in diesem Gesetz der Bundesminister des Inneren Bestimmungen zu treffen hat, insbesondere die Auslegungsfristen der Wählerlisten oder Wahlkarteien, ist für die Wahl zum ersten Bundestag das Präsidium des Parlamentarischen Rates zuständig. Die nach § 14 von den Landesregierungen vorzunehmende Wahlkreiseinteilung ist nach Ablauf von zwei Wochen seit Inkrafttreten dieses Gesetzes dem Präsidium des Parlamentarischen Rates bekanntzugeben. Das Präsidium des Parlamentarischen Rates beschließt mit Stimmenmehrheit; es veröffentlicht seine Beschlüsse in den amtlichen Anzeigern der Länder; dies gilt auch, soweit in diesem Gesetz Bekanntmachungen im Bundesanzeiger vorgesehen sind.
§104 Soweit zur Ausführung dieses Gesetzes Ausführungsbestimmungen noch erforderlich sind, insbesondere für amtliche Stimmzettel, Wählerlisten, Wahlscheine, Wahlniederschriften, Zähllisten und dergleichen Muster hergestellt werden sollen, erfolgen sie durch das Präsidium des Parlamentarischen Rates, der sie in den amtlichen Anzeigern der Länder veröffentlicht oder den Landesregierungen zur Bekanntmachung durch diese zu diesem Zeitpunkt zuleitet.
§105 Zur Vorbereitung der Wahl des ersten Bundestages haben alle Landes- und Gemeindebehörden dem Präsidium des Parlamentarischen Rates Amtshilfe zu leisten. Die Durchführung der Wahlvorbereitung, Wahlhandlung und Feststellung des Wahlergebnisses ist Sache der Länder; die Feststellung des Wahlergebnis329
Nr. 11
Entwurf eines
Wahlgesetzes
der Wahl nach Verhältniswahlrecht aufgrund der Bundeswahlvorschläge erfolgt durch den Bundeswahlausschuß, dessen Bundeswahlleiter der Präsident des Parlamentarischen Rates ist. ses
§106 Die Kosten dieser ersten Bundestagswahl gehen zu Lasten der Länder; die bei dem Parlamentarischen Rat entstehenden Kosten der Wahl zum ersten Bundestage tragen die Länder, und zwar zur einen Hälfte gerechnet nach der Kopfzahl
aufgrund der letzten amtlichen Volkszählung, zur anderen Hälfte nach dem Verhältnis des Aufkommens an Steuern und Zöllen in den Ländern. §107
Wahlprüfung der ersten Wahl zum Bundestag gelten die Bestimmungen des Abschnitts VII dieses Gesetzes mit der Maßgabe, daß an Stelle des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes und seines Vertreters der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes des Landes Hessen, an Stelle des Präsidenten des Bundesgerichtes und seines Vertreters der Präsident des Oberlandesgerichtes für Hessen und sein Stellvertreter treten, daß der Sitz Frankfurt am Main ist, der Schriftführer aus den Bediensteten des Hessischen Landtages zugezogen und im übrigen die Geschäftsräume, Geschäftsmaterialien und Hilfskräfte des Wahlprüfungsgerichtes bei dem Hessischen Landtag zur Verfügung gestellt werden. Die Kosten dieses Wahlprüfungsverfahrens werden nach § 105 aufgebracht. Für die
§
108
Groß-Berlin entsendet zum Bundestag 30 (in Worten dreißig) vollberechtigte Abgeordnete. Sie werden nur nach den Grundsätzen der Wahl nach Verhältniswahlrecht (II B dieses Gesetzes) gewählt. Groß-Berlin gilt als Land im Sinne dieses Gesetzes.
§109 Dieses Gesetz tritt
Bundesverfassung §108.
330
zugleich in
Kraft;
mit der es
gilt
vom Parlamentarischen Rat beschlossenen auch für Groß-Berlin nach Maßgabe des
Elfte
11.
Sitzung des
Z 5/83, Bl. 94-163. Stenograf. Kurzprot: Drucks. Nr. 325
Sitzung
27.
Oktober 1948
Nr. 12
Nr. 12 Ausschusses für Wahlrechtsfragen 27. Oktober 1948
Wortprot.
vom
29. Okt. 1948
von
Thöt
gezeichnet
Anwesend1):
CDU/CSU: Kroll (zeitweise), Schräge, Walter SPD: Diederichs (zeitweise), Stock, Menzel, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Renner (für Reimann) Mit beratender Stimme: Maier (SPD), Wessel (SPD), Löbe (SPD),
Grève2) (SPD, zeitweise),
Kuhn (SPD)
Stenografischer Beginn
9.00
Dienst: Thöt Ende: 11.35 Uhr
Uhr
[1. AUSARBEITUNG EINES WAHLGESETZENTWURFS ANHAND DER VORSCHLÄGE DR. BECKER UND DR. DIEDERICHS (DRUCKS. NR. 197/11 UND 178)]
[la. Wahlverfahren] Vors. [Dr. Becker]: Ich darf die Sitzung eröffnen. Wir wollten heute fortfahren mit der Formulierung des von mir stammenden Entwurfs3) und kämen dann zu II, Wahlverfahren. Das ist nun der Abschnitt, in dem die drei Entwürfe4) sehr wesentlich voneinander abweichen. Ich würde vorschlagen, wir nehmen jetzt einmal alle drei Entwürfe nacheinander vor und gehen sie so durch. Wir würden dabei nur so vorgehen müssen, daß jeder sich gewissermaßen in die Seele des Entwerfenden versetzt und von seinem Standpunkt aus logisch die Dinge durchzudenken versucht. So müßten wir loyalerweise verfahren. In welcher Reihenfolge wollen wir vorgehen? Nehmen wir den Entwurf des Kollegen Diederichs, der liegt am längsten vor. Wir würden dann also anfangen mit II aus dem Entwurf von Herrn Kollegen Diederichs5). Dr. Diederichs: Eigentlich II und III! Dr. Kroll: Dann würde ich doch vorschlagen, daß die Formulierungen gleich hier im Protokoll festgehalten werden. Vors. [Dr. Becker]: Ja, so hatten wir es ja gestern verabredet6). Also, wir gehen aus von dem Entwurf des Kollegen Diederichs: II. Da heißt es: —
*) 2) 3) 4)
Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Grève vertrat Diederichs, nachdem dieser den Ausschuß verlassen hatte. Siehe oben Dok. Nr. 11 Drucks. Nr. 178 (Diederichs; Dok. Nr. 8); Drucks. Nr. 197/11 (Becker, Dok. Nr. 11) und 264 a (Kroll, siehe Dok. Nr. 13 Anm. 50). 5) Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 4. 6) Siehe oben S. 301. 331
Wird dazu das Wort gewünscht? Dr. Diederichs: Meine Herren! Wenn wir das vielleicht gleich in Parallele betrachten zu dem Vorschlag des § 8 von Herrn Dr. Becker, so taucht dabei die Frage der Abgeordnetenzahl auf. Dr. Becker ging von 400 Abgeordneten für das Bundesgebiet aus. Das würde im Falle des Anschlusses der Ost-Gebiete eine Abgeordnetenzahl von 600 bedeuten. Nach der Auffassung unserer Fraktion ist diese Zahl reichlich hoch. Wir waren in der Fraktion der Meinung, daß wir in toto wahrscheinlich mit etwa 400 auskommen würden. Daher auch dieser Vorschlag, auf 1 bis 1,25 Millionen sechs Abgeordnete zu wählen. Das wären bei 40 Wahlkreisen 240 direkt Gewählte, außerdem 80 Indirekte, also in summa 320. Dazu kämen dann im Falle des Anschlusses die Abgeordneten aus dem Osten. Nun sind Bedenken geäußert worden gegen die Größe der Wahlkreise und die Möglichkeit, sich in einem solchen Wahlkreis dann bekannt zu machen7). Sollte ein gemeinsamer Vorschlag möglich sein, so ließe sich über die Frage der Größe der Wahlkreise zweifellos reden. Man könnte dann eben statt sechs in einem Wahlkreis mit einer Million vielleicht vier in einem Wahlkreis mit 600 000 oder 700 000 Einwohnern wählen. Das wäre also kein Grund, dieses System als solches abzulehnen, bloß weil die Wahlkreise zu groß sind. Vors. [Dr. Becker]: Wir haben jetzt die Zusammenstellung der Einwohnerzahlen von allen Ländern, und zwar meistens nach dem Stande des Jahres 1946, teils vom Januar 46, in Hamburg nach dem Stande vom August 48, in Niedersachsen nach dem Stande vom August 48, aber sonst durchweg aus dem Jahre 1946. Danach hat Bayern eine Einwohnerzahl von 8,78 Millionen, Württemberg-Hohenzollern von 1,05 Millionen, Bremen von 484 000, Rheinland-Pfalz von 2 753 000, Württemberg-Baden von 3,58 Millionen, Hamburg von 1,496 Millionen, Hessen von 3 995 000, Niedersachsen von 6 659 000, Nordrhein-Westfalen von 11 705 000, Schleswig-Holstein von 2 575 000 und Süd-Baden von 1 174 000. Bei einzelnen ist angegeben, daß sie ohne Ausländerlager und ohne Zivilinternierte andere haben noch detailliertere Angaben gemacht gezählt haben. Das kleinste Land ist also Bremen mit 484 000 Einwohnern, also einer knappen halben Million8). —
—
7) Vgl. oben Dok. Nr. 6, TOP 2 c. 8) Eine Abschrift der Zusammenstellung der Bevölkerungsziffern wurde unter den Ausschußmitgliedern verteilt (siehe auch oben S. 33 f.). Ein Exemplar ließ sich im Nachlaß Heiland ermitteln (HStA Düsseldorf, RWN 124-64, Bl. 156). Die Angaben unterscheiden sich leicht von denen im Statistischen Jahrbuch 1952, S. 12. Auf einer vertraulichen Sitzung des von den Landesverbänden gebildeten sog. Arithmetiker-Ausschusses der CDU/CSU am 11. März 1949 in Königswinter wurde ebenfalls auf die z. T. stark differenzierenden Bevölkerungszahlen hingewiesen. Schließlich einigte man sich auf folgende Zahlen (ACDP 1-009-007/3):
332
Elfte
Sitzung
27.
Oktober
1948
Nr. 12
Stock: Dann müßten wir von dieser Ziffer ausgehen. Vors. [Dr. Becker]: Das größte Land ist Nordrhein-Westfalen mit 11 705 000, das zweitgrößte ist Bayern mit 8,78 Millionen. Dr. Diederichs: Wenn man von dem Gesichtspunkt des kleinsten Landes ausgeht das wäre in diesem Falle Bremen —, dann kämen wir zu Wahlkreisen, die nicht 1 Million, sondern eventuell nur eine halbe Million hätten, würden also nicht sechs, sondern nur drei unmittelbar zu wählende Abgeordnete haben und dann eventuell noch einen auf Verrechnungsliste. Das wäre also die Halbierung des Vorschlages, die übrigens bei mir in § 4 „jeder Wähler hat 6 (3) Stimmen" bereits angedeutet ist, wobei ich eben diese Frage der Größe des Wahlkreises offenlassen würde. Das wäre dann bzgl. der Wahlkreiseinteilung ein meiner Ansicht nach verhältnismäßig sehr einfaches Verfahren, indem den einzelnen Ländern einfach mitgeteilt würde: ihr habt soundso viel Wahlkreise zu bilden, und die könnt ihr nach den Wahlkreisen, wir ihr sie habt, durch Zusammenlegung so einteilen, daß sie möglichst gleich groß sind. Also, das Einteilungsverfahren der Wahlkreise wäre sehr einfach und würde natürlich schon einen wesentlichen Vorteil bedeuten. Wenn ich von nicht zu kleinen Wahlkreisen ausgehe, dann deshalb, weil mir daran lag, innerhalb der Wahlkreise einen gewissen Ausgleich zu finden und, da ich dieses krasse System der d'Hondt'schen Wahl ablehne, innerhalb dieser durch die Verrechnung nach dem höchsten Zählverfahren die Möglichkeit zu geben, den zweit- und drittstärksten bei drei eventuell auch noch mit einem Mandat in unmittelbarer Wahl zum Erfolg kommen zu lassen und darüber hinaus eben dann die Reststimmen zu verwerten. Hinzu kommt, daß ich bei diesem System nur die wirklich überzähligen Reststimmen verrechnen würde, während nach dem Vorschlag, den Herr Dr. Becker gemacht hat, ja die gesamten Stimmen bei der Verteilung noch einmal berücksichtigt werden, wobei also die, die nach dem absoluten Mehrheitsverfahren —
Land
Einwohnerzahl
Quelle und Stichtag
Rheinland-Pfalz
2 836 400
Statist. Landesamt Bad Ems, 1. 3. 49
Südbaden
1 253 629
Verbrauchergruppenstatistik, 30. 9. 48 desgl., Dez. 48 desgl., Dez. 48 desgl., Dez. 48 desgl., Dez. 48 desgl., Dez. 48 desgl., Dez. 48 desgl., Dez. 48 desgl., Dez. 48
Württemberg-Hohenzollern Schleswig-Holstein Hamburg Niedersachsen Nordrhein-Westfalen
Bremen
Bayern Württemberg-Baden Hessen
103 723 529 821 785 534 9173 3 836 4 245
1 2 1 6 12
842 580 500 700 300 400 900 100 405
Statist. Landesamt 31. 12. 48
46 843 756
Für Berlin (West), das im übrigen 2 072 650 festgestellt.
unberücksichtigt blieb, wurde eine Einwohnerzahl
von
333
Nr. 12
Elfte
Sitzung
27.
Oktober 1948
Verteilung der Verhältnisverteilten werden würden, was gegenüber den kleineren Gruppen einen schweren Stand bedeutet. Es würden dann die starken Parteien also in dem einzelnen Wahlkreis ihr Mandat durchdrücken und dann möglicherweise bei der Verteilung der Reststimmen noch einmal in erhöhtem Maße mitberücksichtigt werden. Vors. [Dr. Becker]: Das kommt ganz darauf an! Frau Wessel: Mir ist bei diesem Vorschlag von Herrn Dr. Diederichs eines nicht ganz klar. Er will jetzt Wahlkreise schaffen, in denen drei direkt gewählt werden und ein vierter Abgeordneter nochmals innerhalb dieses Wahlkreises. Dr. Diederichs: Nicht innerhalb des Wahlkreises! Frau Wessel: Das ist mir nämlich nicht klar. Die Wahl dieses vierten Abgeordneten, von dem Sie sprechen, also eine zweite Verrechnung der unmittelbar gewählten Abgeordneten, soll aber doch auch in diesem Wahlkreis erfolgen! Dr. Diederichs: Nein; das ist ja nur die Meßziffer. Praktisch werden je Wahlkreis vier Abgeordnete gewählt, davon drei unmittelbar, und den vierten gibt's auf Verrechnung, d. h. auf einer Verrechnungsliste, wobei man ins Auge fassen kann, ob wir innerhalb eines größeren, zusammengeschlossenen Bezirks eine Vorverrechnung machen und dann schließlich auf Bundesliste gehen, oder ob wir nur eine Bundesliste haben. Das will ich offenlassen, da kann man verschiedener Ansicht sein. Aber dieser Vierte braucht nicht unmittelbar aus dem Wahlkreis und auch nicht durch Verrechnung innerhalb des Wahlkreises zu kommen. Dann brauchte ich ja nur weiterzurechnen, dann brauchte ich nur direkt Gewählte zu nehmen. Dr. Kroll: Das bedeutet also, daß 25% der Mandate nach Bundesliste aufgeschlüsselt werden? Dr. Diederichs: Nein, die ersten werden auch schon nach den d'Hondt'schen Verfahren errechnet. Dr. Kroll: Die ersten werden nach der Reihenfolge ermittelt, in der sie im Wahlkreis durchs Ziel gehen? Dr. Diederichs: Ja, innerhalb ihres Wahlvorschlages. Also, wenn Sie drei Wahlvorschläge haben, auf denen der eine 40, der andere 30 und der dritte 20% der auf den Gesamtwahlvorschlag abgegebenen Stimmen hat, dann bekommt der 40er den ersten Sitz, der 30er den zweiten und der 20er den dritten und in diesem Falle, wo die 40, durch 2 geteilt, wieder 20 bedeutet, entweder der den dritten oder der erste den dritten, und innerhalb des Wahlvorschlages bekommt den Sitz derjenige, der die meisten bzw. die zweitmeisten Stimmen hat, je nachdem, ob einer oder zwei gewählt sind. Der letzte Sitz wird auf alle nicht zur Verwertung gekommenen Reststimmen in der Gesamtverrechnung auf die Partei errechnet. Vors. [Dr. Becker]: Ich bin jetzt auch etwas durcheinandergekommen. Wollen wir doch mal ein praktisches Beispiel bilden: Im Wahlkreis X sind vier Listen aufgestellt, und auf jeder Liste stehen drei Personennamen; das sind zwölf. Am besten machen wir das einmal an der Tafel klar! Stock: Ich nehme an, daß ich es kapiert habe und darf einmal meinen Gedankengang sagen, wie Dr. Diederichs das meint. Nehmen wir an, Liste 1 hat gewählt sind,
mit vollen Stimmen bei der
noch einmal
berücksichtigt
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Elfte
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27.
Oktober 1948
Nr. 12
000, Liste 2 hat 30 000, Liste 3 hat, und nun wollen wir mal nicht sagen: 20, sondern 19 000! Vors. [Dr. Becker]: Verzeihung! Es geht ja nicht nach den Listenstimmen, sondern nach den Personenstimmen! Stock: Das ist dasselbe. Das geht schon auf die Liste. Liste 3 hat 19 000 Stimmen. Nun wird's aufgeteilt: Liste 1 bekommt den ersten, Liste 2 den zweiten, die Liste 1 bekommt den dritten, und die Liste 3 bekommt das Mandat, das eben verrechnet werden soll, weil da ja die größte Reststimmenzahl ist. So ist es doch? Dr. Diederichs: Es stimmt nicht ganz! Stock: Was ist denn dann noch? Dr. Diederichs: Es stimmt nicht ganz, denn dann würde ja der vierte Sitz innerhalb des Wahlkreises verteilt werden. Der soll ja auf die Bundesliste! Vors. [Dr. Becker]: Darin scheint Übereinstimmung zu herrschen. Es werden aber auf der Liste 1 vier Namen stehen: Schulze, Maier, Schmidt, Müller. Dann werden alle Stimmen, die die vier zusammen bekommen haben, zunächst mal zusammengerechnet, um zu sehen, welche Liste die meisten Stimmen hat. Also diese vier Mandate sind festgestellt. Dann wird auf diese Liste ein Mandat verteilt. So ist es wohl richtig? Dr. Diederichs: Zugeteilt! Vors. [Dr. Becker]: Und bei der zweiten, dritten und vierten entsprechend dem d'Hondt'schen System auch. Innerhalb dieser Liste ist der Kandidat gewählt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Wenn also eine Partei so dämlich ist entschuldigen Sie den harten Ausdruck —, ihren Anhängern zu empfehlen: seid Persönlichkeitswähler, verteilt eure Stimmen auf möglichst alle vier Listen!, dann heben sie sich gegenseitig auf, während, wenn eine Partei die Parole ausgibt: daß mir keiner aus der Reihe tanzt und ihr alle hübsch die Listen 1, 2 oder 3 wählt!, dann diese Listen zunächst einmal die meisten Stimmen bekommen. Das ist doch die Konsequenz Ihres Vorschlags. Dr. Diederichs: Herr Dr. Becker! Sie können nicht davon ausgehen, daß eine Partei als Partei ihren Wählern empfiehlt, die anderen zu wählen. Vors. [Dr. Becker]: Ich mache es absichtlich ein bißchen bizarr, um die Konse40
—
quenzen klarzulegen. Dr. Diederichs: Vielleicht darf ich
es an
der Tafel kurz auseinandersetzen.
(Skizze.) Also wir haben hier A, B, G und D. Wullen wir einmal mit vier Parteien rechnen! Jetzt rechne ich mal mit der kleineren Zahl von drei, dann brauchen wir nicht so weit zu rechnen; ich habe ja an sich sechs vorgeschlagen. Das sind die Kandidaten, die aufgestellt sind. Jetzt haben die Wähler ihre Leute hier angekreidet, und dann wird zusammengezählt. Der Wahlvorschlag A hat, sagen wir, 40% aller abgegebenen Stimmen; ich mache es gleich mit Prozentzahlen. Stock: Mit Stimmen ist es aber besser als mit Prozenten. Schreiben Sie nur „40 000" hin! Dr. Diederichs: Das brauche ich nicht, das kommt praktisch aufs gleiche heraus. Nehmen wir also an, A hätte 40, B hätte 30, C hätte 21, und D hätte 19 -, nein, das geht nicht, er kann ja höchstens noch neun haben; denn 110 wäre ja 335
Nr. 12
Elfte
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Oktober 1948
nicht möglich. Jetzt werden in diesem Wahlkreis drei Sitze verteilt. Nach dem Verfahren d'Hondt bekommt der Wahlvorschlag A den ersten, der Wahlvorschlag B bekommt den zweiten. Jetzt ist A durch 2 geteilt beim nächsten, dann wäre 20 die Teilungsziffer. Der hat aber 21, also kriegen die den dritten Sitz, und zwar bekommt innerhalb des Wahlvorschlages bei A derjenige das Mandat, der hier die meisten Stimmen hat. Wollen wir einmal annehmen, daß wäre dieser, dann kriegt der, der die meisten Stimmen hat, das Mandat. Die Stimmen aller Nichtgewählten sowohl von diesem Wahlvorschlag, wie von allen Wahlvorschlägen gehen an den Reststimmenfonds. Von diesem wird nachher die Quote errechnet, wieviel Stimmen für ein Mandat notwendig sind, und danach werden die restlichen Mandate auf die Parteien verteilt. Lobe: In einem größeren Wahlkreisverband! Dr. Diederichs: Darüber kann man sich noch einigen. Lobe: Das wäre sonst ein Mißverhältnis. Dr. Diederichs: Nicht innerhalb des Wahlkreises! Dr. Kroll: Innerhalb des Bundeswahlgebietes erfolgt die Verteilung der restlichen Stimmen nach dem d'Hondt'schen System. Aber das Mandat bekommt derjenige, der innerhalb des gesamten Bundesgebietes die meisten Stimmen hat. Dr. Diederichs: Jawohl, die Partei, der er zugeteilt ist. Frau Wessel: Es kommen aber auf die Bundesliste ganz andere Leute als auf den Wahlbezirk! Dann können Sie doch nicht errechnen, wer das Mandat bekommt! Dr. Diederichs: Sie können dieselben Leute auf die Bundesliste nehmen, das ist sogar das Ideal. Auf der Bundesliste sollen die Leute stehen, die auch irgendwo in einem Wahlkreis herausgestellt worden sind. Lobe: Das wird sogar die Regel sein. Aber es beeinträchtigt das System nicht. Dr. Diederichs: Nein, mit dem System hat es nichts zu tun. Dr. Kroll: Es beeinträchtigt das System insofern, als der Vierte nie mehr die Chance hat, wenn er nicht gleichzeitig auf der Bundesliste steht. Lobe: Das ist richtig. Frau Wessel: Wenn Sie dieses System durchführen, dann werden Sie erleben, daß wichtige Persönlichkeiten, sagen wir mal, Staatsrechtslehrer oder Leute, die wir in das Bundesparlament hinein haben wollen und die im Wahlkreis keine Stimmen bekommen, weil sie nicht entsprechend bekannt sind oder weil sie nicht vielleicht große Redner sind, nie ins Parlament hereinkommen, und gerade diese Leute brauchen wir doch auch. Dann kann ich nicht sagen: es kommen auf der Bundesliste die Leute nur nach der Reihenfolge heran. Das ist das, was ich meine. Lobe: Das ist auch nicht beabsichtigt. Stock: Ich glaube, ich habe die Sache von Kollege Dr. Diederichs nun ka-
piert.
(Dr. Kroll: Na, na!) Doch, ich glaube schon. Nun gibt es zweierlei. Früher, beim Reichstag, ging es nicht danach, wer nun die höchsten Reststimmen hatte, sondern die Parteien haben verschiedene Leute auf der Reichsliste nominiert, die sie im —
336
Elfte Sitzung
27.
Oktober
1948
Nr. 12
Parlament haben wollten, und alle Reststimmen von den einzelnen Wahlbezirich glaube, wir hatten 36 —9), die für die SPD, für das Zentrum usw. ken abgegeben waren, wurden von den 36 Wahlbezirken auf die Liste zusammen—
gezählt.
Lobe: Das wir die zweite
Einteilung. Vorher
war
schon eine nach dem Wahl-
kreisverband10). Stock: Ja, das war dann der Schluß der Rechnung. Dann kommen wir dahin, was die Kollegin Wessel will, daß die Leute, die man unbedingt im Parlament drin haben will, auch hineinkommen, also die Leute, die sich draußen vielleicht nicht durchsetzen, weil sie zu wenig populär sind oder keine Rednergabe und mehr haben. Dr. Diederichs: Darin sehe ich keine Schwierigkeit. Man könnte es der Partei ohne weiteres überlassen, ob sie Wahlkreisabrechnung oder Gesamtabrechnung auf Bundesliste wünscht. Das ist das, was die frühere Reichsliste war. Dann gibt es die Mandate nachher auf Reichsliste. Stock: Dann geht es nur auf die Reichsliste. Lobe: Nicht auch im Wahlkreisverband? Bei uns war es doch so: Oberschlesien, Mittelschlesien und Niederschlesien, drei Wahlkreise, bildeten einen Wahlkreisverband11), und nun, nachdem die erste Einteilung erledigt war, wurde innerhalb des Verbandes zusammengezählt. Dann bekam derjenige das Mandat, der die nächst höhere Stimmenzahl in der gemeinsamen Verrechnung hatte, und erst was dann übrig blieb, ging damals an die Reichsliste. Immerhin wurden auf der Reichsliste bei mancher Partei noch zwölf Abgeordnete gewählt, bei anderen Parteien z. B. Professor Kahl12), bei den Sozialdemokraten Dr. Hilferding13). Man wollte einen Arzt haben, der kam im einzelnen Wahlkreis nicht durch, dann setzte man ihn auf die Reichsliste. Das war ein ganz wünschenswerter Ausweg. Vors. [Dr. Becker]: Das ist aber nur möglich, wenn Sie einen festen Teiler einführen. In Weimar war der Teiler auf 60 000 festgesetzt14). Wir müssen auch hier einen festen Teiler schaffen, mit dem die gesamten Reststimmen dann durch die Zahl der freien Mandate dividiert werden. Dann können wir das mit dem Wahlkreisverband machen. Aber ich dachte, wir würden die Landesliste nehmen. Dann haben wir ein Mittelding zwischen großem Wahlkreis und Wahlkreisverband.
dergleichen
9) Nach dem RWahlG vom 27. April 1920 waren die Wahlkreise von 36 auf 35 reduziert worden (RGBl. I S. 627 Nr. 87 Anlage § 7). Die Wahlkreise konstituierten sich aus Wahlbezirken (§ 9 RWahlG). Ein bis drei Wahlkreise wurden zu einem der 16 Wahlkreisverbände
zusammengeschlossen.
10) § 31 RWahlG 1924. n) Wahlkreisverband Nr. V. 12) Prof. Dr. Wilhelm Kahl (17. Juni
1849-14. Mai 1932), DVP-Politiker und MdR von 1919 bis 1932. 13) Dr. Rudolf Hilferding (10. Aug. 1877-Feb. 1941), deutsch-österreichischer SPD-Politiker und MdR (1924-33), kurzzeitig Reichsfinanzminister (1928/29). 14) § 31 RWahlG 1924.
337
Nr. 12
Elfte Sitzung 27. Oktober 1948
Dr. Menzel: Ich habe die
Befürchtung, daß die großen Parteien bei diesem Sywerden. Denn der erste Kandidat wird, um gewählt zu sein, mehr Stimmen brauchen als der zweite. Das ist ganz klar, wenigstens bei dem d'Hondt'schen System, und ebenso klar ist, daß der zweite Kandidat mehr Stimmen braucht als der dritte. Wenn wir jetzt auf der Sammelliste, gleichgültig ob Verbandsliste oder Gesamtbundesliste, nur die nicht verbrauchten Stimmen zusammenrechnen, sind diejenigen Parteien, die in den einzelnen Wahlkreisen durchgekommen sind, benachteiligt, also die großen Parteien. Um das zu vermeiden, müßte man dann den Weg wählen, daß man ohne Rücksicht auf Verbrauch oder Nichtverbrauch sämtliche Stimmen noch einmal im Bundesmaßstab zusammenzählt und nun auf die dann errechneten Mandate diese in den Einzelwahlkreisen errungenen Einzelmandate einfach anrechnet. Dr. Diederichs: Das ist in einer Weise nicht ganz richtig. Dr. Kroll: Überhaupt die ganzen Parteistimmen, das ist mir noch nicht ganz klar. Dr. Diederichs: Was Herr Dr. Menzel meint, ist mir vollständig klar. Bei dieser Verrechnung, bei der auf 30% der Stimmen schon ein Mandat entfällt und hier auf 40%, ist der erstgewählte Kandidat hier wahrscheinlich mit sehr viel mehr Stimmen gewählt. Nehmen wir an, der hier hat das Mandat auf 40 000 Stimmen und dieser sein Mandat auf 30 000 Stimmen verdient. Gibt es dann die Möglichkeit, die ich ursprünglich vorgesehen hatte, daß beim Gutschreiben der Reststimmen nicht nur die nicht zum Zuge gekommenen, sondern alle die übrigen letztgewählten Kandidaten auch noch drauf kommen, daß also der mit wenn das hier die Stichziffer ist —, daß diese 9000 für den 21 000 Stimmen hier Gewählten und diese 19 000 für den hier Gewählten, daß all das mit in den Reststimmentopf kommt? Dr. Kroll: Dann können Sie es einfach so machen, wie ich sage! Dr. Diederichs: Die Rechnung ist nicht ganz richtig insofern, als die Mandate auf die Reststimmen ohnehin teurer sind, denn dann werden ja für die gesamten Reststimmen nur noch 25% der Mandate verteilt. Die Quote für die Reststimmen wird also ohnehin höher liegen als draußen. Dr. Menzel: Nein, ich glaube nicht, daß das zutrifft. Wir können uns das System vereinfachen und es korrekter gestalten, wenn wir die Anregung des Herrn Vorsitzenden auch hier durchführen, eine feste Teilungsziffer zu nehmen, also z. B. auf 60 000 Stimmen ein Mandat. Dann können wir das sowohl bei der Berechnung gleichmäßig durchführen als auch für den Gesamtbund. Dr. Kroll: Nein, das geht nicht. Denn dann kommen wir praktisch zum Listenwahlrecht zurück, wenn Sie gerecht sein wollen. Dr. Diederichs: Nein, wir kommen nicht zum Listenwahlrecht zurück. Sie kriegen absolut die Leute gewählt, die die höchste Stimmenzahl haben. Zur Listenwahl kommen Sie nur, wenn wirklich Listen eingereicht werden ohne Rücksicht auf die darauf Aufgestellten, wobei ich mit jeder Stimme praktisch mehrere wähle, während ich hier tatsächlich die Persönlichkeit wähle. Ich habe ja hier mehr Stimmen je Wähler. Dr. Kroll: Aber das System da muß ich Dr. Menzel recht geben begünstigt nicht die Splitterparteien. Ich glaube, den Beweis müßten Sie noch einmal stem
benachteiligt
—
—
338
—
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genau rechnerisch führen. Aber das sieht man schon jetzt: es begünstigt die jeweils dritte Partei. Dr. Diederichs: Nein, das tut es nicht. Sie brauchen bei der dritten Partei bloß statt der 21 hier 19 zu haben und hier 11, dann fällt das dritte Mandat hier schon weg, und das hier kommt zu dem. Dr. Kroll: Dann ist aber die zweite Partei in dem Fall noch mehr begünstigt. Dr. Menzel: Wenn man das so macht, daß man das Überschüssige zählt, ist es klar. Dr. Kroll: Wenn Sie die überschüssigen Stimmen noch einmal verrechnen! Dr. Menzel: Das machen die Schleswig-Holsteiner auch. Dr. Diederichs: Dafür bekommt dieser seine gesamten Reste auf Liste. Hiernach waren drei vorgesehen. Renner: Darf ich mir eine Frage erlauben? Meiner Meinung nach enthält dieses System von vornherein zwei Ungerechtigkeiten. Da ist der Sitz, der erobert wird, abhängig von der Wahlbeteiligung. Dr. Diederichs: In gar keiner Weise! Renner: Die drei Sitze stehen fest. Beteiligen sich nur 60% der Wähler an der Wahl, dann ergibt das schon eine gewisse Ungerechtigkeit den Wahlbezirken gegenüber, in denen auch nur drei Kandidaten gewählt worden sind, aber bei einer Wahlbeteiligung von 80 oder 90 oder sogar 100%. Die Stimme ist also von vornherein wertvoller. Die Stimme, die in einem Wahlbezirk mit geringerer Wahlbeteiligung abgegeben wird, ist von vornherein wertvoller als die Stimme in einem Wahlbezirk, in dem sich die Bevölkerung restlos an der Wahl beteiligt. Mir scheint das eine Ungerechtigkeit zu sein, die auch dem Prinzip unserer Demokratie widerspricht. Denn entscheidend ist doch der Wähler, und je aktiver er sich an der Wahl beteiligt, desto mehr Anerkennung verdient er als Das ist das erste Unrecht. Staatsbürger. das haben Sie selber ausgesprochen —, Das zweite Unrecht besteht darin auf die die 25% von ihren vorgesehenen Restsitzen nur Sitz ihren daß Parteien, Das sind bekommen, von jedem Sitz ein Vielfaches der Stimmen brauchen. von vornherein zwei schreiende Ungerechtigkeiten. Dr. Diederichs: Von „schreienden Ungerechtigkeiten" kann deshalb gar keine Rede sein, weil es ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem Mehrheitswahlsy—
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stem ist. Renner: Die Personenwahl hat doch, wenn man sich überhaupt für das System einsetzt, nur dann einen Sinn, wenn man die Wahlkreise möglichst klein
macht. Je größer der Wahlkreis, desto geringer die Möglichkeit, daß der Kandidat tatsächlich mit den Wahlberechtigten irgendwie persönlich Konnex bekommt. Also, die Verfechter des Prinzips der Personenwahl müßten dann konsequenterweise auch für möglichst kleine Wahlkreise sorgen, sonst ist das doch ein Widerspruch in sich selber. Ich bin der ganz ungehörigen Meinung, daß an sich das ganze Gerede um Personenwahl nur eine gewisse Absicht verdecken soll. Aber das gehört nicht hierher15).
15) Auch bei der Aussprache über das Wahlrecht im Hauptausschuß
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Okt. 1948 hatte 339
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Frau Wessel: Die Ungerechtigkeiten, von denen Herr Renner gesprochen hat, bestehen meines Erachtens darin, daß wir doch 25% auf Bundesliste wählen. Das ist nämlich die große Gefahr. Herr Renner hat insofern vollkommen Recht, daß die Stimmen der Wähler in einem Wahlbezirk, die zu einem erheblichen Teil zur Wahl herangezogen worden sind, viel geringer bewertet werden als die Stimmen in einem Wahlbezirk, wo nur 50 oder 60% der Stimmen abgegeben worden sind. Praktisch wird es nämlich so sein, daß wir dann zu ähnlichen Verhältnissen kämen wie bei der Reichstagswahl von 191416), wo man auch durch eine gewisse Wahlkreiseinteilung erreicht hat, daß eine sehr erhebliche Zahl, sagen wir mal, Ostelbien mit einer viel größeren Wahrscheinlichkeit ihr Mandat durchbekam als bei uns im Industriegebiet. Nehmen Sie jetzt nur das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen unter diesen Voraussetzungen, dann würden die Städte, die im Industriebezirk nur zu 70 oder 80% gewählt haben, mit ihren Mandaten schlechter stehen als die Städte, die mit 50 und noch weniger % gewählt haben. Das wäre in der Tat eine gewisse Ungerechtigkeit, die wir nur überwinden können, wenn wir nach Ihrem System vorgehen, d.h., daß wir nicht auf 25% bei der Bundesliste stehen bleiben. Dr. Diederichs: Dann kann ich Ihnen nur vorschlagen: bleiben Sie beim größeren Wahlkreis und verrechnen Sie nicht drei, sondern sechs Mandate. Dann wird diese „Ungerechtigkeit" immer geringer. Wenn Sie nämlich sechs unmittelbar verteilen, dann geht die Teilung hier weiter, dann kriegen die den ersten, die den zweiten, die den dritten, die den vierten, die den fünften, und die den sechsten. Dann kriegen nach diesem Verfahren die drei, die zwei und die ein [Mandat]. Die, wo jetzt 11 steht, kriegen keinen, weil diese 40 hier, durch 3 geteilt, 13,3 ergibt und das kommt noch vor elf. Dann kriegen also die hier drei, die zwei Mandate und die bekommen ein Mandat. Dann wird die Verteilung wesentlich gerechter. Sie wird noch gerechter, wenn ich alle acht unmittelbar verteile. Dann brauche ich überhaupt keine Reststimmen, dann würde einfach diese Durchrechnung erfolgen bis zu acht Hundert geteilt durch acht ergibt zwölf. Das würde bedeuten, daß eine Partei, die um 10% herum liegt, praktisch letzten Endes ausfallen würde. Aber die Verteilung ist hier so. Wenn sie das nicht ist, können auch die kleineren auf diese Weise noch hereinkommen. Dann brauchte man da keine Reststimmen. Also je weiter ich die d'Hondt'sche Rechnung durchführe, um so gerechter wird auch die Verteilung und Ausführung; darüber gibt es keinen Zweifel. Deshalb hatte ich ursprünglich auch sechs Mandate vorgeschlagen, weil damit auch die Interessen der kleineren Gruppen gewahrt sind, die ich nicht als Splitter bezeichnen will, sondern die in bestimmten Gegenden durchaus ihr Gewicht haben. Die würden bei einer Sechser-Aufteilung noch sehr gut zum Zuge kommen. Das würde bei sechs innerhalb des Wahlkreises und dann noch 25%, um gewisse Leute über eine Bundesliste da würde ich auch nur eine Bundesliste empfehlen noch herein—
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sich Renner ähnlich abfällig über die hier projektierte „Persönlichkeitswahl" geäußert (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 121 f.). 16) Wessel meint hier wahrscheinlich alle Reichstagswahlen vor 1914. Die letzte Reichstagswahl im Kaiserreich fand 1912 statt. 340
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zubringen, die man als Spezialisten haben möchte, meines Erachtens eine saubere Verteilung geben. Dann würde man sechs unmittelbar verteilen
sehr und zwei auf eine gemeinsame Bundesliste. Dann brauchten wir auch keine lokale Verrechnung mehr in den unteren Kreisen. Vors. [Dr. Becker]: Wenn Sie ganz gerecht vorgehen wollen, dann nehmen Sie das Schweizer Beispiel17). Die Verrechnung ist allerdings kompliziert. Da wird in Ihrem Fall bei Wahlkreisen von sechs Abgeordneten sechs plus eins gleich sieben als Divisor genommen und dann herumgerechnet. Das zweite Mal wird gerechnet nach der Partei, die die meisten Stimmen bekommen hat, und dann wird die als Divisor genommen. Es ist furchtbar kompliziert, aber ich kann Ihnen das einmal zur Verfügung stellen. Aber ich wollte noch etwas anderes sagen. Der Einwand des Kollegen Renner, daß Ungleichmäßigkeiten herauskommen, scheint mir berechtigt zu sein, und zwar aus folgendem Grund. Sie nehmen als Teiler diejenige Stimmenzahl, die die Partei bekommen hat, die nur einen durchbringt. So ist es doch wohl rich-
tig?
Dr. Diederichs: Den letzten! Vors. [Dr. Becker]: Den nehmen Sie als Divisor. Alles, was übrig bleibt, rechnen Sie auf Reststimmenliste. Wenn nun dieser Wahlkreis eine geringe Beteiligung hat, und der andere hat eine große, dann kommen aus dem großen größere Restportionen auf die Liste als aus dem kleinen, und Sie haben dann bei der Bundesliste eine ungleichmäßige Verteilung, und zwar ungleichmäßig deshalb, weil Sie hier auf den kleinen Teil auch schon die originären Mandate draufbekommen haben. Also es wirkt sich meiner Ansicht nach sowohl nach der Verteilung der Einzelmandate wie nach der Verteilung der Restmandate ungerecht aus.
Dr. Diederichs: Das ist nur dann richtig, wenn die Wahlbeteiligung in an sich gleich großen Wahlkreisen sehr erhebliche Verschiedenheiten aufweist, und zwar die Wahlbeteiligung! Es handelt sich hier nicht darum, wie das früher war, daß die Wahlkreise an sich so verschiedenartig groß waren, daß in Ostpreußen schon, selbst wenn alles hinging, wesentlich weniger Stimmen erreicht wurden. Ich weiß nicht, wie man diese Dinge praktisch im vorhinein durch eine Einteilung ausschalten soll. Vors. [Dr. Becker]: Es ist schwer, das im vorhinein zu machen. Es ginge nur
durch einen festen Teiler. Aber das ist natürlich im
voraus
schwer
zu
sagen.
) Für die Schweizer Nationalratswahlen gilt seit 1918 das Verhältniswahlsystem nach der Methode Hagenbach-Bischoff (Sternberger/Vogel [Hrsg.], Wahl der Parlamente 1/1, S. 1120). 341
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[lb. Ergänzender Vorschlag Dr. Menzel
zur
Verrechnung
der Mandate]
Dr. Menzel: Ich möchte eine Anregung geben18). Wenn wir es bei Dreierkreisen lassen nach diesem System, das Dr. Diederichs vorgetragen hat, und nun alle Stimmen noch einmal bundesmäßig zusammennehmen und sagen: auf 60 000 oder 100 000 Stimmen kommt ein Mandat, dann haben wir auch nicht die Schwierigkeit, auszuhandeln, wieviel Prozent wir zuschlagen, ob 20 oder 25 oder 30% zunächst im einzelnen Wahlkreis und dadurch eine Gesamtsumme von Gesamtmandaten erhalten für jede Partei und für die Nationalversammlung, und wenn wir dann einfach jeder Partei diejenigen Reststimmen anrechdann hat sie immer nen, die sie in den einzelnen Wahlkreisen errungen hat noch ein Spitzenmandat aus der Bundesliste —, so würden die meisten Ungerechtigkeiten ausgeräumt sein. Herr Kollege Dr. Becker, daß wir dazu kommen werden, daß in einem Wahlkreis auf 50 000 schon ein Mandat kommt und im anderen Wahlkreis auf 45 000, halte ich für unabweisbar. Ich glaube, das können wir bei keinem System vermeiden. Ich halte das aber im übrigen auch nicht für so tragisch, daß man nun deswegen noch eine Komplizierung des Wahlsystems suchen müßte. Vors. [Dr. Beckerl: Das meine ich auch nicht, sondern ich meine auch das, was Ihnen vorschwebt. Heiland: Man muß sich grundsätzlich über das klar sein, was man will. Wenn man auf eine feste Zahl der Stimmen einen Abgeordneten geben will, dann bekommt man nicht die feste Zahl der Mandate. Dr. Menzel: Die brauchen wir auch nicht! Heiland: Aber in der Diskussion gehen die Dinge durcheinander. Man muß sich also entscheiden. Um jetzt eine Zahl zu nehmen: will man 400 Abgeordnete haben, dann wird es vorkommen, daß in einzelnen Wahlgebieten der eine Abgeordnete mehr Stimmen für sein Mandat braucht als der andere in einem anderen Wahlgebiet, weil man so gleichmäßige Wahlbezirke nicht bilden kann; das haben wir allgemein festgestellt. Oder aber man will eine feste Stimmenzahl haben, dann wird man eben keine feste Abgeordnetenzahl bekommen. Also darüber müßte man sich vorher klar werden, wenn man nicht die Dinge in der Diskussion sich immer überschneiden lassen will. Ich bin aber auch mit meinem Kollegen Menzel einer Meinung darin, daß es gar nicht so tragisch ist, daß der eine Abgeordnete, wenn man schon Wahlbezirke macht und in den Wahlbezirken die Mandate verteilt, etwas mehr braucht. Man kann das nicht auf jede Nuancierung abstellen, also auch nicht auf die Nuancierung, daß in einem Wahlbezirk die Wahlbeteiligung größer ist also in einem anderen. Darauf kann man nicht von vornherein Rücksicht nehmen, das kann man nicht vorher abschätzen und folglich auch nicht berechnen und nicht in ein Gesetz hineinbringen. Aber ich bin der Meinung, daß man mit dem System, wie es Kollege Diederichs vorgeschlagen hat, ganz gut zurecht —
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wie den nun im folgenden vorgetragenen hatte Menzel bereits im Oktober 1946 nach den ersten Gemeinde- und Kreistagswahlen in der britischen Zone unterbreitet (vgl. Die Welt vom 29. Okt. 1946).
18) Einen ähnlichen Vorschlag
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kommen kann. Wenn noch irgendwelche Verfeinerungen hineingebracht, d. h. also verschiedene Ecken abgeschliffen werden müssen, so ist das ja im Laufe der Zeit möglich. Aber das wäre jetzt die Möglichkeit, eine halbwegs gerechte Verteilung zu schaffen, und man käme dadurch dem Ziel näher, daß man tatsächliche Persönlichkeiten in den Wahlkampf und darum geht es ja anscheinend sehr stark eingreifen lassen kann. Aber man muß sich klar sein, daß man das nicht 100%ig genau abschleifen kann, daß jeder Abgeordnete die gleiche Stimmenzahl haben muß. Renner: Wenn man ein Maximum für das Personenwahlsystem erreichen will, was ja hier beabsichtigt ist, dann wäre meines Erachtens folgender Weg möglich: Die Zahl der Abgeordneten im Bundesgebiet um einmal das Wort zu 400 fest oder das vollkommen mit ist 430; nebensächlich. gebrauchen liegt Abweichend von den Gedankengängen, die bisher geäußert worden sind, könnte man nun meines Erachtens alle in allen Wahlbezirken abgegebenen Stimmen im Rahmen des Bundesgebietes zusammenzählen und dann die so errechneten Zahlen durch die Zahl der Mandate teilen. Dann vermeidet man nämlich die gleitende Zahl der Sitze. Man könnte also eventuell durch 400 oder 430 teilen, wobei ich die Zahl vollkommen offenlasse. Dann errechnet man den Quotienten, und nach diesem Quotienten fängt man unten im Wahlkreis an, zu verteilen, so daß also auf jeden Fall von jeder Partei derjenige, auf den sich die meisten Stimmen vereinigt haben, die größere Chance hat, gewählt zu werden. Das ist meines Erachtens das ideale System. Das vermeidet die gleitende Sitzzahl und schafft doch die Sicherheit, daß das Personenwahlprinzip in etwa hochgehalten wird. Ich bin sogar der Meinung, daß das das Maximum für das Personenwahlsystem ist. Da hat nämlich der Kandidat, der in A oder B oder C oder D die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat, die meiste Aussicht, gewählt zu werden. Das ist meines Erachtens das Sauberste und auch Einfachste. Vors. [Dr. Becker]: Eine Zwischenfrage: Wollen Sie denn die Bundesliste über—
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haupt
ganz weglassen? Renner: Dann käme man sogar an einer zentralen Reichs- oder Bundesliste vorbei. Dr. Menzel: Ich würde es nicht für richtig halten, Herr Kollege Renner, daß wir an einer zentralen Liste ganz vorbeigingen. Wir haben auch bei den Vertretern des Mehrheitswahlrechts19) immer wieder festgestellt, daß sie einen Listenausgleich für richtig halten, weil dann jede Partei die Gewähr hat, bestimmte Leute
hereinzubringen.
Renner: Mein Vorschlag widerspricht diesem Grundgedanken nicht. Man könnte im Endeffekt auch die Liste haben. Ich habe ja nicht gesagt, daß man auf die Liste verzichten soll. Dr. Menzel: Das wäre aber die Konsequenz. Wir müssen den Parteien die Möglichkeit geben, in etwa doch einige Leute, vor allem auch Frauen, durch die Liste durchzubekommen. Ich bin im übrigen der Meinung, daß wir nicht eine feste Mandatszahl nehmen sollten, sondern einen festen Teiler, und zwar aus fol-
9) Folgt gestrichen: „wenigstens
in der britischen Zone".
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gendem Grunde: Ich bin der Auffassung, daß, je mehr gewählt wird, um so mehr Abgeordnete da sein müssen. Es ist eine Art politisches Prämiensystem. Je mehr Leute sich beteiligen, desto mehr Leute gibt es, die als Abgeordnete entsandt werden. Sonst würde jeder sagen: es werden doch 400 Abgeordnete bestimmt, ob ich nun wähle oder nicht! Nein, der Wähler soll auch das Gefühl haben: mit meiner Stimme kann ich es schaffen, daß vielleicht ein Kandidat mehr in die Volkskammer einzieht. Ich darf vielleicht, weil ich wahrscheinlich mißverstanden wurde, mit Erlaubnis des Herrn Vorsitzenden noch einmal kurz sagen, wie ich mir das System denke. Die Frage Dreier- oder Sechser-Kreis scheint mir nicht so entscheidend zu sein. Die Verteilung geschieht nach dem d'Hondt'schen System. Dann machen wir eine Hilfsrechnung, nach der wir alle Stimmen, ganz gleich, ob verbraucht oder nicht, für den Bund zusammenrechnen, wobei wir Landesverbände Zwidas ändert aber am Prinzip nichts —, und dann würschenschalten können den wir nach einem festen Teiler die Mandatsziffer errechnen. Über diese Zahl müßten wir uns einigen. Mit dieser Zahl würde die Verteilung auf die einzelnen Parteien erfolgen. Jeder Partei werden nach den so errechneten Ziffern diejenigen Kandidaten vorweg angerechnet, die sie in den einzelnen Wahlkreisen erhalten hat. Außerdem hätte sie dann auf der Bundesliste diejenigen Leute durchbekommen, die sie unbedingt durchhaben will. Ich glaube, daß das rechnerisch einfach ist und wir die Möglichkeit haben, daß wahrscheinlich 75% aus der Mehrheitswahl, also aus Persönlichkeiten hervorgehen. Das haben wir hier in Nordrhein-Westfalen erlebt, wo wir dieses System für die Gemeindewahlen —
haben20).
Dr. Diederichs: Der Vorschlag von Herrn Renner hat meines Erachtens eine sehr bedenkliche Seite, nämlich die, daß bei diesem Gesamtverrechnen über den Bund und bei der Errechnung der Quote die Gefahr besteht, daß ganze Bezirke, in denen die Wahlbeteiligung schlecht war, wo die Leute also sehr niedrige Stimmenquoten haben und wo infolgedessen überhaupt nicht ein Dritter kommt, möglicherweise durch diese schlechte Wahlbeteiligung überhaupt nicht vertreten sind. Das erschiene mir bei diesem Verfahren schon sehr bedenklich. Darüber hinaus bitte ich aber noch eines zu bedenken ich muß leider gleich weg in den Ausschuß für Besatzungsstatut21), aber wir müssen das noch einmal überdenken und überrechnen : bei einer Verrechnung von sechs Sitzen ist eine bessere Verteilung möglich, weil nach dem d'Hondt'schen Verfahren eben dann auch die Hälftelung und Drittelung noch mit in Frage kommt. Das ist eine gerechtere Verteilung entsprechend der Stimmenziffer. Die Anregung von Dr. Menzel, der Errechnung auf Bundesliste die Gesamtziffer der abgegebenen Stimmen für die Parteien zur Errechnung der Quote zu Grun—
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20) Siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 48. 21) Um 10 Uhr fand die zweite Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut statt,
an
der auch der Besatzungsstatut-Ausschuß der Ministerpräsidenten teilnahm (Der Pari. Rat Bd. 4, S. 8 ff.). Außer Diederichs wechselte auch Kroll im Laufe der Sitzung zu diesem Ausschuß.
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zu
legen,
halte ich für durchaus
richtig.
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Das kann
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man
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ohne weiteres
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chen, und zwar nicht nur für die restlichen Stimmen, sondern eben für die gesamten Stimmen, weil man dann ein wirkliches Verhältnis der Parteien untereinander hat. Dann müßte man allerdings, wenn man die Wahlkreise kleiner macht, die Mandate, die auf Reststimmen verteilt werden, erhöhen. Dann müßte man also meiner Ansicht nach, wenn man drei im Wahlkreis verteilt, noch zwei dazu geben. Dt. Menzel: Das ergibt sich doch aus der Wahlbeteiligung, wenn ich einen festen Koeffizienten habe. Dr. Diederichs: Das ist richtig. Aber ich bin der Ansicht, das Verhältnis zwischen direkt gewählt und verteilt müßte dann etwas mehr angeglichen werden. Dr. Kroll: Das läßt sich aber im Fall Menzel dann nicht bestimmen. Das läßt sich nur errechnen, aber nicht vorher fixieren. Sie können die Zahl der Abgeordneten nicht vorher fixieren, weil das von der Wahlbeteiligung abhängt. Frau Wessel: Mir scheint das System mit drei Kandidaten, die in direkter Wahl im Wahlkreis durchkommen, besser zu sein als das mit sechs. Wir können bei sechs, wenn ich von einer kleineren Partei aus spreche, durchaus den Vorteil haben. Aber den Wähler bei seiner Schwerfälligkeit nun für sechs Persönlichkeiten zu gewinnen, halte ich für kaum möglich. Auf drei bringt er es vielleicht. Sonst gibt es eine zu große Zersplitterung, und das ist ja schließlich auch nicht unser Wunsch. Das zweite, was Herr Minister Menzel gesagt hat, würde durchaus einen Ausgleich geben sowohl für die Anhänger des Mehrheitswahlsystems wie auch für die, die für eine gerechte Stimmenbewertung eintreten. Wenn nachher auch die Zusammenfassung aller Stimmen auf der sogenannten Bundesliste erfolgt, so gibt es doch Parteien, die in direkter Wahl mehr Mandate durchbekommen haben, als ihnen aufgrund ihrer zusammengefaßten Stimmen zustehen würden. um nun das Persönlichkeitsprinzip zu In diesem Falle bin ich der Auffassung vertreten —, daß diesen Parteien ihre Abgeordneten belassen werden sollen, selbst dann, wenn sie wesentlich unter der zusammengefaßten Stimmenzahl bleiben müssen. Der Ausgleich würde ja dann gerechterweise, wenn ich z. B. an den Kandidaten B denke, gegenüber der Partei C doch darin liegen, daß wir nicht eine feste Abgeordnetenzahl uns vornehmen, sondern doch nachher einfach berechnen, was auf Bundesliste auf den einzelnen Abgeordneten entfallen ist. Etwas ähnliches haben wir doch auch in der Weimarer Zeit gehabt. Auf den Reichstagsabgeordneten entfielen 60 000 und, ich glaube, auf den preußischen Abgeordneten 40 000 Stimmen; je nachdem, wie hoch die Wahlbeteiligung war, wurden auch die Abgeordneten bestimmt. Das scheint mir auch ganz richtig zu sein. Ein Volk, das so wenig Interesse hat und eine Wahlbeteiligung von nur 50% aufweist, braucht auch nicht so viel Abgeordnete als Vertreter wie diejenigen, die sich in entsprechender Weise für eine politische Entscheidung eingesetzt haben. Ich meine, von diesen Gesichtspunkten aus könnten wir mit dem System Diederichs, wenn dieser Ausgleich geschaffen würde, den verschiedenen Richtungen in etwa gerecht werden. —
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bitte, mir zu gestatten, an Herrn Dr. Diederichs, ehe er noch folgende Frage zu richten: Wie ist es mit dem Nachrücken geweggeht, dacht? Nehmen wir an, der Abgeordnete X stirbt oder legt sein Mandat nieder. da nur sechs oder drei angekreuzt werRückt jetzt der von seiner Liste nach vielleicht keine hat Stimmen er —, oder rückt, um die Sache zu verden, gar einfachen, einfach einer von der Bundesliste nach, oder rückt einer von einer ganz anderen Liste nach, der dann als Persönlichkeit die meistnächsten Stimmen bekommen hat? Dr. Diederichs: Nein. Nach meinem Vorschlag gebühren die Mandate dem Wahlvorschlag, für den sie errechnet sind. Fällt einer von diesem Wahlvorschlag aus, rückt der nach, der die nächstmeisten Stimmen auf dem gleichen Wahlvorschlag hat. Fällt einer von der Bundesliste aus, rückt der Nächste der Bundesliste nach, so daß in jedem Fall ein Nachwahlverfahren erspart ist. Dr. Kroll: Ich möchte auf eine ganz andere Gefahr aufmerksam machen. Der Diederichs'sche Vorschlag geht von sechs Stimmen im Wahlkreis aus, wobei der Wahlkreis mit rund 1 Million oder 1,25 Millionen angenommen ist. Das würde auf eine Bevölkerung von etwa 170 000 bis 200 000 Einwohnern an sich ein Mandat bedeuten. Nun, meine Damen und Herren, achten Sie auf folgendes : Sie kriegen also bei diesem System an sich schon eine ziemlich klare Vorwegnahme der Mandatssitze durch die Wahlkreiseinteilung, denn diejenigen, die in Dreier-Wahlkreisen oder in Sechser-Wahlkreisen kandidieren, bekommen ja auf alle Fälle insgesamt im Bundesgebiet drei oder sechs Mandate verteilt. Wenn Sie jetzt den Teiler einführen, daß, sagen wir mal, auf 60 000 Stimmen ein Mandat entfällt, dann kann es Ihnen passieren, daß sie keine Reststimmen haben bei schlechter Wahlbeteiligung, ja, daß sogar zuviel Mandate durchgegangen sind, weil der Teiler gar nicht erreicht wird. Sie müssen dann, um das wieder zu verhüten und eine gewisse Sicherung zu haben, noch Reststimmen verwerten zu können, die Wahlkreise noch größer machen, d. h. also noch sehr viel mehr Bevölkerung dazu nehmen bei gleicher Abgeordnetenzahl, um auf alle Fälle eine Sicherung zu haben, daß der Teiler im Gesamten auch erreicht wird. Dr. Menzel: Um so kleiner müssen die Wahlkreise werden! Dr. Kroll: Nein, bevölkerungsmäßig müssen sie größer werden, die Mandatszahl muß kleiner werden. Entweder machen Sie im gleichen Wahlgebiet eine geringere Mandatszahl, oder Sie machen bei gleicher Mandatszahl einen größeren Wahlkreis mit mehr Bevölkerung. (Dr. Menzel: Sehr richtig!) Und nun passiert Ihnen folgendes: die ganze Geschichte mit der Personenauswahl geht meines Erachtens dadurch flöten; denn die Wahlkreise werden dann wieder so groß werden müssen aus Vorsicht wird man statt einer Million für sechs Abgeordnete dann vielleicht zwei Millionen für sechs Abgeordnete nehmen, damit eine Reststimmenverwertung auf der Bundesliste in diesem Sinne überhaupt noch möglich ist —, daß sie eigentlich nichts anderes erreichen als ein verschlechtertes Verhältniswahlrecht. Dr. Diederichs: Das ist schief entschuldigen Sie den Einwand, da ich gerade gehen will : Um das zu erreichen brauchen Sie nur die Quote, die notwendig ist, um noch Restmandate zu verteilen, herabzusetzen. Vors. [Dr. Becker]: Ich
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Dr. Kroll: Nein! Sie verteilen mit der Quote nicht nur Restmandate, Dr. Diededas ist der Irrtum —, sondern Sie verteilen mit der Quote nach dem richs Menzel'schen Vorschlag alle Mandate! (Widerspruch und Zuruf: Die obersten Mandate werden dadurch nicht tan—
giert!)
Es werden alle Stimmen verrechnet, nicht nur die Reststimmen! Nach dem Menzel'schen Vorschlag werden alle Stimmen verrechnet und nur die in den Wahlkreisen Gewählten sozusagen vorweggenommen. Das heißt also, die Bestimmung, wer Abgeordneter ist, ist gefallen, über die Zahl der Mandate ist nichts entschieden, sondern es entscheidet allein der Teiler, und es kann Ihnen eben passieren, was ich schon sagte, daß in den Wahlkreisen zuviel gewählt werden, so daß Sie auf den Teiler gar nicht kommen. Um das zu verhüten, —
müssen Sie die Wahlkreise, bevölkerungsmäßig gesehen, groß machen, mandatsmäßig gesehen, klein machen. Damit aber verfälschen Sie den Gedanken, den Sie ursprünglich an die Spitze stellten, derartig, daß meines Erachtens eine
Verschlechterung des einfachen Verhältniswahlrechtes herauskommt. Ich möchte sie überhaupt fragen, meine Herren, warum Sie sich solche Mühe geben, wenn Sie doch praktisch dieses Ergebnis erreichen wollen, nun das Verhältniswahlrecht so zu komplizieren. Mit kommt das gerade so vor, als wollte man dem Verhältniswahlrecht eine Tarnkappe überstülpen, um zu sagen: es ist keins mehr, und in Wirklichkeit läuft es doch darauf hinaus. Dr. Diederichs: Das habe ich nie verschwiegen. Dr. Kroll: Das einfachste wäre doch, Sie würden ganz einfach nach dem alten d'Hondt'schen System sozusagen ihren ersten Gedanken, den Sie hatten, wieder aufnehmen und von Ihrem Standpunkt aus sagen: das ganze Wahlgebiet ist ein einziger Wahlkreis. Dr. Diederichs: Davon ging ich ursprünglich auch aus. Dr. Kroll: Dann setzen Sie das d'Hondt'sche System ein und lassen die Dinge proportional durchteilen, oder Sie nehmen einen Teiler und teilen es durch. Dann ist die Sache viel einfacher. Vors. [Dr. Becker]: Es stehen auf der Rednerliste noch die Kollegen Heiland und Dr. Menzel. Ich möchte zuvor aber für den Gang der Diskussion noch einen Vorschlag machen: Es ist nach einem Beschluß des Organisationsausschusses eine bestimmte, feste Zahl von Mandaten für den Bundestag vorgesehen; nach dem Entwurf sind es 40022). Ich bin in den letzten Sitzungen nicht dabei gewesen23). Es kann nun sein, daß die Zahl etwas heruntergesetzt worden ist24). Ich würde deshalb vorschlagen, daß wir der Einfachheit halber von einer Zahl 22) Anlage zum Kurzprotokoll der 11. Sitzung des Organisationsausschusses vom 7. Okt. 1948 (Drucks. Nr. 167; vgl. oben Dok. Nr. 8, Anm. 50). 23) Becker vertrat die FDP in den ersten vier Sitzungen im kombinierten Ausschuß für die Organisation des Bundes, der sich ab der 5. Sitzung mit dem Themenbereich Verfas-
sungshof und Rechtspflege befaßte. Becker nahm danach nur noch sporadisch an den Sitzungen teil. Die FDP war offiziell durch Dehler vertreten. 24) In der 6. Sitzung vom 24. Sept. 1948 hatte der Organisationsausschuß zwar die Abgeordnetenzahl von 400 ins Auge gefaßt, eine endgültige Festlegung aber vermieden (Drucks. Nr. 102).
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300 bis 400 ausgehen, und daß wir uns darüber klar werden: wollen wir unsererseits vorschlagen, diese Zahl anzuerkennen, oder wollen wir von einer anderen Grundlage ausgehen? Davon, was wir akzeptieren, wird dann unsere weitere Diskussion abhängig sein. Dann, bitte, Herr Kollege Heiland! Heiland: Ich bin der Meinung, daß wir hier sehr durcheinander diskutieren und den Faden reichlich verloren haben. Bisher sind wir von einer festen Grundlage ausgegangen. Ich sehe die Schwierigkeiten, die Dr. Kroll sieht, gar nicht. Es werden ja nur 75% der Mandate nach dem Vorschlag von Dr. Diederichs Dr. Kroll: Es sind doch zwei verschiedene Vorschläge! Herr Menzel hat doch einen ganz anderen Vorschlag gemacht! Heiland: Das läßt sich klar auf die Reihe bringen, ich sehe die Schwierigkeit nicht für so groß an. 75% werden verteilt, und die anderen 25% ergeben sich aus den Reststimmen. Dr. Kroll: Das ist ganz etwas anderes! Dieser Vorschlag war jetzt schon übervon
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wunden. Dr. Menzel: Auf den Einwand von Herrn Dr. Kroll müssen wir sicherlich achten. Aber ich glaube, wir können diese Schwierigkeit ausräumen. Er meint, daß durch eine geringe Wahlbeteiligung die einzelnen Wahlkreise mehr Abgeordnete bekommen könnten, als ihnen nach der Teilerzahl zustehen. Am besten nehmen wir ein Zahlenbeispiel! Ich möchte dabei gleichzeitig von mir aus die erste Frage des Herrn Vorsitzenden beantworten. Ich kann allerdings nicht eine Fraktionserklärung abgeben, sondern nur als meine persönliche Meinung dazu sagen: ich wäre der Meinung, daß wir die Zahl der Abgeordneten nicht festsetzen, sondern variabel gestalten sollten, je nach der Wahlbeteiligung. Ich halte das auch für ein sehr gutes politisches Erziehungsmittel. Wenn wir das tun, und wenn wir uns darauf einigen, daß, sagen wir, auf 100 000 Stimmen ein Abich nehme diese Zahl, weil das im Augenblick rechnegeordneter kommt einfacher dann kämen wir zu Wahlkreisen von drei Abgeordneten. ist risch —, Ich wäre dafür, sie nicht größer zu machen und von Wahlkreisen mit 600 000 Einwohnern auszugehen. Das würde bedeuten, daß auf einen Abgeordneten 200 000 Einwohner kommen oder auf einen Abgeordneten 120 000 Wahlberechtigte. Dann haben wir die größtmögliche Annäherung zu der festen Quote von —
100 000.
Ich möchte, wenn der Herr Vorsitzende es gestattet weil bei dem Kollegen Heiland anscheinend noch eine gewisse Unklarheit besteht —, noch einmal kurz sagen, wie ich mir die Ergänzung des Diederichs'schen Vorschlages gedacht habe. Herr Kollege Heiland! Wollen Sie so freundlich sein und noch einmal an die Tafel sehen! Wir haben in diesem Dreier-Wahlkreis aufgrund des d'Hondt'schen Systems drei Mandate zu errechnen, wobei für jedes Mandat eine verschiedene Stimmenzahl erforderlich gewesen ist, und zwar mußte die stärkste Partei die größte Stimmenzahl aufweisen, während diejenige Partei, die die letzten Mandate bekommt, die wenigsten Stimmen dafür braucht. All das schalten Sie jetzt einmal völlig aus und lassen Sie das, was in den einzelnen Wahlkreisen geschehen ist, völlig außer acht! Jetzt gehen wir zu der einfachen Verhältniswahlrechnung für den Gesamtbund über, indem wir die Stimmen, die —
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für die Parteien, im Gesamtbund zusammengezählt, abgegeben worden sind, auf die Parteien aufteilen, wobei wir, sagen wir einmal 100 000 als Quotienten, als Teilungsziffer, nehmen und berechnen auf 100 000 Stimmen ein Mandat. Nun wird für das gesamte Bundesgebiet festgestellt, wieviel Mandate jede Partei aufgrund dieser 100 000-Ziffer erhalten hat. Sagen wir, eine Partei würde nach dieser Ziffer 110 Mandate bekommen haben, dann bekommt sie diese 110 Mandate nun, nicht etwa aus der Sammelliste, sondern es werden ihr jetzt dieund jetzt bitte ich, jenes Bild dort an der Tafel wieder einjenigen Mandate zuschalten angerechnet, die sie in den einzelnen Wahlkreisen errungen hat. Unterstellen wir, daß sie 80 Mandate in den Wahlkreisen errungen hat, dann werden ihr diese 80 Mandate auf jene 110 angerechnet, und sie erhält dann noch restliche 30 Mandate. Frau Wessel: Dann kann es aber sein, daß eine Partei 120 Mandate bekommen hat, aber nur Ansprach auf 110 hat. Dann behält sie sie. Dr. Menzel: Ja, diese Chance müssen wir der Partei lassen. Dr. Kroll: Ich wollte dasselbe sagen. Bei der Einteilung, die Dr. Menzel vorschlägt, wonach die Bevölkerungsziffer der Wahlberechtigten sich verhältnismäßig nahe an dem Quotienten bewegt, der notwendig ist, um ein Mandat zu bekommen, ist es bei schlechter Wahlbeteiligung natürlich sehr leicht möglich, daß sämtliche Abgeordnetensitze bei dieser Größenordnung wenn man die bereits in den WahlkreiGrößenordnung verschiebt, ist es natürlich anders sen verteilt werden und keine Reststimmenverwertung einsetzt, sondern die Sache überzogen wird. Mein Einwand, den ich vorhin machte, ging dahin: Wenn bleiben wir bei dem Beispiel: 100 000 Stimman sich dagegen sichern will men für 1 Mandat —, dann muß man wir haben ja manchmal eine Wahlbemindestens die doppelte Zahl der Wahlbenur 50% zu bis erlebt teiligung rechtigten ansetzen. Bei 200 000 Wahlberechtigten pro Wahlkreis macht das, rund gerechnet, ungefähr 300 000 Einwohner aus. Dr. Menzel: 150 000 Wahlberechtigte pro Abgeordneten würden eine Einwohnerzahl von 220 000 bedeuten, und das würde bei einem Dreier-Wahlkreis eine Einwohnerzahl von 660 000 ausmachen. Dr. Kroll: Das ist schon ein relativ sehr großer Wahlkreis. Dr. Menzel: Das müssen aber drei Abgeordnete sein! Dr. Kroll: Natürlich. Das sind technische Dinge, die kann man selbstverständlich ausräumen. Man müßte die Bestimmung aufnehmen, die hier schon erwähnt wurde: wenn wirklich einmal der Quotient von einer Partei nicht erreicht wurde, müssen die Mandate natürlich bestehen bleiben. Renner: Das System, das hier vorgeschlagen wird, scheint mir das relativ fairste und sauberste zu sein. Aber dann muß natürlich die Bestimmung wegfallen, daß die Partei, die es nicht fertiggebracht hat, in einem Wahlbezirk ein Mandat durchzubekommen, kein Anrecht auf Errechnung ihrer Stimmen im Bundesmaßstab hat. Wenn Sie diese kleinen Wahlbezirke machen und nur drei Mandate nehmen, hat eine kleine Partei nicht die Spur einer Chance, ein Mandat zu bekommen. Wenn nur drei Abgeordnete gewählt werden, dann fallen alle kleinen Parteien unter den Tisch, um nicht deutlicher zu werden. Dann haben Chancen in Norddeutschland nur SPD und CDU und in Süddeutschland CDU, SPD und —
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eventuell LDP25). Alle anderen Parteien bei berücksichtigen.
gehen
dann leer
aus.
Das muß
man
da-
[lc. Zur Verfahrensweise] Vors. [Dr. Becker]: Darf ich auf folgendes aufmerksam machen: Ziel unserer Arbeit heute morgen war, loyal ausgehend von dem Grundgedanken des Diederichs'schen Entwurfes, ihn so durchzuarbeiten, daß, wenn bei der Endabstimmung die Mehrheit sich ihm zuneigt, wir einen ausgearbeiteten guten Vorschlag zur Verfügung stellen können, wenn wir ihn auch stilistisch und inhaltlich schon so weit hätten, daß er fix und fertig steht. Nun scheinen mir nach dem Gang der Entwicklung die Dinge so zu sein, daß wir in unseren Besprechungen drei Varianten des Diederichs'schen Entwurfes herausgearbeitet haben. Ich würde also, wenn ich den Diederichs'schen Entwurf in der Abwesenheit von Dr. Diederichs als Treuhänder jetzt zu formulieren hätte, damit beginnen, daß ich sage: Das gesamte Bundesgebiet hat 400 Abgeordnete. Es wird in 100 Wahlkreise aufgeteilt, in denen je drei Abgeordnete gewählt werden, mit der Maßgabe, daß ein Land mindestens einen Wahlkreis darstellt; das ist der Fall Bremen. Dann würde ich weiter sagen: Jeder Wähler hat drei Stimmen. Darüber sind wir uns auch klar. Dann: Es wird abgestimmt nach fertig vorgelegten Listen, nach Kreis- und Wahlvorschlägen. Auch über das Recht des Panaschierens sind wir uns einig, daß er wählen kann, wen er will. Nun müßten wir drei Varianten bilden. Erste Variante: Das Ergebnis in den einzelnen Wahlkreisen wird nach dem d'Hondt'schen System pro Wahlkreis festgelegt. Divisor ist die Stimmenzahl, die der letzte Abgeordnete erhalten hat. Was danach nicht verbraucht ist, geht auf Reststimmen. Zweite Variante: Die Zahl der Abgeordneten steht nicht fest. Es wird festgelegt: auf 60 000 oder 80 000 oder je nachdem entfällt ein Mandat. Das wird dann umgerechnet auf diese 100 Wahlkreise à drei Mann. Oder das andere System: es werden alle Stimmen, die abgegeben werden, im Bund zusammengerechnet, durch 400 geteilt, und dieser Divisor ist dann derjenige, der auch die Grundlage bildet für die Verteilung der jeweils drei höchsten Stimmenträger im einzelnen Wahlkreis. Ich würde bitten, daß wir auf dieser Grundlage nun weiter diskutieren, damit wir dann schließlich auch etwas zu Papier bringen. Frau Wessel: Nur eines noch, vielleicht interessiert das auch Sie, Herr Dr. Kroll: ich halte es sogar für notwendig, daß diese Berechnung, wie sie Herr Dr. Menzel vorschlägt, gewählt wird. Ich mache Sie nämlich jetzt als Vertreterin einer kleinen Partei darauf aufmerksam: wenn Sie nicht diese Nachverrechnung auf Bundesliste vornehmen, könnten Sie erreichen, daß eine dritte Partei, sagen
25) Die FDP war vor ihrem offiziellen Gründungsparteitag
am
10./II. Dez. 1948 in
Heppen-
heim in den einzelnen Ländern unter verschiedenen Namen aufgetreten. So etwa als LDP in Hessen und Berlin, als DVP im späteren Baden-Württemberg und als BDV (Bremer Demokratische Volkspartei) in Bremen (Stöss [Hrsg.], Parteien-Handbuch II, S. 1311 ff.).
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wir einmal in Ihrem Sinne eine Splitterpartei, ungefähr dieselben Mandate bekommt wie Sie als stärkste Partei, die eine ganz andere Stimmenzahl aufweist. Dann würde auch der Wille des Wählers in das umgekehrte Verhältnis gebracht. Es muß also, wenn schon irgendwie gerecht verteilt werden soll, unbedingt eine Nachrechnung, ich sage jetzt, zugunsten auch der großen Parteien, über diese Bundesliste erfolgen. Und ebenso müssen zugunsten der großen woran wir in Nordrhein-Westfalen festgehalten haben, um dem Parteien Persönlichkeitsprinzip Rechnung zu tragen diejenigen Parteien, wie das auch bei den großen Parteien durchaus der Fall ist, die nicht genügend Mehrstimmen auch für die Bundesliste haben, ihre direkt gewählten Abgeordneten behal—
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ten. Im übrigen bin auch ich der Meinung, daß wir die Wahlkreise nicht zu klein machen dürfen. Wir müssen wenigstens die Möglichkeit schaffen, daß über die
einzelnen Wahlergebnisse hinaus auch die großen Parteien die Möglichkeit haben, noch eine Verrechnung auf Bundesliste vorzunehmen, um die Persönlichkeiten, die sie ja auch haben wollen, durchzubekommen. Denn es ist unmöglich und damit müssen Sie rechnen, die Erfahrungen haben wir ja —, daß in einzelnen Bezirken, eben weil nach Parteien gewählt wird darüber lasse ich Persönlichkeiten von einer anderen Partei einmir gar nicht viel vormachen fach deshalb nicht durchkommen, weil die Leute eben Parteien und nicht Persönlichkeiten wählen. Deshalb haben auch die großen Parteien ein Interesse daran, ihre Leute, die sie unbedingt herein haben wollen, auch über eine Bundesliste zu sichern. Dr. Kroll: Ich wollte nur geschäftsordnungsmäßig feststellen, daß es mir nicht möglich scheint, die drei Varianten, die Diederichs'sche, Ihre26) und meine, jetzt überhaupt schon zu formulieren. Innerhalb der ersten Variante haben wir jetzt schon drei Untervarianten. Kann man nicht so verfahren, daß zunächst einmal innerhalb der drei Untervarianten wenigstens eine Lösung gefunden wird, statt jetzt schon alle drei zu formulieren? Das, denke ich, wird auch für das Parlament zuviel, wenn es jetzt schon 3x3 Varianten vorgelegt bekommt; da findet es sich nicht mehr durch. Es ist meines Erachtens wohl Aufgabe des Ausschusses, sich innerhalb der Variante Diederichs über die drei Untervarianten klar zu werden, darüber, welche Variation man wählt. Eines muß ich allerdings sagen: der entscheidende Einwand, der heute gemacht wurde, daß man nämlich die großen Parteien mit diesem System wirklich benachteiligt hätte, wenn man es unkorrigiert genommen hätte, war so durchschlagend, daß wir, wenn also diese Variante Diederichs kommt, unbedingt die Korrektur Menzel nehmen müssen. Frau Wessel hat völlig recht: das wäre nun ein echtes Minderheitswahlrecht, was da geschaffen würde; nicht ein Mehrheitswahlrecht. Ich bitte nur noch einmal, an dem Gedanken festzuhalten, daß wir an sich die drei Varianten formulieren. Ich muß jetzt leider auch in den BesatzungsstatutAusschuß gehen27), aber Herr Schräge, der mich hier vertreten wird, hat die —
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—
26) D. h. Beckers Variante. 27) Siehe oben Anm. 21. 351
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Variante, die ohne weiteres, wenn es noch zur Formulierung kommt, eingebaut werden kann. Sie hat den Vorteil, daß sie sehr viel einfacher wäre als diese etwas
komplizierten Dinge.
Dr. Grève: Meine Damen und Herren! Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich glaube, daß einer, der nicht an den ganzen Verhandlungen beteiligt war, sich aber doch mit Wahlrechtsfragen auch sehr eingehend beschäftigt hat, hier den Eindruck haben muß, daß Sie sich doch in manchem etwas verrannt haben. Ich halte es für durchaus richtig, was Herr Kollege Dr. Kroll hier eben gesagt hat, daß wir versuchen sollten, nun nicht jede Variante noch dreimal unterzuvariieren. Denn wenn wir das mit Ihrem Vorschlag machen würden, Herr Dr. Bek-
ker, dann sehe ich überhaupt kein Ende.
Vors. [Dr. Becker]: Gott sei Dank nicht! Ich habe es jedenfalls nicht vor! Dr. Grève: Aber nach diesen Vorschlägen scheint es mir doch zumindest für uns in den Fraktionen wichtig, zu wissen, wie der Ausschuß sich entschieden hat, ob für große Wahlkreise oder, wie Sie es gewünscht haben, für kleine Wahlkreise. Wenn das im Ausschuß einmal festgestellt ist, ob man 230 kleine Wahlkreise, oder aber nur zehn oder zwanzig große Wahlkreise haben will, wenn man sich da nach der einen oder anderen Seite entschieden hat, dann fallen gewisse Varianten weg. Dann verengt sich der Rahmen immer mehr, innerhalb dessen man die Bestimmungen fixieren kann, die allein noch übrig bleiben, wenn man z. B. beschlossen hat, das System des relativen Mehrheitswahlrechts und der reinen Listenwahl abzulehnen. Aber ich glaube, daß man nur den einen Weg noch hat.
[Id. Erläuterungen
Vorschlag
Dr.
Menzel] Dr. Menzel: Ich möchte zunächst auf eine Zahl hinweisen, um die Rechnung erleichtern. Wir haben in der Trizone jetzt rund 45 Millionen Einwohner28). zum
zu
(Dr. Grève: 47!)
bringt nach unserer bisherigen Erfahrung 28 Millionen Stimmberechtigte und bei einer Wahlbeteiligung von durchschnittlich 75% 21 Millionen Abstimmende. Das heißt, wenn wir eine Quote von 100 000 zugrunde legen, würden wir nur 210 Mandate erhalten. Das ist sicher zu wenig. Ich führe das an, weil wir damit wahrscheinlich die Quote von 100 000 auf 60 000 herabsetzen könnten und dann auch zu Dreier-Wahlkreisen kommen könnten, die nicht zu groß sind. Ich fürchte sonst, daß es bei der Auswahl der sogenannten Persönlichkeiten zu großen Schwierigkeiten kommt. Zum zweiten Punkt bin ich der Meinung des Herrn Kollegen Dr. Kroll, daß wir den Vorschlag, den Herr Kollege Diederichs gemacht hat, dem Plenum nicht mit den drei Varianten unterbreiten können. Ich möchte dazu folgendes erklären: Der Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Diederichs entspricht der Auffassung des Parteivorstandes und des Parteiausschusses meiner Fraktion aufgrund Das
=
—
') Trizone, d. h. die drei Westzonen. Zur Einwohnerzahl siehe auch oben Anm. 352
8.
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einer Hamburger Tagung, in der ich über das Wahlrecht referiert habe29) und in der sich eine sehr große Mehrheit für dieses Prinzip entschieden hat. Es ist dies ein System, das ich auch im Lande Nordrhein-Westfalen dem Landtag für
die Gemeindewahlen vorgeschlagen habe und das vor 14 Tagen erstmalig praktisch durchgeführt worden ist30). Dieser Vorschlag hat mit der Variante, wie ich sie heute hier angeregt habe, ein gewisses Schwergewicht für uns. Er entspricht der Meinung meiner Fraktion, so daß wir die übrigen Varianten weglassen können und uns, wenigstens von meiner Fraktion aus, heute dafür entschließen können, diesen Vorschlag, zusammen mit dem, was ich zusätzlich vorhin ausgeführt habe, also mit der Gesamtverrechnung über die Liste, anzunehmen. Ich glaube, ich kann für die Fraktion erklären: dies würde unsere Auffassung von dem künftigen Wahlrecht für die Volkskammer sein. wenn ich hier unterbrechen darf Vors. [Dr. Becker]: Wir dürften also diese Ausführungen in dem Entwurf des Kollegen Diederichs mit dem Satz beginnen: Auf jede 60 000 oder 70 000 Stimmen entfällt ein Mandat. Das würde der Grundsatz sein, also die bewegliche Zahl der Mandate. Dr. Menzel: Das wäre der erste Grundsatz. Vors. [Dr. Becker]: Dann können wir uns die anderen Varianten schenken. Ich glaube nicht, daß sie von jemand anderem aufgenommen würden. Oder von Ihnen, Frau Wessel? Frau Wessel: Nein, ich würde auch auf dem Standpunkt stehen. Vors. [Dr. Becker]: Dann würden wir also nach einer Seite hin Klarheit haben. Wir könnten dann gleich damit beginnen, die Sache fertig zu machen. Es wäre nur noch die zweite Frage, wenn ich noch bitten darf, Herr Kollege Menzel: Welche Wahlkreiszahl würden Sie nun vorschlagen? Würden Sie von drei Mandaten oder von sechs ausgehen? Dr. Menzel: Darüber liegt kein Fraktionsbeschluß vor, weil das keine so entscheidende Frage ist. Ich bin aber persönlich der Meinung und nehme an, daß meine politischen Freunde keine Bedenken haben, wenn ich sage: ich würde in einem Dreier-Wahlkreis eine vernünftige Lösung sehen. Vors. [Dr. Becker]: Würden Sie dann auch dabei bleiben, daß 75% in den Wahlkreisen gewählt werden und nur 25% auf Liste? Dr. Menzel: Nein, das fällt mit dieser Prozentziffer weg. Vors. [Dr. Becker]: Ich verstehe, Sie wollen nicht auf Bundesliste wählen, sondern danach, wieviel Stimmen in kleineren Wahlkreisen zusammengekommen sind, nach der Reihenfolge? —
29)
30)
—
Am 13. Okt. 1947 hatte Menzel auf einer Sitzung des SPD-Verfassungsausschusses in Hamburg einen Überblick über die Wahlrechtsdiskussion gegeben und eine Aussprache über das weitere Vorgehen der SPD in dieser Frage herbeigeführt. Es stellte sich dabei heraus, daß die anwesenden SPD-Mitglieder mehrheitlich für eine Kombination der beiden Systeme eintraten (FESt NL Menzel R4). Die Gemeindewahlen in NRW fanden am 17. Okt. 1948 statt. Zur Rolle von Menzel bei der Wahlrechtsentwicklung siehe Lange, Wahlrechtsstreit, S. 70 ff.
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Dr. Menzel: Nein, dann muß ich es noch einmal auseinandersetzen: Vielleicht ist es einfacher, wenn ich das System andersherum erkläre. Ich fange einmal
bei der Verhältniswahl an. Ich zähle alle abgegebenen Stimmen in allen Wahlkreisen für das ganze Bundesgebiet zusammen und teile nun diese Stimmen durch die 60 oder 70 000. Dann ergibt sich für jede Partei eine bestimmte Mandatsziffer. Diese Mandate sollen nur nicht alle aus der Liste gehen, sondern es werden zunächst diejenigen Mandate angerechnet, die die Partei jeweils in den einzelnen DreimännerWahlkreisen erobert hat. Nur den Rest, der dann übrig bleibt, erhält sie aus der Liste. Hat sie im Wahlkreis mehr Mandate erobert, behält sie die! Vors. [Dr. Becker]: behält sie diese als eine echte Chance für die großen ParDr. Menzel: .
.
.
.
.
.
.
.
.
teien. Vors. [Dr. Becker]: Das ist das Hannoversche System31), glaube ich. Dr. Grève: Nein, das ist das nordrhein-westfälische32) Wahlsystem. Dr. Menzel: Ist das nun klar? Vors. [Dr. Becker]: Ja, es ist klar. Frau Wessel: Ich möchte noch einmal auf die Größe der Wahlkreise zu sprechen kommen. Als Vertreterin einer kleinen Partei würde ich es lieber sehen,
daß sechs Mandate hereinkommen, aber auf der anderen Seite, weil ich für Gerechtigkeit im Wahlsystem bin, möchte ich mich bei diesem System, das jetzt noch einmal dargelegt worden ist, also der Verteilung über die Bundesliste nach Angabe der Stimmenzahl, dafür einsetzen, daß nur drei direkt gewählt werden. Wenn Sie nämlich sechs nehmen, werden Sie folgendes erreichen: daß die kleinen Parteien alle in den Wahlbezirken einen Abgeordneten bekommen und für die Bundesliste überhaupt keinen mehr brauchen. Sie würden nämlich dadurch eine politisch nicht berechtigte Zurücksetzung der großen Parteien herbeiführen, und dagegen wehre ich mich genau so, wie ich mich dagegen wehre, daß die Stimmen der kleinen Parteien nicht gezählt werden. Ich bin aber der Auffassung: wenn Sie dieses System dann anwenden, ist es nicht mehr notwendig, 5 oder 10% Stimmenzahl den kleinen Parteien gegenüber einzusetzen oder zu sagen: sie müssen in direkter Wahl in einem Wahlkreis durchgekommen sein. Denn dadurch wird schon eine gerechte Verteilung her-
beigeführt.
Dr. Grève: Was Frau Wessel
sagt, ist absolut richtig. Nur, Herr Kollege Menzel,
großen Parteien, sondern bevorzugt die regionalen Pardie in einem teien, ganz kleinen Bezirk kompakte Wählermassen haben. Bei diesem Wahlsystem würde z. B. bei uns die Niedersächsische Landespartei oder Deutsche Partei, wie sie sich jetzt zu nennen beliebt33), immer mehr Mandate direkt bekommen, als sie nach dem Verhältniswahlsystem zu beanspruchen hätte. Genau das gleiche würde wahrscheinlich, wenn ich das aus der Ferne richdas
bevorzugt
nicht die
31) Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 127. 32) Vgl. oben Dok. Nr. 4, Anm. 24. 33) Siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 59. 354
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Bayern-Partei34) der Fall sein, die in ganz bestimmten Gekompakten Wählermassen hat und dort immer mehr Mandate erhält, was z. B. beim Zentrum nicht der Fall ist, weil dies so kompakte Wählermassen wie z. B. die Deutsche Partei in zwei Regierungsbezirken hat. Ich kann nicht einsehen, daß wir dieses System ohne weiteres übernehmen könnten im Hinblick darauf, daß es sich zugunsten derartiger Parteien auswirkt. Das kann nur einer beurteilen, der, wie es in Bayern oder in Niedersachsen ist, weiß, daß die Konzentrierung der kleinen Parteien auf diese Weise zu einer Bevorzutig beurteile,
mit der
bieten ihre
gung kommt, die durch nichts gerechtfertigt ist, vor allem nicht, meine Herren, in einer Bundesrepublik Deutschland. Das alles findet noch eine Berechtigung in einem Lande, wie etwa in Niedersachsen, hätte aber niemals die Berechtigung in einem gesamtdeutschen Gebiet. Ich halte es für nicht angängig, einer kleinen Partei, die uns ohnehin schon durch das Auftreten einzelner Leute Schwierigkeiten genug macht35), eine Bedeutung zuzuerkennen, die durch nichts gerechtfertigt ist. Frau Wessel: Wenn Sie aber dieses System mit Dreiern nehmen, besteht diese Gefahr, die Sie eben aufgezeigt haben, gar nicht in diesem Maße, weil da ja nur eine kleine Zahl in Frage kommt. (Dr. Grève: Erst recht!) Renner: Der Nachteil, den Herr Kollege Grève sieht, wird ja dadurch wieder paralysiert, daß die großen Parteien entsprechend dem Prozensatz, in dem sie
die Mandate erobert haben, diese Mandate behalten, so daß ich wirklich keinen Nachteil darin sehe, wenn irgendwo eine regionale Partei damit tatsächlich in die Volkskammer hineinrutscht. Aber ich muß hier auch noch einmal etwas aufgreifen, was ich schon gesagt habe. Richtiger, d. h. für den Durchschnittswähler einfacher ist es natürlich, wenn er drei und nicht sechs Kandidaten zu wählen hat. Das ist eine Erfahrungstatsache. Vor allen Dingen für den schlichten Mann ist es sehr schwer. Er nutzt sein Wahlrecht sowieso nicht aus. Wie oft ist es bei der ersten Kommunalwahl, die wir in Nordrhein-Westfalen durchgeführt haben, vorgekommen, daß Wahlberechtigte nur eine einzelne Stimme abgegeben haben, obwohl sie auch damals schon das Recht auf drei hatten36). Der Prozentsatz der abgegebeunten
34) Siehe oben Dok. Nr. 7, Anm. 64. 35) Grève spielt hier offensichtlich auf die Bemühungen einiger DP-Spitzenfunktionäre
an,
Nationalsozialisten am Aufbau des neuen Staates zu beteiligen. Der Vorsitzende der DP, Heinrich Hellwege, hatte 1947 gefordert: „Wer Blut an den Fingern und war Dreck am Stecken hat, der soll gerichtet werden, die anderen aber lasse man laufen" (zit. n. Hermann Meyn: Die Deutsche Partei. Ursachen des Scheiterns einer nationalkonservativen Rechtspartei im Nachkriegsdeutschland, in: PVS 6 [1965], S. 42—57, hier: S. 47). 36) Die ersten Gemeindewahlen in NRW im Sept./Okt. 1946 waren noch auf Anweisungen und Verordnungen der britischen Besatzungsmacht durchgeführt worden (Verordnungen Nr. 26, 28, 31 und vor allem 32 [Das Verfahren bei den Gemeindewahlen] vom Britisches Kontrollgebiet, Nr. 10, S. 226). 30. Mai 1946, Amtsbl. Mil. Reg. Deutschland Siehe hierzu vor allem die Ausführungen Gerhard Schröders, der dieses Wahlsystem in seiner Darstellung der Entwicklung des Wahlrechts in der britischen Zone seit 1945 als
ehemalige
-
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Stimmzettel, auf denen nur einer angehakt war, war relativ sehr hoch. Also drei ist schon das Maximum der Gefühle. Dr. Menzel: Wollen wir die überhaupt geben? Ist es eigentlich notwendig, daß der Wähler drei Stimmer hat? Das ist doch gar nicht nötig! Renner: Auch das ist im Endeffekt nicht notwendig, falls man nicht darauf besteht, daß die für eine Partei abgegebenen Stimmen nur dann zum Zuge kommen, wenn in einem Kreis ein Mandat durchgegangen ist. Sonst schalten Sie praktisch die kleinen Parteien vollständig aus. Dr. Grève: Kollege Menzel hat mich mit Recht gefragt, welchen Vorschlag ich mache. Ich würde den Vorschlag machen, daß, falls eine Partei mehr Abgeordnete direkt durchbekommen hat, als ihr nach dem Verhältniswahlsystem zustehen, sie demzufolge auf Bundesliste keine Mandate mehr bekommt und alle anderen Parteien über die Bundesliste in den Mandaten so auszugleichen sind, daß das Verhältnis der Partei, die direkte Abgeordnete mehr durchbekommen hat, zu den Parteien, die die Abgeordneten nicht durchbekommen haben, wieder ausgeglichen wird. Das trifft sowohl die großen wie die kleinen Parteien. (Dr. Menzel: Nein!) Herr Kollege Menzel meint, daß das nur bei den großen Parteien vorkommt, daß nur die großen Parteien den Vorteil haben dadurch, daß mehr Abgeordnete direkt gewählt sind, als ihnen nach der Verhältnisausrechnung zustehen. Sie haben etwas ähnliches in Nordrhein-Westfalen, Kollege Menzel. Da hat die CDU über die Reserveliste bei Ihnen keine Abgeordneten bekommen, und die anderen Parteien sind nach ihrem Verhältnis zur Gesamtzahl angeglichen worden. Dabei bleibt aber immer noch das Plus der großen Parteien übrig. Man kann auch noch weitergehen und sagen: es wird über die Bundesliste bei allen Parteien so ausgeglichen, daß das Gesamtverhältnis der Abgeordnetenzahl hergestellt wird. Dr. Menzel: Wir haben in unserem Gemeindewahlrecht in der Tat diesen Ausgleich gemacht, daß wir sagen: wenn eine Partei in den einzelnen Wahlkreisen mehr Mandate erobert, als ihr nach dem Verhältniswahlrecht zustehen würden, dann behält sie zwar diese Mandate, aber die anderen Parteien erhalten einen proportionalen Zuschlag. Meine Damen und Herren! Das geht aber nur bei den Gemeindewahlen, vielleicht noch in den Länderwahlrechten, wo es keine gebietlich massierten Sonderparteien gibt. Ich möchte auf eine Gefahr hinweisen: Wenn wir das auf den ganzen Bund übertragen würden! Nehmen Sie an, der Deutschen Partei gelingt es, zwei Mandate in einzelnen Wahlkreisen zu bekommen, aber aus der Liste würde ihr nichts zustehen, dann müßten Sie sagen: Die Deutsche Partei hat mindestens 100% Mandate mehr bekommen, als ihr zustehen. Das würde bedeuten, daß Sie die Mandate der anderen Parteien, vor allem auch der großen Parteien, ebenfalls um 100% vermehren mußten. Das wäre natürlich, wenn man es mathematisch durchdenkt, ein Ergebnis, das ich nicht für möglich halte. nen
—
„modifiziertes Mehrheitswahlrecht" bezeichnete, in: Das Gemeindewahlgesetz, hrsg. George Rasche, S. 3—12, hier: S. 4; vgl. Lange, Wahlrechtsstreit S. 41 ff.
von
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Im übrigen, Herr Kollege Grève, bin ich der Meinung, daß bei diesen großen Wahlkreisen es bei drei Leuten gar nicht darauf ankommt, ob wir zwei oder drei Mandate der DP in der Volkskammer haben. Das Gleiche gilt im Grunde genommen auch bei der Bayern-Partei. Ich glaube, wir müßten das zunächst einmal beachten. Meine Herren! Dann möchte ich aber doch auch noch eines sagen: wir schaffen ja doch das Wahlrecht nur für den ersten Wahlgang, und wir werden daraus lernen können. Die künftige Volkskammer soll ihr eigenes Wahlrecht später selbst bestimmen37). Dr. Grève: Ich bin nicht unbedingt dafür, sondern wollte das nur zur Debatte stellen, nämlich, daß das nicht unbedingt eine Bevorzugung der großen Parteien zu sein braucht. Renner: Nach den letzten Ausführungen von Herrn Dr. Menzel muß ich tatsächlich noch einmal fragen. Ich war in Gedanken von unserem jetzigen Kommunalwahlsystem ausgegangen. Aber dieser Gedanke ist jetzt bei mir mächtig erschüttert worden. Wenn das gelten soll, daß die Parteien, die in den Wahlmachen wir einmal ein praktisches Beispiel! Eine Partei erobert kreisen ihre Mandate mit 40 % der Stimmen. Dann müssen doch aufgrund dieser Tatsache auf dem Wege des Verhältniswahlsystems die für die anderen Parteien abgegebenen Stimmen verrechnet werden. So habe ich Sie doch wohl richtig verstanden? Also, entscheidend für die Zahl der Sitze ist die Ziffer, mit der die ihre Mandate erobert hat. Oder wollen Sie davon abgehen? Siegerpartei Dr. Menzel: Darf ich einmal ein Beispiel geben, Herr Vorsitzender? Nehmen Sie der Verhältnissystemausrechnung würde eine Paran, aufgrund der Liste, tei 100 Mandate bekommen. Unterstellt, sie habe in den einzelnen Wahlkreisen 110 Mandate erobert. Die Anregung von Kollegen Grève geht dahin, ihr diese 110 Mandate zu belassen, aber die Mandate der anderen Parteien entsprechend zu erhöhen. Das kann man bei einer Gemeindewahl, das kann man auch bei einer Landeswahl machen, aber nicht bei einer Bundeswahl, wie ich eben ausführte. Bei den Wahlen zum Bundestage behält die Partei diese zehn Mandate, und es wird auch den anderen Parteien kein Mandat hinzugefügt werden, denn sonst würde das eintreten, was von der DP gesagt wurde, daß wir unter Umständen die Mandate bei allen anderen Parteien verdoppeln müßten, um eine mathematisch genaue Übereinstimmung zu erzielen. Renner: So stark ist die DP nicht! Dr. Menzel: Es genügt aber ein Mandat im einzelnen Wahlkreis und kein Mandat in der Liste. Dann ist das, mathematisch gesehen, eine unendliche Vermehrung. Renner: Es könnte sein! Aber das ist Theorie, das ist in der Praxis nicht möglich. Weder die Bayern-Partei hat diese überragende Kraft noch die DP. Wir waren zuletzt wohl Vors. [Dr. Becker]: Darf ich noch eine Frage stellen? dahin gekommen, daß wir in diesen Wahlkreisen, in denen drei Abgeordnete gewählt werden, jedem Wähler nicht drei Stimmen, sondern nur eine Stimme geben. Das war doch wohl die communis opinio geworden? —
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,
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') Folgt gestrichen: „Ich würde also darin, Herr Kollege Grève, kein entscheidendes Bedenken sehen."
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(Zustimmung.)
Frau Wessel: Drei Stimmen sind von Herrn Dr. Diederichs deswegen gegeben worden, um die Möglichkeit einer sogenannten Persönlichkeitswahl zu sichern. Wenn wir auf dem Standpunkt stehen, es werden doch nur Parteien und nicht Persönlichkeiten gewählt, bin auch ich durchaus der Meinung, daß wir mit einer Stimme auskämen. Das würde es sehr vereinfachen. Vors. [Dr. Beckerl: Mit der einen Stimme kann er ja auch noch Persönlichkeiten
wählen durch entsprechendes Ankreuzen! Dr. Menzel: Wenn wir Panaschieren könnten, dann sehe ich von uns aus kein entscheidendes Bedenken gegen diesen Vorschlag. Vors. [Dr. Becker]: Im Panaschieren würde ich nur eine Erschwerung sehen. Stellen Sie sich die einfachen Leute vor! Dr. Menzel: Der Zettel ist ja nicht ungültig, wenn er nur einen ankreuzt! Ich bin auch nicht für Panaschieren und Kumulieren, aber wenn von den einzelnen Fraktionen eindeutig erklärt wird, Schräge: Die Frage ist nicht entscheidend. Man kann etwas dafür und etwas dagegen sagen. Ich glaube aber, sie ist nicht wichtig, wenn wir sonst zu einer Einigung kommen. .
[le.
Formulierung
.
.
der Grundsätze auf der
Vorlage
des Entwurfs Dr. Diederichs]
Vors. [Dr. Becker]: Dann wären wir also insoweit am Ende der Besprechung. Dann wollen wir jetzt einmal die Diederichs'sche Ausarbeitung mit den Vorschlägen, die jetzt gemacht worden sind, mit ein paar Sätzen formulieren unter dem Vorbehalt, daß eine spätere Redaktionskommission die Formulierung noch stilistisch überarbeitet. Dann würden wir vielleicht folgendermaßen formulieren:
1.) Auf
(?) Stimmen entfällt 1 Abgeordneter. erfolgt in Wahlkreisen von etwa 400 000 bis 500 000 Einwohnern; jedes Land ist mindestens 1 Wahlkreis (Bremen). Dr. Grève: Soll das sein? Löbe: Es muß schon sein, aber es ändert ja das Gesamtbild nicht! Vors. [Dr. Becker]: 3.) Es werden in den Wahlkreisen Kreiswahlvorschläge, in 2. ) Die
je
60 000
Wahl
den Ländern
Landeswahlvorschläge
und im Bund ein
gereicht.
Bundeswahlvorschlag
ein-
Nehmen Sie an, das Land Nordrhein-Westfalen oder das Land Bayern sagt: wir wollen unsere Sache zunächst in der Landesliste zusammenfassen! Dafür könnte ich Verständnis haben. Stock: Ja, wegen der Reststimmen. Vors. [Dr. Becker]: Ja, daß die zuerst einmal ins Land fallen! Dr. Menzel: Haben wir die Tatsache, daß drei gewählt werden, da schon drin? Vors. [Dr. Becker]: Nein, das kommt noch. Wir würden dann weiter sagen: 4.) In jedem Wahlkreis werden drei Abgeordnete gewählt, d. h. diejenigen, welche je 60 000 Stimmen —
.
358
.
.
Elfte Sitzung Dr. Menzel: Nein, nach dem d'Hondt'schen Frau Wessel: Sonst wollen wir doch keine
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System! Verrechnung nach Bundesliste
ma-
chen! Vors. [Dr. Becker]: Ich nahm an, Sie wollten so viel, wie da gewählt waren, wählen. Frau Wessel: Was machen Sie denn, wenn das zweite Mandat nur 40 000 hat? Dann können Sie doch gar keine drei in einem Wahlkreis verrechnen! Vors. [Dr. Becker]: Eben, dann fällt er durch! Dr. Grève: Die Ziffer 60 000 oder 75 000 hat ja nur Wert für die Feststellung der Gesamtzahl der Abgeordneten, aber ist bedeutungslos für die Abgeordneten, die in den einzelnen Wahlkreisen gewählt werden. Da kann einer mit 90 000 und ein anderer mit nur 36 000 Stimmen gewählt sein. Vors. [Dr. Becker]: Ja, der Groschen ist gefallen! Dann würden wir also in Punkt 4 sagen: 4. ) In jedem Wahlkreis werden drei Abgeordnete gewählt. Jeder Wähler hat drei Stimmen. Gewählt sind diejenigen, auf die nach dem System d'Hondt die erste, zweite und dritte Stelle entfällt. Dann käme 5. ) In jedem Wahlkreis kann jeder Wähler außer dem Wahlvorschlag seiner Partei eine bestimmte Persönlichkeit ankreuzen. Kreuzt er keine Persönlichkeit an, so gelten die ersten drei der bezeichneten Partei als angekreuzt. Das muß man schon sagen. Renner: Das heißt, wenn er nur einen ankreuzt, gelten die drei Stimmen für die Partei? Vors. [Dr. Becker]: Der hat ja nur eine Stimme! Dr. Grève: Aber wie soll das denn nachher ausgeglichen werden? Wir müssen den Fall doch einmal theoretisch exakt durchdenken! Wenn alle Wähler einer Partei nur die Liste ankreuzten, Vors. [Dr. Becker]: dann gilt die erste als angekreuzt! und wenn ein einziger einen zweiten ankreuzt, und die ParDr. Grève: tei würde meinetwegen 120 000 Stimmen in einem Wahlkreis haben, wer ist dann nun der Gewählte? Wenn keiner angekreuzt ist, und die Partei hat einen Abgeordneten zu stellen, dann ist andererseits für den Erstgewählten und im zweiten Fall für den Zweiten Das scheint mir doch bedenklich zu sein. Vors. [Dr. Becker]: Das müssen wir hier erst einmal sehen. Dr Grève: Wenn wir drei Abgeordnete haben, müssen wir auch drei Stimmen geben. Das geht nicht anders. Frau Wessel: Das glaube ich auch. Dr. Menzel: Es muß doch jede Partei drei Kandidaten benennen, dann muß jeder Wähler auch drei Stimmen haben. Das ist richtig. Stock: Klar, muß! Vors. [Dr. Becker]: Ich war auf die eine Stimme gekommen, weil ich annahm, die 60 000 werden auch im Wahlkreis zugrunde gelegt. Dr. Menzel: Nein, er muß drei Stimmen haben! .
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Stock: Jetzt muß erst festgestellt werden, ob er diese drei Stimmen einem geben darf. Dr. Grève: Jeder hat drei Stimmen, und dann können Sie sagen: Panaschieren ist möglich, aber nicht Kumulieren! Renner: Wenn einer nur einen anhakt! Vors. [Dr. Becker]: Dann müßten wir also den 5. Absatz so formulieren: 5.) In Jedem Wahlkreis kann jeder Wähler außer dem Wahlvorschlag seiner Partei bestimmte Persönlichkeiten aus den zugelassenen Wahlvorschlägen ankreuzen. Kreuzt er nur eine oder zwei Persönlichkeiten an, so gelten soviel der in dem von ihm angekreuzten Wahlvorschlag aufgeführten Kandidaten in der in der Liste gegebenen Reihenfolge als von ihm gewählt, als er weniger als drei angekreuzt hat. Stock: Wenn er zwei ankreuzt, einen bei der SPD und einen bei der CDU, dann gelten nur die beiden Stimmen. Vors. [Dr. Becker]: Aber er hat doch eine Partei angekreuzt! Wenn er nicht die Partei ankreuzt, kann er doch keine Reststimmen ankreuzen! Dr. Grève: Er kann nicht eine Partei ankreuzen, sondern er muß sich schon etwas mehr Mühe machen. Hier steht die Partei, und da kommen die Namen Müller, Maier, Schulze, und dahinter ist der Kreis. Dann muß er sich schon die Mühe machen, hinten die Namen anzukreuzen, so daß es drei sind. Wenn er nur zwei ankreuzt, begibt er sich einer Stimme. Vors. [Dr. Becker]: Dann wollen Sie zwei von den Stimmen den Reststimmen zurechnen? Dr. Grève: Sicher! Vors. [Dr. Becker]: Ich nahm an, Sie wollten nur bei der Partei ein Kreuz machen. Dr. Grève: Dann können wir ja das Listenwahlsystem machen. Auf diese Art und Weise geben wir dem Wähler noch die Möglichkeit, zwischen Persönlichkeiten auszuwählen. Vors. [Dr. Becker]: Ja, natürlich, aber für die Reststimmen geht es doch nach der Parteiliste! Wonach stellen Sie denn fest, welche Partei der Mann gewählt hat, wenn er von drei Parteien je einen angekreuzt hat? Dr. Grève: Wenn z. B. 7 Millionen Menschen gewählt haben, dann haben wir möglicherweise 20 800 000 Stimmen. Dann haben also für 200 000 Stimmen die entsprechenden Wähler keinen Gebrauch davon gemacht, ihre drei Stimmen auszunutzen. Dann würden die verschiedenen Gesamtsummen zusammengezählt werden müssen, und das gäbe dann den Durchschnitt, nach dem festgestellt wird, wieviel Sitze auf die einzelne Partei entfallen. Vors. [Dr. Becker]: Dann müssen wir das aber noch einmal rechnerisch durchdenken, ob wir mit 60 000 hinkommen. Dann müssen wir das auch verdreifachen. Dr. Grève: Das ist richtig. Vors. [Dr. Becker]: Dann müssen wir sagen: Auf 180 000 Stimmen entfällt ein Mandat. Dr. Grève: Wenn einer drei Stimmen hat, müssen wir es auch verdreifachen. Frau Wessel: Er wählt gleichzeitig drei Kandidaten. 360
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Dr. Grève: Sie können es auch anders machen. Dann müssen Sie aber nachher zweimal ausrechnen38). Vors. [Dr. Becker]: Oder wir machen hinter die Partei einen Kreis, dann wählt er nur die Partei. Will er aber ausnahmsweise von der anderen Liste auch einen
mithereinbringen,
Stock: Dann darf
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aber keine Partei wählen! Dr. Grève: Das ist aber die Konsequenz: wenn ich einem drei Stimmen gebe, muß ich auch einen anderen Divisor finden! Vors. [Dr. Becker]: Und dann sollen sich die Leute da durchfinden?! Maier: Die Leute nicht, nur der Verrechner! Dr. Grève: Ich persönlich neige dazu, einem überhaupt nur eine Stimme zu geben, weil dieses Wahlsystem das einfachste und beste ist. Das würde an sich auch gar nichts schaden. Wenn einer nur eine Stimme hat, sucht er sich unter den drei Kandidaten der Listen A, B und C einen aus. Das ist das einfachste. Dann kann er auch eine Persönlichkeit wählen. Dann muß nur vorgeschrieben werden, daß ein Wahlvorschlag mindestens 3 Kandidaten enthalten muß, unter denen der Wähler einen auszuwählen hat. Stock: Dann kommen wir aber von der Persönlichkeitswahl weg. Darf ich das einmal vordemonstrieren, wie wir unsere Gemeindewahl in Bayern gemacht haben? Nehmen wir einmal die Stadt Aschaffenburg, weil mir das geläufig ist39). Wir haben 32 Stadträte. Jeder Wähler hatte 32 Stimmen, weil er 32 Stadträte zu wählen hatte. Nun ist der Wähler hingegangen und hat nicht nach Parteiliste gewählt und zwar zu 80% —, sondern hat gesagt: von der SPD gefällt mir der, der und der, von der CSU der, der und der und von der LDP der und der. Maier: Da standen also 224 Namen drauf? Stock: Ja, 7 x 32! Anders ist es gar nicht zu machen. Das ist doch selbstverständlich, wenn man Persönlichkeitswahl haben will. Das andere ist ja alles Listenwahl. Dann braucht man das ganze Theater nicht zu machen, sondern dann nimmt man einfach die Liste. Wenn ich auf dem Standpunkt der Persönlichkeitswahl stehe, dann muß ich auch das Recht haben, zu sagen: der dritte Kandidat bei der SPD paßt mir nicht, weil ich genau weiß, wenn der Maier in den Reichstag kommt, schläft er doch nur; es hat also keinen Sinn, daß ich den wähle; lieber nehme ich dann einen von der LDP und CDU, weil ich weiß, daß dieser Mann die Interessen vertreten wird! Aber deshalb muß der Betreffende drei Stimmen haben. Aber es gibt dann keine Parteizusammenzählung. Frau Wessel: Stimmenzusammenzählung ! Dr. Grève: Sicher gibt es das! Stock: Dann hatten wir nur oben noch die sogenannte Parteiliste. Der Betreffende hat dann sein Kreuz nur in die Parteiliste reingemacht. Dann hat die Parteiliste gegolten analog der Aufstellung, wie sie auf dem Wahlvorschlag stand. Dr. Grève: Das ist ja noch komplizierter! er
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38) Folgt gestrichen: „Dann müssen Sie alle für eine Partei abgegebenen Stimmen noch
ein-
mal als 1. rechnen. Das können Sie auch machen." 39) Siehe oben Dok. Nr. 8, Anm. 28.
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Stock: Das ist gar nicht komplizierter, das hat nur komplizierter ausgesehen. Vors. [Dr. Becker]: Aber wie wollen sie die Reststimmen für die 25% Mandate auf Bundesliste errechnen? Dr. Grève: Wir müssen uns nur erst einmal darüber unterhalten, ob wir jedem Wähler drei Stimmen oder nur eine Stimme geben wollen. Ich habe natürlich, wenn ich drei Stimmen habe, eine größere Möglichkeit, mir Persönlichkeiten auszusuchen40). Innerhalb einer Partei habe ich dann drei Stimmen, oder auch die Möglichkeit, daß ich einen von der einen Partei und einen von der anderen und einen von der dritten Partei nehme. Schwierigkeiten macht das nicht. Dann hat die Partei A meinetwegen hier, wenn zusammengezählt wird, 100 000 Stimmen, die Partei B 90 000 Stimmen und die Partei C 40 000 Stimmen. Die Stimmen stimmen eben mit den Wählern nicht überein. Renner: Die stimmen nicht überein mit dem Wähler mal drei! Dr. Grève: Jawohl, sie brauchen aber auch nicht übereinzustimmen. Nun zähle ich im ganzen Bundesgebiet die Stimmen zusammen. Dann hat eine Partei meinetwegen 22 Millionen Stimmen, hat aber beileibe nicht 22 Millionen Wähler. Nun ist natürlich die Frage: wenn ich drei Stimmen gebe, muß der Divisor nicht auf 60 000 oder 75 000, sondern auf 180 000 oder 225 000 festgesetzt sein. Das ist dann nur eine Frage, ob genügend Rechenmaschinen da sind, um das Wahlresultat schnell zu ermitteln. Frau Wessel: Ich glaube, wir müssen drei Stimmen aus folgendem Grund geben: Wenn wir nur eine Stimme geben, besteht durchaus die Möglichkeit der Zersplitterung dieser einen Stimme innerhalb einer Partei. Es könnte sein, daß eine Partei, die sehr starke Parteidisziplin in ihre Wähler hineinbringt, mit einer gewissen Stimmenzahl, die viel geringer ist als die Wählerzahl von A, dann ihre Kandidaten durchbekommt, weil diese Stimmen alle auf den einen Kandidaten konzentriert worden sind, während, sagen wir mal, bei der Partei A die Zersplitterung innerhalb dieser Partei sich vollzogen hat. Dadurch würden wir aber erst recht eine weitere Zersplitterung innerhalb der Partei herbeiführen. Deshalb, meine ich, müssen wir doch drei Stimmen geben. Stock: Das ist doch gar nicht anders zu machen! Wenn Sie drei Mandate haben, muß jeder drei Stimmen haben. Renner: Der Streit geht nur darum: was geschieht, wenn einer nur von zwei Stimmen Gebrauch macht? Dr. Grève: Dann verzichtet er auf sein Recht. Einen gewissen Dusseligkeitskoeffizienten muß man immer einkalkulieren. Stock: In diesem Fall muß es ein Parteikreuz geben, daß er sagt: ich wähle nur die Liste. Renner: Damit geben Sie aber das Prinzip der Persönlichkeitswahl restlos auf! Vors. [Dr. Becker]: Dann sind wir uns jetzt, glaube ich, wenn ich zusammenfassen darf, im großen und ganzen einig. Ich halte es aber für schwierig, das in diesem großen Kreis zu redigieren und schlage deshalb vor, daß sich eine Re-
40) Folgt gestrichen: „Denn 362
sonst wählt
jeder doch wahllos."
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daktionskommission bildet aus den Kollegen Heiland, vielleicht Frau Wessel wer soll sonst noch hinein? und Dr. Grève: Sie doch selbstverständlich! Vors. [Dr. Becker]: Ich wollte nur, daß wir inzwischen die Verhandlung weitergehen lassen können oder daß wir es heute nachmittag machen. Stock: Eine Frage muß aber noch geklärt werden: Darf der Wähler seine drei Stimmen einem Kandidaten geben? —
(Widerspruch.)
Dr. Grève: Nein, wir haben gesagt: Panaschieren ja, aber nicht Kumulieren! Stock: Gut, erledigt! Das mußte nur geklärt werden. Vors. [Dr. Becker]: Wenn er kumuliert, gilt es nur als eine Stimme. Sind Sie damit einverstanden, daß diese kleine Redaktionskommission gebildet wird? —
(Zustimmung.)
Nach kurzer Debatte wird beschlossen, die Redaktionskommission, in der auch die CDU-Fraktion noch vertreten sein soll, um % 3 Uhr nach der Pressekonferenz41) zusammentreten zu lassen. Dann würde ich vorschlagen, daß wir jetzt anschließend den Entwurf des Kollegen Dr. Kroll durchsprechen; das ist der auf dem roten Papier Ihnen mitge-
teilte42). Hat das Zweck, wenn Dr. Kroll nicht selbst dabei ist43)? Ich glaube wir damit weiterkommen. Vors. [Dr. Becker]: Meine Herren! Nehmen Sie es mir nicht übel! Ich habe mich die ganze vorige Woche hingesetzt, habe eine volle Woche in Bonn zugebracht, um die Sache fertigzumachen, und jetzt kommt immer wieder etwas dazwischen ! Stock: Der Wahlrechtsausschuß kommt nicht vorwärts! Das ist furchtbar, der einzige Ausschuß, der nicht vorwärtskommt!
Schräge:
nicht, daß
[2. BESPRECHUNG DES VORSCHLAGS VON DR. BECKER (DRUCKS. NR. 197/11); FORTSETZUNG §§ 8 ff.]
[2a. Allgemeines] Vors. [Dr. Becker]: Dann würde ich vorschlagen, nachdem Dr. Kroll nicht zugegen sein kann, daß wir jetzt zu meinem Entwurf übergehen44), und zwar zu § 8. § 8 meines Entwurfes sieht vor, daß in 230 Wahlkreisen Einzelwahl stattfindet und daß nach der meiner Ansicht nach einfachsten Form die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang entscheidet. Wird die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang nicht erreicht, so findet in dem betreffenden Wahlkreis ein zweiter Wahlgang (Stichwahl) statt.
41) Zu den Ergebnissen der Redaktionskommission siehe 42) Siehe unten Dok. Nr. 13, Anm. 50. 43) Siehe oben Anm. 21. 44) Siehe oben Dok. Nr. 11.
unten Dok. Nr. 13, TOP 1.
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(Zuruf des Abg. Stock.) Als Modifikation bei einem
Einzelsystem kann man das doch immer wieder durchsprechen. Stock: Stichwahl bleibt Stichwahl. Wir haben die Stichwahl doch deshalb abgelehnt, weil dann nämlich eine Verfälschung der Wahl überhaupt entsteht, weil Blockbildungen entstehen. Es darf dann ja eigentlich nur zwei Kandidaten geben. Bei der ersten Wahl waren es, sagen wir, vier. Nun stellen sich die beiden, die die meisten Stimmen erhalten haben, zur Stichwahl. Dann gibt es Blockbildungen. Die beiden Unterlegenen wenden sich entweder dem Kandidaten 1 oder dem Kandidaten 2 zu, so daß das also auch wieder nicht erreicht wird. Vors. [Dr. Becker]: Verzeihung! Ich habe nicht die Stichwahl zwischen den zwei Höchsten vorgeschlagen, sondern die Stichwahl im Relativsystem! Stock: Ja, aber das kommt doch dann so! Vors. [Dr. Becker]: Das ist nicht unbedingt gesagt. Dr. Grève: Ich habe nur eine Frage an Sie, Herr Kollege Becker: Haben Sie durchgerechnet, ob durch die Zahl von 170 Abgeordneten nach dem Verhältniswahlsystem für alle 400 Abgeordneten dann die Mandatsverteilung nach dem —
Verhältniswahlsystem gesichert
ist? Vors. [Dr. Becker]: Nein, die ist nicht
gesichert. Es sind zwei im Ergebnis an läuft es auf eine Bevorzugung der Praktisch völlig getrennte Wahlgänge. zweimal weil zum Parteien die hinaus, Zuge kommen. großen Dr. Grève: Und zwar sogar mit den Stimmen ihrer gewählten Abgeordneten! Vors. [Dr. Becker]: Ja. Es ist der Versuch, eine Probe auf die Theorie zu machen, ob das Mehrheitswahlrecht von sich aus zur Mehrheitsbildung führt, verbunden mit dem anderen, durch den Proporz einen Ausgleich zu schaffen, um alle Schichten als vertreten anzusehen. Stock: Das greift ja auch mit in das herein, was wir eben besprochen haben. Hier steht: Jeder hat nur eine Stimme. Also müßte das auch in dieser sogenannten kleinen Kommission mitbesprochen werden. Denn es hat ja keinen Wert, daß wir uns jetzt mit diesem Problem von neuem beschäftigen. Vors. [Dr. Becker]: Wir müssen doch zuerst wissen, wie Sie ungefähr darüber denken! Dr. Grève: Ich habe mir das durchgesehen. An sich ist das, was Sie hier vorgeschlagen haben, ein geschlossenes Wahlsystem nach zwei verschiedenen Gesichtspunkten, einmal nach dem System der Einzelwahl mit absoluter im ersten bzw. relativer Mehrheit im zweiten Wahlgang und zum anderen für einen Teil der Abgeordneten ein Verhältniswahlsystem. Vors. [Dr. Becker]: Ja! Dr. Grève: Soweit ich das für meine Freunde sagen kann, werden wir uns diesem Vorschlage nicht anschließen können. Wir haben aber keine Veranlassung, irgendwie an Einzelheiten Ihres Vorschlages zu kritisieren, weil das, wie gesagt, ein in sich geschlossenes System ist, das man entweder annehmen oder ablehnen kann. Denn das läßt sich nicht mit dem Diederichs'schen Wahlsystem in Verbindung bringen, eher schon mit dem Kroll'schen Wahlsystem, das mir bis zu einem gewissen Grade gefällt. Das Kroll'sche Wahlsystem hat den Vorzug sich
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der Einfachheit. Ich wüßte auch nicht, was wir an Ihrem Wahlvorschlag abändern sollten. Stock: Nein, entweder, es wird angenommen, oder es wird abgelehnt. Dr. Grève: Das einzige, was ich dazu zu sagen hätte, wäre: Wir gehen an sich davon aus, Herr Kollege Dr. Becker, daß der Vorschlag, den wir gemacht haben, lediglich für die erste Bundestagswahl gelten sollte, während Sie ihr Wahlsystem als endgültiges und dauerndes ansehen. Vors. [Dr. Becker]: Ich gehe von einem gewissen Trägheitsgesetz aus, so daß unter Umständen doch noch eine Neuwahl stattfindet, ehe das Wahlsystem endgültig festgelegt ist, so daß ganze Gruppen daraus wieder verwendet werden können. Aber das ist eine Frage der praktischen Ausgestaltung. Frau Wessel: Ich weiß auch nicht, ob es Zweck hat, daß wir jetzt noch Ausführungen über Einzelheiten machen. Entweder kommt man zu dem einen oder anderen System. Was Herr Dr. Grève gesagt hat, ist schon richtig: Ihr Wahlvorschlag ist etwas wesentlich anderes als das, was wir eben durchgesprochen haben. Vors. [Dr. Becker]: Natürlich! Frau Wessel: Dann muß man meinetwegen auf dem Wege der Abstimmung feststellen, ob das, was wir bis jetzt durchgesprochen haben, mit Mehrheit zustande kommt oder nicht. Vors. [Dr. Becker]: Das entspricht dem, was wir gestern beschlossen haben. Wir können aber doch nicht alle Tage etwas Neues beschließen. Gestern haben wir beschlossen, daß wir das Ganze durchsprechen wollten, also nicht bloß den Abschnitt II, sondern auch alle anderen Bestimmungen, die für das Gesetz gebraucht werden, also Ermittlung des Wahlergebnisses, Stimmbescheid usw.45). Das sollte anhand meines Entwurfes einmal durchgesprochen werden, und es sollten die Varianten an sich offen bleiben, bis die Fraktionen sich schlüssig werden. Aber ich lasse auch heute abstimmen, um so lieber, weil ich mir die Arbeit damit vereinfache. Es ist wirklich kein Genuß, meine Damen und Herren, Vorsitzender und Berichterstatter zu sein in einem Ausschuß, in dem alle drei Stunden etwas anderes beschlossen werden soll. Dr. Grève: Das ist richtig. Vors. [Dr. Becker]: Also, wir waren dahingekommen, den Niederschlag der Erörterungen über den Vorschlag von Dr. Diederichs heute nachmittag um % 3 Uhr zu formulieren. Dann hatten wir uns darüber geeinigt, daß der Entwurf Kroll nicht durchgesprochen werden soll, weil Dr. Kroll nicht da ist. Dann war mein Entwurf zur Debatte gestellt. Dazu ist geäußert worden, an sich würden Einzelausstellungen nicht gemacht; so habe ich Sie wenigstens verstanden. Dr. Grève: Ich kann nur für mich persönlich sprechen. Ich habe Ihren Wahlvorschlag durchgesehen: er stellt ein geschlossenes Ganzes dar. Vors. [Dr. Becker]: Ja, das ist ja ein jeder, der Diederichs'sche und der Kroll'sche Vorschlag auch!
45) Siehe oben Dok. Nr. 10, TOP 2. 365
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Dr. Grève: Nein. Man hatte bei dem Diederichs'schen Vorschlag mehr Möglichzu variieren, als bei Ihrem. Denn irgendwelche Varianten fallen bei den 230 schon weg, es sei denn, es wird mit relativer Mehrheit gewählt. Vors. [Dr. Becker]: Dann würde ich den Vorschlag sofort zurückziehen, weil ich das relative Wahlrecht für das größte Unrecht halte. Dr. Grève: Sicher. Das ist eine Variante, die man hineinbringen könnte. Es ist aber doch müßig, darüber zu reden, weil das hier im Ausschuß abgelehnt worden ist. Also ich persönlich verspreche mir davon nichts, das sagte ich schon. Ich habe mir auch den Vorschlag von Dr. Kroll angesehen. Wir können nur leider nicht darüber sprechen, weil er nicht da ist. Aber dieser Vorschlag hat bestimmt auch etwas für sich, weil er sehr einfach gehalten ist. Vors. [Dr. Becker]: Er hat nur zwei Fehler. Der eine ist der, daß er im ersten Wahlgang die relative Mehrheit entscheiden läßt, und der andere ist der, daß der Ausgleich mit 50 Abgeordneten absolut nicht zureichend ist. Dr. Grève: Richtig, das ist klar. Aber sonst, im System, ist er einfach. Vors. [Dr. Becker]: Es ist praktisch das gleiche wie bei mir, nur ohne zu wählen. Schräge: Der zweite Gesichtspunkt braucht ja nicht unbedingt festzustehen. Stock: Deshalb ist doch, glaube ich, mein Vorschlag gut, wenn ich sage: wir müssen heute nachmittag in der engeren Kommission zusammenkommen, um zu versuchen, aus dem Diederichs'schen Vorschlag, Ihrem Vorschlag und dem Kroll'schen Vorschlag irgendeinen Vorschlag herauszubringen. Schräge: Das wäre das Idealste. Stock: Wir haben es doch im Finanzausschuß auch so gemacht. Da hatten wir meistens auch drei, manchmal sogar vier Vorschläge, und die sogenannte Redaktionskommission hat es unter dem guten Vorsitz von Dr. Höpker-Aschoff46) dann fertiggebracht, uns auf einen Vorschlag zu einigen, und so ist es auch geschehen. Deshalb sind wird auch schnell vorwärtsgekommen47). Schräge: Ich bin auch der Meinung: die allgemeine Aussprache ist so ausführlich gewesen, und die Dinge sind in so vielen Sitzungen hier erörtert worden, daß da eigentlich nichts Neues mehr gemacht werden könnte. Es käme jetzt darauf an, daß die allgemeinen Besprechungen aufhörten und nun in einem kleineren Kreise einmal das formuliert würde. Dann, Herr Vorsitzender, bin ich der Überzeugung, daß Sie nach wenigen Tagen auch etwas vorliegen hätten. Dr. Grève: Herr Dr. Becker, ich möchte Sie aber doch auf eines aufmerksam machen. Ich glaube, Sie müssen die verschiedenen Mitglieder Ihres Ausschusses, auch wenn sie ein und derselben Partei angehören, einmal fragen, welches nun eigentlich die Stellungnahme ihrer Fraktion zu den einzelnen Vorschlägen ist, denn sonst sitzen wir in dem Wahlrechtsausschuß noch am 31. Dezember
keiten,
4B) Dr.
Hermann
Höpker Aschoff (31. Jan.
1893-15.
Jan. 1954), NRW, FDP-MdPR und Mit-
glied des Finanzausschusses wurde in den ersten Bundestag gewählt (bis 1951) und trat 1951 das Amt des ersten Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes an.
47) Siehe hierzu 16. Sitzung des Finanzausschusses vom 13. Okt. 1948, (BA Z 5/28, Bl. 116 ff.). Vom Ausschuß für Finanzwesen in 1. Lesung angenommene Fassung der Bestimmungen über das Finanzwesen vom 13. Okt. 1948 (Drucks. Nr. 176/11). 366
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d. J.! Sie haben hier darüber abgestimmt, daß z.B. das relative Mehrheitswahlrecht ebenso wie das Verhältniswahlsystem mit den Listen nicht zum Zuge kommen sollen. Vors. [Dr. Becker]: Als einziges Wahlsystem! Dr. Grève: Ja, aber nun müssen Sie, glaube ich, sich bemühen, auf irgendeinen Mittelweg zu kommen. Sie müssen meines Erachtens den Mitgliedern der verschiedenen Fraktionen die Auflage machen, bis zu einem bestimmten Termin zu erklären, welches die Auffassung ihrer Fraktion dazu ist. Vors. [Dr. Becker]: Herr Grève, dieser Termin war Mitte September bereits ab-
gelaufen! Mitte September48)! Schräge: Meine Herren! Ich
habe aus den Ausführungen heute morgen hier entnommen, daß auch innerhalb Ihrer Parteien im einzelnen noch lange keine Klarheit besteht, ich will nicht sagen „lange", aber jedenfalls noch keine Klarheit vorhanden ist. Das hat die Diskussion ergeben, sowie man in die Einzelheiten hineinstieg. Ähnlich ist es bei uns. Sie wissen, daß wir uns grundsätzlich für das Mehrheitswahlrecht ausgesprochen haben49). Aber dieser Vorschlag von Dr. Kroll zeigt ja schon, daß wir nicht stur daran festhalten, sondern daß auch wir versuchen wollen, zu irgend etwas zu kommen. Unter hinter diesem Vordas darf ich wohl sagen die CDU50). schlag, den Dr. Kroll macht, steht Die Verhandlung ist aber noch offen, und da bin ich der Meinung, daß in einem kleinen Kreise aus dem, was Dr. Diederichs vorschlägt, aus dem, was Dr. Kroll vorschlägt, und aus dem, was Sie, Herr Vorsitzender, vorschlagen, etwas Einheitliches herauskommen kann. Sollte sich ergeben, daß das nicht möglich ist, dann bleibt es bei dem, was Dr. Kroll gestern hier gesagt hat: dann müssen eben die drei Varianten herauskommen51). Aber das kann meines Erachtens nach der eingehenden Aussprache, die hier geführt worden ist, jetzt in einem kleinen Kreise durchaus geschehen. Stock: Nur das eine ist noch nicht geklärt, was Dr. Kroll wieder drin haben will, nämlich die relative Mehrheit. Die relative Mehrheit ist doch im Ausschuß abgelehnt worden, und zwar sehr deutlich52). Also damit brauchen wir uns meines Erachtens nicht mehr zu befassen. Ich nehme auch an, daß, wenn es im Ausschuß hier abgelehnt worden ist, die Fraktionen in ihren Sitzungen schon darüber beraten haben, und daß es dann genauso eindeutig auch im Plenum, vielleicht gegen die Stimmen der CDU-CSU abgelehnt werden wird. Also ist das doch praktisch schon gefallen. Jetzt müssen wir nur noch versuchen, die Auffassungen, die die Kollegen Dr. Becker, Dr. Kroll und Dr. Diederichs in ihren Vorschlägen gemacht haben, einander etwas anzugleichen. (Schräge: Sehr richtig!) —
—
zu Beginn der Ausschußberatungen des Pari. Rates. Siehe oben Dok. Nr. 8, Anm. 13. Ebenda. Siehe oben S. 280. Offensichtlich konnten sie Kroll und Schräge mit diesem Vorgehen auf die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktionssitzung vom vorherigen Tag stützen (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 86). 52) Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 2.
48) 49) 50) 51)
D. h.
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Das andere ist ja de facto schon erledigt. Schräge: Einverstanden! Sollte es nicht möglich sein, dann müßte die CDU das steht ihr ja frei die zweite Variante bringen. Stock: Deshalb hat es keinen Wert, wenn wir hier weiterdiskutieren. Wir reden und reden und kommen zu keinem praktischen Resultat. Es genügt meines Erachtens, wenn die Kollegen sich heute nachmittag zusammensetzen und uns einen Vorschlag unterbreiten, also Dr. Becker, Dr. Diederichs und Dr. Kroll. (Zuruf: Und Frau Wessel!) Wir wollten Dr. Diederichs dabei haben, weil er ja einen Vorschlag gemacht hat. Wenn sechs oder sieben diskutieren, dann geht das auch nur wieder ins Unendliche. Drei Leute sind am besten, die können das am ehesten fer—
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tigbringen. Schräge: Im übrigen,
Herr Vorsitzender: Sie wurden etwas unwillig. Sie müssen um das am meisten gestritten wird, hier wie in der Öffentlichkeit; es ist das schwierigste. Ich kann es verstehen, daß Sie etwas unwillig sind, weil Sie damit nicht von der Stelle kommen. Wir sind im Grundsatzausschuß so verfahren, daß, wenn man im großen das festliegen hatte, dann eine kleine Kommission zusammentrat und das einmal formulierte. Wir sind damit tatsächlich ganz gut vorangekommen53). Dr. Grève: Aber Herr Kollege Becker hat heute meines Erachtens insofern sehr richtig gehandelt, als er zumindest den Vorschlag Dr. Diederichs einmal in den entscheidenden Bestimmungen etwas zu variieren versuchte, weil damit vielleicht die Möglichkeit besteht, etwas Positives zur Abstimmung zu bringen. Denn wenn die Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses der Auffassung ist, daß jeder Wähler nicht sechs, sondern nur drei Stimmen haben soll, dann ist das sehr wesentlich. Danach muß man dann das andere einrichten. Es gibt
wissen, daß das das Problem ist,
nichts anderes, als die Vorschläge Diederichs, Becker und Kroll noch einmal zur Diskussion zu stellen, wobei ich mir im klaren bin, daß der Vorschlag Dr. Kroll nichts weiter ist als ein sehr wenig abgewandeltes relatives Mehrheitswahlsystem, und daß auch der Vorschlag Dr. Becker in seinen wesentlichen Zügen etwas enthält, was auf die Mehrheitswahl hinausläuft, nämlich bei den 230 Abgeordneten. Vors. [Dr. Becker]: Halb und Halb! Dr. Grève: 60 Abgeordnete mehr, nach dem Mehrheitswahlsystem gewählt, ist schon ausschlaggebend. Vors. [Dr. Becker]: Auf die Zahl kommt es nicht an. Stock: Es kommt hinzu, daß der Ausschuß auch das Stichwahlsystem schon eindeutig abgelehnt hat54). Ergo läuft Ihr Vorschlag darauf hinaus, daß die 230 Abgeordneten auch nach dem relativen Mehrheitswahlsystem gewählt werden. Vors. [Dr. Becker]: Und ebenso einstimmig haben wir das Listenwahlrecht abgelehnt55), und wir können sagen: der Vorschlag mit dem Listenwahlrecht ist mit nur einer ganz kleinen Abweichung —
53) Der Pari. Rat Bd. 5 (Teil 1). 54) Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 2. 55) Ebenda. 368
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Dr. Grève: Nein, das ist er meines Erachtens nicht. Vors. [Dr. Becker]: Doch, doch! Es läuft im Grundsatz auf den reinen
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Proporz
hinaus. Heiland: Der Proporz ist auch nicht abgelehnt. Dr. Grève: Auf das Verhältniswahlrecht schon, nicht auf das Listenwahlrecht. Vors. [Dr. Becker]: Wenn Sie so deduzieren wollen, brauchen wir überhaupt nicht mehr weiterzuverhandeln, denn wir haben das als jeweils einziges System abgelehnt. Die Kombination bleibt noch offen. Schräge: Und da kann es irgendwelche Berührungspunkte geben. Vors. [Dr. Becker]: Nun enthält das Wahlgesetz noch ganz allgemeine Bestimmungen, die ich in meinem Entwurf schon zusammengefaßt hatte, Wahlprüfungsbestimmungen, Übergangsbestimmungen usw. Wenn wir z. B. noch kurz über die Übergangsbestimmungen reden wollen: Es sind nur Übergangsbestimmungen zu treffen bis zum Tage der Wahl. Ich hatte mir gedacht, daß man eventuell das Präsidium des Parlamentarischen Rates damit beauftragt. Das haben wir noch zu besprechen.
[2b. Bildung und Zulassung
von
Parteien]
Was ich in den Übergangsbestimmungen vergessen habe, ist dann die Frage der zugelassenen Parteien. Es gibt doch Parteien, die z. B. bei uns sogar noch nicht einmal auf Landesbasis, sondern nur auf Kreisbasis zugelassen worden sind. Wo soll man die einbauen, etwa in der Landesliste oder in der Bundesliste? Stock: Das bayerische Landeswahlgesetz hat vorgesehen, daß zum Bayerischen Landtag nur die Parteien wählen dürfen, die auf Landesbasis zugelassen sind56). Also so ein Passus muß da herein, sonst können wir 30 Parteien bekommen. Es dürfen meines Erachtens nur die Parteien zugelassen werden, die in ihrem Lan-
de auf Landesbasis zugelassen sind. Vors. [Dr. Becker]: Und bei der Bundesliste? Dr. Grève: Ich bin nicht der Auffassung, daß das richtig ist. Man könnte ja sagen, daß zu dieser Wahl nur solche Parteien zugelassen sind, und zwar in allen Wahlkreisen, die in mehr als einem Land als Landespartei zugelassen sind. Denn sonst besteht die Möglichkeit, daß die Bayernpartei auch in SchleswigHolstein auftritt oder die Deutsche Partei in Württemberg-Baden. Man muß dann meines Erachtens zumindest sich einmal überlegen, ob man einen Unterschied machen will zwischen den Parteien, die sich über das ganze Gebiet erstrecken, und den Parteien, bei denen das nicht der Fall ist. Das ist auch bei den kleinen Parteien noch unterschiedlich. Schließlich erstreckt sich die Kommunistische Partei über das ganze Bundesgebiet ich will nur einmal von einer Partei als solcher reden —, während die Deutsche Partei nur in einem Lande zugelassen ist, nämlich in Niedersachsen. Das macht meines Erachtens einen Unterschied aus. —
Volksentscheid über die Bayerische und die Wahl des Bayerischen Landtags vom 3. Okt. 1946, in: Amtl. Nachrichtenblatt der Bayerischen Landesregierung vom 25. Nov. 1946, Nr. 21, S. 309.
') Art.
49 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 45 betreffend den
Verfassung
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kann man sie dann, wenn sie nur in einicht auf der Bundesliste erscheinen lassen. Lande zugelassen sind, diesem Sie dabei ja ausgegangen. Bei der Von sind Gesichtspunkt Schräge: haben nur wenn innerhalb eines Landes zugeSie dann, gesagt: Landtagswahl lassen! Wenn man den Gedanken konsequent durchzieht, kommen Sie dann auf eine größere Basis. Dr. Grève: Meinetwegen kann man ja sagen: wenn sie in drei Ländern zugelassen sind. Frau Wessel: Ich weiß nicht, ob man diese Einschränkung bzgl. der Parteien machen sollte. Ich spreche dabei nicht für meine Partei, die würde nicht darunter fallen. Aber wenn Sie sich einmal vorstellen, daß die Bildung neuer Parteiich erinnere nur an die Entsteen, die durchaus echte Parteien sein können hungsgeschichte der SPD57) —, gar nicht irgendwie zum Zuge kommt, wenn Sie ein System schaffen, das von vornherein jeder Partei die Wirkungsmöglichkeiten zerschlägt, dann würden Sie damit die heutigen Parteien für ewige Zeiten stabilisieren. Es gibt Parteien, die sich entwickeln können, und denen muß man meines Erachtens die Möglichkeit politischer Betätigung geben. Vors. [Dr. Becker]: Frau Kollega, da bin ich mißverstanden worden! Ich will um ich bin der letzte, der das Gottes willen nicht der Entwicklung vorgreifen tut —, sondern ich will in den Übergangsbestimmungen nur sagen, und zwar mit Rücksicht darauf, daß wir noch Besatzung haben, daß man also sich bei der auch nach den BeWahl und bei der nächsten Wahl bestimmt noch58) richten muß. der Militärregierung stimmungen Frau Wessel: Dann würde ich von zugelassenen Parteien sprechen. Vors. [Dr. Becker]: Jawohl. Ist nun eine Partei nur in Württemberg zugelassen und sonst nirgends, dann ist die Frage aufzuwerfen: kann die betreffende Partei auch eine Bundesliste einreichen neben einer Landesliste, die Landesliste ja sowieso, aber eine Bundesliste? Rennen wir da nicht gegen irgendwelche Kontrollratsbestimmungen oder ähnliches an59)? Frau Wessel: Das würde in Frage kommen, wenn wir uns entscheiden, neben der Bundesliste auch eine Landesliste zuzulassen. Dann ist Ihr Standpunkt richtig. Wenn man aber keine Landesliste zuläßt, sondern die Stimmenverrechnung vom Wahlkreis sofort zum Bund hin macht, könnten wir diese Einschränkung meiner Ansicht nach nicht machen. Vors. [Dr. Becker]: Insofern
allerdings
nem
—
—
—
—
57) Die SPD wurde durch das Wahlsystem im Kaiserreich in zweierlei Hinsicht benachteiligt. Zum einen führte das Stichwahlsystem im zweiten Wahlgang dazu, daß sich die etablierten bürgerlichen Parteien gegen die SPD verbündeten, zum anderen wirkte sich
aber auch die Wahlkreiseinteilung nachteilig aus. Siehe allgemein auch Brauner, Wahlkreiseinteilung und oben Dok. Nr. 3, Anm. 26. 58) Bei der Ausarbeitung des Wahlrechts für den 2. Bundestag spielten die Vorstellungen der Alliierten praktisch keine Rolle mehr. Siehe hierzu vor allem Lange, Wahlrecht, S. 411-586 und Jesse, Wahlrecht, S. 98-110. 59) Diese Frage war auch Gegenstand der alliierten Einwände im Juni 2 c der
370
Einleitung.
1949.
Siehe Abschnitt
Elfte Sitzung 27. Oktober 1948
Nr. 12
Stock: Wir müssen nach meinem Dafürhalten eine Landesliste zulassen. Die Stimmen müssen erst einmal landesmäßig aufgeteilt werden, bevor sie an den Bund kommen. Frau Wessel: Das ist fraglich. Dr. Grève: Ich bin auch dafür. Stock: Dann ist das auch klar.
[2c. Wahlprüfung (§§ 83-95)] Vors. [Dr. Becker]: Was die Frage der Wahlprüfung anlangt, so hatte ich für die erste Wahlprüfung einen Entwurf gemacht60). Danach sollte das Land Hessen, weil das in der Mitte liegt, eventuell sein Wahlprüfungsgericht für die erste
auf diese Bitte noch keine Antwort von wir das hier beschließen, das dann auch ohne weiteres rechtens ist. Ich wollte nur einmal Ihre Meinung darüber hören. Ich halte es wohl für praktisch, das zu tun, daß man also sagen würde: der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes in Hessen, der Präsident des Oberlandesgerichts in Hessen und jeweils drei Abgeordnete des neugewählten Bundestages bilden in den Sitzungen das Wahlprüfungsgericht.
Wahl
zur
Verfügung stellen. Ich habe
dort61). Aber ich nehme
an,
daß,
wenn
(Zustimmung.)
Wenn Sie die Freundlichkeit haben würden, das bei der Prüfung dieser Vorschläge zu berücksichtigen, damit wir wissen, welche Abschnitte schon als akzeptiert gelten oder nicht! Das, was ich über die Wahlprüfung gesagt habe, ist §§ 83/95, das ist generell gemeint, und dann kommen noch in den Übergangs-
bestimmungen
die Anweisungen für die
spezielle Anwendung.
[2d. Groß-Berlin (§ 108)] Und nun die Frage Groß-Berlin! Ja, das ist die Frage: kann man in Groß-Berlin heute überhaupt Wahlbezirke machen? Vielleicht kann Kollege Löbe sich dazu äußern, ob das nicht durch die Sektorengrenzen sehr schwierig ist. Löbe: Es würde natürlich im Augenblick möglich sein. Solange die Frage nicht entschieden ist, ob man in ganz Berlin wählen kann, könnte sich das ja überhaupt nur auf die drei westlichen Sektoren erstrecken. Aber ob man das eine oder das andere macht, die Verwaltungsbezirke in Berlin sind so klar und in so vielen Wahlen erprobt, daß man jederzeit sagen kann: auf Berlin entfallen soundso viel Abgeordnete, und dann kommen auf jeden Sektor nach der Bevölkerungszahl fünf oder sechs oder drei Abgeordnete. Das macht gar keine
Schwierigkeiten.
Vors. [Dr. Beckerl: Und wem könnte man dann gesetzmäßig die Wahlkreiseinin Groß-Berlin überlassen? Löbe: Der Stadtverordnetenversammlung, die vertritt ja zugleich auch den Landtag. Die ist im Augenblick beides.
teilung
60) Siehe oben Dok. Nr. 8, Anm. 41. 61) Die Antwort des Landes Hessen auf Beckers Anfrage konnte nicht ermittelt werden. 371
Nr. 12
Elfte
Sitzung
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Oktober 1948
[2e. Sitz des Bundestages] Stock: Wer bestimmt, wo der Sitz der Bundesversammlung62) sein soll? Lobe: Das soll, glaube ich, in die Übergangsbestimmungen kommen63). Dr. Grève: Das ist ja die Frage: Bonn oder Frankfurt? Vors. [Dr. Becker]: Zunächst kann man nur sagen: am soundso vielten Sonntag nach dem Inkraftreten der Verfassung muß die Wahl sein. Schräge: Hüten Sie sich davor, in dem Ausschuß die Leitung zu kriegen, in dem der Sitz des Bundestages festgesetzt wird, Bonn oder Frankfurt64)! Vors. [Dr. Becker]: Ach, das wäre nicht so schlimm! Stock: Da muß man vom praktischen Standpunkt ausgehen, von weiter gar nichts. Es handelt sich nur um die Frage: wo ist es möglich, dieses Bundesparlament unterzubringen? Denn es handelt sich ja nicht nur darum, die rund 400 Abgeordneten unterzubringen, sondern auch Unterbringungsmöglichkeiten für die Regierung, die Ministerien und all das zu schaffen. Dr. Grève: Da wir gute Föderalisten sind, hatte ich gestern Hannover vorge-
schlagen65) !
Stock: Weil man, wenn man dorthin kommt, nicht einmal als Einzelperson übernachten kann! Lobe: Frankfurt! Es sind doch bloß zwei ernsthafte Rivalen: Frankfurt und
Bonn66)! Stock: Nach Bonn könnten wir schon
gehen, weil hier die
Preise sehr hoch
sind, sowohl beim Essen wie beim Zimmer! Schräge: Das soll aber nach dem, was ich mir habe sagen lassen, in Frankfurt
noch ganz anders sein!
;) Gemeint ist wohl der Sitz der Bundesregierung. ') Der Pari. Rat war zunächst im Zweifel gewesen, ob
er befugt war, den zukünftigen Sitz Bundesregierung festzulegen oder ob diese Frage nicht dem ersten Bundestag zur Entscheidung vorgelegt werden sollte (R. Pommerin: Von Berlin nach Bonn. Die Alliierten, die Deutschen und die Hauptstadtfrage nach 1945, Köln/Wien 1989, S. 132).
der
') Die sog. „Bundessitz-Kommission" des Parlamentarischen Rates („Kommission für die Prüfung der von den Städten Bonn, Frankfurt, Kassel gemachten finanziellen und orga-
nisatorischen Angaben betreffs Bundeshauptstadt") nahm unter Adenauers Vorsitz ihre Arbeit am 27. Jan. 1949 auf (Pommerin, von Berlin nach Bonn, S. 124 ff.). Am 28. März 1949 legte die Kommission einen Bericht vor, der sich zwar nicht für eine der Bewerberstädte aussprach, in dem aber Bonn relativ günstig abschnitt (a. a. O., S. 132). Am 10. Mai 1949 stimmte der Parlamentarische Rat in seiner 11. Sitzung mit 33 Stimmen für Bonn als vorläufigen Regierungssitz. 29 Abgeordnete hatten sich für Frankfurt ausgesprochen (Stenographische Berichte, S. 264 ff.). ') Es konnte nicht ermittelt werden, in welchem Rahmen Grève diesen Vorschlag gemacht hat. An den Ausschußsitzungen des Wahlrechts- und des Grundsatzausschusses, die als einzige Gremien des Pari. Rates am 26. Oktober tagten, hatte Grève nicht teilgenommen. Grève sprach sich jedoch später als Mitglied der „Bundeskommission" wiederholt gegen Bonn als vorläufigen Regierungssitz aus (Pommerin, Von Berlin nach Bonn, S. 124 f., 130 u. 183). ') Zur Entscheidung für Bonn als Sitz der Bundesregierung siehe vor allem Pommerin, Von Berlin nach Bonn, passim. 372
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Maier: 14 Mark bezahlen zum Teil die Mitglieder des Wirtschaftsrats67) in Frankfurt fürs Übernachten, hat mir Schoettle66) letzthin erzählt! Stock: Das kommt darauf an, wo sie sind. Schräge: Was uns Kollege Kaufmann69) von Frankfurt erzählt hat, übertrifft alles, was hier in Bonn vorliegt! Stock: Auch noch?! Maier: Nur das Essen ist billiger. Vors. [Dr. Becker]: Dann sind wir am Ende unserer Besprechung. Ich darf nochmals wiederholen: Die Redaktionskommission tritt heute nachmittag um % 3 Uhr zusammen. Und wann wollen wir wieder eine Vollsitzung des Ausschusses abhalten? Nach kurzer Debatte wird die nächste Vollsitzung des Ausschusses auf Donnerstag, den 28. 10. 1948, 9 Uhr, anberaumt. Vors. [Dr. Becker]: Dann darf ich die Sitzung schließen.
67) Am 25. Juni 1947 hatte sich in Frankfurt/M. der von den Landtagen der Bizone gewählte Zweizonenwirtschaftsrat als oberstes Organ des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (VWG) gebildet. Ihm gehörten 52 Abgeordnete an (CDU/CSU und SPD je 20, DVP/FDP 4, KPD 3, Z und DP je 2, WAV 1). Am 9. Feb. 1948 wurde die Anzahl der Abgeordneten im Wirt-
schaftsrat von 52 auf 104 verdoppelt. Siehe hierzu: Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947 1949, 5 Bde. mit einem Erschließungsband, hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte und dem Deutschen Bundestag. Wissenschaftliche Dienste. Bearb. von Christoph Weisz und Hans Woller, München/ Wien 1977; Rainer Salzmann (Bearb.): Die CDU/CSU im Frankfurter Wirtschaftsrat. Protokolle der Unionsfraktion 1947—1949 (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 13), Düsseldorf 1988. Zum Wortlaut der alliierten Anordnungen zur Errichtung bzw. Vergrößerung des Wirtschaftsrates siehe auch Tilman Pünder: Das bizonale Interregnum. Die Geschichte des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1946—1949, Köln 1966, S. 370 ff. und 377 ff. 68) Erwin Schoettle (18. Okt. 1899-25. Jan. 1976), SPD-Politiker und Fraktionsvorsitzender im Wirtschaftsrat für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet. Schoettle wurde 1949 in den Bundestag gewählt, dem er bis 1973 angehörte. 69) Theophil Kaufmann war ebenfalls Mitglied des Wirtschaftsrates; zu seiner Person siehe oben Abschnitt 1 b der Einleitung. —
373
Nr. 13
Zwölfte
12.
Sitzung
28. Oktober 1948
Sitzung des
Nr. 13 Ausschusses für Wahlrechtsfragen 28. Oktober 1948
Z 5/83, Bl. 22-92. Stenograf. Wortprot. vom 2. Nov. 1948, Kurzprot: Z 12/39, Bl. 64-65, Drucks. Nr. 357/11
von
Reynitz gezeichnet1)
Anwesend2) : CDU/CSU: Schröter3)
SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs (zeitweise Vors.), Heiland FDP: Becker (zeitweise Vors.) KPD: Renner (für Reimann) Mit beratender Stimme: Löbe (SPD), Runge (SPD)4), Kuhn (SPD), Heile (DP), Frau Wessel (Z), Brockmann (Z) Stenografischer Dienst: Reynitz Ende: 11.32 Uhr Beginn: 9.16 Uhr
[1. BESPRECHUNG DER AUFZEICHNUNG DES REDAKTIONSAUSSCHUSSES ZU §§7 UND 8 DES TEILENTWURFS DR. DIEDERICHS (DRUCKS. NR. 178)]
[la. Zahl der Die
Sitzung wird
ker, eröffnet.
um
9
Uhr 16
Abgeordneten
Wahlkreis] Minuten durch den Vorsitzenden, Abg. pro
Dr. Bek-
Vors. [Dr. Becker]: Wir hatten gestern die Besprechung von II des Wahlgesetzentwurfes in der Fassung, die ich vorgelegt hatte, begonnen. Zu diesem Punkt liegen drei Varianten vor, Dr. Diederichs, Dr. Kroll und von mir. Die von Dr. Diederichs haben wir gestern erörtert in der Erwägung, daß es die am weitesten zurückliegende ist. Der Niederschlag der Besprechung sollte in einem Redaktionsentwurf festgehalten werden. Das ist gestern festgelegt5). Dabei ist wiederum in Kleinigkeiten von dem abgewichen worden, was wir besprochen hatten. Da wir nur vier Exemplare bekommen haben6), darf ich Ihnen den Text —
1) Die Schlußverfügung „Gelesen und
zu den Akten des Ausschusses genommen" wurde Schriftführer nicht unterzeichnet. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Schröter vertrat allein die CDU/CSU-Fraktion. Die anderen CDU/CSU-Mitglieder des Wahlrechtsausschusses besuchten die zur gleichen Zeit stattfindende Fraktionssitzung (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 90 ff.). Hermann Runge (28. Okt. 1902—3. Mai 1975), Kreistagsabgeordneter im Kreis Moers, Mitglied des Bezirksvorstandes Niederrhein der SPD. Runge war im Pari. Rat Mitglied des Organisationsausschusses und MdB von 1949 bis 1957. Siehe oben S. 365 und 373. Die Aufzeichnung des Redaktionsausschusses zu den §§ 7 und 8 des Teilentwurfs Diederichs' wurden als Anlage dem Kurzprotokoll der 12. Sitzung beigelegt: „Aufzeichnung des Redaktionsausschusses des Wahlrechtsausschusses zu §§ 7 und 8 des Teilentwurfs Dr. Diederichs. Das gesamte Bundesgebiet wird in 44 (davon 3 auf Berlin entfallende) gleich große Wahlkreise unterteilt, so daß jeder Wahlkreis etwa 1—1,25 Millionen Einwohner umfaßt. In jedem Wahlkreis werden 6 Abgeordnete auf Wahlkreisvorschlag gewählt. Jeder
vom
2) 3) 4) 5) 6)
374
Zwölfte die
Sitzung
28. Oktober 1948
Nr. 13
vorlesen. Der Vorschlag müssen noch formuliert werden Herrn Dr. Diederichs lautet also jetzt wie folgt: Das gesamte Bundesgebiet wird in 44 (davon 3 auf Berlin entfallende) gleich große Wahlkreise unterteilt, so daß jeder Wahlkreis etwa 1—1,25 Millionen Einwohner umfaßt. In jedem Wahlkreis werden 6 Abgeordnete auf Wahlkreisvorschlag gewählt. Jeder Wähler hat 3 Stimmen. Er ist berechtigt, drei Kandidaten, gleichviel von welcher Liste, durch Ankreuzen zu
Paragraphen
—
von
wählen.
Das ist also der Grundsatz des Wahlrechts. Stock: Man kann doch wohl sagen, wir sind uns gestern einig geworden, daß an Stelle von sechs nur drei Abgeordnete gewählt werden sollten7). Gestern sind wir von dem Gesichtspunkt ausgegangen, daß bei nur drei Abgeordneten diese mit ihren Wählern in engere Beziehung kommen als in einem größeren Wahlkreis. Ich wäre nach wie vor dafür, daß man statt sechs Abgeordnete drei Abgeordnete wählen läßt und statt der Zahl von 1 bis 1,25 Millionen Einwohnern nur 600 000 nimmt. Dr. Diederichs: Wir haben uns gestern noch einmal eingehend über dieses Problem unterhalten8). Bei den Verhandlungen gestern hier ist übrigens kein BeWähler hat 3 Stimmen. Er ist berechtigt, drei Kandidaten, gleichviel von welcher Liste, durch Ankreuzen zu wählen. Die auf jeden Wahlvorschlag entfallenden Gesamtstimmen werden zusammengezählt; die Mandate werden nach dem Höchstzahlverfahren (d'Hondt) je Wahlvorschlag zugeteilt. Gewählt sind jeweils innerhalb eines Wahlvorschlages die Kandidaten in der Reihenfolge der auf sie entfallenden Stimmen. Auf die Länder entfallen folgende Anzahl von Wahlkreisen:
Bayern
Württ.-Hohenz. Bremen Rheinl.-Pfalz Württ.-Baden
Hamburg
Hessen
8 1 1 3 3 1 4 6 11 2 1
(s. Niedersachsen)
Niedersachsen (s. Bremen) Nordrh.-Westfalen Schlesw.-Holstein Süd-Baden Die Abgrenzungen der Wahlkreise bestimmen die Landesregierungen. Jeder Wahlvorschlag, welcher einer bestimmten Partei zugerechnet werden soll, muß die Bezeichnung dieser betreffenden Partei enthalten. Die im gesamten Bundesgebiet für derartige mit Parteibezeichnung versehenen Wahlkreisvorschläge abgegebenen Stimmen werden zusammengezählt; auf je 200 000 (?) dieser Stimmen entfällt auf den von der betreffenden Partei eingereichten Bundeswahlvorschlag in der Reihenfolge der darauf benannten Namen ein Sitz mit der Maßgabe, daß 1. die nach Kreiswahlvorschlag im Wahlkreis gewählten Abgeordneten auf die der betreffenden Partei zustehenden Sitze angerechnet werden, 2. eine Zuteilung von Mandaten nur erfolgt, wenn nicht durch die direkte Wahl in den Wahlkreisen die zustehende Mandatsziffer bereits erreicht oder überschritten worden ist."
Siehe oben Dok. Nr. 12, TOP 1 e. D. h. im Redaktionsausschuß vom 27. Okt. 1948. 375
Nr. 13
Zwölfte
Sitzung
28.
Oktober 1948
Schluß nach der Richtung gefaßt worden, es ist nur eindeutig zum Ausdruck gekommen, daß die Verteilung gerechter wird, je mehr ein Ausgleich innerhalb
eines Wahlkreises geschaffen wird. Wenn man den Wahlkreis größer nimmt und über die dritte Stelle hinaus auch eine vierte, fünfte oder sechste Stelle aus dem Wahlkreis besetzt, kann ein besserer Ausgleich geschaffen werden. Wir haben das gestern im Redaktionsausschuß noch einmal eingehend besprochen und haben uns, nachdem wir schon die Zahl von 88 Wahlkreisen hier aber stehen hatten, doch gesagt: es ist im Interesse der kleineren Parteien nicht der Splitterparteien —, wenn der Wahlkreis etwas größer wird. Im übrigen habe ich mich auf den Standpunkt gestellt: ob ich in einem kleinen Wahlkreise drei Abgeordnete habe, die praktisch dafür zuständig sind, oder in einem doppelt so großen sechs Abgeordnete, die das Gebiet zu betreuen haben, kommt praktisch auf dasselbe hinaus. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, daß im Zeitalter der Arbeitsteilung bei sechs Bewerbern einer Richtung ein Wahlkreis bedeutend harmonischer zu bearbeiten ist, als wenn das drei in einem kleineren Bezirk mit Ablösung usw. machen müssen. In einem Bezirk mit 1 Million Einwohner hat man vielleicht zwei größere Städte und sonst Landgebiet. Ich bin nach wie vor der Ansicht, daß diese persönliche Bekanntschaft vorläufig eine Fiktion ist. Wenn ein Abgeordneter jahrelang für einen solchen Bezirk tätig ist, wird es an ihm liegen, ob er bekannt wird oder nicht. Ein Abgeordneter, der im Parlament etwas tut und hervortritt und auch etwas für seine Wähler tut, kann sich in einem solchen Gebiet unter den heutigen Verhältnissen durchaus bekanntmachen. Ihm steht die Presse zur Verfügung, er hat die Möglichkeit des Rundfunks, er kann selber kommen. Wir haben uns also dann doch auf drei Stimmen für jeden Wähler geeinigt, weil wir uns gesagt haben: es wird einem Wähler schwer werden, sechs Persönlichkeiten so kennenzulernen, daß er selber sechs aussuchen kann. Wenn er drei seiner Auffassung nach prominente Leute heraussucht, ist diesem Gedanken Genüge getan. Das war der Gesichtspunkt, aus dem heraus wir doch wieder zu einem größeren Wahlkreis gekommen sind. Frau Wessel: Ich habe gestern sehr stark den Standpunkt vertreten, man möge nur drei Abgeordnete nehmen9). Ich bin im Verlauf der gestrigen Unterhaltung zu der Auffassung gekommen, daß der Einwand, den Sie, Herr Dr. Diederichs, machen, nicht richtig ist. Wenn wir nämlich sechs Abgeordnete im Wahlkreis wählen lassen, dann sind diese sechs Abgeordnete dem Wahlkreis mehr verbunden, als wenn wir nur drei nehmen. Die hohe Zahl der Reststimmen, die von jeder Partei übrig bleiben, würden bei drei Abgeordneten auf die Bundesliste kommen. Es werden viel mehr Abgeordnete werden, die über die Bundesliste gehen, als wir heute annehmen, denn es bleiben ja von allen Parteien, nicht nur von den kleinen, sondern auch von den größeren, erhebliche Zahlen von Reststimmen zurück, die dann alle auf die Bundesliste gehen müssen. Wenn Sie das einmal durchrechnen, werden sie auch zu diesem Ergebnis kommen müssen. Gerade aber um die Verbindung mit dem Wahlkreis herzustellen, —
9) Siehe oben S. 376
354.
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man innerhalb der Verrechnung sechs statt drei in einem Wahlkreis nehund das andere alles auf Bundesliste gehen lassen. Wenn Sie sechs nehmen, kommen Sie zu einem richtigeren Verhältnis zwischen Wahlkreis- und Bundesliste. Dr. Diederichs: Wenn wir diese Dreierverrechnung haben, werden im Durchschnitt im Wahlkreis wahrscheinlich nur die beiden stärksten Parteien, oder, wenn drei verhältnismäßig gleich starke Parteien da sind, die drei stärksten Parteien einen Abgeordneten aus dem Wahlbezirk bekommen. Kleinere Parteien, die an sich durchaus eine Berechtigung haben und nicht als Splitterparteien anzusprechen sind, werden ihre gesamten Kandidaten nur von der Bundesliste bekommen, werden dann also eine Verbindung zu den Wahlkreisen überhaupt nicht mehr haben, während sie bei der Verrechnung über sechs, wo dann die Teilung durch 1, 2 und 3 nach dem d'Hondtschen Verfahren vorgenommen wird, ihre Abgeordneten unmittelbar aus den Wahlkreisen im Bundesparlament haben werden. Ich halte das auch für einen Vorzug. Frau Wessel: Ich darf noch einmal fragen: Es bekommen ja auch die größeren Parteien, je nachdem, wie ihre Stimmenzahl ist, bei sechs Kandidaten auch mehr Leute in dem Wahlkreis durch als über Bundesliste? Dr. Diederichs: Das haben wir in dem Beispiel, das an der Tafel steht. Wenn wir drei verteilen, kriegen A, B und C je einen, beim vierten bekommt A den zweiten. Haben wir aber nur zwei zu verteilen, kriegen immer die beiden stärk-
sollte
men
sten Parteien einen.
Stock: Die Mathematik hinkt! Je größer der Wahlbezirk wird, je höher werden auch die Stimmenzahlen für die größeren Parteien! Dr. Diederichs: Die Mathematik hinkt nicht. Es ist doch gleich, ob ich nun die Gesamtziffer durch drei teile oder durch sechs, und zwar bei der direkten Zuteilung, denn darum handelt es sich ja. Wenn ich sechs zuteile, ist möglicherweise eine Beteiligung bis zur viertstärksten Partei möglich. Wenn ich nur drei verteile, kommen die beiden ersten dran, der eine mit zwei, der andere mit einem, je nachdem, wer mit wenig Stimmen im Vorrang ist. Wer den ersten kriegt, kriegt auch wieder den dritten, während die anderen in gewissen Abständen zurückbleiben. Wenn aber vier, fünf oder sechs zugeteilt werden, verteilt sich das dann über die weiteren Parteien; daran ist gar kein Zweifel, das ist an soundso vielen Beispielen nachweisbar. Nehmen Sie zum Beispiel die Ausschußbesetzung in unseren Parlamenten, wo nach diesem Verfahren gerechnet wird. Nehmen Sie den typischen Fall Frankfurt10). Frankfurt hatte anfänglich 65 Abgeordnete, die aus den Parlamenten nach der Stärke der Fraktionen entsandt wurden, errechnet nach dem d'Hondtschen Verfahren. Auf uns in Niedersachsen entfielen acht Abgeordnete. Davon entfielen zwei auf die Deutsche Partei, zwei auf die CDU und vier auf uns, wieder nach diesem Verfahren. Dann beantragte die FDP aus verständlichen Gründen heraus: Wir wollen versuchen, ob wir nicht neun kriegen; wenn wir in diesem Verfahren weiterrechDas gelang nicht, wir nen, fällt der neunte auf die FDP nach ihrer Stärke. —
10) Gemeint
ist der Wirtschaftsrat in Frankfurt. Siehe hierzu oben Dok. Nr. 12, Anm. 67.
377
Nr. 13
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kriegten nur acht. Nun wurde aber Frankfurt auf die doppelte Zahl verstärkt11), und es hieß: jedes Parlament kann noch einmal die gleiche Zahl hinschicken. Darauf entstand, und zwar mit Recht, in Niedersachsen die Frage: Zählen wir nun nach dem d'Hondtschen Verfahren von neun bis sechzehn weiter, oder verdoppeln wir einfach die Vorhandenen? Dann hätte die SPD acht, die Deutsche Partei und die CDU je vier, und die FDP, die beim Weiterrechnen schon den neunten bekommen hätte, ging wieder leer aus. Damals hat die FDP den Antrag gestellt, wir sollten weiterzählen. Ich habe den Antrag unterstützt, weil ich ihn für gerechtfertigt hielt12). Dann kam die Anweisung der Militärregierung, die einfach eine Verdoppelung vorsah13), und dadurch, daß eben nicht weitergerechnet wurde, ist die FDP wieder glatt hinten heruntergefallen. Man sieht aber, daß bei einer weiteren Unterteilung nach dem d'Hondtschen Verfahren eine gerechtere Verteilung auf alle Beteiligten herauskommt. Ich halte es für wünschenswert, daß die kleinen Parteien, die nach dem Verhältniswahlrecht ja auch in die Parlamente kommen sollen, die Gelegenheit haben müßten, Kandidaten im Wahlkreis zu wählen. Das wird angestrebt. Wenn ich nun bei diesem Verrechnungsverfahren sechs in einem größeren Raum verrechne, dann können die kleinen Parteien auch herankommen. Dann brauchen wir keine Sperrklausel. Wenn eine kleinere Partei sich in einem kleineren Wahlkreise durchgesetzt hat, hat sie ihr Mandat und hat dementsprechend ein Recht auf Berücksichtigung. Renner: Ich halte den Einwand von Herrn Stock für durchaus berechtigt. Je größer der Wahlbezirk ist, desto größer ist der Anteil, der auf die beiden stärksten Parteien entfällt. Wenn der Vorbehalt aufrecht erhalten werden soll, daß die kleineren Parteien mindestens in einem Wahlkreis einen Kandidaten durchbringen müssen, dann ist das im Endeffekt doch gleichbedeutend mit dem Ausschluß dieser Partei. Dr. Diederichs: Dann nehmen Sie doch den kleinen mit drei Abgeordneten; dann sind Sie bestimmt fertig! Renner: Ohne die Klausel nicht, und es kommt Ihnen ja anscheinend auf die Aufrechterhaltung der Klausel an. (Heiland: Sie machen einen Denkfehler!) Es ist kein Denkfehler. Herr Stock hat recht mit seiner Einstellung. Je größer der Wahlbezirk, je stärker ist der Anteil der abgegebenen Stimmen für die beiden größeren Parteien. Da die Verteilung der Sitze von der Zahl der abgegebenen Stimmen abhängig ist, teilen sich eben A und B, wenn sie die meisten Stimmen bekommen, auf die folgenden Sitze auf. Heiland: Herr Renner macht meiner Meinung nach einen Denkfehler. Wir gehen jetzt nicht von Stimmen aus, sondern von der Prozentzahl der abgegebenen mit kleinen Unterschieden Stimmen, und die Prozentzahl wird dieselbe —
-
») Ebenda. 12) Antrag der FDP-Fraktion Drucks. dersächsischer
13) 378
Landtag,
726
-
(„Zahl der Mitglieder für den Wirtschaftsrat")
Sten. Prot. 1. WP, S. 1667. Verordnung Nr. 126 der Britischen Militärregierung Nr. 7 der Amerikanischen Militärregierung.
vom
9. Feb. 1948
Nie-
und Proklamation
Zwölfte Sitzung
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Oktober
1948
Nr. 13
sein, ob der Wahlbezirk groß oder klein ist. Wenn Sie davon ausgehen, daß A 40, B 30, C 19 und D 11% der Stimmen bekommt, bekommt die Partei D, wenn nur drei Mandate im Wahlkreis zu verteilen sind, auf keinen Fall ein Mandat. Wenn Sie aber weitergehen und das erste Mandat auf A geben, das zweite auf B, käme das dritte wieder auf A! Dr. Diederichs: Wenn wir dieses Beispiel von gestern zugrunde legen und durch drei teilen, kriegt A und B ein Mandat und A dann wieder das dritte Mandat, also A zwei und B eins. Wenn man aber durch sechs teilt, also das ganze über ein größeres Gebiet verrechnet, wird die Sache anders. Ob Sie in einem Gebiet drei haben oder die doppelt so große Zahl, sechs, bleibt für die Mandatsziffer gleich, aber die Verrechnung geht über ein größeres Gebiet, und nur darauf kommt es an. Wenn Sie also durch sechs teilen, kriegt A Nr. 1, 3 und 6, bekommt B Nr. 2 und 5 und C bekommt 4. Renner: Die Zahlen der Prozentsätze, die Sie hier einsetzen, sind vollkommen fiktiv. Man muß die tatsächlichen Verhältnisse einsetzen. Dr Diederichs: Sie können keine „tatsächlichen Verhältnisse" einsetzen, ehe Sie sie haben. Renner: So etwa kennt man doch die Wahlergebnisse und kann von gegebenen Verhältnissen ausgehen. Da ist aber die Differenz zwischen der ersten und zweiten Partei nicht 10%, sondern geringer. Dr. Diederichs: Es ist doch nur ein Beispiel! Ob die Differenz geringer ist oder nicht, spielt gar keine Rolle; die Verrechnung wird auch nicht anders. Renner: Doch! Wenn Sie die beiden Parteien den realen Verhältnissen entsprechend mit den tatsächlichen Prozentsätzen einsetzen, mit denen man rechnen muß, dann bleibt für C und D weniger übrig, als Sie angenommen haben; dann ändert sich das Bild. Vors. [Dr. Becker]: Dann wird also Herr Kollege Renner gebeten, die tatsächlichen Zahlen in das Beispiel einzusetzen; dann können wir weiterrechnen. Renner: Gehen wir aus von 38 und 34, das wären schon 72. Erstens einmal kann man auch nicht nur mit vier Parteien rechnen, (Dr. Diederichs: Das können Sie annehmen, wie Sie wollen.) so daß der Prozentsatz der kleineren Parteien ganz anders wird als hier angenommen.
(Dr. Diederichs: Bitte, geben Sie die Ziffern.) Nehmen wir: 38, 34, und dann den 3., was schon hoch ist, mit 10, den 4. mit 8, und dann einen fünften Dr. Diederichs: Jetzt haben wir also schon fünf Parteien; die andern brauchen wir nicht zuzuschreiben. Jetzt verteilen wir einmal drei Sitze, weil Sie sagen, es sei gleichgültig. Bei drei Sitzen bekommt A den ersten, B bekommt den zweiten und A bekommt den dritten. (Renner: und bei sechs?) Jetzt weiter. Wir haben 38 beim ersten, teilen durch zwei, die Hälfte ist 19. Beim nächsten ist die Hälfte 17, beim dritten ist die Hälfte fünf. Dann bekommt den 4. Sitz wieder A, den 5. Sitz bekommt B und den 6. Sitz bekommt —
.
.
.
—
wieder A.
(Renner: Man muß doch
von
den realen Tatsachen
ausgehen!) 379
Nr. 13
1948
Diese Ihre Tatsache ist nicht realer als unsere auch; denn 15% zu haben, dann geht der Sitz schon an C.
—
10
Zwölfte Sitzung 28. Oktober
er
braucht statt
nur
(Renner: Ich gehe aber von den Erfahrungen der Wahlen nach 1946 aus.) Erlauben sie mal, es gibt Wahlkreise, in denen die drei ersten Parteien verhältnismäßig gleich groß sind. Ihr Beispiel ist nicht realer als das Beispiel irgend eines anderen auch. Renner: Was Sie sagen, Herr Diederichs, können Sie höchstens auf die FDP oder LDP beziehen. Wenn sich andere Parteien, wenn sich etwa Frau Wessel für das Zentrum damit abfinden will, ist das ihre Sache. Ich denke an meine eigene Partei, nehmen sie mir das nicht übel. Wenn Sie sich als Partei, die im Reichsmaßstab noch geringere Chancen hat, damit abfinden wollen, ist das Ihre Sache, Frau Wessel, ich bin nicht Ihr Vormund. Ich verteidige die Interessen meiner Partei, und die kommt, solange man die Klausel aufrecht erhält, bei diesem Modus nicht zum Zuge. Herr Diederichs hatte in seinem Schlußwort ja noch einmal von der Klausel gesprochen und hat sie bejaht. Also sind meine Bedenken durchaus berechtigt. Ich kann auch rechnen! Dr. Diederichs: Ich bin der Ansicht, daß Sie sich auch bei diesem Verfahren gerade in dem größeren Wahlkreis durchsetzen können. Renner: Warum geben Sie dann die Klausel nicht auf, daß in jedem Wahlkreis ein Mandat erobert werden muß? Vors. [Dr. Becker]: Das ist nicht entscheidend. Es würde bedeuten, daß Parteidie Bayernpartei in Oberbayern, die en, die in bestimmten Gegenden sitzen Deutsche Partei in Hannover —, obwohl sie kleiner sind als andere Parteien, eben weil sie an einer Stelle durchgehen, auf ihre ganzen Reststimmen Mandate bekommen. Renner: Das ist schließlich Demokratie. Vors. [Dr. Becker]: Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Dr. Diederichs: Herr Renner, ich bestehe nicht auf dieser Klausel. Renner: Was kann es denn der Kammer ausmachen, wenn eine solche regionale Partei einen halben Sitz profitiert? Mehr kommt doch dabei nicht heraus. Vors. [Dr. Becker]: Ich hatte nur erst diesen ersten Absatz vorgetragen, und dazu wollen wir debattieren. Dieser zweite Punkt kommt erst später. Wir sind jetzt bei diesem Abschnitt: Das gesamte Bundesgebiet wird in 44 (davon 3 auf Berlin entfallende) gleich große Wahlkreise unterteilt, so daß jeder Wahlkreis etwa 1—1,25 Millionen Einwohner umfaßt. In jedem Wahlkreis werden 6 Abgeordnete auf Wahlkreisvorschlag gewählt. Jeder Wähler hat 3 Stimmen. Er ist berechtigt, drei Kandidaten, gleichviel von welcher Liste, durch Ankreuzen zu wählen. Lobe: Sollte man nicht etwa sagen: Er ist berechtigt, drei verschiedene Kandidaten. durch Ankreuzen zu —
—
.
.
wählen,
um von
vornherein das Kumulieren auszuschalten?
Vors. [Dr. Becker]: Das ist richtig: drei verschiedene Kandidaten. Dr. Diederichs: Wenn er drei Kandidaten ankreuzen soll und hat men,
380
kann
er
doch nicht mehr ankreuzen.
nur
drei Stim-
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Lobe: Er kann aber zwei Kreuze machen und eins. Dr. Diederichs: „Drei Kandidaten" steht in dem Entwurf. Lobe: Er braucht sie nicht alle drei zu wählen. Vors. [Dr. Becker]: Der Einwand ist richtig. Es wäre richtig, wenn man hinzufügte: Kumulieren ist verboten. Wir könnten es noch anders ausdrücken. Stock: Trotzdem muß der Wähler, wenn wir Wahlkreise mit sechs Abgeordneten nehmen, auch sechs Stimmen haben. (Dr. Diederichs: Das ist nicht zwingend.) Wir haben das in unserem bayerischen Wahlgesetz durchexerziert. Für mich ist das nichts Neues. Wir haben Wahlkreise gehabt mit drei, mit sechs, mit neun Abgeordneten, und es ist klar: wenn der Wähler neun Abgeordnete zu wählen hatte, hat er neun Stimmen gehabt je nach Größe der Wahlkreise; bei sechs hatte er sechs Stimmen, bei drei hatte er drei Stimmen, denn es soll ja Verhältnis- und Persönlichkeitswahl sein. Dann muß er aber auch Gelegenheit haben, bei Wahlkreisen mit sechs Abgeordneten auch sechs Stimmen abzugeben, um die Persönlichkeiten zu wählen, von denen er glaubt, daß sie im Parlament sitzen müßten. Wir hatten natürlich das Kumulieren noch dabei, daß einer also sagen konnte: Den will ich unter allen Umständen drin haben; dem hatte er dann bis zu drei Stimmen geben können. Frau Wessel: Ich glaube, je weniger Stimmen wir dem Wähler geben, desto leichter verhüten wir, daß die Wähler sich auf die verschiedensten Parteien
verteilen.
(Stock: Dann ist es keine Persönlichkeitswahl!) Aber insofern immerhin, als der Wähler Persönlichkeiten wählt, die auch seiner Parteirichtung angehören. Es ist doch nicht wünschenswert, daß einer nun verschiedene Parteien wählt; dann wählt er eben nicht Persönlichkeiten, sondern verschiedene politische Richtungen. Man muß die Dinge auch einmal von diesem Standpunkt sehen. Wenn wir dem Wähler nur drei Stimmen geben, erleichtern wir ihm, sich dann wirklich auf Persönlichkeiten zu beschränken, jedenfalls mehr als bei sechs Stimmen. Man stelle sich doch einmal einen einfachen Wähler vor. Entweder kreuzt er dann alle sechs seiner Partei an, dann ist es unwesentlich, oder er fängt an, nun durch die verschiedenen Parteien hindurchzugehen. Es ist auch sehr die Frage, wen der Wähler als „Persönlichkeit" ansieht. Das kann ja auch ein Vorsitzender vom Fußballklub sein. Stock: Er kann als Sportler auch eine „Persönlichkeit" sein. Vors. [Dr. Becker]: Wird zu diesem ersten Satz noch das Wort gewünscht, oder wird ein Antrag gestellt? Renner: Ich stelle dann den Antrag, daß darüber abgestimmt wird, ob die Klausel aufrecht erhalten werden soll. Dr. Diederichs: Die ist doch noch gar nicht drin! Vors. [Dr. Becker]: Wir gehen abschnittsweise vor an Hand des gestern beschlossenen und gestern nachmittag abgefaßten Redaktionsentwurfes. Diesen Abschnitt hatte ich einmal vorgelesen und ihn dann inhaltlich noch einmal wie—
dergegeben. Ich bitte
nun,
bei der
Anregung
des
Kollegen
zu helfen. Wir wollten entsprechend der Satz einen Löbe des Inhalts hinzufügen: Erhält ein Kan-
Formulierung
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um eben didat mehr als eine Stimme, so gilt sie auch nur als eine Stimme, das Häufeln zu verbieten. Dr. Diederichs: Er ist berechtigt, drei Kandidaten durch Ankreuzen zu wählen. Wieviele Kreuze er bei dem einzelnen macht, ist egal. Kreuzt er mehr als drei an, ist die Stimme ungültig. Kumulieren gibt es nicht; infolgedessen wird verboten, mehr Kreuze auf einen Kandidaten zu setzen. Ich glaube, das reicht —
aus.
Vors. [Dr. Becker]: Für Juristen ist es klar, aber der Einwand ist wichtig. Dr. Diederichs: Wir können es ja dabeischreiben: Stimmenhäufung ist unzuläs-
sig.
Lobe: Ich dachte daran, nur im Zweifelsfalle anzudeuten, daß es drei verschiedene sein müssen. Dr. Diederichs: Das steht ja drin! Vors. [Dr. Becker]: Also geht das in Ordnung. Stellen sie einen Antrag, daß wir von „drei Stimmen" wieder auf „sechs Stimmen" ändern, oder soll es hierbei bleiben? Stock: Ich lege kein so großes Gewicht darauf. Wenn der Ausschuß meint, nehmen wir nur drei. Vors. [Dr. Becker]: Dann ist die Rednerliste zu diesem ersten Abschnitt geschlossen. Ich lese ihn noch einmal vor: Das gesamte Bundesgebiet wird in 44 (davon 3 auf Berlin entfallende) gleich große Wahlkreise unterteilt, so daß jeder Wahlkreis etwa 1—1,25 Millionen Einwohner umfaßt. In jedem Wahlkreis werden 6 Abgeordnete auf Wahlkreisvorschlag gewählt. Jeder Wähler hat 3 Stimmen. Er ist berechtigt, drei Kandidaten, gleichviel von welcher Liste, durch Ankreuzen zu wählen. Wenn ich recht verstehe, ist also gemeint: er kann auch zwei für den gleichen Kandidaten abgeben, aber eine Stimme ist nur gültig; er darf sie also nicht häufeln, doch kumulierte gelten nur als eine, und darf nicht mehr als drei abgeben. Lobe: Der Sonderfall Bremen14) soll hier nicht erwähnt werden? Dr. Diederichs: Nein, das ist an anderer Stelle geregelt15). Vors. [Dr. Becker]: Wir stimmen also jetzt ab. Ein Abstimmen für diesen Abschnitt involviert noch nicht eine Zustimmung zum ganzen Vorschlag. Wer ist also mit dieser redaktionellen Fassung des von mir wiederholt verlesenen AbWer stimmt dagegen? NieDas sind 5 Stimmen. satz 1 einverstanden? mand. Also mit 5 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen, und zwar unter Vorbehalt der Endabstimmung. —
14) Aufgrund seiner geringen Einwohnerzahl
Wahlgesetzentwurfes
15) Siehe 382
unten TOP 1 c.
—
—
von 484
kein ganzer Wahlkreis. Siehe
war Bremen im Sinne dieses Bremen auch oben S. 33.
000 zu
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[lb. Anzahl der Wahlkreise
pro
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Bundesland]
Wir kämen zum zweiten Absatz nach dem Entwurf der Redaktionskommission: Auf die Länder entfallen folgende Anzahl von Wahlkreisen:
Bayern
Württ.-Hohenz. Bremen
Rheinl.-Pfalz Wiirtt.-Baden
Hamburg
Hessen Niedersachsen
Nordrh.-Westf. Schlesw.-Holst. Süd-Baden
8 1 1 3 3 1 4 6 11 2 1
(s. Niedersachsen)
(s. Bremen)
41 ; dazu kämen die in dem ersten Absatz schon erwähnten macht 44. 3 für Berlin, Dann kommt noch ein Satz für die Abgrenzung der Wahlkreise. Das bestimmen die Landesregierungen, wobei in Berlin auch der Magistrat als Landesregierung
Das
gibt
zusammen
gilt.
Ich stelle dann diesen zweiten Abschnitt
zur
Aussprache
und bitte
um
Wort-
meldungen. (Dr. Diederichs übernimmt für kurze Zeit den Vorsitz.)
Wortmeldungen zu dem Abschnitt nicht vorliegen, darf ich vielleicht einige Ausführungen machen. Die Aufteilung ist vorgenommen worden nach der uns gestern vorliegenden Zusammenstellung über die Bevölkerungsziffern16). Die Bevölkerungszahl, die für die Wahlkreise vorgesehen ist, entspricht also ungefähr den heutigen Verhältnissen. Bremen und Niedersachsen haben wir zusammengefaßt zu sieben, damit auch dort die WahlkreisMüssen wir darüber abstimbildung möglich wird. Ist dazu etwas zu sagen? Ich halte es auch nicht für notwendig. men? Wir kämen dann weiter zu dem zweiten Satz des ersten Abschnitts: Die auf jeden Wahlvorschlag entfallenden Gesamtstimmen jetzt kommt die den den Herr Minister Menan in gestern Vorschlag, Verrechnung Anlehnung werden zusammengezählt; die Mandate werden nach zel hier gemacht hat17) dem Höchstzahlverfahren (d'Hondt) je Wahlvorschlag zugeteilt. Gewählt sind jeweils innerhalb eines Wahlvorschlages die Kandidaten in der Reihenfolge der auf sie entfallenden Stimmen. Das ist also die Verrechnung zunächst einmal auf die sechs, die direkt gewählt werden. Es geht dann weiter: Vors. [Dr. Diederichs]: Da —
—
—
—
—
1B) Siehe oben Dok. 17) Siehe oben Dok.
Nr. 12, Anm. 8. Nr. 12, TOP 1 b.
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Jeder Wahlvorschlag, welcher
einer bestimmten Partei zugerechnet werden soll, Bezeichnung dieser betreffenden Partei enthalten. Die im gesamten Bundesgebiet für derartige mit Parteibezeichnung versehenen Wahlkreisvordas ist die Zusamschläge abgegebenen Stimmen werden zusammengezählt; im für menzählung jeden Wahlvorschlag gesamten Bundesgebiet. Auf je hier mit Fragezeichen versehen 200 000 dieser Stimmen entfällt auf den von der betreffenden Partei eingereichten Bundeswahlvorschlag in der Reihenfolge der darauf benannten Namen ein Sitz. Es ist hier also auf die Ziffer 200 000 abgestellt. Da jeder Wähler drei Stimmen
muß die
—
-
-
hat, haben wir
gesagt, käme auf
etwa 60 bis 70 000 Wähler ein Mandat. Stimmen wird also durch die 200 000 geteilt, daraus die Quote errechnet und aus dieser Quote die Mandate, die jedem Wahlvorschlag zustehen. Dann wird geprüft, wieviel Mandate dieser Wahlvorschlag schon in direkter Wahl in den einzelnen Wahlkreisen bekommen hat; was ihm darüber hinaus dann noch zusteht, bekommt er noch auf die Bundesliste. Hat eine Gruppe oder eine Richtung in den Einzelwahlvorschlägen schon mehr Mandate direkt gewählt, als ihr nach der Verhältnisrechnung zusteht, behält sie diese Mandate, bekommt aber auf die Reststimmenverteilung keine Mandate mehr. Das geht daraus hervor, daß wir hier gesagt haben: Auf je 200 000 dieser Stimmen entfällt. ein Sitz mit der Maßgabe, daß 1. die nach Kreiswahlvorschlag im Wahlkreis gewählten Abgeordneten auf die der betreffenden Partei zustehenden Sitze angerechnet werden, 2. eine Zuteilung von Mandaten nur erfolgt, wenn nicht durch die direkte Wahl in den Wahlkreisen die zustehende Mandatsziffer bereits erreicht oder überschritten worden ist. Wenn sie also im Wahlkreis schon die ihr zustehende Ziffer bzw. mehr erreicht hat, wird sie bei der Verteilung auf Bundesliste nicht mehr berücksichetwa
Die Gesamtzahl der
abgegebenen
.
.
tigt.
Dabei möchte ich noch bemerken, daß dieser Fall sehr unwahrscheinlich ist, da ja die Zuteilung im Bezirk auch nach dem Verhältnissystem nach der d'Hondt-
schen Berechnung erfolgt und infolgedessen auch da schon die relativen Stimmenverhältnisse unter den Parteien praktisch berücksichtigt worden sind. Höchstens dadurch, daß sie in den Teilziffern über diesen kleinen Parteien liegen, können sie noch ein Mandat zugeteilt bekommen, während die kleinen nicht an den Schlag kommen und infolgedessen evtl. diese Ziffer überschreiten. Das trifft aber die kleinen insofern nicht, als sie ja bei der Verteilung durch die Quote nachher auf Bundesliste praktisch ihr Mandat bekommen. Bestehen Bedenken gegen diese Fassung? Es scheint nicht der Fall zu sein. Dann würden wir das als den ersten Paragraphen für das Gesetz vorschlagen. Es steht dann noch dabei: Die Parteien haben beim Bundeswahlleiter einen Bundeswahlvorschlag einzureichen. Dann hätten wir also diese Formulierung des Wahlmodus für das Gesetz. —
384
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[2. BESPRECHUNG TEILENTWURF DR. DIEDERICHS (FORTS.)]
[2a. Problem der Sperrklausel (§ Frau Wessel: Ich möchte noch einmal auf das
13
Abs. 2)]
zurückkommen, was Herr Renner eben
bezüglich der Klausel gesagt hat18). Ich glaube, im Organisationsausschuß ist in irgendeinem Passus gesagt worden, daß ein bestimmter Hundertsatz genommen werden sollte, um eben diese Einschränkung bei der Wahl zu machen19). Wir schaffen hier ein Wahlrecht, das für die Wahl zum ersten Bundesparlament bestimmt ist. Bei dem Wahlvorschlag zu diesem ersten Bundesparlament sollte man aber von Beschränkungen absehen. Ich spreche dabei nicht irgendwie im Interesse von kleineren Parteien, sondern im Interesse einer wirklichen politischen Entscheidung. Ob nun
der eine oder andere mehr hereinkommt, ist ja gar nicht entscheidend, sondern entscheidend ist, daß jetzt tatsächlich einmal bei dieser Wahl zum Bundesparlament die politischen Kräfteverhältnisse festgestellt werden. Die Gefahr, vor der man sich jetzt immer fürchtet, daß man dadurch Splitterparteien groß werden ließe, ist ja bei diesem Wahlverfahren gar nicht gegeben. Wenn wir nämlich die Verteilung jetzt über Bundesliste vornehmen, dann können wir nur Parteien verrechnen. Eine Persönlichkeit, die sich in einem Wahlkreis beworben hat und durchgefallen ist, kommt ja gar nicht mehr zum Zuge. Es handelt sich in diesem Falle wirklich darum, einmal auch die kleineren Parteien, die echte politische Parteien sind, in diesem Bundesparlament zum Zuge kommen zu lassen. Aus diesen Gründen sollten wir nicht zu engherzig sein und auf irgendeinem Hundertsatz bestehen oder darauf, daß sie in einem Wahlkreis direkt durchgekommen sein müssen, um zur Verrechnung zu kommen. Ein solches politisches Argument sollte man doch beachten. Vors. [Dr. Diederichs]: Damit waren wir im Grunde schon fertig; wir diskutieren jetzt die Frage einer Beschränkungsklausel, die übrigens in diesem Text bis jetzt nicht drin ist, aber in meinem Text in § 13 Abs. 2 enthalten war20). Ich hatte diese Klausel dort aufgenommen in Anlehnung an die Empfehlung von Herrenchiemsee auf Seite 35 unter der Überschrift „Bundestag", wo die Frage der Wahlreform berührt wird. Dort ist die Empfehlung gegeben, von der Sie eben
18) Siehe oben S. 378 ff. 19) Nach Art. 47 Abs. 5 der vorläufigen Formulierung der Abschnitte „Bundestag" und „Bun-
desregierung" vom 7. Okt. 1948 (Anlage zum Kurzprotokoll der 11. Sitzung des Organisationsausschusses) hieß es: „Das Bundeswahlgesetz kann bestimmen, daß Parteien, die nicht einen bestimmten Hundertsatz aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen
Sitz erhalten und daß auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitentfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat". Vgl. auch die Fassung des entsprechenden Art. 45 Abs. 3 vom 10. Nov. 1948 (Drucks. Nr. 267, GG-Entwürfe, S. 23), wo ausdrücklich vermerkt wird, daß der Ausschuß Bedenken hat „gegen eine mechanische Beschränkung der Parteien [. .] und [. .] andere Möglichkeiten zur Vermeidung von Splitterparteien für besser [hält]". 20) Vgl. oben Dok. Nr. 8, Anm. 20 und TOP 4 passim. Diederichs sah insofern eine Beschränkung vor, als daß „diejenigen Wahlvorschläge, von denen in den Wahlkreisen kein direktes Mandat erzielt wurde [. .] bei der Reststimmenverwertung nicht berücksichtigt" werden sollten. Eine 5 %-Sperrklausel war dagegen nicht vorgesehen. ze
.
.
.
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sprechen, also eine Mindestprozentziffer einzuführen21). Diese Prozentziffer wollte ich vermeiden und habe deshalb diesen Passus hineingenommen. Ich erkenne Ihre Bedenken durchaus an, Frau Wessel. Von mir aus würde ich eine solche Klausel nicht unbedingt in dieses erste Wahlgesetz hineinnehmen. Wenn das spätere Parlament der Auffassung sein sollte, daß man für ein kommendes endgültiges Wahlrecht irgendeine Klausel dieser Art haben müßte, kann das Parlament sich darüber unterhalten und Beschlüsse nach der Richtung fassen. Wir schaffen hier ein Wahlrecht für das erste Bundesparlament aufgrund der vorläufigen Verfassung, die wir hier machen. Also das ist alles richtig, und es läßt sich über diese Frage sprechen. Es würde mich interessieren, ob vielleicht auch Herr Dr. Becker glaubt, daß man diesen Vorbehalt haben müsse, daß wenigstens einer durchgekommen sein muß. Wenn diese Fassung hier akzeptiert wird, haben wir durch eine Verrechnung in einem größeren Bezirk an sich die Chancen für kleinere Parteien verbessert. Ich glaube, auch für die Partei des Herrn Renner gibt es sicher Bezirke, wenn 1 Million Wähler konzentriert sind, also große Industriegebiete, wo es keine Schwierigkeiten machen dürfte, als Fünfter oder Sechster in diesem Rennen durchs Ziel zu gehen, so daß die Bedenken hinsichtlich eines Ausfallens auch da nicht so besonders groß sein dürften. Ich glaube, auch Frau Wessel ist davon überzeugt jedenfalls geht das aus privaten Unterhaltungen hervor —, daß ihre Partei in der Münstergegend, wenn wir nach diesem Verfahren über 1 Million Einwohner verrechnen, also in einem größeren Bezirk, durchaus mit einem Sitz durchkommen wird. Ich will mich keineswegs auf diese Sache festbeißen, möchte sie aber noch einmal diskutiert wissen, ob nicht damit wirklich auch den heute bestehenden kleineren Parteien weltanschaulicher Art Genüge geschieht. Frau Wessel: Für mich ist diese Frage nicht eine Frage der kleineren Parteien, sondern eine Frage der politischen Entscheidung, und ich möchte sie von dieser Seite aus gesehen haben: daß politische Entscheidungen für die Parteien, die sich zur Wahl stellen, auch wirklich möglich sind. Wenn Sie aber mit irgendwelchen Klauseln kommen, besteht eben die Gefahr, daß man etwa aus parteitaktischen Gründen sagt: Diese Parteien haben gar nicht die Möglichkeit, Der Wähzum Zuge zu kommen, deshalb dürft ihr sie gar nicht erst wählen! ler würde dann nicht aus einer politischen Entscheidung heraus so oder so wählen, sondern einfach nur aus diesen rein äußerlichen Gründen. Das ist für mich ein sehr starkes Argument. Wir wollen doch wirklich das Bundesparlament zu einem politischen Gremium machen, so daß bei dieser Wahl auch echte politische Entscheidungen für die Parteien fallen müssen. (Abg. Dr. Becker übernimmt wieder den Vorsitz.) Vors. [Dr. Becker]: Ich habe die Debatte so verstanden: Sie wünschten, daß dieser Paragraph gestrichen würde? —
—
21)
386
Verfassungsentwurfs
bestimmte: „Das Bundeswahl5 v. H. aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten und das auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat" (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 589; vgl. oben Abschnitt 2 b der Einleitung).
Art. 47 Abs. 5 des Herrenchiemseer
gesetz kann bestimmen, daß Parteien, die nicht wenigstens
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Frau Wessel: Hier ist es ja nicht drin. Vors. [Dr. Beckerl: Wir müssen das sinngemäß noch ergänzen aus dem ersten Vorschlag von Herrn Kollegen Diederichs. Also § 13 Abs. 1 würde erledigt durch den Text, den wir angenommen haben. Es geht also um § 13 Abs. 2. Wer für den Antrag von Frau Wessel auf Streichung ist, den bitte ich, die 2 Stimmen dafür. Wer ist gegen den Antrag? Hand zu erheben. Stock: Nur mit der Einschränkung, daß ich mich hier nicht festlege. Vors. [Dr. Becker]: Der Vorbehalt gilt für alle drei Alternativen, die wir ha—
ben. Stock: Dann enthalte ich mich der Stimme. Vors. [Dr. Becker]: Also mit zwei Stimmen gegen Ihre
Enthaltung
angenommen.
[2b. Ablehnung der Wahl (§ 14)] Dann kämen wir zu dem Vorschlag von Dr. Diederichs zu § 14: Lehnt ein Gewählter die Annahme des Mandats ab und scheidet er aus, tritt an seine Stelle der Bewerber mit der nächst hohen Stimmenzahl. Gemeint ist: der gleichen Liste im gleichen Wahlkreis. So ist es gemeint?
so
(Dr. Diederichs: Ja.) Vielleicht können wir es dann so formulieren: Lehnt ein auf Kreiswahlvorschlag Gewählter die Annahme des Mandates ab oder scheidet er aus durch Tod oder durch Niederlegung so tritt an seine Stelle der Bewerber mit der nächst hohen Stimmenzahl der gleichen Liste für den gleichen Wahlkreis. Scheidet ein Abgeordneter aus, der über den Bundeswahlvorschlag gewählt worden ist, so folgt ihm der in dem Wahlvorschlag nächste Anwärter. Nachwahlen in den einzelnen Wahlkreisen finden nicht statt. Stock: Es kann sein, daß bei der betreffenden Partei auf der Wahlkreisliste kein Mandat mehr ist. Dann muß das von der Bundesliste genommen werden. Das muß klar sein. Ich kann mir gut vorstellen, daß, wenn einer ausscheidet, die sechs, die aufgestellt waren, nicht genügen, und dann muß eben dieses Mandat auf Bundesliste gehen. Dr. Diederichs: Das ist richtig. Vors. [Dr. Becker]: § 14 Abs. 1 würde also lauten: Lehnt ein auf Kreiswahlvorschlag Gewählter die Annahme des Mandates ab oder scheidet er aus, so tritt an seine Stelle der Bewerber mit der nächst hohen Stimmenzahl der gleichen Liste im gleichen Wahlkreis. Ist diese Liste erschöpft, so tritt an die Stelle des Ausscheidenden der auf dem Bundeswahlvorschlag der gleichen Partei an nächster Stelle stehende Anwärter. Dann § 14 Abs. 2: Scheidet ein Abgeordneter aus, der über einen Bundeswahlvorschlag gewählt worden ist, so folgt ihm der in diesem Wahlvorschlag nächste An—
—
wärter.
Schließlich § 14 Abs.
3:
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Nachwahlen in den einzelnen Wahlkreisen finden nicht statt. wir sind uns alle darüber einig, ohne daß ich ausdrücklich abstimmen lassen müßte. Frau Wessel: Ich könnte mir den Fall vorstellen, daß wider Erwarten die meisten Mandate auf A gefallen sind und daß nun kein Mandat mehr da ist. Vielleicht sterben innerhalb von vier Jahren drei oder vier Leute; aber dann heißt es hier: Nachwahlen in den einzelnen Wahlkreisen finden nicht statt. Dr. Diederichs: Dafür kriegt sie das Mandat auf der Bundesliste; das haben wir eben in den Text aufgenommen. Stock: Das war mein Zusatzantrag. Dr. Diederichs: Das ist eben aufgenommen worden; dann bekommt die Partei den Sitz von der Bundesliste. Ich
glaube,
[3. BESPRECHUNG ENTWURF DR. BECKER (DRUCKS. NR. 197/11)1
[3a. Zahl der Abgeordneten (§ 8)] Vors. [Dr. Becker]: Die Formulierungen über die Wahlvorbereitung können wir wohl mit den anderen Vorschlägen zusammennehmen; es ist ungefähr dasselbe. Das wäre jetzt der Vorschlag des Kollegen Diederichs gewesen. Auf Wunsch von Herrn Kollegen Kroll will ich nun erst meinen Entwurf22) drannehmen, weil er bei der Behandlung seines Entwurfs zugegen sein möch-
te23).
Darf ich also bitten, meinen Entwurf zu II zur Hand zu nehmen. Er würde umfassen die §§ 8 bis einschließlich 22, wobei ich bemerken darf, daß darin auch einige Paragraphen sind, die nicht mit dem von mir vorgeschlagenen Wahlmodus in Verbindung stehen, besonders über den Zeitpunkt der Einreichung der Wahlvorschläge; das könnten wir vielleicht besonders besprechen. Also § 8. Es würde sich jetzt nur darum handeln, ob dazu, wenn man sich grundsätzlich auf den Standpunkt dieses Entwurfs stellen würde, irgendwelche Verbesserungs- oder Änderungsvorschläge zu machen wären. Das ist derselbe Grundsatz, nach dem wir eben gehandelt haben und nachher bei dem Vorschlag von Herrn Kroll auch handeln wollen. Wir waren uns darüber einig, daß die entscheidende Abstimmung darüber, welchen von den drei Vorschlägen wir wählen wollen, noch ausgesetzt wird. Stock: Wir haben aber jetzt doch diesen angenommen, haben darüber abgestimmt! Vors. [Dr. Becker]: Wir haben angenommen unter Vorbehalt der endgültigen Stellungnahme, um es nun zum dritten oder vierten Mal heute morgen zu sagen. Aber ich bin sehr dafür, daß wir im Laufe dieser Tage endgültig abstim-
men, weil auch alle werden müssen.
folgenden Paragraphen
auf den Wahlmodus
22) Siehe oben Dok. Nr. 11. 23) Kroll wohnte der CDU/CSU-Fraktionssitzung bei (siehe oben Anm. 3). 388
abgestimmt
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Dr. Diederichs: Es ist nicht so einfach mit diesen sogenannten drei Varianten, weil eine ganze Reihe von Einzelbestimmungen Bezug nehmen auf die Form, in der die Wahl durchgeführt wird. Vors. [Dr. Becker]: Ich wollte nur nicht in Abwesenheit der Herren von der CDU abstimmen lassen. Es geht also jetzt nicht darum, ob Sie dem im ganzen zustimmen oder nicht, sondern nur darum, ob, wenn zugestimmt würde, irgendwelche Änderungsoder Verbesserungsvorschläge zu machen seien. Wird das Wort gewünscht zu § 8 in meinem Entwurf? Dr. Diederichs: Sie gehen gleich in der ersten Zeile von 400 Abgeordneten aus, ohne den Osten24). Das würde also nach Auffassung unserer Fraktion ein zu großes Parlament geben. Halten Sie unbedingt an dieser Ziffer fest? Vors. [Dr. Becker]: Nein, das müssen wir entsprechend variieren. Wenn Sie auf 300 kommen, müssen wir es entsprechend ändern. Dr. Diederichs: Bei 300 würde ja auch die Zahl der Wahlkreise kleiner werden. Vors. [Dr. Becker]: Wird sonst noch das Wort gewünscht? Heiland: Gegen die Stichwahl möchte ich mich grundsätzlich erklären.
[3b. Wahlvorschläge (§§9-12)] Vors. [Dr. Becker]: Wir kommen dann zu § 9. Das ist etwas, was vielleicht allgemeinerer Natur ist: Bei den Kreiswahlleitern sind spätestens am 17. Tage vor dem Wahltag (§ 23, 102) die Kreiswahlvorschläge schriftlich einzureichen. Sie müssen von dem oder den Einreichern unter Angabe von Vor- und Zunamen, Wohnung und Geburtsdatum unterzeichnet sein. Die Unterzeichner müssen ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthaltsort in dem betreffenden Wahlkreis haben und wahlberechtigt sein. Jeder Wahlberechtigte darf nur einen
unterzeichnen. möchte ich opponieren, daß er in dem betreffenden WahlHeiland: Dagegen kreis wahlberechtigt sein muß. Es kann doch sein, daß man tatsächlich an gewissen Orten eine Konzentration von fähigen Abgeordneten hat. Vors. [Dr. Becker]: Es handelt sich nur um das Unterzeichnen! Die Andern können wohnen, wo sie wollen. Dr. Diederichs: Aber über die Zahl der Unterschriften steht hier nichts. Kommt das woanders? Vors. [Dr. Becker]: Es genügt nach meinem Vorschlag einer. Nach meiner Idee kann sich jeder selber vorschlagen. Dr. Diederichs: Sie wünschen keine weiteren Unterschriften? Es genügt eine Unterschrift, um einen Wahlvorschlag zu machen? Vors. [Dr. Becker]: Die Korrektur liegt darin, daß jeder soundso viel Beitrag zu den Wahlkosten zu zahlen hat. Früher im Kaiserreich hat sich jeder selber auf-
Kreiswahlvorschlag
24) Siehe oben Einleitung,
Anm. 105.
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stellen können25). Mein auf einen Mann. So ist Stock: Das können wir angenommen wird.
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nicht auf eine Liste, sondern einfach verstehen. stehen lassen, schon deshalb, weil es doch nicht
Vorschlag geht ja es zu
ruhig
(Heiterkeit.) Vors. [Dr. Becker]: Wir wollen es doch sagen, nachdem wir drei negative Abstimmungen haben. Es ist ja noch nicht die endgültige Abstimmung. Es kann durchaus kommen, daß vier gegen vier abgestimmt wird. Dr. Diederichs: Unbeschadet dessen, ob es angenommen würde oder nicht, Herr Dr. Becker, sollte man diese Möglichkeit doch nicht aufnehmen, daß sich
jeder ohne irgendwelche Anzahl
von Unterschriften selber präsentieren kann, auch nicht bei Einzelwahlkreisen, auch nicht, wenn sie selber glauben, daß es keine Aussicht auf Annahme hätte. Man würde doch allem möglichen Unfug Tür und Tor öffnen. Nun sagen sie, die Hinterlegung einer gewissen Summe, die er später nicht wiederbekommt, sei eine Sicherung. Aber dann erst recht ist das eine Möglichkeit, daß irgendein Verein das als Reklame benutzt. Wir müssen auch damit rechnen, daß irgendeine komische Sekte und ein Verein oder eine Firma, die sich bekannt machen wollen und heute keine Möglichkeit dazu haben, etwa durch Rundfunkreklame, das ausnutzen, indem sie sagen: Wir stellen einen Mann in einem Wahlkreis auf und machen mit ihm großen Tamtam. Das würde doch das ganze Verfahren diskreditieren. Eine Unterschrift sollte genügen, wenn sie von einer Partei geleistet wird, die einen Namen hat. Aber für Privatleute und Einzelgänger sollte man gewisse Voraussetzung erfüllen lassen. Wir verlangen von Parteien, daß sie die Aufstellung ihrer Kandidaten in Urwahlen vornehmen, daß sie für die Präsentation eine gewisse Resonanz und Qualifikation nachweisen für die Berechtigung, solche Leute aufzustellen. Ich würde es in dieser Form nicht machen; ich würde eine Mindestziffer von Unterschriften verlangen. Vors [Dr. Becker]: Das haben wir alles schon einmal durchgesprochen26). Ich darf meine Gründe nennen. Sie kennen das im Volk genährte Gerücht von der Herrschaft der Parteibürokratie. Es gibt keine bessere Widerlegung dieses Gerüchts als die Möglichkeit, daß jemand sich selber aufstellt. Dann haben Sie dieses Gerücht ad absurdum geführt. Nun sehen Sie die Gefahr von Einzelgängern oder die Möglichkeit, daß bei einer Partei auch jemand auf diese Weise vorgeschlagen werden kann. Da kann ich nur sagen: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Aber die Frage ist, wie wir das umgehen können und ob die Gefahr so groß ist. Ich sehe sie nicht als so groß an. Wenn ich auf meine Erfahrungen in der Kaiserzeit zurückblicke, so erinnere ich mich nur ein einziges Mal, daß ein Mann sich selbständig aufgestellt hatte, und es war auch das nötige Hailotria dabei. Der Mann meinte es ernsthaft; es war keine Reklame. Wenn sich nun einer aufstellen lassen will, kostet ihn die Sache auch Geld. Früher mußte er seine Stimmzettel selbst drucken, selbst verteilen lassen. Beim —
25) § 4 Wahlgesetz vom 31. Mai 1869 (BGBl. S. 145). 26) Zum Thema siehe auch oben Dok. Nr. 6, TOP 2 c. 390
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amtlichen Stimmzettel nimmt ihm das der Staat ab. Folglich kann er darüber hinaus etwas dazu bezahlen. Man kann ja im Gesetz eine gewisse Anzahl von Stimmen festlegen, die er bekommen muß. Bekommt er sie, so ist damit dargetan, daß für seine Kandidatur doch eine gewisse Stimmung vorhanden war. Dann kann man sagen: es hat im öffentlichen Interesse gelegen, daß er kandidiert hat, infolgedessen kann man die Öffentlichkeit mit den anteiligen Kosten belasten. Er muß ja sowieso für Wahlreisen, Autospesen usw. selbst noch Gelder aufbringen. Die andere Möglichkeit ist die, daß man eine gewisse Zahl von Unterschriften verlangt, wie im Entwurf der Wählergesellschaft, etwa 20 Unterschriften. Das hat folgenden Nachteil: Die Unterschriften kriegen sie mit Hilfe der Verwandtschaft, Stammtisch- und Vereinsbekanntschaften auch. Dieses Erfordernis, Unterschriften beizubringen, hindert nicht so wie eine Geldeinzahlung. Ferner können die Unterschriften ja auch bezahlt werden; es kann jemand einen Taler für jede Unterschrift geben. Weiter brauchen Sie dann von allen Unterzeichnern die Auszüge aus den Wahllisten, um darzutun, daß die Unterzeichner auch wirklich wahlberechtigt sind. Meiner Meinung nach wird der Einwand kaum einmal praktisch werden, weil ich mir nicht denken kann, daß ein Mensch allein sich endgültig aufstellen läßt. Aber es hat den propagandistischen Vorteil für uns alle, gleich welcher Partei, wenn man nicht mehr sagen kann: Die Parteibürokratie stellt die Kandidaten auf, wir werden nicht gefragt. Damit ist das klar und deutlich wider—
legt.
Ich würde sagen, daß § 9 gegebenenfalls auch in Ihren Entwurf oder in den Entwurf von Herrn Kroll mit entsprechenden Änderungen hineingenommen werden könnte. Abs. 2 natürlich nicht, weil da von zwei Wahlgängen die Rede ist. Wir könnten dann weitergehen zu § 10, die Regelung über die Bewerber. Diesen § 10 müssen wir variieren. Die Bestimmung, daß jeder Wahlvorschlag nicht über sechs Bewerber enthalten darf, müßten wir entsprechend ändern. Hier steht auch ausdrücklich drin, Herr Heiland, daß der Bewerber auch außerhalb des Wahlkreises wohnen kann. Wegen der Parteibezeichnung habe ich überlegt, wie man das am besten macht. Zunächst muß man von dem Betreffenden eine Zustimmungserklärung verlangen, worin er sagt: Ich stimme zu, daß ich für die und die Partei kandiMan muß auch von der Parteileitung eine Zustimmung haben, oder diere. sie muß wenigstens unterschreiben. Nehmen Sie etwa an, in einem Bezirk würde sich eine Partei spalten. Dr. Diederichs: Das ist auf jeden Fall richtig, daß er die Erlaubnis haben muß. Vor allen Dingen, wenn die Aufstellung so erleichtert ist, muß man das verlangen, sonst kommt irgendein Wildgewordener und sagt: „Ich kandidiere für die und die Partei, und die wollen, daß ich mich jetzt aufstellen lasse." Da bin ich durchaus Ihrer Auffassung. Renner: Wenn man das Prinzip anerkennt, sollte man es logischerweise dabei belassen, daß es genügt, wenn eine anerkannte Partei einen Kreiswahlvorschlag macht. Man sollte auch nicht fürchten, daß nun die Parteien aus eigener —
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Machtfülle heraus Kandidaten aufstellen. Diese Aufstellung ist ja von der Zustimmung der Parteimitglieder abhängig. Warum also die Vorschrift, daß von einer Partei eingereichte Vorschläge noch mit soundso viel Unterschriften von Wahlberechtigten versehen sein müssen? Da haben Sie gesagt, das müsse man tun, um das Gerede von der Herrschaft von der Parteibürokratie zu vermeiden. Vors. [Dr. Becker]: Ja, die Behauptung, daß die keinen andern hochkommen lassen.
Renner: Aber das ist ein gewisser Widerspruch. Vors. [Dr. Becker]: Nein. Aber es können doch nicht einfach zehn Mann kommen und sagen: „Wir alle kandidieren für die KPD". Renner: Ich bin durchaus dafür, daß eine anerkannte Partei ihre Wahlvorschläge ohne Unterschriften einreichen kann. Vors. [Dr. Becker]: Aber eine Unterschrift muß doch wohl darunter stehen, auch wenn es eine Partei ist. Es steht ja drin: eine oder mehrere Unterschriften.
Renner: Es wird doch aber erwogen,
es von der Einreichung der Unterschriften machen?! abhängig Dr. Diederichs: Daran sind wir schon vorbei! Vors. [Dr. Becker]: Wird zu dem Paragraphen in der vorliegenden Fassung noch das Wort gewünscht? Wir gehen das jetzt nur durch, damit wir sehen, was wir evtl. bei späteren Wahlvorschlägen mitverwenden können. Dr. Diederichs: Hat es eine besondere Bewandtnis, wenn Sie einem Bewerber das Auftreten in zwei Wahlkreisen gestatten? Welche Konsequenzen hat das? Vors. [Dr. Becker]: Eine Persönlichkeit, die man sicher durchhaben will, kann z. B. in zwei Nachbarkreisen auftreten, wenn sie in beiden bekannt ist. Dr. Diederichs: Werden die Stimmen kombiniert? Er kann doch auch in zwei Kreisen durchfallen. Vors. [Dr. Becker]: Er kann in zwei Wahlkreisen durchfallen oder kann in zwei Wahlkreisen gewählt werden; dann muß er ein Mandat niederlegen. Lobe: Haben wir überhaupt eine Vorschrift, daß jemand nicht öfter aufgestellt werden kann? Es hatte sich doch eingebürgert, daß gewisse Parteinamen in jedem Wahlvorschlag wiederkehrten oder wenigstens in drei oder vier Wahlkreisen, so daß der Mann dreimal verzichten mußte, wenn er viermal gewählt wurde. Bisher war das statthaft. Dr. Diederichs: Das ist bisher nirgends ausgeschlossen. Lobe: Dann braucht man aber die Nachbarwahlkreise nicht aufzuführen. Dr. Diederichs: Hier ist die Zahl auf zwei beschränkt. Vors. [Dr. Becker]: Wir hatten in einer der ersten Sitzungen besprochen, er dürfe nur in einem einzigen Wahlkreis und auf der Bundesliste kandidieren27). Das tritt auch in einem Entwurf hervor, der uns von der Wählergesellschaft eingezu
—
—
—
27) Siehe oben Dok. 392
Nr. 6, TOP 2
e.
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schickt wurde28). Deshalb trage ich mich mit dem Gedanken, daß man es in zwei Kreisen gestatten müßte. Ich erkenne auch an, wie Herr Löbe, daß man ihn sogar mehrfach kandidieren lassen sollte. Löbe: Ich weiß, daß Thälmann29) auf verschiedenen Listen kandidierte, und Otto Braun30) gleichzeitig in Königsberg und Düsseldorf. Das würde jetzt nicht mehr möglich sein, sondern nur in Nachbarwahlkreisen. Vors. [Dr. Becker]: Von „Nachbar"-Wahlkreisen steht nichts drin. Das habe ich
eben nur einmal zur Erläuterung gesagt. Ich bin also durchaus der Meinung, wir können sagen: er kann in mehreren aufgestellt werden. Wenn wir also statt „zwei" in „mehreren" sagen wollen, ist mir das durchaus recht. Wir kämen dann zu §11. Das ist der Niederschlag dessen, was jetzt in der amerikanischen Zone schon ungefähr rechtens ist. Es scheint mir wichtig zu sein, das vielleicht einmal auch in einem Wahlgesetz niederzulegen, um wieder diesen Redensarten entgegenzutreten, daß die Parteibürokraten die Listen hinter verschlossenen Türen fertigmachen. Bei uns in der amerikanischen Zone wird das, wie es hier im § 11 vorgeschlagen ist, absolut verlangt31): wir müssen eine derartige Versammlung einberufen; es wird ein Protokoll geführt und es wird mit Stimmzetteln geheim abgestimmt; dann wird schließlich die Versicherung abgegeben, daß so verfahren worden ist. Es wird abgestimmt über die Namen derjenigen, die auf die Liste kommen, ebenso über die Reihenfolge ; die Reihenfolge ergibt sich aus der Zahl der Stimmen. Dr. Diederichs: Wenn der Mann das Verfahren unter § 10 anwendet, kann er diesen § 11 restlos umgehen. Er präsentiert sich selber mit seiner Unterschrift oder der Unterschrift eines andern, braucht keine weiteren Unterschriften. Er gibt nur an, daß er zu der und der Partei gehört, und die bescheinigt ihm das. Dann kann er das ganze Verfahren sparen, tritt mit Genehmigung der Partei als Parteimann auf. Aber kein Mensch braucht sich diesem Verfahren nach § 11 zu unterziehen, weil er sich eben selber präsentiert hat und die Partei sich damit einverstanden erklärt. Vors. [Dr. Becker]: Dann ist er aber Außenstehender, und die Partei wird niemals einen Außenstehenden legitimieren. Dr. Diederichs: Wieso ist er Außenstehender? Vors. [Dr. Becker]: Die Partei wird immer Wert darauf legen, daß er in einem offiziellen Vorschlag aufgestellt wird. Dr. Diederichs: Es steht hier: Tritt er für eine Partei auf, so ist von ihm die Bezeichnung seiner Partei, und es ist die schriftliche Zustimmung dieser Partei beizufügen. 7 Abs. 2 des DWG-Entwurfs: „Ein Bewerber darf nur in einem Wahlkreis und nur in einem Wahlvorschlag benannt werden." (Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 125). Ernst Thälmann (16. April 1886-28. Aug. 1944), seit 1924 MdR und Vorsitzender der KPD, kandidierte bei den Reichspräsidentschaftswahlen in den Jahren 1925 und 1932. Er wurde nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im März 1933 verhaftet und bis zu seiner Ermordung im KZ Buchenwald gefangengehalten. Siehe oben Dok. Nr. 6, Anm. 67. Für Hessen: §14 Abs. 4 des hessischen Wahlgesetzes vom 31. Okt. 1946 (GVOB1. Nr. 26/27, S. 177).
28) § 29)
30) 31)
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Die Partei sagt also: Wir wollen den Mann aufstellen. Sie sagen sich: wir wollen dieses umständliche Verfahren nach § 11 sparen. Der Mann präsentiert sich selber, die Partei gibt ihm die Genehmigung, daß er für sie auftritt. Dann haben sie dasselbe erreicht. Ich glaube also: wenn wir auf der einen Seite um der Publizität willen Einzelkandidaten gestatten, ohne Unterschriften zu kandidieren, dann könnte dieser § 11 fehlen; denn wenn er sich selber aufstellt und bringt die Genehmigung der Partei bei, unter ihrer Firma zu kandidieren, so wäre die Sache in Ordnung. Vors. [Dr. Becker]: Wenn die Parteien nominieren, sind wir in der amerikanischen Zone gezwungen, ein derartiges Protokoll aufzustellen. Dr. Diederichs: Die Partei würde aber dieses Verfahren in keinem Falle wählen, wenn sie weiß, daß er sich selber präsentieren kann. Frau Wessel: Mir scheint in § 11 ein Widerspruch auch zu § 9 enthalten zu sein. Wenn sich jemand als Einzelpersönlichkeit nominieren lassen kann, braucht er den ganzen § 11 nicht. Sie fügen diesen § 11 ja nur für die Vorschläge ein, bei denen es sich um Parteimitglieder handelt. Das, was Sie weiter fordern, daß nämlich der Bewerber in einer gehörig bekanntgegebenen, allen Mitgliedern des betreffenden Parteiverbandes zugänglich gewesenen Versammlung gewählt ist, ist technisch gar nicht möglich. Sie können zur Aufstellung der Kandidaten nicht alle eingeschriebenen Mitglieder zusammenbekommen. Dann kriegen Sie Massenversammlungen, die gar nicht zu fassen sind. Das ist also für meine Begriffe zu unklar. Vors. [Dr. Becker]: Verzeihung, das geschieht doch folgendermaßen: Sie haben unten die Ortsgruppen und darüber die Wahlkreisverbände. Die Ortsgruppen fangen an, sich mit der Kandidatenaufstellung zu beschäftigen. Sie stimmen geheim ab, entweder über den Kandidaten, oder sie wählen einen Delegierten, der eine gewisse Marschroute mitbekommt. Dann treten die Delegierten im Wahlkreis zusammen, und wenn sie alle da sind, wird wieder geheim abge—
stimmt. Frau Wessel: Nehmen Sie an, dieser eine Delegierte geht mit einer bestimmten Marschroute hin. Nun kommt aber in dieser Versammlung ein ganz anderer Kandidat in Frage. Sind die Delegierten dann an die Abstimmung ihrer Mitglieder gebunden, oder haben sie auch die Möglichkeit, jemand anderen zu wäh-
len?
Vors. [Dr. Becker]: Dann muß se
Möglichkeit geben lassen,
er
sich selbstverständlich
von
der
Ortsgruppe die-
in freier Wahl abzustimmen.
Dr. Diederichs: Dem wild Kandidierenden wird es denkbar leicht gemacht zu im kandidieren. Sobald aber eine Partei Vorschläge macht, werden hier alle möglichen Kautelen vorgeschrieben. Bei uns Wahlgesetz, wohlbemerkt ist es üblich, daß der Delegierte im Ortsverein gewählt wird. Das geht dann über zum Kreisverein und von da zur nächsten Instanz, und da werden in geheimer Abstimmung die Kandidaten präsentiert. Aber das sollte man eine interne Angelegenheit der Partei sein lassen, in welcher Weise sie das macht. Wenn sie sich dabei dem Vorwurf aussetzt, sie mache das diktatorisch, dann ist das ihre Sache. Aber hiernach haben die Leute —
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ja die Möglichkeit, das zu umgehen. Sie argumentieren: Du sollst gewählt werden; wir haben sonst so viel Schreiberei, gehe hin und präsentiere dich selber, wir geben dir einen Schein mit, daß du für
uns auftrittst. So könAlso sollte man es den Parteien bei der Aufstellung von Kandidaten nicht schwerer machen, als es praktisch jeder andere Staatsbürger hat. Vors. [Dr. Becker]: Ich weiß nicht, welcher der Kollegen aus der amerikanischen Zone ist, aber Sie werden mir bestätigen, daß der Amerikaner das so
nen
sie das alles
umgehen.
—
verlangt.
Stock: Nur haben wir auch den anderen Modus nicht, den Sie in § 9 haben; den gibt es in der amerikanischen Zone auch nicht. Vors. [Dr. Becker]: Nein, weil wir bisher noch kein Einzelwahlkreisrecht haben. Dr. Diederichs: Die Engländer sind sehr dafür, daß der Einzelne sich durchaus präsentieren kann. Aber meiner Meinung nach geht das mit den beglaubigten Abschriften viel zu weit. Man sollte es genügen lassen, wenn die Partei die Erklärung abgibt, sie sei einverstanden, daß der Mann für sie kandidiert. Stock: Sie schaffen in Ihrem Vorschlag zweierlei Recht. Derjenige, der für sich selber auftritt, braucht gar nichts; er läßt sich aufstellen, und die Sache ist erledigt. Derjenige aber, der von der Partei aufgestellt ist, bekommt kolossale
Schwierigkeiten gemacht.
Vors. [Dr. Becker]: Die Scherereien haben wir in der amerikanischen Zone
praktisch überwunden. Renner: Ich kenne kein Parteistatut, in dem irgendwie festgelegt ist, wie Kandidaten für ein Parlament aufgestellt werden. Ich weiß aber aus jahrzehntelanger Praxis, wie schwierig es im Endeffekt ist, eine Einigung innerhalb der Partei herbeizuführen. Um keine Frage wird heißer gekämpft als um die Aufstellung von Kandidaten. Sie wollen diese Möglichkeit in der Verfassung verankert sehen. Welche Möglichkeiten eröffnen Sie damit gewissen Parteien, die Rechtmäßigkeit der Aufstellung von Kandidaten durch schikanöse Geschichtchen anzuzweifeln? Wer soll denn all das überprüfen? (Dr. Becker: Der Wahlausschuß!) Das öffnet der Schikane untereinander Tür und Tor. Es braucht nur einer zu behaupten: der Kandidat X ist nicht in der richtigen Weise aufgestellt worden und gewählt, und schon muß der ganze Apparat in Bewegung gesetzt werden. Vors. [Dr. Becker]: Dann lassen Sie es doch weg. Es ist nicht so, daß dieser Entwurf mit dem Paragraphen steht und fällt. Sie kriegen dann nur in der amerikanischen Zone die Schwierigkeiten. Renner: Wenn wir sagen, daß der Kandidat in einer Form aufgestellt werden muß, die es allen Mitgliedern erlaubt, bei der Aufstellung mitzuwirken, genügt das vollkommen. Ob nun erst die Ortsgruppen oder erst die Zellen und dann die Kreise es machen, ob man also oben oder unten anfängt wir zum Beispiel haben einen anderen Aufbau als andere Parteien —, das sollte man vollkommen offenlassen. Vors. [Dr. Becker]: Vielleicht erinnern sich die Herren der langen Debatte von —
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Primärwahlen32). Wir hatten Sachverhören wollen und hatten den Kollegen Wagner gebeten, der darüber ständige aus durchaus anerkennenswerten Gründen absagen mußte33). Wir haben uns dann unter der Hand erkundigt, haben auch Herrn Luther nach diesem Punkt befragt34), weil diese Frage eine große Rolle spielt, wie die Kandidaten aufgestellt werden sollen, und weil in der Öffentlichkeit dieses Gerede davon ist, daß die Parteien das hinter verschlossenen Türen machen. Es wird gesagt: Wir werden gezwungen, diese oder jene Leute zu wählen, die wir gar nicht wollen. Deshalb schien es mir richtig, das, was in der amerikanischen Zone ohnehin eingehalten werden muß, hier auch in einem Paragraphen zu formulievor
vier Wochen über die amerikanischen
—
ren.
Heiland: Wenn in der Öffentlichkeit gesagt wird, daß die Parteien das hinter verschlossenen Türen machen, so trifft das doch nur auf die Leute zu, die sich an sich nicht zu einer Partei durchringen können. Die müssen das dann schon in Kauf nehmen. Wer sich nicht verantwortlich politisch betätigen will, muß sich damit abfinden, daß er an der Auswahl der Kandidaten, die im politischen Leben Entscheidungen treffen sollen, nicht teilhaben kann. Das muß er bei seiner Feigheit schon auf sich nehmen. Im übrigen ist es doch bei den Parteien so, daß die Demokratie nicht im Staatsleben anfängt, sondern in den Parteien selbst. Da ist es ganz selbstverständlich, daß aktive Mitglieder etwas mehr Einfluß bekommen als die Schlafmützen. Das ist auch in Ordnung, denn die Aktiven tragen ja mehr oder weniger die Verantwortung für das Parteileben. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber daß man das noch besonders in Paragraphen gießt, halte ich auch nicht für nötig. Vors. [Dr. Becker]: Also Sie sind dafür, den § 11 zu streichen. Darf ich annehDann würde § 11 gestrichen. Machen müsmen, daß das die Mehrheit ist? sen wir es in der amerikanischen Zone doch. Heiland: Die amerikanische Militärregierung wird sich, wenn wir jetzt etwas auf Dreizonenbasis schaffen, damit abfinden, daß nicht jede Militärregierung wieder ihre eigenen Vorschriften in dieses Wahlgesetz hineinbringen kann, sondern daß auch da eine Koordinierung erfolgt. Da wird auch die amerikanische Militärregierung auf einige Dinge verzichten müssen, die jetzt bei ihr gang und gäbe sind. Vors. [Dr. Becker]: Wir wollen ja hoffen, daß das alles bald anders wird. Wir kommen dann zu § 12. Das ist dieser Vorschlag mit dem Kostenbeitrag, der das Gegengewicht dagegen sein soll, daß jeder sich aufstellen läßt. Stock: Sagen Sie 4000, —. 400, Mark zahlt jeder, wenn er Interesse hat, in einem Bezirk von 1,25 Millionen Einwohnern zu kandidieren. Vors. [Dr. Becker]: Sagen Sie 500,— oder 1000, das ist mir auch egal. Stock: Ich halte die ganze Sache nicht für richtig. Was sind 400, Mark für einen großen Betrieb? —
—
,
—
—
32) Siehe oben S. 29. 33) Siehe oben S. 206. 34) Siehe oben S. 195. 396
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Vors. [Dr. Becker]: Ich habe 400, gewählt, weil es bei der Aussprache, die wir vor Wochen hatten, geheißen hat, das andere sei zu plutokratisch35). Renner: Das gilt für jeden Bewerber, auch für den von den Parteien aufgestellten? Vors. [Dr. Becker]: Natürlich. Ich sage, es gilt für jeden. Renner: Dann ist es wirklich eine plutokratische Angelegenheit. Vors. [Dr. Becker]: Keineswegs. Die Wahl kostet mehr als die 400,— Mark, die —
hinterlegt
werden.
Renner: Wer kann sich das erlauben? Nur Parteien, die viel Geld haben, und ich habe den Eindruck, daß gewisse Parteien nach der Währungsreform nicht gerade in Geld schwimmen.
Stock: Ich hatte geglaubt, das gelte nur für denjenigen, der sich allein präsentiert, nicht für jeden Kandidaten. Frau Wessel: Ist das für jeden Kandidaten? Vors. [Dr. Becker]: Für jeden Kreiswahlvorschlag. Dr. Diederichs: Es steht nur einer drauf, also kann es nur für den Wahlvorschlag gelten. Wenn fünf Parteien präsentieren, würden praktisch 2000,— Mark eingehen, von denen dann 1600,— Mark zurückgezahlt werden, weil die vier alle über 5% haben. Die beiden letzten beißen die Hunde, für die sind 800,— Mark weg. Für die Staatskasse bedeutet das keine große Erleichterung, und auf der anderen Seite sieht es etwas bissig aus. Stock: Wenn es auch für die Parteien gilt, bin ich nicht dafür. Ich meinte, man sollte es dem Einzelgänger erschweren. Vors [Dr. Becker]: Früher mußten die Leute ihre Stimmzettel selbst bezahlen und verteilen. Man hat dann den amtlichen Stimmzettel eingeführt mit Rücksicht darauf, daß Bürgermeister in kleinen Orten es etwa verhindern, daß Stimmzettel von dieser oder jener Partei dort hinkommen. Deshalb hat man den amtlichen Stimmzettel eingeführt. Wenn jeder seine Wahl nur auf dem amtlichen Stimmzettel betreiben kann, ob nun auf den Namen Schulze oder Partei Schulze, dann mag er auch einen gewissen Beitrag zu den öffentlichen Kosten zahlen. Frau Wessel: Mir scheint das doch nicht gerecht zu sein. Wenn jetzt der Kandidat oder die Partei diese 400, Mark aufbringen müssen, besteht doch die Gefahr, daß der Einfluß der Partei noch größer wird als früher. Dann werden die Parteien den Mann nehmen, von dem sie annehmen, er kann die 400,— Mark und noch mehr bezahlen. Diejenigen, die es nicht können, fallen im Interesse gewisser Parteien von vornherein aus. Also das sieht wirklich plutokratisch aus. Vors. [Dr. Becker]: Kostet denn Ihre Wahl in einem einzelnen Wahlkreis wirklich nur 400,— Mark, oder kommen nicht doch noch eine oder mehrere Nullen daran? Wenn die Wahl eines Kandidaten davon abhängt, ob noch 400,— Mark mehr oder weniger in die Wahlkasse kommen, spielt das doch meiner Meinung nach keine Rolle. —
35} Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP
6.
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Frau Wessel: Aber Sie
gehen davon aus, daß das Geld der einzelnen Kandidairgendwie zu den Wahlkosten beitragen soll. Es geht also an den Staat. Nun kriegt erstens einmal der Staat gar nicht so viel, weil es nur eine bestimmten
te Anzahl
von Kandidaten sein wird. Zweitens soll doch die Wahl für das ganVolk sein und aus allgemeinen Steuermitteln getragen werden. Lobe: Das Ziel, das wir erreichen wollen, ist sicher gerecht, das Mittel ist odiös und vielen Mißverständnissen ausgesetzt. Es kommt natürlich im Grunde gar nicht darauf an, daß die dem Staat erwachsenen Kosten ihm dadurch ganz oder teilweise wieder zugeführt werden sollen. Das ist eine Nebenerscheinung. Nur allein ihretwegen würden wir die Bestimmung wahrscheinlich nicht treffen. Es kam uns darauf an, ein Abschreckungsmittel für die Leute einzuführen, die die leichte Möglichkeit, die ihnen die Wahlordnung bietet, dazu ausnutzen, ihre Sonderwünsche und Sondereitelkeiten zu befriedigen. Wir haben dabei gar nicht an die Parteien gedacht, wo das ganze ein normaler Vorgang ist dazu sind sie ja überhaupt da —, sondern wir hatten an Kandidaten der Hebammen, Volkswagen, Astrologen usw. gedacht, wie sie in der letzten Zeit der Weimarer Republik in 38 verschiedenen Listen in einem Wahlkreis aufgetaucht sind. Könnten wir also dieses Ziel auf anderem Wege erreichen, dann würde ich auf diesen Kostenbeitrag am liebsten verzichten, denn er hat in den Augen des Ununterrichteten ein klein bißchen einen plutokratischen Charakter, als würde die Berechtigung gegen 400,— oder 1000,— Mark verkauft. Wir wissen, wie es zusammenhängt, aber einer üblen Auslegung draußen würde doch mancher zum Opfer fallen. Könnten wir also zum Beispiel dadurch, daß wir Kandidaten, die keiner Partei zugehören, die als Einzelkandidaten auftreten, an das Erfordernis der Einreichung einer großen Zahl von Unterschriften binden, und könnten wir dadurch dasselbe Ziel erreichen, dann würde ich von diesem Kostenbeitrag absehen. dieser Einwand wird mit Recht erhoben durch Allerdings gefährden wir diese Unterschriften ein klein bißchen die Geheimhaltung der Wahl, denn jeder, der unterschreiben will oder muß, gibt damit der Öffentlichkeit seine politische Stellungnahme bekannt. Ich muß offen sagen, ich bin mir deswegen noch unschlüssig. Wir werden diese Frage wohl einmal in den Fraktionen erörtern müssen. Ich will aber ihre Erledigung hier nicht aufhalten. Wir können trotzdem einen Beschluß fassen und ihn den Fraktionen unterbreiten. Vors. [Dr. Becker]: Man kann es auch zurückstellen. Lobe: Davon bin ich kein Freund. Es wird eins nach dem andern zurückgestellt, und wir kommen zu nichts. Dr. Diederichs: Ich möchte zu einem gewissen Grade das unterstreichen, was Herr Löbe sagte. Um dieser lächerlichen Summe wegen das kann man im machen Zusammenhang mit dem gesamten Wahlkostenbetrag wohl sagen wir hier einen großen Aufwand an Verteidigungsreden, einen Aufwand, der an sich in keinem Verhältnis zum Endeffekt steht, den die Sache hat. Wir tun das leider Gottes zu häufig, daß wir uns wegen kleiner Fragen selber in die Verteidigung hineinmanöverieren und einen ungeheuren Aufwand an Gehirnschmalz und allem möglichen aufbringen, nur um eine Sache zu verteidigen, die sich wirklich nicht lohnt. Ich glaube, wir sollten auf die 400,— Mark kurzerhand ze
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—
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398
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verzichten. Dann kommen wir auch darum herum, das in den Fraktionen noch hin- und herzuwälzen. Ich stelle also den Antrag, daß wir diese Sache fallenlassen. Sie ist nicht entscheidend. Wir haben uns vorher zum Prinzip der Erleichterung der Kandidatur bekannt. Wir gestatten jedem, mit einer Unterschrift sich selber zu präsentieren. Da wollen wir doch nicht versuchen, mit dieser kleinen und für manche Seiten unbedeutenden Summe wieder Erschwerungen hineinzubringen. Vors [Dr. Becker]: Wir haben diese Debatte schon einmal vor vier Wochen gehabt36). Da waren wir zu dem Ergebnis gekommen, daß das, wenn man es ohne Kautelen ließe, eine wunderbare Reklame für soundso viel Firmen sein könnte. Da hatten wir erwogen: entweder Kostenbeitrag oder soundso viel Unterschriften. Hinsichtlich der Unterschriften taucht das Bedenken auf, das eben Herr Löbe angeführt hat: die mangelnde Geheimhaltung der künftigen Abstimmung. Es tauchte auch die andere Erwägung auf und wurde durch Angabe von Beispielen gestützt, daß nämlich durch Fälschung von Unterschriften auch Mißbrauch getrieben werden könne. Dann tauchen weitere Variationen auf: man sollte beglaubigte Unterschriften verlangen. Wenn man dann soundso viel Unterschriften für je 2,— Mark beglaubigen läßt, wird aber die Sache noch teurer. Außerdem müssen sie für jede Unterschrift noch einen Auszug aus der Wahlliste haben als Beleg dafür, daß der Betreffende auch wahlberechtigt ist. Löbe: Das Äußerste, was man tun könnte, wäre folgendes: Wer auf dem amtlichen Vorschlagszettel vermerkt sein will, muß durch Unterschriften nachweisen, daß seine Kandidatur gewünscht wird. Da gibt es natürlich Mißbräuche: man kann Stimmen kaufen, man kann Unterschriften fälschen. Aber das wird doch immer die Ausnahme bleiben. Der Kandidat hatte ja bisher auch immer gewisse Anforderungen zu erfüllen. Der Wahlvorsteher kann in der amtlichen Wählerliste, die ihm zur Verfügung steht, nachsehen, ob die Leute drinstehen. Wenn sie drinstehen, wird die Unterschrift anerkannt. So war es bisher. Das würde wahrscheinlich auch jetzt der verhältnismäßig leichteste Weg sein. Wir können das als Begründung dafür anführen: wenn einer auf den amtlichen Stimmzettel kommen will, dann muß er einsehen, daß eine Bedingung eingeführt wird. Vors. [Dr. Becker]: Ich bitte zu bedenken: bei großen Wahlkreisen ist es natürlich schwierig, diese Wählerlisten alle einzusehen. Oder man muß die Unterschriften schon aus demselben Ort nehmen. Löbe: Nur der Wahlvorsteher sieht nach. Der Kandidat sammelt die Unterschriften und reicht sie ein. Der Wahlkommissar, oder wie er nun genannt wird, hat die Wählerlisten zur Verfügung. Er sieht nach, ob der Mann drinsteht oder nicht. Der Name dessen, der nicht drinsteht, wird gestrichen. Wenn trotzdem noch 2000 übrig bleiben, dann hat er ein Recht, aufgestellt zu werden. Maier: Wir haben dieses System bei uns in Südbaden bei den Wahlen zur Gemeinde gehabt37), und es hat sich durchaus bewährt. Für die freien Listen muß-
36) Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 7. 37) Bei den Gemeindewahlen in Baden vom
15.
und 29.
Sept. 1946. Zur gesetzlichen Grund399
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Zwölfte Sitzung 28. Oktober
1948
ten 200 Unterschriften unter den Wahlvorschlägen stehen. Es hat kein Mensch Anstoß daran genommen, daß etwa dadurch das Wahlgeheimnis verletzt würde. Frau Wessel: Ich bin dafür, eine solche Beschränkung einzufügen. Bei den Parteien ist es nicht nötig; aber wenn ein Einzelkandidat auftritt, dann sehe ich keine Gefahr darin, daß nun gewisse Leute gezwungen werden, sich zu diesem Einzelkandidaten zu bekennen, indem sie ihre Unterschrift geben. Das ist doch keine Verletzung des Wahlgeheimnisses. Dr. Diederichs: Praktisch wird das Wahlgeheimnis ja von jedem durchbrochen, der sich offen zu einer Partei bekennt. Der Prozentsatz derer, die einer Partei angehören, und trotzdem anders wählen, ist verhältnismäßig klein. Renner: Nach dieser Aufklärung, daß sich das nur auf Einzelgänger beziehen soll, verzichte ich auf weitere Ausführungen. Vors. [Dr. Becker]: Wenn wir die Einrichtung der amtlich zugelassenen Parteien nicht mehr haben, wenn also das Besatzungsstatut etwas Derartiges bringt, daß jeder eine Partei aufmachen kann, wie er will, können fünf Mann kommen und Dann setzen sie einen Stempel darunter sagen: Wir sind die und die Partei. und reichen die Liste ein. Renner: Bei den letzten Kommunalwahlen war es meiner Partei und auch der SPD in gewissen Gebieten Ost- und Südostwestfalens schwer, die notwendigen Unterschriften beizubringen, die bei uns vorgesehen sind. Das wird jetzt dadurch gemildert, daß jetzt die Wahlkreise größer werden. Lobe: Parteien sollen ja gar nicht darunter fallen. Renner: Nach dem, was hier gesagt ist, könnte das aber so sein. Vors. [Dr. Becker]: Die Frage der Zulassung kann doch jetzt außer Acht bleiben, wenn das Besatzungsstatut sagt: Ihr seid jetzt in der Bildung der Parteien völlig frei. Maier: Wir haben in unserem Wahlgesetz einen Passus, wonach Parteien 5000 Mitglieder nachweisen müssen38). Der Nachweis gilt als erbracht, wenn eine Partei durch ihr Sekretariat ihre Mitgliederzahl bei der Militärregierung gemeldet hat. Renner: Die Militärregierung spielt ja dann nicht mehr mit! Maier: Man muß es davon abhängig machen, daß eine Partei bei einer Wahl eine Mindestzahl von Stimmen erreicht hat. Stock: Wir machen doch das Wahlgesetz nur für eine Wahl, und da ist das Besatzungsstatut noch nicht in Geltung. Vors. [Dr. Becker]: Ich rechne da auch mit dem Trägheitsgesetz. Wird sonst noch das Wort gewünscht? Nein. Wir stimmen dann ab über das war wohl die Mehrzahl, nehme ich an —, §12. Wer für Streichung ist —
—
—
läge siehe
Franz. MR-VO Nr. 50
(Amtsbl. Nr. 12, S. 72).
vom
38) Ein solcher Passus läßt sich weder
5.
Aug.
1946 über die
Gemeindewahlen in Baden
in alten noch in neuen Landtagswahlgesetzen nachweisen. Die badische Landesverfassung hielt dazu fest: „Ein Wahlvorschlag für den Landtag kann nur von einer politischen Partei eingereicht werden, die mindestens 30 000 wahlberechtigte Befürworter nachweisen kann" (Reg. Bl. 1947, S. 139).
400
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den bitte ich, die Hand zu erheben. Also mit 5 Stimmen gegen 1 gestrichen. § 13 fällt hierbei aus, weil das nicht generell verwendet werden kann. Es ist die Frage der Nachwahl. Da brauchen wir uns auch nicht weiter den Kopf zu zerbrechen39). § 14. —
—
Überprüfung der Wahlkreise alle Fälle eine Überprüfung der
[3c.
(§ 15)]
Wahlkreise vorgesehen40). Da war für § 15. Das ist wohl nicht aktuell. Frau Wessel: Es ist auch überflüssig, weil es nur für diese erste Wahl ist. Vors. [Dr. Becker]: Es gibt Leute, die meinen, sie machten die jetzige Verfassung nur provisorisch, und stehen dabei dem echten deutschen Interesse sehr im Licht. Je mehr wir an deutschen Rechten hineinschreiben, um so weniger wird uns im Besatzungsstatut gestrichen. Heiland: Ich möchte annehmen, daß wir § 15 aus grundsätzlichen Erwägungen, also auf jeden Fall gestrichen haben. Wir machen doch das Wahlgesetz nur für den einen Fall der Wahl des ersten Bundestages. Stock: Er ist ja schon gestrichen. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe das nur hineingeschrieben, um dem Einwand zu —
widersprechen, daß die Wahlbezirke ewig feststünden. Dr. Diederichs: Dies wird doch ein Anhang zum Wahlgesetz, fällt nicht unter die Verfassungsbestimmungen, kann also jederzeit durch einfaches Gesetz geän-
dert werden. Insofern ist es nicht sehr wesentlich. Es kann also ohne weiteres es wird höchste Zeit, daß die Wahlkreise überprüft werDann kann das jederzeit geschehen. den. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe manches nur hineingeschrieben mit Rücksicht auf die Agitation der Wählergesellschaft, das sage ich ganz offen. Ich wollte mit dieser Bestimmung die Möglichkeit schaffen, ihnen zu sagen: Eure Agitation trifft uns nicht. Frau Wessel: Nehmen Sie an, es würde eine Zusammenlegung der Länder erfolgen. Dann würde § 15 erst nach 20 Jahren wirksam sein können. Vors. [Dr. Becker]: Das steht nun doch nicht drin. Soviel Unlogik bitte ich mir nicht zuzutrauen. Wenn eine Änderung von Ländern kommt, ist es selbstverständlich, daß sich alles automatisch mitregelt. Frau Wessel: Sie sagen aber: „In jedem zwanzigsten Jahre, erstmals im Jahre 1970, findet eine Überprüfung und notfalls Änderung der Wahlkreise innerhalb eines Landes statt". Vors. [Dr. Becker]: Natürlich falls die bestehen bleiben. Das ist doch selbstverständlich!
jemand beantragen: —
39)
Verteilung der Wahlkreise auf die einzelnen Länder. Diese Frage war bereits mit Besprechung des Diederichsschen Entwurfs behandelt worden (siehe oben Dok.
D. h.
der
Nr. 13, TOP 1 b). 40) Siehe oben Dok. Nr. 11.
401
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[3d. Wahl nach Verhältniswahlrecht (§ 16)] § 16. Das
war
diese andere Vorschrift hinsichtlich des Wahlrechts. Wird dazu
das Wort wenn
gewünscht? Wir besprechen das also unter dem Gesichtspunkt, ob, man sich überhaupt auf den Boden dieser Vorlage stellt, noch etwas zu
verbessern oder zu ändern wäre. ich weiß nicht, ob in Dr. Diederichs: Soweit mir erinnerlich ist, sollte doch diesem Paragraphen die Verrechnung des Verhältnisanteils auf die Gesamtstimmen erfolgen ohne Rücksicht auf die schon Gewählten. Das würde also bedeuten, daß die, die schon unmittelbar ihre Abgeordneten gewählt haben, ihre Stimmen zur zweiten Wahl verrechnet bekommen. Das ist doch eine ausgesprochene Bevorzugung der Starken. Vors. [Dr. Becker]: Darüber bin ich mir vollkommen klar. Es deckt sich mit dem Vorschlag, den Professor Jellinek nachträglich zu unseren Akten eingereicht hat und der nur kleine Varianten macht41). Er fügte hinzu, er hoffe dabei auch statistisch feststellen zu können, wieviel Leute für das Verhältniswahlrecht und für das sogenannte Persönlichkeitswahlrecht wären. Ich halte den Prozentsatz für außerordentlich gering. Dr. Diederichs: Jellinek bringt auch zum Ausdruck, daß die Abweichungen wahrscheinlich sehr gering sein werden. Vors. [Dr. Becker]: Ein ähnlicher Vorschlag ist in diesen Tagen von einem Herrn aus Kreuznach eingegangen42), der auch auf der Kombination von Mehrheitswahlrecht plus Verhältniswahlrecht besteht, wobei diejenigen, die ihr Mandat beim ersten Gang bekommen, die Stimmen beim zweiten nicht angerechnet bekommen. Selbstverständlich ist es nicht das reine Verhältniswahlrecht, sondern es ist ganz klar: 230 werden so gewählt, und soundso viel Abgeordnete werden nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Dr. Diederichs: Hier wird der Anschein erweckt, als ob 40% aller Sitze nach dem Verhältniswahlrecht verteilt würden. Praktisch ist das nicht der Fall; denn die starken Parteien bekommen ihre Kandidaten in unmittelbarer Wahl durch und werden bei der Verteilung des Restes noch einmal, und zwar mit ihren starken Stimmenziffern berücksichtigt, so daß die schwächeren Gruppen bei diesem Verfahren dann auch nur den Anteil von 40% der Mandate bekommen. Sie kriegen also prozentual nicht 40% ihrer Stimmen von 100% Stimmen, sondern nur von 40%. Das würde bedeuten, daß eine kleine Partei, die durchaus noch 15% der Stimmen aufbrachte, praktisch nur (15 x 40 x 4) : 100, das wären also nur sechs, bekommen. Sie würde, obwohl sie 15% aller Stimmen hatte, nur mit 6% der Mandate bedacht. Das ist bewußt getan? Vors. [Dr. Becker]: Da ist bewußt getan. Ich will Ihnen sagen, warum ich diesen Vorschlag gemacht habe. Ich halte ihn auch nicht für absolut ideal, aber ich betrachte ihn als Möglichkeit zu einem Kompromißvorschlag. Ich sehe ja ein, wie die Abstimmung laufen wird. Wir können die Abstimmung noch eine —
—
41) Vgl. oben S. 42) Ebenda. 402
275
f.
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Weile hinziehen, aber es wird so gehen: Sie stimmen für Ihren Vorschlag, die CDU für ihren, dann sind beide gleich. Wir wollen doch ganz offen reden. Dann kommt es darauf an, wie die kleinen Parteien sich im einzelnen stellen. Dann haben Sie praktisch eine Kampfabstimmung mit einer nur ganz geringen Majorität, und das ist meiner Ansicht nach keine genügende Grundlage für eine Verfassung, die schließlich doch von dem Vertrauen aller Parteien und auch von dem Vertrauen großer Teile aller Länder getragen werden soll. Frau Wessel: Mir scheint in diesem Paragraphen wieder ein Widerspruch in sich zu sein. Wenn Sie nach diesem Wahlrecht vorgehen, also mit dieser Wirkung, wie sie eben Herr Dr. Diederichs dargestellt hat, dann verkehren Sie wirklich den Willen des Wählers in das Gegenteil. Dann ist es mir noch sympathischer, ich stelle mich in einem kleinen Wahlkreis zur Wahl und komme nicht zum Zuge. So erwecken wir den Eindruck, wir wollen den kleinen Parteien gerecht werden, wir wollen eine gerechte Verteilung der Stimmenzahl herbeiführen, machen es aber dann tatsächlich so, daß die großen Parteien noch einmal bevorrechtigt berücksichtigt werden. Dann ist das, was Kollege Dr. Kroll will, vom Stimmrecht aus gesehen, eigentlich noch gerechter als das, was Sie
vorschlagen. Vors. [Dr. Becker]: Sie übersehen hierbei, daß nach dem Vorschlage beim Einzelwahlkreis ein zweiter Wahlgang stattfinden soll, und dieser zweite Wahlgang gibt doch die Stichwahl. Im zweiten Wahlgang können sich unter Umständen schon Koalitionen für oder gegen die künftige Regierung bilden. Die Stichwahl wird also das Bild ausgleichen, insbesondere im Hinblick auf das Übergewicht der großen Parteien. Ich habe dies ausgearbeitet, nicht, weil ich es als Idealbild ansehe, sondern weil ich versuchen wollte, eine Kompromißgrundlage zu schaffen. Stock: Nachdem alle Parteien außer Herrn Kollegen Becker die Stichwahl abgelehnt haben, müssen wir natürlich analog zu dem Beschluß das hier auch ablehnen. Wenn man die Stichwahl wegläßt, hätte dieser Paragraph gar keinen
Sinn. ich glaube, es nun zum Vors. [Dr. Becker]: Wir haben das Stichwahlsystem zehnten Male zu sagen nur abgelehnt als ein einheitliches alleiniges System der Wahl, haben aber damit nicht gesagt, daß es dann auch schon in einer Kombination abgelehnt ist. Wenn es so wäre, dann könnten wir überhaupt nicht weitergehen. Wir kombinieren mit der Verhältniswahl, die als Listenwahl abgelehnt ist, haben als solches auch das relative Wahlrecht abgelehnt. Aber in Kombinationen muß alles doch jetzt hineinkommen können43). —
—
[4. ZUR VERFAHRENSWEISE]
Stock: Wenn wir weiter diskutieren und hier Kolleg halten, kommen wir nie weiter. Nachdem wir zu diesem einen Stellung genommen haben, können wir nicht über ein anderes Wahlsystem abstimmen, in dem genau das Gegenteil 43)
Zu dieser Diskussion siehe Dok. Nr. 8, TOP 2.
403
Nr. 13
Zwölfte Sitzung 28. Oktober 1948
davon drin ist. Ich hatte gemeint, die gestrige Redaktionskommission sollte sich auf ein Wahlsystem einigen, zu dem wir heute endgültig Stellung nehmen könnten. Jetzt haben wir wieder nichts. Vors. [Dr. Becker]: Die Redaktionskommission redigiert nur etwas, was besprochen worden ist, schafft aber kein Kompromiß. Stock: Das muß man vorher schaffen. Jetzt haben wir das hier durchberaten, nun kommt noch das andere von Dr. Kroll, und dann machen wir das dritte, und eins hebt das andere auf. Was haben wir denn da beschlossen, nichts? So ist es doch praktisch. Vors. [Dr. Becker]: Ich bin derjenige, der schon im September auf vorläufige Abstimmungen gedrängt hat. Sie entsinnen sich, wie ein Kollege nach einer Abstimmung erklärte, daß er an weiteren Abstimmungen nicht interessiert —
wäre44). Frau Wessel:
Morgen früh können
wir gar nicht debattieren. Die CDU hat Sit-
zung45).
Vors. [Dr. Becker]: Ich bin morgen früh auch nicht da. Hier handelt es sich also nur darum, ob, wenn dieser Vorschlag zugrunde gelegt wird, wir etwas daran auszusetzen hätten, genauso wie beim Vorschlag Diederichs und Kroll. Ferner wird eine Reihe von Bestimmungen, unter Umständen mit kleinen Änderungen, später vielleicht für das Gesamtgesetz ver—
wendet werden können. Dr. Diederichs: Verstehe ich so recht: nachdem wir heute morgen diese Fassung meiner Version und jetzt Ihre Fassung hier durchberaten haben, kommt evtl. die noch von Herrn Kroll. Wollen wir denn nachher wenigstens zur Abstimmung stellen, welchen der drei Vorschläge wir nehmen wollen? Denn wenn wir das alles wieder nebeneinander geschehen lassen, wird das eine Rassenschande, und es wird praktisch überhaupt nichts Brauchbares. So ist doch wohl Ihre Auffassung?
(Vors. [Dr. Becker]: Vollkommen.) uns doch jetzt Ihre Fassung daraufhin ansehen, ob das, was Sie vorn in § 8 vorschlagen, hier zur Durchführung brauchbar ist. Vors. [Dr. Becker]: Und was wir evtl. an Paragraphen in künftigen Gesetzen verwenden können, selbst wenn der Wahlmodus abgelehnt werden sollte. Dr. Diederichs: Dann wäre allerdings doch die Frage, die wir vorige Woche schon behandelt haben, erneut zu stellen, daß wir einen Textor heranholen, der uns einen anständigen Gesamttext vorlegt46). Dem müßten wir diese drei Versionen hier vortragen und ihm dann sagen: Jetzt mach Du einen Text für das Wahlgesetz, für das wir uns entschieden haben. Dann müßten wir aber jetzt diesen Einzelteil, der den Wahlmodus behandelt, in einer am liebsten morgen auch tatsächlich abschließen, müßten uns Abstimmung entscheiden: den wollen wir behalten. Dann also müßten wir ei-
Also müßten wir
—
—
ist die Bemerkung Krolls in der 8. Sitzung am 14. Okt. 1948, siehe oben S. 209 und 211. 45) Für den 29. Okt. 1948 ist keine CDU/CSU-Fraktionssitzung nachweisbar. 46) Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 8.
44) Gemeint
404
Zwölfte nen
Textor
Sitzung
28.
Oktober 1948
Nr. 13
haben, dem wir sagen können: Dieses System soll zugrunde gelegt
mach Du ein volles Gesetz einschließlich AusführungsbestimmunSonst kommen wir überhaupt nie zu Rande. gen. Vors. [Dr. Becker]: Ich wäre bereit, heute um 12 Uhr abzustimmen, falls die Herren von der CDU da sind. Dr. Diederichs: Wir müssen also eine Wahl unter diesen drei Versionen treffen, welches System wir wählen wollen; dann müssen wir schleunigst einen Gesetzestextor heranzitieren und ihm sagen: Bitte, das sind die Beschlüsse, nun mach du daraus das Gesetz. Vors. [Dr. Becker]: Ist das nicht vielmehr unsere Aufgabe, daß wir den Text
werden,
nun
—
feststellen? Dr. Diederichs: Herr Dr. Becker, ich glaube, wenn Sie den gesamten Text mit Ausführungsbestimmungen und allem, was dazu gehört, entwerfen wollen, ohne Referenten, dann laden Sie sich damit eine Arbeit auf den Hals, die Sie praktisch kaum leisten können. Ich habe hier spaßeshalber das Gemeindewahlrecht von Niedersachsen für die Wahl vom 28. November [dieses] Jahres. Das ist ein Band mit 69 Seiten, mit Ausführungsbestimmungen, Beispielen und allem Drum und Dran47). Stock: Wir haben in Bayern vier Seiten, das ganze Gesetz! Dr. Diederichs: Ich glaube, wir brauchen schon einmal so einen Mann. Herr Minister Menzel hat, glaube ich, einen Herrn, der auch das westfälische Gesetz zu Papier gebracht hat. Stock: Das von Nordrhein-Westfalen soll aber gar nicht gut sein. Dr. Diederichs: Es handelt sich ja nicht um das Wahlrecht. Ob das gut ist, das bestimmen wir. Vors. [Dr. Becker]: Herr Löbe hat doch Erfahrungen aus dem Reichstag. Hat sich da auch eine Reichstagskommission hingesetzt und gesagt: „Das sind unsere Leitsätze, nun können andere Leute das Gesetz machen?" Löbe: Das kommt natürlich nicht vor, weil man entweder mit Regierungsvorlagen oder mit fertig ausgearbeiteten Vorlagen einer Partei arbeitet. Dr. Diederichs: Aber die Vorlage hat doch jemand gemacht, das heißt also ein Referent. Irgendein Beamter in irgendeiner Regierung hat sich hingesetzt und das Zeug aufgeschrieben, und auf dieser Basis ist verhandelt worden. Löbe: Das war der Normalfall. An Stelle einer Regierung kann auch eine Partei einen Gesetzentwurf einbringen; aber dann bedient sie sich der gleichen Hilfsmittel. Vors. [Dr. Becker]: Ich glaube, es macht keinen guten Eindruck in der Öffentlichkeit. Da wird es heißen: Nun hat der Parlamentarische Rat 8 Wochen in Bonn getagt und holt sich dann jemanden, der das Gesetz machen soll. Dr. Diederichs: Das ist es nicht. Das ist genauso, wie wenn ich mir eine Schreibkraft hole, aber eine mit Sachverstand.
(Heiterkeit.)
47) Vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm.
124. Die
Gesetzesbestimmungen selbst umfaßten zehn
Sei-
ten.'
405
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Zwölfte Sitzung 28. Oktober 1948
Lobe: Läuft es nicht darauf hinaus, daß wir jetzt einen Versuch machen, einen der drei Entwürfe zur Unterlage zu machen, daß wir vielleicht mit dem aussichtsvollsten beginnen und erst dann, wenn der aussichtsvollste keine Mehrheit gefunden hat, zur Beratung der anderen übergehen? Dann muß ja die Mehrheit für etwas anderes da sein. Dr. Diederichs: Wir haben schon negative Abstimmungen gehabt48). Vors. [Dr. Becker]: Bei den künftigen Kapiteln, Wahlvorbereitung, Wahlliste usw., haben wir doch etwas, was für alle gleich ist. Da wird es nur in Einzelfällen Abweichungen geben, je nach dem System. Bei der Wahlprüfung wird es auch nur sehr wenig abweichende Einzelheiten geben. Also diese Dinge sind ungefähr alle gleich.
(Kurze Pause.) Mir wird eben berichtet, daß Herr Dr. Kroll nicht kommt. Machen wir doch wenigstens das fertig, was wir begonnen haben und stellen hinterher diese drei Sachen zur Abstimmung, damit wir eine klare Grundlage —
haben. Dr. Diederichs: Wenn wir diesen Teil in einer Lösung fertighaben, ergibt sich alles andere automatisch, und weil sich das andere automatisch ergibt, ist das eine Aufgabe, mit der wir wirklich einen Gesetzestechniker, wenn ich ihn einmal so bezeichnen soll, beauftragen sollten. Das heißt nicht, daß der Parlamentarische Rat nicht die Gesetze macht. Das erwartet kein Mensch von uns, daß wir uns selber hinsetzen und wortwörtlich diese Texte niederlegen. Vors. [Dr. Becker]: Aber alle anderen Ausschüsse machen es. Dr. Diederichs: Die haben die Chiemseer Vorlage. Vors. [Dr. Becker]: Ich mache als Notar auch ellenlange Verträge ohne jede Un-
terlage.
Lobe: Es stimmt: wir sind der einzige Ausschuß ohne jede Unterlage. Vors. [Dr. Becker]: Wir mußten uns erst einmal eine Plattform erarbeiten, auf der man überhaupt anfangen konnte. Dr. Diederichs: Das Haus wird uns doch hier die entsprechende Schreibkraft zur Verfügung stellen können. Wir sind uns über das Prinzip klar. Wenn wir uns einen Vormittag hinsetzten und Paragraph um Paragraph durchgingen, all diese technischen Dinge, dann könnten wir es natürlich auch niederlegen. Ich habe das nur für eine Frage der Bequemlichkeit gehalten. Vors. [Dr. Becker]: Dann könnten wir es einer kleinen Redaktionskommission mit drei Mitgliedern geben. Deren Arbeitsergebnis könnte dann meinetwegen von einem Sachverständigen überbügelt werden, damit sichergestellt ist, daß wir nichts vergessen haben. Dann erst könnte niemand sagen, wir hätten uns sozusagen um die Formulierung gedrückt. Dr. Diederichs: Falls Dr. Kroll morgen möglicherweise wieder verhindert sein sollte, wollen wir uns doch wenigstens hier so einigen, daß wir morgen früh eine Entscheidung treffen, aufgrund welchen Vorschlags nun diese Ausarbeitung gemacht werden soll. Dann würden wir uns in der nächsten Woche be-
48) Siehe oben Dok. 406
Nr. 8, TOP 2.
Zwölfte Sitzung 28. Oktober 1948
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mühen, unter Einarbeitung dessen, wofür die Entscheidung gefallen ist, eine volle, zusammenhängende Vorlage zu machen. Wenn dann gewisse Leute noch der Ansicht sind, das System grundsätzlich ändern zu müssen, müssen sie das in Form
von
chen.
Änderungsanträgen
zu
dem beschlossenen Gesetzesentwurf
ma-
zu beschließen, daß wir die Abstimmung der nächsten Woche machen, weil ich morgen leider nicht da sein
Vors. [Dr. Becker]: Ich möchte bitten zu
Beginn
kann. Dr. Diederichs: Dann sollten wir uns heute auf einen Tag festlegen, an dem diese Abstimmung stattfindet, und zwar nicht nur auf den Tag, sondern auch die Stunde, damit wir endlich einmal etwas erreichen. Ich bin durchaus für Rücksichtnahme, aber dauernde Rücksicht auf Leute, die nicht kommen, darf nicht dazu führen, daß wir arbeitsunfähig werden49). Setzen wir also für nächste Woche, vielleicht Dienstag, einen Termin an, an dem wir grundsätzlich entscheiden: Das und das wird jetzt zur Grundlage gemacht, so daß wir mit Ablauf der nächsten Woche eine fertige Vorlage haben. Vors. [Dr. Becker]: Dann würde ich Mittwoch vorschlagen, und zwar um 9 Uhr vormittags in diesem Raum. Dann können wir auch gleich über diese Punkte abstimmen. Dr. Diederichs: Ja, damit wir das wirklich zu Papier bringen. Vors. [Dr. Becker]: Also Fortsetzung der Debatte mit Abstimmung über die drei vorliegenden Wahlverfahrensvarianten. Ich glaube, das, was in meinem Vorschlag unter B steht, brauchen wir im einzelnen nicht durchzusehen. Es ist das normale Proportionalwahlrecht in Einzelbestimmungen. Es wird ein Teiler ermittelt. Die Summe der Stimmen wird durch 170 geteilt; weiter ist es nichts. Dr. Diederichs: Und ein Abziehen der in unmittelbarer Wahl schon erreichten Mandate ist nicht vorgesehen? Vors. [Dr. Becker]: Daran ist nicht gedacht. Ich habe hier bewußt etwas getan, was gegen die Interessen auch meiner Partei ist. Heiland: Ich bewundere Ihren Mut. Vors. [Dr. Becker]: Warum? Ich handele nur staatspolitisch, nicht parteipolitisch. Dr. Diederichs: Sind Sie der Meinung, daß das Staatspolitische in absolutem Gegensatz zum Parteipolitischen steht? Vors. [Dr. Becker]: Es brauchte es nicht, aber es kann es sein, und deshalb gehe ich grundsätzlich immer von dem einen aus. Staatspolitisch handele ich zum Beispiel auch, wenn ich manchmal einer anderen Partei goldene Brücken baue, obwohl ich, wenn ich parteipolitisch handeln würde, vielleicht keine bauen sollte. Ich glaube, wir brauchen jetzt diese Bestimmungen im einzelnen nicht durchzugehen; es ist das normale Verfahren nach den Grundlagen des Proportionalwahlrechts.
49) Zur Beschlußunfähigkeit der Ausschüsse siehe
unten Dok. Nr. 16, Anm. 4.
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Nr. 13
Zwölfte
Sitzung
28. Oktober 1948
[5. VORSCHLAG DR. KROLL (DRUCKS. NR. 264 A)]
Ich würde dann
vorschlagen, daß
wir den
Vorschlag Kroll50) durchsprechen.
50) Teilentwurf für ein Bundeswahlgesetz
von Dr. Kroll (BA Z 5/127, Drucks. Nr. 264 a). Dem Entwurf Kroll gingen seitens der Unionsfraktion zwei Vorschläge voraus, die jeweils von der CDU bzw. der CSU getrennt ausgearbeitet worden waren. Zum einen han-
delt
es
sich
um
den
„Kompromißvorschlag
für die Lösung der
Bundeswahlrechtsfrage
16. Okt. 1948" (BA NL Blankenhorn/Bd. 5), den Schröder ausarbeitete und am 18. Okt. 1948 nach Bonn sandte (Schröder an Zimmermann vom 18. Okt. 1948, ebenda). Zum anderen lag auch ein „Möglicher Vermittlungsvorschlag der CSU vom 18. Okt. 1948" (Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 182) vor. Grundsätzlich stand Krolls Vorschlag dem Schröderschen Entwurf näher, da er das Mehrheitswahlsystem konsequenter umsetzte: „Artikel 1 : Für die Wahl zum ersten Bundestag wird das Wahlgebiet in 300 Wahlkreise eingeteilte vom
die Wahlkreise sind so zu bilden, daß sie möglichst die gleiche Anzahl Bewohner umfassen. Auf örtliche Zusammenhänge sowie auf die Ländergrenzen ist hierbei Rücksicht zu nehmen. Für die Einteilung der Wahlkreise im Bereich des Bundesrates Deutschland (Bundesrepublik Deutschland) wird vom Parlamentarischen Rat ein Ausschuß aus Vertretern aller Parteien gebildet, der im Benehmen mit den Landesregierungen die Zahl der Wahlkreise in jedem Lande regelt. Dabei dient die Zahl von 150 000 Einwohnern als Richtzahl für die Größe der einzelnen Wahlkreise. Abweichungen der Bevölkerungsziffer bis zu 15/ioo von dieser Richtzahl sind statthaft. Die Aufteilung der Wahlkreise innerhalb eines jeden Landes erfolgt durch die Länder und wird durch ein Landesgesetz beschlossen. Artikel 2: In jedem Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt. Die Wahl ist allgemein, gleich, unmittelbar und geheim. Jeder Wahlberechtigte hat eine Stimme. Ein Bewerber darf jeweils nur in einem Wahlkreis aufgestellt werden. Als gewählt gilt, wer von den Bewerbern die meisten Stimmen erhält. Artikel 3: Sämtliche abgegebenen Stimmen, die auf unterlegene Bewerber entfallen, werden einer Bundesreserveliste8 zugeführt. Über die Bundesreserveliste gelangen weiter 50 Abgeordnetensitze zur Verteilungc. An der Verteilung der Mandate aus der Bundesreserveliste werden nur diejenigen Parteien und Wählergruppen beteiligt, die wenigstens in einem der 300 Wahlkreise einen Abgeordnetensitz errungen haben. Die gleichzeitige Aufstellung eines Bewerbers in einem Wahlkreis und auf der Bundesreserveliste ist zulässig. Jede Partei oder Wählergruppe ist berechtigt, bis zu 50 Bewerber für die Bundesreserveliste vorzuschlagen. Artikel 4: Die Sitze aus der Bundesreserveliste werden nach der Reihenfolge der höchsten Zahlen verteilt, die sich durch Teilung der gemäß Art. 3 für die einzelnen Parteien oder Wählergruppen ermittelten Stimmen durch 1, 2, 3, 4 usw. ergeben. Über die Zuteilung des letzten Sitzes entscheidet bei gleicher Höchstzahl das Los0. Artikel 5: Lehnt ein Abgeordneter, der in einen Wahlkreis gewählt wurde, die Wahl ab, oder scheidet er nachträglich aus, so findet eine Nachwahl gemäß Art. 2 statt. Lehnt ein Abgeordneter, der über die Bundesreserveliste gewählt wurde, die Wahl ab, oder scheidet er nachträglich aus, so rückt der nächste Bewerber auf der Bundesreserveliste, der der gleichen Partei angehört, nach." A. ) Der Entwurf Schröder schlug 300 Wahlkreise mit 140 000-160 000 Einwohner vor, während der CSU-Vorschlag alternativ 320 oder 400 Wahlkreise mit 120 000 bzw. 150 000 Wahlberechtigten vorsah. Der CSU-Vorschlag bezog Groß-Berlin mit in die Zahl der Wahlkreise ein. B. ) Der CSU-Vorschlag sah eine Landesreserveliste vor. 408
Zwölfte Sitzung 28. Oktober 1948
Nr. 13
deswegen schwierig, weil der Vorschlag Kroll, soweit ich übersehe, allgemeine Ablehnung erfahren wird. Es ist nämlich das direkte MehrHeiland: Das ist
heitswahlsystem
mit einer ganz kleinen Nuancierung. Er will 300 Wahlkreise direkt wählen und 50 durch eine Reserveliste verteilen lassen. Es ist also praktisch das relative Mehrheitswahlrecht. So, wie der Vorschlag hier gemacht worden ist, kann er von uns nur abgelehnt werden. Herr Kroll, der den Vorschlag verteidigen und vielleicht gewisse Kompromißvorschläge machen könnte, ist nicht da. Deshalb kommen wir heute gar nicht weiter. Unsere Meinung steht klipp und klar dahin fest, daß wir den Vorschlag Kroll auf keinen Fall akzeptieren können. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe ihm meinerseits gestern abend am Biertisch dasselbe gesagt. Da hat er mir geantwortet, es könnten Abänderungsvorschläge kommen.
(Heiland: Die müßten von ihm kommen!) Ich halte es nur für ein Gebot der Loyalität, daß wir die Sache, wenn wir Mittwoch abstimmen, im Ausschuß wenigstens durchgesprochen haben. Es könnte sich dabei dieses oder jenes ergeben, was man vielleicht ändern könn—
te.
Vorschlag Kroll gestern genau durchgegangen und bin der überhaupt keine Aussicht hat, angenommen zu werden. Meine Fraktion ist dagegen. Die kleinen Fraktionen, Zentrum, KPD, haben schon erklärt, daß sie ebenfalls dagegen sind. Sie, Herr Vorsitzender, [Sie] haben auch erklärt, daß Sie dagegen sind, so daß es eine reine Sisyphusarbeit ist, wenn wir uns stundenlang jetzt mit dem Vorschlag Kroll beschäftigen. Es steht fest, daß er von der Mehrheit abgelehnt wird, und zwar mit Recht, weil nach diesem Vorschlag die kleinen Parteien überhaupt nicht zum Zuge kommen würden, vollkommen ausgeschaltet werden. Vielleicht ist auch eine gewisse Absicht Stock: Ich bin den
Auffassung, daß
er
dabei, ich weiß es nicht. Vielleicht darf ich hierbei noch sagen, nachdem Herr Kroll von der CSU kommt: er hat vielleicht vergessen, daß der politische Wind in Bayern jetzt ganz anders weht als vor einem halben Jahre, als er dieses Wahlsystem ausgefertigt hat51). Er wird mit seinem Entwurf in Niederbayern und Oberbayem ein C. ) Der
CSU-Vorschlag sah
hier eine
qualitative Einschränkung des MehrheitsWahlsygewählt aus einer Landesli-
stems vor: „Ein Drittel der zu wählenden Abgeordneten wird ste mit Reststimmenverwertung auf einer Bundesliste".
D. ) Der Entwurf Schröder empfahl das Zuteilungsverfahren nach der d'Hondtschen Methode. Der CSU-Vorschlag empfahl: „Durch die Landeslisten werden die Abgeordnetenzahlen der einzelnen Parteien aufgefüllt auf die ihrem Prozentsatz an abgegebenen Stimmen entsprechende Zahl. An der Auffüllung durch die Landeslisten können nur Parteien teilnehmen, die wenigstens einen Abgeordneten in direkter Wahl durchgebracht haben. Auf der Landesliste zählen sämtliche für die Partei im Bundeswahlkreis aufgebrachten Stimmen. Nicht verwertete Stimmen können auf eine Bundesliste übergehen". ) Stock spielt hier auf die enormen Stimmenverluste der CSU bei den bayerischen Kommunalwahlen im April/Mai 1949 an. Der Stimmenanteil der CSU ging mit den Stadtund Landkreisen im Vergleich zu den Wahlen von 1946 von 60,1% auf 37,8% zurück. Dieser Umstand führte dazu, daß die CSU dem Mehrheitswahlrecht zunehmend mit Ab-
409
Nr. 13
Zwölfte
Sitzung
28.
Oktober 1948
Debakel erleben, denn er wird auch mit seiner Partei dort nicht zum Zuge kommen. Ich nehme an, daß die übrigen Mitglieder dieses Ausschusses sich auch privat schon mit dieser Sache beschäftigt haben. Ich halte es für völlig überflüssig, jetzt noch stundenlang darüber zu debattieren. Man ist ja auch in der CDU-CSU nicht einmütig für den Vorschlag Kroll52). Dr. Diederichs: Dieser sogenannte Verhältnisausgleich in diesen Abänderungsvorschlägen des Herrn Kroll ist insofern vollkommen illusorisch, als er mit 300 kleinen Wahlkreisen arbeitet und auch hier noch die Klausel drin hat, daß eine Partei, die in direkter Wahl kein Mandat erhält, auch bei der Abrechnung nicht berücksichtigt wird. Das scheint mir praktisch ganz illusorisch zu sein; denn wenn ich so kleine Wahlkreise habe, wird es auch den kleineren Parteien kaum möglich sein, bei relativer Mehrheit einmal an den Drücker zu kommen; dann fallen ihre Stimmen unter den Tisch. Das ist also ganz systematisch auf die Ausrottung abgestellt und ist praktisch hier abgelehnt worden. Vors. [Dr. Becker]: Ich bitte nur aus Loyalitätsgründen die Frage zu erörtern: Wie würde denn die Abstimmung sein, wenn diese Klausel fiele, die eben von Dr. Diederichs angeführt wurde und wenn die Zahl der durch Proportionalwahl zu wählenden Abgeordneten von 50 auf 150 erhöht würde? Dr. Diederichs: Das würde ja Ihrem Wahlvorschlag sehr nahe kommen. Vors. [Dr. Becker]: Nicht ganz, weil ich für das relative Wahlrecht im ersten Gang nichts übrig habe. Frau Wessel: Für meine Partei kommt dieser Wahlmodus nicht in Frage. Es würde damit ein System herbeigeführt, das ich nicht für gut halte, nämlich das Zweiparteiensystem. Solange die Parteien weltanschaulich orientiert sind, ist das System für Deutschland nicht gut. Das ist der Grundsatz, der zunächst einmal festgehalten werden muß. In einem Lande wie Deutschland, wo sich unsere Parteien weltanschaulich orientiert haben, ist das Zweiparteiensystem eine Fiktion. Ob Herr Kroll das einsehen wird oder nicht, spielt keine Rolle. Zweitens ist ja gar kein Ausgleich vorhanden. Kroll will ja das relative Mehrheitswahlrecht. Er hat sogar vorgesehen, daß alle für die Unterlegenen abgegebenen Stimmen auf die Bundesliste kommen. Dadurch wird das ganze Wahlergebnis wieder so verfälscht, daß in Deutschland gar keine politische Entscheidung Zustandekommen kann. Schwierigkeiten, die im parlamentarischen Leben durch Versagen der politischen Parteien entstehen, kann man nicht mit einem Wahlsystem beseitigen. Das ist die falsche Voraussetzung, von der aus Herr Kroll auch dieses Wahlrecht aufgestellt hat. Wegen dieser politisch falschen Voraussetzungen kann ich mich für den Vorschlag von Herrn Kroll nicht entscheiden, auch nicht für die Form eines Kompromisses. Ob das nun 50 oder 150 sind, ist gar nicht entscheidend. Ich halte dieses ganze System, so wie es gemacht ist, für völlig falsch. Es ist nicht der Fall. Vors. [Dr. Becker]: Wird noch das Wort gewünscht? —
lehnung begegnete (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 345). 52) Zur CDU/CSU-internen Diskussion über die siehe auch Abschnitt 1 b der Einleitung. 410
S. 28 f. und
Lange, Wahlrecht,
eigenwillige Verhandlungsführung
Krolls
Zwölfte Sitzung 28. Oktober 1948
Nr. 13
praktisch am Ende unserer Verhandlungen. Wir würden dann kommenden Mittwoch aufgrund dieser Verhandlungen zur Abstimmung kommen. Ich würde bitten, die Einladungen schriftlich herausgehen zu lassen mit der Aufforderung, daß alle stimmberechtigten Mitglieder vollzählig erscheinen, weil es sich um eine grundlegende Abstimmung handelt. Dann schließe ich die heutige Sitzung. Nächste Sitzung also Mittwoch, 3. November53), pünktlich 9 Uhr hier in diesem Saal. Damit sind wir
am
53) Im Kurzprotokoll irrtümlich: „2. November 1948" 411
Nr. 14
Dreizehnte
13.
Z5/83, Bl.
2—20.
net1)
Sitzung
3. November 1948
Sitzung des
Nr. 14 Ausschusses für Wahlrechtsfragen 3. November 1948
Stenograf. Wortprot.
Kurzprot. Z 12/39, Bl. 63, Drucks.
vom
4.
November 1948,
von
Herrgesell gezeich-
Nr. 264/11
Anwesend2) :
CDU/CSU: Kroll, Finck3) (für Schräge), Walter, Fecht SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Renner (für Reimann) Mit beratender Stimme: Löbe (SPD), Frau Wessel (Z) Stenografischer Dienst: Herrgesell Ende: 10.15 Uhr Beginn: 9.30 Uhr
(für Schröter)
[1. EINGABEN] Die Sitzung wird um 9 Uhr 30 Minuten durch den Vorsitzenden, Abg. Dr. Bekker, eröffnet. Auf der Tagesordnung der Sitzung steht die Abstimmung über die
drei
vorliegenden Wahlvorschläge. Tagesordnung gibt
Vor Eintreten in die
der Vorsitzende vier
Eingaben4)
be-
kannt, nämlich
ein Schreiben des Paul Nimz —Lübeck, ein Schreiben des Landgerichtsdirektor a.D. Karl Pf ister —München5),
1) Die Schlußverfügung „Gelesen und
zu den Akten des Ausschusses genommen" wurde nicht unterschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprotokoll. 3) Dr. Albert Finck (15. März 1895-3. Aug. 1956), Rheinland-Pfalz CDU, Lehrer und Journalist, 1951—1956 Kultusminister von Rheinland-Pfalz. Im Pari. Rat war Finck Mitglied des
Organisationsausschusses.
4) Während der Eingang der Eingaben beim Wahlrechtsausschuß aus den Akten hervorgeht, konnten die Schreiben selbst nicht ermittelt werden (BAZ 5/119; vgl. oben Dok.
Nr. 2, Anm. 121). an den Wahlrechtsausschuß selbst ließ sich nicht ermitteln. Wohl aber geht aus persönlichen Unterlagen der MdPR Elisabeth Seibert hervor, daß Pfister (zu seiner Person siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 88) diverse Eingaben an Mitglieder des Pari. Rates gesandt hat. So etwa die vorab im August 1947 erschienene Schrift: „Das ungelöste Wahlproblem" (FESt NL Schmid/Bd 1169; PA Bestand 5/12; 1949 erschien Pfisters Untersuchung auch im Buchhandel) oder auch die Studie : „Die Wahl einer deutschen verfassunggebenden Versammlung mittels Personen-Verhältniswahl und die Wahl eines deutschen Parlaments mittels Personen-Mehrheits-Verhältniswahl (Feb. 1948, ebenda). Siehe hierzu auch entsprechende Unterlagen im NL Jellinek (BA NL 242 [Jelli-
5) Die Eingabe
nek]/Bd 38). 412
Dreizehnte
Sitzung
3.
November 1948
eine Zuschrift der Deutschen Wählergesellschaft vom 23. 10. eine Zuschrift des Studenten Henning Frank aus Leizpig. Zu diesen Eingängen wird das Wort nicht gewünscht.
Nr. 14
19486),
[2. ABSTIMMUNG ÜBER DIE VORLIEGENDEN WAHLGESETZVORSCHLÄGE] Vors. [Dr. Becker]: Unsere heutige Tagesordnung besteht in der Abstimmung über die drei vorliegenden Wahlvorschläge. Es lag zunächst ein Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Kroll vor7): 300 Mandate, gewählt im relativen Wahlrecht in Ein-Mandat-Kreisen, 50 Mandate zusätzlich im Proporz, wofür die nicht verwendeten Stimmen des ersten Wahlgangs als Berechnungsgrundlage genommen werden sollen; wer in Einzelwahlkreisen kein Mandat erhalten hat, bekommt auch im Proporz kein Mandat. Das ist das Grundsätzliche. Auf der anderen Seite ein dem Proporz am nächsten stehender Vorschlag von Dr. Diederichs0) : Wahlkreise von etwa 1—1,25 Millionen Einwohnern; darin werden zunächst sechs Abgeordnete gewählt, eine Liste mit je sechs Kandidaten wird eingereicht; der Wähler hat sechs Stimmen und das Recht zu Panaschieren, aber nicht zu kumulieren. Diejenige Liste, die die meisten Stimmen erhalten hat, ist die Listel; dann kommen die Listen 2, 3 usw. Die Mandate werden nach dem d'Hondt'schen System verteilt. Das Mandat der Liste erhält derjenige Kandidat, der auf seiner Liste am meisten angekreuzt ist, also die meisten Stimmen auf seine Person erhalten hat. Eine weitere Anzahl von Mandaten wird im Wege des reinen Proporz-Systems verteilt, so daß auf einer Wählerzahl von 60 000 bis 70 000, d. h. genau genommen jetzt auf eine Stimmenzahl von 360 000 bis 420 000 noch je ein Mandat entfällt und diese Zusatzzahl der Mandate bis zu einem gewissen Grade wandelbar ist. Dr. Diederichs: Wir hatten in dem Text dem Wähler drei Stimmen gegeben. Vors. [Dr. Becker]: Ich dachte sechs. Dr. Diederichs: Sechs Abgeordnete, aber drei Stimmen9). Vors. [Dr. Becker]: Die letzte Zahl ist dann nicht 360 000 bis 420 000, sondern 180 000 bis 210 000. Ich darf annehmen, daß wir zur Abstimmung schreiten können. Ich gehe von dem Grundsatz aus, daß über den weitestgehenden Antrag zuerst abzustimmen ist. Das ist der Vorschlag von Herrn Dr. Kroll, weil er sich am weitesten von dem Proporzwahlrecht entfernt. Wer für diesen Antrag des Herrn Kollegen Das sind vier Dr. Kroll stimmt, den darf ich bitten, die Hand zu erheben. Die Gegenprobe! Das sind sechs Stimmen. Der Vorschlag ist alStimmen so mit sechs gegen vier Stimmen abgelehnt. —
—
—
6) Z 5 Anhang/13.
In ihrem Schreiben vom 23. Okt. 1948 betonte die Wählergesellschaft nochmals nachdrücklich die Vorzüge des reinen Mehrheitswahlrechts. 7) Druck. Nr. 264a, siehe oben Dok. Nr. 13, Anm. 50. 8) Druck. Nr. 178, siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 4 und Anm. 20. 9) Siehe oben Dok. Nr. 13, TOP 1 a.
413
Nr.
Dreizehnte
14
Sitzung
3.
November 1948
Der weniger weitgehende Antrag ist der, der meinen Namen trägt. Der Antrag ist Ihnen aus unseren Erörterungen bekannt10): 230 in Einzelwahlkreisen mit Stichwahl, 170 im Wege des Proporzes, ohne Anrechnung der Mandate in Einzelwahlkreisen auf die durch Proporz zu gewinnenden Mandate. Wer für dieich bin allein sen Antrag stimmt, den darf ich bitten, die Hand zu erheben Die Gegenprobe! Das sind neun Stimmen. Der Antrag ist also mit dafür. neun zu einer Stimme abgelehnt. Wir kommen zu dem Antrag von Dr. Diederichs. Wer für diesen Antrag ist, den Das sind fünf Stimmen. Wer dagegen ist, bitte ich, die Hand zu erheben. Das sind fünf Stimmen. Der Antrag ist den bitte ich die Hand zu erheben. mit Stimmengleichheit abgelehnt. —
—
—
—
—
[3. ZUR WEITEREN VORGEHENS WEISE]
Ich darf zu meiner Abstimmung sagen11), daß ich grundsätzlich dem Proportionalwahlrecht zuneige, daß mir daran nur Einzelheiten nicht gefallen. Ich kann das auch im Namen verschiedener Fraktionsmitglieder sagen. Wir stehen dann vor dem Ergebnis, daß nichts da ist. Wenn wir uns vor der Geschichte nicht blamieren wollen, bleibt nichts anderes übrig entschuldigen Sie, daß ich so rede; wir müssen hier zu irgendeinem Ergebnis kommen —, als daß im Wege interfraktioneller Besprechungen versucht wird, eine Grundlage zu finden. Ich möchte fragen, ob Sie glauben, daß sich aus dem Kreis unserer Teilnehmer hier die Möglichkeit eines kleinen Gremiums ergibt, in welchem man interfraktionell versuchen kann, weiterzukommen. Oder man müßte sich in interfraktionellen Sitzungen einmal ein Gesamtbild der Verfassung machen und von diesem Gesamtbild ausgehend an die einzelnen Dinge herangehen. Ich glaube, daß der zweite Weg derjenige ist, auf dem man weiter kommen würde. Das Wahlrecht als solches ist ja nicht ohne weiteres ein Baustein in dem Bau der Verfassung selbst, sondern steht gewissermaßen daneben. Man könnte also auch unabhängig von dem Gesamtbild, das man sich über die Verfassung macht, immerhin eine Grundlage eines Wahlrechts zu finden versuchen. Glauben Sie, daß es Zweck hat, wenn drei oder vier von uns sich in einem kleinen Kreis zusammensetzen, um zu einem Bild zu kommen? Wenn wir nachher in der Presseerklärung sagen müssen, daß wir wieder negativ abgestimmt haben, müssen wir schon eine kleine positive Erklärung dazu geben. Sie können sich vorstellen, was sich im Blätterwald ereignet. Frau Wessel: Ganz mit Recht!) (Heiland: Und zwar mit Recht! Walter: Vielleicht kann sich ein Unterausschuß dieses Wahlrechtsausschusses, von jeder Partei ein Mitglied, am Abend zusammensetzen und versuchen, das Problem zu lösen, obwohl die Aussichten minimal sind. Die Auffassungen ste—
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10) Siehe oben Dok. Nr. 11. n) Da insgesamt fünf Abgeordnete für den Antrag
von Diederichs stimmten, bedeutet dies, daß sich auch der Vertreter der KPD, Renner, für den Antrag entschied (siehe auch oben Einleitung, Anm. 206).
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Dreizehnte hen sich derart schroff wir nur zu negativen Dr. Kroll: Wir hatten
Sitzung
3. November 1948
gegenüber, daß ich mir nicht arg viel verspreche. Ergebnissen kommen, lacht die ganze Welt.
Nr. 14 Wenn
uns doch neulich, wenn ich recht im Bilde bin, zunächst einmal dahin geeinigt, daß wir Ihren Gesetzentwurf zugrunde legen, darin Modifikationen einbauen und ihn dem Hauptausschuß zuleiten wollten12). Offensichtlich ist man von dieser Beschlußfassung wieder abgekommen. Vors. [Dr. Becker]: Wir hatten allerdings begonnen und hatten den Abschnitt I, die Frage des aktiven und passiven Wahlrechts, erledigt. Dann kam Abschnitt II, in welchem die Grundzüge des Wahlverfahrens standen. Als wir dabei waren, stellte sich heraus, daß die Mehrheit des Ausschusses zweifellos diesen Modus nicht annehmen würde13). Dr. Kroll: Auch den technischen Modus nicht? Vors. [Dr. Becker]: Viele Stücke von dem Entwurf kann man verwenden, aber manche Stücke nicht. Diese hätten umgearbeitet werden müssen, z. B. bei der Prüfung des Wahlergebnisses, bei der Einreichung der Wahlvorschläge usw., je nach dem System, das man wählt. Infolgedessen hatten wir uns geeignet, erst einmal über die Grundsätze abzustimmen, damit wir nicht doppelte und dreifache Arbeit haben. Sonst hätten wir von etwa 90 bis 100 Paragraphen drei Alternativen nebeneinander ausarbeiten müssen, ohne daß wir in der politischen
Entscheidung weitergekommen
wären.
Heiland: Ich halte von einem kleinen Ausschuß aus diesem Ausschuß heraus, der sich mit den Fragen beschäftigt, gar nichts. Wir haben jetzt über diese Fragen wochenlang im Negativen diskutiert. Ich werde jetzt in meiner Fraktion vorschlagen, die Öffentlichkeit klar zu informieren, damit sich auch aus der Öffentlichkeit die notwendige Resonanz entwickeln kann, die dem Ausschuß von außen eine gewisse Befähigung zur Arbeit gibt. So wie hier die Entscheidungen gefallen sind, ist es mit den als so heilig erklärten demokratischen Prinzipien, die hier immer vertreten worden sind, einfach nicht zu verantworten. Jetzt kann hier auch mit Pflästerchen nichts mehr geheilt werden. Daher bin ich der Meinung, daß wir jetzt die Öffentlichkeit klar und deutlich aufklären müssen, damit wir von dort aus die notwendige Belebung bekommen, die uns zu einer Arbeit befähigt. Vors. [Dr. Becker]: Wollen Sie vielleicht den Antrag stellen, daß diese Frage im Plenum zur Entscheidung gebracht wird? Heiland: Ich stelle jetzt noch keinen Antrag. Ich werde in meiner Fraktion meine Meinung klar sagen, und Sie werden die Meinung der Fraktion mitgeteilt bekommen. Dr. Kroll: Ich möchte Herrn Heiland nur fragen, wie er sich rein zeitlich die Mobilisierung der Öffentlichkeit vorstellt, (Heiland: das überlassen Sie uns einmal!) ob er etwa meint, daß er dazu eine Volksabstimmung haben müßte. Heiland: Die brauchen wir dazu nicht.
12) Siehe oben Dok. 13) Siehe oben Dok.
Nr. 10, TOP 2. Nr. 12, TOP 2 a. 415
Nr. 14
Dreizehnte Sitzung 3. November 1948
Dr. Kroll: Jede große Angelegenheit ist bisher in interfraktionellen Besprechungen, soweit es möglich war, vorgeklärt worden. Ich stehe auch auf dem Standpunkt von Herrn Dr. Becker, das Wahlrecht steht nicht isoliert da. Vors. [Dr. Becker]: Nicht völlig isoliert! Dr. Kroll: Sie haben im Organisationsausschuß selbst erklärt, wenn ein Verhältniswahlrecht gewählt wird, bedingt das nach Ihrer Meinung andererseits eine Regierung auf Zeit und gewisse Sicherungen, damit eine Stabilität entsteht14).
Ich bin der gleichen Meinung. Ich stehe also auf dem Standpunkt, man sollte die Fraktionen veranlassen, diejenigen Fragenkomplexe, die unmittelbar logisch mit dem Wahlmodus verknüpft sind, in einer interfraktionellen Besprechung einmal insgesamt zu klären und darüber eine Abstimmung herbeizuführen. Dr. Diederichs: Ich möchte an sich Herrn Dr. Kroll zustimmen. Ich würde keinen Versuch unterlassen, es interfraktionell zu einer Klärung zu bringen. Ich habe bloß den Eindruck, daß dieser Ausschuß auch interfraktionell zusammengesetzt ist. Der Ausschuß hat sich nun wochenlang mit dem Problem beschäftigt. Ich weiß nicht, wen die Fraktion von Herrn Dr. Kroll zu einer solchen Besprechung schicken würde. Wollen Sie nach Möglichkeit Leute hinschicken, die vollkommen unbelastet sind mit den ganzen Vorarbeiten, die wir geleistet haben, die harmlos wie die Kinder an die Dinge herangehen! Meiner Ansicht nach müßte der Ausschuß das klären können. Den Vorschlag, sich abends einmal in kleidas können wir inoffiziell machen —, würde nem Kreise zusammenzusetzen ich persönlich nicht für falsch halten. Daneben kann man alle anderen Wege erkunden. Das eine ist zweifellos richtig, was sowohl Herr Dr. Kroll als auch Herr Dr. Becker sagen, das Wahlsystem hängt in gewissem Maße mit dem Gesamtsystem dessen zusammen, was dabei herauskommen soll. Es ist nicht für sich isoliert zu betrachten. Wir wissen aber auch aus den Verhandlungen der anderen Ausschüsse und aus dem, was uns bisher schon an Entwürfen vorliegt, wohin die Reise ungefähr zu gehen scheint. Wenn wir aber der Ansicht sind, daß wir das nicht klären können, ehe das andere vorliegt, dann ist es eine Aufgabe, die wir vertagen müssen, bis das andere klar vorliegt, um es darauf zuzuschneiden. Nachdem wir diese drei Möglichkeiten abgelehnt haben, sehe ich eigentlich nur noch die Möglichkeit, daß jeder von sich aus ein fix und fertiges Wahlrecht hinlegt. Aber auch dann haben wir praktisch nichts. Wir haben dann drei Entwürfe, die außer dem Generellen noch die ganze Last des Technischen enthalten, was wir bisher mit Recht in den Hintergrund gestellt haben, denn das sind praktisch nur Ausführungsbestimmungen zu dem Grundsätzlichen. Vors. [Dr. Becker]: Ich verstehe den Mißmut, den der Herr Kollege Heiland zum Ausdruck gebracht hat, durchaus. Ich teile ihn nämlich15). Nachdem wir jetzt hier in der neunten Woche sitzen, wird allmählich in der Bevölkerung eine gewisse Ungeduld darüber wach, daß praktisch eigentlich kein richtiges Voran—
vom 30. Sept. 1948 mit dem Problem der „Regierung auf Zeit" bzw. dem Wahlrecht. Zum Standpunkt der FDP und insbesondere Beckers siehe ebenda Z 5/70, Bl. 128 f. und 140 f. 15) Siehe auch oben Abschnitt 2 a der Einleitung.
14) Der Organisationsausschuß beschäftigte sich in seiner 8. Sitzung
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kommen zu sehen ist. Ich persönlich teile die Ungeduld um so mehr, als ich sehen muß, daß mein Beruf in diesen Wochen, in denen man hier sitzt, allmählich vor die Hunde geht16). So wird es vielen anderen von uns auch gehen. Wir müssen einmal zu irgendeinem Ergebnis kommen. Das Ergebnis kann nicht darin bestehen, daß jede Fraktion auf ihrem Standpunkt bestehen bleibt. So wie die Situation hier ist zwei gleich starke Fraktionen, dazwischen einige kleine können wir nur über den Weg des Kompromisses zu einem Ergebnis kommen17). Das Kompromiß sehen wir im Verfassungsbau im Ganzen nur da gebe ich dem Herrn Kollegen Diederichs Recht —, wenn wir uns ein Gesamtbild machen. Bei dem Wahlrecht kann man es vielleicht etwas isoliert betrachten, obwohl vieles auch mit in die Fragen der Organisation des Bundes hineinspielt18). Ich möchte Ihnen vorschlagen, das Ergebnis den Fraktionen vorzutragen. Ich wollte dann bitten, daß sich vielleicht morgen früh von jeder Fraktion ein Herr hier trifft, um kurz die Möglichkeit einer geschäftsordnungsmäßigen Weiterführung unter uns zu besprechen. Herr Kollege Dr. Diederichs, Herr Kollege Dr. Kroll und Herr Kollege Renner, würden Sie damit einverstanden sein? Dr. Kroll: Sie haben schon ausgesprochen, Herr Dr. Becker, dieses Abstimmungsergebnis schafft natürlich für alle Fraktionen eine Situation, die sie mindestens kurz beraten müssen. Daher schließe ich mich Ihrem Antrag an, daß wir die Fraktionen von dem Ergebnis informieren und uns morgen kurz besprechen. Renner: Es handelt sich doch darum, daß ein Kompromiß zwischen CDU und SPD herbeigeführt wird. Wir kleinen Splitterparteien spielen doch hier keine entscheidende Rolle. —
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(Widerspruch.) 16)
Am 4. Nov. 1948 hatte Becker unter Verweis auf seine „sehr bedrohliche" berufliche Lage als freier Rechtsanwalt um finanzielle Unterstützung durch den Pari. Rat gebeten, was jedoch abschlägig beschieden wurde (Becker an den Präsidenten des Pari. Rates vom 4. Nov. 1949, PA Bestand 5/14; Sekretariat Pari. Rat an Becker vom 20. Jan. 1949, ebenda). Vereinzelt traten auch andere MdPR hilfesuchend an den Pari. Rat heran. Bekker hatte sich zudem mehrmals im Verlauf der Beratungen des Pari. Rates von Adenauer beurlauben lassen, um seinen Pflichten als Rechtsanwalt und Notar in seiner Heimatstadt Bad Hersfeld nachzukommen (Becker an Adenauer vom 11. Nov. 1948, ADL 2958; Reif an Becker vom 17. Dez. 1948, ebenda).
17) Nach dem vorläufigen Scheitern der Wahlrechtsausschußverhandlungen wurde auf verschiedenen Ebenen versucht, zu einer Kompromißlösung zu kommen. Zumindest auf Seiten der CDU/CSU war dabei klar, daß das Wahlgesetz bei der Gestaltung des Grundgesetzes durchaus Teil der Verhandlungsmasse war im Gegensatz zu den als ungleich
bedeutender einzustufenden Fragen wie des Bundesrates oder der Landesfinanzverwaltung. Bei den interfraktionellen Verhandlungen spielte insbesondere die FDP eine Schlüsselrolle, da sie sowohl von SPD als auch der CDU/CSU umworben wurde. In einem Gespräch mit Dehler betonte Pfeiffer am 17. Nov. 1948 ausdrücklich den Wunsch der Unionsfraktion, mit der FDP in der Wahlrechtsfrage zu einem Kompromiß zu kommen (Instruktion für die Berichterstattung beim Ministerpräsidenten am 17. Nov. 1948, Bayer. H StA NL Pfeiffer/Bd 213). 1B) So der Abschnitt im Grundgesetz über den Bundestag, Wahlform, Anzahl der Abgeordneten
u. s. w.
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Der eine Teil der Splitterparteien fällt auf die eine Seite und der andere Teil auf die andere Seite. Ohne ein Kompromiß zwischen CDU und SPD kommt hier nichts zustande. Das Kompensationsgeschäft zwischen den beiden großen Parteien ist in verschiedenen anderen Fragen, bei Bundesrat und Senat, bei der
Finanzhoheit usw. notwendig19). Heiland: Wir wollen Sie ganz gern mit in die Verantwortung nehmen. Renner: Meine Stellungnahme ist ganz klar, ich bin für das kleinere Übel. Ich bin keineswegs damit einverstanden. Entscheidender als diese Frage ist die Frage, was Sie mit den Reststimmen machen wollen, wenn Sie an der Klausel festhalten, daß diese Reststimmen nur zum Zuge kommen, wenn in einem Wahlkreis ein Mandat erobert worden ist. Ich habe mir gestern Abend ausgerechnet, was herauskommen kann. Wenn man den großen Parteien 37 und 35 % der abgegebenen Stimmen zuteilt das ist ungefähr die Norm, die erreicht werden wird —, dann kann es uns im Endeffekt passieren, daß bei 70 % Wahlbeteiligung davon bin ich ausgegangen 33 und 16 Mandate, also 49 —
Mandate, nicht den.
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die Zahl 60 000 bzw. 200 000 zugrunde legt, überhaupt kommen, daß rund 10 Millionen Wählerstimmen ausschei-
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wenn man
zum
Zuge
(Dr. Kroll: Bei welchem System?) Bei dem System, um das es jetzt geht. (Dr. Kroll: Das von Dr. Diederichs?)
von einer Stimmverteilung von 37 % für die A-Partei, von 35 % für die B-Partei, für die kleineren Parteien 12, 10 bzw. 6%. Fällt die eine Klausel nicht, so ist das Ergebnis bei 70 % Wahlbeteiligung, daß rund 10 Millionen Wählerstimmen überhaupt nicht zum Zuge kommen. Sie können nicht erwarten, daß ich hundertprozentig begeistert bin, wenn ich die Hand hochgehoben habe29). Man könnte doch sagen, das erste Parlament soll dem Willen des Volkes Rechnung tragen. Davon können wir doch nicht abgehen. Vors. [Dr. Becker]: Wollen wir noch einmal hintenherum in eine Debatte über die einzelnen Wahlrechtsvorschläge eintreten? Ich würde sonst vorschlagen, nur über die geschäftsordnungsmäßige Weiterbehandlung der Dinge zu debattieren. Dr. Diederichs: Herr Dr. Becker hat vorhin meines Erachtens mit Recht darauf hingewiesen, daß, wenn wir heute aus dieser Sitzung wieder mit lauter negativen Abstimmungen herauskommen, in dem Blätterwald irgendeine recht unfreundliche Reaktion oder ähnliches entstehen könnte21).
Ausgehend
19) Siehe oben Abschnitt 2 a der Einleitung. 20) Renner hatte bei der vorangegangenen Abstimmung für den Wahlgesetzentwurf Diederichs' gestimmt (siehe oben Anm. 11). 21) Tatsächlich warteten die Zeitungen in den nächsten Tagen mit nur wenig schmeichelhaften Schlagzeilen über den Wahlrechtsausschuß auf. Die Hamburger Freie Presse titel„Verhältniswahl oder Mehrheitswahl. Der Wahlrechtsausschuß in
te am 4. Nov. 1948:
Bonn kann sich über diese Frage nicht einigen." Auch die Allgemeine Kölnische Rundschau bemängelte am 5. Nov. 1948, daß „die Arbeiten des Parlamentarischen Rates [. ] in dieser Woche überschattet [waren] von dem nach neun Wochen ergebnislosen Abschluß der Arbeiten des Wahlrechtsausschusses". .
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(Heiland: Hoffentlich!) Nicht hoffentlich! Ich bin ganz anderer Auffassung. Ein Pressestörungsmanöver halte ich nicht für so glücklich. Dadurch werden die Dinge nicht klar. Ich wollte die Frage aufwerfen, ob wir nicht über dieses Ergebnis irgendeine Erklärung von hier aus an die Presse geben sollen, die eben nicht eine willkürliche und [für] uns unglückliche Reaktion bringt. Über das Grundsätzliche brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Wir müssen uns darüber klar sein, ob wir eine wilde Verzweiflung in die Presse hineinkommenlassen wollen. Frau Wessel: Ich bin auch der Auffassung, daß die Arbeiten des Ausschusses mit diesem Ergebnis zeigen, wie wenig wir uns in einer Demokratie befinden. Wenn ein solcher Kreis von auserwählten Menschen es in neun Wochen nicht fertig bringt, irgendein greifbares Kompromiß zustande zu bringen, so ist das der allerbeste Beweis dafür, daß wir bei Gott noch nicht so weit sind, überhaupt in diesen Dingen zu einer Auffassung zu kommen. (Stock: Wir brauchen doch den starken Mann!) Ich lasse mich gerne überzeugen. Ich verspreche mir auch nicht mehr allzu viel von den interfraktionellen Besprechungen. Diese sind in den neun Wochen immerhin geführt worden. Soll denn jetzt von oben irgendwie ein bestimmtes Votum kommen, das sagt: in dieser Richtung wird es gemacht, anders geht es nicht? Ich bin der Auffassung, wenn wir hier nicht zustande kommen, muß die Sache noch einmal vor das Plenum gebracht werden. Dann wird das Für und Wider miteinander besprochen. Die Dinge werden immer so einseitig dargestellt, als wenn die ganze Weimarer Republik schließlich nur am Wahlrecht zugrunde gegangen wäre. Das stimmt alles gar nicht. Man geht mit ganz bestimmten Voraussetzungen an die Dinge heran. Wenn wir hier nicht zustande kommen, müssen wir im Plenum darüber sprechen und müssen sehen, wie wir weiterkommen. So wie es bisher geht, kommen wir, glaube ich, zu keinem Er—
gebnis. Löhe: Ich möchte auch davor warnen, die Sache allzu tragisch zu nehmen. An und für sich gehört diese Wahlrechtsbestimmung nicht in ein Staatsgrundgesetz. Wir haben uns nur deshalb dazu entschlossen, es mit auszuarbeiten, weil es sonst keine Instanz gibt, die im gegenwärtigen Augenblick ein Wahlgesetz proklamieren könnte. Dieses Wahlgesetz wird in den Übergangsbestimmungen des letzten Artikels enthalten sein22). Daraus ergibt sich, daß man eigentlich schon eine Übersicht über die Grundgestalt der Verfassung selber haben müßte, weil davon vieles für das Wahlrecht abhängt. Wir haben aber den Versuch gemacht, beides gleichzeitig zu erledigen. Dieser Versuch ist gescheitert. Man kann nun noch zwei Wege betreten, zunächst den Weg der interfraktionellen Besprechungen, obwohl ich mir denke, wenn die Herren Kollegen Diederichs, Becker und Kroll beieinander sitzen, werden sie mit dem gleichen Resultat wie heute auseinandergehen. Man kann auch den Weg betreten, den Herr Heiland angedeutet hat und den Frau Wessel soeben anzudeuten schien, und kann sagen: tragen wir die Schlacht einmal mit dem versammelten Kriegsvolk aus!
22) Das Wahlgesetz wurde vor allem vom Organisationsausschuß destag" (Art. 38-49 GG) behandelt.
in Abschnitt III „Der Bun-
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Vielleicht führt das einen Schritt weiter. Recht hat aber offenbar der Kollege Renner mit seiner Auffassung, hier müssen zwei große Parteien sich einigen. Dann werden die anderen Parteien ihre Abänderungsvorschläge, aber auch ihre endgültige Stellung für das eine oder das andere aussprechen müssen. Damit wird die Sache wahrscheinlich endigen, auch wenn man vorher den Weg der interfraktionellen Besprechung oder den Weg des öffentlichen Meinungsaustausche geht. Dr. Diederichs: Ich bin nicht hundertprozentig der Auffassung von Herrn Löbe. Gerade die Vorschläge von Herrn Dr. Kroll und von mir, also von den beiden großen Parteien, denen auch Herr Renner die Entscheidung und die Einigung zuspricht, liegen am weitesten auseinander. Ich könnte mir vorstellen, wenn ich mich mit Frau Wessel, Herrn Dr. Becker und vielleicht auch mit Herrn Renner die wir uns alle für ein modifiziertes Verhältniswahlrecht zusammensetze haben —, daß wir vielleicht zu einer Form kommen würden, die ausgesprochen wir alle vertreten könnten. Dafür ist nämlich praktisch schon bei der vorigen Abstimmung eine Mehrheit vorhanden gewesen23). Lediglich das krasse Listenwahlrecht ist abgelehnt worden. An sich ist hier ein Pro für ein modifiziertes Verhältniswahlrecht mit Einbau von Persönlichkeitswahlrecht vorhanden. Das ist eine Linie, für die eine durchaus kompakte Mehrheit vorhanden ist. Es ist vielleicht richtig, daß wir, die wir diese Linie als Mehrheit vertreten, uns einmal ernsthaft überlegen, ob wir nicht einen gemeinsamen Vorschlag vorlegen können. Das würde praktisch den Versuch bedeuten, aus dem Vorschlag von Dr. Becker und meinem Vorschlag ein brauchbares modifiziertes Verhältniswahlrecht zu machen, wobei wir die 50 zugestandenen Verhältnismandate des Herrn Dr. Kroll mitberücksichtigen können. Vors. [Dr. Becker]: Ich darf vorschlagen, in der Pressebesprechung das Ergebnis der Abstimmung zum Ausdruck zu bringen und ferner zu sagen, wir führen die Abstimmung darauf zurück, daß sich in den übrigen Ausschüssen noch kein Gesamtbild der Verfassung herausgestellt hat. (Stock: Das wäre nicht der Wahrheit entsprechend.) Doch, das wurde vorhin zum Ausdruck gebracht. (Heiland: Ich bin nicht einverstanden.) Sind Sie dann damit einverstanden, daß ich die verschiedenen Auffassungen in der Pressekonferenz zum Ausdruck bringe? Heiland: Ja. Vors. [Dr. Becker]: Also nicht eine gemeinschaftliche. Renner: Man sollte in der Pressekonferenz sagen, was Herr Dr. Diederichs zuletzt gesagt hat, daß für den dritten Vorschlag im Plenum eine Mehrheit besteht, daß das nur aufgrund der Zusammensetzung des Ausschusses nicht zum Ausdruck gekommen ist. Frau Wessel: Ist es denn tatsächlich so, daß diejenigen, die hier abgestimmt haich sage jetzt: die einmütige Auffassung, ich ben, die einmütige Auffassung ihrer Fraktionen hinter sich haben? sage nicht: die Mehrheitsauffassung —
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23) Siehe oben Dok. 420
Nr. 8, TOP 2.
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man sich in diesem Kreise nicht einigt, müssen zwei Vorschläge vom Plenum abgestimmt werden. Dann hat sich jeder so oder so zu entscheiden. Wir kommen auf die Dauer nicht anders zurecht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die CDU geschlossen, auch einschließlich von Frau Weber24), für dieses Wahlrecht sein kann. Dabei werden die Frauen restlos ausgeschaltet. Ich halte es für sinnlos, den Frauen ein passives Wahlrecht zu geben, wenn sie überhaupt nicht zum Zuge kommen. Mir soll doch keiner vorreden, daß bei einem relativen Wahlrechtssystem überhaupt noch eine Frau ins Parlament kommt. Man muß die Dinge doch einmal ganz nüchtern sehen.
Wenn
(Renner: Das ist pessimistisch.) Das ist nicht pessimistisch. Das ist die Praxis, die wir seit Weimar hinter uns haben. Aber nicht aus diesem Grunde bin ich für diese Regelung. Die Frage der Frau ist nur ein Moment. Dann muß jedes Mitglied des Parlamentarischen Rates einfach sagen: So oder so entscheide ich mich. Wir können da —
nicht einfach von Fraktionsmeinungen ausgehen. Stock: Wir werden von unserer Fraktion aus versuchen, wieder eine Plenarsitzung zu bekommen. In dieser Plenarsitzung wird das ausgetragen. Ich weiß podie mir das persönlich erklärt haben sitiv, daß einige Leute der CDU nicht für das Wahlsystem des Herrn Dr. Kroll sind. (Dr. Kroll: Das ist bei Ihnen das gleiche, Herr Stock.) Bei uns nicht. (Dr. Kroll: Carlo Schmid hat es mir klar gesagt.)25) Bei dieser Wahl wird eindeutig für das Verhältniswahlsystem eingetreten. Wir werden bis zu dieser Plenarsitzung einen vollständigen Entwurf für das Wahlgesetz fertig machen und werden diesen Kampf in der Plenarsitzung auskämpfen. Ich bin der Auffassung, daß das Verhältniswahlsystem im Plenum mit einiger Mehrheit angenommen werden wird. So hat es keinen Wert, weiter zu diskutieren. Es ist schade um die Zeit, die wir anderwärts besser verwenden können. Eine Einigung zwischen Herrn Dr. Becker, Herrn Dr. Diederichs und Herrn Dr. Kroll ist unmöglich. Wenn die vier Wochen zusammensitzen, bringen sie auch kein einheitliches Wahlgesetz heraus. Deshalb können wir das nur im Plenum austragen, dort wird dann abgestimmt. Wir werden sehen, wie die Mehrheit des Parlamentarischen Rates zu dem Verhältniswahlsystem steht. —
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in den CDU/CSU Fraktionssitzungen bereits eindeutig gegen das reine Mehrheitswahlsystem ausgesprochen, weil es auch ihrer Meinung nach „die Wahl von Frauen praktisch ausschließe" (Sitzungsprotokoll vom 14. Okt. 1948, 16.30 Uhr, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 79). 25) Carlo Schmid äußerte sich des öfteren zu Wahlrechtsfragen, wobei er aus seiner Vorliebe für das Mehrheitswahlrecht kein Hehl machte (vgl. hierzu auch das Schreiben des DWG-Vorsitzenden G.B. von Hartmann an Schmid vom 21. Sept. 1948, FESt NL Schmid/Bd 1169). Noch am 17. Juli 1949 erklärte er, Anhänger des Mehrheitswahlrechts zu sein; lediglich die außergewöhnlich labile soziale und politische Lage, in der sich der neue westdeutsche Staat nun befände, habe ihn dazu veranlaßt, für das Verhältniswahlrecht zu stimmen (Carlo Schmid: Rückblick auf die Verhandlungen, in: Die Wandlung 4 (1949), S. 652-669; auch abgedruckt in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen, S. 503—523, bes.: S. 521 ff.; siehe auch Schmids Rede vor dem Plenum am 24. Feb. 1949, in: Stenographische Berichte, S. 130).
24) Helene Weber hatte sich
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Vors. [Dr. Becker]: Der Herr Kollege Lobe hat vorgeschlagen, die Dinge nicht so zu nehmen. Es war die Frage interfraktioneller Besprechungen erörtert worden, ich hatte es auch angeregt. Ich hatte bei mir immer das Gefühl, eine bevorstehende Abstimmung im Plenum allein würde unter Umständen schon
tragisch
befruchtend und beschleunigend auf das Tempo interfraktioneller Besprechungen wirken können, so daß vielleicht die Frage zu erwägen ist, ob wir nicht allen unseren Fraktionen empfehlen sollen, der Frage der Behandlung im Plenum mit Abstimmung in etwa 8 bis 10 Tagen näherzutreten. Dann würde die Möglichkeit bestehen, eine Gesamtregelung, wenn diese in der Zwischenzeit noch gefunden wird, gleichzeitig im Plenum durchzupauken. Dr. Kroll: Es wird kein anderer Weg übrig bleiben. Heiland: Das muß man erst einmal den Fraktionen überlassen. Vors. [Dr. Becker]: Jeder mag heute seiner Fraktion vortragen, nach langer Aussprache hat sich die Meinung ergeben, daß unter Umständen eine Abstimmung im Plenum in etwa acht bis zehn Tagen wünschenswert erscheinen kann, um die Dinge zu klären und eventuell einen gewissen Zwang auszuüben, sich interfraktionell zu einigen. Dr. Diederichs: Es sind hier bei der Abstimmung rein konkrete Vorschläge abgelehnt worden. Es ist aber durchaus mit einer Mehrheit ein modifiziertes Verhältniswahlrecht angenommen worden. Meines Erachtens sollten diejenigen, die diese Mehrheit darstellen, den Versuch machen, für dieses modifizierte Verhältniswahlrecht den Entwurf eines Wahlgesetzes vorzunehmen. Ich weiß nicht, ob wir dazu unbedingt noch des Votums des Plenums bedürfen. Das würde wahrscheinlich dasselbe sein. Das Plenum würde auch in einer Gesamtabstimmung nicht über einen Gesetzestext abstimmen, sondern über die Kernfrage: Verhältniswahlrecht oder das andere. Wir würden dann mit dieser Entscheidung, die nämlich für ein modifiziertes Verhältmeines Erachtens nicht zweifelhaft ist niswahlrecht215) —, aus der Plenarsitzung herauskommen und würden möglicherweise den Auftrag bekommen: Bitte, macht hierfür den Entwurf eines Wahlgesetzes! Ich wiederhole also meinen Vorschlag, daß diejenigen, die sich schon in der vorigen Sitzung positiv für das Verhältniswahlrecht ausgesprochen haben, sich noch einmal in engem Kreise zusammensetzen mögen, um aus dem Vorschlag von Dr. Becker und meinem Vorschlag ein Wahlrecht zu präsentieren, das diesem modifizierten Verhältniswahlrecht eine Form gibt. Ich halte das für' —
möglich.
Frau Wessel: Diesem Wunsch von Herrn Dr. Diederichs steht nichts entgegen. Dieses Verhalten von sogenannten Volksvertretern richtet die Demokratie zugrunde. Deshalb müssen wir endlich dahin kommen, die Dinge nötigenfalls im Plenum zur Entscheidung zu bringen. Diesem Vorschlag widerspricht nicht das, was Herr Dr. Diederichs will. Die eine Seite, die ein modifiziertes Wahlrecht will, wird sich selbstverständlich zusammensetzen und ihren gemeinsamen Vorschlag vortragen. Auf der anderen Seite steht dann der Vorschlag für das relatiwar sich einigermaßen sicher, daß ihr Wahlrechtsvorschlag vom Pleangenommen werden würde. In diesem Sinne argumentierte auch der Neue Vorwärts in seiner Ausgabe vom 6. Nov. 1948.
26) Die SPD-Führung num
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Mehrheitswahlrecht. Einen anderen Weg sehe ich nicht. Dann muß eben das Für und Wider in einer solchen Plenarsitzung ausgesprochen werden. Es kommt darauf an, daß die Vertreter der einen oder anderen Richtung für ihre Sache so überzeugende Momente beizubringen vermögen, daß sich dementsprechend auch der einzelne Vertreter ausspricht. Ich wehre mich dagegen, daß hier vorgefaßte Parteimeinungen ganz einseitig vertreten werden und nicht der einzelne Abgeordnete von sich aus die Möglichkeit haben soll, vor seinem Gewissen und vor seiner Verantwortung für die neu zu schaffende Demokratie oder den neu zu schaffenden Bund seine Meinung auszudrücken. So schaffen wir wirklich nicht den neuen Staat, den wir haben wollen. Darum muß die Sache erneut mit den beiden Meinungen ins Plenum. Das andere sind alles rein technische Dinge. Maier: Ich möchte anregen, daß zunächst die Fraktionen die Frage besprechen, daß unabhängig davon das stattfindet, was Herr Dr. Diederichs vorgeschlagen hat, wobei wir nicht auf die Behandlung in der Plenarsitzung verzichten. Wenn für die Plenarsitzung bereits ein Entwurf vorliegt, der beraten werden kann, ist es um so besser. Dann braucht die Plenarsitzung nicht bloß die grundsätzliche Frage zu entscheiden. Liegt ein Entwurf nicht vor, kann die Plenarsitzung die grundsätzliche Frage entscheiden, und das Technische kann hinterher gemacht werden. Wir müssen aber zu einer Entscheidung kommen, um der Öffentlichkeit wenigstens einmal zu zeigen, daß wir mit einem Problem fertig werden. Sonst machen wir uns draußen lächerlich. Stock: Ich will nur noch das ergänzen, was der Herr Kollege Maier gesagt hat. Es steht dem nicht im Wege, daß Herr Dr. Becker, Herr Dr. Diederichs, Frau Wessel und Herr Renner sich zusammensetzen und versuchen, vielleicht ein gemeinsames Gesetz herauszubringen. Ich nehme an, daß wir von unserer Fraktion aus auf Grund des Vorschlages von Herrn Dr. Diederichs ebenfalls einen vollständigen Gesetzentwurf ausarbeiten werden. Wenn dann dieser Gesetzentwurf mit der Auffassung von Herrn Dr. Becker, Frau Wessel und Herrn Renner koordiniert werden kann, ist das immerhin schon ein Vorschlag von vier Fraktionen, der nachher dem Plenum vorliegen würde, so daß ich glaube, daß wir weiterkommen. Es hat wirklich keinen Sinn, hier noch zu diskutieren. Wir sehen, die Haltung ist stur, obwohl ich weiß, daß die CDU/CSU nicht einmütig auf dem Standpunkt steht. Wenn in der Plenarsitzung die Angelegenheit verhandelt ist, weiß man wenigstens, was der Parlamentarische Rat in seiner Mehrheit zu dem Wahlgesetz zu sagen hat. Renner: Ich bedaure eigentlich die Einschränkung, die der Herr Kollege Stock zuletzt noch gemacht hat. Herr Dr. Diederichs ist doch der Vertreter Ihrer Frakve
tion,
(Stock: ja.)
wir uns schon in dem kleineren Kreis zusammensetzen sollen, kann doch das Ergebnis, das bei dieser Verhandlung eventuell herauskommt, nicht noch einmal der sozialdemokratischen Fraktion vorlegen. Stock: Sie haben mich falsch verstanden. Wir werden vorher einen Gesetzentwurf fertigstellen. Sie als vier Fraktionen nehmen dazu Stellung, und der Gesetzentwurf kommt gemeinsam ins Plenum.
und
wenn
man
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Renner: Dieser
Auffassung
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schließe ich mich
an.
Das scheint mir das
einzig
sein, um überhaupt weiterzukommen. Vernünftige Vors. [Dr. Becker]: Es scheint dann die Auffassung des Ausschusses zu sein, daß eine neue Ausschußsitzung zunächst nicht stattfindet. Wir werden das Ergebnis des heutigen Tages in den Fraktionen beraten27). Die Fraktionen beraten in der Richtung, daß eine Plenarsitzung beantragt wird26). Zwischenzeitlich soll von denen, die glauben, auf der Grundlage des Proportionalwahlrechts zustande zu kommen, versucht werden, einen Entwurf auszuarbeiten. Das schließt nicht aus, daß interfraktionelle Besprechungen umfassender Art geführt werden29). Ich darf annehmen, daß das die Auffassung des Ausschusses ist. Bis wann könnte die Meinung der Fraktionen feststehen? Herr Dr. Diederichs, Herr Walter, Herr Heiland und ich müßten darüber sprezu
chen, wie wir geschäftsordnungsmäßig fortfahren wollen. Dr. Diederichs: Wir haben heute Nachmittag Fraktionssitzung und werden die Sache besprechen. Morgen früh können wir zusammenkommen. Vors. [Dr. Becker]: Wir wollen uns dann morgen früh kurz vor 9 Uhr hier treffen. Ich nehme an, daß wir auch von Herrn Dr. Kroll, von Frau Wessel und von Herrn Renner etwas hören können30).
(Zustimmung.) 27) Kroll berichtete noch
am selben Tag seiner Fraktion über das Ergebnis des Wahlrechtsausschusses (Sitzung vom 3. Nov. 1948, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 117). Nach kurzer Debatte über die angebliche Bereitschaft der SPD, die Wahlrechtsfrage zum Gegenstand einer „großen gegenseitigen Verrechnung [. ] über gewisse Punkte der Verfassung" zu machen oder es in einer Plenarsitzung auf eine Kampfabstimmung ankommen zu lassen, beschloß die Fraktion, eine Arbeitsgruppe unter Krolls Vorsitz einen Wahlgesetzentwurf ausarbeiten zu lassen (a. a. O., S. 122). Zur Lage in der FDP siehe unten Dok. Nr. 15, Anm. 8. 2B) Kroll warf in der CDU/CSU-Fraktionssitzung am 4. Nov. 1948 die Frage auf, „ob die SPD eine Plenarsitzung in der nächsten Woche wolle und wie man sich dazu verhält". Adenauer reagierte daraufhin lakonisch: „Dann wird sie einberufen" (Sitzung vom 4. Nov. 1948, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 134 f.). Die nächste Plenarsitzung fand jedoch erst am 24. Feb. 1949 statt (Stenographische Berichte, S. 125 ff.). 29) Siehe oben Anm. 17. 30) Zur Reaktion der CDU/CSU-Fraktion siehe oben Anm. 27. Stellungnahmen der anderen Parteien ließen sich nicht ermitteln. Über die interfraktionelle Besprechung am 4. Nov. 1948 liegt kein Protokoll vor. In den nächsten Tagen wurden die Auseinandersetzungen im Ausschuß, insbesondere die konträren Positionen Krolls und Diederichs' auch in die Öffentlichkeit getragen („Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht", in: Süddeutsche Zeitung vom 6. Nov. 1948; „Wie soll Deutschland künftig wählen?", in: Die Welt vom 7. Nov. 1948). Allerdings stellte sich bei der SPD immer mehr das heraus, was Leisewitz am 5. Nov. 1948 in seinem Bericht an das Büro der Ministerpräsidenten festhielt: „In der Frage des Wahlrechts gehen bekanntlich die Kontroversen mitten durch alle Parteien. Die SPD setzt hier die Tatsache in ihre Rechnung ein, daß im Plenum mit einer Mehrheit für ein modifiziertes Verhältniswahlsystem zu rechnen ist, und schlägt aus der Logik der konkreten Situation heraus, zum mindesten für die Wahl des ersten Bundestages, ein Wahlrecht auf der Grundlage einer weitgehend modifizierten Proportionalität vor" (BAZ 12/119, Bl. 265 ff., Hervorhebung in der Vorlage; vgl. auch Leisewitz' Berichte vom 3. Nov. und 6. Nov. 1948, a. a. O., Bl. 257-263 und Z 12/118, Bl. 1-4; vgl. auch den Artikel „Wahlrechtsausschuß bricht Beratungen ab", in: Neuer Vorwärts vom 6. Nov. 1948). .
424
.
Vierzehnte
14.
Sitzung
Sitzung
2.
Dezember 1948
Nr. 15
Nr. 15 des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 2. Dezember 1948
Z5/84, Bl. 149-1851). Undat. und ungez.
Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 61-62, Drucks. Nr.
Stenograf. Wortprot. 358/11
Anwesend2) : CDU/CSU: Blomeyer (für Kroll)3), Walter, Schröter SPD: Stock, Menzel, Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Frau Wessel (Z, für Reimann)4) Mit beratender Stimme: Kuhn (SPD), Maier (SPD), Stenografischer Dienst: Meidinger Beginn: 15.15 Uhr Ende: 17.15 Uhr
Runge (SPD), Roßhaupter (SPD)
[1. EINGABEN] Der Vorsitzende
gibt einleitend eine Reihe von Eingaben bekannt, die sich mit Vorschlägen Gestaltung des Wahlrechts befassen, und bemerkt hierzu: Ich habe den Eingang dieser Eingaben bestätigt und den Einsendern geschrieben, daß die Eingaben mit großem Interesse gelesen werden. Ich hoffe, daß Sie dazur
mit einverstanden sind.
[2. ZUR VERFAHRENSWEISE]
Der Ausschuß tritt dann in die
Behandlung des
von
dem
Abg.
Dr. Diederichs
vorgelegten Wahlgesetzentwurfs ein5). Vors. [Dr. Becker]: Wir stehen Die sämtlichen Anträge waren
Beginn einer neuen Periode unserer Arbeit. abgelehnt6), aber immerhin kann man aus diesem Ergebnis Schlußfolgerungen ziehen, wie weiter gearbeitet werden soll. Persönlich habe ich den Eindruck, wenn ich das Abstimmungsergebnis richtig beurteile, daß wir auf der Grundlage des Verhältniswahlrechts weiter zu arbeiten am
J) Bl. 186 (S. 24 der ursprünglichen Zählung) wurde neu geschrieben. 2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Adolf Blomeyer (15. Jan. 1900-5. März 1969), NRW, CDU, Landwirt und ehem. Bürger-
war im Pari. Rat Mitglied des Zuständigkeitsausschusses. Der britische Verbindungsoffizier Chaput de Saintonge bezeichnete Blomeyer lediglich als „voting unit", das nur wenig zur parlamentarischen Arbeit in Bonn beigetragen habe. Angesichts der Blomeyerschen Bemühungen im Wahlrechtsausschuß, insbesondere in den letzten Sitzungen, kann dieser Eindruck hier nicht bestätigt werden (vgl. auch Denzer (Hrsg.), Entstehung des Grundgesetzes, S. 129 f.). 4) Zur Vertretung des KDP-Abgeordneten durch die Zentrumspolitikerin Wessel siehe auch
meister,
unten Dok. Nr. 21, TOPl.
5) Drucks. Nr. 266 (Dok. Nr. 20). 6) Siehe oben Dok. Nr. 14, TOP 2. 425
Nr. 15
Vierzehnte
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Dezember 1948
haben und daß es darauf ankommt, die entsprechenden Modalitäten zu finden. Herr Dr. Diederichs hat seinen Vorschlag7) noch einmal im einzelnen ausgearbeitet und vorgelegt, und ich glaube, wir werden uns mangels anderer Vorlagen an diesen Antrag halten und darüber debattieren müssen8). Was wir über aktives und passives Wahlrecht in unseren bisherigen Arbeiten festgelegt haben, können wir verwerten. Ich bin der Meinung, daß die rein formellen Vorschriften, die zum Teil aus der Stimmordnung entnommen werden konnten, keine allzu große Diskussion hervorrufen werden. Es dreht sich um den Kern der Dinge, um das System. [3. BESPRECHUNG DES VORSCHLAGS DR. DIEDERICHS (DRUCKS. NR. 266)]
Ich darf bitten, daß wir nun den Vorschlag Dr. Diederichs in die Hand nehmen und darüber debattieren. Er beruht, wenn ich kurz zusammenfassen darf, darauf, daß die hier im § 2 angegebenen Wahlkreise in den Ländern gebildet werden, d.h. Wahlkreise, von denen jeder etwa ein bis 1,25 Millionen Einwohner umfaßt. In diesen Wahlkreisen soll jede Partei einen Wahlvorschlag einreichen können mit bis zu sechs Namen. Diese sechs Namen sollen keine bestimmte Reihenfolge haben; sie können alphabetisch aufgeführt werden. Es steht jedem Wähler ein Drei-Stimmen-Wahlrecht zu. Der Wähler kann aus den Namen, die wenn fünf Parteien auftreten, also in den Wahlvorschlägen enthalten sind aus 30 Namen diejenigen aussuchen, die er gewählt sehen möchte. Es werden die Stimmen, die auf den Wahlvorschlag einer Partei entfallen sind, zusammengerechnet, und dann wird nach dem d'Hondtschen System ermittelt, wieviel Sitze auf jeden Wahlvorschlag entfallen. Wer nun gewählt ist, ergibt sich nicht aus der Reihenfolge der Liste, wie bisher, sondern aus der Zahl der Kreuze. Derjenige Kandidat, der die meisten Kreuze bekommen hat, bekommt das erste Mandat, der an zweiter Stelle stehende Kandidat das zweite usw. Als Ergänzung ist vorgesehen eine Bundesliste. Auf dieser Bundesliste wird die Gesamtzahl aller im Bund abgegebenen Stimmen pro Partei zusammengerechnet und zwar so, daß auf 200 000 Stimmen ein Mandat entfällt. Die Mandate, die im Wahlkreis schon zum Zug gekommen sind, werden der Partei angerechnet, —
—
7) Drucks. Nr. 266 (Dok. Nr. 20). 8) Becker hatte am 26. Nov. 1948 ein Schreiben
an Dehler mit der Bitte gesandt, anhand des beigefügten Antrags Diederichs zu prüfen, welche Verbesserungen insbesondere aus Sicht der FDP anzubringen wären. Grundsätzlich signalisierte Becker den Willen, in der Wahlrechtsfrage mit der SPD zusammenzugehen: „Die CDU/CSU ist nach wie vor unentschlossen und verpaßt taktische Situationen. Die Möglichkeit und vielleicht Notwendigkeit besteht für uns darin, mit der SPD zusammen eine knappe Mehrheit zu bilden, um wenigstens vorläufig Beschlüsse zu fassen, welche die Entwicklung vorantreiben werden" (Becker an Dehler vom 26. Nov. 1948, ADL 2958). Im Gegensatz zu Becker zeigte sich die FDP-Parteispitze mit Dehler selbst und Heuss noch durchaus offen für ein Zusammengehen mit der CDU/CSU, vorausgesetzt es käme ein Wahlgesetz zustande, „das ihnen [d. h. der FDP, der Bearb.) ein Weiterbestehen ermöglicht" (Adenauer in der CDU/ CSU-Fraktionssitzung vom 30. Nov. 1948 nach einem Gespräch mit Dehler und Heuss (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat S. 241).
426
Vierzehnte daß
praktisch auf diese Weise nur Rechnungsmäßig gesehen ist es
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die Reststimmen
Nr. 15
Zug kommen köndes d'Hondtschen Systems in den Wahlkreisen mit einem festen Faktor für die Reststimmen, so daß die Zahl der Sitze wandelbar ist, d. h. nicht fest auf 300 beschränkt ist, sondern je nach der Wahlbeteiligung schwanken kann. Das ist die Grundlage des Systems und ich darf bitten, dazu Stellung zu nehso
nen.
eine
zum
Verbindung
men.
Dr. Diederichs: Ich möchte nur noch eines unterstreichen. Wir haben am letzten Sonntag in Niedersachsen nach einem System gewählt9), das diesem in gewissem Grad ähnlich ist, vor allem dadurch ähnlich, daß der Wähler drei Stimmen zur Verfügung hat, genau so wie hier und daß er über diese drei Stimmen voll-
kommen frei zwischen den verschiedenen Wahlvorschlägen verfügen konnte. Man hatte im allgemeinen Bedenken gegen die Kompliziertheit eines solchen Wahlsystems, aber es hat sich folgendes herausgestellt: l.JDie Zahl der ungültigen Stimmen war verhältnismäßig sehr gering10); 2.) von der Möglichkeit, aus den Wahlvorschlägen verschiedener Parteien Einzelpersönlichkeiten zu wählen, ist in verhältnismäßig geringem Umfang Gebrauch gemacht worden; in meiner Heimatstadt waren es 12 bis 18 %, so daß 88 bis 82 % der Wähler die ihnen zustehenden drei Stimmen auf einen Wahlvorschlag abgegeben haben. Die Abstimmung innerhalb eines Wahlvorschlags ist in erhöhtem Umfang nicht stur in der Reihenfolge 1—2—3 vorgenommen worden, sondern willkürlich in der Form einer Auswahl der Namen. Es sind innerhalb der Wahlvorschläge bezüglich der einzelnen Kandidaten ziemlich starke Differenzierungen aufgetreten, so daß die persönlich bedeutungsvollen Leute auch innerhalb des Wahlvorschlages einer Partei mit einem starken Vorsprung an Stimmenzahlen hervortraten. Die Möglichkeit, mit drei Stimmen zwischen den dargebotenen Kandidaten auszuwählen, hat sich positiv ausgewirkt. An einzelnen lokalen Stellen hat es eine kleine Panne gegeben, z. B. da, wo die Parteien bei drei zu wählenden Kandidaten vier Namen vorgeschlagen hatten. Da sind Irrtümer vorgekommen, indem die Leute alle vier Namen angekreuzt haben. Solche Stimmen waren natürlich ungültig, weil nicht zu ersehen war, wer als gewählt gelten sollte. Ich habe bewußt auf die Kumulation verzichtet, einzig und allein um den Wahlvorgang nicht technisch zu erschweren. Grundsätzlich habe ich nichts gegen die Kumulation, sondern ich halte sie, wenn man auf Personenwahl Wert legt, für durchaus positiv. Ich habe aber auf die Kumulation verzichtet, weil ich sie für eine technische Erschwerung halte. Aus gewissen Presseäußerungen hasowie Landkreis- und Stadtkreiswahlen vom 28. Nov. 1948. Zur gesetzlichen dieser Wahl siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 124. 10) Der bereits durch seinen Vergleich der Landeswahlgesetze hervorgetretene Carl Tannert (siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 14) legte hierzu im Februar 1949 eine umfangreiche Analyse vor: „Die ungültigen Stimmzettel in Delmenhorst bei den Kommunalwahlen vom 28. 11.1948" (BA NL 242 [Jellinek]/Bd 38). Danach erreichte die Anzahl der ungültigen Stimmen mit 6,8 % der abgegebenen Stimmen jedoch einen Höchststand nach den vorangegangenen niedersächsischen Kreiswahlen vom 13. Okt. 1946 (4,9%) und der Landtagswahl vom 20. April 1947 (4,5 %).
9) Gemeinde-
Grundlage
427
Nr. 15
Vierzehnte
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be ich entnommen, daß die Leute, die nicht so wie wir in den Dingen stehen, Schwierigkeiten sehen, wo wir sie nicht empfinden. Darum bin ich geneigt, von solchen Komplizierungen Abstand zu nehmen und habe daher die Kumulation hier nicht vorgeschlagen. Bei der Wahl in Niedersachsen hat es sich als Positivum erwiesen, daß wir bei den Gemeinden, vor allem bei den kleinen, auf eine Unterteilung in kleinere Bezirke verzichtet haben. Nach dem Wahlrecht, das wir vor zwei Jahren hatten11), war ein Ort, wie meine Heimatstadt, der 15 000 Einwohner hatte, in fünf verschiedene Wahlbezirke unterteilt. Selbst bekannte Leute des Ortes konnten nur in einem der fünf Bezirke aufgestellt werden. Es konnte auf diese Weise nicht zum Ausdruck kommen, wieweit sie wirklich im gesamten Ort Sympathien hatten. Wenn sie Pech hatten und an der falschen Ecke aufgestellt waren, konnten sie durchfallen, obwohl sie im gesamten Ort eine sehr gute Resonanz gehabt hätten. Das hat uns früher auch veranlaßt, eine Unterteilung, die nicht unbedingt aus technischen Gründen notwendig war, zu vermeiden. Denselben Gesichtspunkt habe ich in meinem Vorschlag gelten lassen, indem ich gesagt habe: Wir wählen über das gesamte Bundesgebiet und wollen die Unterteilung nicht weiter durchführen als sie praktisch notwendig ist. Deshalb bin ich auf den Sechs-Mann-Wahlkreis gekommen, der rund 1 Million Einwohner umfaßt und bei der Berechnung nach dem d'Hondtschen System die Möglichkeit bietet, daß Parteien noch mit 10 bis 12 % der abgegebenen Stimmen in unmittelbarer Wahl in diesem Wahlkreis ein Mandat erringen können. Die Verrechnung der Reststimmen ist so gedacht, daß, wie schon angedeutet wurde, die gesamten Stimmen aller Vorschläge zusammengezählt und dann durch 200 000 geteilt werden. Die Mandate, die noch nicht unmittelbar vergeben sind, werden dann nach dieser Berechnung genau nach dem Verhältniswahlsystem an die einzelnen Parteien vergeben. Dieses System basiert auf dem Verhältniswahlrecht mit starker Unterstreichung der Wahl der Persönlichkeit. [4. AUSSPRACHE]
[4a. Aspekte der Persönlichkeitswahl. Das Kumulieren] Frau Wessel: Wir brauchen, nachdem wir in diesem Ausschuß schon so viel über das Wahlrecht gesprochen haben, uns nur noch unterhalten über das Wahlsystem12). Die anderen Fragen, die rein technischen Fragen, sind ganz klar. Wenn man auf dem Standpunkt des relativen Wahlrechts steht, ist dieser Vorschlag dem nicht entsprechend. Wer aber glaubt, die Vorzüge einer Persönlichkeitswahl immerhin in etwa mit dem Verhältniswahlrecht verbinden zu können, für den ist dieser Vorschlag, der hier vorliegt, immerhin eine annehmbare Lösung. Es wird zum mindesten erreicht, daß der Wähler die Möglichkeit hat,
11) Die Kommunalwahlen vom setz
vom
30. Mai 1946
15.
Sept. bzw.
13. Okt. 1946 waren noch nach dem WahlgeNr. 31 der Britischen Militärregierung,
durchgeführt worden (VO
in: Amtsbl. f. Niedersachsen 1 [1946], S. 17). 12) Zur Terminologie Wahlrecht/Wahlsystem etc. siehe Jesse, Wahlrecht, S. 428
20 ff.
Vierzehnte
Sitzung 2. Dezember 1948
Nr. 15
innerhalb der aufgestellten Kandidaten selbst zu bestimmen, welchem von diesen sechs er seine Stimme geben will. Es ist also die Persönlichkeitswahl mit und das wird auch bei den berücksichtigt, obwohl ich der Auffassung bin Wahlen in Niedersachsen in Erscheinung getreten sein —, daß der Wähler meistens Parteilisten wählt. Es ist nach diesem Wahlsystem ferner möglich, daß auch unabhängige Bewerber kandidieren können und in gleicher Weise berücksichtigt werden. Wir haben ein ähnliches Wahlrecht in Nordrhein-Westfalen13) natürlich sind dort die Wahlkreise kleiner und wir haben mit diesem Wahlrecht sehr gute Erfahrungen gemacht. Es ist durchaus übersichtlich gewesen und ich möchte glauben, daß, wenn der Wähler drei Stimmen hat und eine entsprechende Aufklärung erfolgt, auch keine technischen Schwierigkeiten entstehen. Das einzige, was ich noch ergänzen möchte, ist folgendes: es geht nicht klar genug hervor, daß den Kandidaten irgendeiner großen Partei, die mehr Mandate bekommt, als sich auf Grund der zusammengezählten Stimmen geteilt durch 200 000 errechnet, daß also diesen Kandidaten, die direkt gewählt werden, das Mandat gelassen werden soll. Das geht aus dem Vorschlag nicht hervor. Dr. Diederichs: Das kommt nicht mehr vor, weil schon bei der Verteilung der Mandate das d'Hondtsche System zugrunde gelegt ist. Das Verhältniswahlsystem ist hier schon bei der Zuteilung der Mandate im Wahlkreis berücksichtigt. Das gilt nur da, wo im Wahlkreis mit relativer Mehrheit gewählt wird. Da ist es möglich, daß unmittelbar mehr Kandidaten gewählt werden, als nach der Relation zustehen. Frau Wessel: Nach all den Überlegungen, die wir angestellt haben, möchte ich glauben, daß dieser Entwurf in etwa jene Wünsche berücksichtigt, die auch von der Persönlichkeitswahl aus gesehen werden sollten. Deshalb möchte ich mich auch für meine Fraktion für diesen Wahlvorschlag erklären. Blomeyer: Ich möchte hier Herrn Dr. Diederichs fragen, ob er vielleicht dem Begriff der Persönlichkeitswahl in zwei Punkten entgegenkommen kann. Das eine wäre die Frage der Möglichkeit einer Kumulierung. Wir sprachen neulich darüber14), und ich möchte folgenden Fall annehmen. Auf einer Parteiliste stehen Leute, die der Wähler nicht unbedingt schätzt. Einer von ihnen ist dem Wähler genehm. Warum soll es nicht möglich sein, daß der Wähler diesem einen seine drei Stimmen gibt? Ich sehe wirklich darin eine Möglichkeit, die Beliebtheit eines Mannes noch stärker als bisher zum Ausdruck zu bringen. Es liegt aber auch eine Schwierigkeit darin, daß dann einer zu viel Stimmen auf sich vereinigen könnte. Es müßte über eine Möglichkeit gesprochen werden, diese Stimmen für die Reichsliste abzugeben. (Dr. Diederichs: Die bleiben der Partei erhalten.) Die nächste Frage geht dahin, ob nicht nach dem d'Hondtschen System statt auf die Parteien auf die einzelnen Bewerber abgestellt werden könnte. (Dr. Diederichs: Das ist vorgesehen.) —
—
—
13) Vgl. oben Dok. Nr. 3, Anm. 48. 14) Da Blomeyer an diesem Tag zum ersten Mal an einer Sitzung des Wahlrechtsausschusses teilnahm, ist davon auszugehen, daß er hier auf ein informelles Gespräch anspielt. 429
Nr. 15
Vierzehnte Sitzung 2. Dezember 1948
Auch das wäre ein Schritt zur Persönlichkeitswahl hin. Es würde zwar die Wahlarithmetik etwas erschweren; aber das ist schließlich ein einmaliger Vorgang, und darüber müßte man hinwegkommen. Stock: Auf die Frage wegen des Kumulierens möchte ich sagen: Es ist richtig, man kann dadurch die Persönlichkeit etwas besser herausstellen. Aber nachdem wir jetzt in jedem Wahlkreis nur sechs Leute zu wählen haben und jede Partei man kann ja nicht annehmen, daß eine sowieso sechs Kandidaten aufstellt Partei alle sechs bekommt, das wird nirgends der Fall sein —, so hat man innerhalb der sechs Leute schon eine Auswahl und man kann abschätzen nach den vorausgegangenen Wahlen, die stattgefunden haben: wir werden drei Mandate bekommen, ergo werde ich die drei Leute anhaken, von denen ich glaube, daß sie für mich am wichtigsten sind. (Blomeyer: Trotzdem kann es auf eine Vergewaltigung des Wählers hinaus—
laufen.) Beim relativen Wahlrecht haben Sie nur einen Kandidaten; hier haben Sie sechs in Auswahl. Das ist schon eine Verbesserung für den Wähler. Das System, das Herr Diederichs ausgearbeitet hat, ist schon in drei großen Staaten durchexerziert worden. In Bayern wurde zuerst nach diesem System gewählt bei der Landtagswahl15). Die Stimmbezirke wurden in jedem Regierungsbezirk zusammengefaßt. Derjenige, der die meisten Stimmen in seinem Stimmbezirk hatte, in seinem Kreiswahlverband, war gewählt. Bei den Kreis- und Gemeindewahlen haben wir es auch durchexerziert. In Niedersachsen und in NordrheinWestfalen ist auch nach diesem System gewählt worden, und ich glaube, daß wir uns schon deswegen für diese Wahl einigen können auf dieses Wahlsystem. Dr. Diederichs: Ich möchte Herrn
Blomeyer ein Wort erwidern. Wir haben uns darüber unterhalten. Im Grunde bin ich nicht gegen eiausgiebig ne Kumulierung und würde sie für durchaus zulässig halten, wenn man nicht Bedenken wegen der Komplizierung hat. Was das Errechnen auf den einzelnen Kandidaten anlangt, so habe ich folgende Bedenken: Eine Partei, die in einem Bezirk verhältnismäßig schwach ist und von vornherein weiß, daß sie bestenfalls mit einem Kandidaten rechnen kann, stellt nur einen Mann auf. Eine andere Partei, die von vornherein stark ist und in einem Bezirk mit zwei Kandidaten rechnen muß, muß mindestens zwei präsentieren. Die andere Partei präsentiert nur einen Kandidaten und stellt ihre ganze Wahlpropaganda darauf ab, daß sie sagt: Kumuliert alle drei Stimmen auf den Kandidaten Schulze. Jetzt wird diese schwächere Partei durch die Konzentration dieser kumulierten Stimmen diesen einen Mann durchbringen. Bei der anderen Partei verteilen sich die Stimmen auf drei Kandidaten mit zwei Kandidaten rechnet sie und einen dritten stellt sie als Ersatzmann auf —, die Stimmen verteilen sich auf diese drei, und nach dem d'Hondtschen Berechnungssystem kommt die wesentlich schwächere Partei durch diese Kumulation ihrer Stimmen zu dem Mandat, während die andere auf diese Weise die erste neulich schon
—
15) Landtagswahl Anm. 13. 430
vom 1.
Dez. 1946. Zum
bayerischen Wahlgesetz
siehe oben Dok. Nr. 4,
Vierzehnte
Stelle und damit sem
System
eine
Sitzung
2.
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Nr. 15
womöglich den zweiten Sitz verliert. Ich halte deshalb bei dieBerechnung auf den einzelnen Kandidaten für gefährlich. Da
zwar besonders die starken, in eine schiefe Situation kommen, in eine ganz schwierige Situation, weil sie in dem Fall nicht wissen, wie sie dem Wähler beibringen sollen, daß er seine Stimmen verteilt. Die Berechnung auf den einzelnen ist also schwierig. Auch glaube ich, daß bei der vorgeschlagenen Berechnung die Stimmen der einzelnen Kandidaten, die gewählt werden, ziemlich dicht beieinander liegen werden, weil dann die Verteilung auf das Ganze geht. Die einzelnen Kandidaten werden, wie gesagt, ziemlich beieinander liegen, vor allen Dingen dann, wenn gleichmäßig viel Kandida-
können die Parteien, und
präsentiert werden. Blomeyer: Man könnte dagegen sagen, daß diese schwächsten Parteien vermutlich eine geringe Zahl von Stimmen haben werden. Man könnte dem, was Sie mit Recht einwenden, dadurch begegnen, daß man von jeder Partei eine gewis-
ten
se
Zahl Bewerber aufstellt.
Dr. Diederichs: In dem Moment, wo ich die Kumulation zulasse, kann ich einer Partei nicht vorschreiben, daß sie mehr Leute aufstellen soll. Das halte ich nicht für gut. Wenn ich schon der Ansicht bin, die Leute sollen kumulieren, dann ist damit gesagt: Wählt die Kandidaten mit der vollen Stimmenzahl, die
euch zur Verfügung stehen. Ich weiß nicht, ob man den Zwang ausüben sollte, daß die Parteien einfach Zähl-Kandidaten aufstellen, die eher eine Erschwerung als eine Erleichterung bedeuten. Frau Wessel: Wer wird sich unter diesen Umständen als Zählkandidat aufstellen lassen? Blomeyer: Und wie ist es, wenn Sie nun jedem Wähler nur eine Stimme geben würden? Dr. Diederichs: Wir müssen hierbei an den nicht parteigebundenen Wähler denken. Praktisch ist es so, daß nur 20 % der Gesamtbevölkerung, insgesamt gesehen, parteipolitisch organisiert oder gebunden sind. An die übrigen 80 % wenden wir uns als Wähler, jene fluktuierende Masse, um die der ganze Wahlkampf geht. Wenn wir die nicht hätten, brauchte man ja nur zum Appell antreten lassen und abzählen. Da wir uns aber an die Masse der politisch Nichtorganisierten wenden, wollte ich gerade durch das Mehrstimmenwahlrecht die Möglichkeit geben, sich nicht für irgendeine Partei stur entscheiden zu müssen. Haben Sie als Nichtparteigebundener drei Stimmen, so können Sie gleich mit Recht sagen: Schön, ich wähle zwei von der Sorte und einen von der, die kenne ich alle drei als ordentliche Leute, und ich habe das Vertrauen, daß sie als Parlamentarier eine positive Arbeit leisten werden. Blomeyer: Nun zeigt das Ergebnis in Hannover, daß von dem Recht des Panaschierens wenig Gebrauch gemacht worden ist. Es ist doch nicht die Regel, sondern ein Ausnahmefall. Warum soll man den Ausnahmefall so kultivieren? Ich sehe das nicht ein. Es ist tatsächlich so: Wenn Sie dem Wähler nur eine Stimme geben, besteht mehr die Möglichkeit, zu einer Persönlichkeitswahl zu kommen. Walter: In §30 heißt es: „Im Wahlkreis können bis zu sechs Bewerbervorschläge mit der gleichen Parteibezeichnung zugelassen werden." Hier sind wohl gemeint Vorschläge mit sechs Bewerbern. 431
Nr. 15
Vierzehnte Sitzung 2. Dezember 1948
Dr. Diederichs: Nein, es heißt: „6 Bewerbervorschläge", also sechs Vorschläge je eines Bewerbers. Es heißt weiter, daß auf einem Vorschlag nur ein Bewerber
steht. Das ist verschieden von den Wahlvorschlägen. Vors. [Dr. Becker]: Ist es so zu verstehen, daß z. B. in einem Bezirk von 100 km Länge die Parteileitung Nord, will ich einmal sagen, einen Bewerbervorschlag aufstellt und die Parteileitung Süd einen anderen, oder sollen die alle gemeinsam von der Parteileitung eingereicht werden? Dr. Diederichs: Die werden sich untereinander verständigen. Eingereicht werden können die Vorschläge von den lokalen Stellen der Partei oder von einzelnen Organisationen. Das ist den Parteien vollkommen überlassen. Ich würde empfehlen, daß wir das auch so machen, daß der Bezirk die Auswahl trifft und sagt: den und den wollen wir präsentieren. Es ist nur so vorgeschlagen, daß im ganzen nur sechs Bewerber mit der gleichen Parteibezeichnung zugelassen werden sollen. Walter: Das war nicht ganz klar. Ich habe mich zwar schon im Jahre 1911 mit Wahlrecht befaßt16), aber alles ist mir doch nicht klar. Der Haupteinwand, den ich gegen das Wahlrecht mit drei Stimmen habe, liegt darin, daß dieses System, durch das man eine gewisse Beweglichkeit schaffen will, zu politischer Charakterlosigkeit führt. Wenn einer die Möglichkeit hat, CDU zu wählen, demokratisch zu wählen und gleichzeitig kommunistisch, dann ist das eine widernatürliche Unzucht auf politischem Gebiet. Ich verstehe die gute Absicht, eine Verbindung zwischen Persönlichkeitswahl und Verhältniswahl zu konstruie-
ren17). Dr. Diederichs: Wenn ich noch einmal
zu diesem Mehrstimmenwahlrecht etwas möchte ich folgendes bemerken. Wir dürfen nicht unter dem Gesichtspunkt der Parteipolitik an diese Dinge herangehen. Wenn vielleicht 10 bis 20 % der Wähler bei uns von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, aus verschiedenen Wahlvorschlägen Bewerber anzukreuzen und zu wählen, so braucht das nicht unbedingt Charakterlosigkeit zu sein. Es ist zwar sicher schief, wenn jemand Zentrum und KPD gleichzeitig wählt, weil sich das doch verhältnismäßig sehr schwer miteinander verträgt. Aber das ist bei uns im kommunalen Sektor gewesen, wo häufig ganz andere Gesichtspunkte maßgebend sind für die Auswahl der Kandidaten. Ich könnte mir vorstellen, daß bei einer rein politischen Wahl vielleicht von dieser Möglichkeit noch weniger Gebrauch gemacht wird. Ich möchte sie aber nicht grundsätzlich ausscheiden. Ich wehre mich innerlich gegen jede Form von Wahlrecht, die in gewisser Weise, so hintenrum vom Gesetz aus, einen Druck auf den Wähler ausübt und ihn an seiner völlig freien Entscheidung behindert. Das ist auch das, was mich gegen das reine relative Wahlrecht sprechen läßt, weil nach diesem System sich große Parteien die Wahlpropaganda sehr billig machen können, indem sie sagen:
sagen
darf,
so
16) Vermutlich als Student der Rechts- und Staatswissenschaften
bingen und Berlin. 17) Folgt gestrichen: „und einen anderen Weg mit dem Drei-Stimmen-Wahlrecht."
432
an
den Universitäten Tü-
sehe ich momentan auch nicht als den Ihren
Vierzehnte
Sitzung
2.
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Nr. 15
„Die kleinen Parteien zu wählen hat keinen Sinn, eure Stimmen sind verloren, wählt die großen Parteien!" Es ist das eine Möglichkeit, eine Beeinflussung der Wähler vorzunehmen, daß man sagt: Deine Stimme geht verloren, wenn du sie an die kleinen Parteien verschwendest. Alle diese Gesichtspunkte waren maßgebend, um dem Wähler wirklich weitgehend die Entscheidung einzuräumen. Ich möchte den Wähler nicht vor die Frage stellen: schwarz oder weiß oder rot, sondern ich möchte ihm diese Möglichkeit der drei Stimmen geben. Wenn er einer bestimmten Grundauffassung zuneigt, wird er in erheblichem Maße alle drei Stimmen auf Kandidaten der gleichen Richtung vereinen, und diese Möglichkeit steht ihm ja offen. Dann ist jeder Druck vermieden, und wir geben dem Wähler eine Chance. Blomeyer: Herr Diederichs hat mit Recht auf die Verschiedenheiten in den Gesichtspunkten hingewiesen, um die es sich bei den Kommunalwahlen und den eigentlichen großen politischen Wahlen handeln kann. Sollte man nicht überhaupt diesen Gesichtspunkten durch verschiedene Wahlsysteme Rechnung tra-
gen?
Dr. Diederichs: Man kann das. Es ist aber nicht
zwingend. Ich würde es für durchaus vertretbar ansehen, daß vielleicht auch die Länder für ihre Kommunen unter anderen Gesichtspunkten ein anderes Wahlrecht schaffen. In den verschiedenen Ländern haben wir auch praktisch verschiedene Wahlrechte für Kreis- und Gemeindewahlen. In der englischen Zone sieht es anders aus als im Süden. Eine zwingende Notwendigkeit, diese Wahlrechte über einen Leisten zu machen, besteht nicht. Sie ist hier auch insofern durchbrochen, als hier für die größeren Gebiete nicht zu kleine Wahlkreise vorgeschlagen sind, um hier einen Ausgleich schaffen zu können, den man in der Kommune praktisch in diesem Sinn nicht braucht. Ich würde, wenn es nach mir ginge, in den Gemeinden bis zu 50 000 Einwohnern nur in einem Wahlkreise wählen lassen, weil ich mir sage: In einem solchen Ort gibt es genügend hervortretende Persönlichkeiten, die über den ganzen Ort bekannt sind und im ganzen Ort eine entsprechende Wählerzahl auf sich vereinigen können. Das ist durchaus richtig, daß man für verschiedene Stufen des staatlichen Lebens, Selbstverwaltung und Regierung, verschiedenartige Wahlsysteme für besser und für richtiger halten kann. Schröter: Herr Dr. Diederichs hat davon gesprochen, daß in Niedersachsen verhältnismäßig wenige ungültige Stimmen abgegeben worden seien. Können Sie ungefähr sagen, wieviel ungültige Stimmen es waren? Dr. Diederichs: Die Gesamtziffer habe ich nicht. Ich habe in meinem Heimatort18) einzelne Stichproben gemacht. Da waren z. B. in einem Wahllokal von 850 abgegebenen Stimmzetteln also das Dreifache an Stimmen 32 ungülDas ist geradezu verschwindend. Ich habe schon davon gesprochen, daß an tig. einer Stelle eine Panne dadurch passiert ist, daß eine Partei vier Kandidaten aufgestellt hatte und die Wähler dann in vielen Fällen die vier Namen angekreuzt haben, wodurch diese Stimme ungültig war. Das war aber ein Ausnah—
18) D. h. Northeim.
Zu dem Anteil der
—
ungültigen
Stimmen siehe auch oben Anm. 10. 433
Nr. 15
Vierzehnte
mefall. Ich weiß
Sitzung
2. Dezember 1948
Wahlsystemen, z. B. in Bayern, wo kumuliert und wo 20 Abgeordnete gewählt wurden, also ein daß selbst da verhältnismäßig wenig ungültige Wahlvorgang, komplizierter Stimmen herausgekommen sind. Heiland: Die Zahl der ungültigen Stimmen hängt nicht allein vom Wahlsystem ab. Wir haben bei den Kommunalwahlen Ein-Mann-Wahlkreise gehabt und haben bis zu 10 % ungültige Stimmen festgestellt. Das hängt von anderen Faktovon
anderen
panaschiert wurde, in einem Ort,
ab. Wir hatten drei Wahlen in einem Lokal, für drei verschiedene manche Stimmzettel ohne jede Kennzeichnung abverschiedene Momente eine Rolle, und man kann daraus keinen Rückschluß auf das gesamte Wahlsystem ziehen. Vors. [Dr. Becker]: Ich erkenne an, daß in diesem Wahlsystem versucht ist, das Verhältniswahlrecht mit dem Persönlichkeitswahlrecht zu verbinden, und daß durch das Mehrstimmenrecht versucht wird, dem Wähler sogar die Möglichkeit zu geben, mehrere Personen zu wählen. Wenn kumuliert werden darf, dann kann folgendes eintreten: Bei dieser Wahl von mehreren Kandidaten wird der Wähler von seiner Partei zunächst den aussuchen, der in seiner Gegend wohnt. Der bekommt die erste Stimme. Bei der zweiten Stimme wird schon überlegt und der Wähler sagt sich: Jetzt wirst du einen nehmen, der eine führende Rolle spielt. Die dritte Stimme wird er, wenn das lokale Interesse überwiegt, dem ersten Kandidaten geben, und wenn das parteipolitische Interesse größer ist, dem zweiten. Kann der Wähler kumulieren, dann ist es so, daß er seine lokalen Leute durch Kumulieren bevorzugen wird. Wenn Sie bedenken, daß in diesen Listen die Namen alphabetisch aufgeführt sind, um keinen zu bevorzugen, so liegt doch schon in dieser alphabetischen Reihenfolge eine Bevorzugung für den, der an erster Stelle steht, weil ein denkfauler Wähler, wenn ich mich so ausdrücken darf, geneigt sein wird, oben beim ersten Namen sein Kreuz zu machen. Auf diese Weise kann beim Kumulieren, wenn die drei Kreuze oben hingemacht werden, ein Ergebnis erzielt werden, das nicht gewollt ist. Ich habe mir gedacht, ob das Ziel, das Herrn Diederichs vorschwebt, nicht durch analoge Anwendung des bayerischen Wahlrechts erreicht werden könnte. Das bayerische Wahlrecht gleicht diesem Vorschlag etwas. Im bayerischen Wahlrecht sind größere Wahlbezirke vorgesehen, die Regierungsbezirke sind als Wahlkreise genommen, und jeder Wahlkreis ist unterteilt in sogenannte Stimmkreise. Wenn wir das anwenden aus dem Vorschlag Diederichs, so würde das bedeuten: Im Wahlkreis sind sechs Stimmkreise enthalten, und in jedem der sechs Stimmkreise wird nur ein Kandidat genannt. Wenn so ein Stimmkreis nicht groß ist, kann vielleicht keiner gewählt werden, es kann sein, daß einer gewählt wird, und es kann sein, daß zwei von einer Partei gewählt werden. In Bayern werden die Dinge dadurch gelöst, daß alle diejenigen Stimmen, die nicht zur Wahl eines Kandidaten geführt haben, für einen der Nachbarstimmkreise reserviert und dort demjenigen zugerechnet werden, der auf seinen Namen die zweitmeisten Stimmen bekommen hat. Man will also dort das Problem dadurch lösen, daß man auf die Person desjenigen abstellt, der für sich die relativ meisten Stimmen bekommen hat. Man ist logischerweise davon abgekommen, dort eine Reserveliste zu bilden. Eine Landesliste gibt es im bayerischen Wahlrecht nicht. ren
genau
so
Körperschaften, und da sind gegeben worden. Da spielen
434
Vierzehnte
Sitzung
2.
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Nr. 15
Wenn ich mich recht entsinne, ist das württembergische Recht19) ähnlich, nur versucht man dort eine Reserveliste (Landesliste) zu bilden, begrenzt sie aber
ziffernmäßig, damit
verbleibende Reststimmen, die nicht auf dieser Reserveliste verbraucht werden, in die Stimmbezirke zurückgehen und denjenigen Kandidaten zugerechnet werden können, die nicht genügend Stimmen von sich aus bekommen haben, aber auf diese Weise mit Unterstützung aus Nachbarbezirken gewählt werden können20). Das ist alles für die Ermittlung des Wahlergebnisses etwas künstlich und verzwickt. Es wird aber nicht leichter, wenn man kumuliert. Zu erwähnen ist noch folgendes. Ein Wähler, der von früher her gewohnt ist, daß er bloß bei seiner Partei ein Kreuz zu machen braucht, der hat zwei Stimmen vertan und verloren. Die Frage wäre nun, ob man nicht eine Bestimmung einfügen müßte, daß, wenn ein Wähler nur ein Kreuz macht, auch der zweite und dritte Name als angekreuzt gelten sollen; denn der politische Wille des Wählers ist klar. Seine Stimme müßte also dann für die ersten 3 Namen gelten.
(Zuruf: oder für einen!) Dann haben wir wieder das Kumulieren. Es ist schwer, eine Interpretation zu finden, wenn einer beim Kumulieren den dritten Strich vergessen und nur zwei Striche bei einem Kandidaten gemacht hat, soll man das ergänzen und einen dritten dazurechnen? Das müßte man logischerweise auch tun, und wir würden eine Menge von Interpretationen des mutmaßlichen Wählerwillens in das Gesetz hineinbringen müssen, wenn wir vermeiden wollen, daß Unklarheiten ent-
stehen. Ich wollte
bitten, mit
zu erwägen, ob man auf das bayerische System überden kleineren Stimmkreis hat und die nähere Beziehung des Wählers zum Abgeordneten und weil es auch die Agitation etwas erleichtert, indem einer nur in seinem Wahlkreis tätig zu sein braucht. Die führenden Leute bekommen es allerdings bei diesem Wahlrecht schlecht, es sei denn, daß sie auf die Landesliste kommen. Die führenden Leute, die in einem Wahlkreis zu Hause sind und nicht die Möglichkeit haben, in hundert Dörfer zu gehen und Wahlversammlungen zu halten, die sich nur an den großen Orten sehen lassen können, weil sie durch die Führung einer politischen Partei gezwungen sind, auch noch etwas anderes zu tun. Ich wollte noch ein Problem anschneiden, das wir berücksichtigen müssen: das Problem des politischen Nachwuchses und damit verbunden das Problem der Wahrnehmung der Mandate durch diejenigen, die nicht in fester Stellung sind. Das erste Problem, das Nachwuchsproblem, läßt sich lösen einmal dadurch, daß man in einem kleinen Wahlkreis einen Mann auf das Publikum losläßt und ihm dort Gelegenheit gibt, sich die Sporen zu verdienen. Er wird auf diese Weise langsam bekannt, seine Ansichten werden bekannt, er kann sich in die nur
gehen kann,
weil
es
19) Vgl. Landeswahlgesetz
von
Württemberg-Hohenzollern
2. April 1947, in: Amtsbl. Württembergs und Hohenzol-
vom
des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet lerns, Nr. 20 vom 17. April 1947, S. 533. 20) Art. 17 LWG Württemberg-Hohenzollern.
435
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Höhe arbeiten. Man könnte einwenden, er wird das bei diesem Wahlsystem auch tun können, indem er in einer bestimmten Gegend dieses Wahlkreises sich einen Namen macht, dann einer von den sechs Leuten wird, die auf die Vorschlagsliste kommen, und nun sein Kreuz aus der Gegend bekommt, in der er zu Hause ist und in der er kräftig agitiert hat. Die zweite Möglichkeit, einen Nachwuchs heranzuziehen, ist englischer Provenienz. Sie besteht darin, daß ein Politiker so gestellt sein muß, daß er in der Lage wäre, sich eine Art politischen Sekretär oder Gehilfen zu halten, d. h. einen Mann, den er heranzieht, mit sich arbeiten läßt, zu allen Verhandlungen mitnimmt, der ihm Presseausschnitte besorgt usw. Das kann aber nur geschehen, um damit auf den springenden Punkt zu kommen, wenn die Diäten dementsprechend bemessen werden. Ich glaube, wir werden in Zukunft nicht daran vorbeikommen, die Auf-
wandsentschädigungen gerade in einem Bundesstaat, in einem Staat von größerem Umfang so zu bemessen, daß sie denen Rechnung tragen, die nicht mit festen Bezügen angestellt sind, und darüber hinaus die Möglichkeit geben, sich eine junge Kraft zu halten und heranzuziehen. Ich möchte, weil ich gerade das Wort
habe,
scheiden
Rande noch miterwähnen wir werden das heute nicht entdaß wir nicht vergessen dürfen das Problem der Verjüngung der
am
—
—,
Parteien. Frau Wessel: Wenn ich gleich beim letzten anfangen darf, so muß ich sagen: Ich halte das Nachwuchsproblem für viel eher lösbar mit großen Wahlkreisen, wo sechs Kandidaten aufgestellt werden, als in einem kleinen Wahlkreis. Da wird es für einen jungen Menschen viel schwerer sein, die Möglichkeit zu bekommen, als Kandidat aufzutreten und durch seine Fähigkeiten den Beweis zu erbringen, daß er in der Lage ist, in der Politik tätig zu sein. Wenn man von der Nachwuchsfrage spricht und ein dementsprechendes Wahlrecht aufstellen will, so halte ich es für notwendig, auch die viel dringendere Frage der Frauen zu berücksichtigen. Wenn Sie ein Wahlrecht schaffen, in dem Sie praktisch kaum die Möglichkeit geben, daß Frauen aufgestellt werden und das ist bei kleineren Stimmbezirken der Fall —, so wird das Interesse der Frauen an den Wahlvorgängen noch geringer sein, als es heute zum Teil schon ist. Entweder muß man den Frauen an Hand des Wahlrechts die Möglichkeit geben, daß sie irgendwo mit kandidieren können, oder ich sehe gerade diese Frage, wie die Frauen politisch interessiert und für die Demokratie aufgeschlossen werden sollen, für sehr gefährlich an, wenn man das beim Wahlrecht nicht entscheidend mit berücksichtigt. Sowohl für den Nachwuchs der Jugend, der mir sehr am Herzen liegt, wie für die Frauen, halte ich die Schaffung kleiner Wahlkreise, wo diese beiden Gruppen erfahrungsgemäß viel schlechter zum Zuge kommen werden, nicht für günstig. Ich darf vielleicht zum Schluß noch folgendes sagen: So wertvoll vielleicht die kleineren Stimmbezirke sein mögen, wie in Bayern, wo eine interne Verrechnung erfolgt, daß man dem Kandidaten aus dem Nachbarbezirk, der die nächsthöhere Stimmenzahl hat, die Reststimmen zuerkennt, so kann ich mir doch nicht denken, daß das auch im Sinne des Wählers liegt. Wenn ich einen kleinen Stimmbezirk habe und ich mache einen Ein-Mann-Wahlkreis, dann will ich doch nur diesen Kandidaten wählen und nicht irgendeinen im Nachbarkreis. —
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Wenn ich weiß, auf der Bundesliste sind die führenden Persönlichkeiten, die nicht die Möglichkeit haben, in einem Wahlkreis tätig zu sein, dann bin ich damit einverstanden, daß diesen die Reststimmen zugezählt werden, aber nicht dem Kandidaten Schulze aus dem Nachbarkreis. Vors. [Dr. Becker]: Dann müssen sie konsequenterweise die Landesliste streichen. Frau Wessel: Ich will die Wahl in den Wahlkreisen und dann die Bundesliste.
Vors. [Dr. Becker]: Wenn Sie der Meinung sind, der Wähler in einem Wahlkreis habe den Kandidaten im Nachbarkreis nicht wählen wollen, dann müssen Sie sich sagen: Vielleicht hat er auch den auf der Landesliste oder auf der Bundesliste nicht wählen wollen. Frau Wessel: Er kennt doch diese Leute; die werden doch von der Gesamtpartei aufgestellt. Ich kann mir nicht denken, daß er die führenden Leute auf der Bundesliste nicht haben will. Sonst wäre er ja mit der Partei als solcher nicht einverstanden. Dr. Diederichs: Ich möchte anknüpfen an das, was Herr Blomeyer gesagt hat, daß schließlich die Verhältnisse auf der Ebene der Gemeinden oder des Landes in gewisser Weise verschieden sind. Das habe ich stets berücksichtigt, weshalb ich immer wieder vor einer Stückelung in allzu kleine Wahlkreise warne. Dem Wunsch von Herrn Becker könnte man insofern entgegenkommen, daß die Partei, wenn sie diesen Sechs-Mann-Vorschlag eingereicht hat, sagen kann: Für den Teil des Wahlkreises betrachte ich den und für jenen Teil des Wahlkreises jenen als den Spitzenkandidaten. Ich würde so weit gehen, daß es der Partei überlassen bleibt, in Teilbezirken einen Kandidaten in ihrem Wahlvorschlag durch Dickdruck herausheben zu lassen und an die Spitze ihres Wahlvorschlages zu stellen. Walter: Es sind gewisse Unklarheiten entstanden bezüglich des württembergischen Wahlrechts21). Bei uns ist die Sache verhältnismäßig einfach geregelt; es ist eine gewisse Verbindung zwischen Persönlichkeitswahl und Verhältniswahl. Der württembergische Landtag hat 100 Abgeordnete, davon werden 85 in Kreisen gewählt. Die Berechnung ist folgendermaßen. Es werden im Lande alle Stimmen für jede Partei zusammengerechnet, geteilt durch 85, und nun bekommt jede Partei, die diese Wahlzahl erreicht hat, in einem Kreis einen Abgeordneten. Sagen wir z. B., auf die CDU entfallen 28 Sitze in den Kreisen auf Grund der Wahlzahl, erhält aber tatsächlich 35 Kreissitze, dann bekommen die Wahlkreise, die an diese Wahlzahl am nächsten heranreichen, die weiteren sieben Sitze. Bezüglich der Landesliste sind 15 Mandate vorgesehen. Hier werden alle Stimmen zusammengerechnet, eine neue Wahlzahl gefunden, geteilt durch 15, und dann bekommt jede Partei entsprechend die weiteren Sitze. Also reines Verhältniswahlrecht; das geht ganz glatt. Dr. Diederichs: Es wird bezüglich der Kompliziertheit eines Wahlsystems der Fehler gemacht, daß die Errechnung der Sitze mit hineinkalkuliert wird. Das ist
21) Siehe oben
Anm. 19.
437
Nr. 15
Vierzehnte Sitzung 2. Dezember 1948
aber ein Akt, der nach der Wahl des Wählers geschieht und den Wähler weder interessiert, noch ihn interessieren kann und im allgemeinen auch von ihm nicht gekannt wird. Darauf kommt es letzten Endes nicht an. Es kommt auf die Einfachheit des Verfahrens an, und das Wahlverfahren ist denkbar einfach. Man gibt dem Wähler einen Wahlzettel in die Hand, auf dem möglichst, um ungültige Stimmen zu vermeiden, in Dickdruck eingerahmt darauf steht: Wer mehr als drei Namen ankreuzt, macht seinen Wahlzettel ungültig. Drei Kreuze machen kann ja schließlich sogar ein Analphabet. Walter: Ich habe gewisse Bedenken gegen das Mehrstimmensystem. Z. B. haben wir in Stuttgart bei den Gemeinderatswahlen 60 Gemeinderäte zu wählen22). Jeder Wähler hat 60 Stimmen; er kann kumulieren und Panaschieren. Es hat 10 bis 14 Tage gedauert, bis das Wahlergebnis festgestellt war. Bayern hat dieses System nachgeahmt und ebenso Südbaden. Schon wenn Sie drei Stimmen geben, ist es kompliziert. Sie wissen so gut wie ich, auf welch tiefem Niveau unser Durchschnittswähler steht. Man kann den Leuten nicht mehr zumuten. Sobald sie etwas schreiben müssen, genieren sie sich im Wahllokal, und es
gibt Schwierigkeiten.
Dr. Diederichs: Wir haben mit den drei Stimmen keine Schwierigkeiten gehabt. Schließlich kann man der Inferiorität nicht so weit nachgeben, daß man die Leute nur noch mit einer Hilfe hingehen läßt, die ihnen zeigt, wohin sie ein Kreuz machen sollen. Ich glaube, daß das zu weitgehende Bedenken sind. Blomeyer: Ich möchte grundsätzlich auseinander trennen, das Kommunalwahlrecht und das Wahlrecht für die politischen Wahlen. Beim Kommunalwahlrecht können Sie einem gewissen Lokalpatriotismus freien Lauf geben. Es sind ganz verschiedene Gegebenheiten, um die es sich bei diesen beiden Arten von Wahlen handelt. Es gibt Leute, die einen ausgezeichneten Gemeindeschulzen abgeben, und es gibt Leute, die auf der großen politischen Bühne stehen und im kleinen Kommunalsektor vielleicht durchaus versagen. Ein Mehrstimmenwahlrecht bei den Kommunalwahlen könnte man zugestehen, und ich würde da auch das Panaschieren zugestehen. Da kommt es nicht so sehr an auf die politische Weltanschauung, sondern auf die kommunale Eignung. Beim Wahlgesetz für die großen politischen Wahlen muß aber jede Rücksicht auf Lokalpatriotismus ausscheiden. Da muß es darum gehen, die großen politischen Begabungen auch im jungen Nachwuchs heranzuziehen und in die richtige Stellung zu bringen. Ich möchte die Gedankengänge von Frau Wessel noch einmal unterstreichen. Es ist wirklich gut, wenn man den jungen Talenten Raum gibt und wenn man auch über eine Landesliste die Möglichkeit schafft, Frauen in die Parlamente zu bekommen, die ihrerseits oft nicht die Gabe haben, sich im politischen Wahlkampf durch demagogische Eloquenz einen Platz zu sichern und die
ersten Gemeindewahlen in Württemberg-Baden basierten auf folgenden Gesetzen: Die Deutsche Gemeindeordnung in der Fassung des Anwendungsgesetzes Nr. 30 vom 6. Feb. 1946, Reg. Bl. Nr. 7, S. 55-70; Gemeindewahlordnung vom 20. Dez. 1945, Reg. Bl. Nr. 2, S. 5—13; Gesetz Nr. 32 über die Verwaltung und die Wahlen in den Gemeinden vom 10. Jan. 1946, Reg. Bl. Nr. 4, S. 35—37; Kreisordnung und Kreiswahlordnung vom 7. März 1946, Reg. Bl. Nr. 6, S. 45-54.
;) Die
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trotzdem oft die Qualität haben, die sie befähigt, in einem Parlament sehr nutzbringend mitzuarbeiten. Ebenso ist die Landesliste immer wieder da für solche, die vielleicht nicht so beredt sind und vielleicht politisch nicht so sehr in Erscheinung treten, aber nach ihren Qualitäten sehr gut geeignet sind, in einem Parlament Nutzbringendes zu leisten. Es kommt ja schließlich darauf an, daß wir wirklich Menschen in die Parlamente bringen, die nachher etwas leisten. Vors. [Dr. Becker]: Wenn ich Sie recht verstanden habe, würden Sie den Vorschlag von Herrn Diederichs grundsätzlich annehmen, möchten aber statt drei Stimmen nur eine Stimme haben, oder wie haben Sie das gemeint, weil Sie sagten: Unterschied zwischen Kommune und Staat? Blomeyer: Ich habe gesagt, ich würde gern einen Unterschied machen zwischen einem Kommunalwahlgesetz und einem Wahlgesetz für die politischen Wahlen. Vors. [Dr. Becker]: Aber Sie sind doch auch der Auffassung, wer sich für eine Partei entscheidet auf der Parteiliste, kann einen Namen ankreuzen, wie er will.
(Blomeyer: Selbstverständlich.) Kuhn: Die Frage des politischen Nachwuchses berührt uns beim Wahlgesetz nur akzidentiell. Da gibt es andere Möglichkeiten. Die Frage der Heranziehung der Frauen zum parlamentarischen Leben ist dagegen eine Frage, die mit dem Wahlrecht direkt zusammenhängt. Ich kann mir denken, daß eine Frau im öffentlichen Wahlkampf draußen, je natürlicher sie auftritt, je weniger demagogisch, desto eher Erfolg hat und daß sie damit dem ganzen politischen Leben eine weit bessere Note gibt. Ich glaube, hätten wir mehr Frauen draußen in den Versammlungen, dann stünde es vielleicht um die ganze politische Atmosphäre viel besser. (Zuruf: Sie sind aber ein Optimist!) Das ist eine Frage des Taktes. Herr Kollege Blomeyer erwähnte, daß man das lokale Moment nicht so stark hervorheben sollte. Ich glaube, das ist mit diesem Wahlrechtvorschlag geschehen. Wenn jede Partei in der Lage ist, sechs Kandidaten für einen großen Wahlkreis herauszustellen, wenn diese Kandidaten sich in freier Wahl bewerben können, dann ist dem einzelnen Staatsbürger die Möglichkeit gegeben, sich ein Urteil zu bilden aus der Zeitung, aus den Reden und aus sonstigen Veröffentlichungen, wes Geistes Kind der Betreffende ist, und es ist ihm unbenommen zu sagen: Ich habe den Eindruck, daß dieser Mann Qualitäten hat; dieser Mann bekommt in erster Linie meine Stimme. Es wurde vorhin davon gesprochen, daß man die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen sollte, worauf Herr Diederichs den Vorschlag machte, man könnte die Namen der betreffenden Kandidaten fett drucken lassen. Ich glaube, das ist nicht nötig. Sie werden bei der vorgesehenen Größe der Wahlkreise beurteilen können, ob die und die Kandidaten möglich sind und ob sie durch das politische Leben so bekannt sind, daß sie, wenn sie auftreten, auch einschlagen und entsprechend gewählt werden. Ich weiß nicht, mit welch großräumigen Verhältnissen Sie rechnen, aber wenn ich an Rheinland-Pfalz denke und sehe die einzelnen Kandidaten auftauchen, so besteht meines Erachtens kein Zweifel dar439
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Vierzehnte
Sitzung
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über, ob der Wähler entsprechende Bewertungen vornehmen kann nach der
Qualität der einzelnen Persönlichkeiten. Es wird der Wettbewerb der Kandidauntereinander hierzu die Möglichkeit bieten. Frau Wessel: Ich halte den größeren Wahlkreis auch deshalb für gut, weil wir im Gegensatz zu früheren Zeiten andere soziologische und soziale Verhältnisse
ten
haben. Wenn man die Wahlkreise nicht zu klein aufstellt, werden innerhalb der Parteigruppen auch die beruflichen Schichten berücksichtigt werden können. Man sollte sich auch diesen Gedanken durch den Kopf gehen lassen. Das ganze Milieu ist heute ein anderes geworden. Wenn Sie die Möglichkeit haben auszuwählen, so ist das viel leichter, und insofern glaube ich, daß man viel bessere Möglichkeiten hätte bei einem größeren Wahlkreis. Vors. [Dr. Becker]: Ich möchte Ihnen vielleicht folgenden Vorschlag machen, wie wir bei unserer Arbeit weiterkommen können. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir das, was wir besprochen haben, an Hand des Vorschlages von Dr. Diederichs in Leitsätze fassen und dazu hören, wie der Ausschuß darüber denkt. Dann kann sich das Redaktionskomitee daran machen, das zusammenzustellen, und wenn es fertig ist, kann es zur Endabstimmung vorgelegt werden.
[4b. Formulierung der
Leitsätze
zum
Vorschlag
Dr.
Diederichs]
grundsätzlich einverstanden sind, wollen wir gemeinschaftlich formulieren. Sätze die 1. Frage: Sind Sie einverstanden, daß Wahlkreise gebildet werden, wie sie im § 2 des Entwurfs vorgesehen sind:
Wenn Sie damit
Bayern
8 1 4 7 11
Hamburg Hessen
Niedersachsen—Bremen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
3 2
Schleswig-Holstein Südbaden
Württemberg-Baden Württemberg-Hohenzollern
1 3
1
Berlin 3 also einschließlich Berlin 44 gleich große Wahlkreise, und sollen in jedem dieser Wahlkreise sechs Abgeordnete nach dem eben beschriebenen System, d. h. nach dem System d'Hondt gewählt werden? (Der Ausschuß erklärt sich bei Stimmenthaltung der Abg. Walter und Blo-
2.
23) 440
meyer23) einverstanden.) Frage: Sollen in den Wahlkreisen die sechs Abgeordneten so gewählt werden, daß höchstens sechs Namen von jeder Partei benannt und die darauf, Zum
Abstimmungsverhalten
der
CDU/CSU-Abgeordneten siehe
auch oben Anm. 8.
Vierzehnte
Sitzung
2.
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Nr. 15
d. h. auf die Wahlvorschläge der Parteien entfallenden Stimmen nach dem Grundsatz von d'Hondt errechnet werden und daß nach diesem Grundsatz festgestellt wird, wieviel Mandate auf jeden Wahlvorschlag entfallen? (Der Ausschuß erklärt sich bei Stimmenthaltung der Abg. Walter und Blomeyer
einverstanden.)
Frage: Soll der Wähler drei Stimmen oder eine Stimme haben? ich halte das nicht für akut Dr. Diederichs: Grundsätzlich wird vielfach die Auffassung vertreten, es müsse der Wähler so viele Stimmen haben, wie aus seinem Bereich Kandidaten gewählt werden. Das würde bedeuten, daß der Wähler sechs Stimmen haben müßte. Wir haben das hin und her erwogen und waren der Auffassung, daß kein zwingender logischer Grund besteht, daß der Wähler dieselbe Zahl von Stimmen haben muß, als Kandidaten in seinem Bereich gewählt werden. Deshalb haben wir aus praktischen Gründen die halbe Ziffer gewählt. Nur eine Stimme zu geben, halte ich aus den gleichen Gründen für schief, denn der Wähler soll wirklich eine Auswahl haben, und die wird ihm auf diese Weise reichlich präsentiert. Wenn vier Parteien kandidieren, bekommt er 24 Kandidaten vorgesetzt. Ich würde empfehlen, es beim Drei-Stimmen-Wahlrecht zu belassen mit allen darin enthaltenen Variationsmöglichkei3.
—
-
ten.
Vors. [Dr. Becker]: Ich bin zu der Frage rungen der Herren der CDU entnommen
gekommen, weil
ich
aus
den Ausfüh-
hatte, daß sie grundsätzlich gegen den
einzuwenden hätte. Nun aber habe ich Herrn Blomeyer ihm eine Stimme sympathischer wäre als drei. (Blomeyer: oder die Möglichkeit des Kumulierens.) Mir ist es gleich, ob eine Stimme oder drei. Es läßt sich für beides etwas sagen. Für das Einstimmrecht ist zu sagen, daß es den Wähler zwingt, sich endgültig zu entscheiden, und daß weniger ungültige Stimmen herauskommen. Beim Drei-Stimmen-Wahlrecht hat der Wähler die Möglichkeit, neben dem lokalen Kandidaten auch einem allgemeinen Kandidaten ein Kreuz zu geben. Ich lasse darüber abstimmen. (Der Ausschuß entscheidet sich bei Stimmenthaltung der Abg. Walter und Blomeyer für das Drei-Stimmen-Wahlrecht.) Damit ist wohl auch entschieden, daß in jedem Fall panaschiert werden darf. Das ist doch darin enthalten? Dr. Diederichs: Das steht auch im Vorschlag. Vors. [Dr. Becker]: Wir kommen zum letzten Punkt: 4. Frage: Soll der Wähler kumulieren dürfen? Dr. Diederichs: Im Entwurf heißt es: .aber ohne Stimmenhäufung." Vors. [Dr. Becker]: Es würde sich, wenn der Ausschuß sich für die Zulässigkeit des Kumulierens ausspricht, empfehlen, gewisse Auslegungsgrundsätze in das Gesetz hineinzuschreiben, um die Ungültigkeit von Stimmen möglichst weitgehend zu verhindern. Das kann dann bei der Redaktion des Gesetzes gemacht werden. Wer ist für die Kumulierung? (Der Ausschuß lehnt mit vier gegen zwei Stimmen das Kumulieren ab.) Wir kommen dann zur Verwertung der Reststimmen. Der erste Vorschlag ging hierbei von festen Zahlen aus. Der neue Vorschlag sieht vor, daß die Summe
Gesamtvorschlag nichts so
verstanden, als
wenn
441
Nr. 15
Vierzehnte Sitzung 2. Dezember 1948
sämtlicher Stimmen durch 200 000 geteilt und daß so ermittelt wird, wieviel Mandate auf die einzelnen Parteien entfallen. Die in den Wahlkreisen erworbenen Mandate werden abgesetzt. Ich würde vorschlagen, eine Zahl von 180 000 zu nehmen statt 200 000. Ich habe mir zu Hause an Hand von effektiven Zahlen ungefähr ein Bild zu machen versucht und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß der Faktor bei dem d'Hondtschen System weit unter 200 000 liegt. Dr. Diederichs: Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Vors. [Dr. Becker]: Dann würde die Frage so lauten: 5. Frage: Soll die Gesamtsumme sämtlicher abgegebener Stimmen durch 200 000 oder 180 000 geteilt und so ermittelt werden, wieviel Mandate unter Absetzung der in den Wahlkreisen errechneten Mandate aus den Reststimmen verteilt werden? (Der Ausschuß erklärt sich bei Stimmenthaltung der Abg. Walter und Blomeyer hiermit einverstanden.) Dr. Diederichs: Sie können auch als Eventualvorlage vorsehen, daß eine feste Ziffer genommen wird. Vors. [Dr. Becker]: Das können wir in der Redaktionskommission machen. Dr. Diederichs: Ich glaube nicht, daß generelle Bedenken bestehen, wenn Sie eine fixe Ziffer nehmen. Vors. [Dr. Becker]: Dann bekommt der Redaktionsausschuß Auftrag, einen Eventualmodus auszuarbeiten mit einer festen Summe. Dr. Diederichs: Die Bedenken sind nicht sehr groß, weil bereits durch das d'Hondtsche System das Verhältnissystem berücksichtigt ist. Vors. [Dr. Becker]: Wir kommen zur nächsten Frage: 6. Frage: Soll die Reststimmenverrechnung nur auf einer Bundesliste erfolgen, oder soll eine Landesliste zwischengeschaltet werden? An sich würde eine Landesliste nur bei mittleren und größeren Ländern in Frage kommen. Dr. Diederichs: Ich möchte vorschlagen, nachdem wir uns auf die größeren Wahlkreise geeinigt haben, daß man für die Reststimmenverteilung nur noch eine Bundesliste hat. Noch eine Zwischenstufe einzuschalten, würde die Dinge nur noch komplizierter machen, zumal wir einen Ausgleich durch den größeren Wahlkreis haben. Vors. [Dr. Becker]: Ist noch eine grundsätzliche Frage zu klären, damit wir nichts vergessen? Blomeyer: Mir ist noch nicht klar, wie die Verrechnung der Reststimmen vor sich geht. Vors. [Dr. Becker]: Es soll eine doppelte Möglichkeit eventuell noch erwogen werden. Die generell angenommene ist folgende: Sämtliche für eine Partei abgegebenen Stimmen werden addiert und durch 200 000 oder 180 000 geteilt. Dann ist die Zahl der Mandate ermittelt. Von diesen Mandaten werden die schon in den Wahlkreisen vergebenen abgezogen. Blomeyer: Um praktisch zu exemplifizieren: Der Kandidat X hat 10 000 Stimmen, der Kandidat Y 8000 Stimmen. Werden dann diese 18 000 Stimmen abgesetzt? Vors. [Dr. Becker]: Nein. Es werden die Stimmen, die auf die Parteiliste im ganzen Bundesgebiet entfallen, zusammengezählt. Dann dividiert man sie durch 442
Vierzehnte
Sitzung
2. Dezember 1948
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200 000 oder 180 000 und hat dann die Zahl der Mandate, die auf jede Partei entfallen sein würden. Von dieser Gesamtzahl der Mandate ziehen Sie die Mandate ab, die schon auf die Partei entfallen sind. Wenn auf die CDU 100 Mandate treffen und sie hat schon 80 in den Wahlkreisen bekommen, dann bekommt sie noch 20. Es ist noch die Frage zu entscheiden, ob neben der Bundesliste noch eine Landesliste vorgesehen werden soll. Dr. Diederichs: Es genügt eine Bundesliste. Vors. [Dr. Becker]: Soll eine Landesliste zwischengeschaltet werden oder genügt eine Bundesliste? (Der Ausschuß erklärt sich einstimmig dafür, daß eine Bundesliste genügt.) Sind noch weitere allgemeine Fragen zu klären? Bisher war im Verfassungsentwurf vorgesehen, daß derjenige, der im Wahlkreis kein Mandat bekommen hatte, bei der Restverteilung auch keine Stimme bekommen konnte24). Ich würde vorschlagen, diesen Satz zu streichen, weil ich es für ungerechtfertigt halte, daß ein Mandat auf Reststimmen nur dann gegeben werden kann, wenn im Wahlkreis bereits ein Mandat errungen ist. Frau Wessel: Ich unterstütze Ihren Vorschlag. Allerdings ist im Hauptausschuß als Begründung angegeben worden, es sei nur eine Kann-Vorschrift, und zwar soll sie vorgesehen werden in der Verfassung für den Fall, daß in Deutschland wieder kleine Parteien kommen, die eigentlich keine Parteien sind, um dann die Möglichkeit zu haben, einen gewissen Prozentsatz oder eine entsprechende Bestimmung anzuwenden25). Ich möchte wohl glauben, daß diese Bestimmung für die erste Wahl zur Bundesversammlung nicht berücksichtigt werden soll. Dr. Diederichs: Als der Beschluß im Hauptausschuß gefaßt wurde, war ich anwesend. Ich habe mich an die Presse gewandt und habe gesagt: das ist eine Kann-Vorschrift; ich werde, soweit mein Einfluß reicht, dafür sorgen, daß für das erste Wahlrecht zum ersten Bundesparlament davon kein Gebrauch gemacht wird. Ich halte diese Bestimmung für dieses erstmalige Wahlrecht nicht für notwendig. Was später einmal in der Verfassung entschieden wird oder nicht, ist offen. In der Verfassung ist ein Passus enthalten: Die Parteienbildung ist frei26). Das ist ein Satz, den ich hundertprozentig unterstreiche. Man soll den Leuten die Möglichkeit, eine Partei aufzumachen, nicht unterbinden. Man hat diese Kann-Vorschrift aufgenommen, um den Parteien gewissermaßen ein Konfirmationsalter vorzuschreiben bis sie parlamentsfähig werden. Ich halte es nicht für gegeben, schon in diesem Wahlrecht davon Gebrauch zu machen. Man sollte das den kommenden Parlamenten überlassen.
') Es handelt sich hier
um die vom Unterausschuß des Organisationsausschusses am 2., 3. und 4. Nov. 1948 redigierte „Kann-Vorschrift" Art. 47 Abs. 5, die auf dem Verfassungsbericht von Herrenchiemsee beruhte (Drucks. Nr. 248; vgl. Der Pari. Rat Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 589). ') Vgl. die Debatte im Hauptausschuß vom 11. Nov. 1948 (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 7 f.), wo sich Brockmann (Z) und Dehler (FDP) als Vertreter der kleinen Parteien zu diesem Problem äußern. ') „Die Bildung politischer Parteien ist frei" (Drucks. Nr. 267 vom 10. Nov. 1948, GG-Entwürfe, S. 23).
443
Nr. 15
Vierzehnte Sitzung 2. Dezember 1948
Vors. [Dr. Becker]: Ich könnte mir vorstellen, daß man eine Prozentklausel hineinbringt, aber eine Bestimmung des Inhalts, daß einer nicht gewählt werden kann, wenn die Partei im Wahlkreis kein Mandat bekommen hat, halte ich
nicht für
Biomeyer: gedacht?
richtig. Sie erwähnten die Prozentklausel. An welche Höhe haben Sie dabei
Vors. [Dr. Becker]: An keine. Ich habe nur gesagt, mit der Prozentklausel könnte ich mich einverstanden erklären. Blomeyer: Ich bin Ihrer Ansicht, daß ich eher einer Prozentklausel zustimmen könnte, und bin einen Schritt weiter gegangen und habe gefragt, an welche Prozenthöhe Sie gedacht haben. Vors. [Dr. Becker]: Es käme darauf an, ob wir überhaupt hier im Wahlgesetz so etwas machen sollten.
[5. BILDUNG DES REDAKTIONSKOMITEES]
Nachdem der Ausschuß ein aus drei Mitgliedern bestehendes Redaktionskomitee beauftragt hatte, an Hand der in der gegenwärtigen Sitzung erarbeiteten Leitsätze genaue Formulierungen des Wahlsystems auf der Grundlage des Entwurfs Dr. Diederichs zu finden27], wird die Sitzung durch den Vorsitzenden geschlossen.
der Redaktionskommission überarbeitete Entwurf wurde in der 16. Sitzung am besprochen (Drucks. Nr. 474; siehe unten Dok. Nr. 17, TOP 2). Die relativ schnelle Abfolge von Wahlgesetzentwürfen rief unter den politischen Beobachtern mitunter Verwirrung hervor. So verwechselte Leisewitz in einem Bericht an das Büro der Ministerpräsidenten den Entwurf Diederichs (Drucks. Nr. 266) mit der vom Redaktionskomitee überarbeiteten Fassung (Drucks. Nr. 474). Nach Leisewitz gehörten dem Redaktionskomitee nicht drei, sondern vier Ausschußmitglieder an, nämlich die Abgeordneten Becker, Diederichs, Kaufmann und Wessel (6. [?] Dez. 1948, BAZ 12/119, Bl. 126).
) Der
von
13. Dez. 1948
444
Fünfzehnte Sitzung 8. Dezember
15.
Sitzung
Nr. 16
1948
Nr. 16 des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 8. Dezember 1948
Z5/84, Bl. 147. Undat. und ungez. Stenograf. Wortprot. Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 60, Drucks. Nr. 361/11
Anwesend1):
CDU/CSU: Schräge2) SPD: Kuhn (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 11.40 Uhr Beginn: 10.30 Uhr
Die für 9 Uhr
angesetzte Sitzung wurde wegen des Feiertages3) auf
10.30 Uhr
vertagt.
In der Sitzung um 10.30 Uhr war der Ausschuß beschlußunfähig4). Eine Besprechung interfraktioneller Art über den Fortgang der Verhandlungen führte zu dem Ergebnis, daß neue Verhandlungen am Montag, 13. Dezember 1948, um 15 Uhr, und erforderlichenfalls an demselben Tage in einer Abendsitzung stattfinden sollen. Tagesordnung für die nächste Sitzung: 1. Besprechung des redigierten Entwurfs des Abg. Dr. Diederichs, 2. Besprechung eines eventuell vorzulegenden weiteren Entwurfs.
J) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Im Kurzprotokoll ist irrtümlich auch Kaufmann als anwesend geführt. Vermutlich war er aber nur bei der ersten Zusammenkunft der Ausschußmitglieder präsent, während er bei der zweiten Zusammenkunft fehlte, da er zur gleichen Zeit an der 22. Sitzung des Hauptausschusses (Beginn 10.45 Uhr) teilnahm (Drucks. Nr. 379/11). Tags zuvor hatte die CDU/CSU-Fraktion neben Kaufmann Walter für die
Wahlrechtsausschußsitzung nomi(Sitzung
nert. Warum trotzdem Schräge teilnahm, ist aus den Akten nicht ersichtlich vom 2. Dez. 1948, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 252).
3) Mariä Empfängnis. 4) Laut § 18 (2) der Geschäftsordnung des Parlamentarischen Rates (Drucks. Nr. 157)
war
ein Ausschuß „beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist". Nach dem Fehlen Kaufmanns hatte die Sitzung daher nur noch den Charakter einer in-
terfraktionellen
Besprechung.
445
Nr. 17
Sechzehnte Sitzung 13. Dezember 1948
16.
Z 5/84, Bl.
Sitzung des
Nr. 17 Ausschusses für Wahlrechtsfragen 13. Dezember 1948
71—146. Undat. und ungez. Stenograf. Wortprot.
Kurzprot: 12/39, Bl. 52-53, Drucks.
Nr. 464/11
Anwesend1):
CDU/CSU: Kaufmann, Blomeyer (für Schräge), Walter, Schröter, SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Renner (für Reimann) Mit beratender Stimme: Frau Wessel (Z), Löbe (SPD), Kuhn (SPD), Fecht (CDU) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 18.05 Uhr Beginn 15.05 Uhr
[1. ZUR VERFAHRENSWEISE]
Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und gibt die Eingaben bekannt. Vors. [Dr. Becker]: Auf der Grundlage des Entwurfs, den Herr Kollege Dr. Diederichs ausgearbeitet hatte2), war im Redaktionskomitee ein Entwurf aufgestellt worden3), und ich habe mir erlaubt, noch einige Ergänzungen hinzuzufügen, die mir notwendig erschienen4). Walter: Wir sind damit einverstanden, daß der Diederichssche Entwurf, soweit er technische Einzelfragen behandelt, weiter beraten wird. Der Entwurf der CDU5) verweist auch auf die Vorschläge, die Herr Dr. Diederichs dazu gemacht hat.
Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Drucks. Nr. 266 (Dok. Nr. 20). Drucks. Nr. 474 (Dok. Nr. 20). In der Folgezeit wurde der überarbeitete Entwurf auch des öfteren als SPD/FDP-Vorschlag bezeichnet (so z. B.: Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 17. Dez. 1948, BA Z 12/119, Bl. 30). 5) Abgedruckt als Drucks. Nr. 369 (Dok. Nr. 20). Dieser Vorschlag der CDU/CSU ging auf die Initiative Kaufmanns zurück, der am 9. Dez. 1948 als Vorsitzender eines parteiinternen Wahlrechtsunterausschusses die Strukturen für den hier vorgelegten Entwurf erarbeitete. Grundlage war offensichtlich u. a. der Wahlgesetzentwurf, den der Abg. Schröter entworfen hatte (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 263, Anm. 7), der aber darüber hinaus keine bedeutende Rolle mehr in den partei- oder ausschußinternen Überlegungen spielte. Bei dem in der CDU/CSU-Fraktionssitzung vom 6. Dez. 1948 angesprochenen Schröterschen Wahlgesetzentwurf handelt es sich vermutlich um das Muster, das im Nachlaß Kaufmann erhalten und mit dem handschriftlichen Vermerk „Schröter" versehen ist (vgl. Salzmann, ebenda; ACDP 1-071-023/4). Für diese Annahme spricht vor allem auch die inhaltliche Verwandtschaft mit den folgenden, vom Unterausschuß der CDU/CSU festgelegten Wahlrechtsgrundsätzen: „Es wird nach Besprechung beschlossen, einen Wahlrechtsentwurf nach folgenden Gesichtspunkten auszuarbeiten: 1. Wahlkreise von je 150 000 Einwohnern, in denen je ein Abgeordneter gewählt wird.
!) 2) 3) 4)
446
Sechzehnte
Sitzung
13.
Dezember 1948
Vors. [Dr. Becker]: Ihr Entwurf schließt sich in der Reihenfolge der phen ungefähr der Vorlage des Redaktionsausschusses an?
Nr. 17
Paragra-
(Walter: Ja!)
Wenn wir also unstreitig ist.
(Kaufmann:
später
an
Ihre
Vorschläge herangehen,
Wo „unverändert"
wissen wir sofort,
was
steht, ist der Diederichssche Entwurf ge-
meint.) Dann darf ich
bitten, den Diederichsschen Entwurf zur Hand zu nehmen. Heiland: Ich habe mir den Entwurf der CDU/CSU nur sehr oberflächlich ansehen können. Er hat meiner Ansicht nach so große strukturelle Änderungen, daß wir, wenn wir jetzt den einen und später den anderen behandeln, ohne eine Entscheidung gefällt zu haben, mit der ganzen Arbeit wieder von vorn beginnen müssen. Dann würde ich es doch für richtiger halten, zunächst einmal zu entscheiden, wie wir prozedieren sollen, und dann an die Ausarbeitung eines Entwurfs zu gehen. Zum Beispiel werden hier jetzt 400 Abgeordnete vorgeschlagen6). Davon sollen soundso viele in Einzelwahlkreisen gewählt werden, so daß wir faktisch wieder beim Mehrheitswahlrecht angekommen sind. Die letzten 100 Abgeordneten sollen auf Grund einer Bundesliste im Proporz gewählt werden. Wir stehen also faktisch wieder vor der Entscheidung: Mehrheitswahlrecht oder Verhältniswahlrecht. Deshalb würde ich vorschlagen, grundsätzlich zunächst einmal diese Frage zu entscheiden, damit wir dann zu einer wirklich positiven Arbeit kommen können. die letzte war ja leiVors. [Dr. Becker]: Wir haben in der vorletzten Sitzung Leitsätze niedergelegt und mit Mehrarbeit angenomder beschlußunfähig7) men8). Auf Grund dieser Leitsätze ist dann dieser redigierte Entwurf ausgearbei—
—
Das ergibt 300 Abgeordnete, die in den Wahlkreisen in direkter Wahl gewählt werden. Hinzu treten 100 Abgeordnete, die aus einer Bundesreserveliste gewählt werden. 2. Wahl in den Wahlkreisen: im ersten Wahlgang ist der als Abgeordneter gewählt, der
die absolute Mehrheit hat. Erhält keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit, so erfolgt ein zweiter Wahlgang, in dem der Bewerber mit relativer Mehrheit gewählt ist. Die Bewerber im zweiten Wahlgang sind auswechselbar. Der zweite Wahlgang hat 14 Tage nach dem ersten Wahlgang stattzufinden. 3. Auf Bundesreserveliste werden 100 Abgeordnete gewählt. Zur Feststellung der Stimmenzahlen, die für die Bundesreserveliste angerechnet werden, werden die Stimmen, die auf die einzelnen Parteien im ersten Wahlgang entfallen sind, zu einem Stimmenstock zusammengestellt. Die Zahl der danach auf die einzelnen Parteien entfallenden Bewerber für die Bundesreserveliste wird nach dem d'Hondt'schen Verfahren errechnet. Die Grenzen der Wahlkreise werden von den Ländern unter Zugrundelegung der Einwohnerschlüsselzahl von 150 000 je Wahlkreis festgesetzt. 4. Für die Wahlen auf Grund der Bundesreserveliste ist die Verbindung von Wahlvorschlägen statthaft" (ACDP NL Kaufmann, 071-023/3; IfZ NL Strauß, ED 94/119, Bl. 141). Am 10. Dez. 1948 beschloß die CDU/CSU-Fraktion die Überarbeitung dieses Entwurfs und die Einbringung in den Wahlrechtsausschuß (Sitzung vom 10. Dez. 1948, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 271). 6) Siehe unten Dok. Nr. 20 (Drucks. Nr. 474). 7) Sitzung vom 8. Dez. 1948 (siehe unten Dok. Nr. 16). °) Sitzung vom 2. Dez. 1948 (siehe oben Dok. Nr. 15). 447
Nr. 17
Sechzehnte
tet
worden. In
die
Behandlung
Sitzung
13. Dezember 1948
logischer Weiterverfolgung dieser Beschlüsse dieses Entwurfs gehen.
wollte ich
nun an
(Heiland: Ich bin damit einverstanden!) frei, daß noch ein anderer Entwurf eingereicht wird. Das
Es steht durchaus
Recht dazu hat jeder. Infolgedessen hat die CDU einen Entwurf eingereicht. Nachdem wir den Entwurf durchgearbeitet haben, werden wir vermutlich auch an andere Anträge herangehen müssen. Kaufmann: Ich habe gegen diese Verfahren nichts einzuwenden, aber ich halte es für selbstverständlich, daß ein Antrag, der von einer großen Fraktion getragen wird, zum mindesten dem Hauptausschuß als Variante vorgelegt wird, wie es auch in den anderen Ausschüssen üblich ist. Zu diesem Zweck ist auf ausdrückliche Bitten auch dieser Entwurf fertiggestellt worden, der über den Rahmen von Grundsätzen hinausgeht, und um der Erleichterung willen in den technischen Dingen dem Diederichsschen Entwurf angeschlossen worden, so daß die Möglichkeit besteht, Parallelen zu ziehen. Daß der Entwurf der CDU von ganz anderen Grundsätzen ausgeht als denen des normalen Verhältniswahl-
rechts, ist selbstverständlich9).
nun vorliegende Entwurf der CDU/CSU-Fraktion, der deutlich die Kompromißbereitschaft gegenüber der FDP verrät, war erst nach der Ablösung Krolls aus dem Wahlrechtsausschuß durch die Fraktion möglich geworden. Krolls energisches Eintreten für das relative Mehrheitswahlrecht war in der Fraktion auf immer stärkeren Widerstand gestoßen, weniger aus dem Grund, daß man sich in der Wahlrechtsfrage grundsätzlich neu orientiert hätte, als vielmehr aus einer allgemeinpolitischen Überlegung heraus, die ein Zusammengehen mit der FDP ratsam erscheinen ließ. So hatte Schröter vor der Fraktion schon am 28. Sept. 1948 Bedenken gegen Krolls „taktisches Vorgehen" im Wahlrechtsausschuß geäußert und statt dessen eine Verständigung mit der FDP gefordert (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 600. Im offiziellen Sitzungsprotokoll wurde die Kritik an Kroll nicht festgehalten, a. a. O., S. 36). In diesem Sinne machte der Abgeordnete Süsterhenn im Anschluß an die 13. Sitzung des Wahlrechtsausschusses in der Fraktionssitzung vom 2. Dez. 1948 den Vorschlag, „daß Herr Kaufmann an Stelle von Herr Dr. Kroll eine Schwenkung in unserem Wahlvorschlag macht, um den kleinen Parteien eine Existenzmöglichkeit zu geben" (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 252). Unmittelbar nach der Fraktionssitzung nahmen einzelne Abgeordnete Kontakt mit dem Ausschußvorsitzenden Becker auf, um ein gemeinsames Vorgehen abzusprechen. Am 3. Dez. 1948 vermerkte Blomeyer: „Heute abend redete mich Herr Dr. Becker (FDP) auf das Gespräch an, das Herr Walter bzgl. Wahlrecht mit ihm hatte, und in dem der FDP eröffnet worden war, daß ihr Vorschlag des absoluten Mehrheitswahlrechts Aussicht habe, von der CDU/CSU unterstützt Herr Becker sagte, daß er, nachdem er seinen Vorschlag offiziell zurückzu werden. gezogen habe, ihn jetzt nicht wieder aufnehmen könne. Das könne jedoch von der CDU/CSU geschehen. Er mache aber darauf aufmerksam, daß CDU/CSU und FDP allein nicht stark genug seien, gegen SPD und Zentrum und KPD (im Wahlrechtsausschuß) den Vorschlag durchzubekommen. Es sei also schon nötig, daß die CDU/CSU mit der SPD Fühlung aufnehme. Die Angelegenheit sei eilig, nach Ansicht von Herrn Becker muß der formulierte Antrag bis Dienstag den 7. 12. vorliegen. Eine Rücksprache mit der SPD halte ich für schwierig, nachdem Herr Dr. Diederichs seinen Vorschlag so offiziell vorgebracht hat. Dagegen dürfte eine Rücksprache mit DP und Zentrum Erfolg haben, nachdem das absolute Wahlrecht den kleineren Parteien gewisse Chancen läßt. Ich halte es für unumgänglich notwendig, daß ein etwa von uns einge-
9) Der
—
448
Sechzehnte
Sitzung
13.
Dezember 1948
Nr. 17
Stock: Ich wollte nur bemerken, daß wir eigentlich den Entwurf, der jetzt von der CDU/CSU vorgelegt worden ist, schon behandelt haben, nur in einer etwas anderen Form, und zwar in der von Dr. Kroll vorgelegten Form. (Widerspruch des Abg. Kaufmann.) Dieser Entwurf wurde aber abgelehnt10). Der Entwurf des Herrn Vorsitzenden ging auch in dieser Richtung, und zwar noch viel weiter als dieser. Er wurde auch abgelehnt. Wir müssen also jetzt, glaube ich, erst einmal zu dem von der Redaktionskommission ausgearbeiteten Entwurf Stellung nehmen, und dann können wir diesen Entwurf als zweite Variante dem Hauptausschuß mit übergeben.
(Kaufmann: Einverstanden!) Renner: Ich wollte dem Sinne nach ungefähr dasselbe sagen. Es handelt sich hier um einen Entwurf, der grundsätzlich etwas anderes ist als das, was wir hier mit Mehrheit festgelegt haben, und in der Presse ist auch schon etwas darüber gesagt worden. Sie stellen in der Presse ganz klar heraus, daß es Ihnen darauf ankommt, ein verschärftes Mehrheitswahlsystem zugrunde zu legen. Ich bin der Meinung, daß man diesen Entwurf selbstverständlich als Variante in den Hauptausschuß bringen muß, daß es sich aber erübrigt, noch in eine Spezialdiskussion dieses Entwurfs einzusteigen, wozu wir ja auch technisch gar nicht die Zeit hätten. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe mit Carlo Schmid darüber gesprochen: er sieht die Sache nicht als eilig an und ist der Auffassung, daß wir die Wahlrechtsfragen unter Umständen auch im Laufe der zweiten Lesung oder im Anschluß an die zweite Lesung des Verfassungswerkes vornehmen könnten. Kaufmann: Ich stehe auf demselben Standpunkt und habe ihn auch bei unserer letzten Besprechung vertreten11). Ich war der Meinung, daß die Sache rein technisch nicht so übermäßig eilig ist. Ich würde es begrüßen, wenn beide Anträge gleich behandelt würden, das heißt, wenn die Kollegen hier gemeinsam, ohne Rücksicht auf ihre endgültige Stellungnahme, wie wir es auch beim ersten Entwurf gemacht haben, diesen Entwurf sachlich durchsprechen und Verbesserun-
vorschlagen, wo Verbesserungen notwendig sind, Verständigungen erzielen, Verständigungen erzielbar sind, ohne sich in ihrer endgültigen Stellung irgendwie festzulegen. Das ist parlamentarisch üblich, und ich sehe nicht ein, gen
wo
wir nicht so verfahren sollten. Wenn zunächst der Antrag Dr. Diederichs weiter verfolgt wird, ist es sachlich richtig, weil er im Grundsatz etwas anderes ist. Die technischen Bestimmungen müssen vorhanden sein, sind aber grundsätzlich nebensächlich. Und danach müßten wir den andern Entwurf in derselben Weise besprechen. warum
brachter Vorschlag vorher mit Herrn Dr. Becker besprochen wird" (Aktennotiz Blomeyer für die CDU/CSU, Bayer. HStA NL Pfeiffer/BD 182, Hervorhebungen in der Vorlage). 10) Siehe oben Dok. Nr. 14, TOP 2. n) Kaufmann meint hier vermutlich das Treffen der Redaktionskommission (siehe oben Dok. Nr. 15, Anm. 27). 449
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13. Dezember 1948
[2. BESPRECHUNG DES VOM REDAKTIONSKOMITEE DES WAHLRECHTSAUSSCHUSSES REDIGIERTEN WAHLGESETZENTWURFES VON DR. DIEDERICHS
[2a.
(DRUCKS. NR. 474, DOK. NR. 20)]
Wahlberechtigung (§§
1-4)]
einig sind, darf ich bitten, den § 1 aufzuschlagen. Er wir bereits ein- oder zweimal durchgesprochen hadie Fassung,
Vors. [Dr. Becker]: Da wir
beruht auf der
ben12).
In Abs. 2 ist eine Formulierung des Begriffs der Flüchtlinge und eine Formulierung des Begriffs der aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen Ver-
folgten gegeben. Formulierung
zu a) schließt sich an die Flüchtlingsgesetzgebung der amerikanischen Zone an, so daß ich glaube, daß wir mit diesem Text durchkommen können. Dr. Diederichs: Zu diesem Problem finden wir eine Festlegung in Art. 138 b des Verfassungsentwurfes13). Ich möchte bitten, doch klar auf diesen Artikel Bezug zu nehmen. Vors. [Dr. Becker]: Ich nehme an, daß der Redaktionsausschuß die Begriffsbestimmungen des einen Gesetzes mit denen des anderen in Übereinstimmung bringen wird. (Dr. Diederichs: Ich möchte doch bitten, direkt auf diesen Artikel Bezug zu
Die
nehmen.)
Ist § 1 mit diesem Vorbehalt angefochten? Dann darf ich wohl annehmen, daß er in dieser Fassung angenommen ist, vorbehaltlich einer Umredigierung des Begriffs „Flüchtling" in dem Sinne, der in der Verfassungsurkunde selbst niedergelegt ist. Kaufmann: Sind bei dieser Formulierung die Kriegsgefangenen berücksichtigt? Vors. [Dr. Becker]: Wir haben diese Frage in einer der ersten Sitzungen durchgesprochen14) und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß, da nach der Ankündi—
12) Siehe oben Dok. Nr. 5 (TOP 1 a), 6 (TOP 2 a) und 10 (TOP 5 a). 13) Auf Vorschlag des allgemeinen Redaktionsausschusses legte Art, 138 b des GG-Entwurfs vom 18. Nov. 1948 fest, wer als Deutscher zu gelten habe (Drucks. Nr. 291): „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Re-
gelung,
wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden hat." In einer Anmerkung zu diesem Artikel hieß es weiter: „Nach Ansicht des Ausschusses ist eine Definition der vorgeschlagenen Art in den Ubergangsbestimmungen unumgänglich notwendig, ohne daß deshalb einer z. B. aus politischen Gründen erforderlich werdenden Neuregelung durch einfaches Gesetz vorgegriffen wird. Der Vorschlag des Ausschusses nach dem besonderen Begriff eines .Bundesangehörigen', der mit Rücksicht auf die Ostzone vermieden werden sollte, ist überflüssig; zugleich werden außer den deutschen Reichsangehörigen auch sämtliche Volksdeutschen Flüchtlinge, gleichgültig in welcher Besatzungszone sie leben sowie die Angehörigen nichtdeutschen Volkstums, die mit Volksdeutschen Flüchtlingen verheiratet sind, oder von ihnen abstammen und wegen dieser Familienzugehörigkeit aus ihrem Heimatgebiet ausgewiesen worden sind, mit erfaßt." 14) Siehe oben Dok. Nr. 6 TOP 2 a. —
—
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13.
Dezember 1948
Nr. 17
gung aller zivilisierten Nationen die Kriegsgefangenen bis Ende dieses Jahres zurückgekehrt sein sollten, in Wirklichkeit aber eine ganze Anzahl noch nicht zurückgekehrt sind, es technisch nur durchführbar ist, sie als wahlberechtigt zu bezeichnen, unter der Voraussetzung, daß die sonstigen persönlichen Voraussetzungen wie Alter, Staatsangehörigkeit usw. vorliegen. Ich kann mir nicht denken, wie es technisch durchführbar sein soll, Kriegsgefangene, die z. B. in Neugorski oder irgendwo in Kanada sind, wählen zu lassen. Dr. Dlederichs: Sie werden aus der Presse vielleicht schon entnommen haben, daß Rußland den Termin der Rückkehr nunmehr auf den 1. Juli nächsten Jahres festgelegt hat15). Deshalb möchte ich anregen, einen Passus aufzunehmen, daß Rückkehrer noch in die Wahllisten eingetragen werden können bis 24 Stunden vor Beginn der Wahl. Daß man sie außerhalb Deutschlands wählen läßt, ist nicht sehr wahrscheinlich und dürfte technisch nicht möglich sein. Vors. [Dr. Becker]: Dann müssen wir den Begriff des Rückkehrers nachher etwas genauer festlegen: heißt Rückkehrer Rückkehrer in die alte Heimat Dr. Diederichs: Das würden wir so weit wie möglich fassen. Stock: Sehr viele können nicht in ihre alte Heimat zurückkehren! Vors. [Dr. Becker]: Mit diesen Vorbehalten wäre also § 1 angenommen. Wir kommen zu § 2. Das ist genau dieselbe Fassung wie in dem Wahlrecht nach der Weimarer Verfassung16). Dr. Diederichs: Ich sehe hier gerade, daß in dem Entwurf von Herrn Kaufmann die Numerierung ganz anders läuft und fürchte, daß daraus nachher bei der —
—
Kombinierung einige Schwierigkeiten entstehen könnten. (Kaufmann: Die Numerierung entspricht dem ursprünglichen Entwurf17)!) Vors. [Dr. Becker]: Zu § 2 dieser Fassung liegt keine weitere Wortmeldung vor. Wer für diese Frage ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. § 2 ist ange—
nommen.
Renner: Unsere Fraktion hat
zu
diesem Problem ebenfalls ihre
Anträge
ge-
stellt.
(Vors. [Dr. Becker): Ich habe keine bekommen.)
Doch, sicher! (Vors. [Dr. Becker): Ich persönlich habe keine bekommen!) Ich wollte nur sagen, daß ich mich, wie ich in dieser Sitzung schon erklärt habe, an diesen Entwurf halte, also für diesen Entwurf bei voller Wahrung meiner sonstigen Ansichten stimmen werde, und wollte Sie nur bitten, die Anträge, die wir zu diesem Problem gestellt haben, ebenfalls als Varianten dem Hauptausschuß zuzuleiten. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe noch keine bekommen.
15) Auf der Moskauer Außenministerkonferenz mit den anderen Siegermächten hatte sich
die UdSSR am 24. April 1947 verpflichtet, bis zum 31. Dez. 1948 alle Kriegsgefangenen in die Heimat zu entlassen (AdG 1947, S. 1072). Anläßlich der Reise Otto Grotewohls nach Moskau Anfang November 1948 erklärte Molotow, die Rückkehr der Kriegsgefangenen habe sich aufgrund der „klimatischen Verhältnisse" verzögert (Neuer Vorwärts vom 4. Dez. 1948; AdG 1948, S. 1747). 16) § 2 RWahlG 1924 (RGBl. S. 159). 17) Drucks. Nr. 266 (Dok. Nr. 20). 451
Nr. 17
Sechzehnte Sitzung 13. Dezember 1948
(Zuruf des Abg. Renner)
Sie können sich auf mein Wort verlassen. Renner: Ich behaupte nicht, daß Sie einen bekommen haben, ich behaupte nur, daß einer an Sie abgegangen ist. Ich könnte ihn ja dann nachreichen18). Vors. [Dr. Becker]: Sie können die Anträge ja heute schon zu den einzelnen Pa—
ragraphen,
die ich aufrufen werde, stellen.
Wir kommen dann zu §3 über das Ruhen der Wahlberechtigung. Wird dazu Es ist nicht der Fall. Wer für § 3 in dieser Fassung ist, das Wort gewünscht? den bitte ich, die Hand zu erheben. § 3 ist mit 10 Stimmen einstimmig ange—
—
—
nommen.
Wir kommen zu § 4. Wird dazu das Wort Wer für diesen Paragraphen ist, den bitte einstimmig angenommen.
gewünscht?
ich, die Hand
—
Das ist nicht der Fall. erheben. § 4 ist
zu
—
[2b. Wählbarkeit (§§ 5-7)] Wir kommen zu § 5 über das passive Wahlrecht. Bis b) sind wir wohl alle einig. Nun ist die Frage aufgetaucht, ob wir da eine Sperrfrist mit einjährigem Aufenthalt einfügen sollten19). Hier im Entwurf steht nichts darüber. Diese Frage müßte noch einmal geprüft werden. Dr. Diederichs: Unter c) taucht eine Frage auf, die eventuell die Sudetendeutschen betreffen könnte. Das ist eine Parallele zu dem aktiven Wahlrecht und
betrifft die Volkszugehörigen, die möglicherweise aus dem Sudetenland geflohen oder ausgewiesen worden sind und, nachdem die Militärregierungen die Angliederungsbestimmungen und -gesetze aufgehoben haben20), heute praktisch normalerweise als flüchtige Staatsangehörige der Tschechei gelten könnten und die Wiedereingliederung in den deutschen Staatsverband vielleicht noch nicht wieder durchgeführt haben. Es ist die Frage, ob hier nicht irgendein Ausnahmevermerk gemacht werden müßte. Vors. [Dr. Becker]: Alle, die aus dem Gebiet des ehemaligen deutschen Reiches in dem Umfang vom 31. Dezember 3721) hierher gekommen sind, d.h. diejenigen, die man als Ostflüchtlinge bezeichnet, haben ohne weiteres die deutsche Staatsangehörigheit. Die Sudetendeutschen haben sie nach dem Gesetz von 1938 bekommen22), soweit sie damals in der Tschechoslowakei waren. Auf
1B) Ein Antrag der KPD konnte nicht ermittelt werden. 19) Vgl. oben Dok. Nr. 10, TOP 5 a. 20) In Ihrer Erklärung vom 5. Juni 1945 legten die Allierten die deutschen Grenzen auf den Umfang vom 31. Dezember 1937 fest, das heißt also ohne das Sudetengebiet und unter Ausschluß Österreichs. (Die Erklärung ist abgedruckt in: „A Decade of American Foreign Relations. Basic Documents", Washington 1950, S. 506; vgl. Raschhof er/Kimminich, Die
Sudetenfrage,
S. 274.)
1939 als Stichdatum genannt worden (siehe oben Dok. Nr. 5, TOP 1 e). 22) Vgl. oben Dok. Nr. 5, Anm. 64. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1952 (BVerfGE 1, 322) und das „Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigheit" vom 22. Feb. 1955 (BGBl. I, S. 65) sollte hier endgültige Klarheit schaffen.
21) In der 5. Sitzung war noch der 1. Sept.
452
Sechzehnte Sitzung 13. Dezember 1948
Nr. 17
Flüchtlingsgesetze23) haben sie dann praktisch auch die deutsche Staatsangehörigkeit schon bekommen, soweit sie nur die deutsche Volkszugehörigkeit hatten. Ich will nur einen Schutz haben und glaube, in diesem Bestreben könnten wir uns zusammenfinden: Wir wollen nicht, daß wieder ein HiÜer aus Österreich24), ein Herr Darré25) aus Argentinien, ein Herr Hess26) aus Ägypten, ein Herr Bakke27) aus Tiflis, ein Herr Rosenberg28) aus dem Baltikum hier ankommen und plötzlich Mitglieder des auswärtigen Ausschusses eines künftigen Bundestags werden. Da wollen wir wenigstens ein Jahr lang die Möglichkeit haben, die Leute ein bißchen in der Heimat auf Herz und Nieren zu prüfen. Kaufmann: Ich glaube, man sollte es bei dem belassen. Die Leute, die hier in Frage kommen, sind natürlich aus einem anderen Anlaß und unter Zwang hier herüber gekommen. Das stellt sie in Gegensatz zu den eben angeführten Personen. Aber sie sind immerhin vollständig fremd und müssen, soweit sie geistige Qualitäten besitzen, einsehen, daß es für sie keinen Sinn hat, sich in Dinge zu mischen, in die sie zunächst keinerlei Einblick haben können. Jeder normale Mensch, der in eine vollständig neue Situation kommt, wird zunächst einmal versuchen, sich stillschweigend zu orientieren, und wird nicht von vornherein Forderungen stellen. Es kommt ja auch niemand in einen neuen Ausschuß plötzlich hereingeschneit und greift in Entscheidungen ein, ohne sich vorher informiert zu haben, was da gespielt wird. Die wenigen, die gegen eine solche Ansicht protestieren, werden sich damit abfinden müssen, und die vernünftigen Teile werden durchaus einsehen, daß man mit der Gewährung des Wahlrechts für sie schon sehr viel getan hat, daß sie sich aber vor der Ausübung der Wahl zunächst einmal in der neuen Heimat orientieren müssen. Ich glaube wie gesagt, daß es sich nur um wenige handeln wird, die dagegen protestieren werGrund der
den. Ich weiß aber andererseits, daß im Zusammenhang mit diesen Leuten, die bisher noch keine Staatsangehörigkeit erwerben konnten, der Nansenpaß29) erwähnt wurde, und daß diese Erwähnung eine ungeheure Empörung in der Presse ausgelöst hat, weil die Leute sagten, sie seien schließlich keine Globetrotter, die nicht wüßten, wohin sie gehörten, sondern sie seien unfreiwillig aus ihrer Umgebung herausgelöst worden. Es handelt sich hierbei nicht um die 23) Vgl. oben Dok. Nr. 5, TOP 1 a. 24) Anspielung auf Hitlers österreichischen Geburtsort Braunau am Inn. 25) Richard Walter Darré (14. Juli 1895 5. Sept. 1953), geboren in Belgrano/Argentinien,
NS-Reichsbauernführer und Landwirtschaftsminister. 1894 17. August 1987), geboren in Alexandria/Ägypten, nach 1933 Reichsminister o. Geschäftsbereich und Stellvertreter Hitlers; Leiter der Parteikanz—
26) Rudolf Hess (26. April
—
lei der NSDAP.
27) Herbert Backe (1. Mai 1896 6. April 1947), geboren in Batum am Schwarzen Meer, NSLandwirtschaftsminister, Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister. 28) Alfred Rosenberg (12. Jan. 1893-16. Okt. 1946), geboren in Reval (Tallinn), NS-Ideologe, —
Außenpolitischen Amtes der NSDAP und Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. 29) Auf Fridtjof Nansen, den ehemaligen Hochkommissar des Völkerbundes (1921—30), zurückgehendes Reisedokument für staatenlose Flüchtlinge. Leiter des
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Nr.
17
Sechzehnte Sitzung 13. Dezember
1948
Kreise der Vernünftigen, die das ohne weiteres einsehen, sondern um die Resonanz, die solche Maßnahmen auszulösen pflegen. Ich möchte es vermieden wissen, daß man damit jemand vor den Kopf stößt; das wären vielleicht gar nicht einmal diejenigen, die selber betroffen sind, sondern es ist der große Kreis derer, die glauben, hier nicht vertreten zu sein, die dann einen gewissen Einfluß suchen. Deshalb sollte man auch diese Frage prüfen, ob man es bei diesem Erfordernis der einjährigen deutschen Staatsangehörigkeit belassen will, oder ob man nicht für solche Leute, die sich um die deutsche Staatsangehörigkeit bemüht, aber bisher vielleicht noch nicht erreicht haben, eine Regelung einschalten will. Ich glaube also, irgendwie müßte man diesem Gedanken Rechnung
tragen.
Vors. [Dr. Becker]: Man kann im Zweifel sein, ob man schreiben soll: „die deutsche Staatsangehörigkeit ein Jahr besitzt", oder: „die seit einem Jahr in einem Gebiete des Bundes Aufenthalt oder Wohnsitz genommen haben". Das zweite kann auch von Bedeutung sein, weil der Aufenthalt und der Wohnsitz enscheidend dafür ist, ob man sich in die deutschen Verhältnisse so hineingefühlt hat, daß man deutsche Interessen vertreten und über das deutsche Schicksal mitentscheiden kann. Man kann also darüber debattieren. Die Zahl derer, die davon betroffen werden, ist außerordentlich gering. Die eigentlichen Flüchtlinge trifft es nicht, weil sie schon ein ganzes Jahr hier sind. Bei der Formulierung „ein Jahr Wohnsitz oder Aufenthalt", werden sie also erst recht nicht betroffen. Was mir vorschwebt, sind die Spitzel, die jetzt unter der Maske von Flüchtlingen, die in Uranbergwerke kommandiert worden sind, herüberkommen. In der Ostzone findet schon ein schwunghafter Handel mit Gestellungsbefehlen für Uranbergwerke statt, und ausgerüstet mit solchen Gestellungsbefehlen kommen Spitzel als angeblich politische Flüchtlinge hierher, und man kann erst dadurch, daß man mit ihnen ein Jahr lang zusammengewohnt hat, feststellen, was hinter allen diesen steckt. Es wäre sehr gefährlich, wenn solch ein gerissener Mann über die Grenze käme und a tempo auf eine Wahlliste gesetzt werden könnte, auf dem üblichen Wege in das Parlament käme und nun in der Lage wäre, in alle Dinge hineinzuschauen. Amerika verlangt für einen Senatoren einen siebenjährigen Aufenthalt im Lande, und Bundespräsident kann nur werden, wer im Lande geboren worden ist. Obwohl Schurz30) für den Sezessionskrieg Abraham Lincoln31) außerordentliche Dienste geleistet hatte, konnte er nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden. Renner: Ich bin der Meinung, daß der Personenkreis, der durch diese Bestimmung geschädigt werden könnte, soweit er zu den anzuerkennenden Flüchtlingen gehört, zahlenmäßig nicht so bedeutend ist, daß er uns zu beschäftigen brauchte. Aber ich möchte die Herren an das Problem der Staatszugehörigkeit solcher Leute, die durch irgendeine Maßnahme der Hitler-Regierung ausgebürgert worden sind, erinnern. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal den Juristen in unserem Innenministerium darüber zu befragen, was er von dieser Fas-
30) Zu Schurz siehe oben Dok. Nr. 5, Anm. 51. 31) Abraham Lincoln (12. Feb. 1809-15. April 1865), 454
16.
Präsident der USA (1861-65).
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hält, die wir zwar noch nicht vollkommen abgeschlossen, aber doch immerhin im Text schon ungefähr festgelegt haben: „soweit er auf andere Art und Weise die Staatsbürgereigenschaft erworben hat". Da stand das Problem so: Wer zu einer Wahl zugelassen war, bei dem ist damit anerkannt, daß er deutscher Staatsbürger ist. Ich habe also unseren Juristen darüber befragt, und er hat mich glatt ausgelacht. Er sagte, mit derselben Logik könnte man, wenn man wollte, die Wahlberechtigung all dieser Leute anfechten; entweder müsse durch die Verfassung diese Ausbürgerung in ihrer Auswirkung generell beseitigt werden, oder es müßte sonst ein Akt vollzogen werden, der dem Betreffenden die Staatsbürgereigenschaft wieder zuweist, entweder auf Antrag oder ebenso generell. Man müßte also sagen: Dieser Mann, der auf Grund dieser Dinge die deutsche Staatsbürgerschaft verloren hatte, besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft wieder. Das war die Auskunft eines Juristen! Wenn das hier eingeführt werden sollte, dann müßte also solch ein in puncto Staatsangehörigkeit fragwürdiger Mensch erst einmal seine Staatsangehörigkeit beweisen. Und wenn man das dann noch davon abhängig macht, daß er sich ein Jahr lang in Deutschland aufhält, dann wird davon meines Wissens eine beachtlich große Anzahl von Personen betroffen. Ich erinnere z. B. an all die deutschen32) Flüchtlinge, die sich in Mexiko aufgehalten haben. Das ist eine ganz große Zahl33). Die Mehrzahl von ihnen ist erst im Laufe des Sommers oder des Herbstes vorigen Jahres herübergekommen. Es gibt heute noch Menschen, die einfach mangels Reisegelegenheit nicht zurückkommen können. Sie müssen nämlich das Durchgangsvisum der USA bekommen, und gerade das macht sehr große Schwierigkeiten34). Sie müssen entweder ein russisches Schiff abwarten oder sich mit Hilfe amerikanischer Freunde dieses Visum beschaffen. Das ist eine Geldfrage35). Vors. [Dr. Becker]: Sie meinen doch die Personen, die aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen ausgewandet sind? Diese Leute haben doch ihre Staatsangehörigkeit durch ein Ausbürgerungsgesetz36) verloren. Das ist aufgehosung
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!) Handschriftlich korrigiert aus: „Volksdeutschen". ') Angesichts der relativ wenigen deutschen Emigranten in Mexiko
die Zahlen schwanken zwischen 2000 und 3000 überrascht Renners Plädoyer für diese Gruppe. Allerdings war die Mehrzahl dieser Exilierten Kommunisten. Mexiko-Stadt hatte sich während des Krieges zum bedeutendsten Zentrum des westlichen KPD-Exils entwickelt (Fritz Pohle: Das mexikanische Exil. Ein Beitrag zur Geschichte der politisch-kulturellen Emigration aus Deutschland [1937-1946], Stuttgart 1986, S. 4 ff.). —
—
') Folgt gestrichen: „Meiner eigenen Frau ist es so ergangen." ') Folgt gestrichen: „So steckt z. B. noch der Sohn des früheren süddeutschen Ministers Maraum [!] drüben. Er kann nicht zurückkommen, weil es keine Stelle gibt, die ihm hilft,
das Visum zu beschaffen." Bei dem angesprochenen Minister handelt es sich um Dr. h. c. Ludwig Marum (5. Nov. 1882-31. März 1934), SPD-Politiker, badischer Justizminister 1928-1933. Marums Sohn Hans (geb. 28. April 1914) war KPD-Mitglied und hielt sich seit 1942 im mexikanischen Exil auf. Im Jahre 1948 lebte er allerdings schon seit einem Jahr in der SBZ. ') Reichsbürgergesetz vom 15. Sept. 1935 (RGBL I, S. 1146). 455
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ben worden37), und damit ist dieser Fall erledigt. Es kann sich nur noch um jene Fälle handeln, in denen jemand ausgewandert ist und nun durch Zeitablauf oder durch Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat. Hat er eine andere Staatsangehörigkeit erworben, dann fällt sein Wahlrecht ohnehin weg, denn er kann nicht zwei Staatsangehörigkeiten nebeneinander haben. Es gibt zwar die sujets mixtes38), aber das ist eine Sache für sich. Die zweite Frage ist die, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen kann, wenn er die neue Staatsangehörigkeit aufgegeben hat. Diese Frage hatte ich in meinem ersten Entwurf, den Sie ja alle abgelehnt haben, unter Abstellung auf den Aufenthalt geregelt39). Ich habe gesagt, wenn jemand ausgewandert und wieder zurückgekehrt ist und hier seinen Wohnsitz und Aufenthalt genommen hat, um sich zur Teilnahme am deutschen Schicksal einbürgern zu lassen, und wenn das klar in Erscheinung tritt, dann soll er nach drei oder sechs Monaten wahlberechtigt sein. Diesen Vorschlag hat der Ausschuß
abgelehnt40).
Wie wir die Fassung in den Verfassungsartikel bringen mögen, wird sie immer die Möglichkeit schaffen, daß diesen Leuten, die durch Zwangsausbürgerang ausgeschieden sind, auf Antrag ihre Staatsangehörigkeit sofort wieder zugesprochen werden kann. Wir hatten den Antrag so festgelegt, weil der Betreffende selber entscheiden muß, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit wieder erwerben will, oder ob er es vorzieht, eine andere Staatsangehörigkeit zu behalten. Da würde es nun doch darauf hinauskommen, daß die Karenzzeit der Ziffer b) in denjenigen Fällen nicht gilt, in denen der Zwangsausgebürgerte auf Grund seines Antrags die deutsche Staatsangehörigkeit wiedererhält. Notwendig ist eine solche Bestimmung meiner Ansicht nach auch nicht; denn wenn seine deutsche Staatsangehörigkeit wieder hergestellt wird, dann hat er sie ja gehabt und wird so behandelt, als ob er sie nie verloren hätte. (Vors. [Dr. Becker): Sie gilt als nicht verloren!) Man könnte doch immerhin protokollarisch festhalten, daß wir der Meinung sind, daß die Ziffer b) insofern keine Anwendung findet, als die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft auf Wunsch des Zwangsausgebürgerten nicht unter diese Bestimmung der Karenzzeit von einem Jahr fällt, da es sich um eine Wiederherstellung handelt. Vors. [Dr. Becker]: Wenn sein Antrag auf Rückeingliederung in die deutsche Staatsbürgerschaft rückwirkend wirkt, so kann er sie nie verloren haben. Stock: Das wollte ich auch sagen. Was Herr Renner meint, ist durch Gesetz erledigt, und zwar auch für solche, die schon eine andere Staatsangehörigkeit angenommen haben. Wenn sie auf diese verzichten, kommen sie eo ipso wieder zu ihrem alten Recht.
Kaufmann:
37) Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. Sept. 1945. 38) Vgl. oben S. 111, besonders Anm. 10. 39) Siehe § 2 Abs. 1 des Becker-Entwurfs (Dok. Nr. 11). oben Dok. Nr. 14, TOP 2. 40) Siehe oben Dok. Nr. 10, TOP 5 456
a.
Zur
Ablehnung des
Entwurfs siehe
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seinerzeit schon darüber unterhalten, daß in einigen Landesverfassungen Wahlgesetzen ein Passus enthalten ist, wonach diejenigen, die vom Entnazifizierungsausschuß in die Gruppe III, Minderbelastete, eingereiht worden sind, nicht gewählt werden können, auch wenn in ihrem Einstufungsbescheid nicht ausdrücklich gesagt ist, daß sie ihre Wählbarkeit verloren haben41). Ich glaube, diesen Passus müssen wir hier hineinsetzen; denn wenn je-
Wir hatten
uns
und
mand nicht zum Landtagsabgeordneten gewählt werden kann, dann kann er nach meinem Dafürhalten auch nicht in den Bundestag kommen. Die bayerische Gesetzgebung hat diese Bestimmung, die hessische Gesetzgebung hat sie und von den anderen weiß ich es nicht. Das muß also auch in das Wahlgesetz für den Bundestag hineinkommen. Wir hatten z. B. einmal einen Abgeordneten, der in die Gruppe III eingestuft worden war und gewählt worden war, weil sein Verlust der Wählbarkeit nicht ausdrücklich festgestellt worden war, und er mußte dann ausscheiden42). Vors. [Dr. Becker]: Wie ist es in der britischen Zone? Schröter: In Schleswig-Holstein ist es ohne weiteres klar, daß, wer in Gruppe III eingereiht ist, nicht wahlberechtigt und nicht wählbar ist. Ich kenne keinen Spruch in Schleswig-Holstein, in dem das nicht ausgesprochen wäre. Kuhn: In der französischen Zone ist es ebenso. Es muß aber angegeben sein, ob er das passive Wahlrecht hat. Das aktive Wahlrecht hat er. Die Weisung, daß der Minderbelastete unter gegebenen Voraussetzungen nicht wählbar ist, beruht auf dem Kontrollratsbeschluß43). Vors. [Dr. Becker]: De lege ferenda scheint Übereinstimmung darüber zu bestehen, daß die Minderbelasteten für die Dauer ihrer Minderbelastung keinesfalls das passive Wahlrecht haben sollen. Das scheint die Grundtendenz zu sein. Die Frage ist nur, ob das nach dem Gesetzesstand der einzelnen Zonen nochmals zum Ausdruck gebracht werden muß oder nicht. Schröter: Angesichts der Tatsache, daß in den verschiedenen Zonen ein verschiedenes Spruchverfahren vorhanden ist, müßte es verankert werden. Von unserem schleswig-holsteinischen Standpunkt aus habe ich kein Verständnis dafür, daß ein Mann, der in die Gruppe III gekommen ist, das aktive Wahlrecht haben soll. Das kennen wir auch nicht. Ich bitte also, auch dazu Stellung zu nehmen, ob der Mann das aktive Wahlrecht haben soll. Stock: Das können wir auch noch machen, indem wir dem § 2 Ziffer 3 anfügen: „oder wer in die Gruppe III eingereiht ist."
41) Siehe oben Dok. Nr. 5, TOP 1 a. 42) Hier handelt es sich vermutlich um den damaligen CSU-Abgeordneten Prof. Dr. Hermann Strathmann (30. Aug. 1882-30. Nov. 1966), der am 3. April bzw. 25. Juni 1947 auf-
grund von Publikationen aus der Zeit des Dritten Reiches gemäß den Bestimmungen des Befreiungsgesetzes aus dem Bayerischen Landtag ausgeschlossen wurde (Peter Jakob Kock: Der Bayerische Landtag. Eine Chronik, Bamberg 1991, S. 39). 43) Gemeint ist die Direktive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 bezüglich der Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen, in: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 5
vom
31. März 1946, S. 98.
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Vors. [Dr. Becker]: Das können wir nicht machen. Wir können nichts gegen die Verfassung sagen, und in der Verfassung steht, daß jeder das Wahlrecht hat44). Eine Ausnahme bieten nur die Entnazifizierungsbestimmungen. Die können wir aber unsererseits nicht verschärfen. Die Entziehung des aktiven Wahlrechts
würde gegen die Verfassung verstoßen. Dr. Diederichs: Ich bin grundsätzlich nicht der Auffassung, daß es nicht möglich sei, in einem Wahlgesetz für den Bund, also hier, etwas abweichend von dem früher gegebenen Landeswahlrecht zu regeln; denn schließlich sind die Landeswahlrechte ein bis zwei Jahre eher gemacht worden. Der Grundtatbestand ist ein anderer. Im übrigen ist es ja doch so, daß sich die ganze Entnazifizierungsgeschichte praktisch durch den Ablauf von Zeit mehr oder minder erledigt und daß eben tatsächlich im Laufe der Zeit eine Wiederzulassung zum aktiven und später auch zum passiven Wahlrecht möglich ist45). Also selbst wenn die Gruppe III bisher in Schleswig-Holstein kein aktives Wahlrecht hatte, so könnten wir sie meiner Ansicht nach doch für die Bundeswahlen zulassen. Daher würde ich das aktive Wahlrecht hier nicht verankern. Dagegen sehe ich das passive Wahlrecht als eine Frage an, die doch zu überlegen wäre. Und da genügt meines Erachtens diese Formulierung. Ich habe absichtlich darauf verzichtet, hier das Wort „ausdrücklich" anzuwenden, wenn ich sagte: „dem nicht die Wählbarkeit durch rechtskräftige Entscheidung im Entnazifizierungsverfahren abgesprochen worden ist". Damit ist gesagt, daß jemand, der in die Gruppe III eingestuft also in der französiworden ist und in seiner Heimat kein Wahlrecht hat schen Zone oder so —, es auch hier nicht hat. Es ist also genau so, wie es nach der Entnazifizierungsentscheidung bisher üblich gewesen ist. Sonst müßte das Wort „ausdrücklich" darin stehen, oder der Entscheid müßte ihm das aktive Wahlrecht absprechen. Kaufmann: Die Entnazifizierung ist in drei Zonen vollständig verschieden gehandhabt worden. (Es folgen vertrauliche Ausführungen46).) Wenn wir hier in Bezug auf die Wählbarkeit eine klare Bestimmung machen wollen, müssen wir sagen, daß vom Wahlrecht für diese Wahl ausgeschlossen sind: Hauptschuldige, Belastete und Minderbelastete. Heiland: Was machen wir mit den Leuten, die sich überhaupt nicht entnazifizieren lassen. (Stock: In der US-Zone gibt es das nicht!) Und ich sage Ihnen, daß die Leute, die wirklich belastet sind, es bei uns vorziehen, gar nicht in die Entnazifizierung zu gehen. Bei mir im Ort wohnt ein —
—
44) Art. 45 Abs. 2 in der vom Hauptausschuß am 11. Nov. 1948 in erster Lesung angenommenen Fassung (Anlage 1 zum Kurzprotokoll der 2. Sitzung des Hauptausschusses, Drucks. Nr. 288).
45) Bereits im Wahlgesetz auf die
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Bundestag vom 8. Juli 1953 (BGBl. I, S. 470) wurde noch für das passive Wahlrecht Bezug genommen und le-
zweiten
nur
den in Gruppe I und II Eingestuften abgesprochen. Zur Praxis des Protokollierens vgl. auch Der Pari. Rat Bd. 3, S. XXII.
diglich 46)
zum
Entnazifizierung
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Mann, der die SS geführt hat, ein Brennereibesitzer mit einem nicht ganz unbekannten Namen47). Der denkt nicht daran, sich entnazifizieren zu lassen. (Stock: Und was ist er?) Er hat eine Brennerei. (Stock: Denn würde er in der US-Zone gar keine Lizenz bekommen!) Na, das macht natürlich seine Schwester! Schröter: Für die ganze britische Zone gilt doch die Bestimmung, daß sich bis zum 1. August 1948 alle Leute melden mußten48), die noch nicht entnazifiziert waren, und die bekamen ihre Aufforderungen und wurden untersucht. Renner: Der ganze Bergbau in Nordrhein-Westfalen ist aus der Entnazifizierung herausgehalten worden. Alle führenden Persönlichkeiten im Bergbau sind von keinem deutschen Entnazifizierungsausschuß abgeurteilt worden. Das ist die Wirtschaftsgruppe, auf die es bei uns ankommt. Die ist von den Engländern entnazifiziert worden. Auch eine Reihe von höhren Polizeibeamten ist nicht durch die deutschen Stellen, sondern durch die Engländer entnazifiziert worden. Das hat zu dem Zustand geführt, daß unser Innenminister49) hier öffentlich betont hat, daß die Zusammensetzung des leitenden Polizeikaders alles andere ist als das, was man sich wünschen müßte50). Das aktive Wahlrecht hat bei uns auch der Minderbelastete, dem es nicht ausdrücklich vom Entnazifizierungsausschuß abgesprochen worden ist. Und nach der Seite des passiven Wahlrechts kenne ich keine 10 Fälle, in denen im Urteil festgestellt ist, daß der Betreffende das passive und aktive Wahlrecht verloren hat. Maier: In der französischen Zone ist es so, daß sich Arbeiter und Angestellte von Betrieben bis zu 60 Mann nicht der Denazifizierung zu unterwerfen brauchten. Außerdem ist fast die gesamte Landwirtschaft nicht denazifiziert, es sei denn, daß gegen den einzelnen Anklage erhoben worden wäre, oder daß er aufgrund des § 52 unter die Vermögenskontrolle fiele51). So ist ein ganz großer Kreis von Personen nicht erfaßt, hat also eo ipso das Wahlrecht. —
—
sich hier um den Brennereibesitzer Arthur Prost (17. April der in Marl/Westfalen eine Brennerei besaß. Als langjähriges NSDAP-Mitglied (seit 1931) und Angehöriger der SS (seit 1933, zuletzt im Rang eines Untersturmbannführers) unterlag Prost der Sperre und Kontrolle von Vermögen gemäß Gesetz 52 der britischen Militärregierung (Amtsgericht Marl, Handelsregister A, Nr. 1174, Eintrag vom 14. Nov. 1947). Statt seiner führte seine Schwägerin die Firma. § 14 Verordnung über das Verfahren zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen vom 30. März 1948 (GVOB1. Nr. 10, S. 41). Walter Menzel war nordrhein-westfälischer Innenminister von 1947 bis 1950; siehe auch oben Abschnitt 1 b der Einleitung. Es ist nicht eindeutig zu klären, auf welche Äußerung Menzels Renner hier anspielt. Menzel äußerte sich mehrmals im Pari. Rat zu Fragen des Polizeiwesens. In der 5. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses am 29. Sept. 1948, der Renner allerdings nicht beiwohnte, mahnte Menzel den demokratischen Neuaufbau der Polizei an (Der Pari. Rat Bd. 3, Dok. Nr. 5, S. 181 f.). Auch im Plenum (Stenographische Berichte, S. 32) und im Hauptausschuß äußerte er sich zu Organisation und Aufbau der Polizei (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 80 und 353). Vgl. oben Anm. 47.
47) Vermutlich handelt
es
1899—12. Dez. 1982),
40) 49)
50)
51)
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passive Wahlrecht hingegen hat der Minderbelastete nicht und der Mitläufer dann nicht, wenn es ausdrücklich im Urteil erwähnt ist. Sonst ist der Mitläufer auch für das passive Wahlrecht zugelassen. Kaufmann: Ich glaube nicht, daß wir diese Frage durch eine weitere Debatte einwandfrei klären können. Ich würde empfehlen, den Rechtsausschuß zu bitten, dazu Stellung zu nehmen und eine geeignete Fassung vorzuschlagen, die einheitlich für alle drei Zonen richtig ist. Ich könnte mir vorstellen, daß je nach der Entnazifizierungsart unter den Begriff der Minderbelasteten in einigen Zonen solche fallen, die in anderen Zonen unter dem Begriff der Mitläufer laufen und umgekehrt. Daß Hauptschuldige und Belastete nicht gewählt werden können, ist nach der Fassung sowieso selbstverständlich. Aber bei den Gruppen III und IV pendeln die Dinge je nach der Zone hin und her. Und wenn jetzt auch noch solche Dinge vorliegen, wie sie die Herren Kollegen Renner und Maier vorbringen, dann muß eine andere Formulierung gefunden werden. Ich würde also empfehlen, diese Frage dem Rechtsausschuß mit der Bitte, die Rechtsverhältnisse festzustellen und uns auf diesem Gebiete Vorschläge für eine geeignete Fassung zu machen, zu überweisen, wobei ich persönlich zum Ausdruck bringen möchte, daß meiner Ansicht nach selbstverständlich die Hauptschuldigen als Belastete darunterfallen. Und meinem Gefühl nach müßten ebenso selbstverständlich auch diejenigen darunterfallen, die keinen Entnazifizierungsbescheid vorlegen können. Heiland: Der ganze Mittelstand ist nicht entnazifiziert. Stock: Das war das ungesetzlichste Gesetz, das je existiert hat! Dr. Diederichs: Ich erkläre mich mit dem Vorschlag von Herrn Kaufmann für diesen Punkt einverstanden, den § 5 Buchst, c) noch einmal dem Rechtsausschuß zu überweisen mit der Bitte, nach einer Formulierung zu suchen. Ich bin grundsätzlich der Auffassung, daß das aktive Wahlrecht bis zum Minderbelasteten einschließlich gewährt werden müßte. Stock: Das aktive Wahlrecht haben die Minderbelasteten bei uns nicht. Man ist bei uns so weit gegangen, daß auch Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte nicht in Gruppe IV sein dürfen. Dann ist die Bayern-Partei gekommen; sie mußte ihre Kandidaten von irgendwoher beziehen, und dann haben wir stellvertretende Landräte und stellvertretende Bürgermeister zum großen Teil aus dem Kreis der Minderbelasteten gehabt. Daraufhin hat der Bayerische Landtag mit Zweidrittelmehrheit beschloßen, daß auch ein stellvertretender Bürgermeister, ein stellvertretender Landrat nicht Mitläufer sein darf52); er muß zum mindesten Gruppe V haben. In Bayern ist man also sehr scharf. (Heiland: Die kriegen bei uns sowieso die Gruppe V!) Vors, [Dr. Becker]: Ich darf auf das hessische Gesetz über Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus hinweisen53), das mit dem in Baden und Württemberg wörtlich übereinstimmt. Die Einreihung in die Gruppe der MinderbelaDas
52) Vgl. oben Dok. Nr. 10, Anm. 50. 53) Gesetz vom 5. März 1946 zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus (GVOB1. Hessen, Nr. 7-8, S. 57 und 1947, Nr. 4/5, S. 30 (vgl. Sammlung der Länderratsgesetze, S. 95 ff.). 460
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steten bedeutet doch nicht ohne weiteres die Entziehung des Wahlrechts oder der Wählbarkeit, sondern nur dann, wenn es ausdrücklich im Spruch ausgesprochen worden ist. Für Angehörige der Gruppe III steht es nach dem Gesetz automatisch nicht fest54). Ich würde daher vorschlagen zu sagen: „Die Einreihung in die Gruppe I, II oder III führt zum Verlust des passiven Wahlrechts". Nur müssen wir in die Verfassung die gleiche Bestimmung hineinbringen, weil sonst unser Wahlgesetz verfassungswidrig sein könnte. Nun die Frage der Überweisung an den Rechtsausschuß. Ich bin auch Mitglied des Rechtsausschusses und möchte mir doch als Mitglied nicht sagen lassen: Wie kommt es, daß der Vorsitzende des Wahlrechtsausschusses die Sache nicht selbst prüfen läßt, zumal ja auch andere Mitglieder des Rechtsausschusses Mitglieder des Wahlrechtsausschusses sind55). Ich glaube, wir könnten es schon klären; es wäre nur die Frage: nach welcher Richtung hin? Über die Grundsätze müßten wir uns klar sein. Wir wissen, wie das Entnazifizierungsverfahren als solches in umfassender Art in der amerikanischen Zone über jedem einzelnen Menschen gestanden hat, und wir wissen, wie uns das im praktischen Wiederaufbau gehindert hat. Und wenn wir jetzt auf dem Umweg über das Wahlgesetz für die französische und britische Zone zu einem ähnlichen Ergebnis kämen wie in der amerikanischen Zone, daß gewissermaßen vom Kaiser Augustus ein Gebot ausgeht, daß jeder sich zu melden hat, dann hätten wir etwas Schönes angerichtet; dann würden wir für die britische und französischen Zone einen ungeheueren Apparat aufbauen, den wir gerade in der US-Zone abbauen. Wir müssen uns einmal überlegen, wie wir anders zu dem gleichen Ergebnis kommen. Minderbelastet im Sinne der amerikanischen und britischen Zone ist derjenige, der Aktivist ist oder aus besonderen Gründen zum Minderbelasteten erklärt worden ist, oder aber ein sogenannter Mitläufer, der aus besonderen Gründen, vielleicht wegen seiner labilen Gemütsart, erst noch einige Korsettstangen eingezogen erhalten soll. Wie wollen wir das ähnlich in der französischen und britischen Zone machen? Ich fürchte, da kann man sehr in Zweifel kommen. Stock: Ich bin nicht der Auffassung, daß wir da irgend etwas machen, was wir nicht durchführen können, sondern wir sagen klipp und klar: Diejenigen, die in die Gruppen I bis III eingestuft sind, haben nicht das passive Wahlrecht. Vors. [Dr. Becker]: Sie wissen ja nicht, wer in den Gruppen I, II und III ist. Stock: Für die andern spielt es keine Rolle, sondern nur für diejenigen, die durch den Entnazifizierungsausschuß in die Gruppen I, II oder III verwiesen worden sind. Kaufmann: In der Grenzpolizei und bei den Zöllnern befinden sich noch eine ganze Menge von alten SS-Männern, die überhaupt noch nicht angefaßt worden sind und zwar nirgends. Kuhn: Es kommt darauf an, welches Verfahren wir anwenden wollen. Wer als Kandidat aufgestellt ist, muß eben nachweisen, daß er nicht unter diese Gruppe
54) Handschriftlich korrigiert aus: „Bei der Gruppe III", 55) Außer Becker waren noch Walter und Schröter ordentliche Mitglieder des Rechtsausschusses.
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fällt. Das ist genau so bei den Kommunalwahlen in der französischen Zone wenigstens in Rheinland-Pfalz. Diese Aufgabe müssen wir den Kandidaten zuschieben. (Heiland: Die Kandidaten müssen die Entnazifizierung durchlaufen!) Vors. [Dr. Becker]: Dann brauchen wir nichts aufzunehmen. Und wie ist es mit dieser Zusammenfassung? (Heiland: Wer sich aufstellen lassen will, muß sich entnazifizieren lassen.) Frau Wessel: Der Unterschied besteht darin, daß man wählen kann, ohne entnazifiziert zu sein; wenn man aber gewählt werden will, muß man beweisen, daß man entnazifiziert ist. Vors. [Dr. Becker]: Dann würden wir die Bestimmung unter c) streichen. Stock: Nein, weil es noch Leute in der Gruppe IV gibt, denen es abgesprochen worden ist. (Vors. [Dr. Becker]: Dann ist es mit Unrecht geschehen!) Kaufmann: Die Formulierung genügt, die ist richtig; es müßte nur darunter geschrieben werden: Nicht wählbar sind diejenigen, die als Hauptschuldige, als Belastete oder als Minderbelastete gekennzeichnet sind. Dem Kandidaten fällt die Pflicht zu, den entsprechenden Nachweis zu führen. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich vorschlagen: d) der nicht durch Vorlegung eines Spruchkammer- oder Nichtbetroffenenbescheides nachweist, daß er nicht zur Gruppe der Hauptschuldigen, Aktivisten oder Minderbelasteten gehört. Dann obliegt ihm die Beweislast. Würden die Mitglieder damit einverstanden sein? -
(Stock: Ja. Das genügt!)
Wird zu § 5 noch das Wort gewünscht? Wir würden uns dann noch vorbehalten müssen, daß wir uns mit dem Hauptausschuß in Verbindung setzen, daß eine entsprechende Bestimmung in die Übergangsvorschriften zum Verfassungsgesetz aufgenommen wird56). § 5 ist wohl im übrigen angenommen. Wir kommen dann zu § 6. Das ist wichtig,
munität hat und die
weil
er von
sonstigen Konsequenzen laufen,
dem Moment ab die Imin dem er dem Bundes-
wahlleiter schriftlich die Annahme der Wahl erklärt hat. Walter: Ich würde statt „ist" „wird" setzen. Dr. Diederichs: Dann muß „hat" auch weg!
56)
462
Hauptausschußverhandlungen über das Wahlrecht siehe die 53. Sitzung, bes. S. 714 ff.; vgl. CDU/CSU-Fraktionssitzung vom 11. Jan. 1949, in: Salzmann, Die CDU/ CSU im Pari. Rat, S. 337. Art. 146 GG-Entwurf vom 13./16. Dez. 1948 (Drucks. Nr. 370, 374 und 394, d. i. Art. 139 der verabschiedeten Endfassung) enthielt die Bestimmung: „Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt." Zu den
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Vors. [Dr. Becker]: Das heißt, wenn die Annahme beim Bundeswahlleiter eingegangen ist. „Erklärt ist" würde heißen, wenn der Brief von ihm abgegangen ist. Nun kann der Brief ja verlorengehen. „Erklärt hat" würde heißen, daß der Brief beim Bundeswahlleiter eingegangen sein muß. Wir können vielleicht den Kommentatoren des Gesetzes diese Frage überlassen. Stock: Die Redaktionskommission will auch noch etwas tun! Vors. [Dr. Becker]: § 7! Ich bin hierbei davon ausgegangen, daß unter Umständen der Verzicht in Frage kommen könnte, ehe sich der Bundestag als solcher
konstituiert hat. Wird das Wort gewünscht? Wortmeldungen annehmen, daß § 7 angenommen ist. —
liegen
nicht
vor.
Dann darf ich
—
[2 c.
Wahlgebiet (§ 8)]
Wir kommen zu 77. Wahlverfahren, und zwar zunächst zu §8. Und dazu müssen wir noch für Berlin den § 21 Abs. 2 hinzunehmen. Ich glaube, daß die Fassung verständlich ist. (Kaufmann: Wir haben es in der Verfassung noch nicht endgültig beschlos-
sen57).)
Frage aufzuwerfen. Bei Niedersachsen Bremen haben wir 7 Wahlkreise eingerichtet. Damit weichen wir von dem Grandsatz ab, der mindestens früher immer gegolten hat, daß jedes Land wenigstens einen Wahlkreis haben soll58). Dr. Diederichs: Ich habe gerade mit Schleswig-Holsteinern gesprochen und bei dieser Gelegenheit folgendes festgestellt. Es wäre denkbar, daß sich SchleswigHolstein und Hamburg zusammenschlössen; während nach der Aufteilung, wie ich sie gemacht habe, Hamburg einen und Schleswig-Holstein zwei Wahlkreise hätte, würden sie bei einer Zusammenlegung ihrer Bevölkerung vier Wahlkreise 24 bekommen; das heißt, Schleswig-Holstein plus Hamburg würden 4 mal 6 und zusammen 12 während also sonst Holstein Kandidaten wählen, Hamburg 6, 18 Kandidaten direkt wählen würden. Das würde bedeuten, daß sowohl Schleswig-Holstein wie Hamburg eine größere Reststimmenzahl erfassen würden. Das könnten die einzelnen Parteien dadurch berücksichtigen, daß sie auf der Bundesliste entsprechend Vertreter Holsteins und Hamburgs mit an die Spitze brächten, so daß die Gebiete, die größere Reststimmen aufzubringen pflegen, auch etwas eher an der Reihe wären. Ich führe das nur deshalb an, weil hier die Frage aufgeworfen wird, Bremen wieder zu isolieren. Wenn man das macht, ist es natürlich so, daß Bremen nur Nun ist noch eine
—
=
57) Übereinstimmend mit Art. 23 Abs.
2 GG wurde Groß-Berlin in den Schluß- und
Über-
gangsbestimmungen des Bundeswahlgesetzes das Recht zugesprochen, „bis zum Eintritt des Landes Berlin in die Bundesrepublik Deutschland acht Abgeordnete mit beratender Funktion in den Bundestag zu entsenden." Vgl. auch die Verhandlungen im Plenum (Stenographische Berichte, S. 12) und im Hauptausschuß (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 53). Zur Geschichte des Art. 23 (2) siehe auch v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, S. 217—222.
58) Siehe auch oben Dok. Nr. 13, TOP 1 b.
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die halbe Größe eines Wahlkreises hat. Das würde bei diesem Problem heißen, daß die d'Hondtsche Teilung nur bis zur dritten Stelle durchgeführt würde, was eine ganz andere Struktur bedeuten würde. Schröter: Ich bin für das Wohlwollen, das Sie Schleswig-Holstein bewiesen haben, sehr dankbar, aber ich warne dringend davor, diese Sache in die Debatte zu werfen. Sie kennen den Kampf der Homerischen Helden, der sich zwischen Lüdemann und Brauer, dem Oberbürgermeister von Hamburg, abgespielt hat59). Ich weiß nicht, ob die Herren dazu geneigt sein werden. Ich fürchte, Sie werden da auf Granit beißen. Dr. Diederichs: In der bisherigen Einteilung hat Schleswig-Holstein seine zwei Wahlkreise und Hamburg einen Wahlkreis erhalten. Das würde so bleiben. Nun würden sie kombiniert werden, und wenn sie die Randgebiete zusammentun, würden sie einen weiteren Wahlkreis erhalten. Sie würden beide dabei noch je drei direkt gewählte Kandidaten erhalten. Insofern wäre vielleicht der Kampf der Gemüter doch zu einem positiven Ende zu führen. Heiland: Wenn ich einen Vorschlag machen darf, so wäre es der, daß wir versuchen, soweit wie möglich uns an die Ländergrenzen zu halten. Das ist wegen der Übersichtlichkeit und Durchführbarkeit der Verwaltung zweckmäßig; denn im andern Falle würde es auch Schwierigkeiten über die Frage geben, wer Wahlleiter ist usw. Bei Bremen würde ich aber glauben, daß man es so, wie es hier geschieht, machen könnte. Es handelt sich immerhin um eine Stadt von gut 400 000 Einwohnern, und da sie auch halbwegs organisch in Niedersachsen liegt, könnte diese Frage gelöst werden. Es ist ein kleiner Schönheitsfehler. (Schröter: Sind die Bremer damit einverstanden?) Kaufmann: Für die CDU-Vertreter möchte ich grundsätzlich erklären, daß wir uns mit diesem Paragraphen nicht einverstanden erklären können, da die Einteilung in kleinere Wahlkreise, wie wir sie vorgeschlagen haben, eine Anzahl dieser Schwierigkeiten von selbst lösen würde, weil dadurch diese Konflikte mit den großen Restzahlen in Wegfall kommen würden. Vors. [Dr. Becker]: Wenn wir jetzt beraten, so beraten wir so, als wenn dieses Prinzip angenommen wäre, und wir versuchen nun auf dieser Grundlage so, wie auch umgekehrt auf der Grundlage Ihres Entwurfs, das Beste zu schaffen. Kaufmann: Die großen Wahlkreise gehören nicht zu dem Grundsatz. Es wäre durchaus möglich, dasselbe Verfahren auch bei kleineren Wahlkreisen einzuführen. 59) Die Auseinandersetzung zwischen Lüdemann und Brauer betraf die Neuordnung der Länder. In einem heftigen Briefwechsel im Spätsommer 1948 wehrte sich Brauer gegen Lüdemanns offiziellen Vorstoß, einen Nordweststaat, bestehend aus Schleswig-Holstein, Hamburg und den nördlichen Landesteilen Niedersachsens, zu bilden, da dies den Staatscharakter Hamburgs und Bremens aufgehoben hätte (siehe hierzu: Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 16 u. 21; Kurt Jürgensen: Entscheidung für das Bundesland Schleswig-Holstein. Zur Entstehung der Länderordnung in der britisch besetzten Zone Deutschlands, in: Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Karl-Dietrich Erdmann, hrsg. v. Hartmut Boockmami/Kurt Jürgensen/Gerhard Stoltenberg, Neumünster 1980, S. 625-672, hier: S. 650 ff.).
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Vors. [Dr. Becker]: Ich wollte nur folgende Frage aufwerfen: Würde es nicht gegen den Grundsatz des Bundesstaats verstoßen, wenn man zwei Länder zusammenstopft, wenn man ein Land, das nur drei Abgeordnete hätte, mit einem anderen zusammentut? Denken Sie an die Verfassung von 1871: da hatten wir so kleine Länder wie Waldeck, die vielleicht gerade 50 000 bis 55 000 Einwohner hatten. Die hätten theoretisch nur einen halben Abgeordneten verdient und haben praktisch einen ganzen bekommen. Oder denken wir an Reuss jüngere
Linie60). Wir sind auch einverstanden, wenn Sie Bremen unbedingt ) Schröter: Ich habe genau dieselben Bedenken wie Sie und glaube nicht, daß die Bremer damit einverstanden sein werden. Kaufmann: Ist Herr Diederichs der Meinung, daß der grundsätzliche Gehalt seines Entwurfs hier verändert wird, wenn anstelle von 44 Großwahlkreisen eine entsprechende Menge von Kleinwahlkreisen unter demselben Wahlsystem
(Heiland: •
.
tritt? Dr. Diederichs:
Ja, ich bin grundsätzlich der Überzeugung, daß mein hier zugrunde gelegtes System bei kleinen Wahlkreisen gar nicht durchführbar ist; denn dieses System hat ja einen Ausgleich in einem größeren Gebiet zur Grundlage. (Kaufmann: Das wäre im Wahlkreisverband auch möglich!) Es hat einen Ausgleich in einem größeren Gebiet durch das d'Hondtsche System zur Grundlage. Aber Ihr Vorschlag kommt auf eine reine Mehrheitswahl mit dieser Schleppe heraus. Das ist also ein Mehrheitswahlrecht erst mit abso—
luter, dann mit relativer Mehrheit, und hinten dran ist noch eine Verhältnisschleppe; hier dagegen geht es darum, durch die Zugrundelegung der d'Hondtschen Berechnung auch das Verhältnis zu wahren; und das halte ich gerade für
die kleineren Parteien, die eben breiter verteilt sind und in einem solchen größeren Gebiet die Möglichkeit haben, einen direkten Kandidaten durchzubekommen, für einen Vorzug. Kaufmann: Das wäre mit Wahlkreisverbänden ebenso gut zu erreichen. Dr. Diederichs: Das ist fraglich. Es kommt dann darauf an, wie Sie die Mandate verteilen. Schröter: Wenn ich Ihre Stimmung richtig sehe, wollen Sie einen Kompromiß zwischem den Verhältnis- und dem Persönlichkeitswahlrecht schaffen und sind der Überzeugung, daß der Gedanke des Persönlichkeitswahlrechts in Ihrem System viel mehr verankert ist als in dem von Herrn Dr. Kroll und in dem von uns gemachten Vorschlag61). Würde es für Sie diskutabel sein, wenn wir eine Zwischeninstanz zwischen der Bundeswahlliste und dem Wahlkreis einschalten? Ich will einmal sagen, daß sich mehrere Wahlkreise zu einem Wahlkreis-
60) § 5 Wahlgesetz vom 31. Mai 1869 (BGBL, S. 145). 61) Drucks. Nr. 264 a (Entwurf Kroll, siehe oben Dok. Nr. 13, Anm. 50) und Drucks. Nr. 369 (CDU/CSU-Entwurf, siehe Dok. Nr. 20). Zur Besprechung des Kroll-Vorschlags im Wahlrechtsausschuß siehe oben Dok. Nr. 14. 465
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verband zusammenschließen und dort zunächst eine Verrechnung der Reststimmen vornehmen. Das würde meines Erachtens in der Richtung der Persönlichkeitswahl wirken; denn sonst fallen diese Stimmen auf Leute, die auf der Bundesreststimmenliste aufgestellt sind, die man gar nicht kennt. Wenn aber die Möglichkeit bestünde, daß mehrere Wahlkreise zusammengeschlossen werden, dann stehen die Persönlichkeiten, die auf dieser Liste stehen, den Wählern persönlich näher, als wenn sie auf der Bundeswahlrestliste stünden. Dr. Diederichs: Dagegen habe ich keine Bedenken. Das wäre eine nochmalige Verrechnung mit mehr lokalem Charakter. Das wäre ad 1 eine Breite in den Wahlkreisen; ad 2 eine Breite in der Höhe des Landes oder zweier Länder, wo sich hier vielleicht (Schröter: Schleswig-Holstein und Hamburg beispielsweise, die sich in den ..
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Haaren liegen!) Das würde dann eventuell eine
Abrechnung über die Bundesliste ergeben, falls die dann überhaupt noch hat. Vors. [Dr. Becker]: Wenn ich die beiden letzten Anträge richtig verstanden haben, ging die Frage von Herrn Kaufmann dahin, ob es möglich sei, innerhalb eines Wahlbezirkes, in dem sechs Abgeordnete gewählt werden sollen, sechs räumlich abgegrenzte Bezirke zu schaffen, in deren jedem aber nur ein Abgeordneter gewählt wird, aber so, daß unter Aufrechterhaltung des Diederichsschen Systems die Zahlen der sechs Diederichsschen Wahlkreise zusammengerechnet werden und das Ergebnis dieser sechs Wahlkreise dann nach dem d'Hondtschen System ermittelt wird, so daß als Ergebnis dasselbe herauskäme wie bei Herrn Diederichs, nur daß man jetzt ganz genau weiß, Herr Schulze ist in dem Wahlkreis sounso gewählt und Herr Müller in dem und dem Wahlkreis. man
(Kaufmann: Richtig!) Und die andere Möglichkeit wäre die, daß man zwei oder drei von den Diederichsschen Wahlkreisen in einem Land oder in zwei Ländern wir Hamburg und Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen, Südbaden und Südwürttemberg, zu einem Wahlkreisverband zuammenfaßt. Heiland: Ich habe gegen den Vorschlag des Herrn Abg. Kaufmann Bedenken, der nämlich nicht die Lösung bringen kann, die er wünscht. Wenn man sechs Wahlkreise macht und innerhalb dieses Wahlkreises eine Verrechnung vornimmt, dann hat man nach irgendeinem System in jedem Wahlkreis jemand gewählt. Und damit hat man auf diesem Umwege die Mehrheitswahl wieder hineingebracht. Ich halte das nicht für möglich. Daß man aber bei den Ländern eine Ausgleichsliste schaffen kann, halte ich deswegen für unmöglich, weil die Größen der Länder so unterschiedlich sind. Wir haben Länder mit einem Wahlkreis, und wir haben Länder mit 11 Wahlkreisen. Während in Nordrhein-Westfalen ein relativer Ausgleich möglich wäre, kann man ihn in Südbaden, Württemberg-Hohenzollern und Hamburg nicht durchführen. Wir kämen dann in die Schwebe, da man das auf Länderbasis nicht machen kann. Wir müßten also die Länderebene auch wieder sprengen. Und da sehe ich nicht ein, warum man diesen Ausgleich nicht gleich auf der Bundesebene vornehmen soll; das wäre übersichtlicher und einheitlich. 466
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Ich habe gegen das Verfahren, das Kollege Kaufmann vorschlägt, Bedenken, weil es eine Änderung des Wahlsystems, das wir diskutieren, darstellt. Und der Vorschlag des Herrn Abgeordneten Schröter hat meiner Meinung nach das Bedenken, daß man diese Dinge angesichts der unterschiedlichen Größe unserer Länder einer Lösung nicht zuführen kann. Vors. [Dr. Becker]: Ich darf einschalten, daß ich Herrn Kaufmann so verstanden habe: wenn er die sechs großen Wahlkreise in sechs kleine Wahlkreise unterteilt, will er nicht von vornherein, daß man schon in jedem einzelnen Wahlkreis abrechnet, sondern die Abrechnung soll auf der Basis des Vorschlags von Herrn Dr. Diederichs erfolgen. Es ist dann nur so, daß ein Abgeordneter hinterweil er her sagen kann: Ich bin der Kandidat von dem und dem Wahlkreis in dem Wahlkreis sein Mandat bekommen hat und in dem Wahlkreis als gewählt angesehen wird. Ich glaube, wir müßten doch überlegen, ob das technisch durchführbar ist. Dr. Diederichs: Wir könnten hier für diese Wünsche einer auch den Ländern gerecht werdenden lokalen Abrechnung möglicherweise einen Weg finden. Eins möchte ich hinzufügen: Ich würde dann allerdings vielleicht vorschlagen, daß man den Zusammenschluß von nicht mehr als zwei Wahlkreisen dieser also bis zu zwölf Abgeordnete dann für die Abrechnung nehmen Gruppe könnte. Dann gibt es aber einen grundlegenden Unterschied: wenn ich nach dem d'Hondtschen System bis auf die sechste Stelle, und wenn ich bis auf die zwölfte Stelle abrechne. Rechne ich durchgehend bis zur zwölften Stelle ab, dann kommen wahrscheinlich Wahlvorschläge mit an die Reihe in der direkten Wahl, die sonst nur bei der größeren Verrechnung im Bundesrahmen verteilt worden wären. Wenn das erwünscht ist, dann würde ich sagen: dort, wo wir zwei Wahlkreise zusammenschließen, wird bis zur zwölften Stelle durchgerechnet. Dann würde es sogar möglich sein, daß man nun noch weitergehend innerhalb des Landes in diese kleinen Wahlkreise unterteilt, die ich für unmöglich halte. Dann wären nur die gewählt, die bei der Berechnung bis zur zwölften Stelle an der Reihe wären. Das ist eine Frage, die zu überlegen wäre, da das System nicht wesentlich anders würde. Beim Zusammenschluß von zwei Wahlkreisen und der Abrechnung bis zur zwölften Stelle würde sogar für kleinere Parteien die Chance, auch lokal einen Abgeordneten durchzubringen, noch wesentlich größer werden. Frau Wessel: Ich glaube, wir überschätzen tatsächlich den Wert dieser kleinen Wahlbezirke. Vor allen Dingen wehre ich mich auch aus folgendem Grunde dagegen. Wenn wir diese kleinen Wahlbezirke schaffen und einen Kandidaten nur in direkter Wahl wählen, wie es dann doch der Fall sein würde, dann befürchte ich, daß das passive Wahlrecht der Frauen auf dem Papier stehenbleibt. Das ist ganz einfach. Da können Sie noch soviel sagen. Diese Sache kenne ich viel zu gut aus meiner langjährigen Arbeit. Es wird einfach unmöglich sein, daß die Frau in der politischen Arbeit im Parlament aktiv in Erscheinung tritt. Ob das auf die Dauer tragbar ist, nur um viele kleine Wahlkreise zu schaffen, oder um ein bestimmtes Wahlrecht durchzusetzen, möchte ich ansichts der Tatsache, daß 65 % der heutigen Wähler Frauen sind, bezweifeln. Und wenn im Hauptausschuß soviel davon gesprochen worden ist, daß 10 Millionen Frauen einfach —
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auf sich allein
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gestellt bleiben
und
infolge
eines solchen Wahlrechts nicht die
Möglichkeit haben, auch ihre ganz anderen Verhältnisse im Parlament zu vertreten62), dann sollte man das passive Wahlrecht der Frauen sofort beseitigen, denn es bleibt doch nur auf dem Papier. Weil ich das für ungerecht halten würde, aber auch wegen der Gefahr, daß
man dann die Frauen von vornherein nicht genügend am Staat beteiligt, bin ich für die größeren Wahlbezirke. Und nun ein Zweites. Es ist heute sicherlich so, daß die Interessen der einzelnen Menschen ebenso stark sind wie früher. Sie werden in Ihren eigenen Parteien, wenn Sie sechs Kandiaten aufstellen, auch in einem größeren Wahlbezirk einen viel größeren Vorteil haben, weil Sie dann auch die einzelnen Berufe und Kreise entsprechend rangieren können, als wenn Sie hier einen Bauern haben, dort einen Arbeiter und dort einen Finanzminister und nun im Rahmen der Partei großartig darum kämpfen müssen, wer an diesen Platz kommt. Man sollte auch diese Vorteile, die wirklich ihren Wert haben, bei der Festlegung des Wahlrechts berücksichtigen. Es geht mir nicht um ein bestimmtes Wahlsystem, sondern um diese doch immerhin auch für die Entwicklung einer Demokratie in erster Linie wertvollen Momente, die berücksichtigt werden müssen. Schröter: Herr Abg. Diederichs, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen. Ich wollte in Beantwortung der Ausführungen von Herrn Heiland ungefähr dasselbe sagen. Es ist gar nicht nötig, daß sich diese einzelnen Wahlkreisverbände immer mit dem Umfang eines Landes decken. Denken Sie an die Weimarer Erfahrungen. Die waren auch nicht so63). Es wird dadurch auf jeden Fall erreicht, daß der Kandidat seinen Wählern näher ist, als wenn er da oben auf der Bundesliste thront. Frau Wessel, ich weiß nicht, ob Sie mit Ihren Bedenken ganz recht haben. Herr Abg. Kaufmann hat schon darauf hingewiesen und Dr. Becker hat es unterstrichen, daß es gar nicht darum geht, in den einzelnen Wahlkreisen zu zählen, sondern daß die Zählung beim Gesamtwahlkreis bleibt. Und darf ich Sie an die Erfahrungen erinnern, die wir doch alle im Weimarer Staat gemacht haben. Es war im Zentrum doch genau so wie in der Deutschen Volkspartei: wenn da eine Liste von sechs oder zehn Abgeordneten war, dann begann der Kampf um die Plätze; und in diesem Kampf um die Plätze ist es mehr als einmal passiert, daß leider Gottes eine sehr tüchtige Frau in die hinterste Reihe gedrängt wurde, weil es der Ansturm der Berufsstände erforderte. Ich glaube nicht, daß Ihre Bedenken so vollkommen stichhaltig sind. Frau Wessel: Ich glaube, ich kann Ihnen gleich nachweisen, und zwar an der Zusammensetzung des Landtags Nordrhein-Westfalen, daß meine Bedenken ich glaube, durchaus stichhaltig sind. Die CDU, die stärkste Partei bei uns sie hat 92 Abgeordnete —, hat ihre Kandidaten in direkter Wahl durchbekommen. Und unter den 92 Abgeordneten des Landtags von Nordrhein-Westfalen —
82) Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 123 und 241. 63) Zur Wahlkreiseinteilung in der Weimarer Zeit siehe auch oben S. 468
241.
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befinden sich drei Frauen64), während alle übrigen Parteien verhältnismäßig viel mehr Frauen hereinbekommen haben65), weil sie ihre Abgeordneten zu einem erheblichen Teil auch über die Reserverliste bekommen haben. Gerade die Bedenken, die ich habe, sind aus dieser Tatsache zu erklären, daß Ihre Partei in Nordrhein-Westfalen in direkter Wahl am allerwenigsten Frauen durchbekommen hat. Drei unter 92! Schröter: Ich kenne die Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen nicht so genau, aber ich weiß nicht, ob das gegen unsere These spricht. Die Abgeordneten werden doch in den einzelnen Wahlkreisen gewählt. Darüber wird heute gar nicht mehr diskutiert. Frau Wessel: Wenn die Kandidaten in den einzelnen Wahlkreisen gewählt werden, dann möchte ich die Partei sehen, die es fertigbringt, eine Frau an die erste Stelle zu stellen. Wenn das nicht berücksichtigt wird, dann werden Sie es erleben, daß man auf die Dauer die Frauen nicht mehr zu den Wahlen bekommen kann. Dann machen sie bei den Wahlen nicht mehr mit, und wir werden es nicht fertigbringen, die Frauen für die Wahlen zu interessieren. Man muß den Frauen gerechterweise auch in einem Wahlrecht die Chance geben. Sie darf nicht nur mit Schwierigkeiten durchgebracht werden können, sondern muß irgendwie eine sichere Aussicht haben. Und das ist bei sechs Abgeordneten viel eher möglich als bei einem. Walter: Wenn wir wirklich Demokraten sind und wenn 65 % der Wähler Frauen sind, dann haben die Frauen es in ihrer Hand, den ganzen Bundestag zu besetzen, wenn es wirklich der Wunsch der Frauen ist, durch Frauen in entsprechender Stärke vertreten zu sein. Es ist im allgemeinen gar nicht möglich, eine Frau in einem Wahlkreis unterzubringen, sondern nur auf den Krücken ihrer Partei, auf der Landesliste oder auf der Bundesliste. Und wir haben sowohl im Vorschlag von Herrn Dr. Diederichs als auch in unserem Vorschlag die Reserveliste, die Bundesliste oder die Verbandsliste vorgeschlagen. Da können die Frauen auch unterkommen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß namentlich bei den Gemeindewahlen die Frauen ein oder zwei Stellen besetzen. Das ist bei allen Parteien mehr oder minder der Fall. Und das ist deswegen so, weil die Frauen lieber Männer im politischen Leben sehen als Frauen. Das ist eine Tatsache, die für alle Parteien gilt, von der CDU bis zu den Kommunisten. Schröter: Ich möchte vorschlagen, die Abstimmung über § 8 für heute auszusetzen und Herrn Dr. Diederichs zu bitten, entsprechend den Anregungen, wie sie von uns ergangen sind, vielleicht einmal zu versuchen, ohne sein System grundlegend umzustürzen, meine Vorschläge oder die des Kollegen Kaufmann in seinen Entwurf einzuarbeiten.
64) Die drei Frauen, die Direktmandate gewonnen hatten, waren die Kultusministerin Christine Teusch (Wahlkreis Köln —Stadt III) sowie Hedwig Finger (Recklinghausen Land Nordost) und Anna Klöckner (Aachen Land —Süd). 65) Während für die CDU von insgesamt 96 Fraktionsmitgliedern drei Frauen im Parlament waren, waren es bei der SPD fünf (von 64 Abgeordneten), bei der KPD vier (28 Abgeord—
nete), beim Zentrum zwei (16 Abgeordnete) sowie bei der FDP eine (zwölf Abgeordnete).
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Stock: Ich bin nicht dieser Auffassung. Wir müssen im Wahlrechtsausschuß endlich einmal fertig werden. All diese Probleme haben wir in zig Sitzungen behandelt, und ich beantrage, über den § 8, wie er in der uns vorliegenden Vorlage gegeben ist, heute abzustimmen, damit wir dem Hauptausschuß ein fertiges Projekt hinübergeben können. Schröter: Ich bin ebenfalls der Meinung, daß wir endlich etwas schaffen müssen, aber ich bitte Sie zu bedenken, daß dadurch keine Verzögerung eintritt. Wir setzen ja nur die Abstimmung aus und gehen im übrigen weiter. Wir setzen die Abstimmung so lange aus, bis Herr Dr. Diederichs die Freundlichkeit gehabt hat, die Sache zu verarbeiten. Wir können bereits in der nächsten Sitzung darüber abstimmen. Dr. Diederichs: Ein Vorschlag, der Ihrem Wunsche entgegenkommt und an dem System praktisch nichts ändert, wäre der, daß man folgenden Passus einfügt: Zwei benachbarte Wahlkreise können sich zu gemeinsamer Abrechnung zusammenschließen. Dann müßte Holstein statt von ein bis sechs von eins bis zwölf durchrechnen. Das wäre möglich, und die Kandidaten wären unmittelbar gewählt und würden dann eben praktisch für die Bundesliste nicht mehr in dem Umfange in Erscheinung treten, weil ja die meisten der Kandidaten schon in direkter Wahl gewählt sind; denn die direkt Gewählten werden nachher von den auf Bundesliste Zuzuteilenden abgesetzt. Das würde praktisch nichts ausmachen. Die Gesamtzahl bliebe dieselbe. Es würde nur stärker durchgerechnet werden, und die lokalen Verhältnisse würden auf diese Weise besser berücksichtigt werden. Vors. [Dr. Becker]: Wenn Abänderungsanträge zu diesem Paragraphen kämen, dann käme von mir einer wegen Bremen und Niedersachen. Wenn ein anderer Antrag kommt, und zwar etwa im Sinne der Ausführungen des Herrn KaufDazu mann, dann würde er auch hierher gehören, und zwar zum Absatz 2. müßte der Abänderungsantrag kommen. Wenn aber ein Abänderungsantrag im Sinne des Abg. Schröter kommt, daß zu den Einzelwahlkreisen und zu der Bundesliste noch eine Landesliste hinzugefügt wird, dann brauchen wir ihn bei diesem Paragraphen nicht zu erörtern, denn er käme dorthin, wo die Bestimmungen über die Bundesliste stehen. Wer für den Antrag ist, die Abstimmung auszusetzen, den bitte ich, die Hand Ich bitte um die Gegenprobe. zu erheben. Der Antrag ist mit fünf zu drei Stimmen abgelehnt. Dann kommen wir zur Abstimmung über den §8 selbst, und zwar zum 1. Absatz. Dazu stelle ich den Abänderungsantrag, aus Niedersachsen und Bremen nicht sieben Wahlkreise zu machen, sondern aus Bremen einen halben Wahlkreis mit drei Abgeordneten und aus Niedersachsen 6 Vi Wahlkreise. Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. Er ist mit fünf zu vier Stimmen angenommen. Dann kommen wir zum 2. Absatz. Er müßte in Konsequenz des eben angenommenen Abänderungsantrags folgendermaßen lauten: In jedem Wahlkreis werden sechs Abgeordnete gewählt; in dem halben Wahlkreis Bremen nur drei und in dem halben Wahlkreis Niedersachsens auch nur drei. —
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zu diesem Absatz 2 noch ein Abänderungsantrag im Sinkommen wenn er gestellt werden soll! Kaufmann Abg. Dr. Diederichs: Wenn wir auf diese Weise jetzt dazu kommen, daß ein Land wie Niedersachsen plötzlich einen halben Wahlkreis bekommt, obwohl wir sonst nur ganze Wahlkreise haben, dann bekommen wir sofort mit den Ländern Schwierigkeiten. Wenn wir eine Differenz zwischen 1,0 und 1,2 Millionen haben, dann werden die Länder ihre Wahlkreise nicht auf 1,2 Millionen bringen, um die Zahl voll zu machen, sondern sie werden sich mit 1,0 Millionen begnügen und versuchen, aus den entstehenden Resten halbe Wahlkreise zu machen. Das wäre auch logisch. Vors. [Dr. Becker]: Das setzen wir doch hier fest. Die Länder können doch daran nichts ändern. Dr. Diederichs: Nein, aber diese Anregung würde kommen, bevor das hier Gesetz ist. Und wenn wir schon einem Lande einen halben Wahlkreis geben, dann müßten wir auch denjenigen Ländern, die mehr als 50 % Reststimmen haben, einen halben Wahlkreis zubilligen. Das würde bedeuten, daß sie in sich mehr wählen und nicht so viele Stimmen in die Bundesverrechnung geben würden. Ich könnte mir folgendes vorstellen: Niedersachen bekommt jetzt 6 M> Wahlkreise und hat 6,65 Millionen Einwohner; ein anderes Land hat 11 Wahlkreise und hat 13 Millionen Einwohner; Heiland: Nordrhein-Westfalen hat 11,75 Millionen Einwohner und bekommt 11 Wahlkreise. Schröter: Ich mache darauf aufmerksam, daß dasselbe auch für Schleswig-Holstein gilt. Wir haben in unserer Mitte fast 2 650 000 Flüchtlinge. Vors. [Dr. Becker]: Mein Antrag hat nicht diese Konsequenz. Er zielt dahin, daß jedes Land als solches wenigstens einen Wahlkreis für sich bildet. Dr. Diederichs: Das würde bedeuten, daß Niedersachsen nicht 6 Vi, sondern nur sechs Wahlkreise bekommt. Vors. [Dr. Becker]: Kann sein! Wir gehen davon aus, daß sich eine runde Million oder eine Zahl zwischen 1,0 und 1,5 Millionen ergibt. Dr. Diederichs: Dieser Gedanke kommt mir nur in dem Moment, wo wir in dem einen Lande mit einem halben Wahlkreis operieren. Vors. [Dr. Becker]: Wir dürfen also bei Niedersachsen nur sechs Wahlkreise und nicht 6 V2 Wahlkreise nehmen. (Abg. Stock: Dann geben wir Bremen nur einen halben Wahlkreis!) Dr. Diederichs: Sonst würde ich sagen, wir wollen die Ziffer für jeden Wahlkreis auf etwa 1 Million festsetzen, und wer mehr als eine halbe Million Reststimmen hat, bekommt einen halben Wahlkreis dazu. Frau Wessel: Ich bin auch nicht für diesen halben Wahlkreis. Ich würde sagen: Bremen ist ein Wahlkreis, Niedersachsen hat sechs Wahlkreise. Ungefähr gleicht sich das doch aus. (Stock: Bremen stellt aber nur drei Abgeordnete!) Dann würde ich sagen: Bremen ist ein voller Wahlkreis, wählt aber nur drei Abgeordnete. Vors. [Dr. Becker]: Das ist richtig. Die optische Wirkung ist besser, wenn man so formuliert, wie Frau Wessel es vorschlägt.
Nun müßte
ne
eigentlich
des
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belohnen, daß es so hat. Einwohner wenige Vors. [Dr. Becker]: Wir würden also oben schreiben: 6 Wahlkreise Niedersachsen 1 Wahlkreis Bremen Und der letzte Satz würde heißen: In jedem Wahlkreis werden 6 Abgeordnete gewählt, im Wahlkreis Bremen drei. Sind Sie mit dieser Fassung einverstanden, oder kommt noch ein Antrag zu Abs. 2? Das ist nicht der Fall, dann darf ich wohl annehmen, daß wir über diese Fassung zunächst einmal alle einig sind. Wir wollen abstimmen. Ich stelle den § 8 im ganzen zur Abstimmung. Wer für diesen § 8 in der zuletzt vorgelesenen Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Der Antrag ist mit fünf zu drei Ich bitte um die Gegenprobe. Frau Wessel: Man kann doch Bremen nicht immer dafür
—
Stimmen angenommen. Eine Stimme —
Enthaltung66). —
[2d. Wahlvorschläge (§§ 9-10)] Wir kommen
zu
§ 9.
Das ist nicht der Fall. Wird zu § 9 Abs. 1 das Wort gewünscht? Wird zu Abs. 2 das Wort gewünscht? Dann rufe ich auf: Abs. 3! Heiland: Bei Abs. 3 müßte es wohl heißen: bei Bremen drei Bewerber. Vors. [Dr. Becker]: Wird zu Abs. 4 das Wort verlangt? Dann lasse ich über den § 9 mit dem Zusatz in Abs. 3 „im Landkreis Bremen nicht mehr als drei" abstimmen. Wer für diese Fassung ist, den bitte ich, die Ich bitte um die Gegenprobe. Das übrige sind StimmHand zu erheben. —
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enthaltungen.
Der § 9 ist mit 6 Stimmen angenommen. -
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§10 Das hatten wir im Redaktionsausschuß im einzelnen besprochen. Den Damen und Herren ist das wohl noch bekannt67). (Stock: Das würde ich nicht machen. Warum denn?) Dr. Diederichs: Warum denn nicht?) Stock: „Jeder Bewerber kann nur auf einem Wahlvorschlag eines Wahlkreises genannt werden." Aus!
(Zurufe.) Vors. [Dr. Becker]: Bestehen da Bedenken? Es im Hauptausschuß.
gibt ja
noch eine zweite
Lesung
Stock: Ich möchte von den Herren, die das hineingebracht haben, erfahren, sie sich dabei denken. Nehmen wir an, es ist ein Wahlkreis von 1 250 000 Einwohnern, und nehmen wir weiter an, ganz Unterfranken sei ein Wahlkreis. Der Bewerber, der in Unterfranken aufgestellt ist, soll noch die Möglichkeit ha-
was
6e)
CDU/CSU-Vorschlag zur Änderung des § 8 („Es werden keine Landeswahlverbände gebildet", Drucks. Nr. 619) scheiterte endgültig am 23. Feb. 1949 im Hauptausschuß (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 718). Der
67) § 10 des Entwurfs Diederichs (Drucks. Nr. 474; siehe Dok. Nr. 20). 472
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ben, sich
etwa im Bezirk Hanau oder im Bezirk Nürnberg ebenfalls zu bewerben? Sie wollen eine Persönlichkeitswahl machen? Dort oben kennt doch kein Mensch den Betreffenden! Vors. [Dr. Becker]: Nehmen Sie eine Großstadt wie Berlin mit drei Wahlkreisen. Da kann sich doch ein Mann in allen drei Wahlkreisen aufstellen lassen. Oder nehmen Sie ein massiertes Industriegebiet, wo die Grenzen enger aneinanderliegen. Ob das sehr häufig sein wird, bezweifle ich allerdings auch. Ich meine nur, man sollte nicht unnötig Türen zumauern, bei denen man es später vielleicht bedauert. Stock: Also lassen wir es stehen! Dr. Diederichs: Es ist eine Kann-Bestimmung, die niemand zu irgend etwas verpflichtet, aber gewisse Möglichkeiten öffnet. Vors. [Dr. Becker]: Bestehen noch Bedenken?
(Stock: Nein!) Wenn das Wort nicht mehr angenommen worden ist. —
gewünscht wird,
darf ich annehmen, daß §
10
[2e. Wählerstimmen und Kumulieren (§ 11)] Dr. Diederichs: Es ist erneut eine Frage an mich herangetragen worden, die ich mich verpflichtet halte, hier zu erörtern, wenngleich ich ihr nicht unbedingt zustimmen kann, nämlich die Frage, was mit einem Wahlschein geschieht, auf dem der Wähler sein Kreuz nur oben neben dem Parteinamen gemacht hat, ohne die Leute im einzelnen anzukreuzen. Vors. [Dr. Becker]: Bei der Frage der Ungültigkeit der Stimmzettel taucht dieses ganze Problem ja noch einmal auf. Daher ist es vielleicht praktisch, es zurückzustellen. Walter: Das ist eben der Kernpunkt Ihres ganzen Wahlvorschlages. Ich wäre dankbar, Herr Dr. Diederichs, wenn Sie mir sagen wollten, in welchem Lande in Europa überhaupt sonst ein Wahlrecht vorgesehen ist, bei welchem ein Wähler drei Stimmen hat. Er hat kein Pluralwahlrecht, wie es in Belgien vorgesehen ist68), sondern er kann drei Parteien wählen. Dadurch erziehen wir das deutsche Volk zur politischen Charakterlosigkeit. Ich glaube niemals, daß die Ministerpräsidenten solch ein Wahlrecht annehmen würden. Ich glaube, das wird wohl kaum geschehen. (Heiland: Die werden wohl kaum gefragt werden!) Doch, die haben auch zur Verfassung Stellung zu nehmen. Und wenn sie das Dokument Nr. 1 gelesen haben, müssen sie darauf hinweisen, daß sie gegen ein Wahlrecht, das das deutsche Volk zur politischen Charakterlosigkeit erzieht, die schwersten Bedenken haben69). Denken Sie, wieviel ungültige Stim—
60) Das Plural Wahlrecht war durch die Verfassungsreform vom 9. Mai 1919 abgeschafft worden, wurde nun aber nicht wieder eingeführt (Sternberger/Vogel, Wahl der Parlamente 1/1, S. 93).
69) Vermutlich spielt Walter hier auf den folgenden Passus im Frankfurter Dokument an:
„Die
verfassunggebende Versammlung
wird eine demokratische
Verfassung
Nr. I
ausar-
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das bei unserem Volke geben wird. Alle Aufklärung wird übergangen. Wir sehen es ja schon bei den Gemeindewahlen, wie es wirkt, wenn das Wahlsystem dauernd geändert wird. Da wage ich mir gar nicht auszudenken, wie es sein wird, wenn zum ersten Male zum Bundestag gewählt wird und der einzelne Wähler oder gar die einzelne Wählerin drei Stimmen hat. Sie wird gar nicht wissen, was sie ankreuzen soll. Und das ist der Schwerpunkt, der es uns nie ermöglichen wird, dem ganzen Wahlsystem, das hier vorgeschlagen wird, zuzumen
stimmen.
Kuhn: Ich müßte eigentlich eine Erklärung dafür haben, worin diese Charakterlosigkeit bestehen sollte. (Walter: Darin, daß drei Parteien zugleich gewählt werden können!) Das ist damit ja nun nicht gesagt. Es sollen ja Persönlichkeiten gewählt werden, und gerade das wird durch diesen Antrag besonders ermöglicht. Wenn es aber so ist, wie Herr Walter sagt, dann, befürchte ich, ist auch das sogenannte absolute Mehrheitswahlrecht nichts anderes als im Grunde genommen das Prinzip, daß nicht Personen gewählt werden, sondern die Partei. Hier ist ja jedem einzelnen die Möglichkeit gegeben, wenn vier Parteien auftreten, unter den 24 Kandidaten diejenigen Persönlichkeiten auszuwählen, die er für fähig hält, und innerhalb der einzelnen Parteien unter den sechs Kandidaten diejenigen auszusuchen, von denen er glaubt, daß sie die besten Qualitäten haben. Da können auch die Frauen besser berücksichtigt werden, was vorhin ja hervorgehoben wurde. Wir werden also gerade mit diesem Stimmzettel die größten Möglichkeiten offen lassen. Das ist ja eigentlich das, was wir wollten. Wenn Sie nun sagen, die Leute würden ihr Kreuz nicht richtig ansetzen, dann müssen wir erwidern, daß wir es doch nicht mit Analphabeten zu tun haben. Und ist eine Stichwahl etwa weniger dazu angetan, Charakterlosigkeit herbeizuführen? Ich fürchte, daß die Stichwahl dazu viel mehr geeignet ist, absolut! Deswegen wollten wir gerade durch diese Art des Stimmzettels und durch diese Art der Herausstellung der Persönlichkeiten und mit dem Mehrstimmenwahlrecht dem Stichwahlsystem aus dem Wege gehen. Sie müssen sich einmal überlegen, ob nicht gerade in der Stichwahl die Charakterlosigkeit liegt. Ich will den Dr. Diederichs: Herr Walter hat die Frage an mich gerichtet. ich ihnen drei Stimmen gebe, die Möglichkeit geben, sich Leuten damit, daß für verschiedenes zu entscheiden. Wir haben bei dem Wahlsystem, das in ganz ähnlicher Form jetzt in Niedersachsen angewandt worden ist, festgestellt, daß 82 bis 88 % der Wähler keinen Gebrauch davon gemacht haben, Leute verschiedener Richtungen zu wählen, sondern sie haben sich an den Wahlvor—
—
beiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wiederherzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemesseZentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält. (. .] Sobald die Verfassung von zwei Dritteln der Länder ratifiziert ist, tritt sie in Kraft und ist für alle Länder bindend" (Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 4, S. 30 ff.). ne
.
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Sechzehnte
schlag
einer Partei
gehalten,
Sitzung
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in diesem aber durchaus
verschiedenartig
Nr. 17
die drei
bezeichnet, die sie wählen wollten. Das waren nun zum Teil Kommunalwahlen, bei denen nun noch eine engere Verbindung persönlicher Art vorhanLeute
den ist. Trotzdem ist in über 80 % der Fälle ein
Wahlvorschlag
tung gewählt worden. Darüber hinaus haben also
12 bis 18%
einer Parteirich-
der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Vertreter verschiedener Richtungen zu wählen, also reine Persönlichkeiten. Ich glaube also gar nicht, daß unbedingt eine Charakterlosigkeit darin liegen muß, wenn die Leute zwei verschiedene Wahlvorschläge wählen. Ich kann mir auch durchaus vorstellen, daß es parteipolitisch nicht gebundene Menschen gibt, die sich nicht für eine bestimmte Partei entscheiden können und sich nun sagen: Hier sind Leute von der CDU und hier sind Leute von der SPD, die ich wählen möchte, und die bei den Fragen, die ich in der nächsten Zeit als vordringlich ansehe, gar nicht so weit auseinandergehen, daß sie nicht durchaus zusammenarbeiten könnten. Bei der reinen Mehrheitswahl, bei der ich den Wähler direkt darauf hinweise, daß es keinen Zweck hat, eine bestimmte Partei zu wählen, weil sie so klein ist, daß der Stimmzettel weggeworfen wird, ist es viel gefährlicher; dort werden viel eher die Leute zur Verleugnung ihrer Auffassung aufgefordert, um ihre Stimme nicht verlorengehen zu lassen; von der Stichwahl gar nicht zu sprechen. Ich glaube also nicht, daß dieses Bedenken begründet ist. Was die Ungültigkeit der Stimmen anbetrifft, so haben wir in Niedersachsen einen sehr geringen Prozentsatz von ungültigen Stimmen gehabt. Die meisten ungültigen Stimmen waren solche, bei denen überhaupt nichts angekreuzt war; und da kann man annehmen, daß diese Leute bewußte Nichtwähler waren, die nur zur Wahl gegangen sind, um in der Liste angekreuzt zu werden, damit ihre Stimmenthaltung praktisch nicht publik wird. Von den ungültigen Stimmen waren mehr als 50 % solche, auf denen überhaupt nichts bezeichnet war. Das war also ganz offensichtlich eine Stimmenthaltung. Heiland: Zwei Dinge sind in den Ausführungen des Herrn Abg. Walter, die mir zu denken geben. Da ist erstens das Wort von der Charakterlosigkeit, zu der wir die Leute im politischen Leben erzögen, wenn wir uns dem Persönlichkeitswahlsystem der CDU in etwa näherten. Ich möchte doch in aller Bescheidenheit dabei feststellen, daß es seit 1945 gerade die CDU ist, die immer wieder die sogenannte Persönlichkeitswahl als Merkmal der öffentlichen Wahlen überhaupt fordert. Ich bin der Meinung, wir sollten den Wählern schon die Möglichkeit geben, sich selbst so zu entscheiden, wie sie wollen; und wenn sie sich zu zwei Persönlichkeiten in verschiedenen Parteien bekennen, so ist es nicht unsere Sache. Trotzdem bin ich der Meinung, daß wir es in den nächsten Jahren nicht in entscheidendem Ausmaß erleben werden. Ich glaube, das deutsche Volk wird nach Parteien wählen. Wenn wir uns aber diesem Wahlsystem in etwa nähern, so ist das doch ein Entgegenkommen unsererseits im Sinne Ihrer Auffassung. Und Ihr Mehrheitswahlrecht liegt ja auch in dieser Richtung. Das muß bei dieser Gelegenheit auch einmal festgestellt werden. Was mich aber viel bedenklicher stimmt, ist Ihre Ansicht, daß wir das Wahlrecht jetzt auch noch unter der Aufsicht der Ministerpräsidenten machen sollvon
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schlimm genug, daß wir Abgeordnete in Bonn ab und zu sehr auf das Butterbrot geschmiert manchmal auch nicht sehr taktvoll bekommen, daß die Militärregierungen eventuell unserer Arbeit die Zustimmung versagen würden70). Wenn jetzt aber auch noch drohend der Zeigefinger erhoben wird, daß die Minsterpräsidenten eventuell ihre Zustimmung verweigern könnten, weil wir der Charakterlosigkeit der Wähler Vorschub leisteten, so bitte ich doch, bei den Formulierungen und bei den Besprechungen solche Nuancen nach Möglichkeit zu unterlassen. (Walter: Das müssen Sie schon dem einzelnen Abgeordneten überlassen!) Das ist schon richtig, aber es macht doch einen sehr eigenartigen Eindruck, wenn uns jetzt mit drohendem Finger gesagt wird: Wenn ihr es nicht so macht, wie wir es uns denken, dann laufen wir Gefahr, daß die Ministerpräsidenten das Gesetz ablehnen. Das ist es eben, was ich so außerordentlich bedenklich finde; denn ich glaube, daß jeder Abgeordnete von sich nur sagen kann, daß er hier mit voller Verantwortung arbeitet. Kaufmann: So, wie es Herr Heiland nun darstellt, ist es ja nicht, abgesehen von dem merkwürdigen Beispiel des drohenden Zeigefingers; sondern die Sache liegt doch so, daß unsere Arbeit einschließlich dem Wahlgesetz nach den Anweisungen der Militärregierung ganz automatisch an die Ministerpräsidenten geht und mit deren Stellungnahme weitergereicht wird. Darüber besteht doch gar kein Zweifel. Diesen drohenden Zeigefinger haben nicht wir erhoben, sondern die Militärregierung. Wir müssen damit rechnen. Das wäre mir sachlich in Bezug auf meine Entscheidung gleichgültig, wenn es sich nicht darum handelte, zu überlegen, ob wir nicht Wege suchen müßten, die wirklich praktisch gangbar sind. Und dem entspricht dieses Gesetz nicht. Meine Herren, Sie sprechen hier davon, daß man mit diesem Entwurf nüchtern und vernünftig versucht hat, sich in etwa einer mehr persönlichen Wahl zu nähern, und daß dieser Entwurf diesem Zweck wirklich Rechnung trägt. Aber die Tatsache der Millionenwahlkreise macht es jeder Partei und jeder Wählergrupum nur auf die Partei zu exemplifizieren unmöglich, dem Durchpe schnittswähler die Kandidaten, die vorgeschlagen werden, in einer wirklich praktischen und durchgreifenden Form überhaupt bekannt zu machen. Wir sind doch nun alle keine Leute, die heute erst anfangen, Politik oder Parteipolitik zu gleichgültig, welche Partei machen, und wir wissen ganz genau, was wir auf dem Wege der Wahlversammlungen und der persönlichen Vorstellung der ten. Es ist schon
taktvoll
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70)
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—
Kompetenz der Wahlgesetzgebung im Rahmen der Arbeiten des Pari. Rates war zu dieser Zeit selbst auf alliierter Seite nicht endgültig geklärt (vgl. oben Abschnitt 1 a der Einleitung). So schrieb Hans Simons, der amerikanische Verbindungsoffizier zum Pari. Rat, an Edward Litchfield: „It is time however to decide whether the Parliamentary Council shall receive power to legislate on the first federal elections or shall only draft a model law to be passed by the individual Landtage, or whether it shall limit its legislation to the number of representatives to be elected in each land and leave the procedures to Land legislation exclusively. An additional question is whether the Military Governors will express themselves on election procedures in general. The Germans are likely to come up with a hybrid of direct district elections and proportional representation" (10. Dez. 1948, BA OMGUS, Z 45 F15/147-2/1). Die
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Kandidaten, die
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entscheidend ist, erreichen. Ich glaube nicht, daß meine wenn ich sage, daß wir auch bei allerbestem Besuch der Rechnung Wahlversammlungen allerhöchstens 10 % der Wähler überhaupt vor uns haben. Denn Sie dürfen doch nicht vergessen, daß, wenn wir an derselben Stelle zehn Versammlungen abhalten, 80 bis 90 % der Versammlungsbesucher zehnmal da sind, und daß sich unter den restlichen 10 % ein je nach der Versamlung, dem Ort und dem Zeitpunkt wechselnd großer Teil Angehöriger anderer Parteien befindet, die in ihrem Standpunkt parteimäßig ziemlich festgelegt sind. So ist die Zahl der Menschen, die wir auf dem Wege über die Versammlungen aufklären können, außerordentlich gering. Diese Erfahrungen hat jede Partei für sich gemacht. Die Zahl der Menschen, die wir durch Flugblätter und ähnliche Aufklärungsmittel erreichen, ist schon größer; dafür aber ist ihre Überzeugungskraft geringer. Die Zahl der Briefkästen natürlich ist größer, wobei es aber dann darauf ankommt, was aus diesen Briefkästen herausgeholt wird, und zu welchem Zweck es herausgeholt wird. Also auch diese Möglichkeit der Aufklärung ist verhältso
falsch ist,
nismäßig gering.
wir immer wieder auf die
Notwendigkeit kleiner Wahlkreise, unabhängig Wahlsystem, hingewiesen haben, dann unter dem Gesichtspunkt, daß in kleinen Wahlkreisen die Möglichkeit, den oder die Bewerber den Wählern näherzubringen, prozentual sehr viel größer ist. Auf die Dauer kann es darüber keinen Zweifel geben. Das ist der Grund dafür, daß ich zwar nicht ein starrer Vertreter des Mehrheitswahlrechts bin, sondern daß ich auf jeden Fall der Meinung bin, daß nur der kleine Wahlkreis die Möglichkeit bietet, dieses Und
wenn
vom
Problem zu lösen. Dann komme ich auf die drei Stimmen. Nein, man braucht das deutsche Volk absolut nicht als Analphabeten zu betrachten, wenn man trotzdem sagt, daß ein Wahlrecht desto zuverlässiger ist, je unkomplizierter es ist. Denken Sie an die um bei diesem Beispiel zu bleiben —, die in ihre AufgaDurchschnittsfrau so ben eingespannt ist, daß sie kaum die Möglichkeit hat, sich politisch zu orientieren, und zu ihrer politischen Orientierung auf gelegentliche Unterhaltungen mit der Nachbarin oder dem Manne, wenn er abends müde von der Arbeit kommt, angewiesen ist. Die Frau kann sich auf Grund ihrer ganzen Eigenart und ihrer Tätigkeit unmöglich so orientieren, wie wir und wie zahllose Männer es tun, indem sie größere Versammlungen besuchen. Sie wird daher von dem abhängig sein, was zufällig an sie herangetragen wird, soweit sie nicht durch die allgemeine Orientierung innerhalb der Familie so orientiert ist, wie der Mann auch. Und nun kommt die einfache Frau und der einfache Mann, und die sollen nun anfangen zu Panaschieren. Meine Damen und Herren, wir haben in Württemberg-Baden die Probe mit dem Panaschieren und Kumulieren gemacht, und ich muß Ihnen sagen, daß die Landtage, die mit Panaschieren und Kumulieren gewählt worden sind, um keinen Deut besser sind als die anderen. Es ist nur ein Durcheinander entstanden; es ist nur eine außerordentlich große Zahl von unklaren Wahlzetteln abgegeben worden. Wer den Genuß gehabt hat, eine Wahl zu leiten und die ungültigen oder zweifelhaften Stimmen zu sehen, wird bei al—
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lern Wohlwollen eben doch feststellen müssen, daß die wirkliche Meinung der Bevölkerung zu ermitteln damit nicht erreicht ist. Gewiß gibt es Leute in der Gemeinde, die auch bei kleineren Wahlkreisen bei der CDU-Liste oder bei der SPD-Liste sagen werden: Den Mann kenne ich, das ist ein prächtiger Mann. Sobald man aber in den großen Wahlkreis geht, hört diese Möglichkeit für den Durchschnitt der Wähler unbedingt auf. Ich will noch nicht einmal von dem Wähler sprechen, der nur ankreuzt. Da werden die Wahlzettel ungültig, weil das Wahlkomitee, das die Dinge prüft, nicht in der Lage ist, festzustellen, für welche der sechs Kandidaten nun die Stimme gilt. (Stock: Wenn er die Partei gewählt hat, ..) Dann steht auf der Parteiliste ebenfalls eine Zahl von sechs Kandidaten. (Stock: Dann entscheidet die Reihenfolge!) Das ist keine Entscheidung. Dann kann es im Höchstfalle zu den Reststimmen kommen, kann aber nicht sicher entschieden werden. Ich habe selber in Wahlvorständen gesessen und gesehen, in welche Schwierigkeiten diese Leute kommen, weil sie gerecht sein wollen. Dieses Wahlsystem sehe ich nicht nur wegen der großen Wahlbezirke als verkehrt an, sondern weil die drei Stimmen und die Möglichkeit des Panaschierens nicht die Möglichkeit der Persönlichkeitswahl geben, die in einem großen Wahlkreis sowieso nicht gegeben ist, sondern weil sie nur in der Bevölkerung eine große Verwirrung anrichten. Man darf doch nicht vergessen, daß politische Menschen, die sich wirklich orientieren, leider sehr dünn gesät sind. Und wenn man nun dem einfachen Mann und der einfachen Frau ein so kompliziertes Wahlsystem in die Hand gibt, treffen sie entweder eine gedankenlose oder eine fehlerhafte Wahl. Das ist das, was Herr Walter sagen wollte. das Frau Wessel: Alle diese Fehler, die jetzt wieder angeführt worden sind ist den Herren der CDU wohl nicht bekannt —, haben wir schon so ausführlich erörtert.71) (Stock: Weil immer andere kommen72)!) Ich kann zu diesen drei Stimmen nur sagen, daß ich auch nicht glaube, daß Herr Kollege Walter damit gemeint hat, man wolle die Menschen zur Charakterlosigkeit erziehen. Charakterlos wäre es für meine Begriffe, wenn wir den Aufbau des Bundes nur vom Standpunkt der Parteivertreter aus betrachen würden. Aber wir haben es doch besonders auch bei den Gemeindewahlen erlebt, daß ganz unabhängige Kandidaten, die fähig waren, gewählt worden sind. Wenn wir dazu gekommen sind, dieses Wahlsystem mit den drei Stimmen zu nehmen, so ist es aus dem Grunde geschehen, um den Menschen, die sonst nie zu den Wahlen gegangen sind, dadurch die Möglichkeit zu einem Persönlichkeitswahlrecht zu geben, von dem sehr viel gesprochen wird, an das ich aber gar nicht recht glaube, weil es doch die Parteien sind, die gewählt werden. Gerade um zu beweisen, daß wir nicht diese engherzigen Parteivertreter sind, haben wir mit diesen drei Stimmen diese Möglichkeit gegeben, und nun wer.
—
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71) Siehe oben Dok. Nr. 5 (TOP 1 d), 6 (TOP 2 b), (TOP 4 a). 72) Vgl. oben Abschnitt 2 a der Einleitung. 478
8
(TOP 4 a),
13
(TOP 1 a) und Dok. Nr. 15,
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den wir sehen, ob tatsächlich Persönlichkeiten und nicht doch Parteien
werden. Und nun
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gewählt
kleinen Wahlkreisen! Sie haben es jetzt ja bei den GemeindewahNordrhein-Westfalen, wo nun wirklich der einzelne Bewerber bekannt daß die Wahlbeteiligung nicht größer gewesen ist als bei den Waherlebt, war, len mit großen Wahlkreisen73). Zum Beispiel in Köln, wo die Kandidaten durchaus bekannt waren, sind nur 58 % überhaupt erschienen. Das Argument ist also einfach auf die Dauer nicht haltbar, man wolle es vermeiden, daß durchweg nur 10 % der Wähler den Bewerber kennen. Die 90 % der Wähler, die ihn nicht kennen, wählen den Parteikandidaten. Das müssen wir immer wieder bei all diesen Dingen berücksichtigen. Deshalb glaube ich, daß man trotz all dieser Argumente, die hier vielleicht mit Recht angeführt worden sind, die wir aber immer wieder hin und her überlegt haben, zu irgendeiner Lösung kommen muß. Das, was Herr Kollege Walter sagt, daß die Ministerpräsidenten eventuell gegen die Bestimmungen Einspruch erheben könnten, scheint mir doch nicht berechtigt zu sein. Wir haben jetzt in Nordrhein-Westfalen einen ähnlich gelagerten Fall für die Gemeindewahlen und haben ihn ohne weiteres durchbekommen. Von keiner Seite, auch nicht von der Militärregierung, ist irgend ein Einspruch erhoben worden, sondern die Wahlen sind nach diesem Recht74) durchgeführt worden. Und zum Schluß wollte ich noch sagen, daß man seitens der CDU vor allen Dingen nicht von einer Charakterlosigkeit sprechen darf; denn wenn Sie in § 30 Ihres Entwurfs einen zweiten Wahlgang einführen, meine Herren, dann müssen Sie doch die einzelnen Wähler von den anderen Parteien für Ihren Kandidaten gewinnen, denn sonst bekommen Sie ja keine absolute Mehrheit. Und das ist ja gerade dasjenige, (Zuruf des Abg. Walter.) Aber es ist doch so, daß man die Stimmen einer anderen Partei hinzubekommen muß, daß man sich mit einer anderen Partei in Verbindung setzen muß, um einen bestimmten Kandidaten durchzubekommen, sonst würde Ihr Ziel ja doch nicht erreicht werden. (Kaufmann: Und halten Sie das für charakterlos?) Das halte ich nicht für charakterlos, aber ich würde es eher für charakterlos halten, als wenn man sagt, der einzelne Wähler dürfe seine drei Stimmen auf Grund seiner Persönlichkeitswertung abgeben. Denn dann müssen Sie doch bei diesem Wahlrecht irgendwelche Abmachungen treffen, um einen Kandidaten durch das Ziel zu bekommen, denn ohne das werden Sie auch im zweiten Wahlgang nicht zum Ziel kommen. (Kaufmann: Eine Verständigung zwischen vernünftigen Menschen ist keine len
zu
von
.
..
—
—
Charakterlosigkeit!) gerade erreichen,
Und wir wollten
daß sich der Wähler entscheiden kann.
73) Die Wahlbeteiligung betrug 72,5 % (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 52). 74) Gesetz über die Gemeindewahlen im Lande Nordrhein-Westfalen (Gemeindewahlgesetz)
vom
6.
April
1948, in: GVOB1. Nr. 2, S. 185.
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Und dann wollte ich noch folgendes sagen. Wir haben doch schon in den vergangenen Jahren unsere Wähler bei den Kommunalwahlen mit drei Stimmen wählen lassen, und in Niedersachsen haben die Wähler ebenfalls drei Stimmen bekommen. Da hat es sich gezeigt, daß die Wähler doch nicht die Analphabeten sind, und daß sie zum größten Teil auf Grund richtiger Aufklärung durch die Zeitung usw. durchaus wußten, was sie wählen sollten. Man sollte die Vorteile, die in einem solchen Gedanken liegen, der Persönlichkeitswahl näher zu kommen, nicht außer acht lassen. Vors. [Dr. Becker]: Ich wollte folgende Frage aufwerfen. In solchen Zweifelsfragen, die hier aufgeworfen worden sind, ist die Frage enthalten, ob es nicht möglich ist, statt drei Stimmen eine zu geben. Ich glaube, wenn man das System des Herrn Abg. Diederichs zugrunde legt, würde man mit einer Stimme nicht auskommen. Denn wenn sechs Abgeordnete gewählt werden sollen und wenn später nach dem d'Hondtschen System ausgerechnet werden soll, wieviel Sitze auf jede Liste entfallen, wird sich doch ergeben, daß die großen Parteien zwei, drei, vielleicht sogar vier Sitze auf ihre Liste bekommen. Dann muß festgestellt werden, wer die meisten Kreuze hat. Wenn wir jetzt bloß eine Stimme haben, dann kreuzt der Wähler irgend jemand von der Liste an. Wenn nun drei Stimmen auf dieselbe Liste entfallen, kann es sein, daß drei Leute Kreuze bekommen haben; dann sind die drei Leute in der Reihenfolge der Wahl gewählt. Es kann aber sein, daß alle Kreuze nur auf die Nr. 1 oder 2 entfallen. Deshalb glaube ich, daß das der Grund für die drei Stimmen ist. Dann sind mir Bedenken in der Richtung gekommen, ob die Wähler in solchen Gegenden unseres Vaterlandes, die dieses System noch nicht kennen, es richtig machen werden. Ich glaube, diese Frage müssen wir bei den Fragen über die Ungültigkeit der Stimmzettel erörtern. Da kann man gewisse Hilfsbestimmungen hineinarbeiten: Wenn einer zwei Kreuze vor denselben Namen macht, dann gilt der Betreffende als gewählt. Oder wenn jemand aus Versehen nur zwei Kreuze auf den Zettel setzt, obwohl er drei machen könnte. Über all diese Fragen kann man ja sprechen. Aber ich würde vorgeschlagen, daß wir uns über diese Fragen bei der Erörterung der Bestimmungen über die Ungültigkeit unterhalten. Jetzt handelt es sich um folgendes, war wir vorhin schon einmal besprochen haben: ob es technsich möglich und systematisch mit Ihrem Vorschlag vereinbart ist, den Wahlkreis gewissermaßen in sechs Wahlkreise aufzuteilen, und zwar nicht so, daß in jedem Wahlkreis gerechnet würde, sondern daß in der Summe gerechnet wird. Ich will es nur einmal technisch durchdenken. Offensichtlich ist es so gedacht, daß da sechs Leute aus sechs verschiedenen Gegenden dieses Wahlkreises stammen und wahrscheinlich die erste Stimme von Leuten aus ihrer Gegend bekommen. Die zweite Stimme werden die Wähler vielleicht dem Manne geben, der die allgemeine politische Bedeutung für sie in weiterem Umfange hat. Die dritte Stimme geben sie vielleicht gar keinem, wenn sei nicht wissen, wohin sie gehören, oder sie geben sie dem ersten oder zweiten hinzu; dann ist diese Stimme überflüssig. Sie müssen sich einen dritten Kandidaten aussuchen, also vielleicht einen Lokalkandidaten einer anderen
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Partei.
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Das ist Ihr Gedanke. Er geht praktisch davon aus, daß die verschiedenen Lokalkandidaten die Stimmen innerhalb ihres räumlichen Wohnsitzes erhalten. Nun ist es also die Frage, Herr Dr. Diederichs, ob es mit Ihrem System zu vereinbaren ist, daß man sechs Unterwahlbezirke macht und in jedem praktisch nur einen wählen läßt. Das würde die weitere Folge haben müssen, daß in jedem Unterwahlbezirk ein besonderer amtlicher Wahlzettel gedruckt werden muß. Dann würden diese Stimmen zusammengerechnet werden, und dann würde nach Ihrem System die Zahl der Sitze ausgerechnet werden, und die Sitze würden dann auch auf die verteilt werden, die aus den betreffenden Unterwahlbezirken stammen. (Stock: Wir haben doch vorhin besprochen, daß das nicht geht!) Ich wollte nur die Frage an Herrn Dr. Diederichs richten. Und die zweite Frage wäre die: wenn es zu vereinbaren wäre, würde sich die CDU dann diesem Vorschlag grundsätzlich im übrigen anschließen? Kaufmann: Herr Dr. Diederichs hat schon vorhin erklärt, daß er es für unvereinbar hält! Stock: Sie haben jetzt etwas aufgegriffen, was schon erledigt ist. So kommen wir überhaupt nicht weiter! Walter: Ich bedauere, daß Herr Heiland im Augenblick nicht da ist. Ich hätte ihm gern etwas gesagt. Und zu den Ausführungen der Frau Wessel möchte ich sagen, daß doch zwischen einem Wahlrecht für Gemeindewahlen und einem Wahlrecht für Bundestagswahlen ein grundlegender Unterschied besteht. Hier sind ganz andere Momente maßgebend. Sodann die Drohung mit dem Zeigefinger, die ich ausgesprochen haben soll75) : das lag mir völlig fern. Dürfen wir denn nicht einmal in einem Ausschuß, in dem die Öffentlichkeit nicht zugelassen ist, mit aller Offenheit aussprechen, was wir meinen? Ich versichere Ihnen, daß ich mit keinem einzigen Ministerpräsidenten oder einem stellvertretenden Ministerpräsidenten oder einem Innenminister über diese Dinge gesprochen habe. Es ist meine rein persönliche Ansicht, die ich hier gesagt habe. Und wenn man dann in einer Form, über die ich keine weiteren Ausführungen machen möchte, von einem drohenden Zeigefinger gesprochen wird: Meine Herren, wer mich kennt, der weiß, daß ich im politischen Leben nicht mit Drohungen arbeite. Ich suche ein Wahlrecht herauszubringen, das für alle Teile halbswegs gangbar ist. Und wenn heute eine Volksabstimmung über die Frage, ob Verhältnisdas soll aber keine Drohung wahl oder Persönlichkeitswahl durchgeführt würde dann würde die überwiegende Mehrheit für die Persönlichkeitswahl stimsein! men76). Das ist meine persönliche Überzeugung. Sie können ja anderer Überzeugung sein. Aber ich möchte noch einmal erklären, daß ich keinen einzigen anwesenden Herrn irgendwie unter Druck setzen wollte. Aber ich darf doch wohl aussprechen, daß die Ministerpräsidenten zu der Sache Stellung nehmen müssen. Das steht ja im Dokument Nr. 1, und unser Wahlgesetz ist ja technisch nur so denkbar, daß es als Anlage zum Grundgesetz herauskommt. Und dazu müssen sie ja schließlich auch Stellung nahmen, obwohl das Wahlrecht für sie nicht gerade das Aller—
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,
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75) Siehe oben S. 473 f. 76) Zur öffentlichen Wahlrechtsdiskussion siehe auch Lange, Wahlrecht, S.
303 ff.
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wichtigste ist, wenn es auch von großer Bedeutung ist. Aber ich bitte, hier nicht jedes Wort derartig zu werten; sonst hat man schließlich keine Lust mehr, offen zu sagen, was man denkt. Kuhn: Darf ich vielleicht einen Vorschlag machen! Wir wollen uns doch auf eine Motivierung der nach dem Persönlichkeitswahlrecht oder nach dem Mehrheitswahlrecht gerichteten Bestrebungen nicht noch einmal der Länge und Breite nach einlassen. Wir können hier keineswegs die Faktoren, die die Volksmeidas ist meine Überzeunung bilden, untersuchen. Wir können keineswegs davon ausgehen, daß die Persönlichkeit die alles Bestimmende ist. Ich gung glaube, man gerät damit leicht in eine Überbewertung der Persönlichkeit. Denn wenn man die Wahlgänge der letzten Monate genau untersucht, wird man zu dem Ergebnis kommen, daß das Persönliche hinter anderen großen Schwerpunkten der politischen Entscheidungen vollständig zurücktritt. Bei Wahlkreisen mit 1 Million Wählern habe ich doch den Eindruck, daß ein überragender politischer Kopf, der dort etwa vorhanden ist, wohl bekannt ist, daß er aber nicht jedem persönlich gegenübertreten kann. Und ich frage Sie: geschehen denn nicht alle großen Wahlen heute durch Mittelsmänner? Denken wir doch einmal daran, daß selbst der Präsident der Vereinigten Staaten, der doch mit Rundfunk, Presse und Bildern den Wählern nahegebracht wird, soundso viele Wahlmänner hat, die für ihn werben. Vergessen wir doch nicht, daß die Verbundenheit der politischen Persönlichkeit mit dem kleinen Mann auf der Straße eben nicht mehr da ist. Wir leben in einer modernen Gesellschaft, in der es lediglich eine vermittelbare Verbundenheit gibt, die auch für das ganze politische Leben tonangebend ist. Ich glaube, diese Überbewertung der Persönlichkeit geht auf eine etwas starke politische Romantik zurück. Ich will sie nicht ganz zurückweisen, aber meines Erachtens operieren wir hier doch mit Werten, die für uns wohl als Politiker beachtlich sind, die aber doch draußen in der politischen Meinungsbildung nicht so ausschlaggebend sind. Setzen Sie einmal nur den Fall, Herr Brüning77) und Herr Goebbels78) begegneten sich in einem Einmannwahlkreis, dann werden Sie wissen, wie in diesem Punkte zu werten ist. Ich darf auch daran erinnern, daß die CDU in Rheinland-Pfalz das Mehrheitswahlrecht abgelehnt hat79). Sie hat sich aus Gründen des politischen Niveaus für den Landtag auf das Verhältniswahlrecht festgelegt, weil sie ganz genau wußte, daß sie, wenn wir zu einem andern Wahlrecht kommen, die hauptsächlich in den Städten und in den dichteren Siedlungen wohnenden politischen Menschen nicht für den Landtag zusammenbekommen könnten. Das war die Entscheidung der CDU in Rheinland-Pfalz. —
—
1885—30. März 1970), Zentrumspolitiker, Reichtstagsabgeordneter (1924-33) und Reichskanzler (1930-32). 78) )oseph Goebbels (29. Okt. 1897—1. Mai 1945), Reichsminister für Volksaufklärung und
77) Heinrich Brüning (16. Nov.
Propaganda (1933-45).
80 der Landesverfassung festvermutet als Ursache für dieses eher untypische Verhalten
79) Die CDU setzte durch, daß das Verhältniswahlrecht in Art.
geschrieben
wurde.
Lange
der CDU in Rheinland-Pfalz, daß hier „ein durch die Franzosen abgesteckter Rahmen bestand, welcher ein Abgehen vom Verhältniswahlprinzip als indiskutabel erscheinen ließ" (Lange, Wahlrecht, S. 131). 482
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Vors. [Dr. Becker]: Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Anträge sind nicht gestellt. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den § 11 in der vorliegenden Wer ist dagegen? Fassung stimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. sechs 11 Stimmen zu ist mit zwei § angenommen. —
—
[3. EINGABE DR. UNKELBACH]
Außerhalb der Tagesordnung weist der Vorsitzende darauf hin, daß ein Herr Unkelbach zahlreiche Eingaben an den Wahlrechtsausschuß gerichtet hat und darum bittet, als Sachverständiger gehört zu werden. Er habe ihm erwidert, er könne persönlich darüber nicht entscheiden80). Walter: weist daraufhin, daß sich Herr Unkelbach auch an ihn und an den Abg. Dr. v. Brentano mit der gleichen Bitte gewandt und dieselbe Antwort erhalten habe. Der Ausschluß beschließt, Herrn Unkelbach nicht als Sachverständigen zu vernehmen. [4. BESPRECHUNG DES VOM REDAKTIONSKOMITEE DES WAHLRECHTSAUSSCHUSSES REDIGIERTEN WAHLGESETZENTWURFES
(FORTS. §§12-18)] Vors. [Dr. Becker]: Wir kommen zu § 12. Das ist nicht der Fall. Wird das Wort dazu gewünscht? Ich möchte meinerseits dazu bemerken, daß ich mir eine endgültige Stellungnahme zu der Frage, ob wir das d'Hondtsche System nehmen oder einen Koeffizienten festsetzen, vorbehalte. Im Augenblick würde ich dem vorliegenden —
Vorschlag
zustimmen. Wer für § 12 in der vorliegenden
Fassung ist, den bitte ich die Hand zu erheIch bitte um die Gegenprobe.— Das andere sind Stimmenthaltungen. §12 ist mit sechs Stimmen angenommen. Wir kommen zu §13: Die Verbindung von mehreren Wahlvorschlägen ist unstatthaft. Damit ist gemeint: innerhalb eines Wahlkreises. Das ist wohl klar. Wird das Wort verlangt? Kaufmann: Ist damit die Wahlkreisverbandsmöglichkeit gemeint? Dr. Diederichs: Nein, Wahlvorschläge verschiedener Parteien. Vors. [Dr. Becker]: Dann darf ich wohl annehmen, daß § 13 angenommen ist. Dann käme §14. Darf ich fragen, ob hierzu das Wort gewünscht wird? Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte um die GeWer für § 14 ist, den bitte ich die Hand zu erheben. ben.
—
—
genprobe,
§
14 ist mit zwei
Stimmenthaltungen
—
angenommen.
—
80) Siehe oben Dok. Nr. 10, Anm. 8 und Dok. Nr. 2, Anm.
121.
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Wir kommen zu § 15. Hier habe ich zwei Alternativen hineingesetzt, weil ich noch nicht weiß, wie es mit dem Bundesgebiet aussehen wird. Das ist eine Frage, über die wir in Verbindung mit dem Organisationsausschuß verhandeln müßten. Deswegen würde ich vorschlagen, daß wir die beiden Alternativen nehmen, um eine Grundlage zu haben, die wir dem Hauptausschuß vorlegen, der seinerseits die verfassungs-
rechtliche Frage zu klären hätte. Hierher gehört also die Frage etwaiger Landeswahllisten, die vorhin angeschnitten worden ist. Ich würde vorschlagen, daß vielleicht Herr Dr. Diederichs, vielleicht einer der Herren der CDU und, wenn Sie einverstanden sind, ich, uns in einer kurzen Besprechung überlegen, ob das technisch möglich ist, und wie die Berechnung erfolgen soll. Denn ich glaube, auf der Landeswahlliste kann man nicht mehr nach d'Hondt rechnen, sondern da müßte man eine nicht ganz einfache Berechnung wie bei der Bundeswahlliste einschalten. Lobe: Ich möchte auf folgendes aufmerksam machen. Diese Wahlkreisverbände hatten wir auch bei der Weimarer Wahl. Sie ist zum ersten Mal von dem Volksbeauftragten01) oktroyiert worden. Wenn wir jetzt solche Landesverbände schaffen, wäre das ein neuer erschwerender Umweg, denn wir müssen ja die einzelnen Länder befragen, wer sich verbinden will und wer nicht. Damals wurde einfach gesagt: die beiden Schlesien bilden einen Wahlkreisverband, Berlin bildet einen Wahlkreisverband, Bremen und Hamburg bilden einen Wahlkreisverband. Das stand dann fest. Wenn wir noch einfügen, daß sich die einzelnen Länder verbinden können, dann entsteht wieder eine monatelange Prozedur, ehe sich die einzelnen Länder entschieden haben. So erwünscht, wie das Ganze erscheint, würde es doch eine erhebliche Erschwerung der Wahlen bedeuten. Frau Wessel: Ich wollte etwas Ähnliches sagen. Ich glaube, wenn wir es darauf abstellen, daß die Länder diese Möglichkeit haben, werden alle möglichen Schwierigkeiten auftauchen, besonders bei den kleinen Ländern, die schon fühlen oder meinen, sie würden in ihrer Selbständigkeit beeinträchtigt. Ein zweites Moment scheint mir das zu sein, was Herr Heiland schon hervorgehoben hat. Die Länder sind in ihrer Größe sehr verschieden. Wenn Sie nur den Wahlkreis Bremen mit 400 000 Einwohnern und andere mit 2 Millionen nebeneinanderstellen, dann ist das schon in sich gar kein gerechtes Verhältnis. Deswegen ist es doch das Beste, wenn man direkt vom Wahlkreis zur Bundesliste käme. Stock: Ich bin auch der Auffassung, daß man vom Wahlkreis zur Bundesliste gehen soll. Aber wir müssen für den Hauptausschuß eine gewisse Klärung herbeiführen. Deshalb bin ich der Meinung, der Herr Vorsitzende, Dr. Becker, Dr. Diederichs, Herr Kaufmann und Herr Löbe sollen das morgen miteinander aus-
knobeln82). Vors. [Dr. Becker]: Sind die Herren damit einverstanden? nes
Dann würde ich was sich mei-
über diesen § 15 abzustimmen, vorbehaltlich dessen, Erachtens noch aus dieser Korrektur ergibt.
vorschlagen,
—
81) Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 59. 82) Von dieser Besprechung konnte eine Aufzeichnung nicht ermittelt werden. 484
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Wer mit diesem Vorbehalt für § 15 stimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. Die beiden Herren dort enthalten sich. Dann wäre § 15 mit beiden Alternativen unter diesem Vorbehalt angenommen. Dann §16! Das ist eine Bestimmung, die aus dem amerikanischen Zonenrecht stammt. Sie —
entspricht den Vorschriften, die die amerikanische Besatzungsmacht aufgestellt Anregung geht von mir aus. Ich möchte vorschlagen, daß anzunehmen. Damit geht man doch dem Gerede aus dem Weg, daß die Parteibürokratie immer so eine große Rolle spielt, und beweist, daß sie praktisch eben doch nicht hat. Die
besteht. Walter: Ich übersehe die Sache im Augenblick noch nicht ganz. Wie ist es bei den Parteien, die noch nicht im Reichgebiet insgesamt organisiert sind? Die CSU zum Beispiel ist ein selbständiger Verband. Was heißt hier „Bundesgebiet"? Stock: Ich bin der Auffassung, daß es genau so ist wie bei der FDP/LDP: sie gelten trotzdem als eine Partei. (Heiland: Das kann man ja technisch noch ausfeilen, damit sich niemand daran stößt!) Walter: Die demokratischen Vorschriften im demokratischen System! Wie soll man es bei einer Partei machen, die noch nicht im Reich organisiert ist? In Württemberg-Baden ist es eine einheitliche Partei; in Nordrhein-Westfalen ist es ein einheitlicher Verband, in Südbaden und Südwürttemberg meines Wissens auch. Das sind also vier Verbände. Welches Gremium ist hier zuständig, einen Wahlvorschlag einzureichen, der den amerikanischen Bestimmungen ent-
spricht?
Vors. [Dr. Becker]: Deswegen habe ich diese Fragen offen gelassen. Stock: „dem Statut der betreffenden Partei entsprechende Zahl"! Vors. [Dr. Becker]: Ich würde keinen Hinderungsgrund sehen, daß in dem letzten Beispiel die Verbände als eine Einheit anzusehen sind und sich zusammenfinden. Ich würde auch keine Bedenken dagegen haben, daß CDU und CSU, die sich doch nur durch den Namen unterscheiden, aber praktisch gewissermaßen Landesverbände im ganzen Bundesgebiet darstellen, eine gemeinsame Bundesliste aufstellen. Es handelt sich darum, daß die programmatische Einheit vorhanden ist. Kaufmann: Wir müßten mindestens bei der Berichterstattung im Plenum klarstellen, daß das hier gemeint ist83). Vors. [Dr. Becker]: Es wird natürlich überhaupt die Frage anzuschneiden sein und das könnte ich, wenn Sie mich dazu ermächtigen, schon einmal durch ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Hauptausschusses tun —, ob diese Frage nicht schon einmal zwischenparteilich von der verfassungsrechtlichen Seite —
83) Am 23. Feb. Fraktion im
§
16
a:
„Die
zulässig. richtung
1949 (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 721) forderte die CDU/CSUHauptausschuß die Zulässigkeit von Listenverbindungen als Einschub unter
Verbindung von Landeswahlvorschlägen und Bundeswahlvorschlägen ist Erklärung über die Listenverbindung muß innerhalb der Frist für die Einder Wahlvorschläge abgegeben werden." Die
485
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her
geklärt werden könnte, nämlich die Frage, ob solche Parteien, die sich als programmatische Einheit im Bundesgebiet betrachten, nun nicht auch als Einheit angesehen werden können, oder wie die Frage der Zulassung für diese Bundeswahl überhaupt zu fassen sein wird. Die Zulassung durch die Besatzungsmacht ist eine Frage, die ich, wenn Sie es gestatten, mit Carlo Schmid besprechen müßte, also nicht die Frage über den Inhalt der anderen Dinge, sondern die Frage, wie wir dabei geschäftsordnungsmäßig zu verfahren hätten.
(Kaufmann: Ich habe keine Bedenken!) Frau Wessel: Ich bin der Auffassung, daß man diejenigen Parteien zur Bundesliste zulassen müßte, die in dem Landtag eines Landes vertreten sind. Irgendeine solche Form muß man doch finden. Vors. [Dr. Becker]: Ich würde vorschlagen: „die in mehr als einem Lande zugelassen sind." Wenn sie nicht in mehr als einem Lande zugelassen sind, dann käme éventuel die Frage der Landesliste in Betracht. Das hängt mit dem zusammen, was wir nachher noch erörtern müssen. Wird sonst zu § 16 das Wort gewünscht? Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Dann schreiten wir zur Abstimmung über § 16. Wer dafür ist, den bitte § 16 ist mit fünf Stimmen bei zwei Stimmenthalich, die Hand zu erheben. tungen angenommen. —
—
§17\ Jetzt kommt etwas, das müssen wir genau durchrechnen und feststellen, ob
es
stimmt. Wir haben durch die andere
Verrechnung auf der Bundesliste keine feste Zahl. Also würde zunächst die Zahl der Bundesabgeordneten auf diese Weise zu ermitteln sein. Es würde so sein. Nehmen wir an, es seien 367 Sitze vorhanden, dann wird prozentual der Gesamtsumme die auf die einzelnen Parteien entfallende Stimmenzahl ausgerechnet. Dann werden von 367 Abgeordneten die unabhängigen Abgeordneten abgezogen. Nehmen wir an, das seien drei. Dann blieben 364
Abgeordnete übrig.
Diese 364 Sitze werden nach dem arithmetischen Verhältnis der auf die politischen Parteien entfallenden Gesamtzahl verteilt. Es wird ermittelt, wieviel Sitze auf jede einzelne Partei entfallen. Von dieser Zahl werden bei jeder Partei diejenigen Sitze abgezogen, die sie in den Wahlkreisen erzielt hat, und der Überschuß wird ihr nach der Bundesliste zugeteilt. Jetzt kommt folgende Frage: kann es sich nicht ereignen, daß in den Wahlkreisen mehr gewählt werden, als bei dieser Verrechnung auf die einzelnen Parteien
entfallen?
Dr. Diederichs: Das dürfte im Durchschnitt ziemlich ausgeschlossen sein, weil die Mandate auf die einzelnen Wahlvorschläge ja schon nach dem Verhältnissystem zugeteilt werden und nach diesem Teilungsfaktor die Gesamtzahl der Abgeordneten wesentlich höher liegt als die Zahl derer, die unmittelbar in den Wahlkreisen gewählt werden. Gehen wir also von der Voraussetzung aus, daß wir 46 Millionen oder mit Berlin 50 Millionen Einwohner haben, und von diesen seien 60 %, also etwa 30 Millionen, wahlberechtigt. Wenn wir dann mit einer Wahlbeteiligung von 70 % rechnen, haben wir 21 Millionen abgegebene Stimmen. 486
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(Vors. [Dr. Becker]: Rechnen wir einmal %)
nur
mit einer
Nr. 17
Wahlbeteiligung
von
60
Dann haben wir 6 mal 3 Millionen
gleich
18 Millionen. 18 Millionen mal 3
dividiert durch 180 wären genau 300 Abgeordnete. Davon wären in 44 Wahlkreisen 268 direkt gewählt. Mithin würden noch 32 aus der Bundesliste zur Verteilung kommen. Das ist schon bei einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung. Bei diesem Wahlsystem kann es also nicht passieren, daß in unmittelbarer Wahl mehr gewählt werden, als zu verteilen sind. Und bei der einzelnen Partei kann es auch nicht passieren, weil die Verteilung nach d'Hondt eine Verhältnisverteilung ist. Kaufmann: Es kann aber etwas anderes passieren, und das ist mein Bedenken! Es kann passieren, daß durch eine geringe Wahlbeteiligung, die sich aus irgendeiner Verärgerung ergeben kann, ein Bundestag wegen der geringen Zahl von Abgeordneten nicht arbeitsfähig ist, weil die Gesamtzahl, die nach der Erfahrung erforderlich ist, so weit heruntergedrückt worden ist. (Dr. Diederichs: Unter 264 kann sie nicht sinken!) —
Nehmen Sie unsere Erfahrungen! Bei den großen Aufgaben müssen wir ja auch wieder Ausschüsse besetzen. Sind Sie der Meinung, daß eine Bundesarbeit in drei Vierteln unseres Reichsgebiets mit der Gründlichkeit, wie sie das Plenum eines Bundestags anwenden sollte, bei einer Zahl von 250 bis 260 Volksvertretern möglich ist? Vors. [Dr. Becker]: Eine Zwischenfrage, Herr Löbe, wieviel Ausschüsse hatte der Reichtstag? Löbe: Ungefähr zwölf. Aber nur die reichliche Häfte davon waren ständige Ausschüsse, während die übrigen für bestimmte Zwecke eingesetzt wurden. Dr. Diederichs: Für kleine Parteien ist es in jedem Fall schwierig, die Ausschüsse zu besetzen. Das ist die Erfahrung, die wir immer wieder machen. Diese Schwierigkeit, die die kleinen Parteien haben, die Ausschüsse zu besetzen, wird aber x-fach dadurch wieder ausgeglichen, daß die anderen Parteien so viele Fraktionsarbeit haben. Denn wenn eine Partei 100 oder 150 Abgeordnete hat, ist die Arbeit in der Fraktion viel schwieriger. Also ich glaube, das gleicht sich praktisch aus. Wir haben uns in der Fraktion darüber unterhalten und waren der Ansicht, daß eine Zahl von 260 Abgeordneten durchaus angemessen wäre wohlgemerkt: auch nur für den westlichen Teil! Wenn der Osten noch dazukommt, dann hätten wir bei der vorausgesetzten geringen Beteiligung noch einmal 120 gleich 380 Abgeordnete. Das würde nach unserer Auffassung voll ausreichen. Kaufmann: Ich fasse die Arbeit eines Abgeordneten nicht nur dahin auf, daß er in den Ausschüssen sitzt und im Plenum seine Stimme abgibt, sondern daß er sich auf bestimmten Gebieten der öffentlichen Verwaltung zum Spezialisten entwickelt und ein bestimmtes Gebiet genauestens beobachtet und sich orientiert. Und diese Arbeit kann mit einer so geringen Anzahl von Abgeordneten nicht erfüllt werden, um so weniger, als darüber wollen wir uns doch gar der Bundescharakter unseres Gebiets die Schwierigkeinicht im Zweifel sein ten zunächst nicht vermindert, sondern vermehrt; er vermehrt die Grenzfälle, er vermehrt die Notwendigkeit, den Bundescharakter auf der einen Seite nach dem Reich zu, auf der anderen Seite nach den Ländern zu zu erhalten, was zu —
—
—
—
487
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Sechzehnte Sitzung 13. Dezember 1948
einer ganzen Menge von Aufgaben führen wird, die der Abgeordnete studieren muß, und dazu muß er Zeit haben. Ich bin sehr im Zweifel, ob das bei einer so geringen Zahl von Abgeordneten möglich ist, wobei ich nochmals darauf hinweise, daß die Arbeit die gleiche bleibt, ob die Bevölkerung nun positiv oder negativ, ob sie zu 50 oder 80 % auf die Wahl reagiert. Weiter kommt selbstverständlich die Aufgabe dazu, über die gesamte Arbeit in den Wahlkreisen zu berichten, in den Parteien zu berichten, die Wahlkreise zu unterrichten, was um so notwendiger ist, als wir ja zu einer stärkeren Persönlichkeitswahl, d. h. zu einer stärkeren Willensbekundung der einzelnen Wähler bei der Wahl kommen. Wie das alles gemacht werden soll, wenn die Zahl der Abgeordneten so gering ist, sehe ich noch nicht. Die praktische Erfahrung
spricht dagegen.
Dr. Diederichs: Ich glaube, daß in diesem Fall kein prinzipieller Unterschied zwischen uns besteht. Man könnte dem abhelfen, indem man eine Mindestziffer festlegt, über die man sich durchaus einigen kann. Man könnte eine höhere Ziffer auch durch Herabsetzung des Teilungsquotienten erreichen. Man könnte aber auch einen bestimmten Teilungsquotienten und gleichzeitig eine Mindestzahl festlegen. Man hat die verschiedensten Möglichkeiten, um zu vermeiden, daß ein Parlament zu klein wird. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß bei uns in der Fraktion die Auffassung bestand, daß man mit diesen Bestimmungen auskommen könne. Wenn Sie grundsätzlich der Auffassung sind, daß wir eine höhere Zahl brauchen, so glaube ich, daß ein Weg zu finden ist. Vors. [Dr. Becker]: Dann wäre die Frage, wie wir das in diesen Paragraphen hineinarbeiten. Wir müssen dann konsequenterweise den Faktor 180 etwas vermindern. Stock: Ich schlage vor: machen Sie auch das in der kleinen Kommission! Kuhn: Der Organisationsaussschuß hat einmal eine Entschließung über die Zahl der Mitglieder des Bundestages gefaßt. Zunächst waren es 25084), (Frau Wessel: 300!) bis 350. Frau Wessel: Man kann ja eine Mindestzahl festsetzen und eventuell dazuschreiben, daß dementsprechend von 180 000 oder 150 000 ausgegangen werden muß. Denn wer das parlamentarische Leben kennt, der weiß, daß es nicht damit getan ist, daß man als Abgeordneter da ist, sondern man muß sich in eine bestimmte Materie unbedingt einarbeiten, um etwas davon zu verstehen. Allerdings ist es auch so gewesen, daß nur ein Dutzend Leute etwas verstanden, während die übrigen Laien waren. Vors. [Dr. Becker]: Dann wollen wir das in der kleinen Kommission besprechen. Dr. Diederichs: Es wäre nur die Frage, ob Herr Abg. Kaufmann für diese Kommission Anregungen gibt, oder ob wir eine Mindestziffer festlegen sollen. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich fragen, ob Sie unter dem Vorbehalt dieser Korrektur grundsätzlich mit § 17 einverstanden sind? —
84) Siehe oben Dok. Nr. 8, Anm. 488
50.
Sechzehnte
Sitzung
Dezember
13.
1948
Nr. 17
Jetzt noch folgendes.
In Abs. 2 heißt es: Der Bundesausschuß stellt ferner die auf
jede politische Partei im gesamten Bundesgebiet entfallende Gesamtstimmenzahl fest Ich könnte mir denken, daß sich eine Wählervereinigung bildet, bei der der po.
.
.
litische Charakter umstritten sein könnte. (Löbe: Nur der parteipolitische! Politisch sind sie alle!) Ich will nur die Aufmerksamkeit auf dieses Wort lenken, damit es später keine Zweifel gibt. (Stock: Das kann man schon lassen!) Also unter einer politischen Partei verstehen Sie eine Partei, die auf die öffentlichen Angelegenheiten einzuwirken versucht. (Frau Wessel: Die als solche anerkannt ist!) Wir wollen hoffen, daß der Zustand, daß eine auswärtige Macht die Par—
—
zuläßt, beseitigt wird85). (Frau Wessel: Dann gibt es immer noch im Grundgesetz eine Bestimmung darüber, was unter einer Partei zu verstehen ist86).)
—
teien
Das ist alles für die künftige Gesetzgebung offen gelassen. (Löbe: Wir machen es ja auch nur für diese eine Wahl!) Es besteht also kein Zweifel an diesem Wort. Wer ist also unter dem Vorbehalt, daß der Faktor von 180 000 oder eine feste Mindestzahl eingesetzt, eventuell beides kumuliert —
sätzlich für diesen §17, den bitte ich, die Hand zu erheben. sechs Stimmen gegen zwei Enthaltungen angenommen.
herabgesetzt
wird, grund§17 ist mit
—
§181
liegen Wortmeldungen nicht vor. Wer für § 18 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Er ist mit sechs Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen angenommen. Dann wollen wir hier abbrechen und morgen um 9 Uhr fortfahren. Dazu
—
13 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 (BGBl. I, S. 243) legte die Entscheidung über die Zuständigkeit der Verfassungswidrigkeit und damit Zulassung von politischen Parteien in die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts.
85) §
86) Art.
21 i. d. F.
von
1949.
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Siebzehnte
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14.
Dezember 1948
Nr. 18 17.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 14.
Dezember
Z 5/84, Bl. 41-69. Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 51, Drucks. Nr. 465/11
1948
Wortprot.
Anwesend1):
CDU/CSU: Kaufmann (für Kroll), Schräge, Walter, Schröter SPD: Stock, Löwenthal (für Menzel)2), Diederichs (zeitweise Vors.), Heiland FDP: Becker (zeitweise Vors.) KPD: Frau Wessel (Z, für Reimann) Mit beratender Stimme: Finck (CDU), Heile (DP) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 10.25 Uhr Beginn: 9.00 Uhr
[1.
ZUM STAND DER INTERFRAKTIONELLEN
BERATUNGEN]
Vors. [Dr. Becker]: Ich eröffne die Sitzung. Wir waren in der gestrigen Beratung bis zum § 18 einschließlich gekommen und hatten uns eine Besprechnung zu § 17 vorbehalten3). Diese Besprechung, an der die Kollegen Kaufmann, Dr. Diederichs, Löbe und ich teilgenommen haben, hat inzwischen stattgefunden4). Wir waren uns einig, eine Mindestzahl
350 Abgeordneten für den Bundestag vorzuschlagen und haben uns ferner dahin geeinigt, zwischen die Bundesliste und den Wahlkreis Wahlkreisverbände ungefähr auf Landesbasis vorzuschlagen, und zwar so: Bayern bildet für sich einen Wahlkreisverband, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bilden jeder für sich einen Wahlkreisverband. Femer sollen die Länder, Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu einem Wahlkreisverband zusammengestellt werden, ebenso Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein. Somit hätten wir also sieben Wahlkreisverbände. Es war so gedacht, daß der Bundeswahlleiter die Gesamtsumme der für jede Partei abgegebenen Stimmen zusammenzählt, aus der Gesamtsumme aller Parteistimmen durch Teilung durch 350 den Koeffizienten errechnet, diesen dann den Wahlleitern, die die einzelnen Wahlkreisverbände betreuen, mitteilt, und daß diese dann zunächst aus der Summe aller in diesen Wahlkreisverband abgegebenen Stimmen die Zahl der darauf entfallenden Abgeordneten errechnen. Davon wird für jede Partei die Zahl der in dem betreffenden Wahlkreis Gewählten abgezogen und der Rest innerhalb dieses Wahlkreisverbandes verteilt; und was dann nicht zur Verteilung gekommen ist, entfällt auf die Bundesliste. von
4) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Dr. Fritz Löwenthal (15. Sept. 1888-28. Aug. 1956), NRW, SPD (ab dem 4. Mai 1949 fraktionslos), Rechtsanwalt, 1933—45 sowjetisches Exil, ursprünglich KPD, dann SPD. Im Pari. Rat
war er
Mitglied
des
3) Siehe oben Dok. Nr. 17, TOP 4) Vgl. oben S. 484. 490
Rechtspflegeausschusses. 4.
Siebzehnte
Sitzung
14.
Dezember 1948
Nr. 18
Ich darf fragen, ob Sie grundsätzlich auf der Grundlage dieses hier in Rede stehenden Vorschlages mit einer solchen Regelung einverstanden sind; und zweitens: würden Sie dann einem oder zwei oder drei Herren die Ermächtigung geben, das nachher in Worte zu kleiden? Frau Wessel: Zur Klarstellung: Würde damit der Wahlkreis von sechs Personen an sich bleiben?
(Vors. [Dr. Becker]: Ja!)
Dann würde es sich nur um die Zusammenfassung dieser sechs handeln? Vors. [Dr. Becker]: Bayern hat zum Beispiel acht Wahlkreise zu je sechs Mandaten. Diese bilden zunächst einen Verrechnungsverband, so daß also die betreffenden Abgeordneten aus den Landesstimmen bei der Verteilung eine Art Prä haben. Dr. Diederichs: Dabei taucht eine Frage auf, die wir regeln müssen: Wer ist der Wahlleiter in einem solchen Wahlkreisverband? Wo die Länder selber den Wahlkreis bilden, ist es klar, daß es der Landeswahlleiter ist. Wo mehrere Länder zusammengefaßt werden, müßte es den Ländern freigestellt werden, daß einer der Landeswahlleiter die Geschäfte des Wahlkreisverbandswahlleiters übernimmt. Irgendein Hinweis müßte noch vorhanden sein. Vors. [Dr. Becker]: Der Landeswahlleiter ist ohnehin schon vorgesehen. Die Sache würde folgendermaßen sein. In fünf Ländern ist der Wahlleiter auch klar. In den anderen Ländern würden wir ihn kurzerhand bestimmen, also zum Beispiel den Landeswahlleiter von Württemberg-Baden, den Landeswahlleiter von —
Hamburg
usw.
Stock: Ich weiß nicht, ob man das machen soll, daß diejenigen, die auf einer Landesliste zusammengezogen sind, unbedingt auch in einem Wahlkreis kandidiert haben müssen. Es hätte nämlich den Vorteil, daß die Parteimaschinerie dann nicht zum Beispiel Leute auf die Landesliste setzt, die man nicht in einem Wahlkreis aufgestellt hat. Vors. [Dr. Becker]: Es ist richtig, daß Sie daran erinnern. Wir haben uns das folgendermaßen gedacht. Es soll gar keine eigene Landesliste aufgestellt werden, sondern die Verrechnung soll demjenigen zugute kommen, der in den Wahlkreisen die meisten Kreuze bekommen hat, aber nicht so viel, daß er im Wahlkreis zum Zuge gekommen wäre; also auf der Basis des bayerischen Systems.
(Stock: Noch besser!) Das ist dann derjenige, der auf seinen Namen die nächstmeisten Sympathien erreicht hat. Stock: Daß muß aber klar herausgearbeitet werden. Es ist so zu verstehen, daß die Landesliste in erster Linie diejenigen Kandidaten nimmt, die in ihrem Wahlkreis die nächsthöchste Stimmenzahl aufgebracht haben. (Dr. Diederichs: Praktisch ist das der erste, der nicht gewählt worden ist!) Frau Wessel: Es würde mich interessieren, ob denn auch die CDU auf diesen Vorschlag eingehen wird; denn es muß uns doch daran liegen, auch für ein solches Wahlsystem eine wesentliche Mehrheit zu bekommen. Vors. [Dr. Becker]: Daran liegt mir auch, aber ich kann doch niemand zwingen, sich zum Wort zu melden. 491
Nr. 18
Siebzehnte Sitzung
Frau Wessel: Wenn
schlagen,
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Dezember 1948
nicht, dann würde ich doch lieber das andere System
denn ich würde
ja
lieber
vom
Wahlkreis direkt
zur
vor-
Bundesliste ge-
hen. Hier scheint immer noch Unklarheit über unsere Stellungnahme zu Es ist parlamentarisch üblich, daß man auch an einem nicht genehmen oder gegnerischen Antrag sachlich mitarbeitet und ihn soweit zu verbessern versucht, daß er die Grundlage für eine möglichst breite Verständigung abgibt. Das ändert nichts an unserer grundsätzlichen Stellung, daß wir der Meinung sind, daß ein Wahlgesetz in der Richtung unseres Vorschlags das richtige ist. Das ist doch furchtbar einfach. Wenn ich hier sachlich mitarbeite, dann erwarte ich dasselbe auch von Ihnen bei unserer Variante. Das bedeutet keineswegs, daß ich dem ganzen zustimme oder meine Fraktion dazu bringen will. Ob sie schließlich diesem oder einem andern Kompromiß oder dem ersten Vorschlag zustimmt, ist Angelegenheit der Fraktion. und er besteht auch bei Vors. [Dr. Becker]: Wenn der Wunsch besteht eine möglichst breite Grundlage für das Wahlgesetz und für die ganze mir Verfassung zu finden, dann wollen wir uns darüber klar sein, daß es im Gesamteindruck sehr peinlich sein würde, wenn etwa wir als kleinere Partei bis zu einem gewissen Grade nicht mitmachen würden, daß aber, wenn eine große Partei nicht mitmacht, die Mehrheit, die in den Londoner Empfehlungen vorgesehen ist6),wahrscheinlich nicht erreicht werden kann. Wir werden uns also in irgendeiner Form verständigen müssen. Sachlich wäre es das Entscheidende, daß man sagte, woran sich die einzelnen Parteien bei den gegenseitigen Anträgen prinzipiell stoßen, daß sie uns sagten: das und das ist von unserem Standpunkt aus unannehmbar. Aber es gibt doch andere Dinge, über die unter Umständen verhandelt werden kann. Ich will aber die Arbeit des Ausschußes nicht aufhalten, sondern sagen, daß das Aufgabe einer privaten Besprechung zu dritt oder zu viert sein würde. (Kaufmann: Wir wollen das erst einmal durcharbeiten!) Ich erkläre ganz offen, wie ich die Dinge sehe. Ich nehme an, daß sich die SPD an dem Vorschlag, den die CDU von mir übernommen hat7), im wesentlichen an dem zweiten Wahlgang stößt, während die CDU sich bei dem andern Vorschlag an den großen Kreisen und an dem Mehrfachstimmrecht stößt. Wenn man sich darüber klar ist, was nicht ist, und wenn man die Tatsache zur
Kaufmann: bestehen5).
—
,
—
Grundlage nimmt,
daß die Mehrheit zweifellos auf der
Grundlange der modifi-
zierten Proportionalwahl gestanden hat, dann sollte eigentlich die Möglichkeit einer Einigung nicht fern liegen. Mir war damals eine Anlehnung an das bayerische Wahlrecht als das beste erschienen. Es ist aber damals von Herrn Kroll mit recht kräftigem Aplomb abgelehnt worden, so daß meine Bemühungen Das nebenbei. nach dieser Richtung hin wiederum gescheitert waren6). —
5) 6) 7) 8) 492
—
Siehe auch oben Dok. Nr. 15, Anm. 8 und Abschnitt 1 b der Einleitung. Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 1, S. 1 ff. Zum Becker-Entwurf siehe oben Dok. Nr. 11. Siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 7. Zu Beckers Verärgerung über die Haltung der CDU in der
Siebzehnte
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Nun darf ich
zu unserem Thema zurückkommen. Würden Sie mit dieser von der Redaktionskommission ausgearbeiteten Idee immer auf der Grundlage dieses Systems gesehen einverstanden sein? Ich halte es von meinem Standpunkt aus für eine gute Verbesserung. Walter: Ich glaube, wir sind immer damit einverstanden, nur unter dem Vorbehalt, daß wir nachher für unsern Vorschlag stimmen. Wenn wir etwas ablehnen, werden wir es sagen. Vors. [Dr. Becker]: Dann sind Sie also auch damit einverstanden, daß dann eine kleine Kommission das in Worte kleidet, damit wir uns jetzt nicht damit aufzuhalten brauchen. (Stock: Das könnte ja dieselbe Kommission sein!) —
—
[2. BESPRECHUNG DES VOM REDAKTIONSKOMITEE DES WAHLRECHTSAUSSCHUSSES REDIGIERTEN WAHLGESETZENTWURFES
(FORTS.)]
[2a. Wahlvorbereitung (§§ 19-26)] Dann kommen wir
zu III. Wahlvorbereitung, und zwar zu §19. ob Darf ich fragen, das Wort dazu gewünscht wird? sind Das (Stock: ja mehr technische Vorgänge!) Wortmeldungen liegen nicht vor, wir kommen zur Abstimmung. Ich nehme an, daß sich die Herren der Wer ist für diesen Paragraphen? CDU enthalten und die Abstimmung im übrigen läuft, wie sie auch gestern geWenn sich kein Widerspruch erhebt, stelle ich fest, daß § 19 anlaufen ist. genommen ist. —
—
—
§20!
Kaufmann: Hier wäre jetzt zweckmäßig, die Bestimmung über die Wahlkreisverbandsleitung einzuschalten. Vors. [Dr. Becker]: Ja. Wir müßten dann schreiben: „Der Landeswahlleiter ist in den und den Staaten zugleich auch der Leiter des Wahlkreisverbandes; Kaufmann: Ich meine nur: Es gehört in diesen Paragraphen hinein. Vors. [Dr. Becker]: Es wäre Württemberg-Baden einerseits und Hamburg ande—
—
rerseits.
Darf ich annehmen, daß § 20 in dieser Fassung mit derselben Mehrheit wie die übrigen Paragraphen angenommen wird?9) —
Wahlrechtsfrage im allgemeinen und zu ihrer Ablehnung seines eigenen Vorschlages im besonderen siehe oben Abschnitt 2 a der Einleitung. ') Die Verabschiedung des § 20 und insbesondere die Bestimmung über die Ernennung des Bundeswahlleiters durch den Pari. Rat barg trotz der hier an den Tag gelegten Übereinstimmung der Abgeordneten weitreichende Probleme. Becker hatte in seinem ersten Wahlgesetzentwurf die Ernennung durch den Bundesinnenminister vorgesehen (Drucks. Nr. 197/11; siehe oben Dok. Nr. 11), den es für die erste Bundestagswahl allerdings noch nicht geben konnte. Diederichs und Kaufmann hatten dagegen in ihren Wahlgesetzentwürfen (Drucks. Nr. 178, 266, 474 bzw. 450, siehe unten Dok. Nr. 20) die Ernennung des Bundeswahlleiters durch den Pari. Rat vorgesehen. Diese Form wurde 493
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zu §21 über die Abgrenzung der Wahlkreise in Ländern. Hier muß der dritte Satz gestrichen werden, weil wir Bremen und Niedersachsen geteilt haben. Dann kommt der 2. Absatz, der sich auf Berlin bezieht. Den hatten wir gestern
Wir kommen
vorweg
miterörtert10).
Zum ersten Satz: Ist es notwendig, daß die Abgrenzung der Wahlkreise durch einen Landeswahlausschuß erfolgt? Dr. Diederichs: Herr Kaufmann, ich bin gerade vor zwei Tagen von einem Herrn aus Holstein daraufhin angesprochen worden. Er fragte mich, ob wir so etwas vorgesehen hätten. Es gäbe eine Reihe von Ländern, in denen das bereits üblich sei. Ich kann mir vorstellen, daß Bremen es als etwas reichlich empfinden würde, wenn es für seine Aufgabe einen zwölfköpfigen Ausschuß kriegen sollte. Kann man nicht vielleicht sagen: „ein Landeswahlausschuß, in dem alle im Parlament vertretenen Parteien vertreten sein müssen" und es im übrigen den Ländern überlassen? Heiland: Ich würde meinen, daß wir beim Wahlausschuß bleiben, weil er in den verschiedensten Ländern schon besteht, und ich würde dafür sein, daß man seine Zahl doch irgendwie festlegt; denn der Bremer Ausschuß wird in einer halbstündigen Sitzung mit seiner Aufgabe fertig sein, während in Ländern wie bei uns, wo viele Wahlbezirke gebildet werden müssen, die Sitzung doch etwas länger dauern wird. Ich würde das nicht als Hindernis ansehen und mich für die klare Formulierung aussprechen. Kaufmann: Wahrscheinlich wird der Landeswahlausschuß auch noch eine andere Aufgabe haben. Die Sache spielt sich bestimmt so ab wie früher, daß der Direktor des statistischen Landesamtes sagt: so und so liegen die Dinge und daß die andern dann sagen: jawohl, das ist in Ordnung. Also große Funktionen kann ich mir für den Landesausschuß nicht denken, es sei denn, daß er noch andere Aufgaben zugewiesen erhält. Vors. [Dr. Becker]: In § 4 des Entwurfs der CDU ist sogar die Rede davon, daß die gesetzgebenden Körperschaften diese Einteilung vornehmen. Ich glaube, demgegenüber ist unser Entwurf beweglicher, so daß wir es wohl dabei belassen können. Kaufmann: Wollen Sie keine Vorschriften über die Zusammensetzung des Landeswahlausschusses machen? Unser Vorschlag über die gesetzgebende Körper-
Kaufmann:
—
Wahlrechtsausschuß schließlich ohne weitere Diskussion angenommen. Der überarbeitete Kompromißentwurf Beckers (Drucks. Nr. 577/11) und der vom Plenum am 24. Feb. 1949 beschlossene Wahlgesetzentwurf übernahm diese Regelung, die aber im krassen Gegensatz zu den Vorstellungen der Alliierten stand. Diese wollten die Ernennung des Bundeswahlleiters ebensowenig der Kompetenz des Pari. Rates zuordnen wie die grundsätzliche Frage der Verabschiedung eines Wahlgesetzes. Insbesondere im letzteren Falle habe der Pari. Rat lediglich ein Vorschlagsrecht (siehe auch oben Abschnitt 1 a der Einleitung. Der britische Verbindungsoffizier Chaput des Saintonge bekräftigte darüber hinaus noch am 7. Feb. 1949 die Ansicht, daß die Ernennung des Bundeswahlleiters Sache der Ministerpräsidenten sei (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 7. Feb. 1949, BA Z 12/121, Bl. 106). 10) Siehe oben Dok. Nr. 17, TOP 2 c. vom
494
Siebzehnte Sitzung 14. Dezember 1948
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schaft ist doch nur deshalb gemacht, weil die Wahlkreiseinteilung früher eine merkwürdige Mathematik gehabt hat11) und wir der Meinung sind, daß die gesetzgebende Körperschaft die Möglichkeit haben soll, sich eventuell einzuschalten.
(Dr. Diederichs: Das steht ja drin!) Vors. [Dr. Becker]: Die werden doch vom Verhältniswahl
Landtag nach
den Grundsätzen der
gewählt.
(Stock: Man kann ja auch das
ganze Parlament einschalten!) Dr. Diederichs: Das entspricht dann der Zusammensetzung des Landtags. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich annehmen, daß dieser Punkt erledigt ist und daß Abs. 1 angenommen ist, wobei wir uns darüber klar waren, daß der letzte Satz
gestrichen
werden muß.
Dann Abs. 2! Da haben wir erwogen, daß man es den Berlinern überlassen muß, ob sie Berlin in kleinere Wahlkreise unterteilen wollen oder nicht, und daß im Ostsektor die Durchführung einer freien Wahl unter Umständen nicht möglich sein wird; dann würde die Zahl der Wahlkreise in Berlin auf zwei herabgesetzt werden. Auch das wollten wir objektiv in diesen Paragraphen hineinbringen, um Berlin als Ganzes nicht so ohne weiteres schon als geteilt hinzu-
stellen. Dr. Diederichs: Dadurch, daß wir den Wahlkreisverband geschaffen haben, wäre vielleicht die grundsätzliche Einteilung Berlins in drei bzw. zwei Wahlkreise ohne diesen Zusatz möglich. Berlin hätte dann ja diese Möglichkeit, und dann müßte man Berlin in die Aufzählung derjenigen aufnehmen, die einen Wahlkreisverband bilden. Dann hat Berlin praktisch das, was die andern Länder auch haben, dann hat es seine drei Wahlkreise, und dann kann es seine Kandidaten in verschiedenen Wahlkreisen aufstellen. Dann müssen sie untereinander abrechnen und ihre Reststimmen verwerten. Mit dieser Zwischenschaltung des Wahlkreisverbandes würde Berlin dann wieder zur Einheit werden. Vors. [Dr. Becker]: Gut! Das können die Berliner dann machen, wie sie wollen. Sind Sie mit dem Zusatz einverstanden, daß wir Berlin dieselbe Möglichkeit geben, einen Wahlkreisverband zu bilden?
(Zustimmung.)
Dann darf ich annehmen, daß § 21 in der vorliegenden des dritten Satzes des Abs. 1 angenommen ist.
Fassung
mit Ausnahme
§22! Da muß ich etwas vorausschicken. Im Redaktionsausschuß hatten wir uns, aber
auch den durchführenden Landesregierungen, die Sache insofern leicht machen wollen, indem wir auf alle technischen Einzelheiten die Landesgesetze der letzten Landtagswahl einfach als entsprechend anwendbar erklären wollten. Wir hatten nur einige Sätze, die wir als besonders markant hervorheben wollten, auch noch hier besonders aufgeführt.
n] Gemeint ist hier die ungleiche, und die politische Wirklichkeit verzerrende Wahl-
kreiseinteilung
in der Zeit des Kaiserreiches. Siehe hierzu auch oben Dok. Nr. 12,
Anm. 57. 495
Nr. 18
Siebzehnte Sitzung 14. Dezember 1948
Nach dieser Redaktionsarbeit ist mir dann
daß wir vergessen hain da den Landesbestimmunbestimmen, ja gen nichts darüber enthalten sein kann, was die Bundesliste betrifft. So bitte ich um Indemnität, wenn ich Uber den Rahmen der Redaktionskommission hinaus einiges zusätzlich vorgeschlagen haben, was noch nicht besprochen worden
ben, für die Bundesliste
etwas
eingefallen,
zu
ist.
§23 enthält eine Allgemeinklausel. Er sagt im ersten Satz: Bei dem Kreiswahlleiter sind Kreiswahlausschüsse, bei dem Bundeswahlleiter ein Bundeswahlausschuß zu bilden.
Hier müßte jetzt eingefügt werden, daß bei dem Landeswahlleiter, der gleichzeitig Vorsitzender des Wahlkreisverbandes ist, ein Verbandswahlausschuß zu bilden wäre; denn er muß ja nun die Feststellung der Ergebnisse im Wahlkreis-
verband vornehmen. Darf ich zunächst einmal diese Frage zur Debatte stellen? Heiland: Ich würde der größeren Klarheit wegen doch dafür sein, diese Frage auch in diesem Gesetz materiell zu regeln. Die Verschiedenheit der einzelnen Ländergesetze wird so groß sein, daß wir doch mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß zum Beispiel auch bei der Wahlscheinausstellung verschiedene Modalitäten zur Anwendung kommen, die zu Disharmonien usw. führen können. Ich weiß nicht, ob es so viel ausmacht, wenn wir diese Frage materiell regeln. Ich wäre der größeren Klarheit wegen dafür. Vors. [Dr. Becker]: Persönlich schließe ich mich den Vorschlägen des Herrn Heiland an. Ich darf darauf hinweisen, daß mein damaliger Antrag gerade diese Dinge enthielt. Ich muß aber loyalerweise hinzufügen, daß ich sie aus der Reichsstimmordnung von 192412) abgeschrieben habe. Aber das schadet ja nichts. Was sich damals bewährt hat, kann man ja ruhig weiter verwenden. Für uns im Redaktionsausschuß ist die Frage nur die, ob man noch die ganzen Vorschriften über die Größe der Wahlurnen, über die Größe der Wahlscheine, über die Formalien usw. für das ganze Bundesgebiet aufstellen muß, oder ob man das alles, wie auch die Wählerlisten, das Protokoll über die Wahlhandlung, über die Ermittlung des Wahlergebnisses usw., nicht doch einfach auch nach Landesrecht machen lassen soll. Dr. Diederichs: Ich persönlich wäre grundsätzlich dafür, daß wir diese technischen Vorschriften weitestgehend den landesüblichen Handhabungen überlassen und hier nur einen Hinweis darauf machen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir hier von der Aufnahme solcher Einzelvorschriften für den Bund grundsätzlich Abstand nehmen sollten, zumal wir ja nur ein einmaliges Gesetz machen, das nur für diese eine Wahl gilt; denn erstens wissen wir nicht, was für ein neues Wahlgesetz der erste Bundestag machen wird und zweitens gibt es kein Land, in dem nicht mindestens schon drei-, vier-, fünfmal seit 1945 gewählt worden ist. Da hat sich ein gewisser Modus eingespielt, und die einzelnen Länder kennen alle ihre Vorschriften. Wenn wir jetzt hier für die Zentrale
12) Verordnung über Reichswahlen und -abstimmungen (Reichsstimmordnung) vom 14. März 1924 (RGBl. I, S. 173). Becker meint hier seinen ersten Wahlgesetzentwurf (siehe oben Dok. Nr. 11).
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noch besondere Vorschriften machen, die vielleicht davon abweichen, so richErachtens damit Unheil an. Die einzelnen Länder sollten es machen, wie sie es gewohnt sind. Wenn die grundsätzlichen Berechnungsmodi und einige Bestimmungen über die Gültigkeit von Scheinen usw. vorhanden sind, sollten wir alles andere auf sich beruhen lassen. Ich bin also grundsätzlich dagegen, in dieses Gesetz solche Einzelheiten aufzunehmen. Kaufmann: Ich bin derselben Ansicht. Wir brauchten also bei den §§ 22 und 23 nur dasjenige herauszusuchen, was unter allen Umständen zentral geregelt werden müßte. Das wäre vor allen Dingen die Erteilung von Wahlscheinen, die ja über das ganze Bundesgebiet einheitlich geregelt werden müßte; bei der Auslegung der Wählerlisten, beim Einspruchsverfahren und einigen anderen Dingen wäre es vielleicht zweifelhaft, ob man diese Dinge zentral regeln müßte. Die Ermittlung des Wahlergebnisses ist auch landesüblich. Vors. [Dr. Becker]: Das habe ich nur geregelt, weil es ja bis zum Bundeswahlleiter herauf gehen muß und dafür keine Vorschrift vorhanden ist. (Zuruf des Abg. Kaufmann.) Wenn alle Länder die Wahlscheine kennen, wird der Zusatz genügen, daß die Wahlscheine im ganzen Bundesgebiet gelten. Dr. Diederichs: Es heißt ja auch „sinngemäß; jedoch müssen die Bestimmungen dieses Gesetzes werden". Damit ist meines Erachtens diesem eingehalten Erfordernis Rechnung getragen. Vors. [Dr. Becker]: Für die Durchführung ist es natürlich klarer, wenn der Wahlleiter die Bestimmungen in einem Gesetz zusammen hat, als wenn er zwei Gesetze nebeneinander legen und miteinander kombinieren muß. Kaufmann: Wenn wir bei der Wahlscheinbestimmung einfach ein Komma setzen und sagen: die für das gesamte Bundesgebiet Geltung haben", so wird das genügen. Vors. [Dr. Becker]: Ich glaube, es kommt noch einmal irgendwo. Kaufmann: In § 22 sehe ich sonst nichts. Dr. Diederichs: In § 25 heißt es: Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlbezirk des Bundesgebietes wählen. Danach ist es also klar, daß Wahlscheine eben überall gültig sind, und daß sie so auszustatten sind, daß sie überall anwendbar sind. Außerdem wird dafür wahrscheinlich ein genormtes Formular herausgegeben werden. Vors. [Dr. Becker]: Wenn wir auf der Grundlage des § 22 weiter verhandeln wollen, darf ich vielleicht bitten, daß wir uns zwischendurch schon einmal notieren, was auf Grund unserer praktischen Erfahrungen doch noch zentral geregelt, werden müßte, und am Schluß würden wir dann feststellen, bei welchen Paragraphen wir es am zweckmäßigsten einschalten würden. Würden Sie damit einverstanden sein, so zu verfahren? Dann stelle ich § 22, über den wir ja schon debattiert haben, zur Abstimmung, wenn das Wort nicht mehr gewünscht wird. Das scheint nicht der Fall zu sein. Wer für § 22 ist, den bitte ich, die Hand zu heben. § 22 ist mit 5 Stimmen bei sonstiger Stimmenthaltung angenommen. ten wir meins
—
..
.
.
.
.
„,
—
—
497
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§23! Da müßte hinzugefügt werden: Bei den in § genannten Leitern der Wahlbezirksverbände ist ein Ver..
bandswahlleiter zu bilden. Dr. Diederichs: Wir können es zusammenfassen und kurz sagen: Bei den Wahlleitern aller Stufen dann haben wir die Kreis-, die Landes-, und den Bundeswahlleiter erfaßt ist je ein Wahlausschuß nach den Grundsätzen des § 21 zu bilden. Wir haben doch in § 21 den Landesausschuß. Hier ist der Landeswahlleiter genannt, während in § 23 nur von den Kreis- und den Bundeswahlleitern die Rede ist. Vors. [Dr. Becker]: Weil wir bisher auf der Landesstufe keine Wahlermittlung hatten. Nachdem wir sie jetzt auf der Verbandsstufe haben, müssen wir das —
-
einfügen.
Dr. Diederichs: Entweder müssen wir in § 23 auf die Bildung eines Ausschusses analog § 21 Bezug nehmen, oder wir müssen hier den Landeswahlleiter noch mit einfügen. Vors. [Dr. Becker]: Wir dürfen die Aufgaben miteinander nicht verwechseln. Jeder Wahlausschuß hat nur die Wahlkreiseinteilung zu bestimmen, während wir
hier in § 23 doch gesagt haben: „Die Zusammensetzung der Kreiswahlausschüsse" das heißt derjenigen, die für die technischen Vorbereitungen und für die „und ihre Zuständigkeit beErmittlung des Wahlergebnisses zuständig sind stimmt sich nach Landesrecht". Das ist also etwas ganz anderes. Dr. Diederichs: Wir würden aber doch vermutlich diesem Landeswahlausschuß nach §21, wovon Herr Kaufmann ja schon sprach, auch diese Funktion mitgeben, weil er sonst praktisch nichts weiter zu tun hätte. Er könnte nachher auch bei den anderen Aufgaben, die wir hier nach dem Landesrecht bei den Kreiswahlleitern haben, mitwirken. Vors. [Dr. Becker]: Aber nur in den Ländern, die für sich allein einen Wahlkreisverband bilden, während wir in den kombinierten Ländern einen Ausschuß von 36 Leuten bekämen. Stock: Nein, da wählen nicht drei Länder zwölf Leute. Da müssen doch die Reststimmen verteilt werden! Dr. Diederichs: Ganz so stimmt es nicht; denn der Landeswahlleiter hat ja auch in dem kombinierten Gesamtausschuß die Einteilung der Wahlkreise zu bestimmen. Das bedeutet allerdings bei zwei Ländern, die insgesamt nur einen Wahlkreis bilden, daß er in dieser Beziehung keine Aufgaben hat. Das ergibt sich von selbst. Vors. [Dr. Becker]: Da ist er nur eine Durchgangsstelle. Dr. Diederichs: Da ist praktisch ein Wahlkreis; da hat er mit der Aufgabe der Wahlkreiseinteilung nichts zu tun. Er würde aber mit den anderen Wahlleitem bezüglich der Verteilung der Restmandate zusammenwirken. Vors. [Dr. Becker]: Dann bekommen die kleinen Bezirke also dreimal zwölf Leute. —
—
498
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Nr. 18
Dr. Diederichs: Ich würde vielleicht annehmen, daß die bei diesen Aufgaben zusammenwirken und jeder ein paar Leute hinschickt. Vors. [Dr. Becker]: Dann müssen wir das regeln. Stock: Ich würde sagen: Der Kreiswahlverband bildet genau wie bei den Kreiswahlausschüssen ebenfalls Vors. [Dr. Becker]: Ist es Ihnen recht, daß wir in der kleinen Kommission auf dieser eben besprochenen Grundlage das ebenfalls redigieren? Kaufmann: Das kann in § 23 praktisch zusammengezogen werden, wenn man .
.
.
sagt:
jedem Wahlleiter (Kreis-, Wahlkreisverbands- und Bundeswahlleiter) sind Wahlausschüsse zu bilden. Und dabei wäre dann auf § 21 hinzuweisen. Bei
(Stock: Das geht!) Vors. [Dr. Becker]: Nein! Den Kreiswahlausschuß kann man nicht auch noch aus dem Landtag wählen. Wenn wir es regeln wollen, müssen wir es schon etwas genauer machen. Da müssen wir auf § 21 Bezug nehmen. (Stock: Warum denn Bezug nehmen?) Vors. [Dr. Becker]: Herr Kaufmann hatte vorgeschlagen, auf § 21 zu verweisen. (Abg. Kaufmann: In Bezug auf die paritätische Zusammensetzung!) Da müssen wir es hier hineinschreiben. Es ist das Beste, wir redigieren erst einmal den Text und gehen dann weiter. Aber grundsätzlich würden Sie mit dem Grundsatz des Paragraphen vorbehaltlich der Redaktionsarbeit einverDann darf ich Ihr Einverständnis als gegeben annehmen. standen sein? Wir kommen jetzt zum zweiten Absatz: Der Bundeswahlausschuß besteht aus dem Bundeswahlleiter den müssen wir hier hineinnehmen, weil Landesrecht als Bundespraxis —
—
noch nicht bestehen kann und sechs von ihm ausgewählten Wahlberechtigten und der gleichen Anzahl Stellvertreter. Ich glaube, man kann dem Mann wohl zutrauen, daß er da paritätisch verfährt. Er ist nicht so ängstlich. Dr. Diederichs: Er wird sie nicht alle aus einer Richtung nehmen schon zu —
—
seiner eigenen Entlastung! Vors. [Dr. Becker]: Also sind Sie grundsätzlich einverstanden? Dann kommen wir zu §24. Den habe ich wörtlich aus dem alten Wahlgesetz13) abgeschrieben, denn für die Seeleute haben wir sonst nichts, und diese Bestimmung scheint sich bewährt zu —
—
haben.
§
24 ist
ja
zur
gewünscht? Wortmeldung liegen nicht
Ihnen bekannt. Wird das Wort
See
gefahren14)! —
') Gemeint ist §
ordnung)
12 der Verordnung über Reichswählen und 14. März 1924 (RGBl. I, S. 173).
—
Kollege Heile,
vor.
Sie sind Dann stelle ich §24
-abstimmungen (Reichsstimm-
vom
die Jahrhundertwende als Heizer und Maschinist zur See gefahren, bevor der Technischen Hochschule in Hannover ein Schiffbaustudium absolvierte. Siehe hierzu auch seine autobiographischen Aufzeichnungen (BA NL 132 (Heile)/Bd 31).
) Heile
war um
er an
499
Nr. 18 zur
Siebzehnte
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Darf ich annehmen, daß
Abstimmung.
er
in der
bisherigen
Form angenom-
wird?
men
§25!
—
Hier ist wohl alles klar. ist.
Dann darf ich wohl
annehmen, daß
er
angenommen
—
-
§26!
ja alles sinngemäß aus früheren Gesetzen abgeschrieben. Jeder, der in eine Wählerliste (Wahlkartei) eingetragen ist, ist von seiner Eintragung spätestens am vierten Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist von
Das ist
der Gemeindebehörde
zu
benachrichtigen.
Das hatten wir früher schon einmal besprochen15). Diese Bestimmung soll den Zweck haben, daß jeder, ohne daß er zum Rathaus zu laufen braucht, weiß, ob er eingetragen ist oder nicht, und sich innerhalb von drei Tagen noch melden
kann. Das ist nicht der Fall. Darf ich fragen, ob das Wort dazu gewünscht wird? Dann darf ich wohl annehmen, daß auch dieser Paragraph angenommen ist. —
—
[2b. Wahlhandlung (§§ 27-28)] IV. Wahlhandlung, und zwar zu §27, der die Abstimmungszeit
Wir kommen zu betrifft. Das ist ebenso wie in den früheren Gesetzen
Heiland: Ich würde
grundsätzlich
(Stock: Ja, immer
von
„von
geregelt.
acht Uhr bis 18 Uhr" sagen.
acht bis 18 Uhr!)
Dann kann die jahreszeitliche Unterscheidung wegfallen. Vors. [Dr. Becker]: Einverstanden! Findet der Vorschlag Ihr Zustimmen? Bei den Dörfern können wir die Zeit etwas kürzen. Kaufmann: Ich habe dagegen Bedenken. Ich erinnere nur an die Leute mit Wahlscheinen. Wenn man morgens etwas später anfinge, wäre es unbedenk—
lich. Stock: Sagen wir auch da: von 8 bis 18 Uhr. Dr. Diederichs: Man sollte überhaupt keine Ausnahmen machen. Vors. [Dr. Becker]: Dann wollen wir überhaupt den zweiten Satz weglassen. Dr. Diederichs: Wir sagen grundsätzlich und ohne Ausnahme: von 8 bis 18 Uhr. Stock: Lassen wir ihn ganz weg! Das ist am allerbesten. Vors. [Dr. Becker]: Dann würde § 27 lauten: Die Abstimmungszeit dauert von 8 bis 18 Uhr. Alles andere kann wegfallen. Sind Sie damit einverstanden?
(Zustimmung.)
Dann kommt § 28. Den müssen wir genauer
durchsprechen. Hier sind nicht nur die allgemeinen Ungültigkeitsfragen regeln, sondern gerade auch die Fragen, die sich vielleicht aus den drei Stimmen ergeben können. zu
15) Siehe oben Dok. Nr. 10, TOP 500
5
a.
Siebzehnte
Ungültig
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Nr. 18
sind Stimmzettel,
(1) die nicht in einem amtlich abgestempelten
Umschlag
oder die in einem
mit Kennzeichen versehenen Umschlag abgegeben worden sind. Dann darf ich Wird zu diesem Abschnitt das Wort gewünscht?
annehmen,
daß darüber Einverständnis herrscht. (2) die als nicht amtlich erkennbar sind. Wird hierzu das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall, dann darf ich andaß auch Absatz nehmen, dieser genehmigt ist. deren aus (3) zulässiger Kennzeichnung die Wahl des Abstimmenden nicht unzweifelhaft zu erkennen ist. Das ist jetzt eine Bestimmung, die wir eventuell besprechen müßten, und zwar am besten zusammen mit der später hinter Nr. 6 kommenden Bestimmung. Ich darf Ihr Einverständnis damit annehmen, daß wir das einstweilen ausset—
—
—
zen.
(4) die mit Vermerk oder Vorbehalt versehen sind. Das kann
man wohl ohweiteres annehmen. Kaufmann: Das ist zu einem Teil verschieden gehandhabt worden. Wenn wirklich einer der ausgezeichneten Volksgenossen das Bedürfnis hat, den Götz von Berlichingen darauf zu zitieren oder sonst etwas, selbst einen Scherzvers, darauf zu schreiben, wäre er ungültig. (Stock: Dann ist er ungültig!) Solche Sachen haben wir mit einigem Humor behandelt, soweit es sich nicht um Unflätigkeiten handelte. Aber das sollte nicht ohne weiteres so formuliert werden. Sie kommen sonst tatsächlich mit dem gesunden Humor einiger Wahlausschüsse in Konflikt. Vors. [Dr. Becker]: Dann müßten wir das Wort „Vermerk" weglassen. Aber das Wort „Vorbehalt" muß stehenbleiben. Kaufmann: Dann ist es vollständig klar. Stock: Ich bin nicht so ohne weiteres mit dem Vorschlag des Herrn Kollegen Kaufmann einverstanden. Wir haben das im bayerischen Landeswahlausschuß strikt abgelehnt. Wenn irgendein Vers auf dem Stimmzettel stand und in 99 % der Fälle war es ja kein schöner —, dann wurde der Stimmzettel für ungültig erklärt. Denn eine Wahl ist nicht dazu da, daß jemand irgendeine persönliche Verärgerung da oder dort vermerkt, sondern er soll nur seinen Stimmzettel abgeben und diejenigen wählen, die er für das Parlament für geeignet hält. Solche Stimmzettel haben wir unbarmherzig für ungültig erklärt, und ich glaube, wir müssen daran festhalten; denn sonst kommt es auf die Auffassung des betreffenden Wahlausschusses an: der eine faßt einen Vers für einen Jux auf und erklärt den Stimmzettel für gültig, und der andere sagt: Es ist doch eine Gemeinheit, so etwas darauf zu schreiben, der Stimmzettel ist ungültig. Das geht natürlich nicht. Der Wähler hat nur entweder die Partei oder die Person anzukreuzen. In Bayern haben wir es folgendermaßen gemacht. Da hatten wir ja auch mehrere Stimmen für den Einzelnen. Nehmen wir einmal die Gemeindewahlen: wenn 32 Stadträte gewählt werden sollten, hatte der Wähler 32 Stimmen. ne
—
(Heiterkeit) 501
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Aber das war gut. Nun hatte aber jemand nicht kumuliert und nicht panaschiert, sondern er hatte nur oben in die Parteiliste sein Kreuz gemacht. Damit hatte er seine 32 Stimmen abgegeben; denn das war ein Zeichen dafür, daß er die Parteiliste wählen wollte, und analog der Aufstellung hat auch jeder Kandidat dann von diesen Wählern diese Stimmen bekommen. Wenn jemand Panaschieren wollte, hat er oben kein Kreuz gemacht, sondern vielleicht vier Namen von der Sozialdemokratie, vier oder fünf Namen von der CDU usw. angekreuzt. Er hatte auch für einen Kandidaten drei Stimmen gehabt, so daß er seine Stimme nicht 32 Leuten geben mußte, sondern er konnte zehn Leuten je drei Stimmen geben. Und das halte ich für richtig. Wenn nun ein Stimmzettel fünf oder sechs Parteien enthält und jemand oben beim Namen der Partei ein Kreuz gemacht hat, dann gelten seine drei Stimmen für diese Liste, aber der Reihenfolge nach. Dann hat er also die ersten drei gewählt. Das hat sich in Bayern sehr —
gut ausgewirkt.
Frau Wessel: Ich glaube, wenn jemand nur die Partei ankreuzt, sollte man das durchaus als gültig ansehen, schon deshalb, weil ja die Parteistimmen zusammengezählt werden. Man brauche noch nicht einmal zu sagen: die ersten drei; sondern die Stimmen der Partei werden ja zusammengezählt, und dann entfallen auf diejenigen, die die meisten Stimmen bekommen haben, auch diese insgesamt angekreuzten Parteinamen. Darin liegt keinerlei Schwierigkeit. Schwieriger wäre es schon, wenn er zwei Parteien angekreuzt hätte. Die Frage ist dann, was gültig sein soll. (Stock: Dann ist der Stimmzettel ungültig!) Das meine ich auch. Vors. [Dr. Becker]: Ich muß hierzu bemerken, daß gerade zu diesem Paragraphen, zu diesen drei Stimmen, die Auffassung in unserer Fraktion keineswegs einheitlich ist, daß er die größten Bedenken ausgelöst hat, insbesondere nachdem ja in den letzten Tagen aus Hannover Nachrichten gekommen sind, wonach es dort zu vielen Unzulänglichkeiten geführt habe16). Zunächst wird eingewendet, daß Schwierigkeiten dadurch entstünden, daß dieses Wahlverfahren in Gegenden durchgeführt werde, die es noch gar nicht kennen; zum Beispiel bei uns in Hessen kennen wir es noch nicht. Stellen Sie sich vor, wenn dann ungelenke Leutchen vom Lande oder alte Frauen da sitzen und bei einem Wahlzettel mit 20 Namen herumbuchstabieren und suchen, ob es der Johannes Hoffmann oder der Adam Hoffmann ist, den sie wählen wollen. Das zweite Bedenken: Wenn auf dem amtlichen Stimmzettel hinter der Partei überhaupt keine Bezeichnung ist, (Stock: Die muß oben sein!) dann werden die Leute irre. Die Leute sollen doch Personen wählen. Wenn Herr Stock das Bedenken lösen will, wird jeder oben bei der Partei sein Kreuz machen; und wenn er nun da sein Kreuz gemacht hat, und außerdem noch zwei Kreuze bei —
16) Becker spielt hier offensichtlich auf die relativ hohe Anzahl der ungültigen Stimmen die
vom
502
an,
bei den niedersächsischen Gemeinde- sowie Landkreis- und Stadtkreiswahlen 28. Nov. 1948 gegeben hatte (vgl. oben Dok. Nr. 15, Anm. 10).
es
Siebzehnte
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macht, und ein Kreuz bei einer anderen Partei, dann ist der ganze Stimmzettel ungültig, weil er in sich widerspruchsvoll ist. Stock: Wenn jemand sein Kreuz bei der Parteiliste gemacht hat und außerdem noch zum Beispiel zwei Sozialdemokraten und ein Mitglied der CSU eigens angehakt hat, dann haben wir die Stimmzettel gelten lassen, weil der Wille des Wählers ganz klar zu erkennen war: er wollte den Müller und Meier von der SPD und den Huber von der CSU wählen. Dann haben wir ihn gelten lassen, denn der Wille war ja klar zu erkennen. Vors. [Dr. Becker]: Gut! Das nächste Beispiel: Er hat auf der Liste bei einem Namen zwei Kreuze gemacht, bei einem nur eins. Sind die beiden Kreuze ungültig oder sind die beiden Kreuze als ein Kreuz zu rechnen, so daß er tatsächlich nur zwei Stimmen abgegeben hat. (Stock: Das sind zwei Stimmabgaben.) Frau Wessel: Ich würde es so rechnen und die dritte Stimme der Gesamtpartei zuzählen. Leuten der Partei
(Kaufmann:
Das
geht nicht!)
Heiland: Wir haben das Wahlrecht in der britischen Zone bei den Gemeindewahlen im Jahre 1946 praktiziert17). Die Gefahr, daß die Wähler damit nicht fertig würden, halte ich nicht für so groß. Jeder, der damals im Wahlgang irgendwie eingesetzt war, hat festgestellt, daß es verhältnismäßig wenig ungültige Stimmen gegeben hat. Was schon häufiger vorkam, ist, daß jemand seine drei Stimmen nicht ausgenutzt hat. Wenn er nur einen Namen angekreuzt hatte, wurde nur eine Stimme anerkannt. Wenn er zwei angekreuzt hat, hat er auf ein Drittel seines Wahlrechts verzichtet. Ein absolut vollkommenes Wahlrecht für alle werden wir wohl nicht schaffen, weil wir die verschiedensten Meinungen und Nuancierungen haben. Für eine Partei könnte man schon ein vollkommenes Wahlrecht nach ihrem Standpunkt schaffen, aber das geht zu weit. Deswegen sehe ich da gar keine so große Schwierigkeiten. Dem Gedanken des Herrn Kollegen Stock, daß man oben auf dem Stimmzettel neben dem Parteinamen noch ein Kreuz macht und die Stimme für die Partei abgeben läßt, könnte ich mich vielleicht nähern, ohne daß ich ihn für wesentlich halte. Aber ich würde nicht grundsätzlich nein sagen. Ich könnte mich auch damit einverstanden erklären, daß man es nur auf die zwei Kandidaten abstellt. Daß der eine einmal sein Wahlrecht nicht ganz ausnutzt, wird jeder der Herren als Einzelfälle bestätigen müssen. Meistens sind die Leute sehr gut mit den Dingen fertiggeworden, und es hat gar nicht so viele ungültige Stimmen gegeben, wie man es heute hinzustellen versucht. Die Komplikation ist gar nicht so groß. Das deutsche Volk wird mit dem Wahlrecht besser fertig werden, als wir glauben. Vors. [Dr. Becker]: Wenn wir der Meinung sind, daß das Kreuz oben bei der Partei als drei Stimmen für denselben Wahlvorschlag gelten soll, dann müssen wir auch sagen: wenn er nun nur zwei Namen angekreuzt hat, ist es so aufzufassen, daß er auch seine dritte Stimme der Partei hat geben wollen, und wir werden nur festlegen müssen, wie es im Gesetz zu fassen sein wird. 7) Die Gemeindewahlen in der britischen Zone fanden in 14.
Schleswig-Holstein
statt
am
Aug. 1946, in NRW am 15. Sept. und in Niedersachsen und Hamburg am 13. Okt. 1946. 503
Nr. 18
Siebzehnte
Sitzung
14.
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Dr. Diederichs: Ich bin der Auffassung, man sollte solche Leute, die nur ein Kreuz machen und das können sie dann ja nur beim Namen der Partei genicht einen Teil ihres Wahlrechts verlieren lassen. Das kann macht haben man durchaus als drei Stimmen für den betreffenden Wahlvorschlag zählen; nur bei der Einzelwertung wäre jede Stimme für einen Kandidaten zu zählen. Da ist es natürlich nur eine Stimme, weil die anderen Kreuze nicht vorhanden sind. Aber er braucht damit nicht einen Teil seines Wahlrechts zu verlieren. Man könnte also sagen, dort, wo ein Wahlvorschlag eindeutig gewählt ist, sind alle drei Stimmen für diesen Wahlvorschlag abgegeben, so daß also ein Wahlvorschlag gewählt ist, ohne daß eine Spezialisierung oder die Bezeichnung der einzelnen Kandidaten notwendig wäre. (Dr. Diederichs übernimmt den Vorsitz.) Wenn zum Beispiel auf einen Wahlvorschlag die Partei oben und außerdem noch zwei Leute angekreuzt sind, dann bin ich der Ansicht, daß das gültig ist; denn es ist ganz eindeutig, daß dieser angekreuzte Wahlvorschlag gewählt wer—
—
den soll, und zwar diese drei Kandidaten. Heiland: Ich würde dann aber auch vorschlagen, daß die Redaktionskommission das noch einmal formuliert und wir dann zu dieser Formulierung Stellung neh-
men.
Kaufmann: Wenn wir dieses System überhaupt als möglich anerkennen, können wir nicht oben bei der Nennung des Parteivorschlages auch noch einen Kreis machen, in dem ein Kreuz kommt. Das paßt in dieses Verfahren nicht hinein. Das fühlen die Leute auch selbst, und wenn sie eine Auswahl treffen wollen, dann stehen hier die Namen aufgezeichnet, und die Leute machen quer ein Kreuz. Wenn sie oben und hinter jeden Kandidaten ein Kreuz machen, dann gibt das nur Verwirrung; dann sitzt nachher der Wahlvorstand da und überlegt, was der Wähler gewollt hat. Die Kreise gehören hinter die Namen, und derjenige, der diese Namen nicht einzeln auswählen will, macht das Kreuz im ganzen hin, das heißt: ich gebe der Partei drei Stimmen, und dann bekommen sie die drei ersten. Das ist jedem Wahlvorstand klar gewesen. Da heißt es einfach: Da ist der Wille des Abstimmenden einwandfrei zu erkennen. Aber wenn oben neben dem Wahlvorschlag selber auch noch ein Kreuz ist, würden Schwierigkeiten entstehen. Das geht nicht. Zu Ziffer 4: Mir ist es recht, wenn man generell jede Bemerkung untersagt, aber ich muß sagen, daß ich mir selbst mehrfach eine Auswahl solcher Zettel angesehen habe, und daß ich in vielen Fällen nicht den Eindruck gehabt habe, den andere Herren gehabt zu haben meinen. Wenn zum Beispiel im letzten schlimmen Winter eine Mutter unter ihren Stimmzettel schrieb: „Gebt meinen Kindern Brot!", muß man den Stimmzettel als gültig ansehen. (Stock: Dazu ist der Stimmzettel nicht da!) Das ist richtig. Trotzdem, wenn jemand „verdammter Schwindel" darauf geschrieben hat, hat man den Stimmzettel abgelehnt. Aber wenn eine Mutter darund es sind meistens Frauen geunter schreibt: „Gebt meinen Kindern Brot" haben die darunter so —, dann ist das kein Grund etwas wesen, geschrieben für die Ungültigkeit des Wahlzettels. Vielleicht findet die Kommission da eine Erläuterung: verächtlicher Vermerk oder irgend etwas derartiges. —
—
504
Siebzehnte
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Nr. 18
Frau Wessel: Ich möchte durchaus unterstützen, was Herr Kaufmann gesagt hat. Ich glaube auch, es wäre falsch, oben hinter der Parteibezeichnung noch einen Kreis zu machen; denn es kann ja nur in den Ausnahmefällen so gehen, daß man im Ganzen sein Kreuz macht. Zum zweiten könnte ich mir denken, daß bei diesen Bezeichnungen, die Sie zuletzt angeführt haben, keine böse Absicht vorgelegen hat, sondern daß die Bevölkerung das Gefühl hatte : Hier können wir auch einmal etwas sagen, was dann an die höhere Stelle weitergetragen wird. Natürlich müssen das unverfängliche Bemerkungen sein. Wenn es aber unflätige oder gehässige Bemerkungen sind, dann wäre ich der Auffassung, daß die Stimmen nicht mitgezählt werden dürfen. Aber wenn solche Bemerkungen darinnen stehen, dann kann man nur annehmen, daß der Wähler das Gefühl hat, er müsse nun sagen, was er auf dem Herzen hat, sonst komme seine Stimme nicht zu Gehör. Solche Zettel sollten ruhig gültig sein. Vors. [Dr. Diederichs]: Das wäre bezüglich Abs. 4 noch einmal zu überlegen. Wir kommen jetzt zu Nr. 5: (5) denen irgend ein durch den Umschlag deutlich fühlbarer Gegenstand
beigefügt ist. Das ist mir nicht ganz klar. Das hat einmal in standen. Stock: Damit ist gemeint: Wenn
jemand irgend
irgend etwas
einem alten Gesetz ge-
hineintut,
eine Bombe
Beispiel! Kaufmann: Ich weiß nicht,
zum
ob das notwendig ist. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich kann nicht sagen, daß das unbedingt notwendig wäre. Er tut zum Beispiel einen Hosenknopf hinein vielleicht nur deshalb, weil er beim Auszählen dabei ist und seinen Stimmzettel wiedererkennen möchte. Heiland: Das Hineinstecken eines Gegenstandes könnte auch den Zweck ha—
ben, den Stimmzettel kenntlich
zu
machen.
Vors. [Dr. Diederichs]: Dadurch könnte vielleicht auch die Stimme
ungültig
wer-
den. Heiland: An sich wäre es möglich, daß jeder seinen Stimmzettel selber in die Urne wirft. Stock: Ein anderer kann nichts hineintun! Wie sollte er das nur machen? Das kann doch nur der Abstimmende selber tun vielleicht um sagen zu können: der Umschlag, in dem der Hosenknopf war, enthielt meine Stimme, ich habe also Dich gewählt, und du siehst nun .! (Kaufmann: Ich glaube, es ist überflüssig.) Vors. [Dr. Diederichs]: Das glaube ich auch. Wir kommen zu Ziffer 6 : (6) auf denen mehr als drei Bewerber vom Abstimmenden als von ihm gewählt gekennzeichnet sind. Das gehört ja zum großen Teil in die Diskussion, die wir eben gehabt haben. Wenn mehr als drei Bewerber bezeichnet sind, ist es ganz klar, daß der Stimmzettel ungültig ist. Wir müssen uns nur darüber Wollten wir jetzt vorläufig Schluß machen? klarwerden, wann wir wieder zusammenkommen. Ich schlage vor: morgen früh um 9 Uhr. —
.
.
—
505
Nr. 19
Achtzehnte
Sitzung
15. Dezember 1948
Nr. 19 18.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 15.
Dezember 1948
Z 5/84, Bl. 2-39. Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 49-50, Drucks. Nr. 466
Wortprot.
Anwesend1) :
CDU/CSU: Kaufmann, Schräge, Walter, Schröter SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs (Vors.), Heiland Mit beratender Stimme: Heile (DP), Frau Wessel (Z)2) Stenografischer Dienst: Meidinger Ende: 10.45 Uhr Beginn: 9.15 Uhr
[1. BESPRECHUNG DES VOM REDAKTIONSKOMITEE DES WAHLRECHTSAUSSCHUSSES REDIGIERTEN WAHLGESETZENTWURFES
(FORTS.)]
[la. Wahlhandlung (§§ 28-43)]
Sitzung und stelle fest, daß wir beschlußsich sind. Herr Dr. Becker läßt entschuldigen; es geht im gesundheitlich fähig und hat er Vorsitz zu übernehmen. mich den schlecht, gebeten, Wir sind gestern bis zu § 28 gekommen, der die Frage der Ungültigkeit der abgegeben Stimmzettel behandelt3). Wir haben hierbei Ziff. 5 des Abs. 1 gestrichen und die Ziff. 1 bis 4 und 6 akzeptiert. Wir kommen nunmehr zu Abs. 2: Mehrere in einem Umschlag enthaltene Zettel gelten als eine Stimme, wenn sie gleichlautend sind oder wenn nur einer von ihnen eine gültige Stimmabgabe enthält; sonst sind sie ungültig. Abs. 3: Stimmzettel sind in soweit ungültig, als ein Bewerber vom Abstimmenden mehr als einmal als von ihm gewählt gekennzeichnet ist. Hinsichtlich anderer Kennzeichnungen sind sie, soweit nicht insgesamt mehr als 3 Bewerber gekennzeichnet waren, gültig. Ich möchte zu diesem Abs. 3 sagen, daß mir diese Bestimmung nicht ganz plausibel zu sein scheint. Wenn jemand im ganzen nur drei Kandidaten angekreuzt hat, ist es gleichgültig, ob er bei einem ein oder zwei Kreuze gemacht hat. Der Zettel ist auf jeden Fall gültig. Solange er nicht mehr als drei Bewerber angeVors. [Dr. Diederichs]: Ich eröffne die
1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Obwohl die Abgeordneten Heile und Wessel im Kurzprotokoll lediglich als beratende Ausschußmitglieder aufgeführt wurden, besaßen sie in dieser Ausschußsitzung offensichtlich Stimmrecht.
3) Siehe oben Dok. Nr. 18, TOP 2 b. 506
Achtzehnte Sitzung
15.
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Nr. 19
muß der kreuzt hat er hat ja drei Stimmen und kann drei Leute wählen Stimmzettel gültig sein. Ist hierüber jemand anderer Auffassung? Schröter: Ist denn der Fall denkbar, wie er hier in Abs. 2 vorgesehen ist, daß jemand auf den Gedanken kommt, mehrere Stimmzettel gleichlautend auszufüllen und sie in den Umschlag zu stecken? Der Absatz scheint mir überflüssig zu sein. Stock: Es wäre vielleicht nur ein Sicherheitsventil dagegen, daß es jemand mit Absicht tut. Das wäre ja möglich. Schröter: Aus welchem Grund? Stock: Aus welchem Grund schreibt einer auf den Stimmzettel: „Die Abgeordneten sind alle Lumpen"? natürlich ohne es mir zu eigen zu maSchröter: Das kann ich verstehen chen er verfolgt damit eine gewisse Absicht. Aber was hat er davon, mehrere Zettel auszufüllen und in den Umschlag zu stecken? Ist das nicht Theorie? Stock: Vielleicht kann es sein, daß er zur Wahl gehen und trotzdem keinen gültigen Stimmzettel abgeben wollte. Es passiert ja so vielerlei. Warum nicht auch das? Vors. [Dr. Diederichs]: Abs. 2 scheint doch nicht unwesentlich zu sein. Es könnte sein, daß beim Aushändigen der Stimmzettel zwei aneinanderheftende Zettel gegeben werden. Der Wähler füllt ihn aus und dann sieht man, daß der Zettel blanko ist. Soll dann seine Stimme ungültig sein, obwohl der Wähler daran unschuldig ist? Das wäre eine Möglichkeit, die natürlich schon ziemlich gering ist, aber die immerhin besteht. Schröter: Ist es denn unsere Aufgabe, auch diese letztmöglichen Fälle in Erwägung zu ziehen? Ich glaube, das ist nicht unsere Aufgabe. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich bin der Letzte, der hier die äußersten theoretischen Dinge hereinbringen will, weil ich auf dem Standpunkt von Schiller stehe: „Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten4)." Wir gehen diesen Weg mit Erfolg seit Wochen. Schröter: Schließlich sind doch auch im Wahlausschuß vernünftige Männer, die das entsprechend beurteilen können. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich glaube, wir können den Absatz entbehren; streichen wir ihn also heraus. Abs. 2 ist gestrichen. Abs. 3 Stimmzettel sind insoweit ungültig, als ein Bewerber von Abstimmenden mehr als einmal als von ihm gewählt gekennzeichnet ist. Hinsichtlich anderer Kennzeichnungen sind sie, soweit nicht insgesamt mehr als drei Bewerber gekennzeichnet waren, gültig. Das halte ich für verkehrt. Man kann so viel Kreuze machen,. als man will. Wenn im ganzen nicht mehr als drei Kandidaten gewählt werden, ist der Zettel gültig. Ich würde daher vorschlagen, auch den ersten Satz dieses Abs. 3 zu streichen. —
—
—
,
—
4) Teil
zu
Gertrud in Schiller: Wilhelm Teil (III, 1). 507
Nr. 19
Achtzehnte Sitzung
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Satz 2: „Hinsichtlich anderer Kennzeichen usw." besagt, daß es kein Kreuz zu sein braucht, sondern daß der Stimmzettel auch gültig ist, wenn der Wähler einen Haken macht. Schröter: Diesen Satz versteht man aber nicht, wenn er allein für sich steht. Heiland: „Hinsichtlich anderer Kennzeichen" versteht man jetzt, nachdem der erste Satz gestrichen ist, nicht mehr. Man kann sagen: „Ein Stimmzettel ist ungültig, wenn mehr als drei Bewerber angekreuzt sind." (Zuruf: Das steht ja schon darin.) Dann kann man diesen Satz auch streichen. Schröter: Es soll damit gesagt sein, daß man statt eines Kreuzes auch einen Haken machen kann. Vors. [Dr. Diederichsl: Ja, wenn damit eine eindeutige Kennzeichnung gegeben ist. Schröter: Muß das hinein? Ich glaube nicht. Frau Wessel: Wenn jemand nur einen Strich macht, sieht man ja auch, was er will. Vors. [Dr. Diederichsl: Daraus geht hervor, daß er gekennzeichnet ist. Wie, das ist nicht vorgeschrieben. Wir brauchen also diese Bestimmung nicht und wollen auch diesen Satz 2 streichen. Damit wird der ganze Abs. 3 gestrichen. Abs. 4: Enthält der Stimmzettel nur bei einem oder zwei Bewerbern des gleichen Wahlvorschlages eine Kennzeichnung, so gelten darüber hinaus als zweiter und dritter bzw. als dritter Bewerber derjenige bzw. diejenigen Bewerber von Abstimmenden als gewählt, die in der Reihenfolge des gleichen Wahlvorschlages die ersten sind, die vom Abstimmenden nicht selbst als gewählt bezeichnet sind; die Stimmenabgabe ist dann also hiernach im Wahlprotokoll auf drei Bewerber zu ergänzen. Auch diesen Absatz halte ich nicht für richtig. Wenn nun ein oder zwei Bewerber gekennzeichnet sind, dann will der Wähler eben nur für diese Personen seine Stimme abgeben. Heile: Hat der Wähler nur zwei Namen angestrichen, dann hat er nur zwei Stimmen abgegeben. Vors. [Dr. Diederichsl: Wir können auch den Abs. 4 entbehren. Dann bliebe nur übrig Abs. 1 Ziff. 1 bis 4 und Ziff. 6. Ziff. 6 würde dann Ziff. 5. Alles andere wird als überflüssig gestrichen. Wer den § 28 in dieser Form akzeptieren möchte, den bitte ich die Hand zu erheben. (§ 28 wird in dieser Form mit sieben Stimmen bei einer Stimmenthaltung
angenommen.) § 29: Sobald das Wahlergebnis festgestellt ist, hat es der Wahlvorsteher der Gemeindebehörde mitzuteilen, die es für ihre Wahlbezirke sammelt und an die untere Verwaltungsbehörde auf schnellstem Weg weiterleitet. Die untere Verwaltungsbehörde sammelt die Ergebnisse, stellt sie zusammen und leitet sie in einem Gesamtergebnis dem Kreiswahlleiter auf schnellstem Wege zu. Das ist eine rein technische Angelegenheit. Kein Widerspruch? Dann kann § 29 als akzeptiert gelten. —
508
Achtzehnte Sitzung
15.
Dezember 1948
Nr. 19
§30:
Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlvorstand Beschluß gefaßt hat, sind mit fortlaufenden Nummern zu versehen und der Niederschrift beizufügen. In der Niederschrift sind die Gründe kurz anzugeben, aus denen die Stimmzettel für gültig oder ungültig erklärt worden sind. Ist ein Stimmzettel wegen der Beschaffenheit des Umschlages für ungültig erklärt worden, so ist auch der Umschlag beizufügen. Heiland: Müssen diese Stimmzettel alle mit laufenden Nummern nach der Wahl versehen werden? Das gibt eine riesige Arbeit. Stock: Ja, das wird gemacht; das ist überall so. Heiland: Die Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlvorstand Beschluß gefaßt hat? Maier: Das sind nur die fraglichen, über deren Ungültigkeit entschieden wird. Vors. [Dr. Diederichs]: Nur die zweifelhaften, nicht die gesamten, über die eine Entscheidung getroffen wird. Schröter: Das geht aus dem Text nicht hervor. Sie wollen sagen, daß nur die ungültigen mit Nummern versehen werden? Maier: Die zweifelhaften, über die das Wahlkomitee zu entscheiden hat, ob sie gültig oder ungültig sind. Vors. [Dr. Diederichs]: Falls die Wahl angefochten wird, muß auf diese Stimmzettel zurückgegriffen werden. Deshalb müssen auch diejenigen Stimmzettel, die zweifelhaft waren, aber doch für gültig erklärt wurden, dabei sein, müssen laufend numeriert und im Protokoll enthalten sein. Auf die kommt es bei der Die
Prüfung
an.
Stock: Über die zweifelsfreien wird kein Beschluß gefaßt. Vors. [Dr. Diederichs]: Es handelt sich nur um die zweifelhaften, und da gibt es beide Möglichkeiten der Gültigkeitserklärung und der Ungültigkeitserklärung. Um die geht nachher der Kampf, wenn das Wahlergebnis angefochten wird. Infolgedessen müssen sie registriert und numeriert werden. Heiland: Da Herr Schröter im ersten Augenblick Bedenken hatte, könnte man sich vorstellen, daß es auch draußen Menschen gibt, die über diese Formulierung stolpern. Vielleicht könnte man eine Formulierung finden, die jeden Zweifel ausschließt. Schröter: Man könnte sagen: „Die Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit Zweifel bestehen." über die der Wahlvorstand Beschluß Stock: Das steckt schon in dem Wort: über unzweifelhaften wird kein Beschluß gefaßt. denn die gefaßt hat"; Schröter:. Zweifel bestehen, aber der Wahlvorstand Beschluß gefaßt hat". Stock: Zweifel bestandenl Vors. [Dr. Diederichs]: „Die Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit Zweifel bestanden." Schröter: Das ist schlecht. Wollen wir sagen: „Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit trotz bestehender Zweifel der Wahlvorstand Beschluß gefaßt hat." Vors. [Dr. Diederichs]: Nicht „trotz", sondern „wegen". Hätten keine Zweifel bestanden, so hätte der Wahlvorstand es nicht nötig gehabt, Beschluß zu fassen. .
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Wollen wir sagen: „Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit Zweifel bestanden." Heiland: Wir wissen im wesentlichen, um was es geht. Die Formulierung muß noch redaktionell überarbeitet werden. Vielleicht unterhalten wir uns noch in einem kleineren Ausschuß über die endgültige Formulierung. Der Sinn ist klar. Vors. [Dr. Diederichsl: Wollen wir das so machen? Sinngemäß ist der Ausschuß Ich sehe keinen Widerspruch. mit der Bestimmung einverstanden. —
§31: Alle
gültigen Stimmzettel, die nicht nach § 30 der Wahlniederschrift beizufügen sind, hat der Wahlvorsteher in Papier einzuschlagen, zu versiegeln und der Gemeindebehörde zu übergeben, die sie verwahrt, bis die Wahl für gültig erklärt worden ist. Die Wählerliste oder Wahlkartei nebst den Wahlscheinen, ebenso die nicht der Wahlniederschrift beigefügten Umschläge werden der Gemeindebehörde übergeben. Die Niederschrift über die Wahlhandlung, die vom Wahlvorsteher, Stellvertreter, Beisitzern und dem Schriftführer zu unterzeichnen ist, ist der Gemeindebehörde zu übergeben. Die Gemeinde hat diese Niederschrift mit sämtlichen zugehörigen Anlagen fortlaufend mit zu benummernden Schriftstücken der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Diese reicht sie nach Prüfung und etwaiger Ergänzung so zeitig dem Kreiswahlleiter zu, daß sie spätestens im Laufe des dritten Tages nach der Wahl bei diesem eintreffen. Schröter: Ich würde vorschlagen, statt: „reicht sie zu" zu sagen: „schickt sie nach Prüfung an den Kreiswahlleiter". Vors. [Dr. Diederichsl: Das ist nur eine stilistische Änderung. § 31 ist ange...
...
—
nommen.
§32: Der Kreiswahlleiter stellt zur vorläufigen Ermittlung des Wahlergebnisses die ihm mitgeteilten Ergebnisse aus allen Stimmbezirken zusammen und teilt schnellstens das Ergebnis der Abstimmung dem Landeswahlleiter mit. Um das endgültige Wahlergebnis im Wahlkreis zu ermitteln, stellt der Kreiswahlleiter aus den Wahlniederschriften der Stimmbezirke die Ergebnisse der Wahl zusammen und beruft den Kreiswahlausschuß. In der Sitzung dieses Kreiswahlausschusses werden aus den Wahlniederschriften die
endgültigen Ergebnisse festgestellt.
Geben einzelne Wahlbezirke zu Bedenken Anlaß, so kann der Kreiswahlleiter die von den Gemeindebehörden aufbewahrten Stimmzettel und Wählerlisten oder Wahlkarteien und die Wahlscheine einfordern und dem Kreiswahlausschuß zur Einsicht vorlegen.
§33: Sobald der Kreiswahlausschuß das endgültige Ergbebnis festgestellt hat, muß der Kreiswahlleiter dem Landeswahlleiter fernmündlich oder drahtlich das Ergebnis mitteilen.
§34: Über die Verhandlungen des Kreiswahlausschusses ist eine Niederschrift aufzunehmen und von sämtlichen Mitgliedern zu unterschreiben. Der Kreiswahlleiter sendet die Niederschrift mit den zugehörigen Schriftstücken, die 510
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Wahlniederschriften sämtlicher Stimmbezirke samt deren Landeswahlleiter zu.
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Anlagen
dem
§35: Nach Eingang aller drahtlich oder fernmündlich übermittelten Ergebnisse den einzelnen Wahlkreisen, teilt der Landeswahlleiter das Wahlergebnis der Wahlkreise des Landes dem Bundeswahlleiter drahtlich oder fernmündlich mit und zwar unter Angabe der in jedem Wahlkreis auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallenen Stimmen, der auf die einzelnen Bewerber entfallenen Stimmen und der als vorläufig gewählt zu betrachtenden Bewerber. (§§ 32, 33, 34 und 35 werden vom Ausschuß ohne Aussprache genehmigt.) aus
§36: Nach Eingang aller Meldungen der Landeswahlleiter beruft der Bundeswahlleiter den Bundeswahlausschuß; dieser stellt fest a) aus wievielen Abgeordneten der Bundestag insgesamt besteht; b) die in den Wahlkreisen gewählten Bewerber; c) wer auf Bundeswahlliste als gewählt anzusehen ist. Der Bundeswahlleiter gibt das Gesamtwahlergebnis in den Amtsblättern der Landesregierungen unter Angabe der Namen und Anschrift der Gewählten bekannt. Er benachrichtigt die Gewählten von ihrer Wahl. Der Bundeswahlausschuß bestimmt zugleich in den Fällen der §§ 14 und 18, wer als Nachfolger des ausgeschiedenen Bewerbers bzw. Abgeordneten als gewählt anzusehen ist. Abs. 1 Buchst, a) kann jetzt wegfallen, nachdem wir uns auf eine feste Ziffer von 350 Abgeordneten geeinigt haben, b) wird a) und c) wird b). Ich muß hier auf eines hinweisen. Wir hatten in der letzten Sitzung darüber gesprochen, ob eine Zwischenabrechnung in den größeren lokalen Bezirken stattfinden soll5). Wir haben die Unterteilung in Wahlkreisverbände vorgenommen. Danach bilden Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin je einen Wahlkreisverband, Baden, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollem sowie Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein jeweils zusammen einen gemeinsamen Wahlkreisverband. Wenn diese Zwischenabrechnung stattfinden soll, so müßte das im § 36, bzw. schon im § 35, wo von den Funktionen des Landeswahlleiters die Rede ist, zum Ausdruck kommen. Stock: Das müßte das Redaktionskomitee machen. Im Prinzip ist es beschlossen, diese Zwischenabrechnung vorzunehmen. Frau Wessel: Ich werfe die Frage auf, ob es tatsächlich zweckmäßig ist, diese Zwischenabrechnung vorzunehmen. Ich habe gestern schon dazu gesprochen6), und ich bin immer noch der Meinung, daß es die einfachste Regelung wäre, vom Wahlkreisverband sofort zur Bundesliste zu gehen, und zwar aus den Gründen, die ich gestern dargelegt habe. Jede Partei hat eine Reihe von Sachbearbeitern, die vielleicht im parteipolitischen Leben nicht so stark in Erschei5) Siehe oben Dok. Nr. 17, TOP 6) Ebenda.
2 c.
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nung treten, bei denen aber die Partei Wert darauf legt, daß sie in einem Bundesparlament vertreten sind. Wenn wir diese Zwischenverrechnung vornehmen, wird es sehr schwer sein, dann in entsprechender Weise erstens Frauen und zweitens solche sachlich befähigten Persönlichkeiten in das Parlament hineinzubekommen. Jede Partei müßte nach meiner Meinung ein Interesse daran haben, um überhaupt das Parlament und seine Leistungen zu heben, solche Persönlichkeiten hineinzubekommen. Das ist für mich der Grund, daß ich es lieber sehen würde, wenn die Verrechnung vom Wahlkreis sofort zur Bundesliste erfolgen würde. Schröter: Ich gehe mit Frau Wessel insofern konform, daß es nötig ist, diese Persönlichkeiten, die man nicht in die Gosse des Wahlkampfes hinabsteigen lassen kann, die aber sehr wertvoll sind, in das Parlament hineinzubringen. Dafür sind Restlisten erforderlich. Aber ich weiß nicht, ob man das nur machen soll aufgrund der Bundesliste. Ich bin der Meinung, wenn ganz Bayern einen Wahlkreisverband bildet, wenn Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen zu einem Wahlkreisverband zusammengeschlossen sind, dann bleiben derartige Reste in diesen Wahlkreisen, daß man die wertvollen Persönlichkeiten aus diesen Wahlkreisverbänden durchbringen würde. Frau Wessel: Es ist nicht so gedacht, daß eine neue Liste aufgestellt werden soll, sondern es soll dann auf der Landesliste verrechnet werden nach der abgegebenen Stimmenzahl, die die Bewerber bekommen haben. Ich kann mir denken, daß solche von mir vorgesehenen Persönlichkeiten im Wahlkreis nicht die entsprechenden Stimmen bekommen haben und dadurch ausscheiden. Wenn man eine Landesliste aufstellt, wäre es möglich, diese Persönlichkeiten auf die Landesliste zu setzen. Aber es soll ja nur verrechnet werden. Wenn in einem Wahlkreisverband für eine bestimmte Partei vielleicht zwei Mandate verrechnet werden, dann kommen diejenigen Kandidaten in die Verrechnung hinein, die die nächstmeisten Stimmen haben, und das ist dann vielleicht selten ein solcher Mann, wie ich ihn mir denke. Mir geht es darum, die Elite zu he-
ben. Schröter: Ist es indiskutabel, daß man in einem solchen Wahlkreisverband eine besondere Restliste aufstellt? Frau Wessel: Das müßte gemacht werden. Vors. [Dr. Diederichsl: Das ist an sich eine Frage, und man könnte sie prüfen. Stock: Wir haben uns mit dieser Materie das letzte Mal ausgiebig beschäftigt7) und sind von dem Standpunkt ausgegangen: Wenn jemand innerhalb dieses Landeswahlverbandes eine erkleckliche Stimmenzahl aufgebracht hat, dann kann man ihn nicht beiseite schieben und nicht jemand nehmen, der nur ein Drittel oder 25 % an Stimmen aufgebracht hat und dann auf der Liste steht. Deshalb wollte ich sondieren innerhalb der Landeswahlverbandes, daß die Leute, die einen Resonanzboden bei den Wahlen gehabt haben, zum Zuge kommen, und dann die restlichen Stimmen auf der Bundesliste. Ich bin der Auffassung, daß gerade die kleinen Parteien viele Stimmen auf der Bundesliste be-
7) Siehe oben Dok. 512
Nr. 17, TOP 2
c.
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kommen werden. Ich teile nicht die Meinung von Frau Wessel. Die Parteien werden ihre Leute kennen und sie in den Wahlkreisen so plazieren, daß sie bei den direkten Wahlen durchgehen. Wenn sie zufällig nicht in die erste Reihe kommen, werden sie doch soviel Stimmen aufgebracht haben, daß sie nachher noch zum Zuge kommen können. Wir müssen zum mindesten in einem die Schleswig-Holstein, Hamburg oder Bayern großen Wahlkreisverband Leute nehmen, die in diesem Wahlkreisverband aufgestellt waren und nicht die Leute, die von der Parteibürokratie auf die Bundesliste hingesetzt worden sind. Dagegen haben wir uns gewandt und haben den Paragraphen so angenommen. Heiland: Ich muß von mir aus sagen, daß die Anregung von Frau Wessel mein volles Verständnis findet und ich den Sinn einer Landeswahlliste nicht so ganz verstehen kann. Ich habe auch nicht die Sorge, daß eine Parteibürokratie die Auswahl ihrer Kandidaten in einer Weise vornimmt, die nicht den Bedürfnissen, wie sie für das Parlament notwendig sind, entspricht. Sie wird nicht daran denken, irgendeinen Bezirk zu übergehen, denn damit würde sie sich ja auch einer gewissen Resonanz in diesem Gebiet berauben. Ich glaube, daß auch die ganze Prozedur einfacher wird, wenn wir daran denken, daß wir das Wahlgesetz nur für die einmalige Wahl schaffen. Dann würde ich dafür optieren, daß man die Wahlbezirke hat und auf der anderen Seite die Bundeswahlliste als den Ausgleich. Warum sollen wir die Sache komplizieren? Es soll für eine einmalige Wahl sein. Frau Wessel: Die Parteien werden in gewissen Fällen Leute, die einen Namen haben, in Wahlkreise hineinsetzen, die nicht hundertprozentig sicher sind, um unter Umständen den Wahlkreis mit einer solchen Persönlichkeit zu erobern. Das ist eine selbstverständliche Sache, und das müßte jede Partei tun. Daß man aber solche Leute, auf die man Wert legt, auf alle Fälle erhält, das ist der Sinn einer Bundesliste. Mir wäre die beste Lösung, vom Wahlkreis zur Bundesliste. Wenn Sie aber eine Zwischenschaltung einlegen wollen, dann bin ich der Auffassung, daß eine gesonderte Landesliste kommen muß, um diese Persönlichkeiten hineinzubringen. Man kann es nicht so auf einen Zufall ankommen lassen in einem solchen Wahlkreis. Ich bin selbst schon vor 1933 im Parlament gewesen8), und ich weiß, daß jede Partei Leute braucht, die draußen im Parteibetrieb weniger sichtbar sind, die keine großen Redner darstellen, die aber die Arbeit leisten müssen und die man unter allen Umständen im Parlament braucht. Diese Persönlichkeiten in das Parlament zu bringen ist der Sinn einer solchen Liste. Das ist nicht eine Anregung, die ich für eine kleinere Partei gebe, sondern da muß jede Partei Wert darauf legen. Schröter: Ich gehe von dem Grundgedanken aus, den Herr Dr. Diederichs seinem Gesetz zugrunde legt: Proporz und trotzdem Berücksichtigung der Persönlichkeitswahl. Eine größere Berücksichtigung der Persönlichkeitswahl kann nur erfolgen, wenn man eine Zwischeninstanz einschiebt, nochmals eine besondere Liste bei einem Wahlkreisverband. Nun hat Herr Kollege Stock die Frage aufgeworfen, ob nicht dadurch dem zentralen Einfluß der Parteibürokratie zuviel —
8) Wessel
war von
1928
bis 1933
—
Mitglied des Preußischen Landtags. 513
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Raum gewährt wird. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Parteibürokratie in dem einen Fall Parteibürokratie in dem anderen Fall. Wer stellt denn die Partei in den anderen Kreisen auf? Die Parteibürokratie. —
(Stock: der Bezirk.) Selbstverständlich der Bezirk, bei uns auch. Aber wer ist der Bezirk? Die Delegierten, und letzten Endes sind es die Parteien. Ich plädiere für eine besondere Restliste in einem Wahlkreisverband. Vors. [Dr. Diederichs]: Wenn wir auf der Ebene des Wahlkreisverbandes wieder eine Liste machen und wieder eine Zwischenverrechnung vornehmen, dann rücken wir vom Prinzip der unmittelbaren Wahl wieder weiter weg. Das ist kein Zweifel. Wenn wir die Verrechnung vornehmen auf die Kandidaten, die draußen im Wahlkampf gestanden und gerade die erforderliche Stimmenzahl nicht erreicht haben und wenn diese dann als nächste gewählt werden, so ist das ein natürlicher Ausgleich unter Berücksichtigung der abgegebenen Stimmen, wenn wir aber eine Wahlkreisverbandsliste aufstellen, in der durch ein Gremium irgendeiner Partei die Kandidaten nach Reihenfolge und Namen aufgestellt werden, dann entziehen wir dem Wähler den Einfluß auf die Zusammensetzung des Parlaments. Das ist das Bedenken, daß ich dagegen hätte. Mein Entwurf enthält nur eine Bundesliste neben den einzelnen Wahlkreisen. Das war klar: in jedem Wahlkreis sechs Bewerber und die Reststimmen über die Bundesliste. Dann hatte jede Partei ihre Vorschläge zur Bundesliste und in jedem Wahlkreis ihre Kandidaten. Dann kam der Wunsch, auf Länderbasis zwischendurch abzurechnen, und wir kamen dann zur Zusammensetzung dieser Wahlkreisverbände, aber mit dem Vermerk, daß das der unmittelbaren Wahl zugute kommen sollte, indem noch einige Kandidaten, die nicht das erforderliche Quantum erreicht hatten, durch diese Verrechnung aufgefüllt wurden zu einem vollen Mandat. So sollte praktisch das Ergebnis sein9). Wenn wir jetzt eine zweite Liste Zwischenschalten, dann haben wir an zwei Stellen das, was wir eigentlich nur als einen letzten Ausgleich betrachten, nämlich eine in ihrer Reihenfolge durch die Parteien festgelegte starre Liste. Wir kommen wieder näher an ein starres Listensystem, was ich weitgehend ausschalten wollte, trotz Beibehaltung des Proporzes. Stock: Herr Kollege Schröter, warum wollen Sie dem Kandidaten, der sich nun in seinem Wahlbezirk durchgearbeitet hat und vielleicht mit einem Minus von 300 bis 400 Stimmen nicht mehr zum Zuge gekommen ist, nicht die Gelegenheit geben, mit seiner großen Stimmenzahl auf Grund der Landesliste oder der Kreiswahlliste zum Zuge zu kommen? Vielleicht denkt die Parteibürokratie gar nicht daran, ihn auf die Bundesliste zu setzen, und es kommt jemand darauf, der so unter „femer liefen" war, aber oben ganz gut angeschrieben ist. Dieser wird auf die Bundesliste gesetzt, hat vielleicht auch während des ganzen Wahlkampfes zwei bis drei Versammlungen abgehalten und hat auch gar keinen Resonanzboden bei den Wählern. Der andere aber, dem nur 300 oder 400 Stimmen fehlen an der Verteilungsquote, der soll nicht zum Zuge kommen. Es ist 9) Siehe oben Dok. 514
Nr. 17, TOP 2
c.
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auch eine
Verfälschung des Wählerwillens dabei. Wir wollen mit unserem Wahlsystem dem Wähler das Recht geben, zu bestimmen, wer in das Bundesparlament einziehen soll. Es ist eine gerechtere Verteilung, daß diese Landeswahlverbände noch auf Grund der abgegebenen Stimmen die Leute auswählen und daß dann auf der Bundesliste, so wie sie zusammengestellt ist, die Verrechnung der Reststimmen erfolgt. Ich weiß, daß sehr viel Stimmen auf die Bundesliste kommen werden, aber es müssen bei einer großen Partei nicht zwanzig bis fünfundzwanzig Mandate auf die Bundesliste vergeben werden. Das ist nicht notwendig. Man kann das in einem engeren Bezirk machen. Wenn wir in
Bayern für fünf Mandate Reststimmen haben, dann ist nicht einvon Bayern hineinkommen soll. Das ist eine Verfälschung
zusehen, daß keiner
des Wählerwillens. Ich möchte bitten, daß wir es bei dem belassen, was wir das letzte Mal beschlossen haben. Frau Wessel: Die großen Parteien werden meiner Meinung nach bei dieser Regelung auf die Bundesliste kaum noch Kandidaten bekommen. Es bleibt nicht viel übrig. Bei den Reichtstagswahlen haben die Parteien früher auf die Reichsliste fünf bis sechs Abgeordnete bekommen. (Stock: Das genügt.) Nun lassen Sie mich noch folgenden Gedanken aussprechen. Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, daß ich glaube, daß der Wähler genau weiß, was für die Arbeit eines Parlamentes notwendig ist. Sie werden es erleben, daß nicht immer die Leute aufgestellt werden, die vielleicht in das Parlament hineinkommen müssen, sondern da spielen viele Gründe mit, daß sie hineinkommen. Jede Partei muß aber das Bestreben haben, auch Leute, die vielleicht nicht so populär sind, weil sie sich nicht so in den Vordergrund schieben können, in das Parlament hineinzubringen, weil sie Fach- und Sachbearbeiter sind. Das ist der Grund, warum ich immer wieder sage, es muß ein entsprechender Teil für die Bundesliste übrig bleiben. Wir dürfen nicht in diesem Sinn zu föderativ denken. Es kommt darauf an, das Ansehen des gesamten Parlaments zu heben, sonst werden wir es nicht fertig bringen, eine Demokratie in Deutschland zu schaffen. Es hängt das in etwa von der Auswahl der Elite ab. Das ist mein
Standpunkt.
Heile: Das, was Frau Wessel gesagt hat, führt dazu, den gegensätzlichen Schluß ziehen. Wenn wir wollen, daß in das Parlament eine politische Elite kommt, so dürfen wir uns nicht darauf verlassen, daß die Parteivorstände oder die Parteibürokratie allein darüber beschließen, wer diese Elite ist. Ich kann nicht anders, ich bin von Natur aus ein Demokrat, und mein demokratisches Gefühl verläßt sich darauf, daß die Stimme des Volkes mindestens angenähert Gottes Stimme ist, daß wir unbedingt den Wunsch haben müssen, dem Volk die Entscheidung zu überlassen. Man kann dem Volk nicht die Entscheidung wegnehmen, um sie in indirekter Wahl und jede Listenwahl ist eine unkontrollierbare indirekte Wahl vornehmen zu lassen, wobei ein Gremium von nicht vom Volk gewählten Leuten bestimmt, wer hineinkommen soll. Das sollte man vermeiden. Jemand, der nicht imstande ist, sich das Vertrauen des Volkes zu erwerben, hat nicht diejenigen Eigenschaften, die man im Parlament haben muß. Es ist absolut notwendig, auch werbend vor das Volk hintreten zu könzu
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Der Abgeordnete muß mit dem Volk und dem Parlament reden können; das Parlament ist auch Volk. Je geringer der Einfluß der Parteizentrale ist, desto besser kommt der Wille des Volkes zur Geltung. Wirklich gut und wirklich volkstümlich kann man das Wahlrecht nur machen, wenn man kleine Wahlkreise hat, in denen nur ein Mann gewählt wird. (Stock: Wollen wir doch nicht wieder damit anfangen!) Dann werden Männer gewählt, die wirklich vom Vertrauen des Volkes getragen sind. Schröter: Ich habe ebenfalls in der Weimarer Zeit einem Parlament angehört10). der Weimarer Zeit Sie wissen, man hat mit einer gewissen Berechtigung den Vorwurf gemacht, daß die Demokratie mit daran gestorben ist, daß nur selbstverständlich abgesehen von uns daß nur MittelMittelmäßigkeiten mäßigkeiten und Durchschnitt ins Parlament gekommen seien. Das ist möglich gewesen, obwohl wir damals den Proporz hatten in den Provinzen und dann die große Restliste. Es ist nicht möglich gewesen, solche Persönlichkeiten, wie Sie sie wünschen, mit Hilfe der Reichsliste hineinzubringen. Jede Partei und weiß, mit wieviel deswegen möchte ich auf die Zwischeninstanz kommen Mandaten sie zu rechnen hat. Dann kann sie einen Mann, der nicht die Stimmung der Wählerschaft gewinnen kann, so aufstellen lassen, daß er durch die Verrechnung der Reststimmen innerhalb des Wahlkreisverbandes gewählt wird. (Heile: Das ist scheinbar auch Parteibürokratie.) Bis zu einem gewissen Grad. Sie werden sie nicht hundertprozentig ausschalten können, Herr Kollege Heile. Ich werde mich für diese Lösung aussprechen. Sie ist schon zum Beschluß erhoben. Vors. [Dr. Diederichs]: Ja, das haben wir gestern schon beschlossen11), diese Zwischenverrechnung ohne eigentliche Liste unter Berücksichtigung der Kandidaten mit den höchsten Stimmen. Ich glaube auch, Frau Wessel, Sie werden sehen, daß Sie doch so viel Prominente über die Bundesliste letzten Endes behalten werden, daß Sie die Männer und Frauen, die Sie wirklich brauchen, auf diesem Weg durchbekommen. Ich rechne damit, wenn im Wahlkreis sechs Kandidaten gewählt werden und noch zwei weitere auf Reststimmen entfallen, weil der Wahlkreis sich gut beteiligt hat, dann bis zur achten Stelle diese Leute im Wahlkreis gewählt werden. Daran zweifele ich nicht. Das bedeutet eine Verlängerung der d'Hondtschen Verrechnung praktisch bis zur achten Stelle. Ich glaube, daß da die Möglichkeit, Leute hineinzubekommen, die man unbedingt braucht, gegeben ist. Es können dann auch Leute, die aus einer bestimmten Gegend stammen und in dieser Gegend eine so erhebliche Stimmenzahl aufgebracht haben, daß sie nur infolge des Abschneidens der Verrechnung bei der sechsten Stelle ausgefallen sind, bei einer Verrechnung bis zur achten Stelle wiederhineinkommen. nen.
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10) Schröter war in den Jahren 1924 bis ges gewesen.
«) Siehe oben Dok. Nr. 17, TOP 516
2 c.
1928 für die DVP
Mitglied des
Preußischen Landta-
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es der Redaktionskommission sagen müssen, daß sie in § 36 diese Sache bezüglich der Wahlkreisverbände noch einfügt. Das gehört hier hinein. Heile: Ich möchte erklären, daß ich nicht dafür gestimmt habe. Vors. [Dr. Diederichsl: Wer für den § 36 in dieser Form ist, den bitte ich die Fünf Stimmen. Hand zu erheben. Gegen die Stimmen von Frau Wessel und Herrn Heile. §37: Über sämtliche Sitzungen der Landeswahlausschüsse und des Bundeswahlausschusses sind Niederschriften zu fertigen und von allen Teilnehmern zu unterzeichnen. Die Landeswahlleiter haben auf Erfordern des Bundeswahlleiters diesem die bei ihnen eingegangenen Unterlagen der Wahlkreisleiter zur Einsicht und Prüfung zu übersenden. Schröter: Hier muß eingefügt werden: „und der Wahlkreisverbandsausschüsse". Vors. [Dr. Diederichsl: Das kommt natürlich dazu. (§ 37 wird genehmigt.)
Wir werden
—
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§38:
zur Übernahme der ehrenamtlichen Tätigkeit Wahlvorstehers, Stellvertreters des Wahlvorstehers, Beisitzers oder Schriftführers im Wahlvorstand, im Kreiswahlausschuß, Landeswahlaus-
Jeder Wähler hat die Pflicht eines
schuß und Bundeswahlausschuß.
Jeder Abgeordnete ist verpflichtet, die Wahl
zum
Beisitzer im
Wahlprü-
anzunehmen. (§ 38 wird ohne Aussprache angenommen.)
fungsgericht §39:
Berufung zu einem der Wahlehrenämter dürfen ablehnen: (1) Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierung; (2) die Mitglieder des Bundestages (ausgenommen zum Wahlprüfungsgericht) und die Mitglieder der Landesparlamente;
Die
(3) die Bundes-, Landes- und Gemeindebeamten, die amtlich mit dem Vollzuge des Wahlgesetzes oder mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit betraut sind; (4) Wähler, die als Bewerber auf einem Kreis-, Landes- oder Bundeswahlvorschlag bekannt sind; (5) Wähler, die das 60. Lebensjahr vollendet haben (ausgenommen zum
Wahlprüfungsgericht) ;
(6) Wählerinnen, welche glaubhaft machen, daß ihnen die Fürsorge für ihre Familie die Ausübung des Amtes in besonderem Maße erschwert; (7) Wähler, die glaubhaft machen, daß sie aus dringenden beruflichen Gründen oder durch Krankheit oder durch Gebrechen verhindert sind, das Amt ordnungsmäßig zu führen; (8) Wähler, die sich am Wahltag aus zwingenden Gründen außerhalb ihres Wohnortes aufhalten. Schröter: Muß man das in den acht Ziffern alles aufzählen? Ist das nötig? Stock: Das kann man machen. Das ist immer darin gewesen; es ist übernommen aus den bisherigen Wahlvorschriften. 517
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(§ 39 wird angenommen.) §40: Wähler, welche die Übernahme eines Wahlehrenamtes ohne gesetzlichen Grund ablehnen, können
nungsstrafe bis
zum
von
Betrage
zuständigen Wahlleiter in eine Ord5000,— DM genommen werden.
dem
von
Vors. [Dr. Diederichsl: Ein bißchen happig! Schröter: Das finde ich auch. Stock: Sagen wir 500,— DM. Es kommt ja praktisch nicht vor. Wenn einer das liest, lacht er darüber. Wer hat heute schon 5000,— DM. Da macht jeder bankrott.
(§ 40 wird mit dieser §41:
Änderung angenommen.)
Landesregierungen sollen die im § 8 vorgesehene Wahlkreiseinteilung innerhalb drei Wochen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes vornehmen, sie dem Präsidium des Parlamentarischen Rates übermitteln, das ihre Bekanntgabe in den Amtsblättern der Landesregierungen vornimmt. Schröter: Steht dem Präsidium des Parlamentarischen Rates ein Einspruch gegen die Festlegung durch die Landesregierungen zu, oder soll es so, wie die Landesregierungen die Einteilung vornehmen, in Ordnung sein? Vors. [Dr. Diederichsl: Ich glaube nicht, daß man dem Parlamentarischen Rat so weitgehende Kompetenzen in seinem Präsidium geben soll. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, wie groß ein Wahlkreis zu sein hat. Damit ist eine bindende Vorschrift vorhanden. Die Wahlkreise müssen gleich groß sein und 1 bis 1,2 Millionen Einwohner haben. Darin liegt eine ziemlich enge Grenze, innerhalb derer die Einteilung vorzunehmen ist. Im übrigen sollte man das den Ländern überlassen. Heiland: Es ist wesentlich, daß ein den Landesregierungen beigeordneter Wahlrechtsausschuß das macht und nicht die Regierungen. Ist vorgesehen, daß er proportional vom Parlament gewählt wird? vornehVors. [Dr. Diederichsl: Hier heißt es: die Landesregierungen sollen men. Es würde sich vielleicht empfehlen, hineinzuschreiben: „durch die im Gesetz vorgesehenen Organe", d. h. durch die Ausschüsse. Ich schlage vor, das einzufügen, damit kein Zweifel besteht. Dann würde die Bestimmung lauten: Die Landesregierungen sollen durch die in diesem Gesetz vorgesehenen usw. Wahlausschüsse die in § 8 vorgesehene Wahlkreiseinteilung (§ 41 wird mit dieser Ergänzung angenommen.) Die
...
.
..
§42:
Vorbereitung und Durchführung der Wahl zum ersten Bundestag haben alle Landes- und Gemeindebehörden dem Präsidium des Parlamentarischen Rates Amtshilfe zu leisten. Das Präsidium des Parlamentarischen Rates entscheidet jeweils mit Stimmenmehrheit. Alle in diesem Gesetz dem Präsidium des Parlamentarischen Rates übertragenen Feststellungen und Bekanntmachungen werden mit den durch das Präsidium veranlaßten Veröffentlichungen in den Amtsblättern der Landesregierungen jeweils für deren Gebiet rechtswirksam. (§ 42 wird angenommen.) Zur
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§43: 51 des Grundgesetzes der BundesrepuMaßgabe, daß an Stelle des dort genannten Bundesverfassungsgerichts das Wahlprüfungsgericht des Landes Hessen tritt. Das Hessische Gesetz vom (Hessisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1948 Seite ,13)) findet entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, daß die Beisitzer des Wahlprüfungsgerichts und deren Stellvertreter vom Bundestag aus dessen Mitte gewählt werden. Es ist hier auf Anregung von Herrn Dr. Becker das Wahlprüfungsgericht Hessen vorgeschlagen. Ich glaube auch, der hessische Ministerpräsident hatte den Vorsitz in dem Ministerpräsidentenrat14) und von da aus sind die ganzen Einladungen und Vorbereitungen für hier getroffen worden. Ich habe keine Bedenken. Es liegt auch zentral.
Die blik
Wahlprüfung erfolgt Deutschland12)
nach Art.
mit der
...
..
Schröter: Es ist
nur
für diesen einen Fall.
Später müssen wir
etwas
eigenes ha-
ben16). Vors. [Dr. Dlederichs]: Das sowieso. Es handelt sich nur um diese erste Durchführung der Wahl. Wir haben keine höhere Instanz als die Länder. Es ist aus rein praktischen Gründen Hessen vorgeschlagen. Dagegen bestehen keine BeIch höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. denken. —
[Ib. Wahl
zur
Bundesversammlung (§§ 44—45)]
§44: Die nach Art. 75 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von den Landesparlamenten zu Mitgliedern der Bundesversammlung zu wählenden Delegierten werden nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts
gewählt. Das Präsidium des Parlamentarischen Rates stellt innerhalb eines Monats nach dem Tage der Wahl des ersten Bundestages die Zahl der insgesamt zu wählenden Vertreter fest, verteilt sie aufgrund der in der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung ermittelten Bevölkerungszahl der Länder nach dem Verhältnis der Bevölkerung auf diese und teilt diese Feststellungen den Präsidenten der Landesparlamente durch die Landesregierungen mit. Die Landesparlamente sind gehalten, die Wahl der Delegierten innerhalb von drei Wochen nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen und das Ergebnis der Wahl nebst genauer Anschrift der Gewählten und deren Annahmeerklärungen dem Präsidium des Parlamentarischen Rates zu übermitteln.
12) Wurde später Art.
41
(1) : „Die Wahlprüfung obliegt dem Bundestag. Er entscheidet auch, Bundestages die Mitgliedschaft verloren hat" (BGBl. 1949, S. 1).
ob ein Abgeordneter des
131 Wahlprüfungsgesetz
vom 5. August 1948 in: GVOB1. Hessen vom 3. Sept. 1948, Nr. 19, S. 93. 14) Siehe oben Dok. Nr. 8, Anm. 41. Christian Stock (28. Aug. 1884-13. April 1967), SPD, hessischer Ministerpräsident 1946—50, wiederholt Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. 15) Art. 41 (3) GG sah bereits die Regelung der Wahlprüfung durch ein Bundesgesetz vor.
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Abs. 1 bezieht sich auf die Delegierten, die zusammen mit dem Bundestag und dem Bundesrat den Bundespräsidenten zu wählen haben. Die Bestimmung gilt nur für diesen einen Akt. Abs. 2 kann wegfallen, nachdem wir die Zahl der Bundestagsmitglieder fixiert haben. Diese Festsetzung braucht nicht mehr zu erfolgen, weil wir jetzt eine fixe Ziffer haben. Heiland: Das Wort „Delegierte" wirkt irgendwie unorganisch. Vielleicht könnte man überlegen, ob man nicht ein besseres Wort findet. Stock: Wahlmänner. Vors. [Dr. Diederichs]: Mitglieder der Bundesversammlung. Das ganze nennt sich Bundesversammlung; es ist ein ganz neuer Begriff. Frau Wessel: Das bezieht sich auf die Delegierten zur Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt. Vors. [Dr. Diederichs]: Es bezieht sich nur auf dieses Gremium. Das Gremium steht in seiner Stärke fest, nachdem wir festgesetzt haben, daß der Bundestag 350 Abgeordnete haben soll. Es werden noch 350 Abgeordnete aus den Länderparlamenten nach dem Verhältnissystem delegiert zu diesem Akt der Wahl des Bundespräsidenten. Heile: Braucht man da ein besonderes Gesetz? Es heißt doch in Art. 75 des
Grundgesetzes16) : Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. Nach dieser Bestimmung werden die Delegierten aus den Landtagen nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Eine andere Methode ist nicht denkbar. Vors. [Dr. Diederichs]: Genau wie die Delegierten für Frankfurt nach diesem System seinerzeit aus den Parlamenten gewählt worden sind17). Es wurde in den Parlamenten nach dem d'Hondtschen System errechnet, wieviel Delegierte auf jede Partei entfallen. Es ist überhaupt fraglich, nachdem dieses Verfahren in der Verfassung geregelt ist, ob wir das noch in das Wahlgesetz hineinschreiben sollen. Herr Becker war der Ansicht, es müsse darin stehen. Heiland: Ich bin der Auffassung, daß ein Organ geschaffen werden muß, das die Aufteilung auf die einzelnen Länder zum mindesten mitteilt. Es muß jemand da sein, der dafür sorgt, daß das richtig gemacht wird, es muß jemand da sein, der sagt: Bayern bekommt soviele und das andere Land soviele. Es muß jemand da sein, der diese Maschine in Bewegung setzt. Vors. [Dr. Diederichs]: Das ist richtig. Deshalb können wir diese Bestimmung so stehen lassen. Schröter: Ist es denn überhaupt nötig, nachdem die Sache schon in Art. 75 ge-
regelt
ist?
16) GG-Entwürfe, S. 57. 17) Gemeint sind die von den Länderparlamenten in den Frankfurter Wirtschaftsrat dele-
gierten Abgeordneten.
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Vors. [Dr. Diederichs]: Dort ist nur das Verfahren geregelt, nicht aber die Zahl. Die muß nach der Abstimmungsziffer festgesetzt werden, und das gehört in das
Wahlgesetz. Stock: Irgendwo
muß es verankert sein. Es kann nur im sein. In Art. 75 des Grundgesetzes heißt es: Das Nähere
Wahlgesetz verankert regelt ein Bundesge-
setz.
Vors. [Dr. Diedrichs]: Es besteht Einigkeit darüber, daß wir diese Materie in dieWahlgesetz regeln müssen. Wir können also den ersten Satz so lassen. Das Präsidium des Parlamentarischen Rates stellt innerhalb eines Monats
sem
nach dem Tage der Wahl des ersten Bundestages die Zahl der insgesamt zu wählenden Vertreter fest, das brauchen wir nicht, denn die Zahl steht fest verteilt sie auf Grund der in der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung ermittelten Bevölkerungszahl der Länder nach dem Verhältnis der Bevölkerung auf diese und teilt diese Feststellungen den Präsidenten der Landesparlamente durch die Landesregierungen mit. Das muß umredigiert werden, denn die Feststellung der Zahl der Mandate fällt weg. Vielleicht können wir das der Kommission überlassen und die Bestimmung jetzt annehmen mit der Maßgabe, daß die Feststellung der Mandate durch die Fixierung der Zahl der Abgeordneten überflüssig geworden ist. Die Landesparlamente sind gehalten, die Wahl der Delegierten innerhalb von drei Wochen nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen und das Ergebnis der Wahl nebst genauer Anschrift der Gewählten und deren Annahmeerklärungen dem Präsidium des Parlamentarischen Rates zu übermitteln. Hier taucht für mich eine Frage auf. Nachdem der Bundestag bereits besteht, soll man nun diese Mitteilung noch an das Präsidium des Parlamentarischen Rates gehen lassen oder an das Alterspräsidium des Bundestages? Stock: Der Alterspräsident muß erst ernannt werden. Es ist schon richtiger, wir lassen alles beim Parlamentarischen Rat. Vors. [Dr. Diederichs]: Wir müssen es regeln. Wenn es keine Anwendung findet, fällt es automatisch weg. Das wissen wir bei der Abfassung des Grundgesetzes; dann können wir es immer noch herausstreichen. —
—
Art. 45: Das Präsidium des Parlamentarischen Rates beruft spätestens innerhalb von drei Wochen nach der Wahl der Vertreter der Landesparlamente die Bundesversammlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten zu einem frühestens zwei Wochen, spätestens einen Monat nach dieser Einberufung lieein. genden Termin nach Die Wahlhandlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten leitet der Präsident des Parlamentarischen Rates, im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter. Er hat als solcher kein Stimmrecht. Er teilt dem Gewählten die Wahl mit. Der Gewählte gibt die Annahmeerklärung schriftlich dem Präsidium des Parlamentarischen Rates gegenüber ab. Die Eidesleistung des ersten Bundespräsidenten erfolgt vor der vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates oder seinem Stellvertreter zu leitenden .
.
.
Bundesversammlung. 521
Nr. 19
Achtzehnte
Sitzung
15.
Dezember 1948
Eidesleistung beginnt Bundespräsidenten. Mit dieser
das Amt und die Amtsdauer des ersten
gibt die Wahl und die Tatsache Eidesleistung des Bundespräsidenten durch die Amtsblätter der Landesregierungen bekannt. Bundesversammlung ist ein Gremium, das weder Bundestag noch Bundesrat Das Präsidium des Parlamentarischen Rates
der
Die
ist, sondern außerhalb dieser Dinge steht und bisher kein Präsidium und keinen Vorsitzenden hat. Frau Wessel: Die Bundesversammlung ist doch eher da wie der Bundespräsident, sie wird sich konstituieren, den Präsidenten und seinen Stellvertreter wählen. Dann ist dieses das Gremium, das für die Wahl des Bundespräsidenten zuständig ist, und nicht der Parlamentarische Rat. Dieser hört an sich auf, eine Rechtsfunktion zu haben. Ich kann mir nur denken, daß das Präsidium des Parlamentarischen Rates die Funktion noch hat, bis die Wahl vor sich gegangen ist. Dann hört doch die Funktion auf. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich könnte mir auch vorstellen, daß dann, wenn dieses Sammelgremium zusammengetreten ist, der Vorsitzende des Parlamentarischen Rates keine Funktionen mehr hätte, sondern daß möglicherweise diese Bundesversammlung sich selber einen Vorsitzenden wählt, daß meinetwegen der Vorsitzende des dann gewählten Bundesparlamentes die Sache eröffnet und bittet, Vorschläge zu machen für die Wahl eines Vorsitzenden dieser Bundesversamm-
lung.
Schröter: Haben wir den Fehler nicht schon vorher gemacht? Wir haben festgelegt, daß innerhalb von dreißig Tagen nach der Wahl des Bundestages der Präsident des Parlamentarischen Rates die einzelnen Länder auffordert, innerhalb von drei Wochen die Wahl der Delegierten vorzunehmen18). Auf der anderen Seite haben wir im Grundgesetz eine Bestimmung, daß spätestens innerhalb von dreißig Tagen der Bundestag zusammentritt19). Das bedeutet, daß in diesem Augenblick, wo der Präsident des Parlamentarischen Rates diese Funktionen noch ausüben soll, bereits ein Präsidium des Bundestages da ist, so daß wir vielleicht schon dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates Aufträge gegeben haben, die er nicht mehr zu erfüllen braucht, weil er gar nicht mehr da ist. Wir wollen eines Tages sterben und durch den Bundestag ersetzt werden. Bis wann ist der Parlamentarische Rat gestorben? Wann ist der Parlamentarische Rat tot? In dem Augenblick, wo der Bundestag existiert. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich bin der Auffassung, [daß] in dem Moment, wo ein Bundestag gewählt ist und sich konstituiert hat, der einzige Akt, den der Präsident des Parlamentarischen Rates noch haben könnte, der ist, daß er diese erstmalige Einberufung vornimmt. Dann tritt der Bundestag zusammen unter dem Alterspräsidenten, nicht unter dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates, der nur noch die technische Sache der Einberufung leitet. In diesem Moment 18) Vgl. § 45 Diederichs-Entwurf, überarbeitet
19)
Nr. 20). Art. 49 GG-Entwurf
fe, S. 522
24.
vom
18.
vom
Redaktionskomitee (siehe unten Dok.
Okt. 1948, Drucks. Nr. 203, auch
abgedruckt in: GG-Entwür-
Achtzehnte
Sitzung
15.
Dezember 1948
Nr. 19
würde wahrscheinlich erst die Frage akut werden, dieses andere Gremium aus den Ländern mobil zu machen. Ich könnte mir vorstellen, daß das Funktionen sind, die in der Hand des Bundestages liegen bzw. bei dessen Präsidium. Heiland: Ich glaube nicht, daß wir diese Frage jetzt hier klären werden, weil wir mit einer persönlichen Meinung hier sind. Ich würde vorschlagen, daß die einzelnen Herren das einmal kurz in ihren Fraktionen besprechen und daß wir dann das nächste Mal Vorschläge machen20). Ich halte die Sache nicht für so wesentlich. Es ist lediglich eine Formsache, wie man die Apparatur in Bewegung bringt. Ich würde es für richtiger halten, daß man kurz Stellung nimmt und dann in einem kleinen Kreis die Einzelheiten klärt. Schröter: Das hängt von der endgültigen Gestaltung des Grundgesetzes ab. In dem Augenblick, wo der Bundespräsident den Eid leistet, ist das Präsidium des Bundestages und der Bundesrat da. Schon bei der Eidesleistung kommt der Präsident des Parlamentarischen Rates nicht in Frage. Frau Wessel: Da steht aber hier, daß vor der vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates zu leitenden Bundesversammlung der Bundespräsident seinen Eid abzuleisten hat. Das ist doch nicht richtig; das kann doch nicht möglich sein. Heile: Man kann mit drei Worten das ganze Problem erledigen, wenn wir in § 45 sagen: „Das Präsidium des Parlamentarischen Rates beruft die Bundesversammlung zu deren Konstituierung und zur Wahl des ersten Bundespräsidenten." Mit der Konstituierung ist sie in ihre Rechte eingetreten und wir verschwinden. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich bin auch der Auffassung, daß wir, wenn ein Bundesparlament existiert, die Funktionen des Präsidiums des Parlamentarischen Rates nicht ad infinitum konservieren können. Ich möchte die Anregung von Herrn Heiland aufgreifen und empfehlen, daß wir uns speziell die Frage bezüglich dieses Gremiums es wäre also dieser Abschnitt B. Wahl zur Bundesversammlung noch einmal überlegen und jetzt zu C. Schlußbestimmungen übergehen. Wir wollen die Fragen, die mit der Wahl des Bundespräsidenten zusammenhängen, noch einmal besprechen21), und ich bin auch der Auffassung, daß wir es den gewählten ordentlichen Institutionen in weitestgehendem Maß überlassen, hier die Hauptfunktionen zu übernehmen. Kaufmann: Es wird die Frage zu stellen sein, ob in diesem frühen Stadium die büromäßigen Voraussetzungen bei der einen oder anderen Körperschaft bestehen oder ob die bereits bestehenden büromäßigen Einrichtungen des Parlamentarischen Rates diese Arbeit leisten sollen. Das ist entscheidend. Alles übrige, also welche Körperschaft oder Person das macht, ist gänzlich gleichgültig. —
—
20) Über die Frage des Weiterbestehens des Pari. Rates herrschte auch nach Verabschie-
dung
des Grundgesetzes noch Unklarheit. Während sich Adenauer als Präsident des Pari. Rates zusammen mit den Alliierten auf den Standpunkt stellte, mit dem Ende der verfassungsgebenden Tätigkeit habe der Pari. Rat aufgehört zu existieren, gingen Vertreter der anderen Parteien von der an den Überleitungsausschuß des Pari. Rates übergegangenen Kompetenz aus (Heiland an Adenauer vom 13. juni 1949 und Adenauer an Heiland vom 15. Juni 1949, PA Bestand 5/Materialien; vgl. den Schriftwechsel Adenauers mit Renner und Dehler, ebenda. 21) Siehe unten TOP 1 c. 523
Achtzehnte Sitzung
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Dezember 1948
Bundestag oder Bundesrat hat noch kein Büro. Der Präsident auch da ist, kann die Arbeiten nicht ausführen. Deshalb können wir das ruhig so lassen. Herr Heile hat den richtigen Vorschlag gemacht: Der Präsident des Parlamentarischen Rates beruft die Bundesversammlung zur Konstituierung und zur Wahl des Bundespräsidenten zusammen. Dann hat sie sich konstituiert, und der Präsident der Bundesversammlung oder sein Stellvertreter nimmt die Vereidigung vor. Die Bundesversammlung soll nicht nur eine einmalige sein; wir wollen diese Bundesversammlung, die sich aus dem Bundestag, dem Bundesrat und den von den Länderparlamenten gewählten Vertretern zusammensetzt, überhaupt haben. Vors. [Dr. Diederichs]: Sie ist keine Dauerinstitution, sondern nur für diese Wahl bestimmt. Stock: Sie soll immer den Bundespräsidenten wählen. Der Bundespräsident soll nicht mehr durch Referendum22), sondern durch diese Bundesversammlung gewählt werden. Vors. [Dr. Diederichs]: Sie wird doch jedes Mal neu zusammengesetzt. Stock: Ja, neu konstituiert. Ich glaube, wir lassen die Frage noch offen. Es scheint möglich, daß das neu gewählte Parlament schon solche Funktionen übernimmt. Wenn die Voraussetzungen bezüglich Büro und ähnlichem nicht geklärt sind, wird man nicht diese große Bundesversammlung schon einberufen, um den Präsidenten zu wählen. Ich könnte mir vorstellen, daß die Wahl des Präsidenten vielleicht erst ein Vierteljahr nach Zusammentritt des Parlaments erfolgt. Bis alle Parlamente ihre Leute delegiert haben, vergehen eineinhalb Monate. Stock: Stellen wir diese Frage jetzt zurück. Stock: Der
allein,
neue
wenn er
[lc. Schlußbestimmungen (§§46-49)] Vors. [Dr. Diederichs]: Wir stellen dann die
Bundesversammlung zurück23) und gehen
Bestimmungen über die Wahl
über
zu
den
zur
Schlußbestimmungen.
§46: Die Kosten der Wahl des ersten Bundestages und des ersten Bundespräsidenten einschließlich der bei dem Präsidium des Parlamentarischen Rates infolge der Durchführung der ihm durch dieses Gesetz überwiesenen Aufgaben entstehenden Kosten tragen die Länder und zwar zur einen Hälfte berechnet nach der Kopfzahl der Bevölkerung aufgrund der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung, zur anderen Hälfte berechnet nach dem Gesamtaufkommen der Steuern und Zölle in den Ländern in der Zeit vom 21. 6. 1948 bis 31. 12. 1948. Schröter: Warum ist hier ein Unterschied gemacht in der Berechnung nach der Bevölkerungszahl und nach dem Steueraufkommen? Sehen Sie, wir in Schleswig-Holstein haben z. B. ein Verhältnis von Einheimischen zu Flüchtlingen 1:1.
22) In der Weimarer Republik war der Reichspräsident direkt (Art. 41 WRV). 23) Zur Fortsetzung siehe unten Dok. Nr. 25, TOP 3. 524
vom
Volk
gewählt
worden
Achtzehnte
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15. Dezember 1948
Nr. 19
Wir treten stets im Gewand des Bettlers auf und müssen bei den andern Ländern betteln gehen24). Aus diesem Grund wäre es gerechter, zu entscheiden nach dem Steueraufkommen. Vors. [Dr. Diederichs]: Sie schlagen also vor, die Kopfzahl wegzulassen und das Ganze nach dem Steueraufkommen zu berechnen? Heiland: Das hieße praktisch, das Hamburg und Bremen die Wahlen bezahlen.
(Zuruf: und Nordrhein-Westfalen!) Stock: Deshalb ist die Bestimmung so gemacht worden.
Das andere geht nicht. Heiland: Ich glaube, der Ausgleich, den Herr Schröter wünscht, kommt durch diese Bestimmung. Stock: Es ist eine Kombination von Kopfzahl und Steueraufkommen. Wir können das lassen. (Der § 46 wird angenommen.) Vors. [Dr. Diederichs]: § 47: Wer seine Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche Angaben erwirkt: wer einen anderen als Wähler einträgt, von dem er weiß, daß er keinen Anspruch auf Eintragung hat; wer die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwohl er dessen Wahlberechtigung kennt; wer wählt, obwohl er zu den nach diesem Gesetz von der Wahlberechtigung
ausgeschlossenen
Personen
gehört;
sich als Bewerber aufstellen läßt, obwohl er nach diesem Gesetz nicht wählbar ist; wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschen Namen wählt; wird mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu DM bestraft, soweit nicht in anderen Strafgesetzen eine höhere 5000, Strafe angedroht ist. Stock: Ich würde vorschlagen, 1000,— DM einzusetzen. 5000,— DM sind ein bißchen hoch. Vors. [Dr. Diederichs!: An sich sind es die Strafbestimmungen aus den früheren wer
—
Gesetzen. Heiland: Ich würde
es
stehen lassen;
es
handelt sich ja
nur um
einen Höchst-
betrag.
Stock: Also gut, lassen wir es stehen. (§ 47 wird angenommen.) Vors. [Dr. Diederichs]: § 48: Soweit zur Ausführung dieses Gesetzes Ausführungsbestimmungen für das gesamte Bundesgebiet noch erforderlich sind, werden sie durch das Präsidium des Parlamentarischen Rates erlassen, das sie in den Amtsblättern der Länder veröffentlichen und den Landesregierungen wie auch dem Bundeswahlleiter und den Landeswahlleitern zuleiten wird. Im übrigen werden
24)
Belastung der einzelnen Länder durch die Flüchtlingsströme siehe auch das Wortprotokoll der Ministerpräsidentenkonferenz in Königstein vom 24. März 1949, in: Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 22, S. 296 ff. Zur unterschiedlichen
525
Nr. 19
Achtzehnte
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15.
Dezember 1948
Ausführungsbestimmungen durch
die
zuständigen Landesregierungen erlas-
sen.
(§ 48 wird ohne Aussprache angenommen.) Vors. [Dr. Diederichs]: § 49 Dieses Gesetz tritt zugleich mit dem
Parlamentarischen Rat beschlossenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft; es gilt auch für Groß-Berlin im Falle des § 21 Abs. 2 für den von der dort genannten Stadtverordnetenversammlung festgesetzten Teil von Groß-Berlin. Wir stimmen jetzt ab über den Entwurf als ganzen. Wer für die Annahme des gesamten Gesetzentwurfes ist, den wir behandelt haben, den bitte ich die Hand Vier Stimmen. Der Entzu erheben. Fünf Stimmen. Gegenprobe. wurf ist mit fünf gegen vier Stimmen angenommen. Das würde bedeuten, daß dieser Entwurf auf jeden Fall dem Hauptausschuß vorgelegt wird25). Wir kommen dann zu dem Entwurf eines Gesetzes für die Wahl des ersten Bundestages, den die CDU vorgelegt hat26). Er nimmt im einzelnen Paragraphen Bezug auf den hier verabschiedeten Entwurf. Heiland: Nein, auf Ihren ersten Entwurf. Vors. [Dr. Diederichs]: Er nimmt Bezug auf Drucksache Nr. 266. Schröter: Ich möchte vorschlagen, jetzt zu vertagen. Wir haben eine Fraktions—
vom
-
—
—
sitzung27).
Stock: Ich würde vorschlagen, wenn wir den Entwurf der CDU behandeln, daß wir uns dann im wesentlichen nur mit § 2 befassen; denn da dreht es sich um das Wahlsystem. Das andere sind technische Vorschriften. Wird das Wahlsystem so, wie es von der CDU vorgeschlagen ist, abgelehnt oder angenommen, brauchen wir uns mit den anderen Paragraphen nicht zu befassen. Vors. [Dr. Diederichs]: Das wird sich bei der Besprechung des ganzen Entwurfs herausstellen. Wir sprechen den ganzen Entwurf durch; das erfordert die Loyalität. Ich schlage vor, daß wir uns jetzt auf morgen, Donnerstag, 9 Uhr 30 Minuten
vertagen.
25) Vgl. Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 26) Drucks. Nr. 369; siehe unten Dok. Nr. 20. 27) Die CDU/CSU-Fraktionssitzung hatte bereits CDU/CSU im Pari. Rat, S. 283 ff.). 526
688. um
9.30 Uhr
begonnen (Salzmann,
Die
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Nr. 20
Entwürfe
Wahlgesetzentwurf
zum
Wahlgesetz*')
Synopse I: Diederichs (Drucks.
Dr. Nr. 266) und CDU/CSU-Entwurf überarbeiteter Entwurf Nr. Diederichs (Drucks. Nr. 474) ; Dr. 369) ; (Drucks. überarbeiteter Entwurf der CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 450).
[1. WAHLGESETZENTWURF DR. DIEDERICHS (DRUCKS. NR. 266) UND CDU/CSU-ENTWURF (DRUCKS. NR. 369)]
Wahlgesetzen twurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
eines Gesetzes betr. die Wahl der gesetzgebenden Körperschaft der Bundesrepublik Deutschland (Deutsches Wahlgesetz). Der Parlamentarische Rat hat nachstehendes Gesetz beschlossen, daß hiermit verkündet wird:
Entwurf
Entwurf)
eines Gesetzes für die Wahl des ersten Bundestages2).
Für die mehr techniBestimmungen ist vorerst Bezug genommen auf den Entwurf eines Ge-
Vorbemerkung:
schen
setzes betreffend die Wahl der
gesetz-
gebenden Körperschaften der Bundesrepublik Deutschland (Deutsches Drucksache Nr. PR. Wahlgesetz) 11,48-266.
*)
1) 2)
—
Im folgenden werden vier Wahlgesetzentwürfe abgedruckt, die den Ausschußberatungen im Dezember 1948, als sich gegen die Stimmen der CDU/CSU-Abgeordneten eine Ausschußmehrheit für das modifizierte Verhältniswahlrecht bildete, zugrunde lagen. Die ersten beiden Texte werden in Form einer Synopse wiedergegeben, da sich der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion direkt auf den Entwurf Diederichs bezog. Die überarbeiteten Versionen beider Entwürfe werden dagegen jeweils einzeln abgedruckt, da aufgrund der hier auftretenden formellen und inhaltlichen Verschiebungen ein paralleler Abdruck nicht mehr sinnvoll erschien. Der hier vorliegende Entwurf Diederichs lag den Beratungen des Wahlrechtsausschusses in der 14. Sitzung am 2. Dez. 1948 als Drucks. Nr. 266 zugrunde (BA Z 5/127, ungez. und undat. ; siehe oben Dok. Nr. 15). BA Z 5/128, vervielf. als Drucks. Nr. 369, ungez. und undat. Zur Entstehungsgeschichte des CDU/CSU-Entwurfs siehe oben Dok. Nr. 17, Anm. 5 und 9. Als weitere Vorlage des Wahlgesetzentwurfs diente vermutlich der im Nachlaß Kaufmann mit dem handschriftlichen Vermerk „Schröter" versehene „Entwurf eines Gesetzes für die erste Wahl zum Bundestag" (ACDP 1-071-023/4; im folgenden zitiert als „Entwurf Schröter"). Der Wahlgesetzentwurf wurde in der 16. Sitzung am 13. Dez. 1948 vorgelegt und bezieht sich direkt auf den Entwurf Diederichs (siehe oben Dok. Nr. 17 TOP 2). 527
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
I. 1.
Wahlgebiet.
I.
Wahlgebiet. §1
§1
Wahlgebiet ist das Gebiet republik Deutschland.
2.
Wahlgebiet.
der Bundes-
unverändert
Wahlkreise.
§2
§2
Wahlgebiet zerfällt in große Wahlkreise, die sich, Das
44
gleichfolgt,
wie
auf die Länder bzw. die Stadt Berlin verteilen:
Bayern
Hamburg Hessen
Niedersachsen-Bremen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
Schleswig-Holstein Südbaden
Württemberg-Baden Württemb.-Hohenzollern Berlin
8 1 4 7 11 3 2 1
3 1 3
(1) Für das
Wahlgesetz
sind 400 Ab-
wählen, von denen 300 in Wahlkreisen, 100 auf einer Bundesliste gewählt werden3). (2) Die Wahlkreise umfassen je 150 000 Einwohner; sie verteilen sich
geordnete
wie
zu
folgt:
Baden
....
Bayern
....
Bremen
....
Hamburg
....
Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
....
....
....
....
Schleswig-Holstein Württemberg-Baden Württemberg-Hohenzollern Berlin
....
....
....
....
3. Wahlleiter.
§3
§3 (1) Der Parlamentarische Rat wählt eiBundeswahlleiter und einen Stellvertreter. Der Bundeswahlleiter hat seinen Sitz in. Dem Bundesnen
(1) Der Parlamentarische Rat wählt eiBundeswahlleiter und dessen Stellvertreter; der Bundeswahlleiter hat seinen Sitz in. nen
3) Der „Entwurf Schröter" sah eine Bundesreserveliste 528
von
60 Sitzen
vor
(§ 31).
Entwürfe
Wahlgesetzentwurf
rung
von
von.
Nr. 20
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
der Landesregiedas erforderliche
Personal zur Verfügung gestellt. (2) Die Landesregierungen, bzw. der Magistrat von Berlin bestimmen je einen Landeswahlleiter und einen Stellvertreter sowie die Kreiswahlleiter und ihre Stellvertreter. Landeswahlleiter und Stellvertreter von Niedersachsen-Bremen werden von der Landesregierung von Niedersachsen und dem Senat von Bremen gemeinsam bestimmt. In den Ländern, die nur einen Wahlkreis bilden, ist der Landeswahlleiter zugleich Kreiswahlleiter. (3) Bundes-, Landes- und Kreiswahlleiter, sowie ihre Stellvertreter müssen
unpolitische
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
wahlleiter wird
zum
Beamte sein.
(2) Die Landesregierungen, die Senate der Hansestädte und der Magistrat der Stadt Berlin bestellen für ihre Gebiete Landeswahlleiter und deren Stellvertreter; diese haben ihren Sitz in der jeweiligen Landeshauptstadt.
(3) Die Landeswahlleiter bestellen für die Wahlkreise Kreiswahlleiter und deren Stellvertreter.
§
3a
(1) Der Bundeswahlausschuß besteht dem Bundeswahlleiter, seinem Stellvertreter und den Vertrauensmännern, die auf den rechtzeitig eingereichten Bundeswahlvorschlägen bezeichnet sind. (2) Entsprechendes gilt für die Landeswahlausschüsse und die Kreiswahlausschüsse. (3) Die Vertrauensmänner bleiben so lange Mitglieder der Wahlausschüsse, bis sie durch einen anderen Vertrauensmann ersetzt werden. (4) Die Verhandlungen der Wahlausschüsse sind öffentlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Wahlleiter. aus
529
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
4.
Abgrenzung
der Wahlkreise.
§4
§4
(1) Die Abgrenzung der Wahlkreise
Landesregierungen, die Senate der Hansestädte und der Magistrat der Stadt Berlin teilen mit Zustimmung ihrer gesetzgebenden Körperschaften entsprechend der auf ihre Gebiete entfallenden Zahl von in Wahlkreisen zu wählenden Abgeordunter neten Zugrundelegung der Schlüsselzahl von 170 000 Einwohner (§ 2 Abs. 2) ihre Gebiete in Wahlkreise ein. Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen erhalten bleiben. Jedoch können Stadt- und Landkreise, deren Einwohnerzahl nicht ausreicht oder zu groß ist, um einen Wahlkreis zu bilden, getrennt oder zusammengefaßt werden.
erfolgt durch einen von dem Landtag des betreffenden Landes bzw. von der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin gewählten Landeswahlausschuß, der aus 12 Mitgliedern des Landtages bzw. der Stadtverordnetenversammlung von Berlin und dem Landeswahlleiter bzw. seinem StellVorsitzenden ohne als vertreter Stimmrecht besteht. (2) Von dem Ausschuß für Niedersachsen-Bremen müssen zwei Mitglieder der Bürgerschaft der Stadt Bremen
5.
angehören.
Die
Stimmbezirke.
§5
§5
(1) Die Stimmbezirke sollen entsprechend den örtlichen Verhältnissen so abgegrenzt sein, daß allen Stimmberechtigten die Teilnahme an der Wahl möglichst erleichtert wird. Kein Stimmbezirk soll mehr als 6000 Wähler umfassen. Die Einwohnerzahl eines Stimmbezirks darf nicht so gering sein, daß sich die Wahlentscheidung des einzelnen Stimmberechtigten ermitteln ließe. (2) In Krankenhäusern und ähnlichen Anstalten kann unter der Voraussetzung, daß das Wahlgeheimnis gesichert erscheint, ein Stimmbezirk für
unverändert
530
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
die Insassen und das im Hause wohnende Personal gebildet werden. (3) Die Bildung der Stimmbezirke erfolgt durch den Hauptgemeindebeamten der Gemeinde, in Ämtern durch den Hauptgemeindebeamten des Amtes.
§
5a
(1) Die in § 5 Abs. 3 genannten Behörden bestimmen für jeden Stimmbezirk
Abstimmungsort, Abstimmungsraum und unter entsprechender Berücksichtigung der einzelnen
Stimmberechtigten
Parteien
je
einen
als Wahlvorsteher
und dessen Vertreter. (2) Der Wahlvorsteher beruft unter entsprechender Berücksichtigung der einzelnen Parteien einen Stimmberechtigten als Schriftführer und drei bis sechs Stimmberechtigte als Beisitzer; sie sind tunlichst den Stimmberechtigten des Stimmbezirks zu entnehmen. Sie bilden mit ihm den Wahlvorstand. 6.
Bekanntgabe. §6
Die
Einteilung
des Landes in Wahl-
§6 unverändert
kreise, sowie die Einteilung der Gemeinden in Stimmbezirke ist von dem Landeswahlleiter bzw. den Hauptgemeindebeamten öffentlich bekanntzu-
geben.
531
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzen twurf
Wahlgesetzen twurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
II. 1.
Wahlberechtigung und Wahlberechtigung.
Wählbarkeit.
II.
Wahlberechtigung
und Wählbarkeit.
§7
§7
zum Bundestag ist, wer Wahltag die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, das 21. Lebensjahr
unverändert
(1) Wähler
am
vollendet hat und spätestens 3 Monate vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes den Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat. (2j Wahlberechtigt sind ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit ferner 1. ) alle diejenigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1.1. 1945 ihren dauernden Wohnsitz außerhalb der Grenzen des deutschen Reiches nach deren Stand vom 1. 3. 1938 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können, und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben. 2. ) diejenigen Personen, die am 30.1. deutsche Staatsangehörige 1933 waren, ihren Wohnsitz oder Aufenthalt als politisch, rassisch oder religiös Verfolgte außerhalb des Bundesgebiets genommen, ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben oder verloren haben und mit der Absicht, ihren ständigen Aufenthalt dauernd im Bundesgebiet zu nehmen, mindestens 3 Monate vor dem Wahltag ihren Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben.
532
Entwürfe
Ausschluß
der
von
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266) 2.
zum
Wahlberechti-
gung.
§84)
§8
Ausgeschlossen
von
unverändert
der Wahlberechti-
gung ist: 1. Wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen
geistigen Gebrechens
2.
unter
Pfleg-
schaft steht; wer durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte rechtskräftig verloren hat, es sei denn, daß die Ehrenrechte aus politischen Gründen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 entzogen worden
sind; 3.
wem
das Wahlrecht im Entnazifizie-
rungsverfahren rechtskräftig abgesprochen worden ist; 4. wer von der Militärregierung wegen seiner Verbindung mit dem Nationalsozialismus verhaftet oder von seiner Beschäftigung oder einer einflußreichen Stellung im öffentlichen oder privaten Leben entlassen, suspendiert oder ausgeschlossen wurde, falls eine rechtskräftige Eingruppierung durch den Entnazifizierungsausschuß noch nicht vorliegt.
4) Der „Entwurf Schröter" (§ vor, „wer
stuft ist".
2 Abs. 3) sah den
Ausschluß
aufgrund der Entnazifizierungsbestimmungen
Wahlrecht für denjenigen Kategorie I, II oder III einge-
vom
in
533
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266) 3.
Ruhen der
Wahlgesetzentwurf CDU'/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Wahlberechtigung. §9
§9
ruht für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder geistiger Schwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind, oder sich in Straf- oder Untersuchungshaft oder in polizeilicher Verwahrung befinden.
Behindert in der Ausübung ihres Wahlrechts sind Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind, femer Personen, die infolge behördlicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden.
Die
Wahlberechtigung
§9a
Jeder Wahlberechtigte hat Stimme und darf
nur an
wählen.
4.
Wählerlisten.
§10
§10
(1) Wählen kann nur, wer in eine Wählerliste (Wahlkartei) eingetragen ist oder einen Wahlschein erhalten hat. (2) Die Wählerliste (Wahlkartei) wird für jeden Stimmbezirk von dem Hauptgemeindebeamten der Gemeinde aufgestellt. Für die Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) ist entscheidend der Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes im Wahlgebiet der Aufenthaltsort am letzten Tage der
unverändert
Auslegungsfrist.
(3) Der Wähler kann nur in dem Stimmbezirk wählen, in dessen Wählerliste (Wahlkartei) er eingetragen ist, Inhaber von Wahlscheinen in jedem beliebigen Wahl- und Stimmbezirk.
534
nur eine einem Ort
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
§11
§11
Die Wählerliste (Wahlkartei) wird innerhalb einer von dem Bundeswahlleiter festzusetzenden Frist zur allgemeinen Einsicht öffentlich ausgelegt. Der
unverändert
Hauptgemeindebeamte einer jeden Gemeinde gibt Ort und Zeit der Auslegung öffentlich bekannt und weist dabei darauf hin, daß bis zum Tage nach der Auslegefrist bei ihm Ansprüche und Einwendungen gegen die Richtigkeit der Wählerliste (Wahlkartei) geltend gemacht werden können. 5.
Ansprüche und Einwendungen. §
12
§12
(1) Wer behauptet, daß sein Name in die Wählerliste (Wahlkartei) aufgenommen werden müsse oder daß ein Name zu streichen sei, kann seinen Anspruch oder seine Einwendung dem Hauptgemeindebeamten schriftlich unter Darlegung der Gründe mitteilen. Hat der Hauptgemeindebeamte keine Bedenken, dem Anspruch stattzugeben, so hat er die Wählerliste (Wahlkartei) zu ergänzen oder zu be-
Unverändert mit der Maßgabe, daß anstelle des Überprüfungsbeamten die Aufsichtsbehörde tritt und Abs. 6 gestrichen wird.
richtigen. Im
übrigen
wird über
Einwendungen
Ansprüche und
von dem Landeswahlleiter für den Wahlkreis von
einem
eingesetzten wahlberechtigten Über-
prüfungsbeamten entschieden. (2) Der Hauptgemeindebeamte
hat dem Überprüfungsbeamten eine Liste der von ihm nicht erledigten Ansprüche und der Einwendungen nebst den Ergebnissen der von ihm angestellten Ermittlungen zu übergeben. Er hat der Person, die einen Anspruch geltend 535
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
gemacht oder eine Einwendung erhoben hat, sowie auch der Person, gegen die sich eine Einwendung richtet, Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung vor dem Überprüfungsbeamten mitzuteilen. (3) Die Entscheidung des Überprüfungsbeamten ist endgültig. (4) Der Überprüfungsbeamte hat dem Hauptgemeindebeamten seine Entscheidung zu übermitteln. Der Hauptgemeindebeamte berichtigt oder ergänzt entsprechend der Entscheidung
die Wählerliste (Wahlkartei) und stellt die Wählerliste (Wahlkartei) endgültig fest. (5) Für die Übergabe von Ansprüchen und Einwendungen durch den Hauptgemeindebeamten an den Überprüfungsbeamten und für die Entscheidung des Überprüfungsbeamten, sowie für die endgültige Festsetzung der Wählerliste (Wahlkartei) wird von dem Bundeswahlleiter ein Schlußtag
festgesetzt. (6) Glaubt der
Überprüfungsbeamte kei-
fällen zu können, so hat er solche Fälle dem Landeswahlleiter vorzulegen. Dieser entscheidet endgültig, eventuell unter Heranziehung des Landeswahlausschusses. (§ 4) ne
Entscheidung
6. Wahlscheine.
§13 (1) Einen Wahlschein erhält nachweist, daß er am Wahltage aus zwingenden Gründen nicht in dem Stimmbezirk, in dessen Wählerliste (Wahlkartei) er eingetragen ist, wählen kann;
l.wer
536
§
13
unverändert
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
nach der Festsetzung der Wählerliste (Wahlkartei) aus der Kriegsgefangenschaft oder aus dem Ausland oder aus deutschen Gebieten außerhalb des Wahlgebietes in das Wahlgebiet zurückkehrt. (2) Die Ausstellung eines Wahlscheines kann nur bis zum Ablauf des vorletzten Tages vor dem Wahltage erfol2.
wer
gen. (3) In
die
Wählerliste
(Wahlkartei)
die einen Wahlschein erhalten, sind in der Wählerliste (Wahlkartei) unter Hinzu-
aufgenommene Personen, fügung
merks
7.
zu
eines entsprechenden streichen.
Ver-
Wählbarkeit.
§14
§14
Wählbar ist jeder Wahlberechtigte a) der am Wahltage 25 Jahre alt ist und b) dem nicht das Wahlrecht durch
Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der am Tag der Wahl das 25. Lebensjahr zurückgelegt und sich seit mindestens sechs Monaten im Wahlgebiet aufgehalten hat.
rechtskräftige Entscheidung im Entnazifizierungsverfahren abgesprochen worden ist.
77/. 1.
Wahlvorbereitungen.
III.
Wahlvorbereitungen.
Wahltag. §15
§15
(1) Der Wahltag ist ein Sonntag. Er wird vom Präsidium des Parlamentarischen Rates festgesetzt. Wahlzeit von dauert (2) Die Uhr. 8-18
unverändert
537
Entwürfe
Nr. 20
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266) 2.
Kreisbewerbervorschläge. §
§16 (1) Beim Kreiswahlleiter können bis Uhr eines von dem Bundeswahllei-
18
festgesetzten Tages Bewerbervorschläge für die Wahl in den Wahl-
ter
kreisen unter Benutzung des bei ihm erhältlichen amtlichen Vordrucks eingereicht werden. Die Bewerbervorschläge müssen von mindestens 20 Wählern des Wahlkreises unterschrieben sein. Ist in dem Bewerbervorschlag angegeben, daß der Bewerber für eine politische Partei auftritt, so genügt die Unterschrift der für den Wahlkreis zuständigen Leitung der
16
Unverändert mit der Maßgabe, daß 1. dem Absatz 1 folgender Satz 4 hinzugefügt wird: „Jeder Kreiswahlvorschlag muß ein Kennwort haben." 2. Abs. 2 Satz 1 gestrichen wird, 3. folgender Abs. 4 hinzugefügt wird: „Jeder Bewerber kann nur in einem Kreiswahlvorschlag benannt und in einem Wahlkreis aufgestellt werden."
Partei.
(2) Jeder
Bewerbervorschlag darf
nur
enthalten. Der Vorschlag muß Name, Vorname, Geburtstag, Geburtsort, Beruf und Anschrift des Bewerbers angeben. Tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist die Parteibezeichnung ebenfalls einen
Namen
anzugeben.
Bewerbervorschlag darf aufgenommen werden, wer seine
(3) In einem
nur
Zustimmung dazu schriftlich erklärt hat. Die Zustimmungserklärung muß, falls sie nicht gleichzeitig mit dem
Vorschlag eingereicht wird, spätestens bis 18 Uhr des in Abs. 1 genannten Tages bei dem Kreiswahlleiter eingegangen sein.
3.
Bundesbewerbervorschläge. §17
§17
(1) Beim Bundeswahlleiter können bis 18 Uhr eines von dem Bundeswahllei-
(1) Beim Bundeswahlleiter können bis 18 Uhr eines von ihm festgesetzten
538
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU'/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
festgesetzten Tages Bewerbervorschläge für die Bundeswahlliste einer politischen Partei unter Benutzung des
Tages
ter
bei ihm erhältlichen amtlichen Vordrucks eingereicht werden. § 16 Abs. 1 Satz 3 und 4, Abs. 2 und 3 finden entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, daß, falls im Wahlgebiet eine Bundesparteileitung besteht, die Unterschrift dieser genügt.
den Unterzeichnern eines mehrerer Kreiswahlvorschläge mit dem gleichen Kennwort Bewerbervorschläge für die Bundeswahlliste eingereicht werden, welche das gleiche Kennwort haben müssen. (2) Die Benennung in einem Kreiswahlvorschlag schließt die Bewerbung auf der Bundeswahlliste nicht aus. (3) Im übrigen finden die Bestimmungen des § 16 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 und 3 entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, daß, falls für das Gebiet der zu einem Bundeswahlvon
oder
vorschlag
zusammengeschlossenen
Wahlkreise eine Parteileitung besteht, deren Unterschrift genügt. (4) Die Verbindung von Bundeswahlvorschlägen ist zulässig. Die Erklärung hierüber muß innerhalb der Frist des Abs. 1 dem Bundeswahlleiter gegenüber abgegeben werden.
§18
§18
Reihenfolge der Bewerbervorschläge für die Bundesvorschlagsliste Die
einer Partei bestimmt die Leitung der Partei im Wahlgebiet durch Erklärung
gegenüber dem
Wahlleiter bis
späteTages vor der Wahl. Gibt die Parteileitung hinsichtlich der Reihenfolge eine Erklärung nicht oder nicht rechtzeitig ab, so bestimmt sich die Reihenfolge der Bewerber nach der Reihenfolge des Eingangs der Bewerbervorschläge bzw., wenn die Wahlvorschläge in einem stens 18 Uhr des 10.
Die nen
Reihenfolge der Bewerber auf eiBundeswahlvorschlag bestimmen
die Unterzeichner des Bundeswahlvorschlags durch Erklärung gegenüber dem Bundeswahlleiter bei Einreichung des Vorschlags.
Begleitschreiben aufgeführt worden sind, nach der Reihenfolge in diesem Begleitschreiben. 539
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266) 4.
Wahlgesetzentwurf
CDU7CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Bekanntgabe. §19
§19
Der Kreiswahlleiter bzw. der Bundeswahlleiter geben spätestens am 7. Tage vor dem Wahltage die zugelassenen Bewerbervorschläge öffentlich bekannt.
unverändert
5. Rücktritt.
§
§20
20
(1) Ein Bewerber kann
von
seiner Beer eine
unverändert
werbung zurücktreten, indem
ihm selbst unterzeichnete RückKreis- bzw. Bundeswahlleiter bis spätestens 18 Uhr eines vom Bundeswahlleiter festgesetzten Tages übergibt. Der Rücktritt ist öffentlich bekanntzugeben. (2) Im Falle des Abs. 1 hat der Kreisbzw. Bundeswahlleiter bis zum Ablauf des 8. Tages vor dem Wahltag von den Unterzeichnern des Bewerbervorschlages für den zurückgetretenen Bewerber einen neuen Wahlvorschlag von
trittserklärung dem
entgegenzunehmen.
6.
Nachbenennung
eines Bewerbers.
§21
§ 21
(1) Stirbt ein für die Wahl in einem Wahlkreis benannter Bewerber nach dem letzten Tage für die Übergabe der Wahlvorschläge und vor Beginn der Wahl, so kann bis zum Tage der Drucklegung der amtlichen Stimmzettel Nachbenennung eines Bewerbers
unverändert
erfolgen. 540
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
7.
Stimmzettel.
§22
§22
(1) Die Stimmzettel werden für jeden Wahlkreis amtlich hergestellt. Sie enthalten alle zugelassenen Bewerbervorschläge nach Parteizugehörigkeit, zu
Die Stimmzettel werden für jeden Wahlkreis amtlich hergestellt. Sie enthalten alle zugelassenen Bewerbervorschläge mit ihrem Kennwort. Die Reihenfolge der Wahlvorschläge wird vom Bundeswahlleiter für das ganze Wahlgebiet einheitlich durch das Los bestimmt und dem Landeswahlleiter
zusammengefaßt.
Wahlvorschlägen
Die Namen der Bewerber derselben Partei erscheinen in alphabetischer Reihenfolge. Die Reihenfolge der Wahlvorschläge wird vom Bundeswahlleiter für das gesamte Wahlgebiet einheitlich durch das Los bestimmt und den Landeswahlleitern bekannt-
bekanntgegeben.
gegeben. Unabhängige Bewerber fol-
gen auf dem Stimmzettel nach den Wahlvorschlägen der Parteien in al-
phabetischer Reihenfolge. (2) Die Stimmzettel werden in Hundertblocks gebündelt. Der perforierte Kontrollstreifen wird mit einer laufenden Nummer versehen. Der Stimmzettel selbst darf keine Nummer oder irgendein anderes Kennzeichen enthalten.
8.
Wahlvorsteher.
§23
Hauptgemeindebeamte der Gemeinde bestimmt für jeden Stimmbezirk einen Wahlvorsteher, dem von der örtlichen Verwaltung das erforderliche Personal als Wahlhelfer beigegeben wird. Der
§23 Entfällt mit Rücksicht auf § 5
a.
541
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
IV. 1.
Durchführung der
Wahl.
Durchführung
der Wahl.
Wahlurnen und Wahlzellen.
§
24
Für die
Wahlhandlung sind Wahlurnen zu benutzen und Wahlzellen einzurichten. Findet die Stimmenzählung nicht im Wahllokal statt, so sind die Wahlurnen nach Beendigung der Wahl zu versiegeln oder sonst zu verschließen und zu der für die Stimmenzählung bestimmten Stelle zu schaffen. 2.
IV.
§24 unverändert
Bannmeile.
§25
§25
Im Gebäude, in dem sich das Wahllokal befindet, und im Umkreise von 15 m davon ist jede Wahlagitation verboten.
Unverändert mit der Maßgabe, daß die Entfernung von 15 Meter auf 50 Meter erweitert wird.
3.
Stimmabgabe. §26
(1) Der Wähler setzt, nachdem seine aus der Wählerliste (Wahlkartei) oder durch Vorlage des Wahlscheines festgestellt worden ist und er einen Stimmzettel und einen amtlichen Umschlag für diesen erhalten hat, in einer Wahlzelle auf dem Stimmzettel bei denjenigen Bewerbern denen er seine höchstens 3
Wahlberechtigung
Stimme geben will, je ein Kreuz: Darauf legt er den Stimmzettel in den amtlichen Umschlag, überreicht diesen dem Wahlvorsteher, der denselben in die Urne legt und in der Wählerliste die Stimmabgabe vermerkt. —
542
—
§
26
Unverändert mit der Maßgabe, daß es in Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz heißt: .bei dem Bewerber, dem er seine Stimme geben will, ein Kreuz."
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
(2) In Krankenhäusern und ähnlichen Anstalten, die einen Stimmbezirk bilden, kann der Wahlvorsteher die von bettlägerig Kranken Krankenbett entgegennehmen. Hierbei hat er Sorge zu tragen, daß die Stimmabgabe geheim bleibt. (3) Blinde oder sonst schreibbehinderte Wähler können sich durch eine in die Wahlzelle mitgenommene Vertrauensperson in der Ausfüllung des Stimmzettels unterstützen lassen. (4) Die Stimmabgabe kann nur persönlich erfolgen. (5) Über den Verlauf der Wahlhandlung ist eine Niederschrift aufzunehmen.
Stimmabgabe
am
4.
Anwesenheit der Parteien.
§27
§27
Der Wahlleiter hat den Bewerbern oder einem Vertreter jedes Bewerbers die Anwesenheit im Wahl- und Zähl-
unverändert
lokal zu gestatten, vorausgesetzt, daß diese Personen nur als Beobachter teilnehmen.
5.
Stimmenzählung. §
28
(1) Der Hauptgemeindebeamte bestimmt, falls die Stimmenzählung nicht im Wahllokal stattfindet, einen für die Stimmenzählung verantwortlichen Zählvorsteher und das Zählpersonal. (2) Bei der Stimmenzählung ist zunächst die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen anhand der Wählerliste (Wahlkartei) unter Hinzurechnung derabgegebenen Wahlscheine mit der
§28 (1) Nach Schluß der Wahl stellt der Wahlvorstand fest, wie viele gültige Stimmen insgesamt und für jeden der im Wahlkreis aufgestellten Bewerber abgegeben wurden. (2) Der Wahlvorstand berichtet dieses Ergebnis unverzüglich dem Kreiswahlleiter.
543
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Zahl der in der Urne befindlichen Stimmzettel zu vergleichen. Danach erfolgt die Ermittlung der gültigen Stimmen und der auf jeden Wahlvorschlag sowie auf jeden Bewerber entfallenen Stimmen. (3) Über die Gültigkeit der Stimmen entscheidet der Wahl- bzw. Zählvorsteher. Über die Stimmenzählung ist eine Niederschrift aufzunehmen, aus der sämtliche Vorgänge die Stimmenzählung und die Feststellung des Wahlergebnisses betreffend sich ergeben müssen. Für die Stimmenzählung sind Zählerlisten zu benutzen. (4) Bei Berechnung des Prozentsatzes der Wahlbeteiligung wird von der Zahl der Wahlberechtigten gemäß Wählerliste (Wahlkartei) die Zahl der ausgestellten Wahlscheine abgezogen und die neu gewonnene Zahl mit der Zahl der abgegebenen Wahlscheine zusammengezählt und als Zahl der Wahlberechtigten der Zahl der Wähler gegenübergestellt.
§29
§29
Ungültig sind: a) leere Umschläge, b) Stimmzettel ohne Umschlag, c) Stimmzettel, die sich nicht in dem amtlichen Umschlag befinden, d) Stimmzettel, in denen kein Bewerber angekreuzt ist, e) Stimmzettel, in denen mehr als drei Bewerber angekreuzt sind, f) Stimmzettel, die Zusätze oder Anla-
Unverändert mit der Maßgabe, daß Buchstabe d lautet: „Stimmzettel, in denen kein oder mehr als ein Bewerber angekreuzt ist." Buchstabe e entfällt.
gen enthalten, g) Stimmzettel, deren zeichen aufweisen. 544
Umschläge
Kenn-
Entwürfe
1.
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266) V.
zum
Wahlsystem.
V.
Wahlsystem.
Wahl in den Wahlkreisen.
§
§ 30 (1) Im Wahlkreise können bis
zu
6
mit der
Bewerbervorschläge gleichen Parteibezeichnung zugelassen werden. Unabhängige Bewerber bilden jeweils
30
(1) In den einzelnen Wahlkreisen ist derjenige Bewerber gewählt, welcher mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigt5).
eine Partei für sich.
(2) Jeder Wähler hat 3 Stimmen, die in beliebiger Weise restlos oder auch nur zum Teil, aber ohne Stimer
menhäufung, auf die Bewerber in den Wahlvorschlägen verteilen kann.
(2) Erreicht kein Bewerber mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen, so findet am zweiten Sonntag nach dem Wahltag (§15 Abs. 1) ein zweiter Wahlgang statt. In diesem ist derjenige Bewerber gewählt, welcher die meisten gültigen Stimmen erhält. Für den zweiten Wahlgang können bis zum 8. Tage vor der Wahl anstelle bereits benannter Bewerber neue Bewerber benannt werden oder
Wahlvorschläge zurückgezogen werden; hierbei gilt § 16 entsprechend. (3) Der Kreiswahlleiter rechnet die auf Bewerber mit der gleichen Parteibezeichnung entfallenen Stimmen zusammen und teilt diese Gesamtstimmenzahlen der Parteien, sowie auch die von jedem unabhängigen Bewerber erzielte Stimmenzahl zur Feststellung von 6 Höchstzahlen nacheinander durch 1, 2, 3 usw. (d'Hondt'sches System).
5) Der „Entwurf Schröter" sah die relative Mehrheit, d. h. also auch keinen gang
vor
(§ 30).
zweiten Wahl-
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
(4) Ein unabhängiger Bewerber, der eine dieser Höchstzahlen erreicht hat, ist gewählt. Von den parteigebundenen
Bewerbern sind
gewählt diejeni-
gen, die im Rahmen der von der Partei erzielten Anzahl von Höchstzahlen jeweils die meisten Stimmen erhalten
haben.
2.
Wahl
auf der Bundesvorschlagsliste. §
§31 (1) Die Landeswahlleiter berichten das Ergebnis der Wahl in den Wahlkreisen unverzüglich fernmündlich dem Bundeswahlleiter. (2) Der Bundeswahlleiter zählt die in sämtlichen Wahlkreisen des Wahlgebietes auf Bewerber mit der gleichen
Parteibezeichnung gefallenen
Stimmen und stellt fest, wieviel Sitze jeder Partei zustehen, wenn auf 200 000 für die Partei abgegebenen Stimmen oder auf eine Reststimmenzahl von mehr als die Hälfte davon ein Sitz entfällt. Sodann weist er jeder Partei, die diese Sitzzahl in den Wahlkreisen nicht erreicht hat, von der Bundesvorschlagsliste nach der Reihenfolge der Bewerber auf dieser unter Anrechnung der bereits von der Partei in den Wahlkreisen errungenen Sitze soviel Sitze zu, bis die ihr zustehende Sitzzahl erreicht ist. (3) Eine Verbindung von Bundesvorschlagslisten verschiedener Parteien findet nicht statt. zusammen
546
31
(1) Die Landeswahlleiter berichten das
Ergebnis der Wahl in den Wahlkreisen unverzüglich dem Bundeswahlleiter.
(2) Der Bundeswahlleiter zählt die in sämtlichen Wahlkreisen des Wahlgebietes im ersten Wahlgang auf die Kreiswahlbewerber abgegebenen gültigen Stimmen zusammen. Sodann stellt er fest, wie viele der auf einzelne Kreiswahlbewerber abgegebenen gültigen Stimmen auf Bundeswahlvorschläge mit dem gleichen Kennwort entfallen.
(3) Zur Verteilung der Sitze aus der Bundesliste teilt der Bundeswahlleiter die Stimmen eines jeden Bundeswahlvorschlags oder verbundener Bundeswahlvorschläge nacheinander durch 1, 2, 3, 4 usw. so lange, bis 100 Höchst-
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
teilungszahlen ermittelt sind. Jedem Bundeswahlvorschlag oder verbundenen Bundeswahlvorschlägen wird da-
bei der Reihe nach so oft ein Sitz zugeteilt, als sie jeweils die Höchstteilungszahl aufzuweisen haben6). (4) Die auf die einzelnen Bundeswahlvorschläge entfallenden Sitze werden auf die Bewerber in der Reihenfolge ihrer Benennung auf den Bundeswahlvorschlag verteilt. Ein Bewerber, der bereits in einem Wahlkreis gewählt wurde, scheidet bei dieser Verteilung aus.
3.
Bekanntgabe. §32
Der Landeswahlleiter gibt die in den Wahlkreisen, der Bundeswahlleiter die auf der Bundesvorschlagsliste gewählten Bewerber öffentlich bekannt.
VI.
Schlußbestimmungen.
§
32
Entfällt mit Rücksicht auf § 33
VI.
a.
Schlußbestimmungen.
1. Amtsantritt.
§
gewählter Bewerber ist als Abgeordneter anzusehen, ehe er dem Bundeswahlleiter schriftlich die Erklärung abgegeben hat, daß er die Wahl annehme. Kein
§33
33
(1) Der Bundeswahlleiter hat die Gewählten sofort von ihrer Wahl zu verständigen mit der Aufforderung, sich ihm gegenüber über die Annahme der Wahl binnen acht Tagen schriftlich zu erklären.
6) Der „Entwurf Schröter" sah zusätzlich die 5 %-Sperrklausel
vor
(§
33
Abs 3). 547
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz Wahlgesetzentwurf
Wahlgesetzentwurf
Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369) (2) Wird die Annahme der Wahl nicht frist- und formgemäß erklärt, so gilt die Wahl als abgelehnt. Annahme unter Vorbehalt oder Verwahrung gilt ebenfalls als Ablehnung.
§
33a
(1) Sobald die Namen aller Abgeordneten feststehen, hat der Bundeswahlleiter sie alsbald öffentlich bekanntzugeben. (2) Die drei ältesten Abgeordneten hat er von dieser ihrer Eigenschaft zu ver-
ständigen.
2.
Wahlprüfung. §
§34
34
Solange ein Wahlprüfungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht erlassen ist, erfolgt die Prüfung und Erledi-
Vergleiche hierzu gesetzentwurfes7) !
Art. 148 des Grund-
gung der gegen die Kreiswahlen erhobenen
Einsprüche durch
den Landeswahl-
ausschuß, hinsichtlich der Feststellung
Ergebnisses auf der Bundesvorschlagsliste durch einen vom Parlamentarischen Rat gewählten Ausschuß von 6 Mitgliedern und dem Bundeswahlleiter
des
bzw. seinem Stellvertreter als stimmberechtigten Vorsitzenden.
Art. 148 GG
(Drucks. Nr.
291 vom 18. Nov. 1948;
GG-Entwürfe, S. 38) lautete: „Bis
zur
Er-
richtung des Bundesverfassungsgerichtshofes tritt an seine Stelle das Obergericht der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets." Eine Anmerkung zu dem Artikel erläuterte: „Die Einberufung des ersten Bundestags wird zweckmäßiger im Wahlgesetz geregelt. Eine besondere Regelung der Einberufung der Länderkammer (Bundesrat) erscheint nicht erforderlich, vgl. Weimarer Verfassung. Dagegen dürfte eine Übergangsbestimmung hinsichtlich des Wahlprüfungsgerichtes notwendig sein. Wenn diese Aufgabe dem Bundesverfassungsgerichtshof übertragen ist, müßte an dieser Stelle eine Übergangsregelung getroffen werden, wobei es zweckmäßig erscheint, die Funktion des Bundesverfassungsgerichtshofes generell übergangsweise vom Obergericht in Köln ausüben zu lassen." Zur Entwicklung des als Art. 137 Abs. 3 verabschiedeten Textes siehe v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, S. 892 ff.
548
Entwürfe
Wahlgesetzentwurf Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
§
der
§
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf
CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
§35
35
(1) Eine Wahl in einem Wahlkreise kann nur für ungültig erklärt werden, wenn die festgestellten Unregelmäßigkeiten derart sind, daß sie das Wahlergebnis entscheidend beeinflußt haben, und eine Richtigstellung des Ergebnisses bei der Wahlprüfung nicht möglich ist. Ist eine solche Richtigstellung möglich, so hat sie der Ausschuß vorzunehmen. (2) Die Richtigstellung des Ergebnisses auf der Bundesvorschlagsliste kann dem Ausschuß vorgenommen von werden. Hierbei sind Richtigstellungen des Wahlergebnisses in den Wahlkreisen nur zu berücksichtigen, wenn sie bereits vorliegen. (3) Neuwahlen in Wahlkreisen, die etwa erforderlich werden, haben keinen Einfluß auf die Feststellung des Wahlergebnisses von der Bundesvorschlagsliste.
3. Zusammentritt
zum
unverändert
Vertretung. §
36
Die gewählte Vertretung ist von dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates innerhalb eines Monats vom
Wahltage ab gerechnet
36
unverändert
zusammenzu-
rufen. Bis zur Übernahme des Vorsitzes durch den Alterspräsidenten führt der Präsident des Parlamentarischen Rates den Vorsitz.
549
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266) 4.
Wahlgesetzentwurf CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Ersatzwahl.
§37 (1) Scheidet ein Abgeordneter aus, der in einem Wahlkreise gewählt worden ist, so hat der Landeswahlleiter aus dem Kreiswahlvorschlag der gleichen Partei den Bewerber als gewählt zu erklären, der nach dem gewählten Bewerber die meisten Stimmen erhalten hat.
(2) Scheidet ein auf der Bundesvor-
schlagsliste gewählter Abgeordneter
so hat der Bundeswahlleiter den nächsten Bewerber auf der Bundesvorschlagsliste der gleichen Partei als gewählt zu erklären.
aus,
§
37
(1) Wenn ein Abgeordneter, der in eiWahlkreis gewählt worden ist, die Wahl ablehnt oder nachträglich ausscheidet, so findet in seinem Wahlkreis eine Ersatzwahl nach Maßgabe dieses Gesetzes innerhalb von sechs Wochen statt. Die Neuwahl hat keinen Einfluß auf die Feststellung des Ergebnisses aus der Bundeswahlliste. (2) Scheidet ein auf der Bundeswahlliste gewählter Abgeordneter aus oder lehnt er die Annahme der Wahl ab, so hat der Bundeswahlleiter den nächsten Bewerber auf der Bundesvorschlagsliste mit dem gleichen Kennwort als gewählt zu erklären. Ist kein solcher Bewerber mehr vorhanden, so bleibt der Sitz unbesetzt. nem
der Kreiswahlvorschlag erschöpft, wird der Ersatz von dem Bundeswahlvorschlag genommen. Sind beide erschöpft, bleibt der Sitz unbe-
(3) Ist
setzt.
5.
Strafbestimmungen. § 38
§ 38
in die Wählerlidurch ste (Wahlkartei) falsche Angaben erwirkt oder wer einen anderen als Wähler einträgt, von dem er weiß, daß er keinen Anspruch auf Eintragung hat, oder wer wählt, obwohl er zu den nach diesem Gesetz von der
unverändert
Wer seine
Eintragung
Wahlberechtigung 550
ausgeschlossenen
Entwürfe
Wahlgesetzentwurf Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266)
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlgesetzentwurf CDU/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Personen gehört, oder wer sich als Bewerber aufstellen läßt, trotzdem er zu den von der Wählbarkeit ausgeschlossenen Personenkreisen gehört, oder wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschem Namen wählt, wird mit Gefängnis bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 5000 DM bestraft, soweit nicht in anderen Strafgesetzen eine höhere Strafe angesetzt ist.
§
§ 39
39
von dem Hauptgemeindebeamten als Wahl- oder Zählvorsteher oder als Wahl- oder Zählpersonal berufen, das Amt ohne wichtigen und anerkannten Grund ablehnt, kann mit Geldstrafe bis zu 500 DM bestraft werden.
entfällt als nicht
Wer
notwendig
§39a (1) Die Kosten für die Bereitstellung
des die
Abstimmungsraums und die für Abstimmung sonst notwendiger Gegenstände tragen die Gemeinden, alle übrigen Kosten die Länder mit der Maßgabe, daß die Kosten für den Bundeswahlleiter anteilig getragen
werden. (2) Die Gemeiden haben die zum Vollzug des Gesetzes und der Ausführungsvorschriften erforderlichen Bestätigungen kostenfrei auszustellen. (3) Die in diesem Gesetz zum Vollzug der Abstimmungen vorgesehenen Ämter sind Ehrenämter, für die keine Vergütung beansprucht werden kann. 551
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Wahlgesetzentwurf Dr. Diederichs (Drucks. Nr. 266) 7.
Wahlgesetzentwurf CDU'/CSU-Fraktion (Drucks. Nr. 369)
Durchführungsverordnungen. §
Die
§ 40
40
Landesregierungen
sind berech-
tigt, im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes Durchführungsbestimmungen
zu
Die sem
Ausführungsvorschriften zu dieGesetz erlassen die Landesregie-
rungen.
erlassen.
§41 Dieses Gesetz tritt
552
am
...
in Kraft.
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
[2. ÜBERARBEITETER ENTWURF DR. DIEDERICHS (DRUCKS. NR. 474)]
Entwurf8) der Bundesrepublik Deutschland. Dr. Diederichs, überarbeitet vom Redaktionskomitee des Wahlrechtseines
Wahlgesetzes
(Entwurf ausschusses.)
A. Wahl I.
zum
Bundestag.
Wahlberechtigung und Wählbarkeit. §1
Wahlberechtigt ist, wer am Wahltag 1) deutscher Staatsangehöriger ist, 2) das 21. Lebensjahr vollendet hat, 3) und seit mindestens drei Monaten vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.
Wahlberechtigt sind auch, wenn diejenigen Personen a) deutscher Volkszugehörigkeit,
die
Voraussetzung
zu
1) nicht
vorliegt,
alle
welche am 1. 1. 45 ihren dauernden Wohnder des Deutschen Reiches nach dem Stand vom Grenzen innerhalb9) 1. 3. 38 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben; welche am 30. 1. 33 die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, sie aber durch politische Maßnahmen verloren und keine andere Staatsangehörigkeit erlangt haben. sitz
b)
§2
Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung ist: 1) wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht; 2) wer durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte rechtskräftig verloren
3)
hat;
das Wahlrecht im chen worden ist;
wem
Entnazifizierungsverfahren rechtskräftig abgespro-
8) BA Z 5/129, vervielf. als Drucks. 474, ungez. und undat. Der hier vorliegende Entwurf
Verhandlungsgrundlage des Wahlrechtsausschusses in seiner 16., 17. und 18. Sitzung vom 13., 14. und 15. Dez. 1948 (siehe oben Dok. Nr. 17—19). Der besseren Lesbarkeit wegen wird der Gesetzestext hier nochmals ungekürzt und im Zusammenhang abwar
gedruckt. 9) Wurde
von
handlungen
Becker am 23. Feb. 1949 im Hauptausschuß des Hauptausschusses, S. 713).
berichtigt
in: „außerhalb" (Ver-
553
Nr. 20
4)
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
der Militärregierung wegen seiner Verbindung mit dem Nationalsozialismus verhaftet oder von seiner Beschäftigung oder einer einflußreichen Stellung im öffentlichen oder privaten Leben entlassen, suspendiert oder ausgeschlossen wurde, falls eine rechtskräftige Eingruppierung im Entnazifizierungsverfahren am Wahltage noch nicht vorliegt.
wer von
§3 Die Wahlberechtigung ruht für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind, sich in Strafoder Untersuchungshaft befinden oder infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden.
§4 Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste oder Wahlkartei oder einen Wahlschein hat.
eingetragen ist
§5 Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, a) der am Wahltage 25 Jahre alt ist, b) der am Wahltage seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und c) dem nicht die Wählbarkeit durch rechtskräftige Entscheidung im Entnazifizierungsverfahren abgesprochen worden ist.
§6 Bewerber ist erst dann Abgeordneter, leiter schriftlich die Annahme der Wahl erklärt hat. Ein
gewählter
wenn er
dem Bundeswahl-
§7 1) 2) 3) 4)
verliert seinen Sitz durch Verzicht; durch nachträglichen Verlust des Wahlrechts; durch straf gerichtliche Aberkennung der Rechte aus öffentlichen Wahlen; durch Ungültigkeitserklärung der Wahl oder sonstiges Ausscheiden beim
5)
Wahlprüfungsverfahren ; durch nachträgliche Änderung
Ein
Abgeordneter
des
Wahlergebnisses.
Bundeswahlleiter, nach der dem Bundestagspräsidenten zu erklären; destages Der Verzicht ist dem
kann nicht widerrufen werden. 554
Einberufung des Bunmuß schriftlich sein und
ersten er
Entwürfe II.
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
Wahlverfahren. §8
Wahlgebiet ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Es zerfällt in 44 möglichst gleichgroße Wahlkreise, die sich wie folgt auf die Länder und die Stadt Berlin verteilen:
Bayern
Hamburg Hessen
Niedersachsen-Bremen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
Schleswig-Holstein
Südbaden
Württemberg-Baden Württ.-Hohenzollern Berlin In
jedem Wahlkreis
8 1 4 7 11 3 2 1 3 1 3
Wahlkreise Wahlkreis Wahlkreise Wahlkreise Wahlkreise Wahlkreise Wahlkreise Wahlkreis Wahlkreise Wahlkreis Wahlkreise
werden sechs
Abgeordnete gewählt. §9
Bei dem Kreiswahlleiter sind spätestens am 17. Tage vor dem Wahltag bis 18 Uhr während der Dienststunden Kreiswahlvorschläge schriftlich einzureichen; sie müssen von mindestens zwanzig Wählern des Wahlkreises unterschrieben sein. Ist in einem Wahlvorschlag angegeben, daß die Bewerber für eine politische Partei auftreten, so genügt die Unterschrift der für den Wahlkreis zuständigen Landesleitung der Partei. Als politische Partei sind nur solche Wählervereinigungen anzusehen, welche dem Art. 46 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland entsprechen und, soweit seitens der Militärregierung Zulassungsbestimmungen bestehen, für den betreffenden Wahlkreis insgesamt zugelassen sind. Jeder Wahlvorschlag darf nicht mehr als sechs Bewerber enthalten; er muß Namen, Vornamen, Geburtstag, Geburtsort, Beruf und Anschrift der Bewerber angeben. Tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist die politische Bezeichnung ebenfalls anzugeben. Jeder Bewerber hat seine Zustimmung schriftlich zu erteilen; seine Unterschrift muß amüich beglaubigt sein. Die Zustimmung muß bis spätestens 18 Uhr des in Abs. 1 genannten Tages bei dem Kreiswahlleiter eingegangen sein. Namen, Vornamen, Beruf und Anschrift der Unterzeichner des Wahlvorschlages sind anzugeben.
§10 nur auf einem Wahlvorschlag eines Wahlkreises genannt kann sich in höchstens drei Wahlkreisen bewerben.
Jeder Bewerber kann sein;
er
555
Entwürfe
Nr. 20
zum
Wahlgesetz §11
Jeder Wähler hat drei Stimmen. schein
auf dem amtlichen Stimmvon ihm durch Ankreuzen oder in sonst deutlich erkennbarer Weise zu bezeichEr ist
berechtigt,
aufgeführte Bewerber, gleichviel welchen Wahlvorschlages, als
gewählt nen.
Eine
Häufung
von
Stimmen ist
ausgeschlossen.
§12 Die auf die Bewerber der einzelnen Wahlvorschläge entfallenden Stimmen werden je Wahlvorschlag im Wahlkreis zusammengerechnet. Unter Zugrundelegung dieser Ziffern wird dann nach dem d'Hondt'schen System berechnet, wie-
viele von den sechs Abgeordnetensitzen auf jeden Wahlvorschlag entfallen. Die auf jeden Wahlvorschlag entfallenden Sitze werden nach der Mehrheit der für die einzelnen Bewerber abgegebenen Stimmen auf diese verteilt.
§13 Die
Verbindung
von
mehreren
Wahlvorschlägen
ist unstatthaft.
§14 Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt er oder verliert er seinen Sitz (vgl. § 7), so rückt derjenige Bewerber des gleichen Kreiswahlvorschlages nach, der die nächst hohe Stimmenzahl erhalten hat.
§15 Beim Bundeswahlleiter können bis 18 Uhr des 17. Tages vor dem Wahltag Wahlvorschläge für die Bundeswahlliste einer politischen Partei eingereicht werden. Die Zahl der Bewerber eines solchen Wahlvorschlages ist unbeschränkt. Im übrigen finden auf Inhalt und Einreichung der Wahlvorschläge die Bestimmungen des § 9 mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß für die Unterzeichnung des Wahlvorschlages die Unterschrift der obersten Parteileitung genügt und daß, soweit seitens der Militärregierung Bestimmungen über die Zulassung einer politischen Partei bestehen, die betreffende Partei 1. Alternative : für das Gesamtgebiet einer Besatzungszone 2. Alternative: für das gesamte Bundesgebiet zugelassen ist. Die Bewerber auf der Bundeswahlliste können auch in Kreiswahlvorschlägen als Bewerber auftreten. 556
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
§16
Reihenfolge auf den Kreiswahlvorschlägen und auf dem sind in geheimer Abstimmung in einer Versammlung der Bundeswahlvorschlag betreffenden politischen Parteien festzustellen, für die eine der Mitgliederzahl bzw. dem Statut der betreffenden Partei entsprechende Zahl von Delegierten der einzelnen Unterverbände im Wahlkreis bzw. im Bundesgebiet unter Angabe der Tagesordnung mit angemessener Ladungsfrist eingeladen war. Beglaubigte Abschrift der Niederschrift über diese Versammlung ist mit dem Wahlvorschlag einzureichen. Die Bewerber und ihre
§17 Der Bundeswahlausschuß stellt die Summe der insgesamt im Bundesgebiet abgegebenen gültigen Stimmen fest. So oft sie die Zahl 180 000 enthält, zählt der Bundestag Abgeordnete. Auf einen überschüssigen Rest von mehr als 100 000 wird ein weiterer Abgeordneter zugeteilt. Der Bundeswahlausschuß stellt ferner die auf jede politische Partei im gesamten Bundesgebiet entfallende Gesamtstimmenzahl fest und ermittelt, wieviel Sitze von der nach Abzug der auf unabhängige Kandidaten in den Wahlkreisen entfallenen Sitze verbleibenden Mandatzahl nach dem arithmetischen Verhältnis ihrer Stimmen auf jede Partei entfallen. Von der so für jede Partei ermittelten Abgeordnetenziffer werden die in den Wahlkreisen von ihr erzielten Mandate abgerechnet und die noch fehlenden aus ihrem Bundeswahlvorschlag in
der dort
vorliegenden Reihenfolge
der Bewerber ihr
zugeteilt.
§18
Bundeswahlvorschlag gewählter Abgeordneter das Mandat nicht er seinen Sitz (vgl. § 7), so rückt der nächste Beweran, stirbt ber des gleichen Bundeswahlvorschlages in der dort angegebenen Reihenfolge Nimmt ein auf er
oder verliert
nach.
III.
Wahlvorbereitung. §19
Der Wahltag ist ein Sonntag; die Wahl findet an demjenigen Sonntag statt, welcher spätestens drei Monate nach dem Tage liegt, an welchem das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland rechtswirksam geworden ist. Den Wahltag bestimmt das Präsidium des Parlamentarischen Rates.
§20 Der Bundeswahlleiter und sein Stellvertreter werden vom Präsidium des Parlamentarischen Rates, der Landeswahlleiter und sein Stellvertreter und die Kreis557
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
wahlleiter und ihre Stellvertreter werden von der zuständigen Landesregierung bestimmt. Der Landeswahlleiter kann zugleich Kreiswahlleiter eines Wahlkreises
sein.
§21
Abgrenzung der Wahlkreise in Ländern mit mehreren Wahlkreisen erfolgt durch einen Landeswahlausschuß. Dieser besteht aus dem Landeswahlleiter und zwölf vom Landtag nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Mitgliedern. Von dem Ausschuß für Niedersachsen-Bremen müssen zwei Mitglieder von der Bürgerschaft der Stadt Bremen gewählt werden. Die auf demokratischer Grundlage in Freiheit gewählte Stadtverordnetenversammlung von Berlin beschließt ihrerseits, ob eine Aufteilung in die in § 8 vorgesehenen drei Wahlkreise erfolgen oder ob Berlin einen einheitlichen Wahlkreis mit 18 Abgeordneten bilden soll. Ist aus gegebenen Verhältnissen die Durchführung der Wahl nur in einem Teil von Groß-Berlin möglich, so verringert sich die Zahl der Wahlkreise auf zwei. Die
§22 Hinsichtlich der
Vorbereitung
und
Durchführung
der Wahl
(Einteilung
in Wahl-
bezirke, Bestellung des Wahlvorstandes, Feststellung und Auslegung der Wählerlisten, Einspruchsverfahren, Erteilung von Wahlscheinen, Durchführung der
Wahlhandlung, Ermittlung des Wahlergebnisses in den Stimmbezirken und Wahlkreisen usw.) gelten die für die letzten Landtags-, Bürgerschafts- und Berliner Stadtverordnetenwahlen angewendeten gesetzlichen Bestimmungen (Wahlgesetze und Wahlverordnung) sinngemäß; jedoch müssen die Bestimmungen dieses Gesetzes insbesondere die der §§ 24—43, eingehalten und in jedem Falle amtliche Stimmzettel hergestellt und zur Verfügung gehalten werden. —,
§23 Bei dem Kreiswahlleiter sind Kreiswahlausschüsse, bei dem Bundeswahlleiter ein Bundeswahlausschuß zu bilden. Die Zusammensetzung der Kreiswahlaus-
schüsse und ihre
Zuständigkeit bestimmt
sich nach Landesrecht
(vgl. § 22),
weit nicht dieses Gesetz Abweichendes vorschreibt. Der Bundeswahlausschuß besteht aus dem Bundeswahlleiter und sechs
ausgewählten Wahlberechtigten
und der
von
so-
ihm
gleichen Anzahl Stellvertreter.
§24 Seeleuten, die sich infolge ihres Berufes nur vorübergehend in einer Gemeinde aufhalten, ist der Wahlschein von der Aufenthaltsgemeinde zu erteilen, wenn sie ihr Wahlrecht in dieser Gemeinde ausüben wollen; sie müssen aber in ihrem
Seefahrtsbuch einen
vom
Seemannsamt oder
von
eingetragenen, noch gültigen Vermerk vorweisen, der 558
der Gemeindebehörde sie zur Entgegennahme
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
eines Wahlscheines berechtigt. Zu diesem Zweck ist den Seeleuten ihr Seefahrtsbuch auszuhändigen. Wird der Wahlschein am Wahltage erst nach 12 Uhr Mittags beantragt, so kann der Antrag zurückgewiesen werden, wenn eine Beteiligung an der Wahl nicht mehr möglich erscheint. Das Seemannsamt ist verpflichtet, auf Antrag einen Vermerk in das Seefahrtsbuch einzutragen, nachdem es bei der Gemeindebehörde, bei der der Antragsteller in der Wählerliste zu führen ist, festgestellt hat, daß keine Bedenken bestehen. Die Eintragung des Vermerks wird der Gemeindebehörde mitgeteilt, die es in der Wählerliste bei dem Namen des Wahlberechtigten vermerkt. Die Erteilung des Wahlscheines wird bei der Ausfertigung von der Gemeindebehörde bei dem Vermerk unter Angabe des Wahltages bescheinigt.
§25
Wahlberechtigte können nur in dem Wahlbezirk abstimmen, in dessen Wählerliste oder Wahlkartei sie eingetragen sind. Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlbezirk des Bundesgebietes wählen. §26 Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt die Auslegungsfrist und den Tag, von dem ab die Wählerlisten oder Wahlkartei auszulegen sind. In großen Gemeinden kann die Gemeindebehörde die Auslegung schon früher beginnen lassen. Die Gemeindebehörden sollen die Anfertigung von Abschriften zulassen oder, soweit möglich, gegen Erstattung der Auslagen Abschriften der Wählerlisten oder Wahlkartei erteilen. Jeder, der in einer Wählerliste (Wahlkartei) eingetragen ist, ist von seiner Eintragung spätestens am 4. Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist von der Gemeindebehörde zu benachrichten. IV.
Wahlhandlung. §27
Abstimmungszeit dauert in der Zeit vom 1. April bis 30. September von 8 Uhr bis 17 Uhr, sonst von 9 Uhr bis 18 Uhr. In den Wahlbezirken mit weniger als 1000 Einwohnern kann die zur Abgrenzung der Wahlbezirke zuständige Wahlbehörde die Wahlzeit abkürzen; sie darf jedoch nicht später als 10 Uhr beginnen und nicht vor 17 Uhr schließen. Dem Kreiswahlleiter ist Mitteilung zu machen. Die
§28 sind Stimmzettel, 1) die nicht in einem amtlich abgestempelten Umschlag oder die in einem mit Kennzeichen versehenen Umschlag abgegeben worden sind;
Ungültig
559
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
2) die als nichtamtlich hergestellt erkennbar sind; 3) aus deren zulässiger Kennzeichnung die Wahl des Abstimmenden nicht unzweifelhaft zu erkennen ist; 4) die mit Vermerk oder Vorbehalt versehen sind; 5) denen irgendein durch den Umschlag deutlich fühlbarer Gegenstand beigefügt ist; 6) auf denen mehr als drei Bewerber vom Abstimmenden als von ihm ge-
wählt gekennzeichnet sind; Mehrere in einem Umschlag enthaltene Zettel gelten als eine Stimme, wenn sie gleichlautend sind oder wenn nur einer von ihnen eine gültige Stimmabgabe enthält; sonst sind sie ungültig. Stimmzettel sind insoweit ungültig, als ein Bewerber vom Abstimmenden mehr als einmal als von ihm gewählt gekennzeichnet ist. Hinsichtlich anderer Kennzeichnungen sind sie, soweit nicht insgesamt mehr als drei Bewerber gekennzeichnet waren, gültig. Enthält der Stimmzettel nur bei einem oder zwei Bewerbern des gleichen Wahlvorschlages eine Kennzeichnung, so gelten darüber hinaus als zweiter und dritter bzw. als dritter Bewerber derjenige bzw. diejenigen Bewerber vom Abstimmenden als gewählt, die in der Reihenfolge des gleichen Wahlvorschlages die ersten sind, die vom Abstimmenden nicht selbst als gewählt bezeichnet sind; die Stimmabgabe ist dann also hiernach im Wahlprotokoll auf drei Bewerber zu ergänzen.
§
29
Sobald das Wahlergebnis festgestellt ist, hat es der Wahlvorsteher der Gemeindebehörde mitzuteilen, die es für ihre Wahlbezirke sammelt und an die untere Verwaltungsbehörde auf schnellstem Wege weiterleitet. Die untere Verwaltungsbehörde sammelt die Ergebnisse, stellt sie zusammen und leitet sie in einem Gesamtergebnis dem Kreiswahlleiter auf schnellstem
Wege
zu.
§
30
Die Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlvorstand Beschluß gefaßt hat, sind mit fortlaufenden Nummern zu versehen und der Niederschrift beizufügen. In der Niederschrift sind die Gründe kurz anzugeben, aus denen die Stimmzettel für gültig oder ungültig erklärt worden sind. Ist ein Stimmzettel wegen der Beschaffenheit des Umschlages für ungültig erklärt worden, so ist auch der Umschlag beizufügen.
§31 Alle
gültigen Stimmzettel, die nicht nach § 30 der Wahlniederschrift beizufügen sind, hat der Wahlvorsteher in Papier einzuschlagen, zu versiegeln und der Gemeindebehörde zu übergeben, die sie verwahrt, bis die Wahl für gültig erklärt 560
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
worden ist. Die Wählerliste oder Wahlkartei nebst den Wahlscheinen, ebenso die nicht der Wahlniederschrift beigefügten Umschläge werden der Gemeindebehörde übergeben. Die Niederschrift über die Wahlhandlung, die vom Wahlvorsteher, Stellvertreter, Beisitzern und dem Schriftführer zu unterzeichnen ist, ist der Gemeindebehörde zu übergeben. Die Gemeinde hat diese Niederschrift mit sämtlichen zugehörigen Anlagen fortlaufend mit zu benummernden Schriftstücken der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Diese reicht sie nach Prüfung und etwaiger Ergänzung so zeitig dem Kreiswahlleiter zu, daß sie spätestens im Laufe des dritten Tages nach der Wahl bei diesem eintreffen.
§ 32 Der Kreiswahlleiter stellt zur vorläufigen Ermittlung des Wahlergebnisses die ihm mitgeteilten Ergebnisse aus allen Stimmbezirken zusammen und teilt schnellstens das Ergebnis der Abstimmung dem Landeswahlleiter mit. Um das endgültige Wahlergebnis im Wahlkreis zu ermitteln, stellt der Kreiswahlleiter aus den Wahlniederschriften der Stimmbezirke die Ergebnisse der Wahl zusammen und beruft den Kreiswahlausschuß. In der Sitzung dieses Kreiswahlausschusses werden aus den Wahlniederschriften die endgültigen Er-
gebnisse festgestellt.
Geben einzelne Wahlbezirke zu Bedenken Anlaß, so kann der Kreiswahlleiter die von den Gemeindebehörden aufbewahrten Stimmzettel und Wählerlisten oder Wahlkarteien und die Wahlscheine einfordern und dem Kreiswahlausschuß zur Einsicht vorlegen.
§33 Sobald der Kreiswahlausschuß das endgültige Ergebnis festgestellt hat, muß der Kreiswahlleiter dem Landeswahlleiter fernmündlich oder drahtlich das Ergebnis mitteilen.
§34
Über die Verhandlungen des Kreiswahlausschusses ist eine Niederschrift aufzunehund von sämtlichen Mitgliedern zu unterschreiben. Der Kreiswahlleiter sendet die Niederschrift mit den zugehörigen Schriftstücken, die Wahlniederschriften sämtlicher Stimmbezirke samt deren Anlagen dem Landeswahlleiter zu. men
§
35
Nach Eingang aller drahtlich oder fernmündlich übermittelten Ergebnisse aus den einzelnen Wahlkreisen, teilt der Landeswahlleiter das Wahlergebnis der Wahlkreise des Landes dem Bundeswahlleiter drahtlich oder fernmündlich mit und zwar unter Angabe der in jedem Wahlkreis auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallenden Stimmen, der auf die einzelnen Bewerber entfallenden Stimmen und der als vorläufig gewählt zu betrachtenden Bewerber. 561
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz §36
Nach Eingang aller Meldungen der Landeswahlleiter beruft der Bundeswahlleiter den Bundeswahlausschuß; dieser stellt fest a) aus wievielen Abgeordneten der Bundestag insgesamt besteht; b) die in den Wahlkreisen gewählten Bewerber; c) wer auf Bundes Wahlliste als gewählt anzusehen ist. Der Bundeswahlleiter gibt das Gesamtwahlergebnis in den Amtsblättern der Landesregierungen unter Angabe der Namen und Anschrift der Gewählten bekannt. Er benachrichtigt die Gewählten von ihrer Wahl. Der Bundeswahlausschuß bestimmt zugleich in den Fällen der §§ 14 und 18, wer als Nachfolger des ausgeschiedenen Bewerbers bzw. Abgeordneten als gewählt anzusehen ist.
§
37
Über sämtliche Sitzungen der Landeswahlausschüsse und des Bundeswahlaus-
schusses sind Niederschriften zu fertigen und von allen Teilnehmern zu unterzeichnen. Die Landeswahlleiter haben auf Erfordern des Bundeswahlleiters diesem die bei ihnen eingegangenen Unterlagen der Wahlkreisleiter zur Einsicht und Prüfung zu übersenden.
§38
Jeder Wähler hat die Pflicht
zur Übernahme der ehrenamtlichen Tätigkeit eines Wahlvorstehers, Stellvertreters des Wahlvorstehers, Beisitzers oder Schriftführers im Wahlvorstand, im Kreiswahlausschuß, Landeswahlausschuß und Bun-
deswahlausschuß.
Jeder Abgeordnete
ist
verpflichtet, die Wahl
richt anzunehmen.
§
zum
Beisitzer im
Wahlprüfungsge-
39
Berufung zu einem der Wahlehrenämter dürfen ablehnen: 1) Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierung; 2) die Mitglieder des Bundestages (ausgenommen zum Wahlprüfungsgericht) und die Mitglieder der Landesparlamente; 3) die Bundes-, Landes- und Gemeindebeamten, die amtlich mit dem Vollzuge des Wahlgesetzes oder mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit betreut sind; 4) Wähler, die als Bewerber auf einem Kreis-, Landes- oder Bundeswahlvorschlag benannt sind; 5) Wähler, die das 60. Lebensjahr vollendet haben (ausgenommen zum Wahl-
Die
prüfungsgericht) ;
6) Wählerinnen, welche glaubhaft machen, daß ihnen die Fürsorge für ihre Familie die Ausübung des Amtes in besonderem Maße erschwert; 562
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
7) Wähler, die glaubhaft machen, daß sie aus dringenden beruflichen Gründen oder durch Krankheit oder durch Gebrechen verhindert sind, das Amt
ordnungsmäßig
zu
führen;
8) Wähler, die sich am Wahltag Wohnortes aufhalten.
aus
zwingenden Gründen
außerhalb ihres
§40
Wähler, welche die Übernahme eines Wahlehrenamtes ohne gesetzlichen Grund ablehnen, können von dem zuständigen Wahlleiter in eine Ordnungsstrafe bis
zum
Betrage
von
5000,00 DM genommen werden.
§41 Die Landesregierungen sollen die im § 8 vorgesehene Wahlkreiseinteilung innerhalb drei Wochen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes vornehmen, sie dem Präsidium des Parlamentarischen Rates übermitteln, das ihre Bekanntgabe in den Amtsblättern der Landesregierungen vornimmt.
§42 Zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl zum ersten Bundestag haben alle Landes- und Gemeindebehörden dem Präsidium des Parlamentarischen Rates Amtshilfe zu leisten. Das Präsidium des Parlamentarischen Rates entscheidet jeweils mit Stimmenmehrheit. Alle in diesem Gesetz dem Präsidium des Parlamentarischen Rates übertragenen Feststellungen und Bekanntmachungen werden mit der durch das Präsidium veranlaßten Veröffentlichung in den Amtsblättern der Landesregierungen jeweils für deren Gebiet rechtswirksam.
§43
Wahlprüfung erfolgt nach Art. 51 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland mit der Maßgabe, daß an Stelle des dort genannten Bundesverfassungsgerichts das Wahlprüfungsgericht des Landes Hessen tritt. Das hessische Gesetz vom [3. Aug. 1948] (Hessisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1948, Seite [93]) findet entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, daß die Beisitzer des Wahlprüfungsgerichts und deren Stellvertreter vom Bundestag aus dessen Mitte gewählt werden. Die
B. Wahl
zur
Bundesversammlung §44
Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von den Landesparlamenten zu Mitgliedern der Bundesversammlung zu wählenden Delegierten werden nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt. Die nach Art. 75 des
563
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Das Präsidium des Parlamentarischen Rates stellt innerhalb eines Monats nach
dem Tage der Wahl des ersten Bundestages die Zahl der ingesamt zu wählenden Vertreter fest, verteilt sie aufgrund der in der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung ermittelten Bevölkerungszahl auf diese und teilt diese Feststellungen den Präsidenten der Landesparlamente durch die Landesregierungen mit. Die Landesparlamente sind gehalten, die Wahl der Delegierten innerhalb von drei Wochen nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen und das Ergebnis der Wahl nebst genauer Anschrift der Gewählten und deren Annahmeerklärungen dem Präsidium des Parlamentarischen Rates zu übermitteln.
§45 Das Präsidium des Parlamentarischen Rates beruft spätestens innerhalb von drei Wochen nach der Wahl der Vertreter der Landesparlamente die Bundesversammlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten zu einem frühestens zwei Wochen, spätestens einen Monat nach dieser Einberufung liegenden Termin nach ein. Die Wahlhandlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten leitet der Präsident des Parlamentarischen Rates, im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter. Er hat als solcher kein Stimmrecht. Er teilt dem Gewählten die Wahl mit. Der Gewählte gibt die Annahmeerklärung schriftlich dem Präsidium des Parlamentarischen Rates gegenüber ab. Die Eidesleistung des ersten Bundespräsidenten erfolgt vor der vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates oder seinem Stellvertreter zu leitenden Bundesver.
sammlung. Eidesleistung beginnt das despräsidenten.
Mit dieser
Amt und die Amtsdauer des ersten Bun-
gibt die Wahl und die Tatsache der durch die Amtsblätter der Landesregierun-
Das Präsidium des Parlamentarischen Rates
Eidesleistung
des
Bundespräsidenten
gen bekannt.
C.
Schlußbestimmungen §46
Die Kosten der Wahl des ersten Bundestages und des ersten Bundespräsidenten einschließlich der bei dem Präsidium des Parlamentarischen Rates infolge der Durchführung der ihm durch dieses Gesetz überwiesenen Aufgaben entstehenden Kosten tragen die Länder und zwar zur einen Hälfte berechnet nach der Kopfzahl der Bevölkerung aufgrund der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung, zur anderen Hälfte berechnet nach dem Gesamtaufkommen der Steuern und Zölle in den Ländern in der Zeit vom 21. 6. 48 bis 31. 12. 48. 564
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
§47 Wer seine
Eintragung
in die Wählerliste
(Wahlkartei) durch falsche Angaben
erwirkt; einen anderen als Wähler
einträgt, von dem er weiß, daß er keinen Anauf hat; spruch Eintragung wer die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwohl er dessen Wahlberechtigung kennt; wer wählt, obwohl er zu den nach diesem Gesetz von der Wahlberechtigung ausgeschlossenen Personen gehört; wer sich als Bewerber aufstellen läßt, obwohl er nach diesem Gesetz nicht wählbar ist; wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschem Namen wählt, wird mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 5000,00 DM bestraft, soweit nicht in anderen Strafgesetzen eine höhere Strafe angedroht ist. wer
§48
Ausführung dieses Gesetzes Ausführungsbestimmungen für das geBundesgebiet noch erforderlich sind, werden sie durch das Präsidium des
Soweit samte
zur
Parlamentarischen Rates erlassen, das sie in den Amtsblättern der Länder veröffentlichen und den Landesregierungen wie auch dem Bundeswahlleiter und den Landeswahlleitern zuleiten wird. Im übrigen werden Ausführungsbestimmungen durch die zuständigen Landesregierungen erlassen.
§49
zugleich mit dem vom Parlamentarischen Rat beschlossenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft; es gilt auch für GroßDieses Gesetz tritt
Berlin, im Falle des §
21 Abs. 2 für den
tenversammlung festgesetzten
Teil
von
von der dort genannten StadtverordneGroß-Berlin.
565
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
[3. ÜBERARBEITETER ENTWURF DER CDU/CSU-FRAKTION (DRUCKS. NR. 450)]
Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion10). Entwurf eines Gesetzes für die Wahl des ersten
/.
Bundestages.
Wahlgebiet und Wahlausschüsse §1
Wahlgebiet
ist das Gebiet der
Bundesrepublik
Deutschland.
§2») (1) Für das Wahlgebiet werden 400 Abgeordnete gewählt, davon 300 in den Wahlkreisen und 100 auf einer Bundesliste. (2) Die Wahlkreise umfassen je 150 000 Einwohner; sie verteilen sich wie folgt: Baden. Nordrhein-Westfalen. Bayern. Rheinland-Pfalz. Bremen.
Hamburg
.
Hessen.
In
Schleswig-Holstein. Württemberg-Baden. Württemberg-Hohenzollem
Niedersachsen. Berlin. wird ein Abgeordneter gewählt.
jedem Wahlkreis
10) BA Z 5/129, vervielf. als Drucks. Nr. 450, ungez. und undat. Während die
innere Struk-
Wahlgesetzentwurfs des Redaktionskomitees gegenüber den älteren Vorlagen eine erheblich andere Form angenommen hatte, behielt sie der CDU/CSU-Vorschlag bei. Aus diesem Grunde erklären sich die zahlreichen Verschiebungen bei einem Vergleich der beiden Drucksachen 474 und 450. Der hier vorliegende neue Vorschlag der CDU/ CSU wurde von Kaufmann in der Weihnachtspause ausgearbeitet und im einzelnen nicht mehr besprochen, da sich die Ausschußmehrheit im wesentlichen bereits auf das modifizierte Verhältniswahlrecht festgelegt hatte. 11) Die CDU/CSU-Fraktion unterbreitete zusätzlich folgenden „Eventualvorschlag": tur des
„§2
(1) Für das Wahlgebiet werden 400 Abgeordnete gewählt, davon etwa 300 in Wahlkreiund 100 auf einer Bundesliste. (2) Zum Zwecke der Zuteilung der Abgeordneten auf Wahlkreise wird die Einwohnerzahl des Wahlgebiets durch 300 geteilt. Jedes Land und die Stadt Berlin erhalten soviele Abgeordnete und Wahlkreise, als die sich hierbei ergebende Zahl in der Einwohnerzahl des Landes und der Stadt Berlin enthalten ist. Ein etwaiger Rest bleibt unberücksichtigt. In jedem Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt." Vgl. Drucks. Nr. 450. sen
566
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
§312) Die Landesregierungen, die Senate der Hansestädte und der Magistrat der Stadt Berlin teilen mit Zustimmung ihrer gesetzgebenden Körperschaften die Wahlkreise entsprechend der auf ihre Gebiete entfallenden Zahl unter Zugrundelegung von je 150 000 Einwohnern ein. Die dabei entstehende Resteinwohnerzahl ist gleichmäßig auf die Wahlkreise aufzuteilen. Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen erhalten bleiben. Jedoch können Stadt- und Landkreise, deren Einwohnerzahl nicht ausreicht oder zu groß ist, um einen Wahlkreis zu bilden, getrennt oder zusammengefaßt werden. Maßgebend ist die bei der letzten allgemeinen Volkszählung festgestellte amtliche Einwohnerzahl.
§4 Die
Vorbereitung
und
Durchführung
der Wahl
obliegt
dem Bundeswahlaus-
schuß, den Landeswahlausschüssen, den Kreiswahlausschüssen und den Gemeinden.
§5 (1) Der Parlamentarische Rat wählt einen Bundeswahlleiter und dessen StellverBundeswahlleiter hat seinen Sitz in.Das erforderliche Personal wird ihm von der Landesregierung von.zur Verfügung gestellt. (2) Die Landesregierungen, die Senate der Hansestädte und der Magistrat der Stadt Berlin bestellen je einen Landeswahlleiter und einen Stellvertreter; sie haben ihren Sitz in der jeweiligen Landeshauptstadt. (3) Die Landesregierungen bestellen ferner für jeden Wahlkreis einen Kreiswahlleiter und einen Stellvertreter. treter. Der
§6 (1) Der Bundeswahlausschuß besteht aus dem Bundeswahlleiter, seinem Stellund acht Beisitzern, die vom Bundeswahlleiter aus dem Kreis der Wahlberechtigten ernannt werden. vertreter
12) Die CDU/CSU-Fraktion unterbreitete zu § 3 folgenden „Eventualvorschlag":
(1) Die Landesregierungen, die Senate der Hansestädte und der Magistrat der Stadt Berlin teilen mit Zustimmung ihrer gesetzgebenden Körperschaften die Wahlkreise entsprechend der auf ihr Gebiet entfallenden Zahl und unter Zugrundelegung der in § 2 Abs. 2 festgestellten Teilungszahl ein. Die dabei entstehende Resteinwohnerzahl ist gleichmäßig auf die Wahlkreise aufzuteilen. (2) Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen erhalten bleiben. Jedoch können Stadt- und Landkreise, deren Einwohnerzahl nicht ausreicht oder zu groß ist, um einen Wahlkreis zu bilden, getrennt oder zusammengefaßt werden. (3) Maßgebend ist jeweils die bei der letzten allgemeinen Volkszählung festgestellte amtliche Einwohnerzahl." Vgl. Drucks. Nr. 450. 567
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
(2) Entsprechendes gilt für die Landeswahlausschüsse und die Kreiswahlausschüsse. (3) Die Verhandlungen der Wahlausschüsse sind öffentlich. Die Wahlausschüsse entscheiden mit Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit gibt der Wahlleiter den Ausschlag.
§7 (1) Die Wahlbezirke sollen entsprechend den örtlichen Verhältnissen so abgegrenzt sein, daß allen Wahlberechtigten die Teilnahme an der Wahl möglichst erleichtert wird. Kein Wahlbezirk soll mehr als 3000 Einwohner umfassen. Die Einwohnerzahl darf jedoch nicht so gering sein, daß sich die Wahlentscheidung des einzelnen Wählers ermitteln ließe. (2) In Krankenhäusern und ähnlichen Anstalten kann unter der Voraussetzung, daß das Wahlgeheimnis gesichert erscheint, ein Wahlbezirk für die Insassen und das im Hause wohnende Personal gebildet werden. (3) Die Bildung der Wahlbezirke erfolgt durch den Hauptgemeindebeamten (Bürgermeister, Stadtdirektor) der Gemeinde, in Ämtern durch den Hauptgemeindebeamten des Amtes. §8 (1) Die in § 7 Abs. 3 genannten Beamten bestimmen für jeden Wahlbezirk den Wahlort, den Wahlraum und unter entsprechender Berücksichtigung der einzelnen Parteien je einen Wahlberechtigten als Wahlvorsteher und dessen Stellvertreter. (2) Diese Gemeindebeamten berufen unter
entsprechender Berücksichtigung der einzelnen Parteien 3 bis 6 Wahlberechtigte des Wahlbezirks als Beisitzer und einen Schriftführer. Sie bilden mit dem Wahlvorsteher den Wahlvorstand. §9
Einteilung des Landes in Wahlkreise ist von dem Landeswahlleiter, die Einteilung der Gemeinden in Wahlbezirke von dem Hauptgemeindebeamten öffentlich bekanntzugeben. Die
//.
Wahlberechtigung und
Wählbarkeit
§10 (1) Wähler zum Bundestag ist, wer am Wahltag die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, das 21. Lebensjahr vollendet hat und spätestens 3 Monate vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes den Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat. (2) Wahlberechtigt sind ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit ferner: 568
Entwürfe
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Wahlgesetz
Nr. 20
1. alle diejenigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1. Januar 1945 ihren dauernden Wohnsitz außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 1. März 1938 hatten und von dort geflüchtet
oder
ausgewiesen oder
aus
Kriegsgefangenschaft
Heimat nicht zurückkehren können, und ihren Bundesgebiet genommen haben;
2.
entlassen sind, in ihre ständigen Aufenthalt im
am 30. Januar 1933 deutsche Staatsangehörige waihren Wohnsitz oder Aufenthalt als politisch, rassisch oder religiös Verfolgte außerhalb des Bundesgebiets genommen, ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben oder verloren haben und mit der Absicht, ihren ständigen Aufenthalt dauernd im Bundesgebiet zu nehmen, mindestens 3 Monate vor dem Wahltag ihren Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben.
diejenigen Personen, die ren,
§11 Wahlrecht ist: ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geiGebrechens unter Pflegeschaft steht, stigen 2. wer durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte verloren hat, es sei denn, daß die Ehrenrechte aus politischen Gründen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 entzogen worden sind, 3. wem das Wahlrecht im Entnazifizierungsverfahren rechtskräftig abgesprochen worden ist, 4. wer von der Militärregierung wegen seiner Verbindung mit dem Nationalsozialismus verhaftet oder von seiner Beschäftigung oder einer einflußreichen Stellung im öffentlichen oder privaten Leben entlassen, suspendiert oder ausgeschlossen wurde, falls eine rechtskräftige Eingruppierung im Entnazifizierungsverfahren noch nicht vorliegt.
Ausgeschlossen vom 1. wer entmündigt
§12 Behindert in der Ausübung ihres Wahlrechts sind Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind, ferner Straf- und Untersuchungsgefangene sowie Personen, die auf behördliche Anordnung in Verwahrung gehalten werden.
Jeder Wahlberechtigte hat
nur
eine Stimme und darf
nur an
einem Orte wäh-
len.
§14 (1) Wählen kann nur, wer in eine Wählerliste (Wahlkartei) eingetragen ist oder einen Wahlschein erhalten hat. 569
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
(2) Die Wählerliste (Wahlkartei) wird für jeden Wahlbezirk von dem Hauptgemeindebeamten der Gemeinde aufgestellt. Für die Aufnahme in die Wählerliste (Wahlkartei) ist entscheidend der Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes im Wahlgebiet der Aufenthaltsort am letzten Tage der Auslegungsfrist. (3) Der Wähler kann nur in dem Wahlbezirk wählen, in dessen Wählerliste (Wahlkartei) er eingetragen ist, Inhaber von Wahlscheinen in jedem beliebigen Wahlbezirk.
§15 Die Wählerliste (Wahlkartei) wird innerhalb einer vom Bundeswahlleiter festzusetzenden Frist zur allgemeinen Einsicht öffentlich ausgelegt. Der Hauptgemeindebeamte einer jeden Gemeinde gibt Ort und Zeit der Auslegung öffentlich bekannt und weist dabei darauf hin, daß bis zum Tage nach der Auslegungsfrist bei ihm Einwendungen gegen die Richtigkeit der Wählerliste (Wahlkartei) geltend gemacht werden können.
§
16
Wer die Wählerliste (Wahlkartei) für unrichtig oder seine Einwendungen dem Hauptgemeindebeamten bis
kann nach Abdem Tage lauf der Auslegungsfrist schriftlich unter Darlegung der Gründe mitteilen oder mündlich zur Niederschrift geben. Hat der Hauptgemeindebeamte keine Bedenken, dem Einspruch stattzugeben, so ist die Wählerliste (Wahlkartei) zu ergänzen oder zu berichtigen. Im übrigen entscheidet über die Einwendungen der Gemeinderat oder ein von ihm gebildeter Ausschuß endgültig. Die Entscheidung muß spätestens am vorletzten Tage vor der Wahl ergangen und den Be-
teiligten bekanntgegeben
unvollständig hält,
zum
sein.
§17 (1) Einen Wahlschein erhält: 1. wer nachweist, daß er am Wahltage aus zwingenden Gründen nicht in dem Wahlbezirk, in dessen Wählerliste (Wahlkartei) er eingetragen ist, wählen kann, 2. ein gemäß § 10 Abs. 2 Wahlberechtigter, der nach der Festsetzung der Wählerliste (Wahlkartei) aus der Kriegsgefangenschaft oder aus dem Ausland oder aus deutschen Gebieten außerhalb des Wahlgebietes in das
Wahlgebiet zurückkehrt,
Wähler, der nachweist, daß er ohne sein Verschulden die Einspruchsfrist versäumt hat, 4. ein Wähler, der wegen Behinderung in der Ausübung seines Wahlrechts in der Wählerliste (Wahlkartei) gestrichen oder nicht eingetragen war, der Grund hierfür aber nach Ablauf der Einspruchsfrist weggefallen ist. (2) Die Ausstellung eines Wahlscheines kann nur bis zum Ablauf des vorletzten Tages vor dem Wahltag erfolgen. 3. ein
570
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
(3) In die Wählerliste (Wahlkartei) aufgenommene Personen, die einen Wahlschein erhalten, sind in der Wählerliste (Wahlkartei) unter Hinzufügung eines entsprechenden Vermerks zu streichen. (4) Die Wahlscheine werden von der Gemeindebehörde ausgestellt. §18 Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der am Tage der Wahl das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich seit mindestens sechs Monaten im Wahlgebiet aufhält. 777.
Wahlvorbereitungen §19
(1) Der Wahltag ist ein Rates festgesetzt. (2) Die Wahlzeit dauert
Sonntag. von
Er wird
vom
Präsidium des Parlamentarischen
8-18 Uhr.
§20 (1) Für die Wahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen können bis 18 Uhr eiBundeswahlleiter festgesetzten Tages beim Kreiswahlleiter Bewerbervorschläge unter Benutzung des bei ihm erhältlichen amtlichen Vordrucks einnes vom
werden. Die Bewerbervorschläge müssen von mindestens 50 Wählern des Wahlkreises unterzeichnet sein. Ist in dem Bewerbervorschlag angegeben, daß der Bewerber für eine politische Partei auftritt, so genügt die Unterschrift der für den Wahlkreis zuständigen Parteileitung. Jeder Bewerbervorschlag muß ein Kennwort tragen. (2) Der Vorschlag muß Zu- und Vorname, Geburtstag und Geburtsort sowie Beruf und Anschrift des Bewerbers enthalten. Tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist auch die Parteibezeichnung anzugeben. (3) In einen Bewerbervorschlag darf nur aufgenommen werden, wer seine Zustimmung dazu schriftlich erklärt hat. Die Unterschrift muß beglaubigt sein. Die Zustimmungserklärung muß bis spätestens 18 Uhr des in Abs. 1 genannten Tages beim Kreiswahlleiter eingehen. (4) Jeder Bewerber kann nur in einem Kreiswahlvorschlag benannt und nur in einem Wahlkreis aufgestellt werden.
gereicht
§21 Der Kreiswahlausschuß entscheidet über die Zulassung der Bewerbervorschläge und gibt spätestens am 7. Tage vor dem Wahltag die zugelassenen Bewerber öf-
fentlich bekannt.
571
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz §22
Stirbt ein für die Wahl in einem Wahlkreis benannter Bewerber nach dem letzTage für die Einreichung der Wahlvorschläge, so kann bis zum Tage der Drucklegung des amtlichen Stimmzettels ein neuer Bewerber vorgeschlagen werden. ten
IV.
Durchführung der Wahl §26
Wahlhandlung sind Wahlurnen zu benutzen und Wahlzellen einzurichStimmenzählung nicht im Wahllokal statt, so sind die Wahlurnen nach Beendigung der Wahl zu versiegeln oder sonst zu verschließen und zu der für die Stimmenzählung bestimmten Stelle zu schaffen. In diesem Falle bestimmt der Hauptgemeindebeamte einen für die Stimmenzählung verantwortFür die
ten. Findet die
lichen Zählvorstand und das erforderliche Personal.
§27 Im
Gebäude, in dem sich das Wahllokal befindet und im Umkreise
davon ist
jede Wahlagitation
von
50
m
verboten.
§28 (1) Der Wähler erhält beim Betreten des Wahllokals einen amtlichen Wahlumund einen amtlichen Stimmzettel. Er begibt sich damit in die Wahlzelle und bezeichnet dort auf dem Stimmzettel durch ein Kreuz oder Unterstreichen oder in sonst erkennbarer Weise, welchem Bewerber er seine Stimme geben will. Den Stimmzettel steckt er sodann in den Umschlag. Hierauf überreicht er den Umschlag dem Wahlvorsteher, der ihn, nachdem die Wahlberechtigung aus der Wählerliste (Wahlkartei) oder durch Vorlage eines Stimmscheines festgestellt und die Stimmabgabe in der Wählerliste (Wahlkartei) vermerkt worden ist, ungeöffnet sofort in die Wahlurne legt. (2) In Krankenhäusern und ähnlichen Anstalten, die einen Wahlbezirk bilden, kann der Wahlvorsteher die Stimmabgabe von bettlägerig Kranken am Krankenbett entgegennehmen. Hierbei hat er Sorge zu tragen, daß die Stimmabgabe geheim bleibt. (3) Blinde oder sonst behinderte Wähler können sich durch eine von ihnen bestimmte Vertrauensperson bei der Stimmabgabe in der Wahlzelle unterstützen
schlag
lassen. (4) Die Stimmabgabe kann nur persönlich erfolgen. (5) Über den Verlauf der Wahlhandlung ist eine Niederschrift aufzunehmen. 572
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
§29 Der Wahlleiter hat den Bewerbern oder ihrem Vertreter die Anwesenheit im Wahl- und Zähllokal zu gestatten, vorausgesetzt, daß diese Personen nur als Beobachter teilnehmen.
§30 (1) Nach Schluß der Wahl werden die Umschläge aus der Urne genommen, ungeöffnet gezählt und mit der Gesamtzahl der nach der Wählerliste (Wahlkartei) unter Hinzurechnung der abgegebenen Wahlscheine festgestellten Stimmabgaben verglichen. Danach erfolgt die Ermittlung der gültigen Stimmen und der auf jeden Bewerber entfallenen Stimmen. (2) Über die Gültigkeit der Stimmen entscheidet der Wahlvorstand oder der Zählvorstand. Über die Stimmenzählung ist eine Niederschrift aufzunehmen, aus der sich sämtliche Vorgänge, welche die Stimmenzählung und die Feststellung des Wahlergebnisses betreffen, ergeben müssen. Für die Stimmenzählung sind Zählerlisten zu benützen. (3) Die Gemeindebehörde berichtet das Wahlergebnis unverzüglich dem Kreiswahlleiter. Der Kreiswahlausschuß stellt das Ergebnis für den Wahlkreis fest und berichtet hierüber dem Landeswahlleiter.
§31 sind: a) leere Umschläge,
Ungültig
b) Stimmzettel, c) Stimmzettel, d) Stimmzettel, e) Stimmzettel, f) Stimmzettel,
die sich nicht in dem amtlichen Umschlag befinden, deren Umschlag Kennzeichen aufweisen, die als nichtamtlich hergestellt erkennbar sind, die keine Bezeichnung enthalten, die mit Zusätzen oder Anlagen versehen sind.
V.
Wahlsystem §32
(1) In den einzelnen Wahlkreisen ist derjenige Bewerber gewählt, welcher mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigt. (2) Erreicht kein Bewerber mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen, so findet am dritten Sonntag nach dem Wahltag (§19 Abs. 1) ein zweiter Wahlgang statt. In diesem ist derjenige Bewerber gewählt, welcher die meisten gültigen Stimmen erhält. Für den zweiten Wahlgang können neue Wahlvorschlagslisten aufgestellt werden. Im übrigen erfolgt der zweite Wahlgang aufgrund der alten Wählerliste (Wahlkartei) und nach den gleichen Vorschriften wie beim ersten Wahlgang. 573
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz §
33
(1) Der Landeswahlleiter berichtet das Ergebnis der Wahl in seinem Wahlkreis unverzüglich dem Bundeswahlleiter. (2) Der Bundeswahlausschuß zählt die in sämtlichen Wahlkreisen des Wahlgebietes im ersten Wahlgang auf die für eine politische Partei aufgetretenen Bewerber abgegebenen gültigen Stimmen zusammen. Sodann stellt er fest, wie viele der auf die einzelnen Bewerber abgegebenen gültigen Stimmen auf Bundeswahlvorschläge mit dem gleichen Kennwort entfallen. (3) Zur Verteilung der Sitze aus der Bundesliste teilt der Bundeswahlausschuß die Stimmen eines jeden Wahlvorschlags oder verbundener Bundeswahlvorschläge nacheinander durch 1, 2, 3, 4, usw. so lange, bis 100 Höchstteilungszahlen ermittelt sind. Jedem Bundeswahlvorschlag oder verbundenen Bundeswahlvorschlägen wird dabei der Reihe nach so oft ein Sitz zugeteilt, als auf sie die Höchstteilungszahl entfällt. (4) Die auf die einzelnen Bundeswahlvorschläge entfallenen Sitze werden auf die Bewerber in der Reihenfolge ihrer Benennung auf dem Bundeswahlvorschlag verteilt. Die auf die verbundenen Wahlvorschläge entfallenden Sitze werden den einzelnen verbundenen Vorschlägen im Verhältnis der von ihnen erreichten Stimmenzahlen in sinngemäßer Anwendung des in Abs. 3 vorgeschriebenen Verfahrens zugewiesen. Ein Bewerber, der bereits in einem Wahlkreis gewählt wurde, scheidet bei dieser
Verteilung
aus.
VI.
Schlußbestimmungen § 34
(1) Der Bundeswahlleiter hat die Gewählten sofort von ihrer Wahl zu verstänmit der Aufforderung, sich über die Annahme der Wahl binnen acht Tagen an ihn schriftlich zu erklären. (2) Wird die Annahme der Wahl nicht frist- und formgerecht erklärt, so gilt die Wahl als abgelehnt. Annahme unter Vorbehalt oder Verwahrung gilt ebenfalls als Ablehnung.
digen
§35 Sobald die Namen aller Abgeordneten feststehen, hat der Bundeswahlleiter sie alsbald öffentlich bekanntzugeben.
§ 36")
Vergl.
hierzu Art. 148 des
13) Siehe oben Anm. 574
7.
Grundgesetzentwurfes.
Entwürfe
zum
Wahlgesetz
Nr. 20
§ 37 nur für ungültig erklärt werden, wenn derart die festgestellten Unregelmäßigkeiten sind, daß sie das Wahlergebnis und eine entscheidend beeinflußt haben, Richtigstellung des Ergebnisses bei nicht Ist ist. eine solche Richtigstellung möglich, so der Wahlprüfung möglich vorzunehmen. der sie Bundeswahlausschuß hat (2) Die Richtigstellung des Ergebnisses auf der Bundesvorschlagsliste kann von dem Bundeswahlausschuß vorgenommen werden. Hierbei sind Richtigstellungen des Wahlergebnisses in den Wahlkreisen nur zu berücksichtigen, wenn sie be-
(1) Die Wahl in einem Wahlkreis kann
reits
vorliegen.
(3) Neuwahlen in Wahlkreisen, die etwa erforderlich werden, haben keinen Einfluß auf die Feststellung des Wahlergebnisses nach der Bundesvorschlagsliste.
§38
gewählte Vertretung ist von dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates innerhalb eines Monats vom Wahltag an zusammenzurufen. Bis zur Übernahme des Vorsitzes durch den Alterspräsidenten führt der Präsident des Parlamentarischen Rates den Vorsitz. Die
§39 (1) Wenn ein Abgeordneter, der in einem Wahlkreis gewählt worden ist, die Wahl ablehnt oder nachträglich ausscheidet, so findet in seinem Wahlkreis eine Ersatzwahl nach Maßgabe dieses Gesetzes innerhalb von sechs Wochen statt. Die Neuwahl hat keinen Einfluß auf die Feststellung des Ergebnisses nach der Bundeswahlliste. (2) Scheidet ein auf der Bundeswahlliste gewählter Abgeordneter aus oder lehnt er die Annahme der Wahl ab, so hat der Bundeswahlleiter den nächsten Bewerber auf der Bundesvorschlagsliste mit dem gleichen Kennwort, bei verbundenen Vorschlägen mit der größten Höchstzahl, als gewählt zu erklären. Ist kein solcher Bewerber mehr vorhanden, so bleibt der Sitz frei. §40
Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche Angaben erwirkt oder wer einen anderen als Wähler einträgt, von dem er weiß, daß er keinen Anspruch auf Eintragung hat, oder wer wählt, obwohl er zu den nach Wer seine
diesem Gesetz von der Wahlberechtigung ausgeschlossenen Personen gehört, oder wer sich als Bewerber aufstellen läßt, oder als Bewerber auftritt, trotzdem er zu den von der Wählbarkeit ausgeschlossenen Personenkreisen gehört, oder wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschem Namen wählt, wird mit Gefängnis bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 5000 DM bestraft, soweit nicht nach anderen Strafgesetzen eine höhere Strafe verwirkt ist. 575
Nr. 20
Entwürfe
zum
Wahlgesetz §41
(1) Die Kosten für die Bereitstellung des Abstimmungsraums und die für die sonst notwendigen Gegenstände tragen die Gemeinden, alle übrigen Kosten die Länder mit der Maßgabe, daß die Kosten für den Bundeswahlleiter anteilig getragen werden. (2) Die Gemeinden haben die zum Vollzug des Gesetzes und der Ausführungsvorschriften erforderlichen Bestätigungen kostenfrei auszustellen. (3) Die in diesem Gesetz zum Vollzug der Abstimmungen vorgesehenen Ämter sind Ehrenämter, für die keine Vergütung beansprucht werden kann.
Abstimmung
§42 Die
Ausführungsvorschriften
zu
diesem Gesetz erlassen die
§43 Dieses Gesetz tritt am.in Kraft.
576
Landesregierungen.
Neunzehnte
Sitzung
16.
Dezember 1948
Nr. 21
Nr. 21 19.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 16.
Z 5/84, Bl.
net2)
Kurzprot.:
Dezember 1948
100-1531). Stenograf. Wortprot.
vom
23. Dez. 1948,
Herrgesell gezeich-
Z 12/39, Bl. 47-48, Drucks. Nr. 467/11
Anwesend3): CDU/CSU: Kaufmann,
Schräge, Walter,
Schröter (zeitweise)
SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs (Vors.), Heiland FDP: Reif4) (für Becker) KPD: Frau Wessel (Z, für Reimann) Mit beratender Stimme: Blomeyer (CDU), Löbe (SPD), Kuhn Stenografischer Dienst: Herrgesell
Beginn:
von
9.40 Uhr
(SPD), Heile (DP)
Ende: 11.45 Uhr
[1. ZUR GESCHÄFTSORDNUNG: ÜBERTRAGUNG VON STIMMRECHTEN] Den Vorsitz führt in
Stellvertretung der Abg. Dr. Diederichs. Der stellvertretende Vorsitzende eröffnet die Sitzung um 9 Uhr 40 Minuten. Vors. [Dr. Diederichs]: Wir wollten heute den von der CDU/CSU vorgelegten Entwurf behandeln5), besonders in den Punkten des Wahlsystems, da die anderen Punkte mehr oder weniger technischer Natur sind. Schröter: Ich habe eine Frage zur Geschäftsordnung. Soweit ich informiert bin, ist von den kleinen Parteien Träger der Stimmen Herr Renner von den Kommunisten. Ist es möglich, daß Herr Renner sein Stimmrecht überträgt? Ich war neulich Zeuge, daß Herr Renner sein Stimmrecht auf Frau Wessel übertragen hat. Ist es ihm vollkommen freigestellt, wem er sein Stimmrecht überträgt, oder wie ist es geschäftsordnungsmäßig? Vors. [Dr. Diederichs]: Es ist grundsätzlich so festgelegt, daß von den kleinen Parteien eine Stimme vertreten ist. Es war den kleinen Parteien überlassen, sich
154—157 (S. 24, 26 und 33 der urspr. Zählung) wurden wegen schwer lesbarer handschriftlicher Korrekturen neugeschrieben. Die Schlußverfügung „Gelesen und zu den Akten des Ausschusses genommen" wurde nicht unterzeichnet. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Schröter verließ im Verlauf der Sitzung den Ausschuß (siehe unten Anm. 46). 11. Nov. 1984), Berlin, FDP, Volkswirt, Journalist und Dr. Hans Reif (19. Jan. 1899 Schriftsteller. Als Berliner Vertreter war Reif offiziell zwar lediglich Beratendes Mitglied, im Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung aber als ordentliches Mitglied vertreten (vgl. Der Pari. Rat Bd. 3, S. 1, Anm. 3). Reif berichtete Becker schließlich ausführlich über den Verlauf der Sitzung (Reif an Becker vom 17. Dez. 1948, ADL 2958). Becker ließ sich seit dem 13. Dez. 1948 wegen anhaltender Magenkrämpfe von der Mitarbeit im Pari. Rat befreien (Becker an Adenauer vom 13. Dez. 1948, PA Bestand 5/14). Drucks. Nr. 369; siehe oben Dok. Nr. 20.
1) Bl.
2)
3) 4)
-
5)
577
bcnroter: Das win icn nient Kritisieren, ten win
nur
iragen,
uu es nenn rveimer
überlassen ist, zu entscheiden, wem von den anderen Parteien er das Stimmrecht übertragen will. Vors. [Dr. Diederichs]: Die KP ist an sich die Partei, die offiziell im Ausschuß in allen Ausdas ist Abrede vertreten ist, und die kleinen Parteien haben schüssen die Möglichkeit, sich gegenseitig vertreten zu lassen. Schröter: Aber kann das Stimmrecht einseitig auf eine bestimmte Partei übertragen werden, so daß die anderen kleinen Parteien nicht zum Zuge kommen? Heiland: Da wir unter uns sind, sollten wir aussprechen, was wir meinen. Sie fragen, warum das Stimmrecht nicht auch einmal auf Herrn Heile übertragen wird. —
—
(Schröter: Ja.)
Von den drei kleinen Parteien, die zusammen sechs Stimmen haben, sind vier Stimmen immerhin für das Wahlsystem, für das die Stimmen abgegeben worden sind. Also Herr Heile würde unter den sechs Stimmen sowieso eine Minderheit ausmachen. Selbst wenn Sie es demokratisch unterbauen, müssen Sie zugeben, daß die Mehrheitsmeinung der kleinen Parteien durch die Stimmabgabe zum Ausdruck gekommen ist. Es geht jetzt um das Wahlrecht und nicht um die Zentrumspartei oder die KPD. Bei den Verhandlungen über das Wahlrecht hier im Haus werden Sie festgestellt haben, daß die Kommunisten und das Zentrum eine einheitliche Meinung über das Wahlrecht haben. Vors. [Dr. Diederichs]: Praktisch ist die Sache so, daß das gestrige Abstimmungsergebnis, wenn Herr Heile das Stimmrecht anstelle von Frau Wessel gehabt hätte, genau umgekehrt gewesen wäre. Es wäre gestern 4 : 5 gegen den Vorschlag entschieden worden, und es ist 5 :4 für den Vorschlag entschieden worden7). Herr Renner hat Frau Wessel gebeten, ihn zu vertreten. Herr Renner hat die offizielle Stimme hier im Ausschuß und weiß wahrscheinlich auch, daß Frau Wessel in diesem Punkt jedenfalls seiner Auffassung ist, während Herr Heile dieser Auffassung nicht ist. Darüber hinaus ist Herr Heile hier nicht immer vertreten gewesen, während Frau Wessel ständig an den Sitzungen teilgenommen hat8). Ich glaube nicht, daß Herr Heile, wenn er hier den Sitz hätte, sich zur Vertretung seiner Stimme vornehmlich des Herrn Renner bedienen würde. Er käme vielleicht in diesem Falle in Verlegenheit, wenn er sich durch eine der anderen Parteien vertreten lassen wollte.
(2) Geschäftsordnung des Parlamentarischen Rates lautete: „Die Fraktionen bestimdie Ausschußmitglieder und teilen ihre Namen dem Präsidenten mit. Jedes Ausschußmitglied kann sich durch ein anderes Mitglied des Rates vertreten lassen" (Drucks. Nr. 157). 7) Siehe oben Dok. Nr. 19, TOP 1 c. °) Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Heile an acht, Frau Wessel an 15 Sitzungen des Wahlrechtsausschusses teilgenommen (vgl. oben Abschnitt 1 b der Einleitung).
6) §
16
men
578
Neunzehnte
Sitzung
16.
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Heiland: Es ist im Hauptausschuß nicht dagegen protestiert worden, daß sich Beispiel das Zentrum von Frau Dr. Weber hat vertreten lassen. Es ging gerade an dem Tag um wichtige Entscheidungen9). Wir hätten dabei dieselbe Art der Beanstandung auch vorbringen können. Wir haben diese Vertretung nicht beanstandet. Ich habe bei dieser Anfrage, die ich in ihrer Konsequenz nicht ganz verstehe, so ein klein wenig das Gefühl, daß wieder künstlich Schwierigkeiten gemacht werden sollen. Schröter: Ich protestiere aufs entschiedenste gegen diese Unterstellung. Diese Unterstellung ist vollkommen willkürlich. Ich habe mit meiner Frage nur eine Klärung der geschäftsordnungsgemäßen Behandlung dieser Frage herbeiführen wollen. (Heiland: Ich habe das Gefühl.) Dieses Gefühl ist vollkommen subjektiv, Herr Kollege Heiland. Ich bedaure, daß durch Sie in unsere Ausschußverhandlungen, die bisher harmonisch verlaufen sind, eine unnötige Schärfe hineingetragen ist. Heile: Ich möchte nur zur Klärung der Sache folgendes sagen. Ich bin gestern gefragt worden, warum ich mich der Stimme enthalten hätte. Ich habe gesagt, ich hätte mich der Stimme nicht enthalten, sondern ich hätte kein Stimmrecht gehabt. Es liege so, daß der Kommunist nach den hier getroffenen Vereinbarungen offiziell das Stimmrecht habe, deshalb könne ich nicht stimmen. Man hat dann geprüft, ob das als richtig anzusehen ist. Das ist eine rein sachliche Anfrage gewesen. Wenigstens ist von mir keine Schärfe hineingetragen worden. Vors. [Dr. Diederichs]: Ich bin mit Ihnen darin einig, wenn irgendeine der Gruppen offiziell das Stimmrecht hat, ist es ihr überlassen, durch wen sie sich in der Ausübung ihres Stimmrechts vertreten läßt. Ich glaube, dagegen gibt es nichts zu sagen. Das wird wohl in allen Ausschüssen so gehandhabt. Und wenn eine Fraktion nur zwei Leute hat und ein Mann dieser Fraktion sich durch einen Mann einer anderen Fraktion vertreten läßt, den er ausdrücklich beauftragt, so ist dagegen Ihrerseits wie unsererseits nichts zu sagen. Walter: Ich bin der Auffassung des Herrn Vorsitzenden. Aber wie ist der Fall, wenn die Partei, die von den drei Parteien das Stimmrecht hat, überhaupt nicht vertreten ist? Es ist doch der Sinn dieser Vereinbarung unter den drei Parteien, daß wenigstens einer da ist. Nachdem Frau Wessel jetzt da ist, ist die Sache erledigt. Stock: Die Frage ist nicht erledigt. Die Herren von der CDU/CSU haben gewußt, daß Herr Renner nicht so dumm sein wird, seine Stimme einer Partei zu übertragen, die in der Wahlrechtsfrage ihm contra steht. Deshalb halte ich es nicht für ganz richtig, daß diese Frage heute morgen aufgeworfen worden ist. Es gibt vielleicht auch in Ihrer Fraktion Herren, die für das Verhältniswahlrecht sind. Es wird keinem einfallen, einen Mann in den Ausschuß zu schicken, der für das Mehrheitswahlrecht ist, während die Mehrheit der Fraktion für das Verhältniswahlrecht ist. zum
—
—
9) Heiland spielt vermutlich auf die
Sitzung des Hauptausschusses am 4. Dez. 1948 an. Zentrumsabgeordnete Brockmann von Frau Weber (CDU) vertreten ließ, war es unter anderem um den Grundrechtskatalog (Art. 9 (4) bis 21) In dieser
Sitzung,
18.
in der sich der
und das Beamtenrecht (Art. 27
a
und 139 a) gegangen (Drucks. Nr. 456).
579
Nr. 21
Neunzehnte
Sitzung
16.
Dezember 1948
Kaufmann: Ich darf
zur Sache sprechen. Ich hoffe, daß die Vordebatte nicht irEinfluß auf unsere sachliche Bearbeitung des vorliegenden Entwurfs hat. Erstens ist ja unsere Abstimmung hier keine endgültige Abstimmung, und zweitens haben wir uns gegenseitig verpflichtet, die beiden gegeneinanderstehenden Vorschläge loyal durchzuarbeiten. Es wird Sache des Hauptausschusses bzw. des Plenums sein, diese Dinge endgültig zu entscheiden.
gendwelchen
[2. VORSCHLAG CDU/CSU-WAHLGESETZENTWURF (DRUCKS. NR. 369)]
[2a. Allgemeine Ausführungen] Ich möchte zu dem Gesetz noch einmal etwas Grundsätzliches sagen, obwohl schon in den ersten Sitzungen in verhältnismäßig temperamentvoller Form zu diesen Dingen gesprochen worden ist. Die Debatte über das zweckmäßige neue Wahlrecht ist seit 1945 in einer außerordentlich intensiven Weise im deutschen Volke geführt worden. Wir alle haben das praktisch erlebt. Es hat sich sogar eine Anzahl von politischen Gruppen gebildet, die die Frage der Erneuerung und Änderung des Wahlrechts sich zur Aufgabe setzten und die in fast sektierischer Weise zum Teil die Änderung des Wahlrechts als entscheidend für das politische Leben der Zukunft in Deutschland propagiert haben10). Ich bin nie auf diesem Standpunkt gestanden, obwohl es sicher ist, daß ein Wahlrecht wesentliche politische Dinge vorentscheidet, insbesondere die Form der Verantwortlichkeit der politischen Parteien für die Regierung, das heißt die Frage der
Mehrheitsbildung.
Es ist zweifellos festzustellen: außerordentlich breite Teile der Bevölkerung ob mit Recht oder Unrecht, ist zunächst gleichgültig sprechen die Auswirfür daß daran des Verhältniswahlrechts die Entwicklung vor schuldig, kungen der Hitlerzeit ständig verwirrender geworden ist, weil die abgegebene Stimme mechanisch zu einer Parteienbildung führte und die Zusammenfassung dieser Parteien aus den verschiedensten Gründen immer schwieriger wurde, bis überhaupt keine Koalition und daraus sich ergebende Arbeitsfähigkeit für die jeweiligen Regierungen mehr herauskam. Der Wunsch, aus dieser Situation auch durch das Wahlrecht herauszukommen, ist nicht nur berechtigt, sondern sollte mit allen Mitteln gefördert werden. Auch ein Weiteres, was für mich nicht unbedingt maßgeblich ist, aber doch mit berücksichtigt werden muß, ist, glaube ich, nicht zu bestreiten, nämlich die Tatsache, daß die Jugend von einem Wahlrecht, das rein mathematisch die Erfassung und Verwertung der Stimmen festlegt, sich nichts verspricht, sich aber von einem Wahlrecht, das mehr an das —
—
10)
Die Wahlrechtsdiskussion wurde bereits seit etwa zwei Jahren intensiv in der Presse geführt. Der einflußreichste Interessenverband, auf den Kaufmann hier auch anspielt, war
die Deutsche
Wählergesellschaft (siehe
rechtsausschusses; Dok.
hierzu den Verlauf der 9.
Sitzung des WahlBeratungen
Nr. 9). Darüber hinaus versuchten gegen Ende der
des Pari. Rates auch die Flüchtlings- und Vertriebenenverbände zunehmend Einfluß auf die Wahlgesetzgebung zu gewinnen (Lange, Wahlrecht, S. 303 ff.; vgl. auch unten Dok. Nr. 22, TOP 3 c). 580
Neunzehnte
Sitzung
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Nr. 21
Volk herankommt, das mehr die sogenannte Persönlichkeitswahl ermöglicht, sehr viel verspricht11}. Es ist nicht zu viel gesagt worden, wenn in der letzten ich glaube, von dem Herrn Kollegen Walter in einem Satz darauf Sitzung hingewiesen worden ist, daß, wenn das Volk als Ganzes über die Frage des Wahlrechts entscheiden sollte, die Stimmung für ein Mehrheitswahlrecht, für eine Einzelwahl des einzelnen Abgeordneten viel stärker wäre als die Stimmung für ein mathematisches Verhältniswahlrecht. Nun bedeutet das für uns noch kein Evangelium. Als verantwortliche Menschen müssen wir versuchen, den richtigen Weg zu finden und uns nicht nur nach Stimmungen richten. Ich glaube aber, daß diese Stimmung vorhanden ist und daß ihr in einer angemessenen Form Rechnung getragen werden sollte. Der Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Diederichs hat gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag versucht, dem in etwa näherzukommen durch die Möglichkeit des Panaschierens, das heißt, der Auswahl einzelner Vertreter aus einer jeweiligen Wahlkreisliste von sechs Kandidaten. Das ist aber auch alles in diesem Entwurf, was dem Wunsch, der in sehr breiten Bevölkerungskreisen besteht, Rechnung zu tragen versucht. Es ist eine Maßnahme, die uns völlig ungenügend erscheint. Aus diesem Grunde haben wir unternommen, Ihnen ein Wahlgesetz vorzulegen, das zunächst nur ein Entwurf ist und von dem wir auch nur das Grundsätzliche zu besprechen brauchen. Dieser Entwurf ist nicht gemacht, um Ihnen eine einmal hier aufgestellte Theorie technisch im Ganzen vorzulegen, sondern ist gemacht, um die Basis einer Einigung zu finden, indem er das Verhältniswahlrecht für mindestens 25% der zu wählenden Kandidaten mit dem Einzelwahlrecht in Einzelwahlkreisen verbindet. Ich darf die Grundsätze dieses Wahlgesetzes noch einmal in wenigen Sätzen darstellen. Der erste Grundsatz ist der: keine großen Wahlkreise, sondern die Möglichkeit der Übersichtlichkeit für den Wähler dadurch, daß nur Wahlkreise von je 150 000 Einwohnern geschaffen werden, was im allgemeinen ich bis weiß nicht genau, wie der Prozentsatz ist 80 000 90 000 Wähler ungefähr ausmachen würde. Wir glauben, daß diese Zahl jedem Wähler, der sich überhaupt um die politischen Dinge bemüht und die politischen Aufklärungsangelegenheiten sucht, die Möglichkeit gibt, den Kandidaten, der herausgestellt wird, kennenzulernen, mindestens über ihn und seine Fähigkeiten so viel persönlich zu erfahren, daß er in der Lage ist, sich ein Urteil zu bilden oder sich einem gegebenen und empfohlenen Urteil anzuschließen. Ich weise ferner darauf hin, daß der Entwurf zu einem ganz wesentlichen Teil genau dem Entwurf entspricht, den der Kollege Dr. Becker von der Demokratischen Partei von Anfang an propagiert hat12) und den er hat aus der Diskussion fallen lassen, weil damals durch die Merkwürdigkeit der Abstimmung zunächst —
—
—
—
) Siehe oben Dok. Nr. 2, Anm. 121. Siehe hierzu auch das entsprechende Schreiben der ASTA-Vorsitzenden vom 29. Jan. 1949 an den Wahlrechtsausschuß, auf das von Brentano und Kaufmann noch im Plenum ansprechen (BA Z 12/55, BI. 319; IfZ NL Strauß, ED 94/120, Bl. 33; Stenographische Berichte, S. 130 und 141). ;) Drucks. Nr. 197/11 (Dok. Nr. 11). Zum Entwurf Beckers und seiner Ablehnung siehe auch oben Dok. Nr. 14, TOP 2. 581
Nr. 21
Neunzehnte Sitzung 16. Dezember 1948
einmal alle Systeme abgelehnt wurden und er es müde war, die Sache weiter verfolgen. Der Entwurf ist zwar zu einem Teil anders. Aber im Grundsatz das hat der Herr Kollege Dr. Becker mir nach der Durchsicht des Entwurfs gewar es dasselbe. Es würde durchaus möglich sein, die Gedanken, die sagt Herr Dr. Becker dort noch etwa anders gehabt hat, hier hineinzuarbeiten. Der zweite wesentliche Punkt ist der, daß 25% der Abgeordneten, also 100 von den insgesamt 400 Abgeordneten, auf einer Bundesliste gewählt werden. Die Feststellung der Namen, die auf einer Bundesliste nach dem Verhältniswahlsywovon Sie ja auch überzeugt sind nur stem zugrunde zu legen sind, ist durch die Ziffern der ersten Wahl möglich, in der man feststellen kann, wieviel auf die einzelnen Parteien gefallen ist. Aus diesen Ziffern sollen dann die 100 Abgeordneten festgestellt werden, die auf einer Bundesliste gewählt werden. Die Bundesliste soll einmal den Zweck haben, sämtliche Stimmen noch einmal zu werten, das heißt also auch den kleinen Parteien, die bei der direkten Wahl weniger oder fast nicht zum Zuge gekommen sind, die Möglichkeit zu geben, zum Zuge zu kommen. (Stock: Was verstehen Sie unter „sämtlichen Stimmen", meinen Sie auch die Stimmen der schon Gewählten?) Alle Stimmen. zu
—
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(Stock: „Doppelt" ist falsch.) Es ist ein ganz anderer Prozentsatz. „Doppelt gerechnet" ist natürlich falsch. Der Sinn eines grundsätzlichen Mehrheitswahlrechts ist der, eine Mehrheit zu was hier einmal als „Ungerechbilden. Hier ist nun der Versuch, nicht das zu erreichen, daß die Stimmen vollständig tigkeit" bezeichnet worden ist wegfallen, wie es im englischen Wahlrecht der Fall ist, sondern die Stimmen mindestens auf der Bundeswahlliste zum Zuge kommen zu lassen. Da ist also ein starker Ausgleich gegenüber dem, was ursprünglich als Mehrheitswahlrecht dargetan worden ist. Die Neuheit an diesem Wahlrechtsentwurf ist außerdem, daß an einen zweiten Wahlgang gedacht ist. Wenn der zweite Wahlgang nicht käme, würde die Zahl der Abgeordneten, die in Wahlkreisen gewählt werden, sehr schwankend sein, weil nur diejenigen kommen würden, die in den Wahlkreisen bei der ersten Wahl durch absolute Mehrheit gewählt werden. Es ist weiter neu, daß bei der zweiten Wahl, bei der die relative Mehrheit entscheidet, die Möglichkeit der Auswechselung des Abgeordneten gegeben ist. (Löbe: Neue Kandidaten?) Es besteht die Möglichkeit eines neuen Kandidaten. Dabei ist an folgendes gedacht. Es ist möglich, daß zwei Parteien, die im zweiten Wahlgang zusammengehen könnten, nicht zusammenkommen können, weil sie sagen: Wir würden es tun, aber der Mann, der uns im ersten Wahlgang oder vorher so scharf angegriffen hat, scheint uns unerträglich; präsentiert uns doch einen anderen! Es wäre auch die Möglichkeit, daß die Partei, die ihn zu präsentieren hätte, von sich aus, auch ohne Forderung darauf kommt: Wir müssen den anderen, wenn sie mitgehen, einen Kandidaten präsentieren, der ihnen näher steht. Alle Restriktionen gegenüber den kleinen Parteien, die vorher in der Verfassung oder irgendwo angedeutet sind also zum Beispiel: wer nicht in einem Wahl—
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kreis einen Kandidaten durchgebracht hat, bekommt auch keine Anrechnung, und dergleichen —, sind hier fallen gelassen, so daß also auf der einen Seite das Mehrheitswahlrecht für einen erheblichen Prozentsatz dieses Wahlgesetzes aufrechterhalten wird, andererseits versucht wird, alle Möglichkeiten zu schafsoweit sie nicht dem fen, um die Stimmen, die auf kleinere Parteien fallen Grundsatz des Mehrheitswahlrechts und der Mehrheitsbildung überhaupt wideranzurechnen. Ich würde also auch dagegen sein, die berühmten sprechen 5% oder irgend etwas anderes zu benutzen13). Dies ist kein Kompromiß im üblichen Sinne, sondern es ist der Versuch, die guten Gedanken beider Wahlrechte zu vereinigen, wobei also weder Zahlen noch Prozentsätze und ähnliches, auch nicht die Frage des zweiten Wahlganges selbst obwohl ich diese bei dem System für unerläßlich halte absolute Forderungen sind. Ich würde es begrüßen, wenn Sie von diesem Gesichtspunkt aus ebenso sachlich an diesem Entwurf mitarbeiten würden, wie das umgekehrt von uns bei dem anderen Entwurf geschehen ist. Dabei bitte ich insbesondere mit Rücksicht auf die kurze Auseinandersetzung im Anfang der Sitzung die Herren, das im Auge zu behalten, was uns gestern von verschiedenen Predigern auch wieder im Hauptausschuß gepredigt worden ist14). Wir müssen auch in dieser Frage nicht zu einer Kampfabstimmung, nicht zu einer Zufälligkeitsabstimmung, sondern nach Möglichkeit zu einer Gesamtverständigung kommen. Ich bitte Sie, von diesem Gesichtspunkt aus den Wahlgesetzvorschlag —
,
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sorgfältig
zu
prüfen.
[2b. Aussprache] Stock: Die Diskussion, die der Herr Kollege Kaufmann soeben eröffnet hat, haben wir in den acht- bis neunwöchigen Beratungen hier schon gehabt. Ich habe schon in einer der letzten Sitzungen gesagt, es wäre besser gewesen, wenn die CDU/CSU-Fraktion immer dieselben Vertreter gesandt hätte15), so daß wir heute nicht noch einmal von vorn anfangen müßten. Nun sagt der Herr Kollege Kaufmann, daß der Vorschlag, der uns jetzt unterbreitet worden sei, ein anderer sei als der seinerzeit von dem Herrn Kollegen Kroll vertretene. Deshalb meine Zwischenfrage. Aufgrund dieser meiner Zwischenfrage wurde mir ganz klar, daß dieser Entwurf sich fast in nichts von dem reinen Mehrheitswahlentwurf unterscheidet, der anfangs von der CDU/ CSU-Fraktion vorgelegt worden ist16). Vergegenwärtigen Sie sich, daß nun für 300 Abgeordnete das ausschließliche Mehrheitswahlrecht, sogar mit Stichwahl, gilt, so daß hier an dem ersten Entwurf gar nichts geändert ist. Nun sollen aber
13) D. h. Wegfall der Sperrklausel. 14) Siehe den Appell des Vorsitzenden Schmid bei der
2. Lesung des Abschnitts II „AllgeBedingungen", Art. 21 bis 29 (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 313). Dem Beispiel Schmids folgten auch Pfeiffer und Menzel als Vertreter ihrer Fraktionen
meine
(a.
a.
O., S.
313 und 314).
15) Siehe oben Dok. Nr. 17, Anm. 72. 16) Zu Krells Entwurf (Drucks. Nr. 264 a; siehe oben Dok.
Nr. 13, Anm. 50) und die Abstimmung darüber im Wahlrechtsausschuß siehe oben Dok. Nr. 14, TOP 2.
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auch die Stimmen für die direkt Gewählten noch einmal bei dem Proporz mit hinzugezählt werden. Dann ist es doch klar, daß dadurch die kleinen Parteien vollständig unter den Tisch fallen. Dann hat man auf dem Umweg das erreicht, was man hier im Ausschuß auf dem direkten Weg nicht erreichen konnte. Nun auch ganz offen meine Meinung über Verhältniswahlrecht und Mehrheitswahlrecht. Wenn wir ein so politisches Volk hätten, wie es in England oder irgendwo anders der Fall ist, hätte ich persönlich unter Umständen nichts dagegen, das Mehrheitswahlrecht einzuführen. Aber nach welchen Gesichtspunkten wird denn in Deutschland gewählt? Nicht nach politischen und nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern in den meisten Fällen nach rein weltanschaulichen Gesichtspunkten. Welche Imponderabilien spielen denn gerade bei den Wahlen eine Rolle? Das betrifft insbesondere die Gegenden, in denen 80, 90 oder noch mehr Prozent katholisch sind. Wir wissen doch, welche Leute da in den Wahlkampf eingreifen, denen man nichts entgegensetzen kann, weil man dort, wo sie reden, nicht reden darf. Schon aus diesem Grunde kann man nicht für das Mehrheitswahlrecht eintreten, und zwar wir als Demokraten nicht, weil wir wollen, daß gerade in dem ersten Parlament, in dem Bundestag, auch die Meinungen der kleinen Parteien mit vertreten sind. Wenn das Wahlrecht, wie es uns jetzt von dem Herrn Kollegen Kaufmann hier vorexerziert wurde, wirklich für den ersten Bundestag bestimmt würde, würden die kleinen Parteien völlig ausgeschlossen sein. Es würden nur die großen Parteien im Bundestag sitzen. Ich glaube nicht, daß das für dieses erste Parlament zweckdienlich wäre. Ich mache immer wieder darauf aufmerksam, daß das Wahlrecht, das wir hier schaffen, nur für das eine Parlament bestimmt ist. Das zusammengetretene Parlament, der Bundestag, hat es dann in der Hand, ein anderes Wahlrecht zu schaffen17). Nun eine kurze Bemerkung zu den 100 Sitzen, die nach diesem Entwurf übrig bleiben. Wenn wir das zusammenzählen, kommen wir dahin, daß die beiden großen Parteien sich genau so in die 100 Sitze teilen werden, wie sie es bei der direkten Wahl getan haben. Das ist der Zweck der Übung. Man wollte so durch ein Hintertürchen das erreichen, was man durch die direkte Wahl nicht und im Parlament dann die übererreichen konnte. Nachdem die Mehrheit hier für Verhältniswahl die Mehrheit sich einsetzt, glaube ich wältigende nicht, daß da eine Änderung Platz greifen kann. Noch ein Satz zu der Mahnung des Kollegen Kaufmann, daß man sich doch finden soll, daß man doch alles versuchen solle, etwas einheitlich zu machen. Das wollen wir gern. Aber hier gibt es kein Finden. Sie stehen nun einmal ob mit oder ohganz abstrakt auf dem Standpunkt des Mehrheitswahlrechts ne Hintertürchen, das ist ganz gleich —, während mir auf dem Standpunkt stehen, daß möglichst jeder Wähler mit seiner Stimme zum Zuge kommen soll. Anders könnte es so kommen, daß 52% der Stimmen vollständig unter den Tisch fallen und 48% der abgegebenen Stimmen das Parlament vorstellen. Das nicht aus parteipolitischen Gründen, sondern rein aus den wollen wir nicht —
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17) Vgl. auch oben Abschnitt 584
1
a
der
Einleitung.
Neunzehnte Sitzung 16. Dezember 1948 von
angeführten Gründen
mir
Angst
zu
—,
obwohl wir als große Partei nicht
haben brauchen.
Nr. 21
irgendwie
Noch eine Bemerkung von dem Staat aus, aus dem ich komme18). Wie wird dann ein solches Parlament zusammengesetzt sein? Aus den Städten werden die Abgeordneten der Sozialdemokratie kommen, vom Land werden die Abgeordneten der CDU kommen, also die Vertreter der Landwirtschaft. Machen Sie dann in einem solchen Parlament eine vernünftige Politik. Ich brauche Sie nur darauf hinzuweisen, was sich in den letzten 14 Tagen im bayerischen Landtag abgespielt hat. Da überwiegt die bäuerliche Vertretung gegenüber der städtischen Vertretung19). Die reine CSU-Regierung hat eine Regierungsvorlage eingereicht, und die Mehrheit der bäuerlichen Vertretung hat die Vorlage der eige-
Regierung abgelehnt20). Wenn wir nun ein System wie meinetwegen in Frankreich hätten, wäre heute die CSU-Regierung Ehard21) nicht mehr Regierung, sondern wäre von der Regierungspartei gestürzt. Die Oppositionspartei hat demgegenüber für die Regierungsvorlage gestimmt. Warum? Weil eben die bäuerlichen Vertreter für das, was die Regierungsvorlage enthalten hat, kein Verständnis haben und nicht einmal durch die ihrer eigenen Fraktion angehörenden Regierungsmitglieder von der Richtigkeit der Regierungsvorlage überzeugt werden konnten. Kaufmann: Das wäre sofort anders, wenn Sie nicht die Besonderheit der „ständigen" Regierung hätten, wenn also mit einer gegenteiligen Meinung gegen eine Regierungsvorlage auch eine Regierungskrise entstünde. Das Beispiel ist nicht ganz richtig. Stock: Das ist noch ein Gewicht mehr dafür, daß man heute ein Wahlrecht so nicht schaffen kann, weil sonst die Gegensätze viel zu stark werden und ein Zusammenfinden in dem Parlament vollständig ausgeschlossen wäre. Frau Wessel: Der Herr Kollege Kaufmann hat seinen Vorschlag mit der Notwendigkeit der Verständigung begründet. Wir haben sicherlich alle Verständnis dafür, daß man Kampfabstimmungen nach Möglichkeit vermeiden sollte, vielleicht auch beim Wahlrecht vermeiden sollte. Aber bei der Frage, die von dem Herrn Kollegen Stock angeschnitten worden ist, handelt es sich um eine so grundsätzliche Frage, daß Sie nicht erwarten können, daß man sich erstens als Vertreter einer kleinen Partei selbst den Strick um den Hals hängen läßt und noch dazu den Ausdruck Verständigung gebraucht. Denn der Vorschlag der CDU würde auf kaltem Wege alle kleinen Parteien auflösen. Und gegen eine nen
18) D.h. Bayern. 19) Die Sitzverteilung
im ersten Bayerischen Landtag nach den Wahlen wie folgt: CSU 104, SPD 54, WAV 13 und FDP neun Sitze. Gemeint ist vermutlich die heftige Debatte um das am 15. Dez. 1948
vom
1, Dez. 1946
vom
Bayerischen 95. Sitzung
war
20)
Landtag beschlossene „Gesetz vom
21)
15.
Dez. 1949, S. 397 f.).
über die
Schulgeldfreiheit" (Bayer. Landtag,
Hans Ehard (10. Nov. 1887 18. Okt. 1980), CSU, 1933-45 Senatspräsident am OLG München, 1946—54 und 1960—62 bayerischer Ministerpräsident, 1962—66 bayerischer lustizminister und 1949—54 CSU-Vorsitzender. Siehe zu Ehard auch: Karl Ulrich Gelberg: Hans Ehard. Die föderalistische Politik des bayerischen Ministerpräsidenten (1946-1954), Düsseldorf 1992. -
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solche Methode undemokratischer Art würde ich mich selbst dann wenden, ich Mitglied einer großen Partei wäre. Man soll die Dinge offen beim Namen nennen und nicht mit Wahlsystemen kommen, die das irgendwie verschleiern. Es wird immer so viel davon gesprochen, daß die Bevölkerung für das Persönlichkeitswahlrecht eintrete. Das ist darauf zurückzuführen, daß die Anhänger eines wirklichen echten Persönlichkeitswahlrechts und das braucht nicht unbevielleicht für Ihre Thesen und Auffasdingt ein Mehrheitswahlrecht zu sein sungen nicht so viel Propaganda gemacht haben, wie gewisse Kreise es aus parteipolitischen Gründen getan haben. Wenn man immer auf Weimar hinweist und die Gründe des Scheiterns der Weimarer Republik in dem Wahlrecht sucht, so ist das völlig falsch. Es sind ganz andere Gründe. Man würde, wenn die Dinge in der Plenarsitzung zur Sprache kommen, näher darauf eingehen wenn
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können22).
folgendes hinzufügen. Selbst wenn ein gewisser Teil des Volkes meinen sollte, mit dem Persönlichkeits- oder mit dem MehrheitsWahlrecht den ich wäre der Auffassung, daß das falsch neuen Bund aufbauen zu können ist —, würde ich mich auch gegen diese Volksmeinung stellen, weil es mir darauf ankommt, tatsächlich einen Bund zu bekommen, der auch vom Wahlsystem aus von den richtigen Proportionen bestimmt ist. Wenn davon gesprochen wird, daß vor allen Dingen die Jugend durch dieses Wahlrecht stark vertreten würde, so glaube ich nicht daran. Ich glaube vielmehr, wenn Sie ein System haben, bei welchem Sie mehrere Persönlichkeiten Ich muß weiter
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aufstellen können, wird die Jugend eher zum Zuge kommen, als wenn es sich nur um eine Person handelt. Gerade ich gehöre einer Partei an, die sehr stark herausstellt, wie die Jugend vertreten sein muß. Trotzdem bin ich mir darüber klar, wie schwer es sein wird. Die alten erfahrenen, im Parteigetriebe groß gewordenen Leute, die die Parteimaschinerie unten wie oben beherrschen, werden dann schon dafür sorgen, daß die anderen stärker hereinkommen. Zweitens würde es bei diesem Wahlrecht ausgeschlossen sein, daß die Frauen ins Parlament kommen. Ich kann nur noch einmal mit aller Besorgnis darauf und wenn Sie es auch mit hinweisen: Wenn Sie ein Wahlrecht schaffen und damit praktisch die Frauen dem Persönlichkeitswahlrecht begründen und ich werde die erste sein, die mit aller ausscheiden, werden Sie erleben Deutlichkeit darauf hinweist —, daß man dadurch das passive Wahlrecht der Frauen im großen und ganzen ausschließen wird. Das ist eine Tatsache, die auch nicht wegzuleugnen ist. Drittens haben wir 11 Millionen Vertriebene. Es ist notwendig, daß die auch in das Parlament hineinkommen. Sie werden es mit einem solchen Wahlrecht bei den Spannungen, die nun einmal zwischen Einheimischen und Vertriebenen vorhanden sind, sehr schwer haben, im direkten Wahlgang Flüchtlingsvertreter oder Vertriebenenvertreter ins Parlament zu bekommen. Auch das ist ein Grund, den man durchaus beachten sollte. —
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22) Wessel in der 586
8.
Plenarsitzung
am
24. Feb. 1949
(Stenographische Berichte,
S. 144).
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Es wird tatsächlich das eintreten, was der Herr Kollege Stock gesagt hat. Sie werden aus den Städten mehr Vertreter aus Arbeiterkreisen bekommen, Sie werden aus den ländlichen Gegenden Bauern Vertreter bekommen, und ganz bestimmte Schichten, die wir unbedingt auch brauchen, werden nicht in entsprechendem Maße vertreten sein können. Ich bin vielmehr der Auffassung, man sollte angesichts der soziologischen und sozialen Spannungen, die in unserem Volk vorhanden sind, versuchen, schon innerhalb der Parteien einen gewissen Ausgleich dadurch zu finden, daß man die Möglichkeit schafft, in einem größeren Wahlkreis diesen Ausgleich schon von den Parteien aus zu suchen und zu finden. das sage ich offen; ich habe die Dinge wohl durchgeWir vom Zentrum rechnet würden in Nordrhein-Westfalen unter dem direkten Wahlgang vielleicht den einen oder anderen durchbekommen, die Liberal-Demokraten bekommen keinen durch, die Kommunisten bekommen keinen durch. Man muß die Dinge einmal ganz gerecht, nicht nur von seinem eigenen Parteistandpunkt aus sehen, sondern tatsächlich mit einem echten demokratischen Verständnis dafür, daß man politische Parteien mit einem Wahlrecht nicht so unterdrücken kann, daß sie praktisch nicht mehr in Erscheinung treten. Wenn dann die Verrechnung so erfolgt, daß die großen Parteien einen Mann schon in direkter Wahl durchbekommen und dann auch noch einmal auf der sogenannten Bundesliste zählen, die uns gleichsam als der Ausgleich vorgelegt wird, möchte ich wirklich einmal ausrechnen können, welche kleinen Parteien auf der Bundesliste noch den einen oder anderen Kandidaten durchbekommen. Man muß doch die Dinge einmal ganz nüchtern und klar sehen. Ich halte auch den zweiten Wahlgang für gefährlich. Wenn man drei Stimmen abgeben würde und wenn der eine oder andere Wähler dann auch dem Kandidaten einer anderen Partei die Stimme geben würde, würde man die Charakterlosigkeit fördern. Ich bin vielmehr der Auffassung, die meisten Wähler werden Parteikandidaten in der Reihenfolge wählen. Ich halte es für viel gesünder, daß man zwischen den Kandidaten seiner Partei auswählt, indem man unter sechs Kandidaten drei wählt, als daß man unter den Persönlichkeiten verschiedener Parteien wählen kann. Denn ich werde doch, wenn ich irgendwie parteigebunden bin, meinen Kandidaten selbst dann wählen so wird jedenfalls der Durchschnitt des Volkes wählen —, auch wenn auf der anderen Seite eine Persönlichkeit von größerem politischem Format steht. Wenn der zweite Wahlgang kommt, werden nicht mehr die ausgeprägten politischen Persönlichkeiten kommen, sondern diejenigen, die allen genehm sind. Dann kommen die Kompromißkandidaten, und das sind die schlimmsten im Parlament, weil sie keine eigene Meinung haben und daran denken müssen: Ich bin ja nicht von meiner Partei allein durchgebracht worden, sondern ich muß auch Rücksicht nehmen auf die Parteien und auf die Anhänger, die mir ihre Stimme beim zweiten Wahlgang gegeben haben. Ich meine, wir sollten dahin kommen, für unseren Bund politisch geprägte Persönlichkeiten herauszustellen, die über ihre Parteizäune hinwegsehen können, die nicht so hin und her schwanken, daß sie schließlich doch kein klares politisches Profil —
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abgeben. 587
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Dinge bewegen mich dazu, den Antrag der CDU nicht als eine Grundlage zu betrachten, von der aus ich die Wahl zum ersten Bundesparlament getätigt sehen möchte. Walter: Ich möchte mich zunächst darauf beschränken, darzulegen, daß unser neuer Entwurf zu 90% dem Entwurf der Demokratischen Partei entspricht, den
Alle diese
sie seinerzeit durch Herrn Dr. Becker hat einreichen lassen. Reif: Der Hauptunterschied ist (Stock: Das stimmt nicht.
matischer.)
nur
ein mathe-
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Hier sind 400 Abgeordnete wie bei uns. Sie beantragen 230 Wahlkreise und 170 Proporzabgeordnete. Wir sind höher gegangen. Die Zahl liegt natürlich in keiner Weise fest. Hier heißt es: Von den 400 Abgeordneten des Bundestages werden im Wege der Einzelwahl in 230 Wahlkreisen je einer gewählt. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der im ersten Wahlgang abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat. Ist dieses Ergebnis im ersten Wahlgang nicht erreicht, so findet in dem Wahlkreis ein zweiter Wahlgang (Stichwahl) statt; in diesem ist derjenige gewählt, der die einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat. Das ist das sogenannte relative Mehrheitswahlsystem für den zweiten Wahlgang. An Stelle des Ausdrucks „Stichwahl" ist der Ausdruck „Nachwahl" besser, weil unter Stichwahl verstanden wird, daß keine neuen Kandidaten auftreten, sondern die beiden Kandidaten mit den höchsten Stimmenzahlen. Unser erster Vorschlag, den der Herr Kollege Dr. Kroll vertreten hat, ist der des reinen englischen Wahlsystems gewesen, wonach im ersten Wahlgang die relative Mehrheit entscheidend sein sollte. Hier wollten wir entgegenkommen und einen zweiten Wahlgang zulassen, wie Herr Dr. Becker es hier vorgeschlagen hat. Was sodann die Liste mit 100 bzw. 170 anlangt, so heißt es in §16 des Entwurfs von Dr. Becker: Von den 400 Abgeordneten des Bundestages werden 170 im Wege des Verhältniswahlrechtes gewählt. Die Summe der im ersten Wahlgang in allen Wahlkreisen des Bundesgebietes auf diejenigen Bewerber, die als Bewerber einer Partei aufgetreten sind, entfallenen gültigen Stimmen geteilt durch 170 bildet den Teiler für die Wahlen nach Verhältniswahlrecht. Ob nun hier nach dem d'Hondtschen System verfahren werden soll, darüber läßt sich reden. Sie sehen, daß unser Entwurf beinahe wirklich der Entwurf von Dr. Becker ist, wenn man von dem Unterschied zwischen 100 und 170 absieht. Dabei ist die Demokratische Partei zu den mittleren Parteien zu rechnen. Jedenfalls rechnet sie nicht zu den kleineren Parteien. Dann ist die Bemerkung gefallen, wir wollten mit unserem Wahlrechtsentwurf durch ein Hintertürchen etwas erreichen. Sie haben unseren Entwurf in der Zwischenzeit alle durchsehen können. Ich glaube, daß hier von einem Hintertürchen nicht gesprochen werden kann. der Herr Kollege Stock war es wohl, der das ausgeführt Sodann ist unrichtig hat —, daß unter Umständen 48% den Bundestag und damit Deutschland oder wenigstens die Regierung beherrschen können. Das kann gar nicht der Fall —
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sein. Hier kommt vielmehr die Mehrheit wirklich zum Zug, insbesondere durch den Ausgleich in der Verhältniswahl. Auch die Bemerkung bezüglich der Abgeordneten vom Land und derjenigen von der Stadt ist nicht richtig. Es ist gleichgültig, ob man nach dem Verhältniswahlsystem oder nach dem Mehrheitswahlsystem vorgeht. Es gibt immer Abgeordnete, die im wesentlichen vom Land gewählt werden, und andere Abgeordnete, die im wesentlichen von der städtischen Bevölkerung gewählt werden. Daß das Wahlsystem der Hauptgrund für das Scheitern der demokratischen Republik von Weimar gewesen ist, das behaupten wir wenigstens nicht. Aber daß es immerhin nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, daß Weimar schließlich gescheitert ist, das ist tatsächlich unsere Auffassung. ich stehe jetzt auch 30 Jahre im politiWas das Interesse der Jugend angeht schen Leben —, so besteht nach meinem Empfinden für das System der reinen —
Verhältniswahl bei der Jugend keine große Geneigtheit. Was Frau Wessel hier hinsichtlich der Frauen gesagt hat, ist richtig. Gerade deswegen wollen auch wir ein Verhältniswahlsystem, damit Frauen, die wohl in den Einzelwahlkreisen weniger zum Zuge kommen, wenigstens durch das Mittel der Verhältniswahl zum Zuge kommen. Frau Wessel hat schon mehrmals darauf hingewiesen, daß die Frauen 65% der Wahlberechtigten ausmachen23). Aber wir beobachten bei der wählenden Frau immerhin, daß sie im wesentlichen die männlichen Kandidaten bevorzugt. Der beste Beweis sind immer die Gemeindewahlen. Auch unsere Partei sucht hier weibliche Abgeordnete durchzubringen. Ich habe bei uns in Württemberg und auch in anderen Ländern beobachtet, selbst wenn die Frau an aussichtsreicher Stelle steht, bekommt sie die wenigsten Stimmen. Darum sind die Ausführungen von Frau Wessel nicht unbedingt stichhaltig. Auch wir wünschen, daß die Frauen in unserem neuen Bund politisch eingebaut werden. Wir haben ferner zunächst auch am Organisationsausschuß den Antrag gestellt, daß von den 400 Abgeordnetensitzen etwa 50 Sitze für Flüchtlinge reserviert werden sollen24). Wir konnten diesen Antrag nicht aufrechterhalten, weil er ge
23) Siehe oben S. 467 f. 24) In der 11. Sitzung des Organisationsausschusses vom 7. Okt. 1948 hatte der Abgeordnete Paul de Chapeaurouge (CDU) beantragt, „in Art. 45 einen neuen Abs. 4 einzufügen: Bis auf weiteres sind für 50 Abgeordnete nur Personen wählbar, die infolge des Krieges oder
Nachwirkungen ihren Wohnsitz in der Ostzone (sowjetisches Besatzungsgebiet) aufgegeben haben. Diese Bestimmung tritt am 31. Dezember 1954 außer Kraft. Die Frist kann durch einfaches Gesetz verlängert werden. Alles weitere bestimmt das Bundeswahlgesetz" (Drucks. Nr. 167/11). Der Antrag wurde zur Weiterbearbeitung an den Wahlrechtsausschuß überwiesen. Chapeaurouge setzte sich daraufhin auf privatem Wege mit Kroll und Mücke (SPD) in Verbindung, um sie für seinen Vorschlag zu gewinnen (Chapeaurouge an Mücke vom 30. Okt. 1948, Bayer. HStA NL Mücke/Bd. 6). Während sich Kroll wegen seiner Ablösung aus dem Wahlrechtsausschuß nicht mehr für Chapeaurouges Vorschlag einsetzen konnte, trat Mücke in der Endphase der Beratungen engagiert für die Berücksichtigung der besonderen Interessen der Vertriebenen ein (siehe hierzu auch unten Dok. Nr. 22, TOP 3 c). Unabhängig davon versuchte die CDU/CSUFraktion vergeblich, die Bildung von eigenen Flüchtlingswahlkreisen im Wahlgesetz zu verankern (siehe unten Dok. Nr. 29, Anm. 8; vgl. dagegen Mückes Argumentation, der seiner
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gen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verstoßen
einfach mehr oder
Flüchtlinge
weniger
würde,
wenn
diese
ernannt werden würden. Es könnte
nachher eine Wahlanfechtung vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgen, weil der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, der im Grundgesetz festgelegt ist, nicht eingehalten worden ist. Gerade durch die Verhältniswahl von 100 Abgeordneten besteht die Möglichkeit, den einen oder anderen Flüchtling als aussichtsreichen Kandidaten aufzustellen und auf diesem Wege durchzubringen. Nachdem unser Wahlrechtsvorschlag im wesentlichen abgesehen von dem den Wünschen der DemokratiZahlenunterschied zwischen 170 und 100 schen Partei entspricht, glaube ich, daß er dem Hauptausschuß als Mehrheitsoder je nachdem, wie die Abstimmung ausfällt unterbreitet vorschlag Tatsächlich Volke für das Mehrim eine werden muß. besteht große Neigung Soviel ich besteht auch Teilen in weiß, wieweit, heitswahlsystem. größeren das entzieht sich meiner Kenntnis der Sozialdemokratie Neigung für das Mehrheitswahlsystem. Ich bitte Sie, das zu berücksichtigen. Sodann erklären Sie, das Wahlrecht gilt nur für den ersten Bundestag. Das ist zunächst richtig. Aber warum wollen wir nicht gleich bei dem ersten Bundestag schon das Wahlrecht schaffen, das der überwiegenden Auffassung unseres Volkes ent—
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spricht?
durch die Schaffung von Flüchtlingswahlkreisen die Interessen der Vertriebenen nicht gewährleistet sah: Mücke an den Zentralverband der vertriebenen Deutschen vom 11. Mai 1949, Bayer. HStA NL Mücke/Bd. 6). Ihren Ursprung hatte diese Idee in der Initiative
von
Ministerialrat Skiode
von
Perbandt,
einem der Sekretäre beim Pari. Rat, der
April 1949 zunächst Carl Tannert und dann angesichts des beschlossenen Wahlgesetzentwurfs am 16. April 1949 Gerhard Schröder um ihre Meinung zum Problem der Flüchtlingswahlkreise bat (BA Z 5/155 Bl. 1 ff., 5—9). Sein Schreiben an Schröder schloß Perbandt mit den Worten: „Für ganz vertrauliche Behandlung der Angelegenheit wären wir Ihnen dankbar. Wir sind der Meinung, daß der Gedanke, von der CDU aufgeam
8.
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und propagiert, auch wenn er nicht in die Wirklichkeit umgesetzt wird, eine zu den Flüchtlingen hin und ein Werbemittel für das Mehrheitswahlrecht darstellen würde. Wir möchten aber wissen, ob und mit welchen wahlrechtlichen oder wahltechnischen Einwänden dagegen gerechnet werden muß." Schröder reagierte zwar skeptisch auf das „heikle Problem" der Flüchtlingswahlkreise (Schröder an Perbandt vom 20. April 1949 und Vermerk Perbandt vom 28. April 1949, a.a.O. Bl. 8-9), aber die CDU/CSU-Fraktion entschied sich endgültig nach einer Aussprache mit dem damaligen Vizepräsident des Obergerichtshofs der Bizone und späteren Bundesvertriebenenminister, Hans Lukaschek (CDU; zur Person siehe Jeserich/Neuhaus, Persönlichkeiten, S. 413—416), am 29. April 1949 für die Propagierung von Flüchtlingswahlkreisen (Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd. 182; ACDP 1-071-023/4). Am selben Tag noch bezeichnete Lukaschek in einem Schreiben an Adenauer den Vorschlag, Flüchtlingswahlkreise einzurichten, als „sehr glücklich" und als Mittel zur Erringung „großer Wahlerfolge" (Lukaschek an Adenauer vom 29. April 1949, BA Z 5/155, Bl. 18). Diese Forderung sollte nicht zuletzt als „geeignetes Werbemittel bei den Flüchtlingen" dienen, zumal „60% der Flüchtlinge weltanschaulich der CDU zuneigen" sollten (Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd 182) und der Zentralverband der Flüchtlinge selbst die Einrichtung von Flüchtlingswahlkreisen forderte (Schreiben vom 6. Mai 1949, Bayer. HStA NL Mücke/Bd 6). Bei der Besprechung mit Lukaschek wurde auch der CDU/CSU-Antrag formuliert (Drucks. Nr. 905; vgl. Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 559), der einige Tage später im Hauptausschuß gestellt und abgelehnt wurde. Zur Ablehnung seitens der FDP siehe auch den energisch gehaltenen Brief von Heuss an Oellers vom 23. Mai 1949 (ADL 2958). nommen
gute Geste
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(Maier: Sie sprechen von der überwiegenden Auffassung des Volkes. Woher wissen Sie das?) Ich habe lange geschwankt, was wirklich das Bessere für das deutsche Volk ist. Gehen Sie doch hinaus in Ihre Wahlversammlungen! (Maier: Wir sind auch in den Wahlversammlungen.) Daß nach den Mißerfolgen von Weimar tatsächlich ein große Neigung für das Mehrheitswahlsystem im deutschen Volk besteht, dürfte doch tatsächlich der Fall sein. Sodann wollen wir offen sprechen: Wir haben doch nach den Erfahrungen von Weimar jetzt nicht das dringende Bedürfnis, daß jede Gruppe, die jetzt noch gar nicht besteht, in dem neuen Bundestag zwei oder drei oder vier Mandate bekommt. Ich denke an Parteien, die jetzt im deutschen Volk unbekannt sind. Wir würden diese Entwicklung begünstigen und schließlich wieder zu einer Anzahl von Parteien kommen, wie wir sie in der Weimarer Republik erlebt haben. Ich weiß nicht, wieviel Parteien oder Grüppchen zuletzt im Reichstag vertreten waren, Herr Präsident Lobe, aber 10 bis 12 sind es mindestens gewesen.
(Stock: In dem Reichstag von 1914 waren auch 21 Parteien vertreten. Das hatten wir auch beim Mehrheitswahlsystem.) Aber diese Splitterparteien werden sehen, daß sie auf die Dauer keinen Bestand haben und daß ihr politischer Einfluß keinen Sinn hat. Die Wähler werden mit der Zeit auch so vernünftig sein, keine Kandidaten aufzustellen, die nur aufgrund irgendeiner rein wirtschaftlichen Orientierung etwas versprechen, wie die Aufwertungsparteien usw. Diese Parteien sind auf die Dauer nach unserem Wahlsystem unmöglich. Heile: Ich kann mich kurz fassen. Ich kann mich im wesentlichen auf das beziehen, was der Herr Kollege Walter gesagt hat. Ich stimme dem überwiegend zu. Wenn ich trotzdem noch einige Worte sage, so wegen der Argumente, die auch heute wieder dafür vorgebracht worden sind, daß kleine Parteien gegen ein Mehrheitswahlsystem sein müßten. Ich bin der Meinung, die Frage, ob kleine oder große Partei, hat ganz auszuscheiden. Selbst wenn ich selber Vertreter einer kleinen Partei bin, frage ich mich nicht, ob ich durch dieses Wahlsystem eine Begünstigung erreiche oder nicht. Das ist mir vollständig gleichgültig. Ich höre auf, Demokrat zu sein, wenn ich solche Fragen stelle. Ich kann mich nur fragen, welches Wahlrecht erstens gerecht ist und welches Wahlrecht zweitens so gestaltet ist, daß die Hauptaufgabe des Wahlrechts erfüllt wird. Die Hauptaufgabe des Wahlrechts ist, die Wähler an die Wahlurne zu bringen und für die Politik zu interessieren. Das Proportionalwahlsystem tut das nicht nur nicht, sondern es ekelt die Bürger von der Wahl weg und schafft den Zustand, den wir in Deutschland und in anderen Ländern, in denen das System gilt, in steigendem Maße beobachten, daß nämlich die Leute die Politik zu hassen beginnen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es in Ihrer Partei (zu der SPD) bei der Aufstellung der Kandidatenlisten anders aussieht als in der politischen Welt, in der ich gelebt habe und lebe. Da gibt es immer ein großes Drängen und Schieben. Die Leute, die die größten Ellenbogen haben, vor denen sich die Parteileute in der Zentrale am meisten fürchten, die sie brauchen usw., setzen sich dort immer durch. Die wirklich politischen Menschen werden überhaupt nicht ge—
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Das Volk wird überhaupt nicht gefragt, sondern alles wird hinter den Kulissen fertiggemacht. Es ist ein ganz unanständiger, im tiefsten Sinne unmoralischer Kampf der im Wesenskern unpolitischen Egoismen und Eitelkeiten. (Stock: Bei Ihnen wird es so sein; bei uns ist es nicht so). (Walter: Ihr müßtet ja Engel sein!) Wenn Frau Wessel die Frage aufwirft, wie die Frauen oder die Jugendlichen auf die Wahlliste kommen sollen, so meine ich, wenn eine Frau, ein Jugendlicher oder wer es auch sonst sei, nicht durch die Kraft der Persönlichkeit und durch den Glauben der anderen Menschen, daß er oder sie eine politische Persönlichkeit ist, gewählt wird, dann soll man sie nicht wählen. Ich habe schon vor vielen Jahrzehnten für die Gleichberechtigung der Frau gekämpft. Ich habe damals in meiner Jugend in der Männerwelt beinahe allein gestanden und halte heute an diesem Standpunkte mit absoluter Konsequenz fest. Aber wenn man heute den Spieß umdreht und sagt: eine Frau muß immer dabei sein, dann tritt man nicht für gleiches Recht, sondern für ein Vorrecht ein. So treibt man es dahin, daß nachher schließlich die Frage des Schutzes der Männerrechte gestellt werden muß. Es ist leider so, daß die Frauen im allgemeinen sich politisch nicht interessieren, und es ist bestimmt nicht wahr, daß die Frauenrechte in erster Linie von Frauen vertreten werden. Die Frauen selbst geben ihre Stimmen nicht den Frauen, sondern den Männern. Das ist die politische Wirklichkeit. Ich wünschte, es wäre anders. Die Frage, ob Frauen als Kandidaten auf die Liste kommen oder überhaupt zum Zuge kommen, ist ganz falsch gestellt. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, daß politische Persönlichkeiten die Möglichkeit haben, sich durchzusetzen, lediglich wegen ihrer politischen Eignung, nicht wegen des einen oder anderen Geschlechts. Ich will nun einmal das System, das wir vor 1914 für den deutschen Reichstag gehabt haben, mit dem vergleichen, was wir heute haben. Ich bestreite nicht, daß es auch damals erstens in der Technik des Wahlsystems Fehler gab. Ich denke besonders an die ungerechte Wahlkreiseinteilung. Ich bestreite auch nicht, daß es schon damals im politischen Leben häßliche Dinge gegeben hat, wenngleich es nicht zweifelhaft ist, daß das politische Leben häßlicher geworden ist. Aber eines kann derjenige, der schon vor 1914 im politischen Leben mitgewirkt hat, nicht bestreiten, daß das politische Leben in Deutschland viel intensiver war, weil es das ganze Volk wirklich erfaßte und die Menschen wirklich warm machte. Wenn wir politische Wahlkämpfe hatten, gab es in jedem Wahlkreis, ganz einerlei wo, einen vom ganzen Volk leidenschaftlich miterlebten Kampf, aber das war nicht die gehäßige Leidenschaft von heute. Alles war nur lebendig mit dabei. (Stock: Die Leute hatten genügend zu essen, sie hatten genügend Kleidung und Wohnung.) Nein. Gerade diese Not würde die Leute heute noch mehr zur Politik treiben, weil sie sehen, was durch die Politik beeinflußt werden kann. Denken Sie nicht bloß an das, was Sie in Wählerversammlungen durch Suggestivfragen erreichen! Hören Sie die Stimme des Volkes, wenn es unmittelbar vor der Wahl über das Wahlsystem spricht, setzen Sie sich in eine Straßenbahn und hören Sie die Leute reden! Die Leute sagen: Diese Wählerei hat ja gar keinen Zweck.
fragt.
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Das ist überhaupt keine Wahl. Die Männer, die auf den Listen stehen, kenne ich gar nicht, das sind alles mir ganz fremde Leute. Und alte Leute sagen dann: Früher war das ganz anders. Da traten die Kandidaten der verschiedenen Parteien selbst auf. Man konnte sich die Leute anhören und miteinander ver-
gleichen. Ich bleibe dabei, daß das beste System das reine Mehrheitswahlsystem wäre, es früher gehabt haben, indem man vielleicht an Stelle der Stichwahl die relative Mehrheitswahl im zweiten Wahlgang setzt. Aber wenn man das nicht kann, wenn ein Mehrheitswille dafür vorhanden ist, daß der Proporz berücksichtigt werden soll, kann ich nur dasselbe tun, was ich schon 1919 in Weimar getan habe. Ich habe damals und später auch im Reichstag den Antrag gestellt, zunächst in kleinen Einmann-Wahlkreisen mit Mehrheit zu wählen, und dann, nachdem die Mehrheit in den einzelnen Kreisen entschieden hat, über das ganze Land festzustellen, wieviel Stimmen die Parteien im ganzen bekommen haben, und den Parteien soviel Mandate insgesamt zu geben, wie es der Wählerzahl entspricht25). Außer den im Wahlkreis Gewählten sollten die Kandidaten, die in ihren Wahlkreisen unterlegen sind, in der Reihenfolge als gewählt gelten, in der sie dem Gewähltwerden nahegekommen sind. Ob das ideal ist, bezweifle ich, habe ich auch damals bezweifelt. Politik verlangt Entscheidungen. Demokratie setzt dafür an Stelle der Gewalt die Mehrheit. Das Parlament kann nur durch Mehrheit Entscheidungen treffen. Wenn Sie Gesetze nach dem Proporz machen würden, müßten Sie in jedes Gesetz proportional von jeder politischen Richtung etwas hineinmixen. Dann würden Sie eine schöne Sorte von Gesetzen zusammenkriegen, die würden in allen Farben schillern. Man kann gute Gesetze nur dann machen, wenn ein ganz klarer Wille dabei zur Geltung kommt. Und wenn die Mehrheit auf eine Seite gefallen ist, die mir selber nicht paßt, und dann Gesetze anders gemacht werden, als ich es für richtig halte, ziehe ich daraus nur die eine Konsequenz: Für den nächsten Wahlkampf mußt du dich mehr anstrengen und mußt Leute deiner Richtung in das Parlament hineinschicken, damit gute Gesetze durchgesetzt werden können. Eine demokratische Wahl ist ein Kampf um Sieg oder Niederlage. Das Proporzwie wir
system ist dagegen
nur ein Fotografieren. Wenn man von jedem etwas nimmt, Kämpfen. Im Mehrheitswahlsystem gibt es einen Kampf der politischen Meinungen und Richtungen mit dem heilsamen Zwang gegenüber denjenigen, die sich kleine Parteien nennen, sich mit den großen Parteien zusammenzutun und in Vereinbarung mit ihnen eine gemeinsame Linie zu suchen. Nur so kann wirklich Politik gemacht werden. Vors. [Dr. Diederichs]: Wir sind jetzt wieder mitten in der grundsätzlichen Diskussion, die wir hier bis zum Erbrechen gehabt haben, statt praktisch auf die Dinge einzugehen, mit denen wir uns heute befassen sollen. Der Vorschlag der CDU, von dem gesagt wurde, daß er sich weitgehend an das anlehnt, was Herr Dr. Becker seinerzeit vorgeschlagen hat, enthält doch grundsätzliche Unterschiede. Erstens war der Prozentsatz der Sitze, die Herr Dr. Becker auf dem Wege so
ist das kein
25) Siehe oben Dok. Nr. 4, Anm. eine
einschlägige Äußerung
25.
Heile gehörte dem Reichstag zwar von 1919 bis 1924 an, Wahlrecht konnte aber nicht ermittelt werden.
zum
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des Proporzes zu verteilen vorschlug, ein erheblich höherer. Er kam fast an die Grenze von 50% heran. Das ist kein unwesentlicher Gesichtspunkt. Allerdings hat Herr Dr. Becker, nachdem er hier auch gegen die Stimmen der CDU in der Minderheit geblieben ist, diesen seinen Entwurf längst aufgegeben26). Der Hinweis, daß die relative Mehrheitswahl mit Sicherheit zu einer arbeitsfähigen Mehrheit im Parlament führt, ist nicht richtig. Wie schon mehrfach festgestellt ist, haben konzentrierte kleine Gruppen bei dem relativen Mehrheitswahlrecht die Möglichkeit, gewählt zu werden. Bedeutende weltanschauliche Parteien, die, wie gerade die Liberalen, eine weite Streuung haben, haben bei diesem System überhaupt keine Aussicht. Dann fällt bei diesem Ausgleich, der hier mit 25% der zu verteilenden Mandate im Verhältnisausgleich vorgesehen ist, auf, daß diese 25% wieder unter alle verteilt werden sollen. Das heißt auf deutsch, daß die kleinen Parteien praktisch nur ein passives Wahlrecht zu % des Parlaments haben. Das ist, auf gut hochdeutsch, eine Prämie für die größeren Parteien. Herr Heile hat soeben gesagt, er wünsche kein Wahlrecht mit Bevorzugungen. Er hat gesagt: Ich bin von einer kleinen Partei, ich will keine Vorrechte für die kleine Partei. Nein, Herr Heile, die will man Ihnen auch gar nicht geben, man will Ihnen Minderrechte geben. Dagegen müßten Sie sich aber mit derselben Energie wehren. Denn Sie haben ja die Absicht, auch einmal eine große Partei zu werden und einen entscheidenden Einfluß zu bekommen. Das brauchen gar nicht parteipolitische Gesichtspunkte zu sein. Das braucht lediglich die Überzeugung zu sein, daß das, was Sie vertreten, richtig ist und mit dem nötigen Gewicht in den deutschen Parlamenten und in der deutschen Politik vertreten sein müsse. Dieses Streben sollte jede politische Richtung haben. Sonst ist sie nicht von der Richtigkeit ihrer Auffassungen überzeugt. Infolgedessen müssen Sie sich gegen jedes Wahlsystem und gegen jede Wahlmethode wehren, die eine Benachteiligung bedeutet. Wenn ich persönlich als ein überzeugter Anhänger des Verhältniswahlsystems zu gewissen Kompromißlösungen mit anderen Auffassungen bereit bin, aber immerhin das Verhältniswahlsystem als die Grundlage betrachte, so deshalb, weil ich mir sage, daß in einem demokratischen Staatswesen, in welchem die Mehrheitsentscheidung schon immer etwas Gefährliches ist, diese Mehrheit dann auch wenigstens eine durch ein Mehrheitswahlrecht, das prakechte Mehrheit sein muß und nicht tisch kein Mehrheitswahlrecht ist, sondern häufig das Übergewicht einer Minderheit lediglich aufgrund des Wahlsystems bedeutet eine unechte Mehrheit sein darf, hinter der nicht eine Mehrheit des Volkes steht. Wie gesagt, am gefährlichsten scheint mir, daß hier bei der Verhältnisausgleichung die kleinen Parteien nur an 25% des Parlaments wirklich beteiligt werden. Ich muß dann auf den Wunsch eingehen, der hier von Herrn Kaufmann geäußert worden ist. Herr Kaufmann hat gesagt: Wir wollen hier zu einer Einigung kommen und möchten nach Möglichkeit diese Dinge nicht mit Kampfabstimmungen entscheiden27). Wenn ich auf der einen Seite ein Mehrheitswahlrecht —
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26) Zur veränderten Haltung Beckers in der Wahlrechtsfrage siehe oben Abschnitt
Einleitung.
27J Siehe oben S. 594
583.
2
a
der
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propagiere, das ein reines Kampfabstimmungswahlrecht ist, und auf der ande-
jedes Mal, wenn ich an irgendeiner Stelle knapp in der Minderheit Karnpfabstimmungen spreche und diese in irgendeiner Form für unerwünscht halte, so bejahe ich auf weiter Linie die Idee des anständigen Kompromisses. Das tue ich auch. Wenn ich aber die Idee des anständigen Kompromisses bejahe, kann ich kein Wahlrecht propagieren, das letzten Endes auf Vergewaltigung hinausgeht. Das ist meine Grundauffassung zu der Sache. Nun komme ich zu den Hauptgesichtspunkten, die sich von dem gestern verabschiedeten Wahlgesetzentwurf28) unterscheiden. Ich gehe zunächst auf den soren
Seite
bleibe,
von
genannten Vorzug der kleinen Wahlkreise ein. Wir haben in einem so konstruierten Land wie Deutschland unter der vollen Bejahung des Selbstverwaltungs-
unter der Bejahung des Föderalprinzips, das heißt der Bildung von Einheiten in Form von Landsmannschaften oder Ländern, also für jede Form der politischen Betätigung eine eigene Ebene. Die Ebene der Wahl in kleinen Wahlkreisen ist die Ebene von Gemeinde und Kreis. Dort kommt in erster Linie die lokale Größe zur Tätigkeit, sie soll als demokratisches Element in die Selbstverwaltung eingeschaltet werden. Hier ist der kleine Wahlkreis richtig. Hier wird wirklich der unmittelbar bekannte Politiker zur Regelung der lokalen und internen Dinge gewählt. An dieser Stelle ist es auch richtig, daß der Wähler nach lokalen Gesichtspunkten, nach den Interessen des Ortes usw., viel weniger nach parteilichen oder weltanschaulichen Gesichtspunkten als auf einer anderen Ebene entscheidet. Wir haben als zweite Ebene die Ebene des Landes. Da wird nach bayerischen oder niedersächsischen Gesichtspunkten entschieden. Dort wird man die Dinge, die wirklich Landespolitik sind, ins Auge fassen und danach seine politische Entscheidung treffen. Wählen wir ein Bundesparlament, dann wählen wir ein Parlament, das auf der obersten Ebene in Deutschland die Politik machen soll, ein Parlament, das außer diesen politischen Dingen für die kommenden Jahre in erster Linie auch außenpolitische Aufgaben haben wird. Hier ist es gar nicht entscheidend, daß der Wähler sich für Herrn Winkelhuber oder einen sonstigen Namen, der ihm zufällig aus irgendeiner Käsefabrik oder sonst woher bekannt ist, entscheidet, sondern hier soll er Menschen größeren politischen Formats wählen. Deshalb wäre es meiner Auffassung nach das Ideale, wenn wir hier in einem großen Wahlkreis über das ganze Bundesgebiet wählen könnten. Das ist technisch nicht möglich. (Kaufmann: Wo dann keiner den anderen kennt!) Wo keiner den anderen kennt. Es müßten dann die Parteien von sich aus die Einteilung vornehmen, um diese Aufgabe bewältigen zu können. Ich bin der Auffassung, man soll die Untereinteilung nicht weiter treiben, als sie technisch unbedingt notwendig ist, um Bezirke herauszukriegen, in denen solche Wahl möglich ist. Aufgrund dieses Gesichtspunktes bin ich der Auffassung: der kleine Kreis für kleine Verhältnisse, der größere Kreis für die größeren politischen Dinge, die auf dieser Ebene geleistet werden müssen und nicht nach lokalen Gesichts-
gedankens,
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28) Siehe oben Dok.
Nr. 19. 595
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entschieden werden können. Es ist an sich schon ein großer Fehler bei daß leider eine ganze Reihe von politischen Entscheidungen dieser Art uns, und das würde beim relativen Mehrheitswahlrecht ganz stark in den Vordervon Lokalgrößen erledigt werden und daß hier lokale Gegrund rücken in sichtspunkte Frage kommen. Wir erleben es, daß der politische Kampf bei und LandtagsReichstagswahlen mit lokalen Schweinereien geführt wird, die was Herr Heile als die unerfreuliche man sich gegenseitig an den Hals wirft Art unseres politischen Kampfes dargestellt hat —, statt große politische Dinge nach wirklich großen Gesichtspunkten zu erörtern. Herr Walter hat hier unterstrichen, die Jugend wünsche ein Mehrheitswahlrecht. Ich bin davon überzeugt, alles, was heute draußen über Wahlrecht nach dieser oder jener Seite geredet wird, ist ein Gerede ganz egal, welche über die man im Grunde genommen Genaues nicht weiß. Es sind über Dinge, Entscheidungen aufgrund von Vorurteilen. Und das Vorurteil in der Jugend, von der Sie sprechen, stammt noch aus der Erinnerung an die autoritären Zeiten. Die Leute sagen: Gleichgültig, ob rechts oder links; die Hauptsache ist, daß irgend jemand da sitzt, der die Sache schmeißt. Das ist der versteckte Ruf nach rin in die dem starken Mann, der sich in dieser angeblichen Entscheidung manifestiert. Herr Walter, Sie haben geKartoffeln, raus aus den Kartoffeln stern wieder das Persönlichkeitswahlrecht dem Verhältniswahlrecht gegenübergestellt. Ich sehe auch, daß Herr Heile aus der Erinnerung an alte Zeiten in dem Verhältniswahlrecht immer noch diese starren Listen, den starken Einfluß der Parteibonzokratie und ähnliches mehr sieht. (Heile: Man wählt bei jedem Listensystem nicht Personen, sondern eine Partei. Es ist ein Parteienwahlrecht.) Herr Heile, die Personen, die Sie zur Wahl stellen, stellen Sie mit der Fabrikmarke von einer Partei dahinter auf. (Heile : Auch 9/w der Wähler von Ihnen wünschen alle Parteien zum Teufel.) Man kann hier nicht den Unterschied zwischen Persönlichkeitswahlrecht und Verhältniswahlrecht machen. Das Verhältniswahlrecht, das von uns gestern hier mit einer knappen Mehrheit angenommen worden ist, das zweifellos von einer Mehrheit des Hauses gewünscht wird, hat durch die Modifikationen, die wir hineingebracht haben, eine ganz starke persönliche Note, weil die Parteien sagen: Hier habt ihr unsere Männer, nun sucht euch diejenigen aus, die ihr für richtig haltet. Dabei ist kein Wähler an den Vorschlag irgendeiner Partei gebunden. Innerhalb dieser Wahlvorschläge in einem Gebiet, in welchem nun sechs Kandidaten in Konkurrenz auftreten und für das gesamte Gebiet verantwortlich werden, hat der Wähler wirklich eine weitgehende freie Entscheidung. In allen Diskussionen ist bei Ihnen, Herr Heile, leider immer offen geblieben, wo die Kandidaten herkommen, die Sie präsentieren. Das haben Sie noch niemals wirklich zum Ausdruck gebracht, sondern Sie haben immer nur gesagt, die sind von den Parteien abhängig. Die Aufstellenden werden immer die Parteien sein. Nach dem, was wir in das gestern beschlossene Wahlgesetz hineingeschrieben haben, ist sogar bestimmt, daß sie in der Urwahl von den untersten Organen der Partei bis in die Spitze hinein aufgestellt werden. Das muß dokumentarisch durch Protokolle nachgewiesen sein.
punkten
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Heile: Ich darf auf die Fragen ganz kurz antworten. Das, was Sie sagen, habe ich offen gelassen, weil ich es für selbstverständlich gehalten habe. Wenn früher in meiner Jugend Leute in die Politik hineinstrebten, weil sie politische Kräfte waren, so war es gewiß auch damals schon genau so wie heute, daß diejenigen, die oben an der Spitze standen, ihnen den Platz versperrten und nicht weichen wollten. Es gab aber immer eine Möglichkeit, daß gegenüber es können sehr denjenigen, die im Volksmund die Bonzen genannt werden ordentliche Leute sein —, die eine ältere Auffassung vertreten, die junge Opposition herankam. Es gab immer eine junge Gruppe innerhalb derselben Partei sie braucht nicht an Lebensalter jung zu sein —, die notfalls auch ohne Parteihilfe und gegen den Willen der Parteimaschine Kandidaten aufstellte und auch durchsetzte. Als junge Demokraten haben wir so der Demokratie neue Bezirke erobert. Selbst im Osten, auch da, wo nur reine Rittergutsbezirke waren, in denen früher die Demokratie nie vertreten gewesen war, wagten die jungen Leute, ganz auf sich gestellt, den Kampf. Nicht die Parteimaschinen, nein, einzelne Persönlichkeiten kämpften und eroberten Terrain. Jetzt wird immer so getan, als ob es für alle Ewigkeit so wäre, daß diese Partei die große und jene Partei die kleine ist und daß innerhalb der Parteien diejenigen, die zufällig am Ruder sind, die Macht behalten. Parteien dürfen nicht zum Selbstzweck werden, nur das organisatorische Hilfsmittel für den politischen Zweck sein. Sie sprechen die Parteien immer heilig. Das wollen wir nicht. Kaufmann: Ich will versuchen, die parteipolitische Leidenschaftlichkeit, mit der einige der Herren Redner hier gesprochen haben, nicht nachzumachen. Ich habe das auch vom Beginn meiner Ausführungen an nicht gemacht. Auf einiges werde ich allerdings eingehen müssen. Ich darf zunächst zu der Argumentation des Kollegen Dr. Diederichs in bezug auf die Lokalgrößen usw. etwas sagen. Herr Dr. Diederichs, Sie haben sich ganz gründlich widersprochen. Sie haben um es einmal geauf der einen Seite gesagt, daß beim Mehrheitswahlrecht kommen. kurz danach nerell so zu nennen Sie zum haben Zuge Lokalgrößen auf einen Zwischenruf des Herrn Kollegen Heile gesagt, daß sämtliche aufgestellten Kandidaten nach diesem Wahlrecht doch die Fabrikmarke der Partei trügen. Das widerspricht sich kraß. Denn entweder kommen ohne sachlichen Einfluß der Parteien durch ein Mehrheitswahlrecht angebliche Lokalgrößen zum Zuge, oder aber es ist so, wie wir es auch als selbstverständlich betrachten wir sind nicht diejenigen, die die Parteiarbeit herunterhunzen und verächtlich machen wollen —, daß die Parteien die Auswahl der Kandidaten, die man dem Volk zur Wahl empfiehlt, mit der größten Sorgfalt zu treffen bemüht sind und den lokalen Organisationen verständlich machen, was der betreffende Mann für sie zu leisten in der Lage ist, sowie ihnen zu empfehlen, ihn zu nehmen. Das kann im Einzelfall daneben gelingen. Aber im ganzen wird es weder bei Ihrer Partei, noch bei den übrigen Parteien, noch bei uns daneben gelingen. Man kann also dieses Argument nicht gegen die Mehrheitswahl oder die Persönlichkeitswahl vorbringen. Ich bitte, etwas Weiteres feststellen zu dürfen. Es ist hier von einem Wahlsystem gesprochen worden, daß die wirklichen Absichten verschleiert. Nein, das Gegenteil ist richtig. Das Wahlsystem, das hier von mir vorgetragen worden ist, —
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hat keine Spur von irgendeiner Verschleierung oder Unklarheit, weder in seiner Absicht, noch in seiner Durchführung. Es ist in seiner Durchführung jedem einfachsten Menschen einwandfrei klar und kann niemals soviel Verwirrung anrichten wie ein Großwahlkreis mit mehr Stimmen und dergleichen, mit den Schwierigkeiten, von denen wir gestern gesprochen haben, die Sie allerdings in Ihrer Mehrheit anders oder nicht so stark beurteilen, wie wir das tun. Ich will auch nicht damit argumentieren und habe das von vornherein nicht getan —, daß das, was von uns jetzt vorgebracht wird, restlos dem entspricht, was der Herr Kollege Dr. Becker hier vorgetragen hat. Ich habe von vornherein gesagt, daß, solange wir über einen Einigungsvorschlag verhandeln, unsere Ziffern nicht festliegen, sondern daß man darüber sachlich diskutieren soll, um das Optimum und das für beide Teile Ertragbare zu finden. Ich bedaure, daß darauf nicht eingegangen worden ist, jedenfalls nicht in der Form, wie wir es gestern bei dem anderen Vorschlag versucht haben. Ich habe jedenfalls, solange ich an dieser Frage arbeite, noch keinen Augenblick daran herumzurechnen versucht, ob auf diesem Wege für meine Partei oder bestimmte Parteien ein Vorteil oder ein Nachteil herauskommen würde. Ich habe vielmehr versucht, der die niemand von uns bestreiten kann —, daß Tatsache Rechnung zu tragen sehr breite Teile des Volkes der Überzeugung sind, daß das vorhandene Wahlrecht stark mit schuld ist an der politischen Gleichgültigkeit der Bevölkerung. Man sollte deshalb versuchen, es anders zu regeln. Wir haben in den Vorverhandlungen die Sachverständigen gehabt29). (Zuruf des Abg. Heiland.) In Amerika sind andere Verhältnisse, die ich aus persönlicher Orientierung sehr genau kenne. Ich bin im Wahlkampf für die dritte Kandidatur Roosevelts mit Roosevelt30) fast durch sämtliche Wahlversammlungen New Yorks gezogen. Aber wenn Sie schon auf andere Verhältnisse exemplifizieren, werden Sie mir zugeben, daß diejenigen Länder, die es mit dem reinen Proporz versucht haben, sich wieder Wandlungen unterworfen haben und zu einem Teil ich erinnere wieder vollständig vom Proporz abgekommen und an das Referat Thoma31) zum Mehrheitswahlrecht zurückgekommen sind, wenn auch in irgendeiner modifizierten Form. Man kann wirklich nicht behaupten, daß es etwas Ungewöhnliches wäre, wenn man hier eine Diskussion darüber fordert, wie man zu einer anderen Regelung kommen kann, um bessere Verhältnisse zu erzielen. Es ist etwas merkwürdig, daß Sie auf einmal so furchtbar darauf bedacht sind, die kleineren Parteien zu schützen. Der Schutzparagraph mit den 5% oder 10% ist von Ihnen mindestens so stark vertreten worden wie von uns, nach meiner Kenntnis in zahlreichen Ländern erheblich stärker als von uns32). Der Paragraph —
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29) Siehe oben Dok. Nr. 2, 7 und 9. 30) Franklin Delano Roosevelt konnte sich
1940 zum dritten Mal bei den Präsidentschaftswahlen durchsetzen. 31) Siehe oben Dok. Nr. 2, TOP 1. 32) Der Verfassungspolitische Ausschuß der SPD befürwortete auf seiner Hamburger Tagung im Oktober 1947 die 5 %-Sperrklausel (siehe Lange, Wahlrecht, S. 239 und 245). Hermann Brill, Chef der hessischen Staatskanzlei und außerhalb des Pari. Rates einer der engagiertesten Verfechter des Verhältniswahlsystems, plädierte ebenso für die —
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betreffend den Ausschluß derjenigen Parteien, die in einem Wahlkreis nicht zum Zuge gekommen sind, wobei diese auch nicht im Proporz berücksichtigt werden sollen, ist ebenfalls von Ihnen seit Jahren und Jahrzehnten vertreten worden. Ich will nicht darauf eingehen, aus welchen Gründen Sie hier glauben, den Schutz der kleinen Parteien so stark propagieren zu müssen. Ich habe von vornherein gesagt, daß das, was möglich ist, um die kleinen Parteien auch zur Existenzmöglichkeit und zum Einfluß zu bringen, ohne daß eine gesunde feste Mehrheitsbildung gefährdet wird, von uns ebenfalls vertreten wird. Wenn Sie glauben, in diesem System, über das wir jetzt einmal ernsthaft sprechen wollen, noch zu Weiterungen kommen zu können, bitte, machen Sie doch Vorschläge! Dann können wir darüber diskutieren. Das ist bis jetzt gar nicht geschehen. Wenn Sie sehen, daß kleine Parteien, die sich ihr selbständiges Denken erhalten, ohne weiteres auf ein ähnliches oder gar auf das gleiche System zu gehen bereit sind (Frau Wessel: Herr Heile!) Nicht nur Herr Heile, sondern auch Herr Dr. Seebohm33). Ich habe mit Herrn Dr. Seebohm eingehend gesprochen. Er hat mir gesagt, daß er dieses System ebenfalls vertritt. Dabei können durch unsere gemeinsame Arbeit Änderungen und Verbesserungen angebracht werden. Aber die Tatsache, daß auch Herr Dr. Becker ursprünglich auf der gleichen Basis gewesen ist, nur mit anderen Prozentzahlen, über die man diskutieren kann, ist doch ein Zeichen dafür, daß auch bei kleinen Parteien der Wille zu einer gesunden Mehrheitsbildung vorhanden ist, von der sie in dem Augenblick profitieren, in dem sie selbst in entsprechender Weise zum Zuge kommen. Wollen Sie etwa den kleinen Parteien einreden, sie haben dadurch einen entscheidenden Vorteil, daß sie um jeden Preis bei der ersten Wahl in der Prozentzahl ihrer Stimmen vertreten sind, um dann von den großen Parteien als das berühmte Zünglein mehr ausgebeutet zu werden, als sie es selbst benutzen wollen. Eine Partei, die als kleine Partei draußen im Kampf steht und nicht in irgendeinem Parlament ist, weil sie nach dem Wahlsystem noch nicht zum Zuge kommt, ist nach meiner Überzeugung im politischen Kampf, wenn sie recht geleitet ist, stärker als eine Partei, die zwei oder drei Leute in einem Bundestag oder in irgendeinem Parlament hat, um dort Kompromisse zu schließen oder Kompromissen zu dienen. Das ist also kein Weg, um die kleinen Parteien, soweit sie als politische Parteien in Frage —
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kommen, irgendwie
zu unterstützen. Nun hat Frau Wessel davon gesprochen, daß die
Jugend, die Frauen und die der kommen. zum Zuge Gerade Versuch, eine erhebliche Zahl Flüchtlinge zu wählen, dient der Sicherung der Vertretung der Abgeordneten im Proporz nicht
10%-Sperrklausel (H.
Brill: Für das Verhältniswahlrecht, in: Das Sozialistische
Jahrhun-
dert, Jan. 1947, S. 65-67).
17. Sept. 1967), DP-Politiker (nach 1960: 33) Dr. Hans-Christoph Seebohm (4. Aug. 1903 CDU), 1946—51 MdL Niedersachsen, Arbeits- und Gesundheitsminister 1946-48, -
als Bundesverkehrsminister. Zur Haltung Seebohms in der Wahlsiehe auch seinen Brief an Pfeiffer vom 12. Sept. 1948 (Bayer. HStA NL
1949—67 MdB bis 1966
rechtsfrage
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der Frau, soweit sie im kleinen Wahlkreis nicht durchkommt. Eine wirkliche politische Frau wird sich nach meiner Überzeugung auch in einem kleinen Wahlkreis durchsetzen können. Lassen Sie mich den Namen einer Frau nennen, die heute außerhalb des politischen Kampfes steht. Ich bin fest davon überzeugt, daß eine Frau wie Gertrud Bäumer34) sich in einem Einzelwahlkreis durchgesetzt hätte. (Frau Wessel: Sie stand auf der Reichsliste.) Sie stand auf der Reichsliste, weil die Demokratische Partei entscheidenden Wert darauf legte, sie von jedem groben politischen Kampf freizuhalten und sie unbedingt sicherzustellen. Wenn Frau Bäumer heute in Hamburg, in einem 150er Wahlkreis35) kandidieren würde, dann gehe ich mit Ihnen eine Wette ein, daß Frau Bäumer gewählt würde. (Frau Wessel: Sie würde nicht gewählt werden.) Die geeigneten Persönlichkeiten für den offenen politischen Kampf sind leider noch nicht da. Das kann man bedauern. Man kann versuchen, das durch eine entsprechende Auswahl der Frauen zu ändern. Vorläufig haben wir auch deshalb zunächst diese Prozentzahl von 25 gewählt. Herr Kollege Heiland, Dasselbe trifft für Flüchtlinge und für Jugendliche zu. Sie sind so furchtbar unduldsam gegenüber jedem anderen Gesichtspunkt. Sie haben so absolut gar keinen Willen, auch mit anderen zusammenzuarbeiten. Sie sind so starr in Ihrer Anschauung. Seit acht Wochen haben wir nichts als die Tatsache gehabt, daß alles abgelehnt worden ist. Ich hoffe auch gemeinsam mit Ihnen auf einen anderen Weg. Aber wenn man sich nur grinsend gegenüber der anderen Anschauung äußert und im übrigen in dieser sonderbaren einseitigen Überheblichkeit die Dinge behandelt, kann man zu einer Einigung nicht ich bin mir darüber im Zweifel —, daß Sie die Hoffkommen. Es mag sein und etwas anderes ist der Vorschlag ein reines Proporzsystem nung haben, des Kollegen Dr. Diederichs nicht mit einer knappen Mehrheit durchzubringen. Ob das das Ziel unserer Arbeit in diesem so zusammengesetzten Parlament ist, das möchte ich ganz erheblich bezweifeln. Das möchte ich in Ihre Verantwortlichkeit stellen. Ich glaube nicht, daß wir an diesem Vorschlag so arbeiten sollten, wie das von einigen Herren getan worden ist. (Heiland: Sie sollten sich an die Ausführungen Ihres Kollegen Kroll erinnern, der gesagt hat: Wenn das Mehrheitswahlrecht nicht durchkommt, haben wir an der Mitarbeit kein Interesse36).) Ich bitte Sie, doch auf die Wirklichkeit Rücksicht zu nehmen, Herr Kollege Heiland. Ich habe Ihnen in aller Offenheit, ohne Rücksicht auf Parteitaktik gesagt, daß wir zu dem Zweck, zusammenzukommen, sogar die Vertretung ge—
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25. März 1954), Schriftstellerin und Frauenrecht34) Dr. Gertrud Bäumer (12. Sept. 1873 lerin, 1919—33 MdR (Demokratische Partei), zeitweilig Delegierte beim Völkerbund für -
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Jugendpolitik.
Die 150er Wahlkreise umfaßten im Kaiserreich die nördliche Provinz Hannover. Der hier Kaufmann unterstellte hypothetische Wahlerfolg der populären Politikerin in dieser Region basiert offensichtlich auf der Tätigkeit Bäumers in den Jahren 1916—20 als Leiterin des Sozialpädagogischen Instituts in Hamburg. Siehe oben S. 209. von
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wechselt haben und einen
neuen Vorschlag bringen. Es ist unzweifelhaft ein Ihnen auch noch nicht paßt. Sie haben auch manVorschlag, ches gesagt, was uns nicht paßt. Ich werde Ihnen das alte Zeug nicht vorhalten. Es gehört schließlich zu den Grundrechten, wie Herr Dr. Heuss gesagt hat, daß man auch einmal etwas Verkehrtes sagen darf und dann über das Richtige sich zu verständigen sucht. Warum soll man den alten Käse immer wieder herbeiziehen? Lassen Sie uns doch ernsthaft über die Fragen reden und sagen Sie, ohne daß Sie sich dadurch verpflichten, für diesen Wahlvorschlag zu stimmen, noch einmal, wo Sie Verbesserungen suchen, die Ihnen den Vorschlag erträglicher machen! Dazu sitzen wir doch zusammen. Wir sitzen doch nicht zusammen, um uns parteitaktische Redensarten an den Kopf zu werfen und uns noch einmal unsere parteitaktisch abgegrenzte Meinung zu sagen. Dr. Reif: Ich bin in einer etwas schwierigen Lage, da ich für den wegen seiner Gesundheit heute nicht anwesenden Dr. Becker hier die Partei vertreten muß37). Ich kann natürlich eine parteioffizielle Interpretation des Vorschlages Dr. Becker hier nicht geben. Das kann ich um so weniger, als der Vorschlag Dr. Becker seinerzeit auch nur als ein Kompromißvorschlag aufgrund der damals im Ausschuß vorhandenen Situation entstanden war. Wieweit er dafür heute noch ausreicht, vermag ich nicht zu übersehen. Ich will auch da Herrn Dr. Becker nicht vorgreifen. Ich möchte namentlich auf das eingehen, was der von mir sehr verehrte Herr Heile hier gesagt hat. Ich glaube, wir leiden alle unter dem, was Max Weber in seinen Artikeln in der Frankfurter Zeitung anläßlich der neuen Verfassungsarbeit nach 1918 ausgeführt hat38). Max Weber hat schon damals darauf hingewiesen, daß als Folge des Bismarckschen Systems das deutsche Volk einen inneren Widerstand gegen Parteidemokratie empfand. Das ist nicht besser, sondern schlimmer geworden. Vor allen Dingen im Zusammenhang mit der Agitation der deutschen Wählergesellschaft ist gerade in den Kreisen der Intellektuellen vielfach der Eindruck entstanden, als bedeute das eine Wahlsystem Parteiherrschaft und als bedeute das andere Wahlsystem nicht Parteiherrschaft. Das ist ein Irrtum. Die Anhänger des sogenannten Persönlichkeitswahlrechts, das heißt diejenigen, die guten Glaubens ich sage absichtlich: guten Glaubens Mehrheitswahl und Persönlichkeitswahl für dasselbe halten, argumentieren aus der Vergangenheit heraus, nämlich aus einer Gesellschaftsordnung, in der Menschen ohne besondere parteipolitische Note die Möglichkeit hatten, durch soziale, kulturelle oder sonstige Tätigkeit in bestimmten Bezirken zu einer öffentlichen Figur zu werden, um die sich dann die Parteien bei der Aufstellung ihrer Kandidaturen selbst bewarben. Ich habe das selbst miterlebt, als
neuer
wenn er
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—
') Siehe oben Anm. 4. ') Die Artikel wurden abgedruckt
in den Gesammelten Politischen Schriften Webers. Zu der Bismarckschen Parteienpolitik siehe vor allem auch seinen 1918 veröffenüichten Aufsatz „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland", in: Max Weber, Ges. Politische Schriften, S. 306-444, bes. S. 311 ff. und 361 ff.
seiner
Analyse
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Angestelltenversicherung gemacht hatte39) und nun sowohl die Fortschrittliche Volkspartei als auch die Nationalliberale Partei kamen und ihn als Kandidaten irgendwo haben wollten, weil das in diesem Augenblick richtig erschien. Das war damals möglich, weil wir eine gegliederte und mit unendlich vielen Möglichkeiten ausgestattete Gesellschaft besaßen. Das haben wir heute nicht. Ich habe immer als Gegenbeispiel gesagt: Hätten wir zum Beispiel bei den ersten Stadtverordnetenwahlen in Berlin40) das sogenannte Persönlichkeitswahlrecht gehabt ich weiß nicht, wen die Leute in Zehlendorf überhaupt nur gekannt hätten. Vielleicht den Bürgermeister. So ist es doch heute auch noch; wir wollen uns doch nichts vormachen. Herr Kaufmann hat mit Recht gesagt, es gibt heute sehr wenige bekannte politische Frauen. Er hat kaum ein anderes Beispiel als Gertrud Bäumer die einer Vergangenheit angehört genannt. Es gibt auch sehr wenige bekannte politische Männer. Glauben Sie doch nicht, daß in kleinen Wahlkreisen nach dem Mehrheitsprinzip bekannte politische Persönlichkeiten ins Parlament geschickt werden. Sie sind noch gar nicht da. Sie können vielleicht einmal kommen. Wir hoffen es. (Heile: Sie können es vielleicht einmal werden.) Sie können es heute nur auf dem einen Weg. Der einzige Weg, um heute in Deutschland Politik zu machen, führt eben über die politischen Parteien. Die Abneigung des deutschen Volkes gegen die Demokratie ist noch sehr, sehr groß. Jede Propaganda im Sinne der Deutschen Wählergesellschaft, die die ganze Frage auf diesen kleinen technischen Komplex des Wahlsystems konzentriert, gibt dieser Abneigung des deutschen Volkes gegen die Demokratie ein ganz bestimmtes konkretes Ziel, auf das die Leute sich versteifen. das gehört auch mit zu der Argumentation der Deutschen Man sagt weiter das Mehrheitswahlsystem erzwingt das Zweiparteiensy—, Wählergesellschaft stem. Das glaube ich nicht. (Kaufmann: Ich auch nicht.) Aber damit hat man es bei all denen, die eine neue Bewegung für zukunftsträchtig halten, verdächtig gemacht. Denn damit hat man gesagt: Wir wünschen sogar, daß das deutsche Volk gezwungen wird, nur zwischen zwei Parteien zu wählen. Das ist einer der Hauptpunkte der Wählergesellschaft, und zwar aus einer völligen Verkennung der englischen Situation, die auf Deutschland überhaupt nicht anwendbar ist. Das Mehrheitswahlsystem konserviert die großen Parteien und konserviert die Splitterparteien, jedoch nur diejenigen Splitter, die niemals eine Aussicht haben, eine Volkspartei im wahren Sinne des Wortes zu werden, nämlich die lokalen Splitter, während das Proportionalwahlrecht den Parteien, die, weil sie Weltanschauungsparteien sind, die Chance haben, einmal Volksparteien in großem Sinne zu werden, den Weg verbaut. Das ist der Unterschied. Jetzt muß mein Vater die
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39) Reifs Vater, Josef Reif,
war
(BA Z 5/Anhang 1, Bl. 169).
40)
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Vorsitzender des Verbands Deutscher
Handlungsgehilfen
Die erste Stadtverordnetenwahl in Berlin fand statt am 20. Okt. 1946 und endete mit einem eindeutigen Sieg der SPD (51,7%). Die CDU erreichte lediglich 24,3%, gefolgt von der SED (13,7%) und der FDP (10,3%) (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 35).
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sich die Frage überlegen: Wünscht man in der Dynamik der deutschen um einmal ein Beispiel zu Entwicklung die Konservierung der Bayernpartei nehmen —, die immer mit einigen Abgeordneten im Bundestag sitzen wird, oder will man die Entwicklung von Parteien zulassen, die ihrer ganzen Art nach die Chance haben, einmal Volksparteien in großem Sinne zu werden? Über diese Frage muß man sich grundsätzlich entscheiden. Aber die Behauptung, daß das eine Wahlrecht kleine Parteien begünstige und das andere nicht, ist falsch. Es werden nur die Parteien einer anderen Struktur begünstigt und wahrscheinlich gerade diejenigen, die für unser Volksleben ich will zumindest sagen, in der Bundesebene am entbehrlichsten sind, nämlich die reinen und auch Herr Heile hat Lokalparteien. Es ist also nicht so, Herr Kaufmann das leider gesagt —, daß wir, wenn wir heute für eine stärkere Anwendung des Proportionalprinzips eintreten, vom Standpunkt der kleineren Parteien aus ein Geschenk erhoffen. Wir wollen nichts als Gerechtigkeit für die Entwicklung und dürfen das mit um so größerem Recht verlangen, als die übrigen Argumente für das Mehrheitssystem alle nicht ziehen. Denn überall werden heute die Kandidaten von den Parteien aufgestellt. Es ist nach meinem Dafürhalten eine verlogene Propaganda der Wählergesellschaft, den Leuten draußen einzureden, daß sie bei einem anderen Wahlsystem vom Parteiapparat unabhängige Persönlichkeiten wählen. Das redet man den Leuten ein. Das wünschen die Leute auch. Das läßt sich aber heute nicht verwirklichen. Daher dürfen wir diese Propaganda nicht unwidersprochen zulassen. Kaufmann: Ich möchte noch eine Frage an Herrn Dr. Reif stellen: Sind Sie um auf Ihr Beispiel zurückzukommen —, daß auf dem denn der Meinung Wege über die Proporzwahl eine Partei wie die Bayernpartei, die ich auch für eine Splitterpartei halte, in dem Sinne, wie Sie es definiert haben, beseitigt werden kann? Dr. Reif: Das sage ich nicht. Ich sage nur eins: bei dem anderen Wahlsystem konservieren Sie die Bayernpartei. Frau Wessel: Wir müssen uns bei unseren Besprechungen ich sage das auch davor hüten, daß wir Politik mit Rogegenüber dem Herrn Kollegen Heile mantik verwechseln. Es hat gar keinen Zweck, von den Verhältnissen vor 1914 zu sprechen und zu glauben, daß man sie nach 34 Jahren wieder konservieren kann. Ich darf aus meinen eigenen Erfahrungen sprechen. Ich habe von 1919 bis 1933 in einem großen Wahlbezirk wie Dortmund-Hörde alle Wahlen mitgemacht, weil ich damals Parteisekretärin war. Ich habe in vielen Versammlungen gesprochen. Ich kann Ihnen sagen, daß von 1919 bis etwa 1925 mindestens die Begeisterung für die Politik vorhanden war wie vor 1914. Es sind ganz andere Gründe gewesen, die zu der Müdigkeit geführt haben und die dazu geführt haben, daß vor allen Dingen von den sogenannten bürgerlichen und intellektuellen Kreisen, genau wie es heute ist, Stimmung gegen die Parteien gemacht wurde, als wenn sie die großen Versager wären. Ich wehre mich genau so wie Herr Dr. Reif dagegen, daß eine Wählergesellschaft überhaupt nicht den Mut hat, irgendwie in den Parteien mitzuarbeiten, daß sie aus einer Stimmungsmache heraus draußen eine große Propaganda macht und glaubt, damit dem deutschen Volk einen wertvollen Dienst zu erweisen. Wer die Herren hier erlebt man
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hat41), muß ihnen das Recht absprechen, aus den vergangenen drei Jahren die Schlüsse gezogen zu haben, um uns hier in maßgebender Weise Vorschriften machen zu können, in welcher Art und Weise wir ein Wahlrecht zu gestalten haben. Wir, die wir hier sitzen, haben schon die nötige Verantwortung. Auch der Herr Kollege Kaufmann möge es mir zumindest zugute halten, daß es nicht
Ablehnung von vornherein ist. Es ist für mich nicht maßgebend, ob die eioder andere kleine Verbesserung gemacht wird, ob es 100 oder 150 sind. Ich wehre mich vielmehr dagegen, daß man auf einem Wege, den er von seinem Standpunkt aus für richtig hält, in der Verrechnung eine Bevorzugung der größeren Parteien vornimmt. Die Grundlage ist eben eine ganz andere, als ich sie sehe. Lassen sie mich noch ein zweites sagen. Glauben Sie doch nicht, daß die Jugend, wenn sie irgendwie für das Mehrheitswahlsystem aufgerufen wird, damit die Parteien will. Die Jugend lehnt im großen und ganzen die Parteien alle ab. Gerade durch die Propaganda der Wählergesellschaft und anderer Kreise, die ein gewisses Interesse daran haben, glaubt die Jugend jetzt, wenn wir das Mehrheitswahlrecht oder das sogenannte Persönlichkeitswahlrecht haben würden, würden die Parteien endlich einmal an die Wand gedrückt werden. Wenn die Jugend aber hört, daß gerade durch ein solches Wahlrecht, wie wir es jetzt bekommen, genau so wie bei einem anderen, die Monopolisierung der Parteien gerade konserviert wird, werden sie mit jedem Wahlrecht eine sehr große Ablehnung gerade in den Kreisen der Jugend bekommen. Bei aller Anerkennung des Grundsatzes, daß man verhüten soll, daß sogenannte neue Parteien kommen, muß man berücksichtigen, daß alle Parteien einmal klein angefangen haben. Ich wehre mich als Demokrat dagegen, zu glauben, daß die heutigen Parteien schon das Ende aller Parteigruppierungen sind. Ich wehre mich auch dagegen, daß man ein Wahlrecht schafft, um von vornherein zu verhindern, daß wirklich echte politische Parteien noch kommen können. Auch das müssen wir berücksichtigen, gerade aus den Gedanken heraus, die Herr Dr. Reif angeführt hat. Ich bin auch so nüchtern, Ihnen zu sagen, daß mit dieser Propaganda für die Persönlichkeit sehr viel Schindluder getrieben wird. Ich habe in den vergangenen drei Jahren sehr sorgfältig beobachtet, ob man Persönlichkeiten oder Parteien gewählt hat. Ich habe feststellen können, wo Parteien in der Führung waren, konnten mittelmäßige Persönlichkeiten stehen, und diese wurden gewählt. In einem anderen Fall, besonders bei den Gemeinde- und Landtagswahlen, konnten Sie feststellen: Wenn auf der anderen Seite eine ausgeprägte politische Persönlichkeit stand, ganz gleichgültig, von welcher Partei, kam sie doch nicht zum Zuge, weil eben die Partei in diesem Wahlbezirk nicht groß genug war. Entscheidend sind die Parolen, die die Parteien bei den einzelnen Wahlen ausgeben, und nicht die entsprechenden Persönlichkeiten, die die Parolen zu vertreten haben. eine
ne
41) Siehe oben Dok. Nr. 604
9.
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Lassen Sie mich noch ein letztes bezüglich der Frau sagen. Ich gebe durchaus das zu, was Herr Walter gesagt hat. Wir kommen aber in eine Zeit hinein, in der etwa 10 Millionen Frauen nicht mehr zum Heiraten kommen werden, weil ihnen durch den zweiten Weltkrieg der Ehepartner weggeschossen worden ist. Diese Frauen müssen irgendwie einen Inhalt bekommen. Sie müssen sich irgendwie zu dem Gemeinschaftsgedanken und zu dem demokratischen Gedanken hingezogen fühlen. Es wurde schon ganz richtig gesagt, die ausgeprägten politischen Persönlichkeiten sind bei den Frauen vielleicht weniger vorhanden. Aber sie sind in einem Maße, wie wir es alle wünschen möchten, heute auch bei den Männern nicht vorhanden. Die Vorurteile ob berechtigt oder unberechtigt, ist gleichgültig —, die man im politischen Leben auch heute noch vielfach gegenüber den Frauen feststellen muß, sind eine Tatsache, die man nicht wegleugnen kann. Wenn der Herr Kollege Kaufmann angeführt hat, daß Gertrud Bäumer auf der Reichsliste kandidiert hat, so ist das darauf zurückzuführen, daß sie unten im Wahlkreis keine sichere Stelle bekommen hat und daß man sie nachher auf die Reichsliste gesetzt hat. Ich kenne auch diese Zusammenhänge ganz genau. Ich halte auch die Schutzbestimmung des Prozentsatzes nicht für richtig. Aber ich lasse sie ist nur eine Kann-Vorschrift42). Mir ist jedenfalls gesagt worden mich da sehr gern korrigieren —, daß gerade dieser Vorschlag bei den Herrenchiemseer Besprechungen nicht von der SPD, sondern mehr aus dem Kreis der CDU gekommen ist43). Wenn Sie diese Schutzbestimmung gegenüber den kleinen Parteien aufrechterhalten, so sehe ich darin für die kleinen Parteien eine Gefahr. Wir haben bei dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen, wo es auch eine Schutzbestimmung von 5% gibt, erlebt, daß man draußen hingegangen ist und in der Propaganda gesagt hat: Es hat gar keinen Zweck, diesen oder jenen von der und der Partei zu wählen, der kommt überhaupt nicht durch; eure Stimmen kommen nicht zum Zuge; ihr handelt geradezu verantwortungslos, wenn ihr eine solche kleine Partei wählt. Solche Methoden empfinde ich vom demokratischen Standpunkt aus als Unrecht. Ich wehre mich dagegen, daß man nicht von der Basis einer echten Demokratie aus jedem, gleichgültig, ob er von einer kleinen oder von einer großen Partei ist, die Chance gibt, vor die Wähler hinzutreten. Ich wehre mich dagegen, daß man mit diesen Machenschaften eine gewisse Beeinflussung der Wähler anders kann ich es nicht bezeichnen nicht wie zu einer Befriedung unseres politischen ich die, vornimmt, glaube, Lebens führt. Walter: Nach den Ausführungen des Kollegen Dr. Reif kann ich mich darauf beschränken, eine Frage an ihn zu stellen: Ist der Vorschlag Dr. Becker ein persönlicher Vorschlag von ihm als Vorsitzender und Mitglied des Wahlrechtsausschusses oder ist der Vorschlag eingebracht worden, nachdem die Fraktion sich seinem Vorschlag angeschlossen hat? —
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42) Siehe oben S. 443. 43) Für die Einführung
einer 5 %-Klausel hatten sich vor allem Otto Suhr (SPD) sowie Gert Feine und Otto Küster ausgesprochen (Der Pari. Rat Bd. 2, S. 280, Anm. 3).
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Reif: Herr Dr. Becker hat uns damals die Situation nach den ersten Besprechungen geschildert und hat gesagt: Ich halte es für richtig, jetzt auf dieser Basis den Versuch von Einigungsverhandlungen zu machen44). Wir haben gesagt: Dr.
Bitte schön, machen Sie das! Aber man kann nicht sagen, daß das nun etwa das wahlpolitische Programm des deutschen Liberalismus ist45). Walter: Ihr Kollege Dr. Schwamberger vom Wirtschaftsrat46) ist gefragt worden. Er steht auf dem Standpunkt, alles andere außer Persönlichkeitswahl sei Unsinn. Dr. Reif: Von der Persönlichkeitswahl gehen wir aus, nur auf einem anderen Wege. Wir bestreiten absolut, daß die Mehrheitswahl und die Persönlichkeitswahl dasselbe ist. Walter: Ich bitte Sie, doch Vorschläge gegenüber unserem Entwurf zu machen. Ich habe Verständnis dafür, daß hier gegen diesen Entwurf angekämpft wird. Wir sind dazu da, einen Ausgleich zu finden. Wir sind nicht stur. Ich suche wirklich, mit aller Mühe und in vollem Verantwortungsbewußtsein einen Weg zu finden, der für beide Teile gangbar ist. Heiland: Herr Kaufmann hat mir den Vorwurf der Unduldsamkeit gemacht, obwohl ich heute morgen noch kein Wort gesprochen habe, abgesehen von meiner Erwiderung auf die Ausführungen des Herrn Schröter, von dem ich feststelle, daß er zwei oder drei Probleme in die Debatte wirft und dann durch Abwesenheit glänzt. Das war gestern der Fall, das ist heute wieder der Fall. (Walter: Herr Schröter ist in einem anderen Ausschuß47).) Ich lehne Ihren Vorschlag nicht von vornherein ab, das ist zuviel gesagt. Ich stelle nur fest, daß unser Ausschuß seit vier Monaten an der Arbeit ist und der einzige Ausschuß im Hause ist, der de facto fast noch am Anfang ist. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß sich nicht auf unserer Seite die Lage so sehr versteift hat, sondern daß von Ihrer Seite eine solche unelastische Verhandlungstaktik angeschlagen worden ist. Das sage ich nur, um die historische
Wahrheit auf alle Fälle festzuhalten.
44) Vgl. oben S. 426, 45) Tatsächlich gingen die Meinungen in der Wahlrechtsfrage auch in der FDP weit auseinander, wie bereits die diesbezügliche Haltung Dehlers zeigt (siehe oben Abschnitt 1 b
Einleitung). Allerdings
wurde Becker von seiner Partei zunehmend der Rücken geseiner fachlichen und verhandlungstaktischen Kompetenz überzeugt war. Am 5. Nov. 1948, also kurz nach der Ablehnung des Beckerschen Entwurfs, schrieb der württembergisch-badische Ministerpräsident Reinhold Meier (DVP) an seinen Parteifreund Franz Blücher: „Becker hat, wie mir Heuss versichert, den Wahlrechtsausschuß sehr gut in der Hand, und wir haben dank seiner Bemühungen keine schlechten Aussichten, trotz allem zu einem für uns erträglichen Wahlrecht zu kommen" (BA NL 221 der
stärkt, da
man von
[Heuss]/Bd. 54). Gleichermaßen reproduzierte der parteioffiziöse FDP-Infodienst, der an alle Landesverbände verschickt wurde, in der Wahlrechtsfrage exakt die Auffassungen Beckers (FDP-Infodienst vom 22. Nov. 1948, ADL 2960; vgl. Becker an den FDP-Kreisverband Worms vom 3. Nov. 1948, ADL 2958). 20. Juli 1955), FDP-Politiker, Oberbürgermeister 46) Dr. Emil Schwamberger (9. Feb. 1882 a. D., MdWR, Beiratsmitglied der DWG und Vorsitzender Geschäftsführer des örtlichen DWG-Verbandes Stuttgart (Mitteilungen, April 1948, S. 17). 47) Schröter ist auf keiner der Anwesenheitslisten des am 16, Dez. 1948 tagenden Organisations- bzw. Grundsatzausschusses vermerkt (Drucks. Nr. 560 und 488). -
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Wenn Sie den Wahlrechtsausschuß laufend besucht hätten, würden Sie wissen, daß ich mich in ernsthafter Auseinandersetzung mit dem Mehrheitswahlrecht befinde, daß ich mir sehr ernsthafte Gedanken darüber mache und es gar nicht a priori ablehne. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß es in einer gewissen Entwicklung eine Berechtigung hätte. Aber wir wollen doch das Wahlrecht, das wir zu schaffen haben, auch einmal unter den wirklichen Verhältnissen sehen. Wir haben das Wahlrecht für die erste Bundesversammlung zu schaffen. Wir haben ein Wahlrecht in einer Zeit zu schaffen, in der unsere politischen Verhältnisse so labil sind, daß ich durch ein einmaliges Wahlrecht nicht die politische Entscheidung der kommenden Jahre vorweggenommen sehen möchte. Ich habe das Gefühl, daß zumindest Ihr Kollege Kroll mit dem Rechenstift in der Hand sich so stark für das Mehrheitswahlrecht eingesetzt hat, weil er sich eine das ist mein Eindruck, ganz klare Mehrheit für seine Partei ausgerechnet hat
und den ich gewonnen habe und den ich jetzt einmal wiedergeben möchte weil er politische Entscheidungen, die in dem politischen Kristallisationsprozeß des deutschen Volkes in den nächsten Jahren sich erst gestalten müssen, vorwegnehmen möchte. Aus diesem Grunde bin ich im heutigen Zeitpunkt noch für ein Proporzwahlsystem, das die politische Kristallisation jedes einzelnen Staatsbürgers, also die Kristallisation der politischen Meinung, noch möglich macht. Ich wende mich dagegen, daß wir jetzt durch ein Wahlsystem eine feste politische Gruppierung schaffen, die keine echte politische Meinungsbildung mehr möglich macht. Wenn wir jetzt für den ersten Bundestag ein Proporzwahlsystem bekommen, werden in diesem Bundestag die nicht schönen politischen Verhältnisse in Deutschland widergespiegelt. Wir werden kein allzu leichtes Arbeiten haben. Die Verhältnisse werden sich nicht sehr von denen im Parlamentarischen Rat unterscheiden. Wie schwer das Arbeiten hier ist, hat jeder von uns in diesen Monaten empfunden. Aber es sind zumindest echte politische Verhältnisse, die widergespiegelt werden. Es ist ja nicht damit gedient, daß wir uns ein falsches Bild von den politischen Zuständen in Deutschland machen. Die politischen Zustände sind nun einmal nicht so klar, wie wir sie uns alle nach diesem Schock des Krieges wünschen. Ich bin der Meinung, daß in der politischen Auseinandersetzung die klaren politischen Verhältnisse entstehen müssen, die wir brauchen, wenn in der Zukunft die Demokratie sich in Deutschland halten soll. Daher habe ich mich für das Proporzsystem bei dieser Wahl entschieden. Das ist keine Entscheidung für die Dauer. Sie wissen auch, daß bei uns in der Partei die Debatte über das Wahlrecht in aller Offenheit mit den verschiedensten Meinungen geführt wird. Aber diese Debatten haben wir jetzt in diesem Ausschuß mindestens zum fünften oder sechsten Mal in aller Grundsätzlichkeit geführt, und wir werden uns in diesen Debatten nicht mehr überzeugen. Wenn ich heute morgen vielleicht durch Mimik manchmal eine gewisse Unduldsamkeit ausgedrückt haben sollte, sehr verehrter Herr Kollege Kaufmann, so ist das darin begründet, daß wir uns im Grundsätzlichen gegenseitig nicht mehr überzeugen werden. Es ist verlorene Zeit, in dieser Grundsätzlichkeit weiter zu debattieren. Es wäre ratsamer gewesen, die Stunden heute morgen für die Diskutierung Ihres Vorschlages zu verwenden. Demgegenüber ist von allen Seiten wieder einmal eine Generaldebatte —
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über das Wahlrecht geführt worden. Eine solche Debatte halte ich bei dem jetzigen Zustand nicht mehr für notwendig. Was wir uns über das Wahlrecht gegenseitig zu sagen haben, ist des öfteren von allen Seiten in aller Gründlichkeit ausgesprochen worden. Wir werden über diesen Vorschlag zur Abstimmung kommen müssen. Für den Fall, daß der Vorschlag keine Mehrheit finden sollte, war Ihnen zugestanden worden, ihn als Eventualvorschlag mit in den Hauptausschuß und in das Plenum zu geben48). Sie müssen also zugeben, daß wir vollkommen bereit sind, loyal die Dinge in Erwägung zu ziehen. Ich kann aber heute nicht mehr verstehen, daß wir durch große Debatten die Dinge immer noch weiter hinausziehen. Ich weiß auch nicht, ob das draußen noch verstanden würde49). Ich habe die Sorge, ob man, wenn einmal später unsere Protokolle hier gelesen werden, noch mit dem notwendigen Ernst von uns redet. Vors. [Dr. Diederichs]: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich selber wollte nur noch eins sagen. Herr Kaufmann hat mich sicher mißverstanden, wenn er glaubt, mir einen grundlegenden Widerspruch bezüglich der Lokalgrößen und der mit Fabrikmarke versehenen Kandidaten vorwerfen zu müssen. Die Kandidaten, die im Einzelwahlkreis auftreten, treten auch für eine Partei auf. Aber wenn sie von den lokalen Organisationen präsentiert werden, werden bei ganz kleinen Wahlkreisen nicht immer die Gesichtspunkte der großen Politik gewertet werden. Es spielen vielmehr häufig taktische Gründe eine Rolle. Sie können sicher sein, daß die Bayernpartei, die Weifen50) usw. in ihrem engeren Bezirk irgendeine bekannte Person ohne Rücksicht auf die Tatsache herausstellen, daß die Politik, die auf der Ebene des Bundes zu führen ist, Qualitäten erfordert, einfach aus dem Grunde, daß der Betreffende in dem lokalen Bezirk die besten Chancen hat und es darauf ankommt, wenn schon keine Größe, so mindestens eine Stimme für die Fraktion zu erobern, die man nachher für die so angestrebte absolute Mehrheit im Parlament gut auswerten kann. Wir müssen uns darüber einigen, ob wir den Entwurf der CDU in dieser Form als Minderheitsvorschlag, wozu wir allerdings darüber abstimmen müßten, mit an den Hauptausschuß geben wollen oder ob wir den Eindruck haben, daß wir hier zu einer Kompromißlösung kommen können. Nachdem heute morgen Herr Schröter die gestrige Mehrheit angegriffen hat und sich bei der gestrigen Abstimmung eine einstimmige Ablehnung des gestern beratenen Vorschlages seitens der CDU herausgestellt hat, halte ich es nicht mehr für sehr aussichtsreich,
48) Siehe oben Dok. Nr. 17, TOP 1. 49) In der Tat wurden die Wahlrechtsverhandlungen „draußen" mit wachsender Sorge beobachtet. Für ihren Verlauf machte der Leiter der Rechts- und Verfassungsabteilung in der bayerischen Staatskanzlei, Claus Leusser, in einem Brief an Ehard ebenfalls die Verhandlungsstrategie der CDU/CSU verantwortlich: „Schwierig haben sich die Verhältnisse im Wahlrechtsausschuß durch das anfänglich unnachgiebige Eintreten der CDU/CSU für das reine Mehrheitswahlrecht gestaltet". Und obwohl, fuhr Leusser fort, die Unionsfraktion nun einen neuen Vorschlag vorgebracht habe, der ein Zusammengehen mit der FDP einleiten sollte, habe es „aus einer nicht ganz begreiflichen Verärgerung heraus [. .] Dr. Becker abgelehnt, für seine Fraktion sich diesem Vorschlag anzuschließen" (Bayer. .
HStA NL Pfeiffer/Bd. 213). 50) D. h. die Deutsche Partei. 608
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daß wir hier zu einer Einigung kommen. Ich glaube, Herr Kaufmann, Sie sind nicht bereit, in den Wahlkreisen so weit entgegenzukommen, daß hier noch ein Gebilde herauskommen kann, das einigermaßen lebensfähig ist. Kaufmann: Ich habe nach dem bisherigen Verlauf der Debatte nicht den Eindeshalb druck, daß das möglich ist. Ich habe es aber für möglich gehalten habe ich die Eigenart dieses Wahlvorschlages von vornherein in seinen Einzelheiten dargetan —, daß diese Eigenart durch Vorschläge der übrigen Mitglieder —
des Ausschusses noch in einer Form formuliert werden kann, die man, wenn die grundsätzliche Richtung einmal vorausgesetzt wird, für tragbar oder für tragbarer hält als zunächst die Diskussionsvorschläge, die wir gemacht haben. Insofern würde ich es unabhängig von der gestrigen Entscheidung, an der wir ja auch bis zur Endabstimmung mitgewirkt haben, für wünschenswert halten, nun unseren Antrag noch einmal im einzelnen durchzusprechen. [3. ZUR VERFAHRENSWEISE]
Vielleicht können wir einmal so verfahren, daß alle Ausschußmitglieder sich bereit erklären, die grundsätzliche Richtung zu unterstellen und Korrekturvorschläge zu machen. Dabei handelt es sich zum Beispiel um die Erhöhung des Pro-
porzes, die Frage der Verrechnung der Stimmen und ähnliche Dinge. Wir könnten dann Anfang Januar zusammenkommen, um den eventuellen Minderheitsvorschlag für den Hauptausschuß bzw. die Plenarversammlung fertigzuma-
chen. Heiland: Was in den vorhergehenden Abstimmungen vom Ausschuß grundsätzlich abgelehnt worden war, war der zweite Wahlgang. Damit würde aber eine der wesentlichsten Säulen in Ihrem Vorschlag fallen, Herr Kaufmann. Ich glaube, daß innerhalb unserer Fraktion in Richtung des zweiten Wahlganges auch aus anderen Gründen keine Sympathie besteht. Vors. [Dr. Diederichs]: Es ist von Herrn Kaufmann vorgeschlagen, unter dem Vorbehalt, daß die anderen Ausschußmitglieder zu dem Vorschlag der CDU noch Abänderungswünsche vorbringen, Anfang Januar diesen Vorschlag für den Hauptausschuß reif zu machen, so daß wir ihn im Januar nach einer oder zwei Sitzungen des Ausschusses als Minderheitsvorschlag oder als zweiten Vorschlag an den Hauptausschuß heranbringen können. Kaufmann: Vielleicht könnte sogar so verfahren werden, daß Sie mich gewissermaßen als Berichterstatter für diesen Vorschlag bestimmen, daß Sie mir Vorschläge in dieser Richtung während der Ferienzeit51) schriftlich übermitteln und daß ich versuche, das zu verarbeiten und hier gemeinsam vorzutragen52). (Diesem Vorschlag wird zugestimmt.)
51) Abgesehen von den Mitgliedern des Grundsatzausschusses, der noch am 23., 24. und 30. Dez. 1948 tagte, gingen die MdPR zwischen dem 18. Dez. 1948 und dem 4. Jan. 1949 in den Weihnachtsurlaub (BA Z 12/120). 52) Zum weiteren Verlauf siehe unten Dok. Nr. 22, TOP 2. 609
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18.
Januar
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Nr. 22 20.
Sitzung
des Ausschusses für 18.
Januar
Wahlrechtsfragen
1949
Z 5/85, Bl. 38-98. Undat. und ungez. Stenograf. Wortprot. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 39-46, Drucks. Nr. 554/11
Anwesend1) :
CDU/CSU: Kaufmann, Mayr2) (für Schräge), Wirmer (für Walter)3), de SPD: Stock, Runge (für Menzel), Diederichs, Mücke (für Heiland) FDP: Becker (Vors.) KPD: Renner (für Reimann) Mit beratender Stimme: Frau Wessel (Z), Brockmann (Z), Lobe (SPD) Stenografischer Dienst: Haagen Ende: 18.25 Uhr Beginn: 15.30 Uhr
Chapeaurouge4)
[1. ZUR VERFAHRENSWEISE] Der Vorsitzende, Dr. Becker, eröffnet die Sitzung und gibt die Eingaben bekannt5). Er hebt besonders hervor, daß der hessische Minister des Innern, den der Ausschuß gebeten habe, für die erste Wahl das hessische Wahlprüfungsgericht zur Verfügung zu stellen6), mitgeteilt habe, daß das Wahlprüfungsgericht inzwischen ernannt worden sei; daraus könne man wohl schließen, daß es für die erste Wahl benutzt werden könne7).
1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 19. Juli 1978), Bayern, CSU, Wirtschaftsprüfer in 2) Karl-Sigmund Mayr (3. Mai 1906 Fürth, Mitglied der Landesverfassunggebenden Versammlung Bayern. Im Pari. Rat war -
Mayr Mitglied des Grundsatz- und des Finanzausschusses. 19. Aug. 1981), Niedersachsen, CDU, 3) Ernst Wirmer (7. Jan. 1910
Mitglied im Rechtspflegeausschuß. 4) Dr. Paul de Chaperaurouge (11. Dez. 1876 3. Okt. 1952), Hamburg, CDU, war vor 1933 u. a. hamburgischer Senator und Polizeirat, Mitglied der DVP. Nach 1945 war de Chapeaurouge in Hamburg Vorsitzender der CDU-Fraktion. Bis auf Mayr waren die CDU/ CSU-Mitglieder in der vorangegangenen Fraktionssitzung bestimmt worden (Sitzung -
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vom 18. Jan. 1949, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 346). 5) Unter anderem hatte sich zum Jahreswechsel die DWG mit einem Rundbrief
an die MdPR gewandt und nochmals auf die Notwendigkeit der Schaffung des Mehrheitswahlrechts hingewiesen. Das Schreiben wurde veröffentlicht in: Mitteilungen, Feb. 1949, S. 9 f. 6) Der hessische Minister des Innern und für Wiederaufbau war zu dieser Zeit Heinrich Zinnkann (SPD). Zur Anfrage an das hessische Innenministerium wegen der Bundestagswahlleitung und der Wahlprüfung siehe auch oben S. 236. 7) Aufgrund der alliierten Einwände, die eine zu zentralistische Tendenz im Wahlgesetzentwurf des Pari. Rates befürchteten, wurde schließlich kein Bundeswahlleiter bestellt. Statt dessen fungierte der hessische Landeswahlleiter Reg. Dir. Walter Kleberg vom hessischen Innenministerium als Vorsitzender der Landeswahlleiter aus dem gesamten Bundesgebiet. In dieser Funktion saß er auch der Landeswahlleiterkonferenz in Bad Schlangenbad am 8. Juni 1949 vor (BA Z 12/54, Bl. 2-11).
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Wir haben zufällig Herrn Oberregierungsrat Schröder von Nordrhein-Westfalen0) hier im Hause, der ja Wahlrechtsfachmann ist. Wenn Sie keine Bedenken haben, würde ich vorschlagen, daß wir ihn vielleicht für techni-
Kaufmann:
sche Fragen zuziehen. Stock: Ich möchte bitten, von der Zuziehung von Fachleuten abzusehen. Sie geben mehr oder minder ihre eigene Auffassung bekannt, und wir haben schon so viel gehört. Wir müssen endlich einmal zum Schluß kommen. Da wir alle Mitglieder irgendeines Landtages sind, sind wir wohl auch kompetent dafür, dieses Wahlgesetz hier zu verabschieden. Vors. [Dr. Becker]: Ist der Antrag offiziell gestellt? (Zustimmung des Abg. Kaufmann.) Dann bitte ich, darüber abzustimmen. Wer dafür ist, den bitte ich die Es sind vier Stimmen. Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. Das sind ebenfalls vier Stimmen. Der Antrag —
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Stimmengleichheit abgelehnt. Dezembersitzung war beschlossen worden, auf der damals behandelten Grundlage eine Redaktionskommission einzusetzen9). Sie ist nicht zusammenge-
ist mit In der
absichtlich nicht, weil Herr Dr. Diederichs seinen Antrag zuund hat rückgezogen jetzt zwei vollkommen neue Vorschläge vorliegen, der eine von der CDU und ein Vermittlungsvorschlag von Herrn Dr. Diederichs.10). treten, und
zwar
B) Zu Schröder siehe auch oben Dok. Nr. 8, Anm. 42. Am gleichen Tag hatte Schröder auch vor der CDU/CSU-Fraktion gesprochen (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 346 f.). Schröder war sicher nicht „zufällig", sondern auf Bitten der CDU/CSU in Bonn
(vgl. Blankenborn an Schröder vom 8. Feb. 1949, BA NL Blankenborn/Bd. 5; vgl. auch oben Dok. Nr. 13, Anm. 50). 9) Siehe oben Dok. Nr. 21, TOP 3. 10) Der CDU-Vorschlag war von Kaufmann entworfen worden (Drucks. Nr. 450) und basierte auf dem im Dezember vorgelegten Entwurf (Drucks. Nr. 369, beide abgedruckt als Dok. Nr. 20). In den Kurzprotokollen der 20., 21. und 22. Sitzung wird irrtümlich noch der alte CDU/CSU-Entwurf Drucks. Nr. 369 als Verhandlungsgrundlage der Unionsfraktion angegeben. Da aber weder die Drucks. Nr. 369 noch 450 im Detail erörtert wurden, fiel dieser Irrtum nicht weiter auf. Der Vermittlungsvorschlag Diederichs vom 12. Jan. 1949 wurde als Anlage I dem Kurzprotokoll der 20. Sitzung angehängt: „Vermittlungsvorschlag (Wahlmodus)
1. 2. 3. 4. 5.
6. 7. 8.
9.
die Gesamtzahl der Abgeordneten (wie schon beschlossen) 350. Einzelwahlkreise mit relativer Mehrheit 230. Zusatzmandate in zweimaliger Verrechnung (Land und Bund) 120. Gesamtstimmenzahl durch Gesamtmandatszahl ergibt den Quotienten je Mandat. Gesamtstimmenzahl einer Partei dividiert durch den Quotienten ergibt die Mandatszahl der Partei. In der Landesebene erhalten die Zusatzmandate die nicht durchgekommenen Kandidaten mit den höchsten Stimmen. In der Bundesebene die Kandidaten der Bundesliste in der Reihenfolge der Liste. Mandate, die in Wahlkreisen über die einer Partei zustehende Mandatszahl hinaus erobert werden, bleiben der Partei erhalten. In solchem Falle erhöht sich die Gesamtzahl der Abgeordneten um diese Zahl, so daß die Verteilung auf die übrigen Parteien dadurch nicht berührt wird. Die Frage der Einfügung einer Sperrgrenze (5 %-Klausel) bedarf noch der Klärung." 611
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Zwanzigste Sitzung
18.
Januar
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vorschlagen, so zu verfahren, daß die Herren von der CDU jetzt ihAntrag begründen, daß dann Herr Dr. Diederichs seinen Antrag begründet
Ich würde ren
und wir dann
grundsätzlich schlüssig werden. Dann, würde ich vorschlagen, eiRedaktionskommission einzusetzen und was dann noch nötig ist, zu redigieren. Würden Sie damit grundsätzlich einverstanden sein? Kaufmann: Die Fraktionen haben ihn noch nicht. (Dr. Diederichs: Die Verteilung ist aber veranlaßt worden!) Ich habe ja meinen Vorschlag schon in der letzten Sitzung vor Weihnachten begründet und lediglich zugesagt, daß ich diesen Entwurf in den Jahresendtagen durcharbeiten werde, um die technischen Dinge noch herauszuarbeiten11). Das ist geschehen. Der Gesamtentwurf ist allen Mitgliedern dieses Ausschusses schon vor acht bis zehn Tagen zugegangen12). Bei der Begründung habe ich damals darauf hingewiesen, daß ich dankbar wäre, wenn mir Abänderungsvorschläge mitgeteilt würden, so daß ich sie noch als Eventualanträge bearbeiten könnte, und hatte gebeten, sie mir zuzuschicken. Mir ist nichts dergleichen zugegangen. Ich habe damals gleichfalls darauf hingewiesen, daß, wenn auf der Basis eine Einigung zu erzielen sei, die Frage diskutabel sei, ob ein erster Wahlgang mit absoluter Mehrheit und ein zweiter Wahlgang mit relativer Mehrheit notwendig sei, oder ob man den einen Wahlgang umgehen könne, und daß darüber hinne
auch noch einige andere Kleinigkeiten, die sich im Laufe der Besprechung ergeben könnten, diskutiert werden könnten13). Ich brauche also die Begründung, die ich damals gegeben habe, meiner Ansicht nach hier nicht zu wiederholen und brauche ihr auch nichts hinzuzufügen, sonaus
») Siehe oben Dok. Nr. 21, TOP 12) Der Vorschlag war am 5. Jan. der
13)
Ministerpräsidenten vom
3. 1949 an die MdPR verteilt worden (Leisewitz 5. Jan. 1949, BA Z 12/120, Bl. 209).
an
das Büro
Die hier von Kaufmann demonstrierte Flexibilität mag angesichts der wenig entgegenkommenden Haltung Beckers in den letzten Sitzungen vor der Weihnachtspause überraschen (siehe hierzu auch oben Dok. Nr. 17, Anm. 9). Daß Kaufmanns Zuversicht, seinem Vorschlag könne Erfolg beschieden sein, doch nicht so abwegig schien, zeigte die Unterhaltung, die er mit Heuss am 30. Dez. 1948 in Stuttgart-Degerloch geführt hatte. Hier zeigten sich beide Gesprächspartner in den unterschiedlichsten Sachthemen durchaus kompromißbereit. Heuss deutete etwa an, die FDP sei „bereit, [ein] verbessertes Mehrheitswahlrecht mitzumachen". Heuss wies jedoch auch darauf hin, daß „Becker [. .] wütend über [die] starr ablehnende Haltung [der] CDU/CSU gewesen" sei. Den von Diederichs vorgelegten Vorschlag werde die FDP aber „nicht mitmachen", da die hier vorgesehenen Wahlkreise zu groß und die Wahlart zu kompliziert sei. Selbst in der SPD rege sich hiergegen Widerstand. So wolle der württembergisch-badische Innenminister Ulrich (SPD) in der nächsten Zeit nach Bonn fahren, um dort einen eigenen Wahlgesetzentwurf mit kleineren Wahlkreisen zu erörtern. Kaufmann überreichte Heuss bei der Gelegenheit auch seinen eigenen Wahlgesetzentwurf, ganz offensichtlich in der Hoffnung, auf dieser Basis ein Zusammengehen mit der FDP einleiten zu können. Auch auf der Tagung der CDU/CSU in Königswinter am 8./9. Jan. 1949 stellte der Berichterstatter aus den Arbeiten des Pari. Rates, Heinrich von Brentano, mehr Flexibilität seitens der Unionsparteien in Aussicht, vorausgesetzt, daß die SPD „kleine Wahlkreise anerkennt, in denen Mehrheitsentscheidungen fallen [. .], mit einer im einzelnen noch zu vereinbarenden Verrechnung von Reststimmen auf einer Reserveliste" (Kaff, Unionsparteien, S. 280). .
.
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dem könnte vielleicht gleich mit der Stellungnahme zu diesem Vermittlungsvorschlag, der ja in unserer Hand ist, aber in den Fraktionen noch nicht offiziell besprochen werden konnte, beginnen. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich mir die Anregung erlauben, daß vielleicht Herr Kollege Dr. Diederichs seinen Vermittlungsvorschlag zunächst begründet! [2. ZUM VERMITTLUNGSVORSCHLAG DR. DIEDERICHS (DRUCKS. NR. 554)] Dr. Diederichs: Wenn wir bei der
Besprechung des Wahlrechts von den großen Wahlkreisen einmal abgewichen sind, sind wir von dem Gesichtspunkt ausgegangen, hier gewissen Wünschen entgegenzukommen14). Unsere Fraktion hat sich darüber unterhalten, ob die Möglichkeit bestände, evtl. auf den Vorschlag, kleinere Wahlkreise zu bilden, einzugehen. Wenn wir dabei an den § 2 des Entwurfs der CDU/CSU anknüpfen müssen, so weicht dieser von einem Mehrheitsbeschluß dieses Ausschusses insofern vollkommen ab, als sich ja hier im Ausschuß grundsätzlich eine Mehrheit für ein Verhältniswahlrecht ausgesprochen hatte15), während nach Ihrem Wahlrechtsvorschlag ja nur ein Viertel der Abgeordneten verhältnismäßig gewählt, während drei Viertel der Mandate in reiner Mehrheitswahl nach dem englischen System gewählt werden16). In unserem Vorschlag gehen wir davon aus, daß grundsätzlich das Verhältniswahlsystem zugrundegelegt wird, daß aber in Einzelwahlkreisen einzelne Kandidaten mit relativer Mehrheit gewählt werden sollen. Insofern bauen wir damit auf dem Beschluß auf, der hier gefaßt worden war, das Verhältniswahlrecht zugrundezulegen17), zeigen aber ein Entgegenkommen in Richtung auf die Persönlichkeitswahl im kleinen Wahlkreis mit einer Stimme des Wählers. Seinerzeit war nun vorgeschlagen worden, 350 Abgeordnete zu wählen18). In den Besprechungen, die ich inzwischen geführt habe, ist nun zum Ausdruck gekommen, daß hier wohl die Neigung besteht, die Zahl doch etwas höher zu nehmen. Wir sind nicht der Auffassung, daß das notwendig wäre. Ich habe aber hier von verschiedenen Seiten hören können, daß man der Auffassung war, daß 400 Abgeordnete evtl. das Richtige wären. Das würde Ihrem Vorschlag entsprechen, das würde dem Vorschlag des Herrn Dr. Becker entsprechen19), und würde, glaube ich, auch dem Vorschlag des Zentrums entgegenkommen. Das ist also eine Frage, in der eine Einigung möglich sein könnte. Wenn wir also von den Einzelwahlkreisen ausgehen, in denen mit relativer Mehrheit gewählt wird, so schlagen wir vor, daß dort die mit relativer Mehrheit Gewählten als gewählt gelten, daß dann die gesamten Stimmen durch den Quotienten der gesamten Mandate dividiert werden und daraus der Quotient
14) 15) 1B) 17) 18) 19)
Gemeint sind die Forderungen der CDU/CSU-Fraktion nach kleineren Wahlkreisen. Zur Abstimmung über das Wahlsystem siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 2. § 2 des CDU/CSU-Entwurfs (Drucks. Nr. 369, Dok. Nr. 20). Siehe oben Dok. Nr. 19, TOP 1 c. Vgl. oben Dok. Nr. 12, TOP 3 a. Vgl. § 8 des Entwurfs eines Wahlgesetzes (Drucks. Nr. 197/11, Dok. Nr. 11). 613
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errechnet wird, durch diesen die Stimmen der einzelnen Parteien dividiert und ihnen dann die Ausgleichsmandate, soweit sie sie nicht direkt erobert haben, zugeteilt werden. Für den Fall, daß eine Partei in den Kreiswahlen mehr Mandate errungen hat als ihr zustehen, soll sie diese selbstverständlich behalten, da ein direkt Gewählter natürlich nicht mehr ausscheiden soll. Diese Mehr-Mandate aber sollen dann der Gesamtziffer zugeschlagen werden, damit der Teilungsquotient für die übrigen insgesamt der gleiche bleiben kann, so daß sich also nicht die Ziffer für die übrigen Parteien erhöht, denn dann gingen sie ihnen ja praktisch doppelt verloren. Denn angenommen, es würden 15 Mandate in direkter Wahl mehr gewählt, als der betreffenden Partei nach dem Relationsverhältnis im Ganzen zustehen, dann würden diese 15 Mandate auf der einen Seite mehr vorhanden sein, auf der anderen Seite aber bei der Verteilung fehlen. Sie sollen also dann außerhalb der Berechnung bleiben und der Partei verbleiben, die sie auf diese Weise erobert hat. Wir glauben damit, den Wünschen derer, die die Persönlichkeitswahl möglichst in den Vordergrund stellen wollen, entgegengekommen zu sein, aber im übrigen das Prinzip der Verhältniswahl, von dem wir ausgegangen waren, gewahrt zu haben. Das ist im Grunde genommen das Prinzip. Das ist relativ einfach, indem jeder Wähler eine Stimme hat und in seinem Wahlkreis einem von den Kandidaten, die von den verschiedenen Parteien oder als Parteilose präsentiert sind, seine Stimme gibt. Da entscheidet die Mehrheit. Alle übrigen Mandate werden durch Verrechnung zugeteilt. Dabei bleibt die Frage offen, ob man eine Zwischenabrechnung auf der Länderebene machen will, um dort evtl. noch solchen, die mit großer Minderheit durchgefallen sind, noch das Einrücken ins Parlament zu erlauben und nicht die gesamten restlichen Stimmen auf einer großen Liste verrechnen zu müssen. Das ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, vielleicht auch für diejenigen, die eben doch auch ihre Abgeordneten in gewisser Weise mit einer gewissen Landeslokalbindung in das Parlament hineinschicken möchten20). Das ist in großen Zügen der Vorschlag, den wir hier gemacht haben, um diesem Wunsch nach Einzelwahlkreisen entgegenzukommen, gegen große Bedenken! —
[3. AUSSPRACHE]
[3a. Wahlpflicht]
Kaufmann: Ich habe mich an sich über diesen Vorschlag gefreut, weil er dem Rechnung trägt, was draußen gefordert wird, und zwar auch aus den derjenigen, die hier die reine Verhältniswahl als das Richtige und das
in etwa Kreisen
Notwendige dargestellt haben. Richtig ist, was Herr Kollege
Dr. Diederichs hier offen ausführt, daß sich im Vermittlungsvorschlag absolut auf der Basis des
Grunde genommen auch dieser 20) Siehe oben Dok. 614
Nr. 19, TOP 1 a.
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er durch den Verrechnungsquotienten auch wieder das Verhältniswahlsystem klarlegt, mit der einzigen Durchbrechung, daß eine Partei, die auf dem Wege über die relative Mehrheitswahl etwas mehr Sitze bekommt, diese nicht angerechnet erhält. Im übrigen ist auch dieses System aber ein ausschließliches Verhältniswahlrecht, das demjenigen, das in Nordrhein-Westfalen üblich ist, fast genau ent-
Verhältniswahlrechts bewegt, indem
spricht.
(Lobe: Nicht ganz!)
auch der Grund dafür, daß ich vorhin anregte, Herrn Oberregierungsrat Schröder, der hier im Hause ist, zuzuziehen, der ja aufgrund seiner seinerzeitigen amtlichen Tätigkeit dieses Wahlrecht genau kennt21). Ich freue mich auch darüber, daß die Erhöhung der Abgeordnetenzahl für angemessen gehalten wird. Das erleichtert das Zustandekommen einer Einigung. Dagegen wird der Verrechnungsmodus, der das reine Verhältniswahlrecht mit sich bringt, Schwierigkeiten machen und von uns kaum getragen werden können. Nicht richtig ist, was Herr Kollege Dr. Diederichs über meinen Entwurf sagt, daß drei Viertel der Mandate nach dem reinen englischen System gewählt würden. Denn gerade, um das reine englische System zu vermeiden und dadurch die Annahme für die kleinen Parteien, aber auch für die Anhänger des Verhältniswahlrechts evtl. erträglicher zu machen, waren zwei Wahlgänge vorgesehen, von denen dem ersten die absolute Mehrheit und erst dem zweiten die relative Mehrheit zugrundeliegt, während das englische System von vornherein die relative Mehrheit hat, so daß eine Zwischenverständigung im Interesse einer Vereinigung von Parteien und dergleichen mehr nicht vorhanden ist. Fraglich scheint mir wie gesagt meine Fraktion hat dazu noch keine Stellung die Angelegenheit der Verrechnung, die unter Ziffer 6 steht, genommen22) auf der Landesebene. Es würde wahrscheinlich von einer Anzahl Länder sehr begrüßt werden, wenn die Möglichkeit vorhanden wäre, auch auf Landesebene eine Reststimmenverrechnung zu haben; andererseits aber ist es nun praktisch so, daß der Wähler, wenn wir neben der Mehrheitswahl in den Einzelwahlkreisen eine Bundesliste aufstellen, von vornherein weiß, daß er den Kandidaten in seinem Wahlkreis wählt und daß seine Stimme, wenn der Kandidat nicht durchkommt, evtl. auf eine Liste kommt, die bestimmte und offiziell bekannte Kandidaten enthält, während der Wähler, wenn diese Landesverrechnung auf Kandidaten, die mit Minderheit durchgefallen sind, erfolgt, die eigentliche Entscheidung verliert. Denn dann tauchen Kandidaten auf, die dem Wähler im Wahlkreis ja gänzlich unbekannt sind, ihm auch niemals genannt worden sind, die aber auf diese Weise auf die Landesliste kommen. Dagegen habe ich gewisse Bedenken, und zwar um so mehr, als dadurch Gesichtspunkten nicht Rechnung getragen wird, die vielleicht eines der wenigen Plus für die Listenwahl sind, nämlich die Sicherung bestimmter Kategorien der Bevölkerung als Kandidaten in jedem Fall. Ich denke dabei nicht nur an die Frauen, von denen Das
war
—
—
—
21) Siehe hierzu oben Dok. Nr. 8, Anm. 42. 22) Vgl. Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S.
346 f.
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heute morgen im Hauptausschuß mit Recht die Rede gewesen ist23), sondern ich denke dabei auch an die Flüchtlinge, die in derselben Lage sind, und die man meiner Ansicht nach nicht nach einem anderen System als dem des guten Willens und der offenen Aufstellung auf Bundesliste zu einer gebührenden Vertretung bringen kann24). Das beides würde beseitigt durch diese Verrechnung nicht Landesliste —, die also nicht vorher bekannt ist, auf der Landesebene sondern sich nachher zufällig aus den in den Wahlkreisen mit größter Minuszahl durchgefallenen Kandidaten zusammensetzt, die allerdings die nächsten gewesen wären, wenn die anderen nicht durchgekommen wären. Da wird also dem Wähler ein Zufälligkeitsergebnis präsentiert, gegen das ich persönlich Bedenken habe. Ich sage aber offen, daß diese Frage in meiner Fraktion noch nicht besprochen werden konnte. Nicht klar ist mir die in Nummer 9 angedeutete Frage der Einfügung einer Sperrgrenze von 5%. Ich selber hatte ja für meine Fraktion zum Ausdruck gebracht, daß ich auf diese Sperrgrenze und auch auf alle derartigen Absperrungen zu verzichten bereit sei25), um auf diese Weise den wirklich politischen Parteien die Möglichkeit zu geben, nach dem Einfluß, den sie haben, vertreten zu sein oder nicht vertreten zu sein, wenn die Bevölkerung sie ablehnt. Ein weiteres möchte ich dann in die Debatte werfen, was wir allerdings bean—
23) Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 538 ff. In dieser Sitzung vom 18. Jan. 1949 war Art. 4 GG (Abs. 2 : „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten") behandelt worden. 24) Vgl. auch den Beschluß der CDU/CSU-Fraktion, die Wahl von Flüchtlingen „nicht im Grundgesetz zu verankern, da die Flüchtlinge so bald wie möglich Bürger dieser Zonen
und Länder werden sollen und dieser Begriff dann verschwinden soll" (Sitzung vom 18. 1949 in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 347). Bereits vor der Weihnachtspause hatte auch Chapeaurouge (CDU) versucht, die Flüchtlingsfrage zu thematisieren (siehe oben Dok. Nr. 21, Anm. 24). 25) Siehe oben S. 583. Das Problem einer Sperrklausel war trotz der Zusicherung Kaufmanns und der Entscheidung des Wahlrechtsausschusses vom 1. Feb. 1949 gegen jede Form der Wahlbeschränkung (siehe unten Dok. Nr. 23, TOPl) noch keineswegs geklärt. Zwar lehnte der Hauptausschuß eine entsprechende Bestimmung mit der denkbar knappen Mehrheit von elf zu zehn Stimmen ab (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 631), doch das Thema wurde Mitte Februar 1949 vom Fünferausschuß wieder aufgegriffen. Die Abg. Pfeiffer und Lehr beabsichtigten nämlich, für die CDU/CSU-Fraktion den Antrag einzubringen, in Art. 45 Abs. 3 als Satz 2 die sog. Kann-Bestimmung des Herrenchiemseer Verfassungskonvents (der Antrag Pfeiffer/Lehr wurde am 16. Feb. 1949 vervielfältigt als Drucks. Nr. 611) wieder aufzunehmen (Aufz. Leisewitz vom 18. Feb. 1949, Vertraulich, BA Z 12/121, Bl. 44; zum Wortlaut der Bestimmung siehe auch oben, Dok. Nr. 13, Anm. 19). Offensichtlich wurde der Antrag jedoch nach den stürmischen Protesten insbesondere seitens der Deutschen Partei, die durch ihren Abg. Seebohm der CDU/CSU mit der Aufkündigung jeglicher politischer Zusammenarbeit drohte, wieder fallengelassen (Seebohm an Pfeiffer vom 18. Feb. 1949, Bayer. HStA NL Pfeiffer/ Bd. 182). Nichtsdestotrotz war mit der Verabschiedung des Wahlgesetzes die Frage der Sperrklausel nach Einschätzung der alliierten Beobachter noch nicht entschieden (Chaput an Steel vom 26. Feb. 1949, BA Kl. Erw. 792/1, Bl. 181).
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tragen, getrennt behandeln
zu wollen: Wir beabsichtigen, sehr ernsthaft über der zu die Frage diskutieren26). Wahlpflicht (Dr. Diederichs: Das lehnen wir rundweg ab!) Diese Frage ist sehr ernsthaft zu diskutieren, und sie ist auch nicht ganz so ungewöhnlich, wie sie scheint; denn es sind in dieser Richtung eine große Anzahl von praktischen Versuchen bereits gemacht worden; ich erinnere nur an das benachbarte Belgien, das seit Jahrzehnten die Wahlpflicht besitzt und regelmäßig mit einem Wahlquotienten von 97 bis 98% rechnen kann, wobei die Zahl derjenigen, die etwa durch Nichterfüllung dieser Wahlpflicht ohne angemessene Entschuldigung mit dem Gesetz in Konflikt kommen, so außerordenltich gering ist, daß die Rechtsgutachter erklärt haben, daß sie überhaupt nicht ins Gewicht falle, so daß also aus dieser Sache keine Konflikte entstehen. Wohl aber entsteht dabei eins, was uns außerordentlich wichtig erscheint: derjenige, der aus Gründen der Verärgerung, aus Gleichgültigkeit, aus Opposition gegen die Parteien und dergleichen mehr an den offiziellen Handlungen nicht teilnimmt, muß dann doch irgendeine klare Entscheidung treffen, so daß er also nicht nur als Meckerer neben den Dingen steht, sondern mindestens durch einen weißen Wahlzettel eine politische Demonstration zum Ausdruck bringt, die seinen Willen darstellt oder mindestens in irgendeiner Form einen Willen darstellt. Jedenfalls aber wird das Gros der Bevölkerung an die Wahlurnen gebracht, um an den Dingen, die in den jetzigen Jahren für alle so entscheidend sind, irgendwie aktiv mitzuwirken. Stock: Ich möchte da anfangen, wo Herr Kollege Kaufmann aufgehört hat. Ich könnte mich nicht für einen Wahlzwang entscheiden; denn damit würde man auch gegen die Demokratie verstoßen. Es ist undemokratisch, wenn man jemand durch Strafen oder sonstigen Druck zwingen will, an der Wahl irgendwie teilzunehmen. Das, glaube ich, muß man schon den einzelnen überlassen, und es wird auch sicherlich nichts Vernünftiges dabei herauskommen.
[3b. Verrechnung der Mandate]
Abänderungsvorschläge oder schläge anbelangt, so sage ich ganz offen,
die Kompromißvorsagen wir daß ich mich dafür nicht erwärmen kann. Wenn sie aber dazu führen können, das Wahlgesetz auf eine breitere Basis zu stellen, läßt sich darüber diskutieren. Ich möchte aber von vornherein sagen: mit einem eigentlichen Verhältniswahlrecht hat dieses jetzt geänderte System nichts mehr zu tun. (Widerspruch der Abg. Kaufmann und Löbe) Was
26)
nun
die
—
—
Kurz zuvor hatte sich die CDU/CSU-Fraktion „einmütig" für die Einführung der Wahlpflicht ausgesprochen (Sitzungsprotokoll vom 18. Jan. 1949 in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 347). Zwar hatte Adenauer diesen Aspekt in die Debatte gebracht, aber es war vor allem Kaufmann, der die Idee der Wahlpflicht protegierte. Dabei führte er insbesondere das Beispiel Belgien an, wo „seit Jahrzehnten die Wahlpflicht [. .] mit ausgezeichnetem Erfolg [besteht]" (Notiz Kaufmann, o. D. [Ende Januar 1949], ACDP .
071-026/3). 617
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Wenn auf Ihren Vorschlag hin in 300 Stimmbezirken die relative Mehrheit entscheiden soll, also 300 Abgeordnete mit relativer Mehrheit gewählt werden sollen und für 100 Abgeordnete das Verhältniswahlrecht entscheidend sein soll, dann frage ich, wo denn da das Verhältniswahlrecht ist. (Kaufmann: Es ist zu 25% da!) Dann ist es kein Verhältniswahlrecht mehr. Ein Verhältniswahlrecht ist nur dann vorhanden, wenn sämtliche Stimmen nach dem Verhältnis verrechnet werden, aber nicht, wenn drei Viertel der Stimmen nach dem relativen Mehrheitswahlrecht und das restliche Viertel nach dem Verhältniswahlrecht berechDenn
es
ist
nun so:
—
net
werden.
(Kaufmann: Sie haben mich mißverstanden! Diesen neuen Vorschlag Dr. Diederichs meine ich!) Ich rede von Ihrem Vorschlag. Den haben Sie ja noch nicht fallen gelas—
sen.
(Kaufmann: Nein!) Und darum dreht es sich! Wir wollen ja von Ihnen wissen, ob Sie, damit wir eine breitere Basis für das Wahlsystem bekommen, auf Ihren Vorschlag verzichten und dann aufgrund des Kompromißvorschlages, den Herr Kollege Dr. Diederichs vorgelegt hat, mit uns stimmen können. Wenn Sie natürlich auf Ihrem Vorschlag beharren, dann müssen wir jenen Vorschlag, den wir ursprünglich ja mit Mehrheit angenommen hatten, auch mit in den Hauptausschuß bringen. Wenn Sie aber bereit sind, auf den Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Diederichs mit einzugehen, damit die Basis breiter wird, dann ist unter Umständen die Möglichkeit gegeben, daß wir uns auf dieser Basis einigen. Das zunächst einmal grundsätzlich. Dann zu den Bedenken, die der Herr Kollege Kaufmann gegenüber der Aufrechnung auf Landesbasis geäußert hat. Ja, richtig ist doch, daß man dann nicht allzuviel Stimmen mehr auf die Bundesliste bekommt, wenn erst noch einmal auf Landesbasis aufgerechnet wird. Aber man darf auf der anderen Seite nicht vergessen, daß es gerade für die großen Länder wie Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen, dann so kommen wird, daß hunderttausende von Stimmen nachher nicht auf Landeskandidaten, sondern auf solche Kandidaten entfallen, die eben auf der Bundesliste stehen, während, wenn erst die landesmäßige Aufrechnung kommt, immer erst der Kandidat mit der höchsten Stimmenzahl von seinem Lande aus wiederum zum Zuge kommt. Ich meine, das hat etwas für sich und hat nichts damit zu tun, daß man deswegen keine Flüchtlinge und keine Frauen mit hineinbringt; denn die Flüchtlinge und die Frauen werden dafür sorgen, daß sie in ihrem Lande so untergebracht werden, daß sie auch dort zu ihren Stimmen kommen. Wenn nicht auf Landesbasis, sondern nur auf Bundesbasis aufgerechnet wird, befürchte ich im Gegenteil, daß eine geschickte Parteibürokratie dann dafür sorgen würde, daß Leute, die im Wahlkampf usw. gar nicht beteiligt waren, auf die alleinige Bundesliste kommen und dadurch die Kategorie von Menschen, die wir gerade im Parlament haben wollen, nicht zum Zuge kommt. Deshalb bin ich schon der Meinung, daß unter allen Umständen etwas dieser Art vorgeschrieben werden muß. Man kann ja irgendeine Ziffer aufstellen und sagen, daß bis zu einem bestimmten Stimmenüberschuß —
—
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einmal landesmäßig aufgerechnet werden muß; sonst werden gerade die Länder dabei einen kolossalen Nachteil haben, wenn ihre Stimmen restlos auf die Bundesliste kommen und die Landeskandidaten, die dort aufgestellt sind und ihren Wahlkampf geführt haben, nicht zum Zuge kommen. Renner: Die Frage, ob es sich hier mehr um ein Proportional- oder um ein Persönlichkeitswahlsystem handelt, scheint mir doch geklärt zu sein. Ich will einmal den Verteilungsschlüssel ansehen, der hier vorgesehen ist. Wenn die Zusatzmandate 120 von 350 betragen sollen, dann ist eben das Verhältnis zwischen Verhältniswahl und Persönlichkeitswahl wie 1:2, nämlich ein Drittel der Gesamtzahl. (Kaufmann: Durch den Berechnungsquotienten!) Sie hätten absolut recht, Herr Kollege, wenn hier oben gesagt würde: Die Gesamtzahl der Abgeordneten beträgt mindestens 350; dann wären die Bedenken schon in etwa beseitigt; dann wäre auch der Zustand hergestellt, den wir in Nordrhein-Westfalen haben, wo wir eine gleitende und nicht eine fixe Zahl von Abgeordneten haben. Das scheint mir auch das richtigere zu sein. Ich werfe einmal eine zweite Frage auf. In einem der Einzelwahlkreise, wie sie hier vorgeschlagen sind, kommt ein Kandidat mit etwa 40% der abgegebenen Stimmen zu einem Mandat. Das kann bei der derzeitigen politischen Situation eintreten. Es kann passieren, daß ein Kandidat mit 30% aller abgegebenen Stimmen bereits ein Mandat erobert. Die Mandate hat die betreffende Partei mit Sicherheit für sich. Und wenn ich nun das Ergebnis der letzten Wahlen bei uns in der britischen Zone einmal daraufhin ansehe, dann ist das ein Beweis für mich, daß das Recht der zwei großen Parteien dadurch absolut in den Vordergrund gestellt wird27). Die beiden großen Parteien profitieren auf jeden Fall bei der Geschichte, weil je nach der örtlichen Lage einmal der CDU-Kandidat, einmal der SPD-Kandidat mit einem relativ geringen Prozentsatz aller abgegebenen Stimmen zu seinem Mandat kommen kann. Das ist also gerade ein Beweis für mich, daß das Moment der Persönlichkeitswahl weitaus überberücksichtigt ist. Aber nun zur zweiten Frage! Die Schwierigkeit besteht nun darin ich sage das, angeregt durch die Bemerkung des Herrn Kollegen Kaufmann —, ob man nun die Reststimmen im Landes- oder Bundesmaßstab verteilen will. Herr Kaufmann und auch Herr Stock haben geltend gemacht, daß es wünschenswert wäre, jene Kandidaten zum Zuge zu bringen, die in ihrem jeweiligen Lande mit einer relativ geringen Minderheit unterlegen sind. Schön! Könnte man das nicht dadurch erreichen, daß man von vornherein zuläßt, daß auf der Landesliste sämtliche auch in den Wahlen in den Einzelwahlkreisen kandidierenden erst
großen
—
—
) Siehe
dagegen die ausführliche Analyse Menzels (SPD) „Zu den Berechnungen über die Auswirkungen verschiedener Wahlsysteme aufgrund der Stimmenverhältnisse im Land Nordrhein-Westfalen" (FESt NL Menzel R 5). Menzel kommt dabei zu dem Ergebnis, daß in NRW zwar die stärkste Partei das heißt also die CDU am meisten profitiert; aber daß „Splitterparteien (über 5 v. H.) [. .] in voller Höhe ihres Stimmenanteils zum Zuge —
—
.
[kommen]". Daher schneide die SPD als zweitstärkste Partei „— gemessen Stimmenanteil von sämtlichen Parteien am ungünstigsten ab".
an
ihrem
—
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Kandidaten aufgeführt werden und daß man dann einen Zusatz ins Gesetz aufnimmt, daß bei der Verteilung der Restmandate die Verhältnisse in den Ländern berücksichtigt werden müssen, daß also die Restmandate dann so verteilt werden müssen, daß derjenige Kandidat zum Zuge kommt, der in seinem Lande in der Höhe des prozentualen Anteils aller abgegebenen Stimmen der Nächstfolgende gewesen ist? So könnte man meines Erachtens die Schwierigkeit aus der Welt schaffen. Aber der springende Punkt ist ja nun der: Bestehen Sie auf einer fixen Zahl von Abgeordneten, wie das hier gesagt ist, nämlich von 350 Abgeordneten, dann tritt die große Gefahr ein, daß die Zahl der 120 Zusatzmandate evtl. nicht ausreicht, um das zu berücksichtigen, was Sie selber in Ihrem Gesetzentwurf berücksichtigt wissen wollen. Sie müssen deshalb meines Erachtens noch etwas anderes einführen. Und wenn ich mir es recht überlege, könnte man das aus Ziffer 8 sogar herauslesen, nämlich daß, wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden, die hier in den vorherigen Ziffern gegeben sind, die Gesamtzahl der Sitze entsprechend höher wird. Wenn das hineinkäme und wenn man dann zu der Regelung gelangen könnte, daß für die Verteilung der Restmandate nicht etwa nur der Koeffizient, der sich durch die Gegenüberstellung der in einem Lande für die jeweilige Partei abgegebenen Stimmen ergibt, entscheidend sein soll, sondern daß man den Koeffizienten dadurch zieht, daß man ihn im Bunmit welcher Höchstziffer ist ein Mandat erobert wordesmaßstab errechnet den? Mit welcher Mindestziffer ist ein Mandat in einem anderen Lande erobert worden? Und wenn man den Koeffizienten in dem Mittel dieser Summe finden würde —, dann wären die wichtigsten Bedenken behoben, die gegen ein reines Verhältniswahlsystem überhaupt vorgebracht werden können. Das ist meine Meinung zu diesen Dingen. Ich sehe natürlich auch in diesem Vorschlag nur einen Versuch, das in der Verfassung statuierte und formulierte gleiche Wahlrecht zu umgehen. Das ist kein gleiches Wahlrecht mehr. Denn da kommt die Stimme des Wählers nur per Zufall dem Siegerkandidaten zugute, und diese Stimme hat auf jeden Fall mehr inneren Wert als die Stimme eines Wählers, der sich für eine kleine Partei entscheidet. —
[3c. Frauen und Vertriebene] Dr. Mücke: Ich habe vom gilt auch für die Frauen
aber dasselbe Gesichtspunkt der Vertriebenen28) grundlegende Bedenken gegen das System des Ein—
mannwahlkreises. (Stock: Das haben wir schon debattiert!) Ich wollte nur im Zusammenhang mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Kaufmann folgendes feststellen: Den Belangen der Vertriebenen und der Frauen wird durch die von Herrn Kaufmann und seinen Freunden vorgeschlagene Regelung meines Erachtens nicht Rechnung getragen. Wenn hier ein Ausgleich auf der Landesebene mit —
—
2B) 620
gebürtige Oberschlesier Mücke war u. a. Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern. Der
Vorsitzender des
Hauptausschusses
der
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in den einzelnen Stimmkreisen nicht durchgekomKandidaten mit den meisten Stimmen verrechnet werden, so muß ich darauf hinweisen, daß bei dem System der Einmannwahlkreise doch in erster Linie maßgebend ist, wer überhaupt kandidiert. Die Flüchtlinge sind heute noch immer eine Minderheit. Das Flüchtlingsproblem ist ein Problem der Eingliederung auch auf der politischen Ebene, und bei einem Einmannwahlkreis wird es doch im wesentlichen so sein, daß ein Flüchtlingskandidat nicht aufgestellt wird. Und wenn er nicht aufgestellt ist, kann er auch nicht auf der Landesebene verrechnet werden. Somit besteht also bei dieser vorgeschlagenen Regelung keine Gewähr für die Vertriebenen, nun zum Zuge zu kommen. Dasselbe gilt auch für die Frauen. Wenn man hier an eine Regelung auf der Landesebene denkt, muß man eine Landesliste zulassen, damit schon auf der Landesliste den Belangen und den Notwendigkeiten sowohl der Flüchtlinge wie der Frauen Rechnung getragen wird. Ich bin auch grundsätzlich für eine Zwischenverrechnung, schon deshalb, weil ja die Verbindung zwischen Wählern und Gewählten bei einer Bundesliste überhaupt nicht besteht; ja, ich hege sogar Zweifel, ob damit dem Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl Rechnung getragen ist; denn die Bundesliste wird von den Parteivorständen aufgestellt, und der Wähler hat keinen Einfluß auf die Reihenfolge der Kandidaten. Er weiß im wesentlichen gar nicht, wer auf der Bundesliste steht. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß nicht der Wähler wählt, sondern praktisch tut es der Parteivorstand unter Zugrundelegung der Stimmenüberschüsse. Und das ist ein Verstoß gegen das Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl. Frau Wessel: Ich möchte das unterstreichen, was Herr Mücke in bezug auf die Frauen und die Vertriebenen gesagt hat. Das trifft durchaus zu. Aber gerade hierfür scheint es mir ja notwendig zu sein, daß wir eine höhere Ebene, eben die Bundesliste, bekommen; sonst wird es auch zu Schwierigkeiten kommen, oder es müßte dazu kommen, daß der zurückgestellte Vorschlag der SPD wieder als Grundlage dafür genommen wird. Für mich kommt es darauf an, zu wissen, ob bei der Zahl, die jetzt die Erhöhung bedeuten soll, auch eine weitere Erhöhung der Bundesliste erfolgt; denn dazu rechsonst würde die Möglichkeit für die Frauen und die Vertriebenen ne ich auch die Experten, die jede Partei braucht, und die in der Kreisebene einfach nicht durchzubringen sind zu gering sein. Das zweite, worauf es mir ankommt, ist folgendes: Mir leuchtet das, was Herr Renner gesagt hat, durchaus ein, und zwar aufgrund der Erfahrungen, die wir in Nordrhein-Westfalen gemacht haben. Die gleitende Zahl kann auch etwas durchaus Bestehendes haben, und zwar insofern, als dann die Mandate, die direkt durchgekommen sind, eben über die eigentliche Zahl hinaus berücksichtigt werden sollen. Wenn man es so macht, wie es hier vorgeschlagen wird, daß die Partei, die im direkten Wahlgang mehr Kandidaten durchbekommen hat, als ihr stimmenmäßig zustehen, diese Mandate behält und nicht wieder abzugeben braucht, dann weiß ich nicht, ob man unbedingt eine feste Zahl nehmen muß. Hier kann das gleitende System durchaus etwas für sich haben.
der
Maßgabe erfolgt, daß die
menen
—
—
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Dann habe ich auch Zweifel hinsichtlich der Vorschrift, daß unbedingt auf der Landesebene verrechnet werden soll. Mir persönlich liegt natürlich die Verrech-
Einerwahlkreis zur Bundesliste aus den verschiedensten bereits darviel näher. Wenn man aber dazu kommen sollte, wäre doch Gründen gelegten zu überlegen, ob man daraus nicht eine Kann-Vorschrift macht. Ich könnte mir durchaus denken, daß auf der Landesebene Frauen oder Vertriebene so gut wie gar nicht durchkommen. Jetzt könnten sie aber auf der Bundesliste nachrücken. Nun erfolgt aber unten auf der Landesebene eine Verrechnung, und eine Gruppe, die wichtig ist, kommt wieder nicht hinein. Man sollte es vielleicht den einzelnen Parteien überlassen, wenn man schon zu einer solchen Verrechnung auf der Landesebene kommt, hier von sich aus einen gewissen Ausgleich vorzunehmen. Wenn ich auch nur einer kleineren Partei angehöre, so halte ich es doch für berechtigt, daß man einer Partei, die mehr Kandidaten direkt durchbekommen hat, als ihr eigentlich zustehen, die Chance gibt, im Bundestag stärker vertreten zu sein. Diese Chance muß man auch größeren Parteien geben. Und nun komme ich als letztes zu der Frage der Wahlpflicht. Es hat durchaus etwas für sich, daß man in der Form der Wahlpflicht die Menschen vielleicht stärker an ihre Verantwortung und an ihr Pflichtgefühl erinnert. Aber bedenken Sie folgendes: Wir stehen heute meinem Empfinden nach in der Krisis der Parteien, vielleicht sogar in der Krisis der Demokratie überhaupt, und zwar ist es eine Vertrauenskrisis. Die Vertrauenskrisis ist einfach da. Die Menschen haben zu einem erheblichen Teil zu den Parteien überhaupt kein Vertrauen mehr. Wenn wir jetzt eine solche Wahlpflicht einführen, dann sieht das in dem Blickfeld des kleinen Mannes so aus, als wenn jetzt eine Monopolstellung der Parteien erreicht werden soll. Man hat es auf der einen Seite nicht fertiggebracht, und irgendwie stößt man sich daran auch von einem demokratischen Empfinden aus. Wenn wir es nicht kraft unserer Leistungen fertigbringen, die Menschen endlich herbeizubringen, daß sie für uns stimmen, dann verspreche ich mir nicht viel davon, wenn wir sie gezwungenermaßen hinbringen. Das würde den Zersetzungsprozeß der Demokratie nur beschleunigen. Dr. de Chapeaurouge: Ich bin Frau Wessel dankbar, daß sie eine Bemerkung über die Wahlpflicht gemacht hat. Ich bedauere, daß niemand außer Herr Stock die Anregung des Herrn Kollegen Kaufmann bezüglich der Wahlpflicht aufgegriffen hat und daß Herr Stock sie nur mit einigen Worten abgetan hat. Die Frage der Wahlpflicht ist schon in der Zeit des Staates von Weimar diskutiert worden29), weil man es für nötig hielt, unser unpolitisches Volk mehr in die Politik hineinzuführen. Wenn wir nun hören, daß die Wahlpflicht in Belgien seit langen Jahren besteht und sich dort vollkommen eingebürgert hat, so beweist das, daß das ein Problem ist, das ernster Prüfung bedarf. Und ich glaube, wir müßten vom Standpunkt der CDU aus die SPD namentlich bitten, das Problem der Wahlpflicht in ihrer Fraktion noch einmal zu behandeln. nung
29)
vom
Baden, Braunschweig sowie eingeschränkt auch in MecklenburgStrelitz war die Wahlpflicht in der Verfassung verankert (G. Anschütz/R. Thoma: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. 1, Berlin 1930, S. 625). In den Ländern
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An mich ist die Sache auch erst kürzlich herangekommen. Aber ich habe unendlich viel dafür übrig, namentlich weil ich weiß, wie die Echtheit des Wahlbildes durch die mangelnde Wahlbeteiligung in allen Ländern dauernd leidet, und daß, wenn die apolitische Stimmung in unserer Bevölkerung weitere Eroberungen macht, sich die Möglichkeit ergibt, daß die parlamentarischen Körperschaften und Gemeindevertretungen tatsächlich von Minderheiten der Bevölkerung gewählt werden, während sich die Mehrheit an den Wahlen überhaupt desinteressiert und gar nicht beteiligt. Das ist ein ernstes Problem, das jedenfalls noch einer emstlichen Prüfung bedarf. Wir würden unsere Aufgabe verkennen, wenn wir daran vorbeigingen. Ich wundere mich, daß Herr Kollege Stock den Vorschlag von Herrn Kaufmann so apodiktisch abgelehnt hat. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß in Hamburg, wo ein sozialdemokratischer Senat absolut herrscht, jetzt ein Landesgesetz zur Beratung steht, in dem gerade Mehrheitswahlrecht und eine Restliste mit 25% vorgeschlagen wird. Unser Hamburger Senat, der, wie Sie auch wissen, außerordentlich tüchtige Mitarbeiter hat, hat ein solches Wahlrecht seinerzeit nach eingehender Erwägung des Für und Wider als berechtigt erkannt30). Ich möchte bitten, daß die Herren der Sozialdemokratie diese Frage ihrerseits noch einmal durchdenken und durchprüfen. Herr Renner hat in die Diskussion einen neuen Gedanken gebracht, für den ich als alter Politiker unendlich viel übrig habe, nämlich den Gedanken, die Zahl der Mitglieder des Bundestages überhaupt nicht ziffernmäßig fest zu fixieren, von ähnlich wie es im Staat von Weimar der Fall gewesen ist sondern der Wahlbeteiligung abhängig zu machen. Im Staat von Weimar war es so, daß auf 60 000 Stimmen 1 Abgeordneter entfiel, und die Zahl der Mitglieder des Reichstags schwankte entsprechend der Höhe der Wahlbeteiligung. Das schadete gar nichts. Es war ein interessantes Spiegelbild und gab auch den Parteien ganz andere Möglichkeiten, ihrerseits letzte Reserven, letzte Kräfte einzusetzen, um eine höhere Wahlbeteiligung zu erreichen. Wenn aber die Zahl der Abgeordneten ziffernmäßig genau feststeht, dann fehlt ein wichtiges Stimulans, um das Volk in die Wahl hineinzureißen. Diese Frage hängt eng zusammen mit der Wahlpflicht. Wenn wir auch im Augenblick die gesetzliche Wahlpflicht nicht einführen zu können glauben, dann ist die Frage der nicht ziffernmäßigen Begrenzung der Zahl der Abgeordneten jedenfalls ein Problem, das auch noch einmal durchdacht werden sollte. Landesliste und Bundesliste! Bei den Ausführungen des Herrn Kollegen Stock ist mir eins aufgefallen. Er ist mit einem Mal ein ausgesprochener Anhänger der Landesliste und will die Zahl der Kandidaten der Bundesliste möglichst beschränken. Er will also in diesem Fall als Vertreter der SPD sich zu stark föderalistischen Grundsätzen bekennen und dem Bund weniger geben, als er bei einer reinen Bundesliste bekommen würde. Die Bundesliste hat ja eine ganz große Bedeutung, weil nur sie die Möglichkeit gibt, auf einer höheren Ebene für ein Parlament Abgeordnete zu bekommen, die es infolge ihrer Veranlagung —
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30) Gesetz über die Wahl Nr. 35
vom
19.
zur
Hamburgischen Bürgerschaft
vom
18.
Aug.
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(GVOB1.
Aug. 1949, S. 169).
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Tätigkeit ablehnen,
sich in den direkten, unmittelbaren Wahlderen Mitarbeit Parlament aber doch von allerhöchster im stürzen, kampf sachlicher Bedeutung ist. Ich möchte für meine Person die Frage des Verhältnisses von Landesliste und Bundesliste noch offenhalten, aber darauf aufmerksam machen, daß es im Hinblick auf die Qualifikation der ins Parlament kommenden Abgeordneten außerordentlich stark auf die Bundesliste ankommt. Nun ein Wort zu den Flüchüingen. Ich weiß nicht, ob es den Damen und Herren bekannt ist, daß ich in der Flüchtlingsfrage in einer der ersten Sitzungen des Organisationsausschusses eine Vertreterzahl vorgeschlagen habe nicht für alle Zeit, aber doch für zunächst fünf oder zehn Jahre31). Ich hatte beantragt, es möchten für die Flüchtlinge Sonderlisten aufgestellt und 50 Abgeordnete des Bundestags nur aus der Zahl der Flüchtlinge entnommen werden. Darin liegt eine bewußte Privilegierung der Flüchtlinge und eine Verletzung des Grundsatzes des allgemeinen Wahlrechts. Ich war aber der Meinung und bin es auch heute noch, daß man diesen unglücklichen Leuten, die ihre Heimat verloren haben und nun um eine Existenz ringen, die Möglichkeit geben muß, durch eigene Vertreter ihre Interessen im Bundestag geltend zu machen. Dabei hatte ich mir die Sache so gedacht, daß diese 50 Flüchtlings-Mandate entsprechend dem Ergebnis der Hauptabstimmung verteilt werden sollen. Wenn also bei 350 Abgeordneten die SPD 45% und die CDU 42% oder auch 47% der Mandate hat, dann werden die Flüchtlingskandidaten, die für den ganzen Bund natürlich einheitlich von den Parteien aufgestellt werden müssen, entsprechend dieser Prozentzahl auf die Parteien verteilt. Dieser Vorschlag hat den großen Vorteil, daß durch ihn das politische Ergebnis der Hauptwahl nicht irgendwie geändert wird, daß aber die Flüchtlinge die Möglichkeit haben, durch Leute vertreten zu werden, die selber das harte Flüchtlingsschicksal erlebt haben und jetzt aus eigenem Erleben am besten die Aufgaben und Wünsche der Flüchtlinge zu beurteilen vermögen. Das war bewußt eine Verletzung des Grundsatzes des allgemeinen Wahlrechts und kann sicherlich nicht eine Dauerlösung sein; denn es wird und muß das Ziel sein, die Flüchtlinge in Westdeutschland ganz einzugliedern, wenn sie nicht zurückkehren können. Aber ich hatte geglaubt, man könnte für die erste und vielleicht auch zweite Wahl eine solche Sache versuchen. Ich weiß nicht, ob dieser Gedanke schon einmal besprochen worden ist. Mein verehrter Herr Kollege Dr. Mücke und ich haben uns damals bei der Vertretung dieses Vorschlages im Organisationsausschuß zusammengefunden32). Wir haben im Organisationsausschuß bei allen Parteien zunächst eine sehr freundliche Aufnahme gefunden. Nach einiger Zeit aber war die Meinung umgeschlagen, und man schreckte vor der Verletzung des Grundsatzes des allgemeinen Wahlrechtes zurück33). Der Grundsatz ist aber meiner Ansicht nicht so tabu, daß man sich nicht in Ausnahmefällen ruhig über ihn hinwegsetzen könnte. Ich war der Meinung, daß man bei der hoffentlich einmaligen Lage, in der sich unsere
oder ihrer ganzen zu
—
31) 11. Sitzung des Organisationsausschusses 32) Ebenda (BA Z 5/71, Bl. 115 ff.). 33) BAZ 5/71, Bl. 128 ff. 624
vom
7.
Okt. 1948 (BA Z 5/71).
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deutschen Flüchtlinge befinden, ihre Schwierigkeiten, ohne daß es irgendwie Geld kostet, dadurch erleichtern soll, daß man, soweit es möglich ist, der Sonderart ihrer Bedürfnisse bei den Wahlen B.echnung trägt. Deshalb wäre es zum mindesten erwünscht, daß von den Vertretern der anderen Fraktionen zu diesem Gedanken noch einmal Stellung genommen wird. Richtig war eine Bemerkung, die Kollege Mücke gemacht hat, indem er darauf hinwies, daß man bei den Bundes- und Landeslisten vielleicht nicht mehr ganz von der unmittelbaren Wahl sprechen kann. Ich persönlich hatte mir schon lange gedacht, daß bei der Form des Wahlrechts das Wort „unmittelbar" in der Verfassung als historisch überholt fehlen könnte. Ich hatte Gelegenheit, über diese Frage mit Professor Thoma zu sprechen. Er machte mich auch darauf aufmerksam. Das Wort ist nicht mehr zeitgemäß, man könnte es ohne jede Bedenken streichen. Vors. [Dr. Becker]: Ich hatte gehofft, daß wir am Schluß dieser Sitzung so weit wären, daß wir aus diesen beiden Vorschlägen gemeinsame Leitsätze herausarbeiten könnten, aufgrund deren mit der Redaktion begonnen werden könnte. Ich muß gestehen, daß ich angesichts der Tatsache, daß die Persönlichkeiten hier im Ausschuß dauernd wechseln, diese Debatte zum glaube ich 15. Male höre. Ich bitte, dies nicht persönlich zu nehmen. Aber wir wollen doch einmal zum Ziel kommen. Deshalb möchte ich Sie bitten, die Frage der Wahlpflicht, die ja mit der Struktur des Wahlrechts nichts zu tun hat, vielleicht separat zu behandeln. Es ist eine Frage, die schon der Erörterung wert ist. Auch die Frage der Zahl von 50 Abgeordneten aus Flüchtlingskreisen bitte ich evtl. separat zu behandeln, so daß wir uns nur über die Frage des strukturellen Gehalts unterhalten und einander hoffentlich näherkommen. Dr. Diederichs: Ich möchte das beherzigen, was Herr Dr. Becker eben gesagt hat, und möchte eigentlich gern den Versuch machen, nun einmal zu sehen, ob wir irgendwo mit Ziffern etwas bezüglich der Abgeordneten und des Modus, in dem sie gewählt werden, festlegen können, damit wir zu einer Linie kommen, aufgrund deren wir einen Entwurf fertigstellen können, den wir dem Hauptausschuß vorlegen. Seinerzeit ist also beschlossen worden, 350 Abgeordnete zu wählen. Das stand in dem Vorschlag von Dr. Becker34). In dem Vorschlag der CDU ist die Zahl von 400 Abgeordneten genannt worden. Ich habe daraufhin erklärt, wenn der Wunsch, diese Zahl etwas zu erhöhen, von mehreren Parteien ausgesprochen würde, wollten wir nicht unbedingt Widerstand leisten. Können wir dann die Frage aufwerfen, ob wir uns hier erst einmal auf eine Ziffer einigen, oder ob wir die Ziffer offenlassen wollen? Diese Frage kann nur dann entschieden werden, wenn wir wissen, wie viele Leute direkt gewählt werden und woraus sich dann nachher die Gesamtzahl errechnet. Es hat hier in Nordrhein-Westfalen, wenn ich richtig orientiert bin, ein System gegeben, nach dem der Modus nach der Partei berechnet wurde, die ihre Mandate —
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34) In seinem Vorschlag (Drucks. Nr. 197/11, siehe oben Dok. Nr. 11) war Becker ebenfalls von einer Abgeordnetenzahl von insgesamt 400 ausgegangen (§ 8). 625
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für den billigsten Preis erworben hat, während die andesagen wir einmal Parteien eine prozentual entsprechende Anzahl von Abgeordneten bekamen. Stimmt das? Frau Wessel: Es ist, glaube ich, eine feste Zahl von 200 gewesen, und dann hat die CDU aufgrund ihres direkten Wahlergebnisses 16 Mandate mehr bekom—
ren
als ihr stimmenmäßig zustanden. Infolgedessen hat der Landtag Nordrhein-Westfalen 216 Abgeordnete35). Dr. Diederichs: Die Ziffer wurde also einfach zugezählt. Das wäre also das, was auch ich vorgeschlagen habe. Mir ist es aber so dargestellt worden, als wenn das nun prozentual zugerechnet wurde und die anderen Parteien prozentual mehr bekämen. Das könnte zu einem Kuriosum führen. Wenn eine kleine Partei wie z. B. die Deutsche Partei in Niedersachsen, die an einigen Stellen stark geballt ist, in der direkten Wahl das Doppelte an Mandaten bekommt, was dem Quotient entspricht, und wenn das dann der Richtpunkt wäre, dann würde das Parlament doppelt so stark sein, weil der Quotient nur halb so groß wäre. Das könnte zu Abnormitäten führen, die gar nicht vorher zu übersehen sind. Ich glaube also, davon kann man nicht ausgehen. Deshalb hatte ich in meinem Vermittlungsvorschlag, dessen Zahlen nicht verbindlich sind, 350 Abgeordnete zugrundegelegt, weil hier einmal ein solcher Beschluß gefaßt worden war36). Wenn aber, wie gesagt, jemand es zum Antrag erheben würde, so wäre die Zahl von 400, glaube ich, auch akzeptabel. Der zweite Punkt, den ich behandeln möchte, ist die Einteilung in 300 Mandate nach dem Mehrheitswahlsystem und 100 Mandate nach dem Verhältniswahlsystem im Wahlkreis. Das ist für uns nicht annehmbar, weil damit die kleinen Parteien, soweit sie nicht irgendwo geballt sind, in der direkten Wahl überhaupt zu keinem Mandat kämen und trotz der Höhe ihrer aufgebrachten Stimmen nur mit einem Viertel am Parlament beteiligt wären. Es muß damit gerechnet werden, daß bei dieser Verteilung von direkten und indirekten Mandaten die kleinen Parteien dieses Mandat, das sie erringen, mit dem vierfachen Stimmenpreis dessen bezahlen, was die großen für die unmittelbaren Mandate bezahlen. Damit muß gerechnet werden. Denn bei der Verrechnung werden die Gesamtstimmen zugrundegelegt, und bei diesen restlichen 100 Mandaten sind auch die großen Parteien, die Direktmandate erobern, noch einmal beteiligt, während nach unserem Vorschlag die Mandate, die sie in unmittelbarer Wahl erobert haben, ihnen von dem Verhältnissatz abgezogen, also nicht angerechnet werden. Nur die, die sie darüber hinaus erobern, bleiben ihnen dann erhalten. Ich glaube, damit ist aber auch den großen Parteien, wenn sie diese Überschußmandate behalten können, schon in einer gewissen Weise ein Entgegenkommen gezeigt und ihnen ein Vorzug gegenüber den kleinen Parteien gegeben, der selbst von den Vertreten der kleinen Parteien, zum Beispiel von Frau Wessel, als berechtigt anerkannt worden ist. men,
35) Siehe hierzu Schröders Darstellung der Wahlrechtsentwicklung in der britischen Zone seit 1945, in: Rasche, Gemeindewahlgesetz, S. 8; vgl. Lange, Wahlrecht, S. 107 f. 361 Siehe oben Anm. 10. 626
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Frau Wessel: Darf ich ganz kurz folgendes sagen: Ich halte die Zahl von 100 den hier schon erörterten Gründen bei der Bundesliste für zu gering. Wenn Herr de Chapeaurouge hier schon davon gesprochen hat, daß er glaubt, daß in einem kommenden Bundesparlament allein 50 Flüchtlinge sein sollen, so ist diese Zahl schon deswegen unmöglich. Dann sollen dazu noch die Frauen kommen. Die Experten müssen auch noch hinzukommen. Wenn wir also von dem aus
Standpunkt ausgehen, daß
den
Flüchtlingen
allein 50 Mandate
gegeben
werden
sollen, dann müßte mindestens die Zahl 50 hineinkommen. Wenn ich die gleiche Zahl für die Sachbearbeiter nehme, dann müßten wir zu 50 plus 50 kommen. Mir ist diese Zahl von 100 also viel zu gering. Deshalb glaube ich, und zwar auch aufgrund der Ausführungen, die Herr Dr. Diederichs gemacht hat, daß es den kleinen Parteien gegenüber ein Unrecht ist. Wenn wir auf der anderen Seite sagen, wer stark ist und direkt durchkommt, kann seine Mandate angerechnet bekommen, dann kann man es aber nicht so machen, daß man sagt: die kleinen Parteien müssen für ein Mandat das Vierfache dessen aufbringen, was die großen aufbringen. Das ist dann kein gleiches Wahlrecht mehr und verstößt gegen jedes Gefühl für demokratischen Aufbau. Schließlich hat ja jede Partei einmal klein angefangen. Man muß jeder Partei, die etwas echtes Politisches darstellt und Leben hat, die Möglichkeit geben, größer zu werden. Man kann nicht solche Hemmungen einfügen, die diese Möglichkeit von vornherein beseitigen.
[3d. Ergänzender Vorschlag Dr. Becker] Vors. [Dr. Beckerl: Wenn Sie die Vorschläge einmal genau ansehen, dann werden Sie außerordentlich viel Gemeinsames finden. Das Gemeinsame besteht in wenn ich dieses Wort einmal so geder Kombination von Mehrheitswahlen mit Verhältniswahlen. Diese Kombination bietet beides. Ich brauchen darf sehe die Möglichkeit darin, daß wir uns auf der Grundlage von 400 Abgeordneten einigen können. Dabei wäre die Frage, ob wandelbare oder feste Zahlen, offen zu lassen. Aber auf dieser Höhe könnten wir uns wohl einigen. Den Hauptunterschied zwischen beiden Vorschlägen sehe ich nun darin, daß zwei nach dem einen entsprechend meinem Vorschlag von damals37) der zweite eine mit der absoluter Mehrheit und stattfinden sollen, Wahlgänge mit relativer Mehrheit, während im anderen Falle im ersten Wahlgang nur die relative Mehrheit entscheiden soll, aber das Ergebnis dieser relativen Mehrheit dadurch wieder korrigiert werden soll, daß auch diejenigen, die nicht direkt zum Zuge gekommen sind, aber nahe daran vorbeigegangen sind, durch eine Verrechnung von Reststimmen auch wieder eine Chance bekommen sollen. Ich sehe darin ebenfalls eine Hinneigung zu dem Prinzip, den Erfolg der Persönlichkeit entscheiden zu lassen. Der Unterschied im Endergebnis ist, rein prozentual gerechnet, bei beiden verhältnismäßig gering. —
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—
37) Drucks. Nr. 197/11, siehe oben Dok. Nr.
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11.
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wäre nur die Frage, wie wir es erreichen können, daß einerseits die Bundesliste im Hinblick auf die Frauen, Flüchtlinge und Experten nicht zu knapp wird, andererseits aber diejenigen, die gerade unterhalb des Pegels durchgefallen sind, vielleicht doch noch gewählt werden können. Ich darf hinzufügen, daß diese Anregung, den Ausgleich in den Ländern stattfinden zu lassen, gerade bei meinen Freunden ziemlichen Anklang gefunden hatte. Es ist mir aber auch aus anderen Fraktionen berichtet worden, daß sie auch dort Anklang gefunden hätte. Schließlich ist einem ja das Hemd näher als der Rock. Sie hat auch insofern etwas Richtiges als die Stimmen, die innerhalb einer in sich geschlossenen Organisation zunächst erarbeitet worden sind, auch einen gewissen Anspruch darauf haben, zunächst einmal in dem betreffenden Lande verrechnet zu werden. Man kann aber beide Prinzipien, glaube ich, miteinander vereinigen. Und nun darf ich einmal bitten, zu rechnen, ob dieses System mathematisch stimmen kann und wie es sich auswirken würde. Ich weiß nicht, ob Sie noch die Zusammenstellung der Bevölkerungsziffern haben, die wir einmal haben verteilen lassen38). Sonst kann ich Sie Ihnen kurz nennen. Nach dem Stande vom Oktober 1946 sind es folgende Ziffern:
Strittig
Bayern
8 789 000 484 000 1 406 000 3 995 000 2 575 000 1 174 000 230 Mandaten
Bremen
Hamburg Hessen
Schl.-Holstein Südbaden
Württemberg-Hohenzollern Rheinland-Pfalz
Württemberg-Baden Niedersachsen Nordrhein-Westfalen
1 059 2 753 3 583 6 659 11 705
000 000 000 000 000
Wenn wir jetzt von ausgehen, die ich in meinem ersten Vorschlag genommen hatte, dann würde das bei einer Einwohnerzahl von rund 46 000 000 bedeuten, daß auf 200 000 Einwohner ein Mandat entfällt. Umge-
rechnet auf die Länder, würden sich 44, 2, 18, 20, 58,
Bayern Bremen
Württemberg-Baden
folgende Mandatszahlen ergeben: Württemberg-Hohenzollern Rheinland-Pfalz
Hamburg
5, 14, 7, 33,
Niedersachsen 13. Nordrhein-Westfalen Schleswig-Holstein 6. Südbaden Ich bitte, darauf hinweisen zu dürfen, daß ich Berlin noch nicht mitgerechnet habe. Darüber müßten wir evtl. separat sprechen. Man weiß ja noch nicht, wie man praktisch das Wahlrecht durchführen soll. Wir hatten damals davon gesprochen, ob wir die Frage, wie sie es machen wollen, nicht den Stadtverordneten selber überlassen wollen39). Dann hätten wir also 230 Wahlkreise. Wenn Sie nun nach diesem Vorschlag Dr. Diederichs' mit relativer Mehrheit wählen wollen, werden damit 230 Abgeordnete gewählt. Dann bleiben 170 übrig. Und diese 170 Mandate würde ich vorschlagen, so aufzuteilen, daß die Zahl derjenigen, die in den Ländern geHessen
38) Siehe oben Dok. 39) Ebenda. 628
Nr. 12, TOP 1
a
und Anm. 8.
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wählt werden sollen, auf 115 oder 116 begrenzt wird, so daß immerhin noch 55 für die Bundesliste übrig bleiben. (Dr. Diederichs: Sie meinen eine Aufteilung nach fixen Ziffern?) Nun muß ich noch über die Verrechnungsmethode sprechen. Wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, wollen Sie die Gesamtstimmenzahl, also die Zahl der im ganzen Bunde abgegebenen Stimmen, zunächst durch 400 teilen. Dadurch ergibt sich ein Koeffizient. Und diesen Koeffizienten legen Sie natürlich bei der Berechnung der 230 Mandate nicht zugrunde, denn da entscheidet die relative Mehrheit. Wahrscheinlich wird es so sein, daß die Zahl, mit der der Betreffende im Einzelwahlkreis gewählt ist, unter dem Koeffizienten liegt. Bei der relativen Mehrheit ist das durchaus möglich. Rechnen wir also aus, welche Zahlen sich bei 46 000 000 Einwohner ergeben. Bei 65% Wahlberechtigten macht das rund 28 Millionen Wahlberechtigte. Nehmen wir eine Wahlbeteiligung von 60 bis 70% an, so ergeben sich 18 Millionen Wähler. Darauf 400 Mandate verteilt, ergibt eine Zahl von 45 000. Der Koeffizient wäre dann also 45 000. Ich glaube, er wird wohl etwas höher liegen, etwa zwischen 50 000 und 60 000. Wenn man das aber nun auf den Wahlkreis selber umrechnet, so ergeben sich folgende Zahlen. Bei 200 000 Einwohnern, von denen 65% wahlberechtigt sind, ergibt das 130 000 Wahlberechtigte. Bei einer Beteiligung von 70% ergeben sich 90 000 Stimmen. Da kann es geschehen, daß der Koeffizient, mit dem im Wahlkreis der Abgeordnete gewählt ist, klein ist. Er hängt von der Wahlbeteiligung ab. Wenn er bei 45 000 bis 50 000 liegt, kann es geschehen, daß die relative Mehrheit mit dem Koeffizienten übereinstimmt. Es kann aber Wahlkreise geben, in denen die relative Mehrheit ganz beträchtlich über dem Koeffizienten liegt, und es kann Wahlkreise geben, in denen sie darunter liegt. Aber das sind Dinge, die man irgendwie wird in Kauf nehmen müssen; denn wenn wir eine absolute Gerechtigkeit durchführen wollten, müßte man für jedes Wahlbüro Mathematiker engagieren. Ich glaube also, auf dieser Grundlage könnte man weiterkommen. Man berechnet den Koeffizienten nach der Gesamtzahl der Stimmen, geteilt durch 400. Das ergibt den Koeffizienten. Aufgrund dieses Koeffizienten berechnet man dann durch Division der auf jede Partei entfallenen Wählerstimmen, wieviele Mandate die einzelnen Parteien insgesamt haben dürfen. Darauf ziehen Sie wieviel ab? (Dr. Diederichs: Die Zahl der in direkter Wahl errungenen Mandate von dem errechneten Quotienten!) Nein, wir müssen erst noch eine Zwischenrechnung vornehmen. Wir müssen sagen: Aufgrund dieses Koeffizienten entfallen auf jede Partei von 230 Mandaten nur soundso viel. —
629
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folgendermaßen. Man teilt die Zahl der gesamten abgegebenen Stimmen durch 400. Das ist der Quotient pro Mandat. Durch diesen Quotienten teilt man die Zahl der für jede Partei abgegebenen Stimmen und errechnet damit die Zahl der den einzelnen Parteien zufallenden Mandate. Auf diese werden die unmittelbar im Wahlkreis eroberten angerechnet. Vors. [Dr. Becker]: Das ist richtig. Nun wollen Sie aber doch sagen: Wenn in einem Lande eine Partei mehr bekommen hat, als ihr zusteht, erhöht sich die Zahl ihrer Mandate. Also müssen Sie doch jetzt eine Berechnung einführen, aus der sich ergibt, welche Mandatszahl in dem betreffenden Lande der Partei tisch ist
es
zusteht. Dr. Diederichs: Nicht im Lande, sondern insgesamt! Wenn ich jetzt die Gesamtziffer habe und die für die Parteien abgegebenen Stimmen durch den Quotienten teile, dann weiß ich, daß der Partei X etwa 92 Mandate zustehen. Hat sie nun 72 Mandate in unmittelbarer Wahl erhalten, dann bekommt sie auch den Rest mit noch 20 Mandaten. Wenn ich jetzt noch nach Ihrem Vorschlag im Landesgebiet und auf der Bundesliste verteilen soll, dann muß ich sagen: Die Hälfte wird jetzt noch auf der Landesliste denen zugeteilt, die gerade soeben durchgefallen sind, und die andere Hälfte kommt auf die Bundesliste. Vors. [Dr. Becker]: Nein! Sie wollen doch folgendes. Nehmen Sie ein praktisches Beispiel: In Bayern bekommt die Partei X 30 Mandate. Jetzt stehen ihr aber nur 28 Mandate zu. Folglich bekommt sie die 2, die sie mehr erworben hat, über. Woher wissen Sie, daß ihr 28 Mandate zustehen? Dr. Diederichs: Ich habe die Gesamtstimmen zusammengezählt. Ich weiß, die Partei hat soundso viel Mandate bekommen. Sie hat 30 draußen erworben. Dividiert stehen ihr nur 28 zu. (Vors. [Dr. Becker]: Sie müssen eine Zwischenberechnung für jedes Land machen !) Nein! Sämtliche abgegebenen Stimmen werden durch die Zahl der Abgeordneten geteilt. Vors. [Dr. Becker]: Wir sind doch erst dabei, zu errechnen, wieviel sie haben soll. Sie müssen doch aufbauen! Dr. Diederichs: Ich gehe von der festen Ziffer aus. Ich nehme als Normalfall, daß keine Partei mehr Mandate errungen hat, als ihr nach dem Quotienten zustehen. Infolgedessen dividiere ich durch 400. Das ist die fixe Zahl. Jetzt habe ich ausgerechnet, daß zwei Parteien dabei sind, die in unmittelbarer Wahl mehr Mandate erreichten haben. (Vors. [Dr. Becker]: Wie haben Sie das ausgerechnet?) Das ist gar nicht schwierig. Ich dividiere die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen durch 400. So bekomme ich den Quotienten, meinetwegen 50 000. Jetzt teile ich die Zahl der abgegebenen Stimmen der Partei. —
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(Vors. [Dr. Becker]: Im Bund?)
Ja. Dabei kommen 28 Mandate heraus. (Vors. [Dr. Becker]: Wo stehen ihr die zu?) Im gesamten Bunde. Sie hat 30 Mandate und sie behält die 30. Vors. [Dr. Becker]: Verzeihen Sie, wir sind doch gerade dabei, auszurechnen, wieviel sie auf Landessatz bekommen soll. Sie kriegt ja keinen mehr. Sie kann ja keinen mehr bekommen! (Stock: Das ist über das Verhältnis hinaus.) Kaufmann: Der Fehler liegt darin, daß Sie eine Verteilungsverrechnung erwarten, nämlich erstens im Land und zweitens im Bund, während der Vorschlag Diederichs' in Wirklichkeit sagt, daß auf der Bundesebene der Quotient errechnet wird, und daraus die der Partei zustehende Kandidatenzahl. Die Verteilung des Restes, der ihr noch zusteht, erfolgt grundsätzlich auf der Bundesebene mit —
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der Maßgabe, daß dabei ein bestimmter Prozentsatz von den unterlegenen Kandidaten aus dem betreffenden Lande genommen werden soll, gemessen an den Stimmen, die die Partei überhaupt hatte und die nicht zum Zuge gekommen sind, und der Rest der Kandidaten wird von der Bundesliste genommen. Es ist nicht so, daß man erst auf der Landesliste ausrechnet und dann zuteilt und den Rest von der Bundesliste nimmt. Dr. Diederichs: Ich wollte nicht die Stimmen verteilen, sondern nur die Mandate. Ich wollte sagen: Bei diesem Rest kann man sich dahin einigen, daß ein Teil davon direkt im Lande und ein Teil auf der Bundesliste verrechnet wird. Vors. [Dr. Becker]: Dann bitte ich zu überlegen, ob man die 170 Mandate vielleicht aufteilen kann in 115 und 55 oder ob man nur ein Drittel von dem, was im Lande bisher schon aufgestellt ist, nimmt und den Rest auf den Bund nimmt; dann ist die Bundesliste groß, aber die Persönlichkeitsnuance, die Hinneigung zum Persönlichkeitswahlrecht gering. Aber vielleicht kommen wir auf dieser Grundlage zu einer Verständigung. Kaufmann: Ich habe das Gefühl, daß ich selber den Fehler gemacht habe, die Diskussion in diese Form zu lenken, weil ich freiwillig sofort auf den Vorschlag des Kollegen Diederichs eingegangen bin. Denn grundsätzlich hatten wir ja im Ausschuß beschlossen, daß wir jetzt den CDU-Vorschlag beraten und sehen wollten, welche Änderungen da erwünscht wären und ob wir auf dieser Basis zu einer Einigung kommen40). Ich habe auch den Eindruck, daß Herr Kollege Stock mich falsch verstanden hat. Der neue Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Diederichs ist darüber wollen wir uns nichts vormachen ein reiner Vernur im der den Einzelwahlkreis einschaltet, ganzen aber hältniswahlvorschlag, ein reines Verhältniswahlrecht bringt und eine Abweichung lediglich in der einen Frage zeigt, daß eine Partei ein einmal erreichtes Plus an direkt Gewählten behält. Alles übrige ist reines Verhältniswahlrecht und hat mit Mehrheitswahlrecht absolut nichts zu tun. Es ist nur eine andere Form der Verrechnung. Das muß uns zunächst klar sein. —
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40) Siehe oben Dok. Nr. 21, TOP 3. 631
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Verhandlung ist ein weiterer Irrtum entstanden, auf den Frau Wessel hingewiesen hat. Es ist der Eindruck entstanden, als handele es sich um eine Verewigung und Monopolisierung der Parteien. Mein Vorschlag monopolisiert nichts für die Parteien. Jede Wählergruppe, die 50 Unterschriften aufbringt, ist in der Lage, einen Wahlvorschlag zu machen, so daß also auch die Wählergruppen in den Einzelwahlkreisen nicht an die Vorschläge der Parteien gebunIn der
den sind. Ein solcher Vorwurf kann also gar nicht erhoben werden. Meine Bedenken gegen den Landesausgleich, wie er dem Diederichsschen Vordie Diskussion nur noch vermehrt, nicht durch die Zahl, die ich für ganz unmöglich halte, sondern überhaupt. Denn, meine Herren, das wird die anonyme Liste für den Wähler; denn die Leute, die in den Wahlkreisen x, y und z als Einzelkandidaten aufgestellt sind, sind dem Wähler noch nicht einmal namentlich bekannt. Bekannt werden ihm nur die in ihrem Wahlkreis aufgestellten und etwa die in einem benachbarten Wahlkreis aufgestellten Leute. Die Leute auf einer Bundesliste, die die Partei oder die Wählergruppe von sich aus den Wählern bekanntgibt, sind ihnen damit bekannt. Das ist hier aber eine ganz unpersönliche Wahl, die die Krankheit des Verhältniswahlrechts nicht vermindert, sondern ganz erheblich vergrößert. Das hat, Herr Kollege Stock, nichts mit der Frage zu tun, ob wir einen Landesausgleich machen können. Den kann man auch durchaus auf der anderen Basis machen, abgesehen davon, daß eine Bundesliste üblicherweise nicht so aufgestellt wird, daß in der Bundeshauptstadt vom Parteivorstand der betreffenden Partei nur lauter zentral geforderte Leute aufgestellt werden, sondern man wird die besten Leute aus Bayern, Nordrhein-Westfalen usw. nehmen, zum Teil Leute, die dort auch in den Einzelwahlkreisen aufgestellt sind, zum Teil aber auch Leute, die außerhalb stehen. Wenn Sie auch nur andeutungsweise die hier genannten Zahlen, zum Beispiel von 160 oder 150, für den Landesausgleich und die Bundesliste nehmen, dann können wir weder den Frauenausgleich, noch den Flüchtlingsausgleich, noch den Ausgleich der Experten schaffen. Denn wenn Sie auch diese Notwendigkeit noch in die kleine Zahl 55 hineinlegen wollen, dann ist es vollständig unmöglich, für jede Partei die richtige Mischung zu finden, die die arbeitswichtigen Leute hineinbringt. Diese stehen zwar zum Teil auch in den Wahlkreisvorschlägen, insbesondere soweit es sich um jüngere Menschen handelt. Zum großen Teil aber stehen sie draußen. Das Gewünschte könnten Sie nicht erreichen, wenn Sie eine Form des Landesausgleichs nehmen, der sich mechanisch an die knapp durchgefallenen Kandidaten hält. Auf einer reinen Bundesliste können Sie einen Ausgleich machen. Die Parteien in den einzelnen Ländern kennen ja doch ihren Wahlkreis selbstverständlich nicht hundertprozentig —, es kann immer Überraschungen geben. Aber im ganzen wissen sie ungefähr, was da herauskommen kann, und wissen deshalb auch, für welche Leute sie den Platz auf der Bundesliste verlangen müssen. Vielleicht wissen das die neuen Wählergruppen nicht so genau; aber sie werden eben auch praktisch anfangen müssen. Wenn Sie aber einen Landesausgleich nach dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Diederichs machen, dann haben Sie eine sehr große anonyme Gruppe, und die andere Gruppe, die noch auf der Bundesliste in Frage kommt, ist viel zu
schlag zugrundeliegt, haben sich durch
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klein, als daß sie die Interessen, die hier vorliegen, in irgendeiner geeigneten
berücksichtigen solche Regelung. Form
könnte. Das ist das entscheidende Bedenken gegen eine
Wir verhandeln tatsächlich über zwei vollständig verschiedene Wahlsysteme, von denen das eine ein reines Verhältniswahlsystem darstellt, nur mit einer anderen Verrechnungsform, während das andere ein zu 75% reines Mehrheitswahlrecht bringt mit einem 25%igen Zugeständnis an die Verhältniswahl. Sie haben vorhin von Schwierigkeiten gesprochen, weil nach meinem Vorschlag die Stimmenzahlen zwar nicht doppelt, aber zweimal gerechnet werden. Darüber läßt sich auch sprechen. Denn ich habe schon in der ersten Besprechung
gesagt, daß das keine absolute Bedingung ist, daß man also darüber reden kann41). Man könnte zum Beispiel die Zahlen, die zu einem Mandat geführt hadarben, von dem gesamten Bundesstock, aus dem errechnet wird, abziehen
über läßt sich reden —, damit die Restzahlen der kleineren Parteien voll zur Geltung kommen. Das ist ein gangbarer Weg. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich Sie unterbrechen? Sprechen Sie vom ersten Wahlgang bei der absoluten Wahl oder auch von der Stichwahl? Kaufmann: Ich habe schon einmal gesagt, wir können darüber diskutieren, ob wir überhaupt zu zwei Wahlgängen kommen, wobei ich noch einmal darauf hinweise, daß dieser zweite Wahlgang in meinem Vorschlag hier keine Stichwahl ist; hier wird nicht zwischen dem Kandidaten, der die meisten, und dem, der die zweitmeisten Stimmen hat, gewählt. Dieser Vorschlag hat durchaus nicht den Charakter der Stichwahl. Im ersten Wahlgang entscheidet die absolute Mehrheit, die für jeden Demokraten entscheidend ist, und der zweite Wahlgang ist der der relativen Wahl, um ein Ergebnis im Wahlkreis zu haben. Dann ein Wort zu dem Zwischenruf des Herrn Kollegen Stock42). Meine Herren, lassen Sie uns doch nicht selber unsere eigene Arbeit desavouieren! Wenn Sie in einem Wahlkreis zu keiner absoluten Mehrheit kommen, halten Sie dann, ganz gleichgültig, welche Parteien im zweiten Wahlgang etwa zusammengehen können, die Diskussion über die Frage, welchen Mann Sie und eine andere Partei gemeinsam bereit sind, zu vertreten, für einen unerfreulichen „Kuhhandel"? Es ist doch falsch, das so darzustellen. Das soll doch gerade die Möglichkeit geben, den Parteien zu sagen: Den Exponenten, den Ihr mit dieser großen Zahl von Stimmen herausgebracht habt, können wir nicht ertragen, weil er die und die Dinge, die wir nicht wollen, politisch kraß vertritt. Wir wollen eine ausgleichende Persönlichkeit haben, die auch für Gesichtspunkte, die wir als kleinere Partei vertreten, Verständnis hat. Und wenn die Parteien dann darüber verhandeln, so ist es kein Kuhhandel, sondern ein vernünftiges Reden zwischen zwei vernünftigen Menschengruppen, und wir halten sogar zwischen den großen Parteien solche Diskussion für durchaus möglich. Sie haben radikal gesinnte Leute in Ihrer Partei, und wir haben radikal gesinnte Leute, und ich —
41) Siehe oben Dok. Nr. 21, TOP 2 a. 42) Der Zwischenruf wurde in den Protokollen nicht festgehalten. Kaufmann hatte
zu
Be-
ginn seiner Ausführungen zu den von ihm vorgesehenen zwei Wahlgängen Stellung genommen (siehe oben S. 612 f.). 633
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kann mir durchaus vorstellen, daß wir, wenn wir irgendwo aus irgendeinem Grunde zusammengehen, dann gemeinsam sagen: Ja, aber diesen Radikalinski wollen wir nicht haben; wir wollen uns über einen Mann verständigen, zu dem wir beide Vertrauen haben. Das ist doch kein Kuhhandel! Es kann allerdings einmal einer sein, aber so ist es doch nicht normalerweise. Sie sprechen immer von Parteibürokratie und dergleichen. Ich weiß gar nicht, wo die ist. (Zuruf des Abg. Stock.) Bei uns ist sie nicht. Ich wünschte manchmal, wir hätten eine etwas straffere Parteibürokratie. Sie ist gar nicht ohne weiteres schädlich, genau so wenig, wie auch im Staat eine Bürokratie ohne weiteres schädlich ist. Schädlich sind nur ihre Auswüchse. Warum sollen zwei Parteivorstände, die beide das Beste für unser Volk wollen, nicht miteinander verhandeln können? Ich würde also gern sehr großen Wert darauf legen, daß wir von dieser Desavouierung unserer eigenen parteipolitischen Arbeit etwas abgehen und die Meinung vertreten, daß es durchaus unter Deutschen und auch unter Parteien die Möglichkeit von Diskussion und Verständigung gibt, und zwar nicht nur über Vorschläge, sondern auch über Personen. Vorschläge, die zum Beispiel so aufteilen, daß diese Zahlen: 116 und 55 zugrundegelegt werden, halte ich aber für ganz unerträglich. (Vors. [Dr. Becker): Das habe ich nur als Beispiel vorgetragen!) Stock: Ich möchte auf die Ausführungen des Herrn Kollegen de Chapeaurouge über die Wahlpflicht zurückkommen'13) und sagen, daß es unmöglich ist, daß wir hier eine Wahlpflicht einführen, weil sie gegen die Demokratie verstößt. Nun wird immer wieder behauptet, dieser Vorschlag, auch der Vorschlag von Herrn Kollegen Dr. Diederichs, ganz abgesehen von dem Vorschlag des Herrn Kollegen Kaufmann, sei ein Verhältniswahlsystem. Das ist er nicht, und das kann er nicht sein und nach den Ausführungen von Herrn Kaufmann erst recht nicht. Es ist doch ganz klar, und der Herr Vorsitzende hat vorhin schon ganz richtig gesagt, wie wir denn die Mandate behandeln wollen, die die großen Parteien schon bei den ersten direkten relativen Mehrheitswahlen mehr, als ihnen eigentlich zusteht, bekommen haben. Diese Einzelverrechnung ist, um beim Verhältniswahlsystem zu bleiben, völlig ausgeschlossen. Nehmen wir einen praktischen Fall! Nehmen wir meine Partei: Die SPD würde aufgrund dieses Vorschlages, nachdem es nun 230 Wahlbezirke gibt, 20 Mandate mehr erhalten, als ihr aufgrund der Verrechnung nach dem Quotienten eigentlich zustehen. Wie wollen Sie diese 20 Mandate auf die anderen Parteien verteilen? Das ist doch nur so möglich, daß dann selbstverständlich auch die kleinen Parteien zum Zuge kommen können; sonst müßte man ja für die kleinen Parteien ein anderes Wahlsystem als für die großen aufstellen. Schon daraus ergibt sich, daß wir hier bei unserem Wahlsystem, das wir aufbauen wollen, eine Konstruktion machen, die gar nicht möglich ist. Es läßt sich nicht miteinander vereinbaren, auf der einen Seite ein relatives Mehrheitswahlsystem, auf der anderen Seite ein Verhältniswahlsystem zu nehmen. —
43) Siehe oben S. 622 ff.
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Auch ich hatte die Auffassung, daß wir heute sehr schnell fertig werden könnten. Aber wir sehen: je mehr wir uns mit der Materie beschäftigen, je mehr wir in die Sache hineinkommen, desto klarer wird es, daß es so nicht geht. Das einzig Richtige wäre gewesen, daß wir diese Wahlkreise beibehalten hätten, wie wir sie in der ersten Sitzung diskutiert hatten44). Dann wären die kleinen Parteien zum Zuge gekommen, dann wären die Frauen zum Zuge gekommen, dann wären die Experten zum Zuge gekommen. Wir hätten für den Wahlkreis sechs Kandidaten gehabt. Das ist ein Verhältniswahlsystem. Was Sie jetzt aufbauen, ist kein Verhältniswahlsystem, und Sie hören von Herrn Kaufmann, daß die CDU gar nicht gewillt ist, auf eine Zwischenlösung einzugehen, sondern sie ist nach wie vor der Auffassung, daß der Aufbau des Wahlsystems, das sie selber uns vorgelegt hat, der einzig richtige ist: 400 Abgeordnete werden gewählt, davon 300 in einer relativen Mehrheitswahl und 100 aufgrund der Bundesliste nicht etwa, daß sie dann in einem anderen Wahlgang gewählt würden! Also 75% aller Gewählten würden dann eben aufgrund eines relativen Mehrheitswahlsystems gewählt werden. Dabei können weder Flüchtlinge, noch Experten, noch Frauen gewählt werden; die kleinen Parteien werden dann bis auf ganz wenige Abgeordnete dabei vollständig flach fallen; denn da bei diesem Wahlsystem die abgegebenen Stimmen, mit denen bereits die ersten 300 Abgeordneten gewählt worden sind, für die 100, die in dem Verhältniswahlsystem mit zum Zuge kommen sollen, auch noch einmal mitgerechnet werden, während die kleinen Parteien vollständig flach fallen, und wir als erstes Parlament ein Parlament bekommen, wie ich es nicht wünsche, selbst wenn es meiner Partei zugute käme, weil ich als Demokrat wünsche, daß hierbei auch die kleinen Parteien mit zum Zuge kommen, daß auch sie ihre Stimmen mit in die Waagschale werfen, weil ich weiß, daß dort auch tüchtige Leute sind, deren Urteil wir brauchen. Und nun ein Satz zu dem, was Herr Kollege Kaufmann mir vorgeworfen hat, weil ich gesagt habe, mit der Stichwahl sei ein Kuhhandel verbunden. Herr Kollege, ich habe als jüngerer Mensch im Jahre 1912 diesen Kuhhandel mitgemacht und weiß, welche unschönen Sachen sich bei einer Stichwahl abgespielt haben45). Man hat es im Jahre 1917, als die Nachwahlen kamen46), noch einmal machen müssen. Ich jedenfalls werde nie meine Stimme dafür geben, irgendeine Stichwahl zu machen, weil es wirklich eine ganz unangenehme und unschöne Sache ist. Sie haben nun weiter gesagt, bei der CDU/CSU gäbe es keine Parteibürokratie: Das ist uns doch von der CSU in einer Weise demonstriert worden, die wirklich nicht mehr überboten werden kann. Ich brauche Sie nur an die Auseinan—
44) Gemeint ist der Teilentwurf Diederichs (Drucks. Nr. 178), der in der achten Sitzung besprochen wurde; siehe oben Dok. Nr. 8, TOP 4 a. 45) Gemeint sind die sog. „Kuhhändel", die bei den Stichwahlen im Kaiserreich zwischen verschiedenen Parteien
geschlossen wurden und sich zumeist gegen die
SPD richteten. fanden die letzten Nachwahlen nach dem alten Wahlrecht statt. Siehe hierzu: Gerhard A. Ritter: Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1871-1918, München 1980, S. 128 ff.
46) In den Jahren 1917 und
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dersetzungen zwischen Südbayern und Nordbayern zu verweisen; da hat man ja geradezu zwei Parteibürokratien aufgestellt47). Damit dürfen Sie uns, die wir
in Bayern etwas hinter die Kulissen schauen, nicht kommen. Es ist schon beinahe eine Parteidiktatur, die sich dort abspielt. Und deswegen werde ich auch nie etwas machen, was im Gegensatz zu der von uns aufzubauenden Demokratie liegt, weil dadurch die Demokratie in [den] Schmutz gezogen wird48). Und deswegen möchte ich auch folgendes zu bedenken geben: Entweder einigen wir uns auf den Vorschlag, oder wir kehren zu dem eigentlichen demokratischen System zurück, daß wir große Wahlkreise machen; dann können wir Frauen aufstellen, wir können Flüchtlinge aufstellen, wir können Experten aufstellen, und die kleinen Parteien kommen dabei zum Zug. Vors. [Dr. Becker]: Sie sind an sich gar nicht weit auseinander. (Stock: Sehr weit!) Sie sind nur in der Theorie weit auseinander, in der Praxis wahrscheinlich nicht. Der Unterschied zwischen den beiden Systemen dürfte sehr gering sein. Den Vorschlag von Herrn Kaufmann kenne ich ganz genau, denn es ist mein eigener Vorschlag von anno tobac49) und beruht darauf, daß im Wahlkreis eventuell zwei Wahlgänge stattfinden sollen, als zweiter nicht eine Stichwahl, sondern eine relative Wahl. Ich will den Streit über den Begriff des Kuhhandels nicht weiterführen; es kann so sein, es kann auch anders sein. Eine relative Wahl zwingt nicht so wie die Stichwahl im kaiserlichen Deutschland, wo zwischen den Trägern der beiden höchsten Stimmenzahlen abgestimmt wurde, —
zu
Verabredungen. Vorschlag geht dahin,
Und der andere
nur einen Wahlgang vorzunehmen, und in 230 Wahlkreisen, und die relative Mehrheit entscheiden zu lassen. Das ist die eine Divergenz. über diese Die zweite Divergenz bestand in der Frage, ob die 170 Mandate Zahl waren wir uns wohl einig auf die Bundesliste kommen sollen, oder ob noch einmal ein Teil auf der Landesliste rückverrechnet werden kann. Sie halten das dem Wähler gegenüber für anonym. Ich stimme dem nicht zu. Wenn bei uns in Hessen ein Bewerber im Nachbarkreis aufgestellt wird, kennen ihn die Leute auch. Ich glaube, daß ist bei anderen Parteien auch so. Das wäre die zweite Divergenz. Sonst sehe ich keine. Denn bei der dritten Divergenz, die zwar
—
—
sich ergeben könnte, nämlich bei der Frage, ob das auf die Bundesliste angerechnet werden soll, hat Herr Kaufmann angedeutet, daß darüber debattiert werden könne. Also sehe ich nur diese beiden Divergenzpunkte. In welchem Umfange wir die Rückverrechnung auf das Land vornehmen, ist mir ganz gleichgültig. Der Grundgedanke der Rückverrechnung will mir persön47) Die Gründungsphase der CSU war gekennzeichnet von Auseinandersetzungen zwischen
dem fränkisch-protestantischen Nordbayern und dem katholischen Südbayern. Die Zulassung der radikal-föderalistischen Bayernpartei (siehe oben Dok. Nr. 7, Anm. 64) am 29. März 1948 förderte diesen Konflikt und brachte die CSU fast „an den Punkt des orga-
nisatorisch-politischen Zusammenbruchs" (Stöss [Hrsg.], Parteien-Handbuch I, S. 668 f.). 48) Folgt gestrichen: „weil sich vor den Augen der Wähler abspielt, was sich zwangsläufig abspielen muß". 49) Dok. Nr. 636
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zu einem gewissen Grade gut erscheinen. Es käme auf die Abgrenzung Wenn Sie nicht die Zahl von 115 nehmen, dann nehmen Sie ein Drittel weniger; dann bekommen Sie eine Bundesliste statt von 55 von 80 bis 90. Das ist eine ganze Menge. Dr. Mücke: Die CDU sagt doch: 300 plus (Stock: Das wäre zu viel!
lieh bis an.
—
100!)
Darüber waren wir schon einig, daß wir uns über die Zahlen einigen würden. Ich wollte jetzt nur die Punkte herausschälen, in denen wir uns nicht einig sind. Und das sind nur diese zwei Punkte. Da müßte sich doch eine Verständigung finden lassen. Dann hätte man ein paar Leitsätze und könnte an die Ausarbeitung eines gemeinschaftlichen Vorschlages gehen. Ich will ihn gern zum dritten Mal redigieren, aber nur, wenn wir uns einig werden; sonst habe ich genug. Stock: Darf ich einen Vorschlag zu den Ziffern machen! Es soll bei diesen 230 bleiben, die in direktem Wahlgang gewählt werden sollen. Dann bleiben 170 übrig. Wollen wir davon 110 auf die Landesliste und 60 auf die Bundesliste setzen, dann kämen auf die Bundesliste doch nur die Experten, denn auf die das weiß ich aus der Praxis eher die Flüchtlinge und Landesliste kommen darüber besteht kein Zweifel —, weil das im Frauen, als auf die Bundesliste engeren Wahlkreisverband durchgefochten wird und dort eher durchgesetzt wird als auf der Bundesbasis. Also 110 auf Landesbasis und 60 auf Bundesbasis. Dann hätten wir unsere 400 Mandate. (Dr. de Chapeaurouge: Wie würden Sie das verteilen?) Das müßte eine kleine Kommission machen. Kaufmann: Herr Stock, beachten Sie bitte folgendes: Ich habe mich nicht gegen die Möglichkeit eines Landesausgleichs ausgesprochen die habe ich aussondern ich habe der drücklich offengelassen —, gesagt, Weg, wie dieser Lanhier man ist Wenn wird, falsch. schon vom Verhältdesausgleich vorgeschlagen kann vielleicht man einen finden, indem man niswahlsystem ausgeht, Weg auf wird bestimmte eine einer eine es Anzahl Landesliste und bestimmte sagt, auf einer Bundesliste zugeteilt, wobei man die Landesliste ja nachträglich korrigieren kann, nachdem feststeht, welche Zahlen verteilt werden sollen. Das könnte in der Form geschehen, daß gewisse Prozentsätze derjenigen, die bei der ersten Abstimmung ziemlich hoch gekommen sind, auf dieser Landesausgleichsliste Berücksichtigung finden können. Darüber läßt sich reden. —
—
—
—
—
—
(Zurufe.) Also ich sage es noch einmal. Nehmen wir folgendes an: Es würden 100 auf den Landesausgleich genommen. Wir würden diesen Landesausgleich landesmäßig machen und im Wahlgesetz eine Bestimmung dahin treffen, daß diese Landesliste von der betreffenden Partei oder Wählergruppe mit der Maßgabe zu benennen ist, daß solche Abgeordnete, die zwar in den Wahlkreisen durchgefallen sind, aber einen bestimmten Prozentsatz von Stimmen, gemessen an dem Prozentsatz der Stimmen der Partei, die sie überhaupt erreicht hat, bekommen haben, mit in diese Landesliste nachträglich aufgenommen werden —
müssen.
(Dr. Mücke: Dann wird kein Flüchtling gewählt!) 637
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Der Ansicht bin ich auch, aber es wird für diesen Zweck ein Spielraum vorhanden sein; denn wir setzten ja dabei nicht die ganze Landesliste, sondern nur einen Teil fest und gäben also schon im Landesausgleich die Möglichkeit, Flüchtlinge, Frauen und Experten hineinzubringen. (Dr. Mücke: Aber unter der Voraussetzung, daß sie kandidiert haben!) Kandidieren müssen sie sowieso, wenn sie Stimmen nachweisen sollen. (Dr. Mücke: Beim Einmannwahlkreis wird kein Flüchtling aufgestellt wer—
—
den!)
Sie haben recht. Wo können Sie eine örtliche Partei dazu veranlassen, eiFremden als Spitzenkandidaten aufzustellen? Es gibt ja nur einen Kandidaten50). Das ist ja mein großes Bedenken dagegen. (Dr. Diederichs: Deshalb war ich ja gegen den Einerwahlkreis!) Es ist nicht ein Grund gegen den Einerwahlkreis, sondern eine Frage des normalen zentralen Ausgleichs. Von diesem Gesichtspunkt aus bin ich dazu gewobei es mir gleich ist, ob wir 75 oder 60% nehkommen, nur einen Teil men in die Wahlkreise zu legen und einen Teil unter dem Verhältniswahlrecht auf die Bundesliste, weil eben dieser momentane Ausgleich notwendig ist, solange diese hineingekommenen Menschen noch nicht in das aktive Leben der Parteien eingegliedert sind. Das ist mein Hauptmotiv dafür gewesen. Dr. Diederichs: Wäre es nun nicht eine andere Möglichkeit, daß man der Bundesliste keine fixen Zahlen gibt, sondern die Parteien aus den verschiedenen Ländern ihre Experten, ihre Flüchtlinge usw. auf der Bundesliste aufstellen läßt, und dann die Reststimmen nach dem Anteil der Länder auf die Bundesliste verteilt? Dann brauchte man nur eine kombinierte Bundes- und Landesliste, auf der dann eben die Parteien entsprechend dem Stimmenanteil, den sie in den Ländern bekommen haben, berücksichtigt werden. Kaufmann: Dann müssen Sie aber den Standpunkt aufgeben, sie den durchgefallenen Kandidaten zu geben. (Dr. Diederichs: Das muß ich aufgeben!) Dann müssen Sie den Standpunkt vertreten, daß jedes Land entsprechend seiner Reststimmenzahl an der Bundesliste partizipiert, wobei die Gruppen, die wir genannt haben, besonders in Frage kommen. Dr. Diederichs: Das würde heißen, daß die Bundesliste keine starre Reihenfolge hat, sondern daß auf ihr in dem Verhältnis der Reststimmen die Kandidaten des betreffenden Landes bevorzugt werden. Dann würde man den Ländern ent—
nen
—
—
—
gegenkommen.
(Vors. [Dr. Becker): Dann fällt weg: Der, der die meisten Stimmen hat.) Dann heißt es: Die einen sind gewählt, die anderen sind durchgefallen. Vors. [Dr. Becker]: Das gibt dann einen Streit um die Reihenfolge auf der Bun—
desliste. Stock: Das beste Wahlsystem wäre der Sechsmännerwahlkreis; da hätten wir alle unterbringen können.
') Folgt gestrichen: „Das ist überhaupt praktisch nicht möglich." 638
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Kaufmann: Dieses System bekommen Sie doch bei Ihren eigenen Freunden nicht durch. Wir wollen uns doch nichts vormachen. Das wissen Sie genau so gut wie ich. (Stock: Warum soll ich das nicht durchbekommen?) Ich will keine Einzelheiten bringen. Vors. [Dr. Becker]: Entschuldigen Sie, wenn ich unhöflicherweise unterbreche. Wir waren eben bei der Frage, ob wir die Bundesliste als eine kombinierte Landesliste auffassen sollen. Dann würde die Bundesliste der Partei X praktisch so aussehen, daß sich darauf etwa 20 Namen befinden und daß hinter jedem Namen gesagt wird: Präsentiert vom Lande soundso. Damit würde also kein großer Streit um die Rangordnung auf der Bundesliste entstehen, wie es sonst der Fall ist. Dieser Streit würde auf der Länderebene ausgetragen. Und die Länder sollen ja geheim über die Reihenfolge abstimmen. Dr. Diederichs: Wenn also zum Beispiel eine Partei in einem Lande wie Bayern 170 000 Reststimmen aufbringt, dann werden je 50 000 auf ein Mandat berechnet. Das würde heißen: Drei Mandate plus 20 000 Reststimmen. Dann würden die drei Bundesmandate von der Bundesliste aus den landeseigenen Leuten genommen, und die Partei würde als Festgabe einen Experten mitbringen. Aber dabei würden die Länder entsprechend berücksichtigt, und in den Ländern würden wahrscheinlich die Landesorganisationen für diese Bundesliste eben diejenigen präsentieren, die entweder ebenfalls draußen kandidieren, aber in einem Wahlkreis, wo sie faul sind, oder aber Flüchtlinge oder Frauen und diejenigen, die sie gern auf diesem Wege durchbringen möchten. Das wird wahrscheinlich in allen Parteien so sein. Dr. de Chapeaurouge: Bei diesen letzten Ausführungen ergibt sich folgende Schwierigkeit: Was geschieht, wenn ein auf der Bundesliste Gewählter stirbt? Wie wird er ersetzt? Da möchte ich die Regelung vorschlagen, die wir in Hamburg haben. Wenn ein solcher Sitz frei wird, haben die Parteien in Hamburg ihrerseits das Recht, den Nachfolger zu präsentieren. Vors. [Dr. Becker]: Dann kann doch der Nächste, der von dem betreffenden Lande präsentiert worden ist, nachrücken! Dr. Diederichs: Die Bundesliste wird doch in der Regel nicht voll erschöpft werden. Da werden doch immer noch Leute übrigbleiben. Denn jedes Land wird sich doch ungefähr auskalkulieren können, wieviel Kandidaten es braucht. Das kann man ja voraussehen, und jedes Land wird immer einige Kandidaten mehr präsentieren. Ich glaube, diese Frage ist nicht schwierig. Kaufmann: Das würde ja eine Soll-Bestimmung sein. Vors. [Dr. Becker]: Der zweite Punkt wäre nun der, ob die Mandate in den Einzelwahlkreisen angerechnet werden sollen oder nicht. Das ist der strittige Punkt. —
(Zurufe.) Nach meinem früheren Vorschlag werden sie nicht angerechnet, während sie nach diesem Vorschlag angerechnet werden. Herr Kaufmann deutete vorhin an, auch über diesen Punkt könnte man diskutieren. (Dr. Diederichs: Sie dividieren praktisch nur durch 170?) —
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Herr Kaufmann dividiert durch 170, und Sie dividieren durch 400 das ist die Vorstufe der Verrechnung, um das ausrechnen zu können. —
d.h., —
(Zuruf.) Ich hatte das damals
hineingebracht,
weil wir gegen das relative Wahlrecht
Stellung
genommen hatten51). Dr. Diederichs: Wir sind grundsätzlich für einen —
Wahlgang. Ich glaube, daß auch Herr Kaufmann nicht anders orientiert ist. Darüber herrscht in den Kreisen meiner Freunde 100%ige Einmütigkeit. (Kaufmann: Trotz der Tatsache, daß die zweitvorgeschlagene keine Stichwahl ist.) Auch abgesehen davon! Vors. [Dr. Becker]: Mein Vorschlag von damals, der Ihrem Vorschlage entspricht, ist mit 9 :1 Stimmen abgelehnt worden. Die eine Stimme war ich. Dr. Mücke: Bei Ablehnung des zweiten Wahlgangs würde in jedem Fall die relative Mehrheit entscheiden. Vors. [Dr. Becker]: Sonst gibt es ja keine Lösung. Ich mache von meinem Standpunkt aus mit der Annahme der relativen Mehrheit für die Einzelwahlkreise die größte Konzession, aber ich würde es konzedieren, nur um zu einer Einigung zu kommen. auch nach Kaufmann: Sie sind sich darüber klar, daß der zweite Wahlgang den Kuhhandel vermindern sollte, weil wir zunächst einmal Ihrem Willen mit dem ersten Wahlgang die ganz klaren Verhältnisse vorwegnehmen wollten. Und den zweiten Wahlgang brauchen wir ja wegen der feststehenden Abgeordnetenzahl. Wenn wir den ersten Wahlgang von vornherein mit relativer Mehrheit vornehmen, dann brauchen wir den zweiten Wahlgang nicht; dann wird nur der bleiben wir bei der Redensart Kuhhandel in den ersten Wahl—
—
—
verlegt. (Widerspruch —
gang
—
des Abg. Stock.) Aber tun Sie mir doch den Gefallen! Die Parteien wissen doch ganz genau, was sie durchbringen und was nicht. Sie werden dann also vorher verhandeln! Stock: Herr Kollege Kaufmann, das können sie bei diesem Wahlsystem nicht! Das heißt: Freilich können sie es, aber sie werden es nicht tun. Ich setze den Fall, es würden sich Demokraten52) und Sozialdemokraten auf eine Person einigen. Dann kann doch nur eine Partei ihren Namen hergeben. Die Stärkeren sind die Sozialdemokraten. Dann würden auch bei der nachherigen Verrechnung alle Stimmen auf die Sozialdemokraten fallen. Deshalb wird im ersten Wahlgang jede Partei ihren Kandidaten aufstellen, obwohl sie vielleicht von vornherein weiß, daß sie gar nicht zum Ziel kommen kann, um möglichst viele Verrechnungsstimmen zu haben, das ist doch ganz klar. Keine Partei wird auf ihren Kandidaten verzichten. Dr. Diederichs: Ich kenne diese Verhältnisse doch aus Niedersachsen. Da haben die Deutsche Partei und die CDU ein Abkommen dahin getroffen, daß in dem —
—
51) Siehe oben Dok. Nr. 11, Abschnitt B „Wahl nach Verhältniswahlrecht". 52) Gemeint ist die FDP. 640
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einen Wahlkreis die eine Partei ihre Kandidaten aufstellt, im anderen Wahlkreis die andere53). In dem einen Wahlkreis macht die eine Partei ihre Reste mit Plus, in dem anderen Wahlkreis die andere mit Plus. Das kommt auf eins heraus. Die Möglichkeit ist immer gegeben, besonders dann, wenn die Parteien gleich stark sind. Das ist ein sehr großes Bedenken, das ich gegen die kleinen Wahlkreise habe. Brockwann: Dieser Gesichtspunkt trifft doch für jede Wahl zu, ganz egal, welches Wahlrecht man nimmt. Wenn man es nicht verbietet, ist die Möglichkeit immer gegeben. Diesen Gesichtspunkt sollte man aus der Debatte herauslassen. Theoretisch ist diese Möglichkeit immer gegeben. Vors. [Dr. Becker]: Verbieten kann man es nicht. Brockmann: Deshalb meine ich, man sollte über den Kuhhandel nicht diskutieren. Herr Stock hat auch Recht. Ich würde mit Rücksicht auf die Landesliste schwerste Bedenken haben, das zu machen. Das sind doch rein taktische Fragen. Die können wir doch nicht im Wahlgesetz berücksichtigen. Das ist doch gar nicht möglich. Vors. [Dr. Becker]: Es wurde einmal gesagt, die ganzen Wahlsysteme unterschieden sich nur durch die Verlagerung des Kuhhandels: Im Einmannwahlkreis kommt der Kuhhandel vor der Aufstellung, bei der Stichwahl vor dem zweiten Wahlgang; schlössen sich mehrere Parteien zu einer Partei zusammen, dann komme der Kuhhandel in der Fraktion, und bildeten mehrere Parteien die Regierung, dann komme der Kuhhandel in der Koalition. Irgendwo komme er immer. Nur muß man den Kuhhandel vom Kompromiß unterscheiden. Es gibt beides. Wir haben nun die Stimmung zu diesem Punkt sondiert. Wie wäre die Frage der Anrechnung? Ich neige zur Anrechnung, und ich glaube auch Herrn Kollegen Brockmann so verstanden zu haben. (Kaufmann: Sie meinen diejenigen, die auf einen mit Mehrheit gewählten Kandidaten entfallen sind?) Aber ich würde auch den Vorschlag des KolleDie Mandatsanrechnung! gen Dr. Diederichs für richtig halten: Wer durch seine Persönlichkeit mehr er—
—
—
rungen
hat,
Kaufmann: Wenn ein Kandidat in irgendeinem Wahlkreis mit einer bestimmten Zahl durchgekommen ist, die Quote aber anders ist, dann ist die Frage, was in den Bundesstock hineingeht. Dr. Diederichs: Diese Frage wird nur dann akut, wenn man nur die restlichen —
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Stimmen für die 170 000 Mandate verrechnet. Dann muß man also die unmittelbar Gewählten anrechnen, und die nebenher verdienten fallen heraus; die sind dann eine Prämie für die Partei. (Kaufmann: Verrechnen Sie die Mandate oder die Stimmen?)
')
Landtagswahlen 1947 hatten NLP und CDU gemeinsam den „Antimarxistischen Wahlblock" gebildet (Stöss [Hrsg.], Parteien-Handbuch I, S. 1029). Bei den niedersächsischen
Zum Verhältnis der beiden Parteien allgemein siehe Hans Christoph Kleer: Das Verhältnis von DP und CDU bei den niedersächsischen Regierungsbildungen von 1955, 1957 und 1959, Diss. iur. Würzburg 1970, S. 12 f.
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Praktisch beides. Dr. de
Chapeaurouge: 70 000 hat er, 50 000 braucht er nur: kommen 70 000 oder 20 000 in den großen Topf? Dr. Diederichs: Wenn nach Ihrem System mit relativer Mehrheit gewählt wird, kann man nur die 20 000 in den Stock bringen. Die Stimmen der direkt Gewählten dürfen nie in den Verrechnungstopf kommen, sonst wird die Quote für die kleinen Parteien zu hoch, und die Stimmen werden doppelt angerechnet, nämlich erstens dadurch, daß ein Mandat in der relativen Wahl erzielt worden ist, und zweitens dadurch, daß später die ganze Summe verrechnet wird. Das wäre eine sehr schwere Schädigung der kleinen Parteien. Dann würden Parteien, die schon sehr viele Mandate durchgebracht haben, die also stark sind, bei der Verteilung der 170 Mandate noch einmal den Löwenanteil kassieren, und für die kleinen Parteien würde gar nichts mehr übrigbleiben. Brockmann: Wenn ich von den Verhältnissen des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen ausgehe, verstehe ich Sie so: Wenn ein Kandidat bei relativem Wahlsystem in direkter Wahl schon sein Mandat erhalten hat, fallen die Stimmen, die zur Erringung eines Mandats erforderlich waren, eben aus und werden nicht mehr verrechnet; sie sind eben verbraucht. In den meisten Fällen werden es weniger sein als generaliter. Der Durchschnitt wird gemacht, um nachher auf der Reserveliste ein Mandat zu bekommen. Es ist eine große Seltenheit, es ist fast ganz unmöglich. Vors. [Dr. Becker]: Es kann verschieden sein. Im Wahlkreis Fulda zum Beispiel würden sich für die CDU Überschüsse ergeben54). Wenn aber vier Parteien aufmarschieren, kann ich mir ebensogut denken, daß dann die relative Mehrheit sehr oft unter dem Koeffizienten liegt, so daß wir, glaube ich, den künftigen Wahlkreisvorständen eine ungeheuere Rechenaufgabe zudiktieren, wenn wir die Stimmen statt der Mandate rechnen wollten. Ich glaube, der Vorschlag von Herrn Dr. Diederichs ist zwar etwas roh, aber praktisch. Kaufmann: Wir wollen ein praktisches Beispiel durchrechnen und annehmen, der Koeffizient betrage 50 000. Nun hat ein Kandidat, der in einem Wahlkreis die Mehrheit erhalten hat, 63 000 Stimmen bekommen. Das wäre also eine reichliche absolute Mehrheit. Was wird nun angerechnet? Vors. [Dr. Becker]: Das Mandat! Wenn ein Kandidat in einem anderen Wahlkreis 37 000 Stimmen bekommen hat, kann er ebenfalls gewählt sein. Kaufmann: Werden die übrigen 13 000 Stimmen auf die Bundesliste angerech—
net? Dr. Diederichs: Nach meinem Verfahren: ja, weil die Gesamtstimmenzahl gerechnet wird. Diese 63 000 Stimmen kommen voll in die Verrechnung und liegen diesem Koeffizienten, der mit 50 000 errechnet worden ist, mit zugrunde. Der Koeffizient von 50 000 ist nur dadurch entstanden, daß andere Mandate
54) Bei den Landtagswahlen vom
1. Dez. 1946 hatte die CDU im Landkreis Fulda mit 28 395 Stimmen einen überwältigenden Vorsprung vor der SPD (7688) gewinnen können (LDP: 2942; KPD: 1154). Vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.): Die politische Struktur der hessischen Gemeinden Wahlergebnisse, Wiesbaden 1948 ( Beiträge zur Statistik Hessens Nr. 12), S. 78. —
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billiger
gewesen
sind;
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sonst hätte dieser Durchschnitt nicht herauskommen kön-
nen.
Bei Ihrem Verfahren, nur die 170 Mandate zu verteilen, gibt es die eine Möglichkeit, daß jemand, der 63 000 Stimmen erhält und nur 50 000 Stimmen gebraucht hätte, also mit einer absoluten Mehrheit gewählt ist, mit einem Mehr von 13 000 Stimmen in den Reservestock hineinkommt, obwohl die, die darunterliegen, nicht mitgerechnet werden. Wenn dieses System genommen würde, würde ich das für gerecht halten; denn man kann nicht erwarten, daß der unmittelbar Gewählte teuerer wird, als der in der Relation Gewählte. Denn dann
könnte es einer Partei passieren, daß sie, wenn sie sehr viele Mandate mit absoluter Mehrheit erhalten hat, also mit Überschußstimmen, wenn sie es bei Lichte besieht, feststellen muß, daß sie teuerer gekauft hat als die anderen Parteien in der Relation. Daher muß man alle Stimmen in einen Topf tun, daraus den Quotienten errechnen und der Partei die Stimmen, die sie unmittelbar verdient hat, anrechnen. Hat sie darüber, dann kommt nicht zum Ausdruck, daß sie in einigen Wahlkreisen mit relativ geringem Stimmenvorsprung andere in den Schatten gestellt hat. Stock: Dazu möchte ich aber gleich etwas bemerken: Dann werden die Länder, die statt drei bis vier Parteien sieben aufstellen, bald in einem bedeutenden Vorteil sein. Wenn sich sieben Parteien um ein einziges Mandat streiten, kann eine mit 28% der Stimmen die relative Mehrheit haben und dadurch gewählt sein. So geht es nicht. Wenn man schon diesen Ausgleich machen will, muß man sämtliche Stimmen in einen Topf werfen (Dr. Diederichs: Das ist es ja!) und muß die Verteilungsziffer feststellen, und dann bekommt jede Partei soundsoviel Mandate. Anders geht es nicht. Dr. Diederichs: Nein! Trotzdem ist es natürlich möglich, daß zwei Abgeordnete derselben Fraktion nebeneinander sitzen, von denen der eine mit 70 000 und der andere mit 25 000 gewählt ist. Das läßt sich nicht ausschalten. Aber ich glaube, das ist auch gar kein Malheur. Wenn er im Durchschnitt mit 25 000 Stimmen gewählt ist, dann ist das nur ein Zeichen dafür, daß in der betreffenden Gegend eine gewisse Zersplitterung vorhanden gewesen ist. Der wilde Kandidat kann das Mandat verbilligen. Das gleicht sich aber dadurch wieder aus, daß man die Gesamtstimmenzahl teilt, dadurch den Koeffizienten errechnet. Dadurch kommt die Gerechtigkeit dann wieder hinein. Das gleicht sich wieder aus. [4. FORMULIERUNG DER LEITSÄTZE) Vors. [Dr. Becker]: Ich habe den
Eindruck, daß wir
uns
ungefähr gefunden
ha-
ben.
(Abg. Stock: Bis zur nächsten Sitzung! Heiterkeit.) Ich wollte vorschlagen, mit der Formulierung der Leitsätze zu beginnen, aufgrund deren man etwas ausarbeiten kann. Wir sind ja der einzige Ausschuß, der überhaupt erst aus sich heraus dieses Gesetz erarbeiten muß. Wir haben ja keinerlei Vorlage. Ich schlage also folgende Leitsätze vor: —
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für die Westzone: 400; davon 230 wählbar in Einzelwahlkreisen und 170 auf einer Bundesliste. 2. In den Einzelwahlkreisen ist derjenige gewählt, der die relative Mehrheit hat. 3. Die Gesamtstimmenzahl im Bunde, geteilt durch 400, ergibt den Wahlkoeffizienten. So oft dieser Koeffizient in der für jede Partei errechneten Bundesgesamtstimmenzahl enthalten ist, erhält die Partei Mandate. Soweit sie aber in den Einzelwahlkreisen bereits mehr Mandate erhalten hat, als ihr hiernach zustehen würden, behält sie diese, so daß sich die Gesamtzahl der Bundestagsabgeordneten um dieses Mehr erhöht. 4. Eine eigentliche Landesliste wird nicht gebildet. Die Bundesliste wird von jeder Partei eingereicht. Sie soll bei jedem Bewerber den Vermerk enthalten, von welchem Land er präsentiert ist. Die auf die Bundesliste entfallenden Mandate der betreffenden Partei werden in dem Maße unter den von den verschiedenen Ländern präsentierten Abgeordneten aufgeteilt, in welchem unter Zugrundelegung des Wahlkoeffizienten auf das betreffende Land noch Mandate (nach Abzug der schon in den Einzelwahlkreisen Gewählten) entfallen wären. Beispiel: Die Partei X hat in Bayern 26, in Nordrhein-Westfalen 27 Mandate erhalten. Unter Zugrundelegung der für sie in Bayern und Nordrhein-Westfalen abgegebenen Stimmen ständen ihr noch weitere sechs bzw. acht Mandate zu. Diese werden aus der Bundesliste von denjenigen Abgeordneten entnommen, welche als von den betreffenden Ländern präsentiert bezeichnet sind, und zwar in der Reihenfolge der Liste; soweit die von den betreffenden Ländern präsentierten Bewerber nicht ausreichen, sind die ohne einen solchen Zusatz präsentierten Bewerber in der Reihenfolge der Liste als gewählt anzusehen. Das sind nur Leitsätze55). Sie müssen noch durchdacht und durchberaten werden. Kaufmann: Nehmen wir folgenden praktischen Fall: In Hessen ist der Schuhmachermeister Schulze aufgestellt und in Bayern Ministerpräsident Ehard. Dann werden die Hessen nicht auf dem Schuhmachermeister Schulze bestehen, sondern werden Herrn Ehard hineinnehmen. Vors. [Dr. Becker]: Wir müssen dann noch eine Bemerkung über Berlin mit aufnehmen: 5. Für Berlin sind entsprechende Einzelwahlkreise zu bilden. Die Bundesliste soll auch Berlin mit umfassen. Dr. de Chapeaurouge: Alles weitere sollen die Berliner selber machen! Vors. [Dr. Becker]: Wir wollten ihnen sogar überlassen, einen einzigen Wahlkreis zu bilden, wenn sie das für richtiger halten. Das kann wichtig sein, wenn sich infolge der Sektorengrenzen keine geeigneten Bezirke herausschneiden lassen. Wenn die einzelnen Wahlkreise keine relative Mehrheit haben, bleibt für eine solche Stadt nichts anderes übrig als der Proporz. 1.
Abgeordnetenzahl
55) Die Leitsätze wurden als Anlage (Drucks. Nr. 554). 644
II dem
Kurzprotokoll
über die 20.
Sitzung beigefügt
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Dr. Mücke: Wenn wir
uns für die relative Mehrheit entscheiden, entsteht doch daß Möglichkeit, jemand gewählt wird, wenn er nur sehr stark ist, auch wenn seine Stimmenzahl weit unter dem Wahlquotienten liegt. Das scheint mir doch recht unbillig zu sein. Das ist ein reiner Zufall, wenn sich in dem betreffenden Wahlkreis vielleicht fünf, sechs oder zehn Parteien beworben haben. Und es ist unbillig, daß er gegenüber dem, der den Wahlkoeffizienten mit 100% erreicht hat, trotzdem als gewählt gilt. Brockmann: Das ist die Konsequenz des Mehrheitswahlrechts. Vors. [Dr. Becker]: Wir kommen nun zu einem anderen wichtigen Punkt: Welche Parteien kommen überhaupt auf die Bundesliste? Das ist ein Punkt, den wir auch noch regeln müssen. Dr. de Chapeaurouge: Darf ich zu dem Fall Berlin noch eine Anregung geben? Es wurde gesagt, die Berliner sollen ihre Sache selber regeln. Aber man dürfte vielleicht weiter bestimmen, daß das Berliner Wahlgesetz der Genehmigung der nicht Bundesregierung bedarf. Es müßte irgendeine Kontrolle des Bundes des Bundestags eingeführt werden. Dr. Diederichs: Das sind Instanzen, die wir noch nicht haben. Es handelt sich hier um die erste Wahl. Das kann niemand anders machen als die Berliner
die
—
—
Stadtverordnetenversammlung. Kaufmann: Ich glaube, die Berliner wie auch das übrige Deutschland.
werden
grundsätzlich
denselben
Weg gehen
Dr. Diederichs: Die Berliner werden in demselben Verhältnis wie auch die übrige Bevölkerung mit dem Wahlrecht bedacht. Wählen müssen sie selber. Wenn die Mandatsziffer feststeht, ist es ihre Aufgabe, das Nähere zu bestimmen. Mehr kann man nicht tun. Da muß man ihren eigenen Rechtsverhältnissen
Rechnung tragen. Kaufmann: Ich möchte nur noch kurz bemerken, daß wir diesen Grundsatz in unserer Fraktion durchgesprochen haben, und ich sage schon heute ganz offen, daß die Aufteilungszahlen 230 und 170 in meiner Fraktion Schwierigkeiten ma-
chen werden56). Vors. [Dr. Becker]: Wir wollen wegen der Flüchtlinge gerade auf eine starke Bundesliste hinaus. Kaufmann: Der Landesausgleich wird auch bei uns von einigen sicher sehr stark vertreten, weil der Wunsch besteht, diese Landesgruppen möglichst klar zu gestalten. Ich will nur sagen, daß bei dieser Ausgleichsart vielleicht Schwierigkeiten entstehen werden. Daran sind wir ja aber nicht mechanisch gebunden. 14. Okt. 1948 hatte sich die CDU/CSU nach der Abstimmung im Wahlrechtsausschuß über die Wahlsysteme mehrheitlich für ein Mehrheitswahlrecht mit 20% Landesliste ausgesprochen (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 79). Bei 400 Abgeordneten hätte dies einer Aufteilung 320 zu 80 entsprochen, ähnlich wie dies Kroll in seinem Entwurf später vorsah (siehe oben Dok. Nr. 13, Anm. 50). Noch am 18. Jan. 1949, wenige Minuten vor Beginn der Wahlrechtsausschußsitzung, hatte Schröder auf Anfrage der Fraktion eindringlich davor gewarnt, „den Prozentsatz der für die Landesliste oder die Bundesliste vorzuschlagenden Kandidaten größer als 20% zu nehmen, weil bei der heutigen Parteienkonstellation mit diesen 20% schon im wesentlichen das Ergebnis einer reinen Verhältniswahl erzielt würde" (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 346 f.).
') Am
645
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Zwanzigste Sitzung
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Vors. [Dr. Becker]: Ich würde bitten, die Zahl von 230 bestehen zu lassen. Dr. de Chapeaurouge: Ich wollte diese Bemerkung meinerseits nur ausdrücklich
unterstreichen. Auch ich befürchte Schwierigkeiten und würde es für glücklich halten, wenn wir die Ziffern noch ändern könnten. Ich gebe ohne weiteres zu, daß bei der jetzigen Bevölkerungsziffer die Zahl 230 ein gewisses inneres Schwergewicht für sich hat. Vors. [Dr. Becker]: Ich glaube nicht, daß bei unserer Partei noch eine große Neigung bestehen würde, weiter mitzumachen. Ich gebe sehr viel nach, wenn ich auf das relative Wahlrecht heruntergehe. Weiter kann ich nicht gehen. Dr. Diederichs: Bei diesen Einzelwahlkreisen, bei denen wir uns doch alle darüber einig sind, daß für die Flüchtlinge usw. sehr geringe Chancen bestehen, sollten wir es uns ernsthaft überlegen, diesen Ausgleich noch weiter herunterzudrücken. Kaufmann: Vielleicht wird der Vermittlungsvorschlag in der Richtung liegen, daß man den Länder-Soll-Ausgleich zugunsten dieser Dinge etwas abschwächt. Dr. Mücke: Die Vertriebenen und die Frauen sollen auch berücksichtigt werden, und die Parteiexperten ebenfalls. Wenn man die Zahl zu hoch nimmt, würde man von vornherein die Möglichkeit für die Vertriebenen und die Frauen abschneiden. Bei einem Verhältnis von 300 und 100 steht fest, daß nur ein Prozentsatz der Vertriebenen in den Bundestag kommt, und gerade der erste Bundestag wird besonders für die Flüchtlinge von entscheidender Bedeutung sein. Es wäre geradezu ein Faustschlag in das Gesicht der Flüchtlinge, wenn man die Zahl der in den Einmannwahlkreisen zu Wählenden erhöhte und damit die Möglichkeit der Berücksichtigung der Flüchtlinge einschränkte. Kaufmann: Es handelt sich um den ländermäßigen Bundesausgleich. Da wird man sich einigen können. [5. WAHLPFLICHT] Vors. [Dr. Becker]: Dann bitte ich, zu der Frage der Wahlpflicht Stellung zu nehmen. Haben Sie aus Belgien auch Ziffern über die Höhe der ungültigen Stimmen? Kaufmann: Die kann ich beschaffen57). Nach meinen Ermittlungen beträgt die Wahlbeteiligung 97 bis 98%, und zwar seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts58). Die Zahl der Rechtskonflikte mit Nichtwählern ist gleich null. Präsident Adenauer hat einmal im Kreise der Fraktion gesagt, daß er mit einem Herrn, der diese Dinge als Rechtsanwalt vertritt, gesprochen habe, und daß dieser gesagt habe, in seiner ganzen jahrzehntelangen Praxis sei ihm ein einziger
57) Kaufmann besorgte die belgischen Wahlrechtsbestimmungen, die auch als Drucks. Nr. 506
gedruckt,
unter den MdPR aber nicht verteilt wurden. 1893 zurück.
58) Die belgische Wahlpflicht geht auf das Jahr 646
Zwanzigste Sitzung Fall benannt worden, in dem ein Konflikt mit der
18.
Folge
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einer Strafe entstanden
ist59).
ungültigen Stimmen müßte man ermitteln. Das ist notwendig. Nun ich allerdings, daß die Verhältnisse in Belgien eben doch einheitlicher glaube sein werden als bei uns, obwohl Belgien auch in einen Krieg verwickelt worden ist, so daß möglicherweise die Zahl der ungültigen Stimmen bei uns größer wird. Bei uns ist es ja eine gleichmäßigere Gruppe, die nur draußen steht und schimpft oder den Dingen völlig gleichgültig gegenübersteht, während ihr Schicksal miterfaßt wird. Und wenn man diese Gruppe nicht auf dem Wege der Überredung bekehren kann, ist die Frage sehr ernsthaft zu diskutieren, ob man sie nicht auf dem Wege der Wahlpflicht zur Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht anhalten kann. Ich bin im Gegensatz zu Herrn Stock der Meinung, daß das eine besonders demokratische Einrichtung wäre, wie man sie sich gar nicht demokratischer vorstellen kann. Denn unsere Demokratie gibt ihren Staatsbürgern nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und daß sie alle paar Jahre einmal zur Wahl gehen, ist eine Pflicht, die man gerade vom Standpunkt der Demokratie jedem wirklich auferlegen kann. Früher bin ich auch gegen die Wahlpflicht gewesen. Aber aus meiner Erfahrung und infolge der unseligen Gleichgültigkeit, bei der immer die Ausrede gebraucht wird: „Uns passen die Parteien nicht", bin ich allmählich zu der Überzeugung gekommen, daß man es auf diesem Wege versuchen sollte, um die daneben Stehenden irgendwie zwangsläufig heranzuziehen. Dr. Diederichs: Ich bin ganz generell ein Gegner der Wahlpflicht. Aber ich möchte empfehlen, es aus der Diskussion dieses einmaligen Wahlrechts herauszulassen. Es ist sicherlich eine Frage, die wirklich wert ist, ernsthaft diskutiert zu werden, wenn Herr Kaufmann es schon erwähnt. Aber ich glaube, man sollte ihre Erörterung solange verschieben, bis wir den Bund haben, und wir sollten uns in den Parteien, die dort wirken, diese Frage für später vorbehalten. Ich könnte mir vorstellen, daß bei der augenblicklich sehr schwierigen Situation draußen ein solches Wahlpflichtgesetz geradezu als Vergewaltigung aufgefaßt würde. Stellen Sie sich einmal die Reaktion der Presse vor! Diese Frage bringt etwas ganz Neues! Es ist richtig, daß die Wahlpflicht in Belgien entstanden ist. Aber wir wissen, daß solche Dinge weit über das, was sie bedeuten, Geschrei in der Presse auslösen60). Ich glaube nicht, daß durch die Wahlpflicht das Niveau der Abstimmungen erhöht und die Entscheidung verbessert wird. Denn die Leute, die sich der Wahl enthalten, weil sie von den Dingen nichts verstehen oder weil sie unheilbare Meckerer sind, bringen wir auch nicht zwangsweise an die Urnen. Wir könnten dadurch nur erreichen, daß sich diese Leute Die Zahl der
59) Eine diesbezügliche
Äußerung Adenauers konnte nicht ermittelt werden. Die Frage der
18. Jan. 1949 erstmals in der CDU/CSU-Fraktionssitzung besprochen worden (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 347). 60) Das Problem der Wahlpflicht löste einige Unruhe in der deutschen Presselandschaft aus. Die Allgemeine Zeitung (Mainz) bezweifelte offen den Erfolg des „Wahlzwangs" und zog Parallelen zu der Mobilisierung der Wählerschaft in der Endphase der Weimarer Republik (Ausgabe vom 20. Jan. 1949; vgl. West-Echo vom 20. Jan. 1949; Kasseler Zeitung vom 28. Jan. 1949). Zum Fortgang siehe unten Dok. Nr. 23, TOP 2.
Wahlpflicht
war am
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irgendwelchen radikalen Gruppen an den Hals werfen und dadurch eine absolute Mehrheit dieser Gruppen herbeiführen. Kaufmann: Vielleicht ist es gut, wenn wir dann offiziell wissen, mit wem wir es zu tun haben. Dr. Mücke: Auch ich stehe auf dem Standpunkt, daß man diese Wahlpflicht nicht für dieses Wahlgesetz einführen soll, weil einfach die Voraussetzungen dafür noch nicht gegeben sind ebenso wenig wie die Voraussetzungen für die Entscheidung der Frage, ob Mehrheitswahlrecht oder Zweiparteiensystem gegeben sind. Dazu ist es notwendig, daß die Parteien in Deutschland grundsätzlich geändert und auf das zurückgeführt werden, was ihre eigentliche demokratische Funktion ist: Daß es nämlich nur zwei Parteien gibt, von denen die eine regiert und die andere kontrolliert, wie es in England und Amerika der Fall ist. Voraussetzung dafür ist aber das, was der frühere Reichskanzler Dr. Luther in seinen Ausführungen über das Zweiparteiensystem gesagt hat61), nämlich, daß das wesentliche Charakteristikum des Mehrheitswahlsystems das Fluktuieren der Massen ist. Dieses Fluktuieren zwischen den beiden Parteien ist aber so lange nicht möglich, wie es in Deutschland weltanschaulich gebundene Parteien gibt. Das ist die große Frage, die erst einmal geklärt werden muß. Denn diese Tatsache führt immer dazu, daß die Parteien mehr oder weniger zu Interessenvertretern gemacht werden. Das muß in Deutschland erst einmal beseitigt werden; dann kann man auch über diese Frage diskutieren. Vors. [Dr. Becker]: Herr Kollege Mücke hat leider nicht an allen Verhandlungen des Wahlrechtsausschusses teilgenommen, sonst wüßte er, daß ein entsprechender Vorschlag in unseren Akten liegt. Brockmann: Ich glaube, die Beteiligung an der Wahl läßt einen Rückschluß auf die Beurteilung der Frage zu, wie weit das Volk überhaupt in der Demokratie mitgeht. Wenn wir einen Zwang einführen, befürchte ich, daß wir niemals ein klares Bild darüber haben werden, zumal ich mir gut vorstellen kann, daß ich, wenn ich zur Wahl ginge und keinen Kandidaten wählen wollte, einen Strich durch den Wahlzettel machen würde. Es gibt keine Möglichkeit, jemand zur Wahl zu zwingen. (Zuruf: Er muß dann doch abstimmen!) Er geht dann zum Wahlvorsteher und sagt: Ich bin da. Er geht dann in die Zelle, und er geht dann wieder hinaus. Das würde bei den heutigen Zuständen nur eine unheimliche Erschwerung der Auszählung sein. Es würde aber auch eine ganz gewaltige Demonstration bedeuten, die ganz offensichtlich ist. Das ist ein anderer Protest als die Wahlenthaltung von 20 bis 30%, welche diese und jene Gründe haben kann. Vors. [Dr. Becker]: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Frage ist nun, wie wir weiter prozedieren wollen. Ich würde vorschlagen, daß wir jetzt noch eine Redaktionskommission wählen, damit wir an die Arbeit gehen können, falls die Leitsätze angenommen werden. —
—
61) Siehe oben Dok. Nr. 7, TOP 1.
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Kaufmann gibt einen Überblick über die Dispositionen des Hauptausschusses62) und schlägt vor, die Redaktion der Leitsätze bis Donnerstag fertigzustellen63), damit sie dann in den Fraktionen besprochen werden könnten und in der folgenden Woche einen Termin für die weitere Beratung festzusetzen. Stock erklärt, er sei gegen den jetzt zusammengestellten Vorschlag. Kaufmann erklärt, auch er sei nicht 100 %ig dafür. Durch die Ergebnisse der heutigen Besprechung sei niemand gebunden. Es sei lediglich der Versuch gemacht worden, eine Verständigung zu erzielen. Der Vors. [Dr. Becker] stellt fest, daß der Termin für die nächste Sitzung noch nicht festgesetzt werden könnte. Er bitte, seine Festsetzung ihm zu überlassen.
62) Der Hauptausschuß hielt
am 18. Jan. 1949 seine 42. und 43. Sitzung ab, in der er die Lesung des Grundgesetzes behandelte. Diese wurde in der 46. Sitzung am 20. Jan. abgeschlossen.
zweite 1949
63) Siehe oben Anm.
55.
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1.
Februar 1949
Nr. 23 21.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 1. Februar 1949
Z5/85, Bl. 2-36. Undat. und ungez. Stenograf. Wortprot. Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 36-38, Drucks. Nr. 605
Anwesend1): CDU/CSU: Finck (für Kaufmann)2), Schräge, Walter, Fecht SPD: Diederichs FDP: Becker (Vors.) KPD: Frau Wessel (Z, für Reimann) Mit beratender Stimme: Löbe (SPD) Stenografischer Dienst: Jonuschat Ende 12.10 Uhr Beginn: 10.46 Uhr
[1. PRÜFUNG DER FRAGE DES HAUPTAUSSCHUSSES, OB ART. 18 GG MIT ART. 45 ABS. 3 SATZ 2 VEREINBAR IST)
Vors. [Dr. Becker]: Darf ich
die
feststellen, daß
wir
beschlußfähig
sind. Ich eröffne
Sitzung.
Wir hatten vom Hauptausschuß den Auftrag bekommen, uns gutachtlich zu äußern, ob Art. 18 aus den Grundrechten, der von der Wahlfreiheit handelt, zu vereinbaren ist mit Art. 45 Abs. 3 Satz 23). Wenn Sie die Drucksache 5434), die Sie bekommen haben, aufschlagen, so hat Art. 18 dort zwei Absätze, die lauten: (1) Das Recht zu wählen und5) abzustimmen, die Wahlfreiheit und das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Wer wahlberechtigt ist, entscheidet6) das Gesetz. (2) Jede Beschränkung der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die Möglichkeit freier Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten oder Parteien nicht genommen werden.
J) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Kaufmann nahm an dem zur gleichen Zeit tagenden Fünferausschuß teil (vgl. CDU/ CSU-Fraktionssitzung vom 1. Feb. 1949, Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 371; PA Bestand 5/7). 3) Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 586. 4) Drucks. Nr. 543 betr. Grundgesetz: Stellungnahme des Allgemeinen Redationsausschus-
Fassung des Hauptausschusses, 2. Lesung, Stand: 25. Jan. 1949 (GG-Entwürfe, S. 45). Der Artikel 18 wurde ohne neue Formulierungsvorschläge an den Wahlrechtsausschuß weitergeleitet. 5) In Drucks. Nr. 340 hieß es: „wählen oder abzustimmen". 6) Drucks. Nr. 340: „entscheidet Verfassung oder Gesetz" (vgl. GG-Entwürfe, S. 45). ses zur
650
Einundzwanzigste Sitzung
1. Februar 1949
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Der Hauptausschuß hatte die Beschlußfassung über diesen Art. 18 ausgesetzt, weil der Herr Kollege Seebohm, glaube ich, darauf hingewiesen hatte, daß das mit dem Art. 45 in einem Widerspruch stehen könnte7). Es heißt in Art. 45 Abs. 3: Das Bundesgesetz kann bestimmen, daß Parteien, die nicht einen bestimmten Hundertsatz aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten und daß auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat. Nun hat der Hauptausschuß uns die Aufgabe überwiesen, uns gewissermaßen gutachterlich dazu zu äußern und evtl. Vorschläge zu machen8). Frau Wessel: In Art. 18 heißt es, daß das Wahlsystem keinerlei Einschränkung der freien Wahlmeinung enthalten darf. Ich habe bereits im Hauptausschuß ebenso wie der Kollege Seebohm darauf hingewiesen, daß meines Erachtens diese Bestimmung mit der des Art. 45 in Widerspruch steht9). Denn wenn der Wähler etwa von einer Partei annehmen müßte, daß sie entweder nicht die 5 % Stimmen bekommt oder nur so viel Mandate, wie direkt im Wahlkreis durchgegangen sind, so wird er von vornherein dahin beeinflußt, einer solchen Partei die Stimme nicht zu geben. Irgendwie bedeutet das eine Beeinflussung. Er würde ohne diesen Artikel wahrscheinlich einer solchen Partei, der er sonst sympathisch gegenübersteht und die seiner politischen Linie entspricht, seine Stimme geben. Ich halte diese Einschränkung auch deshalb für falsch, weil ich befürchte, daß die großen Parteien dann diese Bestimmung benutzen werden, auf den Wähler einen Druck auszuüben mit dem Bemerken: Es hat keinen Sinn, daß du dieser oder jener Partei deine Stimme gibst, weil sie nicht zum Zuge kommt. Infolgedessen halte ich dafür, daß Art. 45 tatsächlich mit Art. 18 in einem Widerspruch steht. Vors. [Dr. Becker]: Wird dazu noch das Wort gewünscht? Lobe: Entstanden ist diese Bestimmung wohl aus dem Bestreben, das Einparteiensystem zu verhüten oder zu verbieten, wie es in einigen Teilen Deutschlands jetzt propagiert wird10). Man wollte dem Wähler auf alle Fälle die Freiheit geben, unter mehreren zu wählen. So ist doch die Entstehungsgeschichte. Jetzt wird sie auch auf das andere übertragen. Es muß dem Wähler das Recht gegeben werden, unter allen zu wählen, auch unter denen, die als sogenannte Splitterparteien in einigen Landtagswahlrechten nachträglich in ihrem Recht eingeschränkt worden sind. Ich muß sagen, bei einer weiten Auslegung dieses Artikels müßte man allerdings annehmen, daß das damit auch unmöglich gemacht wird. Aber vielleicht kommen wir um die ganze Frage herum, indem wir die Sperrklausel überhaupt nicht aufnehmen. Dann ist ja die Frage gleich entschieden.
7) Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 585 f. 8) A. a. O., S. 586. 9) A. a. O., S. 585. Hier handelt es sich um die Fassung des Hauptausschusses 1949 (Der Pari. Rat, Bd. 5/II, S. 962). 10) Eine Anspielung auf die Anstrengungen der SED in der SBZ.
vom
11.
Jan.
651
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Vors. [Dr. Becker]: Ich darf vielleicht mehr vom juristischen Standpunkt folgendes sagen. Ich möchte bei der Auslegung dieses Art. 18 unterscheiden in sogenannte vis compulsiva, wie wir es in der Jurisprudenz zu bezeichnen pflegen, d. h. die unmittelbar eindringende Gewalt auf jemand, bestehend entweder darin, daß er mit Brachialgewalt gehindert wird, seine Wahlstimme abzugeben, oder aber dadurch gehindert wird, daß meinethalben ein Unternehmer auf Angestellte und Arbeitnehmer seinen Einfluß ausübt und sagt: ihr habt nur den und den zu wählen. Das ist mit dem Abs. 1 verboten. Mit dem Abs. 2 sollte gesichert sein, wie Herr Löbe mit Recht hervorhebt, daß nicht ein Einparteiensystem sich direkt oder indirekt wieder bilden kann. Nun kommt die andere vis. Das ist die vis suggestiva, die Suggestivgewalt; die ist bis zu einem gewissen Grade unschädlich. Denn irgendwo wird sich eine gewisse Unfreiheit im menschlichen Leben immer zeigen. Also eine Unfreiheit, wie sie etwa beim Mehrheitswahlrecht sich durch die Abgrenzung der Wahlbezirke ergibt, muß man unter Umständen mit in Kauf nehmen, es sei denn, daß man die Abgrenzung von vornherein so entschuldigen Sie den Ausdruck hundsgemein macht, daß jeder merkt, was damit gewollt ist. Für einen solchen Fall könnte ich mich schon immerhin auf einen anderen Standpunkt stellen. Aber darüber hinaus kann auch für die kleinen Parteien die Frage der vis suggestiva zweifelhaft sein. Ich möchte eigentlich als entscheidend folgenden Gesichtspunkt ansehen. Damit, daß wir sagen, wir wollen mit dieser Klausel verhindern, daß sich Splitterparteien bilden, haben wir uns eigentlich schon dessen schuldig gesprochen, daß wir gegen Art. 18 Abs. 2 verstoßen wollen. Wir haben uns auch schon einmal darüber unterhalten, daß es sehr oft schwer zu sagen ist, wo der Unterschied zwischen Splitterparteien und kleinen Parteien liegt11). Wir wollen, glaube ich, gegenüber der großen Bevölkerung den Eindruck vermeiden, als wenn wir für die eine oder andere Partei, die nun gewissermaßen aus den Kinderschuhen heraus ist, hier eine Art Monopolstellung geben und es den anderen schwieriger machen, groß zu werden. Das könnte von der Bevölkerung so verstanden werden, als ob man für die Parteien, die bestehen, eine Art Extrawurst und Monopol schaffen wollte. Ich glaube, so gesehen, sollte man auch aus psychologischen Gründen den Standpunkt einnehmen, den Herr Löbe eben vorträgt, und sollte vielleicht in Art. 45 Abs. 3 diesen Satz streichen. Dr. Diederichs: Ich möchte nur noch einmal auf eins hinweisen. Es gehört zu einem der Hauptargumente der deutschen Wählergesellschaft, daß sie von dem Postulat ausgehen: Das Volk will keine kleinen Parteien12). Wenn dieses Postulat richtig ist, wird das Volk die kleinen Parteien nicht wählen. Ich brauche also dann keine Sperre gegen kleine Parteien, wenn dieser Wille möglichst eindeutig ist. Ist er aber nicht eindeutig, gibt es also doch genügend Menschen, die diese oder jene kleine Partei wählen oder aus ganz bestimmter Einstellung aufrecht erhalten wollen, so dürfte man dem logischerweise kein Hindernis ent—
«J Siehe oben S. 64 f. 12) So etwa auch in der TOP lg). 652
9.
Sitzung des Wahlrechtsausschusses (siehe oben Dok.
—
Nr. 9,
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gegenbauen, sobald man dadurch die freie Entscheidung mäßig beeinflußt. Also wenn das Postulat richtig ist, daß
des Wählers zwangsdas Volk die kleinen Parteien nicht will, wird es sich von selbst so entscheiden. Wenn es sich in einem gewissen Umfang für kleine Parteien entscheidet, haben diese meines Erachtens auch einen Lebensanspruch. Ob sie ihn auf die Dauer aufrechterhalten können, hängt von so viel Faktoren ab. Es macht heute so viel Schwierigkeiten. Man braucht bloß die finanzielle Seite zu sehen. Darum braucht man meiner Ansicht nach Sondervorschriften hier nicht einzubauen. Eine Partei, die sich jahrelang auf einem so kleinen Niveau bewegt, daß sie nicht mehr lebensfähig ist, wird eines Tages sowieso irgendwo den Anschluß suchen, um sich in einer anderen Form politisch auswirken zu können. Hat sie aber ein stetiges Wachstum und kommt in die Dinge hinein, so ist nicht einzusehen, weshalb man ihr durch Benachteiligungsformeln irgendwelcher Art im Wahlrecht diese Entwicklung systematisch erschweren sollte. Ich bin also mit Herrn Becker der Ansicht, daß man Sperrvorschriften dieser Art vor allen Dingen in ein vorläufiges Bundesgesetz nicht hineinnehmen sollte, vor allen Dingen aber nicht in das erste Wahlgesetz, das speziell nur zur Auswahl des ersten Bundestages bestimmt ist. Ich bin der Ansicht, man braucht diese Frage deshalb nicht weiter zu erörtern, weil nach meinem Dafürhalten Einmütigkeit darüber besteht. In der vorigen Sitzung ist ja auch von Herrn Kaufmann erklärt worden, daß auch die CDU auf Sperrklauseln keinen Wert lege13). Also ist die Frage an sich für das, was wir hier speziell im Wahlrechtsausschuß zu tun haben, im Augenblick nicht akut. Dr. Fecht: Für meine Person möchte ich sagen, daß ich mich der Auffassung der drei Herren Vorredner anschließe. Ich glaube, es ist nicht notwendig, daß wir jetzt in diesem doch nur vorläufigen Wahlgesetz schon diese schwerwiegende Frage entscheiden, sondern wir können ja ruhig abwarten, wie sich die Wählerschaft dann bei dieser ersten Wahl entscheidet, ob die kleinen Parteien, die sonst ausgeschlossen werden, überhaupt Aussicht haben, ihre Kandidaten durchzubringen. Wenn wir damit eine Einigkeit hier erzielen können, so werde ich jedenfalls nicht zurückscheuen, mich auf denselben Standpunkt zu stellen, den der Herr Kollege Löbe zuerst vertreten hat und der von Herrn Becker und Herrn Dr. Diederichs unterstrichen worden ist. Frau Wessel: Ich komme hierbei noch einmal auf den grundsätzlichen Standpunkt zurück. Ich bin der Auffassung, in einer Demokratie, um die es uns wirklich geht, muß man auch die Möglichkeit schaffen, echte politische Parteien nach oben kommen zu lassen. Ich erinnere daran, daß jede Partei doch einmal klein anfangen muß, daß Herr Bebel jahrelang allein im Reichstag gesessen hat14). Da kann man doch nicht mit solchen Sperrklauseln irgendwie das Hochkommen von echten politischen Bewegungen von vornherein verbauen. Dagegen wehrt sich einfach mein demokratisches Empfinden. Wenn wir diesen Bund mit solchen Sperrklauseln aufbauen wollen, dann fangen wir völlig falsch
13) Siehe oben Dok. Nr. 22, Anm. 25. 14) Siehe oben Dok. Nr. 6, Anm. 40. 653
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Wenn wir vom Volk sprechen, so würde ich dabei nicht die Wählergesellschaft meinen, die für mich gar nicht maßgebend wäre. Aber ich möchte sagen, im Volk entsteht der Eindruck, namentlich bei der Einstellung, die das Volk zu den Parteien hat, es werde hier ein Parteimonopol errichtet. Von dieser psychologischen Schau aus müssen wir die Dinge sehen. Keiner will im Grunde die Sperrklausel einführen. Dann weiß ich auch nicht, warum sie überhaupt erwähnt wird, zumal sie im Gegensatz zu Art. 18 steht. Lobe: Unter voller Aufrechterhaltung meiner Bemerkung von vorhin möchte ich meine verehrte Vorrednerin doch darauf aufmerksam machen, daß die Gedanken mit der Sperrklausel eine andere Ursache haben, die sie so populär werden ließ. Wir hatten doch nach und nach Stimmzettel bekommen, die im schlimmsten Fall 38 verschiedene Wahlvorschläge enthielten. Zwar sind auch in dem zersplittertsten Reichstag nur 11 bis 12 davon zum Zuge gekommen. Aber immerhin blieben dann noch 26 Abenteurer übrig, die sozusagen aus den Mitteln der Allgemeinheit sich eine politische Bedeutung verschafften. Im alten Wahlrecht des Kaiserreiches mußte jede Partei für alles aufkommen, was sie zur Errichtung eines Mandates nötig hatte. Da war das Notwendigste der Druck und die Verteilung von Stimmzetteln. Wer das von diesen Parteien nicht konnte, konnte sich überhaupt nicht im Wettbewerb begeben, und das war natürlich in den damaligen Wahlkreisen, obwohl es Einzelwahlkreise waren, ein sehr schwer zu erfüllendes Faktum. Man mußte mindestens wohl 50 000 bis 100 000 Stimmzettel drucken lassen, mußte also das Geld dafür haben. Man mußte die Organisation oder das Geld haben, um diese Stimmzettel allen Wählern, sei es vorher oder am Wahllokal, zu geben. Da kam man auf den Gedanken: Wie kommt eigentlich die Allgemeinheit dazu, dafür aufzukommen, wenn der Herr Häußer oder irgendein Barfußläufer und Schmetterlingsfänger sich plötzlich auf das Gebiet der Politik begab und nun auf Kosten der Allgemeinheit sich Stimmzettel usw. drucken ließ, weil das veränderte Wahlverfahren ja den amtlichen Stimmzettel brachte? Es war also das ein Gedankengang, der sich erklären läßt. Ich glaube aber, im gegenwärtigen Augenblick und besonders für die bevorstehende Wahl besteht eine solche Gefahr gar nicht. In diesen drei Monaten wird sich ein solcher Haufen neuer Parteien nicht bilden. Deshalb, und weil die anderen Einwände, die hier vorgebracht worden sind, absolut vollgültig sind, glaube ich, man sollte auf die Sperrklausel für die erste Wahl verzichten und erst abwarten, ob überhaupt sich eine Notwendigkeit zur Begrenzung einmal wieder ergibt. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich darauf aufmerksam machen, es handelt sich nicht um die Frage, ob diese Sperrklausel in das hier zu beschließende Wahlgesetz hineinkommt, sondern wir sollen entscheiden, ob Art. 18 des Grundgesetzes mit dem Art. 45 des Grundgesetzes in einem Widerspruch steht und was dann zu weichen hat. Darauf hatte ich mich beschränkt. Ich bitte vielleicht den Herrn Kollegen Schräge, das Wort zu nehmen. Schräge: Meine Damen und Herren! Ich halte es nicht für zweckmäßig, noch einmal die grundsätzlichen Erwägungen anzustellen, die uns seit Monaten beschäftigen. Es wird Ihnen bekannt sein, daß die CDU in weitaus größter Mehrzahl auf dem Gedanken des Mehrheitswahlrechts steht und auch stehen bleian.
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ben wird, auch dann, wenn es heute nicht verwirklicht wird15). Nun wollen wir aber offenbar hier zu einer Einigung kommen. In diesem Bestreben, zu einer Einigung zu kommen, hat der Herr Kollege Kaufmann in der letzten Sitzung auch seine Erklärung abgegeben16). Wir werden da keine Schwierigkeiten machen. Herr Dr. Fecht hat heute morgen dasselbe gesagt. Daraus dürfte hervorgehen, daß wir uns bereiterklären, für den jetzigen Fall den Art. 18 fallen zu lassen, um den Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Ich bitte dann aber, dadas würde nur Zeit in Anspruch nehmen —, noch einmal in von abzusehen grundsätzliche Erwägungen darüber einzutreten, was richtig ist, Mehrheitswahl oder Verhältniswahl. Lobe: Dafür sind wir aber nicht das Forum, solche Gutachten abzugeben. Vors. [Dr. Becker]: Wir sollten es aber. Ich habe mit Herrn Schmid17) persönlich gesprochen und gesagt, daß es Schwierigkeiten bereiten würde. Aber der Beschluß liegt vor; wir müssen ihn ausführen. Ich würde vorschlagen, wir bringen es jetzt mit ein paar Sätzen zu Papier. Das ist dann die Auffassung des Ausschusses. Dr. Diederichs: Ich glaube, Herr Schräge hat sich in einem versprochen. Ich glaube, Sie wollten dann Art. 45 Abs. 3 fallenlassen und nicht Art. 18. —
(Schräge: Ja!) Vors. [Dr. Becker]: Der Wahlrechtsausschuß hat sich in seiner
Sitzung vom 1. Februar mit der ihm vom Hauptausschuß zugewiesenen Frage beschäftigt, ob Art. 18, insbesondere Art. 18 Abs. 2 des Grundgesetzes, mit Art. 45 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes zu vereinbaren ist. Der Wahlrechtsausschuß hat erwogen, daß Art. 18 Abs. 2 wohl in erster Linie den Zweck verfolgt, die Schaffung einer Einheitspartei zu verhindern. Er ist ferner der Auffassung, daß gewisse indirekte Beschränkungen der Wahlfreiheit, die sich bei dem Mehrheitswahlrecht z. B. aus der Abgrenzung der Wahlbezirke, bei jeder Wahl aus der sogenannten Wahlchance ergeben, nicht zu beseitigen sind und mit Art. 18 auch nicht in Widerspruch stehen. Er hält aber dafür, daß die sogenannte vis suggestiva, wie sie im Art. 45 Abs. 3 Satz 2 zum Ausdruck kommt, doch geeignet ist, die Wahlfreiheit zu beschränken, weil diese Be-
15) Zur fraktionsinternen Wahlrechtsdiskussion der CDU/CSU siehe auch oben Dok. Nr. 22, Anm. 56. Die Wahlrechtspolitik der CDU/CSU wurde nun zunehmend von taktischen Maßgaben bestimmt. In ihrer Sitzung vom 2. Feb. 1949 beschloß die Fraktion zwar weiterhin konstruktiv im Wahlrechtsausschuß mitzuarbeiten, grundsätzlich aber bei dem Antrag zum Mehrheitswahlrecht zu bleiben (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 373). Der Grund für dieses scheinbar widersprüchliche Vorgehen lag in der Überzeuangesichts der Befürwortung des Mehrheitswahlrechts durch die gung, daß sich Mehrheit der Bevölkerung das kontinuierliche Eintreten der CDU/CSU für das von der SPD bekämpfte Wahlsystem in dem anstehenden ersten Bundestagswahlkampf propagandistisch ausnutzen ließ (Salzmann, die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 403). In diesem Sinne wurden auch zahlreiche Flugblätter für den Wahlkampf 1949 gestaltet (ACDP-Materialien Dörpinghaus, 1-009-012/7; vgl. allgemein: Udo Wengst, Die CDU/CSU im Bun—
—
destagswahlkampf 1949).
16) Siehe oben Dok. Nr. 22 TOP 1. 17) Gemeint ist Carlo Schmid, der Vorsitzende des Hauptausschusses. 655
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Stimmung das Größerwerden kleinerer Parteien verhindern kann und damit den Parteien, die über eine gewisse Größe hinausgewachsen sind, eine Art Monopolstellung einräumt. Da außerdem die Bestimmung des Art. 45 Abs. 3
und ermöglicht, den Zustrom zu kleinen Parteidieser Zweckbestimmung das Eingeständnis eines Verstoßes gegen Art. 18 Abs. 2. Der Wahlrechtsausschuß empfiehlt deshalb die Streichung des Art. 45 Abs. 3 Satz 2 und gibt dabei der Überzeugung Ausdruck, daß, wenn das deutsche Volk den Bestand kleinerer Parteien nicht will, sich dies bei den Wahlen ohnehin zeigen wird. Schräge: Herr Vorsitzender, ich möchte nur zur Erwägung anheimgeben, ob Sie nicht die Bezeichnung „Monopolstellung" wegnehmen und etwa sagen „besondere Vorteile". Lobe: Oder „besondere Vorrechte einräumt". Vors. [Dr. Becker]: Vielleicht sagen wir „Vorzugstellung". Satz 2 diese en
Folge bezweckt so liegt in
abzudämmen,
(Zustimmung.)
Das würden wir dann dem
Hauptausschuß zuleiten18).
Sind wir dann einver-
standen?
(Zustimmung.) [2. WAHLPFLICHT]
Tagesordnung, die wir uns aufgestellt hatten, kämen wir nun an die Besprechung des Entwurfs von Herrn Kaufmann, den ich aufgesetzt habe19). Vielleicht ist es praktisch, daß wir das für die Nachmittagssitzung zurückstellen20) und jetzt die Frage der Wahlpflicht erörtern, sodann die Frage des passiven Wahlrechts der Beamten. Denn dazu müssen wir in irgendeiner Form Stellung nehmen und dann die Dinge an den Hauptausschuß bringen. Zur Wahlpflicht war von dem Herrn Kollegen Kaufmann gesagt worden, daß sich nach dem Beispiel von Belgien die Wahlpflicht aus den verschiedensten Gründen empfehle. Er hatte noch in Aussicht genommen, festzustellen, ob die Zahl der ungültigen Stimmen in Belgien groß sei oder nicht21). Ich nehme an, daß bis jetzt diese Feststellung noch nicht hat getroffen werden können. Darf ich fragen, ob sonst zu dieser Frage noch jemand das Wort wünscht? Nach der
18) Der Beschluß wurde als Anlage dem Kurzprotokoll der 21. Sitzung (Drucks. Nr. 605) beigefügt. Zum Fortgang siehe 48. Hauptausschußsitzung vom 9. Feb. 1949 (Verhandlungen
Hauptausschusses, S. 629). Die Streichung des betreffenden Satzes wurde mit elf gegen zehn Stimmen angenommen, nachdem sich insbesondere Katz (SPD) gegen das Gutachten des Wahlrechtsausschusses mit der Begründung ausgesprochen hatte, daß ein solches Gesetz den „künftigen Bundestag präjudizieren [würde], daß derartige Klauseln in Zukunft auf keinen Fall aufgenommen werden dürfen" (S. 629). Drucks. Nr. 369 (siehe oben Dok. Nr. 20). Vgl. unten TOP 5. Siehe oben Dok. Nr. 22, TOP 5. des
19) 20) 21) 656
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Ich weiß nicht, wie weit die Frage erörtert worden ist. Das ist ja für so Neues, daß man in 24 Stunden und auch in 3 mal 24 Stunden dazu nicht ja und nicht nein sagen kann. Man kann vieles für den Gedanken anführen. Man soll die Menschen politisch dadurch erziehen, daß sie durch einen gewissen Druck an die Wahlurne gebracht werden. Damit soll langsam das Interesse für die Politik wachsen. Aber es geht uns doch auch so: In dem Augenblick, wo ich das erstemal das Wort Wahlpflicht hörte, ging mir ein kleiner Schauer über den Rücken. Da habe ich gedacht: schon wieder einmal ein Zwang, das ist uns also jetzt noch nicht ganz aus den Knochen heraus, was alles hinter uns liegt. Deshalb halte ich im gegenwärtigen Zeitabschnitt, insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen, die Frage noch nicht für so reif, daß man sie jetzt entscheiden könnte. Das ist meine persönliche Auffassung. In unserer Fraktion ist der Gedanke aufgeworfen worden; aber eine Stellung haben wir auch nicht genommen22). Ich persönlich könnte mich noch nicht dafür entscheiden. Lobe: Ich muß auch sagen, es ist doch die Wahl zwischen zwei Prinzipien: Wollen wir auf dem Wege des Zwanges die Wähler an die Urne bringen, oder wollen wir es weiter auf dem Wege der Überredung und der Überzeugung versuchen? Ich weiß nicht, ob wir sehr viel Lorbeeren ernten, wenn wir uns so plötzlich auf den Weg des Zwanges begeben. Einer unserer ältesten bayerischen Abgeordneten sagte: Na, das sollen sie mal machen, die bayerischen Bauern mit Gewalt an die Urne bringen, weil sie sonst Strafe bezahlen müssen, die werden dann sicher keine staatserhaltenden Menschen abgeben, die sind so wütend darüber, daß in ihre persönliche Freiheit eingegriffen wird, daß man dadurch das Ziel, die Öffentlichkeit stärker an den Interessen der Allgemeinheit zu interessieren, bestimmt nicht erreicht. Es gibt also Argumente dafür und dagegen. Ich glaube kaum, daß wir uns in diesem Augenblick und für diese Wahl schon zu einer in Deutschland so ungewohnten Form entschließen sollen23). Frau Wessel: Ich teile diese Bedenken von Herrn Löbe auch, ohne damit von vornherein ein abschließendes Urteil abzugeben. Ich befürchte, wenn wir die Wahlpflicht einführen, so werden dadurch nicht die staatserhaltenden Parteien entsprechenden Zuwachs bekommen, sondern die Wirkung wird sich auf die
Schräge:
uns
etwas
22) Die Frage der Wahlpflicht war in der CDU/CSU-Fraktion erstmals von Adenauer am 18. Jan. 1949 aufgeworfen und von der Fraktion „einmütig" begrüßt worden (Salzmann,
Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 347). In der Folge vertrat vor allem Kaufmann die Wahlpflicht engagiert. Im Anschluß an die letzte Wahlrechtsausschußsitzung war von der Presse sogar die Meldung kolportiert worden, daß seitens der CSU [!] „in das zukünftige Wahlgesetz eine Bestimmung aufgenommen wird, die einem Wahlzwang gleichkäme, d. h., sie will Nicht-Beteiligung an der Wahl als eine Verletzung der Staatsbürgerpflichten unter Geldstrafe gestellt sehen" (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 18. Jan. 1949, BA Z 12/120, Bl. 116; vgl. Die Welt vom 20. Jan. 1949; Schwarzwälder Post vom 21. Jan. 1949). Ein entsprechender offizieller Antrag wurde jedoch zu keiner Zeit gestellt. Die CDU/CSU-Fraktion ließ vielmehr die Idee des Wahlzwangs in ihrer Sitzung am 16. Feb. 1949 förmlich fallen (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 403). 23) Der SPD-Parteivorstand hatte sich auf seiner Sitzung in Springe am 28. Mai 1948 ebenfalls ablehnend zur Wahlpflicht geäußert (FESt NL Carlo Schmid/Bd 1504). 657
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radikalen Parteien erstrecken, die rechts oder links sich bilden oder bestehen. Das eigentliche Ziel, das damit erreicht werden soll, wird vollkommen verfehlt. Die Menschen, die nicht zur Wahl gehen, sind entweder gleichgültig und geben dann aus irgendeiner augenblicklichen Stimmung heraus einer Partei ihre Stimme, oder sie wollen bewußt nicht hingehen. Dann wehre ich mich aber gegen einen solchen Zwang; dann muß man eben ihnen ihre Freiheit lassen. Wenn wir es nicht fertigbringen, auf Grund unserer Parteien es dem Menschen nahezubringen, welche Verpflichtung er dem Staat gegenüber hat, dann bin ich der Meinung, daß man es auf dem Wege der Pflicht auch nicht erreicht. Dr. Diederichs: Ich bin grundsätzlich gegen den Wahlzwang, weil ich ihn mit einem Wahlrecht überhaupt ideenmäßig nicht für verbindbar halte. Er löst dazu ein zweites Problem aus. Wenn wir in der Wahl einen Wahlzwang mit Strafbestimmungen einführen, wie ist es dann mit der Stimmenthaltung des Abgeordneten? Kann ein Abgeordneter überhaupt noch Stimmenthaltung in einem Parlament üben, wenn der Wähler zur Abstimmung gezwungen wird? Walter: Der kann sich auch der Stimme enthalten und kann einen weißen Zettel abgeben. Dr. Finck: Der Wähler kann sich auch enthalten. Dr. Diederichs: Der Wähler kann einen ungültigen Stimmzettel, einen nicht angekreuzten Stimmzettel usw. abgeben. Er kann es aber praktisch nur dadurch, daß er zwangsweise hingehen und ankreuzen muß. Die Wahlenthaltung durch Nichthingehen ist aber auch eine Wahl, die er in gewisser Weise trifft. Ich glaube also, dieses Problem ist nicht ganz einfach. Ich bin persönlich grundsätzlich dagegen. Es ist sicher nicht einfach, und es ist meiner Ansicht nach nicht das Gegebene, diese Frage bei dem ersten Wahlrecht aufs Tapet zu bringen. Ich glaube, wir könnten die Frage ruhig auf spätere Zeiten zurückstellen. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe mich auch noch zum Wort gemeldet. Wir müssen unterscheiden: Weshalb bleiben die Leute von der Wahl weg? Die einen, weil sie tatsächlich völlig uninteressiert sind, die anderen, weil sie an dem Tage irgend etwas anderes vorhaben, und die Dritten unter Umständen, weil sie sagen: das ganze Parteigetriebe ist mir zuwider, ich will von all dem nichts sehen und hören. Es fehlt bei uns noch vielfach die Erkenntis, daß, wenn Demokratie Selbstregierung bedeutet, dann auch jeder die verdammte Pflicht hat, mitzumachen. Aus dieser Erwägung, diese Leute an ihre Pflicht nachdrücklichst zu erinnern, erwächst wohl der Gedanke der Wahlpflicht. Er wird sich bei denen, in denen noch ein Funke von Pflichtgefühl da ist, vielleicht segensreich auswirken, insbesondere dann, wenn diese Wahlpflicht schon etwa eine halbe Generation lang bestanden hat, so daß also der gesetzliche Druck als solcher nicht mehr in Erscheinung tritt, sondern aus dem gesetzlichen Druck eine Gewohnheit geworden ist. Das spricht dafür. Aber bei all den anderen, denen der Parteienkampf zuwider ist oder die sich grundsätzlich mit den Dingen nicht beschäftigen wollen, führt es in der Tat dazu, daß die Leute das als einen Eingriff in ihre Freiheit ansehen und daß sie sich nun sagen werden: Entweder gebe ich Juxstimmen ab, also mit den üblichen Versen auf den Wahlzetteln, oder ich wähle radikal. Die Gefahr besteht.
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Was tun? Wir haben eben über die Wahlfreiheit nach Art. 18 debattiert. Nach meiner Auffassung gehört zum Begriff der Wahlfreiheit auch die Entscheidung darüber, ob ich überhaupt wählen will oder nicht. Wenn drei oder vier Kandidaten dastehen, von denen mir keiner gefällt, so müßte ich dieses Mir-nichtGefallen dadurch zum Ausdruck bringen, daß ich hingehe, um einen weißen Zettel abzugeben. Warum soll ich da nicht auch zu Hause bleiben? Ich möchte Ihnen einmal unsere Akten sehr zum Studium empfehlen, wenn Sie einmal herzlich lachen wollen. Da ist vor ein paar Tagen ein Vorschlag von einem Herrn eingegangen, man solle es beim Wahlrecht nach der Zahl der abgegebenen Stimmen so abstufen, daß das jeweilige Parlament sich nach der Zahl dieser Stimmen zusammensetzt, man solle aber im Parlament so viele Sitze einrichten, wie überhaupt Abgeordnete gewählt werden könnten, und solle dann einen Sektor für die Partei der Nichtwähler unbesetzt lassen24). Der Mann rechnet also nicht mit einer Wahlpflicht, sondern will eine Suggestivwirkung dadurch erzielen, daß er im Parlament einen großen Sektor frei läßt und sagt: Wenn alle gewählt hätten, wären diese Plätze auch noch voll. Beiläufig bemerkt: Lesen Sie einmal die Akten; sie sind wirklich eine Fundgrube für Witze. Neulich hat einer geschrieben, die Leute zwischen 18 und 21 Jahren sollten jeder eine halbe Stimme haben25). Da müßte man erst die politischen siamesischen Zwillinge erfinden; sonst paßt es mit dem Wahlgeheimnis nicht. Aber um auf diese Sache zurückzukommen: Ich glaube, wegen des Art. 18 können wir es nicht. Und noch eins: Wir wollen den Eindruck vermeiden, als wenn die Demokratie so altersschwach wäre, daß sie Stützen brauchte, nämlich gesetzliche Stützen, wie auch die Wahlpflicht eine ist, um sich zu halten. Alles, was nach einem solchen Zwang des Staates aussieht, schädigt die wirklich innere Anteilnahme der Menschen an den demokratischen Einrichtungen. Deshalb möchte ich mich eigentlich dagegen aussprechen. Dr. Finck: Im Grunde genommen möchte ich mich dem auch anschließen. Die Frage der Wahlpflicht ist etwas, worüber man schon reden kann. Aber erstens halte ich es für diese Situation, in der wir heute sind, nicht für richtig, und dann müßte man eigentlich eher sagen „Wahlzwang". Denn die moralische und demokratische Wahlpflicht besteht ja eigentlich an sich. Dies wäre mehr ein Wahlzwang. Der alte Solon hat diese Wahlpflicht schon einmal in Athen eingeführt gehabt. Er hat seinerzeit für wichtige Entscheidungen den Entscheidungszwang eingeführt26). Aber wir brauchen ja schließlich nicht zu dem alten Athen zurückzukehren. Ich bin auch der Auffassung, wir können es hier gar nicht diskutieren; es ist zur Diskussion nicht reif. Deshalb sollten wir es zurückstellen. Das soll der Bundestag dann machen. Dann darf ich wohl als Vors. [Dr. Becker]: Wird das Wort noch gewünscht? unseren
Beschluß
protokollieren
lassen:
—
24) Dok. Nr. 2, Anm. 121. 25) Siehe auch Beckers Ausführungen vor dem Plenum am 24. Feb. 1949 (Stenographische Berichte, S. 126). 26) Solon (ca. 640—560 v. Chr.), der erste wirklich greifbare und zugleich der bedeutendste Staatsmann von Athen, schuf ein umfassendes Gesetzeswerk. 659
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Der Wahlrechtsausschuß spricht sich gegen die Wahlpflicht aus und überläßt die entgültige Entscheidung dem späteren Bundestag. Für das jetzt zur Beratung stehende Wahlgesetz soll von einer Wahlpflicht Abstand genommen werden. Dr. Finck: Also nicht grundsätzlich zur Wahlpflicht, sondern nur für den Augen-
blick. Walter: Ich möchte mich der Stimme enthalten. Dr. Fecht: Ich wollte mich auch der Stimme enthalten. und Dr. Diederichs: Zwei Herren enthalten sich. Herr Dr. Finck hat gesagt : nur vorläufig. Ich habe eindeutig zum Ausdruck das ist auch protokolliert gebracht, daß ich grundsätzlich dagegen bin. Es ist dann doch immerhin ver—
—
schiedenartig. Vors. [Dr. Becker]: Dann darf ich bitten, daß wir folgendermaßen abstimmen. Erstens: Wer ist grundsätzlich dafür oder dagegen? Wer grundsätzlich für Wahlpflicht ist, ganz gleich ob jetzt oder später, den bitte ich, die Hand zu erheben. Dr. Finck: Herr Vorsitzender, ich möchte mich bei dieser Entscheidung der Stimme enthalten. Eine StimVors. [Dr. Becker]: Wer ist also grundsätzlich für die Wahlpflicht? me dafür. Dann bitte ich um die Gegenprobe: grundsätzlich dagegen. Drei Stimmen grundsätzlich dagegen. Lobe: Ich habe kein Stimmrecht; ich bin Berliner. Vors. [Dr. Becker]: Doch, im Ausschuß haben Sie Stimmrecht27). Also: Einer grundsätzlich dafür, vier grundsätzlich dagegen, drei Herren haben sich enthal—
—
—
ten.
Jetzt dreht
es sich um die Frage, ob bei dem jetzt zu schaffenden Wahlgesetz Wahlpflicht eingeführt werden soll. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand Niemand. Wer ist dagegen? Sechs dagegen. Und zwei zu erheben. Enthaltungen. Damit ist das Grundsätzliche und das Momentane wohl richtig protokolliert28).
die
—
—
—
[3. BEAMTENWAHLRECHT] Dann haben wir noch die
Frage des passiven Wahlrechts der Beamten. Sie wisdaß die sen, Militärregierungen jetzt vom Wirtschaftsrat in Frankfurt am Main daß ein Beamtengesetz geschaffen wird29). Sie wissen ferner aus den verlangen, ist unklar, auf welcher Grundlage Beckers Ansicht, die Berliner Abgeordneten seien im Ausschuß stimmberechtigt, beruht. Zur Stellung der Berliner Abgeordneten siehe Der Pari. Rat Bd. 3, S. 1, Anm. 3. Das Ergebnis der Abstimmung wurde als Anlage dem Kurzprotokoll der 21. Sitzung (Drucks. Nr. 605) beigefügt. BICO hatte dem Wirtschaftsrat zu dieser Frage am 2. Dez. 1948 ein entsprechendes Memorandum übersandt (BA Z 13/257). Am 15. Dez. 1948 kam es auch zu einer diesbezüglichen Unterredung Robertsons mit dem Präsidenten des Wirtschaftsrates, Erich Köhler
27) Es 28) 29)
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Zuschriften, die uns wohl im November zugegangen sind, daß die Besatzungsmächte nicht wünschen, daß Beamte, wenn sie gewählt sind, für die Wahldauer weiter in ihrem Amt bleiben30). So ist es formuliert worden. Es ist also nicht ein positives Verbot des passiven Wahlrechts der Beamten formuliert, sondern es ist gesagt worden, sie können gewählt werden, aber wenn sie gewählt sind,
müssen sie für die Dauer der Wahlperiode ihr Amt niederlegen. Dr. Diederichs: Beurlaubt ohne Einkommen. Vors. [Dr. Becker]: Das ist die große Frage. Wir müssen jetzt diskutieren, wie das gemeint ist. Dr. Diederichs: Die englische Militärregierung hat ursprünglich in der Frage des passiven Wahlrechts der Beamten einen sehr starren Standpunkt eingenommen. Wir haben in Niedersachsen in mehrfachen Beamtengesetzen gegen diese These der grundsätzlichen Ausschaltung der Beamten von der Teilnahme an den Parlamenten sehr stark gekämpft. Wir haben im vorigen Herbst, als wir das Gesetz verlängern mußten, das nur bis zum 31. Dezember 1947 reichte31), einen Passus, der das passive Wahlrecht der Beamten stark beschränkte und sie vollkommen von der öffentlichen politischen Betätigung ausschloß, im Landtag mit
(CDU). Die grundlegende Reform des deutschen Beamtenwesens war sei geraumer Zeit den Alliierten angemahnt worden. Das Übergangsgesetz vom 23. Juni 1948 hatten die Alliierten nur mit der Auflage genehmigt, daß „in Kürze" eine endgültige Regelung
von
gefunden wird (vgl. Udo Wengst: Beamtentum zwischen Reform und Tradition. Beamtengesetzgebung in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1948-1953, Düsseldorf 1988 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bd. 84, S. 31 f.)). Nach einer Meldung der Deutschen Nachrichten-Agentur (DENA) vom 21. Jan. 1949 forderten die Alliierten vom Wirtschaftsrat die Durchführung der
Beamtenreform binnen 30 Tagen. Andernfalls, so führte die amerikanische Neue Zeiam 1. Feb. 1949 aus, müsse die Militärregierung selbst ein Gesetz erlassen. Hierzu und zu den Beratungen des Beamtengesetzes im Wirtschaftsrat siehe auch Dieter Johannes Blum: Das passive Wahlrecht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Deutschland nach 1945 im Widerstreit britisch-amerikanischer und deutscher Vorstellungen und Interessen. Ein alliierter Versuch zur Reform des deutschen Beamtenwesens, Göppingen 1972 (= Göppinger Akademische Beiträge Nr. 46, S. 295 f.). Zu den Verhandlungen der bizonalen Vertreter mit den Militärgouverneuren siehe auch: Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 13, Unterredung vom 15. Feb. 1949, TOP 9, S. 233 und Anm. 64 sowie vom 23. Feb. 1949, Dok. Nr. 16, S. 246 ff. Auch auf der Besprechung vom 17. Dez. 1948 mit einer Delegation des Pari. Rates hatten die drei Militärgouverneure die Wählbarkeit von Beamten in den Bundestag ausschlössen (BKA 09.05/1; vgl. CDU/CSU-Fraktionssitzung vom 17. Dez. 1948, 23 Uhr, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 297). 30) In ihrem Memorandum vom 22. Nov. 1948 (Drucks. Nr. 516) forderten die Militärgouverneure u. a., „daß ein öffentlicher Bediensteter, sollte er in die Bundeslegislative gewählt werden, vor Annahme der Wahl von seinem Amt bei der ihn beschäftigenden Behörde zurücktritt". Zur Behandlung der Wählbarkeitsfrage durch den Organisations-, Redaktions- und Hauptausschuß vgl. auch Blum, Das passive Wahlrecht, S. 312—315 und 320 ff. und Wengst, Beamtentum, S. 45 f und 49—58. Die restriktive Haltung der Alliierten in dieser Frage schlug sich schließlich im Gesetz Nr. 20 der Militärregierung vom 2. Juni 1949 nieder, daß die politische Betätigung der Beamten noch stärker einschränkte (WIGB1.1949, Beilage Nr. 3), als dies vom Pari. Rat in § 5 Abs. 2 des Wahlgesetzes vorgesehen worden war (Blum, Das passive Wahlrecht, S. 342). 31) GVOB1. Niedersachsen 1947, Nr. 9, S. 67.
tung
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Mehrheit gestrichen32), mit dem Erfolg, daß das Gesetz von der Militärregierung nicht bestätigt ist und daß wir in Niedersachsen heute ein legales Beamtengenicht haben. Das Gesetz ist nicht wenn auch nur vorläufig setz dieser Art die hat es gültig geworden; gestrichen, und wir können in NieMilitärregierung dersachsen noch keine Beamten wählen. Frau Wessel: In Nordrhein-Westfalen ist die gleiche Situation. Wir können es auch nicht. Dr. Diederichs: Wir haben bei den neuen Wahlen in den Kommunen33) eine Bestimmung in das Wahlrecht für Niedersachsen aufgenommen, die besagt, daß Beamte nicht in ihrem eigenen Amtsbereich gewählt werden können und daß sie nicht in Gemeinden gewählt werden können, in deren Aufsichtsbehörden sie tätig sind, daß also z. B. ein Kreisdirektor, der an der Kreisaufsicht über die Gemeinden teilzunehmen hat, in einer Gemeinde nicht im Gemeinderat sitzen kann, zu deren Aufsichtsbehörde er selber gehört34). Insofern ist da eine Einschränkung. Aber z. B. ein Beamter, der beim Katasteramt in seiner Gemeinde tätig ist, in der er ansässig ist, oder ein Lehrer, der an der Schule tätig ist, der also mit Aufsicht dabei gar nichts zu tun hat, kann heute in den Gemeinderat gewählt werden. Das ist auch von der englischen Militärregierung sanktioniert worden. In der Beziehung ist also eine kleine Lockerung eingetreten. Im übrigen hat sich aber die amerikanische Militärregierung nach den neuesten Erfahrungen bis zu einem gewissen Grade dem englischen Standpunkt angepaßt. Sie ist zu einer stärkeren Trennung zwischen Exekutive und Legislative herumgeschwenkt, während sie früher viel großzügiger war. Ich erinnere mich z. B., daß im hessischen Landtage ein Ministerialdirektor des Wirtschaftsministeriums gleichzeitig Fraktionsführer unserer Landtagsfraktion gewesen ist35). Ich glaube, das würden die Amerikaner heute praktisch nicht mehr zugeben. Daraus sind auch Differenzen im Laufe der Zeit entstanden. Aber die Frage erscheint mir etwas schwierig. Frau Wessel: Ich glaube, dieser Ausschuß müßte eine grundsätzliche Stellung dazu einnehmen, ganz unabhängig davon, wie eine Militärregierung die Sache ansieht. Grundsätzlich bin ich der Auffassung, daß man die Beamten als solche vom passiven Wahlrecht nicht ausschließen sollte. Es ist vor 1933 doch so gewesen, daß die Parlamente gerade durch die Kenntnisse der Beamten eine gute Bereicherung gehabt haben. Das wird ja Herr Löbe wissen. Wenn wir schon sagen: Alle Bürger sind vor dem Gesetze gleich, dann kann man meiner Meinung nach, von dieser grundsätzlichen Haltung aus gesehen, die Beamten vom passiven Wahlrecht nicht ausschließen. Das müßte die Einstellung von unserer Seite aus sein. Wenn wir daran durch Bestimmungen der Militärregierung be—
—
;) Niedersächsischer Landtag, I.Wahlperiode, IX. Tagungsabschnitt, 23. Sitzung vom 12. Dez. 1947 „Gesetz zur Änderung des vorläufigen Gesetzes über die Rechtsstellung der Beamten", S. 1176 ff. ') Die niedersächsischen Gemeindewahlen fanden am 28. Nov. 1948 statt. ') § 8 Abs. 1 Niedersächsisches Gemeindewahlgesetz vom 4. Okt. 1948 (GVOB1. S. 90).
') Gemeint ist Albert Wagner (22. Nov. 1885-19. Jan. 1974), der von 1947 bis 1949 Vorsitzender der SPD-Fraktion im hessischen Landtag und 1947 zugleich Leiter der Personalabteilung im Hessischen Wirtschaftsministerium war.
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hindert werden, dann ist das deren Sache. Aber wir von uns aus sollten doch den Grundsatz aufrecht erhalten. Wenn jeder Deutsche vor dem Gesetze gleich ist, kann man den Beamten das passive Wahlrecht nicht vorenthalten. Walter: Ich möchte mir in der Frage eine Zurückhaltung auferlegen, weil ich selbst betroffen bin36). Vors. [Dr. Becker]: Aber könnten Sie die Erfahrungen aus Württemberg schildern? Walter: Gerade das will ich Ihnen schildern. Wir haben in Württemberg an sich keine Beschränkungen gehabt. Dann ist die Verfassung am 28. November 1946, wenn ich mich nicht täusche, verkündet worden37). Drei Tage vorher befahl die Militärregierung, ein Beamtengesetz zu erlassen. Der Befehl ging damals an die von ihr gebildete württembergische Regierung. In diesem Beamtengesetz ist die passive Wählbarkeit bis zum 31. Dezember 1948 begrenzt38). Dieser Termin ist vorbei, und nun sind schon das ganze Jahr hindurch von allen vier Parteien im württembergischen Landtag Anträge gestellt worden39), diese Frist noch einmal zu verlängern, bis in Bonn die Entscheidung gefallen ist. Ich war auch bei Besprechungen mit der Militärregierung. Der Vertreter der amerikanischen Militärregierung verlangte, daß keine Beamten mehr in den Landtag gewählt werden können. Die württembergische Regierung hat damals nachgegeben, im Gegensatz zur bayerischen Regierung. Das gleiche Ansinnen wurde seinerzeit an die bayerische Staatsregierung gestellt. Die hat es abgelehnt, und die dortige Militärregierung hat sich damit abgefunden. Wie ich hörte, sind auch in Hessen ähnliche Wünsche geäußert worden. Wie weit das zutrifft, kann ich nicht sagen. Nun ist die Sache im November und Dezember des letzten Jahres im Landtag verhandelt worden40). Die Militärregierung hat erklärt, sie wolle keine Verlängerung. Der Landtag hat das Gesetz meines Wissens mit erdrückender Mehrheit beschlossen und es der Militärregierung zur Genehmigung vorgelegt41). Die Militärregierung hat keine Stellung genommen, und nun hat es die württembergische Regierung im Januar verkündet. Nun weiß ich nicht: Bin ich Abgeordneter des württembergischen Landtags oder nicht? Verlängert ist der Termin nicht;
36) Walter war Ministerialrat im württembergisch-badischen Justizministerium. 37) Die württembergisch-badische Verfassung war von der Landesversammlung am 24. Okt. 1946 beschlossen und
(Reg. Bl. 1946,
am
24. Nov. 1946 durch
Volksabstimmung
angenommen worden
S. 277.).
21 Abs. 2 des württembergisch-badischen Beamtengesetzes vom 19. Nov. 1946 (Reg. Bl. 1946, S. 249). 39) Der württembergisch-badische Landtag hatte erstmals am 7. Nov. 1947 die Regierung aufgefordert, möglichst bald eine Neufassung des Beamtengesetzes vorzulegen. Nacheinander brachten dann die CDU am 17. März 1948 (Verhandlungen des württembergisch-badischen Landtags, 69. Sitzung, S. 1605) zunächst alleine, dann zusammen mit der SPD (a. a. O., 96. Sitzung, S. 2343), sowie die FDP/DVP (ebenda) und schließlich die KPD am 25. Nov. 1948 Anträge ein. 40) Siehe hierzu auch ausführlich Blum, Das passive Wahlrecht, S. 255 ff. 41) In der Entschließung des Landtags hieß es am 25. Nov. 1948: „Der Landtag vertritt die Auffassung, daß die Beamten, Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes im Rahmen der Verfassung in ihrer politischen Betätigung frei sind" (Sten. Ber., S. 2359).
3B) §
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abgelaufen. Nun ist die Verkündung des neuen Gesetzes am 15. Januar erfolgt42}, und die Militärregierung hat bisher geschwiegen. Es weiß also kein Mensch recht, was Rechtens ist. Wir betrachten uns noch als Abgeordnete. Namentlich auch der Herr Präsident Keil43) steht auf diesem Standpunkt. Aber ob es tatsächlich auf die Dauer dabei bleibt, bis Bonn die Frage entschieden hat, und ob die Militärregierung gute Miene zum bösen Spiel macht, wisdas Gesetz ist
wir selber nicht. Rechtslage ist also bei uns etwas verworren. Aber auf jeden Fall glaube ich nicht, daß auf die Dauer alle Beamten wählbar sein können. Ich denke speziell, daß Leute in leitenden Stellungen in den Ministerien wohl aus dem Landtag ausscheiden müßten. Unser Landtag ist selber zu stark mit Beamten besetzt. Es trifft natürlich auch die Angestellten des Staates und der öffentlichen Körperschaften. Man hat einmal gezählt: Von 100 Abgeordneten sind über 35 Beamte. Es müßte also hier ein sehr großer Pairsschub44) stattfinden, wenn das Gesetz Wirklichkeit werden sollte. Ich will nicht das Lob der Beamten singen. Aber wenn ich daran denke, wer bei uns die Referenten bei den einzelnen Gesetzen waren, so sind es, abgesehen von zwei Rechtsanwälten, im wesentlichen die Beamten gewesen. Das ist kein besonderes Verdienst; sie haben ja die Sachkunde, und das ist ihre Pflicht gewesen. Aber in der Sache selber möchte ich sen
Die
aus
naheliegenden Gründen
Stellung nehmen. Gegner des Verbotes der parlamentarischen
keine
Dr. Fecht: Ich bin ein absoluter
Tä-
tigkeit der Beamten, und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst ist es ganz unfür mich wenigstens —, daß man die Beamten damit zu Staatsbürtragbar gern zweiter Klasse macht. Denn wenn ich jemandem das passive Wahlrecht entziehe, so geht das an die Ehre des Betreffenden, Wir haben seinerzeit Ansätze dazu gesehen, als wir die badische Verfassung berieten. Die Franzosen wollten auch etwas nach dieser Richtung vorbereiten. Ich habe damals als Vorsitzender des Verfassungsausschusses unseres Landtags erklärt, daß das bei uns überhaupt nicht in Frage käme45). Ich hatte den ganzen Landtag hinter mir. Es —
30. Nov. 1948 ausgefertigt und im Reg. Bl. 1949, S. 4 verkündet. 1870-4. April 1968), SPD-Politiker, 1919-33 MdL Württemberg, 1910—32 MdR und 1946—52 erneut Mitglied und Präsident des württembergischen Landtages. Keil hatte in der Landtagssitzung vom 20. Jan. 1949 ausdrücklich betont, daß
4Z) Das Gesetz wurde am 43) Wilhelm Keil (24. Juli
das nunmehr verabschiedete Gesetz zur Änderung des Beamtengesetzes von der Militärregierung nicht beanstandet worden und daher rechtswirksam sei (Blum, Das passive Wahlrecht, S. 261).
an britische Terminologie. Gemeint ist eine größere Nachwahl als Ersatz für die als Beamte ausgeschiedenen Parlamentarier. 45) Fecht hatte als Justizminister nicht nur den Vorsitz im badischen Verfassungsausschuß innegehabt, sondern am 12. Feb. 1947 auch einen eigenen Verfassungsentwurf in den badischen Landtag eingebracht. Art. 77 dieses Entwurfs besagte: „Niemand, insbesondere kein Beamter, Angestellter oder Arbeiter darf an der Übernahme und Ausübung des Mandats in einer der beiden Körperschaften gehindert und deshalb entlassen, noch darf ihm hierwegen gekündigt werden. Urlaub ist nicht erforderlich. Zur Vorbereitung der Wahl ist auf Verlangen angemessener Urlaub zu erteilen." Der Entwurf ist abgedruckt in: Frank R. Pfetsch (Hrsg.): Verfassungsreden und Verfassungsentwürfe. Länderverfassungen 1946-1953, Frankfurt am Main/Bern/New York 1986, S. 429-447. Vgl. auch derselbe: Zur Verfassung des Landes Baden im Mai 1947, in: P.-L. Weinacht (Hrsg.): Gelb-
44) Pairsschub: Anlehnung
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daran gedacht, nicht bloß die Beamten, sondern auch die Geistlichen auszuschalten also auch hier Staatsbürger zweiter Klasse. Nachdem ich das dem betreffenden Herrn von der Militärregierung erklärt hatte, ruhte die Sache, und es ist niemand mehr bei den Beratungen darauf zurückgekommen. Wir haben also nach wie vor das passive Wahlrecht für den Beamten, genau so wie jeder andere Staatsbürger. An sich ist es ganz unmöglich, die Beamten auszuschließen, auch aus sachlichen Gründen. Wer im Landtag mitarbeitet, weiß genau, daß es immer nur eine gewisse Zahl von Abgeordneten gibt, die wirklich die Arbeit tun können und tun, die notwendig ist. Bei uns ist z. B. der Herr Kollege Maier, der Ministerialrat im badischen Innenministerium ist, gleichzeitig Führer der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei46), und ich könnte beim besten Willen nicht finden, daß sich da irgendein Anlaß ergeben hätte oder ergeben könnte, um das zu verhindern. Dann kommt in Betracht, zu gewissen Dingen braucht man doch auch einmal einen Richter, der eine Gesetzesvorlage entsprechend begutachten kann usw. Vor 1918 bestand nur eine Diskriminierung der Beamten insofern, als der Verwaltungsbeamte nicht in seinem eigenen Bezirk gewählt werden durfte. Aber das hinderte natürlich nicht, daß er im Nachbarbezirk oder sonstwo gewählt wurde. Also es war dies keine Beschränkung der staatsbürgerlichen Rechte in dem Sinne, daß er überhaupt kein Wahlrecht hatte. Wenn man sagt, er muß sein Amt niederlegen, so kann ich auch nicht finden, daß er dann noch gleiche Staatsbürgerrechte hat. Denn wenn ich unter dem Zwang stehe, entweder mein Amt niederzulegen oder ein Abgeordnetenmandat auszuüben, so ist klar, daß es sich nicht jeder leisten kann, sein Amt niederzulegen, um dafür Abgeordneter zu werden. Wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt, führt das wieder zu ganz anderen Dingen. Dann können nur noch reiche Leute, können nur noch wirklich vermögende Beamte es sich leisten, für das Parlament zu kandidieren. Allein ich glaube, man sollte mit allem Nachdruck sich dagegen wehren, auch wenn die amerikanische Militärregierung diesen Standpunkt vertritt. Wir sollten unseren Standpunkt wahren. Ich würde mich niemals dazu hergeben, für eine Bestimmung zu stimmen, die den Beamten das passive Wahlrecht nimmt. Lobe: Ich glaube, es wird sich selten eine solche Einmütigkeit unter allen deutschen Parteien ergeben wie bei dieser Frage. Sie ist uns so fremd. Es haben sich allerdings in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus daraus auch manchmal schon unerwünschte Resultate ergeben. Erinnern Sie sich an die starken Angriffe gegen die „Landratskammer"! So nannte man eine Zeit lang den Preußischen Landtag, weil es üblich war, alle Landräte in die Kammer zu war
—
entsenden47).
rot-gelbe Regierungsjahre.
Badische Politik nach 1945. Gedenkschrift
zum
100.
Geburts-
tag Leo Wohlebs (1888-1955), Sigmaringendorf 1988, S. 127-147, bes. S. 134 f. 46) Gemeint ist Friedrich Maier (siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 5), der von 1947 bis Sept.
1948
Fraktionsvorsitzender der SPD im badischen Landtag war. 47) Gemeint ist hier das Abgeordnetenhaus, d. h. die zweite Kammer des Preußischen Land665
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Ich will dem Herrn Kollegen Fecht, dem ich in allen Teilen zustimme, sagen, er darf sich nicht so stark degradiert fühlen. Wir haben gegenüber den Angehörigen der Reichswehr immer eine Nichtausübung des Wahlrechts für richtig gehalten, weil wir die Parteienkämpfe nicht in die Kasernen tragen wollten48). Damit mußten sich Offiziere und Mannschaften abfinden, obwohl es sich bei der Reichswehr auch schon um reife Leute handelte. Gott sei Dank kommen wir in eine solche Sache im Augenblick nicht herein. Aber die Beamten zu beschränken, widerspricht doch so sehr unserer ganzen Tradition, und es läßt sich aus unseren eigenen Erfahrungen kein durchschlagender Grund anführen, daß ich meine, wir sollten hier unsere absolut unabhängige deutsche Meinung bekunden. Die Besatzungsmächte sind ja nicht einmal unter sich selber einig, in welchem Grade sie diese Einschränkungen wollen. Die Franzosen wollen sie vielleicht wieder anders als die Amerikaner. Die Beamten sind nach der ganzen Geschichte unseres Landes und nach der Sachkunde, die sie haben, unentbehrlich, besonders wenn der Staat in immer größerem Umfange neue Aufgaben übernimmt. Ich erinnere mich der Sache mit der Preußag usw.49). Da war es sehr wichtig, daß wir Leute hatten, die hinter die Vorhänge gucken konnten und uns bestimmte Kenntnise vermittelten. Ich sehe also keinen triftigen Grund für diese unserem ganzen Rechtsgefühl widersprechende Maßnahme, daß wir etwa passiv oder aktiv das Wahlrecht der Beamten beschränken. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe mich auch auf die Rednerliste gesetzt. Ich darf vielleicht folgendes ausführen. Grundsätzlich stimme ich all den Herren zu. Ich stamme selbst aus einer Beamtenfamilie, bin jetzt im freien Beruf und weiß, was die Beamtenhaushaltungen durch die Erziehung der Kinder für den Staat geleistet haben, anerkenne auch, was aber außerdem der Beamte durch sein Wissen in den Parlamenten geleistet hat. Wir hatten, wenn ich einmal an das sonst verschrieene preußische Herrenhaus50) erinnern darf, da die Oberbürger-
der Bevölkerung zwar direkt, aber nach dem ungleichen Dreiklassenwahloben Dok. Nr. 7, Anm. 32) gewählt wurde. 48) Löbe, der sich auch schon in der Zeit der Weimarer Republik für die parteipolitische Neutralität der Reichswehr eingesetzt hatte (Sten. Ber., Bd. 391, 232. Sitzung vom 10. Nov. 1926, S. 8027 ff.), entsprach damit ganz dem damals üblichen „Überparteilichkeitsprinzip" der Reichswehr, das sie zum später heftig kritisierten „Staat im Staate" werden ließ (Bracher, Auflösung, S. 263 ff.). 49) Die Wiederaufbauphase der Preussag (Preußische Bergwerks- und Hütten AG) war nach 1945 gekennzeichnet von dem Bemühen, die durch den deutschen Zusammenbruch und die Anwendung des Gesetzes Nr. 52 der Militärregierung (Sperre und Kontrolle von Vermögen) hervorgegangenen unsicheren Rechts- und Eigentumsverhältnisse zu klären. Da schon in den Anfängen der Preussag in den 1920er Jahren vornehmlich Beamte in den Aufsichtsrat berufen worden waren, wurden aufgrund der damit verbundenen positiven Erfahrungen nach 1945 neben dem verbliebenen Vorstandsmitglied Direktor Gustav Werner, mit Dr. Otto Brüning, Bergrat a. D. Hans Loebner und Staatsfinanzrat Brekenfeld wieder vornehmlich Beamte heranzogen (vgl: Hans-Joachim Winkler: Preußen als Unternehmer 1923—1932. Staatliche Erwerbsunternehmen im Spannungsfeld der Politik am Beispiel der Preussag, Hibernia und Veba, Berlin 1965, S. 88 ff.). 50) Das preußische Herrenhaus, die erste Kammer des Landtages, beruhte auf der Verfassung von 1850 und bestand aus Vertretern des Hochadels sowie vom König auf Lebens-
tags, die recht
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von
(vgl.
Einundzwanzigste Sitzung meisterbank. Wir
waren
in Preußen
froh, daß
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wir solche Leute wie
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Adickes51),
Miquel52), Kirschner53) aus Berlin usw. hatten. Was die durch ihre Sachkenntnis dazu doch geleistet haben, ist kolossal. Ich habe die Empfindung, der Gedanke bei den Mächten54) ist der, daß sie den Grundsatz der Trennung der Gewalt in Exekutive und Legislative ganz schematisch doktrinär durchführen wollen und deshalb zu diesem Ergebnis kommen. Ich habe deshalb auch bei einer anderen Gelegenheit den Herren erzählt: Stellen Sie sich einmal vor: in den ganzen Unternehmungen wie Eisenbahn, Post und vielleicht Rundfunk, und was noch alles mitspricht, sind nach unseren historischen Gegebenheiten auch direkt oder indirekt Beamte oder Staatsangestellte. Die können wir doch unmöglich alle ausschließen, die haben doch mit der Staatshoheit, mit der eigentlichen Exekutive überhaupt nichts zu tun. Das ist ein rein technischer Betrieb, der sich durch die historische Entwicklung bei uns in Staatshand befindet. Also grundsätzlich bin ich dagegen. Aber nun wollen wir fragen: Was ist der tiefere Grund, weshalb die Frage auftaucht? Da wollen wir auch klar sagen: Es ist der, daß in der Tat durch die Entwicklung der Dinge der Prozentsatz der Beamten in den Parlamenten verhältnismäßig sehr hoch ist55). Sie spielten schon darauf an. Wäre er geringer, würde er sich nicht bei 30%, sondern bei 15 oder 20 % bewegen, dann würde wahrscheinlich von sehen der Besatzungsmächte der Einwand nicht so gekommen sein. Sehr tritt er in den Länderparlamenten das darf ich auch einmal erwähnen —, wenn in Erscheinung, um so mehr es sich um den Finanzausgleich handelt. Da bildet sich nämlich quer durch alle Parteien die Oberbürgermeister- und Landratsfraktion. Ich weiß nicht, ob Sie das auch in den Landtagen beobachtet haben. Die kommt dann mit dem großen Schöpflöffel zu dem Finanzminister und will möglichst viel aus dem Staatspott für den Gemeindepott herausnehmen. Ich drücke mich einmal ein bißchen —
vulgär
aus.
uns liegt auf einem rein materiellen Gebiet. Er liegt darin, daß anderen Berufen nicht mehr die Zeit und heute nach der allgemeinen Verarmung auch nicht mehr das Geld haben, Ehrenämter mit solchen
Der Fehler bei
Menschen
aus
zeit berufenen Mitgliedern und den von den Landesuniversitäten, Städten und anderen Gremien präsentierten Mitgliedern. 51) Ernst Adickes (7. März 1811- 26. Jan. 1878), Mitglied der Nationalliberalen Partei, MdH 1867 und 1869-1874 MdR. 52) Johannes von Miquel (19. Feb. 1828—8. Sept. 1901), Mitgründer der Nationalliberalen Partei, MdH 1867-1882 und MdR 1867-82 sowie von 1887-90, setzte in seiner Zeit als Finanzminister (1890—1901) zahlreiche vielbeachtete Reformen durch (Miquelsche Steu-
erreform). 53) Dr. h. c. Martin Kirschner (10. Nov.
1842—13. Sept. 1912), Oberbürgermeister von Berlin, MdH und entschiedener Gegner des damals in Preußen noch geltenden Dreiklassenwahlrechts. 54) Gemeint sind die Besatzungsmächte. 55) Auch der Pari. Rat stand seinerzeit in dem Ruf, ein Beamtenparlament zu sein. Siehe hierzu vor allem die Ausführungen des Vorstandsmitglieds der Deutschen Wählergesellschaft Konrad Mommsen: Bonn Ein Beamtenparlament, in: Die Wandlung 1949, S. 250 ff. —
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Belastungen zu übernehmen. Ich gestehe offen, wenn ich gewußt hätte, daß ich hier sechs Monate säße, hätte ich dieses Amt nicht übernommen. Wir müßten zu dem negativen Beschluß, der sich hier herausgearbeitet hat, daß wir dies ablehnen, noch etwas Positives dazu sagen. Dies Positive kann tatsächlich nur das eine sein, daß der Staat in der Tat die Leute, die Ehrenämter versehen, materiell besserstellen sollte als heute. Das wird heute dem Volk psychologisch schwer eingehen, und es wird dem durchschnittlichen Bierbankphilister wieder einmal Grund geben, richtig zu schimpfen. Trotzdem sollten wir den Mut haben, das, was wahr ist, auch zu sagen. Eine Million Ausgaben pro Jahr dafür, daß Personen aus allen Schichten in die Parlamente kommen können, ist eine verhältnismäßig geringe Ausgabe gegenüber Mehrausgaben auf anderen Gebieten, die vielleicht dadurch entstehen, daß nur Funktionäre, also Parteiangestellte denken Sie nur an die Nazizeit oder kommandierte Interessenvertreter oder so etwas dasitzen, die wieder von irgendwelchen Verbänden bezahlt werden. Ich glaube, daß man diesen Gedanken auch ruhig öffentlich vertreten sollte. Er hat nämlich noch eine psychologische Seite, und das ist die: Die Demokratie muß Wert darauf legen, einen richtigen Nachwuchs zu bekommen. Diesen Nachwuchs kann sie nach englischem Muster bekommen, wenn nicht jeder, aber jeder zweite oder dritte Abgeordnete in der Lage ist allerdings nur der materiellen bekommt er die als solcher —, einen vermöge Unterstützung, Privatsekretär zu erhalten und heranzuziehen. Diese Privatsekretäre sind, wenn sie einschlagen, der gegebene Nachwuchs für die Parlamente, für Bundesratsbevollmächtigte, für Minister usw., evtl. auch für Gesandte. Das müßte man einmal im Auge behalten56). Deshalb möchte ich vorschlagen, wir sprechen uns grundsätzlich gegen jede Beschränkung des passiven Wahlrechts der Beamten aus, fügen aber als positiven Vorschlag hinzu, daß das, in die Praxis übersetzt, zur Folge haben muß, daß die anderen Berufe materiell in die Lage gesetzt werden, auch ihren Anteil in das Parlament zu senden, damit selbständig denkende Persönlichkeiten hineinkommen und nicht nur Funktionäre oder Interessentenvertreter, die von Verbänden bezahlt werden. Ich möchte vorschlagen, daß wir das so formulieren. Dann wäre noch die formale Frage zu klären. Darüber bitte ich, sich auch auszusprechen. Unsere Kompetenz bezieht sich ja nur auf das Wahlgesetz. Es ist aber folgendes zu erwägen. Wenn das Umgekehrte in das Wahlgesetz hineinkäme, müßte auch eine umgekehrte Bestimmung in die Verfassung hinein. Deshalb bitte ich, uns die Ermächtigung zu geben, daß wir diesen Beschluß dann auch dem Vorsitzenden des Hauptausschusses übermitteln57). —
—
—
Zwar konnten die
späteren Bundestagsabgeordneten schon sehr bald auf Fraktionshilfsdienste und die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zurückgreifen, aber die hier von Becker angeregten „Privatsekretäre" wurden den Abgeordneten erst 1969 zugestanden (Heide-Karen Hirsch: Die persönlichen parlamentarischen Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten, in: ZParl 2 (1981), S. 203-223, hier: S. 203 f.). 57) In der 53. Hauptausschußsitzung am 23. Feb. 1949 stand die Frage der Beamtenwählbarkeit auf der Tagesordnung (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 707 ff.; siehe auch W. Strauß: Zur Frage der Wählbarkeit von Beamten, in: DöV 2 (1949) 8, S. 143-146 und die CDU/CSU-Fraktionssitzung vom 16. und 23. Feb. 1949, in: Salzmann, Die CDU/CSU 56)
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(Zustimmung.)
Diese Anregung möchte ich gleich mit zur Debatte stellen. Dr. Diederichs: Ich habe praktisch nichts mehr dazu zu sagen. Mir fiel nur zufällig in diesem Wahlgesetzentwurf ein Passus auf, in dem sich das sehr dekorativ machen wurde. Da heißt es: Die Wahlberechtigung nehmen wir hier ruht für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesan, die passive schwäche in einer Heil- und Pflegeanstalt sind, die in Straf- oder Untersuchungshaft sich befinden58), die gerichtlich in Verwahrung gehalten werden, und Beamte, müßte dann hinzugefügt werden. Das würde sich auch in dieser Form sehr dekorativ machen und ganz allgemein die Situation beleuchten. Schräge: Meine Damen und Herren! Wir sind uns grundsätzlich einig, daß wir nicht über den Weg eines Wahlgesetzes oder einer Wahlordnung Menschen zweiter Klasse schaffen wollen. Das ist unbedingt richtig. Trotzdem müssen wir aber auch einmal die Frage prüfen, die mit auf der Ebene liegt, von der Herr Löbe ausgegangen ist. Herr Diederichs hat es auch erwähnt. Der Einfluß, der unter bestimmten Umständen aus der Bürokratie bitte, deuten Sie das Wort nicht falsch in Parlamenten usw. übertragen werden kann, könnte der Demokratie und könnte der Sache Schaden zufügen. Um das sofort verständlich zu machen, wiederhole ich, was Herr Diederichs gesagt hat. Wenn ein Ministerialdirektor oder Ministerialdirigent noch dazu der Vorsitzende einer Partei ist, —
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im Pari. Rat, S. 403 und 413; siehe auch: Leusser an Ehard vom 17. Feb. 1949, Bayer. HStA NL Pfeiffer/Bd 213; Leisewitz an das Büro der Min. Präs. vom 24. Feb. 1949, BA Z 12/121, Bl. 14 und vom 23. Feb. 1949, Bl. 26 ff.). Obwohl im Wahlrechtsausschuß weitgehende Übereinstimmung in der Frage bestand, verständigte man sich im Hauptausschuß auf interfraktionelle Verhandlungen, da sich der Abgeordnete Grève (SPD) gegen den Vorschlag der CDU/CSU ausgesprochen hatte, die Beamten im Falle der Wahl mit Bezügen zu beurlauben (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 713). Grèves Kritik entsprang denselben Bedenken, die auch die Alliierten in ihren Memoranden vom 22. Nov. 1948 (Drucks. Nr. 516; siehe oben Anm. 30) erhoben und am 2. März 1949 (Umdruck Nr. S 3, Ziff. 8; vgl. oben Abschnitt 2a der Einleitung und Anm. 172) nochmals bekräftigt hatten. Vor allem der französische Vertreter Laloy nahm in der Verhandlung mit dem Siebenerausschuß am 10. März 1949 in der „Frage der Beamtenmandate [. ] eine absolut ablehnende Haltung ein" (Verhandlungen zwischen Siebenerausschuß und den Beratern der Militärgouverneure vom 10. März 1949, PA Bestand 5/8). Hatte der Siebenerausschuß in seinen Sitzungen vom 3./4. März und 9. März 1949 noch an den Vorschlag der Beamtenbeurlaubung mit Bezügen festgehalten (ebenda; Vorschlag eines Zusatzes zu Art. 65 GG und CDU/CSU-Antrag vom 23. Feb. 1949, Drucks. Nr. 620), so rückten die Delegierten des Pari. Rates nach der Sitzung des Siebenerausschusses am 16. März 1949 in den Verhandlungen mit den Alliierten am 18. März 1949 in Bonn von diesen Forderungen ab und strichen den Anspruch der Beamten auf „Wartegeld" während der Mandatsdauer (Siebenerausschuß vom 17. März 1949: Neue Fassung des Art. 65; Bespr. von Abgeordneten des Pari. Rates mit alliierten Vertretern am 18. März 1949, 11 Uhr, ebenda). Siehe auch die parallel hierzu gefaßten Beschlüsse der 50. und 51. Direktorialsitzung vom 2. und 16. März 1949 in Frankfurt/M. (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 18, TOP 13 und Dok. Nr. 21, TOP 6), auf denen das passive Wahlrecht für Beamte der Bizone in lokalen Körperschaften bestätigt wurde. Ausgehend von dem Antrag des Abg. Zinn (SPD) (Drucks. Nr. 891) einigten sich die MdPR in der 59. Hauptausschußsitzung (S. 776) schließlich auf eine gemeinsame Formel. Gemeint ist § 3 des von der Redaktionskommission des Wahlrechtsausschusses entworfenen Wahlgesetzentwurfs. .
.
5B)
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in diesem Fall der SPD, würde ich das als Unfug bezeichnen, auch wenn das in der CDU passierte. Wenn der Mann aus der Regierung in diesem Fall als Vorsitzender einer Frakwar es, glaube ich, das Wirtschaftsministerium59) tion fungiert, so halte ich das für verhängnisvoll. Er kriegt seine Richtlinien von seinem Minister, oder was weiß ich. Also da müßte man doch einschränken. Ebenso ist es mit dem Fall, den Sie erwähnten: Der Kreisdirektor wohnt in der und der Gemeinde und geht in das Parlament, und morgen ist er wieder die Aufsichtsbehörde über die Verwaltung dieser Gemeinde. Das geht auch nicht. Wenn wir heute schon in den Gemeindeordnungen, Kreisordnungen usw. die Bestimmung stehen haben, daß der kleine Beamte, wenn der Beratungsgegenstand ihn persönlich oder bis zu einem gewissen Grade auch seine Verwandtschaft berührt, nicht daran teilnehmen darf und das halte ich unter allen Umständen für richtig —, dann muß auch eine gewisse Sicherheit dafür geschaffen werden, daß auch nicht der Ministerialdirektor seines Ministeriums in diesem Falle doch als Vorsitzender, aber selbst wenn er nur Mitglied der Fraktion wäre seinen Einfluß in die Beratungen über solche Dinge hineinDas könnte dann falsch sein. Also ich sehe darin eine Voreingenommenbringt. heit, die in gewissen Kreisen vorherrscht, das Überwiegen und den falschen Einfluß, der auf dem Wege über die Bürokratie kommen könnte. Dann haben Sie mit Recht gesagt, wenn der Prozentsatz an Beamten bei den Abgeordneten eines Parlaments schon 30 % beträgt, dann ist das meines Erachtens zuviel, auch wenn wir zur Zeit darüber klagen, daß die Parlamente nicht das sind, was sie sein sollten. Sie haben nicht die Kräfte, die sie benötigen. Deshalb müssen wir die Sachkunde der Beamten heute, morgen und übermorgen noch haben. Wenn wir aber sagen, wir wollen das gerade, daß wir aus dem Beamtensektor Leute holen, damit die Parlamente die nötigen Kräfte haben, so halte ich das für verfehlt, weil man nach meiner Meinung die Parlamente aktiv gestalten und aus allen Kreisen die geeigneten Leute heranziehen sollte. Es wäre also zu prüfen, ob ein Überhandnehmen der Bürokratie nicht auch verhängnisvoll für unsere Demokratie sein könnte. Vors. [Dr. Becker]: Herr Dr. Finck hat noch ums Wort gebeten. Dr. Finck: Ich verzichte. Ich habe die positiven Anregungen geben wollen, die Sie gegeben haben. Ich bin dafür, daß wir uns kategorisch schützend vor die Beamtenrechte stellen. Natürlich, das andere kann man auch berücksichtigen. Die Amerikaner haben über 300 Rechtsanwälte in ihrem Parlament. Bei allem Respekt vor den Rechtsanwälten ist das doch noch schlimmer, als wenn 30 % Beamte darin sitzen. Frau Wessel: Ich möchte mich auch noch einmal wie schon zu Anfang dafür aussprechen, daß wir grundsätzlich die Rechte der Beamten schützen. Das ist alles eine Frage der Persönlichkeiten. Wir können uns nicht eng von vornherein so oder so entscheiden. Ich bin gewiß gegen eine Bürokratie, vor allen Dingen eine solche, wie sie von Herrn Schräge dargestellt wurde. Aber die Bürokratie hat auch über Abgeordnete, die von den Dingen wenig verstehen, viel —
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59) Siehe oben Anm. 46.
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mehr Einfluß in den Parlamenten, als man sich vorstellt. Dann sind mir wirklich ehrliche und echte Beamte, die dafür geradestehen müssen, noch lieber als die Einflüsse, die hintenherum im starken Maße, wie man schon wieder feststellen kann, ausgeübt werden. Infolgedessen ist es Aufgabe der Parteien, daß sie nicht zu sehr nach diesem Prinzip handeln. Sie müssen sehen, daß sie auch aus anderen Berufen die entsprechenden Leute bekommen. Heute ist es aber vielfach in den Parlamenten so, daß wir die Beamten einfach brauchen, weil dieser Nachwuchs nicht da ist, da zwölf Jahre keine Demokratie geübt worden ist. Infolgedessen sind es die Beamten, die zunächst einmal in Frage kommen, um überhaupt das Ganze weiter fortzubilden. Die positive Anregung, die von Herrn Becker gegeben worden ist, halte ich durchaus für gut, weil heute im Volk immer die Meinung vertreten wird: Die Abgeordneten bekommen die hohen Diäten, was tun sie dafür usw.? Wenn wir nicht die entsprechenden Möglichkeiten in solcher Form schaffen, wie es schon dargelegt worden ist, so werden wir erleben, daß wir entweder nur Beamte, nur Leute, die sich das gestatten können, bekommen, oder das andere, was wir in Weimar erlebt haben: daß nur Interessenvertreter kommen. Der Mann aus dem Volke hat überhaupt nicht mehr die Möglichkeit, Abgeordneter zu werden. Infolgedessen darf man alles das, was [an] Ressentiments ins Volk hineingestreut wird, nicht berücksichtigen. Das Volk muß in der Demokratie wirklich mitsprechen können, in dem es seine Vertreter hat. Das ist nur möglich, wenn auch Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Wer soll sonst ins Parlament noch hineinkommen? Dr. Finck: Wir wollen den Mut haben, das auch offiziell nach außen zu vertreten. Der kleine Mann, der Arbeiter usw. kann überhaupt nicht hereinkommen. Da gibt es intelligente Leute, die wir gut gebrauchen können. Darum sollten wir Ihren Vorschlag auch in der Öffentlichkeit propagandistisch auswerten. Walter: Ich möchte nur die Frage aufwerfen: Wie steht es mit der Wählbarkeit eines Beamten zum Reichspräsidenten? Vors. [Dr. Becker]: Durchaus möglich. Da steht ja in der Verfassung, daß er dann keinen anderen Beruf mehr ausüben darf60). Es liegt keine Wortmeldung mehr vor. Darf ich Ihnen vorschlagen, daß wir den Beschluß auch in den beiden Beziehungen, die wir erörtert haben, gemeinsam formulieren. Walter: Der Organisationsausschuß hat auch einen Beschluß gefaßt61).
60) 61)
Art. 55 GG i. d. F. von 1949. Hier handelt es sich vermutlich
einen Irrtum. Walter meint wohl den Beschluß des 29. Sitzung am 4. Dez. 1948 auf Vorschlag Fritz Eberhards hin zum passiven Wahlrecht gefaßt hatte: „Wer in einem Arbeitsverhältnis als Arbeiter, Angestellter oder Beamter steht, hat das Recht auf die zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und zur Ausübung ihm übertragener öffentlicher Ehrenämter nötige freie Zeit. Der Anspruch auf Vergütung bleibt erhalten, soweit nicht bei Verdienstausfall eine diesen ausgleichende Entschädigung gewährt wird. Das Nähere regelt das Gesetz." Diese Bestimmung (Art. 19 „Zugang zu öffentlichen Ämtern") wurde am 7. Dez. 1948 (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 239) vom Hauptausschuß in erster Lesung und ohne weitere Debatte angenommen und vom Allgemeinen Redaktionsum
Grundsatzausschusses, den dieser in seiner
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[4. FORMULIERUNG DER STELLUNGNAHME DES WAHLRECHTSAUSSCHUSSES] Vors. [Dr. Becker]: Wir geben ihn offiziell weiter, unter Umständen auch an die wenn Sie es wünschen. Wir wollen einmal formulieren: Der Wahlrechtsausschuß faßt einstimmig folgende Beschlüsse: 1. Der Wahlrechtsausschuß ist der Auffassung, daß es mit der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unvereinbar ist, den Beamten vom passiven Wahl-
Presse,
—
recht auszuschließen. Wahlrechtsausschuß ist der Überzeugung, daß der Zugang zur Ausübung parlamentarischer Ehrenämter jedem Staatsbürger auch materiell möglich gemacht werden muß. Die durch staatliche Mittel für solche Zwekke etwa erforderlichen Aufwendungen sind im Verhältnis zu der dadurch gewonnenen Möglichkeit, bezahlte Interessentenvertreter u. dgl. möglichst auszuschließen und die Stimme des Volkes aus allen Schichten im Parlament zum Wort kommen zu lassen, nicht nur geringfügig, sondern produktiv. Die Bereitstellung solcher Mittel ermöglicht den Volksvertretern auch die Heranziehung jüngerer Kräfte, um den Nachwuchs für die Demokratie sicherzustellen. 3. Dieser Beschluß soll dem Hauptausschuß zur Kenntnis gebracht werden62). Dr. Finck: Darf ich den Vorschlag machen, das möglichst rasch der Presse zu geben, als einstimmigen Beschluß63). 2. Der
[5. ZUR VERFAHRENSWEISE] Vors. [Dr. Becker]: Sind Sie damit
einverstanden,
wenn wir uns heute nachmitdaß wir noch an unsere Vorlage herankommen könnten, und daß wir vorher um 3 Uhr die Presse hierher bitten und ihr den Beschluß zur Kenntnis geben? Schräge: Herr Dr. Becker, ich habe mich persönlich vorhin Ihrem Vorschlag angeschlossen. Aber ich glaube, wir können uns nicht festlegen. Wir sitzen drei Tage hier und wissen, daß Leute sich in sogenannter Konklave befinden und
tag
um
1/2 4 Uhr
versammeln,
so
ausschuß am 13. Dez. 1948 nur unwesentlich modifiziert (Drucks. Nr. 370; GG-Entwürfe, S. 46, 89) und ergänzt durch die neue Fassung von Art. 62 Abs. 1: „Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten des Bundestages zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grunde ist unzulässig" (GG-Entwürfe, S. 95; Blum, Das passive Wahlrecht, S. 317 ff.). In dieser Fassung passierte die Bestimmung auch die 2. Lesung im Hauptausschuß am 7. Jan. 1949 problemlos (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 394; vgl. GG-Entwürfe, S. 126). ) Als Anlage dem Kurzprotokoll zur 21. Sitzung beigefügt (Drucks. Nr. 605). ) Der Wahlrechtsausschuß gab noch am selben Tag eine Presseerklärung ab, wonach der einhellige Standpunkt vertreten wurde, daß es „mit der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unvereinbar sei, die Beamten vom passiven Wahlrecht auszuschließen" (Mannheimer Morgen vom 2. Feb. 1949; Frankfurter Rundschau vom 5. Feb. 1949; Frankfurter Neue Presse vom 4. Feb. 1949). 672
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über strittige Punkte verhandeln64). Wir sind alle neugierig, was dabei herauskommt. Ich kann mir vorstellen, daß in den Fraktionen unter Umständen Entscheidungen zu treffen sind, so daß man sich jetzt gar nicht verpflichten kann, um 4 Uhr hier zu sein. Walter: Ich wollte etwas Ähnliches vorbringen. Wäre es nicht morgen möglich? Vors. [Dr. Becker]: Darf ich noch einmal auf die Geschäftslage hinweisen. Wenn, wie wir hoffen, ein Kompromiß zustande kommt, dann wird die dritte Lesung wahrscheinlich nicht sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Ich rechne dann mit höchstens drei Tagen65). Dann muß aber anschließend die erste Lesung des Wahlgesetzes kommen. In der Zeit müssen wir a) mit unseren Beratungen fertig sein, muß b) der Niederschlag unserer Beratungen gedruckt als Vorlage vorliegen, müssen c) die Fraktionen sich mit den Dingen beschäftigen, und dann soll anschließend die erste Lesung im Hauptausschuß erfolgen, ich taxiere, etwa nächsten Mittwoch. Mir ist heute auch eine Abendsitzung recht, daß wir uns um V2 8 treffen und bis etwa V211 tagen. So können wir dann verbleiben. Wir kommen zunächst um 16 Uhr zusammen, und wenn es dann nicht geht, treffen wir uns abends. Walter: In der Frage des passiven Wahlrechts der Beamten möchte ich mich der Stimme enthalten, nicht grundsätzlich, aber im Hinblick auf meine Stel-
lung66). Frau Wessel: Aber in der Erklärung kann es wohl heißen „einstimmig". Vors. [Dr. Becker]: Man kann ja der Presse sagen, daß ein leitender Beamter sich wegen seiner höheren Beamtenstellung der Stimme enthalten hat, unbeschadet seiner grundsätzlichen Zustimmung. Wir würden uns also um 4 Uhr treffen und uns, wenn es dann nicht geht, auf V2 8 Uhr einrichten. Ich bitte dringend darum; sonst kommen wir nicht weiter67).
64) Gemeint sind hier die interfraktionellen Verhandlungen des Fünferausschusses, die zur gleichen Zeit stattfanden. Hier wurden strittige Kernprobleme, wie etwa die Frage der
Bundesfinanzverwaltung, behandelt. Die CDU/CSU-Fraktion hielt am Nachmittag desselben Tages eine Sitzung ab, auf der Heinrich von Brentano über den Verlauf der interfraktionellen Besprechungen Bericht erstattete (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 371 ff.). Der Grundgesetzentwurfvorschlag des Fünferausschusses wurde am 5. Feb. 1949 als Drucks. Nr. 591 abgedruckt. 65) Die dritte Lesung des Grundgesetzes fand in fünf Sitzungen am 8., 9. und 10. Feb. 1949 statt. Am 22. Feb. 1949 folgte die erste Lesung des Wahlgesetzes.
66) Siehe oben Anm. 36. 67) Da die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion erst um 15 Uhr begann und länger als 60 Minuten gedauert hat, ist davon auszugehen, daß die für 16 Uhr geplante Sitzung des Wahl-
rechtsausschusses ohne die CDU/CSU-Vertreter nicht gehalten werden konnte. Vermutlich wurde daraufhin der neue Termin für den nächsten Tag, Mittwoch, den 2. Feb. 1949, anberaumt. 673
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Nr. 24 22.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 2.
Februar 1949
Z5/86, Bl. 128-176. Undat. und ungez. Stenograf. Wortprot. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 26-34, Drucks. Nr. 606
Anwesend1):
CDU/CSU: Finck (für Kaufmann)2), Schräge, Walter, Schröter SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Frau Wessel (Z, für Reimann) Mit beratender Stimme: Mayr (CSU), de Chapeaurouge (CDU)3), Kuhn (SPD), (SPD zeitweise)4), Löbe (SPD), Wirmer (CDU) Stenografischer Dienst: Haagen
Beginn:
9.00
Uhr
Wagner
Ende: 11.35 Uhr
[1. ZUR TAGESORDNUNG) Den Vorsitz führt der Abgeordnete Dr. Becker. Vors. [Dr. Becker]: Auf unserer Tagesordnung stehen folgende Punkte: 1. Beratung des Entwurfs des Kollegen Kaufmann5);
Beratung des Kompromißentwurfes, den ich aufgestellt habe, nachdem wir bisher nicht weitergekommen waren6). In der vorletzten Sitzung, gestern vor 14 Tagen, hatten wir bestimmte Richtlinien aufgestellt, aufgrund deren eine Redaktionskommission eingesetzt werden soll7). Die Fraktionen wollten darüber beraten. Leider habe ich von der CDU2.
1) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Die Anwesenheit Wagners ergibt sich
Wortprotokoll,
so
daß davon
auszugehen ist,
daß
er
der
nur aus
dem
Sitzung nur zeitweise beiwohn-
te.
2) Die Abgeordneten Kaufmann und Menzel fehlten aufgrund ihrer Teilnahme am Fünferausschuß, der am selben Tag tagte (siehe hierzu auch die Arbeitsmaterialien des Ausschusses in: PA Bestand 5/7).
3) Paul de Chapeaurouge
4) 5) 6)
7) 674
war von der CDU/CSU-Fraktion „aushilfsweise" in den Wahlrechtsausschuß entsandt worden (Sitzung vom 1. Feb. 1949 in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 373). Friedrich Wilhelm Wagner (28. Feb. 1894-17. März 1971), Rechsanwalt, lebte von 1933 bis 1947 im französischen und US-amerikanischen Exil. Mitglied des Zuständigkeits-, Rechtspflege- und Besatzungsstatutausschusses. Drucks. Nr. 450, siehe oben Dok. Nr. 20. Anlage zum Kurzprotokoll der 22. Wahlrechtsausschußsitzung, Drucks. Nr. 606. Der Wortlaut dieses Entwurfs bildete die Grundlage für die in der 23. Sitzung besprochene Drucks. Nr. 577 (siehe unten Dok. Nr. 25, TOP 1). Sofern es sich nicht um denselben Wortlaut oder lediglich stilistische Verbesserungen handelt, wird im Anmerkungsapperat zu dieser Sitzung der Beckersche Entwurf im einzelnen abgedruckt. Der dann entstandene Entwurf war die Basis des am 24. Feb. 1949 vom Plenum beschlossenen Wahlgesetzentwurfs (Umdruck Nr. S 53a; siehe unten Dok. Nr. 26). Siehe oben Dok. Nr. 22, TOP 1.
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Fraktion noch keine Nachricht darüber erhalten, wie sie sich zu diesen Richtlinien stellt. Ich habe die Zeit benutzt, mich mit einigen Herren zu unterhalten, um einmal festzustellen, was die einzelnen Fraktionen unter keinen Umständen haben möchten, und habe versucht, aus dieser Auswahl des Negativen einen Entwurf zu fertigen, der sich in großen Teilen dem württembergischen Wahlgesetz8) anschließt. Dieser Entwurf liegt Ihnen vor. Ich bitte, in diesem Entwurf einen Rechenfehler zu korrigieren. Auf Seite 3 in §8 muß es bei Nordrhein-Westfalen heißen: Abgeordnete auf Landesliste: 44 (statt 30). Dann ist die Gesamtsumme 170. Ferner bitte ich den § 8 in der ersten und zweiten Zeile zu korrigieren, und zwar 386 in 400 und 156 in 170. Außerdem sind ein paar Schreibfehler enthalten, die wir im Laufe der Debatte korrigieren können. Zunächst steht die Beratung des Entwurfs Kaufmann noch zur Debatte. Er ist dadurch etwas überholt worden, daß wir uns gestern vor 14 Tagen entschlossen hatten, Leitsätze aufzustellen und nach ihnen einen Kompromißentwurf zu ferti-
gen9). Ist
geschäftsordnungsmäßig
ein
Antrag
zu
stellen oder
irgend
etwas darüber
zu
bemerken, wie wir vorzugehen wünschen?
Kompromißentwurf ein vollständiges Wahlgesetz umfaßt, möchte ich beantragen, ihn zur Grundlage unserer Diskussion zu machen. Vors. [Dr. Becker]: Gerade weil der Entwurf von mir stammt, möchte ich dem nicht ohne weiteres zustimmen. Maier: Das hat damit nichts zu tun. Man kann ja den Entwurf Kaufmann daneben legen. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich dann annehmen, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir die allgemeinen Bestimmungen, also Teil I und die späteren rein technischen Bestimmungen zunächst nicht durchsprechen, sondern uns auf den entscheidenden Teil II konzentrieren? Maier: Da der
—
[2. KOMPROMISSENTWURF DR. BECKER (DRUCKS. NR. 606)]
[2a. Wahlrecht (§§ 1-7)] Dann bitte ich, den letzten Entwurf Herrn Kollegen Kaufmann daneben
zur zu
Hand
zu
nehmen und den Entwurf des
legen.
8) Vgl.
unten Anm. 17. Entgegen der Vermutung Stoltenbergs (Wahlsystem, S. 147 und Anm. 199), war der neue Entwurf Beckers nicht Gegenstand und Ergebnis von Verhand-
lungen der Fünferausschußsitzung vom 26. Jan. 1949. Weder die „Vorlage des Fünferausschusses vom 31. Jan. 1949", die das „Ergebnis der Beratungen des Fünferausschusses vom 25. bis 27. Januar 1949" wiedergeben, noch das „Vorläufige Protokoll über die Besprechungen im Fünferausschuß" vom 27. Jan. 1949 enthalten irgendeinen Hinweis auf die Wahlrechtsfrage (PA Bestand 5/7; ACDP 1-071-025/5; vgl. auch die Niederschrift für Pfeiffer vom 2. Feb. 1949 über die Forderungen der SPD und FDP im Fünferausschuß, PA Bestand 5/7). Nr. 22, TOP 4.
9) Dok.
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Ich darf bitten, in meinem Entwurf einige Schreibfehler zu korrigieren. In § 2 Ziffer 3: Wem das Wahlrecht im Entnazisierungsverfahren rechtskräftig abgesprochen ist. Stock: Ich würde sagen: Nicht wahlberechtigt ist der, der in die Gruppe I, II
und III eingereiht ist. Vors. [Dr. Becker]: Wir
waren bisher über folgendes einig geworden. Wir müsden Entnazisierungsgesetzen aller Zonen ausgehen. Ich kenne diese Gesetze der französischen Zone gar nicht, der britischen Zone etwas, und in der amerikanischen Zone ist es so, daß mit der Einreihung in die Gruppe der Minderbelasteten, Gruppe III, der Verlust des Wahlrechts nicht automatisch verbunden ist, aber nebenher im Spruch ausgesprochen werden kann. Wir waren uns meiner Erinnerung dahin einig geworden, daß die Minderbelasteten das passive Wahlrecht nicht haben sollen. Beim aktiven Wahlrecht hatten wir es auf den Spruch der Spruchkammer abstellen wollen10). Dr. Finck: Bei der Gruppe III ist es bei uns in der französischen Zone so, daß der Ausschluß des Wahlrechts im Spruchentscheid ausdrücklich enthalten sein muß. Ist er nicht enthalten, dann ist der Betreffende wahlberechtigt. Wir würden hier also ein Gesetz machen, das mit den Bestimmungen des Entnazifizierungsgesetzes nicht übereinstimmt. Vors. [Dr. Becker]: Wir könnten darüber hinaus auf unserem alten Beschluß beharren und sagen: das passive Wahlrecht ruht auch bei Gruppe III. Nur müssen wir dann eine entsprechende Bestimmung auch in das Grundgesetz hineinbringen. Ich habe schon im Hauptausschuß bei diesem Paragraphen einen Vorbehalt gemacht11). Wenn wir also bei diesem Beschluß bleiben wollten, müßten wir in § 5 einfügen: Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, dem nicht die Wählbarkeit durch rechtskräftige Entscheidung der Spruchkammer abgesprochen ist; Minderbelastete (Gruppe III) sind keinesfalls passiv wahlberechtigt.
sen von
10) Siehe oben Dok. Nr. 10, TOP 5 a. n) 30. Hauptausschußsitzung vom 6. Jan.
1949 (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 371). Becker wiederholte seine Bedenken auch im Plenum (Stenographische Berichte, S. 159), das auf Antrag Seebohm die Wahlberechtigung von den Entnazifizierungsbestimmungen der Länder abhängig machte (ebenda, S. 160; vgl. Drucks. Nr. 619 vom 23. Feb. 1949 und Drucks. Nr. 626a vom 24. Feb. 1949). In einem Brief an Heuss wies Becker, der dem Seebohmschen Antrag zugestimmt hatte, jedoch eindringlich auf die „Panne" hin, die bei dieser Regelung passiert sei, „als auf die letzten Landtagswahlgesetze der Länder abgestellt" worden sei, da „man damit für die amerikanische Zone auf den Stand von 1946 zurückfällt, der die Ergebnisse des Entnazifizierungsverfahrens noch nicht berücksichtigt hat". Dadurch würden, so führte Becker weiter aus, „viele Zehntausende kein Wahlrecht mehr haben [...], die es inzwischen bei den Kommunalwahlen schon gehabt haben (Becker an Heuss vom 26. Feb. 1949, ADL 2958); vgl. auch Beckers diesbezügliche Ausführungen gegenüber Adenauer am 4. März 1949, (Kaff, Unionsparteien, S. 377). Becker scheiterte schließlich jedoch am 10. Mai 1949 im Plenum mit seinem Antrag (Drucks. Nr. 916), nur diejenigen von der Wählbarkeit auszuschließen, die durch das Entnazifizierungsgesetz im jeweiligen Land ausgeschlossen waren. Angenommen wurde der Antrag Diederichs (Drucks. Nr. 914 und 915), wonach die Landeswahlgesetze über das aktive und passive Wahlrecht entschieden (Stenographische Berichte, S. 267 ff.).
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unmöglich, daß Leute der Gruppe III aus der französischen Zone wählen, der amerikanischen Zone aber nicht wählen dürfen. Stock: Ich habe hier das neue Wahlgesetz von Bayern12). Da heißt es in Artikel 2 Absatz 2 : Personen, die durch rechtskräftige Entscheidung einer Spruchkammer als Hauptschuldige, Belastete oder Minderbelastete eingereiht worden sind, haben nicht das Wahlrecht. Vors. [Dr. Becker]: So ist es in Bayern. Das können Sie machen. Dr. Finck: In Rheinland-Pfalz ist es durch die Bestimmungen der Militärregierung anders. Wem das Wahlrecht nicht ausdrücklich abgesprochen worden ist, der kann wählen13). Stock: Man muß nun aber auch mit der Primitivität der Spruchkammern rechnen. Viele haben gar nicht daran gedacht, daß es auch ein Wahlrecht gibt, und haben keine ausdrückliche Bestimmung getroffen. Deshalb müssen wir es im Wahlgesetz nachholen und sagen, daß die, die in Gruppe I, II und III eingereiht sind, nicht stimmberechtigt sind. Schröter: Ich möchte mich ausdrücklich den Worten des Herrn Kollegen Stock anschließen. Auch wir in Schleswig-Holstein haben die Bestimmung, daß Leute aus Gruppe I, II und III weder das aktive noch das passive Wahlrecht haben14). Was bedeutet das? Wenn wir den Entschluß fassen, daß Männer der Gruppe III lediglich das passive Wahlrecht verlieren, würde das bedeuten, daß wir in Schleswig-Holstein gezwungen sind, unser Entnazifizierungsgesetz zu ändern, oder es würde zur Folge haben, daß der Mann aus Gruppe III in Bayern oder in der französischen Zone das aktive Wahlrecht hat, bei uns aber nicht. Das geht doch nicht. Wir müssen es einheitlich machen. Vors. [Dr. Becker]: Unsere Bestimmung zum aktiven Wahlrecht lautet: Wem durch rechtskräftigen Entschluß das Wahlrecht abgesprochen ist, der ist nicht aktiv wahlberechtigt. Wenn in Schleswig-Holstein mit der Einreihung in Gruppe III automatisch der Verlust des aktiven Wahlrechts verbunden ist, dann hat der Mann eben kein Wahlrecht, auch nicht zum Bundestag. Aber in der amerikanischen Zone ist es leider etwas anders; dort wird differenziert. Um nun eine klare Linie zu haben, wollen wir die Gruppe III vom passiven Wahlrecht auf jeden Fall ausschließen. Stock: Die ist ja eo ipso ausgeschlossen! Frau Wessel: Ich kann mich nur den Ausführungen der Herren Kollegen Stock und Schröter anschließen. Wer heute beim Entnazifizierungsverfahren so, wie es läuft, in die Gruppe I bis III hineinkommt, dem muß man wirklich das Recht absprechen, in einem demokratischen Staat mitaufzubauen. Wenn wir nicht Es ist aus
12) Gesetz über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid (Landeswahlgesetz)
vom
Bayerisches GVOB1. Nr. 8 vom 14. April 1949, S. 69. 13) Die französische Militärregierung hatte durch die Verordnungen 50—54 die Rechtsgrundlage für die Kommunalwahlen am 15. September 1946 in den Ländern ihrer Besatzungszone (Baden, Hessen-Pfalz, Rheinland-Hessen-Nassau, Württemberg-Hohenzollern, Saargebiet) geschaffen (siehe hierzu ausführlich Lange, Wahlrecht, S. 124). 14) §§ 7—13 Landeswahlgesetz Schleswig-Holstein. 29. März 1949, in:
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den Mut haben, von uns aus zu sagen, daß diese Kreise nicht das Recht dazu das Wahlrecht kann später einmal geändert werden —, dann übersehaben hen wir die Situation, in der wir uns befinden. Wenn das in einzelnen Zonen anders ist, kann es uns nicht bewegen, von uns aus zu sagen: Diese Gruppen haben das aktive und jene das passive Wahlrecht, und wir wollen abwarten, wie sich die Militärregierung verhält. Dr. Diederichs: Gerade wenn wir feststellen, daß es in den verschiedenen Ländern verschieden geregelt ist, müssen wir hier mindestens einen Passus in das Wahlgesetz bringen, der das einheitlich regelt. Deswegen halte ich es für richtig, bezüglich des passiven Wahlrechts eine Bestimmung einzufügen, daß nicht nur diejenigen nicht gewählt werden können, denen die Wählbarkeit im Entnazifizierungsverfahren abgesprochen worden ist, sondern generell die Gruppen I bis III. Beim aktiven Wahlrecht bin ich nicht der Auffassung, daß man die Grenzen so eng ziehen soll; denn wir sind auf dem Wege, auch Leute, die irgendwie belastet waren, in irgendeiner Form wieder in die Mitarbeit im neuen Staat einzugliedern, soweit sie keine Verbrechen begangen haben und nicht kriminell sind. Jedes Ausnahmerecht ist für einen demokratischen Staat eine etwas peinliche Angelegenheit. Ich gebe zu, daß die politische Situation unmittelbar nach dem Umbruch gewisse Ausnahmen verlangte. Aber wir gehen ja auf weite Sicht. Wir bauen jetzt erstmalig über die Grenzen der Zonen hinaus und müssen sehen, daß wir nun die Form finden, die am fortschrittlichsten ist. Das ist meine Auffassung. Aber darüber kann man ja sehr verschiedener Meinung sein. Stock: Wenn wir nach dem Vorschlag des Herrn Kollegen Diederichs gehen wollten, hätten wir folgendes Novum: In die Landtage können Leute, die in die Gruppe IV eingereiht worden sind, nicht gewählt werden, —
(Widerspruch)
Nein, mit wenigen Ausnahmen können sie nicht gewählt werden. Bei uns jedenfalls nicht. Sie müssen das nehmen, was ist. Wenn sie in Hessen, das ein kleiner Staat ist, gewählt werden können, verstehe ich die Hessen nicht. Die sind sonst immer so helle. Dann muß es ein Lapsus sein. Wir hätten also dann in den Landtagen keine Leute, die in die Gruppe IV, Mit—
läufer, eingereiht worden sind; aber im Bundesparlament könnten sie sitzen. Das ist ein
Ding der Unmöglichkeit.
(Zurufe
von
verschiedenen Seiten)
Gruppen I bis III wollen Sie nur diejenigen ausschließen, denen das Wahlrecht durch die Spruchkammer ausdrücklich abgesprochen worden ist. —
Bei den
doch alle darüber klar, wie diese Entnazifizierungsausschüsse zuwaren und wie sie gearbeitet haben15). Wenn schon ein Kreispropagandaleiter in die Gruppe IV eingereiht worden ist: Meinen Sie, ich wollte mich mit ihm auf eine Bank setzen? Wir wollen das nicht machen. Oder wollen Sie dasselbe Schauspiel erleben wie in der Volkswagenstadt, daß die erWir sind
uns
sammengesetzt
15) Zur Kritik am Entnazifizierungsverfahren siehe auch oben S.
119
ff.
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ste Sitzung mit dem Horst-Wessel-Lied eröffnet wird16). Dagegen wehre ich mich. Wir müssen schon für den ersten Bundestag ein sauberes Wahlgesetz schaffen. Nachher kann es ja der Bundestag machen, wie er will, aber wir müssen sauber dastehen. Und wenn das im Bayerischen Landtag beschlossen worden ist, dann können wir es auch hier für den Bundestag beschließen, dann kann es nicht so furchtbar sein, daß man es nicht auch bei uns annehmen kann. Ich beantrage deshalb: die Gruppen I bis III sind nicht stimmberechtigt, und Gruppe IV ist nicht wählbar. Weiter kann man auf keinen Fall hinuntergehen; sonst würden wir uns selbst blamieren. Vors. [Dr. Becker]: Es liegen drei Anträge vor: Zunächst der Antrag Stock, in § 2 Ziffer 3 einzufügen : Wem das Wahlrecht im Entnazifizierungsverfahren rechtskräftig abgesprochen ist. Wir würden also hinzusetzen müssen: „Angehörige der Gruppe I, II und III sind keinesfalls wahlberechtigt." (Stock: Stimmberechtigt! Es heißt hier immer nur „stimmberechtigt"!) Also aktiv wahlberechtigt. Dann würde es so zu formulieren sein, wie ich es eben versucht habe. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, die Das sind 7. Ich bitte um die Gegenprobe. Das sind 3. Hand zu erheben. Der Antrag ist angenommen. Wir würden also bei § 2 Ziffer 3 hinzufügen: Darüber hinaus sind alle die nicht wahlberechtigt, die in die Gruppen I, II und III eingestuft sind. Weiter war der Antrag gestellt worden, in § 5 Ziffer c einzufügen: Minderbelastete der Gruppe III sind grundsätzlich nicht wählbar. Dieser Antrag ist nunmehr praktisch überholt. Darüber hinaus hat der Herr Kollege Stock den Antrag gestellt, auch die Angehörigen der Gruppe IV als nicht wählbar zu bezeichnen. Wer für diesen Antrag Das sind sechs Stimmen. Ich bitte um ist, den bitte ich, die Hand zu heben. die Gegenprobe. Das sind vier Stimmen. Der Antrag ist mit sechs zu vier Stimmen angenommen. Wir würden also hinzusetzen: Darüber hinaus ist nicht wählbar, wer in die Gruppen I mit IV eingestuft —
—
—
—
—
ist.
[2b. Wahlverfahren: Anzahl der Abgeordneten und der Wahlkreise (§§8—9)) Dann kämen wir zu Abschnitt II über das Wahlverfahren. Da bitte ich nun, die beiden Entwürfe nebeneinanderzulegen. Darf ich mir eine Vorbemerkung zu meinem Entwurf gestatten, um ihn zu erläutern. Auf Grund der eingangs erwähnten Besprechungen mit den einzelnen Herren und der ja in den Leitsätzen zum Teil niedergelegten Ansicht des Wahlrechtsausschusses habe ich den Entwurf gefertigt und mir dabei folgendes vorgestellt:
16)
Hier handelt es sich möglicherweise um die 1946 im Volkswagenwerk in Wolfsburg.
Betriebsversammlung
vom
15.
November
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In den Wahlkreisen sollen Abgeordnete auf folgende Weise gewählt werden. Im Lande bzw. in einem Länderverbande, der aus der Zusammenfassung kleiner Länder entsteht, wird die Wahlzahl aus einer Division der Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen durch die Zahl der für den Wahlkreis und für die Landesliste festgelegten Sitze errechnet. Das ist die Wahlzahl. Dann werden die Stimmen der Parteien durch die Wahlzahl geteilt mit dem Ergebnis, daß in den Wahlkreisen zunächst derjenige gewählt ist, der in dem betreffenden Wahlkreis die Wahlzahl erreicht hat. Es kann sich also ereignen, daß in einem etwas größeren Wahlkreis unter Umständen zwei Leute gewählt sind.
Wird die Zahl der Mandate, die für die Wahlkreise vorgesehen sind also nicht erreicht, werden zum Beispiel in Bayern zum Beispiel für Bayern: 44 nicht 44, sondern nur 35 Mandate in den Wahlkreisen besetzt, dann wird derjenige, der der Wahlzahl am nächsten kommt, im Wahlkreis als gewählt bezeichnet, und zwar so oft, bis die Zahl von 44 Wahlkreismandaten voll ist. Die Reste werden dann auf der Landesliste verrechnet, und zwar in der Reihenfolge der Liste. Maier: Es kann also vorkommen, daß in einem Wahlkreis ein Kandidat mit einem Drittel derjenigen Stimmen durchkommt, mit denen ein Kandidat im besten Wahlkreis gewählt ist. (Vorsitzender: Nein, zunächst steht die Wahlzahl fest.) Wenn er die Wahlzahl nicht erreicht, wird er trotzdem gewählt! Vors. [Dr. Becker]: Wenn in Bayern in 44 Wahlkreisen 44 Kandidaten die Wahlzahl erreicht haben, sind die Kreise besetzt. Wenn es nur 40 sind, dann gelten diejenigen vier Kandidaten als gewählt, die der Wahlzahl am nächsten gekommen sind. Der Rest geht auf die Landesliste. Heiland: Das heißt also, daß aus einem Wahlbezirk faktisch zwei Mann gewählt werden können? Denn es könnte doch vorkommen, daß der eine die Zahl erhält, während in einem anderen Wahlbezirk fünf gleichmäßig hohe Stimmen liegen. Diese fünf sind also viel weiter von der Zahl entfernt, mit der der erste mit absoluter Mehrheit gewählt worden ist. Der andere bekommt 40 %, liegt also höher, als alle fünf in dem anderen Wahlbezirk. Vors. [Dr. Becker]: Der ist dann nicht gewählt, weil er 40 % erhalten hat, sondern weil er die Wahlzahl erreicht hat. Frau Wessel: Ich bin durchaus dafür, daß die kleinen Parteien entsprechend ihrer Stimmenzahl berücksichtigt werden. Aber bei dieser Verrechnung kann es vorkommen, daß die kleinen Parteien zu Ungunsten der großen ein Übergewicht erhalten. Denken Sie nur an kleine Parteien, die irgendwo sehr massiert sind, wie zum Beispiel die Bayernpartei: die würde viel mehr Mandate herausholen können, als ihr aufgrund der Stimmenzahl zustehen. Sie braucht auf der Landesliste nicht mehr zu verrechnen. Vors. [Dr. Becker]: Das ist nicht möglich. Die Zahl der abgegebenen Stimmen wird durch die Zahl der Mandate geteilt. Es kann also gar nichts mehr geben. Frau Wessel: Ich nehme an, durch die Wahlzahl sind 40 Kandidaten sofort durchgekommen. Die übrigen vier, die der Wahlzahl am nächsten kommen wären alle Vertreter der Bayernpartei. Diese Partei bekäme nehme ich an —
—
—
—
—
680
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ohne weiteres die vier Mandate durch, und zwar mit einer viel kleineren Zahl als die großen Parteien. Walter: Das ist offenbar das württembergische Wahlgesetz, entworfen von Minister Ulrich17). Wir haben das Wahlsystem schon getätigt. Ich möchte es nachher demonstrieren. Hier will ich nur vorausschicken, daß offenbar ein Irrtum bei Frau Wessel vorliegt. Es ist keine Begünstigung der kleinen Parteien, es
geht
ganz
prozentual
zu.
Bayern bekommt 44 Mandate. Dann wird vorher die Wahlzahl berechnet. Wir wollen nun annehmen, die CDU/CSU bekommt eine Million Stimmen. Dann wird diese Zahl von einer Million durch 44 Kreisabgeordnete! geteilt. Es gibt nehmen wir an 50 000 Stimmen für einen Kandidaten. Also bekommt die Partei im Landesverband Bayern 20 Mandate. Nun werden die Mandate in den Kreisen so verteilt: wo die Wahlzahl 50 000 voll erreicht ist, ist ein Sitz eralso 2 x 50 000 Stimmen errangen. Ist die Zahl von 100 000 Stimmen reicht, sind zwei Sitze errungen. Nun sind für die Partei aber nur 15 Sitze vergeben. Dann bekommt sie in fünf weiteren Landkreisen, wo ihre Mitglieder am nächsten an die Wahlzahl heranreichen, fünf weitere Sitze. Es bleibt also innerhalb der Parteien alles gleich. Die Partei bekommt eben 20 Kreiswahlsitze. (Dr. Diederichs: Und zwar entsprechend der Relation der ihr zustehenden Sitze. Sie bekommt also nicht mehr, als ihr nach der Quote zusteht. Zu—
—
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rufe.)
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—
Nehmen wir an, in Bayern werden 4 000 000 gültige Stimmen abgegeben. Nun will ich einmal die Zahl von 50 nehmen. Die Wahlzahl wird errechnet, indem man 4 000 000 durch 50 dividiert. Das ist die Wahlzahl für die Kreissitze. Nachher gibt es noch eine Wahlzahl für die Landesliste, die wesentlich höher ist. Nehmen wir an, die CSU erhält 2 000 000 Stimmen. 2 000 000 dividiert durch 80 000 ergibt 25 Kreissitze für die Partei. Vors. [Dr. Becker]: Verzeihung, das stimmt nicht! Jetzt müssen Sie sämtliche Wahlkreise daraufhin durchschauen, ob die Partei in 25 Wahlkreisen wirklich je 80 000 Stimmen erhält. Walter: Darauf komme ich gleich! —
Nr. 114. Wahlgesetz für die Wahl des Landtags am 24. Nov. 1946 vom 16. Okt. 1946, in: Reg. Bl. Württemberg-Baden, Nr. 21 vom 5. Nov. 1946, S. 241-243. Zur Rolle Ulrichs siehe auch Lange, Wahlrecht, S. 49 f. Fritz Ulrich (12. Feb. 1888-7. Okt. 1969), SPD-Politiker, MdL Württemberg 1919-33, MdR 1930-33. Nach dem Krieg war Ulrich von 1945 bis 1956 Innenminister in Württemberg-Baden bzw. Baden-Württemberg. Ulrich hatte sich um die Jahreswende in Bonn aufgehalten, um sich dort mit seinen Parteigenossen u. a. über die Schaffung des Wahlgesetzes abzustimmen. Ulrich hatte bereits seit längerem die Synthese von Mehrheits- und Verhältniswahlsystem gefordert („Um das Wahlsystem", in: Haller Nachrichten vom 1. Okt. 1948; „Mehrheits- oder Verhältniswahl? Synthese der Systeme", in: Neuer Vorwärts vom 23. Okt. 1948). Sein Wahlrechtsvorschlag „Der Kampf um das beste Wahlsystem" wurde Anfang 1949 als ungekürzter Sonderdruck der Stuttgarter Nachrichten an die MdPR verteilt (PA Bestand 5/12). Zum Einfluß Ulrichs auf den vorliegenden Wahlgesetzentwurf Beckers siehe auch die Ausführungen des Ausschußvorsitzenden im Plenum am 24. Feb. 1949 (Stenographische Berichte, S. 153).
17) Gesetz
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Jetzt kommt die SPD. Die erhält
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1 OOO 000
Stimmen. Dividiert durch 80 000
er-
gibt zwölf Sitze. Nun geht die Sache folgendermaßen weiter. In den 50 Wahlkreisen wird in jedem einzelnen Wahlkreis nachgesehen, ob die 80 000 Stimmen von der CSU erreicht worden sind. Angenommen, sie habe in 20 oder 15 Kreisen tatsächlich
die Wahlzahl erreicht. Dann sind weitere fünf bzw. zehn Kreissitze für die CSU zu verteilen.
(Vors. [Dr. Becker]): Nein!) Diese fünf bzw. zehn Sitze bekomdie CSU der Zahl von 80 000 am nächsten gekommen ist. Das können also 78 000 oder 70 000 sein, die Zahl kann aber auch noch weiter heruntergehen. Auf jeden Fall bekommt diese Partei 25 Kreissitze und schädigt dadurch keine andere Partei. Vors. [Dr. Becker]: Meine Auffassung ist anders. Sie bekommt die 20 Mandate in den Kreisen, in denen sie 80 000 Stimmen erhalten hat. Nun wird bei jeder Partei nachgeschaut, welcher Kandidat in welchem Kreis den 80 000 am nächsten gekommen ist, ganz egal, welcher Partei er angehört. (Stock: Damit bin ich schon eher einverstanden!) Da geht niemandem etwas verloren, denn der nicht verbrauchte Rest würde auf die Landesliste kommen; sonst fällt er unter den Tisch. Stock: Nach Ihrer Auffassung würde es so sein: Zuerst bekommen diejenigen Kandidaten das Mandat, die die Teilungsziffer 80 000 erreicht haben. Aber da wir 50 Mandate zu verteilen haben, bekommen diejenigen, die dieser Ziffer am nächsten kommen, die weiteren Mandate, ganz abgesehen davon, bei welcher Partei sie stehen, bis die Zahl 50 erreicht ist. Vors. [Dr. Becker]: Ja, es soll ja die Persönlichkeit, die die Stimmen auf ihren Namen erhalten hat, gewählt werden. Stock: Das wäre dann schon eher eine Persönlichkeitswahl! Schröter: Nun besteht eine ganz große Gefahr: In Ländern mit starker Parteienzersplitterung besteht die Möglichkeit, daß ein Wahlkreis keinen Abgeordneten erhält. Wenn wir eine Einteilung in Kreisen vornehmen, müssen wir gewährleisten, daß die Bevölkerung dieses Kreises im Parlament vertreten ist. Wie können wir das machen? Vors. [Dr. Becker]: In Württemberg gibt es unter diesem Gesichtspunkt die Bestimmung, daß, wenn in einem Wahlkreis niemand mit der Wahlzahl gewählt ist, derjenige als gewählt gilt, der die relativ meisten Stimmen bekommen hat10). Nehmen Sie ein Beispiel! 80 000 ist die Wahlzahl. Ein Wahlkreis ist so zersplittert, daß die relative Mehrheit nur 40 000 beträgt. In einem solchen Wahlkreis würde derjenige gewählt sein, der 40 000 Stimmen erhalten hat. Dazwischen gibt es dann noch 10 andere Wahlkreise, deren Kandidaten 60 000 Stimmen auf ihrem Namen geholt haben. Da würde dann das Persönlichkeitsprinzip zurückwenn ich es einmal so zustehen haben gegenüber dem Kirchturmsprinzip nennen darf.
Also
—
men
so
ist
es
bei
unserem
diejenigen Wahlkreise,
System.
—
wo
—
18) Art. 17 Abs. 3 des württembergisch-hohenzollemschen Landeswahlgesetzes April 1947 (Amtsbl. Nr. 20, S. 533). 682
vom
17.
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Stock: Ich möchte doch bitten, nicht immer die sogenannte Persönlichkeitswahl herauszustellen. (Vors. [Dr. Becker]: Ich will es ja nur kurz kennzeichnen!) Es ist doch der Mann, den die Partei aufgestellt hat. (Wagner: Manchmal auch nicht!) Selbstverständlich! Schauen wir uns nur die Parlamente an: da sitzen soundso viele, die bei den Abstimmungen nur die Hand heben, aber sonst nichts zu sagen haben. „Aber in den Fraktionen, da reden wir, wenn wir auch im Landtag nichts zu sagen haben!" Nun sagen Sie, man müsse da auf die Persönlichkeit Rücksicht nehmen. Es ist nur so, daß es darauf ankommt, in welchem Wahlkreis der Betreffende aufgestellt wird; denn man weiß doch schon im voraus, wieviel Stimmen die Partei ungefähr bekommt. Man weiß zum Beispiel, wenn man in den Wahlkreisen 5, 6 und 7 aufgestellt wird, daß man mehr als die relative Mehrheit der Stimmen bekommt, aber wenn man in Niederbayern in dem Wahlkreis sowieso aufgestellt wird, weiß man, daß man ein noch so tüchtiger Kerl sein kann, daß aber der Bäckermeister aus Hintertupfing gewählt wird, weil er der richtigen Partei angehört. Wir wollen uns doch hier nichts vormachen. Es kommt doch nicht auf die Person, sondern darauf an, von welcher Partei man aufgestellt wird. Man braucht ja seinen Namen noch nicht einmal richtig schreiben zu können. Wir wollen uns hier doch nichts weiß machen. (Dr. Finck: Dann sieht es aber in Ihrem Wahlbezirk schlecht aus!) Ich sage: So ist es in der Praxis. Und da ist es nicht so, wie wir es uns vorstellen. Wenn es so ist, wie Sie (Dr. Becker) sagen, bin ich auch damit einverstanden. Aber so, wie es Herr Walter angeregt hat, geht es unter keinen Umständen. Dann würden die kleinen Parteien vollständig verschwinden. Das ist doch klar. Dr. Diederichs: Ein Einwand von Herrn Schröter scheint mir doch beachtlich zu sein. Weshalb müssen wir überhaupt eine Teilungsberechnung in der ersten Verrechnung machen? Es scheint mir doch richtig zu sein, daß die Wahlkreise gebildet werden, um aus jedem Wahlkreis einen unmittelbaren Vertreter im Parlament zu haben. Wenn wir aus den direkt zu Wählenden und den auf Landesvorschlag Zuzuteilenden einen Quotienten machen, bin ich der Auffassung, daß die direkte Wahl ja auch einmal einen Eingeborenen erreichen muß. Und dann beginnt die Verteilung weiterer Sitze nach der Landesliste. Deshalb brauchen wir meines Erachtens für die 1. Verteilung keinen Quotienten, sondern wenn in den Wahlkreisen derjenige gewählt ist, der die meisten Stimmen erreicht hat, dann kommt in der 2. Rechnung, in der die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen durch die Gesamtzahl der Mandate, die für das Gesamtgebiet in Frage kommen, also Kreis- plus Landesliste, geteilt wird, der Quotient heraus. Durch diesen werden die Stimmen jeder Partei geteilt, und dann heißt es: Der Partei X stehen soundso viele Mandate zu; soundso viel sind direkt gewählt, also bekommt die Partei X aus dem Restbestand noch soundso viele. Dann hat die Sache einen Sinn; dann haben wir auf der einen Seite die Durchsetzung eines Kandidaten innerhalb eines Wahlkreises und auf der anderen Seite den relativen Ausgleich durch die Landesliste. Inwieweit die einzelne Par—
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tei dadurch, daß sie auf dieser Liste Leute präsentiert, die Rückversicherung für bestimmte Kandidaten schafft, ist Sache der Partei, die sie aufstellt; denn sie muß wissen, bei wem sie solchen Sicherheitskoeffizienten einbauen will und bei wem sie glaubt, es nötig zu haben. Das trifft besonders bei kleinen Parteien zu, die nicht die Aussicht haben, einen unmittelbar Gewählten durchzubringen und daher diejenigen, die sie bestimmt hineinbringen möchten, auf diese Weise auf der Landesliste sicherstellen müssen. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich noch einmal fragen: Wie wollen Sie in den Wahlkreisen die Verrechnung vornehmen? (Dr. Diederichs: Relative Mehrheit!) wollen Sie sagen wird die Gesamtzahl zusamUnd im zweiten Gang und dann durch die Zahl die wird der Wahlkreis- plus Lanmengezählt, geteilt deslistenmandate. Dr. Diederichs: Dabei haben wir allerdings den Wunsch, daß man die Zahl der Wahlkreise mit den noch zu errechnenden Zahlen gleichstellt, so daß wir sagen: es werden nicht 44 in den Wahlkreisen direkt und noch einmal 33 zusätzlich gewählt, sondern 35 direkt und 35 zusätzlich, so daß also praktisch jeder Wahlkreis seinen Gewählten hat und auf jeden Gewählten noch einer durch die Verrechnung hinzukommt. Das wäre die unmittelbare Mehrheitswahl und der Proporz 50 : 50. Walter: Herr Schröter, wir haben ja das Wahlrecht ausprobiert, allerdings etwas anders^ Bei uns hat jeder Wahlkreis einen Abgeordneten bekommen. (Frau Wessel: Weil er kleiner ist!) Zum Beispiel hat die CDU in jedem Kreis mindestens einen Abgeordneten erhalten. Die sozialdemokratische Partei hat in drei oder vier Bezirken keinen von 26 erhalten, dafür aber in den größeren Städten entsprechend mehr. Die kleineren Parteien haben natürlich nicht in jedem Wahlkreis ein Mandat bekommen. Aber jeder Wahlkreis hat mindestens einen Abgeordneten gestellt. Das läßt sich evtl. auch durch eine andere Formulierung sichern. Aber wenn Sie die relative Mehrheit entscheiden lassen wollen, sind wir auch mit Ihnen einverstanden. Wir hatten viel weiter gehen wollen und überhaupt das englische Wahlsystem vorgeschlagen, aber das ist ja in diesem Ausschuß nicht erreicht worden19). Trotzdem arbeiten wir am jetzigen Entwurf mit. Vors. [Dr. Becker]: Es stehen zwei Fragen für die Wahlkreiswahl zur Debatte; erstens: Soll die relative Mehrheit entscheiden? und zweitens das württembergische Prinzip: soll die Wahlzahl entscheiden und, wenn sie nicht ausreicht, um die Wahlkreismandate zu besetzen: soll a., damit jeder Wahlkreis vertreten ist, dort, wo noch kein Wahlkreisvertreter gewählt ist, die relative Mehrheit entscheiden? oder soll b. derjenige gewählt sein, der die nächsthöchste Stimmenzahl bekommen hat, ganz gleich, welcher Partei er angehört? Vielleicht konzentrieren wir die Debatte auf diese Fragen. Frau Wessel: Wenn die Verteilung so erfolgt, wie sie vorgesehen ist, dann könnte es doch möglich sein, daß bei 50 %iger Wahlbeteiligung in Bayern 77 —
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19) Siehe oben Dok. Nr. 14, TOP 2. 684
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Kandidaten durchkommen und das ein anderes Land, das eine 80 %ige Wahlbeteiligung hat, auch nicht besser berücksichtigt wird. Auch hier wird nicht darauf gesehen, daß die Länder, die gut gewählt haben, auch entsprechend berücksichtigt werden; vielmehr bekommen die Länder, die schlecht gewählt haben, aufgrund einer solchen Berechnung die gleiche Abgeordnetenzahl. Und dagegen wehre ich mich. Ich will gerade den Ländern und Kreisen, die gut gewählt haben, dafür ein Äquivalent dadurch geben, daß sie ihre Abgeordneten hineinbekommen. Nach diesem Entwurf kann ich bei 40 %iger Wahlbeteiligung meinen Kandidaten auf jeden Fall durchbekommen. Schröter: Herr Kollege Becker, Sie haben von drei Möglichkeiten gesprochen. Nach meiner Auffassung dürfen wir ernstlich nur in Betracht ziehen, daß entweder die relative Mehrheit oder der Wahlkoeffizient entscheidet. Die dritte Möglichkeit, daß man zunächst den Wahlkoeffizienten entscheiden läßt, daß man aber bei den Wahlkreisen die relative Mehrheit einschaltet, halte ich nicht für gegeben. Nach meiner Auffassung gibt es nur zwei klare Entscheidungen: Entweder relative Mehrheit oder Wahlkoeffizient. Und wenn wir uns für den Wahlkoeffizienten entscheiden, müssen wir in Kauf nehmen, daß mal ein Wahlkreis nicht vertreten ist. Es würde mir schließlich doch nach einiger Überlegung nicht schwer fallen, das zu ertragen. Wenn zum Beispiel in SchleswigHolstein 13 Abgeordnete gewählt werden, kann der, der in Südtondern oder Husum gewählt wird, auch die Flensburger Interessen mitvertreten. So ängstlich ist das nicht. Aber es kann nur die beiden Möglichkeiten geben: Entweder relative Mehrheit oder Wahlkoeffizient. Heiland: Ich glaube, der Strukturfehler liegt darin, daß wir den Verhältnisausgleich nur auf der Landesebene geben wollen. Dadurch kommen wir zu dem Fehler, den Frau Wessel sehr klar bezeichnet hat. Ich würde vorschlagen, daß wir eine klare Trennung vornehmen und 50 % der Abgeordneten mit relativer Mehrheit in den Wahlbezirken wählen lassen. Ich könnte mir denken, daß auf der Länderebene oder auf der Wahlverbandsebene ein gewisser Ausgleich geschaffen wird. Ob der letzte Ausgleich, der mit denjenigen Stimmen erzielt wird, die in den Ländern überschüssig bleiben, bei 200 Mandaten oder bei 400 Mandaten erreicht wird, bleibt in der Konsequenz dasselbe. Man muß aber in der Schlußabrechnung wirklich darauf schauen, daß die bayerischen Stimmen nicht schwerer wiegen als die Berliner oder die Hamburger oder irgendwelche sonstigen Stimmen, damit wir dann tatsächlich ein Parlament bekommen, in dem sich die wirklich für eine Partei abgegebenen Stimmen in der Zahl der Sitze widerspiegeln. Das ist aber nur möglich, wenn wir den Verhältnisausgleich nach einem Koeffizienten vornehmen, der sich über das ganze Bundesgebiet erstreckt. Daß man also in einem Lande mit 80 000 Stimmen kein Mandat erringen kann, während man in einem anderen Lande mit 40 000 Stimmen eins bekommt, wenn wir nämlich nur den Länderausgleich haben, dagegen melde ich sehr ernsthafte Bedenken an. Die sture Landesliste oder Verbandsliste, wie sie in den einzelnen Ländern vorgesehen ist, ist nicht genügend. Als letzter Ausgleich muß die Bundesliste da sein. Dann hätten wir auch die Dinge ausgeglichen. 685
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Schröter: Ich glaube, diese Frage ist sehr glücklich dadurch gelöst, daß wir uns auf eine Bundesrestliste festlegen. Da erscheinen die Vertreter der einzelnen Länder, und wenn ein Überschuß da ist, werden für Schleswig-Holstein nur die Vertreter des Landes Schleswig-Holstein gewählt. Das ist doch eine Lösung, die wir bereits gefunden hatten20). Frau Wessel: Dann brauchen wir keine Länderliste. Wir haben uns doch darauf geeinigt, daß wir eine Bundesliste machen, und darauf werden die Vertreter der einzelnen Länder als solche bezeichnet. Stock: Das ist zu kompliziert. Wir haben das in der Fraktion durchberaten. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe es nach längerem Durchdenken weggelassen, weil es zu kompliziert ist. Aber man kann eine Bundesliste als letzte Ergänzung machen, vielleicht aber auf einer anderen Grundlage. Dann wollen wir uns auf die Frage der Wahl in den Wahlkreisen konzentrieren. Folgende Fragen stehen zur Debatte: 1. Soll in den Wahlkreisen die relative Mehrheit entscheiden? 2. Oder soll der entscheidend gewählt sein, der die Wahlzahl hat plus demjenigen, der der Wahlzahl am nächsten kommt? Stock: Eine Frage! Wir bekommen so große Wahlkreise, daß unter Umständen zwei Kandidaten in einem Wahlkreis gewählt werden: der eine hat die relative Mehrheit, der andere hat vielleicht nur 2 000 Stimmen weniger. Wo soll der untergebracht werden? Schröter: Auf der Landesrestliste. Dann wird ein Wahlkoeffizient aufgestellt, und dann wird der eine wahrscheinlich dem Wahlkoeffizienten am nächsten kommen und auf diese Weise hineinrutschen. Heiland: Das ist ein Punkt, den wir bei einem anderen Paragraphen zu regeln haben werden. Vors. [Dr. Becker]: Das ist wohl richtig, aber wir sprechen ja nur die Grundsätze durch. Dr. Diederichs: Wenn wir zu 50 % im Wahlkreis und 50 % im Ausgleich kommen und dann den Quotienten errechnen, dann wird der Quotient für die direkt Gewählten und für die indirekt Gewählten gleich groß, denn es ist fiftyfifty. Der Teiler wäre in beiden Fällen derselbe. Die Restmandate würden also denselben Preis kosten wie die direkten Mandate. Insofern bleibt es sich praktisch gleich, ob man bei dem direkt Gewählten die relative Mehrheit nimmt oder mühsam einen Quotienten errechnet, wobei die Möglichkeit besteht, daß dieser Quotient nicht erreicht wird und man im Wahlkreis jeweils denjenigen nehmen muß, der ihm am nächsten kommt, was praktisch dadurch geschähe, daß man aus den verfügbaren Reststimmen diesen Mann rechenmäßig auf den Quotienten auffüllen würde und er dann gewählt ist. Dann ist es ja an sich bei dieser Verteilung wesentlich einfacher. Ich sage: Im Wahlkreis ist derjenige gewählt, der die meisten Stimmen hat, und die übrigen werden nach der Quote berechnet. Da das fifty-fifty ist, zahlt praktisch jeder denselben Preis. Dabei kann es höchstens passieren, daß in dem einen Wahlkreis der Mann für sein 20) Siehe oben Dok. Nr. 22, TOP 4 (Leitsatz Nr. 4). 686
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meisten Stimmen davongetragen hat, ein paar tausend Stimmehr bekommt. Dafür findet sich nachher in der Berechnung dadurch der Ausgleich, daß in jedem Wahlkreis noch einer zu der Berechnung hinzukommt. Man wird es nicht erreichen können, daß alle Abgeordneten, die in ein Parlament kommen, praktisch dieselben Stimmenzahlen haben. Wenn man auch einen Quotienten errechnet, dann hat auch derjenige, der in einer sehr stark geballten Gegend das Eineinhalbfache oder das Eindreiviertelfache der Quote erzielt hat, im Parlament auch nur eine Stimme. Das nimmt ihm keiner ab. Und diese Mehrstimmen kommen einem seiner Kollegen der gleichen Partei zugute, weil diese Stimmen bei der Verrechnung in den großen Topf kommen und auf die Zahl der Mandate verteilt werden. Also den Leuten, die mit starkem Überschuß gewählt werden, kann keiner die Stimmen wegnehmen. Deshalb bleibt es sich gleich. Und wenn wir zu der Basis fifty-fifty kommen, ist es praktisch
Mandat, das die men
gleich groß.
Ich würde es aber für gut halten, daß man außer der Verrechnung im Lande doch eine Möglichkeit für die Gesamtabrechnung im Bunde schafft, vielleicht in dem Sinne, daß man die durch Berechnung noch zu verteilenden zusätzlichen 50 % in der Weise aufteilt, daß man 30 % unmittelbar im Lande und 20 % aufgrund der Bundesliste vergibt, daß man also diese restlich zu verteilenden Mandate auf zwei Stellen verteilt. Ich glaube, darauf könnten sich dann alle Parteien einstellen. Sie können die Leute, die sie über die Bundesliste hineinhaben wollen, an deren Spitze stellen, oder, wenn Sie sie im Wahlkreis haben wollen, könnten sie sie auch da sicherstellen. Wir könnten hier einen Modus finden, daß es gestattet wäre, die Leute gleichzeitig auf die Bundes- und auf die Landesliste zu setzen. Dagegen bestehen meiner Ansicht nach kaum Bedenken. (Löbe: Das ist auch früher so gemacht worden!) Und das würde den Wünschen der Parteien entgegenkommen; denn wir müssen doch mit den Parteien rechnen und nicht nur mit Personen; denn schließlich stellen die Parteien die Kandidaten auf, und wenn sie für sie eine Werbung vornehmen, kleben sie Plakate an, auf denen nur drei große Buchstaben stehen und nichts von irgendwelchen Namen, und diese drei Buchstaben wirken dann suggestiv. (Finck: In Bonn sieht es anders aus. Da haben sie Fotografien angeklebt!) Meine Bilder hängen heute noch da, aber kein Mensch kennt mich darauf. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich Herrn Kollegen Diederichs bitten, noch etwas nach der technischen Seite hin zu präzisieren. Sie wollen im Wahlkreis eine bestimmte Zahl von Kandidaten wählen lassen, für jeden Wahlkreis einen. (Schröter: 50 : 50: das möchte ich erklärt haben!) Dr. Diederichs: Was hier steht ist ja nicht 50 : 50. Das ist ja der Vorschlag, der von mir ausgeht, weil ich damit in den Einzelwahlkreis mit der relativen Mehrheit die Note des persönlichen Sichdurchsetzens hineinbringe. (Schröter: Bedeutet das nicht entweder eine Verkleinerung der Wahlkreise oder eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl?) —
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Eine Vergrößerung der Wahlkreise! Im Entwurf sind in den Wahlkreisen und auf Landesliste 33 Abgeordnete21). Demgegenüber schlage ich vor, es 50 : 50 zu machen. Dann werden 39 direkt gewählt und 39 zusätzlich errechnet. Das bedeutet in Bayern 39 statt 44 Wahlkreise. Der einzelne Wahlkreis würde etwas größer werden. Vors. [Dr. Becker]: Und dann wollen Sie im Wahlkreis die relative Mehrheit entscheiden lassen, wollen dann die Gesamtsumme aller abgegebenen Stimmen also Wahlkreis- plus zusammenrechnen, durch die Zahl der Gesamtmandate Landeslistenmandate teilen, daraus die Wahlzahl errechnen und dann auf das Land die Zahl von 30 oder 40 oder 50 % verteilen, wobei dann die im Wahlkreis Gewählten angerechnet werden sollen. Schröter: Stimmt das? Ich hatte es anders aufgefaßt. Dr. Diederichs: Die 40 Leute in den Wahlkreisen werden mit relativer Mehrheit gewählt. Jetzt haben die Parteien A, B und C kandidiert. Die Partei A hat 4 000 000, B 2 000 000, C 1 800 000. Das sind rund 8 000 000 Stimmen. Das wird durch 80 dividiert, denn es gibt im Ganzen 80 Sitze. Diese Division ergibt den Quotienten. Acht Millionen durch 80 sind 100 000. 100 000 auf vier Millionen wären 40; die Partei A hätte also 40 Sitze zu beanspruchen, die Partei B 20, die Partei C 18. Jetzt haben sie von den 40 Sitzen in den Einzelwahlkreisen 27 direkt bekommen. Also bekommen sie noch 13 nach. Die Partei B hat von den 20 Sitzen, die sie zu beanspruchen hat, sieben bekommen; also bekommt sie noch 13 Sitze nach. Die Partei C hat von 18 neun bekommen, bekommt also neun nach. Das kann gar nicht schief gehen. Es werden nicht mehr verteilt, als dem Lande wirklich zustehen. Nun taucht die Frage auf, ob diese restlichen 40 nur aus einer Landesliste verteilt werden sollen oder etwa 30 aufgrund einer Landesliste und 10 aufgrund einer Bundesliste. Das ist kein Problem. Vors. [Dr. Becker]: Dann müssen Sie bei der Bundesliste den Koeffizienten für den ganzen Bund errechnen. —
44
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(Zurufe) Ich würde den Koeffizienten auf der Landesliste empfehlen. Ich sehe nicht ein, warum ein Land, das schlecht gewählt hat, gut belohnt werden soll. Heiland: Wenn sie über die Landesliste verrechnet werden, wird es gut belohnt. Vors. [Dr. Becker]: Das gute Land muß das schlechte Land durchschleppen. Ich meine mit Durchschleppen nicht die Zahl der Mandate, sondern die Person. Stock: Schauen Sie die letzte Wahl an! Solch ein Unterschied zwischen den einzelnen Ländern in den Wahlprozenten ist gar nicht vorhanden gewesen. Durchschnittlich ist mit 77 % bis 78 % gewählt worden22). —
8 des Beckerschen Kompromißentwurfs (Anlage zum Kurzprotokoll der 22. Sitzung, Drucks. Nr. 606). 22) Siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 76 und 77. Die Wahlbeteiligung bei den Gemeinde- sowie Land- und Stadtkreiswahlen im Herbst 1948 schwankte zwischen 70,5 % (Bürgerschaftswahlen Hamburg vom 16. Okt. 1948) und Berlin 86,3 % (Stadtverordnetenwahl vom 5. Dez. 1948).
21) §
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Walter: Ich habe gegen diese Berechnung von Herrn Diederichs doch einige Bedenken, weil die Wahlkreise weitgehend nicht zum Zuge kommen können. Ich möchte vielleicht anregen, eine andere Frage zu klären, weil sie mir die wichtigste zu sein scheint, nämlich die Teilung 50 : 50. Ich war ganz überrascht; schon bei dem Entwurf Becker schien mir die Zahl der Landeslistenmandate gegenüber der der Kreismandate reichlich hoch zu sein. Bei 386 Abgeordneten ist sie reichlich hoch. Wir haben etwas weniger, wir haben höchstens 100 Abgeordnete auf der Landesliste23). Ich bitte, über diese Zahl zu debattieren, weil sie auf die technische Art der Berechnung nicht ohne Einfluß sein kann. Ich glaube, daß auch meinen politischen Freunden ein Verhältnis von 50 : 50 viel zu hoch sein wird. Löbe: Würden wir uns nicht den Einblick in diese komplizierte Angelegenheit erleichtern, wenn wir von unten anfingen? Dann würden wir sagen: Wir wollen insgesamt 400 Abgeordnete wählen. 200 Abgeordnete sollen in den Einzelwahlkreisen direkt gewählt werden, und von den anderen 200 werden 150 in Landeslisten und 50 in der Bundesliste aufgeteilt. So ist der Plan. Nun errechnen wir am Tage nach der Wahl die Quote für den ganzen Bund und schalten damit die Frage nach der schlechten oder guten Wahlbeteiligung aus, weil eine gemeinschaftliche Grundlage vorhanden ist. Aufgrund dieser Quote sagen wir dann zunächst: In dem einzelnen Wahlkreis sind soundso viele Stimmen für jede Partei übriggeblieben. Die wandern zunächst auf diese Wahlkreisverbandsliste und dann auf die Bundesliste. So war es ja auch bei den Wahlen der Weimarer Zeit: der Landesverband glich zuerst aus, und zuletzt glich die Reichsliste aus. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich noch um eine Ergänzung bitten? Was würden Sie in den Wahlkreisen entscheiden lassen: Die relative Mehrheit oder die Wahlzahl? Wenn Sie die relative Mehrheit wählen: wollen Sie bei jedem Kandidaten die Stimmenzahl, mit der er gewählt ist, abbuchen,
[Löbe: Ja, die!) oder wollen Sie das Mandat abbuchen? Löbe: Nein! Es soll dabei bleiben, daß jede Partei am Ende doch den Anteil an Mandaten hat, wie sie Stimmen bekommen hat. Vors. [Dr. Becker]: Sie würden also die Stimmen abbuchen und nicht die Mandate. Kuhn: Es ist soeben gesagt worden, daß die Zahl der Wahlkreise keineswegs verkleinert werden dürfe. Ich möchte nur daran erinnern, daß der Wirthsche Vorschlag der Wahlrechtsreform von 1930 oder 1931 für das ganze Reichsgebiet nur 162 Wahlkreise vorgesehen hatte24). Wir sind nun ein kleineres Gebiet. (Zuruf des Abgeordneten Walter.) Gestatten Sie: Die Diskussion um das Wahlrecht drehte sich um dieselben Und wir würden bei Punkte, die auch hier immer wieder angeführt werden. einem verringerten Gebiet noch mehr Wahlkreise machen. Wir können es ja —
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23) § 2 Abs. 1 des CDU/CSU-Entwurfs sah die Wahl von 100 Abgeordneten auf der Bundesliste
vor.
Vgl. Drucks.
Nr. 450.
24) Siehe oben Dok. Nr. 9, Anm.
15.
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den einzelnen Parteien anheimstellen, ob sie aus ihrem Reservoir so viele Persönlichkeiten herausschöpfen können, die nachher auch die positive parlamentarische Arbeit zu leisten imstande sind. Wir haben schon von hier aus gesagt, daß wir nicht ein zu großes Parlament haben wollen, und zwar aus eben diedas sind zwei sen Gründen. Bei einem Wahlkreis von 200 000 Einwohnern ist ein Abgeordneter bestimmt gut bekannt. Da hätte preußische Landkreise ich keine Besorgnisse. Schröter: Wir müssen uns also zwischen dem Vorschlage Dr. Becker und dem entscheiden. 50 : 50 Vorschlage Dr. Diederichs Im Interesse der Größe des Wahlkreises würde ich mich für den Beckerschen Vorschlag entscheiden. Das ist meine persönliche Auffassung. Da würde ich nicht schwanken. Dann habe ich noch eine Bitte. Ich höre von Herrn Löbe zum ersten Mal das —
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„Verbandswahlkreis". Da gibt es in Schleswig-Holstein Revolution25). Das würde in der Praxis bedeuten, daß die Stimmen, die in Schleswig-Holstein abgegeben würden, einem Hamburger oder einem Bremer zugute kommen würden. Angesichts der großen Probleme, vor denen gerade wir in Schleswig-Holstein stehen26), möchte ich nicht, daß sie von einem Hamburger oder Bremer vertreten werden, der diese Probleme nicht kennt. Deswegen würde ich mich doch dafür entscheiden: Landeswahlkreise und Bundesrestliste. Vors. [Dr. Becker]: Da darf ich einschalten: Weil mein Vorschlag keine Bundesliste kennt, habe ich die Verbandswahlkreise gewählt. In dem Augenblick, wo Sie eine Bundesliste wählen, braucht man die Verbände vielleicht nicht mehr, obwohl ich mir gerade in dem von Ihnen angedeuteten Fall vorstellen könnte, daß sie vielleicht richtiger wären. Dr. Diederichs: Ich möchte versuchen, Herrn Schröters Bedenken etwas zu zerstreuen. Herr Schröter, wenn Sie in Schleswig-Holstein, wie es nach diesem Vorschlag vorgesehen ist, 13 Wahlkreise oder nach meiner Einteilung elf Wahlkreise haben mit der Garantie, in jedem Wahlkreis erst einmal auf dem relativen Wahlweg einen Vertreter zu haben, so haben Sie diese elf Leute für Schleswig-Holstein auf jeden Fall sicher. Außerdem ist hier weiter vorgesehen, daß zu diesen elf nach meinem Vorschlag noch weitere elf durch die Stimmenverrechnung hinzukommen. Von diesen elf würden Ihnen, selbst wenn Sie mit Hamburg und Bremen zusammengetan würden, schlimmstenfalls einer, allerschlimmstenfalls zwei verlorengehen; mit demselben Risiko können Sie aber nach Methode IXa27) auch noch ein oder zwei Mandate gewinnen. Die Situation ist also meines Erachtens auch für ein Land wie Schleswig-Holstein nicht schlimmer als für irgendein anderes. Ich habe ja nichts dagegen, daß im Wahlkreisverband oder im Land eine gewisse Zwischenverrechnung vorgenommen Wort
25) Zum Konflikt zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein siehe oben Dok. 26) 27) 690
Nr. 17, Anm. 59. Zu den besonderen Problemen Schleswig-Holsteins siehe auch oben S. 524 f. Gemeint ist die in § 9 Abs. 1 des Becker-Entwurfs vorgeschlagene Verrechnung auf Landesebene.
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wird und dann eine Bundesliste kommt. Deshalb habe ich die Aufteilung vorgeschlagen. Ich bin also nicht der Ansicht, daß da irgendein Land Bedenken zu haben braucht, daß es bezüglich der Vertretung seiner Interessen zu kurz kommen sollte. Zweitens möchte ich gegenüber den Bedenken von Herrn Kollegen Walter bezüglich des fifty-fifty noch folgendes hinzufügen. Der Vorschlag, mit 300 Wahlkreisen und 100 abzurechnen, bedeutet meiner Ansicht nach eine viel zu weitgehende Aufsplitterung. Wir wollen uns das eine nicht verhehlen: wir sollen ein Parlament für ein gesamtes Westdeutschland wählen, nämlich ein Bundesparlament. Das Ideal wäre an sich, daß man insgesamt wählte, so daß jeder Staatsbürger für das Gesamtgebiet praktisch eine Auswahl hätte. Das geht technisch nicht. Mein erster Vorschlag, von dem wir ja schon weitgehend abgekommen
sind26), (Stock: das
war
der
richtige!)
große Wahlkreise,
weil große Wahlkreise schon in sich den AusIhm kommt hier dieser Vorschlag einer Abrechnung über die Länder in gewisser Weise entgegen. Deshalb wollte ich große Wahlkreise, weil ich eine weitgehende Aufsplitterung in kleine Wahlkreise für kein Glück halte. Wir haben Splittermomente in Deutschland genug. Wir haben konfessionelle Gegensätze, Zonengrenzen, Ländergrenzen, Stadtstaaten und was sonst alles für Gegensätzlichkeiten vorhanden sind. Wir haben wenig Veranlassung, diese Aufsplitterung noch zu erhöhen, und wir erreichen dadurch außerdem noch, daß wir durch diese Aufteilung und durch diese kleinen Wahlkreise auch diesen ausgesprochenen Lokalparteien noch eine Reverenz machen und ihnen eine Chance bieten. Das alles wollte ich durch die großen Wahlkreise über ein größeres Gebiet vermeiden. Das ist praktisch durch ein Entgegenkommen unsererseits ein an sich aufgegebener Standpunkt. Aber wenn man jedem Lande eine bestimmte Anzahl unmittelbar gewählter Kandidaten in Einzelwahlkreisen gestattet, ist es wirklich egal, ob ein solcher Wahlkreis 200 000 oder 250 000 Einwohner hat; das ist, im Gesamtaspekt auf die Bundespolitik gesehen, kein Problem, mit dem wir uns herumschlagen müßten. Ich bin der Überzeugung, daß sich ein Mensch, der politisch aktiv ist und das Format hat, im Bundesrahmen politisch tätig zu sein, in einem Wahlkreis mit 250 000 Einwohnern genau so bekannt machen wird, wie in einem mit 200 000 Einwohnern. Vors. [Dr. Becker]: Herr Dr. Diederichs wies schon daraufhin: Ob 200 000 oder 230 000 macht bei einer Einwohnerzahl von 46 000 000 plus rund 2 000 000 für Berlin einen Unterschied von 205 000 bis 240 000, also ein Unterschied von 25 000 bis 35 000 in einem Wahlkreis. Das würde, auf ehemalige preußische Verhältnisse übertragen, einen Wahlkreis in Größe von rund drei preußischen Landkreisen bedeuten. Frau Wessel: Ich möchte ebenfalls der CDU zu bedenken geben, ob es nicht doch möglich ist, daß wir uns auf dieser Basis einigen. Mir ist natürlich der er-
ging auf
ganz
gleich haben.
178 und 474 (Dok. Nr. 8, TOP 4 und Anm. 20 sowie Dok. Nr. 20). Beide Vorsahen bundesweit 44 Wahlkreise vor.
28) Drucks. Nr.
schläge
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Wahlvorschlag
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Herrn Dr. Diederichs im großen und ganzen viel symzwar aus den Gründen, die ich angegeben habe: hinund phatischer gewesen, sichtlich der Frauen, hinsichtlich der Flüchtlinge, hinsichtlich der Fachleute. Damit wir aber überhaupt weiterkommen, müßte man doch einmal rein praktisch überlegen. Herr Dr. Diederichs und Herr Dr. Becker haben bereits gesagt, die Größe der Wahlkreise bei 50 :50 würde ja gar nicht so verschieden sein, vor allen Dingen, wenn man berücksichtigt, daß die Bevölkerung heute in einzelnen Gegenden viel massierter wohnt als früher. Wenn sie dann noch Sitze über eine Landesliste bekommen dann haben sie Mögsagen wir zu 30 % lichkeit, auch hier noch die entsprechenden Leute unterzubringen, die sie in ihrem Wahlkreis nicht hineinbekommen haben. Ich denke dabei wieder an die Frauen, an die Flüchtlinge, an die Sachverständigen. Sie könnten sie auf Orte verteilen, die bei den Wahlen nicht direkt berücksichtigt sind. Alles in allem gesehen bin ich der Meinung: wenn wir wirklich zu einem Resultat kommen wollen, müßten wir von dieser Basis ausgehen. Dr. Diederichs: Ich möchte gern noch eins ins Feld führen. Es ist Ihnen bekannt, daß Herr Dr. de Chapeaurouge hier seinerzeit anregte, für Flüchtlinge im vorhinein und vorab 50 Mandate sicherzustellen, um ihnen, die gerade bei einer Personenwahl in Einzelwahlkreisen verhältnismäßig schlechte Chancen haben das wird jeder unumwunden zugeben müssen —, die Möglichkeit einer ihrer Masse entsprechenden Vertretung in den Parlamenten zu geben29). Das ist an sich abgelehnt worden, weil man sagte, man könne ein Wahlrecht in dieser Form zugunsten irgendeiner Gruppe, die man gar nicht auf die Dauer als solche stabilisieren, sondern lieber in sich aufsaugen möchte, nicht machen. Ich bin aber der Ansicht, daß wir durch die Möglichkeit, neben 50 % direkt Gewählten 50 % auf Reststimmen oder auf dem Wege der Verhältnisverrechnung zu verteilen, auch den Flüchtlingen und auch den Frauen zwei Kategorien, die sich bei der Lage unserer Dinge im Einzelwahlkreis schlecht durchsetzen können die Möglichkeit geben, eine entsprechende Vertretung zu haben. Der Parlamentarische Rat hat sich ja nach eingehender Prüfung und Debatte weitgehend für die Gleichberechtigung der Frauen eingesetzt30). Man kann ihnen auf diese Weise nun auch in den Parlamenten und in der Meinungsbildung in ihnen eine gewisse Chance geben. Ich wollte das hier noch einmal einfügen. Eine Sonderstellung der Hüchtlinge hält man nicht für möglich. Aber hier kann man doch durch einen solchen Ausgleich eine entsprechende Berücksichtigung sichern. Das scheint mir ein Gesichtspunkt zu sein, der doch nicht von der Hand zu weisen ist. Stock: Ich wollte nur etwas Praktisches sagen. Herr Löbe hatte den Vorschlag ste
von
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gemacht,
200
150 -
50. -
29) Vgl. oben 624. 30) Verhandlungen des Hauptausschusses vom 3. Dez. 1948 (S. 209) und vom 5. Mai 1949 (S. 744 f.). Zur Gleichberechtigung der Frauen auch auf dem Gebiet des Wahlrechts, siehe oben S. 635 ff. Zur Geschichte des Art. 3 Abs. 2 GG („Männer und Frauen sind gleichder Artikel des
berechtigt") siehe v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte Grundgesetzes, S. 66 ff. 692
Zweiundzwanzigste Sitzung (Löbe: Nur Aber
zur
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Erwägung!)
wirklich ein praktischer Vorschlag. Das würde bedeuten, daß wir ganz Westdeutschland, den Bund, in 200 Wahlkreise aufteilen. Das wäre die Vorbedingung. Wir müßten dann errechnen, auf wieviel tausend Einwohner ein Wahlkreis kommt. Natürlich müßten wir immer so rechnen, daß, soweit es möglich ist, der eigentliche Landesverband in diese Wahlkreise aufgeteilt ist. Das wäre das erste. Dann würde die Teilungsziffer von den gesamten abgegebenen Stimmen im gesamten Bundesgebiet ausgerechnet werden und auf Grund dieser Teilungsziffer würden dann die Mandate in den 200 Wahlkreisen aufgeteilt werden. Also die 200 wären dann dort, wo sie die Mehrheit errungen haben, gewählt. Dann könnte es möglich sein, daß eine Partei auf Grund der Tatsache, daß sie in diesen 200 Wahlkreisen ihren Quotienten erreicht hat, auf der Landesliste und der Bundesliste kein Mandat mehr bekommt, weil keine Stimmen mehr nun
ist
es
—
übrig sind,
(Löbe: eine unwahrscheinliche Sache!)
kann aber sein! —, so daß bei dieser Aufteilung, wenn wir die CDU sie werden sich sicherlich verbinden, und die CSU als eine Partei rechnen sonst könnten ihnen Stimmen verlorengehen —, nach meinem Dafürhalten die kleinen Parteien nicht zum Zuge kommen würden, weil die Stimmen auf das ganze Bundesgebiet verrechnet würden und auch die Möglichkeit besteht was wir auch wollen -, Flüchtlinge und Frauen auf die Bundesliste setzen zu lassen. Ich glaube, wenn wir das praktisch auswerten, könnten wir uns auf dieses System einigen und das hoffe ich auch von der CDU —, das auch hier bei den Wahlberechtigten eine breite Basis finden wird. Nun müßte man sich hinsetzen und ausrechnen, wie groß die Wahlkreise sein müssen, wie man sie am praktischsten einteilt, und dann werden wir sehr rasch zum Ziel kommen. Vors. [Dr. Becker]: Ich möchte vorschlagen, daß wir schrittweise vorgehen. Ich möchte mich der Anregung von Herrn Löbe anschließen und folgendes feststellen. 1. Sind wir mit 400 Mandaten im ganzen Bundesgebiet einschließlich Berlin einverstanden? Ich glaube, darin besteht Übereinstimmung. es
—
—
—
—
(Zustimmung.)
2.
—
Sind wir darüber einig, daß wir wählen wollen: a. in Wahlkreisen, b. auf Grundsätzlich besteht darüber wohl auch c. auf Bundesliste?
Landeslisten,
—
Einigkeit.
3. Wieviel von den 400 Mandaten sollen in Wahlkreisen gewählt werden? Hier waren 230 genannt, dort 200. Ich sehe persönlich den Unterschied nicht als so
erschütternd
Äußerungen.
an,
daß
man
sich darüber
groß
zu
streiten brauchte. Ich bitte
um
Walter: Uns erscheint schon Ihr Vorschlag als beinahe zu viel, und jetzt noch Abgeordnete wegnehmen und der anderen Seite hinzurechnen, scheint mir nicht möglich. Die Wahlkreise werden zu groß. Die Fühlung geht verloren. Ich vertrete im Landtag einen Wahlkreis, der so groß ist wie drei preußische Kreise 693
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früher
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Das ist jetzt ein Wahlkreis31) geworden. Dieser Wahlkreis hat et130 000 Einwohner. Von einem Zipfel zum anderen sind es 60 km bis 70 km. Der Wahlkreis umfaßt 65 Gemeinden, darunter nur drei bis vier mit mehr als 4000 Einwohnern. Es ist mir bisher noch nicht möglich gewesen, in allen kleineren Gemeinden gewesen zu sein, obwohl ich beinahe in jedem Monat mehrmals draußen bin. Es ist einfach nicht möglich, herumzukommen und waren.
wa
die nötige
Fühlung
zu
erreichen.
Wir sind zunächst von 150 000 Einwohnern ausgegangen32). Dann hat es geheißen 200 000, jetzt sind es 250 000 Menschen, das geht zu weit. Die Wahlkreise werden zu groß. Deswegen möchte ich, obwohl ich auch hier noch Bedenken habe, beantragen, die Verteilung so vorzunehmen, wie es in dem Entwurf von Kollegen Dr. Becker vorgeschlagen ist. Dr. Diederichs: Das Argument der Größe der Wahlkreise scheint mir deshalb nicht zu ziehen, weil das lokalmäßig gesehen grundverschieden ist. Wer einen Großstadtbezirk hat, hat es immer besser. Der hat drei große Säle zur Verfügung, redet drei Mal und hat damit seine Wähler erfaßt. Wir haben in Niedersachsen Wahlkreise mit 40 000 bis 65 000 Einwohnern. Da bin ich im Verhältnis zu meinem Nachbarkollegen in einem ungeheueren Vorteil. Ich habe den Oberharzwahlkreis, habe in meinem Wahlkreis 26 Gemeinden. Ich war in jeder Gemeinde gewesen. Das war kein Problem. Mein Nachbar aber hat in seinem Wahlkreis 269 Gemeinden, und es war gar nicht daran zu denken, in ihm herumzukommen. Dazu war der Wahlkreis räumlich zu groß. Er hatte 40 000 Wähler in 269 Gemeinden33). Sie sehen, das Problem ist nicht dadurch zu lösen, daß man den Wahlkreis um 30 000 Einwohner größer oder kleiner macht. Unser ursprünglicher Vorschlag ging von Wahlkreisen bis zu 1,25 Millionen Einwohnern aus34). Wir sind jetzt schon auf ein Fünftel zurückgegangen, um den Wünschen nach Einzelwahlkreisen entgegenzukommen. Ich glaube, man kann nicht sagen, daß die Ziffern ständig im Steigen sind; sie sind wirklich auf ein Mindestmaß zurückgesetzt. Wir leben ja im Zeitalter des Postkraftwagens. Notfalls wird man auch einen
solchen Wahlkreis bearbeiten und betreuen können. Lobe: Ich wundere mich, Herr Kollege Walter, daß Sie dieses Bedenken hinsichtlich des Wahlkreises haben. Ich habe doch 14 Jahre lang den Wahlkreis Mittelschlesien vertreten. Er hatte 360 000 Wähler. Dazu gehörte die Großstadt Breslau; dazu gehörte das absolut agrarische Mittelschlesien; dazu gehörte der große katholische Bezirk der Grafschaft Glatz. Dieser Wahlkreis war im Vergleich zu dem, was wir hier zu schaffen im Begriff sind, ein Mammutgebilde. Aber im Verlauf von 14 Jahren ist es mir gelungen, die Hälfte all dieser Orte 31 )
Walter
war
Abgeordneter des
Wahlkreises Aalen.
32) Siehe hierzu § 2 des CDU/CSU-Entwurfs (Drucks. Nr. 369 und 450, Dok. Nr. 20) und § 14 des Becker-Entwurfs (Drucks. Nr. 197/11, Dok. Nr. 11). 33) Vermutlich handelt es sich hier um den Wahlkreis des SPD-Abgeordneten Rudolf Bosse (WK 35) Goslar-Land (vgl. Statistisches Jahrbuch für Niedersachsen 1954, hrsg. vom Niedersächsischen Amt für Landesplanung und Statistik, Hannover 1954, S. 246 f.). 34) Siehe hierzu § 7 der Drucks Nr. 178 (Dok. Nr. 8, TOP 4 und Anm. 20) und § 8 der Drucks. Nr. 474 (Dok. Nr. 20). 694
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besuchen. Und wenn wir jetzt Wahlkreise mit 230 000 Einwohnern bilden, dann ist das im Verhältnis zu der Weimarer Zeit ein kleiner Wahlkreis. Ich hätte also gar nicht solche Bedenken. Stock: Herr Walter meint, sie wären mit ihren Vorschlägen immer zurückgegangen. Am meisten sind wir zurückgegangen, nämlich von 1 250 000 auf die jetzigen Zahlen. Ich habe mich gestern ganz entschieden gegen diesen Wahlvorschlag gewandt35). Aber wenn damit eine Mehrheit erreicht werden kann, habe ich mich damit einverstanden erklärt. Ich glaube auch, daß ich mit meinem Gedankengang das ist der ursprüngliche Diederichssche Plan in der Fraktion eine Mehrheit bekommen würde. Aber wenn es so gemacht wird, wie Herr Lobe sagt, dann kann ich mich auch damit einverstanden erklären, weil ich erreichen möchte, daß die kleinen Parteien zum mindesten im ersten Bundesparlament mit dabei sind. Schräge: Ich möchte ergänzen, was Herr Kollege Walter gesagt hat. Ohne die grundsätzlichen Fragen zu berühren, scheinen mir doch manche grundsätzlichen Unterschiede in der Auffassung zwischen Ihnen und uns zu bestehen: Mehrheitswahlrecht auf der einen Seite und das, was uns in dem ersten Vorschlag von Dr. Diederichs vorgesetzt wurde. Wir haben auch gestern in der Fraktion überlegt, was zu tun ist. Wir haben uns dann den Vorschlag Becker angesehen und sind nach einer allerdings verhältnismäßig kurzen Aussprache zu der Meinung gekommen, daß beim Beckerschen Vorschlag der Mehrheit unserer Fraktion das Zahlenspiel noch nicht so ganz gefiel. Wir haben aber gesagt: der Bekkersche Vorschlag kann die Grundlage für eine Einigung geben; wir sind bereit, loyal mitzuarbeiten, wenn es auf dieser Grundlage geschieht. Ich möchte hinzufügen, daß unsere politischen Freunde nicht auf die von Herrn Diederichs vorzu
—
—
geschlagene
Basis 50 : 50 treten werden36). Vors. [Dr. Becker]: Darf ich mich vielleicht auch einmal einschalten. Ich habe es als meine Hauptaufgabe angesehen, als loyaler Vermittler zu dienen. Nun möchte ich Sie auf folgendes aufmerksam machen. Ich habe in meinem Entwurf aus dem Vorschlag von Herrn Kaufmann die
Klausel
hineingenommen,
daß bei der
Wahlkreisabgrenzung möglichst
die
jetzi-
gen Grenzen der Landkreise und Stadtkreise so verwendet werden sollen, daß ein geschlossenes Ganzes herauskommt37). Die Wahlkreise werden also weder 200 000 noch 230 000 oder 240 000 Einwohner umfassen, sondern sie werden irgendwo in der Mitte zwischen 200 000 und 260 000 liegen, damit eine geschlossene Abgrenzung herauskommt. Sie können also damit rechnen, daß es Wahlkreise von 210 000 Einwohnern gibt, daß es Wahlkreise von 250 000 und von 260 000 Einwohnern gibt das läßt sich im Einzelnen gar nicht so genau abzirkeln —, so daß, wenn wir uns hier auf die eine oder andere Zahl festle—
in der vortägigen Ausschußsitzung nicht anwesend gewesen (vgl. oben Dok. Allerdings hatte er sich in der 20. Ausschußsitzung vom 18. Januar entsprechend geäußert (Dok. Nr. 22, TOP 3b).
35) Stock
war
Nr. 23).
36) Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 373. 37) § 4 Drucks. Nr. 369 und § 3 Drucks. Nr. 450 (siehe oben Dok. Nr. 20).
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Endergebnis, nämlich die Frage der Erfassung der Wähler durch den Kandidaten, die Frage der Nähe des Gewählten zum Wähler und der Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu bleiben und ihm Rechenschaft zu geben, in den gen, das
einzelnen Wahlkreisen unterschiedlich sein wird. So wird es auch sein, wenn wir uns auf 200 000, auf 250 000 oder 260 000 Einwohner festlegen. Grenzen wird es immer geben. Heiland: Wir werden es immer wieder erleben, daß die Zusammenballung von Menschen in den Städten und in Arbeitergebieten liegt. Gerade diese Tatsache macht den Vorschlag, 50 : 50 aufzugliedern, notwendig. Wir sollten ruhig die Erfahrungen, die man mit dem alten Reichstagswahlrecht gemacht hat, heranziehen. Man braucht ja nur einmal die früheren Verhältnisse miteinander zu vergleichen: Damals kam in Ostpreußen auf 8 000 Wahlberechtigte ein Mandat und zum Beispiel in Berlin-Wedding auf 200 000. Wenn wir uns für die Einzelwahlkreise mit relativer Mehrheit erklären, dann wird ein gewisser Ausgleich darin liegen, daß man eine Reserveliste schafft; anderenfalls würde von vornherein ein Übergewicht jener Gebiete geschaffen, die in ihrer räumlichen Gestaltung günstig liegen, und wir würden erleben, daß im Industriegebiet verhältnismäßig große Wahlkreise entstehen. Der Wahlkreis Recklinghausen hat 230 000 Einwohner, während der Kreis Warendorf 56 000 bis 60 000 Einwohner hat; und wenn wir Münster-Land hinzunehmen, wären es 180 000 Einwohner. auch politisch gesehen Da ist schon ein Übergewicht in einer bestimmten Richtung vorhanden. Sie werden verstehen, daß wir Wert darauf legen, daß der gesunde Ausgleich durch eine Reserveliste geschaffen wird. Das ist nur möglich, wenn wir die Aufgliederung 50 : 50 bekommen. Dr. Finck: Es ist jetzt wohl genug geredet worden, und wir können zur Abstimmung übergehen, und dazu möchte ich sagen, daß wir uns zunächst der Stimme enthalten werden, weil wir noch mit unseren Freunden Rücksprache nehmen wollen38). Auf der einen Seite wollen wir helfen, möglichst rasch zum Abschluß zu kommen, aber wir wollen uns doch die Sache noch einmal überlegen. Wenn Sie aber die Abstimmung verschieben, werden wir im Laufe des Tages die Klärung herbeiführen. Grundsätzlich sind wir uns einig. Es handelt sich nur noch um die Zahlen. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich Sie nur auf ein Beispiel aufmerksam machen! Nehmen Sie die Zahlen für Bremen. Bremen hat 484 000 Einwohner. Wenn Bremen zwei Kandidaten hat, entfallen nach diesem Vorschlag schon auf jeden Kandidaten 242 000 Einwohner. Unter Umständen ergibt sich noch eine kleine Erhöhung. Deshalb habe ich hier zum Ausgleich auf der Landesliste zwei Mandate —
38) Vgl. CDU/CSU-Fraktionssitzung
—
vom 3. Feb. 1949, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 382 f. Auch in den folgenden Tagen wollte sich die CDU/CSU-Fraktion noch nicht auf eine bestimmte Linie festlegen. Noch am 11. Feb. 1949 beschloß sie, die Behandlung des Wahlgesetzes durch den Fünferausschuß zu beantragen. Bei dieser Gelegenheit betonte Adenauer nochmals „die Zahl der Abgeordneten von 400 auf 250 zu beschränken". Dies sollte erreicht werden, indem die nach dem Verhältniswahlrecht zu wählende Hälfte entsprechend reduziert werde. So sollte garantiert werden, daß die Zahl der Wahlkreise bestehen bleiben könne (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 401).
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genommen, um das Minus auf der einen Seite durch das Plus auf der anderen Seite auszugleichen. Ich führe dieses Beispiel nur an, damit Sie wissen, wie ich die Zahlen zugefügt und abgezogen habe. In Bremen wird sich praktisch nichts ändern, ob Sie es so oder so machen. Bremen bekommt auf jeden Fall je einen Abgeordneten auf 242 000 Einwohner39). So wird es auch in anderen Fällen sein. Auf das ganze Deutschland verrechnet, ist der Unterschied nicht so groß. Stock: Ich darf wohl Ihre Ausführungen, Herr Finck, so auffassen, daß Sie gewillt sind, mit uns gemeinsam ein Wahlgesetz zu schaffen, das eine breite Basis hat, daß Sie aber jetzt noch nicht entscheiden können. Andererseits ist es aber gut, wenn wir hier abstimmen, damit dann Ihre Fraktion weiß, wie der Wahlrechtsausschuß abgestimmt hat. Ich würde deshalb beantragen, daß wir
darüber abstimmen, daß 1. 200 Wahlkreise geschaffen werden; 2.150 Sitze auf Landesbasis und 50 Sitze auf Bundesbasis verrechnet werden und die Teilungsziffer von den abgegebenen Stimmen im gesamten Bunde abgezogen wird und danach die einzelnen Mandate auf die verschiedenen Parteien verrechnet werden. Das ist dasselbe, was Herr Kollege Löbe vorschlägt. (Löbe: Nur mit der Maßgabe, daß die ersten 200 in Einzelwahlkreisen gewählt werden!) Das sowieso, nach dem Grundsatz der Mehrheitswahl! Vors. [Dr. Becker]: Darüber wollen wir hinterher noch einzeln abstimmen. Für die Frage der relativen Wahl oder der Wahlzahl ist entscheidend, ob wir nach dem Vorschlag Löbe die Zahl der Stimmen oder die Zahl der Mandate anrechnen. (Stock: Die Zahl der Stimmen!) Ich würde vorschlagen, daß wir getrennt abstimmen. Zur Abstimmung steht der Antrag Stock: 200 Wahlkreise mit je einem Kandidaten, 150 Abgeordnete auf Landeslisten und 50 Abgeordnete auf einer Bundesliste zu wählen. Das sind Wer für diesen Vorschlag ist, den bitte ich die Hand zu erheben. sechs Stimmen. Die Herren dort enthalten sich? —
—
(Schröter: Ja!) Also ist der genommen.
Vorschlag
Stock mit sechs Stimmen bei drei
(2c.
Verrechnung
Stimmenthaltungen
an-
der Mandate]
Jetzt kommt die nächste Frage: Sollen die 200 Abgeordneten im Wahlkreis auf Grund eines Wahlkoeffizienten gewählt werden, der aus den für das gesamte
Bundesgebiet abgegebenen
Stimmen dividiert durch 400 errechnet wird? Dann jede Partei entfallen. Dann wird abgezo-
wird errechnet, wieviel Mandate auf 39) Siehe
unten Dok. Nr. 25, Anm. 44.
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gen. Und nun kommt es darauf an: Wird die Zahl der Mandate oder die Zahl der Stimmen in den Wahlkreisen abgezogen?
(Zurufe: Mandate!)
Ich glaube, darüber besteht Übereinstimmung. Dann wollen wir so protokollieren: In jedem der 200 Wahlkreise wird ein Abgeordneter gewählt. Gewählt ist derjenige, der die relative Mehrheit erhält. Die Gesamtzahl der im Bundesgebiet einschließlich Berlins abgegebenen gültigen Stimmen wird durch 400 geteilt; die Gesamtzahl der für jede Partei abgegebenen Stimmen wird durch die eben errechnete Wahlzahl ermittelt. Auf die hiernach auf jede Partei entfallenden Mandate werden zunächst die in den Wahlkreisen errungenen Mandate angerechnet. Die verbleibenden Mandate werden zu drei Vierteln auf Landesliste Darf ich zunächst bitten, noch einmal eins zu überlegen: Einer Partei stehen 100 Mandate zu. Sie hat in 54 Wahlkreisen ein Mandat erworben. Es stehen ihr also noch 46 Mandate auf Landeslisten plus Bundesliste zu. Dann würden von den 46 Mandaten drei Viertel Heiland: Die Verteilung kann so vor sich gehen: 44 Mandate werden in direkter Wahl gewählt, dann werden 33 nach (Stock: 50 werden gewählt!) Ich nehme irgendeine Zahl! 44 werden also in der direkten Wahl gewählt, dann werden 33 über die Landeslisten verteilt. Wenn zum Beispiel die CSU von diesen 44 Mandaten 40 erhalten hat und im übrigen nicht mehr an diesen Koeffizienten herankommt, wird sie aus der Reserveliste nichts mehr erhalten; dann werden diese 33 erst einmal auf die anderen Parteien aufgeschlüsselt, während die elf Mandate, die Bayern noch zustehen, auf der Bundesliste zur Verteilung kommen. Es wird jetzt auf der Landesliste Frau Wessel: So ist das nicht! Auf der Bundesliste bleiben doch auch noch 25 % übrig! Heiland: Ich habe gesagt: 44 in direkter Wahl, 33 auf Landeslisten und elf auf Bundesliste. (Zurufe von allen Seiten) Dr. Diederichs: Meine Herren, wir komplizieren uns die Dinge unnötig! Nachdem die direkten Mandate gewählt sind, teilen wir die Gesamtzahl aller abgegebenen Stimmen durch die 400 Mandate, die zu verteilen sind. So errechnen wir den Quotienten. Von den danach den einzelnen Parteien zukommenden Mandaten ist die Hälfte bereits gewählt. Diese Mandate werden den Parteien angerechnet, nachdem die Zahl der Stimmen durch den Quotienten geteilt ist. Und von den restlichen Mandaten bekommen anteilmäßig drei Viertel die Länder und ein Viertel der Bund. Das ist meines Erachtens kein Problem. Frau Wessel: Ein Problem ist nur noch dann vorhanden, wenn kleine Parteien im direkten Wahlgang mehr Kandidaten durchbekommen haben, als ihnen auf Grund einer solchen Wahlberechnung zustehen. Dr. Diederichs: Das ist bei 50 : 50 so gut wie nicht möglich. Vors. [Dr. Becker]: Auf diesen Punkt kommen wir noch. Jetzt handelt es sich darum, eine richtige Verteilung zu finden. Wenn wir hier im Gesetz eine be—
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stimmte Zahl von Sitzen auf die Länder für die Länderliste festlegen, kommen wir ins Gedränge. Wir dürfen also in das Gesetz nicht hineinschreiben: Auf jedes Land entfallen pro Landesliste noch soundso viele Sitze; sonst kommen wir
rechnerisch nicht durch. (Stock: Für die Reststimmen!) Nun haben wir aber in unserem dritten Beschluß festgelegt, daß 150 Mandate auf die Landeslisten kommen. Dann dürfen wir das nicht sagen. Stock: 75 % der Reststimmen werden auf den Landeslisten und 25 % auf der Bundesliste verteilt. Kuhn: Sie denken an die Aufteilung auf die einzelnen Länder. Wenn man sonst von Landeslisten spricht, denkt jeder an die einzelnen Landeslisten, und das steht unter Umständen in keinem Verhältnis zu dem Gesamtergebnis. Diese technische Lösung müßte Herr Kollege Dr. Diederichs einmal an einem Beispiel vorzeigen. Er müßte uns einmal zeigen, wie er die 75 % auf die Landeslisten verteilen will. Ich kann mir denken, daß eine Partei, die in Norddeutschland stärker beteiligt ist als in Süddeutschland, dorthin auch mehr Mandate bekommt und nicht genau 75 %. Wir wollen ja nicht vom Quotienten abgehen. Heiland (Zur Geschäftsordnung): Ich spüre heute morgen besonders etwas, was uns allen mangelt: die gesetzestechnische Seite. Wir arbeiten faktisch ohne Vorlage. Ich würde vorschlagen, daß wir uns aus irgendeiner Landesregierung einen Wahltechniker holen. Vors. [Dr. Becker]: Darüber haben wir schon einmal debattiert40). Dann debattieren wir wieder zwei Tage darüber! Frau Wessel: Ich finde die Berechnung gar nicht so schwer. Nehmen wir an, es seien 30 000 000 Stimmen abgegeben worden. 400 Abgeordnete sollen gewählt werden. Dann wird errechnet, was das einzelne Mandat kostet. 200 Mandate, die mit relativer Mehrheit gewählt sind, werden zunächst abgesetzt. Dann steht doch fest, daß auf den einzelnen Abgeordneten 60 000 Stimmen entfallen. Dann heißt es weiter: drei Viertel davon werden auf Landeslisten verrechnet. (Vors. [Dr. Becker): Auf welchen?) Auf die, die mit ihren Zahlen herankommen! Sie legen doch fest, wie viele Abgeordnete auf die Landeslisten kommen! Vors. [Dr. Becker]: Das ist ja gerade die Frage! Sie wollen eine mathematische Aufgabe lösen, die eine Voraussetzung zuviel hat. Sie wollen festlegen: 1. die Zahl der Sitze, die auf Landesliste auf jedes Land entfallen müssen; 2.: Jede Partei bekommt von den nicht verbrauchten 200 Mandaten drei Viertel zugerechnet. Wie aber diese drei Viertel auf die einzelnen Länder verteilt werden sollen, das ist gerade das Problem. Schröter: Wir haben einen Fehler gemacht, wenn wir gesagt haben, wir errechneten den Wahlkoeffizienten für den ganzen Bund. Das können wir nicht. Für die drei Viertel, die wir den Ländern vorbehalten wollen, können wir den Wahlkoeffizienten nur auf der Basis des Landes ausrechnen; sonst können wir nie eine bestimmte Zahl festlegen. Das scheint mir der Kardinalfehler zu sein. —
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40) Vgl. auch oben S. XXXII (Einleitung). 699
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Frau Wessel: Ich stelle mir das folgendermaßen vor: 200 Mandate sind jetzt unfestgelegt, 150 weitere auf Landeslisten und 50 auf Bundeslisten. Nun wird ausgerechnet, daß ein Mandat 60 000 Stimmen kostet. Da muß sich das übrige doch daraus ergeben. Mehr Stimmen sind ja gar nicht auf der Landesliste, als daß auf je 60 000 Stimmen ein Mandat entfallen kann. Dr. Finck: Ich möchte mich dem Vorschlag Heiland anschließen. Wir werden hier nicht einig. Wir bringen es auch nicht heraus. Lassen wir es durch einen Sachverständigen machen! Grundsätzlich sind wir ja einig! (Heiland: Für das rein Handwerkliche brauchen wir einen Sachverständiten
gen!)
bringen wir ja doch nicht zustande! Vors. [Dr. Becker]: Ich möchte mich dagegen aussprechen. Das Armutszeugnis, daß wir uns als einziger Ausschuß für die Formulierung des Gesetzes einen
Das Technische
Fachmann holen müssen, möchte ich dem Ausschuß nicht ausstellen. (Zuruf des Abg. Dr. Finck.) Für mich persönlich ist es ein Armutszeugnis. !) (Mayr: Verzeihung, ein Wahlgesetz hat so schwierige Bestimmungen Mir ist ein Sachverständiger empfohlen worden. Daraufhin habe ich mich privatim mit dem Herrn zusammengesetzt und ihn gefragt, wie lange er dieses Handwerk schon betreibe; da hat er geantwortet: seit 1945. Und da habe ich ihm gesagt: Und ich seit 45 Jahren. (Dr. Finck: Wir werden ja hier nicht einig. Warum sollen wir es nicht ausrechnen lassen!) Wir brauchen nur in einem kleinen Kreise irgendein Beispiel auf eine Partei und ein Land zu verrechnen. Und ich vermute, wir kommen darauf, daß wir hier eine Voraussetzung zu viel hineingeschrieben haben. Kuhn: In dem Moment, in dem wir von dem Gesamtergebnis auf der Bundesebene ausgehen, bekommen wir die Schwierigkeiten: Was sollen wir auf der Landesebene austeilen. Wir haben uns auf eine Mandatszahl von 400 festgelegt. Insofern kommen hinterher all diese Schwierigkeiten im System. Nach einem anderen Vorschlag waren wir davon ausgegangen, daß diejenigen Leute auf die noch nicht geschriebene Bundesliste kommen sollen, die dann nach dem Quotienten die relativ meisten Stimmen haben. Das wäre die Auslese. Frau Wessel: Ich glaube, die Schwierigkeit besteht in folgendem. Wenn wir einen festen Wahlkoeffizienten von 60 000 haben, müssen wir eigentlich sagen: Im Wahlkreis kostet der Kandidat 120 000 Stimmen; denn die anderen sind ja mit verwählt worden. Ich glaube, da liegt die Schwierigkeit. Vors. [Dr. Becker]: Ich bitte, Herr Dr. Diederichs, folgendes zu überlegen. Ich glaube, wenn wir eine Zwischenverrechnung einschalten, kommen wir hin. Wir müssen den Koeffizienten auf der Bundesebene errechnen und dann eine Zwischenrechnung vornehmen, in der wir ausrechnen, wieviel jeder Partei, auf der Landesebene gerechnet, zusteht. Dann ziehen wir von dem, was ihr auf Landesebene zusteht, die Zahl, die sie in den Wahlkreisen erhalten hat, ab, und der Rest steht ihr auf Landesliste zu. Wir würden also sagen: Unter Zugrundelegung des auf der Bundesebene errechneten Koeffizienten stehen jeder Partei etwa 100 Mandate zu. Demgemäß —
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stehen ihr im Wahlkreis plus Landesliste X Mandate zu. Von diesen X Mandaten hat sie in dem betreffenden Lande in den Wahlkreisen schon Y Mandate erhalten. Folglich ist X minus Y die Zahl, die sie auf der Landesliste be-
kommt. höbe: So allein geht es. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich Sie bitten, den Wortlaut von vorhin wieder zur Hand zu nehmen. Wir würden dann also sagen: die Gesamtzahl der für jede Partei abgegebenen Stimmen wird durch die eben errechnete Wahlzahl geteilt. So werden pro Land die auf jede Partei unter Zugrundelegung des Bundeskoeffizienten entfallenden Mandate ermittelt. Von dieser Mandatszahl werden die in den Wahlkreisen errungenen Mandate abgezogen. Ein Beispiel! Die Partei A hat im ganzen Bundesgebiet 6 000 000 Stimmen bekommen. Der Divisor ist 60 000. Dann hat sie 100 Mandate dazubekommen. Diese 100 Mandate, die ihr zustehen, (Stock: Davon hat sie 60 Mandate im direkten Wahlgang erhalten, und 40 Mandate hat sie auf Landesliste.) Auf welcher Landesliste? Das ist eben die Frage! Wir haben 11 Länder. (Stock: ]edes Land für sich!) Frau Wessel: Was wir nicht berücksichtigen, ist folgendes. Wenn Sie berechnen, daß bei 400 Mandaten ein Mandat 60 000 Stimmen kostet, dann müssen Sie rechnen, daß unten im Wahlkreis das Mandat 120 000 Stimmen kostet; sonst haben Sie nicht mehr den Rest, um die anderen zu verteilen. Sie müssen sagen: Im Wahlkreis unten ist der Abgeordnete mit 120 000 Stimmen gewählt. Die anderen 200 müssen noch verrechnet werden. Die Bundesliste und die Landesliste wird doch unten mitverrechnet. Vors. [Dr. Becker]: Wenn wir 400 Mandate haben, (Zurufe von verschiedenen Seiten) Die Wahlkreismandate ziehen wir doch ab! (Frau Wessel: Dann bleiben 50% übrig) Dann sind nur noch die 200 zu verteilen. Nun reden wir darüber, wie diese 200 auf die einzelnen Länder zu verteilen sind. Frau Wessel: Entsprechend der Zahl der Stimmen, die die Länder abgegeben haben. Dr. Diederichs: Dann bleibt nichts für die Bundesliste! Vors. [Dr. Becker]: Deswegen bitte ich, von der Bundesliste abzukommen, weil es technisch nicht möglich ist. Wir haben eine Voraussetzung zuviel geschaffen. Stock: Dann lassen Sie sie doch weg! Frau Wessel: Warum soll es denn nicht gehen?! Dr. Diederichs: Wenn eine Partei ihre Kandidaten, die sie normalerweise auf die Bundesliste setzen würde, auf den verschiedenen Landeslisten unterbringt, dann brauchen wir keine Bundesliste zu machen. Dann haben wir eine einfachere Form. Stock: Sie ist ganz überflüssig! Vors. [Dr. Becker]: Dann können wir zu den Verbänden zurückkehren. ...
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Stock: Wir hatten seinerzeit bei der alten
Wahlkreiseinteilung
auch
nur
die
Landeslisten, und es sind von den Parteien die Leute, die sie unbedingt im Parlament haben wollten, an die ersten Stellen gesetzt worden. Kuhn: Darf ich es einmal durchrechnen! Wir haben im ganzen Bundesgebiet 20 000 000 Wähler. Die haben faktisch alle ihre Stimmen abgegeben. Dividieren wir diese Zahl durch 400, dann erhalten wir die Wahlzahl. Das ergibt 50 000. Nun nehmen wir an, die Partei A habe 10 000 000, die Partei B 6 000 000, die Partei C 4 000 000 erhalten. Danach bekäme die Partei A 200 Sitze, die Partei B 120 Sitze, die Partei C 80 Sitze. Jetzt sagen wir: Weil wir schon auf der Bundesebene sind, hat die Partei A noch sämtliche direkte Mandate aller Länder zusammenzurechnen. Jetzt können wir nicht mehr auf die einzelnen Länder zurückgehen. Das ist ja die Schwierigkeit. Wir operieren jetzt nur noch auf der Bundesebene. Ich nehme an, A hat 100, B hat 60, C hat 40 Mandate. Die sind jetzt zu verteilen. Wohin fallen die? (Vors. [Dr. Becker]: Zu drei Vierteln auf die Gesamtheit der Länderlisten, aber wie im Einzelnen?) Auf diese Weise kommen wir nicht weiter. Frau Wessel: Wieviele Stimmen sind denn in dem betreffenden Lande abgegeben worden? (Dr. Diederichs: Das geht nicht auf!) Die verrechnen Sie jetzt schon unten. Wenn ich 120 Mandate zu verteilen habe, dann gehe ich davon aus, woher die Partei die Stimmen geholt hat, und da—
nach verteile ich die Mandate. Vors. [Dr. Becker]: Die andere Partei will das aber auch haben. Jetzt haben die aber nur eine bestimmte Anzahl von Mandaten auf Landesliste. (Zurufe von allen Seiten.) Ja, das auf ein Land zu verrechnen, ist nicht schwierig; Aber auf elf Länder!! Sie bekommen mehr Mandate auf ein Land, als Sie insgesamt haben. Dr. Diederichs: Es kann vorkommen, daß ein Land Anspruch auf 20 Mandate hat. Davon würde es 15 erhalten, und die Reststimmenziffer geht nicht auf. Frau Wessel: Es kann sich nur um ein Mandat handeln. Die Stimmen, die im Lande abgegeben worden sind, werden doch alle nach oben hin verrech—
net.
Vors. [Dr. Becker]: Leichter ist es, wenn wir die Bundesliste weglassen. Stock: Ich bin auch dafür. Nur auf Landesliste verrechnen! (Zurufe von verschiedenen Seiten.) Vors. [Dr. Becker]: Dann wird nur einmal verrechnet. Dr. Diederichs: Die Verhältnisse sind doch einfacher, wenn wir von jedem Land wissen: Hier sind 15 Kandidaten direkt gewählt, hier gehören noch weitere 15 hin, nach dem, was wir beschlossen haben. Frau Wessel: Hier gehören noch weitere zehn hin! Stock: Das wäre möglich, wenn die Länder gleich groß wären. Wie wollen Sie es mit Bremen verrechnen? Das geht nicht! Wir müssen die Bundesliste weglassen, sonst kommen wir nicht zurande. 702
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greifen wir auf die Verbände zurück, damit wir einen haben. Frau Wessel: Bremen würde dann auf der Bundesliste nichts erhalten. Stock: 50 000 ist die Teilungsziffer. Sie können aber 47 000 haben. Frau Wessel: Das Risiko trägt jeder. Stock: Also bestimmt, es ist für alle richtig; denn dann kommen die Stimmen dorthin, wo sie abgegeben worden sind: in das Land, in dem sie abgegeben worden sind, und die Parteien können sich danach richten. Wenn die Parteien eine Kapazität haben wollen, müssen sie sie auf irgendeine Landesliste setzen. Das ist doch nicht so schwer. Vors. [Dr. Becker]: Ich bin auch wegen der technischen Schwierigkeiten dazu bereit. Stock: Ja, wir lassen die Bundesliste weg. Die ist ja heute nur hineingeschmuggelt worden. Sie hatte noch nie zur Debatte gestanden. Vors. [Dr. Becker]: Dann
Ausgleich
[2d. Formulierung des Ausschußbeschlusses] Vors. [Dr. Becker]: Also müssen wir
unseren
Beschluß umstoßen und mit der
Formulierung anfangen: Die überwiegende Mehrheit des von vorn
Ausschusses kommt zu der Überzeugung, daß technisch bzw. rechnerisch eine Verrechnung über Bund und Länder gleichzeitig nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet. Daher werden folgende Beschlüsse gefaßt: 1. Die Zahl der Abgeordneten beträgt 400. 2. 200 Abgeordnete werden in Wahlkreisen, 200 auf Landeslisten oder Landesverbandslisten gewählt. 3. In den Wahlkreisen wird nur je ein Abgeordneter gewählt. Gewählt ist, wer die relative Mehrheit erhält. 4. In jedem Land bzw. Landesverband wird die Gesamtzahl der dort abgegebenen Stimmen durch die Summe der für das betreffende Land bzw. für den betreffenden Landesverband vorgesehenen Wahlkreis- und Landeslisten-Mandate (diese zusammengerechnet) geteilt und so die „Wahlzahl" ermittelt. Die Zahl der in jedem Land bezw. Landesverband für jede Partei abgegebenen gültigen Stimmen wird durch die Wahlzahl geteilt. Von der so auf jede Partei entfallenden Zahl der Mandate werden die in den Wahlkreisen errungenen Mandate abgerechnet und unter Zugrundelegung der Wahlzahl die Zahl der auf Landeslisten vorgesehenen Mandate verteilt. Bleibt ein Mandat unbesetzt, so wird auf Grund der nächsthöchsten Reststimmenzahl das Mandat zugeteilt. Bei gleicher Reststimmenzahl entscheidet das vom Landeswahlleiter zu ziehende Los. Sind die Herren damit einverstanden? Dr. Finck: Grundsätzlich sind wir damit einverstanden; nur wegen der Zahlen haben wir Bedenken. Vors. [Dr. Becker]: Dann darf ich so protokollieren: 703
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2. Februar 1949
Der Beschluß
erfolgt grundsätzlich einstimmig mit dem Vorbehalt der endgültigen Zustimmung der Herren der CSU/CDU. Dann darf ich vorschlagen, daß wir uns zu dritt zusammensetzen und nunmehr die übrigen Paragraphen des Entwurfs nach diesen Leitsätzen redigieren. Darf ich bitten, daß ich an diesem Unterausschuß beteiligt werde. Weiter werden die Abgeordneten Walter und Dr. Diede(Zustimmung. richs in diesen Unterausschuß gewählt. Der Abg. Walter soll zunächst durch den Abg. Schröter vertreten werden.) —
Der Unterausschuß tritt sofort zusammen41).
41) In der CDU/CSU-Fraktionssitzung
vom 3. Feb. 1949 berichtete Walter über den Stand und stellte auch den neuesten Wahlgesetzentwurf vor (Drucks. Nr. 577/11; Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 382).
der
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Wahlrechtsverhandlungen
Dreiundzwanzigste Sitzung 4.
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Nr. 25
Nr. 25 23.
Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen 4.
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Z 5/86, Bl. 55-126. Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 22-25, Drucks. Nr. 623
Wortprot.
Anwesend1): CDU/CSU: Schräge, Walter2) SPD: Stock, Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Frau Wessel (Z, für Reimann) Mit beratender Stimme: Löbe (SPD), Kuhn Stenografischer Dienst: Jonuschat Ende: 11.55 Uhr Beginn: 9.15 Uhr
(SPD), Heile (DP)
[1. ÜBERARBEITETER ENTWURF DR. BECKER (DRUCKS. NR. 577/11)]
[la. Wahl
zum
Bundestag (§§1-7)]
Vors. [Dr. Becker]: Meine Damen und Herren! Wir sind beschlußfähig. Ich eröffne die Sitzung. Es liegt der Entwurf vor, wie er in der Redaktionskommission ausgearbeitet ist3). Ich rufe auf die Überschrift: A. Wahl zum Bundestag4) I. Wahlberechtigung und Wählbarkeit.
§1
(1) Wahlberechtigt ist, wer am Wahltag 1) deutscher Staatsangehöriger ist, 2) das 21. Lebensjahr vollendet hat, 3) und seit mindestens drei Monaten
vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.
J) Anwesenheitsliste nach Kurzprot.
2) Beide Vertreter der CDU/CSU-Fraktion verließen die Sitzung des Wahlrechtsausschusses vorzeitig, um an der um 12 Uhr beginnenden CDU/CSU-Fraktionssitzung teilzunehmen (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 386 f.). 3) Drucks. Nr. 577/11. Da die einzelnen Paragraphen des Entwurfs im folgenden durchgesprochen werden, wurde auf den gesonderten Abdruck des ganzen Wahlgesetzentwurfs verzichtet.
erste Kompromißentwurf Beckers (Anlage zum Kurzprotokoll der 22. Wahlrechtsausschußsitzung, Drucks. Nr. 606) enthielt noch die Bezeichnung „Volkstag", die auch noch am 9. Feb. 1949 auf Antrag des Abg. Katz (SPD) bei der dritten Lesung des Hauptausschusses angenommen wurde. Erst in der vierten Lesung des Grundgesetzes am 5. Mai 1949 kehrte der Hauptausschuß wieder endgültig zum Begriff „Bundestag" zurück (vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundge-
4) Der
—
—
setzes, S. 347).
705
Nr. 25
(2)
Dreiundzwanzigste Sitzung
4.
Februar 1949
Wahlberechtigt sind auch, wenn die Voraussetzung zu 1) nicht vorliegt, alle diejenigen Personen a) deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1. 1. 1945 ihren dauernden
Wohnsitz innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 1. 3. 1938 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Aufenthalt im Bun-
desgebiet b) welche
genommen haben, 30. 1. 1939 die deutsche
am
aber durch
Staatsangehörigkeit besaßen,
sie
politische Maßnahmen verloren und keine andere Staats-
angehörigkeit erlangt haben. gewünscht. Widerspruch
Das Wort wird nicht
wird nicht erhoben. Ich stelle fest: § 1 ist angenommen. Bei § 2 ist in Ziff. 3 ein Schreibfehler. Es muß nicht heißen „ausgesprochen", —
sondern
„abgesprochen".
Der
Paragraph
lautet dann:
§2
Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung ist: 1) wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht; 2) wer durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte rechtskräftig ver-
loren hat; wem das Wahlrecht im Entnazifizierungsverfahren rechtskräftig abgesprochen worden ist; darüber hinaus sind alle diejenigen nicht wahlberechtigt, die in die Gruppen I, II und III eingestuft sind5); 4) wer von der Militärregierung wegen seiner Verbindung mit dem Nationalsozialismus verhaftet oder von seiner Beschäftigung oder einer einflußreichen Stellung im öffentlichen oder privaten Leben entlassen, suspendiert oder ausgeschlossen wurde, falls eine rechtskräftige Eingruppierung im Entnazifizierungsverfahren am Wahltage noch nicht vorliegt. Ich darf feststellen: § 2 ist angenommen. Wird zu § 2 das Wort gewünscht? auf Ich rufe
3)
—
§3 ruht für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- und Pflegeanstalt untergebracht sind, sich in Straf- oder Untersuchungshaft befinden oder infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden. Der Paragraph ist unverändert geblieben. Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Widerspruch wird nicht erhoben; § 3 ist angenommen. Die
Wahlberechtigung
—
§4 Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste oder Wahlkartei oder einen Wahlschein hat. Das Wort wird nicht gewünscht. Angenommen. —
5) Siehe oben Dok. 706
Nr. 24, TOP 2
a.
eingetragen ist
Dreiundzwanzigste Sitzung
4.
Februar 1949
Nr. 25
§5 Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, a) der am Wahltage 25 Jahre alt ist, b) der am Wahltage seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und c) dem nicht die Wählbarkeit durch rechtskräftige Entscheidung im Entnazifizierungsverfahren abgesprochen worden ist; darüber hinaus sind alle die nicht wählbar, die in die Gruppen I bis IV eingestuft sind6). Stock: Unter c) muß es heißen „mit IV". Lobe: Das ist absolut klar. Wenn es heißt „bis IV", dann ist IV mit eingeschlossen.
Stock: Entschuldigung, ich habe das im Landtag mitgemacht. Vors. [Dr. Beckerl: Es ist IV mit gemeint. Lobe: Sie werden ja nicht sagen „1—100" und meinen „1 bis 99" unter Ausschluß der 100. „Bis mit" kann man nicht sagen; da lachen die Leute. Stock: „I mit IV". Vors. [Dr. Beckerl: Wenn man sagt „1 bis 3", so sind doch die 1 und die 3 ein-
geschlossen.
Stock: Wenn ich sage „I mit IV", kann überhaupt kein Zweifel entstehen. Heiland: Wenn man es ganz klar machen will, sagt man „I, II, III und IV". Vors. [Dr. Becker]: Wird sonst noch das Wort gewünscht? Dann darf ich feststellen: § 5 ist mit der Änderung angenommen, daß in der letzten Zeile statt „I bis IV" steht „I, II, III und IV". Dann kommen wir zu —
§6 Ein um
gewählter Bewerber ist erst dann Abgeordneter, wenn er dem Präsidides Parlamentarischen Rates schriftlich die Annahme der Wahl erklärt
hat. Wird hierzu das Wort gewünscht? nicht erhoben; § 6 ist angenommen.
Das ist nicht der Fall.
Widerspruch
wird
—
§7 (1) Ein Abgeordneter verliert seinen Sitz 1) durch Verzicht; 2) durch nachträglichen Verlust des Wahlrechts; 3) durch strafgerichtliche Aberkennung der Rechte
aus
öffentlichen
Wahlen;
4) durch
Ungültigkeitserklärung der Wahl oder sonstiges Ausscheiden beim Wahlprüfungsverfahren; 5) durch nachträgliche Änderung des Wahlergebnisses. (2) Der Verzicht ist dem Bundeswahlleiter, nach der ersten Einberufung des Bundestages dem Bundestagspräsidenten zu erklären; er muß schriftlich sein und kann nicht widerrufen werden. Wird das Wort gewünscht? 6) Ebenda. 707
Nr. 25
Dreiundzwanzigste Sitzung 4.
Februar 1949
Heile: Ich glaube, wenn dieser § 7 so angenommen wird, dann müßte § 12 geändert werden, weil im § 12 vorgeschrieben ist, daß auf dem Wahlvorschlag, dem Stimmzettel, der Name einer Partei dabeistehen muß. Offiziell wird also nicht bloß die Person, sondern auch die Partei gewählt. Man kann nie wissen, ob der einzelne Wähler seine Stimme für den Betreffenden abgegeben hat, weil er den Mann wählen wollte, oder deswegen, weil er die Partei wählen wollte. Stock: Auf Grund unseres Wahlsystems gibt es keine Parteiwahl. Heile: Wenn auf dem Stimmzettel neben dem Namen des Kandidaten der Name seiner Partei steht, so ist es zweifelhaft, ob der Wähler den Mann wählt oder die Partei. Also müßte im Gesetz hier stehen, daß jemand, der nach seiner Wahl aus der Partei, für die er gewählt ist, austritt und zu einer anderen Partei übertritt, sein Mandat niederzulegen hat. Dr. Diederichs: Das würde ja die Persönlichkeitswahl noch mehr einschränken. Er gäbe dann ja praktisch zwei Stimmen ab, eine für den Mann, eine für die Partei.
Heile: Wir haben im hannoverschen Landtag einen Abgeordneten, der ist durch die Landesliste einer Partei, also ausdrücklich und ausschließlich von der Partei, gewählt worden. Er ist nachher im Landtag zu einer anderen übergetreten und redet und stimmt nun gegen die Partei, die ihn gewählt hat, im Landtag. Das ist doch ein Unfug7). Lobe: Herr Kollege Heile, was Sie wünschen, ist erklärlich, und den Gedanken teilen wir auch. Es ist natürlich eine Art Betrugsmannöver, wenn sich jemand unter falscher Firma weiter als Abgeordneten betrachtet. Aber im Wahlgesetz kann man das nicht ausscheiden. Sie erinnern sich, daß sich im Reichstag ganze Parteien gespalten und neue Parteien gebildet haben. Es gab einmal eine kommunistische Fraktion, bei der traten von 40 Mitgliedern etwa 30 aus und gründeten eine Kommunistische Arbeiterpartei oder etwas Ähnliches"). Es sind auch andere Spaltungen erfolgt. Wir können nicht im Gesetz vorsehen, daß diese 30 Leute nicht mehr mandatsberechtigt sind, weil sie auf die alte Liste gewählt worden sind. Das sind unangenehme Begleiterscheinungen, die aber nicht häufig sind und die das Bild des Parlaments nicht in seinem Charakter verändern. Einen solchen Versuch zu machen, würde zu vielen Zwistigkeiten führen. Der Betreffende würde sagen: Jetzt gehöre ich erst der echten Partei an, auf Grund dieser Überzeugung bin ich gewählt. Darauf sollten wir uns nicht einlassen. Vors. [Dr. Becker]: Herr Walter hat das Wort zur Geschäftsordnung. Walter: Ich wollte auf Grund der vorherigen Debatte nur den Herrn Vorsitzenden bitten, nicht zuzulassen, daß mehr als zwei gleichzeitig reden.
(Heiterkeit.)
an seinen Kollegen im Pari. Rat, Otto Grève, der auf den der FDP in den niedersächsischen Landtag gekommen war und am 1. Mai 1948 von der FDP zur SPD gewechselt hatte. ") Siehe unten Dok. Nr. 28, Anm. 36.
7) Heile denkt hier vermutlich
Landeswahlvorschlag
708
Dreiundzwanzigste Sitzung
4.
Februar 1949
Nr. 25
Wortmeldungen liegen hierzu nicht vor. Es ist Wigegen § 7 erhoben worden. Ich stelle § 7 zur Abstimmung. Wer für Ein§ 7 in der vorliegenden Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. stimmig; mit einer Enthaltung, von Herrn Schräge. Vors. [Dr. Becker]: Weitere
derspruch
—
[Ib. Wahlverfahren (§§ 8-19)] Wir kommen
zu
II.
Wahlverfahren §8°)
(1) Der Bundestag besteht aus 400 Abgeordneten, von denen 200 in Einzelwahlkreisen und 200 auf Landeslisten (Verbandslisten) und auf Bundesliste gewählt werden. Hier muß ich einschalten: Wir haben in der Redaktionskommission uns am Nachmittag doch entschlossen, die Bundesliste einzuführen10), nachdem es dem Kollegen Diederichs gelungen war, die Berechnungsmethoden, mit denen wir am Vormittag nicht fertig geworden waren, doch auf die Beine zu stellen, so das ersehen Sie daß es auch möglich ist, eine Bundesliste zu schaffen; wie dann aus den §§10 und 11. Dr. Diederichs: Es ist nicht mein Verdienst. Ich bin von anderer Seite darauf gebracht worden11). Aber ich habe es eingesehen; das ist auch schon ein Verdienst. —
9) Der ursprüngliche Entwurf (Drucks.
Nr. 606) lautete: „§ 8: Der Bundestag besteht aus 386 Abgeordneten, von denen 230 in Einzelwahlkreisen und 156 [170] auf Landeslisten (Verbandslandeslisten) gewählt werden. In den Ländern werden auf Wahlkreise und auf Landesliste gewählt: Wahlkreise Abg. auf Landesliste 33 44 in Bayern
[400]
Baden Berlin (Westsektoren) Bremen
6 11 2 7 20 33 50 13 13 18 5
Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhoin-Westfalon
Rheinland-Pfalz
Schleswig-Holstein Württemberg-Baden Württemberg-Hohenzollern
23CT
4 9 2 5 15 24 30 9 9 13 3
156
[44]*
[170]*
Die Länder Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein bilden zusammen einen Verband; die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zusammen und die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz ebenfalls einen Verband." * Zu den Berichtigungen in [. .] siehe oben S. 675. Zur Diskussion um die Bundes- bzw. Landesliste siehe oben Dok. Nr. 23, TOP 2 b. Es konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden, auf wessen Hilfe Diederichs hier anspielt. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß sein Parteifreund Menzel ihn hier beratend unterstützte. Menzel hatte sich bereits kurz zuvor mit den „Auswirkungen verschiedener Wahlsysteme aufgrund der Stimmenverhältnisse im Land Nordrhein-Westfalen" befaßt .
10) n)
709
Nr. 25
Dreiundzwanzigste Sitzung
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Vors. [Dr. Becker]: (2) Die Länder Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein bilden zusammen einen Verband, die Länder Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollem zusammen einen weiteren und die Länder Hessen und Rheinpfalz zusammen ebenfalls einen Verband. (3) In den Ländern werden Wahlkreise gebildet: in Baden 5
Bayern Berlin (Westsektoren)
38
Hamburg
10 2 7
Hessen
17
Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
29 49 12
Schleswig-Holstein Württemberg-Baden Württemberg-Hohenzollern
II12)
Bremen
15 5
200
(4) Auf Landeslisten (Verbandslisten) können In
Bayern
Berlin Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Im Verband Hamburg Bremen =
gewählt
werden:
zu
37 10 28 49
Abgeordnete Abgeordnete Abgeordnete Abgeordnete
zu
21
Abgeordnete
bis bis bis bis
zu
bis
zu zu
=
Schleswig-Holstein Württemberg-Baden Württemberg-Hohenzollern Baden
Im Verband
=
Abgeordnete Abgeordnete zu 200 Abgeordnete (5) Auf Bundesliste werden Abgeordnete nach Maßgabe des § 11 gewählt. Kuhn: Die Wirkung des Wahlkreisverbandes ist also folgende: In die Länder fallen wohl die reinen Wahlkreiskandidaten, dann aber geschieht die Zusammenrechnung im Wahlkreisverband. =
Im Verband Hessen
=
Rheinland-Pfalz
bis bis bis
zu zu
25 30
(FESt NL Menzel R 5). Dafür spricht auch, daß Diederichs und Menzel schon
in der Andes Pari. Rates zum Wahlrechtsthema zusammengearbeitet hatten (siehe oben Dok. Nr. 12, TOP 1 b; vgl. auch Lange, Wahlrecht, S. 346, Anm. 11). 12) Im Auftrag von Ministerpräsident Lüdemann versuchte die Kieler Staatskanzlei am 19. Feb. 1949 mit einem Vermerk folgenden Inhalts auf die Verteilung der Wahlkreise Einfluß zu nehmen: „Würde Schleswig-Holstein 12 Wahlkreise erhalten, dann würde je ein Wahlkreis auf 215 850 Einwohner gebildet werden, also annähernd soviel wie bei Niedersachsen und immer noch mehr Einwohner je Wahlkreis als in Hamburg. Würde Hamburg nicht 7 sondern 6 Wahlkreise erhalten, dann würden auf jeden Wahlkreis 236 335 Einwohner entfallen, also immer noch weniger als in Baden, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Württemberg-Baden" (BA Z 5/9).
fangsphase
710
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4.
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Nr. 25
Vors. [Dr. Becker]: Auf einer gemeinsamen Liste. Kuhn: Also die Landesliste ist Wahlkreisverband. Vors. [Dr. Becker]: Die Berechnung der Reststimmen konnten wir anders nicht
bringen.
Kuhn: Es tritt nachher der Begriff der Wählervereinigung auf. Das betrifft also den Zusammenschluß bestimmter Parteien oder Gruppen? Vors. [Dr. Becker]: Nein, nicht bestimmter Parteien. Es könnte etwas sein, was sich nicht Partei nennt. Stock: Zum Beispiel wirtschaftliche Wiederaufbauvereinigung. Kuhn: Ich halte für notwendig, daß diese Vereinigung schon vor der Wahl bekanntgegeben wird. Wir haben das in gewissen Kommunalwahlgesetzen. Vors. [Dr. Becker]: Die müssen ihren Wahlvorschlag als solchen einreichen, und dann wird er publiziert. Walter: Ich möchte zu dem § 8 allgemein für meine Partei sagen, daß wir dieses Wahlsystem mit der Aufteilung ablehnen. Das Wahlsystem ist ein mehr oder weniger verschleiertes reines Verhältniswahlsystem, weil die Berechnung ausschließlich nach der Wahlzahl erfolgt. Ich bin gern bereit, im einzelnen an der Durcharbeitung des Entwurfs weiter mitzuwirken, bekenne mich aber nach wie vor grundsätzlich zum Mehrheitswahlrecht13). Stock: Wir haben die Erklärung von Herrn Walter zur Kenntnis genommen. Wir haben uns schon darüber unterhalten. Die CDU/CSU wollte das relative Mehrheitswahlrecht haben. Die Mehrheit ist anderer Auffassung. Ich meine, damit ist die Angelegenheit insofern erledigt, als Sie trotzdem an dem Wahlgesetz mitarbeiten. Wir müssen natürlich abstimmen lassen, damit eine Mehrheit für
§ 8 festgestellt wird14). Walter: Ich wollte
nur
davon Kenntnis
geben, damit
Sie wissen, daß wir
loyal
mitarbeiten, weil schließlich doch ein Wahlrecht geschaffen werden muß. Vors. [Dr. Becker]: Wer für § 8 ist, den darf ich bitten, die Hand zu erheben. Bei 2
Stimmenthaltungen
angenommen. Ich darf
es
wohl als Stimmenthal-
tungen auffassen. —
(Zustimmung.) §9 In jedem Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt. Gewählt ist, meisten Stimmen auf sich vereinigt hat (relative Mehrheit)15).
wer
die
13) Mit dieser Einstellung folgte Walter der von der CDU/CSU-Fraktion beschlossenen Direktive, wonach am Mehrheitswahlrecht festzuhalten sei, gleichzeitig aber die Mitarbeit im Ausschuß nicht in Frage gestellt werden sollte (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 373 und S. 413).
14) Noch am 22./23. Feb. 1949 stellte die CDU/CSU auf Drucksache 618 einen eigenen Antrag zu § 8 (siehe unten Dok. Nr. 26). 15) Der entsprechende Abschnitt auf Drucks. Nr. 606 lautete: „(1) Die in jedem Land bzw.
Verband von Ländern abgegebenen gültigen Stimmen werden zusammengerechnet und durch die Zahl der auf das betreffende Land (Verband) entfallenden Wahlkreise zuzüglich der auf Landeslisten (Verbandslandeslisten) zu wählenden Abgeordneten geteilt. So wird für jedes Land (Verband) die .Wahlzahl' errechnet. (2) Gewählt ist in jedem Wahlkreis der an erster Stelle stehende Bewerber derjenigen Wählervereinigung, welche die Wahlzahl erreicht hat. Erzielt eine Wählervereinigung 711
Nr. 25
Dreiundzwanzigste Sitzung
4.
Februar 1949
fragen: Gilt die Enthaltung auch hier, oder war das nur für den grundlegenden Paragraphen gemeint? Walter: Für den Grundgedanken dieses Gesetzes. Vors. [Dr. Beckerl: Wenn ich die Paragraphen weiter durchgehe, soll ich dann protokollieren lassen: einstimmig angenommen, oder: mit der selben MehrDarf ich
heit? Walter: Bei Stimmenthaltung. Heile: Man könnte hier im Rahmen des ganzen Gesetzes eine Verbesserung einführen, indem man statt „wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat" sagt „wer die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt hat". Falls keiner die Mehrheit bekommt, würde dann ein zweiter Wahlgang erfolgen. Dr. Diederichs: Wir wollen nicht die absolute Mehrheit. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe diesen Entwurf überhaupt nur dadurch fertigstellen können, daß ich mich überall erkundigt habe, was die Parteien bestimmt nicht wollen. Aus dieser Komposition des Negativen, möchte ich sagen, ist dies überhaupt entstanden. Heile: Ich will auch keine Debatte entfesseln, sondern wollte lediglich feststelwas unsere Auffassung ist. Vors. [Dr. Becker]: Einen solchen Vorschlag hatte ich im Oktober einmal gemacht, da ist er mit neun zu eins abgelehnt worden16). Ich darf feststellen, daß § 9 mit sechs Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen angenommen ist.
len,
§ 1017) (1) Alle im gesamten Bundesgebiet (einschließlich Berlin) abgegebenen gültigen Stimmen werden zusammengerechnet und durch die Zahl 400 geteilt
(Wahlzahl). in einem Wahlkreis die Wahlzahl mehrfach, so enthält sie entsprechend mehrere Sitze, die den Bewerbern nach der Reihenfolge des Wahlvorschlages zufallen. (3) Soweit hiernach weniger Abgeordnete gewählt sind, als der Zahl der Wahlkreise im Land entspricht, so sind diejenigen weiteren in einem Wahlkreis des Landes zur Wahl gestellten Bewerber in der Reihenfolge des Kreiswahlvorschlages gewählt, auf deren Liste die der Wahlzahl am nächsten kommende Stimmenzahl oder (nach Abzug der für einen schon gewählten Bewerber verrechneten Wahlzahl) Reststimmenzahl entfallen ist." 16) Siehe oben Dok. Nr. 14, TOP 2. 17) Die von Becker vorgelegte Fassung (§ 10) hatte folgenden Wortlaut gehabt: „(1) Sind so die in Wahlkreisen zu wählenden Abgeordneten ermittelt, so wird die auf jede Wählervereinigung mit dem gleichen Kennwort im Land entfallende Gesamtstimmenzahl nach Abzug der schon durch die Verteilung auf die Wahlkreise verbrauchten Stimmenzahl durch die Wahlzahl geteilt und von dem Landeswahlvorschlag der gleichen Wählervereinigung soviel Bewerber in der Reihenfolge der Liste als gewählt festgestellt, als in der Restsumme die Wahlzahl enthalten ist. (2) Mehr als die für das Land vorgesehene Zahl der auf Landesliste wählbaren Abgeordneten, darf insgesamt nicht zugeteilt werden. (3) Wird bei einer Teilung durch die volle Wahlzahl die Zahl der auf Landesliste zu wählenden Abgeordneten nicht erreicht, so werden die durch Teilung durch die volle Wahlzahl nicht ermittelten Mandate auf diejenigen Wählervereinigungen verteilt, deren Reststimmenzahl der Wahlzahl am nächsten kommt. Bei gleichen Stimmresten entscheidet das vom Landeswahlleiter zu ziehende Los." Vgl. Drucks. Nr. 606. —
—
712
Dreiundzwanzigste Sitzung
4.
Februar 1949
Nr. 25
(2) Die in jedem Land (Länderverband) für jede Partei (Wählervereinigung) abgegebenen gültigen Stimmen werden gleichfalls zusammengerechnet und
durch die Wahlzahl geteilt. Von der so ermittelten Mandatszahl werden die jedem Land (Länderverband) für jede Partei (Wählervereinigung) in den Wahlkreisen gewonnenen Mandate abgerechnet. (3) Die hiernach jeder Partei (Wählervereinigung) in jedem Land (Länderverband) noch zustehenden Sitze werden ihr nach der Reihenfolge ihres Wahlvorschlages zugeteilt. Mehr als die für das Land (den Länderverband) vorgesehene Zahl der auf Landesliste wählbaren Abgeordneten darf insgesamt nicht zugeteilt werden. Dr. Diederichs: Ich hatte noch eine Frage. Wir schreiben immer in Klammern „Wählervereinigung". Schaffen wir dadurch die Möglichkeit, daß sich Leute, die weder Partei noch sonst etwas sind, zur Aufstellung einer Bundes- und Kreisliste zusammenschließen können, und unter welchen Voraussetzungen? Vors. [Dr. Becker]: Da haben wir die hundert Unterschriften18). Dr. Diederichs: Mit hundert Unterschriften kann einer kandidieren. Das ist aber ein Einzelkandidat; der hat nicht die Möglichkeit, eine Verrechnungsliste im Lande oder eine Bundesliste aufzustellen. Wenn wir dies Wort „Wählervereinigung" stehen haben, öffnen wir damit eine Tür zur Bildung von Gruppen außerhalb der Parteien? Schaffen wir noch eine neue Möglichkeit, daß außer den Einzelkandidaten auch noch eine Interessenvereinigung der Droschkenkutscher oder Taxichauffeure oder Ähnliches ins Leben tritt, die auch noch eine Sammelliste aufstellt? Wenn das der Fall wäre, würde ich das nicht für richtig halten. Denn in der Beziehung sind wir ja auch mit den Freunden des Mehrheitswahlrechts durchaus einig, daß wir nicht jede Möglichkeit schaffen wollen, daß noch neue Vereine aufkommen. Ich wollte diese Frage nur einmal erwägen. Mir sind da Bedenken gekommen. Vors. [Dr. Becker]: Nach der bisherigen Fassung wäre es möglich, weil wir in §17 auf § 12 verwiesen haben, und da steht das mit den hundert Unterschriften. Wir hatten die Zahl der Unterschriften erhöht19). Dr. Diederichs: Das ist für den Einzelwahlkreis. Wie ist es aber, wenn der Mann sagt: Alle Reststimmen, die auf mich vereinigt sind, will ich verwerten? Er sagt: Ich gründe zusammen mit Herrn Müller in Hamburg, Herrn Schulze in Schleswig-Holstein und Herrn Schmidt in Bremen einen Wählerverband, und wir wollen unsere Reststimmen gemeinsam zu Gunsten von Herrn Kunze verwandt haben. Kuhn: Man könnte vielleicht durch ein technisches Mittel dem vorbeugen, indem man folgendes macht: Der Parteiname wird geschützt. Das bedeutet, daß auf den Wahllisten nur Parteinamen genannt werden dürfen, während bei wir haben auch in der Landesliste WählervereinigunWählervereinigungen nur der Name des ersten Kandidaten erwähnt werden darf. Das bedeugen tet, daß nicht irgendwelche Mieterschutzvereine und wirtschaftliche Interessentengruppen als Wählervereinigung auftreten können. Ich lasse also durch das in
—
—
18) Festgehalten in § 12 Abs. 1 des Entwurfs. 19} Von 20 auf 100 Unterschriften (§ 9 Drucks.
Nr. 474, Dok. Nr. 20).
713
Nr. 25
Dreiundzwanzigste Sitzung 4. Februar 1949
daß das Kennwort der Liste lediglich den Namen des Spitzenkandidaten tragen darf. Das bedeutet außerordentlich viel. Sie können dann im Stimmzettel doch nicht so wirken wie eine Partei. Lobe: Ich glaube, meine Herren, wir müssen uns hier entscheiden, ob wir das Prinzip aufstellen wollen, daß Organisationen, die neben den Parteien stehen, überhaupt mit hineingelassen werden. Geschieht es beim Einzelkandidaten, dann können wir es auch nicht bei mehreren verhindern. Ich wüßte nicht, mit welchem Recht wir sagen sollten: Einen Kandidaten darfst du aufstellen, zwei oder drei aber nicht. Das hat keine Logik für sich. Es hat ja Zeiten gegeben, wo sich Organisationen nur zum Zwecke der Wahl aufgemacht haben: Vereinigung zur Erziehung volkstümlicher Wahlen. Wenn der Wahltag vorbei war, war das erledigt. Aber zunächst trat der Verein zu diesem Zwecke offiziell ins Leben. Das ist nun bei uns ausdrücklich gestattet, solange die Wählervereinigung dabeisteht, und dann gibt es meines Erachtens auch keine Begrenzung. Entweder wir beschränken das Recht des Kandidatenvorschlags überhaupt auf die Parteien, dann ist die Sache klar, wenn auch nicht sehr gerecht, oder aber wir lassen es zu, dann können wir es nicht auf einen Einzelmann beschränken. Ich sehe wenigstens keinen einleuchtenden Grund dafür. Heiland: Den unabhängigen Kandidaten kann man zulassen. Aber wenn er als unabhängiger Kandidat kandidiert, kann er sich nicht mit soundso viel unabhängigen Kandidaten zusammenschließen. Ich würde den Antrag stellen, daß wir das Wort „Wählervereinigung", das in Klammern steht, streichen, so daß eine Verrechnung auf Landes- bzw. Bundesliste nur den anerkannten, zugelassenen Parteien möglich ist. Wenn die Herrschaften als Einzelkandidaten in der direkten das ist bei den Kommunalwahlen in Wahl nicht gewählt werden, so sind sie eben irgendwie danebengefallen. Ich den meisten Gebieten genauso gewesen würde es für außerordentlich bedauerlich halten, wenn wir da zu große Konzessionen machen, die nur zu einem Zusammenschluß im Negativen führen. Ich beantrage also hiermit offiziell, die Wählervereinigung zu streichen. Frau Wessel: Ich bin auch der Auffassung, daß das Wort „Wählervereinigung" irreführend ist. Ich möchte darauf zurückkommen, was Präsident Löbe gesagt hat. Die uns bekannte Wählervereinigung20) würde überall unabhängige Kandidaten aufstellen, die überhaupt kein politisches Programm darstellen, nur um irgendwie das sogenannte Persönlichkeitswahlrecht zu repräsentieren. Mit welchem Recht sollen diese nicht nach einem politischen, sondern nach einem ganz anderen Prinzip gewählten Kandidaten dann das Recht haben, ihre Stimmen über eine Landes- und Bundesliste verrechnen zu lassen? Wenn das möglich sein sollte, dann wäre es noch viel berechtigter, daß Parteien, die in einer gewissen politischen Linie liegen, die Möglichkeit bekommen, daß ihre Kandidaten in einer gemeinsamen Liste verrechnet werden. Das hat jedenfalls noch einen Sinn. Aber für unabhängige Kandidaten, bei denen der eine von dieser Richtung, der andere von jener Richtung kommt, und die gar keine politische Einheit darstellen, kann man unmöglich hier ein solches Recht verankern.
Wahlgesetz
nur zu,
—
—
20) Gemeint 714
ist die Deutsche
Wählergesellschaft.
Dreiundzwanzigste Sitzung 4.
Februar 1949
Nr. 25
Stock: Ich
glaube, es ist am einfachsten, wir streichen überall die in Klammern gesetzte Bemerkung „Wählervereinigung". Damit kann der ganze Abs. 2 stehen bleiben. Das entspricht auch der Auffassung der CDU/CSU, die durch das relative Mehrheitswahlrecht diese Sache sowieso ausschalten wollte. Dr. Diederichs: Ich bin grundsätzlich auch der Ansicht, daß das Wort mißbraucht werden kann. Herrn Lobe möchte ich sagen: Es ist ein grundlegender Unterschied zwischen dem unabhängigen Einzelkandidaten und einem Zusammenschluß irgendwelcher Art. In dem Moment, wo solche Zusammenschlüsse kommen, tragen sie in irgendwelcher Weise Parteicharakter. Wir würden also die Möglichkeit selbst einer Parteibildung ad hoc, speziell für eine Wahl, noch künstlich fördern. Da man uns ohnehin bei dem Verhältniswahlrecht schon laufend den Vorwurf macht, wir seien die Züchter von Splitterparteien, möchte ich das nicht durch solche Geschichten noch grundsätzlich fördern. Deshalb glaube ich, wir müßten auf diesen Hinweis „Wählervereinigung" verzichten. nicht: könnten Vors. [Dr. Becker]: Meine persönliche Meinung schließt sich der Auffassung des Herrn Lobe an. Man sollte auch die Vereinigung unabhängiger Kandidaten zulassen. Denn praktisch ist es ja eine neue Partei, die damit geschaffen ist. Eine große praktische Bedeutung wird die Geschichte überhaupt nicht haben, weil ja zur Zeit noch das Prinzip der Zulassung durch die Besatzungsmächte besteht21), so daß also da nichts zu befürchten wäre. Aber wenn die Mehrheit des Ausschusses für die Streichung ist, dann müssen wir natürlich nicht bloß das Wort „Wählervereinigung" streichen, sondern wir werden das später im § 17 deutlich sagen müssen. Kuhn: Also definieren Sie: Jede Wählervereinigung ist Partei. Vors. [Dr. Becker]: Kann eine Partei sein. Dr. Diederichs: Die englische Auffassung, die ja durchweg von dem reinen Mehrheitswahlrecht ausgeht, hat bei unseren Kommunalwahlen in der englischen Zone dazu geführt, daß die Besatzungsmacht in ihren Verfügungen grundsätzlich gesagt hat: Wer als unabhängiger Kandidat auftritt, gilt als eine Partei für sich. Erringt er als Unabhängiger, d. h. als Persönlichkeit, ein Mandat, ist es gut. Aber wenn hier der Gedanke der Personenwahl im Vordergrunde steht, ist es ja an sich ganz abwegig, daß ein Mann, der wild auftritt, nachher dieses Mandat an irgendeinen aus seiner Verwandtschaft abgibt, ein Mandat, das er nicht ganz errungen hat, das aber mit anderen zusammen in einem speziellen Klub aus drei verschiedenen Richtungen zugunsten eines vierten abgetreten werden kann. Das entspricht sicher nicht dem Wunsch der Wähler. Darüber ist kein Zweifel. Viors. [Dr. Becker]: Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Es ist der Antrag gestellt, das Wort „Wählervereinigung" zu streichen. Das bedeutet gleichzeitig, daß mit dem Antrag eine Stellungnahme nach der Richtung verbunden ist, daß zwar in den Einzelwahlkreisen sich jeder aufstellen lassen kann, der die 100 Unterschriften bringt, daß aber Landeslisten und Bundeslisten —
—
21) Siehe oben S. 489, besonders Anm.
85.
715
Nr. 25
Dreiundzwanzigste Sitzung
4.
Februar 1949
nur von Parteien aufgestellt werden können. So ist der Antrag zu verstehen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Sieben. Ich persönlich bin dagegen: Sieben gegen eins. Das Wort „Wählervereinigung" ist also überall in § 10 Abs. 2 und 3 gestrichen. Dann darf ich annehmen, daß § 10 in dieser Fassung angenommen ist. —
(Zustimmung.) In § 11 wird das Wort tet
dann:
„Wählervereinigung" ebenfalls überall gestrichen.
Er lau-
§1122)
(1) Die nach dem Zuteilungsverfahren des § 10 nicht verbrauchten Reststimmen werden für jede Partei auf einer Bundesliste zusammengerechnet. So oft die Wahlzahl in der Reststimmenzahl der einzelnen Partei enthalten ist, erhält sie in der Reihenfolge ihres Bundeswahlvorschlags einen weiteren Sitz auf Bundesliste. Durch diese Zuteilung auf Bundesliste darf die Zahl 400 insgesamt nicht überschritten werden. (2) Wird bei Teilung durch die volle Wahlzahl die Zahl 400 nicht erreicht, so werden die restlichen Sitze den Parteien zugeteilt, deren jeweilige Reststimmenzahl der Wahlzahl am nächsten kommt. Bei gleichen Stimmresten entscheidet das vom Bundeswahlleiter zu ziehende Los. Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Erhebt sich Widerspruch? Dann darf ich annehmen, daß § 11 auch wieder mit sechs Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen angenommen worden ist. Heiland: Es gibt eine kleine Möglichkeit, daß die Zahl 400 nicht absolut gehalten werden kann, und zwar denke ich dabei daran, daß Herr Heile mit seiner Partei der Nutznießer sein könnte. Die DP tritt derartig massiert auf, und zwar nur an einem Punkt, daß sie in der direkten Wahl eine Kleinigkeit mehr Mandate holen wird, als bei der Verteilung der Mandate nach der Gesamtzahl der im ganzen Bunde abgegebenen Stimmen auf sie entfallen würden, und wir müßten ihr diese Mandate, die sie in der direkten Wahl geholt hat, wieder abnehmen. Es wäre faktisch nur eine Partei, die Nutznießer sein könnte, die DP, evtl. auch die Bayernpartei. Das müßten wir bedenken. Darum können wir nicht kategorisch sagen: „Durch diese Zuteilung auf Bundesliste darf die Zahl 400 insgesamt nicht überschritten werden." Stock: Das ist aber anders gar nicht zu machen. Vors. [Dr. Becker]: Dann müssen Sie sagen „darf die Zahl 200 für Sitze auf Landesliste plus Bundesliste nicht überschritten werden". Dann ist das Bedenken ausgeräumt. Heiland: Das wäre dasselbe. —
—
22) Drucks. Nr.
606
(für § 11) lautete: „§ 10 ist auf den Verband mehrerer Länder entspre-
Maßgabe anzuwenden, daß für den Verband von jeder Wählervereinigung nur eine gemeinschaftliche Verbandslandeswahlliste einzureichen ist, und daß auf Verbandslandeswahllisten nicht mehr Abgeordnete gewählt werden dürfen, als der Summe der im § 8 für die jeweils zusammengeschlossenen Länder angegebenen Zahl der auf Landesliste zu wählenden Abgeordneten entspricht." chend mit der
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Stock: Meine Herren! Wir haben uns darüber schon einmal unterhalten23). Wir wollen die Sache praktisch nehmen. Die Bayernpartei ebenso wie die Deutsche Partei, die nicht in ganz Deutschland ihre Listen und Kandidaten aufstellt, könnte, weil sie in einem gewissen Kreis sehr zusammengeballt auftritt, auf um mehr kann es Grund der Gesamtverrechnung ein oder zwei Mandate mehr erhalten. Angenommen, sie erhält zwei Mandate sich nicht drehen mehr, als ihr eigentlich bei dem Reichsdurchschnitt zuständen, wie wollen wir das ausgleichen? Nehmen Sie an, der DP stehen nach der Berechnung auf den Reichsdurchschnitt sechs Mandate zu, sie hätte aber acht errungen, also 25% mehr Mandate, als ihr eigentlich zustehen. Wenn man das bei allen Parteien durchrechnen wollte, müßte man jeder 25% Mandate mehr zurechnen, als ihr eigentlich zustehen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ergo muß man das kleine Minus bei den anderen Parteien mit in Kauf nehmen. Es kann sich nicht um eine kolossale Stimmenvermehrung oder eine Überstimmung im Parlament handeln. Die Sache ist nicht zu ändern. Deshalb sage ich, wir müssen den Paragraphen so stehen lassen. Vors. [Dr. Becker]: Dann müssen Sie schon sagen, daß das, was im Einzelwahlkreis über die zustehende Zahl hinaus errungen ist, auch über die Zahl 400 hinaus bleibt. Lobe: Wir können sagen: Sollte sich bei der Feststellung des Wahlergebnisses herausstellen, daß in den Einzelwahlkreisen wenige Mandate über 400 sind, so werden sie anerkannt. Es ist nicht so wahrscheinlich. Sie wissen, daß bei dem Wahlquotienten von 60 000 bei den Wahlen der Weimarer Zeit auch alle diejenigen noch ein Mandat bekamen, die in der Verbandsliste 30 000 bis 60 000 hatten. Wir verwerten solche Reste hier nicht. Infolgedessen werden wir mit der Gesamtstimmenzahl etwas unter den 400 bleiben, und wir werden mit diesen die etwaigen Doppelmandate auffüllen können. Vors. [Dr. Becker]: Wir wollen es einmal durchrechnen. Die Sache ist es schon wert, damit keine Unklarheit im Gesetz bleibt. Nehmen Sie an, es würden auf die Partei X in einem Lande sechs Mandate entfallen; es würden ihr nach der Wahlzahl vielleicht nur vier oder fünf zustehen. Auf der Landesliste und Bundesliste wird sie demgemäß kein Mandat mehr bekommen. Angerechnet wird ihr ja nichts. Praktisch werden zwei Mandate weniger zur Verteilung stehen. Stock: Stimmt nicht! Heiland: Die Sache ist die: 200 Mandate werden verteilt. Die Wahlzahl wäre etwa 50 000. Sie hätten bei 200 000 Stimmen vier Mandate zu bekommen. Sie haben aber sechs Kandidaten durchbekommen. Die anderen Parteien haben nach der Wahlzahl einen Anspruch auf eine bestimmte Anzahl Mandate. Wenn Sie jetzt die Zahl 400 festsetzen, müssen sie der einen oder der anderen Partei die Mandate abziehen, damit Sie die Gesamtzahl von 400 kriegen, während die Partei aber nach der Wahlzahl Anspruch auf diese Mandate hat. —
—
23) Siehe oben Dok. Nr. 22, TOP
3 e.
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(Stock: Stimmt nicht!) Selbstverständlich stimmt es. Wenn Sie die mehr errungenen Mandate nicht irgendwie in Rechnung stellen, müßten Sie sie sonst irgendeiner anderen Partei abziehen. Sie hat aber Anspruch auf soviel Mandate, wievielmal sie 50 000 Stimmen erreicht hat. Daraus ergibt sich, daß die Zahl auf der Landesund Bundesliste etwas höher wird. Stock: Es ist doch so: Wir teilen das Bundesgebiet in 200 Wahlkreise auf. Diese 200 Abgeordneten werden nun durch das relative Mehrheitswahlrecht gewählt, so daß die beiden Parteien, die in Frage stehen, dann auf Grund der abgegebenen Stimmenzahl zwei Mandate mehr haben. Deshalb bleiben auf Landesliste und Bundesliste zusammengenommen immer noch die 200 Mandate über. Es ist nur das eine, daß meinetwegen die Bayernpartei oder die Deutsche Partei anstatt 50 000 Stimmen nur 40 000 Stimmen gebraucht hat, weil sie auf einem Platz zusammengeballt ist. Aber die übrigens 200 Mandate, die dann noch vergeben werden, werden ja auf Grund des Schlüssels vergeben. Heiland: Der aber durch 400, nicht durch 200 errechnet wird. Stock: Richtig, der durch 400 errechnet worden ist. Da kann es selbstverständlich der Fall sein, wenn z. B. schon durch die relative Mehrheitswahl vier Mandate mehr zu vergeben sind, daß jede der beiden großen Parteien zwei Mandate weniger erhält. Da hat Herr Heiland recht. Aber wie sollen wir es ändern? Wir können es nicht ändern, weil wir zwei Wahlsysteme haben, einmal das relative Mehrheitswahlsystem und dann das Verhältniswahlsystem. Dr. Diederichs: Die Rechnung von Herrn Heiland ist im Grunde genommen richtig. Dadurch, daß eine Partei in dem Wahlgang selbst mit relativer Mehrheit zu einem billigeren Satz ihre Mandate eingekauft hat, um es einmal ganz simpel zu sagen, ihre Stimmen aber beim Zusammenzählen mitgerechnet werden, erhöht sich der Koeffizient bei der Berechnung der Verhältnismandate. Daran ist kein Zweifel. Denn sie selber sind an der Verteilung der Restmandate nicht mehr beteiligt, ihre Stimmen fließen aber in den Teiler hinein, d. h. der Faktor wird höher, und weil nur noch die 200 zu verteilen sind, kaufen die andern durch diese Sache teurer ein, d. h. sie verlieren ein oder zwei Mandate. Wollte man das verhindern, so müßte man hier einen Passus hinzusetzen, aus dem hervorginge: Mandate, die eine Partei in der relativen Wahl der ersten 200 außerhalb des gültigen Quotienten erworben hat, bleiben bestehen und werden der Gesamtziffer zugezählt. Dann würden wir, wenn eine Partei da ist, die zwei, und eine andere, die drei Mandate mehr direkt erobert hätte, statt 400 405 Abgeordnete haben, so daß es den anderen Parteien praktisch nicht verlorengeht. Man könnte sogar so argumentieren: Es müßten nicht fünf, sondern die doppelte Ziffer zugeschlagen werden, weil die anderen sonst immer noch zu teuer einkaufen. Das würde ich aber nicht empfehlen. Herr Löbe sprach dann noch von der Nichtberücksichtigung der restlichen Stimmen und der nicht ganz ausreichenden Quote. Das stimmt nicht mehr. Nach § 11 Abs. 2 haben wir diese Möglichkeit wieder eingeschaltet, daß, wo die Quote nicht voll erfüllt ist, dann auch die berücksichtigt werden können, die unter —
50 000
liegen.
Löbe: Wir brauchten das aber nicht 718
zu
tun.
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Dr. Diederichs: Wenn man generell durch 50 000 teilt, ist es, weil soundso viele Reststimmen ausfallen, häufig, daß die Ziffer von 400 bei der Verrechnung nicht erreicht wird, weil die Splitter nicht zusammenkommen. Da kommen die Teile der Quote noch an die Reihe. Also den Abs. 2 würde ich stehenlassen. Es fragt sich, ob man, nachdem wir zu 50% relative Mehrheit und zu 50% Verhält-
niswahl haben, nun noch diese Sicherung braucht, daß man diese Geschichte noch macht, wenn hier und da ein Mandat mehr erobert worden ist. Ich halte das für eine Komplizierung und möchte in dem Fall wirklich den Freunden des Mehrheitswahlrechts eine Reverenz machen und sagen: Wenn sie schon zwei oder drei Mandate mehr direkt errungen haben, dann sollen sie sie in Gottes Namen behalten. Frau Wessel: Ich sehe die Gefahr, daß die größeren Parteien gegenüber vielen kleineren, die sie nannten, zu teuer einkaufen, nicht einmal so stark. Denn wenn wir jetzt die Möglichkeit einschalten, daß unabhängige Kandidaten aufgestellt werden, so werden ja eine Reihe von ihnen gar nicht zum Zuge kommen und werden nicht ein Mandat erringen. Diese werden den entsprechenden Ausgleich schaffen, weil sie auch bei der Stimmenzahl irgendwie mit eingeschaltet z. B. 50 000 werden, aber nicht die notwendige Zahl erreichen. Dadurch kommt ein gewisser Ausgleich. Dieser Rest würde den größeren Parteien zugute kommen. Ich sehe nicht die Gefahr, daß wir über 400 Mandate hinauskommen. Heiland: Ich hätte dann eine Lösung vorgeschlagen, die auch alles ausschaltet. Wir dürften dann nämlich nicht mehr durch 400 teilen, sondern müßten die insgesamt abgegebenen Stimmen durch die 200 Restmandate teilen. Dr. Diederichs: Dann kriegen Sie die doppelten Quoten. Heiland: Nein, durch 200 teilen. Dann werden auch nur die 200 Mandate verteilt, unabhängig von den errungenen Mandaten. Dr. Diederichs: Da müssen Sie vor der Teilung durch 200 für alle errungenen Mandate die Stimmen ausschalten. Darüber haben wir uns aber hier unterhalten, daß wir nicht die Stimmen, sondern die Mandate ansetzen wollen. Stock: Ich stelle den Antrag, den Absatz so zu lassen, wie er ist. Heiland: Das ist nicht möglich. Der Fall, daß mehr Mandate errungen werden, ist im Moment im Gesetz nicht geregelt. Ich habe keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, daß die DP zwei Mandate mehr bekommt. Ich bin nur der Meinung, wir müssen es so klar geregelt haben, daß dann derjenige, der das Gesetz auszulegen hat, nicht über diesen Zwirnsfaden stolpert. Darum habe ich vor einigen Tagen schon irgendwo gesagt, wir müssen die eintretende Möglichkeit im Gesetz so klar geregelt haben, daß es keine Auslegungsschwierigkeiten gibt24). Das ist das, was ich mit dieser Debatte überhaupt erreichen will. Wenn jemand einen besseren Vorschlag macht, bin ich selbstverständlich bereit, dem beizutreten. Aber wir müssen es geregelt haben; sonst kommt das gesamte Ge—
setz in
—
Schwierigkeiten.
24) Siehe oben S. 685. 719
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Heile: Ich wollte nur zur Beruhigung der Gemüter darauf hinweisen, daß eine Bevorzugung dieser „massiert" vorhandenen Parteien nicht vorgesehen ist. Wenn aber hier sogar eine Ausnahmebestimmung gegen die „massierten" Parteien gemacht würde, so würden wir Wert darauf legen müssen, die vielen Andas wächst jeden Tag —, hänger, die wir auch in anderen Gebieten haben zu ebenfalls sammeln. Heiland: Die Möglichkeit haben Sie. Da können Sie Kandidaten aufstellen. Heile: Man kann doch an sich nicht wünschen, daß man überall, bloß um Stimmen zu sammeln, Kandidaten aufstellt und Wahlkämpfe entfesselt, die das politische Leben nur noch mit mehr Schärfe erfüllen. Wir müßten das dann allerdings tun. Wir würden im Rheinland, in Württemberg oder Bayern unsere Stimmen sammeln, bloß um für die Schädigung auf der einen Seite eine Entschädigung auf der anderen zu bekommen. Löbe: Ich halte die Eventualitäten, die hier hervorgehoben wurden, für nicht sehr wahrscheinlich. Wenn aber jemand sein Gewissen nicht anders beruhigen kann, könnte man vielleicht sagen: „Durch diese Zuteilung auf Bundesliste darf die Zahl 400 insgesamt nicht wesentlich überschritten werden." Wir sind alle der Meinung, daß es sich höchstens um zwei oder drei Mandate handeln kann. Es ist nicht wünschenswert, solche unbestimmten Ausdrücke in ein Gesetz hineinzubringen. Aber da die Sache selber fraglich ist, helfen wir uns, bis wir etwas Besseres gefunden haben, damit, daß wir sagen: 400 dürfen nicht wesentlich überschritten werden. Dr. Diederichs: In einem muß ich Herrn Heile recht geben. Wenn die Stimmen sehr geballt sind, kann es passieren, daß er die Mandate sehr teuer einkauft, indem er eine Mehrheit von 65% pro Mandat bezahlt und seine Reststimmen für ein Mandat trotzdem nicht nach der Quote ausreichen und er dann 40 000 Stimmen verliert, die gar nicht zum Zuge kommen. Das wäre die andere Möglichkeit. Ich glaube, so kleine Chancen nach der einen oder anderen Seite kann oder sollte man nicht ausgleichen. Heiland: Aber regeln müssen wir es. Vors. [Dr. Becker]: Ich gebe Herrn Heiland recht, es darf keine Lücke im Gesetz sein. Es kann doch kommen, daß sich bei der Abrechnung herausstellt, daß eine Partei einen Sitz verlieren würde. Heiland: Ich darf klar formulieren, wo die Schwierigkeit ist. Wenn wir eine Zahl von 50 000 als Wahlzahl ausrechnen, so hat jede Partei das Recht, auf 50 000 ein Mandat zu verlangen. Auf der anderen Seite sagen wir: Die Zahl von 400 Mandaten darf nicht überschritten werden. Drittens sagen wir: Die in der direkten Wahl errungenen Mandate sind als gewählt zu betrachten. Dadurch können wir erst in die Schwierigkeit hineinkommen, daß wir diese drei Zahlen nicht übereinbringen. Bei 50 000 habe ich einen Anspruch auf ein Mandat. Dadurch, daß aber eine Partei da sein kann, die ihre Mandate mit 50 000 errungen hat, sprenge ich entweder die Zahl 400, oder ich sprenge die Zahl der Gewählten, indem ich die mit 50 000 errungenen Mandate nicht anerkenne. Diese drei Zahlen sind so, wie sie jetzt formuliert sind, nicht zu vereinbaren, ohne daß wir diese Eventualitäten im Gesetz ausdrücklich vorsehen. —
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Stock: Ich glaube, daß mein Freund Heiland doch von einer falschen Voraussetzung ausgeht. Die Zahl 200 bei der relativen Mehrheitswahl steht fest. Da gibt es nicht 204 oder 201, sondern da gibt es 200. Die Zahl steht fest. Nun kann es bei der relativen Mehrheitswahl sein, wenn dann insgesamt auf 400 verrechnet wird, daß eine Partei ein Mandat zuviel hat. Es kann aber auch umgekehrt sein, daß sie auf Grund ihrer Gesamtstimmenzahl, wie der Kollege Diederichs sagte, das Mandat nicht mit 50 oder 51%, sondern mit 64 oder 68% gekauft hat. Nun haben wir noch 200 Mandate übrig. Für diese 200 Mandate wird doch der Gesamtschlüssel genommen und aufgeteilt, so daß es nie mehr als 400 Mandate geben kann, weil wir die anderen 200 gar nicht mehr mitrechnen. Deshalb glaube ich, es gibt überhaupt keine Schwierigkeiten, sondern nur den Fall, daß dann die anderen 200 Mandate nicht mit 50 000, sondern vielleicht mit 55 000 erkauft werden müssen. Das ist das einzige, was dabei herauskommt. Heiland: Dann haben wir keine feste Wahlzahl. Stock: Doch, wir haben eine ganz feste Wahlzahl, weil wir nur eine Teilungsziffer haben. Ich kann mir nicht denken, daß da ein Mandat mehr kommt. Die 200 zähle ich nicht mehr mit. Wir haben doch im ganzen Bundesgebiet 200 Wahlkreise. Diese 200 Wahlkreise sind festgelegt, und in diesen 200 Wahlkreisen werden die 200 Leute gewählt, und die übrigen 200, die noch überbleiben, werden auf Grund der abgegebenen Stimmen geteilt, so daß nie 401 oder 402 herauskommen können, nur daß die großen Parteien insgesamt schlechter daran sind als die Parteien, die massiert sind. Sonst kann ich mir nichts dabei denken, und wenn bei einem Parlament von 400 Leuten eine Partei ein oder zwei Mandate zuviel hat, ist das nicht ausschlaggebend. Dr. Diederichs: Herr Dr. Becker hatte Bedenken, es könnten hier Unklarheiten hereinkommen. Wenn ich die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen durch 400 teile, kriege ich einen Teiler heraus, bei dem mit aller Gewalt nie mehr als 400 Sitze herauskommen können. Das geht so weit, daß, wenn eine Partei auf der Bundesliste noch eine Stimme hätte, für diese eine Stimme noch ein Mandat vorhanden wäre; sonst wäre es vorher nicht aufgegangen. Praktisch ist es so, daß bei der Teilung durch 400 kein unvergebener Rest bleiben wird, sondern es wird vielmehr so sein, daß wir, da jede Partei irgendeinen nicht aufgegangenen Rest auf die Bundesliste bringt, letzten Endes noch Mandate zu vergeben haben, für die eine volle Quote nicht vorhanden ist. Das einzige, was dadurch passiert, daß bei der direkten Wahl jemand seine Quote unterschreitet, ist, daß sich die Quote aber schon beim Berechnen erhöht. Es wird ja durch 400 Es Stimmen auch der kommen die Parteien, die an sich an der Restvergeteilt. Teiler hinein; ebenfalls die Stimnicht mit in mehr sind, den beteiligt teilung men der Unabhängigen, die nicht zum Zuge gekommen sind, aber keine Restmandate beanspruchen können, sind in der Summe mit drin, so daß automatisch der Teiler etwas oberhalb dessen liegt, was normalerweise bei der Verteilung herauskommen würde. Es bleiben also Mandate zu verteilen, die sogar auf solche entfallen, die die volle Quote nicht erreicht haben. Vors. [Dr. Becker]: Sie könnten höchstens noch folgendes machen, wenn Sie ganz sicher gehen wollen. Sie können im § 11 noch den Satz hineinnehmen: —
—
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Bleiben bei der Teilung auf der Bundesliste nach Erreichung der Gesamtzahl Mandaten noch Reste über, die die Wahlzahl überschreiten, dann wird derjenige gekürzt, der die geringste Reststimmenzahl hat. Das ist die einzige Möglichkeit, die ich mir denken könnte. Stock: Ich würde es nicht komplizieren. Kuhn: Wir haben dann aber nach dieser Fassung keine Grenze, wie wir die Reste überhaupt noch zuteilen. Vors. [Dr. Becker]: Nehmen Sie an, es stände drei Parteien je ein Mandat zu, Sie haben aber nur zwei zu verteilen. Dann bekommt die Partei mit der geringsten Stimmenzahl keins. Stock: Damit wir fertigwerden, würde ich vorschlagen, daß wir § 11 aussetzen und weitergehen. Vielleicht kann man dann einen reinen Wahltechniker noch hinzuziehen. von
(Heiland:
Einen
Mathematiker!)
Ich kann bei 400 beim besten Willen nichts anderes herausbringen. Wenn ich die Gesamtstimmenzahl aufteile, kommt 400 heraus. Heile: Die relative Mehrheit kommt doch immer den großen Parteien zugute. Die SPD hat doch mindestens dieselben Chancen unter den großen Parteien. Vors. [Dr. Becker]: Sie haben in Hamburg meines Wissens auch Stimmen, so daß Sie Listen aufstellen werden. Sie wollen also die Abstimmung über § 11 —
aussetzen.
—
Walter: Ich halte die Gefahr auch nicht für sehr groß, daß mehr als 400 herauskommen. Ich würde mit Herrn Löbe sagen: Es darf die Zahl 400 nicht wesentlich überschritten werden. Stock: Nein, wir wollen 400 haben, und Schluß, keinen Gummiparagraphen. Vors. [Dr. Becker]: Es ist zur Geschäftsordnung beantragt, die Abstimmung über den § 11 auszusetzen25). Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. 5. Das ist die Mehrheit. —
§12 (1) Bei dem Kreiswahlleiter sind spätestens am 17. Tage vor dem Wahltag bis 18 Uhr während der Dienststunden Kreiswahlvorschläge schriftlich einzureichen; sie müssen von mindestens hundert Wählern des Wahlkreises unterschrieben sein. Sie sind mit einem Kennwort (Name einer politischen Partei) zu versehen. Ist in einem Wahlvorschlag angegeben, daß die Bewerber für eine politische Partei auftreten, so genügt die Unterschrift der für den Wahlkreis zuständigen Landesleitung der Partei. (2) Als politische Partei sind nur solche Wählervereinigungen anzusehen, welche dem Art. 46 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland entsprechen und, soweit seitens der Militärregierung Zulassungsbestimmungen bestehen, für den betreffenden Wahlkreis insgesamt zugelassen sind.
25) Zum Fortgang §11, siehe 722
unten TOP 1 g.
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Heile: Was ist ein Kennwort für die, die nicht politische Partei sind? Vors. [Dr. Becker]: Das Kennwort können wir weglassen, weil wir die Wählervereinigungen für die Landesliste streichen wollen. Heiland: Wir müssen die Worte „Name einer politischen Partei" aufnehmen, damit die Kennzeichnung einer politischen Partei möglich ist. Wir könnten sagen: Unabhängige Kandidaten unterzeichnen mit ihrem Namen, bei politischen Parteien darf der Parteiname zugefügt werden. Vors. [Dr. Becker]: Man braucht nur zu sagen: Wenn der Bewerber einer politischen Partei zugehört, ist der Name der politischen Partei anzugeben. Heiland: Wenn ich in Klammern sage „Name einer politischen Partei", so sage ich: Es muß immer eine politische Partei sein. Vors. [Dr. Becker]: Das Wort „Kennwort" ist hineingenommen, weil wir bei der Herstellung des Entwurfs davon ausgingen, daß auch einzelne Bewerber auf Kreisebene sich auf der Landesliste zusammenfassen könnten. Deshalb das Wort „Kennwort". Nachdem wir beschlossen haben, daß das auf der Landesliste nicht möglich ist, hat das Wort „Kennwort" keine Bedeutung mehr, sondern da müssen sie sagen: Der Bewerber, der für eine politische Partei auftritt, hat den Namen seiner Partei beizufügen, oder in dem Sinne. Dr. Diederichs: Es geht hieraus nicht hervor, daß der Wahlvorschlag nur einen Namen enthalten soll. Da wir Einmannwahlkreise haben, könnte das dahin irreführen, daß zwei oder drei Kandidaten präsentiert werden. Vors. [Dr. Becker]: Das kommt noch in Abs. 3. Wir können hier den ganzen Satz streichen. Denn in Abs. 3 heißt es: (3) Jeder Wahlvorschlag darf nur den Namen eines Bewerbers enthalten und dessen Namen, Vornamen, Geburtstag, Geburtsort, Beruf und Anschrift angeben. Tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist deren Bezeichnung ebenfalls beizufügen. Es kann also der Satz gestrichen werden: „Sie sind mit einem Kennwort (Name einer politischen Partei) zu versehen." Es müßte dann weiter heißen: „Ist in einem Wahlvorschlag angegeben, daß der Bewerber für eine politische Partei auftritt, so genügt die Unterschrift usw.". Dr. Diederichs: Können wir den Abs. 2 nicht ganz weglassen, nachdem die Wählervereinigungen gestrichen sind? Vors. [Dr. Becker]: Nein, für den Wahlkreis müssen wir es haben. Heiland: Die Worte „solche Wählervereinigungen" können gestrichen werden. Ich würde den Antrag stellen. Es würde heißen: „Als politische Partei sind nur anzusehen, welche usw.". Wir sagen in Abs. 3: „Tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist deren Bezeichnung ebenfalls beizufügen." Damit wir aber geregelt haben, was als politische Partei anzusprechen ist, sagen wir in Abs. 2: Als politische Partei sind nur solche anzusehen, usw. Vors. [Dr. Becker]: Bei einer Definition geht man vom übergeordneten Begriff aus und fügt das unterscheidende Merkmal hinzu. Der übergeordnete Begriff ist die Wählervereinigung in diesem Fall, und das unterscheidende Merkmal ist die politische Partei. Dr. Diederichs: Ich bin der Meinung, daß wir den Abs. 2 ganz streichen können. Nachdem die Wählervereinigung weggefallen ist, brauchen wir diese Defi723
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nition nicht mehr. Wir ersparen uns auch den Hinweis auf die Konzession der Militärregierung, den ich nicht gern drinhaben möchte. Es ist klar, daß nichtexistente Parteien unter neuer Firma noch einer Lizenz bedürfen. Das ist nicht mein Wunsch. Ich halte dieses System, zumal da es von einem Ausländer gehandhabt wird, für sehr unglücklich. Aber hier wäre es nötig gewesen, weil wir eine Unterscheidung von den übrigen Wählervereinigungen machen wollten. Nachdem die herausgenommen sind, brauchen wir das nicht mehr. Es gibt nur Parteien und Einzelkandidaten. Der Einzelkandidat ist praktisch im § 12 Abs. 1 geregelt. Von der Partei ist in Abs. 3 die Rede. Ich glaube, wir könnten den
ganzen Abs. 2 streichen, und ich möchte das beantragen. Wer ist für die Streichung? Vors. [Dr. Becker]: Wird das Wort gewünscht? Vier. Wer ist dagegen? Niemand. Abs. 2 ist also gestrichen. Abs. 3 wird Abs. 2, Abs. 4 wird Abs. 3. Ich verlese ihn: (3) Jeder Bewerber hat seine Zustimmung schriftlich zu erteilen; seine Unterschrift muß amtlich beglaubigt sein. Die Zustimmung muß bis spätestens 18 Uhr des in Abs. 1 genannten Tages bei dem Kreiswahlleiter eingegangen sein. Da entsteht die Frage: Soll die Zustimmung der politischen Partei auch mit angegeben werden? Wie war das früher, Herr Löbe? Lobe: Es war nicht üblich. Vors. [Dr. Becker]: Abs. 5 wird Abs. 4 und lautet: (4) Namen, Vornamen, Beruf und Anschrift der Unterzeichner des Wahlvorschlages sind anzugeben. Dann Sind gegen § 12 in dieser neuen Fassung Einwendungen zu erheben? darf ich feststellen, daß er angenommen ist. Gilt Ihre Enthaltung auch hier? Walter: Ja, grundsätzlich, obwohl ich zustimme. Stock: Ich würde doch bei den einzelnen Paragraphen, die auch nach der Richtung Ihrer Absichten tendieren, mitstimmen. Walter: Mit den technischen Sachen sind wir natürlich einverstanden. Vors. [Dr. Becker]: Darf ich annehmen, hier einstimmig. —
—
—
§13 auf einen Wahlvorschlag eines Wahlkreises gemehreren Wahlkreisen bewerben. kann er in sich nannt sein; Frau Wessel: Es ist nach diesem Paragraphen möglich, daß ich auf dem Kreiswahlvorschlag, auf Landesliste und Bundesliste kandidiere. Dr. Diederichs: Es ist gemeint, er kann nicht gleichzeitig für zwei Parteien kandidieren, wenngleich die Mitgliedschaft in zwei Parteien möglich ist. Denn darüber steht nirgends etwas. Das ist jetzt vielfach im Lande Niedersachsen exerziert worden. Bei der Prüfung der Wahl haben wir eine Unmenge von Leuten festgestellt, die gleichzeitig Mitglieder zweier Parteien sind. Da in Niedersachsen vorgeschrieben war, daß Kandidaten, die auf dem Wahlvorschlag einer Partei kandidieren wollten, dieser Partei angehören mußten, haben sie ihren Eintritt erklärt, um dort aufgestellt zu werden, obwohl sie einer anderen Partei angehörten. Sie waren also Mitglied zweier Parteien. Heile: Das Gesetz stellte ja den Zwang dazu auf, daß man einer Partei angehören mußte, wenn man sich aufstellen lassen wollte.
Jeder Bewerber kann
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nur
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Dr. Diederichs: Nein, kein Zwang; sie konnten als Unabhängige kandidieren26). Das taten sie aber nicht, sondern sie wollten die Unterstützung und den Geldbeutel einer Partei hinter sich haben und haben für die kandidiert. Wir haben in Niedersachsen durchgesetzt, daß einer, der für eine Partei kandidierte, ihr auch angehören mußte27). Das halten wir für eine Forderung der Ehrlichkeit und Sauberkeit. Wenn ich Zahnpasta verkaufe, und es ist Stiefelwichse in der Tube, so ist das nicht korrekt. Wir hatten aber nicht damit gerechnet, daß es Leute gab, die sich je nach Wunsch für diesen Zweck eine Parteizugehörigkeit zulegten, und sind zu dem Kuriosum gekommen, daß die Leute praktisch zwei Parteien angehörten. Walter: Ich nehme an, daß das nur in Niedersachsen möglich ist, im sonstigen
Reich nicht. Stock: Hier heißt es: „Jeder Bewerber kann nur auf einem Wahlvorschlag eines Wahlkreises genannt sein." Er kann also nicht gleichzeitig auf dem Wahlvorschlag der SPD und dem der FDP stehen. Dann heißt es: „Er kann sich in mehreren Wahlkreisen bewerben." Meinen Sie nicht, daß dieser letzte Satz Unsinn ist? Denn wir haben bei der Vergebung der Mandate das relative Mehrheitswahlrecht. Jeder Wahlkreis hat 250 000 Einwohner. Läßt sich jemand im Wahlkreis 1 und im Wahlkreis 2 aufstellen, so könnte es sein, daß er im Wahlkreis 1 15 000 Stimmen erhält, aber nicht gewählt ist, im Wahlkreis 2 auch 15 000, insgesamt 30 000. Wie ist es nun auf der Landeliste? Da kommen die heran, die die meisten Stimmreste haben. Lobe: Es soll tatsächlich gestatten, daß Doppelkandidaturen möglich sind, daß sich z. B. August Bebel in Hamburg und in Straßburg aufstellen lassen konnte28).
(Stock: Gut!) Vors. [Dr. Becker]: § 13 kann dann wohl als angenommen
angesehen werden,
einstimmig. —
§
14
Jeder Wähler hat eine Stimme. Die Stimmabgabe erfolgt durch Ankreuzen des Kreiswahlvorschlages, dem er seine Stimme geben will. Kein Widerspruch. Darf ich annehmen: einstimmig angenommen. §15 Die Verbindung mehrerer Wahlvorschläge ist unstatthaft. Lobe: Ist das nun anerkannt? Es gab früher doch die sogenannte Listenverbindung. Das soll nicht geschehen, auch nicht für die Bundesliste?
Stock: Nein, überhaupt nicht. Vors. [Dr. Becker]: Ich darf vielleicht bitten, daß wir § 15 umstellen, und zwar hinter den § 18. Dann gilt er nämlich für alle Instanzen, auch für die Landesliste und für die Bundesliste. Sonst müßten wir ihn immer wiederholen. Also: —
26) Bei der Vorlage eines
von
20
Wahlberechtigten
unterschriebenen
Kreiswahlvorschlags
(§ 13 [1] des niedersächsischen Landeswahlgesetzes). 27) § 13 (2) des niedersächsischen Landeswahlgesetzes lautete: „Tritt der Bewerber für eine Partei auf, so ist die Parteibezeichnung beizufügen. Die Hinzufügung einer Parteibe-
zeichnung
ist
mit Zustimmung dieser Partei Nr. 6, Anm. 65.
nur
2B) Vgl. oben Dok.
zulässig."
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§ 15 wird § 18, § 16 wird § 15, § 17 wird § 16 und § 18 wird § 17. Also § 18 war eben angenommen. Jetzt kommt § 16, in dem das Wort „Wählervereinigung" zu streichen ist. Er lautet dann: §
16
Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt ein Abgeordneter oder verliert er seinen Sitz (vgl. § 7), so rückt der nachfolgende Bewerber des gleichen Landeswahlvorschlages (Verbandswahlvorschlages) nach, gleichviel, ob er im Wahlkreis oder auf Landesliste gewählt war. Beim Ausscheiden eines auf Bundesliste gewählten Abgeordneten rückt der auf dem Bundeswahlvorschlag der gleichen Partei nächstfolgende Bewerber
nach29).
Auch diesen Paragraphen müßten wir sinngemäß hinter die Landes- und Bundesliste setzen. Er wird dann § 17, und § 18 wird § 16, während § 17 jetzt § 15 wird. Darf ich annehmen, daß der alte § 16, neu § 17, angenommen ist?
(Zustimmung.)
Wir kommen
nun zu
dem alten § 17 :
§ (1) Beim Landeswahlleiter
17
(Verbandswahlleiter) können bis
18 Uhr des 17. für die Landesliste (Verbandsliste) Wahltag Wahlvorschläge Tages einer Partei eingereicht werden. Die Zahl der Bewerber eines solchen Wahlvorschlages ist unbeschränkt. Auf Inhalt und Einreichung dieser Wahlvorschläge finden die Bestimmungen des § 12 entsprechende Anwendung; jedoch genügt für die Unterzeichnung des Wahlvorschlages einer politischen Partei die Unterschrift der obersten Parteileitung im Bund, im Land oder bei Verbandswahlvorschlägen der obersten Parteileitung eines der zugehörigen Länder. Soweit seitens der Militärregierung Bestimmungen über die Zulassung einer politischen Partei bestehen, muß diese Partei für das Gebiet des betreffenden Landes oder Länderverbandes zugelassen sein. (2) Die Bewerber auf den Landeswahlvorschlägen (Verbandswahlvorschlägen) können auch in den Kreiswahlvorschlägen der gleichen Partei als Bewerber auftreten. Hier müssen wir nun einschalten: Nur politische Parteien können Landeslisten einreichen. Heiland: Es genügt, wenn man schreibt: „Beim Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) können bis 18 Uhr des 17. Tages vor dem Wahltag Wahlvorschläge für die Landesliste (Verbandsliste) einer Partei eingereicht werden. Die Zahl der Bewerber eines solchen Wahlvorschlages ist unbeschränkt." Das weitere könnten wir streichen. Denn da haben wir auch wieder drin, daß es Wahllisten einer anderen Gruppe geben kann. vor
dem
606 lautete: „Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt er oder verliert er seinen Sitz, [. .] so rückt der nachfolgende Bewerber des gleichen Wahlvorschlages nach."
29) Der entsprechende Paragraph auf Drucks. Nr.
.
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Vors. [Dr. Becker]: Deshalb schlage ich vor, hinzuzusetzen, daß die Landesliste einer politischen Partei eingereicht werden kann. Das müssen wir schon der Klarheit wegen sagen. Heiland: Den Satz „Auf Inhalt usw." könnten wir streichen und sagen: „Zur Unterschriftsleistung ist die Parteileitung auf Bundesbasis berechtigt." Vors. [Dr. Becker]: Wir müssen auch Namen und Anschrift hereinschreiben. Darum haben wir auf § 12 verwiesen. Und wir müssen die Ausnahmen bringen. Daß nur eine politische Partei einen Landeslistenvorschlag machen kann, ist einur von
ne
solche Ausnahme.
Dr. Diederichs: Meiner Ansicht nach ist das mit dem ersten Satz klar, wenn hier steht: „einer Partei eingereicht werden". Für einen Einzelkandidaten kann keine Landesliste existieren. Das ist logisch denkunmöglich. Es heißt auch, daß
die
Bestimmungen des § 12 entsprechende Anwendung finden.
Vors. [Dr. Becker]: Vielleicht können wir sagen: Beim Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) können bis 18 Uhr des 17. Tages vor dem Wahltag politische Parteien ihre Wahlvorschläge für die Lan-
desliste einreichen. Darf ich annehmen, daß Einverständnis besteht. Abs. 1 Satz 1 im neuen §15 lautet dann: Beim Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) können bis 18 Uhr des 17. Tages vor dem Wahltag politische Parteien ihre Wahlvorschläge für die Landesliste (Verbandsliste) einreichen. Alles übrige könnte so bleiben. Dann hätten wir nur den Satz mit der Militärregierung, den wir konsequenterweise auch streichen müssen.
(Zustimmung.)
In Abs. 1 wird also der Satz „Soweit seitens der Militärregierung Bestimmungen über die Zulassung einer politischen Partei bestehen, muß diese Partei für das Gebiet des betreffenden Landes oder Länderverbandes zugelassen sein" gestri-
chen. Heiland: Mich stört noch, daß da steht: .Jedoch genügt für die Unterzeichnung des Wahlvorschlags einer politischen Partei usw." Das sieht so aus, als ob es auch andere tun können. Stock: Die Worte „einer politischen Partei" kann man weglassen. Dr. Diederichs: jedoch genügt für die Unterzeichnung des Wahlvorschlags die Unterschrift der obersten Parteileitung im Bund, im Land oder bei Verbandswahlvorschlägen der obersten Parteileitung eines der zugehörigen Länder." Vors. [Dr. Becker]: Dann darf ich annehmen, daß mit dieser Fassung alle einverstanden sind. § 15 Abs. 1 ist in dieser Fassung angenommen. Abs. 2 ist ebenfalls angenommen. Da wird das Wort „Wählervereinigung" .
—
gestrichen. —
§ 18 wird § 16. Ich verlese ihn mit den notwendigen unseren
bisherigen
Beschlüssen
Änderungen,
die sich
aus
ergeben: §16
Beim Bundeswahlleiter können bis 18 Uhr des 10. Tages vor dem Wahltag Wahlvorschläge für die Bundesliste einer Partei eingereicht werden. Die 727
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Zahl der Bewerber ist unbeschränkt. Im übrigen findet § 15 entsprechende Anwendung; jedoch genügt für die Unterzeichnung des Bundeswahlvorschlages statt der Unterschrift der obersten Parteileitung im Bund die der obersten Parteileitung in einem Land. Dr. Diederichs: Es geht aus diesen beiden Paragraphen nicht hervor, ob die Bewerber, die im Kreis kandidieren und auf einer Landesliste stehen, gleichzeitig auf der Bundesliste stehen können. Das hatten Sie schon angeschnitten, Frau Wessel. Lobe: Muß das besonders erklärt werden? Ist das nicht selbstverständlich? Es gibt doch kein Verbot. Dr. Diederichs: Das frage ich mich auch. Vors. [Dr. Becker]: Ich halte es für selbstverständlich. Walter: Was nicht verboten ist, ist erlaubt.
(Heiterkeit.) Auf diesem Gebiet, meine ich natürlich. Vors. [Dr. Becker]: Wir können vielleicht den §13 noch etwas erweitern, indem —
wir sagen: nur auf einem Wahlvorschlag eines Wahlkreises, eiLandes (Landesverbandes) oder einer Bundesliste genannt werden. Er kann aber in mehreren Wahlkreisen und kann gleichzeitig im Wahlkreis, in der Landesliste und der Bundesliste sich bewerben. Kuhn: Soll das sein? Dr. Diederichs: Ja, wir komplizieren nur den Text. Es soll die Möglichkeit sein, daß jemand im Wahlkreis auftritt und gleichzeitig auf der Landesliste und auf der Bundesliste vertreten ist. Kuhn: Und gleichzeitig in verschiedenen Wahlkreisen. Lobe: Wir könnten sagen: Sie können sich in mehreren Wahlkreisen, auf der wenn man es durchaus will. Ich Landesliste und der Bundesliste bewerben halte es für überflüssig. Vors. [Dr. Becker]: Und zugleich auf Landesliste (Verbandsliste) und Bundesliste bewerben. Dr. Diederichs: Darf ich noch eins zu erwägen geben. Wir sind jetzt so weit, daß die 200 Abgeordneten für 200 Wahlkreise gewählt werden. Jetzt sagen Sie hier: Ein Mann kann sich in zwei Wahlkreisen bewerben. Angenommen, er ist eine Zugkanone, so kann er tatsächlich in zwei Wahlkreisen gewählt werden. Er kann aber nur einmal annehmen und muß notgedrungen in dem anderen Wahlkreis auf das Mandat verzichten, d. h. die auf ihn entfallenden Stimmen seines Wahlkreises finden Verrechnung auf die Landes- bzw. Bundesliste. Es bleibt tatsächlich dann ein solcher Wahlkreis ohne Mandat. Stock: Nein, dann kommt der nächste. Dr. Diederichs: Nein, das ist es ja gerade, sondern das Mandat steht ihm zu, und der Wahlkreis bleibt ohne Vertretung. Insofern halte ich es nicht für richtig, daß einer in mehreren Wahlkreisen, wohl aber, daß er auf Bundes- und Landesliste zugleich kandidieren kann. Aber wenn es eine Personenwahl im Wahlkreis ist, kann er nur in einem Wahlkreis kandidieren. Walter: Das ist das gleiche, wie wenn einer stirbt. Da fällt er auch weg.
Jeder Bewerber kann nes
—
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Dr. Diederichs: Das ist ein Ausnahmefall. Hier stirbt er aber sozusagen schon er gewählt wird, weil er genau weiß, daß er es nicht annimmt. Heile: Diese Bestimmungen sind aus früheren Zeiten übernommen. In der alten Zeit, als die SPD noch schwach war, hat sie überall Zählkandidaten aufgestellt.
vorher, ehe
Sie schickten Bebel; der sammelte Stimmen30). Heiland: Ich vertrete nicht den Standpunkt, daß der Wahlkreis dann ohne Vertretung ist. Ich habe im Landtag den Fall erlebt, daß eine Abgeordnete aus Siegen im Landkreis Recklinghausen kandidiert hat und den Wahlkreis erobert hat, und ich muß zugeben, daß sie sich sehr viel Mühe um den Wahlkreis
macht31). Dr. Diederichs: Das trifft nicht das, was ich gesagt habe. Heiland: Es trifft in der letzten Konsequenz doch. Wenn
es heißt: Sie sind für den Abgeordneten eingerückt, so kümmert sich der Abgeordnete, der nachrückt, schon um den Wahlkreis, weil auch die Partei ein Interesse hat, daß der Wahlkreis nicht verwaist ist. Was Sie wünschen, ist, daß die Bevölkerung, wenn sie aus diesem Wahlkreis mit einer bestimmten Sache an das Parlament gehen will, auch weiß: ich kann mich an den Abgeordneten X wenden. Ich würde dieser Möglichkeit nachgeben, ebenso, daß man sich in mehreren Wahlkreisen bewerben kann. Denn das ist meiner Meinung nach nicht von dieser Bedeutung, und ich würde diese Bedenken zurückstellen. Löbe: Es ist wohl der allgemeine Wunsch aller Parteien, daß sie gewisse Leute an sicherer Stelle unterbringen wollen. Nachdem wir nun beim relativen Mehrheitswahlrecht eine solche Sicherheit nicht garantieren können, wird die Reserve in Anspruch genommen, indem man denselben Schumacher32) oder Süsterhenn33) nunmehr auch auf der Landesliste und schließlich auf der Bundesliste aufstellt. Das ist auch keine Novität. Otto Braun war in Düsseldorf und in Königsberg-Stadt aufgestellt, mußte auf eine der beiden verzichten34). Hitler war in sämtlichen 600 Wahlkreisen aufgestellt, weil man da die Fahne heraushängen wollte. So sollte unter jedem System die Möglichkeit geschaffen werden, einen bestimmten Fachmann oder Parteiführer einen Sitz einzuräumen. Nun haben wir hier genau geregelt, was eintritt, wenn ein Bewerber die Wahl nicht annimmt, wenn ein Abgeordneter stirbt oder seinen Sitz verliert. Das haben wir aber nicht beim Einzelwahlkreis getan. Da scheint mir noch eine Lücke zu
sein. Vors. [Dr. Becker]: Aber
heißt hier
rückt der
nachfolgende Bewerber des gleichen Landeswahlvorschlages (Verbandeswahlvorschlages) nach, gleichviel, ob er im Wahlkreis oder auf Landesliste gewählt war". es
„so
Siehe oben Dok. Nr. 6, Anm. 65. Gemeint ist die CDU-Abgeordnete Hedwig Finger (vgl. oben Dok. Nr. 17, Anm. 64). Dr. Kurt Schumacher (13. Okt. 1895-20. Aug. 1952), SPD-Vorsitzender 1946-52; Dr. Adolf Süsterhenn (31. Mai 1905—24. Nov. 1974), stellv. Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Pari. Rat, Mitglied des Hauptausschusses. 34) Vgl. oben Dok. Nr. 6, Anm. 67.
30) 31) 32) 33)
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höbe: Aber nicht im Wahlkreis, nur auf Landesliste. Vors. [Dr. Becker]: Weil wir im Wahlkreis nur einen Namen nennen wollten. Lobe: Dann bin ich dafür, daß man diese Möglichkeit schafft, obgleich darin eine gewisse Täuschung des Wählers liegt, der der Meinung ist, er wählt in dem Wahlkreis den und den Mann, und in Wirklichkeit wählt er den nächsten. Frau Wessel: Sicherlich ist das eine Täuschung. Aber schließlich wählt er nicht den Mann, sondern die Partei. Darüber wollen wir uns klar sein. Und wenn der Mann einer Partei in verschiedenen Wahlbezirken aufgestellt wird, glaube ich, daß die Bedenken, die hier ausgesprochen werden, nicht so groß sind. Die Regelung wäre auch insofern richtig, als auf der Landesliste jemand nachrükken kann. Wenn das nicht vorgesehen wäre, wäre es nicht möglich, daß man in verschiedenen Wahlkreisen kandidiert. Sonst verzichtet er bei der relativen Mehrheit, und dann ist keiner da. Dr. Diederichs: Da kommt der von der Landesliste. Das ist ganz klar. Vors. [Dr. Becker]: Ich möchte bitten, es auch bei dem Text zu belassen. Gemeint ist damit die Institution der sogenannten Zählkandidaten. Die Sicherstellung ist ja durch Landesliste möglich. Da hat Herr Löbe vollkommen recht. Wenn eine Partei es riskiert, daß der Mann in zwei Wahlkreisen gewählt wird und einen Wahlkreis enttäuscht, dann muß sie das damit verbundene Risiko, bei den Wählern ins Fettnäpfchen zu treten, auch tragen. Es würde dann lauten: nur auf einem Wahlvorschlag eines Wahlkreises gesich in mehreren Wahlkreisen und zugleich auf Landesliste (Verbandsliste) und Bundesliste bewerben. Ist § 13 dann in dieser Fassung angenommen?
Jeder Bewerber kann nannt sein. Er kann
(Zustimmung.) Das darf ich also feststellen. Wir waren eben bei § 16, dem alten § 18. Ich darf ihn noch einmal verlesen: Beim Bundeswahlleiter können bis 18 Uhr des 10. Tages vor dem Wahltag Wahlvorschläge für die Bundesliste einer Partei eingereicht werden. Oder wollen wir auch formulieren wie vorhin: „können bis 18 Uhr des 10. Tages vor dem Wahltag politische Parteien Wahlvorschläge für die Bundesliste einreichen"? Die Zahl der Bewerber ist unbeschränkt. Im übrigen findet § 15 entsprechende Anwendung; jedoch genügt für die Unterzeichnung des Bundeswahlvorschlags statt der Unterschrift der obersten Parteileitung im Bund die der obersten Parteileitung in einem Land. Das war, um die Sache zu vereinfachen, wenn wegen der Zulassung durch die Militärregierung oder sonstwie Schwierigkeiten bestehen. Das übrige wird gestrichen. Sind wir mit dem § 16 dann einverstanden? Ich darf es anneh—
—
men.
Nun kommt der alte § 15, jetzt § 18: Die Verbindung mehrerer Wahlvorschläge ist unstatthaft. Walter: Wenn es für die Bundesliste gilt, wie ist es dann z. B. bei uns? CDU und CSU sind verschiedene Parteien. Da wäre eine gemeinsame Liste nicht
möglich? 730
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Vors. [Dr. Becker]: Ich hatte gestern schon den Vorschlag gemacht, hierfür eine Ausnahme hineinzusetzen35). Stock: Ich meine, daß CDU/CSU im großen und ganzen doch als eine Partei
gelten.
Walter: Wenn ein Bundeswahlleiter da ist, so sagt er vielleicht: Die sind noch nicht in einer Partei organisiert, das sind ganz verschiedene Verbände. Wir sind ja noch nicht einmal in der amerikanischen Zone eine Partei, sondern nur in der britischen Zone. Stock: Wir können ja hineinschreiben: „CDU/CSU gilt bei der Bundesliste als eine Partei." Heile: Das sollte allgemein gemacht werden. Wir sind z. B. in anderen Ländern im Aufbau begriffen, sind aber noch nicht angemeldet. Vors. [Dr. Becker]: Aber doch unter Ihrem Namen. Heile: Es könnte aber aus der besonderen lokalen Situation heraus auch gesagt werden: Der Name ist nicht zugkräftig, wir nehmen lieber einen anderen. Vors. [Dr. Becker]: Dann ist es aber schwer zu kontrollieren. Dr. Diederichs: Gesetzt den Fall, es kommt bei Ihnen so, Herr Heile, dann würden Sie mit Rücksicht auf das Gesetz für die dortige Organisation den gleichen Namen wählen. Bei CDU und CSU liegt aber der Fall vor, daß sie in statu nascendi dieses Gesetzes bereits so organisiert sind. Bei Ihnen könnte man sagen: Ihr müßt den Namen annehmen, sonst könnt ihr bei der Wahl nicht als die gleiche Partei gelten, während es bei CDU/CSU ein vorhandenes Faktum ist. Wer nach dem Gesetz sich konstituiert, kann auf das Gesetz Rücksicht nehmen; die CDU/CSU kann es nicht mehr. Deshalb wäre ich der Ansicht, CDU/ CSU ist bezüglich der Bundesliste als eine einheitliche Partei aufzufassen. Das kann man vielleicht in einer Fußnote sagen. Vors. [Dr. Becker]: Wir müssen es schon in das Gesetz hineinschreiben. Heile: Warum wollen Sie denn einen Wahlblock naher verwandter Parteien unmöglich machen? Die Tendenz zueinander ist doch dann da, die wollen zusammenwachsen. Das ist doch der Weg zu einer größeren Partei. Stock: Da könnten Sie in Bayern sagen: Der deutsche Block36) gehört auch zu uns. Er gehört aber gar nicht zu Ihnen. Man muß schon wissen, daß es zwar zwei Namen sind, aber doch eine Partei ist. Dr. Diederichs: Diese Möglichkeit, daß sich jeder irgendwie zusammenschließt, führt zu folgendem. Ich will es ruhig deutlich sagen. Die Kommunisten haben bei ihrer Zellenbildung das Bestreben, daß sie unter 1000 verschiedenen Namen zur Irreführung der öffentlichen Auffassungen überall die verschiedenartigsten
35) So auch Stock (siehe oben S. 693). Becker hatte den Vorschlag erstmals bereits in der 16. Ausschußsitzung vom 13. Dez. 1948 gemacht (S. 485). 3B) Deutscher Block: rechtsextreme völkische Abspaltung der WAV (siehe oben Dok. Nr. 6, Anm. 46), die unter der
Führung
von
Karl Meißner
von 1947
bis 1950 im
bayerischen
(Stöss [Hrsg.], Parteien-Handbuch I, S. 807 ff.; vgl. allgemein auch: Hans Woller: Die Loritz-Partei. Geschichte, Struktur und Politik der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945-1953, Diss. Phil, München 1979).
Landtag
vertreten
war
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Vereine ins Leben rufen und nachher sagen:
Zusammenschluß
Ja, die gehören letzten Endes
im
zu uns.
Wenn ein solcher Zusammenschluß vorhanden ist, und wenn Parteien demonstrieren wollen, daß sie dahin kommen, dann müssen sie das auch sagen. Die Verhältnisse bei CDU/CSU liegen dadurch anders, daß sie in der damaligen Zeit des Wachstums kreis- und länderweise organisiert und zugelassen wurde und daß dadurch im Norden die CDU und in Bayern die CSU aufgetreten ist. Frau Wessel: Ich habe allerdings Bedenken, eine solche Vorschrift bezüglich bestimmter Parteien in ein Wahlgesetz hineinzunehmen. Es kann ja eine Entwicklung möglich sein, daß die CSU in Bayern einen ganz anderen Namen annimmt. Stock: Dann gilt es nicht mehr; nur CSU. Lobe: Der Fall wird vielleicht auch nicht auf diese eine Gruppe beschränkt Herr Dr. Becker muß uns darüber Auskunft geben bleiben. Ich weiß z. B. können —, daß seine Partei in manchen Teilen des Reiches LDP und in anderen FDP heißt und dieselben Schwierigkeiten eintreten37). Ich glaube nicht, daß wir das im Wahlgesetz regeln können. Aber immerhin könnte man irgendwie eine Deklaration herstellen, daß für diese Wahl die und die Parteien auf ihren eigenen Wunsch als Einheit gelten. Es wird formell schwierig zu machen sein. Stock: Da wäre ich dagegen. Dann kann die KPD sagen: Die WN38) gehört zu —
uns.
Kuhn: Können wir nicht einen Termin setzen und es auf Parteien abstellen, die bis zu einem gewissen Termin da waren? Vors. [Dr. Becker]: Die unter verschiedenen Namen gehen, sachlich aber das gleiche sind und bis zu einem bestimmten Termin einen Sammelnamen angenommen haben. Hier ist ja der 10. Tag vor dem Wahltag genannt. Wenn bis dahin die Verbindung geschaffen ist, ist es ja gut. Kuhn: Wir wollen aber doch nicht die heterogensten Elemente als Partei anerkennen. Vors. [Dr. Becker]: Es soll doch eine politische Partei sein. Lobe: Ich würde beantragen, die Sache bis an den Schluß zu stellen und den Beteiligten aufzugeben, einmal zu überlegen, wie die Sache am besten zu regeln ist. Denn das läßt sich nicht aus dem Handgelenk machen. Vors. [Dr. Becker]: Wir haben es in der kleinen Kommission auch schon durchgesprochen. Dann war es herausgelassen, und nun taucht der Gedanke wieder auf. Walter: Ich muß die Frage aufwerfen, nachdem dieser Paragraph hinten an die Bundesliste angereiht worden ist. Bis zu ihrem eigentlichen Gründungsparteitag am 10./II. Dez. 1948 in Heppenheim an der Bergstraße hatte die FDP unter verschiedenen Bezeichnungen in den westdeutschen Ländern kandidiert. Vgl. oben S. 350. 3B) Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (WN) war am 22. Feb. 1947 in Ost-Berlin und am 15./17. März 1947 in Frankfurt am Main von ehemaligen Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime gegründet worden.
37)
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Vors. [Dr. Becker]: Sie würden bei der Landesliste auch betroffen werden, noch keine organische Verbindung besteht. Die CDU gibt es in soundso viel Ländern, ohne daß eine organische Verbindung besteht. Walter: Wir bilden einen Landesverband Württemberg-Nord, Württemberg-Süd und Baden. Württemberg ist ein eigener Verband und Baden auch. Stock: Heißt aber CDU. Ich würde den Vorschlag des Herrn Kollegen Lobe Walter: Das ist richtig. zunächst nicht weiter über die Frage debattieren. Wir bewir daß unterstützen, kommen das Gesetz im Hauptausschuß39). Bis dahin können die betroffenen Parteien sich das überlegt haben. Ich hätte auch Bedenken, eine einzelne politische Partei in das Gesetz hineinzuschreiben. Stock: Ich würde in dem Kommentar sagen: CDU und CSU gelten als eine Partei. Vors. [Dr. Becker]: Oder in den Übergangsbestimmungen. Im Gesetz muß es schon stehen. Anders geht es nicht. Wir stellen es also zurück40). Wir kommen dann zu § 19, wo wiederum das Wort „Wählervereinigung" gestrichen wird. Er lautet: wenn
-
—
§19
Wahlvorschlägen, bei Landes- (Verbandes-) und auch ihre Reihenfolge, sind in geheimer AbstimBundeswahlvorschlägen der betreffenden politischen Partei festzustelin einer Versammlung mung len, für die eine der Mitgliederzahl oder den sonstigen statutarischen Bestimmungen der betreffenden Partei entsprechende Zahl von Delegierten Die Bewerber auf allen
der einzelnen Unterverbände im Wahlkreis, im Land (Länderverband) oder im Bund unter Angabe der Tagesordnung mit angemessener Ladungsfrist eingeladen war. Eine beglaubigte Abschrift der Niederschrift über diese Versammlung ist mit dem Wahlvorschlag einzureichen. Frau Wessel: Wie wird denn der unabhängige Kandidat in geheimer Abstimmung aufgestellt? Vors. [Dr. Becker]: Das braucht er nicht. Frau Wessel: Aber es heißt hier „die Bewerber auf allen Wahlvorschlägen". Stock: Es steht hier noch „der betreffenden politischen Partei". Der unabhängige Kandidat hat keine Landesliste und keine Bundesliste. Dr. Diederichs: Er erfüllt mit 100 Unterschriften diese Voraussetzung. Vors. [Dr. Becker]: § 19 ist dann einstimmig angenommen.
53. Hauptausschußsitzung vom 23. Feb. 1949 (Verhandlungen des HauptausschusS. 721 f.). 40) In der 8. Sitzung des Plenums wurde § 18 Satz 2 des Wahlgesetzentwurfs in erster Lesung zwar angenommen, in der zweiten Lesung jedoch auf Antrag Heilands wieder gestrichen (Stenographische Berichte, S. 167). Vgl. hierzu auch Adenauer auf der Sitzung der CDU/CSU-Arbeitsgemeinschaft (Wahlausschuß) in Königswinter am 5. März 1949 (Kaff, Unionsparteien, S. 376).
39) Siehe ses,
733
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Wir kommen
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Wahlvorbereitung (§§ 20-27)]
zu
77/.
Wahlvorbereitung")
§20 (1) Die Wahl findet spätestens drei Monate nach dem Tag des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland statt. Der Wahltag
ist ein Sonntag. (2) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt den Heiland: Da habe ich eine Rückfrage. Sind mit dem Präsidium
Wahltag.
die Präsiauch Schriftführer die gemeint oder eingeschlossen? Vors. [Dr. Becker]: Die drei Präsidenten. Lobe: Im Reichstag verstand man darunter nur die Zahl der Präsidenten. Das andere war der Vorstand des Reichstags. Vors. [Dr. Becker]: § 20 ist damit wohl angenommen. nur
denten
(Zustimmung.) §21 (1) Der Landeswahlleiter wird von der betreffenden Landesregierung, der Verbandswahlleiter für Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein von der Lan-
desregierung Schleswig-Holstein, der für Baden, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern von der Landesregierung Württemberg-Baden und der für den Verband Hessen, Rheinland-Pfalz von der Landesregierung Hessen ernannt. In gleicher Weise wird sein Stellvertreter ernannt. (2) Der Bundeswahlleiter wird von dem Präsidium des Parlamentarischen Rates ernannt. In gleicher Weise wird ein Stellvertreter bestimmt42). § 21 ist also angenommen.
§22 (1) Die Abgrenzung der Wahlkreise in den Ländern erfolgt durch einen Ausschuß. Dieser besteht aus dem Minister des Innern und 12 vom Land-
tag nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Mitgliedern. (2) Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Ganzes bilden. ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen erhalten bleiben. sollen möglichst zwischen 200 000 und 260 000 Einwohner umfassen; bei der letzten allgemeinen Volkszählung festgestellte Einwohnerzahl hierbei zugrunde zu legen43).
Bei Sie
die ist
41) Die alten (nach Drucks. Nr. 606) §§ 19 und 20 waren vom Redaktionskomitee gestrichen worden: „§19 Der Landeswahlausschuß (Verbandswahlausschuß) stellt die Summe der
insgesamt im Land (Länderverband) abgegebenen gültigen Stimmen und die Wahlzahl fest. Er stellt danach fest, welche Bewerber in den Wahlkreisen und welche auf Landeswahlvorschlag (Verbandswahlvorschlag) gewählt sind. § 20 Nimmt ein auf Landeswahlvorschlag (Verbandswahlvorschlag) gewählter Abgeordneter das Mandat nicht an, stirbt er oder verliert er seinen Sitz (vgl. § 7), so rückt der nächste Bewerber des gleichen Landeswahlvorschlages (Verbandswahlvorschlages) in der dort angegebenen Reihenfolge nach." 42) Der Absatz fehlte im ersten Entwurf Beckers (Drucks. Nr. 606). 43) Die erste Fassung Beckers (hier: § 23) lautete: „Die Abgrenzung der Wahlkreise in den Ländern erfolgt durch einen Ausschuß. Dieser besteht aus dem Minister des Innern und
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Stock: Ist die erste Zahl 200 000 nicht zu wenig? Dr. Diederichs: Wir haben die Spanne größer gehabt, um die Einhaltung der Verwaltungsgrenzen möglich zu machen. Denken Sie z. B. an Bremen. Bremen hat 460 000 Einwohner. Es müssen zwei Wahlkreise gebildet werden. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie bei dem einen 280 000 und bei dem anderen 210 000 Einwohner hätten. Stock: Ich würde sagen: 220 000 bis 260 000. Die Spanne ist zu groß44). Dr. Diederichs: Die Spanne ist nicht so groß. Es wird sowieso sehr unterschiedlich sein. In einem Wahlkreis kann ein Mann mit einer absoluten Mehrheit bei einer großen Wahlbeteiligung gewählt werden, und in einem anderen wird er mit 37% bei einer kleinen Wahlbeteiligung gewählt. Dann ist der eine trotz der gleichen Größe der Wahlkreise vielleicht mit 60 000 Stimmen gewählt und der andere mit 27 000. Das läßt sich praktisch nicht ausschalten; das ist bei jedem Mehrheitswahlrecht so. Deshalb kommt es auf 10 000 hier nicht an, es erleichtert aber die Wahlkreiseinteilung. Kuhn: Gibt es ein Überschreiten der Landesgrenzen bei der Bildung von Wahlkreisen im Wahlkreisverband? Vors. [Dr. Becker]: Nein. Die Wahlkreiseinteilung erfolgt in den Ländern, und es sollen die Grenzen der Stadt- und Landkreise eingehalten werden. Da muß man schon die Spanne etwas größer machen. Sie zerschneiden sonst Ihre eigene parteipolitische Organisation und die kommunalpolitische Organisation. Also § 22 ist nicht angefochten und wohl einstimmig angenommen. Stock: Ich stimme dagegen, weil die Spanne zu groß ist, ein ganzes Mandat. Vors [Dr. Becker]: Dann darf ich abstimmen lassen. Wer ist dafür? Sechs. Wer ist dagegen? Mit sechs gegen eine Stimme angenommen45). —
—
zwölf vom Landtag nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Mitgliedern. Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen erhalten bleiben. Sie sollen möglichst 200 000 Einwohner umfassen; die bei der letzten allgemeinen Volkszählung festgestellte Einwohnerzahl ist hierbei zugrunde zu legen." Vgl. Drucks. Nr. 606. 44) Siehe hierzu auch oben S. 697. Für das Land Bremen ergab sich ein weiteres Problem aus dem Umstand, daß das Land aus zwei 65 km auseinanderliegenden Gemeinden, nämlich Bremen (mit 270 000 Wählern) und Bremerhaven (mit 70 000 Wählern) bestand. Da das Wahlgesetz (§ 20) aber festlegte, daß die Wahlkreise ein zusammenhängendes Ganzes bilden müssen, konnte Bremen keine zwei gleich großen Wahlkreise bilden. Am 17. Juni 1949 wurde der Bremer Bürgerschaft die Außerachtlassung dieser Bestimmung zugestanden (Innensenator Bremen [Ehlers] an das Büro der Ministerpräsidenten vom 16. Juni 1949, BA Z 12/55, Bl. 117-9; Werz an Ehlers vom 17. Juli 1949, ebenda). 45) Gestrichen hatte das Redaktionskomitee dagegen den § 24 aus dem Beckerschen Entwurf: „Die auf demokratischer Grundlage in Freiheit gewählte Stadtverordnetenversammlung von Berlin beschließt für Berlin (Westsektoren) die Einteilung in Wahlkreise, möglichst nach Maßgabe des § 23. Sie ist auch berechtigt zu beschließen, daß Berlin (Westsektoren) einen einheitlichen Wahlkreis mit 20 Abgeordneten bildet. In diesem Falle erfolgt die Wahl der 20 Abgeordneten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, wobei die Wahlzahl durch Teilung der Summe aller abgegebenen Stimmen durch 20 ermittelt wird." Vgl. Drucks. Nr. 606. 735
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§23 Hinsichtlich der
Vorbereitung und Durchführung der Wahl (Einteilung in Wahlbezirke, Bestellung des Wahlvorstandes, Feststellung und Auslegung der Wählerlisten, Einspruchsverfahren, Erteilung von Wahlscheinen, Durchführung der Wahlhandlung, Ermittlung des Wahlergebnisses in den Stimmbezirken und Wahlkreisen usw.) gelten die für die letzten politischen Wahlen angewandten gesetzlichen Bestimmungen des einzelnen Landes sinngemäß; jedoch müssen die Bestimmungen dieses Gesetzes, insbesondere die der §§ 24 bis 42, eingehalten und in jedem Falle amtliche Stimmzettel hergestellt und zur Verfügung gehalten werden. Das beruht auf einem Beschluß, den wir vor etlichen Wochen gefaßt hatten48). Walter: Ich würde aus sprachlichen Gründen die Worte „hergestellt und" streichen. Sobald man die Stimmzettel zur Verfügung hält, müssen sie auch hergestellt sein. Das ist selbstverständlich. Vors. [Dr. Becker]: Die Worte „hergestellt und" werden dieser Fassung angenommen.
gestrichen. § 23
ist in
§24 (1) Bei dem Kreiswahlleiter sind Kreiswahlausschüsse, bei dem Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) ein Landeswahlausschuß, bei dem Bundeswahlleiter ein Bundeswahlausschuß zu bilden. Die Zusammensetzung der Kreis- und Landeswahlausschüsse und ihre Zuständigkeit bestimmt sich nach Landesrecht, die der Verbandswahlausschüsse nach dem Recht der Länder, die nach § 21 den Verbandswahlleiter ernannt haben. (2) Der Landeswahlausschuß besteht aus dem Landeswahlleiter und 6 von ihm ausgewählten Wahlberechtigten des Landes und der gleichen Anzahl
Stellvertreter47). hinein, daß er dabei die politischen Parteien paritätisch zu berücksichtigen hat? Ich wollte die Frage nur aufwerf en. Da der Landeswahlleiter sie selber beruft, müßte vielleicht eine solche Bestimmung hinein. Heile: Man braucht nur das Wort „paritätisch" hineinzusetzen. Heiland: Sagen wir doch; „müssen zum mindesten aus Vertretern von drei Parteien zusammengesetzt sein." Dr. Diederichs: „Nach Möglichkeit aus allen Parteien." Wenn es mehr als sechs Parteien sind, ist es nicht mehr möglich. Vors. [Dr. Becker]: Dann würden wir ganz zum Schluß einen Absatz 5 anzufügen haben: Die Beisitzer der Ausschüsse sollen möglichst aus Vertretern aller Parteien bestehen. Walter: Oder: „Zu Beisitzern der Wahlausschüsse sind Vertreter der politischen Parteien zu berufen." Dr. Diederichs: Muß da ein Passus
46) Becker meint einen Entschluß des Redaktionsausschusses vom
13. Dez. 1948 (siehe oben Dok. Nr. 18, TOP 1 und 2 a). 47) Gestrichen wurde Abs. 3.: „Der Verbandswahlausschuß besteht aus dem Verbandswahlleiter und sechs von ihm ausgewählten Wahlberechtigten der im Verband zusammengeschlossenen Länder und der gleichen Anzahl Stellvertreter: jedes Land muß in dem Verbandswahlausschuß vertreten sein." Vgl. Drucks. Nr. 606.
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Vors. [Dr. Becker]: Sind Sie damit einverstanden? Dr. Diederichs: Darf ich noch eins einwenden. Wenn in einem solchen Bezirk auch ein wilder Kandidat auftritt, könnte er sagen: Ich möchte, daß einer von denen, die für mich unterschrieben haben, mit in dem Wahlausschuß ist. Das ist an sich kein unbilliges Verlangen. Wenn aber in dem Gesetz ausdrücklich steht „sind Vertreter der Parteien zu berufen", müßte ihm das abgelehnt werden. Heile: Kann man nicht sagen „Die Wahlausschüsse sind nach Möglichkeit paritätisch zusammenzusetzen"? Lobe: Es können ja sechs Einzelkandidaten sein. Dr. Diederichs: Es ist ja gesagt „nach Möglichkeit". Es können natürlich neben drei Parteien noch sechs Einzelkandidaten auftreten. Vors. [Dr. Becker]: Die Praxis ist ja so, daß es ziemlich paritätisch gemacht
wird. Dr. Diederichs: Ja, nur müßte, wenn da ausdrücklich steht „politische Parteien", der Wahlleiter ihn ablehnen. Vors. [Dr. Becker]: Wollen wir den Abs. 5 wieder streichen? Dr. Diederichs: Sie meinen, es geschieht; der Wahlleiter wird sich Leute aller Parteien aussuchen. Vors. [Dr. Becker]: Dann wird Abs. 5 wieder gestrichen. § 24 ist in der alten
Fassung angenommen48). §25 (1) Seeleuten, die sich infolge ihres Berufes nur vorübergehend in einer Gemeinde aufhalten, ist der Wahlschein von der Aufenthaltsgemeinde zu erteilen; wenn sie ihr Wahlrecht in dieser Gemeinde ausüben wollen; sie müssen aber in ihrem Seefahrtsbuch einen vom Seemannsamt oder von der Gemeindebehörde eingetragenen, noch gültigen Vermerk vorweisen, der sie zur Entgegennahme eines Wahlscheines berechtigt. Zu diesem Zweck ist den Seeleuten ihr Seefahrtsbuch auszuhändigen. Wird der Wahlschein am Wahltag erst nach 12.00 Uhr mittags beantragt, so kann der Antrag zurückgewiesen werden, wenn eine Beteiligung an der Wahl nicht mehr möglich erscheint. (2) Das Seemannsamt ist verpflichtet, auf Antrag einen Vermerk in das Seefahrtsbuch einzutragen, nachdem es bei der Gemeindebehörde, bei der der Antragsteller in der Wählerliste zu führen ist, festgestellt hat, daß keine Bedenken bestehen. Die Eintragung des Vermerks wird der Gemeindebehörde mitgeteilt, die es in der Wählerliste bei dem Namen des Wahlberechtigten vermerkt. ') Die in der Drucks. Nr. 577/11, nicht aber im Wortprotokoll wiedergegebenen Absätze 3 und 4 von § 24 lauteten: „(3) Der Verbandswahlausschuß besteht aus dem Verbandswahlleiter und sechs von ihm ausgewählten Wahlberechtigten der im Verband zusammengeschlossenen Länder und der gleichen Anzahl Stellvertreter; jedes Land muß in dem Verbandswahlausschuß vertreten sein. (4) Der Bundeswahlausschuß besteht aus dem Bundeswahlleiter und sieben von ihm ausgewählten Wahlberechtigten und der gleichen Anzahl Stellvertreter; je einer ist aus jedem Land bzw. Landesverband zu berufen; bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Bundeswahlleiters". 737
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(3) Die Erteilung des Wahlscheines wird bei der Ausfertigung von der Gemeindebehörde bei dem Vermerk unter Angabe des Wahltages bescheinigt. Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wird Widerspruch erhoben? Angenommen. —
§26
—
können nur in dem Wahlbezirk abstimmen, in dessen Wählerliste oder Wahlkartei sie eingetragen sind. Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlbezirk des Bundesgebietes (einschließlich Berlin) wählen. § 26 ist angenommen.
Wahlberechtigte
§27 (1) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt die Auslegungsfrist und den Tag, von dem ab die Wählerlisten oder Wahlkartei auszulegen sind. In großen Gemeinden kann die Gemeindebehörde die Auslegung schon früher beginnen lassen. (2) Die Gemeindebehörden sollen die Anfertigung von Abschriften zulassen, oder, soweit möglich, gegen Erstattung der Auslagen Abschriften der Wählerlisten oder Wahlkartei erteilen. (3) Jeder, der in eine Wählerliste (Wahlkartei) eingetragen ist, soll von seiner Eintragung spätestens am 4. Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist von der Gemeindebehörde benachrichtigt werden. Einverstanden? Angenommen. —
[Id. Wahlhandlung (§§ 28-44)] IV.
Wahlhandlung §28
Die Abstimmungszeit dauert von 8,00 Uhr bis 18,00 Uhr. Walter: Ich hätte Bedenken, morgens um 8 Uhr, auch im Sommer, zu wählen. Wer kommt denn von 8 bis 9 Uhr. Vors. [Dr. Becker]: Ich hatte vorgeschlagen, im Sommer so und im Winter anders. Das ist der Text, der festgestellt worden ist49). Walter: Die Leute, die als Beisitzer fungieren müssen, jammern, daß sie herumsitzen, wo kaum jemand kommt. Ich möchte aber keine weitere Debatte. Kuhn: Wir dürfen nicht an die Beisitzer, wir müssen an die Wähler denken. Die Christlich-Demokratische Partei wird großen Wert darauf legen, daß die Wähler anschließend an die Frühmesse ins Wahllokal gehen können. Das ist 8
Uhr. Dr. Diederichs: Sonntags ist großer Ausflugsverkehr. Viele Ausflügler gehen erst zum Wählen, und dann fahren sie hinaus. Auch für diese ist ein frühzeitiger
Wahlbeginn wichtig.
Walter: Ich will keinen Antrag stellen. Vors. [Dr. Becker]: Dann darf ich feststellen: § 28 ist angenommen.
49) § 738
57
Wahlgesetzentwurf
Becker (Drucks. Nr. 197/11, siehe oben Dok. Nr. 11).
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§ 29 (1) Ungültig sind Stimmzettel, 1. die nicht in einem amtlich abgestempelten nem
mit Kennzeichen versehenen
Umschlag, oder die in eiUmschlag abgegeben worden sind,
2. die als nichtamtlich hergestellt erkennbar sind, 3. aus deren zulässiger Kennzeichnung die Wahl
des Abstimmenden nicht unzweifelhaft zu erkennen ist, 4. die mit Vermerk oder Vorbehalt versehen sind, 5. denen irgendein durch den Umschlag deutlich fühlbarer Gegenstand beigefügt ist. (2) Mehrere in einem Umschlag enthaltene Zettel gelten als eine gültige Stimme, wenn sie übereinstimmend gekennzeichnet sind oder wenn nur einer von ihnen eine gültige Stimmabgabe enthält. Wenn also mehrere ungültige Stimmzettel in einem Umschlag sind, ist keine
gültige Stimmabgabe erfolgt. §29 ist angenommen.
§ 30 (1) Sobald das Wahlergebnis festgestellt ist, hat es der Wahlvorsteher der Gemeindebehörde mitzuteilen, die es für ihre Wahlbezirke sammelt und an die untere Verwaltungsbehörde auf schnellstem Wege weiterleitet. (2) Die untere Verwaltungsbehörde sammelt die Ergebnisse, stellt sie zusammen und leitet sie in einem Gesamtergebnis dem Kreiswahlleiter auf schnellstem Wege zu.
Angenommen. §31 (1) Die Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlvorstand
Beschluß gefaßt hat, sind mit fortlaufenden Nummern zu versehen und der Niederschrift beizufügen. In der Niederschrift sind die Gründe kurz anzugeben, aus denen die Stimmzettel für gültig oder ungültig erklärt worden sind. (2) Ist ein Stimmzettel wegen der Beschaffenheit des Umschlages für ungültig erklärt worden, so ist auch der Umschlag beizufügen.
Angenommen. §32
gültigen Stimmzettel, die nicht nach § 31 der Wahlniederschrift beizufügen sind, hat der Wahlvorsteher in Papier einzuschlagen, zu versiegeln und der Gemeindebehörde zu übergeben, die sie verwahrt, bis die Wahl für gültig erklärt worden ist. Die Wählerliste oder Wahlkartei nebst den Wahlscheinen, ebenso die nicht der Wahlniederschrift beigefügten Umschläge werden der Gemeindebehörde übergeben. Die Niederschrift über die Wahlhandlung, die vom Wahlvorsteher, Stellvertreter, Beisitzern und Alle
dem Schriftführer zu unterzeichnen ist, ist der Gemeindebehörde zu übergeben. Die Gemeinde hat diese Niederschrift mit sämtlichen zugehörigen Anlagen fortlaufend mit zu benummernden Schriftstücken der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Diese reicht sie nach Prüfung und etwaiger Ergänzung so zeitig dem Kreiswahlleiter zu, daß sie spätestens im Laufe des dritten Tages nach der Wahl bei diesem eintreffen. 739
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Angenommen. Walter: Das Wort „benummern" fällt mir auf. Vors. [Dr. Becker]: Ich bin auch darüber gestolpert. Es ist wörtlich abgeschrieben aus dem Gesetz von 192 450). Es soll offenbar eine Verdeutschung des Wortes „numerieren" sein.
§33 Der Kreiswahlleiter stellt zur vorläufigen Ermittlung des Wahlergebnisses die ihm mitgeteilten Ergebnisse aus allen Stimmbezirken zusammen und teilt schnellstens das Ergebnis der Abstimmung dem Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) mit. Die Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) teilen die von ihnen ermittelten vorläufigen Ergebnisse schnellstens dem Bundeswahlleiter mit.
Angenommen. §34 (1) Um das endgültige Wahlergebnis im Wahlkreis zu ermitteln, stellt der Kreiswahlleiter aus den Wahlniederschriften der Stimmbezirke die Ergebnisse der Wahl zusammen und beruft den Kreiswahlausschuß. In der Sitzung dieses Kreiswahlausschusses werden aus den Wahlniederschriften die
endgültigen Ergebnisse festgestellt.
(2) Geben einzelne Wahlbezirke zu Bedenken Anlaß, so kann der Kreiswahlleiter die von den Gemeindebehörden aufbewahrten Stimmzettel und Wählerlisten oder Wahlkarteien und die Wahlscheine einfordern und dem Kreiswahlausschuß zur Einsicht vorlegen.
Angenommen. §35 Sobald der Kreiswahlausschuß das endgültige Ergebnis festgestellt hat, muß der Kreiswahlleiter dem Landeswahlleiter fernmündlich oder drahtlich das
Ergebnis
mitteilen.
Angenommen. §36
Über die Verhandlungen des Kreiswahlausschusses
ist eine Niederschrift aufzunehmen und von sämtlichen Mitgliedern zu unterschreiben. Der Kreiswahlleiter sendet die Niederschrift mit den zugehörigen Schriftstücken, die Wahlniederschriften sämtlicher Stimmbezirke samt deren Anlagen dem Landeswahlleiter zu.
Angenommen.
In § 37 wird in Abs. 1 das Wort „Wählervereinigung" „§ 16" durch „§ 17" ersetzt. Er lautet dann:
gestrichen
und in Abs. 5
§ 37 (1) Nach Eingang aller drahtlich oder fernmündlich übermittelten Ergebnisse aus den einzelnen Wahlkreisen übermittelt der Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) das Ergebnis der Wahlkreise sowie die Gesamtzahl der im Lande (Länderverband) insgesamt und für jede Partei abgegebenen Stimmen dem Bundeswahlleiter. 50) Nach den §§44 und Anm. 13). 740
62
der
Reichsstimmordnung
von
1924
(vgl.
oben Dok. Nr. 18,
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(2) Der Bundeswahlleiter stellt mit seinem Ausschuß die Wahlzahl (vgl. § 10) fest und teilt sie den Landeswahlleitern (Verbandswahlleitern) schnellstens mit. (3) Diese stellen die auf
gewählten Abgeordneten
Landeswahlvorschläge (Verbandswahlvorschläge) Ergebnis dem Bundes-
fest und übermitteln das
wahlleiter. (4) Dieser stellt mit seinem Ausschuß die auf Bundesliste gewählten Abgeordneten sowie das Gesamtergebnis der Wahl fest und veröffentlicht es in den Amtsblättern der Landesregierungen unter Angabe der Namen und Anschriften der Gewählten. Er benachrichtigt die Gewählten von ihrer Wahl (vgl. § 6). (5) Der Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) bzw. Bundeswahlleiter bestimmt zusammen mit seinem Ausschuß in den Fällen des § 17 den Nachfolger eines ausgeschiedenen Bewerbers. Walter: Statt „Bewerber" sollte man wohl „Abgeordneter" sagen. Vors. [Dr. Becker]: In Abs. 5 müßte man sagen „Bewerbers bzw. Abgeordneten". Denn wenn er nicht angenommen hat, war er nicht Abgeordneter. Ich stelle fest: § 37 ist mit den Änderungen angenommen.
§38 (1) Über sämtliche Sitzungen der Landeswahlausschüsse (Verbandswahlausschüsse) sind Niederschriften zu fertigen und von allen Teilnehmern zu unterzeichnen51). Eine beglaubigte Abschrift ist dem Bundeswahlleiter zu übermitteln. (2) Über sämtliche Sitzungen des Bundeswahlausschusses sind Niederschriften zu fertigen und von allen Teilnehmern zu unterzeichnen.
Angenommen. §39 (1) Jeder Wähler hat die Pflicht zur Übernahme der ehrenamtlichen Tätigkeit eines Wahlvorstehers, Stellvertreters des Wahlvorstehers, Beisitzers oder Schriftführers im Wahlvorstand, im Kreiswahlausschuß, Landeswahlausschuß (Verbandswahlausschuß) und Bundeswahlausschuß. (2) Jeder Abgeordnete ist verpflichtet, die Wahl zum Beisitzer im Wahlprüfungsgericht anzunehmen.
Angenommen. §40 Die 1. 2. 3.
4.
51)
Berufung zu einem der Wahlehrenämter dürfen ablehnen: Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen; die Mitglieder des Bundestages (ausgenommen zum Wahlprüfungsgericht) und die Mitglieder der Länderparlamente; die Bundes-, Landes- und Gemeindebeamten, die amtlich mit dem Vollzug des Wahlgesetzes oder mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit betraut sind; Wähler, die als Bewerber auf einem Kreis-, Landes- (Länderverbands-) oder Bundeswahlvorschlags benannt sind;
Der Beckersche Entwurf
(Drucks. Nr. 606) endete nach diesem Satz. 741
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Lebenjahr vollendet haben (ausgenommen
5.
Wähler, die das
6.
Wählerinnen, welche glaubhaft machen, daß ihnen die Fürsorge für ihre Familie die Ausübung des Amtes im besonderen Maße erschwert; Wähler, die glaubhaft machen, daß sie aus dringenden beruflichen Gründen oder durch Krankheit oder durch Gebrechen verhindert sind, das Amt ordnungsmäßig zu führen; Wähler, die sich am Wahltag aus zwingenden Gründen außerhalb ihres
60.
zum
Wahlprüfungsgericht) ;
7.
8.
Wohnortes aufhalten. Heiland: Unter Ziff. 2 sind „Mitglieder des Bundestages" ein Novum. Denn wir machen das Gesetz nur für den ersten Bundestag. Also gibt es noch keine Abgeordneten des Bundestages. Ich würde der größeren Reinheit wegen bitten, das zu streichen. Es blieben nur die Mitglieder der Länderparlamente. Beim Wahlprüfungsgericht können sie sowieso nicht ablehnen. Walter: Da sind sie Abgeordnete geworden, und an dem Wahltag sind sie erst Bewerber. Dr. Diederichs: Mitglieder des Bundestages gibt es bei dieser Wahl noch nicht. Vors. [Dr. Becker]: Ziff. 2 soll also lauten: „Mitglieder der Länderparlamente". Dann müssen wir unter Ziff. 1 auch „der Bundesregierung und" weglassen. Ziff. 1 lautet dann: „Mitglieder der Landesregierungen", und Ziff. 2: „Mitglieder der Länderparlamente". Kuhn: Die Bundesbeamten unter Ziff. 3 sind auch noch nicht da. Vors. [Dr. Becker]: Da könnte bei der Überleitung schon etwas da sein, wenn z. B. Finanzen und Eisenbahnen schon als Bundessache erklärt werden52). Dr. Diederichs: Solange es keine Bundesbeamten gibt, wird keiner unter Berufung darauf, daß er es sei, das ablehnen. Vors. [Dr. Becker]: § 40 ist mit den beiden Änderungen angenommen.
§41
Wähler, welche die Übernahme eines Wahlehrenamtes ohne gesetzlichen Grund ablehnen, können von dem zuständigen Wahlleiter in eine Ord-
nungsstrafe
von
DM 5000,— genommen werden.
Angenommen. §42 sollen die im § 22 vorgesehene Wahlkreiseinteilung innerhalb drei Wochen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes vornehmen und dem Präsidium des Parlamentarischen Rates übermitteln; dieses veranlaßt ihre sofortige Bekanntgabe in den Amtsblättern der Landesregierungen. Die
Landesregierungen
Angenommen. §43 und Durchführung der Wahl zum ersten Bundestag haben alle Landes- und Gemeindebehörden dem Präsidium des Parlamentarischen Rates Amtshilfe zu leisten.
(1) Zur
Vorbereitung
52) Die Frage der Zuständigkeit des Bundes für Eisenbahnen und Finanzen war Gegenstand der Beratungen des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung (siehe hierzu der Pari. Rat Bd. 3, bes. S. 274-283 und 618-621).
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(2) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates entscheidet jeweils mit
Stimmenmehrheit. (3) Alle in diesem Gesetz dem Präsidium des Parlamentarischen Rats übertragenen Feststellungen und Bekanntmachungen werden mit der durch das Präsidium veranlaßten Veröffentlichung in den Amtsblättern der Landesregierungen jeweils für deren Gebiet rechtswirksam. WaVfer: Ich halte den Abs. 1 für unnötig. Die Wahlen werden von den Ländern durchgeführt. Warum soll man da die Amtshilfe hineinsetzen? Stock: Das muß drin sein. Walter: Die Wahlen werden doch von den Innenministerien in den einzelnen Ländern durchgeführt, und die haben die Gemeinden in Händen. Ich meine nur, weil es so pathetisch heißt: „dem Präsidium des Parlamentarischen Rates Amtshilfe zu leisten". Vors. [Dr. Beckerl: Also darf ich Einverständnis annehmen. § 43 ist angenommen.
§44 nach Art. 51 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland mit der Maßgabe, daß an Stelle des dort genannten Bundesverfassungsgerichts das Wahlprüfungsgericht des Landes Hessen tritt. Das hessische Gesetz vom 5. August 1948 (Hessisches Gessetz- und Verordnungsblatt 1948, Seite 93 ff.) findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß die Beisitzer des Wahlprüfungsgerichts und deren Stellvertreter vom Bundestag aus dessen Mitte gewählt werden. Walter: Es kommt hier zweimal die Maßgabe vor. Das ist ein Deutsch, dessen man sich schämen muß, wenn man mit im Ausschuß sitzt. Man könnte sagen „findet entsprechende Anwendung; jedoch werden die Beisitzer des Wahlprüfungsgerichts und deren Stellvertreter vom Bundestag aus dessen Mitte gewählt". Vors. [Dr. Becker]: Dann darf ich annehmen, daß § 44 in dieser Fassung angenommen ist. Die
Wahlprüfung erfolgt
[le. Wahl
zur
Bundesversammlung (§§ 45—46)]
§45 (1) Die nach Art. 75 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von den Länderparlamenten zu Mitgliedern der Bundesversammlung zu wählenden Delegierten werden nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt. (2) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes, wieviel der 400 Delegierten von jedem Landesparlament zu wählen sind53). Die Verteilung erfolgt unter Zugrundelegung der in der letzten allgemeinen amtlichen Volkszäherste Fassung Beckers (Drucks. Nr. 606) lautete: „Das Präsidium des Pari. Rates stellt innerhalb eines Monats nach dem Tage der Wahl des ersten Bundestages die Zahl der insgesamt zu wählenden Vertreter fest."
') Die
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ermittelten Bevölkerungszahl nach deren Verhältnis. Das Präsidium des Parlamentarischen Rates teilt diese Feststellungen den Landesregierungen mit. Die Landesparlamente sind gehalten, die Wahl der Delegierten innerhalb eines Monats nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen und das Ergebnis der Wahl nebst genauer Anschrift der Gewählten und deren Annahmeerklärungen dem Präsidium des Parlamentarischen Rates zu übermitteln. Dieses hat nach Konstituierung des Bundestags diese Mitteilungen dessen Präsidenten zu übersenden. Dr. Diederichs: Ich möchte hierzu eines zu bedenken geben. Bei der Wahl zum Wirtschaftsrat in Frankfurt54) haben wir es in Niedersachsen erlebt, daß die Frage strittig wurde: Wird bei der Ermittlung dieser Mitglieder des Rates die Zahl der Abgeordneten zugrunde gelegt oder die Wahlziffern? Da bei den Zuteilungen der Mandate überall mit relativen Mehrheiten gewählt wurde und vielfach die Stärke der Parteien gar nicht im Verhältnis zu ihren Wahlstimmen stand, war von entscheidender Bedeutung, von welchen Ziffern ausgegangen wurde. In unserem Falle hier handelt es sich um einen einzigen Wahlakt. Aber damals, als die Zahl verdoppelt wurde, ist die Frage aufgetaucht: Sollen die, die bisher da waren, verdoppelt werden, oder soll man nach den Wahlziffern gehen? Dadurch wäre das Ergebnis auch noch anders geworden. Hier ist nun auf die Bevölkerungsdichte Bezug genommen. Wir müssen uns darüber klar werden, ob die letzten Wahlziffern oder die Abgeordnetenzahlen der Parlamente zugrunde gelegt werden. Ich könnte mir vorstellen, daß in Ländern, wo gewisse Parteien durch irgendein Wahlverfahren aus den Parlamenten ganz ausgeschieden sind, diese noch eine Berücksichtigung finden könnten. Also wir müßten das entscheiden. Stock: In Bayern sind wir von der Auffassung ausgegangen, daß die Abgeordneten entscheiden. Denn die Partei, die keine Abgeordneten im Parlament hat, ist auch nicht berechtigt, irgendeinen Abgeordneten hierhin zu entsenden ich meine: für dieses Parlament, nicht für den Wirtschaftsrat. Wir sind von der Fraktionsstärke im Landtag ausgegangen. Dr. Diederichs: Dann muß es aber deutlich zum Ausdruck kommen. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe es nicht anders aufgefaßt. Denn es heißt ja, daß sie von den Länderparlamenten gewählt werden. Nur die Zahl, wieviel auf jedes Land entfällt, ermittelt sich nach der Bevölkerungszahl. Dr. Diederichs: Müssen es nach dem Grundgesetz Landtagsabgeordnete sein? Vors. [Dr. Becker]: Nein. Dr. Diederichs: Sie werden also nur durch das Parlament gewählt und werden auf die Parteien nach ihrer Stärke in den Länderparlamenten aufgeteilt. Heiland: Über den Wahlmodus ist gar nichts ausgesagt. Dr. Diederichs: Doch; es heißt hier: nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts entsprechend der Größe des Landes. Heiland: Ja, die Zahl, die den Ländern zugeteilt wird. Es wird sonst nur gesagt, daß sie von den Länderparlamenten gewählt werden. Über den Wahlmodus, wie in den Länderparlamenten gewählt wird, ist nichts ausgesagt.
lung
—
54) Siehe oben Dok. Nr. 12, Anm. 744
67.
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Doch, nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts, d. h. entder Stärke, in der die Parteien in dem Länderparlament vertreten
Dr. Diederichs:
sprechend
sind. Heiland: Wo steht das? Dr. Diederichs: Im ersten Absatz; vermutlich nach dem d'Hondt'schen Verfahren.
Vors. [Dr. Becker]: Wir haben bei uns im Verfassungsgesetz auch „nach dem Verhältniswahlrecht" drin55). Da geht alles glatt. nicht der französischen Walter: Wir konnten in der amerikanischen Zone innerhalb außerhalb und des Landtags Abgeordnete zum Parlamentarischen Rat —
—
wählen56). Stock: Im Wirtschaftsrat mußten sie das Mandat niederlegen57). Walter: In Südbaden konnten für das Bonner Parlament nur Mitglieder des Landtags gewählt werden58). Bei uns konnten auch Leute außerhalb des Parlaments gewählt werden. Vors. [Dr. Becker]: Hier steht es deutlich drin. Kuhn: Wäre es eindeutig, daß es nach dem d'Hondt'schen Verfahren geht? Nun war aber die Frage: auf Grund der abgegebenen Stimmen oder der zugeteilten Mandate? Dr. Diederichs: Da es sich hier nicht darum handelt, nur Landtagsabgeordnete zu wählen, können meines Erachtens Parteien in Betracht kommen, die im Lande eine gewisse Stärke haben, aber nicht Abgeordnete stellen; denn es brauchen ja keine Abgeordneten zu sein. Die Frage bleibt deshalb doch offen. Vors. [Dr. Becker]: Nein, wählen tun die Länderparlamente, und sie können wählen, wen sie wollen. Dr. Diederichs: Nein, sie können nicht wählen, wen sie wollen, sondern sind an das Verhältnis gebunden. Sie können etwa nur wählen zehn Sozialdemokraten, neun CDU-Leute und vier von der FDP. Das ist vorgeschrieben. —
55) Art. 75 der Verfassung des Landes Hessen, GVOB1. Nr. 34/35, 1949, S. 234. 58) Gesetz vom 13. Aug. 1948, Beilage 742, 716, 738; Reg. Bl. Nr. 13, S. 100. Die Wahl fand statt am 13. August 1948 (siehe auch 88. Sitz., Sten. Ber., S. 2147). Ein Beispiel für die
Wahl eines MdPR außerhalb des entsendenden Landtages war die Abgeordnete Seibert (SPD), die als Mitglied des Hessischen Landtags für Niedersachsen in den Pari. Rat zog (Richard Ley: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Ihre Wahl, Zugehörigkeit zu Parlamenten und Regierungen. Eine Bilanz nach 25 Jahren, in: ZParl 4 (1973), S. 373-391, hier: S. 374 Anm. 12). 57) Anhang „A" zur Proklamation Nr. 5 der amerikanischen Militärregierung über den Wirtschaftsrat (Institut für Zeitgeschichte/Deutscher Bundestag (Hrsg.): Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947—1949, Bd. 1 (Erschließungsband), München/Wien 1977, S. 11. 5B) Zu „Modell und Begründung eines Gesetzes über den Parlamentarischen Rat" vom 27. Juli 1948 siehe: Der Pari. Rat Bd. 1, Dok. Nr. 15, S. 286 ff. Auf der Grundlage dieses Gesetzes verabschiedeten in den nächsten beiden Monaten alle westdeutschen Länder, mit Ausnahme Nordrhein-Westfalens, ein Landesgesetz zur Errichtung des Pari. Rates. Das Verkündungsdatum für Baden war der 6. Aug. 1948 (GVOB1. Nr. 31, S. 109); für Württemberg-Baden war es der 13. Aug. 1948 (Reg. Bl. 1948, S. 100). 745
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Vors. [Dr. Becker]: Jede Partei könnte zwei Listen aufstellen, eine Rechtsgruppe und eine Linksgruppe. Dann wird nach dem Verhältnis der abgegebenen Stimmen entschieden. Das heißt doch Verhältniswahlrecht. Dr. Diederichs: Meiner Ansicht nach ist es ganz eindeutig, daß die Länderparlamente gehalten sind, entsprechend der Zusammensetzung des Länderparlaments verhältnismäßig diese Sitze zu verteilen. Lediglich wen die Parteien dann dafür präsentieren wollen, ist ihre Sache. Ob es Angehörige oder Nichtangehörige des Parlaments sind oder wo sie sie hernehmen, ist deren Angelegenheit. Aber die ihnen zustehende Zahl von Abgeordneten hierfür ergibt sich aus ihrer Stärke im Parlament. Vors. [Dr. Becker]: Das ist ganz klar, weil sie so abstimmen werden. Dr. Diederichs: Nicht weil sie so abstimmen werden. Denn nach Ihrer Auffassung, Herr Dr. Becker, könnten sich drei oder vier Gruppen, die normalerweise keinen Anspruch haben, weil sie an sich nach d'Hondt zu schwach sind, zusammensetzen und sagen: Wir als Verein präsentieren einen Mann, und dann muß er gewählt werden. Vors. [Dr. Becker]: Wir machen es so: wir rechnen es aus nach der Zahl der Mandate, und dann sind sie gewählt. Dr. Diederichs: Ganz richtig. Ich gehe nur davon aus, es brauchen keine Abgeordneten zu sein. Infolgedessen kann ich nicht die Zahl der Mandate zugrunde legen, sondern muß die Zahl der Wählerstimmen draußen zugrunde legen, und dann kann ein anderes Ergebnis herauskommen. In einem Lande, wo einzelne Parteien im Parlament nicht vertreten sind, könnten solche Parteien zwei Abgeordnete dorthin bekommen. Vors. [Dr. Becker]: Herr Präsident Löbe, wenn es heißt: „Es werden von den Länderparlamenten Mitglieder der Bundesversammlung nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt", wie legen Sie das aus? Löbe: Dann muß man wohl die Zusammensetzung des betreffenden Parlaments als Grundlage nehmen. Man könnte natürlich auch denken, daß es die in dem Lande abgegebenen Stimmen sind. Da aber die Zusammensetzung des Parlaments diese Stimmen im großen und ganzen richtig widerspiegelt, wird man kein so weit hergeholtes Verhältnis nehmen, sondern man wird das der Abgeordneten nehmen. Vors. [Dr. Becker]: Wenn jemand etwas zu wählen hat, und zwar nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts, ist es doch ganz klar, daß das Verhältnis der Wähler genommen wird, d. h. hier der Abgeordneten. Stock: Herr Löbe hat ganz recht. Man wird im allgemeinen davon ausgehen, wie stark die betreffende Fraktion im Länderparlament ist. Aber nun haben wir ja verschiedene Länder, die eine Sperrklausel haben. Bei uns in Bayern sind zwei Parteien ausgefallen, die die 5% nicht erreicht haben, darunter auch die auch bei der Wahl zum Kommunisten59). Nun haben wir natürlich gesagt Parlamentarischen Rat —B0): Derjenige, der im Länderparlament nicht vertreten —
59) Siehe oben S. 177. 60) Siehe oben Anm. 58. Gesetz vom 27. Aug. 1948: Beilage 1732; 15. Sitz, vom 25. Aug. 1948, Sten. Ber., S. 5 ff.; GVOB1. Bayern Nr. 19. Vgl. auch Eberhard Pikart: Der Parlamen746
Dreiundzwanzigste Sitzung
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ist, bekommt auch keinen Sitz hier im Parlamentarischen Rat. Ich bin der Meinung, daß das auch richtig ist. Denn wir wählen im Landtag nach dem Verhältnis der Fraktionsstärke. Sie sind im Landtag nicht vertreten; ergo können sie dann auch keinen Sitz in der Bundesversammlung haben, so daß auch die Vertreter für die Bundesversammlung im Verhältnis der Stärke im Landtag gewählt
werden. Vors. [Dr. Becker]: Wenn Sie zum Kreistag wählen nach dem Verhältniswahlrecht, entscheidet das Verhältnis der von den Wählern abgegebenen Stimmen. Genau so hier auch. Es kann niemand auf den Gedanken kommen, daß ein anderes Verhältnis zugrunde zu legen ist als das Verhältnis der Abgeordneten, die wählen. Stock: Doch, Herr Vorsitzender. In Bayern z. B. hat die FDP 172 000 Stimmen. Vors. [Dr. Becker]: Ich kenne Ihr Beispiel. Aber nach dem Wortlaut, der hier steht, müssen die Länderparlamente, wenn sie nach Verhältniswahlrecht wählen, das Verhältnis zugrunde legen, das sich aus den Länderparlamenten er-
gibt.
Dr. Diederichs: Gut, dann sind wir einig. Heile: Ich hatte vorschlagen wollen: Entsprechend der Fraktionsstärke, damit man nicht in jedem Lande wieder dieselbe Geschichte hat. Heiland: Da bekommen wir Auslegungsschwierigkeiten. Dr. Diederichs: Wenn wir schreiben „entsprechend der Fraktionsstärke", dann ist das kein eindeutiger Begriff. Es gibt Geschäftsordnungen, nach denen eine Fraktion schon aus vier Leuten bestehen kann. Andere haben andere Fraktionsstärken. Lassen wir es, wie es ist; sonst wird es noch komplizierter. Vors. [Dr. Becker]: Dann ist § 45 angenommen.
§46 (1J Das Präsidium des Bundestages beruft spätestens drei Wochen nach der Konstituierung des Bundestages die Bundesversammlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten zu einem frühestens zwei Wochen, spätestens einen Monat nach dieser Einberufung liegenden Termin nach ein. (2) Die Wahlhandlung leitet der Präsident des Bundestages. Er teilt dem Gewählten die Wahl mit. Der Gewählte gibt die Annahmeerklärung ihm ...
gegenüber ab61).
(3) Der Präsident des Bundestages veranlaßt die Bekanntgabe der Wahl des Bundespräsidenten durch die Amtsblätter der Landesregierungen. Der Ort ist also noch offen62). Angenommen. —
tarische Rat seine Einberufung und seine Arbeit, in: Das Parlament 20 vom 17. Mai 1965, S. 8; Ley, Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, S. 373 f. ) Die Absätze 3 und 4 aus der ursprünglichen Fassung Beckers (Drucks. Nr. 606) wurden gestrichen: „(3) Die Eidesleistung des ersten Bundespräsidenten erfolgt vor der vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates oder seinem Stellvertreter zu leitenden Bundesversammlung. (4) Mit dieser Eidesleistung beginnt das Amt und Amtsdauer des ersten —
Bundespräsidenten."
!) Vgl. den „Bericht der Kommission zur Prüfung der Angaben der Städte Bonn, Frankfurt/ M., Kassel und Stuttgart betr. vorläufiger Sitz des Bundes" (o. D.), der als Sekretariatsumdruck (Umdruck Nr. S. 94) an die Mitglieder des Pari. Rates verteilt wurde. 747
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4.
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[If. Schlußbestimmungen (§§ 47-50)] C.
Schlußbestimmungen §47
und des ersten Bundespräsidenten einschließlich der bei dem Präsidium des Parlamentarischen Rates infolge der Durchführung der ihm durch dieses Gesetz überwiesenen Aufgaben entstehenden Kosten tragen die Länder, und zwar zur einen Hälfte berechnet nach der Kopfzahl der Bevölkerung (auf Grund der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung), zur anderen Hälfte berechnet nach dem Gesamtaufkommen der Steuern und Zölle in den Ländern in der Zeit vom 21. 6. 1948 bis 31. 12. 1948. Das ist die erste D-Mark-Zeit63). Wir können den Zeitraum auch erweitern, wenn Sie wollen, bis zum 1.4. 1949. Aber ich halte es nicht für notwendig. Einverstanden? Angenommen. Jetzt kommen Strafbestimmungen: Die Kosten der Wahl des ersten
Bundestages
—
§48 Wer seine
Eintragung
in die Wählerliste
(Wahlkartei) durch falsche An-
gaben erwirkt, —
einen anderen als Wähler einträgt, von dem er weiß, daß er keiAnspruch auf Eintragung hat, wer die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwer
—
nen
wohl —
er
wer
dessen
Wahlberechtigung kennt,
wählt, obwohl
er zu
den nach diesem Gesetz
von
der Wahlberech-
tigung ausgeschlossenen Personen gehört, —
wer sich als Bewerber aufstellen läßt, obwohl er nach diesem Gesetz nicht wählbar ist, wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschem Namen wählt, wird mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu DM 5000,— bestraft, soweit nicht in anderen Strafgesetzen eine höhere Strafe angedroht ist. —
—
Angenommen. §49 für das Präsidium des Parlamentarischen Rates erlassen, das sie in den Amtsblättern der Länder veröffentlichen und den Landesregierungen wie auch dem Bundeswahlleiter und den Landeswahlleitern (Verbandswahlleitern) zuleiten wird. Im übrigen werden Ausführungsbestimmungen durch die zuständigen Landesregierungen erlassen. Wird das Wort gewünscht? Nein. Dann darf ich annehmen, daß § 49 angenommen ist.
Ausführung dieses Gesetzes Ausführungsbestimmungen noch erforderlich sind, werden sie durch das Bundesgebiet gesamte Soweit
zur
—
63) Das heißt seit der Währungsreform 748
vom
20.
Juni
1948.
Dreiundzwanzigste Sitzung §
4.
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Nr. 25
50
Dieses Gesetz tritt zugleich mit dem vom Parlamentarischen Rat beschlossenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft; es gilt auch für
Berlin (Westsektoren). auch einstweilen
schlage vor, das geändert werden. Ich
so
anzunehmen. Vielleicht muß
es
noch
Stock: Wir müssen sagen „Groß-Berlin", weil wir im Interfraktionellen Ausschuß besprochen haben, daß Groß-Berlin als 12. Staat einverleibt wird64). Heiland: Das machen wir am besten gleichzeitig dann mit den anderen Änderungen. Vors. [Dr. Becker]: Lassen wir es einstweilen so: Berlin (Westsektoren). EinverDann darf ich feststellen, daß § 50 angenommen ist. standen? —
Dann
[lg. Abstimmung über § 11 (Reststimmenverrechnung)] sind wir am Schluß und hätten jetzt nur noch die ausgelassene Abstim-
mung über § 11 nachzuholen65). Wollen wir riskieren, es so stehen zu lassen? Die Frage ist nur, ob wirklich dieser von Herrn Heiland vorgesehene Fall einmal eintreten könnte66). Lobe: Könnten wir es nicht einstweilen ein bißchen mildern, indem wir den Satz „Durch diese Zuteilung auf Bundesliste darf die Zahl 400 insgesamt nicht
überschritten werden" wegstreichen? Vors. [Dr. Becker]: Wir haben uns aber
vorn
im § 8 doch auf 400
Abgeordnete
festgelegt.
Lobe: Aber es ist hier noch einmal ein ausdrückliches Verbot. Das würde ein Hindernis darstellen, wenn die Einwände, die hier gemacht worden sind, sich als berechtigt herausstellen. Wenn wir kein direktes Verbot haben, und es sind 402 Abgeordnete, so könnte man auf irgendeine Weise, etwa durch ein Gesetz des zusammentretenden Bundestages, beschließen, daß es 402 Abgeordnete sind, weil sich das eben aus der Wahltechnik ergeben hat. Dr. Diederichs: Ich halte den Vorschlag von Herr Löbe für sehr gut, und zwar wegen des Zusammenhangs von § 10 Abs. 1 mit § 11 Abs. 2. Wenn der letzte Satz von § 11 Abs. 1 wegfällt, so steht folgendes fest: 1. Es wird nach § 11 Abs. 2, wenn die 400 nicht erreicht sind, so lange weitergerechnet, bis man herangekommen ist. 2. Wenn die 400 erreicht sind und es sind noch volle Quoten zur Verteilung vorhanden, dadurch, daß mehr gewählt sind, so werden die noch verteilt. Auf diese Weise kommen wir praktisch schlimmstenfalls dazu, daß wir 405 kriegen. Wir wären dann nicht gebunden. Auf der anderen Seite aber fällt nichts aus, und es wird bis 400 weitergerechnet, wenn wir die Zahl nicht erreicht haben. Also wir können den Satz streichen. 64) Der interfraktionelle Ausschuß hatte für die dritte Lesung des Grundgesetzes im Haupt-
ausschuß (Stand vom 5. Feb. 1949) für Art. 22 „Groß-Berlin" als gleichberechtigtes Bundessland vorgeschlagen (Drucks. Nr. 591). Siehe auch Suhrs Vorbehalte gegen die Bezeichnung „Groß-Berlin" (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 4). 65) Siehe oben TOP 1 b. 66) Ebenda. 749
Nr. 25
Dreiundzwanzigste Sitzung
4.
Februar 1949
anfangen. Da heißt es : „Der besteht aus 400 Abgeordneten, von denen 200 in Einzelwahlkreisen und 200 auf Landeslisten (Verbandslisten) und auf Bundesliste gewählt werden." Da müssen wir sagen: „Der Bundestag besteht aus mindestens 400 Abgeordneten, von denen 200 in Einzelwahlkreisen und der Rest auf Landeslisten (Verbandslisten) und auf Bundesliste gewählt werden." Das müssen wir schon sagen. Und in §11 Abs. 1 müssen wir sagen: „Durch diese Zuteilung auf Bundesliste kann die Zahl 400 auch überschritten werden." Stock: Das kann man ganz streichen. Dr. Diederichs: Praktisch geschieht die Überschreitung nicht durch die Zuteilung auf die Bundesliste, sondern durch die zu kleinen Quoten im Einzelwahlkreis. Vors. [Dr. Becker]: Es werden doch mehr. Löhe: Können mehr werden. Heile: Wenn es tatsächlich richtig ist, daß sich eine große Überschreitung nicht ergibt, ist der Löbe'sche Vorschlag praktisch, die Worte „nicht wesentlich" einVors. [Dr. Becker]: Wir müssen zunächst bei § 8
Bundestag
zusetzen.
Dr. Diederichs: Nein, dann verlieren wir den Boden. Vors. [Dr. Becker]: Sie müssen schon in § 8 Abs. 1 eine solche Formulierung nehmen, wie ich sie vorhin nannte, und müssen in § 11 Abs. 1 Satz 3 sagen:
„Durch diese Zuteilung auf Bundesliste kann die Zahl 400 auch überschritten werden." Kuhn: Man müßte für den Fall einer Überschreitung der 400 eine Beschränkung insoweit einführen, als nur die Kandidaten in Frage kommen, die die Wahlzahl erreichen. Dr. Diederichs: Das ist an sich der Fall, wenn wir es auf 400 limitiert haben, wie wir es oben hatten. Hier kommt nur in Frage, daß die vollen Quoten noch zugeteilt werden, wenn es durch diese Einzelwahlen nicht zu schaffen ist. Ich halte es aber nicht für notwendig; es kann meiner Ansicht nach nicht passieren.
Vors. [Dr. Becker]: Darf ich geschäftsordnungsmäßig vorschlagen : Wir nehmen es so an, es wird im Hauptausschuß noch einmal gelesen, und wir setzen uns in einem kleinen Kreise zusammen und exerzieren es an Hand einer großen und einer kleinen Wahlzahl rechnerisch durch. Dann kann dem noch im Hauptausschuß durch einen gemeinschaftlichen Antrag aller Parteien Rechnung getragen werden67). Unter diesem Vorbehalt wollen wir dann den § 11 annehmen.
(Zustimmung.)
§11 haben wir dann in dieser Fassung mit Streichung der „Wählervereinigung" angenommen und behalten uns vor, den § 11 rechnerisch in kleinem Kreise noch einmal werden.
zu
überprüfen und
uns
gegebenenfalls
darüber noch
schlüssig
zu
Hauptausschußsitzung am 23. Feb. 1949 brachte Diederichs auf Drucksache eigenen Abänderungsantrag zu den §§8, 10 und 11 ein. Diederichs' Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 721 ; vgl. unten Dok. Nr. 26).
B7) In der
53. 621 einen
750
Dreiundzwanzigste Sitzung
4.
Februar 1949
Nr. 25
Dann stelle ich hiermit das Gesetz mit Überschrift und Schluß zur GesamtabSechs. Es ist stimmung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. mit sechs Stimmen einstimmig angenommen. Stock: Die CDU-Vertreter sind nicht da. Vors. [Dr. Becker]: Die Herren haben sich entschuldigt; sie haben Fraktionssit—
zung68).
Dann darf ich
annehmen, daß Sie mich ermächtigen, dies drucken zu lassen und dem Hauptausschuß zuzuleiten mit der Bitte, die weitere Lesung im Hauptausschuß vorzunehmen69). Dann sind wir am Ende unserer Tätigkeit. Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich danke für Ihre Geduld mit mir und meinem Temperament. Ich darf hervorheben, daß wir im großen und ganzen sehr nett und hübsch zusammengearbeitet haben. Damit schließe ich die Sitzung. Stock: Ich möchte auch dem Herrn Vorsitzenden für seine immens große Arbeit danken. Denn er hat uns nicht nur eine, sondern zwei Vorlagen gebracht. (Vors. [Dr. Becker): Vier! Heiterkeit.) Wir wollen nur die zwei Hauptvorlagen einmal nehmen70). Wir wissen, daß das eine sehr große Arbeit gewesen ist. Deshalb darf ich im Auftrage der Mitglieder dem Herrn Vorsitzenden ebenfalls den Dank abstatten. —
—
(Bravo!)
6e) Siehe oben Anm. 2. 69) Am 8. Feb. 1949 schlug Becker in einem Schreiben an Carlo Schmid den weiteren Weg der Wahlgesetzgebung vor (Becker an Schmid vom 8. Feb. 1949, FESt NL Schmid 1169).
Am 11. Feb. 1949 richteten Becker und Diederichs ein gemeinsames Schreiben auch an Adenauer (BA NL Blankenborn/Bd. 1). In beiden Briefen schlugen die Wahlrechtsausschußmitglieder vor, das Wahlgesetz am 18. bzw. 19. Feb. 1949 im Hauptausschuß zu beraten. Dabei wiesen sie ausdrücklich darauf hin, daß „die Fertigstellung des Wahlgesetz-
vor der endgültigen Verabschiedung des Grundgesetzes [. .] deshalb notwendig [erscheint], weil einzelne Wahlrechtsbestimmungen (z. B. Wahlrecht der vom Entnazifizierungsgesetz Betroffenen) wie auch die Formulierung einiger Begriffe (z. B. Flüchtlingsbegriff) sich mit der entsprechenden Bestimmung und Formulierung des Grundge-
entwurfes
.
setzes in
Übereinstimmung befinden müssen".
70) Drucks. Nr.
197/11 (Dok. Nr. 11) und die Anlage zum Kurzprotokoll der 22. Sitzung des Wahlrechtsausschusses (Drucks. Nr. 606). Becker selbst spielt wohl noch auf die Drucks. Nr. 474 (Dok. Nr. 20) und 577 an.
751
Nr. 26
Wahlgesetzentwurf vom
24.
Februar 1949
Nr. 26
Wahlgesetzentwurf, BA Z 5/203,
o.
Bl.,
14
vom
Plenum
am
24.
Seiten, als Umdruck Nr. S
A. Wahl I.
zum
53
Februar 1949 beschlossen1) vervielf., ungez. und undat. Ausf.
Volkstag2)
Wahlberechtigung und
Wählbarkeit
§1 (1) Wahlberechtigt ist, wer am Wahltag 1) deutscher Staatsangehöriger ist, 2) das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, 3) und seit mindestens drei Monaten vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. (2) Wahlberechtigt sind auch, wenn die Voraussetzung zu Abs. 1 Ziff. 1 nicht vorliegt, alle diejenigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1.1. 1945 ihren dauernden Wohnsitz innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 1. 3. 1938 hatten [oder außerhalb dieser Grenzen beheimatet waren]3) und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben4).
am 24. Feb. 1949 vom Plenum beschlossene Wahlgesetzentwurf geht in seinen Grundzügen auf den von Becker in der 22. Wahlrechtsausschußsitzung am 2. Feb. 1949 vorgelegten und in der 23. Sitzung vom Ausschuß beschlossenen Wahlgesetzentwurf zurück (vgl. oben Dok. Nr. 23). Die weiteren Beratungsstationen waren dann die Hauptausschußsitzungen vom 22. und 23. Feb. 1949. Die hier gemachten Anträge werden im folgenden ebenso angemerkt wie auch die vorgenommenen Änderungen des Dreierausschusses, der im Anschluß an die 53. Sitzung des Hauptausschusses vom 23. Feb. 1949 gebildet worden war und aus den Abgeordneten Diederichs, Becker und Finck bestand (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 725, vervielfältigt auf Drucks. Nr. 624). Die von diesem Unterausschuß vorgeschlagenen Änderungen galten als einstimmig angenommen (Stenographische Berichte, S. 156) und bildeten die Diskussionsgrundlage der entscheidenden Plenarsitzung am 24. Feb. 1949.
1) Der
2) Siehe oben Dok. Nr. 25, Anm. 4. 3) Der Zusatz „oder außerhalb dieser Grenzen beheimatet waren" geht auf den Antrag Mücke (Drucks. Nr. 614; Stenographische Berichte, S. 156) zurück. 4) Die in den Vorlagen des Wahlrechtsausschusses enthaltene Ziffer b) „[. .], welche am 30. 1.1939 die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, sie aber durch politische Maßnah.
verloren und keine andere Staatsangehörigkeit erlangt haben" wurde vom Hauptausschuß mit Verweis darauf, daß Ausbürgerungen als „nicht geschehen" zu betrachten seien, gestrichen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 714). men
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§2
Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung ist: 1) wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht; 2) wer durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte rechtskräftig verloren
hat;
nach dem im Lande seines Wohnsitzes geltenden Landtags- bzw. Bürgerschaftswahlgesetz im Zusammenhang mit der Entnazifizierung nicht wahlberechtigt ist5); 4) wer von der Militärregierung wegen seiner Verbindung mit dem Nationalsozialismus verhaftet oder von seiner Beschäftigung oder einer einflußreichen Stellung im öffentlichen oder privaten Leben entlassen, suspendiert oder ausgeschlossen wurde, falls eine rechtskräftige Eingruppierung im Entnazifizierungsverfahren am Wahltage noch nicht vorliegt.
3)
wer
§3 Die Wahlberechtigung ruht für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind oder sich in Strafhaft befinden6).
§4 Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste oder Wahlkartei eingetragen ist oder einen Wahlschein hat.
§5 Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, a) der am Wahltage 25 Jahre alt ist, b) der am Wahltage seit mindestens einem Jahr die deutsche
5)
Staatsangehörig-
Zur ursprünglichen Fassung siehe oben Dok. Nr. 25, TOP 1 a. Im Hauptausschuß scheiterte die CDU/CSU-Fraktion am 23. Feb. 1949 bei Stimmengleichheit mit dem Antrag, § 2 Ziff. 3 folgendermaßen zu formulieren: „Wem durch Gesetz oder Entnazifizierungs-
bescheid das Wahlrecht abgesprochen ist" (Drucks. Nr. 619; Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 717). Auf Antrag Seebohms wurde die hier vorliegende Fassung vom Plenum am 24. Feb. 1949 verabschiedet (Stenographische Berichte, S. 159 f.). 6) Zur ursprünglichen Fassung siehe oben Dok. Nr. 25, TOP 1 a. Auf Antrag Renner hatte der Hauptausschuß am 23. Feb. 1949 die Worte „Untersuchungshaft oder infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden" gestrichen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 717). Der Dreierausschuß fügte diesen Passus dennoch wieder ein. Das Plenum gab schließlich gegen starken Protest Renners einen Tag später dem Antrag Seebohms statt, den § 3 in der hier vorliegenden Fassung zu verabschieden (Stenographische Berichte, S. 156 f.; Drucks. Nr. 626). .
.
.
753
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Wahlgesetzentwurf vom
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keit besitzt oder der, ohne bisher die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, Flüchtling oder Vertriebener im Sinne des § 1 Abs. 2 ist7), c) dem nicht die Wählbarkeit durch rechtskräftige Entscheidung im Entnazifizierungsverfahren abgesprochen worden ist; darüber hinaus ist nicht wählbar, wer in die Gruppe I, II, III und IV eingestuft ist8).
§6 Ein gewählter Bewerber ist erst dann Abgeordneter, leiter schriftlich die Annahme der Wahl erklärt hat.
wenn er
dem Bundeswahl-
§7 Ein
1) 2) 3) 4)
Abgeordneter verliert
seinen Sitz
durch Verzicht; durch nachträglichen Verlust des Wahlrechts; durch straf gerichtliche Aberkennung der Rechte aus öffentlichen Wahlen; durch Ungültigkeitserklärung der Wahl oder sonstiges Ausscheiden beim
Wahlprüfungsverfahren; nachträgliche Änderung
5) durch
Der Verzicht ist dem
des
Wahlergebnisses.
Bundeswahlleiter, nach der ersten Einberufung des Volkstages dem Volkstagspräsidenten, zu erklären; er muß schriftlich sein und kann nicht widerrufen werden. //.
Wahlverfahren §8
(1) Der Volkstag soll aus 410 Abgeordneten bestehen, von denen 205 in Einzelwahlkreisen und 205 auf Landesliste {Verbandsliste) und Bundesliste gewählt
werden9).
7) Der Dreierausschuß hatte die Formulierung vorgeschlagen: „[. .] oder als Angehöriger der in § 1 Abs. 2 benannten Gruppen seit mindestens einem Jahr seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat" (Drucks. Nr. 624). Die vorliegende Form geht auf den Antrag Mücke (Drucks. Nr. 614) zurück, der von Seebohm unterstützt wurde (Stenographische Berichte, S. 157 f.; Drucks. Nr. 626). 8) Der Antrag Dehler, den zweiten Halbsatz ganz zu streichen, wurde im Plenum abgelehnt (Stenographische Berichte, S. 159). Der Antrag Seebohm vom 24. Feb. 1949 hingegen an.
9)
754
genommen: „Wer nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Landtags- bzw. Bürgerschaftswahlgesetz im Zusammenhang mit der Entnazifizierung nicht wählbar ist" (ebenda, S. 160). Auf Drucks. Nr. 628 versuchte die CDU/CSU-Fraktion nochmals, ebenso wie mit Drucks. Nr. 618 im Hauptausschuß tags zuvor (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 718), mittels Änderung des § 8 das Mehrheitswahlrecht durchzusetzen: „1. § 8 soll folgende Fassung erhalten: ,Der Bundestag besteht aus 300 Abgeordneten, die in Einzelwahlkreisen gewählt werden.
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(2) 10) Die Länder a) Bremen, Hamburg
b) Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern
c) Hessen, Rheinland-Pfalz bilden je einen Verband. (3) In den Ländern werden Wahlkreise gebildet: in Baden. 5
Bayern.
38
Groß-Berlin.
1511)
Bremen.
2 7 17 29 49 12 11 15
Hamburg
.
Hessen.
Niedersachsen. Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz.
.
Schleswig-Holstein. Württemberg-Baden. Württemberg-Hohenzollern ._5 .
205
(4) Auf Landeslisten (Verbandslisten) können gewählt werden: in Bayern bis zu 37 Abgeordnete Groß-Berlin bis zu 15 Abgeordnete Niedersachsen bis zu 28 Abgeordnete In den einzelnen Wahlkreisen ist derjenige Bewerber gewählt, der die meisten der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigt.' 2. Die Ziffern für die Wahlkreise in § 8 Abs. 3 sind entsprechend zu ändern. Desgleichen sind zu ändern alle sonstigen dem System des Mehrheitswahlrechts widersprechenden Bestimmungen der Vorlage." Angesichts der langen Vorgeschichte dieses Paragraphen mochten die politischen Beob-
achter im Bemühen der CDU/CSU-Fraktion nur wenig mehr als einen „deklamatorischen Akt" sehen (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 23. Feb. 1949, BA Z 12/121, Bl. 21-27). 10) Zur ursprünglichen Fassung des § 8 auf Drucks. Nr. 606 und 577 siehe oben Dok. Nr. 25, Anm. 9. Diederichs hatte am 23. Feb. 1949 im Hauptausschuß den folgenden Antrag (Drucks. Nr. 621) durchgesetzt (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 718): „,In den Wahlkreisen erzielte Mandate, die über die nach der Verhältnisberechnung zustehende Zahl der Sitze einer Partei hinausgehen, bleiben der Partei erhalten. Auf voll erreichte Wahlzahlen werden unbeschadet eventueller Überschreitung der Abgeordnetenzahl von 400 Mandate zuerkannt.' Die weiteren Absätze des § 8 erhalten die Ziffern 3, 4, 5 und 6." Der Dreierausschuß redigierte den ganzen § 8 in der nun vorliegenden Fassung, so daß der Paragraph wieder aus sechs Absätzen bestand. n) Die Berliner Abgeordneten Suhr (SPD) und Kaiser (CDU) legten im Hauptausschuß (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 719 f.) und im Plenum (Stenographische Berichte, S. 160 f.) Wert darauf und setzten sich mit ihrer Forderung durch, nicht nur die West-, sondern auch die Ostsektoren Berlins bei der Mandatsverrechnung zu berücksichtigen. Zum Begriff „Groß-Berlin" siehe auch die Diskussion im Hauptausschuß am 23. Feb. 1949 (S. 720 f.). Dadurch erhöhten sich hier und in den folgenden Paragraphen die Mandatszahlen für Berlin bzw. für das ganze Wahlgebiet um jeweils fünf Wahlkreise, d. h. um insgesamt zehn Abgeordnetensitze. 755
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Nordrhein-Westfalen
Schleswig-Holstein im Verband Hamburg/Bremen im Verband WürttembergBaden/Württ.-Hohenzollern/Baden im Verband Hessen/Rheinland-Pfalz
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bis bis bis
zu
zu
49 12 9
Abgeordnete Abgeordnete Abgeordnete
bis
zu
25
Abgeordnete
bis
zu
30
Abgeordnete
zu
205
(5) Auf Bundesliste werden Abgeordnete nach Maßgabe des § 11 gewählt. (6) Im Falle der Behinderung von Wahlen in Teilen des Bundesgebietes durch höhere Gewalt verringert sich die Gesamtzahl der Abgeordneten entsprechend dem von der Wahl ausgeschlossenen Bruchteil der Gesamtbevölkerung12).
§9 In
jedem Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt. Gewählt ist, vereinigt hat (relative Mehrheit).
wer
die mei-
sten Stimmen auf sich
§10 (1) Alle im gesamten Bundesgebiet (einschließlich Groß-Berlin13)) abgegebenen Stimmen werden zusammengerechnet und durch die Zahl 410, bzw. die sich nach § 8 Abs. 6 ergebende Zahl, geteilt (Wahlzahl). (2) Die in jedem Land (Länderverband) für jede Partei abgegebenen gültigen
gültigen
Stimmen werden gleichfalls zusammengerechnet und durch die Wahlzahl geteilt. Von der so ermittelten Mandatszahl werden die in jedem Land (Länderverband) für jede Partei in den Wahlkreisen gewonnenen Mandate abgerechnet.
(3) Die hiernach jeder Partei in jedem Land (Länderverband) noch zustehenden Sitze werden ihr nach der Reihenfolge ihres Wahlvorschlages zugeteilt. Mehr als die für das Land (den Länderverband) vorgesehene Zahl der auf Landesliste wählbaren Abgeordneten darf insgesamt nicht zugeteilt werden14).
§11 Die nach dem Zuteilungsverfahren des § 10 nicht verbrauchten Reststimmen werden für jede Partei auf einer Bundesliste zusammengerechnet. So oft die
12) Abs. 6 geht auf den Vorschlag Carlo Schmids zurück und wurde mit großer Mehrheit vom Plenum angenommen (Stenographische Berichte, S. 161). 13) Auf Drucks. Nr. 577 „Berlin". Zur Mandatszahl siehe oben Anm. 11. 14) Der vom Dreierausschuß als zweiten Satz im dritten Absatz vorgeschlagene Einschub: „Kandidaten, die ausnahmsweise in einem Wahlkreis die volle Wahlzahl erreicht haben, erhalten das Mandat vorzugsweise auch außerhalb der Reihenfolge" wurde auf Antrag Grève gestrichen (Stenographische Berichte, S. 161 f.). 756
vom
Plenum
Wahlgesetzentwurf vom
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Nr. 26
Wahlzahl in der Reststimmenzahl der einzelnen Parteien enthalten ist, erhält sie in der Reihenfolge ihres Bundeswahlvorschlages einen weiteren Sitz auf Bundesliste, auch wenn dadurch die Gesamtzahl von 410 Abgeordneten überschritten wird.
§
12
(1) Bei dem Kreiswahlleiter sind spätestens am 17. Tage vor dem Wahltag bis Uhr während der Dienststunden Kreiswahlvorschläge schriftlich einzureichen; sie müssen von mindestens hundert Wählern des Wahlkreises unterschrieben sein. Ist in einem Wahlvorschlag angegeben, daß der Bewerber für 18
politische Partei auftritt, so genügt die Unterschrift der für den Wahlkreis zuständigen Landesleitung der Partei. (2) Jeder Wahlvorschlag darf nur den Namen eines Bewerbers enthalten und dessen Namen, Vornamen, Geburtstag, Geburtsort, Beruf und Anschrift angeben. Tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist deren Bezeichnung ebenfalls beizufügen. (3) Jeder Bewerber hat seine Zustimmung schriftlich zu erteilen; seine Unterschrift muß amtlich beglaubigt sein. Die Zustimmung muß bis spätestens 18 Uhr eine
des in Abs. 1 genannten
Tages bei dem Kreiswahlleiter eingegangen
sein.
(4) Namen, Vornamen, Beruf und Anschrift der Unterzeichner des Wahlvorschlages sind anzugeben.
§13 nur auf einem Wahlvorschlag eines Wahlkreises genannt kann sich in mehreren Wahlkreisen und zugleich auf Landesliste (Verbandsliste) und Bundesliste bewerben.
Jeder Bewerber kann sein;
er
Jeder Wähler hat eine Stimme. Die Stimmabgabe erfolgt durch Ankreuzen des Kreiswahlvorschlages, dem er seine Stimme geben will. §15 (1) Beim Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) können bis 18 Uhr des 17. Tages vor dem Wahltag politische Parteien ihre Wahlvorschläge für die Landesliste (Verbandsliste) einreichen. Die Zahl der Bewerber eines solchen Wahlvorschlages ist unbeschränkt. Auf Inhalt und Einreichung dieser Wahlvorschläge finden die Bestimmungen des § 12 entsprechende Anwendung; jedoch genügt für die Unterzeichnung des Wahlvorschlages die Unterschrift der obersten Parteileitung im Bund, im Land oder bei Verbandswahlvorschlägen der obersten Parteileitung eines der zugehörigen Länder. (2) Die Bewerber auf den Landeswahlvorschlägen (Verbandswahlvorschlägen) können auch in den Kreiswahlvorschlägen der gleichen Partei als Bewerber auftreten. 757
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24. Februar 1949
§16 Beim Bundeswahlleiter können bis 18 Uhr des 10. Tages vor dem Wahltag politische Parteien Wahlvorschläge für die Bundesliste einreichen. Die Zahl der Bewerber ist unbeschränkt. Im übrigen findet §15 entsprechende Anwendung; jedoch genügt für die Unterzeichnung des Bundeswahlvorschlages einer politischen Partei statt der Unterschrift der obersten Parteileitung im Bund die der obersten Parteileitung in einem Land.
§17 Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt ein Abgeordneter oder verliert er seinen Sitz (vgl. § 7), so rückt der nachfolgende Bewerber des gleichen Landeswahlvorschlages (Verbandswahlvorschlages) nach, gleichviel, ob er im Wahlkreis oder auf Landesliste gewählt war. Beim Ausscheiden eines auf Bundesliste gewählten Abgeordneten rückt der auf den Bundeswahlvorschlag der gleichen Person nächstfolgende Bewerber nach.
§18 Die
Verbindungen
von
Wahlvorschlägen
mehrerer Parteien ist unstatthaft15).
§19 Die Bewerber auf allen Wahlvorschlägen, bei Landes- (Verbands-) und Bundeswahlvorschlägen auch ihre Reihenfolge, sind in geheimer Abstimmung in einer Versammlung der betreffenden politischen Partei festzustellen, für die eine der Mitgliederzahl oder den sonstigen statutarischen Bestimmungen der betreffenden Partei entsprechende Zahl von Delegierten der einzelnen Unterverbände im Wahlkreis, im Land (Länderverband) oder im Bund unter Angabe der Tagesordnung mit angemessener Ladungsfrist eingeladen war. Eine beglaubigte Abschrift der Niederschrift über diese Versammlung ist mit dem Wahlvorschlag einzurei-
chen.
§ 16 a vorgeschlagen: „Die VerbinLandeswahlvorschlägen und Bundeswahlvorschlägen ist zulässig. Die Erklärung über die Listenverbindung muß innerhalb der Frist für die Einrichtung der Wahlvorschläge abgegeben werden" (Drucks. Nr. 619; Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 721 f.). Der vom Dreierausschuß statt dessen vorgesehene zweite Satz in § 18: „CDU und CSU gelten als eine Partei" wurde auf Antrag Seebohm und Heiland gestrichen (Drucks. Nr. 626; Stenographische Berichte, S. 163 und 167).
15) Am
23. Feb. 1949 hatte die CDU/CSU-Fraktion als
dung
758
von
Wahlgesetzentwurf vom 24. Februar 1949 77/.
Nr. 26
Wahlvorbereitung §20
(1) Die Wahl findet spätestens drei Monate nach dem Tag des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland statt. Der Wahltag ist ein
Sonntag.
(2) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt den Wahltag.
§21 (1) Der Landeswahlleiter wird von der betreffenden Landesregierung, der Verbandswahlleiter für Bremen und Hamburg von den Senaten der Hansestadt Hamburg, Schleswig-Holstein von der Landesregierung Schleswig-Holstein, der für Baden, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern von der Landesregierung Württemberg-Baden und der für den Verband Hessen, Rheinland-Pfalz von der Landesregierung Hessen ernannt. In gleicher Weise wird sein Stellvertreter ernannt.
(2) Der Bundeswahlleiter wird von dem Präsidium des Parlamentarischen Rates gleicher Weise wird ein Stellvertreter bestimmt.
ernannt. In
§22 (1) Die Abgrenzung der Wahlkreise in den Ländern erfolgt durch einen Ausschuß. Dieser besteht aus dem Minister des Innern und 12 vom Landtag nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Mitgliedern16). (2) Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen erhalten bleiben. Sie sollen eine möglichst gleich große Einwohnerzahl umfassen.
§23 Hinsichtlich der
Vorbereitung
und
Durchführung
der Wahl
(Einteilung
in Wahl-
bezirke, Bestellung des Wahlvorstandes, Feststellung und Auslegung der Wählerlisten, Einspruchverfahren, Erteilung von Wahlscheinen, Durchführung der
Wahlhandlung, Ermittlung des Wahlergebnisses in den Stimmbezirken und Wahlkreisen usw.) gelten die für die letzten politischen Wahlen angewandten gesetzlichen Bestimmungen des einzelnen Landes sinngemäß; jedoch müssen die Bestimmungen dieses Gesetzes, insbesondere die der §§ 24 bis 42, eingehalten und in jedem Falle amtliche Stimmzettel zur Verfügung gehalten werden.
Nr. 626), dem zweiten Satz von Abs. 1 den Zusatz „jedoch mit der Maßgabe, daß mindestens ein Vertreter jeder im Landtag vertretenen Partei diesem Ausschuß angehören muß" hinzuzufügen, wurde nicht stattgegeben (Stenographische Berichte, S. 165).
1B) Seebohms Antrag (Drucks.
759
Nr. 26
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24. Februar 1949
§
24
(1) Bei dem Kreiswahlleiter sind Kreiswahlausschüsse, bei dem Landeswahllei(Verbandswahlleiter) ein Landeswahlausschuß, bei dem Bundeswahlleiter ein Bundeswahlausschuß zu bilden. Die Zusammensetzung der Kreis- und Landeswahlausschüsse und ihre Zuständigkeit bestimmt sich nach Landesrecht, der Verbandswahlausschüsse nach dem Recht der Länder, die nach § 21 den Verbandswahlleiter ernannt haben. (2) Der Landeswahlausschuß besteht aus dem Landeswahlleiter und 6 von ihm ausgewählten Wahlberechtigten des Landes und der gleichen Anzahl Stellverter
treter.
(3) Der Verbandswahlausschuß besteht aus dem Verbandswahlleiter und 6 von ihm ausgewählten Wahlberechtigten der im Verband zusammengeschlossenen Länder und der gleichen Anzahl Stellvertreter; jedes Land muß in dem Verbandswahlausschuß vertreten sein. (4) Der Bundeswahlausschuß besteht aus dem Bundeswahlleiter und 7 von ihm ausgewählten Wahlberechtigten und der gleichen Anzahl Stellvertreter; je einer ist aus jedem Land bzw. Landesverband zu berufen; bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Bundeswahlleiters.
§25 (1) Seeleuten, die sich infolge ihres Berufes nur vorübergehend in einer Gemeinde aufhalten, ist der Wahlschein von der Aufenthaltsgemeinde zu erteilen, wenn sie ihr Wahlrecht in dieser Gemeinde ausüben wollen; sie müssen aber in ihrem Seefahrtsbuch einen vom Seemannsamt oder von der Gemeindebehörde eingetragenen, noch gültigen Vermerk vorweisen, der sie zur Entgegennahme eines Wahlscheines berechtigt. Zu diesem Zweck ist den Seeleuten ihr Seefahrtsbuch auszuhändigen. Wird der Wahlschein am Wahltag erst nach 12.00 Uhr mittags beantragt, so kann der Antrag zurückgewiesen werden, wenn eine Beteiligung an der Wahl nicht mehr möglich erscheint. (2) Das Seemannsamt ist verpflichtet, auf Antrag einen Vermerk in das Seefahrtsbuch einzutragen, nachdem es bei der Gemeindebehörde, bei der der Antragsteller in der Wählerliste zu führen ist, festgestellt hat, daß keine Bedenken bestehen. Die Eintragung des Vermerks wird der Gemeindebehörde mitgeteilt, die es in der Wählerliste bei dem Namen des Wahlberechtigten vermerkt. (3) Die Erteilung des Wahlscheines wird bei der Ausfertigung von der Gemeindebehörde bei dem Vermerk unter Angabe des Wahltages bescheinigt.
§26
Wahlberechtigte können
nur in dem Wahlbezirk abstimmen, in dessen Wählerliste oder Wahlkartei sie eingetragen sind. Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlbezirk des Bundesgebietes (einschließlich Berlin) wählen.
760
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24. Februar 1949
Nr. 26
§27 (1) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt die Auslegungsfrist und den Tag, von dem ab die Wählerlisten oder Wahlkartei auszulegen sind. In großen Gemeinden kann die Gemeindebehörde die Auslegung schon früher beginnen lassen. (2) Die Gemeindebehörden sollen die Anfertigung von Abschriften zulassen, oder, soweit möglich, gegen Erstattung der Auslagen Abschriften der Wählerlisten oder Wahlkartei erteilen. (3) Jeder, der in eine Wählerliste (Wahlkartei) eingetragen ist, soll von seiner Eintragung spätestens am vierten Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist von der Gemeindebehörde benachrichtigt werden. § Die
Abstimmungszeit
dauert
von
28
8.00 Uhr bis 18.00 Uhr.
§29 (1) Ungültig sind Stimmzettel,
die nicht in einem amtlich mit Kennzeichen versehenen
abgestempelten Umschlag, oder die in einem Umschlag abgegeben worden sind, 2. die als nichtamtlich hergestellt erkennbar sind, 3. aus deren zulässiger Kennzeichnung die Wahl des Abstimmenden nicht 1.
4. 5.
unzweifelhaft zu erkennen ist, die mit Vermerk oder Vorbehalt versehen sind, denen irgendein durch den Umschlag deutlich fühlbarer Gegenstand
fügt
beige-
ist. (2) Mehrere in einem Umschlag enthaltene Zettel gelten als eine gültige Stimme, wenn sie übereinstimmend gekennzeichnet sind oder wenn nur einer von ihnen eine gültige Stimmabgabe enthält.
§
30
(1) Sobald das Wahlergebnis festgestellt ist, hat es der Wahlvorsteher der Gemeindebehörde mitzuteilen, die es für ihre Wahlbezirke sammelt und an die untere Verwaltungsbehörde auf schnellstem Wege weiterleitet. (2) Die untere Verwaltungsbehörde sammelt die Ergebnisse, stellt sie zusammen und leitet sie in einem Gesamtergebnis dem Kreiswahlleiter auf schnellstem
Wege
zu.
§31 (1) Die Stimmzettel, über deren Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlvorstand Beschluß gefaßt hat, sind mit fortlaufenden Nummern zu versehen und der Niederschrift beizufügen. In der Niederschrift sind die Gründe kurz anzugeben, aus
denen die Stimmzettel für
gültig
oder
ungültig
erklärt worden sind.
761
Nr. 26
Wahlgesetzentwurf vom 24.
Februar 1949
(2) Ist ein Stimmzettel wegen der Beschaffenheit des erklärt worden, so ist auch der Umschlag beizufügen.
Umschlages für ungültig
§ 32
gültigen Stimmzettel, die nicht nach § 31 der Wahlniederschrift beizufügen sind, hat der Wahlvorsteher in Papier einzuschlagen, zu versiegeln und der Gemeindebehörde zu übergeben, die sie verwahrt, bis die Wahl für gültig erklärt worden ist. Die Wählerliste oder Wahlkartei nebst den Wahlscheinen, ebenso
Alle
die nicht der Wahlniederschrift beigefügten Umschläge werden der Gemeindebehörde übergeben. Die Niederschrift über die Wahlhandlung, die vom Wahlvorsteher, Stellvertreter, Beisitzern und dem Schriftführer zu unterzeichnen ist, ist der Gemeindebehörde zu übergeben. Die Gemeinde hat diese Niederschrift mit sämtlichen zugehörigen Anlagen fortlaufend mit zu benummernden Schriftstücken der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Diese reicht sie nach Prüfung und etwaiger Ergänzung so zeitig dem Kreiswahlleiter zu, daß sie spätestens im Laufe des dritten Tages nach der Wahl bei diesem eintreffen.
§33 Der Kreiswahlleiter stellt zur vorläufigen Ermittlung des Wahlergebnisses die ihm mitgeteilten Ergebnisse aus allen Stimmbezirken zusammen und teilt schnellstens das Ergebnis der Abstimmung dem Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) mit. Die Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) teilen die von ihnen ermittelten vorläufigen Ergebnisse schnellstens dem Bundeswahlleiter mit.
§34 (1) Um das endgültige Wahlergebnis im Wahlkreis zu ermitteln, stellt der Kreiswahlleiter aus den Wahlniederschriften der Stimmbezirke die Ergebnisse der Wahl zusammen und beruft den Kreiswahlausschuß. In der Sitzung dieses Kreiswahlausschusses werden aus den Wahlniederschriften die endgültigen Er-
gebnisse festgestellt.
(2) Geben einzelne Wahlbezirke
zu
Bedenken Anlaß,
so
kann der Kreiswahllei-
ter die von den Gemeindebehörden aufbewahrten Stimmzettel und Wählerlisten oder Wahlkarteien und die Wahlscheine einfordern und dem Kreiswahl-
ausschuß
zur
Einsicht
vorlegen. §35
Sobald der Kreiswahlausschuß das endgültige Ergebnis festgestellt hat, muß der Kreiswahlleiter dem Landeswahlleiter fernmündlich oder drahtlich das Ergebnis mitteilen. 762
Wahlgesetzentwurf vom §
24.
Februar 1949
Nr. 26
36
Über die Verhandlungen des Kreiswahlausschusses ist eine Niederschrift aufzunehmen und von sämtlichen Mitgliedern zu unterschreiben. Der Kreiswahlleiter sendet die Niederschrift mit den zugehörigen Schriftstücken, die Wahlniederschriften sämtlicher Stimmbezirke samt deren Anlagen dem Landeswahlleiter zu.
§37 (1) Nach Eingang aller drahtlich oder fernmündlich übermittelten Ergebnisse den einzelnen Wahlkreisen übermittelt der Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) das Ergebnis der Wahlkreise sowie die Gesamtzahl der im Lande (Länderverband) insgesamt und für jede Partei abgegebenen Stimmen dem Bundeswahlleiter. (2) Der Bundeswahlleiter stellt mit seinem Ausschuß die Wahlzahl (vgl. § 10) fest und teilt sie den Landeswahlleitern (Verbandswahlleitern) schnellstens aus
mit.
(3) Diese stellen die auf Landeswahlvorschläge wählten Abgeordneten fest und übermitteln das
(Verbandswahlvorschläge) geErgebnis dem Bundeswahllei-
ter.
(4) Dieser stellt mit seinem Ausschuß die auf Bundesliste gewählten Abgeordnedas Gesamtergebnis der Wahl fest und veröffentlicht es in den Amtsblättern der Landesregierungen unter Angabe der Namen und Anschriften der Gewählten. Er benachrichtigt die Gewählten von ihrer Wahl (vgl. § 6). (5) Der Landeswahlleiter (Verbandswahlleiter) bzw. Bundeswahlleiter bestimmt zusammen mit seinem Ausschuß in den Fällen des §17 den Nachfolger eines ausgeschiedenen Bewerbers bzw. Abgeordneten. ten sowie
§38 (1) Über sämtliche Sitzungen der Landeswahlausschüsse (Verbandswahlausschüsse) sind Niederschriften zu fertigen und von allen Teilnehmern zu unterzeichnen. Eine beglaubigte Abschrift ist dem Bundeswahlleiter zu übermitteln. (2) Über sämtliche Sitzungen des Bundeswahlausschusses sind Niederschriften zu fertigen und von allen Teilnehmern zu unterzeichnen.
§39 (1) Jeder Wähler hat die Pflicht zur Übernahme der ehrenamtlichen Tätigkeit Wahlvorstehers, Stellvertreters des Wahlvorstehers, Beisitzers oder Schriftführers im Wahlvorstand, im Kreiswahlausschuß, Landeswahlausschuß (Verbandswahlausschuß) und Bundeswahlausschuß. (2) Jeder Abgeordnete ist verpflichtet, die Wahl zum Beisitzer im Wahlprüfungsgericht anzunehmen. eines
763
Nr. 26
Wahlgesetzentwurf vom
24. Februar 1949
§40
Berufung zu einem der Wahlehrenämter dürfen Mitglieder der Landesregierungen; 2. Mitglieder der Länderparlamente;
Die 1.
ablehnen:
die Bundes-, Landes- und Gemeindebeamten, die amtlich mit dem Vollzug des Wahlgesetzes oder mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit betraut sind; 4. Wähler, die als Bewerber auf einem Kreis-, Landes- (Länderverbands-) oder Bundeswahlvorschlag benannt sind; 5. Wähler, die das sechzigste Lebensjahr vollendet haben (ausgenommen zum 3.
Wahlprüfungsgericht) ;
Wählerinnen, welche glaubhaft machen, daß ihnen die Fürsorge für ihre Familie die Ausübung des Amtes in besonderem Maße erschwert; 7. Wähler, die glaubhaft machen, daß sie aus dringenden beruflichen Gründen oder durch Krankheit oder durch Gebrechen verhindert sind, das Amt ordnungsmäßig zu führen; 8. Wähler, die sich am Wahltag aus zwingenden Gründen außerhalb ihres
.6.
Wohnortes aufhalten.
Wähler, welche die Übernahme eines Wahlehrenamtes ohne gesetzlichen Grund ablehnen, können von dem zuständigen Wahlleiter in eine Ordnungsstrafe bis
zum
Betrage
von
5000 DM genommen
werden.
§42 Die Landesregierungen sollen die im § 22 vorgesehene Wahlkreiseinteilung innerhalb drei Wochen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes vornehmen und dem Präsidium des Parlamentarischen Rates übermitteln; dieses veranlaßt ihre sofortige Bekanntgabe in den Amtsblättern der Landesregierungen.
§43 (1) Zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl zum ersten Volkstag haben alle Landes- und Gemeindebehörden dem Präsidium des Parlamentarischen Rates Amtshilfe zu leisten. (2) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates entscheidet jeweils mit Stimmenmehrheit. (3) Alle in diesem Gesetz dem Präsidium des Parlamentarischen Rates übertragenen Feststellungen und Bekanntmachungen werden mit der durch das Präsidium veranlaßten Veröffentlichung in den Amtsblättern der Landesregierungen jeweils für deren Gebiet rechtswirksam. 764
Wahlgesetzentwurf vom
24.
Februar 1949
Nr. 26
§44
Wahlprüfung erfolgt nach Art. 51 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland mit der Maßgabe, daß an Stelle des dort genannten Bundesverfassungsgerichts das Wahlprüfungsgericht des Landes Hessen tritt. Das Hessische Gesetz vom 5. August 1948 (Hessisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1948, Seite 93 ff.) findet entsprechende Anwendung; jedoch werden die Beisitzer des Wahlprüfungsgerichts und deren Stellvertreter vom Volkstag aus dessen Mitte Die
gewählt.
B. Wahl
zur
Bundesversammlung §45
(1) Die nach Art. 75 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von den Länderparlamenten zu Mitgliedern der Bundesversammlung zu wählenden Delegierten werden nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes gewählt. (2) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt innerhalb zweier Wochen17) nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes, wieviel der 410 Delegierten von jedem Landesparlament zu wählen sind. Die Verteilung erfolgt unter Zugrundelegung der in der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung ermittelten Bevölkerungszahl der Länder nach deren Verhältnis. Das Präsidium des Parlamentarischen Rates teilt diese Feststellungen den Landesregierungen mit. Die Landesparlamente sind gehalten, die Wahl der Delegierten innerhalb eines Monats nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen und das Ergebnis der Wahl nebst genauer Anschrift der Gewählten und deren Annahmeerklärungen dem Präsidium des Parlamentarischen Rates zu übermitteln.
§46 (1) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates beruft auf spätestens den drei-
ßigsten Tag nach der Wahl des Volkstages diesen zu seiner Konstituierung und die Bundesversammlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten ein. Unmittelbar nach der Wahl des Präsidenten des Volkstages findet die Wahl des Bundespräsidenten statt18). (2) Die Wahlhandlung leitet der Präsident des Volkstags. Er teilt dem Gewählten die Wahl mit. Der Gewählte gibt die Annahmeerklärung ihm gegenüber ab.
(3) Der Präsident des
17) Ursprünglich
18)
Volkstags
veranlaßt die Vornahme der
Vereidigung
war eine Frist von vier Wochen vorgesehen gewesen Nr. 25, TOP le). Zum ursprünglichen Wortlaut siehe oben Dok. Nr. 25, TOP 1 a.
(vgl.
des
oben Dok.
765
Wahlgesetzentwurf vom
Nr. 26
24.
Februar 1949 seines Amtsantrittes in den Amtsblät-
Bundespräsidenten und die Bekanntgabe der Landesregierungen19).
tern
C.
Schlußbestimmungen §
47
Die Kosten der Wahl des ersten Volkstages und des ersten Bundespräsidenten einschließlich der bei dem Präsidium des Parlamentarischen Rates infolge der Durchführung der ihm durch dieses Gesetz überwiesenen Aufgaben entstehenden Kosten tragen die Länder, und zwar zur einen Hälfte berechnet nach der Kopfzahl der Bevölkerung (aufgrund der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung), zur anderen Hälfte berechnet nach dem Gesamtaufkommen der Steuern und Zölle in den Ländern in der Zeit vom 21. 6. 1948 bis 31. 12. 1948.
§48 Wer seine
Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche Angaben
erwirkt, wer
einen anderen als Wähler
spruch auf Eintragung hat,
einträgt,
von
dem
er
weiß, daß
er
keinen An-
die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwohl er dessen Wahlberechtigung kennt, wer wählt, obwohl er zu den nach diesem Gesetz von der Wahlberechtigung wer
ausgeschlossenen
Personen
gehört,
sich als Bewerber aufstellen läßt, obwohl er nach diesem Gesetz nicht wählbar ist, wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschem Namen wählt, wird mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 5000 DM bestraft, soweit nicht in anderen Strafgesetzen eine höhere Strafe anwer
gedroht
ist.
§49 Soweit
Ausführung dieses Gesetzes Ausführungsbestimmungen für das Bundesgebiet noch erforderlich sind, werden sie durch das Präsidium zur
ge-
des Parlamentarischen Rates erlassen, das sie in den Amtsblättern der Länder veröffentlichen und den Landesregierungen wie auch dem Bundeswahlleiter und den Landeswahlleitern (Verbandswahlleitern) zuleiten wird. Im übrigen werden Ausführungsbestimmungen durch die zuständigen Landesregierungen erlassen. samte
19) Zum ursprünglichen Wortlaut siehe oben Dok. Nr. 25, TOP 1 766
a.
Wahlgesetzentwurf vom
24.
Februar 1949
Nr. 26
§50
zugleich mit dem vom Parlamentarischen Rat beschlossenen Bundesrepublik Deutschland in Kraft; es gilt auch für Groß-
Dieses Gesetz tritt
Grundgesetz
der
Berlin.
767
Vierundzwanzigste Sitzung
Nr. 27
3. Mai 1949
Nr. 27 24.
Sitzung
des Ausschusses für 3. Mai 1949
Z 5/86, Bl. 52-53. Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot: Z 12/39, Bl. 19-21, Drucks. Nr. 626
Wahlrechtsfragen
Wortprot.
Anwesend'1) :
CDU/CSU: Kühn (für Kaufmann)2), Schräge, Mayr3), Schröter SPD: Stock, Maier, Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Frau Wessel (Z, für Reimann) Mit beratender Stimme: Eberhard (SPD)4), Löbe (SPD), Heile (DP) Stenografischer Dienst: Herrgesell Ende: 10.15 Uhr Beginn: 10.05 Uhr
[1. ZUR VERFAHRENSWEISE] Der Vors. Dr. Becker eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 5 Minuten. Der Vors. Dr. Becker verliest zunächst das Schreiben der Militärgouverneure an die Ministerpräsidenten der drei Westzonen Deutschlands vom 14. April 1949 S. 55)5). Er führt aus, der Parlamentarische Rat habe das Wahlsy(PR. 4.49 —
') Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 2) Adolf Kühn (31. Mai 1886-23. April 1968), Württemberg-Baden, Mitbegründer der CDU
in Württemberg-Baden, MdL von 1946 bis 1963. Kühn war am 23. Feb. 1949 als Nachfolger für den verstorbenen Felix Walter zum Mitglied des Pari. Rates gewählt worden. 3) Anstelle Mayrs hatte die CDU/CSU-Fraktion am Abend zuvor den Abgeordneten Kroll für die Wahlrechtsausschußsitzung nominiert (Sitzung vom 2. Mai 1949 in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 533). Der Grund für den Wechsel ließ sich nicht ermitteln. 4) Prof. Dr. Fritz Eberhard (eigentlich von Rauschenplat; 2. Okt. 1896-30. März 1982), Württemberg-Baden, SPD, 1947—49 Staatssekretär im württembergisch-badischen Staatsministerium und Leiter des „Deutschen Büros für Friedensfragen"; 1949—61 Intendant des Süddeutschen Rundfunks; 1961—69 Honorarprofessor für Publizistik an der Freien Universität Berlin. 5) Zur Vorgeschichte siehe auch oben Einleitung (Abschnitt 1 a). Das Dokument wurde als Anlage 1 dem Kurzprotokoll der 24. Sitzung des Wahlrechtsausschusses beigefügt: „An die Ministerpräsidenten der drei Westzonen Deutschlands. Die Militärgouverneure sind bereit, die Ansichten, die die Ministerpräsidenten über die Notwendigkeit eines einheitlichen Wahlsystems für alle Länder zum Ausdruck gebracht haben, in Rechnung zu stellen und haben demzufolge beschlossen, dem Parlamentarischen Rat gewisse Zuständigkeiten in dieser Angelegenheit zuzubilligen. Diese Zuständigkeiten werden beschränkt sein auf die Festsetzung der Anzahl der Abgeordneten, die Aufschlüsselung der Sitze auf die Länder und —
Festlegung des Wahlsystems. zu verstehen, daß die Durchführung der Wahl der Zuständigkeit jedes Landes unterliegt und daß jeder Modus, der die Ausnutzung von Reststimmen vorsieht, in jedem Land beschränkt bleiben soll auf Wahllisten, die in diesem Land vorgelegt sind" (Der englische Originaltext ist abgedruckt in: Documents on the Creation, S. 145). —
die
Darunter ist —
768
Vierundzwanzigste Sitzung
3. Mai 1949
Nr. 27
stem aufzustellen sowie die Mandatszahlen und deren Verteilung auf die Länder festzusetzen. Zur Vorbereitung der Verteilung seien die Länderregierungen gebeten worden, die neuesten Zahlen etwa per 1. Januar 1949 mitzuteilen. Die
lägen bis auf die von Südbaden vor6). Der Vors. Dr. Becker schlägt vor, Stadt und Landkreis Lindau zu Südwürttemberg-Hohenzollern zu rechnen. Hiergegen erhebt sich kein Widerspruch. Dr. Diederichs beantragt, die Sitzung des Wahlrechtsausschusses auf einen von dem Vorsitzenden zu bestimmenden Termin zu vertagen. Er trägt vor, bei heute zwischen ihm und den Abg. Dr. Becker und Schröter stattgefundenen Vorbesprechungen habe er aus von dem Abg. Schröter gemachten Vorschlägen den Eindruck erlangt, daß die Möglichkeit zu einer schnellen Einigung bestehe. Die gegenseitigen Vorschläge müßten jedoch erst in den Fraktionen besprochen und von allen Beteiligten formuliert werden7). Stock wendet sich allgemein gegen das Verfahren, die Abgeordneten nach Bonn zu bestellen und dann Sitzungen zu vertagen. Schröter bemerkt, daß durch das von Dr. Diederichs angeregte Verfahren die Möglichkeit für die Erreichung eines schnellen Ergebnisses gegeben sei. Lobe wünscht Aufklärung über den Inhalt der Vorbesprechungen, um die Fraktionen unterrichten zu können. Schröter bittet, der Anregung des Abg. Löbe nicht zu entsprechen, um eine lange Diskussion zu verhindern. Er empfiehlt, die Formulierungen abzuwarten, die in einer Sitzung am heutigen Tage um 14.30 Uhr vorgenommen werden sollen, und diese in den Fraktionen zu debattieren. Löbe zieht seine Anregung zurück. Heiland bemängelt, daß das durch drei Lesungen im Plenum beschlossene Wahlgesetz nicht vervielfältigt und den Abgeordneten noch nicht zugeleitet worden sei8). Zahlen
6) Vgl. oben Dok. Nr. 12, Anm. 8. 7) Schröter urteilte ganz ähnlich über die Vorbesprechungen (Sitzung der CDU/CSU-Fraktion vom 4. Mai 1949, 9 Uhr, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 542). Vor der
Fraktion führte er weiter aus: „Mit dem Vorschlag von Dr. Diederichs 50 : 50 % können wir uns nur einverstanden erklären, wenn wir die Verrechnung des Siegenden bekommen" (ebenda). Schröters Votum für einen Kompromiß stieß bei der Fraktion und insbesondere den Angeordneten Kroll, Schräge, Kühn, v. Brentano und Hilbert jedoch auf harsche Kritik, so daß der von ihm mitentworfene Wahlgesetzentwurf von der Fraktion schließlich abgelehnt wurde (ebenda). In der letzten Wahlrechtsausschußsitzung kam es daraufhin zu einer offenen Meinungsverschiedenheit zwischen den Unionskollegen Schröter und Blomeyer. Becker ließ es sich in der abschließenden Beratung des Wahlgesetzes im Plenum am 10. Mai 1949 nicht nehmen, auf die Zerstrittenheit der Union in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich hinzuweisen (Stenographische Berichte, S. 250). 8) Entwurf eines Wahlgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Drucks. Nr. 624), Doemming/Füsslein/Matz, zweite und dritte Lesung (Stenographische Berichte, S. 125 ff.) und schließlich die am 24. Feb. 1949 beschlossene Fassung des Wahlgesetzes (BA Z 5/203 Anhang S. 53). Tatsächlich hatte sich die Vervielfältigung des vom Plenum verabschiedeten Wahlgesetzes ungewöhnlich lange verzögert (Leisewitz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 2. März 1949, BA Z 12/123, Bl. 219). Erst ab dem 29. April 1949 wurde die 769
Nr. 27
Vierundzwanzigste Sitzung
3. Mai 1949
Vors. Dr. Becker setzt ohne weiteren
Widerspruch die
Wahlrechtsausschusses auf Donnerstag, den schließt nach Hinweis auf weitere Eingänge zung um 10 Uhr 15 Min.
nächste Sitzung des 1949, 9.30 Uhr fest, und den Wahlrechtsakten die Sit-
5. Mai zu
Verteilung des Wahlgesetzes veranlaßt (Werz an das Büro der Ministerpräsidenten vom 29. April 1949, BA Z 12/122, Bl. 18). 770
Fünfundzwanzigste Sitzung
5. Mai 1949
Nr. 28
Nr. 28 25.
Sitzung
des Ausschusses für 5. Mai 19491)
Z 5/86, Bl. 1—50. Undat. und ungez. Stenograf. Kurzprot.: Z 12/39, Bl. 5-18, Drucks. Nr. 930
Wahlrechtsfragen
Wortprot.
Anwesend2) : CDU/CSU3): Kühn (für Kaufmann), Blomeyer (für Schräge), Mayr4), Schröter SPD: Stock, Maier (für Menzel), Diederichs, Heiland FDP: Becker (Vors.) KPD: Renner (für Reimann) Mit beratender Stimme: Eberhard (SPD), Lobe
(CDU, zeitweise)5)
Stenografischer Beginn:
9.37
Dienst:
Uhr
(SPD), Heile (DP), Frau Wessel (Z),
Kaiser
Herrgesell
Ende: 12.00 Uhr
[1. BERICHT ÜBER DIE ARBEIT DES UNTERAUSSCHUSSES] Der Vorsitzende, Abg. Dr. Becker, eröffnet die Sitzung um 9 Uhr 37 Minuten. Vors. [Dr. Becker]: Vor Ihnen liegt ein mit der Überschrift „Vertraulich" bezeichS 58)6), ferner der Text des Gesetzes, wie wir es Enneter Entwurf (P.R.5.49 de Februar beschlossen hatten7). Der mit „Vertraulich" bezeichnete Entwurf hat eine kleine Vorgeschichte. Ich darf Herrn Dr. Diederichs bitten, darüber kurz zu —
berichten. Dr. Diederichs: Wir haben die vorige Sitzung nach kurzem Zusammensein auf meinen Antrag hin, über den ich mir mit Herrn Schröter und Herrn Dr. Becker einig war, vertagt8), weil wir den Glauben hatten, wir könnten in einer Zusammenkunft und in einer Besprechung der Dinge zu einer Einigung kommen, auf die sich alle Parteien des Hauses hätten einigen können. Ich wäre sehr froh gewesen, wenn wir aus diesem Hause ein Wahlrecht nach draußen gebracht hät1) Im Kurzprot. ist das Datum für die
geben.
25.
Ausschußsitzung irrtümlich mit dem 8.
Mai ange-
2) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Zu den anwesenden CDU/CSU-Vertretern siehe oben Dok. Nr. 27, Anm. 2. 4) Mayr und Blomeyer verließen den Ausschuß vorzeitig, um an der um 11.30 Uhr stattfindenden CDU/CSU-Fraktionssitzung teilzunehmen (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S.
5) 8)
7) 8)
546
ff.).
Die Anwesenheit Kaisers ergibt sich nur aus seinen Wortbeiträgen. Vermutlich wohnte er der Sitzung nur zeitweise bei. Umdruck Nr. S 58. Die entscheidenden Passagen dieses Wahlgesetzentwurfs werden im folgenden in den Wortprotokollen selbst wiedergegeben. Sofern auf Änderungen zu dem vorangegangenen Wahlgesetz vom 24. Feb. 1949 Bezug genommen wird, siehe oben Dok. Nr. 26. Am 24. Feb. 1949 beschlossene Fassung des Wahlgesetzentwurfs, siehe oben Dok. Nr. 26. Siehe oben Dok. Nr. 27.
771
Nr. 28
Fünfundzwanzigste Sitzung
5. Mai 1949
ten, auf das sich wirklich alle Parteien geeinigt hätten. Wir haben uns am selben Nachmittag zusammengesetzt und auf der Basis des Gesetzes, das hier im Hause schon beschlossen worden war, durch Kürzung einen neuen Entwurf ausgearbeitet, der Ihnen vorliegt9). Wir sind durch ein sehr loyales Entgegenkommen von Herrn Schröter und durch unser allseitiges Bemühen in verhältnismäßig schneller Zeit zu einer Lösung gekommen, von der wir glaubten, daß sie tragbar sei. Inzwischen ist uns aber mitgeteilt worden, daß die CDU-Fraktion diese Abmachungen nicht als für sie verbindlich anerkennen kann10). Mithin würde der Teil des Kompromisses, der sich speziell auf das Wahlverfahren bezieht, heute von uns in einer anderen Form in diese Abmachungen eingearbeitet werden müssen. Ich möchte also empfehlen, daß alles andere, was wir dort vereinbart haben, in dieser Form bestehen bleibt oder hier akzeptiert wird. Das ist nämlich die Kürzung des bisher Beschlossenen in dem Sinne, wie es nach den Vorschriften der Alliierten und den uns gewordenen Kompetenzen möglich ist. Wir würden also heute nur die Aufgabe haben, diesen Teil, soweit er das Wahlverfahren betrifft, entweder in Anlehnung an das bisher Beschlossene oder in der Form, wie es heute hier zum Beschluß kommt, in diese Vorschriften einzuarbeiten. Ich würde daher empfehlen, das bisher beschlossene Gesetz plus der Abmachung von vorgestern, die wie gesagt unverbindlich ist, zur Grundlage unserer heutigen Verhandlungen zu machen. Schröter: Ich danke dem Herrn Kollegen Dr. Diederichs für die loyale Art, in der er diese Erklärung abgegeben hat. Ich möchte auch meinerseits unterstreichen, daß wir drei loyal zusammengearbeitet haben. Meine Fraktion hat geglaubt, diesem Entwurf nicht zustimmen zu können, weil sie den Wunsch hat, ein wirklich echtes Kompromiß zwischen Mehrheitswahl und Verhältniswahl zu bekommen. Die Fraktion der CDU/CSU steht auf dem Standpunkt, daß dieses Ergebnis nicht erreicht worden ist. Ich brauche nicht zu betonen, daß auch meine Fraktion es begrüßt haben würde, wenn es möglich gewesen wäre, ein Wahlgesetz zu schaffen, das die Zustimmung aller Parteien gefunden hätte. Ich habe von dem Herrn Kollegen Dr. Diederichs gehört und er hat es heute wiederholt —, daß unter diesen Umständen die SPD bereit ist, sich auf das alte Wahlgesetz zurückzuziehen, um dort entsprechend den Zuständigkeiten, die die Militärgouverneure eingeräumt haben11), die nötigen Änderungen einzubauen. Ich darf die Erklärung abgeben, daß angesichts dieser Tatsache meine Fraktion sich auf ihre ursprüngliche Haltung zurückzieht. Wir treten für ein Mehrheits—
Mai 1949 hatte Schröter über seine Besprechungen mit Diederichs Bericht erstattet. Demnach sprachen die Abgeordneten außerdem über die Wählbarkeit Berliner Abgeordneter im Westen und über die politische Mitarbeit von Flüchtlingen (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 542). In der Fraktionssitzung vom 4. Mai 1949 hatten sich die CDU/CSU-Vertreter darauf geeinigt, „beim reinen Mehrheitswahlsystem zu bleiben und (sich) überstimmen zu lassen" (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 543). Zu dieser taktischen Maßgabe siehe auch oben Dok. Nr. 23, Anm. 15. Noch am 22./23. Feb. 1949 war die CDU/CSU-Fraktion im Hauptausschuß mit dem Antrag gescheitert, ein reines Mehrheitswahlsystem mit 300 Wahlkreisen einzuführen (vgl. oben Dok. Nr. 26). Siehe oben Dok. Nr. 27, Anm. 5 und Abschnitt 1 a der Einleitung.
9) In der CDU/CSU-Fraktionssitzung am 4.
10)
n) 772
Fünfundzwanzigste Sitzung
5. Mai 1949
Nr. 28
Wahlrecht ein, wenn wir auch überzeugt sind, daß im gegenwärtigen Augenblick im Hause keine Mehrheit für diesen Wunsch zu finden ist. Stock: Wenn das die Erklärung der CDU/CSU ist, glaube ich, daß wir nicht noch einmal mit der Debatte von vorn zu beginnen brauchen. Wir werden dann das Wahlgesetz, so wie es verabschiedet worden ist, hier beschließen und dem Plenum übergeben. Debattiert haben wir über das Wahlgesetz wirklich schon sehr oft und sehr lange. Schröter: Ich bin derselben Meinung. Wir haben nicht die Absicht, hier wieder eine Generaldebatte zu eröffnen. Über die grundsätzlichen Fragen haben wir uns seinerzeit genügend unterhalten. Es würde zu nichts führen, wir werden uns gegenseitig nicht überzeugen. Ich schlage infolgedessen vor, daß wir in die
Verhandlungen
eintreten.
[2. ZWEISTIMMENWAHLSYSTEM]
Blomeyer: Die Situation ist, wie Sie alle fühlen werden, noch nicht voll befriedigend. Es ist nicht gelungen, eine klare Einigung zu erzielen. Große Teile des Hauses sind mit der Lösung nicht einverstanden. Infolgedessen kann die Form,
die jetzt gefunden ist, auch für Sie nicht recht erfreulich sein. ich weiß nicht, wieweit Es ist noch ein weiterer Vorschlag gemacht worden er hier schon debattiert ist der Vorschlag des Mehrstimmenwahlrechts12). Ich würde ihn gern noch einmal vortragen. Es handelt sich darum: Jeder Wähler erhält 2 Stimmen; 1 Stimme wird nach den Regeln des reinen relativen Mehrheitswahlrechts ausgewertet, die andere Stimme wird nach den Regeln des reinen Proporzes ausgewertet. Wir stehen alle noch nicht so in der Materie, daß wir genau sagen könnten, so und so wird die Geschichte auslaufen. Es sind im Laufe dieser Monate Gründe genug für und gegen das Mehrheitswahlrecht, für und gegen das Verhältniswahlrecht vorgebracht worden. Die Lösung des Mehrstimmenwahlrechts würde beiden Formen eine Chance geben. Sie würde uns gestatten, dazu zu kommen, daß wir uns nach der ersten Wahl es ist ja nur dieses Gesetz für die erste Wahl genauere Begriffe darüber machen können, wie wir weiter vorgehen wollen. Es würde in diesem Hause auch die Parteien auf eine gemeinsame Linie bringen. Auch das ist doch wohl ein Gesichtspunkt, der Ihnen wertvoll sein müßte, zumal bekannt ist, daß aus den Reihen aller Parteien Stimmen für das Mehrheitswahlrecht laut geworden sind13). Die Lösung durch das Mehrstimmenwahlrecht wäre ein echter Kompro—
,
—
—
—
12) Thoma hatte das Mehrstimmenwahlrecht in seinem Referat angesprochen, ohne daß dieser Gedanke vom Wahlrechtsausschuß aufgegriffen wurde (siehe oben S. 26). 13) Noch am selben Tag wußte der Abg. Kaiser in der CDU/CSU-Fraktionssitzung darüber zu berichten, daß sich Löbe (SPD) ihm gegenüber einmal mehr für das Mehrheitswahlrecht ausgesprochen habe. Auch Suhr (SPD) habe sich für eine gleichmäßigere Anwen-
dung
der Prinzipien des Mehrheits- und Proporzwahlsystems ausgesprochen. Kaiser führte weiter aus, „er habe das Gefühl, die SPD wolle die kleinen Parteien gegen uns in Front bringen" (Sitzung vom 5. Mai 1949, 11.30 Uhr, in: Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 548). 773
Nr. 28
Fünfundzwanzigste Sitzung
5. Mai 1949
miß. Die jetzt gefundene Lösung ist ein Kompromiß, der vom Mehrheitswahlkreis spricht, aber durch die Form der Auswertung aller Stimmen doch zu einem reinen Verhältniswahlrecht wird und damit den Bedenken, die gegen das reine Verhältniswahlrecht geäußert sind, Nahrung gibt. Sicher, Sie können sagen: Wir haben es nicht nötig, wir haben die ganzen Monate hindurch hierüber debattiert, wir sind uns soweit klar, wir wollen das nicht mehr. Ich gebe aber doch zu bedenken, ob das die Stimme der reinen Vernunft ist, ob es nicht möglich ist, sine ira et studio diesen Vorschlag noch einmal zu durchdenken und damit beiden Wahlsystemen, die durch diese Form klar und sauber getrennt und überschaubar sind, eine Chance zu geben und gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, daß wir als Parlamentarischer Rat zu einer wirklichen, echten Einigung gekommen sind. Vors. [Dr. Becker]: Wenn ich recht verstanden habe, besteht der Vorschlag, den der Kollege Blomeyer vorträgt, darin, daß auf einem einheitlichen Stimmzettel eine Person und eine Partei angekreuzt wird.
(Blomeyer: Jawohl.)
Vorschlag eigentlich nur in dem einen Punkt uneine Stimme kennen. Es wird eine bestimmte Person angekreuzt, und die Stimme gilt damit automatisch für die Partei, der der betreffende Bewerber angehört. Es würde sich wahrscheinlich in 95 % aller Fälle, auch wenn wir es getrennt machen würden, ebenso verhalten, so daß wir eiDas würde sich von terscheiden, daß wir
unserem nur
gentlich sachlich kaum (Blomeyer: Nein.)
auseinander sind.
Denn auch hier werden 50 % der Abgeordneten im Mehrheitswahlrecht und 50 % der Abgeordneten nach der Berechnung gewählt, die auf dem Proporz im Gesamten beruht. Blomeyer: Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, daß die 50 % nach den Regeln des reinen relativen Mehrheitswahlrechts ausgewertet werden, also die Reststimmen verlorengehen. Vors. [Dr. Becker]: Sie wollen nur die zweite Hälfte auswerten. Blomeyer: Ich will jedem Wähler zwei Stimmen geben, die eine Stimme zur Auswertung nach dem relativen Mehrheitswahlrecht, die andere Stimme auf das normale Listenwahlrecht. (Stock: Sie wollen doppelt einkaufen!) Dr. Diederichs: Wir hatten eigentlich beschlossen oder jedenfalls empfohlen, nicht wieder in die ganze Diskussion über Mehrheitswahl und Verhältniswahl einzutreten. Ich möchte das auch nach Möglichkeit vermeiden. Ich möchte aber Herrn Blomeyer eine große Gefahr bei seinem Vorschlag vorführen, die, glaube ich, auch von seinen Freunden nicht gesehen worden ist. Wenn Sie jetzt zwei Stimmen geben oder, was praktisch auf dasselbe hinauskäme, wie Herr Dr. Becker sagte, mit einer Stimme einmal den Mann und einmal die Partei wählen, bedeutet das praktisch, daß bei einer solchen Wahl durch die Verteilung der Mandate den Wählern und dem gesamten Volk mit aller Deutlichkeit ad oculos demonstriert werden würde, daß sie bei gleicher Abgabe der Stimmen, bei der Verteilung der gleichen Zahl von Mandaten für diese Stimmen in dem einen Fall eine ganz andere Verteilung bekämen als in dem anderen Fall. Das 774
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heißt, sie wählen
200 mit Mehrheit und 200 mit Verhältnis, und den Leuten wird innerhalb eines Wahlaktes direkt vor Augen geführt, wie vor allen Dingen die Minderheiten durch dieses Wahlrecht im wahrsten Sinne des Wortes um ihre Stimmen gebracht werden. Sie stellen hier direkt die Wahl mit denselben mit zwei Wahlverfahren nebeneinanZiffern also wirklich vergleichbar der. Ich glaube, wenn Sie sich das aus der Perspektive dessen, der Freund des Mehrheitswahlrechts ist, einmal überlegen, so bedeutet ein solches Verfahren die glatte Entlarvung des Mehrheitswahlrechts als ein absolut ungerechtes System, indem da nämlich ganz andere Ergebnisse herauskämen als bei dem vergleichsweise mit denselben Wahlziffem zugrunde gelegten Verhältniswahlrecht. Aus diesem Gesichtspunkt heraus wäre die Sache meiner Ansicht nach schief. Im übrigen möchte ich hinzufügen, daß unsere Fraktion ein solches Verfahren rundweg ablehnt, weil sie es einfach nicht für tragbar hält. Wir stützen uns mit unseren Wünschen auf das, was wir bereits im Wahlgesetz beschlossen haben. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe nur deshalb eingegriffen, weil ich den Eindruck hatte, daß wir sachlich nicht so weit auseinander sind, so daß ich ein positives Nein-sagen der CDU-Fraktion nicht verstehen würde, eher eine Enthaltung. Renner: Ich kann mir nicht helfen, der Vorschlag, der da gemacht wird, ist beinahe unanständig. Ich will von all dem, was an Begründung für das Mehrheitswahlsystem, für das Persönlichkeitswahlsystem gesagt worden ist, einmal absehen, sondern nur von der Praxis ausgehen. Die Partei, die 40 % aller Stimmen auf sich vereinigt möglicherweise die CDU —, erobert dann von den 200 die direkt zu verteilen sind, schätzungsweise 130. Mit derselben Mandaten, die schon einmal Münze, ausgewertet worden ist, kauft sie von den 200 restierenden Mandaten noch einmal eine gute Hälfte ein. (Blomeyer: Die Münze hat vorher nur den halben Wert.) Nein, sie hat einen Überwert. Die Münze ist vergleichbar dem Wert des Dollars gegenüber dem Wert, sagen wir einmal, der D-Mark. (Schröter: Es ist eine sehr gute Währung.) Nein, es ist eine sehr faule Währung. Wenn man dann noch von Ihrer Seite das Argument hört, daß man den politischen Willen der Wählermassen klären will den kann man nur mit dem reinen Proporzsystem klären. Alles andere ist ein Vorbeireden an den Dingen. Das ist tatsächlich ein Vorschlag, der darauf hinausläuft, mit ein und derselben Münze zweimal eine Ware einzukaufen. Das kann man wirklich nicht machen. Man kann nur einmal kaufen; dann ist die Münze nicht mehr da. Sie wollen die Münze noch einmal auswerten. Das ist ein gekünsteltes System, um mit einer Minderheit der Wählerstimmen die absolute Garantie für eine sichere Mehrheit im Parlament zu erobern. Schröter: Ich habe nicht die Absicht, wie ich schon in meinen ersten Worten sagte, mich an der grundsätzlichen Aussprache zu beteiligen. Aber es mag vielleicht Verwunderung erregt haben, daß ich nicht den Vorschlag des Kollegen Blomeyer gleich in meinen Einleitungsworten gebracht habe. Ich habe mich gestern in fairer Weise mit dem Kollegen Dr. Diederichs über die Möglichkeiten ausgesprochen und habe gesagt: Herr Kollege Dr. Diederichs, erforschen Sie die Meinung Ihrer Fraktion, besteht eine Möglichkeit? Herr Dr. Diederichs ist loyalerweise zu mir gekommen und hat gesagt: Wir können es nicht mitmachen. —
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Vielleicht habe ich es unterlassen, darüber den Kollegen Blomeyer aufzuklären. Für mich war die Sache damit entschieden14). Blomeyer: Es sind einige Vorwürfe gemacht worden, die ich glaube entkräften zu können. Das mit der Münze stimmt nicht ganz. Wenn ich eine Münze halbiere, ergeben die beiden Hälften zusammen den vorher gehabten Wert. Es wird nicht die doppelte Zahl von Mandaten verteilt, sondern nur die bisher vereinbarte Zahl von Mandaten. Wir kommen also zu dem Anfangswert. Ich darf dann Herrn Dr. Diederichs antworten. Sie haben vollkommen recht, es würde ein Prüfstein sein. Wenn Sie nun sagen, damit würden die Nachteile des Mehrheitswahlrechts voll entlarvt gut, wir wollten es gerade auf diese „Entlarvung" einmal ankommen lassen, weil wir sie nicht zu scheuen haben. —
(Heiterkeit.)
Wenn Sie wirklich der Ansicht sind, daß Sie mit diesem Vorschlag selber die beste Klarheit gewinnen, warum wollen Sie einem solchen Vorschlag nicht zustimmen15)? Ihn abzulehnen liegt eigentlich kein Grund vor. Dr. Diederichs: Ich wollte nur kurz dem Herrn Kollegen Blomeyer hinsichtlich der geteilten Münze erwidern. Bei Ihnen werden aus dem geteilten Groschen zweimal acht Pfennige. Das ist nämlich die Teilung, die nicht ganz stimmt. Man kann ein Ding verschieden teilen. Es sind keine Hälften, in die Sie teilen. Die eine Hälfte hat das Gewicht von acht, die andere von vier; das macht zwölf. Als wir es teilten, war es bloß ein Groschen. Wenn Sie, Herr Kollege Blomeyer, uns heute hier die Erklärung abgeben, daß Sie nach der Entlarvung bereit sind, das zu Unrecht Erworbene zurückzugeben, dann sind wir bereit, uns auf dieses Experiment einzulassen. Damit kann ich aber kaum rechnen. Infolgedessen ist uns dieses Entlarvungsmanöver zu teuer. [3. WAHLGESETZENTWURF DER „DREIER-KOMMISSION" (UMDRUCK NR. S 58)]
[3a.
Vorbemerkungen]
Vors. [Dr. Becker]: Ich darf
annehmen, daß die Generaldebatte geschlossen ist. Hand mit der Überschrift „Vertraulich" versehenen Entdes schlage wurfs, den die Dreier-Kommission ausgearbeitet hat, vorzugehen. Um Ihnen eine Übersicht zu geben, möchte ich über den Aufbau dieses Entwurfs nur folIch
14)
vor, an
Blomeyer handelte hier durchaus im Sinne der CDU/CSU-Fraktion. Auf der Fraktionssitzung vom 4. Mai 1949 hatte er der CDU/CSU diesen Vorschlag unterbreitet. Ähnlich wie de Chapeaurouge vor ihm trat er für ein Zweistimmenwahlsystem mit einer Verrechnung im Verhältnis von 75 : 25 oder 65 : 35 ein. Nach Blomeyer sprachen sich auch Süsterhenn und v. Brentano für diesen Vorschlag aus. Daraufhin beschloß die Fraktion auf der Basis des Zweistimmenwahlsystems weiterzuverhandeln (Salzmann, Die CDU/ CSU im Pari. Rat, S. 542 f.), ohne daß es aber zu einer klärenden Aussprache zwischen Blomeyer und Schröter im Vorfeld der Wahlrechtsausschußsitzung gekommen wäre. 15) Folgt gestrichen (die Änderungen wurden in der Vorlage kursiv gesetzt bzw. durchgestrichen): „Wenn Sie wirklich der Ansicht sind, daß Sie mit diesem Ergebnis selber die beste Klarheit gewinnen, warum wollen Sie einem solchen Vorschlag nicht zustimmen?" 776
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voranschicken. Sie wissen, die Autorisation der Gouverneure geht jetzt dahin, daß wir zuständig sind, a) die Zahl der Mandate insgesamt b) die Aufschlüsselung der Mandate auf die einzelnen Länder und c) das Wahlsystem festzusetzen16). Das läßt sich gesetzgeberisch nur in der Form machen, daß wir
gendes
in einem ersten Teil
unseres Wahlgesetzes diese Bestimmungen als Muß-Vorschriften für die von den Ländern zu erlassenden Gesetze treffen. Die Paragraphen, die wir in der Einleitung formulieren und die die Muß-Vorschriften auf diesen drei Gebieten enthalten, würden also wörtlich so in die Landesgesetze zu übernehmen sein. In einen zweiten Teil, der mit § 21 anfängt, haben wir einige Empfehlungen hineingeschrieben, weil es uns zweckmäßig schien, daß die Landesgesetze das möglichst übereinstimmend regeln. Dann haben wir unter Ziffer B aus unserem alten Gesetz17) die Wahl zur Bundesversammlung mit den einleitenden Bemerkungen über die Wahl des Bundespräsidenten herausgenommen16). Denn dafür muß auch eine gesetzliche Regelung vorliegen, für die als eine bundesgesetzliche Regelung der Parlamentarische Rat zweifellos zuständig ist. Dann kommen unter C Schluß- und Übergangsbestimmungen. § 24 enthält eine ähnliche Vorschrift für Berlin, wie sie jetzt besteht. Die §§ 25 und 26 sind Formalitäten betreffend das Inkrafttreten dieses neuen Gesetzes und damit gleichzeitig das Außerkrafttreten des Wahlgesetzes, das wir Ende Februar beschlossen haben. Nachdem ich das vorausgeschickt habe, darf ich bitten, vielleicht bei § 9 zu beginnen, der das Wahlsystem betrifft. Bei unserer Dreierbesprechung haben wir in den §§ 1—8 nur geringe Änderungen vorgenommen. Zum Beispiel ist es in der Frage der Entnazifizierung den Ländern überlassen, eine Regelung zu treffen, die sie haben wollen. Stock: Das Wahlgesetz wird ein Bundesgesetz, kein Landesgesetz. Vors. [Dr. Becker]: Die Rechtsquelle, aus der das Wahlrecht fließt, ist nach der Vorschrift der Gouverneure ein Landesgesetz. Wir sollen nur die genannten drei Punkte mit zwingender Wirkung vorschreiben. Stock: Dann würde ich vorschlagen, Punkt für Punkt vorzunehmen. Vielleicht ist manches drin, wo eine Meinungsverschiedenheit besteht.
[3b. Wahl
zum
Bundestag (§§1-10)]
Vors. [Dr. Becker]: § 1 unseres Entwurfs lautet: Die Wahlgesetze für die Wahl des ersten Bundestages der Bundesrepublik Deutschland werden von den Ländern beschlossen. In ihnen müssen die
§§ Wird
2-20 enthalten sein. § 1 das Wort verlangt?
zu
16) Siehe oben Abschnitt 1 a der Einleitung und Dok. Nr. 27. 17) Gemeint ist das vom Plenum am 24. Feb. 1949 verabschiedete Wahlgesetz (siehe oben Dok. Nr. 26).
1B) Mißverständlich: Gemeint ist wohl „übernommen". 777
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Schröter: Ich möchte nur grundsätzlich zu unserer Taktik sagen, wir werden bei den nebensächlichen Paragraphen der Stimme enthalten und gegen alle Paragraphen stimmen, die sich mit dem Wahlsystem beschäftigen. Renner: Wir werden uns auch vorbehalten, im Plenum zu den einzelnen Paragraphen unsere grundsätzliche Auffassung bekanntzugeben. Im Prinzip bin ich der Meinung, daß wir, nachdem wir zum ersten Wahlgesetz ja gesagt haben, auch dem zustimmen werden19). Vors. [Dr. Becker]: § 2 : Der Text ist geblieben. Wortmeldungen liegen nicht vor. In § 3 ist die Ziff. 3 geändert. Es heißt dort: Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung ist, wer nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Entnazifizierungsbestimmungen nicht wahlbeuns
rechtigt ist. Wenn das Land darüber hinaus noch etwas beschließen will, möge es das tun. Wir hatten schon das vorige Mal die enormen Schwierigkeiten festgestellt, die
darin liegen, daß die französische, die britische und die amerikanische Zone verschiedene Rechtsentwicklungen hinter sich haben, so daß es unmöglich war, sie auf einen befriedigenden Nenner zu bringen. Stock: Um ein einheitliches System zu bekommen, hatten wir beschlossen, in dem Bundeswahlgesetz erstens die Wahlberechtigung und zweitens die Wählbarkeit festzulegen. Wenn wir das den einzelnen Ländern überlassen, bekommen wir eine Verschiedenheit der Wahlgesetze20). Vors. [Dr. Becker]: Die kriegen wir ohnehin, das können wir nicht ändern. Wir haben hier die ersten Paragraphen vielleicht unter Überschreitung unserer Zuständigkeit hineingesetzt. Das hat mit Mandatsbezifferung und dem Wahlsystem vielleicht nur etwas zu tun, indem wir hier im wesentlichen zum Ausdruck bringen müssen, daß jeder Bundesangehörige wahlberechtigt ist, damit nicht jedes Land kommt und sagt: hier ist nur ein Landesangehöriger wahlbe-
rechtigt.
Schröter: Herr
Kollege Stock,
Sie werden sich erinnern, daß wir in der seinerVertreter die der schärferen Tonart waren21). Ich habe mich in zeitigen Sitzung der Aussprache zu dreien überzeugen lassen, daß dieses doch die bessere Lösung ist. Wir kommen sonst zu Konflikten innerhalb der einzelnen Länder. Stock: Sie können mich nicht davon überzeugen, daß das die bessere Lösung ist, weil wir sonst den ganzen Vorgang in die elf Länderparlamente hineintragen. Ich wollte das vermeiden. Wir im Parlamentarischen Rat können diese Angelegenheit für alle elf Länder generell erledigen. In Bayern haben wir den Konflikt ausgetragen. Sie wissen, daß die Betroffenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof eingelegt haben22). Der Verfassungsgerichtshof hat entschie-
19) Siehe hierzu die 59. Hauptausschußsitzung (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 769 ff.) am 9. Mai und die 11. Sitzung des Plenums am 10. Mai 1949 (Stenographische Berichte, S. 245 ff.). 20) Siehe oben Dok. Nr. 5, TOP 1 e; Dok. Nr. 10, TOP 5 a und Dok. Nr. 17, TOP 2 b. 21 )
Ebenda.
22) Es handelte sich hier
um den stellvertretenden Landrat von Landau, Dr. Willi Reichstein, und den ehrenamtlichen Bürgermeister von Augsburg, Landsgerichtsrat Brückner.
778
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den, auf Grund des Art. 184 der bayerischen Verfassung besteht keine
Nr. 28 Erinne-
rung dagegen, daß die Mitläufer ausgeschlossen werden, nicht allein als Leute, die für das Parlament wählbar sind, sondern sogar als stellvertretende Bürgermeister und stellvertretende Landräte23). Wenn sie nicht einmal stellvertretende Landräte oder stellvertretende Bürgermeister werden können, ist es selbstverständlich, daß sie keine Abgeordneten werden können. Deshalb halte ich es für richtig, den alten Artikel so wieder herzustellen, wie er im Hauptausschuß beschlossen worden ist24). Sonst verlegen wir die Streitigkeiten in die elf Länder. Schröter: Dann könnte man den Einwand erheben, ob wir auf Grund der Vollmachten, die uns von den Militärgouverneuren gegeben sind, überhaupt zuständig sind, eine derartige Bestimmung in das Gesetz hineinzubringen. Stock: Ich habe da keinen Zweifel. Vors. [Dr. Becker]: Ich habe auch gewisse Zweifel! !]. Ich möchte Herrn Kollegen Stock dringend bitten, wegen dieses einen Punktes, der genau so gut in den Ländern geregelt werden kann, nicht eine Gefahr heraufzubeschwören, die die Gültigkeit vielleicht der Einleitungsparagraphen in Frage stellen kann. Das Entscheidende bei den einleitenden Paragraphen ist nicht ein Schnickschnack, ob jemand in Gruppe III oder IV bzw. mit 20 oder 21 Jahren wählen kann, sondern das Entscheidende ist, daß alle Bundesangehörigen in jedem Land wählen können, auch ein Niedersachse mit einem Wahlschein in Hamburg und umgekehrt. Das ist der Grundgedanke, den müssen wir erhalten. Dr. Diederichs: Die Argumente von Herrn Stock scheinen mir in gewisser Weise plausibel. Auf der anderen Seite bin ich entschieden dagegen, hier eine generelle Regelung vorzuschreiben, nachdem wir alle wissen, daß die Entnazifizierung in jeder Zone, ja fast in jedem Lande nach ganz verschiedenen Gesichtspunkten durchgeführt worden ist. Die Länder haben die Möglichkeit, das so scharf wie möglich zu fassen. Je lockerer wir die generelle Lösung lassen, um so stärker ist die Möglichkeit der Länderparlamente, die in dem Land üblichen Beschränkungen durchzuführen. Wenn wir eine generelle Bestimmung Der Vorfall wurde auch im
Wahlperiode, 23) Entscheidung
93.
Sitzung
Bayerischen Landtag eingehend
vom
behandelt (Sten. Prot. 1.
1. Dez. 1948, S. 316).
des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 29. April 1949 (VF. 73, 75 und 84-VII-48) über die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Änderung des Landkreiswahlgesetzes und des Gesetzes zur Änderung des Gemeindewahlgesetzes, abgedruckt bei: Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs N.F. Bd. 2, 1949, hrsg. vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, München 1950, Nr. 3, S. 14 ff. 24) Siehe auch oben Dok. Nr. 25, TOP 1 b sowie die Regelung im ersten, vom Plenum verabschiedeten Wahlgesetzentwurf vom 24. Feb. 1949 (Dok. Nr. 26). Stock hatte diese Frage bereits am 6. Jan. 1949 im Hauptausschuß aufgebracht (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 371) und eine generelle Regelung des Wahlrechts gefordert. Die hier von Stock angeführte Fassung war § 2 Abs. 3 des Wahlgesetzentwurfs (Drucks. Nr. 624), der in der 53. Sitzung des Hauptausschusses am 23. Feb. 1949 angenommen wurde. Dort hieß es: „Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung ist: [.. .] wem das Wahlrecht im Entnazifizierungsverfahren rechtskräftig abgesprochen worden ist; darüber hinaus sind alle diejenigen nicht wahlberechtigt, die in die Gruppen I, II und III eingestuft sind." Analog hierzu war in § 5 c die Wählbarkeit geregelt. Siehe auch Stocks Ausführungen im Plenum am 24. Feb. 1949 (Stenographische Berichte, S. 158 f.). 779
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schaffen, die in irgendeinem Lande mit dem dort üblichen Gesetz nicht zu vereinbaren ist, kommen wir dahin, daß möglicherweise in einem Lande eine ganze Kategorie von Leuten jetzt wahlberechtigt oder wählbar wird, die es bisher nicht gewesen ist. Wir nehmen sogar den Ländern die Möglichkeit, entsprechend ihrem Gesetz eine Regelung zu finden, die den bisherigen Gepflogenhei-
entspricht. Die Länder sollen die Listen nach dem bei ihnen üblichen Verfahren aufstellen. Es ist unmöglich, daß die Länder gleichsam ihre ganze Entnazifizierung revisionsweise überprüfen, ob die Leute in die Listen gehören oder nicht. Wir können hier nur eine große Rahmenvorschrift geben und müssen es schon einmal dem Scharfsinn unserer Leute in den Länderparlamenten überlassen, die entsprechende Regelung zu finden. Damit kommen wir auch der Meinung des Kollegen Stock vollauf entgegen. Er soll es in Bayern durchsetzen. Stock: In Bayern wurde es durchgesetzt. Darum dreht es sich nicht. Dann kann ein Mitläufer von Bayern nicht gewählt werden, und Mitläufer von anderen Ländern können gewählt werden, wenn sie weiß Gott was für aktive Nazis gewesen sind. Ich stehe nach wie vor auf dem Standpunkt, daß wir Nazis in den Parlamenten nicht brauchen und es nicht notwendig haben, die neuen Gesetze von Nazis machen zu lassen. Ich stelle den Antrag, den § 2 Ziffer 3 in § 3 des neuen Entwurfs einzubauen. § 2 Ziffer 3 des alten Entwurfs lautet25) : Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung ist: wem das Wahlrecht im Entnazifizierungsverfahren rechtskräftig abgesprochen worden ist; darüber hinaus sind alle diejenigen nicht wahlberechtigt, die in die Gruppen I, II und ten
III eingestuft sind; Vors. [Dr. Becker]: Wird das Wort
Das ist nicht der Fall. Ich gewünscht? schließe die Debatte und stelle den Antrag des Herrn Stock zur Abstimmung. Wer für diesen Zusatz zu § 3 Ziffer 3 ist, wer mit anderen Worten die Frage bundesgesetzlich geregelt sehen will, statt sie der Regelung der Landesgesetze Zwei Stimmen. Gegenprozu überlassen, den bitte ich die Hand zu erheben. be! Fünf Stimmen. Der Antrag ist abgelehnt. Wird zu § 3 insgesamt Abstimmung gewünscht? Sonst waren keine Bedenken. Stock: Ich lehne ihn so ab. Vors. [Dr. Becker]: Dann lasse ich abstimmen. Wer dafür ist, daß der § 3 in der jetzt beschlossenen Fassung angenommen wird, den bitte ich die Hand zu erheben. Zwei Stimmen. Der Paragraph ist mit Drei Stimmen. Gegenprobe! drei gegen zwei Stimmen angenommen. Das ist nicht der Fall. Dann darf ich anneh§ 4. Wird das Wort gewünscht? men, daß er angenommen ist. § 5. Das Wort Wahlschein ist das Wichtigste in dem Abschnitt. Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Paragraph ist also angenommen. §6. Renner: Der Ausdruck „Flüchtling oder Vertriebener" scheint mir die Möglichkeit zu Unklarheiten zu eröffnen. Da in den Ländern der Begriff Flüchtling —
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25) Vgl. oben Dok. Nr. 25, TOP 780
1 a.
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oder Vertriebener klar umrissen ist, da Behörden bestehen, die diese Eigenschaft feststellen, sollte man den Zusatz machen: „dem diese Eigenschaft durch die zuständigen Behörden zugebilligt ist." Sonst werden am Wahltag von WestBerlin einige Züge organisiert und nach West-Deutschland geschickt, um sie dort wählen zu lassen. Das sind dann Flüchtlinge. Vors. [Dr. Becker]: Die haben doch keinen Wahlschein und sind in keiner Wahlkartei. Das Beispiel zieht nicht. Renner: Man sollte dafür sorgen, daß der Begriff Flüchtling klar umrissen ist. Man könnte hinzusetzen: anerkannter Flüchtling. Wenn der Mann von der zuständigen Behörde auf seine Eigenschaft als echter Flüchtling überprüft ist, soll er Wahlberechtigung haben. Ich weiß, daß die Sozialminister zumindest in der Bizone eine einheitliche Regelung geschaffen haben26), so daß die Möglichkeit besteht, die Eigenschaft eines Flüchtlings zu überprüfen und durch einen Behördenspruch anzuerkennen. Vors. [Dr. Becker]: Ich darf bitten, einen Antrag zu formulieren. Renner: Es würde genügen, in § 2 Abs. 2 das Wort „anerkannt" hinzuzufügen. Vors. [Dr. Becker]: § 2 ist bereits angenommen. Heiland: Die Frage ist in § 2 Abs. 2 genügend klar geregelt. Vors. [Dr. Becker]: Außerdem geht der Text auf die Flüchtlingsgesetze der amerikanischen Zone zurück, die ich mir im vorigen Herbst beschafft habe und nach denen ich formuliert habe. Stellen Sie einen Antrag? Renner: Nein. Ich werde es noch einmal überlegen. Vors. [Dr. Becker]: Zu § 6 stellt der Kollege Stock den Antrag, an Stelle von Ziffer c den § 5 Ziffer c des alten Entwurfs einzufügen. Wer für diesen Antrag Fünf Stimmen. Gegenprobe! Fünf ist, den bitte ich die Hand zu erheben. Stimmen. Der Antrag ist mit fünf gegen fünf Stimmen abgelehnt. § 6 b ist zu korrigieren. Es muß statt § 1 Abs. 2 heißen: § 2 Abs. 2. Dann stelle ich den § 6 als Ganzes zur Abstimmung. Wer für § 6 in der jetzt Zwei Stimbeschlossenen Fassung ist, den bitte ich die Hand zu erheben. Drei Stimmen. Dann ist der § 6 gefallen27). Es kann men. Wer ist dagegen? also niemand in den Bundestag gewählt werden. —
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26) Die Einrichtung
einer Zentralstelle für Flüchtlingsfragen ging auf einen Beschluß des Verwaltungsrates der Bizone vom 17. August 1948 zurück (Akten zur Vorgeschichte Bd. 4: Jan. Dez. 1948, bearb. von Christoph Weisz, Hans-Dieter Kreikamp und Bernd Steger. Mün-
Nr. 79, TOP 5, S. 752 f. und Dok. Nr. 80, TOP 10, S. 764). Am 9. Dez. Oberdirektor im Verwaltungsrat der Bizone mit den Bevollmächtigten der Länder über das FlüchÜingsproblem. In dem gemeinsamen Beschluß wurde u. a. „die Schaffung einer für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet verbindlichen Definition des Flüchtlingsbegriffs" gefordert. Der Antrag wurde von BICO am 4. Feb. 1949 gebilligt, so daß mit der Errichtung einer Zentralstelle für Flüchtiingsfragen begonnen werden konnte (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 11, TOP 3, S. 211 Anm. 20; vgl. Werner Middelmann: Entstehung und Aufgaben der Flüchtlingsverwaltung, in: E. von Lemberg/F. Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in Deutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluß auf Gesellschaft. Wirtschaft, Poliük und Geistesleben Bd. 1, Kiel 1959, S. 276-299). 27) Auf der Grundlage des Antrages Zinn (Drucks. Nr. 891) wurde im Hauptausschuß schließlich noch die Regelung der Beamtenwählbarkeit in das Wahlgesetz mit aufgenommen (siehe auch oben Dok. Nr. 23, Anm. 57).
chen, Wien 1983, Dok. —
1948 verhandelte der
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Dr. Diederichs: Wir müssen den § 6 praktisch annehmen, uns jedoch vorbehalten, den Zusatzantrag zu stellen. Stock: Wir nehmen den § 6 unter dem Vorbehalt an, daß wir im Plenum den Zusatzantrag wieder stellen werden28). Vors. [Dr. Becker]: Ich darf vielleicht wie folgt formulieren: Die Herren von der SPD erklären, daß sie dem § 6 in der vorliegenden Fassung nur unter dem Vorbehalt zustimmen, im Plenum den Antrag des Kollegen Stock noch einmal zur Debatte zu stellen. Renner: Dieser Erklärung schließe ich mich an29). Vors. [Dr. Becker]: § 7. Bundeswahlleiter ist in Landeswahlleiter geändert. Das müssen wir machen. Ich darf dann annehmen, daß der Paragraph angenommen ist. § 8. Auch hier ist die Änderung von Bundeswahlleiter in Landeswahlleiter. Sonst ist es dasselbe. Heile: Bei § 8 möchte ich zu bedenken geben, ob man nicht, nachdem der § 18 und einige andere Paragraphen die Partei sehr scharf eingeschaltet haben, nachdem die Partei direkt die Kandidaten feststellt, wieder die Frage aufwerfen sollte, daß Abgeordnete, die ihr Mandat durch Nennung der Partei bekommen haben, ihr Mandat zurückzugeben haben, wenn sie aus der Partei austreten. (Heiland: So gehässig wollen wir nicht sein.) Es führt zu Gehässigkeiten. Es kann doch auch ein gewisser Zwang sein. Dann muß einer aus der Partei ausscheiden, wenn er nicht freiwillig zurücktreten will. Stock: Diese Frage ist nicht nur jetzt, sondern vor Jahren diskutiert worden. Ich glaube, sie ist erstmals im Jahre 1920 diskutiert worden. (Heile: Da spielte die Partei im Gesetz keine Rolle.) Genau so, auch bei der letzten Wahl. Die Sache ist seinerzeit bis vor den Staatsgerichtshof gegangen30). Es hat sich ergeben, daß es unmöglich ist, einen —
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—
28) Verhandlungen des Hauptausschusses vom 9. Mai 1949, S.
771. Der Antrag Stocks wurde
Ausschußvorsitzenden Schmid leicht modifiziert und dann mit elf zu zehn Stimmen angenommen (S. 775). 29) Siehe auch Renner in der 59. Hauptausschußsitzung (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 773 ff.). In der 11. Sitzung des Plenums am 10. Mai 1949 wurde Renners Antrag (§ 5 Abs. 2 des am 9. Mai 1949 im Hauptausschuß verabschiedeten Wahlgesetzes [Drucks. Nr. 906]: „Nicht wählbar ist, wer Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen war; ausgenommen sind Entlastete oder Personen, auf die die Jugendamnestie oder die Heimkehreramnestie Anwendung finden") mit 31 zu 30 Stimmen abgelehnt (Stenographische Berichte, S. 267 f.). Statt dessen wurde der Antrag Diederichs (Drucks. Nr. 915 und 918) angenommen, der den ursprünglichen § 6 Abs. 1 Ziff. c (i. d. F. vom 5. Mai 1949, Drucks. Nr. 847) in der schließlich angenommenen Form ergänzte (siehe Drucks. Nr. 924: § 5 Abs. 1 Ziff. c). In dieser Abstimmungsphase unterliefen dem Vorsitzenden Adenauer einige Formfehler, da es zeitweise nicht ersichtlich war, welche Version des Wahlgesetzes jeweils als Vorlage diente. Während sich Renners Antrag auf die vom Hauptausschuß am 9. Mai 1949 beschlossene Fassung bezog (Drucks. Nr. 906), lag Diederichs Antrag die Fassung des Wahlrechtsausschusses vom 5. Mai 1949 (Drucks. Nr. 847) zugrunde. 30) Gemeint ist hier der württembergische Staatsgerichtshof. Während das württembergische Landeswahlgesetz vorsah, daß das Abgeordnetenmandat im Falle eines Parteiausvom
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solchen Paragraphen aufzunehmen. In England hilft man sich dergestalt, daß man den Kandidaten vorher eine Ehrenerklärung unterschreiben läßt, daß er, wenn er aus der Partei austritt, auch sein Mandat niederlegt. Wenn er diese Ehrenerklärung nicht hält, kann er trotzdem im Parlament bleiben. Das muß er dann mit sich selbst ausmachen. Es ist keine rechtliche Handhabe gegeben, daß er dann sein Mandat niederlegen muß. Man könnte eine solche Vorschrift nicht im Gesetz verankern. Kühn: Ich habe für diese Anregung ein gewisses Verständnis. Aber im gegenwärtigen Moment muß man vorsichtig sein. Auf jeden Fall müßte man eine eventuelle Fassung sehr vorsichtig suchen. In der alten badischen Gemeindeordnung31) hatten wir früher den § 17, nach welchem derjenige, der aus seiner Partei ausschied, auf sein Mandat verzichten mußte; das heißt, es ist ihm aberkannt worden. Diese Bestimmung ist in die Gemeindeordnung für Württemberg-Baden übernommen worden32). Es haben sich mehrere Fälle ereignet, auch ein Fall in der Gegend von Heidelberg. Da ist der Verwaltungsgerichtshof angegangen worden. Der Verwaltungsgerichtshof hat erklärt, daß diese Bestimmung der Gemeindeordnung33) mit der württembergisch-badischen Verfassung in Widerspruch stünde. Die Folge wird sein, daß wir dort eine Änderung durchführen müssen. Wir müssen die Geschichte anders fassen. Wir müssen bei Gelegenheit eine gesetzgeberische Maßnahme treffen, um die Sache ganz klarzustellen. Nach meiner Meinung ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ein Fehlurteil. Sie ist aber rechtskräftig; die Konsequenzen müssen gezogen werden. Wir müssen hier außerordentlich vorsichtig sein. Heile: Ich meine nur solche Abgeordneten, die ausdrücklich von der Partei benannt sind. Kühn: Es besteht ein starker Ruf nach der Persönlichkeitswahl. Eine solche Bestimmung würde diesem Ruf des Volkes im Augenblick bestimmt nicht entsprechen. Dr. Diederichs: Wir sind grundsätzlich der Auffassung, daß man eine Bestimmung, daß derjenige auf sein Mandat verzichten muß, der aus der Partei austritt oder die Partei wechselt, generell nicht aufnehmen kann. Wenn man einer solchen Bestimmung zustimmt, würde man die Fiktion, daß der Abgeordnete nur seinem Gewissen unterworfen ist, in ihren letzten Phasen erschüttern. Eine
31)
32)
tritts erlischt (LWG vom 4. April 1924, Art. 7 Ziff. 6), sah das Reichsrecht eine derartige Regelung nicht vor (Anschütz, Verfassung, S. 184). Gemeint ist die badische Gemeindeordnung vom 5. Oktober 1921 (Bad. GVOB1. Nr. 56 vom 18. Oktober 1921, S. 347). § 38 Abs. 1 der württembergisch-badischen Gemeindeordnung (Gesetz Nr. 30 über die Anwendung der Deutschen Gemeindeordnung vom 20. Dez. 1945, Reg. Bl. 1946, Nr. 2 vom 14. Jan. 1946, S. 5).
33) Urteil des württembergisch-badischen Verwaltungsgerichtshofes (Senat Karlsruhe)
vom
Sammlung oberstrichtlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht, hrsg. von Wilhelm Bauer, 1 (1949), München/Berlin 1949, Nr. 137, S. 447. In der Begründung des Urteils werden auch die Urteile des württembergischen Staatsgerichtshofes aus den Jahren 1921 und 1926 herangezogen. 18. Feb. 1949, Nr. 417/48, in:
Verwaltungsrechtsprechung
in Deutschland.
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Trennung zwischen denjenigen, die relativ
im Wahlkreis gewählt sind, und denjenigen, die in der Proporzverrechnung auf die Ergänzungsvorschläge hineingekommen sind, würde eine Unterteilung der Abgeordneten in zwei Katego-
rien bedeuten. Es ist in keiner Weise vertretbar, daß man auf diese Weise solche Unterscheidungen in die Parlamente hineinträgt. Ich bin der Auffassung, man muß es dem Takt des einzelnen überlassen, inwieweit er es mit seinem Gewissen für vereinbar hält, eine Partei zu verlassen und sein Mandat zu be-
halten. Lobe: Ich glaube, der Herr Kollege Heile hat viel zu sehr an Einzelfälle gedacht. Im parlamentarischen Betrieb ereignet sich auch etwas anderes. Es treten zehn deutschnationale Abgeordnete aus, um die Volkskonservativen zu bilden34). Es traten 18 Sozialdemokraten aus, um eine Unabhängige Sozialdemokratie zu bilden35). Es traten einmal etwa 20 kommunistische Abgeordnete aus und gründeten eine kommunistische Arbeitsgemeinschaft36). Es entstehen große Komplikationen, wenn man hier sagen will, die Betreffenden sind nicht mehr berechtigt, ihr Mandat auszuüben. Das könnte höchstens für Einzelfälle vorgesehen werden. Da aber das andere auch geschieht, müssen wir, glaube ich, im gegenwärtigen Zeitpunkt davon Abstand nehmen. (Stock: Siehe CSU und Bayernpartei37)!) Vors. [Dr. Becker]: Hatten Sie einen Antrag formuliert, Herr Heile? Heile: Nein. Es war nur eine Anregung, weil das Gesetz jetzt anders geworden ist und die Formulierungen betreffend die Stellung der Parteien im Staate schärfer geworden sind. Deshalb habe ich mein Bedenken, das ich früher schon einmal vorgebracht habe, noch einmal vorgebracht. Vors. [Dr. Becker]: Die Ausführungen des Kollegen Löbe sind durchschlagend. Das Gebiet des Taktes geht immer weiter als das des formulierten Rechts. Man muß es dem Takt überlassen. Renner: In § 5 Ziff. 5 müßte es in richtigem Deutsch heißen: durch nachträgliche Feststellung eines geänderten Wahlergebnisses. Es kann sich nur die Feststellung ändern. Es kann sich herausstellen, daß das Wahlergebnis nicht richtig berechnet worden ist. Vors. [Dr. Becker]: Es kann auch eine Änderung des Wahlergebnisses eintreten, wenn zum Beispiel die Stimmabgabe in einer Gemeinde kassiert wird, weil etwa die Wahlurnen nicht in Ordnung waren oder ein sonstiger Fehler vorlag. 34) Unter der Führung von G. R. Treviranus traten am 3./4. Dez. 1929 in der Auseinandersetzung um das vom DNVP-Vorsitzenden A. Hugenberg angestrengte Volksbegehren gegen den
ten
Youngplan
am
28.
Jan.
zwölf
DNVP-Reichtstagsabgeordnete aus der Fraktion aus und gründeVolkskonservative Vereinigung (LzP Bd. 4, S. 423 ff.).
1930 die
35) Siehe oben Dok. Nr. 7, Anm. 18. 36) Unter Führung von Paul Levi und Ernst Däumig
am
20. Nov. 1921
gegründete Partei,
in
der sich in Reaktion auf den initiierten kommunistischen Aufstand in Mitteldeutschland und Hamburg KPD- und linke USPD-Politiker zusammenfanden. Die Kommunistische Arbeitsgemeinschaft (KAG) trat im April 1922 der USPD bei und schloß sich mit ihr im September 1922 wieder der SPD an. 37) Anspielung auf die zahlreichen Fälle, in denen CSU-Abgeordnete zur Bayern-Partei wechselten. 784
Fünfundzwanzigste Sitzung
5. Mai 1949
Nr. 28
Renner: Dann ist das Primäre immer noch die Feststellung dieses Tatbestandes. Das muß dann nachträglich festgestellt werden. (Schröter: Es müßte heißen: durch eine nachträglich festgestellte Ände-
rung.) Ja, es müßte heißen: durch
nachträglich festgestellte Änderung
eine
—
Wahlergebnisses.
des
Vors. [Dr. Becker]: Dann darf ich Einverständnis annehmen, daß § 8 Ziff. 5 launachträglich festgestellte Änderung des Wahlergebnisses. (Widerspruch erhebt sich nicht.) In § 8 Abs. 2 ist ein Schreibfehler zu korrigieren. Dort ist von dem Landtagspräsidenten die Rede. Es muß Volkstagspräsident oder Bundestagspräsident heißen. Dann darf ich annehmen, daß § 8 mit der redaktionellen Änderung angenomtet: durch eine
ist.
men
(Widerspruch erhebt sich nicht.) § 9: „Der Bundestag besteht aus 400 Abgeordneten, die in den Ländern des Bundes nach folgendem Verfahren gewählt werden." Dieser Satz kann wohl bleiben. Es heißt weiter: „Es wählen die Länder ." Heute sind noch zwei Nachrichten von Ländern mit etwas korrigierten Wahlziffern eingegangen. Das ist die dritte amtliche Wahlziffer, die ich von diesen Ländern habe. (Schröter: Bedeutende Unterschiede?) In Schleswig-Holstein war nach meiner Berechnung ein Unterschied von 29 000. Nordrhein-Westfalen meldet 12 720 689, wir hatten 12 719 000 eingesetzt. Bei 109 Abgeordneten spielt es keine Rolle30). Heiland: Ich halte es für ratsam, daß das Büro den Auftrag bekommt, die Zahlen noch einmal ordnungsmäßig zu überprüfen und sich mit Herrn Dr. Diederichs und Ihnen in Verbindung zu setzen. Vors. [Dr. Becker]: Dann haben wir die Ermächtigung, eine redaktionelle Korrektur vorzunehmen. (Widerspruch erhebt sich nicht.) dürfte mit dieser Maßgabe akzeptiert sein. §9 (Widerspruch erhebt sich nicht.) .
.
—
§10: In
jedem Wahlkreis
wird ein
Abgeordneter gewählt. Gewählt
ist
derjenige
Bewerber, der die relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt.
Wortmeldungen liegen nicht [3c.
vor.
Damit ist der
Verrechnung
Paragraph
angenommen.
der Mandate (§11)]
§11. Hier müssen wir auf die Fassung des alten Wahlgesetzes zurück39). § 10 Also hier: im folgendermaßen: „Alle im gesamten Bundesgebiet ..."
lautet
—
Zu den schwankenden Angaben über die he auch oben Dok. Nr. 12, Anm. 8. 39) Siehe oben Dok. Nr. 26.
38)
Bevölkerungszahlen der einzelnen Länder sie-
785
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Land „abgegebenen gültigen Stimmen werden zusammengerechnet und durch die Zahl geteilt." Da muß die Zahl eingesetzt werden, die im Land als Gesamtzahl festgesetzt ist. Es würde nur eins zuzusetzen sein. Es kann die Möglichkeit eintreten, daß, wenn man die Mandate der in den Wahlkreisen gewählten Abgeordneten abzieht, unter Umständen eine Partei zu kurz kommt. Sie könnte in den Wahlkreisen mehr Mandate erhalten haben, als sich bei dieser arithmetischen Nachrechnung ergibt. Wir müßten den Zusatz machen, daß die Zahl der in den Wahlkreisen errungenen Mandate auf jeden Fall gesichert bleibt, auch wenn dadurch die Gesamtzahl der für das Land vorgesehenen Mandate sich erhöht. Dr. Diederichs: Ich möchte vorschlagen, daß wir uns nicht an den § 10 des beschlossenen Gesetzes, sondern an den § 11 des erarbeiteten Vorschlages anlehnen, daß wir also für die Errechnung der Mandate im Land das d'Hondtsche System zugrunde legen. Das hat den großen Vorteil, daß wir nur eine einzige Rechnung brauchen. Sämtliche Stimmen im Land für sämtliche Parteien werden zusammengezählt. Dann werden durch die Teilung nach d'Hondt die Höchstzahlen ermittelt, und es wird querdurch gerechnet, was die Parteien bekommen. Davon werden die direkt erreichten Mandate abgezogen. So bekommt jede Partei ihre Mandate. Da die Zuteilung nach d'Hondt nicht nur das Mandat enthält, sondern auch die Reihenfolge, in der die Parteien auf ihre Höchstziffem die Mandate zugeteilt bekommen, ist es ganz klar, daß, wenn in der Mehrheitswahl ein Mandat mehr herausgekommen ist, derjenige das Mandat nicht bekommt, der die letzte Höchstziffer hat. Das heißt, wenn insgesamt 20 Mandate zu verteilen sind und eine Partei, die nach dieser Berechnung acht Mandate bekam, tatsächlich neun Mandate erobert hat, fällt eben derjenige aus, der bei der Höchstzahlverteilung die Nummer 20 bekommt. Denn der Sitz ist bereits an denjenigen weg, der dieses Mandat mehr erobert hat. Wir kommen, wenn wir eine Quote errechnen, ad 1 in jedem Lande zu einer verschiedenen Quote, was wieder zu großen Vergleichen usw. Anlaß gibt. Ad 2 kommen wir überall in jedem Lande bei der Teilung der aufgebrachten Stimmen der Parteien durch diese Quote wieder zu Resten; und das geht nicht voll auf. Es bleiben ein oder zwei oder drei nicht zur Verteilung gekommene Mandate übrig. Für diese müßten wir dann doch auf das Höchstzahlverfahren nach d'Hondt zurückgreifen, um diese restlichen Mandate noch an die Reststimmen der Parteien aufzuteilen. Wir kommen also zu einer viel komplizierteren Rechnung, die sich mit der einmaligen Aufrechnung der Höchstzahlen glatt erledigen läßt. Ich glaube also, das Höchstzahlverfahren ist das eindeutigste und klarste. Es geht immer ohne Rest auf. Vors. [Dr. Becker]: Als ich den Paragraphen vorlas, habe ich es nicht als einen Antrag meinerseits bringen wollen, sondern nur zur Erläuterung dessen, was wir beschlossen haben. Schröter: Ich habe gesagt, daß die CDU gegen alle Paragraphen stimmen wird, die sich mit dem Wahlsystem beschäftigen. Würde es sich aber um eine Entscheidung zwischen dem d'Hondtschen Verfahren und der Verteilung der Mandate auf Grund eines Wahlkoeffizienten handeln, wie wir das hier in dem al—
.
786
..
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ten Gesetz
festgelegt haben40), würden wir gegen das d'Hondtsche Verfahren stimmen. Renner: Eine Gefahr, daß eine Partei geschädigt würde, sehe ich bei der Verteilung 200 : 200 nicht. Das ist ein gutes Verhältnis. Nach dem, was man in den Ländern, die auf dieser Basis gewählt haben, gemerkt hat, kommt man damit
wohl überall zurecht. Eine Unklarheit sehe ich noch, die ich gern beseitigt wissen wollte. Ich verstehe den ersten Satz nicht ganz: „Alle im Lande abgegebenen Stimmen jeder Partei werden zusammengezählt". Da das eine Mandat mit einer erheblich geringeren Stimmenzahl gegenüber dem anderen Mandat erobert werden kann die müßte doch Linie man eine in besteht der finden, Regelung Möglichkeit daß man den Durchschnitt, den Wahlkoeffizienten errechnet. Das ist doch die allein anständige Lösung der Geschichte. Dann habe ich keine Bedenken, wenn man nach dem d'Hondtschen Verfahren weitermacht. (Frau Wessel: Dann kann man es ja nicht.) Das muß man dann doch. Man muß das doch jetzt offenhalten, weil im Endeffekt die Gefahr bestehen könnte, daß die Mandate, die an und für sich dem Land zur Verfügung stehen, nicht ausreichen. Man müßte für den Fall, daß solche Differenzen auftauchen, doch für die zwei oder drei letzten Mandate das d'Hondtsche Verfahren offenlassen. Dr. Diederichs: Herr Kollege Renner, Sie befinden sich in einem Irrtum. Es werden ja nicht Reststimmen verrechnet. Wenn es sich um Reststimmen handeln würde, d.h. wenn nur die nicht gewählten Abgeordneten in diese Verrechnung hineinkämen, dann wäre es richtig, daß eventuell der direkt gewählte Kandidat mit viel zu hoher Quote eingekauft hätte. Das ist aber nicht der Fall. Es werden alle Stimmen der Partei zusammengezählt. Wenn Sie wie in Nordrhein-Westfalen oder auch in einem Land, wo wir 10 oder 15 Mandate haben, das d'Hondtsche Verfahren bis zur 10. oder 15. Stelle durchrechnen unter 10 haben wir nur in Bremen; das ist das einzige Land, wo es nicht aufgeht haben Sie, wenn Sie es mit einer Quote vergleichen, fast haargenau dasselbe Ergebnis, mit dem einzigen Unterschied, daß Sie die Reihenfolge der Zuteilung der Mandate haben und keine Schwierigkeiten mit der Verwertung von übrig bleibenden Resten bekommen, für die man doch wieder das d'Hondtsche Verfahren anwenden müßte. (Frau Wessel: Das andere hatte einen Sinn bei der Bundesliste.) Sie rechnen in dem Land die gesamten Ja. Eine Bundesliste ist nicht da. mit den Teilziffern 1, Vi, Vi durch. Dann werden Stimmen, die aufgebracht sind, Sitze und die bereits eroberten Sitze werden abgezogen. Es ist die zugeteilt, der die praktisch Wahrung gleichmäßigen Verteilung, und zwar mit einem einin Rechenverfahren jedem Lande. Das ist das Bestechende an der Sache. zigen Wie gesagt, sobald man über die 10. Stelle bei dem d'Hondtschen Verfahren hinauskommt, liegt der Prozentsatz von aufzubringenden Stimmen, um beteiligt zu sein, bei 8 % oder bei weniger Wahlbeteilung noch geringer. Ich glaube also, —
,
—
—
—
,
—
—
—
40) Siehe oben Dok. Nr. 26. 787
Nr. 28
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wir kommen mit dem einzigen Rechenverfahren weiter. Es würde mich interessieren, Herr Kollege Schröter, welche Bedenken Ihre Fraktion, von dem Verhältnissystem ganz abgesehen, ausgerechnet gegen das d'Hondtsche Verfahren im Verhältnis zu einer errechneten Quote hat. Schröter: Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Errechnung des Wahlkoeffizienten für den Wähler einfacher und übersichtlicher ist. Dr. Diederichs: Nein. Das macht eine Doppelrechnung erforderlich, weil die Reste von den Stimmen bleiben, die wieder verteilt werden müssen. Es geht bei den Quotienten, die errechnet werden, nie voll auf. Nehmen wir an, es wird ein Quotient von 50 000 pro Mandat errechnet. Jetzt hat die eine Partei 48 000, kommt also nicht mehr heran; die andere hat noch 20 000. Jetzt sind noch zwei Mandate übrig, nachdem man verteilt hat. Bekommt der mit den 48 000 eins und der mit den 20 000 eins, oder der mit den 48 000, weil die Hälfte 24 ist und 24 mehr als 20 ist, alle beide und der mit den 20 000 keins? Schon bei der Berechnung der übrig bleibenden Reste unterhalb der Quote entsteht die Notwendigkeit, wieder ein Verhältnis herauszurechnen. Da bleibt einem nachher nur das Höchstzahlverfahren. Das kann man einfacher haben, wenn man es gleich querdurch rechnet. Es wird allen gerecht. Vors. [Dr. Becker]: Wird das Wort gewünscht? Dann wird es praktisch sein, jetzt zu formulieren. Das System ist jetzt nach dem Vorschlag von Dr. Diederichs anders. Dr. Diederichs: § 11 würde heißen: „Die übrigen Abgeordneten werden durch Berechnung nach dem Höchstzahlverfahren (d'Hondt) in folgender Weise gewählt: 1) Alle im Lande abgegebenen Stimmen jeder Partei werden zusammengezählt." Der nächste Satz muß dann gestrichen werden. (Von den Worten daraus nach d'Hondt „Von den" bis „erzielt hat".) Es muß weiter heißen: die Höchstzahl ermittelt und so die Zahl der jeder Partei zustehenden Mandate errechnet." Dann käme ad 2: „Die nach §10 Gewählten werden auf die Mandatszahl jeder Partei in Anrechnung gebracht." Vors. [Dr. Becker]: Dann käme ein weiterer Absatz. Dr. Diederichs: Es ist nichts weiter nötig. Das ist ganz klar. Es könnte noch ein Zusatz hin. Vors. [Dr. Becker]: Ich kann im Wahlkreis mehr erobert haben. Dr. Diederichs: Man könnte noch den Abs. 3 hinzufügen: „Mandate in den Wahlkreisen, die über die nach dem Berechnungsverfahren ermittelte Zahl hinausgehen, bleiben der Partei." Vors. [Dr. Becker]: Auch wenn dadurch die Gesamtzahl der Mandate in jedem —
.
Land überschritten wird. Dr. Diederichs: Nein, sie wird nicht überschritten. Der letzte fällt dann aus der Berechnung einfach aus. Kaiser: Die Frage muß gewissenhaft geprüft werden. Es kann passieren, daß Mandate, die in den Wahlkreisen erobert sind, wieder aberkannt werden. Dr. Diederichs: Nein. Hier wird gerade festgestellt, daß das nicht der Fall ist. Der im Wahlkreis Gewählte ist gewählt, daran ist nichts zu ändern. Vors. [Dr. Becker]: Ich glaube, wir reden etwas aneinander vorbei. Nehmen Sie an, Hamburg wählt 13 Abgeordnete, davon sieben in Wahlkreisen. Die sieben 788
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sind jetzt gewählt. Die Gesamtzahl der Stimmen einer jeden Partei steht fest. Jetzt wird nach d'Hondt die Gesamtzahl solange verteilt, bis 13 Mandate verteilt sind. Auf die 13 werden jeweils die Mandate in den Wahlkreisen abgerechnet, so daß wir sagen: eine Partei, die nach d'Hondt sechs Mandate erhält, aber vier Mandate in Wahlkreisen erhalten hat, bekommt nur noch zwei Mandate. Es könnte aber sein, daß eine Partei, die nach d'Hondt nur sechs Mandate bekommen hätte, in allen sieben Wahlkreisen gewonnen hat. Dann behält sie die sieben Mandate. Dr. Diederichs: Nummer 13 fällt aus. Dieselbe Partei kann es nicht sein. Wenn dieselbe Partei den Sitz Nummer 13 hat, fällt zwölf aus. Kaiser: Das ist unmöglich. Denken Sie an das Beispiel Berlin. Wenn wir in Berlin wählen würden, würde die SPD ja sämtliche 20 Mandate bekommen. Dr. Diederichs: Sie sprechen von dem reinen Mehrheitswahlrecht. Wenn Sie das in Berlin gehabt hätten, wären Sie leer ausgegangen. Kaiser: Wir haben den Fall in Nordrhein-Westfalen41). Die Union hat zwölf Mandate mehr bekommen und sie behalten. Das kommt in anderen Ländern genauso vor. Renner: Wir haben das, was Sie hier mit Recht kritisieren, in Nordrhein-Westfalen dadurch erreicht, daß wir eine gleitende Zahl der Abgeordnetensitze eingeführt haben. Auf Grund dieser Tatsache hat die CDU alle ihre Mandate, die sie über den Koeffizienten hinaus erobert hat, behalten. Aber wir sind über die Zahl 200 hinausgegangen. Das wäre meines Erachtens auch eine Konsequenz, zu der wir uns hier bekennen sollten. Wenn man dieses gemischte System bejaht, kann man doch nicht einem, der im Wahlkreis direkt gewählt worden ist, zumuten, im Endeffekt auszuscheiden. Man erzielt aber auch keine Gerechtigkeit den anderen Parteien gegenüber, wenn man ihnen dadurch eine Chance verdirbt, daß man die Berechtigung der direkt eroberten Mandate anerkennt. Dann muß man zur gleitenden Abgeordnetenzahl kommen. Das haben wir in Nordrhein-Westfalen. Das hat sich absolut bewährt. Wir haben einige Sitze mehr bekommen, als wir ursprünglich vorgehabt haben. Schröter: Wir sind in die Ausarbeitung des d'Hondtschen Verfahrens eingetreten, ohne die Meinung des Ausschusses erfragt zu haben. Ich habe vorhin die Erklärung abgegeben, daß wir dagegen sein werden. Ich stelle infolgedessen den Antrag, es bei der im ursprünglichen Gesetz beschlossenen Regelung zu belassen. Ich bitte, diesen Antrag zunächst zur Abstimmung zu stellen. Wenn dieser Antrag angenommen wird, wird sich die Debatte über d'Hondt vielleicht
erledigen. Vors. [Dr. Becker]: Wir waren dabei, den Antrag, den Herr Dr. Diederichs umschrieben hat, zu formulieren. Bei der Formulierung des Schlußabsatzes, bei der Anrechnung des eventuell letzen Mandats hat sich eine Debatte entwickelt. Wir haben den Antrag des Herrn Kollegen Schröter gehört. Ich muß loyalerweise Herrn Dr. Diederichs auch die Gelegenheit geben, seinen Antrag zu formulieren, damit die beiden Anträge vorliegen.
41) Zum Wahlergebnis
in
Nordrhein-Westfalen, siehe oben Dok. Nr. 3, Anm. 46. 789
Nr. 28
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Schröter: Mein Antrag, es bei der alten Regelung zu belassen, ist der weitergehende. Vors. [Dr. Becker]: Dann müßten wir wegen der Ziffern usw. etwas formulieren.
(Schröter :Ja.) Heiland: Ich möchte doch einige Dinge klären, die nicht klar genug sind. Von dem Herrn Kollegen Kaiser sind einige Punkte in die Debatte geworfen worden, zunächst Berlin. Meiner Meinung nach sind Sie bei der Wertung von Berlin von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Nach dem Stand vom Dezember 1948 hat die SPD 66% der Stimmen erobert42). Mit den 66% der Stimmen könnte sie in der direkten Wahl im Höchstfall 50 % der Mandate bekommen. Sie vergessen, Herr Kaiser, daß 50 % der Mandate in direkter Wahl verteilt werden, während die anderen 50 % der Mandate nachher in der Verrechnung verteilt werden. Also die SPD wird sogar mit 16 % ihrer Stimmen in die Reserveliste oder die Landesliste hineingehen und wird von den 20 Mandaten, die nachher noch verteilt werden, einen Teil abbekommen. Bei Berlin würde also Ihr Argument ausfallen, weil Sie meiner Meinung nach von falschen Voraussetzungen ausgehen. Anders könnte es sein, wenn man Hamburg zugrunde legt. Die Sozialdemokratische Partei hat nach dem augenblicklichen Stand in Hamich kenne die Dinge burg etwas über 40 % der Stimmen43). Es könnte sein nicht, ich unterstelle jetzt einmal daß die Sozialdemokratie in Hamburg mit den etwas über 40 % der Stimmen in der direkten Wahl sämtliche Mandate erobert. Dann würde sie vielleicht um 7 % zu günstig dastehen, weil sie vorher 50 % der Mandate abgeschöpft hätte, jetzt würde das eintreten, was Herr Dr. Diederichs sagt, daß nachher bei der Verrechnung nach d'Hondt vielleicht die CDU oder irgendeine andere Partei auf das 13. Mandat, das die SPD erhalten hat, da sie alle sieben bekommen hat, obwohl ihr nur sechs zustanden, verzichten muß. Das kann der CDU in Hamburg passieren. In Nordrhein-Westfalen oder irgendwo anders kann es der SPD passieren. Sie gehen auch von einer falschen Voraussetzung aus, wenn Sie NordrheinWestfalen als Beispiel heranziehen und sagen: Die CDU hat 16 Mandate mehr bekommen. Die CDU hätte die 16 Mandate nicht mehr bekommen, wenn wir das Verhältnis gehabt hätten, das wir zugrunde legen, nämlich 50 : 50. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist das Verhältnis so gewesen, daß 75 % in direkter Wahl und 25 % in Verrechnung gewählt wurden44). Dadurch kommt also auch der hohe Überschuß der CDU mit den direkt eroberten Mandaten zustande. Wenn wir 50 : 50 gehabt hätten, hätte die CDU in diesem Landtag nicht ein Mandat mehr bekommen, als ihr nach einer Quote zusteht. Damit will ich folgendes ausdrücken. Dadurch, daß wir das Verteilungssystem von 50 : 50 —
,
—
42) Das amtliche Endergebnis der Berliner Stadtverordnetenwahl vom 5. Dez. 1948 lautete: SPD 64,5 %, CDU 19,4 %, FDP 16,1 % (Schachtner, Nachkriegswahlen, S. 39). 43) Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl vom 13. Okt. 1946 errang die SPD 43,1 %, die CDU 26,7 %, die FDP 18,2 % und die KPD 10,4 % der abgegebenen gültigen Stimmen
(Schachtner, ebenda). 44) Zum nordrhein-westfälischen Landeswahlgesetz siehe oben Dok. 790
Nr. 4, Anm. 24.
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haben, sind die Möglichkeiten viel kleiner geworden, ein überschüssiges Man-
erobern. Es ist dadurch etwas größer geworden, daß wir nicht mehr den Bundesausgleich haben. Wenn wir noch den Bundesausgleich hätten, wäre es fast ausgeschlossen, überschüssige Mandate zu bekommen. Dann könnte vielleicht die Deutsche Partei in Niedersachsen oder irgendwo eine kleine, aber zentral angesetzte Partei diesen Vorteil haben. Bei großen Parteien käme es überhaupt nicht in Frage. Jetzt kann es bei der einen oder anderen großen Partei, wo sie sehr massiv auftritt, mit ein oder zwei Mandaten auch passieren. Das gleicht sich anders wieder aus. Das ist der Mangel der einschränkenden Anordnungen, die die Militärregierungen gegeben haben. Das werden wir in Kauf nehmen müssen. Ich werde mich den Ausführungen von Dr. Diederichs anschließen, wenn ich auch nicht bestreiten will, daß es nicht so klar ist, wie wir es gewünscht haben. Das ist darauf zurückzuführen, daß wir auf Länderbasis beschränkt sind. Die Verrechnung nach d'Hondt ist erstens klarer. Auch rechnen wir mit der Möglichkeit, hier und da einen Ausgleich zu schaffen. Auf der anderen Seite müßte es Ihnen (zu dem Abg. Schröter) nach Ihrer grundsätzlichen Einstellung sogar sympathisch erscheinen, daß hier und da jemand in direkter Wahl etwas über das Maß dessen hinaus bekommt, was ihm nach dem Verhältniswahlrecht zusteht. Das kommt dem System des Mehrheitswahlrechts entgegen und könnte von Ihnen nach Ihrer grundsätzlichen Einstellung nur bejaht werden. Ich empfinde einen gewissen Schönheitsfehler. Ich bin aber bereit, mich damit abzufinden, weil die realen Verhältnisse durch den Einspruch der Militärregierungen sich verlagert haben und es immerhin eine mögliche Lösung in sich schließt. Wenn wir es von dieser Seite aus sehen, kann man sich also den Ausführungen von Herrn Dr. Diederichs anschließen. Vors. [Dr. Becker]: Zwei Fragen sind jetzt zu lösen. Die eine Frage ist: Soll die Verrechnung ganz schematisch nach d'Hondt oder einem Wahlquotienten erfolgen? Die zweite Frage ist: Soll, wenn über die Gesamtzahl der Mandate für jehindes Land ganz gleich, ob nach d'Hondt oder nach dem Quotienten aus ein Mandat herauskommt, dieses darüber hinaus dem betreffenden Land noch zustehen, oder geht es nach dem System: „Den letzten beißen die Hunde" dem letzten ab? So ist die Frage wohl richtig formuliert? (Dr. Diederichs: Ja.) In diesem Zusammenhang bitte ich, sich noch den § 9 des Entwurfs anzusehen. Wir hatten dort bei den ungraden Zahlen die Zahl der Mandate in den Wahlkreisen erhöht. Wenn Sie diese Befürchtung haben, müßten wir in § 9 gerade umgekehrt verfahren. Dann wäre das Risiko, daß sich da Fehlrechnungen ergedat
zu
—
—
ben, geringer.
Dr. Diederichs: Bei der Parole: „Den letzten beißen die Hunde" ist es gerade bei dem d'Hondtschen Verfahren nicht immer unbedingt eine der kleinen Parteien. Die Hälftelung oder Drittelung oder Viertelung einer kleinen Partei kann bei der Verteilung immer noch gerade über der Zehntelung oder Fünfzehntelung der großen Partei liegen. Die Mandate werden also nach den Höchstzahlen durch eins, zwei, drei so verteilt, daß immer der mit dem höheren Teilquotienten an die Reihe kommt. Es trifft also nicht einseitig irgendeine Partei, son791
Nr. 28
dem
Fünfundzwanzigste Sitzung
jeweils
am
Schluß
diejenige,
5. Mai 1949
die
nun
gerade
das letzte Mandat bekommt.
Das Mandat liegt nicht nur für die Partei, sondern auch der Reihenfolge nach fest. Ich erinnere daran, daß wir die Beschickung von Frankfurt in den Parlamenten nach der Stärke der Fraktionen vornehmen mußten. Als in Frankfurt die Ziffer verdoppelt wurde45), trat bei uns in Niedersachsen folgende Frage auf: Schicken wir die acht Vertreter einfach in derselben Zusammensetzung noch einmal nach Frankfurt oder rechnen wir jetzt von 1 bis 16 durch? Das Ergebnis war folgendes: Wenn wir noch einmal acht Vertreter hinschickten, kamen noch einmal vier Sozialdemokraten, zwei Herren von der Deutschen Partei und zwei Herren von der CDU hin. Rechneten wir nun aber neu von 1 bis 16, so blieb die Ziffer für die SPD die gleiche, es wäre aber als Nummer 9 die FDP erstmalig drangekommen und als Fall Nummer 15 die KPD. Die Durchrechnung von 1 bis 16 war an sich das korrektere Verfahren. Ich habe seinerzeit im niedersächsischen Landtag beantragt, eine Neuberechnung querdurch vorzunehmen46). Das wurde aber damals von der CDU und der Deutschen Partei abgelehnt, weil diese in diesem Falle je auf ein Mandat zugunsten der FDP und der KPD hätten verzichten müssen. (Stock: Wo bleibt da die Demokratie?) Das ist eine andere Sache. Ich wollte damit nur sagen, der Gerechtigkeit wird bei d'Hondt, wenn die Zahl nur einigermaßen groß ist, in jeder Weise Rechnung getragen. Es kann sich keiner beklagen, wenn er mit der letzten Teilhinten ausfällt. Das ist das Opfer, er fällt ja nicht vollkommen weg ziffer das wir dieser Kombination bringen müssen. Renner: Das d'Hondtsche Verfahren ist an und für sich ein sauberes Verfahren. Aber die Möglichkeiten, die hier von Herrn Kaiser angedeutet worden sind, sind beachtenswert. Diese Möglichkeit kann man, ohne sich irgendwie weh zu tun, aus der Welt schaffen, wenn man oben schreibt: Der Bundestag besteht —
—
—
mindestens 400 Abgeordneten, und dann den Nachsatz bringt: Falls sich bei der Errechnung die Notwendigkeit herausstellen sollte, daß eine Partei auf ein Mandat verzichtet, erhöht sich in dem Land die Zahl der Abgeordnetensitze. Kaiser: Das können wir nicht machen. Es ist von den Militärgouverneuren vorgeschrieben. Wir können keine verschiebbare Zahl bringen47). Renner: Wir können doch sagen: mindestens 400. So haben wir es in Nordrhein-Westfalen. Das hat sich bewährt. aus
45) Gemeint ist die Verdoppelung der Abgeordnetenzahl im Wirtschaftsrat (siehe auch oben Dok. Nr. 12, Anm. 67).
46) Niedersächsischer Landtag, Sten. Prot., oben S. 378). 47) Siehe hierzu oben Dok. Nr. 27.
1.
WP, 31. Sitz,
vom
10. März 1948, S. 1669
(vgl.
Fünfundzwanzigste Sitzung [3d. Diskussion der Anträge
zu
5. Mai 1949
Nr. 28
§ 11]
mit Rücksicht auf eine für 11 Uhr angesetzte die Sitzung des Wahlrechtsausschusses um der CDU/CSU48) Fraktionssitzung 11.15 Uhr zu beenden und am Freitag, dem 6. Mai 1949, 9 Uhr, wieder zusammenzutreten, wird nicht entsprochen. Die Abg. Mayr und Blomeyer übertragen daraufhin ihre Stimme auf den weiterhin an der Sitzung teilnehmenden Abg. Schröter. Zur Formulierung der Anträge zu § 11 wird die Sitzung für 10 Minuten unterbrochen. Vors. [Dr. Becker]: Der Antrag des Abg. Schröter lautet: (1) Alle im Land abgegebenen gültigen Stimmen werden zusammengerechnet und durch die Gesamtzahl der im Land zu wählenden Abgeordneten
Dem
Antrag des Abg. Schröter,
geteilt (Wahlzahl). (2) Die für jede Partei abgegebenen gültigen Stimmen werden gleichfalls zusammengerechnet und durch die Wahlzahl geteilt. Von der so ermittelten Mandatzahl werden die für jede Partei in den Wahlkreisen gewonnenen Mandate abgerechnet. (3) Die hiernach jeder Partei noch zustehenden Sitze werden ihr nach der Reihenfolge ihres Landesergänzungsvorschlages zugeteilt. (4) Sind für eine Partei in den Wahlkreisen mehr Abgeordnete gewählt, als ihr nach Abs. 2 zustehen würden, so verbleibt es bei der in den Wahlkreisen gewonnenen Zahl. Die Gesamtzahl der im Land zu wählenden Bundestagsabgeordneten erhöht sich entsprechend. Dr. Diederichs: Nach meinem Vorschlag würde der gleiche Paragraph folgendermaßen lauten: Die übrigen Abgeordneten werden durch Berechnung nach dem Höchstzahlverfahren (d'Hondt) in folgender Weise gewählt: 1) Alle im Land abgegebenen Stimmen jeder Partei werden zusammengezählt, daraus nach d'Hondt die Mandate jeder Partei errechnet. 2) Nach Abzug der in dem Wahlkreis gewählten Kandidaten erfolgt die Zuteilung der Mandate aus den Landesergänzungsvorschlägen in der dort
festgelegten Reihenfolge.
3) Mandate einer Partei, die im Wahlkreis erobert wurden, bleiben erhalwenn nach der Berechnung weniger Abgeordnete auf sie entfal-
ten, auch
len49).
um 11.30 Uhr. Auf Vorschlag des Berliner Vertreters Jakob Kaiser beschloß die Fraktion mit der SPD nochmals in Verhandlungen über das Wahlsystem zu treten. Als Verhandlungsteilnehmer wurden außer dem später hinzutretenden Schröter noch die Abgeordneten Süsterhenn, Pfeiffer und Adenauer bestimmt (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 548 f.). Eine Aufzeichnung über diese Unterredung konnte nicht ermittelt werden. Angesichts der Verabschiedung des Wahlgesetzes nur wenige Tage später am 10. Mai in der damals vorliegenden Fassung ist dafalls sie tatsächlich stattgefunden haben von auszugehen, daß die Verhandlungen sollten scheiterten. 49) Die Anträge Schröter und Diederichs wurden als Anlage 2 dem Kurzprotokoll der 25. Sitzung des Wahlrechtsausschusses beigefügt. Vgl. Drucks. Nr. 930.
48) Die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion begann
—
—
793
Nr. 28
Fünfundzwanzigste Sitzung
5. Mai 1949
Vors. [Dr. Becker]: Wir kennen den Sinn der Anträge. Ich schlage vor, jetzt über die Anträge abzustimmen. Je nachdem, welcher Antrag angenommen wird, wird noch einmal redigiert. Dr. Diederichs: An sich habe ich keine Bedenken gegen den Antrag von Herrn Schröter. Aber so bestechend es ist, die Mandate, die in der Wahlkreiswahl mehr herausgekommen sind, noch einmal dranzuhängen, ist es doch so, daß es sich hier um Landeswahl in jedem Lande handelt. Das würde also bedeuten, wenn in irgendeinem Land eine sehr stark geballte Gruppe vorhanden ist, die, wollen wir einmal annehmen, sechs oder sieben Mandate mehr erringt, als ihr in einem größeren Lande zustehen, würde dieses Land im Bund von sich aus durch dieses Ergebnis mit dieser Zahl mehr vertreten sein, als ihr nach der Berechnung über die Bevölkerung zusteht. Wir haben nämlich die Zahlen, die den Ländern zustehen, hier festgesetzt, errechnet auf der Quote der Bevölkerung. Allein durch dieses Zufallsergebnis würde ein solches Land zu soundso viel Mandaten im gesamten Bund mehr kommen, ganz abgesehen davon, daß das die Gesamtzahl des Parlaments erhöhen könnte. Das wäre unbedenklich. das könnte nur bei Aber hier würden einzelne Länder durch solchen Zufall kleinen kommt das bei wahrscheinlich kaum den großen Ländern der Fall sein, hinaus ihr normales Gewicht in Frage über Abgeordnete in den Bundestag entsenden. Das wäre das Bedenken, das ich dagegen hätte. Vors. [Dr. Becker]: Es konzentriert sich auf die Frage: Sollen wir Gefahr laufen, daß ein Land eventuell einmal mehr Abgeordnete hat, oder sollen wir Gefahr laufen, daß eventuell eine Partei in dem von Ihnen konstruierten Extremfall in einem Land praktisch ausfällt? Dr. Diederichs: Das wäre nur der Fall, wenn diese Partei nur ein einziges Mandat bekommt. Sobald sie zwei Mandate bekommt, hat sie schon zwei Teilungsziffern. Dann ist sie mit der ersten auf jeden Fall drin. Nur das zweite Mandat, das schon auf die Hälfte der Mandate zugeteilt ist, würde wegfallen. Das würde nur der Extremfall für eine Partei mit einem einzigen Mandat sein. Sie könnte zufällig das einzige Mandat als letzte Teilziffer bekommen, was auch nicht einmal wahrscheinlich ist. Renner: Ich sehe keine Gefahr darin, daß irgendein Land auf Grund Ihres Vorschlages, Herr Schröter, mit einer höheren Anzahl von Abgeordneten im Volkstag vertreten ist. Aber ich sehe in Ihrem Vorschlag eine andere Gefahr. Sie vermeiden mit Ihrem Vorschlag nicht, daß eine Partei infolge der Tatsache, daß wir ein Mehrheitswahlsystem haben, eine über das Normale hinausgehende Anzahl von Mandaten erobert. Sie schädigen aber die kleinen Parteien. Ich habe soeben noch einmal die Zahlen verfolgt, die ich mir für die ursprünglichen Berechnungen errechnet hatte. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß in den Ländern, wo eine geballte Partei Mandate bekommt, d.h., wo eine Partei besonders stark ist, diese von vornherein die große Chance hat, mehr Mandate zu erobern, als ihr normalerweise zufallen würden. Wenn ich dabei noch berücksichtige, daß in Ihrem Verteilungsschlüssel bei ungerader Zahl der Abgeordneten die Zahl der in den Wahlkreisen zu verteilenden Mandate immer um 1 erhöht ist, ergibt das meines Erachtens ein unerträgliches Plus für die betreffende starke Partei. Wenn also irgendwo eine Partei es fertigbringt, zum Beispiel 45 % —
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aller Stimmen auf sich zu vereinigen, erobert sie die ganzen Wahlkreise. Man kann auch noch ein bißchen Wahlarithmetik machen. Man kann auch ein bißchen die Wahlkreise so einteilen, daß man da noch ein bißchen managen kann. Das haben wir doch schon vor drei Jahren gewußt50). Warum soll man das bestreiten? Das macht man auch heute noch. Da muß ich Ihnen einige alte Zentrumsarithmetiker51) ins Gedächtnis zurückrufen. Das war eine große Kunst gerade beim alten Zentrum. An Ihrem Vorschlag, Herr Schröter, ist das eine für mich sympatisch. Wenn wir gleitende Abgeordnetenziffern einführen, so ist das die gerechtere Lösung, vor allen Dingen auch für die kleineren Parteien. Diese die eine in einem Land besonich sage das ganz offen Lösung schädigt ders stark in Erscheinung tretende Partei. Es ist also eine gerechtere Lösung des Problems. Ich stimme in diesem Fall für den CDU-Antrag. Schröter: Ein kurzes Wort zu den Ausführungen von Herrn Dr. Becker und Herrn Dr. Diederichs. Die beiden Herren werden eins nicht bestreiten wollen: Die von ihnen vorgeführten Fälle sind ganz bestimmt Extremfälle, die höchstwahrscheinlich nie oder nur selten in Erscheinung treten. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, die vorliegenden Anträge von diesen Extremfällen aus zu bewerten. Vors. [Dr. Becker]: Ich wollte nicht bewerten, sondern nur die Antithese herausarbeiten, die in den beiden Anträgen liegt. Dr. Diederichs: Ich bin nicht stur genug, um mein Verteilungssystem, zumal ich der Auffassung bin, daß es von dem des Herrn Schröter im Endeffekt nicht wesentlich abweicht, nun mit aller Gewalt durchdrücken zu wollen. Aber ich vermisse in Ihrem Antrag, Herr Schröter, eins: Was geschieht mit den Mandaten, die nicht verteilt sind, mit den überschüssigen Reststimmen? Wenn Sie diese Rechnung der Quoten vornehmen, haben Sie plötzlich von den noch zu verteilenden 30 Sitzen nur 26 verteilt und haben keine volle Quote mehr, weil die Stimmen, die noch vorhanden sind, sich auf alle Parteien so verteilen, daß keiner eine volle Quote hat. In Ihre Version muß noch ein Passus hinein, der das regelt. Es ist die Frage, ob das Höchstzahlverfahren für diese Reste noch eingeführt werden soll oder ob das einfach nach der Höhe der Reste geht. Wenn nur 4 Sitze übrig sind und vier Parteien einen Rest haben, kann es passieren, daß die eine Partei das Mandat für 40 000 Reststimmen kauft und die andere Partei für 350 Reststimmen. Wenn man mit Höchstzahlen rechnet, kriegt die Partei mit 40 000 Reststimmen alle Restmandate. Dann kommt man dahin, daß einer mit einem sehr hohen Rest gegenüber den anderen den ganzen Rest kassiert. Da wird d'Hondt dann gefährlich. Wenn man annimmt, es ist nach der Quote an alle verteilt und die eine Partei behält 40 000 übrig, es sind noch vier —
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50) D.h. bei der Einteilung der Wahlkreise in den Ländern. der Stimmenanteil der Zentrumspartei sank von 27,9 % 51) Trotz der ständigen Verluste
(1874) kontinuierlich auf 16,4 % (1912) konnte das Zentrum die Anzahl der Reichstagsmandate erstaunlicherweise halten. Aufgrund des hohen Grades der regionalen Konzentration hatte das Zentrum von allen Parteien die größte Zahl „bombensicherer" Wahlkreise. So lag seit 1878 der Anteil an Mandaten um bis zu 8,1 % regelmäßig höher als der an Stimmen (Johannes Schauff: Das Wahlsystem des Deutschen Reichs und die Zentrumspartei, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.): Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 299-309). —
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Sitze da, die anderen Parteien haben noch 9000, 7000 und 6000 Reststimmen, dann kriegt die eine Partei auf 40 000 das erste, auf 20 000 das zweite auf 15 000 das dritte und auf 10 000 das vierte Mandat. Die Partei mit den 40 000 Reststimmen verdient die vier Restmandate, und alle anderen Parteien fallen hinten herunter. Das ist eine Möglichkeit, die bei den kleinen Resten, die entstehen können, gar nicht abwegig ist. Schröter: Ich gebe zu, daß darin ein gewisser Schönheitsfehler liegt. Wo werden wir aber ein System herausklügeln, das wirklich bis zum Letzten den Anforderungen der Gerechtigkeit genügt? Man könnte es beispielsweise so maich glaube, so war es in dem Wahlrecht der Weimarer Verfassung, wo chen auf 60 000 ein Mandat entfiel : Man kann sagen, Reste über 30 000 ergeben noch ein Mandat. Das wäre, wenn man es bis zum letzten Ende ausschöpfen wollte, eine Möglichkeit52). Aber darauf lege ich keinen Wert. Vors. [Dr. Becker]: In den Antrag von Herrn Schröter muß noch der Zusatz hinein, daß, wenn die Teilung durch die volle Wahlzahl zur Ausschöpfung der Mandatszahlen nicht führt, die Reststimmen herangeholt werden. Dann müssen wir sagen, ob es bloß nach dem Nennwert bzw. dem inneren Wert nach d'Hondt geht oder ob das, was unter der Hälfte ist, nicht mitzählt. Schröter: Die Logik meines Antrages würde die sein, daß man dann nach den Zahlen geht. —
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(Vors. [Dr. Becker]: Ja.)
Dr. Diederichs: So daß also jeder, der noch einen Rest hat, solange nach der Höhe des Restes ein Mandat bekommt, als noch Mandate da sind.
(Schröter: Ja.)
machen. Es würde auf der anderen Seite so sein, daß man mögim direkten Wahlkampf usw. Übermandate verdient sind, diese licherweise, nicht mehr zu errechnen braucht. Auf der anderen Seite wird jedes Land den Wunsch haben, die ihm zustehende Mandatziffer voll auszuschöpfen. Man wird keinem Land zumuten können, daß es vier Mandate insgesamt weniger bekommt, weil es sehr viele kleine Reste hat. Heiland: Das hat einen Schönheitsfehler. Wenn wir nur nach den vorhandenen Resten verteilen, kann es passieren, daß irgendein Einzelkandidat, der unter „ferner liefen" läuft und gar keine Resonanz in seinem Wahlbezirk erlangt hat, durch die Reststimmenverteilung vielleicht mit 3000 Stimmen noch ein Mandat erobert, das er sonst nie kriegen würde. Stock: Das geht deshalb nicht, weil die Reststimmen auf Wahlkreislisten verteilt werden. Der Einzelgänger kann nur zum Zuge kommen, wenn er in seinem Wahlkreis direkt gewählt wird. Er kommt bei der Verteilung der Reststimmen nie zum Zug. Deshalb scheidet das, was Herr Heiland gesagt hat, aus. (Heiland: Ich bin überzeugt.) Aber ich gebe zu, daß in beiden Systemen, sowohl in dem System von Herrn Dr. Diederichs als auch in dem von Herrn Schröter, große Gefahren liegen. Ich will Ihnen jetzt bayerische Verhältnisse schildern. Wir haben in Bayern zwei Das kann
man
wo
52) § 796
31
RWahlG
1924
(RGBl. S. 159).
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Parteien, die sich
nur auf beschränkte Wahlkreise gründen; das ist die BayernPartei und die Partei des Herrn Loritz53). Die Bayern-Partei ist in Niederbayern und in Oberbayern, die Partei des Herrn Loritz ist in der Oberpfalz und in Schwaben. Die würden bei der direkten Wahl mehr Mandate bekommen, als ihnen im Landesdurchschnitt zusteht. Sie könnten unter Umständen noch einen Rest von 350 Stimmen haben. Bei Ihrem Vorschlag, Herr Schröter, würde die CDU mit 40 000 Reststimmen, die SPD mit 30 000 Reststimmen und die WAV mit 350 Reststimmen je ein Mandat erhalten. So können wir es auch nicht machen. Wir müssen einen Modus finden, daß die Reststimmen mindestens die Hälfte der Teilungsziffer sein müssen. Sonst besteht die Gefahr, daß der eine ein Restmandat mit 40 000 Stimmen bekommt, der andere mit 30 000 Stimmen und der dritte und vierte mit 600 und 500 Stimmen. Schröter: Wenn nun diese Hälfte nicht erreicht ist, ist die Folge, daß ein Land ein Mandat weniger hat. Vors. [Dr. Becker]: Ich darf zu einer Vermittlung kommen. Gerade die letzte Debatte hat mich in der Erwägung bestärkt, daß das d'Hondtsche Verfahren das klarere ist. Die zweite Frage ist aber die: Soll eine Partei dadurch zu kurz kom-
daß man es auf die Gesamtzahl der dem Land überlassenen Mandate beschränkt oder nicht? Wir könnten eventuell die Debatte so weiterführen, daß wir sagen, die Partei als solche soll nicht zu kurz kommen. Wir könnten für diesen Ausnahmefall einmal eine Überschreitung der festgesetzten Zahlen zulassen. Ich bitte, das mit zu erwägen. Dr. Diederichs: Bezüglich der Abrechnung in den einzelnen Ländern sind uns durch die Auflage Grenzen gezogen, und eine Generalabrechnung über das Bundesgebiet, die normalerweise bei einer Bundeswahl nach unser aller Empfinden das Gesunde gewesen wäre, ist nicht möglich, weil aus gewissen Interessen, auf die man außerhalb unserer Grenzen Rücksicht nimmt, wieder einmal sehr stark das Partikulare unterstrichen werden soll, damit um Gottes willen nicht der Gedanke aufkommt, wir könnten auf einem Umweg über das Wahlrecht zentralistisch werden. Kurz und gut, es ist so, daß wir gewisse Mängel in Kauf nehmen müssen, gegen die einfach kein Kraut gewachsen ist. Ich hoffe, daß wir darüber, da wir ein einmaliges Wahlrecht machen, später hinwegkommen können, wenn wir uns in den Bundesparlamenten mit der Frage des kommenden Wahlrechts befassen. Damit werden wir uns immer wieder befassen müssen; denn eine Patentlösung gibt es auf dem Gebiet nicht. Ich empfehle deshalb, daß wir diese kleinen Mängel, die wir überall herausrechnen können, nicht in lauter theoretischen Fällen zum Prinzip erheben, sondern einmal auf das große Ganze sehen und fragen, welches das plausibelste und einfachste Verfahren ist. Da bitte ich zu entschuldigen, wenn ich so eitel bin, mir einzubilden, daß das d'Hondtsche Verfahren eine einmalige Rechnung darstellt. Ich freue mich, daß auch Herr Dr. Becker den Eindruck hat, daß das letzten Endes auf die einfachste Weise zur Verteilung der zur Verfügung stehenden Mandate führt, weil man nichts mit Resten usw. zu tun hat. Es wird eben durchgerechmen,
53)
Zur Partei Loritz siehe oben Dok. Nr. 6, Anm. 46.
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net, und die Mandate werden verteilt, wie sie dem Lande zustehen. Jedes Land bekommt wirklich das, was ihm zusteht. Dabei leisten auch wir insofern einen Verzicht, als wir die Chance des relativen Mehrheitswahlrechts tatsächlich bestehen lassen. Das ist ein leichter Verzicht auf die definitive Durchführung der Verhältniswahl. Wenn Sie das Ihrer Fraktion klarmachen könnten, würden Sie vielleicht sogar dahin kommen, Ihrer Fraktion wenigstens eine Stimmenthaltung abzuringen, was für den Gesamtaspekt unseres Wahlrechts doch von wesentlich angenehmerer Bedeutung wäre, als wenn es wieder mit einer kleinen von deren MeMehrheit in die Welt hinausgeht und der Wählergesellschaft thoden auch Ihr Freund Kaufmann sehr ernsthaft abgerückt ist54) wieder neues Wasser auf die Mühle gibt. Dann entsteht ein neues Geschrei: Das Volk muß über das Wahlrecht usw. entscheiden55), als ob auch nur ein Bruchteil des Volkes eine entfernte Ahnung davon hätte, was diese Systeme nebeneinander wirklich bedeuten. Ich möchte deshalb bitten, jetzt eine Entscheidung zu treffen, welche Form wir wählen können. Wie gesagt, es lockt mich Ihr Hinweis darauf, daß man durch die zu viel erworbenen Mandate in der direkten Wahl nachher Zusatzmandate kriegen möchte, was unserem Wunsch nach dem Verhältniswahlrecht wieder entgegenkäme. Auf der anderen Seite sehe ich darin wieder einige Schwierigkeiten und eine Komplizierung und möchte hier gern auch die Verbeugung vor den Freunden des Mehrheitswahlrechts machen. Vors. [Dr. Becker]: Es würden zwei Fragen zu entscheiden sein. Das eine ist die Frage der Abrechnung nach d'Hondt entsprechend dem Vorschlag von Dr. Diederichs oder die Abrechnung nach der Wahlzahl entsprechend dem Vorschlag und bitten, darvon Herrn Schröter. Ich möchte aber eine Unterfrage stellen über getrennt abzustimmen —, nämlich die Frage, ob die Höchstzahl der Mandate, die für das Land vorgesehen ist, unabänderlich ist oder eventuell überschritten werden kann, wenn in den Wahlkreisen mehr erworben ist. Ich muß hinzufügen, ich stimme hier nur für mich persönlich und muß nach meinem —
—
—
a. Fraktionsintern hatte Kaufmann schon am 13. Okt. die Einführung des von der Deutschen Wählergesellschaft propagierten relativen Mehrheitswahlrechts erhoben (Salzmann, Die CDU/CSU im Pari. Rat, S. 76). Dennoch bekannte er noch in einem Brief an die DWG vom 13. Sept. 1948, daß ihre Ziele „zum größten Teil von mir gebilligt werden" (ACDP 1-071-023/5). 55) In Ihrer Resolution vom 4. Feb. 1949 hatte sich die DWG dafür ausgesprochen, ein Referendum über das künftige Wahlgesetz abzuhalten (BA Z 12/55, Bl. 271). In der Überzeugung, daß sich die öffentliche Meinung eindeutig für das Mehrheitswahlsystem entscheiden würde, wandte sich die DWG mit dieser Forderung am 6. März 1949 in einer symbolträchtigen Veranstaltung, an der auch Kroll und Luther teilnahmen, in der Frankfurter Paulskirche an die Öffentlichkeit (Mitteilungen 2/49, S. 1 ff.). Die hier verabschiedete Entschließung schickte Walk auch an die Ministerpräsidenten der Länder und wies zugleich nochmals darauf hin, daß es sich bei der Wahlrechtsproblematik um eine „deutsche Lebensfrage, aus der Misere der Koalitionsdemokratie herauszukommen", handele (Walk an Stock vom 10. März 1949, BA Z 12/55, Bl. 245). Der Weg der Volksabstimmung, der vermutlich von Gerhard Schröder vorgeschlagen worden war, war aber auch in der CDU/CSU nicht unumstritten (Wahlrechtsausschußsitzung der CDU/CSU-Arbeitsgemeinschaft vom 19. 3. 1949, in: Kaff, Unionsparteien, S. 428).
54) Siehe oben Dok.
Nr. 21, TOP 2
1948 Bedenken gegen
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Gewissen entscheiden. Ich habe diese Fragen in der Fraktion überhaupt noch nicht durchgesprochen. Ich darf zunächst die erste Frage betreffend d'Hondt oder Wahlzahl stellen. Vier Stimmen. Wer Wer für d'Hondt ist, den bitte ich die Hand zu erheben. Fünf Stimmen. Dafür die Wahlzahl ist, den bitte ich die Hand zu erheben. mit ist mit fünf : vier Stimmen die Wahlzahl angenommen. Die zweite Frage: Soll die Gesamtzahl der für jedes Land vorgesehenen Sitze eventuell überschritten werden, wenn durch den Erwerb in den Kreisen mehr herauskommt, als dem Land zusteht? Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich die Hand zu erheben. Das ist einstimmig. Dr. Diederichs: Wenn wir das System annehmen, ist es die logische Konse—
—
—
quenz.
(Renner: Deswegen habe ich dafür gestimmt.) Vors. [Dr. Becker]: Ich darf um die bitten, den § 11 zu formulieren.
(Widerspruch
für Dr. Diederichs und mich
Ermächtigung
erhebt sich nicht.)
[3e. Fortgang der Aussprache (§§ 12-21)] §12. Das ist wörtlich das gleiche wie im früheren Entwurf. Renner: In § 9 muß es logischerweise heißen: .besteht aus mindestens 400
Abgeordneten".
es ruhig stehen! liegen nicht vor, Anträge
Vors. [Dr. Becker]: Lassen wir
auch nicht. Ich darf annehist. men, daß der § 12 angenommen §13. Es ist nur zugesetzt: „er kann sich in mehreren Wahlkreisen und in verschiedenen Ländern bewerben." Das ist logisch. Widerspruch erfolgt nicht. Der § 13 ist angenommen. Dr. Diederichs: Eine Frage taucht auf: Die gleichzeitige Nennung auf dem Landesergänzungsvorschlag ist damit nicht ausgeschlossen? Davon ist nicht die Rede. Vors. [Dr. Becker]: Das kommt, glaube ich, noch. Der Bewerber kann natürlich auf den Landesergänzungsvorschlag. Das ist doch der Sinn. Heiland: Im alten § 13 haben wir aber stehen: „er kann sich zugleich auf Landesliste und Bundesliste bewerben." Stock: Wollen wir ein Fragezeichen hinsetzen! Vors. [Dr. Becker]: Ja, das wird mit Fragezeichen versehen. Ich rufe § 14 auf. Angenommen. §15. In Abs. 2 muß es heißen: „und in verschiedenen Ländern". Für die Zulassung der Parteien haben wir bei uns in der amerikanischen Zone die Klausel „nach Landesmaßstab". Ich bitte, dementsprechend den Absatz in Abs. 3 hinter dem Wort „Lande" einzufügen: „nach Landesmaßstab". Ich darf annehmen, daß Sie damit einverstanden sind. (Widerspruch erhebt sich nicht.) In Zeile 2 muß es statt „er" heißen: „der Ausgeschiedene". Mit der redak16. § tionellen Änderung sind Sie alle einverstanden.
Wortmeldungen
zu
§
12
—
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(Widerspruch erhebt
sich nicht.) so ist § 16 angenommen. Renner: Zu § 16 fällt mir ein, daß das oft Schwierigkeiten ergibt. Reden wir ganz offen miteinander. Nehmen wir an, eine Partei hat eine Liste aufgestellt, möchte aber, falls die Notwendigkeit des Aufrückens eintritt, von den Bewerbern den ihr am geeignesten erscheinenden heraussuchen. Dann müssen nach der heutigen Regelung alle vorherstehenden erklären: Wir legen nieder, wir verzichten auf das Mandat. Das gibt manchmal Schwierigkeiten. Vors. [Dr. Becker]: Wir können es nicht mit der geheimen Abstimmung verbinden. Wir wollen die geheime Abstimmung auch über die Reihenfolge haben, damit ganz klar ist, nicht die Bürokratie in der Partei diktiert, sondern die Wähler wählen den Mann aus. Dr. Diederichs: Es ist hier schon das Plus, daß wir eine Nachwahl vermieden haben, weil es sich hier um etwas Vorläufiges handelt. Auf diese Weise behält die Partei, deren Mann ausscheidet, auch das Mandat. Wir müssen uns mit dieser kleinen Unebenheit abfinden, daß der nächste, der dran ist, inzwischen im eigenen Laden nicht gerade populärer geworden ist. Renner: Es ist nicht eine Frage der Popularität. Es ist oft so, daß bei der Aufstellung der Listen örtliche Aspekte eine Rolle spielen. Wenn man nachher die Gesamtheit vor sich sieht, sagt man sich, daß es besser wäre, einen bestimmten Mann aufzunehmen. Die vorherstehenden müssen dann verzichten. Dr. Diederichs: Wenn Sie das innerhalb der Partei erreichen können, ist es gut. Das muß man den Parteien überlassen. ist angenommen. Vors. [Dr. Becker]: § 17 § 18 betrifft die geheime Abstimmung. —
(Folgt Verlesung56).) Schröter: In unserer Besprechung zu dreien habe ich mich für diese Sache eingesetzt. Aber ich bezweifele, ob wir dazu auf Grund der uns gegebenen Zuständigkeit das Recht haben. Das hat mit dem Wahlsystem nichts mehr zu tun. Vors. [Dr. Becker]: Ich glaube, das wird akzeptiert werden, weil es erstens in der amerikanischen Zone sogar Vorschrift von der Militärregierung ist, weil es zweitens, glaube ich, den Tendenzen aller Parteien entspricht, ganz gleich, welches Wahlsystem man hat. Es ist wohl ohnehin bei vielen Parteien schon so gehandhabt worden. Heile: Heißt es hier politische Partei des Kreises, oder muß die politische Partei des ganzen Landes mitwirken? Vors. [Dr. Becker]: Es ist selbstverständlich die Partei des Wahlkreises. Dr. Diederichs: In vielen Fällen wird es sich nicht decken. Die Parteien haben die Art ihrer Organisation heute fertig. Jetzt wird eine Wahlkreiseinteilung gemacht, die sich mit den Kreisen der Partei überschneidet. Die Partei wird das nach ihrem Statut entscheiden müssen. Alle Institutionen, die in diesen Kreis hineinfallen, müßten auf irgendeine Weise mitwirken.
56) Siehe
unten Dok. Nr. 29.
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Heile: Ich möchte nun ausdrücklich die nötige Klarstellung haben, damit nicht das falsche Gremium genommen wird und dann ein Formfehler entsteht, der der betreffenden Partei die Wahlarbeit zerschlägt. Schröter: In allen Ländern wird es wahrscheinlich verschieden sein. Bei der CDU in Schleswig-Holstein ist es so, daß sämtliche Kandidaten, auch die in den Einzelwahlkreisen, von den Delegierten des Parteitages gewählt werden, ich glaube, daß es bei der SPD ähnlich ist. Vors. [Dr. Becker]: Dann können die Delegierten wahlkreisweise zusammentreten und ihre Vorschläge machen. Ich darf annehmen, daß Sie mit § 18 einverstanden sind.
(Kein Widerspruch.) §
19.
(Folgt Verlesung57).) Widerspruch erfolgt,
Da kein
§ §
ist der
Paragraph
angenommen.
Angenommen.
20.
Empfehlungen. Wir halten es für richtig, daß das einheitlich gerewird. Wir sehen dafür keine Kompetenz. Ist zu Ziff. 1 etwas zu sagen? Sie sind damit einverstanden, daß Ziff. 1 drin bleibt. 21 enthält —
gelt
(Kein Widerspruch.) Ziff. 2. Heile: Es heißt in Ziff. 2: „Die Abgrenzung der Wahlkreise erfolgt durch einen vom Landtag zu berufenden Ausschuß." Ich möchte den Nebensatz hinzufügen: „in dem alle Parteien vertreten sein müssen." Sonst kann es passieren, daß in einem Parlament ein oder zwei Parteien allein zu bestimmen und die kleinen Parteien überhaupt nicht mitzureden haben. Vors. [Dr. Becker]: Wir haben folgendes erwogen. Das Landesgesetz wird bei der Durcharbeitung einem vom Landtag gewählten Ausschuß überwiesen. Hier war noch an einen besonderen Ausschuß gedacht, der nicht nur aus Landtagsabgeordneten zu bestehen braucht, sondern in den die Parteien auch andere Experten aus ihren Landesparteileitungen hineinnehmen, damit diese bei der Abgrenzung der Wahlkreise mitwirken können. Heile: Ich will unterstellen, daß Wahlkreisgeometrie für die Leute, die in der Kommission sitzen, nicht in Betracht kommt. Es wird aber trotzdem immer nachher, wenn eine kleine Partei nicht vertreten ist, von der kleinen Partei der Vorwurf kommen: Wenn die Wahlkreise nicht so schlecht eingeteilt wären, hätten wir etwas erreicht. In unserem Lande Niedersachsen würde mein Antrag bedeuten, daß die FDP und die Zentrumspartei auch in dem Ausschuß vertreten sind. Renner: Bei uns in Nordrhein-Westfalen ist es eine Selbstverständlichkeit, da sind die Parteien automatisch drin. Dr. Diederichs: Es taucht hier nur die Frage auf, ob es heißen soll: alle im Landtag vertretenen Parteien oder: alle existenten Parteien. Es könnten in Ländern, in denen heute noch gewisse Sperrklauseln bestehen, Parteien existieren, 57) Siehe
unten Dok. Nr. 29.
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die durchaus an dieser Arbeit der Wahlkreiseinteilung interessiert sind, aber im Landtag kein Mandat haben. Da dieser Ausschuß nicht aus Landtagsabgeordneten zu bestehen braucht, sondern die Landtage ihn nur zusammensetzen, ist die Frage offen. Man könnte hier, da es sich um Empfehlungen handelt, auch in der Form der Empfehlung sagen, es sollten nach Möglichkeit bei der Zusammensetzung alle Parteien berücksichtigt werden. Dann läßt man es den Ländern offen, wie sie es machen wollen. Offen lassen wir es sowieso. Stock: Dann lassen wir es stehen, wie es ist! Sonst gibt es einen zu großen Ausschuß. Dr. Diederichs: Wir haben es absichtlich so offen gefaßt, um es den Ländern zu überlassen, die Zusammensetzung nach ihrem Geschmack zu machen. Sie werden sich erinnern, daß ich im Hauptausschuß Herrn Dr. Seebohm auf seine Frage geantwortet habe: Ich halte es für einen Akt selbstverständlicher Loyalität, daß man alle Parteien dabei berücksichtigt, worauf Herr Dr. Seebohm mir freundlicherweise gesagt hat: Das glaube ich Ihnen aufs Wort, aber ich weiß nicht, ob sie alle so eingestellt sind wie Sie58). Heile: Wenn die Verwaltungskreise zerschnitten werden, kommen immer die Vorwürfe. Ich erhebe keine Vorwürfe und denke nicht an bestimmte Fälle. Es gibt viel böses Blut bei dieser Wahlkreiseinteilung. Daher soll man vorsichtig sein. Stock: Wir können es ruhig so stehenlassen. Die Landtage werden es schon von sich aus machen. Dr. Diederichs: Alle Parteien werden in den Landtagen ihre Ansprüche anmelden. Vors. [Dr. Becker]: Ziff. 2 ist dann angenommen.
(Kein Widerspruch.) Ziff. 3 sind die Strafbestimmungen. Es ist überall gleichmäßig ist.
zweckmäßig,
daß das in den Ländern
(Kein Widerspruch.)
[3f. Wahl
Bundesversammlung (§§ 22-23)] unverändert geblieben. Also angenommen. zur
Die §§ 22 und 23 sind Abs. 2 (3. Zeile) muß es statt 410 400 heißen.
In § 22
—
Übergangsbestimmungen (§§ 24—26)] Übergangsbesimmungen enthalten. § 24
[3g. Schluß- und In C sind die Schluß- und
(Folgt Verlesung.59))
Wie, das mögen die Berliner
von
sich
aus
sich aus beschließen müssen. §25 ist wie früher.
von
(Kein Widerspruch.) 58) Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 59) Siehe unten Dok. Nr. 29. 802
723.
ist
neu.
machen, genau wie die Berliner
es
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26 ist die logische Konsequenz dessen, daß wir jetzt etwas Neues machen. Sind Sie damit einverstanden, daß Herr Dr. Diederichs und ich es anschließend formulieren60), in Druck geben und den Vorsitzenden des Hauptausschusses bitten, es möglichst bald auf die Tagesordnung des Hauptausschusses zu setzen?
§
(Zustimmung.)
Sind Sie eventuell auch mit einer
Abendsitzung
im
Hauptausschuß
einverstan-
den?61) (Kein Widerspruch.)
lange Reden nicht mehr halten wollen, hoffe ich, daß wir in Stunden das erledigen können. Der Vorsitzende schließt die Sitzung um 12 Uhr. Da wir
1 V4
bis 2
neue Wahlgesetzentwurf wurde als „Rahmen-Wahlgesetz nach Artikel 145 des Grundgesetzes" (Drucks. Nr. 847) dem Hauptausschuß vorgelegt. 61) Der Hauptausschuß tagte zwar noch am Abend des 5. Mai 1949 (16.07 bis 23.40 Uhr), aber das Wahlgesetz wurde nicht mehr auf die Tagesordnung gesetzt. Erst vier Tage später wurde es am 9. Mai im Hauptausschuß beraten und beschlossen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 769 ff.).
B0) Der
803
Nr. 29
Synopse Nr. 29
Synopse
II
Wahlgesetzentwurf des Wahlrechtsausschusses vom 5. Mai 1949 und Wahlgesetz zum ersten Bundestag vom 15. Juni 1949*)
Wahlgesetzentwurf des ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Rahmen- Wahlgesetz nach Artikel 145 des Grundgesetzes1!
Fassung des Wahlrechtsausschusses Der Parlamentarische Rat hat im Rahmen seiner Zuständigkeiten folgende
Rahmenbestimmungen für zum Deutschen Bundestag despräsidenten beschlossen: A. Wahl
zum
die Wahl und Bun-
Bundestag
§1
Wahlgesetze für die Wahl des ersten Bundestages der Bundesrepublik Die
Deutschland werden von den Ländern beschlossen. In ihnen müssen die §§ 2-20 enthalten sein2).
*) Es handelt sich hier
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
Wahlgesetz
zum
Bundestag
ersten
Bundestag
und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland vom
Aufgrund
15.
Juni
1949
der mit Schreiben der Mili-
tärgouverneure
vom
folgten Anordnung
13.
Juni
über das
1949 vom
er-
Par-
lamentarischen Rat am 10. Mai 1949 beschlossene Wahlgesetz verkünden wir hiermit dieses Gesetz mit den von den Militärgouverneuren mit Schreiben vom 28. Mai 1949 und l. Juni 1949
wie
vorgenommenen
Änderungen
folgt: A. Wahl
zum
Bundestag
zum einen um die letzte Fassung des Wahlgesetzes, die der Wahlrechtsausschuß selbst erarbeitet hat (BA Z 5/136, o. BL, 7 Seiten. Als Drucks. Nr. 847 vervielf., ungez. und undat. Ausf.). Demgegenüber steht das von den Ministerpräsidenten der Länder am 15. Juni 1949 in Bad Schlangenbad verkündete Wahlgesetz (BA Z 12/56, Bl. 14-24, im BGBl. 1949, S. 21 veröffentlicht; zum Vorgang siehe auch Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 49 B, S. 592 ff.; vgl. allgemein auch oben Einleitung, Abschnitt 2 c). *) Art. 145 GG: „Für die Wahl des ersten Volkstags, der ersten Bundesversammlung und des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gilt das diesem Grundgesetz beigefügte Wahlgesetz" (GG-Entwürfe, S. 238). 2) § 1 wurde aufgenommen, um den Einwänden der Alliierten hinsichtlich der Zuständigkeit des Pari. Rates Rechnung zu tragen. Die Reihenfolge und Zählung der Paragraphen wurde dadurch etwas verändert. Insbesondere die Abschnitte des alten Wahlgesetzes, die sich mit der Wahlvorbereitung beschäftigten, wurden ganz aus dem neuen Wahlgesetzentwurf gestrichen. Auf Antrag Becker/Diederichs (Drucks. Nr. 851) wurden Überschrift, Einleitung und § 1 des Rahmenwahlgesetzes im Hauptausschuß gestrichen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 770). Statt dessen wurde die Überschrift „Wahlgesetz" angenommen.
Synopse Wahlgesetzentwurf des ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
§2 (1)
Wahlberechtigt ist,
Nr. 29
Bundestag
§1 wer am
Wahl-
(1)
Wahlberechtigt ist,
wer am
Wahl-
tag
tag
1) deutscher Staatsangehöriger ist, 2) das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, 3) und seit mindestens drei Monaten vor dem Wahltag seinen
1) deutscher Staatsangehöriger ist, 2) das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat 3) und seit mindestens drei Monavor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes seinen Aufenthalt im Bundesgebiet
ten
Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. (2) Wahlberechtigt sind auch, wenn die Voraussetzung zu Abs. 1 Ziff. 1 nicht vorliegt, alle diejenigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1.1. 1945 ihren dauernden Wohnsitz innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 1. 3. 1938 hatten oder außerhalb dieser Grenzen beheimatet waren und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben.
sind auch, wenn die Voraussetzung zu Absatz 1 Ziffer 1 nicht vorliegt, alle diejenigen Persodeutscher Volkszugehörigkeit, nen welche am 1. 1. 1945 ihren dauernden Wohnsitz innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches nach dem Stand vom 1. 3. 1938 hatten oder außerhalb dieser Grenzen beheimatet waren und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben.
§3
§2
Ausgeschlossen
von
der Wahlberechti-
gung ist:
1)
entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pfleg-
wer
schaft steht; durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte rechtskräftig verloren hat; 3) wer nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Entnazifizie2)
wer
hat. (2)
Wahlberechtigt
Ausgeschlossen
von
der Wahlberechti-
gung ist:
1)
entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegwer
schaft steht; durch Richterspmch die bürgerlichen Ehrenrechte rechtskräftig verloren hat; 3) wer nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Bestimmun-
2)
wer
805
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des
ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
rungsbestimmungen nicht wahlberechtigt ist; 4) wer von der Militärregierung wegen seiner Verbindung mit dem
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten
gen über die
nicht
4)
wer
gen
politische Säuberung wahlberechtigt ist3); von der Militärregierung weseiner Verbindung mit dem
Nationalsozialismus verhaftet oder seiner Beschäftigung oder einer einflußreichen Stellung im öffentlichen oder privaten Leben entlassen, suspendiert oder ausgeschlossen wurde, falls eine rechts-
Nationalsozialismus verhaftet oder von seiner Beschäftigung oder einer einflußreichen Stellung im öffentlichen oder privaten Leben entlassen, suspendiert oder ausgeschlossen wurde, falls eine rechts-
von
kräftige Eingruppierung im Entnazifizierungsverfahren am Wahltage noch nicht vorliegt.
kräftige Eingruppierung im Entnazifizierungsverfahren am Wahltage noch nicht vorliegt. §4 ruht für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind oder sich in Strafhaft befinden. Die
Wahlberechtigung
3) Der Abgeordnete Stock (SPD) scheiterte
Bundestag
1949
§3 Die
ruht für Persodie nen, wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind oder sich in Strafhaft befinden.
am
Wahlberechtigung
9. Mai 1949 im
wie
Hauptausschuß
mit einer Formulierung aus dem bayeauch schon im Wahlrechtsausschuß zuvor rischen Wahlgesetz (Drucks. Nr. 884; Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 770): „3) Wem das Wahlrecht im Entnazifizierungsverfahren rechtskräftig abgesprochen worden ist; darüber hinaus sind alle diejenigen nicht wahlberechtigt, die in die Gruppen I, II und III eingestuft sind". Auf Vorschlag des Vorsitzenden Carlo Schmid wurde schließlich die Fassung (§ 3 Ziff. 3) angenommen: „[. .] wer nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Bestimmungen über die politische Säuberung nicht zum Landtag wahlberechtigt ist" (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 770). Der folgende Antrag Diederichs (Drucks. Nr. 914) wurde am 10. Mai 1949 im Plenum (S. 250) mit 31 zu 30 Stimmen abgelehnt: „§ 2 Abs. 3 erhält folgende Fassung: (3) Wer nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Bestimmungen über die politische Säuberung nicht wahlberechtigt ist oder in die Gruppen I, II oder III ein—
—
.
gestuft
ist."
Dagegen setzte sich der Antrag Becker in der schließlich verabschiedeten Form durch (Drucks. Nr. 916; Stenographische Berichte, S. 251). Hierzu kamen die Ministerpräsidenten der Länder auf ihrer Konferenz in Bad Schlangenbad am 10. Juni 1949 überein, für die jeweilige Zone „einheitliche Anweisungen nach dem für die politische Säuberung zonal geltenden Recht zu erlassen" (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 46, TOP 2, S. 552, Anm. 34). 806
Synopse
Wahlgesetzentwurf des Wahlrechtsausschusses
vom
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
Nr. 29
Bundestag
§5
§4
Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste oder Wahlkartei eingetragen ist oder einen Wahlschein hat.
Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste oder Wahlkartei eingetragen ist oder einen Wahlschein hat.
§6
§5
(1) Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, a) der am Wahltage 25 Jahre alt ist, seit mindedie deutsche Jahr besitzt oder Staatsangehörigkeit der, ohne bisher die deutsche
(1) Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, a) der am Wahltag fünfundzwanzig Jahre alt ist, b) der am Wahltage seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder der, ohne bisher die deutsche
Staatsangehörigkeit zu besitzen, Flüchtling oder Vertriebener im
Staatsangehörigkeit zu besitzen, Flüchtling oder Vertriebener im
b) der
am
Wahltage
stens einem
Sinne des § 2 Abs. 2 ist, die Wählbarkeit
c) der
durch
Entscheidung geltenden Entnazifizierungsbestimmungen
rechtskräftige
nach den im Lande
besitzt4).
Sinne des § 1 Absatz 2 ist c) und nach dem am 8. Mai 1949 geltenden Recht des Landes, in
dem er kandidiert, zum Landtag wählbar wäre. Bestimmungen, die die Wählbarkeit von einem bestimmten Wohnsitz oder Aufenthalt oder einer bestimmten Wohn- oder Aufenthaltsdauer in einem Lande abhängig machen, finden dabei keine An-
wendung5). zu seinen Vorschlägen genden Wortlaut (§ 5 Abs. c)
zu § 3 versuchte Stock am 9. Mai 1949 vergeblich, foldurchzusetzen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 771); Drucks. Nr. 884): „[...] dem nicht die Wählbarkeit durch rechtskräftige Entscheidung im Entnazifizierungsverfahren abgesprochen worden ist; darüber hinaus sind alle die nicht wählbar, die in die Gruppen I, II, III und IV eingestuft sind." Schließlich nahm der Hauptausschuß nach längerer Debatte (S. 775) den Vorschlag Schmid an, folgenden § 5 Abs. 2 zu formulieren: „Nicht wählbar ist, wer Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen war; ausgenommen sind Entlastete oder Personen, auf die die Jugendamnestie oder die Heimkehreramnestie Anwendung findet." 5) Die vorliegende Fassung geht auf den Antrag Diederichs (Drucks. Nr. 918) vom 10. Mai 1949 zurück, der von der CDU/CSU unterstützt wurde (Stenographische Berichte, S. 251) und der den Antrag Becker (Drucks. Nr. 916) überstimmte (Stenographische Berichte, S. 253): „Nicht wählbar ist, wem nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Bestimmungen über die politische Säuberung die Wählbarkeit abgesprochen ist; nicht wählbar ist insbesondere, wer in die Gruppen I, II oder III eingestuft ist." In Ergänzung dazu setzte Diederichs in dritter Lesung auch den zweiten Satz des § 5 Abs. 1 c) durch (Drucks. Nr. 923; Stenographische Berichte, S. 268).
4) Analog
807
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des
ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten
Bundestag
1949
(2) Beamte und Richter des Bundes, sowie Beamte einer bundesunmittelbaren Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechtes oder einer der in Artikel 130 des Grundgesetzes aufge-
(2)
führten Einrichtungen, die Hoheitsbefugnisse ausüben, müssen vor der Annahme der Wahl in den Bundestag ihre Versetzung in den Wartestand beantragen. Die Versetzung der Beamten in den Wartestand ist ohne Anspruch auf Wartegeld, jedoch unter Aufrechterhaltung ihrer Ansprüche auf Wiedereinstellung für die Dauer ihrer Zuzum Bundestag auszuspreDiese Vorschrift gilt sinngemäß chen. auch für Angestellte der vorgenannten
gehörigkeit
Verwaltungen, die Hoheitsbefugnisse ausüben6). §7 Ein gewählter Abgeordneter,
Bewerber ist erst dann er dem Landeswahlleiter schriftlich die Annahme der Wahl erklärt hat. wenn
§6 Bewerber ist erst dann er dem Landeswahlleiter schriftlich die Annahme der Wahl erklärt hat.
Ein gewählter Abgeordneter,
wenn
6) Nachdem sich die Parteien in den interfraktionellen Verhandlungen am 4. Mai 1949 darauf verständig hatten, die Wählbarkeit der Beamten nicht im Grundgesetz, sondern im Wahlgesetz zu regeln (PA Bestand 5/9), wurde im Hauptausschuß der Antrag Zinn (Drucks. Nr. 891), in § 6 folgenden Absatz 2 einzufügen, mit großer Mehram 9. Mai 1949 angenommen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 776): „Ein Beamter des Bundes, einer bundesunmittelbaren Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts oder einer der in Artikel 131 Absatz 1 und Absatz 3 des Grundgesetzes aufgeführten Einrichtungen, der Hoheitsbefugnisse ausübt, muß vor der Annahme der Wahl in den Bundestag seine Versetzung in den Wartestand beantragen. Die Versetzung des Beamten in den Wartestand ist ohne Anspruch auf Wartegeld,
heit
unter Aufrechterhaltung seines Anspruchs auf Wiedereinstellung für die Dauseiner Zugehörigkeit zum Bundestag auszusprechen. Diese Vorschrift gilt sinngemäß auch für Angestellte der vorgenannten Verwaltungen, die Hoheitsbefugnisse ausüben" (siehe auch oben Dok. Nr. 23, Anm. 57).
jedoch er
808
Synopse
Wahlgesetzentwurf des
ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
§8 Ein
Abgeordneter
Wahlrechts;
strafgerichtliche
nung der Rechte
aus
Aberkenöffentlichen
Wahlen; 4) durch Ungültigkeitserklärung der Wahl oder sonstiges Ausscheiden beim Wahlprüfungsverfahren; 5) durch eine nachträglich festgestellte Änderung des Wahlergebnisses. Der Verzicht ist dem Landeswahlleiter7) nach der ersten Einberufung des Bundestages dem Bundestagspräsidenten, zu erklären; er muß schriftlich sein und kann nicht widerrufen werden.
(1) Ein Sitz
Abgeordneter
Der
des
verfahren;
5) durch eine stellte
von
nachträglich festge-
Änderung
des Wahler-
gebnisses.
(2) Der Verzicht ist dem Landeswahl-
leiter, nach der
ersten
Einberufung
des Bundestages dem Bundestagspräsidenten zu erklären; er muß schriftlich sein und kann nicht widerrufen werden.
§8
Bundestag besteht aus mindestens Abgeordneten, die in den Ländern Bundes nach folgendem Verfah-
7) Der Wechsel
verliert seinen
1) durch Verzicht; 2) durch nachträglichen Verlust des Wahlrechtes; durch 3) strafgerichtliche Aberkennung der Rechte aus öffentlichen Wahlen; 4) durch Ungültigkeitserklärung der Wahl oder sonstiges Ausscheiden beim Wahlprüfungs-
§9«) 400
Bundestag
§7
verliert seinen Sitz
1) durch Verzicht; 2) durch nachträglichen Verlust des 3) durch
Nr. 29
(1) Der Bundestag besteht aus mindestens 400 Abgeordneten, die in den
Ländern des Bundes nach
folgendem
„Bundeswahlleiter" auf „Landeswahlleiter" wurde in der
neuen
aufgrund
der alliierten Einwände durchgehend geändert. 8) Wie bereits bei der Verabschiedung des ersten Wahlgesetzentwurfs durch das Plenum am 24. Feb. 1949 (siehe oben Dok. Nr. 26) setzte die CDU/CSU-Fraktion durch Schröter auch vor der Schlußabstimmung am 10. Mai 1949 wieder ein demonstratives Zeichen und beantragte auf Drucks. Nr. 912 für den § 8 folgende Fassung: „Der Bundestag besteht aus 300 Abgeordneten; sie werden nach den Grundsätzen des Mehrheitswahlrechts gewählt" (Stenographische Berichte, S. 254). Der Antrag wurde abgelehnt. Darüber hinaus stellte die CDU/CSU-Fraktion wie schon im Hauptausschuß zuvor auch jetzt einen Antrag (Drucks. Nr. 907) auf Bildung von Flüchtlingswahlkreisen. Nach längerer Debatte scheiterte die CDU/CSU-Fraktion am 9. Mai 1969 im Hauptausschuß schließlich auch mit dem Antrag § 9 wie folgt zu erweitern (Drucks. Nr. 905; Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 786): „§ 9 a Für Flüchtlinge und Vertriebene sind unter Anrechnung auf die Zahl der Wahlkreise des § 9 besondere Wahlkreise zu bilden. Die Flüchtlingswahlkreise sollen in der Regel soviel
Fassung
—
—
—
—
809
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des
ausschusses
ren
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
werden. Es wählen die
gewählt
Länder9) : Baden 11
Abgeordnete,
davon
Bayern 78
6 in
Wahlkreisen
Abgeordnete,
davon 2 in Wahlkreisen
Hamburg 13 Abgeordnete, davon
7
in Wahlkreisen
Hessen 36
Abgeordnete,
Niedersachsen
Abgeordnete,
davon 55 in Wahlkreisen Rheinland-Pfalz 25
Abgeordnete,
davon 13 in Wahlkreisen
Schleswig-Holstein 23
Abgeordnete,
davon 12 in Wahlkreisen
Flüchtlinge der
ersten 1949
Bundestag
Verfahren gewählt werden. Es wählen die Länder: Baden 11
Abgeordnete
Bayern (einschl. Lindau)
Abgeordnete
Bremen 4 Abgeordnete Hamburg 13 Abgeordnete
Hessen
36
Abgeordnete
Niedersachsen 58
Abgeordnete
109
Abgeordnete
Rheinland-Pfalz 25
Abgeordnete,
davon 29 in Wahlkreisen Nordrhein-Westfalen 109
Juni
Nordrhein-Westfalen
davon 18 in Wahlkreisen 58
15.
78
Abgeordnete,
davon 39 in Wahlkreisen Bremen 4
Wahlgesetz zum vom
Abgeordnete
Schleswig-Holstein
Abgeordnete Württemberg-Baden 33 Abgeordnete 23
Württemberg-Hohenzollem 10
Abgeordnete
(2) Die Landesregierungen verteilen die ihren Ländern zugeteilten Sitze zwischen Wahlkreisen und Landeser-
gänzungsvorschlägen Verhältnis
von
60
zu
im
ungefähren
4010).
und Vertriebene umfassen, sonstigen Wahlkreise entspricht.
Flüchtlinge
wie es der durchschnittlichen Einwohnerzahl In Ländern, in denen die Gesamtzahl der und Vertriebenen hinter der durchschnittlichen Einwohnerzahl eines
Wahlkreises wesentlich zurückbleibt, kann von der Bildung von Flüchtlingswahlkreisen abgesehen werden" (siehe auch oben Dok. Nr. 21, Anm. 24). ') Gegenüber der ursprünglichen Fassung wurden hier die Berliner Abgeordnetenmandate nicht mitgezählt. Dieser Paragraph brachte die weitgehendste Änderung mit sich (vgl. unten § 24). ') Nach Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz in Bad Schlangenbad am 31. Mai/ 1. Juni und am 14./15. Juni 1949 modifiziert eingefügt (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 43, S. 527 und Dok. Nr. 49 B, S. 594, Anm. 14). 810
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des Wahlrechtsausschusses
5. Mai 1949
vom
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
Bundestag
Württemberg-Baden 33 Abgeordnete, davon 17 in Wahlkreisen
Württemberg-Hohenzollern (einschl. Lindau) 10
Abgeordnete,
davon
5 in
Wahlkreisen
§10 In
jedem Wahlkreis wird
§9 ein
Abgeord-
Gewählt ist derjenige Bewerber, der die relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich
neter
gewählt.
In
jedem Wahlkreis wird ein Abgeordgewählt; gewählt ist der Bewer-
neter
ber, der die meisten Stimmen auf sich
vereinigt11).
vereinigt. § 1013)
§1112) (1) Alle im Lande abgegebenen gültigen Stimmen werden zusammengerechnet und durch die Gesamtzahl der
(1) Alle im Lande
abgegebenen Stimjeder Partei werden zusammengezählt und aus diesen Summen nach
men
") Die Abgeordneten Heile und Seebohm scheiterten
am 10. Mai 1949 im Plenum mit dem Antrag, in § 9 den folgenden Satz hinzuzufügen: „Erhält keiner der Bewerber die absolute Mehrheit, so findet ein zweiter Wahlgang statt, in dem die relative Mehrheit entscheidet" (Drucks. Nr. 908; Stenographische Berichte, S. 260). 12) § 11 von Umdruck Nr. S 58 hatte gelautet: „Die übrigen Abgeordneten werden durch Berechnung nach dem Höchstzahlverfahren (d'Hondt) in folgender Weise gewählt: 1) alle im Lande abgegebenen Stimmen jeder Partei werden zusammengezählt. Von den auf die im Wahlkreis gewählten Abgeordneten entfallenden Stimmen wird nur der Überschuß eingerechnet, den er über die Stimmenzahl seines nächstfolgenden Bewerbers erzielt hat. 2) Hiernach erfolgt die Zuteilung der Mandate aus den Landesergänzungsvorschlägen in der dort festgelegten Reihenfolge." Die hier vorliegende Fassung des §11 Abs. 1—3 geht auf den Antrag Becker/Diederichs (Drucks. Nr. 848) im Hauptausschuß (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 787) zurück. 13) § 10 erhielt durch das „Gesetz vom 5. August 1949 zur Ergänzung und Abänderung des Wahlgesetzes zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juni 1949" (BGBl. S. 25) eine veränderte Fassung, bei dessen Formulierung durch die Landeswahlleiter am 19. Juli 1949 in Wiesbaden neben Becker auch Diederichs angehört wurde (BA Z 12/56, Bl. 70—80; ADL NL Becker N 11). Als Begründung wurde seine juristische Anfechtbarkeit angeführt (BA Z 12/56, Bl. 65): Der erste Satz in Abs. 1 wurde ergänzt mit erstens „[. .] jeder im Landesmaßstab zugelassenen Partei" und um den folgenden Halbsatz erweitert: „wobei zuvor die Mandate in Abzug gebracht werden, welche auf solche Kreiswahlvorschläge entfallen, die nicht an Landesergänzungsvorschläge angeschlossen sind (Unabhängige; nicht im Landesmaßstab zugelassene Parteien)." Zudem wurde zwei.
811
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des Wahlrechtsausschusses
vom
5.
Wahlgesetz zum
Mal 1949
vom
im Lande
zu wählenden Abgeordnegeteilt (Wahlzahl). (2) Die für jede Partei abgegebenen gültigen Stimmen werden gleichfalls zusammengerechnet und durch die Wahlzahl geteilt. Von der so ermittel-
ten
ten Mandatszahl werden die für jede Partei in den Wahlkreisen gewonnenen
Mandate
abgerechnet.
(3) Die hiernach jeder Partei noch
zu-
stehenden Sitze werden ihr nach der Reihenfolge ihrer Landesergänzungsvorschläge zugeteilt. Wird bei Teilung durch die volle Wahlzahl die Gesamtzahl der Mandate im Land nicht erreicht, so werden die noch nicht verteilten Mandate auf die Parteien mit den höchsten Reststimmenziffern verteilt. (4) Sind für eine Partei in den Wahlkreisen mehr Abgeordnete gewählt, als ihr nach Absatz 2 und 3 zustehen würden, dann erhöht sich die Gesamtzahl der im Lande zu wählenden Bun-
destagsabgeordneten
entsprechend.
Der betreffenden Partei bleiben die in den Wahlkreisen erworbenen Sitze auf jeden Fall erhalten.
15.
Juni
ersten 1949
Bundestag
dem Höchstzahlverfahren (d'Hondt) die jeder Partei zustehenden Mandate errechnet. (2) Von der für jede Partei so ermittelten Abgeordnetenzahl wird die Zahl der in den Wahlkreisen von ihr errungenen Mandate abgerechnet. Die hiernach ihr zustehenden Sitze aus dem Landesergänzungsvorschlag werden in dessen Reihenfolge besetzt. (3) In den Wahlkreisen errungene Mandate verbleiben der Partei auch dann, wenn sie die nach Absatz 1 ermittelte Zahl übersteigen. In einem solchen Fall erhöht sich die Gesamtzahl der für das Land vorgesehenen Abgeordnetensitze um die gleiche Zahl; die so erhöhte Gesamtzahl ist der Berechnung nach Absatz 1 zu-
grundezulegen.
(4) Parteien, deren Gesamtstimmenzahl weniger als fünf vom Hundert der gültigen Stimmen im Lande beträgt, werden bei der Errechnung und Zuteilung der Mandate nach Absatz 1—3 nicht berücksichtigt. (5) Die Vorschrift in Absatz 4 findet keine Anwendung, sofern die Partei in einem Wahlkreis des Landes ein Mandat errungen hat14).
von Abs. 3 der letzte Satz gestrichen und folgendermaßen ersetzt: „eine erneute Berechnung nach Absatz 1 findet nicht statt". Zur Diskussion um § 10 (3) in der alten Fassung siehe auch W. Jellinek: § 10 (3) des Wahlgesetzes zum ersten Bundestag Tragweite einer angeblich nichtssagenden Bestimmung, in: DöV 1949, S. 287 f. ') Nach Beschluß der Ministerpräsidenten am 15. Juni 1949 eingefügt (Akten zur Vorge-
tens
—
schichte Bd. 5, Dok. Nr. 49 B, S. 594).
812
Synopse
Wahlgesetzentwurf des ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
(1) Bei dem Kreiswahlleiter sind spävor dem Wahltag der Dienststunden
schriftlich einzuvon mindestens hundert Wählern des Wahlkreises unterschrieben sein. Ist in einem Wahlvorschlag angegeben, daß der Bewerber für eine politische Partei auftritt, so genügt die Unterschrift der für den Wahlkreis zuständigen Landesleitung der Partei. (2) Jeder Wahlvorschlag darf nur den Namen eines Bewerbers enthalten und dessen Namen, Vornamen, Geburtstag, Geburtsort, Beruf und Anschrift angeben. Tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist deren Bezeichnung ebenfalls beizufü-
Kreiswahlvorschläge
reichen; sie müssen
gen.
(3) Jeder Bewerber hat seine Zustim-
mung schriftlich
zu
erteilen; seine Un-
terschrift muß amtlich beglaubigt sein. Die Zustimmung muß bis spätestens 18 Uhr des in Abs. 1 genannten Tages bei dem Kreiswahlleiter eingegangen
Bundestag
§11
§ 1215) testens am 17. Tage bis 18 Uhr während
Nr. 29
(1) Bei dem Kreiswahlleiter sind spä-
testens am 17. Tage vor dem Wahltag bis 18 Uhr während der Dienststunden Kreiswahlvorschläge schriftlich einzureichen; sie müssen von mindestens
fünfhundert Wählern des Wahlkreises unterschrieben sein. Ist in einem Wahlvorschlag angegeben, daß der Bewerber für eine politische Partei auftritt, so genügt die Unterschrift der für den Wahlkreis zuständigen Landesleitung der Partei. (2) Jeder Wahlvorschlag darf nur den Namen eines Bewerbers enthalten und dessen Namen, Vornamen, Geburtstag, Geburtsort, Beruf und Anschrift angeben; tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist deren Bezeichnung ebenfalls beizufügen. (3) Jeder Bewerber hat seine Zustimmung schriftlich und gleichzeitig eine amtlich beglaubigte Bescheinigung vorzulegen, daß er die Wählbarkeitsvoraussetzungen erfüllt. Diese Unterlagen sind bis zu dem in Absatz 1 vor-
geschriebenen
Termin
einzurei-
sein.
chen16).
(4) Namen, Vornamen, Beruf und Anschrift der Unterzeichner des Wahlvorschlages sind anzugeben.
(4) Namen, Vornamen, Beruf und Anschrift der Unterzeichner des Wahlvorschlages sind anzugeben.
15) § 11 des alten Wahlgesetzes (Dok. Nr. 26) wurde gestrichen. le) Die Formulierung geht auf den Antrag Diederichs im Plenum zurück (Drucks. Nr. 913; Stenographische Berichte, S. 260). 813
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
§13
§12
Jeder Bewerber kann nur auf einem Wahlvorschiag eines Wahlkreises genannt sein; er kann sich in mehreren Wahlkreisen und in verschiedenen Ländern bewerben.
Jeder Bewerber kann
Wahlvorschlag
nur auf einem eines Wahlkreises ge-
nannt sein.
§14
Jeder Wähler hat eine
Bundestag
§13 Stimme. Die
Stimmabgabe erfolgt durch Ankreuzen des Kreiswahlvorschlages, dem er seine Stimme geben will.
Jeder Wähler hat
eine Stimme. Die
Stimmabgabe erfolgt durch Ankreuzen Kreiswahlvorschlages, dem er seine Stimme geben will. des
§15
§14
(1) Beim Landeswahlleiter können bis Uhr des 17. Tages vor dem Wahltag politische Parteien ihre Wahlvorschläge für die Landesergänzungsvorschläge einreichen. Die Zahl der Bewerber eines solchen Wahlvorschlages ist unbeschränkt. Auf Inhalt und Einreichung dieser Wahlvorschläge finden die Bestimmungen des § 12 ent-
(1) Beim Landeswahlleiter können bis 18 Uhr des 17. Tages vor dem Wahltag politische Parteien ihre Wahlvorschläge für die Landesergänzungsvorschläge einreichen. Die Zahl der Be-
18
sprechende Anwendung; jedoch genügt für die Unterzeichnung des Wahlvorschlages die Unterschrift der obersten Parteileitung im Land.
(2) Die Bewerber auf den Landesergänzungsvorschlägen können auch in den Kreiswahlvorschlägen der gleichen Partei und in verschiedenen Ländern als Bewerber auftreten. (3) Landesergänzungsvorschläge können nur von den im Lande im Landesmaßstab zugelassenen politischen Parteien
17) § 814
15
eingereicht werden17).
(3) kam
neu
werber eines solchen Wahlvorschlages ist unbeschränkt. Auf Inhalt und Einreichung dieser Wahlvorschläge finden die Bestimmungen der §§11 und 12 entsprechende Anwendung; jedoch genügt für die Unterzeichnung des
die Unterschrift der obersten Parteileitung im Lande. (2) Die Bewerber auf den Landesergänzungsvorschlägen können auch in den Kreiswahlvorschlägen der gleichen Partei in demselben Lande als Bewerber auftreten. (3) Landesergänzungsvorschläge können nur von den im Lande im Landesmaßstab zugelassenen politischen
Wahlvorschlages
Parteien
eingereicht werden.
hinzu (siehe oben Dok. Nr. 28, TOP 3 e).
Synopse
Wahlgesetzentwvrf des
ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
Nr. 29
Bundestag
§161B)
§15
Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt ein Abgeordneter oder verliert er seinen Sitz (vgl. § 7), so rückt der nachfolgende Bewerber des gleichen Landesergänzungsvorschlages nach, gleichviel, ob der Ausgeschiedene im Wahlkreis oder auf Landesergänzungsvorschlag gewählt war.
Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt ein Abgeordneter oder verliert er seinen Sitz (vgl. § 7), so findet, wenn er auf einem
§17
§16
Die Verbindungen von Wahlvorschlägen mehrerer Parteien ist unstatthaft.
Kreiswahlvorschlag
war,
nach19).
Die
Verbindung
von
Wahlvorschlägen
mehrerer Parteien ist unstatthaft20).
§18 Die Aufstellung der Kandidaten für Wahlkreise und Landesergänzungsvorschläge sind in geheimer Abstimmung in einer Versammlung der betreffenden politischen Partei festzustellen, zu der eine der Mitgliederzahl oder den statutarischen Bestimmungen der Partei entsprechende Zahl von Delegierten ordnungsmäßig einzuladen ist. Eine beglaubigte Abschrift der Niederschrift solcher Versammlung ist mit den Wahlvorschlägen einzureichen21).
gewählt
Nachwahl statt, im anderen Fall rückt der nachfolgende Bewerber des gleichen Landesergänzungsvorschlages
§17 Die
Aufstellung
der Kandidaten für
Wahlkreise und
Landesergänzungsvorschläge ist in geheimer Abstimmung in einer Versammlung der betreffenden politischen Partei festzustellen, zu der eine der Mitgliederzahl oder den statutarischen
Bestimmungen der
Par-
entsprechende Zahl von Delegierten ordnungsmäßig einzuladen ist. Eine beglaubigte Abschrift der Niederschrift solcher Versammlung ist mit den Wahlvorschlägen einzureichen. tei
18) § 16 der alten Fassung wurde gestrichen. ,9) Die Regelung der Nachwahl war von den Ministerpräsidenten endgültig im Anschluß an die Konferenz der Landeswahlleiter vom 10. Juni 1949 beschlossen worden (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 46, S. 554). Im Plenum war der folgende Antrag der DP (Drucks. Nr. 909) mit großer Mehrheit abgelehnt worden (Stenographische Berichte, S. 262): „Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt ein Abgeordneter oder verliert er seinen Sitz, so findet, wenn der Ausgeschiedene im Wahlkreise gewählt war, eine Ersatzwahl statt; wenn er auf Landesergänzungsvorschlag gewählt war, rückt der nachfolgende Bewerber des gleichen Wahlvorschlages nach." 20) Der DP-Antrag (Drucks. Nr. 910) auf Streichung des § 16 wurde vom Plenum abgelehnt (Stenographische Berichte, S. 262). 21) Zur ursprünglichen Fassung siehe oben Dok. Nr. 26 (§ 19). 815
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des
ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mcii 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
ersten 1949
Bundestag
§19
§18
können nur in dem Wahlbezirk abstimmen, in dessen Wählerlisten oder Wahlkarteien sie eingetragen sind. Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlbezirk des Bundesgebietes wählen.
Wahlberechtigte können nur in dem Wahlbezirk abstimmen, in dessen Wählerlisten oder Wahlkarteien sie eingetragen sind. Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlbezirk des Landes wählen.
Wahlberechtigte
§2022) (1) Seeleuten, die sich infolge ihres Berufes nur vorübergehend in einer Gemeinde aufhalten, ist der Wahlschein von der Aufenthaltsgemeinde zu erteilen, wenn sie ihr Wahlrecht in dieser Gemeinde ausüben wollen; sie müssen aber in ihrem Seefahrtsbuch einen vom Seemannsamt oder von der Gemeindebehörde eingetragenen, noch gültigen Vermerk vorweisen, der sie zur Entgegennahme eines Wahlscheines berechtigt. Zu diesem Zweck ist den Seeleuten ihr Seefahrtsbuch auszuhändigen. Wird der Wahlschein am Wahltag erst nach 12.00 Uhr mittags beantragt, so kann der Antrag zurückgewiesen werden, wenn eine Beteiligung an der Wahl nicht mehr möglich erscheint. (2) Das Seemannsamt ist verpflichtet, auf Antrag einen Vermerk in das Seefahrtsbuch einzutragen, nachdem es bei der Gemeindebehörde, bei der der Antragssteller in der Wählerliste zu führen ist, festgestellt hat, daß keine Bedenken bestehen. Die Eintragung des Vermerks wird der Gemeindebehörde mitgeteilt, die es in der Wähler-
§
(1) Seeleuten, die sich infolge ihres Berufes nur vorübergehend in einer Gemeinde aufhalten, ist der Wahlschein von der Aufenthaltsgemeinde zu erteilen, wenn sie ihr Wahlrecht in dieser Gemeinde ausüben wollen; sie müssen aber in ihrem Seefahrtsbuch einen vom Seemannsamt oder von der Gemeindebehörde eingetragenen, noch gültigen Vermerk vorweisen, der sie zur Entgegennahme eines Wahlscheines berechtigt. Zu diesem Zweck ist den Seeleuten ihr Seefahrtsbuch auszuhändigen. Wird der Wahlschein am Wahltag erst nach 12 Uhr mittags beantragt, so kann der Antrag zurückgewiesen werden, wenn eine Beteiligung an der Wahl nicht mehr möglich
erscheint. (2) Das Seemannsamt ist verpflichtet, auf Antrag einen Vermerk in das Seefahrtsbuch einzutragen, nachdem es bei der Gemeindebehörde, bei der der Antragsteller in der Wählerliste zu führen ist, festgestellt hat, daß keine Bedenken bestehen. Die Eintragung des Vermerks wird der Gemeindebehörde mitgeteilt, die es in der Wähler-
:) Die Zählung der Paragraphen weicht hier (siehe oben Dok. Nr. 26). 816
19
z.
T. erheblich
von
der alten
Zählung
ab
Synopse
Wahlgesetzentwurf des ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
liste bei dem Namen des Wahlberechtigten vermerkt. (3) Die Erteilung des Wahlscheines wird bei der Ausfertigung von der Gemeindebehörde bei dem Vermerk unter Angabe des Wahltages bescheinigt.
15.
Juni
ersten
Nr. 29
Bundestag
1949
liste bei dem Namen des Wahlberechtigten vermerkt. (3) Die Erteilung des Wahlscheines wird bei der Ausfertigung von der Gemeindebehörde bei dem Vermerk unter Angabe des Wahltages bescheinigt.
§2123) Es wird empfohlen, in die wahlgesetze noch folgende
LandesBestim-
mungen aufzunehmen: 1) Die Wahl findet spätestens 3 Mo-
nach dem Tag des Inkrafttredes Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland statt. Der
nate tens
Wahltag
ist ein Sonntag. Die Konferenz der Ministerpräsi-
denten legt den lich fest24).
Wahltag
einheit-
§ 2) Die Wahlkreise müssen ein
zusam-
menhängendes Ganzes bilden; bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen möglichst erhal-
ten bleiben. Sie
sollen eine möglichst gleichgroße Einwohnerzahl umfassen. Die Abgrenzung der Wahlkreise erfolgt durch einen vom Landtag zu berufenden Ausschuß.
20
(1) Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Ganzes bilden; bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen möglichst erhalten bleiben. Sie sollen eine annähernd gleichgroße Einwohnerzahl umfassen.
(2) Die Abgrenzung der Wahlkreise in jedem Land erfolgt durch einen vom Landesparlament zu berufenden Ausschuß.
§21 3) Wer seine Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche
Wer seine Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche Anga-
ben erwirkt,
Angaben erwirkt,
23) Auf Antrag Becker/Diederichs (Drucks. Nr. 851) vom Hauptausschuß gestrichen (S. 788) und in der schließlich im BGBl, endgültig erschienenen Fassung verabschiedet.
24) In der alten Fassung
vom
24.
Feb. 1949 § 20 Abs. 2 (siehe oben Dok. Nr. 26). 817
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des ausschusses
vom
Wahlrechts-
Wahlgesetz zum
5. Mai 1949
vom
einen anderen als Wähler ein-
15.
Juni
ersten 1949
Bundestag
wer
einen anderen als Wähler einvon dem er weiß, daß er keinen Anspruch auf Eintragung hat, wer die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert,
gung
kennt, wer wählt, obwohl
wer
trägt,
von
dem
er
weiß, daß auf
Anspruch
nen
er
kei-
Eintragung
hat,
die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwohl er dessen Wahlberechtiwer
kennt, wählt, obwohl
diesem Gesetz
den nach der Wahlbe-
er zu
von
rechtigung ausgeschlossenen nen
Perso-
gehört,
sich als Bewerber aufstellen läßt, obwohl er nach diesem Gesetz nicht wählbar ist, wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschem Namen wer
wählt, wird mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 5000 DM bestraft, soweit nicht in anderen Strafgesetzen eine höhere Strafe angedroht ist25).
wer
trägt,
obwohl
er
dessen
er zu den nach der Wahlberechausgeschlossenen Personen
diesem Gesetz
tigung
Wahlberechtigung
von
gehört,
sich als Bewerber aufstellen er nach diesem Gesetz nicht wählbar ist, wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschem Namen wählt, wird mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu wer
läßt, obwohl
5000,— DM bestraft, soweit nicht in eine höhere
anderen Strafgesetzen Strafe angedroht ist.
§22 (1) Die Wahl findet spätestens drei Monate nach dem Tage des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesre-
publik
Deutschland statt. Der ist ein Sonntag. (2) Die Ministerpräsidenten men
den
Wahltag bestim-
Wahltag26).
j) §21 Abs. 3 entsprach §48 der alten Fassung. §22 wurde durch Antrag Becker/Diederichs (Drucks. Nr. 851) neu formuliert und in dieser Fassung schließlich im BGBl, veröffentlicht.
') Die Fassung des § 22 in der hier vorliegenden endgültigen Form geht auf den Antrag Becker/Diederichs (Drucks. Nr. 851) zurück. Allerdings hieß es noch in dem Antrag: „Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt den Wahltag." Gegen die Bedenken des Ausschußvorsitzenden Carlo Schmid wurde diese Fassung angenommen (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 788), von den Alliierten schließlich aber doch wieder abgelehnt (siehe oben Einleitung, Abschnitt 1 a). Die Ministerpräsidenten legten den Wahltermin durch Verordnung vom 15. Juni 1949 auf den 14. Aug.
818
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Wahlgesetzentwurf des
ausschusses
vom
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5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
15.
Juni
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Nr. 29
Bundestag
§23
Vorbereitung und DurchWahl einschließlich der der führung des Ermittlung Wahlergebnisses weiterhin erforderlichen Durchführungsbestimmungen erläßt jedes Land durch Verordnung seiner Landesregierung für sein Gebiet27). (2) Die Länder haben die Wahlergebnisse aus Wahlkreisen und Land schnellstens den Ministerpräsidenten (1) alle
zu
B. Wahl
zur
übermitteln28). B. Wahl
Bundesversammlung29) §22
(1) Die nach Art. der den
75
zur
zur
Bundesversammlung §24
des
Die nach Artikel 54 des Grundgeder Bundesrepublik Deutschland von den Länderparlamenten zu
Grundgeset- (1)
Bundesrepublik Länderparlamenten zu Mitgliedern der Bundesversammlung zu Mitgliedern der Bundesversammlung wählenden Delegierten werden nach zu wählenden Delegierten werden zes
von
Deutschland
setzes
den Grundsätzen des Verhältniswahl- nach den Grundsätzen des Verhältnisrechtes gewählt30). wahlrechtes gewählt.
')
') ')
')
1949 fest (BGBl. S. 24, vgl. auch die Diskussion um den Wahltermin auf der Landeswahlleiterkonferenz in Bad Schlangenbad am 8. Juni 1949 (BA Z 12/54, Bl. 3); siehe auch den Beschluß der Ministerpräsidenten auf ihrer Konferenz von Schlangenbad am 10. Juni 1949 (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 46, TOP 2, S. 552). Dieser Paragraph geht auf den Antrag Becker/Diederichs zurück (Drucks. Nr. 851) und den Antrag Diederichs in 2. Lesung im Plenum (Stenographische Berichte, S. 262 f.) zurück. Zur Berücksichtigung des Stadt- und Landkreises Lindau/Bodensee siehe Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 789. Im Antrag Becker/Diederichs (Drucks. Nr. 851): „dem Präsidium des Parlamentarischen Rates". Der Hauptausschuß (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 788) hatte auf Antrag Becker/Diederichs (Drucks. Nr. 849) noch folgende Fassung verabschiedet: „Gemäß Art. 75 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland wählen die Länderparlamente Delegierte für die Bundesversammlung entsprechend der Stärke der in den Parlamenten vertretenen Fraktionen. In jedem Land wird eine der im § 9 festgesetzten Gesamtzahl der Abgeordneten gleiche Anzahl von Delegierten gewählt. Die Landesparlamente sind gehalten, die Wahl der Delegierten innerhalb eines Monats nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen und das Ergebnis der Wahl nebst genauer Anschrift der Gewählten und deren Annahmeerklärungen dem Präsidium des Parlamentarischen Rates zu übermitteln." Art. 75 GG (Drucks. Nr. 543 vom 5. Feb. 1949; GG-Entwürfe, S. 181).
819
Nr. 29
Synopse
Wahlgesetzentwurf des Wahlrechts-
Wahlgesetz zum
ausschusses
vom
vom
5. Mai 1949
(2) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates bestimmt innerhalb zweier Wochen nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes, wieviel der 400 Dele-
jedem Landesparlament zu wählen sind. Die Verteilung erfolgt unter Zugrundelegung der in der letzten allgemeinen amtlichen Volkszählung ermittelten Bevölkerungszahl der gierten
von
Länder nach deren Verhältnis. Das Präsidium des Parlamentarischen Ra-
15.
Juni
ersten 1949
Bundestag
(2) Die Ministerpräsidenten bestiminnerhalb von drei Tagen nach Feststellung des Wahlergebnisses, wiemen
viel Delegierte von jedem Landesparlament zu wählen sind. Die Länderparlamente sind gehalten, die Wahl der Delegierten unverzüglich nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen und das Ergebnis der Wahl nebst Annahmeerklärungen den Ministerpräsidenten zu übermitteln31).
Feststellungen den Landesregierungen mit. Die Landesparlamente sind gehalten, die Wahl der tes
teilt diese
Delegierten innerhalb eines Monats nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen, und das Ergebnis der Wahl nebst genauer Anschrift der Gewählten und deren Annahmeerklärungen dem Präsidium des Parlamentarischen Rates zu übermitteln §23
§25
(1) Das Präsidium des Parlamentarischen Rates beruft auf spätestens den dreißigsten Tag nach der Wahl des
(1) Die Ministerpräsidenten berufen auf spätestens den dreißigsten Tag nach der Wahl des Bundestages diesen zu seiner Konstituierung und die Bundesversammlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten ein. Unmittelbar nach der Wahl des Präsidenten des Bundestages findet die Wahl des
Bundestages diesen zu seiner Konstituierung und die Bundesversammlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten ein. Unmittelbar nach der Wahl
des Präsidenten des Bundestages findet die Wahl des Bundespräsidenten statt. (2) Die
Wahlhandlung leitet der Präsident des Bundestags. Er teilt dem Gewählten die Wahl mit. Der Gewählte gibt die Annahmeerklärung ihm gegenüber ab. ') Die
neue
Fassung des Absatzes geht
Hauptausschuß (Verhandlungen 820
des \
Bundespräsidenten
statt.
(2) Die Wahlhandlung leitet der Präsident des Bundestages. Er teilt dem Gewählten die Wahl mit. Der Gewählte gibt die Annahmeerklärung ihm gegenüber ab. den Antrag Diederichs (Drucks. Nr. 885) im tausschusses, S. 790) zurück.
Synopse
Wahlgesetzentwurf des
ausschusses
vom
Wahlrechts-
5. Mai 1949
Wahlgesetz zum vom
(3) Der Präsident des Bundestags veranlaßt die Vornahme der Vereidigung des Bundespräsidenten und die Bekanntgabe seines Amtsantrittes in den Amtsblättern der Landesregierungen.
15.
Juni
ersten 1949
Nr. 29
Bundestag
(3) Der Präsident des Bundestages veranlaßt die Vornahme der Vereidigung des Bundespräsidenten und die
Bekanntgabe
seines Amtsantrittes in
den Amtsblättern der
Landesregierun-
gen.
C.
Der
Schluß- und
C. Schluß- und
Übergangsbestimmungen
Übergangsbestimmungen
§24
§26
Parlamentarische
Rat
empfiehlt
der Stadtverordnetenversammlung von Berlin bis zum Eintritt des Landes Berlin in die Bundesrepublik Deutschland die Entsendung von 15 Delegierten aus ihrer Mitte in den Bundestag mit beratender Funktion.
Groß-Berlin hat das Recht, bis zum Eintritt des Landes Berlin in die Bundesrepublik Deutschland acht Abgeordnete mit beratender Funktion in den Bundestag zu entsenden32).
§25
zugleich mit dem Parlamentarischen Rat beschlossenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Dieses Gesetz tritt
vom
§
27
zugleich mit dem Parlamentarischen Rat beschlossenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Dieses Gesetz tritt
vom
§26 am 24. Februar 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossene Wahlgesetz wird hiermit aufgehoben.
Das
32) Auf Beschluß der Ministerpräsidenten vom 15. Juni 1949 in dieser Fassung verabschiedet (Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 49 B, S. 594). 821
VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN
a. a.
O.
Abs. ACDP AdG
=
=
=
=
am
angegebenen
Absatz Archiv für Christlich-Demokratische Politik Keesings Archiv der Gegenwart Archiv des deutschen Liberalismus Amtsblatt Artikel
ADL
=
Amtsbl.
=
Art.
=
Ausf.
=
Ausfertigung
BA
=
Bundesarchiv
Bayer.
=
Bayerisch
BDV Bearb. BGB
BGBl. BICO BKA
=
=
=
=
=
=
Bl.
=
BM
=
BMJ
=
BVP CDU CSU DDP DENA DNVP
Dok. DöV DP DRP Drucks. DVP DWG FDP FESt frz. GB/BHE gez. GG
=
=
= =
=
=
= =
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
Ort
Bremer Demokratische Bearbeiter
Volkspartei
Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bipartite Control Office
Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus Blatt Bundesminister Bundesminister der Justiz
Bayerische Volkspartei
Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union Deutsche Demokratische Partei Deutsche Nachrichtenagentur Deutschnationale Volkspartei Dokument Die öffentliche Verwaltung Deutsche Partei Deutsche Rechtspartei Drucksache (des Parlamentarischen Rates) Deutsche Volkspartei Deutsche Wählergesellschaft Freie Demokratische Partei
Friedrich-Ebert-Stiftung französisch Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten
gezeichnet Grundgesetz 823
Verzeichnis der
Abkürzungen
GV0B1. HStA IfZ
=
Jhrg.
=
JöR
=
Kl. Erw.
=
KPD KZ LDP
Leg. Per. LWG LzP MdB MdH MdL MdPR MdR MdWR Mil. Reg./MR MinR N. F. NL NLP NRW NSDAP NSV o.
Bl.
OLG OMGUS PA Pari. Rat. PRO Prot. PVS Reg. Bl. RGBl. RSF
RWahlG SBZ SED SPD
stellv. TOP undat. ungez.
vervielf. 824
=
=
Verordnungsblatt Hauptstaatsarchiv Institut für Zeitgeschichte Jahrgang Jahrbuch des öffentlichen Rechts Kleine Erwerbungen Gesetz- und
=
Kommunistische Partei Deutschlands
=
Konzentrationslager
=
Liberal-Demokratische Partei
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
Legislaturperiode Landeswahlgesetz Lexikon zur Parteigeschichte Mitglied des Bundestages Mitglied des Herrenhauses Mitglied des Landtages Mitglied des Parlamentarischen Mitglied des Reichstags Mitglied des Wirtschaftsrates Militärregierung
=
Ministerialrat
=
Neue
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
Rates
Folge
Nachlaß Niedersächsische Landespartei Nordrhein-Westfalen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ohne Blattzählung
Oberlandesgericht Office of Military
Government (US)
Parlamentsarchiv des Deutschen Parlamentarische Rat Public Record Office Protokoll Politische Vierteljahrsschrift
Regierungsblatt Reichsgesetzblatt Radikal-Soziale Freiheitspartei Reichswahlgesetz Sowjetische Besatzungszone
Bundestages
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands stellvertretender
Tagesordnungspunkt undatiert
ungezeichnet vervielfältigt
Verzeichnis der
VjfZ VO Vors.
VWG WAV WP Z/DZP ZfP ZParl
=
=
Vierteljahreshefte Verordnung
für
Zeitgeschichte
=
Vorsitzender
=
Vereinigtes Wirtschaftsgebiet
=
Wirtschaftliche
=
Wahlperiode
=
Zentrum / Deutsche
=
=
Abkürzungen
Aufbauvereinigung Zentrumspartei
Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Parlamentsfragen
825
VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN
QUELLEN
Bundesarchiv Koblenz (BA) Zonenbeirat (Z 2) Parlamentarischer Rat (Z 5) Büro der Ministerpräsidenten des amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebietes (Z12) Direktorialkanzlei des Verwaltungsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes
(Z13) OMGUS, Mikrofiches shington DC (Z 45 F)
aus
der Record Group 260, National Archives Wa-
Kleine Erwerbungen 792/Bde. 1—7 (Kopien aus dem Public Record Office: FO 371/76658-76660, 76687 und FO 1083/85-87) Nachlaß Herbert Blankenborn Nachlaß Heinrich von Brentano Nachlaß Johannes Brockmann Nachlaß Wilhelm Heile Nachlaß Theodor Heuss Nachlaß Walter Jellinek Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bonn (PA) Parlamentarischer Rat (Bestand 5)
Bayerisches Hauptstaatsarchiv Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß
München
(Bayer. HStA)
Anton Pfeiffer
Josef Schwalber Willibald Mücke Hans Ehard Karl Schwend Josef Ferdinand Kleindinst
Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Nachlaß Rudolf Ernst Heiland Nachlaß Josef Schräge Archiv für Christlich-Demokratische Politik, St. Materialien Bruno Dörpinghaus Materialien Hans Troßmann Nachlaß Adolf Blomeyer Nachlaß Theophil Kaufmann Nachlaß Gerhard Kroll
Augustin (ACDP)
827
Verzeichnis der
ungedruckten Quellen
Nachlaß Wilhelm Laforet Nachlaß Felix Walter Nachlaß Ernst Wirmer
Friedrich-Ebert-Stiftung Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß
e.
V., Archiv der sozialen Demokratie, Bonn (FESt)
Fritz Hoch Paul Löhe Walter Menzel Carlo Schmid Helene Wessel Jean Stock
Archiv des Deutschen Liberalismus, Gummersbach (ADL) Bestand: Die FDP-Fraktion im Pari. Rat, Korrespondenz Nachlaß Max Becker Nachlaß Thomas Dehler Nachlaß Hans Reif
Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Nachlaß Konrad Adenauer Institut für Zeitgeschichte München (IfZ) Nachlaß Fritz Eberhard Nachlaß Walter Strauss Nachlaß Helene Weber
Honnef-Rhöndorf (BKA)
VERZEICHNIS DER GEDRUCKTEN
QUELLEN
UND DER LITERATUR
DOKUMENTATIONEN, DOKUMENTENSAMMLUNGEN
1.
Adenauer-Briefe 1947—1949 (Rhöndorfer Ausgabe, Bd. 2), hrsg. von Rudolf Morsey/Hans-Peter Schwarz, bearb. von Hans Peter Mensing, Berlin 1984. Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945—1949. Herausgegeben vom Bundesarchiv und Institut für Zeitgeschichte Bd. 1: Sept. 1945 Dez. 1946. Bearb. von Walter Vogel und Christoph Weisz. München, Wien 1976. Bd. 2: ]an. Juni 1947. Bearb. von Wolfram Werner. München, Wien 1979. Bd. 3: Juni Dez. 1947. Bearb. von Günter Plum. München, Wien 1982. Bd. 4: Jan. Dez. 1948. Bearb. von Christoph Weisz, Hans-Dieter Kreiund Bernd kamp Steger. München, Wien 1983. Bd. 5: Jan. Sept. 1949. Bearb. von Hans-Dieter Kreikamp. München, -
-
-
—
Wien 1981.
—
Benz, Wolfgang (Hrsg.): „Bewegt
von der Hoffnung aller Deutschen." Zur Geschichte des Grundgesetzes. Entwürfe und Diskussionen 1941—1949. München 1979. Documents on the Creation of the German Federal Constitution. Prepared by Civil Administration Division, Office of Military Government for Germany (US). Berlin 1949. Foreign Relations of the United States. Diplomatic Papers. 1948, Vol. II: Germany and Austria. Washington 1973. Dgl. 1949, Vol. Ill: Council of Foreign Ministers. Germany and Austria. Wa-
shington
1974.
Kaff, Brigitte (Bearb.): Die Unionsparteien
1946—1950. Protokolle der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU Deutschland und der Konferenzen der Landesvorsitzenden. Düsseldorf 1991 (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 17). Der Parlamentarische Rat 1948—1949. Akten und Protokolle. Hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv. (Zitiert: Der Pari. Rat Bd. 1 ff.). Bd. 1: Vorgeschichte. Bearb. von Johannes Volker Wagner. Boppard 1975. Bd. 2 : Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee. Bearb. von Peter Bucher. Boppard 1981. Bd. 3: Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung. Bearb. von Wolfram Werner.
Boppard
1986.
Bd. 4: Ausschuß für das
Boppard
Besatzungsstatut. Bearb.
von
Wolfram Werner.
1989.
Bd. 5 : Ausschuß für Grundsatzfragen. Bearb. Wolfram Werner. Boppard 1993.
von
Eberhard Pikart und
829
Verzeichnis der
gedruckten Quellen
und der Literatur
Parlamentarischer Rat. Fundstellenverzeichnis zum Grundgesetz. Bonn [1949]. Parlamentarischer Rat. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe]. Formulierungen der Fachausschüsse, des Allgemeinen Redaktionsausschusses des Hauptausschusses und des Plenums. Bonn 1948/49. (Zitiert:
GG-Entwürfe).
Parlamentarischer Rat. 1948/49.
Stenographische
Berichte über die
Plenarsitzungen.
Bonn
(Zitiert: Stenographische Berichte).
Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses. Bonn 1948/49. Parlamentarischer Rat. Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. [Bonn 1949]. Salzmann, Rainer (Bearb.): Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion. Stuttgart 1981 (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 2).
2. AMTS- UND
GESETZBLÄTTER
der Landesverwaltung Baden. der Militärregierung Deutschland, Amerikanisches Kontrollgebiet. der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet. des Alliierten Kontrollrats in Deutschland. des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns. Amtsblatt für Schleswig-Holstein. Amtsblatt für Württemberg-Hohenzollern. Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt. Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes. Amtsblatt Amtsblatt Amtsblatt Amtsblatt Amtsblatt
Bundesgesetzblatt. Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz- und Verordnungsblatt gebietes.
für das Land Nordrhein-Westfalen. für Groß-Hessen. für Schleswig-Holstein. des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschafts-
Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt. Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden.
Reichsgesetzblatt. Sammlung der Länderratsgesetzgebung. Verordnungsblatt der Landesregierung Rheinland-Pfalz. Zentraljustizblatt für die Britische Zone. 830
Verzeichnis der
gedruckten Quellen
und der Literatur
3. MEMOIREN UND DARSTELLUNGEN
Adenauer, Konrad: Erinnerungen
1945-1953.
Stuttgart
1965.
Ders.: Zwei-Parteien-System wäre nicht gut. Hamburger-Abendblatt Interview mit dem Altbundeskanzler, in: Hamburger Abendblatt vom 5. Jan. 1967. Anschütz, Gerhard: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Berlin 141933. Ders./Thoma, Richard: Handbuch des Deutschen Staatsrechts. 2 Bde. Berlin 1930.
Benz, Wolfgang: Von der Besatzungsherrschaft
zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung, 1946-1949. Frankfurt/M. 1984. Blum, Dieter Johannes: Das passive Wahlrecht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Deutschland nach 1945 im Widerstreit britisch-amerikanischer und deutscher Interessen. Göppingen 1972. Brauner, Herbert: Wahlkreiseinteilung und Wahlrechtsgleichheit. Eine Untersuchung des gesamtstaatlichen Parlamentswahlrechts in Deutschland vom Norddeutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland. Diss. Heidelberg 1970. Braunias, Karl: Das parlamentarische Wahlrecht. Ein Handbuch über die Bildung der gesetzgebenden Körperschaften in Europa. 2 Bde. Berlin/Leipzig
1932.
Breunig, Werner; Kringe, Wolf gang; Pfetsch, Frank R.: Datenhandbuch Länderparlamentarier 1945-1953. Bd. 2 Verfassungspolitik. Frankfurt/M. 1986. Brill, Hermann: Für das Verhältniswahlrecht, in: Das Sozialistische Jahrhundert (1947), S. 65-67. Craig, F. W. S.: British Electoral Facts 1832-1980. Chichester "1981. Denzer, Karl Josef (Hrsg.): Nordrhein-Westfalen und die Entstehung des Grundgesetzes. Düsseldorf 1989. Der Bayerische Landtag: Eine Chronik zusammengestellt von Peter Jakob Kock. 1
Hrsg.
vom
Bayerischen Landtag.
Diederichs, Georg: Das Wahlrecht
2
zum
Bamberg 1991. Volkstag, in: Neuer
Bde. 1.
Vorwärts
vom
26.
Feb. 1949, S. 1 f. Ders.: Verhältniswahlrecht modifiziert, in: Neue Zeitung vom 5. Okt. 1948. Dix, Arthur: Die deutschen Reichstagswahlen 1871—1930 und die Wandlungen der Volksgliederung. Tübingen 1930. Doemming, Klaus-Berto v./Füsslein, Rudolf Werner/Matz, Werner: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. Neue Folge/Bd. 1. Hrsg. von Gerhard Leibholz und Hermann
v.
Mangoldt, Tübingen
1951.
Fischer, Claus A. (Hrsg.): Wahlhandbuch für die Bundesrepublik Deutschland. Daten
zu
Bundestags-, Landtags-
und
Europawahlen
in der
Bundesrepublik
Deutschland, in den Ländern und in den Kreisen 1946—1989, Paderborn 1990 (= Studien zur Politik Bd. 14). Fromme, Friedrich Karl: Von der Weimarer
Grundgesetz. Tübingen 21962. Fürstenau, Justus: Entnazifizierung. Neuwied/Berlin 1969.
Ein
Reichsverfassung
zum
Bonner
Kapitel deutscher Nachkriegspolitik. 831
Verzeichnis der
gedruckten Quellen und der Literatur
Gelberg, Karl Ulrich: Hans Ehard. Die föderalistische Politik des bayerischen Ministerpräsidenten 1946—1954. Düsseldorf 1992 ( Forschungen und Quel=
len
zur
Golay, John
Zeitgeschichte Bd. 18). Ford: The Founding of the Federal
Republic of Germany. Chicago
1958.
Grabbe, Hans-Jürgen: Die deutsch-alliierte Kontroverse
um den Grundgesetzentwurf im Frühjahr 1949, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 26 (1978), S. 393-418. Hartmann, Gustav B. von: Für und wider das Mehrheitswahlrecht. Frankfurt/M.
1949.
Heile, Wilhelm: Ein Vorschlag Jan. 1926.
zur
Wahlreform, in: Frankfurter Zeitung
vom
29.
Heitzer, Horstwalter: Die CDU in der britischen Besatzungszone. Gründung, Organisation, Programm und Politik 1945—49. Düsseldorf 1988 (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 12). Hermens, Ferdinand Aloys: Mehrheitswahlrecht oder Verhältniswahlrecht ? Berlin/München 1949. Ders.: Demokratie oder Anarchie? Untersuchung über die Verhältniswahl. Mit einem Vorwort von Alfred Weber und einer Einführung von C. J. Friedrich.
Frankfurt 1951.
Heuss, Theodor: Der Mythos
vom
Wahlrecht,
in: Neue
Zeitung
vom
11.
Juni
1949.
Jellinek, Walter: § ner
10 (3) des Wahlgesetzes zum angeblich nichtssagenden Bestimmung,
ersten
Bundestag. Tragweite eiVerwaltung
in: Die öffentliche
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832
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835
PERSONENINDEX
Adenauer, Dr. Konrad XI, XXVIII f., XXXII, XXXIV, XXXVII, XL f., XLIXf., 4, 34, 81, 93, 100 f., 118 f., 208, 372, 417, 424, 426, 523, 577, 590, 617, 646 f., 657, 676, 696, 733, 782, 792
Adickes, Ernst 667 Altmeier, Peter XL Andrae, Carl Christopher Georg Andrees, Eberhard 275 Anschütz, Prof. Dr. Gerhard 2 Arnold, Karl XLVIII, 226 f., 253 Augustus, röm. Kaiser 61, 461
10
Blücher, Franz
606
Bosse, Rudolf 694 Brauer, Max XLVIII, 293, 464 Braun, Bruno 69 Braun, Dr. h.c. Otto 159, 393, 729 Brecht, Arnold VIII Brekenfeld, Staatsfinanzrat 666 Brentano, Dr. Heinrich von 1, 3, 33—35, 52, 81-87, 90, 94 f., 208, 213-215, 223-225, 227, 237 f., 246, 255, 483, 581, 612, 673, 769, 776 Brill, Dr. Hermann L. 598 Brockmann, Johannes 3 f., 49, 52, 93-95, 374, 443, 579, 610, 641, 645, 648
Brückner, Landgerichtsrat
Backe, Herbert Bartram, Walter
Baumgartner,
Dr.
453 93
Josef 159,
197
Bäumer, Dr. Gertrud 600, 602, 605
Bebel, August 13, 96, 148, 159, 653, 725 Becker, Dr. Max VIII, XIII, XVII, XIX-XXI, XXIV, XXVI f., XXIX, XXXI-XXXVI, XL-XLII, LH, LIB, 1-3, 13, 26-28, 32-36, 52 f., 57-67, 73, 76 f., 79, 81-83, 86, 89, 95, 97 f., 100 f., 104-111,
113-122, 125-139, 143, 163, 186-188, 194, 206-209, 212-216, 226 f., 231-243, 245-247, 258, 260, 264, 268-270, 274-291, 293-297, 299, 331-335, 337, 341-344, 346-348, 350-352, 353 f., 357-375, 379-383, 386-427, 432, 434-437, 439, 441-458, 460-468, 470-473, 480, 483 f., 486-503, 506, 519 f., 553, 577, 581 f., 588, 593 f., 598, 601, 605 f., 608, 610-613, 625, 627-631, 633 f., 636, 638-646, 648-656, 658-663, 666-677, 679-713, 715-717, 720-733, 735-752, 768-771, 774-782, 784-786, 788-791, 793-803, 806 f., 811 f., 818 f. Bevin, Ernest XXXVIII Bismarck, Otto Fürst von 191 Blankenborn, Herbert 5, 141, 611 Blomeyer, Adolf 425, 429-431, 433, 437-442, 444, 448, 577, 769, 771,
Bluntschli, Johann Kaspar
258-262
Bülow, Bernhard Fürst Bürkli, Karl 17
Cavendish, Lord R. Cäsar
60
9
von
191
253
f.
Chapeaurouge,
Dr. Paul de 589, 610, 616, 622-625, 627, 634, 637, 639, 642, 644 f. Chaput de Saintonge,. Rolland XII, XIV, XVIII f., XXV, XXVIII, XXXVII-XL, XLII, XLIX, 52, 425, 494, 616, 674, 692, 776 Churchill, Sir Winston Spencer 57, 174 Clay, Lucius D. VIII, XXXVII, XXXIX Condorcet, Antoine Marquis de 7 Considérant, Victor 9 f.,'15 Coßmann, Heinrich 238
Cuno, Wilhelm
201
Dali, Gregor 48 Darré, Richard Walter
Däumig, Ernst
773-776
778
Brüning, Dr. Heinrich 77, 93, 169 f., 173 f., 482 Brüning, Dr. Otto 666 Bühler, Prof. Dr. Ottmar 246, 251-255,
Dehler,
Dr.
453
784
Thomas
XX f.,
XXVIII f., 837
Personenindex XXXIII f., XLII, XLIX, 77, 163, 347, 417, 426, 443, 523, 606, 754 Denzer, Dr. William LH, 284 Dewey, Thomas E. 29, 165 Diederichs, Dr. Georg X, XIII f., XVIII f., XXI, XXIV, XXVI f., XXXII-XXXIV, XL, XLIf., XLIV-XLVI, XLIX, LH f., 1, 3, 32, 45-54, 56, 71-77, 81, 83, 85 f., 95 f., 98-102, 104, 106-109, 114, 116 f., 117, 119-127, 129, 131 f., 134 f., 137-163, 196-198, 200, 203, 208, 210 f., 211 f., 214-222, 224 f., 227-231, 233 f., 236, 239, 241-246, 254-259, 261 f., 264, 266-268, 274-289, 291-301, 331-342, 344-348, 350-353, 358, 364-368, 374-407, 410, 412 f., 416-434, 437-446, 448-452, 458, 460, 462-475, 480 f., 483 f., 490 f., 486-488, 493-500, 504-514, 516-526, 577-579, 581, 593-597, 600, 608-613, 615, 617 f., 625-631, 632, 634, 638-643, 645-647, 650, 652 f., 655, 658, 661 f., 669, 674, 676, 678, 681, 683 f., 686-692, 694 f., 698-702, 704 f., 708-710, 712 f., 715, 718-721, 723-725, 727, 729-731, 733, 735-738, 742, 744-747, 749-752, 755, 768 f., 771 f., 774-776, 779 f., 782-789, 791-803, 806 f., 811-813, 818-820
Diekmann, Bruno Dietz, Eduard 17 Dollfuß, Engelbert
93 16
Eberhard, Dr. Fritz 671, 768, 771 Ebert, Friedrich 16 Ehard, Dr. Hans XL, L, 134, 585, 608, 644, 669
Ehlers, Adolf
735
Erdmannsdörffer, Hans G.
252
Fecht, Dr. Hermann 3. 52, 275,
295
f.,
412, 446, 650, 653, 655, 660, 664-666
Feine, Gert
605
Finck,
Dr. Albert 412, 490, 650, 658-660, 670-672, 674, 676 f., 683, 687, 696 f.,
700, 703, 752
Finger, Hedwig
469, 729
Fourier, Charles 9 Frank, Dr. Ludwig 14 Frank, Henning 413 838
George, Lloyd
37, 78
Gesell, Silvio 147 Glahn, Fritz XXIX Goebbels, Dr. Joseph 482 Grève, Dr. Otto Heinrich 52, 246, 331, 352, 354-357, 360-372, 669, 708 Karl 159 Grotewohl, Otto 451 Günther, Paul 69
Grillenberger,
Haagen, Dr. (Stenograf) 4, 52, 100, 108, 137, 163, 208, 246, 445 f., 490, 610, 674 Haase, Hugo
170
Hagenbach-Bischoff, Hahnenfurth, Artur
Eduard
10
254
Hare, Thomas 9 Hartmann, Dr. Gustav von 258-261, 266, 273, 421 Hasenclever, Wilhelm 159
Hayes,
R. B.
101,
246,
129
Heiland, Rudolf-Ernst X, XIV, XIX, XXIV, XXVI, XLVIII-L, LUI, 1, 3, 32, 52, 70, 86-90, 95, 100, 108, 110, 115, 118, 121, 129-131, 134, 136 f., 163, 208, 210, 212, 214, 231 f., 241, 246, 261 f., 266, 275, 285 f., 289 f., 292 f., 298 f., 301, 331, 342, 347 f., 363, 369, 374, 378 f., 389, 391, 396, 401, 407, 409, 412, 414-416, 418-420, 422, 424 f., 434, 445 f., 448, 458, 460, 462-468, 471-473, 475 f., 484, 490, 494, 496, 500, 503-506, 508-510, 513, 518, 523, 525 f., 577-579, 598, 600, 606-610, 674, 680, 685 f., 688, 696, 698-700, 705, 707, 714, 716-721, 723, 726 f., 729, 733, 736, 744 f., 747, 749, 758, 768 f., 771, 781, 785, 790, 796, 799 Heile, Wilhelm XXVIII, XLII, XLIV, 3, 52-54, 66, 72 f., 96-100, 107 f., 114 f., 127, 251, 374, 490, 499, 506, 508, 515-517, 523, 577-579, 591-593, 596 f., 601-603, 705, 708, 712, 720, 722, 724, 729, 731, 747, 750, 768, 771, 782-784, 800-802, 811, 836 f. Heintzeler, Karl August 290 Hellwege, Heinrich XXXVI, 355 Henssler, Fritz XLVIII Hermans, Hubert XLIX Hermens, Ferdinand A. 252 Herrgesell, (Stenograf) 412, 577, 768, 771 Hess, Rudolf 453 Heuss, Dr. Theodor XXI, XXXIV, XLI f., 3, 28, 590, 601, 606, 612, 676 Heymann, Staatsminister a.D. 251
Personenindex Hilbert, Anton
769
Hilferding,
Dr. Rudolf 337 Hitler, Adolf 24, 55 f., 78, 93, 453 Hoch, Dr. Fritz XX, XXIV Hondt, Victor d' 10 Höpker Aschoff, Dr. Hermann XXXVI,
XLI, 366
Hugenberg, Alfred
784
Imbusch, Heinrich
204
Jaurès, Jean
Jellinek, Prof. 71
13
Dr. Walter
L, LH, 4, 27, 62,
52 f., 55, 57, 61, 63-66, 68, 74, 76-82, 85, 87-90, 93, 95, 99, 108, 114, 121-126, 130-135, 137, 141-143, 163, 194, 202, 206-213, 215, 219, 226 f., 230-234, 238, 240, 243-246, 255, 264-268, 270, 272 f., 275 f., 278-280, 282-285, 287 f., 291, 293 f., 296, 298-301, 331, 334, 336, 338 f., 344-351, 363, 365-368, 374, 388, 403 f., 391, 406, 408-410, 412 f., 415-420, 424 f., 448 f., 465, 490, 492, 583, 588 f., 600, 607, 768 f., 798 Kuhn, Karl 100, 137, 143 f., 146, 153, 155, 246, 331, 374, 425, 439, 445 f., 461, 474, 482, 488, 577, 674, 689 f., 699 f., 702, 705, 710 f., 713-715, 722, 728, 732, 735, 738, 742, 745 Kunze, Richard (gen. „Knüppelkunze") 148 Kühn, Adolf XVI, 768 f., 771, 783 Küster, Otto XXVII, 605
f., 81, 85, 207, 251, 256, 258, 262, 271,
276, 278, 402 Dr. Hans
Jonuschat,
(Stenograf)
650, 705 La Guardia, Fiorello Henry 194 Laforet, Prof. Dr. Wilhelm 275
Kahl, Prof. Dr. Wilhelm
Laloy, Jean XI, XXXVII, XXXVIII, 337
Kaiser, Jakob XXIX, 130, 211, 755, 771, 773, 788, 790, 792 f. Katz, Dr. Rudolf 3 f., 33-35, 39, 101, 163, 184, 193 f., 196, 246, 656, 705 Kaufholdt, Dr. 138, 206 Kaufmann, Theophil XVI, XVII, XXIV, XXIX, XXXIV f., XXXVIII, XLVI, LUI, 52, 208 f., 211 f., 214, 223, 228, 235-237, 239, 245 f.,
XIX, XLV, 219, 373, 458,
444-446, 448-451, 453, 456, 460-471, 476 f., 479, 481, 483 f., 486 f., 490, 492-495, 497, 499-501, 504-506, 523, 577, 580-585, 594 f., 597-612, 614-620, 622 f., 631-634, 636, 638-642, 644-650, 653, 655-657, 674 f., 768, 771, 798
Kautsky,
Karl 170 Keil, Wilhelm 664 Kirschner, Dr. h.c. Martin 667 Kleberg, Walter L, 610 Kleindinst, Dr. Joseph Ferdinand Klöcker, Dr. 251 Klöckner, Anna 469
Koenig,
Kopf,
Pierre
81
IX, XXXVII, XLI, 140
Hinrich Wilhelm 3 Köhler, Erich 660 f. Köster 208, 251 Kroll, Dr. Gerhard XIV-XVII, XXIX, XXXII ff., XLIII, 1-4, 26 f., 30, 32, 36-46,
669
Lehr, Dr. Robert 616 Leisewitz, Dr. Georg Heinz Albert VIII, XII, XXXIII-XXXVII, XXXIX, XLIII, XLVI, 244 f., 424, 444, 446, 494, 612, 616, 657, 669, 755, 769 Leusser, Claus 2, 608, 669 Levi, Dr. Paul 148, 784 Liebknecht, Dr. Karl 13, 158 Liebknecht, Wilhelm 159 Lincoln, Abraham 129, 454 Litchfield, Edward XXXV, 476
Loebner, Hans 666 Loritz, Alfred 134 f., 149, 797 Löbe, Paul XX, XXIV, XXIX, XLVI, 100, 108, 130, 133 f., 137, 142, 145, 148, 150 f., 153, 155, 157-159, 163, 190-194, 199, 201, 203, 208, 215, 223, 225-227, 239-243, 246, 331, 336 f., 358, 371 f., 374, 380-382, 392 f., 398-400, 405 f., 412, 419 f., 422, 446, 484, 487, 489 f., 577, 582, 610, 615, 617, 650, 652-654, 656 f., 660, 665 f., 669, 674, 687, 689 f., 692-695, 697, 701, 705, 707, 714 f., 717 f., 720, 722, 724 f., 728-730, 732, 737, 746, 749 f., 768 f., 771, 773, 784 Löwenthal, Dr. Fritz 490 Lukaschek, Dr. Hans 590 Luther, Dr. Hans XXXI, XLIII, 99 f., 137, 162-191, 194-196, 198-203, 255, 396, 648, 798 839
Personenindex Lüdemann, Hermann XL, 91, 93, 184, 192, 199, 211, 464, 710
Paul, Hugo XXI, XLIV, 1, 3, 52 f., 67-70, 79, 84, 90, 95 f., 99 f., 108, 110, 112 f., 117-119, 122 f., 137, 140 f., 146-148, 150 f., 158, 160, 208, 254, 266 Paulus
Maier, Friedrich XVIII, XX, XXIV, 52, 100-102, 108, 111, 119, 121, 123, 137, 140, 145 f., 152, 155, 160 f., 163, 208, 275, 293, 298, 331, 361, 373 f., 399 f., 412, 423, 425, 446, 459 f., 460, 506, 509, 577, 591, 665, 674 f., 680, 768, 771 Malan, Dr. Daniel F. 176 Marum, Dr. h.c. Ludwig 455 Marum, Hans 455 Marx, Wilhelm 169 Mayr, Karl-Sigmund XVII, 81, 610, 674, 700, 768, 771 Meidinger, Dr. (Stenograf) 425, 506 Meier, Reinhold 606 Meißner, Karl 731 Menzel, Dr. Walter XVIII, XX, XXVI, XXVIII, XLVIII, LUI, 1-4, 27, 45, 52, 91, 100, 108, 137, 163, 208, 211, 242, 244, 275, 331, 338 f., 342-349, 351-354, 356-359, 374, 384, 405, 412, 425, 445 f., 459, 490, 506, 577, 583, 610, 619, 674, 709 f., 771 Merkatz, Hans Joachim Mill, John Stuart 9
Miquel, Johannes
von
von
XXXVI
667
Mirabeau, Gabriel de Riqueti, Graf 7
von
f.
Mohl, Robert von 9 Molotow, Wjatscheslaw Michailowitsch 451 Mommsen, Konrad XXXII, 246, 261, 264, 267, 273
Mussolini, Benito 25 Mücke, Dr. Willibald 108, 110 f., 115 f., 130, 134 f., 163, 198-200, 589 f., 610, 620-622, 624, 637 f., 640, 646, 648, 752, 754
Nansen, Fridtjof 453 Naumann, Friedrich 3, 14, 97, 252
Naville, Ernest Nimz, Paul
9
412
Oellers, Fritz 590 Ollenhauer, Erich L, 840
91
148
Perbandt, Skiode von 5, 590 Pfeiffer, Dr. Anton XIV, XVI, XXXVII, XL, L, LUI, 46, 96, 141, 251, 417, 583, 599, 616, 793 Pf ister, Karl
29, 412
Poincaré, Raymond Prost, Arthur 459
13
Quade, Otto 254 Queuille, Henri 15
Raederscheidt, Erich 4 Rasche, Georg 290 Reichstein, Dr. Willi 778 Reif, Dr. Hans XXI, 417,
577,
588,
601-606
Reif, Josef 601 f. Reimann, Max XXI, XLII, XLIV, 1, 108, 137, 208 f., 222, 231, 238, 246, 275, 331, 374, 412, 425, 446, 490, 650, 674, 705, 768, 771 Renner, Heinz XIII, XXI, XXIV, XLII, XLIV, XLIX, 99, 208, 275, 282, 285-292, 297, 300, 331, 339-341, 343 f., 349 f., 355-357, 359 f., 362, 374, 378-381, 385 f., 391 f., 395, 397, 400, 412, 414, 417, 420 f., 423 f., 446, 449, 451 f., 454-456, 459 f., 577-579, 610, 619-621, 623, 753, 771, 775, 778, 780 f., 784 f., 787, 789, 792, 794, 799-801 Reuter, Dr. Ernst 130, 293 f. Reynitz, Dr. (Stenograf) 374 Rieck, Otto 275 Rittinghausen, Moritz 12 Robertson, Sir Brian Hubert XI f., XXVIII, XXVII f., XLII, 660 Roosevelt, Franklin Delano 598 Rosenberg, Alfred 453 Rosin, Heinrich 6 f. Roßhaupter, Albert XX, 275, 291, 295, 425 Röder, Adam 251 Rönneburg, Heinrich XVII, 137, 147-149 Runge, Hermann 96, 374, 425, 610
Personenindex
Saripolos, Nicolas
11
Schacht, Dr. Hjalmar Schäfer
120
275
Scheidemann, Philipp 16 Schiller, Friedrich von XXXI, 507 Schmid, Prof. Dr. Carlo IX f., XXVI, XXVIII f., XXXVI, XXXIX f., 101, 244, 275 f., 421, 449, 486, 583, 655, 751, 756, 782, 806, 818
Schoettle, Erwin 373 Schräge, Josef XV, 1, 3, 52, 100, 108, 123, 133 f., 137, 160 f., 163, 208, 246, 275, 297, 331, 351, 358, 363, 366-370, 372 f., 412, 445 f., 490, 506, 577, 610, 650, 654-657, 669 f., 672, 674, 695, 705, 768 f., 771
Schraps, Reinhold
148
Schreiber, Dr. Hans 141 Schreiber, Prof. Dr. Gerhard 94 Schröder, Dr. Gerhard XXXVII, 5, 71, 101,
403-405, 409, 412, 412-419, 423, 425, 430, 446, 449, 456-458, 460, 462 f., 470, 472 f., 478, 481, 484, 486, 488 f., 491, 493, 495, 498 f., 501-507, 509, 511-518, 520 f., 524-526, 577, 579, 582-585, 588, 610 f., 622 f., 591, 617-620, 631, 633-641, 643, 647, 649, 674, 676-679, 682 f., 686, 691-693, 695, 699, 701-703, 705, 707 f., 711, 716-719, 721, 725, 727 f., 731-733, 735, 743-747, 749, 751, 769, 773 f., 778-780, 782 f., 792, 796 f., 797, 799, 802, 806 f. Stocker 46 Stolz, Karl 249 Strathmann, Prof. Dr. Hermann 457 Strauß, Dr. Walter 138 Suhr, Dr. Otto XLIX, 3, 52, 605, 755, 773 Süsterhenn, Dr. Adolf X, XXXIV, XXXVII, XLIX, 448, 729, 776, 793
238, 408, 590, 611, 615, 645, 798
Schröter, Carl XV, XVI, XXIX, XLII, 1, 3, 52, 55-57, 73, 91 f., 95, 99 f., 102, 104, 137, 156, 208, 261, 275, 374, 412, 425, 433, 446, 448, 457, 459, 461, 464 f., 490, 506-510, 512-514, 467-471, 516-520, 522-524, 526, 577-579, 606, 608, 674, 677, 682-685, 687 f., 690, 697, 699, 704, 768 f., 771-773, 775, 778 f., 785 f., 788-791, 793-797, 800 f. Schumacher, Dr. Kurt XL, 204, 729 Schuman, Robert 15, 38 Schurz, Carl 192, 454 Schwabach, Felix 192 Schwalber, Dr. Josef XVII, XXIV Schwamberger, Dr. Emil 606 Seebohm, Dr. Hans-Christoph XLII, 96, 599, 616, 651, 676, 753 f., 758, 802, 811 Seifried, Josef XVIII, XX, XXIV, 208, 275 Seibert, Elisabeth 246, 412, 745 Simons, Dr. Hans XI, XXXV, XXXVII, XLI,
Tannert, Dr. Carl
5, 152, 427, 590
Teusch, Christine 469 Thälmann, Ernst 393 Thoma, Richard Prof. Dr. XXXI, 2-29, 32, 36, 38, 45, 47, 53, 56, 83, 97, 180, 231, 251, 262, 269, 278, 598, 773 Thöt, Karl (Stenograf) 331 Treviranus, G. R. 784 Trossmann, Hans L Truman, Harry S. 29, 165
Ulrich, Fritz 612, 681 Unkelbach, Dr. Helmut
275
f.,
483
476
Smuts, Jan Christian Solon
172
659
Steel, Sir Christopher Eden XII, XXXVIII,
Vollmar, Georg Vossen, André
von
14
208
616
Stelzner
77
Sternberger,
Dr. Dolf
60, 85, 247
Stock, Christian XI, XL, XLI, 519 Stock, Jean XXIV, XVII, XVIII, XXVI, XXIX, XLIV, XLV, 1, 3, 52, 100, 102, 104, 107 f., 137, 139, 163, 208, 210, 221, 223, 224, 227-230, 238-241, 245 f., 275-277, 279, 283-286, 293, 296-299, 301, 331, 333-337, 358, 361-369, 371, 373-375, 377, 381 f., 387 f., 390, 395-397, 400 f.,
Wagner, Albert 662 Wagner, Dr. Friedrich Wilhelm 101, 107, 137, 162, 206, 396, 674, 683 Dr. Karl 238 Walk, Emil Peter XXXII, 71, 256 f., 261 f., 270-272, 798 Wallace, Henry Agard 29, 165
Wagner,
246-251,
841
Personenindex Walter, Felix X, XIII f., XVI, XXXIV, LH, 1, 3, 52, 108, 112 f., 118, 120, 122 f., 126 f., 129, 137, 163, 208, 275, 287, 290, 292, 296, 299, 331, 412, 414, 424 f., 431 f., 437, 440-442, 445 f., 448, 461, 469, 473-476, 478 f., 481, 483, 486, 490, 493, 506, 577, 579, 581, 588-592, 596, 605 f., 610, 650, 658, 660, 663 f., 671, 673 f., 683 f., 689, 691, 693-695, 704 f., 708, 711 f., 722, 724 f., 728, 730-733, 736, 738, 740-743, 745, 768 Weber, Dr. h.c. Helene XVII, XLIV, 137, 151 f., 155, 158 f., 211, 246, 421, 579 Weber, Prof. Dr. Max 20, 601 Werner, Gustav 666 Werz, Dr. Luitpold XXXIX, XLI, XLH, 735,
f., 410, 412, 414, 419-425, 428 f., 431, 436-438, 443 f., 446, 462, 467-469, 471 f., 478-481, 484, 486, 488-492, 502 f., 505 f., 508, 511-513, 515-517, 520, 522 f., 577-579, 585-589, 592, 599, 603-605, 610, 621 f., 626 f., 650 f., 653, 657 f., 662 f., 670, 673 f., 677, 680 f., 684-686, 691, 698-703, 705, 714, 719, 724, 728, 730, 732 f., 768, 771, 787 Wetzel, Dr. Ursula 246 Wirmer, Ernst 610 Wirth, Dr. Josef 251, 262 Wolff, Dr. Friedrich 208 Wunderlich, Hans 108, 275, 301 403
770
Wessel, Helene XIII, XXIV, XXVI, XLIV, 100, 105, 108, 110, 112, 115, 118, 120, 124-127, 137, 156, 163, 189 f., 193, 199, 204, 208 f., 225, 239, 246, 254, 272 f., 275, 331, 334, 336 f., 340, 345, 349 f., 353-355, 358-362, 365, 368, 370 f., 374, 376 f., 380 f., 385-388, 394, 397 f., 400 f.,
842
Zetkin, Clara
148
Zimmermann, Gustav XX, 52, 208, 246, 408
Zinn, Dr. h.c. Georg August XLVIII, 669, 781, 808
Zinnkann, Heinrich
610
SACHINDEX
Abgeordnetenzahl im Parlament (s. auch Verrechnung der Mandate) X, XII, XXVII, XXXV, XXXVIII, 2, 24, 33 f., 140, 242, 332 f., 342-350, 359, 388 f., 446 f., 486-488, 490, 520, 545 f., 555, 589 f., 613, 615, 625-627, 685, 696, 703, 754 f., 768, 792
Abgeordnetenzahl
Ausschuß für
Wahlrechtsfragen Abstimmung über die Wahlsyste-
-
-
pro Wahlkreis
s.
Wahl-
kreis
Aktionsgruppe Heidelberg 24, 259 Allgemeiner Redaktionsausschuß 3,
139,
143
Alliierte XLVII f., 35, 79, 289, 666 Einfluß auf das Wahlgesetz XXVII, XXXV-XXXVIII, XL f., XLV-XLIX, 35, 49, 79, 141, 476, 479, 494, 523, 660-672, 724, 768 f., 772 f., 777, 791, 800, 804, 818 Memorandum vom 22. November 1949 (= Drucks. Nr. 516) XL VI, 661, 669 Antisemiten (Deutsches Reich, 1871-1918) 63, 191 Aschaffenburg XVIII, 224, 238 Aufwertungs- und Wiederaufbaupartei 65, 79, 146, 236, 249, 257, 262 Ausführungsbestimmungen s. Schluß- und -
-
Übergangsbestimmungen
Ausschuß für das Besatzungsstatut XIII, XV, XIX, 3, 344, 351 Ausschuß für Finanzen (Finanzausschuß) XIII, XV, XVIII, XXVI, 52 Ausschuß für Grundsatzfragen XIII, XV, XXVI, XL, XLII, 3, 108, 137, 208, 366, 372, 606, 609 f., 671 Ausschuß für Organisationsfragen XV f., XXV, XXVI, XLVI, 2-4, 35, 38, 43, 52, 100, 108, 111 f., 137, 242, 280, 347, 374, 412, 419, 484, 488, 606 2. Sitzung X, XII, 53, 127
Sitzung 215 4. Sitzung 215 6. Sitzung 111, 127 8. Sitzung 416 11. Sitzung 347, 385, 589, 624 20. Sitzung 242 Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege 461 -
-
-
-
-
-
-
-
XXXII f., XLII, 125, 162, 207, 209-213, 232, 233-235, 243 f., 279, 406, 412-414, 420 Arbeitsplanung XIII, XXIV, LI, 32-35, 51-53, 99-102, 107, 137-139, 206-209, 213-216, 242-245, 276-280, 350-352, 403-407, 414-425, 446-449, 577580, 609-613, 672-675, 768-770 Anwesenheit im Ausschuß XXI—XXIV, 478, 577-580, 583, 625 me
Konstituierung -
-
-
Mitglieder
XII-XIV XIV-XXIV
Redaktionsausschuß XXXIV, 143, 151, 277, 279, 358, 362 f., 404-406, 442, 444, 446,
160, 215, 276, 367 f., 373-376, 449, 472, 488 f., 648, 669, 704 f.,
490-493, 495 f., 611 f., 734, 737 Sachverständige 100 f., 137 f., 163, 206, 208, 211, 236-238, 243 f., 405, 598, 699 f. Wahl des Vorsitzenden 1 Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung XIII, XVI, 459, 742 Australien (Wahlsystem) 164 f., 187 -
-
Außenpolitik
88
Ältestenrat XIII
Bad Hersfeld XX, 417 Bad Homburg 101, 250, 252 Bad Schlangenbad s. Landeswahlleiterbzw. Ministerpräsidentenkonferenz Baden XVII, 14, 16, 18, 29, 332 f. Beratende Versammlung von 1947 52, —
3.
664
Entnazifizierung 122 Flüchtlingsgesetz von 1947 Gemeindeordnung von 1921
281 783 Gemeindewahlen von 1946 66, 399 f. Landes Wahlgesetz von 1947 2, 102, 145 Bamberg XV, 77 Bauernbund 58 —
—
—
—
—
843
Sachindex
Bayerische Volkspartei 181 Bayern 12, 19, 23, 34, 77, 205, 228, 242, 332 778 f. -
-
-
81, 88, 181, 440, 585, 618, 636,
f.,
120-122, 298 f. 199, 281 Gemeindewahl von 1948 166, 223, 231, 238, 409, 501 f.
-
von
200,
1948
819-821
133,
1946 2, 102, 104, 110, 113, 115, 133, 177 f., 369, 380, 430, 434 f., 438, 457, 677 Landtag XVIII, 22, 40 Landtagswahl von 1946 41 von
75
L, 32, 121, 149, 153 Bundesversammlung X, XLII, 519—524, 563 f., 607, 743-747, 765 f., 777, 802, 1949
von
200 f.
Landeswahlgesetz
-
Bundestagswahl
Entnazifizierung Flüchtlinge 110,
Gemeindewahlgesetz
-
Bundesrat (s. auch Bundesversammlung) XLII, 35, 130, 215, 269 Bundestag Xf., XXV, XXVII, XL f., 2, 5, 31, 33, 53, 115, 130, 288, 372 f.
Ministerpräsidenten VIII, XXX, ff., XXXVII, XXXIX, XLI-XLIII, XLVI, LH, 245, 424, 446, 494, 612, 657,
Büro der XXXIII
669, 755, 769
Bayernpartei 159,
197, 355, 357, 603, 608, 636, 680, 717 f., 784, 797 Beamtenwahlrecht (s. auch Wahlrecht, passives) XXXV, XLIV-XLVI, 295-297, 579, 660-673, 781, 808 Befreiungsgesetz (s. auch Baden, Bayern...) 84, 120 f., 289, 291, 303, 457, -
CDU und CSU VII, XIII, XV ff., L, LIII, XLVII ff., 35 f., 40, 44, 53 ff., 81, 87 f., 90, 96, 154, 188, 197, 207, 209-211, 238, 367, 374, 410, 424, 426, 446-448, 526, 583, 611, 645, 655, 704, 769 f.,
7, 204 Wahlrecht 11
-
f., 473, 617, 622,
646
f.,
330, 565, 100,
eine Partei XIII, 485, 693, 730-733, 758 Zonenausschuß XVI Arithmetikerausschuß XXVIII, sog. XXXVII, 332 f. Parteitag von Recklinghausen XXVIII f. Wahlausschußsitzung vom 5. März 1949 733
Konferenz 79
—
s.
Besatzungsstatut
Bevölkerungsentwicklung
32
f., 352, 382-384, 628,
Ausschuß für
f.,
58,
218,
251, 372 f. Braunschweig (1918-1933) 622 Bremen (s. auch Wahlkreise, Bremen) 154 f., 241, 332 f., 525, 696 f., 735
8./9.Jan.
von
1949
Königswinter
am
612
Chiemseer Entwurf XXVII, XXX, XLVI, 2, 5, 18, 109, 117, 127, 130, 144, 278, 386, 406, 443, 605
Croydon
785
86
Wahlsystem (s. auch rechnung der Mandate) 15 f., 19,
Ver-
d'Hondtsches
Bonn
19,
Bürgerschaft XVII Entnazifizierung 122
Flüchtlinge
—
11
Besatzungsstatutausschuß
-
—
—
Besatzungsstatut XLIX,
332
—
802
-
-
—
656
660 Bern (Wahlrecht)
776
Behandlung als
Berlin XV, XVIII, XX, 3, 90, 130, 132, 333, 371, 380, 408, 440, 494 f., 526, 644 f., 735, 749, 755, 767, 772, 777, Berliner Abgeordnete XX, XXIX f.,
das
f.,
772
460
Belgien
199
Breslau XV, 130, 694 Bund der Impfgegner 58 Bund der Landwirte 58 Bundesfinanzhof 118 Bundesgerichtshof 24, 118, 590 Bundesliste (s. auch Listenwahl) LI, 103 f., 107, 109, 156, 160 f., 277, 334-336, 338, 340 f., 343-346, 351, 353-355, 359 f., 369 f., 387 f., 408-410, 426, 437, 442 f., 446, 486, 490, 492, 496, 511 f., 546 f., 582, 587
47, 50, 73, 103, 152, 213, 218, 333-336, 338, 344, 347, 350, 383 f., 409, 413, 426 f., 429, 464-466, 480, 483, 487, 516, 556, 588, 745, 786-792
23
220, 359, 440, 520,
-
Bundespräsident 844
s.
Bundesversammlung
DAF
249 111
Danzig
Dänemark 10 f., 14, 91 Dänische Minderheit (Deutsches Reich, 1871-1918) 27, 63 DDP XVII, XIX, 3, 14, 20, 27, 106
Demontage
254
Deutsch-Hannoversche Partei
157
f.,
243, 377, 446, 546,
Sachindex Deutsche Konservative Partei 92 Deutsche Nationalversammlung (1919)
-
s.
Weimarer Republik Deutsche Partei VIII, XXIV, 48, 53 ff., 73, 75, 96, 157, 197, 354 f., 357, 608, 626, 640 f., 716-719, 791
-
-
-
-
Deutsche Rechtspartei Deutsche Volkspartei XV, XX, 168, 187, 48
468
Deutsche
Wählergesellschaft
(s.
Wahlgesetzentwurf) XXXI,
auch XXXIX,
XLIV, LH, 24, 29, 43, 46, 60, 65, 71, 81 f., 85, 93, 101, 142, 159, 182, 207 f., 226, 236, 238, 245-274, 401, 413, 580, 601-604, 610, 652-654, 798 Deutscher Block (s. auch WAV) 731 Deutscher Volksrat VIII Deutsches Obergericht 118 Deutsches Reich (1871-1918)
Reichstag -
-
-
178
12, 17, 26
f., 188, 370, 495,
Reichstagswahlen Wahlgesetz von
f., 37,
62
f., 158,
591 f.
-
-
-
-
-
-
-
-
49, 159, 200, 340 1869/71 105 f., 188,
295, 390, 465, 592, 597, 601, 603, 635, 654
-
-
Wahlkreiseinteilung
17, 370, 495 Deutsches Reich (1919-1933) s. Weimarer
-
-
Republik
-
Deutsches Reich (1933-1945)
53, 74, 84, 89, 98, 112, 117, 151, 185, 193, 291, 454
f.,
-
-
580
Deutschsoziale Partei 148 Direktmandat s. Einmannwahlkreis
-
-
Displaced Persons 116 DNVP 55, 169, 182, 187, 784 Dolchstoßlegende
-
-
89
Drucks, des Pari. Rates Nr. 21 XIV Nr. 22g XIII
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
42 1, 34 44 5 63 2, 53 71 35 72 71, 215, 256 81 3 87 111 93 XIV 97 215 99 1 101 52 102 127, 242, 347 111 100 112 137 128a („Struktur-Entwurf"
richs) XXV,
XXXII,
108-136, 139 ff., 277
LI,
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Diede102-104,
-
-
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
156 157 167 176 178
137
100, 578 347, 589 366
„Teilentwurf" (Wahlgesetz Diederichs) XXV, XXXIII, XLVI, LI, 214-222, 331-366, 374-388, 401, 413 f., —
418, 493, 635, 691 Nr. 197 (Wahlgesetzentwurf Bekker) XXV, XXXII f., LI, 101, 212, 214, 229, 276, 279-331, 363-373, 388-407, 413 f., 493, 496, 581 f., 613, 625, 627, 694, 738, 751 Nr. 203 210, 522 Nr. 216 208 Nr. 217 246 Nr. 220 249 Nr. 248 443 Nr. 250 275 Nr. 264 (Wahlgesetzentwurf Kroll) XV, XXV, XXXII f., LI, 331, 364-366, 408-414, 465, 583 Nr. 265 242 Nr. 266 XXV, 425-428, 444, 451, 493, 526-552 Nr. 267 Nr. 291 Nr. 325 Nr. 340 Nr. 358 Nr. 357 Nr. 361 Nr. 369
242, 385, 443 450, 549 331
650 425 374 445
(CDU/CSU-Wahlgesetzentwurf)
XXV, XXXIV, 446, 465, 526, 577, 580-609, 613, 656, 694 f. Nr. Nr. Nr. Nr.
370 379 394 450
672 445 462
(CDU/CSU-Wahlgesetzentwurf)
XXV, 566-576, 674 f., 689,
694 f.
Nr. 456 579 Nr. 465 490 Nr. 466 506 Nr. 474 (Wahlgesetzentwurf Diederichs) XXV, LI, 444, 450-489, 493-526, 553-565, 691, 713, 751 Nr. 488 606 Nr. 506 646 Nr. 516 XLVI, 661, 669 Nr. 543 650 Nr. 554 613 f., 644 Nr. 560 606 Nr. 577 (überarbeiteter Entwurf Bekker) XXV, 674, 704-751, 756 Nr. 591 673, 749 Nr. 605 650, 656, 660, 672
-
845
Sachindex
-
Nr. 606 (überarbeiteter Entwurf Bekker) XXV, 674-705, 709, 711 f., 716,
726, 734-736, 741, 743, 747, 751 Nr. 611 616 Nr. 614 752, 754 Nr. 618 711, 754 Nr. 619 472, 676, 753, 758 Nr. 621 750, 755 Nr. 623 705 Nr. 624 752, 754, 779 Nr. 626 676, 753 f., 758, 759, 768 Nr. 628 754 Nr. 847 („Rahmen-Wahlgesetz" Entwurf) 782, 803-821 Nr. 848 812 Nr. 849 819 Nr. 851 818 f. Nr. 881 141 Nr. 884 806 f. Nr. 885 820 Nr. 891 669, 781, 808 Nr. 905 590, 806 f. Nr. 906 782 Nr. 907 806 Nr. 908 811 Nr. 909 815 Nr. 910 815 Nr. 912 XXVI, 806 Nr. 913 813 Nr. 914 676, 806 Nr. 915 676, 782 Nr. 916 676, 807 Nr. 918 782, 807 Nr. 923 807 Nr. 924 782 Nr. 930 771, 793 Düsseldorf 159, 226
Ersatzmandate (s. auch Nachwahl) 161
Erster Essen
f.,
550
f.,
109,
575
Weltkrieg XVII, XX,
89
99, 168
-
-
-
-
-
Fachausschüsse des Pari. Rates, Besetzung XIII
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
an den Pari. Rat LH, 44, 85, 94, 138, 208, 402, 412 f., 425, 446, 483, 610
Eingaben
Einmannwahlkreise XLIII, XLIV, XLVIII, 6 f., 21, 25 f., 50, 66, 72 f., 78, 83, 103, 107, 140,143, 229-231, 236, 238, 243, 257, 260,
Fachleute (s. auch
Sachverständige) XXXI,
36, 59 in der Regierung 175 f., 201 im Parlament XLIV, 156, 336 f., 515 f., 621, 627 f., 632, 635-638, 692 f. FDP XX, XLIV, XIII, XX f., LIB, 36, 48, 53 ff., 77, 95, 180, 380, 424, 426, 448, 606 Gründungsparteitag in Heppenheim am 10./11. Dez. 1948 350, 732 Finanzausschuß s. Ausschuß für Finanzen Finnland Wahlrecht 12 Flüchtlinge (s. auch Staatsbürgerschaft) 113, 115 f., 130-136, 198-201, 450-456, 580, 586, 589 f., 599 f., 616, 618, 620-622, 624 f., 628, 632, 635-638, 645 f., 692 f., 706, 751, 772, 780 f. Flüchtlingswahlkreise X, XLVII, L, 589 f. -
-
-
Fortschrittliche Volkspartei 603 Föderalismus VIII, 35, 64, 210, 473 f., 595 Frankfurt am Main XXXIX, 33, 142, 250, 372 f. Frankfurter Dokumente VIII, X, 35, 141, 473 f., 481, 492 Frankreich XXXVIII, 7 f., 25, 31, 38, 57, 169 f., 186, 188, 202, 204, 585 Wahlrecht 13-15, 22, 27, 179, 183 Frauen XLIV, LI, 16, 25, 59, 167, 250, 257, 343, 421, 436, 438 f., 467-469, 474, 477, 586, 589, 592, 599 f., 605, 615 f., 618, 620-622, 628, 632, 635-638, 646, 692 f. Freikonservative Partei 191 Freisinnige Volkspartei 27, 191 Freiwirtschaftsbund 147 Fünferausschuß (s. auch Siebenerausschuß) XVII, XXIV, 3, 4, 650, 673-675, -
696
304-306
Elsässer (Deutsches Reich, 1871-1918)
27,
63
Emigranten (s. auch Staatsbürgerschaft)
282,
293
auch Baden, BayXLV, 74, 84, 117, 119-121,
Entnazifizierung (s. ern..
.)
127-129, 290-301, 457-462, 676-679, 751
Ermächtigungsgesetz 846
174
f.
Genf 9, 181 Gerechtes Wahlsystem 41, 45 f., 69, 73-76, 79, 83, 93-95, 97, 176-178, 249 f., 260, 271, 339 f., 351, 354, 582, 591, 629 Gesamtdeutscher Block/BHE 75, 92, 263 Gesetz zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts von 1946 117-119
Sachindex Großbritannien XXXVIII, 41, 89 Unterhauswahlen 1922 37, 41, 176 Parteien 41, 56, 57, 79, 85, 174, 176 f. Leitbildfunktion des Wahlrechts XLIII f., 2, 6-8, 21 f., 27 f., 37, 39-42, 45, 48, 56, 60, 63, 76-87, 94, 139, 152, 157, 161, 163-207, 248 f., 252 f., 255, 261, 265,
Hessen-Nassau (Provinziallandtag) XX Hilfskräfte für Abgeordnete 436, 668
-
-
-
f., 615, Grundrechte (GG) 579 271, 582, 584
Grundsatzausschuß
s.
783
Ausschuß für Grund-
satzfragen
Haeusser-Bund
146
Hagenbach-Bischoff-Methode 341 Hamburg 12, 14, 19, 60, 159, 332 f.,
440,
f., 525, 600, 690, 710 Bürgerschaft XVII, 147,
463 -
-
-
-
-
Bürgerschaftswahl
vom
154 13. Okt. 1946
Entnazifizierung Flüchtlinge 199
122
Gesetz über die Wahl
Bürgerschaft von
1949
zur
hamburgischen
623
372
Hansa-Bund 58 Hare'sches Wahlystem 11, 19 Hauptausschuß XV, XVII f., XXV f., XLII f., XLVI, 3 f., 52, 137, 208, 244, 278-280, 339 f., 415, 459, 467 f., 484, 553, 579 f., 583, 608 f., 616, 625, 649-656, 671. 673, 705, 751, 779 2. Sitzung X, 242, 443, 458, 749 30. Sitzung XLV 44. Sitzung XLV 52. Sitzung XXX, XXXIV, XLII, 8, 261, 526, 752, 772, 803 53. Sitzung XXXI, 462, 472, 485, 668, 733, 750, 752-755, 758, 772, 779, 802 59. Sitzung XXV, 669, 778, 782, 806, 809 f., 812, 819 f. Heidelberg 158, 783 Heimtückegesetz von 1933 126 f. Herrenchiemsee s. Chiemseer Entwurf Hessen XX, 19, 33, 82, 296, 332 f., 371, 440 -
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Kandidatenaufstellung (s. auch schlag) 39, 49, 51, 58 f., 65 f.,
Wahlvor72
f.,
75
f.,
97, 103 f., 133, 144 f., 148, 158 f., 188, 194, 197, 231, 235, 239 f., 257 f., 263, 391 f., 722-734
147, 503, 790
Hannover
Illinois (Wahlrecht) 11 Interfraktionelle Besprechungen im Pari. Rat XXXVI, 210, 212 f., 226, 235, 242 f., 245, 417-422 Interparlamentarische Union 53 Italien, Wahlrecht 11, 22, 27, 179, 188, 202
Entnazifizierung 122 Flüchtlinge 199, 281, 288 Gemeindewahlgesetz von 1945 Kreistagswahlgesetz von 1947 Landeswahlgesetz von 1946
61 61
110, 113,
115, 393, 457, 502
Landtagswahl 1946 642 Verfassung 1949 745 Verfassungsberatende Landesversammlung 4
Kassel 372 Koalitionen (s. auch Politischer Kompromiß) XLIII, 23, 42, 55, 63, 74, 92, 173-175, 186, 191, 248 f., 253, 265, 580 Kommunistische Arbeitsgemeinschaft 708, 784
Kommunistisches Manifest (1848) 205 Kompetenzproblem (s. auch Alliierte, Mi-
XXVI f., nisterpräsidenten) VII—XII, XXXV f., XXXVII, XL f., XLV, XLIX, L, 32, 34 f., 140-142, 219, 518 Kompromiß XLIII, 23, 55, 74, 76, 81, 83 f., 95, 253, 257, 263, 267, 271, 594 f., 599 Konservative Partei (Deutsches Reich,
1871-1918)
Königsberg
27
159
KPD XIII, XXI, XXIV, XLIV, 67-71, 80, 148, 170, 254, 380, 784 Kriegsgefangene (s. auch Wahlrecht) 115 f., 293, 450 f., 706 Kumulieren 15, 27 f., 54, 66, 104, 144, 153, 203, 219 f., 223-225, 228, 358, 360, 363, 382, 413, 427-441, 473-483, 502
Landesliste (s. auch Listenwahl) LI, 19 f., 26, 53, 107, 408, 442 f., 483, 491, 511, 512 Landeswahlleiterkonferenz vom 8./10. Juni 1949 610, 815, 819 Landtagswahl s. Baden, Bayern, RheinlandPfalz Länderrat des VWG 269 Lindau 769 .
.
.
847
Sachindex
Lippe 19 Landtagswahl -
15.
vom
Jan.
1933
192,
200
Listenwahl (s. auch offene Liste, starre Liste) XLIII, XLIV, XLVIII f., 10, 19, 28, 44, 47, 54, 72, 74, 98, 154, 161 223 f., 256, 306-308
f., 166, 196,
Londoner Sechs-Mächte-Konferenz 1947
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt 120 Nebraska 189 Neuordnung der Länder 464 New York XVI, 4, 11, 182, 193 f., 206, 598 Niederlande, Wahlrecht 14, 22 Niedersachsen 332 f., 440, 618, 640 Beamtenwahlrecht 661 —
von
VIII
—
—
—
Mecklenburg
18
f.,
131
—
Mehrfachkandidatur (s. auch Kandidatenauf-
stellung)
158-160, 236, 725, 729
—
Mehrheitswahlrecht absolutes (s. auch Stichwahl, Deutsches Reich 1871-1918) XX, XXVIII, XXIX, XXXII f., 6, 37, 57 f., 67, 81 relatives (s. auch Großbritannien, Leitbildfunktion) XV-XVII, XX, XXVIIXXXIII, XXXVII, XL, XLII f., 78 Mehrstimmenwahlrecht s. Stimmenzahl pro Wähler Mexiko 283, 455 Minderheiten (s. auch Splitterparteien, Flüchtlinge .) XLVII, 6 f., 16, 45, 50, 63, 68, 83, 103 .
L, 35, 140, 476, 479, 481, 804, Rittersturzkonferenz
—
vom
8./10.
24. März 1949
XL
f.,
1949 XXXI, 812, 818 f., 821
15.
Juni
XIX, 48,
1947
s.
Deutsche
Nordrhein-Westfalen 332 f., 440, 459, 503, 525, 587, 618 Beamtenwahlrecht 662 —
—
—
—
—
—
Entnazifizierung 120—122 Flüchtlinge 199, 288 Gemeindewahlgesetz von 1948
Gemeinde- und Stadtkreiswahlen von 1948 147, 290, 344, 353, 355, 479 Landeswahlgesetz von 1947 105, 121, 125, 253, 351, 353-355, 429, 503, 615, 619, 787, 790
—
71, 290,
355
1947
von
253
f., 260,
605, 789
Landtag
2, 70, 150, 468
XIX, 49, 428,
vom
Norwegen, Verhältniswahlrecht 11 Notverordnung (§ 48 Weimarer Verfas-
XLVII, 140, 804, 806,
Nachwahl (s. auch Ersatzmandat) XLIII, 28, 41, 48, 56, 69,161,166-168, 176,184,192, 198, 221 f., 292, 296, 305, 346, 387 f., 815 453
Nationalliberale Partei 7 f., 27, 191, 603 Nationalsozialer Verein 14 Nationalsozialismus s. Deutsches Reich (1933-1945) 848
von
161, 354, 430, 503, 725 Landtag XIX, 75, 104, 154
Northeim
Mißtrauensvotum 23, 64, 182 Modellgesetz über die Errichtung des Pari. Rates IX, XII, XIV, 30, 745-747 Moskauer Außenministerkonferenz vom 10. März 1947 451
Nansenpaß
641
vom
525
Ministerpräsidentenkonferenz —
1948 147 f., Kommunalwahlen von f., 431, 474 f., 480, 502, 662, 724 Landtagswahl von 1947 75, 104, 260,
427
Landtagswahlen 1948
XIX,
Partei
VIII
Ministerpräsidentenkonferenz —
Juli
1948
von
224
—
812
Ministerpräsidentenkonferenz
f., 96, 152, 158,
301
Niedersächsische Landespartei
.
Minderheitsregierung 173—175 Ministerpräsidenten der Länder s. auch Büro der Ministerpräsidenten XXXVI, XLVII-
45
Landeswahlgesetz —
—
—
Entnazifizierung 122, Flüchtlinge 199 Gemeindewahlgesetz
—
sung) 77,
174
433
f., 182,
232
Deutsches Reich, auch (s. 1933-1945) 19, 42, 55 f., 67, 89, 148, 249, 265, 290 Nürnberg XX, 77 NSDAP
Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß
120
Offene Liste (s. auch Listenwahl) 47, 50 f., 73 f., 198, 203, 218, 234, 255 Oldenburg (1918-1933) 18 f. Organisationsausschuß s. Ausschuß für Orga-
nisationsfragen
Öffentliche Meinung XXIV, 44, 50, 56, 79 f., 85, 94, 98, 248, 259, 418-420, 481 f., 580 f., 586, 590-592, 598, 602-604 Österreich 15 f., 181, 288 f.
Sachindex Panaschieren 15, 27 f., 54, 66, 220, 223, 228, 235 f., 350, 358, 360, 363, 413, 430, 438, 477 f., 502, 581, 587 Parlamentarische Opposition 164,173—175, 248, 250, 261, 271 Partei für Leibesübungen 183 Parteien (s. auch CDU und CSU, SPD, FDP, DP .) XXVIII f., 36-38, 88, 92, 168171, 264, 266-268, 271, 273, 369-371 Einparteienherrschaft 6 f., 92 f., 99, 265, 267, 271 Erziehungsaufgabe 57, 105 f., 112, 145, 164-166, 185, 187, 203, 206, 225, 251-255, 259, 261, 348 Flügelparteien 259, 262 Interessengruppen 257, 260, 263, 270— .
.
-
-
-
-
274
Parteiensplitterung (s. auch Splitterpartei-
-
-
en)
37
f., 40, 43,
55
f., 65,
145
f., 183,
191, 239, 264, 266-271, 345, 362, 682 Parteienzulassung 144, 239, 369-371, 486, 489, 555, 715, 722 f., 811 weltanschaulicher Charakter 6 f., 13, 40, 68-70, 78, 190, 193, 198 f., 201, 204 f., 270-274, 410, 583, 648
Pennsylvania
-
-
-
Präsidialsystem 75, 77 Preussische Bergwerks(Preussag) 666
und Hütten AG
Preußen 27, 345 Dreiklassenwahlrecht -
179 665-667 Staatsstreich von 1932 94
Landtag XVI,
-
Freiheitspartei 147 Volksbeauftragten 54, 74, 484 Rechtsamt der Verwaltung des VWG 138 Radikal-Soziale
Rat der
415
Reichspartei (Deutsches Reich, 1871—1918) 27
Remscheid 69 Reststimmen (s. auch Verrechnung der Mandate) XII, XXVIII, XXX, 16-19, 24, 48, 59, 102 f., 154-157, 161, 177, 179, 184, 194, 218, 220 f., 227, 231-233, 258 f., 277, 307, 333-342, 345 f., 348, 350, 358, 360, 362, 376, 380, 384, 402 f., 418, 427 f., 435, 437, 442 f., 465 f., 478 Reuss jüngere Linie 465 Rheinland-Pfalz 332 f., 439 f. Beratende Versammlung 100 Entnazifizierung 122, 462 Landeswahlgesetz 2, 482 Rittersturzkonferenz s. Ministerpräsidentenkonferenz Rumänien 116 —
—
—
11
Persönlichkeitswahl XLIV, 21, 23, 44, 46 ff., 50 f., 54, 58-60, 66, 69 f., 72-74, 82, 97, 102-105, 155 f., 160, 171-173, 196, 212 f., 218 f., 225 f., 233, 237, 255 f., 258, 278, 339, 345 f., 351, 358, 361 f., 381 Plenum XXV-XXVII, XXX, XLII f., 278280, 288, 419, 421-424, 459, 486 f., 581, 586, 608 f., 659, 681, 769 7. Sitzung 54, 99, 210, 223 8. Sitzung 421, 424, 581, 586, 659, 681, 733, 752-756, 759, 769, 779 11. Sitzung 778, 806, 809, 815, 819 Polen 16, 116 Polnische Minderheit (Deutsches Reich, 1871-1918) 27, 63 Portugal, Wahlrecht 11
-
Recklinghausen XXIX, 55 Redaktionsausschuß s. Allgemeiner Redaktionsausschuß Referendum 35, 141, 181 f., 189, 194, 272,
Saarland
2
Sachsenhausen, Konzentrationslager
Schleswig-Holstein 332 -
f., 440,
463
f.,
117
34, 91-93, 156, 194 f., 503, 690, 710
Entnazifizierung 122 Flüchtlinge 199, 524 f. Landeswahlgesetz von
1947 91, 102, 121, 157, 184, 195, 206, 339, 457 f., 677 Landtag XVI, 91, 154, 194, 261 Landtagswahl von 1947 91, 188, 503 Schluß- und Übergangsbestimmungen 5, 102, 109, 124, 127, 150-152, 162, 229-301, 329 f., 369 f., 524-526, 548552, 564 f., 574-576, 748-751, 766, 802 f., -
-
-
-
821
Schweden 12, 72, 94, 272 Schweiz 7, 15, 94, 180-182, 269 f., 272, 341 Schwerin (1918-1933) 18 Senatorialsystem XLII, 31, 35, 215 Siebenerausschuß (s. auch Fünferausschuß) XVII, XXIV, XXXIX, XL, 4, 669 Sitz des Bundes 372, 747 Sowjetische Besatzungszone (s. auch Wahl-
gebiet) XXVII, 589 Sowjetunion 31, 122 Sozialistengesetz von 1878 126 f., 159 Sozialistische Arbeiterpartei XIX Spanien (Wahlrecht) 11 Sparerbund für das Deutsche Reich 65
849
Sachindex XIII, XVII-XX, XXIV, XLIV, XLVII, XLIX, LUI, 2, 12 f., 17, 27, 36, 40, 53-55, 78, 90, 95,188, 210 f., 244 f., 353, 422, 424,
SPD
426, 448
148, 179, 191, 370, 725
—
XXIX, 211, 353, 28. Mai 1948
Kölner XXXIX
17.10. 1947 -
598
in
Springe
-
am
211, 657
Parteivorstandstagung
1949
-
-
Parteitag
vom 11./14.
Sept.
1948
91
-
XXVI f.,
XXXV, f., 184, 198, 249, 305, 354, 378, 385-387, 418, 443 f., 547, 583, 598 f., 605, 611, 616, 651 f., 653 f., 801 f.
Sperrklausel X, -
XXXVIII, 4, 24,
XII,
33
f., 102,
177
Splitterparteien (s. auch Parteiensplitterung) XLIII, XLIV, 18-22, 24, 26, 58 f., 63-65, 80, 85 f., 92, 145, 148, 221, 248 f., 259, 338-340, 351, 376 f., 385-387, 409, 417 f., 591, 599, 602 f., 619, 626, 651-654, 715
Staatsbürgerschaft
108-111, 114-116, 129, 132, 136, 281-288, 293 f., 302 f., 450-456, 532, 553, 568 f., 705, 752, 805 Starre Liste 47, 74 Stichwahl 37, 49, 57-59, 62, 66, 76, 188, 200, 229, 233, 258, 263, 267, 304, 363 f., 368, 403, 446, 474, 492, 546, 573, 582 f., 587 f., 593, 627, 633-636, 640 f., 712, 800 Stimmenzahl pro Wähler 102 f., 108, 125, 140, 214, 216, 221-223, 225 f., 237, 426 f., 474, 546, 556, 757, 773-776 Stimmzettel (s. auch Wahldurchführung) 148-151, 155 f., 243, 278, 314, 541 f., 559
f.,
Straf- und
Untersuchungsgefangene
s.
akti-
und passives Wahlrecht 12, 438, 612 Sudetendeutsche 110, 130 f., 135, 285, 452 f. Süd-Baden s. Württemberg-Hohenzollern Südafrika 172, 176, 178 ves
Stuttgart XVI,
Tammany-Hall
194, 206 Tessin, Wahlrecht 11, 15 Thüringen 18, 131 Trautenau
130
Tschechoslowakei 850
Nr. S 51 IX Nr. S 53 (Wahlgesetzentwurf) XII, XXVI f., XXXI, XXXV, XLI, XLII, LH, 150, 493
vom
Parteivorstandssitzung
—
-
291
Hamburger Tagung
—
-
-
(Deutsches Reich, 1919-1933) 170, 187,
-
-
-
(Deutsches Reich, 1871-1918) 13, 27,
-
Umdruck Nr. S 3 XI, XXXVI, 669 Nr. S 5 XI, XXXV Nr. S 24 XLI Nr. S 45 3
16, 116
-
f., 674, 752-767,
777
Nr. S 55 XXVI, XLI, 768 Nr. S 58 (Wahlgesetzentwurf) 771-773, 776-803, 811 Nr. S 62 a XLIX Nr. S 79 XLVIII Nr. S 83 XLIX Nr. S 86 XLIX Nr. S 94 747
XXVI,
Unabhängige Sozialdemokratische -
Partei
170
Ungarn 111,
116
Stimmen 224, 427, 433 f., 441, 473, 475, 480, 500-508, 554, 559 f., 573, 739, 761 f. UNO 171 f. USA (s. auch Illinois, Pennsylvania, New
Ungültige
York) XXXVIII, XLI,
4
Bürgerkrieg
167, 183, 454 Präsidentschaftswahlen 1948 29, 171 Leitbildfunktion 21 f., 27, 29, 31, 99101,129, 138, 163-207, 269, 396, 482, 598 Verfassung 114, 167, 171 Überleitungsausschuß XLVIII f., 128, 141, 153, 219, 523 -
-
-
-
Vereinigtes
Wirtschaftsgebiet
118,
132,
138, 373
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (WN)
732
Verfassungsentwurf,
Dr. Menzel VII Verhältniswahlrecht (s. auch Weimarer Republik) 85, 90, 95, 154 Geschichte des 4—21 modifiziertes XIV, XVIII, XXVII, XXIX, XXXI, XLII, XLIV, 8, 16, 22 f., 34, 50, 83 Verrechnung der Mandate (s. auch Reststimmen) XII, LI, 19, 24, 34, 47 f., 101, 104, 221, 228, 342-350, 352-358, 511-516, 546 f., 574, 613-646, 785-802 Versailles, Friedensvertrag von (1919) 111 —
-
compulsa 652 suggestiva 652, Volksbegehren 182 Vis Vis
655
Volkskonservative Vereinigung Vote cumulatif 7 Vote limité 7
784
Sachindex Wahlalter 1, 111-114, 127, 302, 532, 554, 568, 705, 805 Wahlausschuß (s. auch Wahldurchfüh-
f., 760 Wahlbehinderung (s. auch Wahlrecht) rung) 496-499,
736
-
122—
125
341 f., 24, 83, 339, 344-346, 348 f., 352, 418, 427, 486 f., 623, 646-648, 685 f., 689 Wahlbezirke 32-34, 58 Wahldurchführung XII, XLII, XLIV f., 34, 142, 144, 317-319, 405, 416, 500-519, 542-545, 559-563, 572 f., 738-743, Wahlergebnis, Ermittlung des (s. auch Wahldurchführung) 152-154, 228, 319-324, 560, 762 f. Wahlfreiheit s. Wahlrecht Wahlgebiet XXVII, 332, 389, 463-472, 528, 555, 566 Wahlgeheimnis (s. auch Wahlrecht) XI, 398, 400
Wahlbeteiligung
Wahlgesetz —
—
kein Bestandteil des Grundgesetzes (s. auch Kompetenzproblem) XXVI, 1 f., 90, 95, 183, 419
Schröder 408 f. Entwurf Schröter XXVI, 446 f., 527, 533, 545, 547
„Strukturentwurf" Diederichs —
—
—
—
Drucks.
s.
Nr. 606
modus)
Diederichs (Wahl-
611
CSU-Vermittlungsvorschlag —
—
—
—
vom vom
408 f. 4. Februar 1949 s. Drucks. Nr. 577 24. Februar 1949 s. Umdruck Nr. S 53
der Deutschen Wählergesellschaft 46, 65, 101, 142, 159, 207, 247, 271 f., 391-393
Wahlgesetz —
—
vom 15.
Juni
1949
Gesetz vom 5. August 1949 des Wahlgesetzes 811
zur
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
804-821
Wahlkosten 22, 58, 65, 161, 230, 235 f., 239 f., 305, 307, 328, 389 f., 396-401, 524, 564, 576, 748 Wahlkreise XXVII, XXVIII, 22, 34, 47, 58, 75, 103, 140, 142 f., 154, 216-219, 241, 332
f.,
Hamburg 241 Lippe-Detmold Münster-Land
241
94, 696
Oberpfalz 58 Ostpreußen 58, Pommern
192, 696
58
Recklinghausen 696, 729 Rhein-Wupper, Kreis (Nachwahl)
1948
69
Schlesien
154, 337
(s. auch Verrechnung der Mandate) 58, 104 f., 178 f., 217, 269, 271, 308, 316, 332 f., 337, 340, 348, 350, 370, 401, 408, 440, 472-473, 484, 495, 498, 518, 528-530, 558, 563, 566-568, 628, 709-711, 734-736, 759, 801 Wahlkreisverband 493, 495, 512-516 Wahlleiter 33, 139, 142-144, 217, 236, 308, 384, 491, 493, 528 f., 557 f., 567 f., 734,
Wahlkreiseinteilung
383
f.,
426
24, 50, 101 f., 109, 140, 221-223, 228-231, 241 f., 280, 333 f.,
Abgeordnetenzahl
Wahllokale (s. auch Wahldurchführung) 123-125, 217 Wahlpflicht XXVI, XXIX, XLVI, XLVII, LI, 109, 153, 160, 236, 305, 307 f., 313, 324-327, 371, 406, 415, 519, 549 f., 562 f., 610, 646-649, 743, 763-765 Wahlprüfung 24, 32 f., 109, 153, 160, 162, 236, 305, 307 f., 313, 324-327, 371, 406, 415, 519, 549 f., 562 f., 610, 743, 763-765 Wahlrecht aktives XXX, XLV, XLVI, L, 108 f., 114, 117-122, 125 f., 129, 131, 136, 216, 281-314, 450-452, 532-537, 553 f., 568 f., 675-679, 705-709, 752-754, -
Ergänzung
Wahlhandlung s. Wahldurchführung
—
-
759
Drucks. Nr. 178 Entwurf Becker s. Drucks. Nr. 197 Entwurf Kroll s. Drucks. Nr. 264 Überarbeiteter Entwurf Becker s. Drucks. s.
Vermittlungsvorschlag —
-
Nr. 128
„Teilentwurf"
—
-
-
Wahlgesetzentwurf —
-
342-346, 348-350, 353-355, 358-363, 374-383, 428-441 Anzahl pro Bundesland XXI, XXV, 383 f., XXXV, XXXVIII, 463-472, 709-711, 810 f. Berlin 241, 382, 463, 696, 735 Bremen 350, 382, 696, 702 f., 735 Breslau 241, 694 Dortmund-Essen-Hörde 58, 603 Düsseldorf 729 Glatz, Grafschaft 694
805-807 -
-
-
-
-
passives XLII, XLVI, XXX, XLII, XLV, XLVI, L, 24, 108 f., 114, 125-136, 139 f., 216, 239, 244, 281-304, 452-463, 537-554, 675-679, 705-709, 752-754, 807 f. direktes 5, 28-32, 109, 154 allgemeines 1, 5, 13, 16, 28, 30 f. indirektes 1, 29 f., 87
gleiches 1 für ehemalige Nationalsozialisten (s. auch
-
851
Sachindex
Wahlrecht, passives) XLV, XLVI, 74, 457-463, 533, 554, 569, 778-780 Wahlrechtsausschuß s. Ausschuß für Wahl-
rechtsfragen
WahldurchfühWahlschein auch (s. rung) 310-313, 536 f., 558 f., 570 f., 816 f. Wahlsystem s. Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht Wahltermin XLVIII, L, 140-142, 308, 734 f., 738, 759, 818 Wahlverfahren XLII, 103, 142, 151, 217, 219-222, 248, 250, 258, 277, 304-308, 331-341, 555-557, 679-697, 709-733, 754-758
Wahlvorbereitungen XXXV,
109, 140-152, 222, 244, 308, 406, 493-500, 537-542, 557-559, 571 f., 734-738 Wahlvorschlag 146 f., 156-158, 217-223, 227, 234, 236 f., 239, 241, 304-307, 313, 387-401, 415, 427, 430-432, 472 f., 538-541, 555-557, 722-725, 813 f. Verbindung von 307, 447, 483, 556, 725, 758, 815 Währungsreform vom 20. 6. 1948 248, 748 Weimarer Republik 85, 88-90, 93, 95, 97, 145 f., 151, 169, 174, 180, 182 f., 185 f., 202, 205, 253, 262 f., 265, 268, 272 f., 419, 468, 580, 586, 589, 591, 593 Deutsche Nationalversammlung (1919) 3, 14, 16, 18, 23, 54, 97, 106, 137, 145, 262 f. Reichsstimmordnung von 1924 312, 499, 740 Reichstag 3, 18, 55, 67, 487 Reichstagswahl 67, 192, 239, 263 Verfassung 77, 112 f., 174, 182, 252, 295, 524, 549 Wahlrecht XXVIII, XXXII, XXXIX, XLIII, XLIV, 18, 23, 36, 40, 44, 55, 65, 67-69, 71, 74, 78-81, 113, 117, 122, 126 f., 129, 135, 139, 142 f., 146, 153, 155 f., 166, 170, 173, 177-179, 220, 231, 241, 247, 249, 251, 256, 277, 337, 345, 398, 451, 496, 499, 580, 598, 603, 689, 717, 724 Weimarer Koalition 27, 55, 94, 263 Weifen (Deutsches Reich, 1871-1918, s. auch Deutsche Partei) 27, 63, 157 -
Weltwirtschaftskrise von 1929 42, 77 Wirtschaftliche Auf bau-Vereinigung 41, 79, 134, 149, 731, 797
Wirtschaftspartei Wirtschaftsrat 744
f.,
180
373, 377 f., 520, 606, 660
f.,
792
Wohnsitz 108, 114-116, 129 f., 132-136, 139, 286, 302, 304, 532, 569, 589, 705, 752, 805
Wolfsburg 679 Württemberg (1871-1918) Württemberg-Baden 52,
12, 14, 28 102, 110,
228,
f., 440, 477,
589 Entnazifizierung 122 332
—
—
—
—
Flüchtlinge 199, 281, 288 Gemeindeordnung vom 20.12.1945 Landeswahlgesetz von 1946 113, 681
Verfassungsgebende Versammlung —
783
438,
1946
XVII, 113,
von
663
Württemberg-Hohenzollern 332 f., 440 Entnazifizierung 122 Landeswahlgesetz von 1947 435, 437, —
—
682
Young-Plan
182, 784
-
-
-
-
-
-
-
852
Zentralstelle für Flüchtlingsfragen 781 Zentrum XIII, XXIV, XLIV, XLIX, 53 ff. (Deutsches Reich, 1871-1918) 27, 271, -
795
nach 1945 48, 75, 275, 355, 380 Zivilarbeiter in Frankreich 138 f., 152 Zonenbeirat XXI, 5, 137 Zuständigkeitsausschuß s. Ausschuß für Zu-
ständigkeitsabgrenzung
Zweiparteiensystem XLIII, 21 f., 39-44, 55, 61-63, 77, 80, 87 f., 90, 92 f., 99, 164, 168, 174 f., 184-188,190,193 f., 197-200, 204,
206, 253, 256, 264, 266 f., 269-271, 273, 410, 602, 648 Zweistimmenwahlrecht 26, 773-776
Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Akten und Protokolle vom Deutschen Bundesarchiv
Herausgeg. und
vom
Bundestag
Die Dokumentation enthält den kommentierten Abdruck der bisher unveröffent-
lichten Protokolle der Fachausschüsse des Parlamentarischen Rates. Sachindizes gewährleisten die thematische Orientierung und den Überblick über die mannigfachen Verhandlungen vor der endgültigen Formulierung der einzelnen Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Bisher erschienen:
Volker
Wagner (Bearbeiter)
Band 1 : 1975
Vorgeschichte
534
S.,
5
T., Ln., DM
60-
-
Peter Bucher (Bearbeiter) Band 2 : Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee 1981 812 S., Ln., DM 80Wolfram Werner (Bearbeiter) Band 3 : Ausschuß für -
Zuständigkeitsabgrenzung
848
1986
S., Ln., DM
96-
-
Wolfram Werner (Bearbeiter)
Band 4: Ausschuß für das
Besatzungsstatut
S., Ln., DM 42E. Pikart/W. Werner (Bearbeiter) 1989
192
-
Band 5 : Ausschuß für 1993
2
Grundsatzfragen
Bde,
1160
S., Ln., DM
180-
-
In -
-
-
Vorbereitung: Entwürfe zum Grundgesetz Ausschuß für Finanzfragen Ausschuß für Organisation des Bundes / Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege
Hauptausschuß -
-
-
Plenum Die Beziehungen
zu
den
Militärregierungen Interfraktionelle Besprechungen
-
HARALD BOLDT VERLAG BOPPARD AM RHEIN